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HARVARD, UNIVERSITY.
DIB RAR Y
OF THE
MUSEUM OF COMPARATIVE ZOOLOGY.
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Jenaische Aeitschrift
NATURWISSENSCHAFT
medizinisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaft
zu Jena,
Vierunddreissigster Band.
Neve Folge, Siebenundzwanzigster Band.
Mit 28 Tafeln und 197 Abbildungen im Texte.
- Jena,
Verlag von Gustav Fischer
1900
Uebersetzungsrecht vorbeh alten. 7
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UAN 83 1901
Inhalt.
Brocu, Leoronp, Schwimmblase, Knochenkapsel und Weser-
scher Apparat von Nemachilus barbatulus GwUnruer.
Hierzu Tafel I und II und 12 Figuren im Text
Bossnarp, Herricn, Zur Kenntnis der Verbindungsweise der
Skelettstiicke der Arme und Ranken von Antedon rosacea
Linck (Comatula mediterranea Lam.). Hierzu Tafel IIT
—VIII : Bods s spat
SCHELLENBERG, Kaspar, Untareushaneen fiber ine Grotiuen:
mark der Ungulaten. MHierzu Tafel IX—XII und 44
Figuren im Text a dee
Furprincer, Max, Zur seule iden iinet Stats des Beat
schulterapparates und der Schultermuskeln. Mit Tafel
XIII—XVII, Fig. 103 —179, und 141 Figuren im Text
Burcuarpt, Euern, Beitrage zur Kenntnis des Amphioxus
lanceolatus, nebst einem ausfihrlichen Verzeichnis der
bisher iiber Amphioxus verdffentlichten Arbeiten. Mit
Tafel XVITI—XXVI ;
Lowea, TaHropvor, Studien iiber das itso arene den ecenizon
dorsatus (Erethizon dorsatum Cuvier), Hierzu Tafel
XXVII und XXVIII .
Seite
833
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SEP 2” \“Jenaische Zeitschrift
fiir
NATURWISSENSCHAET
herausgegeben
von der
medizinisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaft
gu Jena,
Vierunddreissigster Band.
Neue Folge, Siebenundzwanzigster Band.
Erstes Heft.
Mit 12 Tafeln und 56 Figuren im Text.
Inhalt.
BLocu, LEOPOLD, Schwimmblase, Knochenkapsel und Weber’scher Apparat
von Nemachilus barbatulus Giinther. Hierzu Tafel I und II und
12 Figuren im Text.
BOSSHARD, HEINRICH, Zur Kenntnis der Verbindungsweise der Skelett-
stiicke der Arme und Ranken von Antedon rosacea Linck (Comatula
mediterranea Lam.). Hierzu Tafel III—VIII.
SCHELLENBERG, KASPAR, Untersuchungen iiber das Grosshirnmark der
Ungulaten. Hierzu Tafel IX—XII und 44 Figuren im Text.
Preis: 17 Mark.
Jena,
Verlag von Gustav Fischer.
1900. |
Zusendungen an die Redaktion erbittet man durch die Verlagsbuchhandlung.
Ausgegeben am 1. August 1900.
Verlag von Gustav Fischer in Jena.
Pauna Arctica.
Eine Zusammenstellung der arktischen Tierformen, mit beson-
derer Beriicksichtigung des Spitzbergen-Gebietes auf Grund der
Ergebnisse der Deutschen Expedition in das Nérdliche Eismeer
im Jahre 1898.
Unter Mitwirkung zahlreicher Fachgenossen herausgegeben von
Dr. Fritz Rémer und Dr. Fritz Schaudinn
in Breslau in Berlin,
Erster Band. Erste Lieferung.
Mit 7 Tafeln, 2 geograph. Karten und 12 Abbildungen im Text,
1900. Preis: 25 Mark.
Inhaltsverzeichnis. Fritz Rémer und Fritz Schaudinn, Einleitung, Plan
des Werkes und Reisebericht, — Franz Eilhard Schulze, Die Hexactinelliden. —
Johannes Thiele, Proneomenia thulensis nov, spec. — Otto von Linstow, Die
Nematoden. — Hubert Ludwig, Arktische und subarktische Holothurien,
Fixirung, Farbung und Bau
des
Protoplasmas.
Kritische Untersuchungen tiber Technik und Theorie
in der neueren Zellforschung
von
Dr. Alfred Fischer,
a. o. Professor der Botanik in Leipzig.
Mit einer colorirten Tafel und 21 Abbildungen im Text.
1899. Preis: 11 Mark.
Praxis und Theorie
ler Zellen- und Befruchtungslebre
von
Dr. Valentin Hacker,
a. 0. Professor i. Freiburg i. B.
Mit:137-A-bbridungeen im dex
1899. Preis: brosch. 7 Mark, geb. 8 Mark.
Soeben erschien:
Der Gesang der Vogel,
seine anatomischen und biologischen Grundlagen.
Von
Dr. Valentin Hicker,
a. 0. Professor in Freiburg i. Br.
Mit 13 Abbildungen im Text.
1900, Preis: 3 Mark.
SEP 27 1900
Schwimmblase, Knochenkapsel und
Weber’scher Apparat
von Nemachilus barbatulus Giinther.
Von
Leopold Bloch.
Hierzu Tafel I u. II und 12 Figuren im Text.
1. Vorrede.
Im Jahre 1894 erschien in der Revue suisse de Zoologie eine
Arbeit von Jaquet (40): Recherches sur ia vessie natatoire des
Loches d’Europe!). Er kam durch seine Untersuchungen zu dem
Schlusse, da diese Fische nicht zu den Physostomen zu
rechnen seien, da alle 3 Species eine geschlossene Schwimmblase
besitzen. Seither ist meines Wissens diese Ansicht nicht widerlegt
worden. Allerdings steht mit derselben eine Anmerkung im Wider-
spruch, die sich in WirprrsHEtIm’s (71) Lehrbuch d, vergl. Anat. von
1886, 8.471 findet. [Ich ziehe die Auflage von 1886 zum Vergleich
heran, weil die neueren auf eine Riicksichtnahme der Cobitiden ')
iiberhaupt verzichten.] Sie lautet: , Wie es scheint, finden sich bei
Cobitis fossilis L. (Misgurnus foss. Lach.) ganz ahnliche Verhilt-
nisse C. Hasse), wie bei den vier Physostomen - Familien:
Siluroiden, Gymnotiden, Characiniden und Cypri-
noiden, welche eine Knochenkette, den Wurser’schen Apparat,
besitzen.“ Ich hielt in Anbetracht dieses Sachverhaltes es fiir
wiinschenswert, diesen Widerspruch zu heben, d. h. zu entscheiden,
ob die Cobitiden zu einer der vier mit dem Weser’schen Apparat
versehenen Familien, also zu den Physostomen, coder aber zu
den Physoclisten zu rechnen seien. LEimerseits schien mich die Er-
wagung — da doch im allgemeinen fir die Zuteilung einer Gattung
zu den Physostomen oder zu den Physoclisten das Vorhandensein
oder das Fehlen eines Luftganges (Ductus pneumaticus) bestimmend
ist — dahin zu fiithren, Jaquet’s Auffassung beizupflichten; anderer-
seits verursachte in mir wiederum die folgende Anmerkung SacGe-
MEHL’s (57) ernsthaftes Bedenken. Er schreibt S. 22: ,AuS8er
den angegebenen vier Physostomenfamilien sind zur
1) Dahin gehéren Misgurnus fossilis Lactr., Cobitis taenia L.,
Nemachilus barbatulus GinrueEr.
Bd, XXXIV. N. F. XXVII. 1
2 Leopold Bloch,
Zeit keine anderen bekannt, die einen Wespr’schen Apparat
besitzen und die sich durch die Existenz desselben als nahe Ver-
wandte der ostariophysen !) Knochenfische charakterisieren wiirden“
(d. h. als nahe Verwandte der vier schon genannten Physostomen-
familien). Weun also die Cobitiden die Weser’schen Knéchelchen
besitzen und es nach SacemeEuL u. a. keine Physoclisten giebt, welche
diesen Weser’schen Apparat aufweisen, so ist der Entscheid zu
treffen, welches dieser zwei Merkmale, von denen das eine nur
typisch ist fiir gewisse Physostomen, aber nie fiir Physoclisten, das
andere fiir Physoclisten, Recht auf Beriicksichtigung hat.
Nach dieser Ueberlegung hielt ich es fiir wahrscheinlich, daf
Jaquet (40) kaum recht haben konnte, indem wohl das Fehlen
eines offenen Ductus pneumaticus fiir den Fall, da die Cobitiden
den Weser’schen Apparat iiberhaupt besitzen, nicht entscheidend
sein diirfte fiir die Zuteilung derselben zu den Physoclisten, denn
es ist allgemein bekannt, daf bei Riickbildungen — und mit modi-
fizierten Schwimmblasen haben wir es bei diesen Cobitiden zu thun
— ein hiautiger Gewebestrang, wie der Ductus pneumaticus einen
darstellt, nicht immer konservativ bleiben kann. Und in der That
fand diese Ueberlegung ihre Rechtfertigung bei der Durchsicht der
Arbeit von Herzenstein (35, 8. 3—4), wo darauf hingewiesen
wird, daf dem Baue der Schwimmblase im Gegensatz zu allen
anderen Organisationsverhaltnissen schwerlich eine iiberwiegende Be-
deutung zugeschrieben werden kann, und daf ein einziges
Kennzeichen, welchem Organsystem es auch ent-
nommen sein mége, niemals zur Begriindung einer
mehr oder weniger natiirlichen Anordnung, weder in
hoheren noch in den niedereu Hinheiten des Systems,
dienen kann. Auch hat schon Drenarocue (13) 8. 189—190 her-
vorgehoben, in wie gerimgem Zusammenhange die An- oder ginz-
liche Abwesenheit der Schwimmblase mit der iibrigen Organi-
sation steht, und speciell die Méglichkeit der An- oder Abwesenheit
der Schwimmblase innerhalb einer Gattung hervorgehoben.
Allerdings muf hier bemerkt werden, da keine Ostariophyseae
bekannt geworden sind, die der Schwimmblase entbehren. Leicht
liefen sich eine Menge von Beispielen anfiihren, wo bei der An-
ordnung im System die Vernachlissigung einzelner (differenter)
Merkmale durch tiefer greifende Uebereinstimmungen gerechtfertigt
ware. Der Vollstandigkeit wegen sei hier noch erwihnt, daf es
auch Cobitiden giebt, die einen offenen Ductus pneumaticus
besitzen, z. B. Nemachilus Strauchii (SérpNsEN, 63).
Schon beim Studium der einschligigen Litteratur wurde es
mir zur Gewibheit, daf die Cobitiden Kuropas den Werser’schen
Apparat besitzen und daf die Zugehérigkeit derselben zu
den Physostomen, speciell den Cyprinoiden, eine
schon langst ausgemachte Sache ist. Dennoch entschlof
ich mich, eiige Verhaltnisse an den vorderen Wirbeln von
1) Von é6teorov, Knochelchen, und micn, Blase (Sechwimmblase).
) oLoyv, ) I>
|
Schwimmblase, Knochenkapsel etc. von Nemachilus barbatulus G. 3
Nemachilus barb. genau zu _ studieren, weil ich mich iiberzeugen
konnte, da’ eine genaue morphologische Beschreibung dieser Ver-
haltnisse bei Nem. barb. (und wohl auch Cob. taen.) nirgends
existiert (auch die Beschreibung durch Jaquet, 40, ist nicht ausge-
nommen), dagegen wohl eine solche von Misgurnus fossilis durch
Sorensen (63). Daf solch ein genaues Studium der vorderen
Wirbel, mit denen die Knochenkapsel in Verbindung steht, abge-
sehen von der Frage, welche sich auf die Wrsper’schen Knéchelchen
bezieht, nicht iiberfliissig war, mag aus folgendem Beispiel ersehen
werden. Die Schwimmblase von Nemachilus barbatulus ist namlich,
wie wir spiater einlaflicher beschreiben werden, eingeschlossen in
eine Knochenkapsel. Nach Weser (70), Groppen (29), Farro (16)
steht letztere in Verbindung mit dem zweiten und dritten Wirbel,
nach Sresonp (61) (bei der Gattung Cobitis tiberhaupt) mit dem
ersten, nach VALENCIENNES (12) mit dem ersten, zweiten und dritten,
nach RosenrHan (55) und Jaqurr (40) mit dem ersten und zweiten.
Man kann nicht sagen, dai die Angaben der Forscher in diesem
Punkte sich in grofer Uebereinstimmung befinden, doch war ich
wenigstens sicher, die Schwimmblasenkapsel nicht an den Abdominal-
wirbeln suchen zu miissen. Auch abgesehen von der Lésung dieser
Frage, glaube ich im folgenden von friiheren Darstellungen einiges
Abweichende beibringen zu kénnen.
2. Einleitung.
Bei der Betrachtung der Kérperhaut von Nem. barb. unmittel-
bar hinter dem oberen Rande des Kiemendeckels fallt bisweilen
eine Stelle durch etwas dunklere Pigmentierung auf. Nachdem
man die Kérperhaut weggehoben hat, gewahrt man, dal gerade
hier die dorsalen (ldm Fig. 1) und die ventralen
(lum Fig. 1) Halften der Seitenrumpfmuskulatur nicht
zusammenstofen, sondern eine Oeffnung frei lassen
(tcv), die oval und mit aufgeworfenen Randern (ev) versehen ist.
In der Tiefe der Oeffnung vermag man eine glanzende Membran
zn beobachten. Dies ist die Schwimmblase. Die aufgeworfenen
Rander gehéren der schon erwahnten Knochenkapsel an, welche
an der Wirbelsiule festgeheftet ist und die Schwimmblase beinahe
ganzlich umschlieBt. Die vorerwahnte Oeffnung wurde von Hasse
(33, 5. 595) ,,Introitus capsulae vesicae“ bezeichnet, was der
lateral cutaneous area“ von Bripce und Happon (7, 8. 313)
entspricht. Ueber einen Teil der Schwimmblase zieht
1*
4 Leopold Bloch,
also bloB die Haut hinweg. — Wir wollen versuchen, die
Knochenkapsel, welche komplizierter gebaut ist, als man sich es
bei fliichtiger Betrachtung denken kénnte, genau zu_ studieren,
um nachher dann der Schwimmblase selbst noch einige Aufmerk-
samkeit zu schenken. Diese Knochenkapsel ist verhaltnismafig
stark mit der Wirbelsiule verschmolzen, sodaf es uns nicht so-
sleich gelingt, weder die Zahl der Wirbel zu bestimmen, welche
bei deren Bildung in Mitleidenschaft gezogen wurden, daher jene
auseinandergehenden Befunde, noch zu begreifen, auf welche Weise
dies geschah. Es hat die Knochenkapsel von den Forschern die
verschiedensten Deutungen erfahren, so daf wir diese, sowie auch
andere Fragen, erst spater beantworten kénonen.
Normaler Wirbel: Es wird am besten sein, wenn wir
uns vorerst kurz in Kenntnis setzen vom Bau eines normalen
Wirbels der Bartgrundel; denn die normalen Wirbel erhalten sich
deutlich gesondert voneinander, jene, die mit der Schwimmblasen-
kapsel verschmolzen sind, dagegen nicht immer. Nur die Kenntnis
der Gestalt eines normalen Wirbels verhilft uns dazu, modifizierte
Verhaltnisse leicht zu begreifen. Der normale Wirbelkérper hat
ungefahr die Gestalt eines auf beiden Endflichen ausgehéblten
Cylinders. Er ist bikonkav oder amphicél. Der zwischen zwei
Wirbelkérpern liegende, doppelkegelférmige Raum ist von Chorda-
gvewebe ausgefillt. Diese normalen Wirbelkérper tragen zwei
Bogensysteme: das obere Bogensystem, welches das Riickenmark
umhillt, und das untere, das im vorderen Teil des Kérpers seit-
lich absteht. — Das obere Bogensystem besteht aus Knochen-
bogen, die in korrespondierenden Paaren jederseits mit der Ober-
seite der beziiglichen Wirbelkérper verschmolzen sind. Sie stofen
iiber dem Riickenmark von beiden Seiten zusammen, verschmelzen
dort miteinander und tragen einen Dornfortsatz, welcher fest
mit ihnen verwachsen ist. Er bildet gleichsam das spitz ausge-
zogene Ende der vereinigten oberen Bogen (Fig. 3 p.sp. IV).
Die Bezeichnung Neurapophysen, Neuralbogen, wollen wir in
dem tblichen Sinne fiir diese oberen Bogen beibehalten. Sie sind
jedoch noch nicht erschépfend beschrieben worden, indem von ihrer
gegenseitigen gelenkigen Verbindung, welche eine den Processus
articulares der héheren Wirbeltiere analoge Bildung ist, noch nicht
gesprochen wurde. Wir haben es an den normalen Wirbeln zu
thun mit zwei Gruppen von Gelenkfortsitzen; die einen sind
paarige Fortsatze der Neuralbogen (Fig. 2, zy.a V, zy.a IV),
die anderen solche der Wirbelkérper (Fig. 2, 3, 4 zy.p IV, zy.p V,
Schwimmblase, Knochenkapsel etc. von Nemachilus barbatulusG. 5
zy.p VI). Es artikuliert nun jeweilen ein Fortsatz des Wirbel-
kérpers mit dem Fortsatz des caudalwarts liegenden Neuralbogens.
Die Fortsitze der Wirbelkérper sind bei den Wirbeln der Bart-
erundel beinahe bis auf halbe Hohe getrennt von den Bogen,
allein sie kénnen bei anderen Knochenfischen auch vollstiindig mit
ihnen verschmelzen. Wir wollen mit Hayek (34, S. 241) und
Dotto (14, S. 9) diese Gelenkfortsitze Zygapophysen nennen
(Proc. fulcientes, ,,Laeneproces* SORENSEN, 63, S. 92; vergl. auch
STANNIUS, 66, S. 115). — Das untere Bogensystem, soweit
es fiir uns in Frage kommt, besteht pro Wirbel aus je 2 paarigen
Stiicken. Auf jeder Seite des Wirbelkérpers ist ein konisch ab-
gerundetes, kurzes Grundstiick, Basalstumpf, in einer Grube
unbeweglich eingesenkt (Fig. 2,4 ba V). Mit diesen Grundstiicken
sind nun die Rippen (Fig. 2 co VI), welche sich von vorn-oben,
schrig nach unten-binten erstrecken, gelenkig verbunden. Es
kommt bei ihnen nie zu einem ventralen Zusammenschluf’. Am
erwachsenen Wirbel von Nem. barb. ist also gleich wie bei allen
tibrigen Teleostiern nur ein Rippenpaar zu beobachten. Am
primaren Skelett ist allerdings das gleichzeitige Vorkommen
oberer und unterer Rippenpaare nachgewiesen worden (GOPPERT,
24). Indessen sind nur die unteren Rippen, ,,Pleuralbogen‘,
bei den erwachsenen Tieren zur Entwickelung gelangt, und es
hat schon GOrrE (25) klar erkannt, da8 nur die Selachier und
Amphibien Skelettstiicke besitzen, die den fiir die Amnioten
traditionellen Namen ,,Rippen‘“’ beanspruchen diirfen, daf da-
gegen die unter gleichem Namen _ beschriebenen Gebilde der
Ganoiden und Teleostier efwas von den Amniotenrippen
Verschiedenes, ,,Pleuralbogen“ sind. Gleichwohl werden wir fiir
die als abgegliederte Teile der primitiven Basal-
stimpfe aufzufassenden Pleuralbogen den Namen
Rippen gebrauchen, weil dem so tiblich ist. — Unter dem Aus-
drucke ,Processus transversus” (Fig. 6 pt ID) (apophyse
transverse — BEAUDELOT, 3, Querfortsatz — Auc. MULuerr, 46,
TVAERTAP - SORENSEN, 63) wollen wir den Fortsatz des Wirbel-
kérpers verstehen, welcher das mit dem Wirbelkérper verschmolzene
Homologon des Basalstumpfes ist. Allerdings will es uns
scheinen, daf, wenn man die vorher erwihnte Genese der Rippen
in Betracht zieht, man nie im Stande ist zu behaupten, ein Proc.
transv. ist ein echter, wenn tiberhaupt keine Rippe zur Aus-
bildung gelangt ist. SORENSEN (63, S. 86):
6 Leopold Bloch,
,l'vaertappen paa 2 den Hvirvel
er Ribbenets Grundstykke; det
egentlige Ribbeen er efter mit
Skjoen ikke kommet til Udvikling.
Den er altsaa en aegte Processus
transversus“.
Der Querfortsatz auf dem 2.
Wirbel ist das Grundstiick der
Rippe; die eigentliche Rippe
ist nach meinem Dafirhalten
nicht zur Entwickelung gekommen.
Er ist also ein echter Processus
transversus."
In einem Falle, wo die Rippe nicht zur Entwickelung ge-
langt ist, wird es dem Forscher frei stehen, den Processus trans-
versus gemif unserer Definition aufzufassen als echten Proc.
transv. oder aber als Proc. transv. + nicht abgegliederte
Rippe. Fir beide Auffassungsweisen wollen wir mit SORENSEN
den Proc. transv. als echten bezeichnen im Gegensatz zu jenen
falschen Wirbelquerfortsitzen, von denen wir mit Bestimmtheit
wissen, daf sich an ihnen secundir hinzugetretene Teile
befinden.
Erster Wirbel: Suchen wir nun bei der Betrachtung des
vordersten Wirbels zurecht zu kommen. Im Bereiche der Ab-
teilung der Teleostier sind Umgestaltungen der ersten Wirbel sowie
auch Verbindungen derselben mit Knochen des Craniums_ haufig,
so dafi oft die verschiedenen bei den normalen Wirbeln namhaft
gemachten Elemente hier nicht leicht oder nicht mehr zu erkennen
sind. Die einlaBliche Priifung eines einzelnen Falles, wie wir
einen vor uns haben, gestaltet sich zu einer umfassenden Aufgabe
und wir diirfen darauf nicht verzichten, auf manche andere Or-
ganisationsverhaltnisse einzugehen. Wenn man ferner in Betracht
zieht, daf der Weperr’sche Apparat und die Knochenkapsel der
Schwimmblase neben den primiiren Umgestaltungen, welche die
ersten Wirbel der Teleostier im allgemeinen erfabren kénnen, als
sekundare Einrichtungen aufzufassen sind, so wird ersichtlich, da’
die Deutung einzelner Skelettstiicke ohne Riicksichtnahme auf ent-
wickelungsgeschichtliche Studien sehr schwer fallen wirde, und
dies, obschon der Charakter des vorderen Teiles der Wirbelsaule
bei den Cyprinoiden sich weniger von dem gewohnlichen Teleostier-
typus entfernt als jener der tibrigen Ostariophyseae. — Als ersten
Wirbel haben wir denjenigen anzusehen, welcher sich dem Os
occipitale caudalwarts anschlieSt, denn:
,sedenfalls . . . ist im knéchernen Cranium der Teleostier
nicht die occipitale Partie desselben als ein vertebraler Abschnitt
zu betrachten.“
(GEGENBAUR, 20, 8. 30; bierher auch Huxtey, Frortep, 17. u. a.)
Schwimmblase, Knochenkapsel ete. von Nemachilus barbatulusG. 7
Bei der Priifung des ersten Wirbelkérpers fallt uns zuniachst
auf, daB er viel kiirzer ist als die folgenden (Fig. 4,5 Z). Bei sehr
vielen Knochenfischen laft sich eine allmahliche Volumzunahme der
Wirbelkérper bis zum dritten, vierten oder fiinften konstatieren,
wo dann gewohnlich fiir den Rumpfteil des Riickgrates eine ziem-
liche Gleichmafigkeit beginnt. Die ersten Wirbelkérper sind also
hiufig den anderen gegeniiber kiirzer, zuweilen auch in den anderen
Dimensionen geringer entfaltet als die folgenden. — Ferner haben
wir gesehen, da’ die normalen Wirbelkérper der Bartgrundel
amphicél sind. Hiervon macht der erste (Atlas) eine Aus-
nahme. Er ist, wie schon bemerkt, kiirzer d. h. etwa halb so lang
wie ein normaler Wirbel und opisthocél. Seine vordere
schwach konvexe Fiche ist derart in den Conus des_,,Occipital-
wirbels‘ eingesenkt (verg]. Srannius, 67, S. 10; GroBBEN, 20;
SORENSEN, 63, u. a.), dal er gleichsam mit dem Os occipitale
basilare ein Stiick bildet. Dieser Wirbelkérper tragt jederseits
einen queren Fortsatz (A Fig. 2, 4, 5), welchen man als echten
Proc. transy. I. aufzufassen geneigt ist, was nicht richtig ware.
GROBBEN (29, S. 11):
Der erste Wirbel hat einen schmalen Kérper, der vorn flach-
konvex mit zwei sehr kraftigen Querfortsitzen versehen ist, die auch
eine bedeutende Lange besitzen und sich an die Knochenblase
anlegen.“
JAQUET (40) dagegen schreibt 5S. 438:
»A son extrémité antérieure, on apercoit la premiére céte cervi-
cale, laquelle sur presque toute son étendue est intimement
me a la vessie osseuse.
Ich habe mich tiberzeugt, dal} von einem Anlegen dieser
queren Fortsatze I an die Knochenblase wohl gesprochen werden
kann. nie aber davon, dafi dieselben, wie JaQuer will, innig mit
der Knochenblase vereinigt sind. Es ist in Fig. 2, 4 und 5 I
angedeutet, daf es bei etwelcher Vorsicht leicht gelingt, den
ersten Wirbel samt dessen Fortsatzen zu isolieren, ohne nur im
geringsten die caudalwarts gelegene Knochenkapsel zu verletzen.
Nach Fig. 11 Jaquert’s allerdings scheint dies nicht méglich zu
sein, was damit in Zusammenhang zu bringen ist, daf dieser
Forscher in seinen Zeichnungen tiberhaupt sich zu viel kiinst-
lerische Freiheiten erlaubte. — Daf wir unter diesen queren
Fortsitzen (den ,,premiéres cotes cervicales JAQUET’S) nun_ nicht
echte Proc. transy. I verstehen miissen, hat SORENSEN (62) 10
Jahre friiher S. 3 und 21 in seinen Lydorganer hos Fiske iiber-
8 Leopold Bloch,
zeugend erwiesen. Er zeigte, da’ bei den Characiniden, Siluroiden
(Ausnahme Clarias) und Gymnotiden ein vollstandig oder unvoll-
stiindig verknéchertes Ligament!) von der Scapula (Cuvier)
auf die Lateralseite des Os occipitale basilare zieht, da ferner
bei den Cyprinoiden und Gadoiden dieses Ligament sich nicht
mit dem Os occipitale verbindet, sondern mit dem Centrum
des ersten Wirbels, in der Weise, dafi die Ossifikation ihren
Anfang vom proximalen Ende des Ligamentes nimmt und sich auf
einen kiirzeren oder langeren Teil des Ligamentes erstrecken
kann. Ferner sagt SORENSEN (62) noch S. 3:
,»Hos Cyprinoiderne er det »Bei den Cyprinoiden ist es
tildeels forbenet, idet dets in- (das Ligament) zum Teil ver-
derste Ende optraeder som 1ste knéchert, indem dessen innerstes
Hvirvels ,lvaertap.” Ende als Querfortsatz des
ersten Wirbels auftritt."
Bei (Cob.) Misgurnus foss. sind die Proc. transv. I + Liga-
mentverknécherung kurz, bei Nem. barb. aufergewéhnlich lang. —
Wie steht es nun mit dem oberen Bogensystem des ersten Wirbels ?
Dasselbe ist auch nicht typisch ausgebildet, indem es Gliedstiicke
zu dem schon oft genannten Weper’schen Apparat geliefert hat,
woriiber wir nun im folgenden Abschnitt Naheres erfahren sollen.
3. Kritischer Ueberblick der alteren und neueren Be-
funde die Kenntnisse der Weber’schen Kndéchelchen
betreffend.
A. Feststellung des Vorkommens derselben bei den ver-
schiedenen Fischfamilien.
Im Jahre 1820 veréffentlichte E. Werzerr (70) seine Arbeit
iiber das Ohr der Wassertiere. Er beschrieb darin in mustergiltiger
Weise die nach ihm benannte Knéchelchenkette (bei Cyprinus
carpio, [Cob.| Misgurnus fossilis und Silurus glanis), welche bei
diesen Fischen die Schwimmblase mit dem hautigen Gehérorgan
verbindet. An diesem Weser’schen Apparat kann man 4
paarige Gliedstiicke unterscheiden, welche Wrsrr von vorn
1) Wohl der erste und einzige Forscher, der das Ligament
vor SORENSEN noch erwahnt hat, ist C. Merrenuemer (45). Srannius
(65) hat es Taf. XIII, Fig. 2f. fiir Priacanthus macrophthalmus
(Percoid) gezeichnet, aber nichts speciell dariiber gesagt.
Schwimmblase, Knochenkapsel etc. von Nemachilus barbatulusG., 9
nach hinten einzeln mit dem Namen: Claustrum, Stapes, Incus und
Malleus belegte. — Allein es muf gesagt werden, dal RosxEn-
mHAL (55) schon 8 Jahre friiher in allerdings unvollstandiger
Weise diese Knéchelchen (er bildet bei Cyprinus [abramis| brama
nur 2 ab) erwahnt hat. — 1821 giebt ein Anonymus (1) +)
in Oxen’s Isis eine Beschreibung der Weser’schen Knoéchelchen
von Cyprinus brama, worin er dieselben nach ihrer Gestalt mit
anderen als den tiblichen Namen belegt (1. Malleus = Ancora, Anker ;
2. Incus== Norma, Winkelstab; 3. Stapes==Trulla, Kelle; 4. Clau-
strum == Pocillum, Becher). Die Benennungen Wesnr’s sind jedoch
ziemlich allgemein adoptiert, so daf sie auch in vorliegender Arbeit
beniitzt werden sollen. Auf die von Bringk und Happon (7) ein-
gefiihrten Bezeichnungen soll a. a. O. (S. 12) hingewiesen werden. —
5 Jahre spater (1826) schildert Hmusinenr (36) ganz kurz neben einer
Siluroidengattung den Weeer’schen Apparat bei einem Chara-
ciniden. — BAr (2) scheint im Jahre 1835 der erste gewesen zu
sein, der ihn bei einem Gymnotiden gefunden hat. — Erst 1843
wurde von Jon. MiLurr (47) festgestellt, da’ diese Knéchelchen nicht
nur bei den Cyprinciden allgemein vorkommen -—— was schon
aus Wesrr’s Arbeit hervorging — sondern auch bei den Siluroiden
und bei der von ihm in dieser Abhandlung aufgestellten neuen
Familie der Characiniden. — Endlich wurde im Jahre 1852 von
Reinwarpt (53) das allgemeine Vorkommen des Weper’schen Appa-
rates fiir die Familie der Gymnotiden festgestellt (das Claustrum
hat er hier nirgends gefunden).
Unsere Kenntnis, daf die 4 ostariophyseu Knochenfischfamilien :
Siluroiden, Gymnotiden, Characiniden und Cyprinoiden (Cobitiden)
den Wepur’schen Apparat besitzen, ist mithin der Arbeit derjenigen
Forscher zu verdanken, welche vor der Mitte dieses Jahrhunderts
schon gewirkt haben.
B. Frage nach der Homologie des Weber’schen Apparates
und Verschmelzung vorderer Wirbel.
Weser betrachtete die nach ihm benannten Knéchelchen als
Homologa der Saugetier-Gehérknichelchen. Infolgedessen hatte
sich schon friihzeitig unter den Forschern nicht nur die Absicht
geltend gemacht, diejenigen Fischfamilien kennen zu lernen, welche
den Weprr’schen Apparat besitzen, sondern auch klar festzustellen,
ob die Weper’schen Knéchelchen wirklich zu betrachten seien als
homologe Gebilde za den Gehérknéchelchen der Saugetiere, ,,da
besonders Grorrroy (22, 23) fortfuhr, dieselben in den Wirbel-
tieren niederer Ordnung an ganz anderer Stelle zu suchen... .“
Anonymus (1) 8S. 273. In dieser Steitfrage bekannten sich zur
1) Es ist zweifellos Boranus gewesen, der unter diesem Namen
jene Arbeit verfaSt hat. Im Jahre 1822 befindet sich in der Isis
unter demselben Pseudonym eine Arbeit, die sicher von seiner
Hand riihrt.
10 Leopold Bloch,
Weser’schen Auffassung: Anonymus') 1821, Treviranus (68) 1821,
Saaeman Munper (56)?) 1831, Bar (2) 1835, Brescurer (5) 1838;
gegen dieselbe: Rosenrnan (55) 1816, 18393), Gnorrroy Sr.
Hinarre (22, 23) 1824, Ownn*) 1846, Retssner (54) 1859 (ohne
dag er die Aue. Mitier’sche Arbeit [46] kannte).
Schon Gurorrroy Sr. Hmarre (22, 23) 1824 hatte angefangen,
die Wesrr’schen Knéchelchen als umgebildete Teilstiicke der
Wirbel zu betrachten, und wenn schon er bei seiner Deutung eine
nur sehr wenig zuriickhaltende Meinung bekundete, —— hielt er
doch die fraglichen Stiicke fiir Teile der oberen Bogen des ersten,
aweiten und dritten Wirbels — so scheint es doch, als ob sejne
Auffassung darauffolgenden Forschungen den Weg gewiesen hat.
— Dieselbe Wirkung mag auch die Arbeit Mecxer’s (44) 1824
erzielt haben, denn im selben Jahre fiingt auch dieser Forscher
an, Gliedstiicke des Weser’schen Apparates als Querfortsatze (kurze
Rippen vergl. 8S. 250) aufzufassen, wobei er auch eine Ver-
schmelzung des zweiten und dritten Wirbels der
Karpfenwirbelsaule erwahnt. Er schreibt: ,,Die bei den
Knorpelfischen sehr allgemeine Neigung der Wirbel des vorderen
Teiles der Wirbelsiule, zu einem Knochen zu verschmelzen, offen-
bart sich bei den Gritenfischen weit seltener. Kine Andeutung
von dieser Bildung ist die Bildung des zweiten Halswirbels bei den
Karpfen. Er ist betrachtlich gréfer als die tibrigen und auf jeder
Seite mit zwei Querfortsitzen, einem hinteren lingeren, ab-
steigenden, einem vorderen kiirzeren, aufsteigenden versehen.“
(Weitere Beispiele von Verschmelzungen ,,einer griferen Menge
von Wirbeln“ werden [S. 231] von Siluroiden angefiihrt.) Wiewohl
MrcxeL mit dem absteigenden Querfortsatz nur die Mallei gemeint
haben kann, steht er doch noch auf dem Boden der Wesesr’schen
Beurteilung, denn er schreibt 8. 234 ,.. . allerdings spricht die
Lage und Verbindung derselben (der Were. Kn.) sehr fiir diese
(Weper’s) Ansicht.“ Auf 8. 235 daselbst schreibt er: ,,Naher
werde ich auf sie (die Wes. Kn.) in der Lehre vom Gehérorgan
zuriickkommen ... .“ Allein es scheint mir, da’ das MrcKen’sche
System nur bis 1833 fortgefiihrt wurde, d. h. das Werk scheint
1) Die von ihm eingefithrte Nomenklatur basiert also lediglich
auf der von den Gehérknéchelchen der Siiugetiere verschiedenen
Gestalt.
2) Und dies, obschon er festzustellen versucht, da die Knéchel-
chen Weeser’s ein Zubehér der 2 ersten Wirbelkérper sind.
3) Es war mir nur die 2. unveriinderte Auflage der Ich-
thyotom. Taf. vom Jahre 1839 zugiinglich, es soll aber nach S6-
RENSEN schon die 1. Auflage, welche die Jahrzahl 1816 tragt,
dieselbe Anmerkung tragen wie die 2., daf niimlich R. diese
Knochen nicht fiir Gehérknochen halten méchte. Hs kann daher
auch die 1. Auflage erst nach der Arbeit Werprr’s (1820) er-
schienen sein.
4) R. Owen, Lectures on the comparative anatomy and _phy-
siology of the Vertebrate animals, Pt. I, 1846, p. 210—11.
Schwimmblase, Knochenkapsel ete. von Nemachilus barbatulusG. 11
nicht zum Abschluf gelangt und die Lehre vom Gehérorgan nie-
mals begonnen worden zu sein.
Endgiltig entschieden wurde nun diese Frage von Auc. MULLER
(46) 1853, welcher die Weser’schen Knéchelchen bei ihrer Ent-
wickelung an Cyprinen studierte. Einmal bestitigte er dabei fiir
die Cyprinoiden tiberhaupt das sehr interessante Resultat
Mucxet’s (44), da der Wirbel, welcher bei den ausgewachsenen
Tieren der zweite zu sein scheint, in Wirklichkeit hervorge-
gangen ist aus einer Zusammenschmelzung des zweiten und dritten
Wirbels. Im ferneren wurde die Erkenntnis dieser Verschmelzung
nun auch zum Schliissel fiir die richtige Deutung der einzelnen
Gliedstiicke des Werser’schen Apparates, auf die gleich nachher
eingegangen werden soll.
Es méchten vielleicht vorher einige weitere Bemerkungen
iiber die Verschmelzung vorderer Wirbel der Riickenmarksaule
am Platze sein. Es ist klar, da’ wir bei Verschmelzungen zweier
oder mehrerer Wirbel das Verschmelzungsprodukt — und wenn
es auch am ausgewachsenen Tiere bei oberflachlicher Betrachtung
eleiches Aussehen hat wie ein normaler Wirbel, welch letzteres
thatsichlich vorkommen kann — autffassen miissen als einen
falschen Wirbel (,,la grande vertébre“ Cuvier [12]; ,,complex
vertebra‘ BripGe und Happon |7|) im Gegensatz zu den isoliert
auftretenden oder wahren Wirbeln. — Thatsachlich ist bei den
verschiedenen ostariophysen Familien gar nicht immer die Regel,
dal blof der zweite und dritte wahre Wirbel zu einem einzigen
falschen verschmilzt, diese Verschmelzungsart findet nur bei den
Cyprinoiden statt, zwar doch so, daf bei einer medianen Spaltung
der Wirbelsiule (durch eine Sage) die Grenze beider fraglichen
Kérper zu sehen ist, zwischen welchen sich noch ein Raum bhe-
findet, der von einem Rest der Chorda dorsalis angefiillt ist. Die
Cobitiden (welche ja zu den Cyprinoiden zu rechnen sind) sind
nach SORENSEN die einzigen, bei welchen die Kérper ihrer Wirbel
vainzlich miteinander verschmelzen. Bei einem durch Maceration
isolierten zweiten falschen Wirbel von Nem. barb. gelang es mir jedoch,
mit Sicherheit eine Trennungslinie zwischen urspriinglich zweitem
und drittem Wirbel wahrzunehmen. Auch an mikroskopischen
Schnittpraparaten konnte ich zum Teil Verhaltnisse konstatieren,
die auf eine Verschmelzung von zweitem und drittem wahren
Wirbel hinweisen. — Bei den Siluroiden sind die Kérper der
zweiten, dritten und vierten Wirbel verschmolzen, ohne im all-
gemeinen auferlich irgend welche Grenze aufzuweisen (vergl.
Wricut, 73, S. 250, SORENSEN, 63, 8S. 135). Ja es hat SORENSEN
sogar bei einem Wels (Plecostomus) des tropischen Amerika nach-
12 Leopold Bloch,
gewiesen, dafi dessen erster Wirbel ein Verschmelzungsprodukt
von mindestens 4, aber eher 5 Wirbeln ist, welche, zusammenge-
nommen, kaum so grofi sind, wie ein einziger normaler Wirbel.
Um wieder auf die Untersuchungen Auc. Mtner’s zuriickzu-
kommen, sei wiederholt, daf es ihm gelang, die Natur der Weserr’schen
Knéchelchen richtig zu deuten, indem dieselben bei jungen Tieren noch
erkennbare Gliedstiicke der vordersten Wirbel bildeten; damit war
nun auch die Nicht-Homologie der Wrper’schen Knichelchen mit den
Gehérknichelchen der Saéugetiere erwiesen. Avec. Miniter hat zwar
diese zulaissige *SchluBfolgerung nicht ausdriicklich gemacht; allein
es ist nicht anzunehmen, daf er die Arbeit von Retcuurt (52) 1837,
welcher feststellte, da’ die Gehérknéchelchen der Saugetiere vom
Visceralskelett ableitbar sind, nicht kannte. Auch Retcuertr hat
sich allerdings (vergl. 8. 201 § 12) jeder weiteren diesbeziiglichen
Folgerung enthalten. Heutzutage aber stimmen alle Autoren iiber-
ein, dai diese Homologie nicht besteht. Diese Thatsache nament-
lich veranlaite Bripce und Hapnpon (7) fiir die Weser’schen
Knichelchen andere Namen einzufiihren. Sie schreiben (p. 310):
»Instead of “Stapes” we propose the name “scaphium” in allusion
to the invariably concavo-convex or spoon-shaped form of this
ossicle. The “incus” may be renamed the “intercalarium”, from
its constant intermediate position between the “stapes” and the
“malleus”, when present. For “malleus” we would substitute “tripus”
— a name suggested by the three characteristic processes which
this ossicle invariably possesses. The fourth ossicle, called the
“claustrum” by Wnueer, forms one of the series of auditory ossicles
in the Cyprinoid fishes, but has no such physiological significance
in the Siluroidae, although it is very generally present. As the
name “claustrum” is open to none of the objections which can
reasonably be urged against the retention of WerpEr’s nomen-
clature of the three preceding ossicles, it may with advantage be
retained.“
C. Deutung der Gliedstiicke des Weber’schen Apparates.
Wir geben Auc. Mttuer’s Deutung der Werer’schen Knichel-
chen und jene der Forscher, die nach ihm sich mit dieser Materie
beschaftigt haben, der Kiirze und der Uebersicht wegen in Form
einer Tabelle (s. S. 14 u. 15) 4).
Den Forschern der zweiten Hilfte dieses Jahrhunderts blieb
es also vorbehalten, fiir simtliche 4 ostariophysen Knochenfisch-
familien im grofen Ganzen die richtige Deutung der Werser’schen
Knéchelchen durchzufiihren. Abgesehen von den Angaben GrcEn-
1) Dabei empfiehlt es sich fiir den Leser, nach der Durchsicht
der ersten Vertikalkolonne (Auc. Mtiumr) die weiteren Vergleiche
mit Zuhilfenahme des darauf folgenden Textes vorzunehmen,
Schwimmblase, Knochenkapsel ete. von Nemachilus barbatulusG. 13
pAuR’s und WixpERSHEIM’s, welche wohl kaum auf der Basis eigener
Untersuchungen beruhen, ferner abgesehen von den Verschieden-
heiten der Nomenklatur und endlich abgesehen von den sekundiren
Umgestaltungen, die da und dort (vergl. die tabellarische Zu-
sammenstellung nach Sorensen) Platz gegriffen haben mégen, findet
sich — mit Ausnahme Sacemen.’s (57) in Bezug auf den Incus —
eine imponierende Uebereinstimmung in der Interpretation der 3
hinteren Gliedstiicke des Apparates. Diese Thatsache veranlaft
uns daher, zuerst auf Sacemenn’s unrichtige Interpretation zu
sprechen zu kommen, um dann erst nachher die verschiedene Auf-
fassung der Forscher beziiglich der Claustra niher zu wiirdigen,
da wir ohnehin dort linger zu verweilen haben.
Deutung der Incudes. Aus der Tabelle ist ersichtlich,
wenn man von der Beriicksichtigung Guaunpaur’s 1879 (19) Umgang
nimmt, daf fiinf Autoren vor SaGemenn unter sich iibereinstimmend
eine von SaGeMEHL abweichende Interpretation beziiglich der In-
cudes veroffentlichten. Von diesen fiinf Veréffentlichungen scheint
SAGEMEHL (vergl. S. 55) nur jene von Wricur (73, 74) unbekannt
geblieben zu sein. Allein dies gereicht ihm noch keineswegs zum
Vorwurf. Man sollte nun aber meinen, daf ein Forscher hatte
Bedenken empfinden sollen, wenn er anderer Meinung ist, als jene,
die vor ihm unter sich iibereinstimmten und von denen drei, die
ihm bekannt, auf entwicklungsgeschichtlichem Wege zu ihrem
Resultate gelangt. Sacemrent hat nur an erwachsenen Tieren seine
Untersuchungen angestellt. Alles, was er schreibt (S. 55) tiber
diesen Gegenstand, ist folgendes: ,Die Rippe des zweiten Wirbels
ist zam Incus umgestaltet, der an der Begrenzung des Riicken-
markkanals niemals irgend welchen Anteil hat, und der somit
auch kein oberer Bogen sein kann, als welcher er von vielen
Autoren gedeutet wird.“ SaGempxunt war also unvorsichtig genug,
sich nicht nur iiber die Resultate friiherer Forscher hinwegzu-
setzen, sondern auch (wie gleich gezeigt wird) iiber deren Be-
grindung. Hiatte er dies nicht gethan, so ware er schwerlich im
Falle gewesen, die Ansicht anderer schlechtweg von der Hand zu
weisen. Und was ist es nun also, das uns zwingt, jenen Forschern
vor SAGEMEHL recht zu geben, wie es nach ihm namentlich S6-
RENSEN (63 u. 64) gethan hat? — Erstens wissen wir, daf es
leicht gelingt (wenn wir vorlaufig von einer Riicksichtnahme
auf die Claustra absehen), an jungen Tieren, wie dies vor SAGEMEHL:
Auc. Miter (46), Nuspaum (44), Grassr (28), Wrieur (73, 74),
nach ihm Sérensen (63) gethan, die Gliedstiicke des Wersrr’schen
Apparates noch in ihrem primaren Zusammenhang zu _ begreifen,
d. h. in dem in Frage stehenden Falle erkennt man die Incudes
als obere Bogen des zweiten (wahren) Wirbels. — Es kénnen
zweitens die Incudes auch zweitellos deshalb keine Rippen des
zweiten Wirbels sein, weil am primiren Skelett die Rippen als von
den Basalstiimpfen abgegliederte Teile aufzufassen sind (GOpPERT
[24] u. a.) also miifte bei jungen Tieren eine Lagebeziehung
zwischen Incudes und Basalstiimpfen zu bemerken sein, woriiber
14 Leopold Bloch,
| Miner | BeaupE- IGecen-| Nus- |... : c = | Sace- |BRIDGEU.
Autoren A. LOT BAUR | BAUM |CRASSI WRIGHT |" irene | ADDON
1853 18684) | 1874 | 1881 | 1883 1884 1885 1893
: ; ~ Cypri- | . | ee 4\ Jeeomamna sa eieen ‘aon,
Calne far Cypri- noiden, | Cypri- | Cypri- Cosine Gynrigniden, Gate é
ae noiden |Cobitiden, noiden | noiden |, Siluroid: | Siluroiden, e
Siluroiden Amiurus catus| Gymnotiden physeae
, ~ wohl entw.-
see pales vergl. nach | entw.-| entw.- |gesch.und) vergl. vergl.
Une Pee. v\canatom.’ | Ans esch. | gesch.| vergl. | anatom. | anatom.
art schichtl 8 & ©
oe = gaben | anatom.
pAaees der Occi-
Ent- ee oar 4 proces-} vom pital-
Glanstra stehung | GoniuR- | 2? sus spi-|Schidel)Proc.spin. region des) Proc.spin.
hae nicht be- Shi ck 5) S& nosus ab- I.°) |Craniums 1:2)
obachtet re a if leitbar ange-
; i hoérend *)
obere lob. Bogen = 8 ob. ob. ob. Bogen ob. Bogen|ob. Bogen
Stapedes | Bogen”) |" ~~ S 2 & | Bogen | Bogen | * 8 Noe gies
ge sEkre ASS ibs ara it ‘EL I. if Aide
aie = ob. ob. job. Bogen) py:
ee ob. Bogen ob. Bogen 4 & | Bogen | Bogen 1.7 Rippen job. Bogen
ji AT. It. ong Le II. | (modifi- TL) T9)
i ziert)
i oR :
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. 3 wis iS) : (Quer- uer- . :
Mallei Rippen *) | Rippen ce Rippen |e visatz| fortsatz Rippen | Rippen
il & If. o; EE 10 Iii. LI; TLE
A
Os sus- . : (uer- :
penso- Rippen Rippen forneatZ Rippen
rium ') EN, EV: IV. IV.
1) SOreNSEN nennt die zwei Knochen, welche sich bei den Cyprinoiden,
Characiniden und Gymnotiden an der unteren Seite des 4. Wirbels_ be-
finden (Proc. transv. IV), woran das vordere Ende der Schwimmblase be-
festigt ist, ,,Os suspensorium“,
2) Nach Ava. Mtuuzr ,,Dorsalstrahlen“.
3) Nach Ave. Mtuier ,,Bauchstrahlen“.
4) Diesem Forscher war Mecksr’s und Auc. Mtuer’s Arbeit
bekannt, so daf seine Resultate auf unabhingige Weise entstanden sind,
5) Von Braupevor ,,Os intercrurale“ genannt.
6) Genauer Proc. spin. I + intercalary cartilages, vergl. Kapitel:
Deutung der Claustra, 8. 22 u. 24.
7) Der Entscheid erfolgte besonders aus der Betrachtung der hierher
gehérigen Verhiiltnisse in der Familie der Siluroiden, speciell von Silurus
glanis (Morph. Jahrb., Bd. X, S. 56).
un-
Schwimmblase, Knochenkapsel etc. von Nemachilus barbatulus G.
15
+s GEGEN- | WIEDERS- |q
SORENSED uL. | IDORIAK
SORENSEN WILI aan HEIM SrIDo a
1890 und 1895 1898 1898 1898
A pa: <' ee Gn TAL een ae 2 me Cypri-
: ngs - alle alle i
Characi- |Cyprinoi- | 7.-).- Gymno- | ay): ; es noid:
: / Cobitiden Le Siluroiden | Ostario- | Ostario- ;
niden den tiden Res Sch ok cae Rhodeus
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entw.- fe hon ties nach ;
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vergl. gesch.und! vergl. vergl. abe eee eas (v Angaben entw.-
anatom. | vergl. | anatom. | anatom. INE ee Maher H.) (wohl gesch.
| anatom. | r ; Mion Sede| BBA ee ew)
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SchluBstiick Schlubstiick 29 pole) Proc.spin.
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obere Bogen he S43 ob. Bogen
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aa be : ae. =A LASSE SL ee q 36, :
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ob. Bogen | i) ais
II. + verknéchertes| nur verknéchertes Ligament ae er A
Ligament ae 8s.
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: 5 Te . SSSR ae ee) F ms
Rippen Bei Clarias_u. Ple- nr Sis 5B
Ill aE costomus Rippen = 5 aod
; Tl. + verkn, cae A
Basal- Schwbl. + verkn. 6 g oF
teil A) der Rippen ILL. eee Bei ae 2 a as
Rippe +] +verknécherte Schwimmblase |<" ee ae % Fe "ay
verknoch.| + verknéchertes Ligament |Rippen OL +] 4 gc
Schwblase Basalteil ge dr| 48 Bo
B Rippen verkn. as =
a verkn. Schwbl. 4+ verkn, (a) ne
Ligament Ligament
Teilt: diese
Basalteil '') oder Rippen IV. + Funktion mit!
I
verknécherte Schwimmblase anderen
Knochen
8) SaGement stiitzt sich zwar auf Befunde an Characiniden (vergl.
Morph. Jahrb., Bd. X, 8. 55). Er hat jedoch jedenfalls diese Interpre-
tation verallgemeinern wollen fiir die 4 Ostariophysenfamilien, sonst wiirde
er nicht die Deutung von Forschern, welche ihre Resultate gar nicht beim
Studium der Characiniden erlangten, als irrig hingestellt haben.
9) ,,With the possible exception of the claustra no distinct or ossi-
fied intercalary elements are ever present.“ Proc. of the Roy. Soc.,
Vola XLVE, 1890, 1p. 811.
10) Die Autoren fassen p. 261 den ,,horizontal process“ am_ ,,Inter-
ealarium“ (Incus Wep.), wenn er vorhanden, als ,the modified transverse
process of the second vertebra“ auf. Daf dem nicht so ist, hat SORENSEN
schon in seiner zweiten Arbeit S. 101—102 iiberzeugend nachgewiesen.
(Siehe auch dessen dritte Arbeit 8. 112—113.)
11) Oder Processus transversus.
16 Leopold Bloch,
uns von keinem Forscher eine Mitteilung vorliegt. Ferner besitzt
der zweite Wirbel (selbst bei den Characiniden, die Sacummnn ge-
priift) einen echten Processus transversus. Allein wenn an einem
Wirbelkérper ein Proc. transv. vorhanden ist, dann ist die Rippe
an diesem und nicht am Wirbelkérper befestigt. (Dies hat
SORENSEN (63), vom Fétus Galeichthys feliceps Cuv. et Van. aus-
gehend, 8. 101, 102 bewiesen; vergl. auch die dritte Arbeit S. 112,
113.) Es war dies schon BraupgEtnot’s (3) leitender Gesichtspunkt
bei der Deutung der Incudes gewesen. Er schreibt p. 333: ,. . . le
disque simple qui, chez la Carpe représente les corps de la
seconde et de la troisieme vertébre réunis, se trouve ici (bei der
Nase) formé de deux segments parfaitement distincts et séparés
par une cavité articulaire. Au segment antérieur s’attachent deux
apophyses transverses comme chez la Carpe et les deux enclumes
(Incudes Wes.); sur le segment postérieur s’articulent les deux
marteaux et les deux branches élargies de lare supérieur. De
cette fagon chaque disque vertébral ne supportant plus que deux
paires d’appendices, se trouve ramené au type normal Beano het
weiter unten ,Les enclumes sont les branches de Vare supérieur
de la seconde vertebre, dont l’arc inférieur est représenté
par deux longues apophyses transverses soudées au
corps vertébral.“ Ueber die Verhialtnisse bei Catostomus (Cyprinoid)
der auch von Wricut (73) untersucht wurde schreibt derselbe
BraupELot p. 334: Chez les Catostomes, les branches de l’are
supérieur de la seconde vertébre (enclumes) offrent une parti-
cularité que je ne puis omettre de signaler. Chacune de ces piéces
est devenue tout a fait rudimentaire, la tige au moyen de laquelle
elle doit s’articuler normalement avec le corps vertébral a disparu
et Vosselet se trouve représenté par un simple nodule osseux en-
chassé vers le milieu du tendon, qui s’étend de l’extrémité an-
térieure du marteau au sommet de létrier. Cette position isolée
d’un rudiment d’arc de verteébre, en dehors de la colonne
vertébrale, est du plus haut intérét. Elle nous montre
combien le principe des connexions exige de prudence
dans ses applcations, et combien, dans certains cas il serait
dangereux de se laisser guider par ce principe seule, sans tenir
compte en méme temps des regles de la morphologie.“ — An
dritter Stelle kann angefiihrt werden, da Cyprinoiden, Chara-
ciniden und Gymnotiden als Reste des unteren Bogensystems am
zweiten Wirbel echte Processus transversi tragen. Was giebt es
iiberhaupt Natiirlicheres, als anzunehmen, daf die Incudes die Stelle
der fehlenden oberen Bogen des zweiten Wirbels
einnehmen? Leicht liefen sich iibrigens noch mehr Griinde fir
unsere Auffassung anfiihren. Die obigen drei mégen indessen
genugen.
Deutung der Claustra. Da es mir durch das Studium
der Litteratur klar wurde, da8 gerade heute noch nicht Zuver-
lassigkeit bei der Interpretation der Claustra angenommen werden
Schwimmblase, Knochenkapsel etc. von Nemachilus barbatulus G. 17
kann, so habe ich mich entschlossen, bei der Wichtigkeit des
Gegenstandes, die Griinde dieser meiner Ansicht eingehend darzu-
legen. Wer sich nicht speciell fiir dieselben interessiert, auf den
werden sie ermiidend einwirken und man wird gut daran thun
auf S. 28 weiter zu lesen. Es gentige zu wissen, daf die Claustra
mit der unserigen fiinf verschiedene Deutungen erfahren haben,
von denen, wie mir scheinen will, nur eine bis jetzt mit Sicher-
heit als unrichtig erkannt wurde. Aus diesem Grunde belegen
wir die Claustra mit dem Namen SchluSstiicke I, weil sie ver-
mutlich denselben Ursprung haben, wie jene von ihren zugehérigen
Neuralbogen gesonderten Knochenstiicke (Schlufstiicke), welche
caudalwirts von ihnen gelegen sind und die den Riickenmarks-
kanal bei den Ostariophyseae tiber den ersten 3 oder 4 Wirbeln
oberseits abschlieBen (vergl. Fig. 4 el, sl IZ, si II).
Und nun zur Beleuchtung der verschiedenen Interpretationen.
— Von Ava. Miurr (46), der ja die Claustra bei jungen Tieren
nicht wahrgenommen hat, kénnen wir absehen. — Auch jene
Forscher Grasst (28) und Sacempxn (57), die schon von SdRENSEN
(63) S. 87—89 in jeder Hinsicht widerlegt wurden, sollen uns hier
nur kurz beschaftigen. Grasst schrieb nimlich 8. 461 (vergl. auch
Tabelle): ,,.Das Claustrum scheint mir vom Schiadel ableitbar“,
und dies ohne jede weitere Beweisfiihrung. Sacemenu griindete
seine Auffassung, da8 die Claustra der Occipitalregion des Craniums
angehéren, auf Verhialtnisse, die sich auf den Austritt der Spinal-
nerven beziehen. Doch Sé6rensen wies ihm nicht nur nach, dab
er falsche Schliisse zog, sondern er fand auch gleich Srannivs'), dab
bei ein und derselben Art der erste Spinalnerv bald aus dem Os
occipitale austreten kann, bald zwischen Cranium und erstem Wirbel
und daf mithin es gefaihrlich sein kann, einseitiges Gewicht auf
den Nervenaustritt zu legen, wie dies Sacumunut that. Die Deutungen
von Grasst und Sacement sind also in der Folge entschieden nicht
mehr zu_ beriicksichtigen. — Ferner muff gesagt werden, daf in
Bezug auf die Interpretation der Incudes die Ansichten von
Bravupexor (3), Nuspaum (49), auch von Grasst (28) in Bezug auf
die Schlufstiicke, Wrient (73), Bripcr und Happon (7) und Sipo-
RIAK (60) zwar teilweise unter sich auch nicht ibereinstimmend,
von derjenigen S6RENsEN’s abweichen. Inwieweit, das werden
wir bald sehen. Doch will es uns scheinen, daf die eben ge-
nannten Forscher, die ja selbstindige Untersuchungen anstellten,
nicht ohne weiteres des Anspruches bar zu betrachten sind,
die Claustra richtig interpretiert zu haben. — Um letztere Be-
hauptung zu stiitzen, muf ich mir schon erlauben etwas eingehender
1) Ueber das peripherische Nervensystem des Dorsch, Gadus
calarias. Miuuer’s Arch f. Anat. u. Physiol., 1842, 8. 328.
Bd XXXIV, N. F. XXVIL 2
ol
18 Leopold Bloch,
auf Fragen zu sprechen zu kommen, die auf den ersten Blick als
nicht zur Sache gehérig erscheinen méchten. Wir haben bei der
Besprechung des normalen Wirbels (vergl. 8. 4) von Nem. barb.
erfahren, daS der Dornfortsatz gleichsam das spitz ausgezogene
Ende der vereinigten oberen Bogen bildet. Bei jener Gelegenheit
wurde absichtlich nicht auf den Bildungsmodus der Dornfortsatze
im alleemeinen hingewiesen. Wir wollen dies hier nachholen, da
gerade dies vermutlich dazu berufen ist, auf die Interpretation der
Claustra bestimmend einzuwirken. — Nicht bei allen Wirbeltieren
sind die oberen Bogen fest mit den Dornfortsitzen verwachsen.
Bei niedrigen Formen, z. B. beim Stére (Acipenser) kommt es vor,
daf zeitlebens zwischen die dorsalwarts sich nicht beriihrenden
oberen Bogen getrennte Stiicke gelagert sind. Gérrn (25, Bd. 15,
S. 446) hat von keinen anderen einfachen unpaaren Staiben, welche
iiber dem Neuralkanal des Stéres liegen sollten, gesprochen, da-
gegen hat er bei jener Gelegenheit hervorgehoben, daf diese unpaaren
Stibe den Namen Dornfortsitze nicht verdienen, da sie eine andere
Bildungsweise besitzen als die Dornfortsitze der Teleostier. Es
kénnen dieselben mithin kaum etwas anderes sein, als die ,Ossa
imparia“ SdrensEn’s (63), von denen dieser letztere annimmt, daf
sie den Schlufstiicken der Ostariophyseae homolog sind, wenn er
S. 90 schreibt :
»»olutstykker“ har jeg kaldt
disse Knogler, som afslutte Ryg-
marvskanalen foroven. Med Villie
har jeg givet dem dette in-
differente Navn, fordi jeg ikke
gjerne vilde opfore nogen egent-
lig Homologisering mellem dem
og den ene eller den anden
Slags af de hos lavere Fiske
(Holocephaler, Plagiostomer, Aci-
penser) forekommende discrete
Stykker af Hvirvelbuerne — de
saakaldte Ossa intercruralia og
Ossa imparia, da Opfattelsen af
disse vistnok endnu lader endeel
tilbage at onske. Naermest
forekomme de mig at
svare til Ossa imparia
hos Acipenser.“
Ueber denselben Gegenstand
Leuciscus rutilus L. (Cyprinoid,
»»ochlufstiicke“ habe ich diese
Knéchelchen genannt, welche
den Riickenmarkskanal oben ab-
schliefen. Mit Absicht habe ich
ihnen diesen indifferenten Namen
gegeben, weil ich nicht gerne
eine eigentliche Homologisierung
zwischen ihnen und der einen
oder anderen Art von den bei
niederen Fischen (Holocephalen
Plagiostomen, Acipenser) vor-
kommenden diskreten Stiicken
der Wirbelbogen — den sogen.
Ossa intercruralia und Ossa im-
paria auffiihren wollte, da die
Auffassung dieser noch gewil
teilweise zu wiinschen ibrig
lagt. Zunachst scheinen
sie mir den Ossa imparia
des Acipenser zu ent-
sprechen.‘
laut Befunden an einem jungen
vergl. die nebenstehende Copie
der SérEnseEn’schen Fig. 1.; Bezeichnungen unwesentlich abgeiindert,
wodurch sie mit unseren
,allgemeinen Bezeichnungen“ iiberein-
stimmen) schreibt Sérmnsen S. 89:
Schwimmblase, Knochenkapsel etc. von Nemachilus barbatulus G. 19
»At Knoglen cli Fig. 1 er
,Claustrum“, anseer jeg for
utvivlsomt, da den har den
samme Stilling til
stapes“ som hos
de voksne Dyr.
Men det er til-
lige ojensynligt,
at Knoglen cl, der
ligger i Flugt
med slII, og
Shes ter» lat
samme Natur som
disse, med andre
Ord: at'*,,Clau-
strum“ er 1ste
Hyirvels —_,,Slut-
stykke“.“
Biovale
»Dak das Knichelchen cl in
Fig. 1 das Claustrum ist, sehe
ich fiir unzweifelhaft an, da es
die gleiche Stel-
lung zum_ ,Sta-
pes“ wie bei den
erwachsenen Tie-
ren hat, aber das
ist zugleich au-
genscheinlich, dai
das Kniéchelchen
cl, welches in der-
selben Flucht mit
SELLE: und > sir
liegt, von gleicher
Natur ist wie
diese; mit ande-
ren Worten: daf
das Claustrum das
Schlufstiick des
ersten Wirbels
ist.“
Es ist namentlich auch nétig, daf{ man die folgende Aeuferung
Sodrensen’s (lc. 8. 90) im Auge behalt:
,Om ,,Slutstykkerne“ i det Hele
taget fra Begyndelsen ere parviis
optraedende Knogler, some senere
smelte sammen, eller om de oprin-
deligt ere uparrede, er mig ube-
kjendt; men at ,,Claustrum‘ hos
de voksne optraeder som parret,
er ialtfald et senere ,,Forhold* ;
thi paa dette Trin var det upar-
ret.“
»Ob die SchlufSstiicke
im Ganzen genommen von
Anfang an paarweise
auftretende Knéchelchen
sind, welche spiater ver-
schmelzen, oder ob sieur-
spriinglich unpaar sind,
ist mir unbekannt; aber
daf das ,Claustrum“ bei den
Erwachsenen paarig auftritt, ist
in allen Fallen ein sekundires
Verhaltnis; denn auf dieser Stufe
(Fig. 1) war es unpaar.“
Da die Claustra nach Sérensmn hervorgegangen sind aus einem
unpaaren Schlufstiick, so versuchen wir in der Folge, wenn wir
von den Schlufstiicken im allgemeinen sprechen, zugleich die
Claustra (paariges Schlufstiick I) zu interpretieren. Daf die
Claustra der Siluroiden homolog sind mit denen der Characiniden
und Cyprinoiden, hat nicht nur Sérensen (8. 88) zugegeben,
sondern es hat dies schon SaGumMpHt angenommen. Auch die
anderen in Frage kommenden Forscher diirften, selbst wenn dies
nicht ausdriicklich gesagt wird, dieselbe Ansicht gehabt haben.
Infolgedessen kénnen wir uns schon berechtigt sehen, die Befunde
iiber Schlufstiicke bei den Ostariophyseae zu verall-
gemeinern. Und wenn es nun gelingen sollte, den Wahrschein-
20 Leopold Bloch,
lichkeitsbeweis zu erbringen, dafS die Schlufstiicke allge-
mein bei den Ostariophyseae kaum aufzufassen sind
als Homologa der Ossa imparia, so dirften wohl
auch die Claustra nicht mehr aufgefa&t werden als
solche, da sie, wie wir jetzt ja wissen, das paarig gewordene
Schlufstiick I sind. — Wir haben es, wenn wir von der Betrach-
tung unserer tabellarischen Zusammenstellung absehen, bis jetzt
nur mit der einen unwiderlegten Deutung der Claustra zu thun
gehabt, mit der von SdrEnsEN, welcher Forscher sagt: die Claustra
scheinen ihm den Ossa imparia des Acipenser zu entsprechen.
Drei Jahre spiiter, 1893, erschien die sehr ausgedehnte dritte Pu-
blikation v. Bripce und Happon (8). Diese Forscher ignorierten
die Interpretation der SchluBstiicke durch SdérpnsEN, indem sie auf
S. 260 in ihrer Tabelle einfach den S6rensen’schen Ausdruck
,iste Hvirvels Slutstykke“ durch ,Neuralspine I.“ ersetzen, ohne
daf sie bei jener Gelegenheit der Auffassung von S0RENSEN ent-
gegentraten, oder ihre eigene Ansicht von 1890 (vergl. Tabelle
S. 15, Fufnote 9) verfochten, welche sich in Uebereinstimmung zu
befinden scheint mit der Auffassung von Wricut, wie spiater ge-
zeigt werden soll. Einem solchen unmotivierten Ersetzen eines
Ausdruckes durch einen anderen, welcher gar nicht denselben Begriff
darstellt, trat SOrpnspN in seiner dritten Arbeit (8. 110) mit Recht.
entgegen, indem er schrieb: ,As to the ,,claustrum“ on the contrary,
T have been careful not to call it a neuralspine,
and I have shown that atthe first 3 or 4 vertebrae
in the Ostariophyseae (in other Physostomi only at the first
vertebra) there exists a separate ossicle, which sometimes
forms part, sometimes not, of the spinal canal, and which as far
as I can judge is homologous with the ossa imparia
in the Acipenser.“ — Bei aufmerksamer Priifung dieser Erwide-
rung SéreNnsEN’s gegen Bripce und Happon ergiebt sich folgendes:
SORENSEN verwahrt sich gegen die Auslegung von BripGk und
Happon, wonach die Claustra aufgefaft werden sollen als Neural-
spine I. Infolgedessen kann man nicht umhin, auch anzunehmen,
da SérenspN den normalen Processus spinosus der Ostariophyseae als
nicht homolog betrachtet wissen wollte zu den Ossa imparia
des Stéres. Mit anderen Worten: es geht aus seiner Darlegung
hervor, daf die normalen Processus spinosi der Ostariophyseae
nicht homolog sind zu den Ossa imparia, wohl aber die
Schlu&stiicke. Kénnen wir aber mit gutem Gewissen behaup-
ten, da’ die Schlugstiicke sich nicht auf dieselbe Weise bilden
wie die normalen Dornfortsatze? Es ist mir kein Forscher be-
kannt, welcher speciell auf diesen entscheidenden Punkt Gewicht
legte und es hat auch kein mir bekannter Forscher (es ware denn
Grasst, welcher sich auf entwickelungsgeschichtlichem Forschungs-
wege mit der Bildung der Dornfortsitze oder der Schlufstiicke be-
faite) absolut entscheidende Thatsachen vorgebracht, kraft derer wir
uns zur SOreNsEN’schen Aufassung hinneigen kénnten. Doch priifen
wir nun einmal das, was uns ferner iiber die Schluistiicke und die
Schwimmblase, Knochenkapsel etc. von Nemachilus barbatulusG. 21
Claustra der vorderen Ostariophyseenwirbel bekannt ist. Braupunor
(3, p. 833) schreibt: ,,Les claustrum ne sont autre chose qu’un os
intercrural partagé en deux, et dont les moitiés, trés-rudimentaires,
sont restées séparées sur la ligne médiane; cette détermination
s’apuie sur ce fait, que les arcs supérieurs de la seconde et de la
troisiéme vertebre se trouvent également complétés par une piéce
intercrurale, et sur cet autre que chez le Silurus glanis les claustrum
sont constitués par deux lames triangulaires allongées, dont les
sommets viennent se mettre en contact sur la ligne meédiane 4).
SORENSEN nennt ohne weiteres 8S, 74 das ,Os intercrurale“ BraupE-
Lor’s ,oberes Schlufstiick.« Es ist mir unbekannt, ob in dem ,Os
intercrurale“ zu Braupenor’s Zeit ein Homologon zu einem Os
impar des Acipenser gesehen wurde. Allein es muf darauf hinge-
wiesen werden, daf Bravuprnor nicht absolut mafgebend sein kann
bei der Interpretation dieser Schlufstiicke, da er vergleichend-
anatomisch und nicht entwickelungsgeschichtlich, welch letztere
Untersuchungsart wohl allein ausschlaggebend sein diirfte, arbeitete.
Auch Bringer und Happon (7) haben sehr richtig erkannt, daf die
Natur der Weser’schen Kniéchelchen sich nicht sicher erkennen
]aft an erwachsenen Tieren, wenn sie 8. 240 schreiben: “As tar as
this family (die Siluroiden) is concerned comparative anatomy is of
but little use in the discussion of this question and embryology
is the only line of investigation which offers any prospect of a
satisfactory and final solution of the problem.“ Somit kénnen
wir behaupten: Brauprnor liefert der Sérunsun’schen Auffassung
kein entscheidendes Argument. — Nuvspaum (49) schreibt 8. 556:
» - +. die oberen Bogen dieses (des ersten) Wirbels sind in Stapes
und sein Processus spinosus in Claustrum umgewandelt.
. seine (des zweiten Wirbels) oberen Bogen stellen die paarigen
Gehorknéchelchen (Incudes) vor, von welchen der Processus
Splnosus ganz getrennt ist. Der dritte Wirbel hat normal
entwickelte obere Bogen und Processus spinosus,.... . «Diese
Resultate erlangte Nuspaum beim Studium von jungen Cyprinoiden.
Es ist infolgedessen kaum anzunehmen, da er je an eine Homo-
logie der Schlufstiicke (Dornfortsiitze) mit den Ossa imparia des
Stéres dachte?). Bis jetzt kennen wir also zwei unwiderlegte
Interpretationen der Claustra. Nach Sdrensen sind letztere Homo-
loga zu den Ossa imparia, nach Nusspaum der umgewandelte Proc.
spin. I. Es folgt noch eine dritte Deutung. — Wrienr (73):
Wahrend Sorensen die Intercruralknochen (BraupELor’s), d. h. seine
Schlufstiicke als Homologa der Ossa imparia betrachtet, so deutet
sie dieser, wenn anders ich ihn richtig verstanden habe, als Dorn-
1) SdérENsEN zeigte, da letzteres bei Silurus nicht der Fall ist.
2) Es fehlt mir bedauerlicherweise die Kenntnis der aus-
fiihrlichen Arbeit itiber den namlichen Gegenstand, welche in
polnischer Sprache, die ich leider nicht verstehe, in der Zeitschrift
»Kosmos“, Lemberg 1883, erschienen ist.
22 Leopold Bloch,
fortsitze, mit denen noch knorpelige Reste verschmolzen sind, die
homolog waren zu den Interkalarbogen der Selachier:
denn er schreibt p. 248: “The spinous processes of several of
the anterior vertebrae in the Cyprinoids are set on ‘intercrurally’:
they are in part formed of elements comparable to
the intercalary cartilages described by Goerrrs (25) in
the Pike“ (Hecht) (vergl. auch Monographie iiber Amiurus). Zu
erwahnen ist an dieser Stelle noch, daf vermutlich Bringe und
Happon, denen die Arbeit von Wriaur schon 1890 (6) bekannt
war, durch letzteren beeinfluft, sich auf die Weise fuferten, wie es
in Anmerkung 9 unserer tabellarischen Zusammenstellung S. 15
zu finden ist. Und Gérre (25 Bd. 16, 8 128—29): ,Ich sah
dort namlich bei 3 ctm langen Hechtchen 2 langliche Knorpel-
stiicke liegen, welche in der Medianebene zwischen dem Liings-
bande und dem Riickenmarkskanal sich beriihrten, seitlich aber
sich abwarts bogen und an der Innenseite der Wirbelbogen endeten,
ohne noch mit ihnen verwachsen zu sein.... Wir haben also
in diesen paarigen, von oben etwas hinabziehenden und mit den
eigentlichen Wirbelbégen wenigstens andeutungsweise alternierenden
Knorpelstiicken, welche sich unter dem Langsbande vereinigen,
Homologa der Interkalarbégen der Selachier anzu-
erkennen ....“ An der Behauptung Wricur’s ist kaum mit all
ihren Konsequenzen festzuhalten, denn es will mir scheinen, daf
dieser Forscher absolut keine Beweise fiir sie vorbringt. Er sagt.
uns sonst nirgends etwas, daf getrennte paarige Knorpelstiicke mit
einem Dornfortsatze verschmelzen, obschon er am jungen Amiurus
Beobachtungen anstellte. Und wenn er auch dies wirklich gesagt
hatte, so wiirde er noch nicht bewiesen haben, daf jene paarigen
Knorpelstiicke (G6rre) Homologa zu den Interkalarbogen der
Selachier sind. In der That gelingt es uns, die fraglichen Knorpel-
stiicke anders zu interpretieren, Sie sollen uns vorlaufig ausschlief-
lich beschaftigen. Diese fraglichen Knorpelstiicke haben auger
Gérrp und Wrieut auch noch Srannivs (67, lic. 8. 25—26), Grasstr
(28, S. 462—63) und ScunExt (58, 8. 19—20) zu schaffen gegeben,
haben aber eine andere Deutung erfahren. Scuepr’s sehr wahr-
scheinlich richtige Auffassung ') ist folgende: ,Oberhalb des Riicken-
marks, zwischen ihm und dem Ligamentum longitudinale superius ent-
steht ungefihr zu der Zeit, wenn das obere Ende der Neurapophyse
die Hiéhe des Markes erreicht hat, jederseits an der Innenwand
des Bogenknorpels, von demselben unabhingig, aber in seiner
nichsten Nahe, ein kleines Knorpelstiick, welches sich als Decke
auf die Dura mater auflegt. Bei Forellen von 26 mm Lange liegen
diese Knorpelstiicke nahe an dem Bogen, fast in ihn itibergehend,
nur durch das Perichondrium von ihm getrennt (Fig. 12 Br). Sie
lassen dorsal vom Riickenmark in der Medianlinie einen breiten
1) Sie ist bis jetzt, soweit ich es beurteilen kann, nicht wider-
legt worden,
Schwimmblase, Knochenkapsel etc. von Nemachilus barbatulus G. 23
Spalt zwischen sich, welcher von Bindegewebe ausgefiillt ist.
Ueber letzterem liegt das dorsale Liangsband. Bei gréferen Tieren
(Salmoniden) von 27—80 cm Linge sind beide Knorpel-
stiicke1) einander mehr entgegengewachsen; dadurch
ist der Spaltraum zwischen ihnen verengert worden, doch persistiert
er, selbst nach ihrer Verknécherung; seitlich reichen sie ungefihr
um ein Drittel der Hihe des Markes abwirts, immer dicht parallel
5 TAC:
Fig. 2. Kopie SCHEEL’s, Fig. 12,
Taf. 2. U.Fl Trager der Riicken-
flossenstrahlen, Z/.s Ligament. longi-
tudinale superius, Sr Verbindungs-
briicke der oberen Bogen, zwischen
dorsalem Liingsband und Riickenmark,
O.B oberer Bogen, M Riickenmark,
Ch Chorda.
Fig. 2.
an der Innenseite der Bogenschenkel anliegend. Gorre fand jene
Knorpelstiicke beim Hecht. Aus dem Umstand, ,,,daf sie nicht
genau in derselben Querebene wie die eigentlichen Wirbelbogen,
sondern mit einem Abschnitt vor demselben lagen, so da sie von
vorn her zwischen diese eingeschoben und mit ihnen andeutungs-
weise zu alternieren erschienen““, folgerte er, ,,,,da man in ihnen
Homologa der Interkalarbogen der Selachier anzuerkennen hat.“ “
Grasst (27 und 28) beschreibt die betreffenden Gebilde bei Salmo-
niden und halt sie fiir Homologa der Dornfortsitze. Diese Auf-
fassung scheint mir eben so unrichtig zu sein, wie die von GOrts,
und ich finde durch meine Priaparate die Ansicht von Stannius (67)
bestitigt, dai die Verbindungsbriicke, die durch jene Knorpelstiicke
tiber dem Riickenmark gebildet wird, den eigentlichen dorsalen Ab-
schluf{ der Neurapophysen darstellt. Bei vielen Teleostiern (Anguilla,
Conger, Silurus, Esox, Clupea und andern) bilden niamlich die
oberen Bogen, indem sie zwischen dem Nervenrohr und dem dor-
salen Lingsband durch eine Querbriicke verbunden sind, einen
doppelten Kanal, je einen fiir das Riickenmark und fiir das Lings-
band. Diese quere Verbindungsbriicke der oberen Bogen iiber der
Medulla ist auch bei den Salmoniden angedeutet, nimlich in den
beschriehenen kleinen Knorpeln, nur daf sie hier nicht zu solcher
Ausbildung gelangt, wie bei den anderen erwahnten Knochenfischen.
Sie muf den urspriinglich dorsalen Verschlu8 iiber dem
Riickenmark gebildet haben, das wird durch die Untersuchung
1) Vergl. auch Gérrn, Lage der Knorpelstiicke.
24 Leopold Bloch,
jiingerer Forellenstadien wahrscheinlich gemacht.“ — Daf nun die
Schlufstiicke (Intercruralknochen) nicht ausschliefSlich aus
von Wriaur offenbar falschlich bezeichneten Homologa der Inter-
kalarbogen der Selachier sich bildeten, sondern zugleich auch
aus normalen Dornfortsatzen, diese Annahme steht einer-
seits nicht im Widerspruch mit obigem Citat Wricut’s, andererseits
hat er dies auch auf 8. 249 selbst zugegeben, wenn er schreibt:
As decribed above the neural arches (I.) “are converted into the
Stapedes, and the spinous process into the Claustra.“ Wenn es
uns gelungen ist, Wricut beztiglich der Interpretation
der “intercalary cartilages“, die er konsequenterweise auf sich
genommen hat, ziemlich sicher zu widerlegen, so diirfte aus dem
Vorhergegangenen, um zu resumieren, anzunehmen sein, daf keine
Teile an den Intercruralknochen (SchluS8sticken)
als homologe Reste der Intercruralbogen der Sela-
chier zu erkennen sind und ferner, dass Wrinet nie an
eine Homologisierung der Intercruralknochen mit
den Ossa imparia des Acipenser (Sérpnsen) dachte. —
Steht es nun aber eben so sicher fest, daf jene Knorpelstiicke nun
tiberhaupt gar keine Beziehung zu den Schlufstiicken erlangt haben?
Finden wir irgendwo eine Angabe, wie sich die unpaaren knorphgen
Schlufstiicke bilden? Keineswegs. Soviel ich sehen kann, giebt
uns aufer Wricut, weder Grassi, Sconret (welch’ letzteren diese
Frage von nebensichlicher Bedeutung war) noch auch S6RENSEN
irgendwelchen Aufschluf. Sdrmnsen hat ja sogar ausdriicklich
hervorgehoben (vergl. das Citat S. 19 dieser Abhandlung), daf es
ihm nicht bekannt sei, ob die Schlu&stiicke von Anfang
an paarweis auftretende Knéchelchen seien, die
spater verschmelzen, oder ob sie urspringlich un-
paar seien. Ueberall, wo wir uns auch hinwenden, werden wir
tiber die Natur der schon fertig gebildeten Schlufstiicke unter-
richtet, aber nirgends, wie sie sich anlegten. Hier ist somit eine
Liicke und der Knoten der Frage. Stellen wir alles zusammen,
was iiber die schon gebildeten Schlufstiicke bei jungen Tieren be-
kannt und vergleichen wir dies mit Befunden von ScuEeL, so wird
diesen Schlufstiicken einiges von ihrem Ratselhaften benommen,
und wir miissen dann bei einer Interpretation kaum mehr Zuflucht
nehmen, weder zu den weithergeholten Interkalarbogen der Selachier
(Wricut, GOérrr), noch zu den Ossa imparia des Acipenser (S6-
RENSEN). — Wricut fand, daf (die SchluS8sticke) ,the spinous
processus of several of the anterior vertebrae“ teilweise aus Ele-
menten gebildet seien, die zu vergleichen sind mit den von G6rTTE
beim Hecht beschriebenen ,intercalary cartilages“, was in Zweifel
zu ziehen wir keine Ursache haben, von denen wir jetzt zufolge
Scuren jedoch annehmen miissen, daf sie iiber dem Riickenmark
den eigentlichen urspriinglichen dorsalen Abschlu8
der Neurapophysen darstellen. — Ferner findet Grassi
(28) 8. 463: , Auch die beiden Stiicke (Schlufstiicke II und IIT 4),
1) Vergl. Tabelle.
Schwimmblase, Knochenkapsel etc. von Nemachilus barbatulus G. 25
welche das Riickenmark der ersten Wirbel bedecken, entwickeln
sich bei den Cyprinoiden knorplig; das vorderste dieser Knorpel-
stiicke verliert sich in dem vordersten Ende des Ligamentum ver-
tebrale superius, das zweite bedeckt das Ligamentum selbst. Wegen
dieser Lagerung kann man die besprochenen Stiicke nicht mit den
anderen oben beschriebenen (der Salmoniden) vergleichen.“ Dieser
Forscher wiirde also nicht anstehen, diese Knorpelstiicke (Schlu8-
stiicke) mit jenen zwischen dem Mark und dem Liga-
mentum longitudinale superius bei den Salmoniden
beschriebenen zu vergleichen, wenn nicht die verschiedene
Lagerung ihn davon abhalten wiirde. Wir wissen schon von frither
her (S. 6), daf im Bereich der vorderen Wirbel Umgestaltungen
keine Seltenheit sind, diese Bedenken infolgedessen nicht zu sehr
in die Wage fallen diirfen. Betrachten wir aber die Schlufstiicke
von jenem Standpunkte, wie Grassi es fast selbst gethan hatte
(d. h. vergleichen wir die Schlufstiicke mit den bei den Salmoniden
vorkommenden Knorpelstiicken), so findet man in Erinnerung an
Scuns.’s Citat (S. 22), dai die Schlufstiicke bei den Cyprinoiden
nichts anderes darstellen kénnen, als den eigentlichen dorsalen Ab-
schlu8 der Neurapophysen itiber dem Riickenmark. Und warum
kénnen die diskreten Schlufstiicke in keinem Falle aus-
schlieSlich umgebildete Dornfortsitze eines normalen Wirbels
sein? Einfach deshalb, weil die normalen Dornfortsiatze, obschon
sie diskret, sofort knéchern auftreten: nicht so die Schlubstiicke.
— Scuren (l.c. S. 16) schildert in trefflicher Weise die Bildung
der Dornfortsitze beim Cyprinoiden Rhodeus. Wir wollen einiges
hiervon hier wiedergeben: ,Bei Rhodeus von 8 mm Lange
reicht der Knorpel des oberen Bogens im 5. und 6. Wirbel etwa
bis zu ah Hohe des Riickenmarkes; der obere seitliche und dor-
sale Verschluf iiber letzterem wird durch fibrillares Bindegewebe
bewirkt, welches in das Perichondrium der Neurapophysen iiber-
geht.f 2. ~Be Rhedeus vonglO mm. Lange... .-:4 Hier
sind innerhalb jener Bindegewebsstrange, welche bei 8 mm langen
Tieren die oberen Teile der Neurapophysen bildeten, sehr diinne
Knochenspangen gebildet, deren untere Enden hutartig auf dem
oberen Abschnitt der Bogen ruhen .... Bei Rhodeus von
14—16 mm Linge .... Die Knochenspangen, welche ihren
oberen Abschluf bildeten, sind starker geworden, nach unten ge-
wachsen und umgeben den knorpeligen Teil wie ein Mantel ....
In den folgenden Wirbelbezirken werden die Bogen immer kiirzer,
der Bogen des 13. und 14. Wirbels entwickelt nur noch wenige
Knorpelzellen in seiner Basis. Vom 15. Wirbel an sind die Neurapo-
physen direkt kniéchern gebildet. Sie werden also nur im Vorder-
und Mittelrumpf knorplig priaformiert und der Knorpel nimmt von
vorn nach hinten zu an Menge ab.“ Hs ist bezeichnend, daf
Scueet erklart: der Knorpel nimmt von vorn nach hinten zu an
Menge ab“; und 8. 22—23 ,abgesehen von den vier ersten
Wirbeln ist in den beiden folgenden am meisten Knorpel aus-
gebildet“. Jener dorsale urspriingliche Abschluf, welcher bei den
26 Leopold Bloch,
Salmoniden im Vorder- und Mittelrumpf unabhingig von den
Schenkeln der knorpligen Neurapophysen iiber der Medulla und
unter dem Ligamentum longitudinale superius entsteht, vermag
sich bei den Cyprinoiden mit Ausnahme der vorderen 3 Wirbel
deshalb nicht mehr zu bilden, weil die Dornfortsitze, welche auch
die phyletisch jiingere Bildung darstellen (ScuEEL 8. 21), sich so-
fort knéchern anlegen und die knorplig vorgebildeten Neurapo-
physen véllig einhiillen, noch ehe sie Zeit gefunden, die Bildung
der diskreten Knorpelstiicke (,,intercalary cartilages“ Wricut), wie
sie bei den Salmoniden zu finden sind, von statten gehen zu lassen.
Im Bezirke der vorderen 3 Wirbel hat sich wohl die phyletisch altere
Bildung, d. h. die Bildung des urspiinglichen dorsalen Abschlusses
des Riickenmarkrohres, noch erhalten, in der Form jener diskreten
oberen Schlufstiicke, die in Uebereinstimmung mit allen bekannten
Autoren sich knorplig anlegen, jener Schlufstiicke. die SérmnsmN
als Homologa der Ossa imparia betrachtete. — Es ist mir zwar nicht
bekannt, ob je speciell bei den Cyprinoiden (Grassi!?) Gymnotiden
und Characiniden jene phyletisch altere quere ,, Verbindungsbriicke“
(die urspriinglich diskreten Knorpelstiickchen) erwahnt oder ge-
schildert wurde, allein fiir die verwandte Ostariophyseen - Familie
der Siluroiden wissen wir dies (vergl. Citat Scuernn’s 8. 23
dieser Abhandlung). Die Zusammengehorigkeit der 4 Ostario-
physeen-Familien wird heutzutage niemand mehr bezweifeln wollen,
so daf also auch wenigstens an den vordersten 3 Wirbeln jener
Fische, die den iibrigen 3 Ostariophyseen - Familien angehéren,
das Vorhandensein des Homologons zu der_,, Verbindungsbriicke“
sehr wahrscheinlich sein wird. Mit andern Worten: im Bereich
der vordersten Wirbel kann héchst wahrscheinlich die phyletisch
altere Bildung sich noch unbeeinfluf’t von der phyletisch jiingeren
entwickeln. Hier diirften also wohl bei allen Ostariophyseae jene
»intercalary cartilages‘ Wricut’s, d. h. die diskreten paarigen
Knorpelstiicke Scurst’s zu finden sein. Da diese knorplig prafor-
miert sind, die normalen Dornfortsitze, wie wir jetzt nach ScHEEL
wissen, aber sofort knéchern auftreten, so wird folgende Vermutung
iiber die wahre Natur der Schlufstiicke nicht unméglich sein:
Kurz nach der Entstehung der diskreten Knorpelstiicke
(SCHEEL’s), ,,the intercalary cartilages“ (WricHT’s) mégen diese
in der Medianebene zusammenschmelzen, dagegen ihren Zusammen-
hang mit den eigentlichen Neuralbogen nie gewinnen (Ossa im-
paria SOreNSEN’s). Auf diese héchst einfache Weise mag wohl
die Bildung der diskreten oberen Schlufstiicke vor sich gehen.
Ob alle ausschlieBlich knorplige Priéformation aufweisen, erscheint
mehr als fraglich. Jedenfalls thun dies eher die vorderen; denn
es ist sehr bezeichnend, dali das vorderste unpaare SchluSstiick I
(wenn es diskret), soviel mir bekannt, niemals Reste einer
Spina zeigt, dagegen (so auch bei Nem. barb. u. a.) noch das
Schwimmblase, Knochenkapsel etc. von Nemachilus barbatulus G. 27
hinterste. Vermutlich deshalb, weil das hinterste bei seiner Ent-
stehung schon durch die phyletisch jiingere Bildung noch beein-
flu’t wurde, Daf diese ihrerseits zum mindesten etwelchen An-
teil nimmt an der Bildung des hintersten Schlufstiickes, diese
Annahme mag damit begriindet werden, daf das Schlufstiick II
z. B. auch bei Nem. barb. u. a, eine so gewaltige Spina besitzt.
Wir wissen ja wenigstens von einem Angehorigen der Ostario-
physeae, dafi der Proc. spin. des normalen Neuralbogens aus-
schlieflich die phyletisch jiingere Bildung repriisentiert. Ob nicht
auch vielleicht bei Nem. barb. in der gewaltigen Spina des Schluf-
stiickes III (Fig. 2 s/ III) die eigentlichen Reste der Dornfort-
sitze I, If und If zu suchen sind, kann natiirlich hier nicht
entschieden werden. — Da wir uns berechtigt glauben, voraus-
setzen zu diirfen, da8 die Schlufstiicke im allgemeinen
keine reinen Dornfortsatze sind, — sonst kénnte ihre
Anlage (wenigstens wie es teilweise sicher der Fall ist) keine
knorplige sein — noch auch im allgemeinen reine
Derivate der Knorpelstiickchen Scueet’s, sowohl riick-
sichtlich Wrieut’s Schilderung (vergl. S. 22 und 24 dieser Ab-
handlung), also auch in Hinblick darauf, da SchluBstiick III eine
gewaltige Spina besitzt bei Nem. barb. und vielen anderen, die
auf eine Anteilnahme der phyletisch jiingeren Dornfortsatzbildung
schliefen lat, so wird es angezeigt sein, vorliufig an der darge-
legten Autfassung tiber die SchluBstiicke festzuhalten, auch wenn
wir mit den neuesten Angaben nicht iibereinstimmen und zwar
einfach deshalb, weil kein Forscher, so viel uns bekannt, auf den
Vergleich zwischen SchluSstiick und Dornfortsatzbildung bei ein
und demselben ostariophysen Tiere eingetreten ist. Leider hat
auch SCHEEL (1.c. 5. 16), dem allerdings diese Fragen von neben-
sichlicher Bedeutung waren, kein Licht verbreitet, denn er
schreibt nur:
, Wie bei den iibrigen Cyprinoiden, treten auch bei Rhodeus
die 4 ersten Wirbel vermittelst ihrer oberen Bogen und Dornfort-
sitze resp. ihrer Rippen zum Gehérorgan in Beziehung und ver-
binden dieses mit dem Vorderende der Schwimmblase. Genannte
Wirbelbestandteile werden zu diesem Zwecke modifiziert (WrEBER-
scher Apparat); sie verlieren ihre funktionelle Bedeutung und
bleiben deswegen hier unberiicksichtigt.“
Wir neigen, wie schon angedeutet, zu der Auffassung hin,
daf bei ein und demselben Tier kein Schlufstiick sich bei der
Bildung gleich verhailt wie das andere, was zugleich auch die
28 Leopold Bloch,
verschiedene Form erklirt. Jedenfalls scheint aber festzustehen,
dafi es vor der Hand gewagt ist, die ein oder andere Weise der
bestehenden Homologisierungsversuche der Schlufstiicke zu billigen,
und wenn es auch uns nicht gelingen konnte, ohne entwickelungs-
geschichtliche Studien die Schlufstiicke mit Sicherheit zu inter-
pretieren — weshalb wir diesen indifferenten Namen Schlu8-
stiicke beibehalten — so haben diese ziemlich weitlaufigen
Auseinandersetzungen ihren Zweck doch erreicht, wenn sie zu
erneuter Priifung Anlafi bieten, damit auch die vordersten Glieder
in der paarigen Wrper’schen Knochenkette — die Claustra —
richtig interpretiert sind. Nach unserem Dafiirhalten allerdings
sind die Claustra wohl ausschlieBlich Derivate jener
Knorpelstticke, wie sie von Scueet fiir die Salmo-
niden (vergl. S. 22 dieser Abhandlung) beschrieben wurden.
Nachdem ich dieses Kapitel eben vollendet hatte, gelangte ich
in den Besitz der Arbeit von Srportaxk (60). Auch dieser Forscher
(S. 94) fat die Claustra, speciell auf Grund von Untersuchungen
an Rhodeus amarus (unser zweigeteiltes Schlufstiick J) auf als
Processus spinosus. Auf 8. 98 dufert er sich: Ueber die ana-
tomischen Verhiltnisse, die bei einem ganz erwachsenen Bitterling
existieren, und tiber den Bau und die Entwickelungsgeschichte der
Knéchelchen, die sich viel spiater aus der die hinteren Aussack-
ungen umhiillenden skelettogenen Schicht differenzieren und den
Zusammenhang mit der Schwimmblase bedingen, hoffe ich in einem
anderen Aufsatze Naheres mitteilen zu kénnen.“ Es ist zu wiinschen,
dafi in dieser angekiindigten Arbeit, Srportax’s Auffassung der
Claustra, mit der wir vorlaufig aus den schon angefiihrten Griinden
noch keineswegs iibereinstimmen miéchten, durch die nétigen Belege
gestiitzt wird.
Wir wollen nun die
4. Morphologische Betrachtung der vorderen
Wirbelelemente
an Hand der Figuren weiterfiihren. In der Reihenfolge der Be-
schreibung ersterer, beziehungweise deren Abkémmlingen, kénnen
uns 4 verschiedene Gesichtspunkte leiten. Entweder versuchen
wir, wie wir zu Anfang vorzugehen beabsichtigten — ehe wir
uns mit dem kritischen Ueberblick betreffend die Kenntnisse des
Schwimmblase, Knochenkapsel etc. von Nemachilus barbatulus G. 29
Wes. Apparates zu beschaftigen hatten — successive von vorn
nach hinten Wirbel nach Wirbel zu analysieren, bis wir wieder
auf einen normalen stofen; oder wir betrachten die Wirbel-
elemente, d. h. deren Abkémmlinge, nach ihrer jeweils einheitlichen
Funktion, oder wir schildern das, was uns die Betrachtung der
Wirbelséiule an ihrem vordersten Abschnitt von verschiedenen
Seiten offenbart; oder endlich wir besprechen vergleichsweise die
als homolog zu betrachtenden Elemente der vordersten Wirbel
nacheinander serienweise durch. — Wir schlagen vorerst den
zuletzt angedeuteten Weg ein, werden indessen bei unserer mor-
phologischen Beschreibung zugleich auch die funktionelle Be-
deutung der einzelnen Knochenstiicke einheitlich ins Auge fassen.
A. Wirbelkoérper.
Ueber dieselben aft sich nicht viel sagen, denn wir haben
schon friiher den ersten beschrieben, und wiederum der finfte
(wahre) Kérper gehért einem normalen Wirbel an. Wir miissen
uns mithin iiberhaupt nur noch beschaftigen mit der Beschreibung
des oberen, nicht typisch ausgebildeten Bogensystems I, dem
zweiten falschen (hervorgegangen aus der Verschmelzung, d. h.
Synostose des wahren zweiten und dritten Wirbels) und mit dem
(wahren) vierten Wirbel.
Wirbelkérper IH. Obschon falsch, ist derselbe trotzdem
nur ungefihr ?/, so lang wie der Kérper des (wahren) vierten
Wirbels (Fig. 5 IZ), welcher normale Gréfe besitzt. Bei einem
Exemplar gelang es mir, makroskopisch genau eine Linie als
Grenze zwischen urspriinglich zweitem und drittem (wahrem)
Wirbel festzustellen (Fig. 8 *). Man kann daraus ersehen, dal
der Kérper Il sehr klein ist. Zwischen den beiden verschmolze-
nen Wirbelkérpern ist kein Rest der Chorda, welche intervertebral
sonst wohl zu finden ist, tibrig geblieben, wie ich mich an mikro-
skopischen Langsschnittpraiparaten iiberzeugen konnte. Die Kérper
II und III sind also innig miteinander verschmolzen, indem
auch bei mikroskopischer Betrachtung nur noch eine Linie, welche
urspriinglich zweiten und dritten (wahren) Wirbel trennt, wahrzu-
nehmen ist, d. h. die gleiche Linie, welche wir an einem Exemplar
schon makroskopisch festzustellen imstande waren. — Oberseits,
jedoch getrennt voneinander, befinden sich eher hinter der geo-
metrischen Mitte des zweiten Wirbelkérpers 2 seichte Gruben,
30 Leopold Bloch,
in welchen die Basalteile der Neuralbogen III (Fig. 8 A JIZ) ein-
gesenkt sind.
Wirbelkérper IV. Entspricht einem normalen Wirbel-
kérper insofern nicht, als dessen zugehérige Bogen nicht mit
ihm untrennbar verschmolzen sind.
Wirbelbogen V gehért einem normalen Wirbel an, ent-
spricht also der Schilderung, die wir friiher gegeben haben.
B. Oberes Bogensystem.
Schlu8stiticke. Beziiglich der Auffassung und Nomen-
klatur derselben verweise ich auf den kritischen Ueberblick, be-
treffend die Kenntnisse der Wes. Knéchelchen (8. 16, Deutung
der Claustra).
Schlu&sttick I von Nem. barb. ist, wie bei allen Ostario-
physeen-Familien, wo es als diskretes Knéchelchen vorkommt,
paarig und, wie wir bereits wissen, repriisentieren diese paarigen
Stiicke die Claustra (Figg. 2, 4, 6, 7, 8, 9, 10: cl) des WEBER-
schen Apparates. Diese, die ursprtinglich dorsalwarts vom Neural-
rohr gelegen sind, gleich wie die tibrigen unpaaren Schlufstiicke
noch beim Erwachsenen, haben sich seit- und ventralwirts des
Neuralrohres gegen den Wirbelkérper hin verlagert, jedoch so,
dafi bei Nem. barb., der héchste Punkt des Stiickes links itiber
dem Neuralrohr, denjenigen des Stiickes rechts gerade noch be-
riihrt (Fig. 4 cl). Dieser Umstand verhindert, daf Schlufstiick
II und III (Fig. 2, 4: st ZZ. und sl IIL.) sich cranialwarts
tiber die Héhe der obersten Punkte der Claustra verschieben.
(Die Beschreibung der Form samtlicher |paariger] Gliedstiicke
des Weper’schen Apparates von Nem. barb. erfolgt zusammen-
hangend im Kapitel: Morphologie des Wes. Apparates.)
Schlu&Sstick II (Figg. 2, 4, 8, 9, sl IZ) ist gleich wie
SchluSstiick III unpaar und liegt als diskretes Knochenblattcken
tiber dem Neuralkanal. Von oben gesehen, hat es eine abge-
rundet trapezoedrische Form (Fig. 4). Der vordere Rand des
Schlufstiickes II reicht kaum bis an das erste Drittel des zweiten
(falschen) Wirbelkérpers hinan.
Schlu&-stiick III (Figg. 2, 3, 4, 5, 6, 7 st ITZ) schlieft
sich direkt caudalwarts (iiber dem Neuralrohr) an das Schluf-
stiick II an. Es besteht aus zwei miteinander einheitlich ver-
bundenen Teilen. Aus einer basalen, schwach gewélbten, oblongen
Platte, die das Neuralrohr bedeckt und an ihrem vorderen
Schwimmblase, Knochenkapsel etc. von Nemachilus barbatulus G. 31
Ende an die Hinterkanten des Schlufstiickes II direkt anschlieft,
und aus einer in der Medianebene gelegenen ,,Spina‘‘, welche
cranialwirts bis iiber die Hohe des ersten Wirbels hinausreicht
(Figg. 4, 5). An seinen hinteren Randern grenzt Schlufstiick I
an die Neuralbogen IV gerade dort, wo sie sich in einen normal
geformten Processus spinosus fortsetzen.
Die Neuralbogen der normalen Wirbel sind bei Nem.
barb., wie wir wissen, mit ihren korrespondierenden K6rpern un-
trennbar verschmolzen; nicht so die Bogen der vorderen Wirbel.
Neuralbogen I. (Figg. 2, 4, 6, 7, 8, 9 st) sind nicht
typisch entwickelt; sie bilden die Stapedes des WrseEr’schen
Apparates und stehen mit ihrem Wirbelkérper in gar keinem Zu-
sammenhange mehr, denn sie haben sich nach riickwarts verlagert,
sitzen am vorderen oberen Rande des zweiten (falschen) Wirbel-
kérpers auf und bleiben vollstindig beweglich. (Formschilderung:
Morphologie des Wrs. Apparates).
Neuralbogen II (Figg. 8, 9, 10 2) sind bei Nem. barb.
zu finden als Rudimente. Ueber ihre Beziehung zum Wes. Apparat
bei den Ostariophyseae im allgemeinen vergl. Kapitel: Deutung
der Incudes (S. 13 dieser Abhandlung) und Morphologie des
Wes. Apparates.
Die Neuralbogen III (A III. Fig. 8) bleiben diskret,
d. h. sie verschmelzen mit dem zweiten (falschen) Wirbelkérper
nicht. Die unteren Enden derselben sind ungefahr beiderseits der
Wirbelkérpermitte als kurze dicke Pflécke in konische Vertiefungen
des Koérpers eingesenkt. Man kann genau eine Naht zwischen
(falschem) Koérper II und nicht weggetrenntem Neuralbogen III
beobachten. Die seichten Gruben der Wirbelkérper, in denen die
Basalpartien der Bogen eingesenkt waren, werden sichtbar,
wenn man die Bogen HI vom Ko6rper trennt, was relativ leicht
gelingt. Die normale Form der Neuralbogen III kann beim er-
wachsenen Tier, abgesehen davon, dafi sie keinen normal ent-
wickelten Processus spinosus besitzen, nicht mehr wahrgenommen
werden, da diese durch eine Sehnenverknécherung (Aponeurose,
Figg. 2, 4, 5, 6, 7, 8 a), von der spater noch die Rede sein soll,
beeinflugt wurde. Nur soviel sei hier erwihnt, da’ ein Teil der
Aponeurose in Fig. 8 @ weggebrochen gezeichnet wurde, so dab
der basale Teil des rechten Neuralbogens II (A IJ7) zu Gesicht
kommt. Den oberen Endflachen der Neuralbogen III, die durch
die Aponeurosen yerbreitert sind, lagert sich die vordere Halfte
des seitlichen Randes von Schlufstiick II an (Figg. 2, 4). Mit
32 Leopold Bloch,
der Knochenkapsel stehen die Neuralbogen in keinem Zusammen-
hang.
Neuralbogen IV sind bei den normalen Cyprinoiden auf
die gleiche Weise diskret entwickelt wie die Neuralbogen IIL.
Nach Groppen (29) sind sie bei Nem. barb. (S. 12) untrenn-
bar mit dem Kérper verbunden. Das Gegenteil diirfte wohl
richtig sein. Durch starke Maceration sind sie relativ leicht
vom Kérper trennbar, was bei den Neuralbogen normaler Wirbel
nie gelingt. Also auch die Neuralbogen IV sind bei Nem. barb.
oberseits des zugehérigen Koérpers in dort befindliche Gruben
eingesenkt. Sie tragen, wie schon friiher bemerkt, einen normal
entwickelten Dornfortsatz. Auferdem kann man an denselben
noch zwei accessorische Knochenfortsaitze (Figg. 3, 4, 6 af) be-
obachten, wie sie an den normalen Neuralbogen nicht zu finden
sind. Dergleichen Gebilde wurden schon von Srannius (67, 8. 27)
erwihnt. Sie scheinen der Muskulatur als Anheftungspunkte zu
dienen. Es ist noch zu bemerken, daf die Neuralbogen IV in
keiner Weise Beziehungen erlangt haben zu der Knochenkapsel,
was uns namentlich Fig. 3 sehr schén zeigt, wo dieselben sich
von der Knochenkapsel deutlich abgesetzt erweisen.
Neuralbogen V. Da diese einem normalen Wirbel ange-
héren, so wissen wir von ihnen, daf sie mit dem Wirbelkérper
verschmolzen sind. Bei den normalen Cyprinoiden, d. h. jenen
mit unmodifizierter Schwimmblase, findet dies sonst am fiinften
Wirbel nicht statt.
Riicksichtlich der Verbindung der vorderen Neuralbogen mit
den Wirbelkérpern lat sich zusammenfassend folgendes anfiihren:
Die Bogen I und II, die nicht typisch ausgebildet sind, haben
ihre Beziehung zu den Wirbelkérpern géinzlich aufgegeben; bei
den Bogen III und IV besteht eine gelockerte Verbindung und
erst bei den Bogen V und den nachfolgenden findet sich eine
Verschmelzung mit den Korpern.
C. Unteres Bogensystem.
Wihrend fiir das obere Bogensystem konstatiert wurde, daf
die normalerweise innige Verbindung der Wirbelelemente unter
sich und zu den Wirbelkérpern im Bereich der vordersten Wirbel
gelockert erscheint, so kénnen wir in Bezug auf das untere
Bogensystem (mit Ausnahme der Mallei) gerade das Gegenteil
behaupten. Alle diese Zustande scheinen lediglich auf den Wechsel
funktioneller Bedeutung zuriickfiihrbar zu sein.
Schwimmblase, Knochenkapsel etc. von Nemachilus barbatulus G. 33
Unteres Bogensystem I= Proc. transversus + Ligament-
verknécherung (Figg. 2, 4, 5 A), was falschlich von Jaquet (40)
»premiére cote cervicale“ bezeichnet wurde.
Unteres Bogensystem II (Figg. 2, 4, 6 pt ID) wird
bei den Cyprinoiden reprasentiert durch grofe Processus trans-
versi. Die entsprechenden Gebilde bei Nem. barb. haben mit
der Schwimmblasenkapsel (vergl. Kapitel iiber dieselbe S. 43),
die zum gréferen Teil eine Verknécherung der Schwimmblasen-
haut, d. h. der Serosa, darstellt, eine innige Verschmelzung erlangt,
zwar doch so, daf’ deren Form noch zu erkennen ist.
Unteres Bogensystem III. Die Basalpartien der
Rippen II. verschmelzen beiderseits unkenntlich mit dem zweiten
(falschen) Wirbelkérper, so daf sie nicht mehr zur erkennen sind.
Die eigentlichen Rippen III, die Mallei des Weser’schen
Apparates, sitzen ihrer Basalpartie beweglich auf (Fig. 7, 8, 9,
10 m). Formerklirung siehe Kapitel: Morphologie des Wes.
Apparates.
Unteres Bogensystem IV (Fig. 7 péIV) ist bei den
normalen Cyprinoiden ein typisches ,,Os suspensorium“ (vergl.
Anmerkg. 1 der tabellarischen Zusammenstellung tiber die Inter-
pretation d. Wes. Kn.). Bei Nem. barb. ist es mit dem Ké6rper
des vierten (wahren) Wirbels starr verbunden; aber es_befindet
sich im Gegensatz zum Proc. transv. II eine feine Linie, welche
den Kérper vom Proc. transv. abgrenzt. Sie ist nur (aber deut-
lich) bei auferster Sorgfalt der Beobachtung zu erkennen. (In
den Figuren nicht sichtbar!) Diese Proc. transv. IV sind mittelst
dicker, zugespitzter Fortsitze jederseits in Gruben des Wirbel-
kérpers IV eingesenkt. Da im iibrigen diese Proc. transv. IV
gleich wie jene des zweiten Wirbels mit der Knochenkapsel ver-
schmolzen sind, so wird es von Vorteil sein, tiber den Zusammen-
hang von Proc. transv. II und IV mit der Knochenkapsel erst
bei Betrachtung letzterer das Nahere zu erfahren.
Wir sehen, daf die Derivate des unteren Bogensystems
simtlicher vier vorderer, modifizierter Wirbel im wesentlichen
(die Mallei, die ,,Hauptstiicke des Wes. Apparates‘‘ SAGEMEHL’S
nicht ausgenommen) Stiitzpunkte der Teile, mit denen sie ver-
bunden sind, zu bieten haben, und daf speciell das untere
Bogensystem II, III und IV mit der Schwimmblase Beziehung
erlangt hat.
Bd, XXXIV. N. F. XXVIL 3
34 Leopold Bloch,
D. Morphologie des Weber’schen Apparates.
Die erste Notiz, die ich ttber den Wrs. Apparat von Nem. barb.
finden konnte, riihrt von Rosenruan (55) 1816 (vergl. S. 10 Anm. 3)
her. Seine Angaben sind gewif den Thatsachen wenig entsprechend.
Er schreibt in seiner Erklarung zu Taf. 10 folgendes: ,,Das sibel-
formige Knochenstiick (Malleus Wns.) fehlt, doch ist das gestielte
Becherchen!) (Stapes Wes.) vorhanden, welches hier unmittelbar
mit der inneren, die knécherne Blase auskleidenden Haut zu-
sammenhingt.“ Wie schon friiher gesagt wurde (8S. 9), hat Rosun-
THAL auch bei Cyprinus nur 2 Knéchelchen abgebildet, und wir
wissen doch, daf dort 4 vorhanden sind. — Webesr (70) 1820,
der eigentliche Entdecker des nach ihm benannten Apparates, driickt
sich 8. 67, wortlich iibersetzt, foloendermafen aus: ,,Die drei vor-
deren Wirbel von Nem. barb. sind gegen das Gehérorgan hin aus-
gezeichnet mit einem Apparat von gleicher Gestalt wie bei Cob.
(Misgurnus) fossilis.“ Daf auch diese Auffassung nicht ganz richtig
ist, wird die nachherige Beschreibung des Apparates erweisen.
Ob Weser bei Nem. barb. denselben itberhaupt genau untersuchte,
kann nicht sicher entschieden werden, doch hat er keine Ab-
bildungen davon gegeben und auger dem oben Citierten nichts
weiter davon erwihnt. — Vanencrennes (12) 1846 (Cuv. et Vat.)
hat wahrscheinlich dasselbe Knéchelchen (Malleus) gesehen, wie
RosentHaL: ,,. . . lenveloppe osseuse de la vessie aérienne“,
schreibt er (p. 19), ,est une sorte d’hypertrophie des lames verti-
cales de la carpe. LHlles cachent un trés-petit style osseux, long
tout au plus d’une demi-ligne, qui est l’os de Wuezser.“ —
GropBEeNn (29) 1875, dem die Schilderung des Wersur’schen Appa-
rates von untergeordneter Wichtigkeit war, hat in seiner Arbeit
von oberen (Neural-)Bogen I gesprochen, nichts aber gezeichnet
oder gesagt, daf sie durch 2 paarige diskrete Knochenstiickchen
(Claustra und Stapedes Wes.) reprasentiert sind. Ferner sagt er
von Cob. (Misgurnus) fossilis, der die gleichen Verhiltnisse auf-
weise wie Nem. barb. (S. 11): ,,Der zweite (unser falscher) Wirbel
besitzt einen Kérper von normaler Gréfe mit doppelten Conis, an
den sich trennbar die Neurapophysen und Neurospina anfiigen.“
Dies ist zweifellos ein Irrtum (Groppen kannte die Verschmelzung
des zweiten und dritten Wirbels bis fast zur Unkenntlichkeit noch
nicht und faft unseren zweiten (falschen) Wirbel als normalen auf).
Er hat jedenfalls unser Schlufstiick II oder aber die Aponeurose
als Neuralbogen IL und Schlufstiick III als Neurospina bezeichnet.
Dies sind alle Angaben, die ich tiber den Weser’schen
Apparat von Nem. barb. finden konnte. Es war mir nicht még-
1) RosmnrHan hat aus nachher erklarlicher Ursache im Malleus
ein becherférmiges Knéchelchen erblickt, was nicht richtig ist.
Schwimmblase, Knochenkapsel etc. von Nemachilus barbatulus G. 35
lich, eine vollstandige Abbildung oder richtige Schilderung des-
selben kennen zu lernen. Wie wir aus dem Vorhergegangenen
ersehen kénnen, decken sich die Beschreibungen keineswegs; allein
es ist nicht ganz unbegreiflich, wenn den Forschern die Kennt-
nis vom genauen Bau des Wes. Apparates hier verborgen blieb,
denn die Gesamtlainge desselben betragt kaum mehr als 1 mm,
und von diesem paarigen Apparat ist nur die cranialwirts ge-
legene Partie sichtbar, indem die caudale von jenen zwei diinnen
Knochenplattchen tiberdeckt ist, welche, wie friiher erwahnt, mit
den Neuralbégen III verschmolzen sind und die wir als Apo-
neurosen aufzufassen haben (Figg. 2, 4, 6, 7, 8 a). Es wird
jetzt an der Zeit sein, auch hiertiber noch Naheres zu erfahren.
Bei den tbrigen Cyprinoiden besteht nimlich eine Aponeurose,
welche sich im Umkreise der grofen Oeffnung des Os occipitale
laterale tiber die WrBer’schen Knéchelchen ausbreitet. Bei Nem.
barb. ist die Aponeurose caudalwarts befestigt an Bogen und
Schlufstiick III, an der dorsalen Wandung der Knochenkapsel
(genau deren vorderem Drittel) + Proc. transversus II. Der
knécherne Teil dieser Aponeurose findet hinter dem ersten Wirbel
seine craniale Grenze (Fig. 4), so da8 bei Macerationspraparaten
noch Claustra und Stapedes blo8 liegen. Mit ihrem unverknécherten
Teile ist sie mit dem Occ. laterale verschmolzen. Erst nachdem
man z. B. die Lamelle rechts, den Proc. transv. IJ + Knochen-
kapsel weggebrochen hat, wird der Neuralbogen III und die
rechte Halfte des Wrprr’schen Apparates in seiner ganzen Aus-
dehnung sichtbar (Fig. 8).
Die Claustra sind relativ grof und zerfallen in zwei Teile,
von denen in der Seitenansicht (Figg. 2, 7 u. 8 cl) nur der obere,
ein wenig schraig hinter dem Stapes gelegene sichtbar ist. An
ihrem oberen hinteren Rande stofen die Claustra an das unpaare
Schlufstiick If, ohne mit ihm verschmolzen zu sein. Die unteren
Partien derselben liegen innerhalb der muschelig geformten
Raume der Stapedes (vergl. Fig. 9, Vorderansicht) und umschliefen
die Atria sinus imparis (WEBER).
Die Stapedes haben die Form muscheliger Schalen (,,concha‘
Weper) (Figg. 9, 10). Eigentlich sollten sie, wie dies bei den
normalen Cyprinoiden der Fall ist, je zwei Fortsatze tragen,
welche schon von Weser fiir Cyprinus carpio ausfiihrlich und
richtig beschrieben wurden (vergl. dessen Fig. 9,10). Es besteht
je ein unterer, welcher in ein Loch der oberen Seite des ersten
Wirbels eingelagert ist, und ein oberer Fortsatz, der sich an
36 Leopold Bloch,
den Neuralbogen III anlehnt. Diese beiden Fortsatze erméglichen
es dort, dafi sich der Stapes um sie wie um eine Achse drehen
kann. Es ergiebt sich auch aus dieser Schilderung ohne weiteres
die Lage der Stapedes bei den normalen Cyprinoiden. Bei Nem.
barb. stehen die Stapedes indessen in gar keinem Konnex mehr
mit dem Kérper des ersten Wirbels, was davon herriihrt, dal
nicht nur die beiden Fortsaétze verschwunden sind, sondern auch,
daf die Stapedes sich bis hinter den vorderen oberen Rand des
zweiten (falschen) Wirbels verlagert haben (Figg. 4, 8). Ihre
stark konkave Seite wenden sie proximal — sie nehmen ja die
unteren Teile der Claustra auf — ihre konvexe distalwirts.
Am unteren hinteren Ende dieser konvexen Aufenseite triagt
jeder Stapes ein kleines Knépfchen, welches zur Befestigung eines
Ligamentes (A Figg. 8, 9, 10) dient, das bei den Ostariophyseae
ganz allgemein jederseits zwischen den Neuralbégen I, II (Stapedes,
Incudes) und den Rippen III (Mallei) [oder bei den Characiniden
ihren Basalpartien: SORENSEN 63], ausgespannt, und das sehr
widerstandsfaihig und elastisch ist. An jenen Stellen, wo
das Ligament an die genannten Knéchelchen grenzt, ist es selbst
verknoéchert, so daf eine innige Verschmelzung zwischen dem
Ligament und den typischen Skeletteilen zustande kommt, was
natiirlich nicht ohne Einflu8 sein kann auf funktionelle Eigen-
schaften. Allein auch noch in anderer Hinsicht hat dieses Liga-
ment Bedeutung erlangt. Durch dessen Verknécherung in der
Nahe der Skeletteile ist letzterer mehr oder minder typische
Form in Mitleidenschaft gezogen worden, wodurch ein ganz eigen-
artiges Geprige zustande kommen kann.
Vor allem sind es die Incudes (Figg. 8, 9, 10 2), welche
durch ihre Formvariationen unser Interesse beanspruchen. Schon
von AuG. Miuuer (46, 1. c. 8. 288) wurde die Thatsache fest-
gestellt, da die Incudes (Neuralbégen II) bei ihrer Entstehung,
anstatt sich normalerweise flichenhaft zu entwickeln, horizontale
Fortsatze lateralwarts treiben. Bei der Mehrzahl der Cyprinoiden,
wo die Incudes ihre erheblichste Gréfe erreichen, sind deren
Horizontalfortsaitze eingelagert in die breiten Ligamente zwischen
Stapedes und Mallei, so daf} dadurch Verknécherungen in den
Ligamenten zustande kommen, welche als adhiirierende Teilstiicke
der Incudes betrachtet werden miissen, die aber selbst gréSer sind
als die medianen Knochenpartien, welche mit dem zweiten
(falschen) Wirbelkérper noch in Zusammenhang stehen und die
als eigentliche Neuralbégen II aufgefaft werden miissen, indem
Schwimmblase, Knochenkapsel etc. von Nemachilus barbatulusG. 37
letztere noch an der Begrenzung des Neuralkanales teilnehmen.
Allein wir wissen schon von frither her (BEAUDELOT, 3), daB bei
der Gattung Catostomus keine Teile der Incudes mehr an der
Begrenzung des Neuralkanales partizipieren, und daf die Incudes
dort tiberhaupt nur noch durch einfache knécherne Knépfchen in
den Ligamenten dargestellt werden. Daf man wirklich in diesen
Knoépfchen die Rudimente der Neuralbégen II zu erblicken hat,
geht aus den entwickelungsgeschichtlichen Studien von M. RAmMsAy
Wricut (74) [Amiurus] und SORENSEN (63) |Galeichthys] unzwei-
deutig hervor, indem die median urspriinglich angelegten Teile
der Incudes, welche die eigentlichen Neuralbégen II reprisentieren,
erst bei der nachfolgenden Entwickelung vollstandig resorbiert
werden, so daf} nur noch jene Knépfchen im Ligament iibrig ge-
blieben sind. Das, was wir somit bei Catostomus als Incudes be-
zeichneten, ist, streng genommen, also nicht ganz homolog
mit dem gleich genannten Knéchelchen der Cyprinoiden. Diesen
Grad der Reduktion der Incudes hat nun nicht nur allein die
Siluroidengattung Catostomus (BEAUDELOT’s), Amiurus (WRIGHT’s)
und Galeichthys (SGRENSEN’s) erreicht, sondern nach SORENSEN
(vergl. tabellarische Uebersicht tiber die Interpret. d. Wes. Kn.)
auch Gymnotiden, Siluroiden und (SORENSEN untersuchte Cob.
{Misgurnus] fossilis und Nemachilus Strauchii Kessu.) Co bitiden.
Was nun diese Letzteren anbetrifit, so mul fiir Nem. barb. keine
Ausnahme gemacht werden. Jedoch giebt es wohl Fische, bei
denen die Incudes den letzten Grad der Reduktion aufweisen,
weil in dem Ligament, welches den Stapes mit dem Malleus ver-
bindet, nicht einmal mehr eine Verknécherung, d. h. der Rest des
Neuralbogens II zu finden ist!). Eine funktionelle Wichtigkeit
scheint also die Anwesenheit des knéchernen Knoépfchens nicht
zu besitzen.
Die Mallei besitzen proximale Wurzelenden, welche zu beiden
Seiten des zweiten (falschen) Wirbelkérpers (dessen hinteren Ab-
schnittes, also des dritten [wahren] Wirbels) artikulieren. Die
Artikulationsflachen der Mallei liegen in Gruben, welch letztere,
wie in Tig. 8 angedeutet, umsdumt sind von schmalen, niedrigen
1) Ein solcher Fall wurde schon von BinHarz 1857 (S. 9) bei
Malapterurus electricus konstatiert. 1859 erwihnte Retssnur (S. 432
und Taf. XII, Fig. 6) fiir die Siluroiden Rinelepis und Synodontis
korrespondierende Verhaltnisse. Ebenso 1890 Sorensen fiir die
Siluroidengattung Plecostomus (vergl. seine Taf. III, Fig. 34).
38 Leopold Bloch,
Knochenleisten (/), die den Zweck haben, ein Vorwartsgleiten der
Mallei zu vermeiden. Die distalen Enden sind relativ dick und
abgestumpft. An diese abgeschnittenen Enden heftet sich die
Schwimmblase. Betrachtet man das distale Ende des Malleus
rechts (wie in Fig. 7 angedeutet ist) bei hoher Einstellung der
Lupe von der Seite, so sieht man in der That nichts anderes als
einen Stiel, der an seinem distalen Ende verbreitert erscheint,
wodurch wirklich die Vorstellung erweckt wird, als hitte man es
zu thun mit einem ,,gestielten Becherchen“ (ROSENTHAL, 55). —
Der Fortsatz am distalen Ende des Malleus fehlt (nach Aue.
Muuuer, 46, 8. 288 und Fig. 7, Taf. VIII) urspriinglich voll-
stindig. Wir haben in ihm den verknécherten Teil des Liga-
mentes zu betrachten, von welchem Ligament wir oben sagten,
da es die typische Gestalt der Skeletteile modifiziere. Wer je
jene Wesper’sche Beschreibung der Mallei von Cob. (Misgurnus)
fossilis gelesen hat, wird zugeben miissen, da riicksichtlich ihrer
Gestalt bei Misgurnus und Nemachilus von Gleichheit der Mallei,
wie Weser will, nicht die Rede sein kann.
5. Morphologie von Schwimmblase und Knochenkapsel.
Schwimmblase und Knochenkapsel gelangten friiher zur
Beobachtung als der WrpeEr’sche Apparat, wie dies auch bei ihrer
relativ bedeutenderen Gréfe zu erwarten ist. Daf an der Bildung
der Knochenkapsel urspringlich typische Skeletteile partizipiert
haben, geht schon aus dem friiher Gesagten hervor. Es erwéichst
uns nun noch der Entscheid der Frage, ob sich auch noch andere
Elemente bei deren Bildung beteiligt haben. Gelegentlich der
Besprechung der Wirbelelemente machten wir schon jene Skelett-
teile, die in Frage kommen, namhaft. Es sind dieselben, welche
friihere Forscher im Auge hatten, die jedoch aus verzeihlicher
Unkenntnis der Verschmelzung von zweitem und drittem Wirbel
falsch interpretiert wurden.
Schon Jon. Gorrn. Scunerper (Lipsiae) 1789, der Entdecker
dieser Knochenhiillen, faite letztere auf als blasenformig aufgetriebene
Querfortsitze. Ebenso Wessr (70) 1820 (der Entdecker des nach
ihm benannten Apparates), Mrcxrnn (44) 1824 (System, 8. 233),
RatHKE (51) 1826 (8. 103), Vatencrennes (12) 1846 (in Cuv. et
Schwimmblase, Knochenkapsel etc. von Nemachilus barbatulus G. 39
Vau., Bd. 18, 8. 18, 39), C. Bronx (9) 1847 (S. 160), E. Reissner
(54) 1859 (8S. 430—-431), Hasse (33) 1873 (S. 595). — Indessen wurde
auch schon friithzeitig, d. h. von Scnunrzn (59) 1818 (S. 369) eine
andere Ansicht geiufert, dafi namlich die knéchernen Kapseln nicht
zur Wirbelsiiule gehéren, sondern zu dem Organ, welches sie um-
schlefen, d. h. zur Schwimmblase. In ahnlichem Sinne dufert sich
auch Huscuxe (38, 8. 36). Doch wurde diese Ansicht zu jener
Zeit noch nicht acceptiert, vergl. z. B. Wacner (69) 1834—35, der
sich auf S. 280 folgendermafen aufert: Bei Cobitis (Misgurn.)
fossilis wird sie (d. h. die Schwimmblase) ganz von den Quer-
fortsatzen des dritten Halswirbels eingeschlossen, welche in eine
Knochenblase verwandelt sind; falschlich glaubte man sonst die
Hiute der Blase selbst seyen verknéchert.“
Es diirfte wohl Lrypre (42) 1853 der erste gewesen sein,
welcher zeigte, da’ die Knochenhille auf Grund mikro-
skopischer Untersuchungen als verknicherte aiufere
Bindegewebsschicht der Schwimmblase, die mit den
Querfortsatzen verwachsen ist, aufgefakt werden mus. —
Da’ die bindegewebige Membran der Schwimmblase verkniéchern
kann wie irgend ein anderes Bindegewebe, ist nichts Auferordent-
liches; aber wo nun die Verknécherung so ziemlich den _ iiber-
wiegenden Teil der Schwimmblasenoberflache einnimmt, in der Weise,
daf auch noch zweifelsohne wirkliche Skelettstiicke adhirierende
Bestandteile der Verknécherung bilden, da reicht auch fiir uns die
makroskopische Betrachtung nicht mehr aus, und wir sind ge-
zwengen, histologische Studien aufzunehmen, wenn wir iiber den
Bildungsvorgang der Knochenkapsel ins Klare kommen wollen;
denn es ist in der That schwer zu konstatieren, was von der Ver-
knécherung der Schwimmblase herriihrt und was von den urspriing-
lichen Skeletteilen, sowie es sich um eine Verschmelzung beider
handelt. Wir haben also namentlich jene Forscher zu_ beriick-
sichtigen, welche der Lésung dieser Fragen auf Grund _histo-
logischer Studien naiher zn kommen suchten. Da sind anfer Lurnie
vor allem zu nennen Prof. GrosseEn (29) 1875, gegenwartig in Wien
(durch dessen Giite ich in den Besitz der diesbeziiglichen Ab-
handlung gelangte), R. Wrieur (74, 75) 1884 und 1886 und der
schon so oft citierte danische Forscher Sérmnspn (63, 64) 1884 und
1890, dessen Arbeiten tiberhaupt wirklich eine solche Fille kor-
rekter und neuer Gesichtspunkte bieten, daf man staunen muf iiber
den Scharfsinn und Fleif, den dieser Forscher entwickelt. Und es
ist nur zu bedauern, dai dessen Forschungsresultate gerade heute
noch nicht von den modernen deutschen Zoologen in gebiihrender
Weise beriicksichtigt wurden, was wohl in Zusammenhang zu
bringen ist mit der Schwierigkeit des Umstandes, die dianische
Sprache zu interpretieren. — Wir wollen auf die niheren histo-
logischen Details an dieser Stelle noch nicht eintreten, sondern uns
vorerst mit der Beschreibung der Gestalt von Schwimmblase und
Knochenkapsel beschiftigen und auch noch vorher mit der Lisung
des Problems, wie eine solch ungemein eigenartige Form der
Schwimmblase (bezw. der Knochenkapsel) zustande kommen konnte.
40 Leopold Bloch,
Die Schwimmblase erweckt namentlich bei der Prifung von
der ventralen Seite den Eindruck eines paarigen Organes, denn
sie setzt sich zusammen aus 2 blaischenférmigen Sackchen, von
denen jedes je auf einer Seite der Wirbelsiule gelegen und so-
zusagen vollstindig in die Knochenkapsel eingeschlossen ist (Figg. 3,
4, 5, 6). Unter dem zweiten (falschen) Wirbel sind die Kapsel-
halften durch eine zerkliiftete Knochenlamelle (Fig. 5 knl) ver-
bunden. Ferner kommunizieren beide miteinander durch einen
engen knéchernen Kanal, der unter dem vierten (wahren) Wirbel
liegt (Figg. 3, 4, 5, 6, 7 ck). Dieser steht mit dem vierten
(wahren) Wirbelkérper in keiner Verbindung. Wie schon oben
angedeutet, giebt die knécherne Umhiillung die Form ihrer ein-
und allseitiggeschlossenen Schwimmblase wieder, sodaf also auch
der quere knécherne Verbindungskanal im Innern durch einen
membranésen ausgekleidet ist. Der Querdurchmesser der Knochen-
kapsel erreicht eine Linge von 6—7 mm, d. h. es ist dies die
Breitendimension des Schiidels in der Occipitalregion; der Lings-
durchmesser ist nur 4 mm, so daf das ganze Organ eine Knochen-
masse darstellt, die in die Breite ausgezogen ist. Es sei hier
noch ausdriicklich hervorgehoben, da, wenn man sich hinreichend
Zeit gonnt, trotz der Kleinheit bei einiger Uebung die Morphologie
der gesamten Organisationsverhaltnisse zur Beobachtung gebracht
werden kann.
Die Knochenkapsel besitzt zwei paarige Oeffnungen
und eine vergleichend-anatomisch auferst wichtige unpaare.
Die eine paarige Oeffnung, die laterale, haben wir schon zu
Anfang unserer Abhandlung kennen gelernt, den Introitus capsulae
vesicae (Hasse) (Figg. 1, 2, 3, 4, 6 i.cv.), die, oval mit aufge-
worfenen Randern, unmittelbar unter der auSeren Koérperhaut liegt
und eine Gesamtlinge von 2'/,—3 mm besitzt. Dieser Introitus
capsulae vesicae hat im ferneren noch die Kigentiimlichkeit, durch
eine sehr schmale Scheidewand oder, besser gesagt, Saule (Fig. 2)
in zwei ungleich groBe Abschnitte getrennt zu werden. — Die
zweiten paarigen, medianwarts gelegenen, umgekehrt herz-
formigen Oeffnungen der Kapsel von ca. 1 mm Linge legen zu
beiden Seiten der Kérper II (falsch) und IV (Fig. 7, Kapsel auf-
gebrochen, von der Seite gesehen) und erméglichen eine Beziehung
zwischen Schwimmblase und endolymphatischem Apparate ver-
mittelst der WEBER’schen Knéchelchen. Die distalen verbreiterten
Enden der Mallei sind an diesen, durch die Schwimmblasenhaute
verschlossenen Oeffnungen direkt an die Schwimmblase festgeheftet.
Schwimmblase, Knochenkapsel etc. von Nemachilus barbatulusG. 41
Die Oeffnungen lassen in der Tiefe, wenn die Schwimmblase weg-
maceriert ist, bei genauer Betrachtung aufer dem Malleus noch
den Kérper II (falsch) und IV erkennen. — Nun kame die fiinfte
namhaft zu machende kreisrunde unpaare Oeffnung. Diese
kann an der Oberfliche des oben erwihnten Querkanales (Fig. 5 2s)
gefunden werden, was indessen an Macerationspraparaten schwer
halt, und dies einfach aus dem Grunde, weil (wie Fig. 5 nament-
lich zeigt) dieser knécherne quere Verbindungskanal aufer dieser
vergleichend-anatomisch wichtigen, von ca. '/, mm Durchmesser,
noch eine Menge anderer Oeffnungen von derselben Gré8e besitzt.
Uns soll jedoch speciell diese fiinfte unpaare Oeffnung noch weiter
beschaftigen, denn sie bietet die Handhabe zur Erklarung der
Form und zur Homologisierung der Nemachilus-Schwimmblase mit
denen normaler Cyprinoiden. Und letztere Fragen wollen wir nun
behandeln.
Da zweifellos primiér an der Gestalt der Knochenkapsel
nicht die Skeletteile der Wirbelsiule schuld sind, sondern
die ganzliche Umegestaltung des Baues der unverknécherten
Schwimmblase, so miissen wir die letztere und auch die Gestalt
der knéchernen Umhiillung in natiirlicher Weise zuriickfiihren
kénnen auf jenen Schwimmblasentypus, welcher betrachtet werden
muf als die Ausgangsform, d. i. eine Schwimmblase der Vorfahren
der Cobitiden, welche unbestreitbar eine entsprechende Gestalt
gehabt haben muf wie jene, die wir noch heutzutage in der
Regel bei den normalen Cyprinoiden finden. Als Grund der teil-
weisen Reduktion der Cobitidenschwimmblase miissen wir die
Lebensweise der Cobitiden verantwortlich machen. — Die ,normale
Cyprinoidenschwimmblase“ besteht bei den meisten Cy-
prinoiden (SAGEMEHL, 57, S. 11—12; Cornina, 11) aus zwei
hintereinanderliegenden Abschnitten, welche unter sich durch einen
engen, kurzen Gang (Isthmus) miteinander kommunizieren. Der
vordere Abschnitt ist sackformig; vom hinteren birnformigen
zweigt sich der schon friiher erwahnte offene Ductus pneumaticus
(Luftgang) ab und zwar von der unteren vorderen Flache (vergl.
schematische Textfigur 11, 8. 47 dieser Abhandlung). Oder mit
anderen Worten: bei den Cyprinoiden ist der hintere Schwimmblasen-
abschnitt als eine unmittelbare Fortsetzung oder Erweiterung des
~Ductus pneum., d. h. als wahre Schwimmblase aufzufassen,
waihrend der vordere Sack ein Diverticulum (Abschniirung)
des hinteren ist (SORENSEN, 64, S. 521). — In Bezug auf die
Anheftungsweise des Diverticulums und die Form der Ossa_sus-
pensoria vesicae natatoriae (Proc. transv. IV) sei bemerkt, da
42 Leopold Bloch,
letztere bei den Cyprinoiden durch kurze, dicke, zugespitzte
Fortsatze in Gruben beiderseits des (wahren) vierten Wirbelkérpers
eingesenkt sind. Die Ossa suspens. besitzen zwei Teile: einen
aiuferen, welcher sich aufen um den Malleus legt und bei den
Cyprinoiden zu einem rippenihnlichen Fortsatz verlingert ist, und
einen inneren, welcher die Form einer Platte hat‘), die meist
mit jener der anderen Seite in der Medianlinie unterhalb des
Wirbels zusammenstoft, wodurch sich zwischen den Platten und
dem Wirbelkérper ein Kanal bildet, in dem Aorta und Nieren
liegen. Die inneren Platten, deren Stellung verschieden sein
kann, sind als Verknécherungen der auferen Schwimmblasen-
membran aufzufassen (SORENSEN u. a.), in diesem Falle speciell
der Haute des Diverticulums, denn nur die obere, vordere Wandung
des Letzteren ist mit den Befestigungsplatten verschmolzen. —
Bei den meisten Cobitidenschwimmblasen ist der hintere
Sack, d. h. das Homologon der wahren Cyprinoidenschwimmblase,
reduziert, selbst oft so sehr, da’ man makroskopisch nichts mehr
von ihm nachweisen kann. Dessen vollstiindige Reduktion scheint
in der That gerade bei Nem. barb. eingetreten zu sein, denn man
kann makroskopisch keinen hinteren Schwimmblasenabschnitt ent-
decken, und es ist das, was wir bei Nem. barb. als Schwimmblase
bezeichnen, nur der dem Diverticulum der normalen Cyprinoiden-
schwimmblase homologe Teil. Dal dem so ist, werden wir spater
(vergl. Histologie von Schwimmblase und Knochenkapsel) an der
Hand histologischer Praparate, durch die Anwesenheit eines Ru-
dimentes des hinteren Schwimmblasenabschnittes zu konstatieren
fahig sein. Auf welche Weise erlangte indessen dieses bei
den normalen Cyprinoiden sackférmige Diverticulum eine Form,
die den Eindruck erweckt, als ob man es mit einem paarigen
Organ zu thun hatte? Wir wissen jetzt, da’ bei den normalen
Cyprinoiden das Schwimmblasendiverticulum mit seiner vorderen
oberen Seite an die Ossa suspensoria (Proc. transv. IV) angeheftet
ist. Bei den Siluroiden ist die Schwimmblase nicht nur an die
Proc. transv. IV festgeheftet, sondern es teilen letztere diese
Funktion mit denen nachfolgender Wirbel. Und es kann absolut
nicht als unbegreiflich erachtet werden, wenn die Proc. transv. IV
von Nem. barb. diese Funktion mit den Proc. transv. II teilen.
sei den normalen Cyprinoiden ist der Proc. transy. II bedeutend
ero und gerade abstehend. Er steht jedoch mit der Schwimm-
1) Wueer, Fig. 5; Hassr, Fig. 2, Taf. XXVITI.
Schwimmblase, Knochenkapsel etc. von Nemachilus barbatulusG. 43
blase in gar keinem Zusammenhang; anders nun eben der Proc.
transv. If von Nem. barb. Dessen Schwimmblase (speciell das
Diverticulum) wurde nach vorwirts geschoben, allein da sie an
die Proc. transy. IV schon festgeheftet war, so fand sie bei der
Pressung von hinten nach vorn an denselben einen Widerstand.
Dieser auferte sich auf die Schwimmblase blof8’ im Umkreise der
Anheftungsstellen, nicht aber auf die mehr lateralwarts gelegenen
Partien. Diese vermochten sich ungehemmt nach vorwiirts zu be-
wegen, bis sie mit den seitlich abstehenden Proc. transv. If zu-
Fig. 3. Fig. 4. Fig. 5.
Fig. 3—5. Schematische Darstellung der Umbildung einer
normalen Cyprinoidenschwimmblasenform bis zur modifizier-
ten von Nem. barb. (Ventralansicht). Os suspensorium unsichtbar; Ductus
pneum. nicht eingezeichnet; * = Punctum fixum,
sammenstiefen. Das friiher offenbar sackformige Diverticulum
(die jetzige Nemachilus-Schwimmblase) hat bei der gleichzeitigen
Reduktion des hinteren Abschnittes, d. h. der wahren Schwimm-
blase eine sekundire Paarigkeit erlangt, indem auf die oben an-
gedeutete Weise eine mittlere Einbuchtung entstand, die sich bei
Nem. barb. zu einem relativ engen Querkanal verschmialerte. Erst
nachdem die Schwimmblase (genau gesagt das Diverticulum) ihre
definitive Form erlangt hatte, muf sich die Kinkapselung vollzogen
44 Leopold Bloch,
haben. Und jetzt wissen wir auch, welche vergleichend-anatomisch
wichtige Bewandtnis jene fiinfte unpaare Oeffnung (is Fig. 5)
der Knochenkapsel hat. Der Rand dieser Oeffnung umgrenzt den
Isthmus, d. h. dessen Homologon, in dessen Nahe wir also ein
eventuell vorkommendes Rudiment des hinteren Schwimmblasen-
abschnittes (die wahre Cyprinoidenschwimmblase) zu suchen hitten
und von wo auch der atrophierte Ductus pneum. sich abzweigen
sollte. Eine nicht zu unterschatzende Thatsache, die der Er-
wihnung wert ist, bildet ein Befund (von SORENSEN, 63) an Nem.
Strauchii. Ich meine das schon friiher erwihnte Vorhandensein
eines offenen Duct. pneum. an einer Form, welche ungefahr als
Typus 2 unserer schematischen Darstellung der Umbildung einer
normalen Cyprinoidenschwimmblase gelten kann, was den hinteren
Abschnitt, d. h. die reduzierte (wahre) Schwimmblase anbetrifft.
Dort ist der ,,I[sthmus‘S in einen feinen langen Kanal umgewandelt,
und der Duct. pneum. miindet in die schon reduzierte hintere
Abteilung in der Weise, da8 letztere sich hier noch
als direkte Fortsetzung des Luftganges, d. h. als
wahre Schwimmblase zeigt. Wie Nem. Strauchii in Bezug
auf letztere als Zwischenform zwischen der normalen Cyprinoiden-
schwimmblase und derjenigen von Nem. barb. gelten kann, so
zeigt sich auch die Schwimmblase von Nem. Strauchii als ver-
mittelnde Form in Bezug auf den Duct. pneum., indem dieser noch
offen ist, derjenige von Nem. barb. dagegen nicht mehr (vergl.
Histologie). — Die eigenartige Form der Schwimmblase von
Nem. barb. ist, um zu rekapitulieren, im wesentlichen auf zwei
Momente zurtickzuftihren: erstens auf die Reduktion
der Schwimmblase, namentlich des dem hinteren Abschnitt
der Cyprinoidenschwimmblase homologen Teiles,
und zweitens auf die Anheftung des dem Diverticulum
der normalen Cyprinoidenschwimmblase homologen Teiles nicht
nur an den Proc. transv. IV (Ossa susp.), sondern auch zu-
gleich an den Proce. transv. II.
Nachdem wir die Bildungsweise der Schwimmblasenform von
Nem. barb. erklairt haben, kehren wir wieder zuriick zu der
Beschreibung der Knochenkapsel. Was die mit ihr verschmolzenen
Wirbelelemente betrifft, nimlich Proc. transy. IL und IV, so labt
sich fir die Processus .ttransversi II (Figg. 2, 4, 6 pt IZ)
einmal sagen, daf sie das Aussehen von Querfortsitzen beinahe
ganzlich verloren haben, indem sie fast auf ihrer ganzen Aus-
dehnung mit der Knochenkapsel verschmolzen sind. Nur ihre
Schwimmblase, Knochenkapsel etc. von Nemachilus barbatulus G. 45
distalen Enden, die ein wenig caudalwirts umgebogen sind, sind
frei und iiberlagern die dorsale Kapselwandung'‘) (Fig. 2, 4, 6).
Ihre Umrisse als Proc. transv. sind am besten von vorn betrachtet
wahrzunehmen (Fig. 6.) — Was die Form der Processus trans-
versi IV (Ossa suspens.) anbelangt, so haben sie ihre fiir die
Cyprinoiden beschriebene typische Form giinzlich verloren. Wohl
sind sie noch, gleich wie die Basalstiimpfe der Rippen diskret
entwickelt sind, nicht nahtlos verschmolzen mit dem Korper IV,
allein mit der Knochenkapsel sind sie so innig verbunden, daf
bei der Betrachtung derselben von aufen und von innen die Form
derselben unkenntlich ist. Eine Naht im Innern (Fig. 7) laSt wohl
vermuten, da’ hier ein fremder Teil mit der Knochenkapsel ver-
schmolzen ist. An jener von Misgurnus (Cob.) fossilis findet sich
jederseits vorn auf der Unterseite der Kapsel ein ,,Apex processus
iransversi vertebrae tertiae“ [WrBER| (sive quartae, weil ja der
zweite ein falscher ist), welcher auch von GROBBEN (29), SORENSEN
(63), JAquET (40), Jacoss (39), und anderen gesehen wurde. Kin
solcher findet sich bei Nem. barb. absolut nicht. Dies nur zur
Berichtigung der gegenteiligen Annahme von Prof. GroppBen.
Bei der Betrachtung der Knochenkapsel von au8en
gewahrt man auf einem grofen Teil ihrer Ausdehnung von freiem
Auge schon, da8 sie gleichsam siebférmig durchstochen ist.
Die meist rundlichen Liicken nehmen nach hinten an Grofe zu,
so daf diese knécherne Umhiillung bei der Betrachtung von der
caudalen Seite (Fig 3) dicht von Liticken besetzt ist, die eine
relativ betrichtliche GréBe erreichen und dort auch oft lang-
gestreckt, herzfirmig, ellipsoidisch etc. sein kénnen. Auf der
nimlichen Seite der Knochenkapsel gewahrt man als Fortsetzung
der groBen lateralen Oeffnung (des Introitus caps. ves., Fig. 3 g/l)
eine Linie, welche die dorsale Kapselwandung, d.h. die Decke
der paarigen Kapsel und des Querkanales vom Boden trennt.
Letzterer ist, namentlich von der Seite betrachtet (Fig. 2), starker
konvex als die Decke. Die Trennungslinie kann so sehr ausge-
pragt sein, daf sie gestattet, durch Spalten, die sie da und dort
aufweist, ins Innere der Kapsel zu blicken. Auer dieser Linie,
welche wir als Querlinie bezeichnen wollen, findet man auf
1) Ob die distalen Enden als urspriingliche Rippenenden zu
deuten sind, ist man am erwachsenen Tier nicht zu entscheiden
imstande. Bei Gymnotiden soll das untere Bogensystem II, das
resprasentiert wird durch Pr. tr., noch kleine Rippen tragen.
46 Leopold Bloch,
der auferen und inneren Oberfliche der Kapsel noch 2 weitere
Linienpaare. Das eine Paar (Fig. 4 olp) befindet sich im vorderen
Drittel der Kapseldecke, das andere im vorderen Drittel des
Kapselbodens (Fig. 5 uly) Diese Trennungslinien, welche auf-
fallende Aehnlichkeit mit den Suturen des Craniums_besitzen,
weisen darauf hin, dal’ die Verknécherung der Kapsel nicht im
Bereich ihrer ganzen Oberfliche gleichzeitig stattgefunden haben
kann. Auch die verschiedene Dicke der Kapselwandung bestarkt
diese Ansicht. Die Ossifikation wird wohl von jenen Stellen aus-
gegangen sein, wo die in Frage kommenden noch unverknécherten
Haute der Schwimmblase sich an die mit der Knochenkapsel
verschmolzenen Wirbelelemente festgeheftet haben.
6. Histologie von Schwimmblase und Knochenkapsel.
Khe wir auf das eigentliche Thema eintreten, wird es
am Platze sein, einige allgemeine Gesichtspunkte vorauszu-
schicken. — Wir wis-
Frocessus spinosus. gen, da die Schwimm-
Neuralrohr blase aufzufassen ist
Meurcdlboge Bi
cpyps dvtorae als Ausstiilpung des
asals ti £
Dee. se edt Darmrohres, ferner dak
ane ase. sie stets retroperito-
Pl pp. neal, dorsalwarts im
PLA, Leibesraum liegt zwi-
SS - Aorta und Urogenital-
SE huyype apparat) und Darm-
¢_|+— PA kanal. (WIEDERSH., 71,
S. 316); ferner ist be-
kannt geworden (S6-
RENSEN, 63, 8S. 107),
daf die Schwimmblase
umgeben ist von einer
Fig. 6. (Figurenerklirung s. S. 47.) serdsen Bekleidung,
der Pleura. Diese
besteht aus zwei Bliittern, von denen das innere (viscerale) sich
genau an die Schwimmblase anlegt, wiihrend das iuSere (pari-
a ale schen Wirbelsiule (resp.
Schwimmblase, Knochenkapsel etc. von Nemachilus barbatulus G. 47
etale) Blatt.die Wandung des Raumes, worin die Schwimmblase
liegt, bekleidet und auf seiner ventralen Flache mit der Riicken-
flache des eigentlichen parietalen Blattes des Peritoneums ginzlich
verschmolzen ist. (Die Verhiltnisse sind z. B. beim Barsch, der
Forelle etc. besser zu eruieren als bei den Cyprinoiden.) Wir
kénnen die in den unten schematisch gehaltenen Figuren darge-
stellte retroperitoneale Verlagerung der Schwimmblase bei deren
Entwickelung als die augenscheinlich richtige annehmen ‘),
Fig. 7—12. D. Darm; v. Vesica nat. (wahre Schwimmblase); D7. Di-
verticulum der v.; d, p. Ductus pneumaticus; A. Ampulle des d. p.;
P. Peritoneum; Ph, Peritonealhéhle; Pl.v. viscerales Blatt der Pleura; Pi.h.
Pleurahéhle; Pl.p. parietales Blatt der Pleura.
1) Es ist mir leider nicht gelungen, eine einschligige Arbeit
kennen zu lernen, welche die oben angenommene Genese in Bezug
auf die Pleuralverhaltnisse bekriftigt hatte. Ich behalte mir vor,
in einer spateren Arbeit auf eine sichere Bestitigung aller im
histologischen Kapitel aufgestellten Gesichtspunkte, sowie auch auf
den Versuch einer zweifellos richtigen Interpretation der Claustra
zuriickzukommen,
48 Leopold Bloch,
Nun ist die Knochenkapsel, streng genommen, nicht aufzufassen
als eine Verknécherung von bindegewebigen Schwimmblasen-
membranen, wie wir uns friiher einfachheitshalber ausdriickten,
sondern als eine Verknécherung der Pleura und sehr
wahrscheinlich blofS deren parietalem Blatte. — Die Schnitte
durch Knochenkapsel und Schwimmblase, welche normal zur
Liingsachse des Korpers gefiihrt wurden, ergeben uns, von aufen
nach innen verfolgt, Strukturverhaltnisse, die sich im wesentlichen
mit den von anderen Forschern fiir Nem. barb. beschriebenen
decken.
Die bei Lupenbetrachtung wie siebférmig durchstochene
Knochenkapsel stellt sich im Schnitte folgendermafen dar. Die
Locher der Knochenkapsel (Taf. 15, Fig. 11 Z) sind von Bindegewebe
ausgefillt. Die Kapselmasse selbst erscheint im Schnitt als durch
die Kapsellécher getrennte Knochenbalken (itn. b.). Das Binde-
gewebe der Liicken tiberzieht auch die Balken. Daf die Knochen-
kapsel das verknécherte Bindegewebe ist, davon kann man sich,
wie GROBBEN (8. 5) sehr schén gezeigt hat (und was ich bestiatigen
kann), insofern tiberzeugen, als sich namentlich an Flachenschnitt-
priparaten alle Uebergange von der einfachen Bindegewebszelle
bis zum Knochenkoérperchen auffinden lassen. Auf diese ver-
knécherte Bindegewebsschicht folgen nach innen zwei weitere
bindegewebige Haute, von denen die auBere (Ze) weif und atlas-
glanzend, die innere (72) blaulichweifi ist. — Die iuBere Haut
(Tunica externa) besteht wiederum aus zwei ungefahr gleichmachtigen
Schichten, einer dem Schwimmblasenlumen abgekehrten auferen,
welche aus normal zur K6rperachse verlaufenden stra ffen, bisweilen
geknickten Bindegewebsfasern besteht, welche Schicht wohl dem
visceralen Blatte der Pleura entsprechen diirfte, und einer ihr
eng anliegenden inneren, deren starre Fasern im grofen
ganzen eher in der Richtung zur Koérperachse verlaufen. Diese
einzelnen Schichten sind umzogen von Membranen, die aus kern-
losen, breiten Fasern bestehen, was namentlich an Schnittenden,
sehr gut zu beobachten ist (GropBEN, 5. 5 ibid.). Flachenpra-
parate dieser beiden Schichten ergeben sich kreuzende Faserziige.
Bei hoher Einstellung des Tubus gewahrt man Fasern, die an-
nihernd parallel verlaufen, bei tiefer Kinstellung ebensolche parallel
verlaufende Fasern, deren Richtung jene, die bei hoher Einstellung
zu Gesichte kamen, ungefihr rechtwinklig kreuzen. — Die innere
bliulichweife Haut (Tunica interna Z%) besteht aus lockigem
Bindegewebe. Dasselbe unterscheidet sich von gewdéhnlichem,
Schwimmblase, Knochenkapsel etc. von Nemachilus barbatulus G. 49
fibrillarem auf keine Weise. In diesem konnte ich sparlich Blut-
gefiiBe (Gr) konstatiren. Die Fasern liegen in normalem Zustande
dicht beisammen, und man ist imstande, eine grofe Anzahl dinner
Faserkerne (#%) zu beobachten. Daf diese innere bliulichweibe
Haut ihrerseits ebenfalls aus zwei sich rechtwinklig kreuzenden
Schichten besteht, konnte ich nicht feststellen. Wohl giebt uns
Jacoss (39), Taf. IX. Fig. 7 fiir Cob. (Misgurn.) fossilis in Bezug
auf diese innere Haut ein Bild, das zu einer solchen Vermutung
fiir Nem. barb. fiihren kénnte, allein es ist Grund zu der Annahme
vorhanden, daf Jacops bei der Herstellung von Flichenpraparaten
die innere Haut mit der Tunica externa verwechselte, denn es
pawt nicht nur seine Abbildung, sondern auch seine tibrige Be-
schreibung (S. 402/3) nicht fiir diese, dagegen wohl fiir jene, wenn
man die Befunde an Cob. (Misg.) fossilis auf Nem. barb. tibertrigt.
Auch stehen die hierauf beziiglichen Angaben JAcoss’ an Cob. (M.)
fossilis in Widerspruch mit jenen von GropBEN, welch letzterer fiir
die Tunica externa auch bei Misg. (Cob) foss. 2 Schichten
feststellt, nicht aber fiir die innere Schwimmblasenhaut. — Der
Binnenraum der Schwimmblase von Nem. barb. ist mit einer diinnen
Lage einfachen Plattenepithels ausgekleidet (Hp), welches
yon JAcoBs (39), GROBBEN (29) ebenfalls konstatiert wurde, nicht
aber von JAQuET. — Ueber den Ductus pneumaticus und
das Rudiment der hinteren reducirten wahren Cyprinoiden-
schwimmblase schreibt Jaquet p. 440, der einzige mir be-
kannte Forscher, der, Nem. barb. betreffend, hieriiber auf Grund
mikroskopischer Schnittpraiparate sich aufert:
Du sommet du canal de réunion des deux cavités des vessies
membraneuses se détache un cordon plein se dirigeant en arriére;
il sort par une fente du pont osseux pour se rendre 4 un organe
sphérique, la vésicule qui ne mesure qu'un cinquieme de millimétre.
Elle est donc a l’extérieur de la vessie noyée dans du tissu con-
jonctif lache renferment de nombreux yaisseaux sanguins. Les
parois de la vésicule sont trés épaisses, formées de deux strates
fibreux concentriques nettement distincts; Vintérieur forme une
petite cavité close de toute part. A la face ventrale de la vésicule
est suspendue une tige creuse qui descend sur la face dorsale du
tube digestif et se soude 4 ses parois. Le canal interne s’oblitére
aux deux extrémités de cette tige, de sorte qu’elle n’entre en
communication ni avec |’ intérieur de la vésicule, ni avec 1 ’intérieur
du tube digestif.“
Um die Angaben Jaquet’s bestitigen zu kénnen, fertigte ich
mir Lingsschnitte an, welche den ,,Querkanal‘ (ck Fig. 5) quer durch-
schnitten. Nun muf ich allerdings gestehen, daf meine Priparate
Bd, XXXIV. N. F. XXVIL. 4
5O Leopold Bloch,
nicht, wie gewiinscht, tadellos waren (was mit der Schwierigkeit des
Entkalkens in Zusammenhang zu bringen ist), aus welchem Grunde
ich auf eine Abbildung dieser Verhialtnisse verzichtete. Auf alle
Fiille konnte ich aber konstatieren, dafi der Ductus pneumaticus
nicht auf dem geraden, kiirzesten Wege zum ,,Querkanal“ zieht,
sondern vorerst, wie JAQuET richtig angiebt!, sich caudalwarts
wendet, um sich zu einem blaschenformigen Gebilde (Homologon
der wahren Cyprinoidenschwimmblase) zu begeben. Erst von diesem
aus zieht ein, wie mir scheint, solider Strang zum ,Querkanal“
der Schwimmblase. Der Ductus pneumaticus, welcher sich bei
den normalen Cyprinoiden als wegsamer Kanal hinter dem Isth-
mus einfach zum hinteren Schwimmblasensack erweitert, miindet,
auch wenn er zu einem soliden bindegewebigen Strang obliterirt
ist, bei den Cobitiden nicht etwa direkt in das Diverticulum,
sondern in das Rudiment der wahren Schwimmblase (Nem. barb.)
oder in den Isthmus |[bezw. dessen Homologon (vergl.; Ja-
QuET (40), Fig. 6: Misgurnus fossilis; SORENSEN (64), 8. 121: Nem.
Strauchii Kessi]. Es ist im Vorhergegangenen ferner festgestellt
worden, dal’, was bei den Cobitiden am hiufigsten der Fall (vergl.
Dr. Herzenstrein), daf naimlich der vordere Schwimmblasensack
(Diverticulum) eingekapselt, der hintere (die wahre Schwimmblase)
rudimentar, auch fiir Nem. barb. giltig ist.
7. Zusammenfassung.
1) Der erste Wirbelkérper tragt jederseits einen
queren Fortsatz, Processus transversus + ver-
knéchertes Ligament, welcher entgegen JAQuET’s (40) An-
gaben also keine Rippe und auch nicht mit der Knochenkapsel
vereinigt ist.
2) Dafi der zweite (falsche) Wirbel hervorgegangen
ist aus der Verschmelzung des (wahren) zweiten und
dritten Wirbels, konnte bei einem Praparat schon bei Lupen-
vergréferung mit Sicherheit festgestellt werden.
3) Die Knochenkapsel, in welcher die Schwimmblase ein-
geschlossen ist, steht in Verbindung mit dem zweiten
(falschen) und vierten (wahren) Wirbel.
Schwimmblase, Knochenkapsel etc. von Nemachilus barbatulus G. 51
4) Die Knochenkapsel besitzt fiinf Oeffnungen;
zwei laterale (icv Figg. 1, 2, 3, 4 und 6), zwei mediane
(Fig. 7, Taf. 15) und eine unpaare (is Fig. 5), welche auf dem
knéchernen Querkanal (ck Figg. 3, 4, 5, 6, 7) gelegen ist.
5) Der Rand der fiinften unpaaren Oeffnung umerenzt
das Homologon des Isthmus (Isthmus gleich Kommuni-
kationsgang zwischen Diverticulum und wahrer Schwimmblase
[vergl. auch 8. 41 ff.]).
6) Es entspricht also die in die Knochenkapsel
eingeschlossene Blase nicht einer wahren Schwimmblase,
sondern nur dem dem paarig gewordenen Diverticulum
der normalen Cyprinoidenschwimmblase homologen Teile (vergl.
Textfiguren 8. 43 und 47).
7) Bei den Cobitiden ist der hintere Sack, d.h. das
Homologon der wahren Cyprinoidenschwimmblase
reduziert, selbst oft so sehr (Nem. barb.), da8 man makro-
skopisch nichts von ihm nacbweisen kann (Textfiguren S. 43 und 47).
8) An mikroskopischen Schnittpraparaten ist ein Ru-
diment des der wahren Cyprinoidenschwimmblase homologen
Teiles zu finden in der Nahe der finften unpaaren Oetinung
der Knochenkapsel.
9) Die eigenartige Form der Schwimmblase von Nem.
barb. ist wesentlich auf zwei Momente zuriickfiihrbar: erstens auf
die Reduktion der Schwimmblase, namentlich des dem _ hinteren
Abschnitt der Cyprinoidenschwimmblase homologen Teiles, und
zweitens auf die Anheftung des dem Diverticulum der normalen
Cyprinoidenschwimmblase homologen Teiles nicht nur an den
Proc. transv. IV (Ossa suspensoria: SORENSEN), sondern auch zu-
gleich an den Proc. transy. II.
10) Die Knochenkapsel ist aufzufassen als eine Ver-
knécherung der Pleura und sehr wahrscheinlich blo& deren
parietalen Blattes (vergl. Figg. S. 47 und Fig. 11).
11) Die aukere, der (Innenflache der) Knochenkapsel an-
liegende Schwimmblasenhaut (Tunica externa) besteht aus zwei
ungefahr gleich machtigen Schichten, die sich aus straffen, bis-
weilen geknickten Bindegewebsfasern zusammensetzen: einer
auBeren, welche wohl dem visceralen Blatte der Pleura entsprechen
diirfte, und einer ihr eng anliegenden inneren (Fig. 11).
12) Die innere, bliulichweife Haut (Tunica interna) be-
steht aus lockigem Bindegewebe. Der Binnenraum der Schwimm-
4%
52 Leopold Bloch,
blase von Nem. barb. ist mit einer diinnen Lage einfachen Plat -
tenepithels ausgekleidet.
15) Die Cobitiden sind entgegen den irrtiimlichen An-
gaben JAQUET’S, die, soweit ich es beurteilen kann, nie widerleet
wurden, echte Physostomen.
14) Als Angehérige der ostariophysen Physostomenfamilie :
der Cyprinoiden, sind die Cobitiden und auch Nem. barb.
im Besitze eines Wes. Apparates.
15) Nach unserem Dafiirhalten sind die Claustra des
Wes. Apparates aufzufassen weder als umgewandelte Processus
spinosi (NusBaum, 49; SrporrAK, 60), noch als Proc. spin., mit
denen knorplige Reste verschmolzen sind, die homolog zu den
Intercalarbégen der Selachier (Wricut, 73, BripGe und Happon 6),
noch als Homologa der Ossa imparia des Acipenser (SORENSEN, 63),
sondern als Derivate homologer Knorpelstiicke, wie
sie von SCHEEL (58) bei den Salmoniden beschrieben
und auch interpretiert wurden (vergl. $8. 22—23 dieser
Abhandlung).
16) Bei Nem. barb. sind die Incudes des Wes. Apparates
gleich wie bei den iibrigen bis jetzt daraufhin untersuchten Co-
bitiden verknécherte Knépfchen in den Ligamenten,
die von den Stapedes (WxB.) zu den Mallei ziehen.
17) Die Mallei des Wes. Apparates besitzen eine Form,
welche mit der Malleusform von Misgurnus (Cob.) fossilis nicht
iibereinstimmt.
Technisches.
Fang. Die Grundel lebt im allgemeinen isoliert und scheint
vorzugsweise waihrend der Nacht auf Raub auszugehen. Wahrend
des Tages halt sie sich gern unter einem Steine verborgen auf.
Hebt man einen solchen behutsam hinweg, so bleibt sie gewoéhn-
lich unbeweglich liegen. Man fangt dann diesen kleinen Fisch,
indem man sachte ein kleines Handnetz (,,Feumer“) dicht vor den
Kopf plaziert und mit einem diinnen Stab das Tier am hinteren
K6rperteil beriihrt, worauf es, dessen Bewegungen sich ruckweise
vol]ziehen, in der Regel in das Netzchen hineinschieSt. — Die
Maceration von Alkoholpraparaten (!) wurde mit Eau de
Schwimmblase, Knochenkapsel etc. von Nemachilus barbatulusG. 53
Javelle vorgenommen. — Behufs Herstellung histologischer
Praiparate wurden Kopf- und Brustregion des Tieres fixiert und
entkalkt in MU uier’scher Fliissigkeit. Allein ehe ich die Stiicke
in diese legte, wurde die Koérperhaut tiber der seitlichen hautigen
Zone wegprapariert, mit einer feinen Lanzettnadel die Schwimm-
blasenhaut durchstochen und mit einer diinnen Kapillare Fixie-
rungsfitissigkeit in das Lumen der Schwimmblase hineingeblasen,
die Erhaltung des inneren Epithelbelages bezweckend. — F ar be-
mittel: BOumeEr’s, DELAFIELD’s Himatoxylin, Boraxkarmin, HAn-
SEN’s (31) Bindegewebsfarbemethode. —- Wenn man den ganzen
Kopf schneiden will, so empfiehlt es sich, die Augen auszustechen,
indem das Corpus vitr. glashart, infoleedessen zum Schneiden un-
geeignet wird. — Zur Einbettung bediente ich mich der ge-
wohnlichen Paraffineinbettungsmethode.
Nachtrag.
Nachdem die vorgedruckte Arbeit bereits vollendet war, ge-
langte ich in den Besitz des im Anat. Anzeiger No. 9 vom
29. Juli 1899 erschienenen Aufsatzes der Herren Prof. Dr. Jézer
Nuspaum und stud. phil. Szymon Srportak: Das anatomische
Verhiltnis zwischen dem Gehérorgane und der Schwimmblase
bei dem Schleimbeifer (Cobitis fossilis). Die Darlegungen der
beiden Autoren bilden eine wertvolle Erganzung der vorziiglichen
Arbeiten SGRENSEN’s (63), indessen in Bezug auf folgende Punkte
sehen wir uns veranlaft, den Herren Verfassern zu antworten:
1) Sie schreiben auf S. 211:
»Die Cobitiden waren aber. so viel uns bekannt ist, seit
Hasse (33) von Niemandem untersucht worden. OC. GrGENBAUR
(vergl. Anat. der Wirbeltiere, 1898) fiithrt in seinem Lehrbuche von
1898 nur die Siluroiden, Gymnotiden, Characiniden und Cyprinoiden
an als Fischfamilien, bei welchen die Werser’schen Verbindungs-
knéchelchen vorhanden sind, die Cobitiden erwihnt er gar nicht;
dasselbe finden wir bei WrepersHeim (Grundrif d. vergl. Anat. der
Wirbelt. 1898).“
Nun haben aber — aufer Jacoss (39), und Jaquet (40),
welche die Schwimmblase von Cobitiden einer niheren anatomischen
Untersuchung unterworfen haben, ohne allerdings mit einem Worte
zu erwihnen, da’ sie mit den WEeBER’schen Knéchelchen verbunden
54 Leopold Bloch,
sind — die Cobitiden, wie bekannt, noch folgende Forscher unter-
sucht: GRoBBEN (29), 1875 und SORENSEN (63), 1890. Namentlich
die Ausfiihrungen des Letztgenannten diirfen aber nicht aufer
acht gelassen werden. Uns will es ferner scheinen, da8 der
Vorwurf der Autoren, den sie gegen GEGENBAUR und WIEDERS-
HEIM erheben, die Cobitiden nicht erwahnt zu haben als solche,
die den Wes. Apparat besitzen, nicht gerechtfertigt ist, indem es
heute viele Forscher giebt, die die Cobitiden als anormale
Cyprinoiden betrachten.
2) Auf eben derselben Seite schreiben die Autoren:
»Die in der dorsoventralen Richtung abgeplatteten Rippen
(r Fig. 4) des ersten Wirbels sind stark nach oben gekriimmt und
mit ihren freien dorsalen Randern mit dem Processus spinosus des
ersten Wirbels, d. i. dem Claustrum (Wexser)!) vermittelst einer
bindegewebigen Membran (lig. Fig. 4) verbunden.“
Nun wissen wir aber, vergl. das auf 8. 7—8 dieser Abhand-
lung Bemerkte, daf die Rippe I bei Cobitiden und Cyprinoiden
gar nicht zur Ausbildung gelangt ist, sondern daf das verknécherte
Ligament, welches das Centrum des ersten Wirbels mit der Scapula
(CUVIER) verbindet an dessen Stelle getreten ist. Das, was die
Herren Autoren unter in ,,dorsoventraler Richtung abgeplatteter
Rippe des ersten Wirbels“ verstehen, ist offenbar nichts anderes
als der Teil der Aponeurose, welcher sich im Umkreis des grofen
Loches des Os occipitale tiber die Wes. Knéchelchen hin erstreckt,
welcher mit dem Ko6rper des ersten Wirbels verschmolzen ist,
jener Aponeurose, welche auch bei den normalen Cyprinoiden zu
finden ist. [Vergl. auch das von SORENSEN (63) S. 120/121 hier-
iiber Gesagte.] Uebrigens ist auch aus Fig. 4 (der Arbeit von Herrn
Prof. Nuss. und Sip.) ersichtlich, da das, was von den Autoren
als ,,(lig.): eine bandférmige Verbindung zwischen der Rippe (7)
und Claustrum“ bezeichnet wird, nichts anderes ist als der noch
nicht oder nicht verknécherte Abschnitt der Sehnenverknécherung
(yr der Fig. 4), welche mit dem Kérper des ersten Wirbels ver-
schmolzen ist.
3) Weiter unten auf S. 212 schreiben die Autoren:
»Der Bogen?) (a2 Fig. 4) samt dem Dornfortsatze des
zweiten Wirbels ist stark nach vorn verschoben, reicht bis zum
Hinterhauptsbeine und liegt oben den beiden Claustra an.“
1) Vergl. das unter Kapitel: Deutg. d. Claustra 8. 16 in unserer
Abhandlung Gesagte |
2) Im Original nicht in Sperrdruck.
Schwimmblase, Knochenkapsel etc. von Nemachilus barbatulusG. 55
Ks ist dieses Skelettstiick unserem unpaaren Schlufstiick (si IZ)
des zweiten Wirbels zu parallelisieren. Wir méchten auch jetzt
noch an unserer Auffassung (vergl. S. 16—28) festhalten, indem
der Arcus II bei den Cobitiden gar nicht oder jedenfalls nur
voriibergehend zur Ausbildung gelangt ist und an eine Ver-
schmelzung von Bogen II und Proc. spin. II in dem Sinne, wie
die Autoren anzunehmen scheinen, doch wohl nicht zu denken ist.
(Vergl. auch das unter 5 des Nachtrages Gesagte.)
4) Und §. 213:
»Die Rippen des zweiten Wirbels sind sehr gro8 und in ein
Paar fliigelformige Fortsitze umgestaltet, welche lings des gemein-
schaftlichen Kérpers des 2. und 3. Wirbels verlaufen und mit ihren
Caudalenden weit tiber die hintere Grenze dieser Wirbel ausragen.
Jede dieser Rippen besteht aus 2 Platten), von welchen die
obere vom Bogen!), die untere vom Kérper (r Fig. 5) den Ur-
sprung nimmt, wobei sie distal miteinander vereinigt sind und eine
groke Rippenhédhle jederseits umschliefen. Die obere Platte
ist besonders in ihrem hinteren Teile!) mit zahlreichen
gréBeren und kleineren rundlichen Oeffnungen versehen, die durch
eine bindegewebige Membran (!) verschlossen sind.“
Augenscheinlich entspricht die untere Platte der Rippe II,
dem, was wir bei Nem. barb. als Proc. transy. II, bezeichneten ;
allein was die Autoren als ,obere Platte der Rippe II‘ ansehen,
diirfte nichts anderes sein als ein Teilstiick der oben genannten
Aponeurose, nimlich derjenige Teil, welcher mit dem dritten
Wirbelbogen verschmilzt. Nach S6rensen (63) 8. 121 ist zu
konstatieren :
»den forbenede Aponeurose »Die verknécherte Aponeu-
falder i lige saa mange, ved smalle rose zerfallt in gleich viele,
Striber uforbenet Bindevaey ad- durch schmale Streifen unver-
skilte, Sykker, som der er faste knécherten Bindegewebes ge-
typiske Skeletstykker under den“ schiedene Stiicke, als sich feste
typische Skelettstiicke unter ihr
befinden.“
5) Ueber das im Ligamentum ossiculorum Weber. vorkommende
knécherne Knépfchen aufern sich die Herren Prof. Nussaum und
StporiAk folgendermafen :
»Diese kleine Verknécherung ist von Wrsrer und Hasse als
ein selbstandiger, dem ,Incus“ der Cyprinoiden entsprechender
Knochen gedeutet worden, was aber nach unserer Meinung unbe-
grindet ist. Beim Karpfen tragt der ,Incus“ zur Begrenzung der
1) Im Original nicht in Sperrdruck.
56 Leopold Bloch,
Riickenmarkshéhle bei und verbindet sich gelenkig mit dem 2.
Wirbelkérper.“
Wie schon friiher bemerkt, sind nach unserem Dafiirhalten
diese knéchernen Knoépfchen, streng genommen, nicht die Homo-
loga der Incudes normaler Cyprinoiden, jedoch sind sie als ein-
zig tibrig bleibende Reste der in embryonaler Lebenszeit ent-
wickelten oberen Bogen des 2. Wirbels, bezw. als deren Fortsatze
zu betrachten. (Vergl. das unter S. 36—37 dieser Abhandlung
Gesagte.)
6) Auf 8. 214 finden wir folgenden Passus:
»Der 4. Wirbel besitzt ebenfalls aus je 2 Platten zusammen-
gesetzte Rippen. Die obere Platte nimmt aus dem Bogen, die
untere aus dem Korper ihren Ursprung, und beide umschliefen eben-
falls eine geraumige Rippenhéhle, die mit den Rippenhdhlen der
vorderen Wirbel in offener Communication steht und wie diese
letzteren eine lymphatische, zihe, homogene Fliissigkeit enthilt.“
Da sich meine Untersuchungen in eingehender Weise nur auf
Nem. barb. erstreckten, und dort in dieser Hinsicht modifizierte
Befunde vorliegen, so mu ich den Auseinandersetzungen der
Herren Autoren unter Zuhilfenahme der SORENSEN’schen Arbeit ent-.
gegnen. SORENSEN halt die ,,obere Platte der Rippe des 4. Wirbels‘
(Nuss. und Sip.) als das hinterste Stiick der Aponeurose (8. 121),
ee dae ,som smelter sammen ...., Welches mit dem
med den forreste Deel af 4de
Hvirvels Bue og derfra straekker
sig ned paa Os suspensorium, .
Und auf 8S. 120:
»Det paa denne Maade af-
graendsede Rum, som saaledes
indeslutter de Weberske Knogler,
staaer gjennem den omtalte store
Aabning i Occipitale laterale i
Forbindelse med Craniets Huul-
hed og er fyldt med det samme
Vaev (Perilymfe) som denne.“
7) Es scheint fast, daB die
vordersten Teil des 4. Wirbel-
bogens verschmilzt und von diesem
sich nach unten auf das Os sus-
pensorium (Proc. transv. IV) er-
Streckt, << 4.5"
»Der auf diese Weise ab-
gegrenzte Raum, welcher so die
Wes. Kn. einschlieft, steht durch
die erwihnte grofe Oeffnung im
os occipitale in Verbindung mit
der Héhlung des Cranium und
ist erfillt mit der gleichen
Flissigkeit (Perilymphe) wie
diese. “
Autoren die Knochenkapsel als
ausschlieBliches Gebilde der Rippen und Wirbelkérper betrachten,
wenn sie auf S.
215 sich aufern,
wie folet:
Schwimmblase, Knochenkapsel etc. von Nemachilus barbatulus G, 57
»Die Knochenkapsel ist also zugleich ein Product der Rippen
und teilweise des Kérpers des 4. Wirbels, worauf weder WesEr,
noch Hasse und neulich Jacogs, welche eine genaue Beschreibung
der Form und des Baues der Kapsel lieferten, die Aufmerksamkeit
gelenkt haben.“
Es diirfte indessen unter Beriicksichtigung der Arbeiten Lry-
pia’s (42), GRroBBeN’s (29), Wricut’s (74, 75), SGRENSEN’s (63)
und unserer Kapitel: Morphol. und Histol. d. Knochenkapsel als
feststehend betrachtet werden, daf auch die verknéchernden
,schwimmblasenhaute (Pleura) am Aufbau der Kapsel sich be-
teiligten.
8) Die Vermutung, die wir auf S. 49 unserer Abhandlung
ausgesprochen haben, da Jacosps bei der Schilderung der
Schwimmblasenhiute die innere mit der auBeren verwechselte, hat
sich durch die Beschreibung, welche die Herren Prof. Nuspaum
und Srportak auf 8. 222 lieferten, voll und ganz bestatigt.
58 Leopold Bloch,
Verzeichnis der angefiihrten Werke.
1) Anonymus, Wes. Apparat von Cyprinus brama. Oxsn’s Isis,
Jahrg, 1821, Heft 3, Taf. 4, S. 272—277.
2) Bawr, K. E., Untersuchungen iiber die Entwickelungsgeschichte
der Fische, nebst einem Anhang iiber die Schwimmblase,
Leipzig 1835.
3) Braupenot, M, E., De la détermination des piéces osseuses qui
se trouvent en rapport avec les premiéres vertebres chez les
Cyprins les Loches et les Silures, in: Comptes rendus de l’Acad.
d. Sc. Paris, 1868, T. LXVI, p. 330—334.
4) Birwarz, Dr. Tu., Das elektrische Organ des Zitterwelses.
Anatomisch beschrieben, Leipzig 1857, 8. 9.
5) Brescuer, Recherches anatomiques et physiologiques sur lorgane
de Vouie des poissons, Paris 1838.
6) Briver, T. W., und Happon, A. C., Contributions to the Ana-
tomy of Fishes. I. The Air-bladder and Weberian Ossicles in
the Siluridae, in: Proceedings of the Royal Soc. of London,
Vol XLVI, 1890; p.309:
7) — — Contributions to the Anatomy of Fishes. II. The Air-
bladder and Weberian Ossicles in the Siluroid Fishes. Proc.
of the Roy. Soc. of London, Vol. LIJ, 1892, p. 139.
8) — — Contributions to the Anatomy of Fishes. The Air-bladder
and Weberian Ossicles in the Siluroid Fishes. Phil. Trans.,
Vol. CLXXXIV.
9) Brinn, C., Die Skelettlehre der Fische, Wien 1847, 8. 160.
10) Carus, C. G., Lehrbuch der Zootomie, Leipzig 1834, Bd. II,
S. 582.
11) Cornine, H. K., Beitrage zur Kenntnis der Wundernetzbildungen
in den Schwimmblasen der Teleostier. Morph. Jahrb., Bd. XIV,
1888.
12) Cuvirr et Vatencrennes, Histoire naturelle des poissons de la
France. Paris 1846, Vol. XVIII, p. 14, 46, Pl. 520.
Schwimmblase, Knochenkapsel etc. von Nemachilus barbatulus G. 59
13) Detarocue, J., Observations sur la vessie aérienne des poissons.
Ann. du Mus; d’Hist., I: XIV, Paris: 1809:
14) Doxxo, Lovurs, Sur la morphologie de la colonne vertébrale.
Bulletin Sci. de la France et de la Belgique, Extrait du Tome
XXIV.
15) Durossn, M., Recherches sur les bruits et les sons expressifs
que font entendre les poissons d’Europe. Ann. d. Sc. nat.,
Ser. 5, T. XIX, Paris 1874, Article No. 5, p. 19.
16) Fario, V., Faune des Vertébrés de la Suisse. II. Partie. Pois-
sons. Genéve et Bale 1890.
17) Frorrpr, Auc., Bemerkungen zur Frage nach der Wirbeltheorie
des Kopfskelettes. Anat. Anzeiger, Jahrg. 2, 1887, No. 27,
S. 815.
18) Gavurr, E., Die Entwickelung der Wirbelsiule. Zusammen-
fassende Uebersicht. Zool. Centralbl., Jahrg. 3 u. 4, 8. 333,
533, 849, 889.
19) Gecenpavr, C., Grundrif der vergl. Anatomie, 1. Aufl. 1874,
S. 560.
20) — Ueber die Occipitalregion und ihre benachbarten Wirbel der
Fische. Festschrift zu A. v. Kouuiker’s 70. Geburtstag.
Leipzig 1887.
1) — Vergleichende Anatomie, Leipzig 1898.
22) Grorrroy-St. Himarre, Sur une chaine d’osselets découverts
chez quelques poissons osseux, et annoncés comme les ana-
logues des osselets de Joreille. Bull. d. Sci. par la Soe.
philom. de Paris, 1824, p. 100.
23) — Observations sur les prétendus osselets de louie trouvés
par Ernest Henri Weser. Ann. d. Sc. nat, T. I, 1824,
p. 436.
24) Goppnrt, E., Untersuchungen zur Morphologie der Fischrippen.
Morph. Jahrb. von Grcrnpaur, Bd. XXIII.
25) Gorrr, A., Beitrige zur vergl. Morphologie des Skelettsystems
der Wirbeltiere. II. Die Wirbelsiule und ihre Anhange, in:
Scuuuze’s Mikr. Anatomie, Bd. XV u. XVI, Bonn 1874
a. S79:
26) Gourret, E., Du role de la vessie nat. Ann. d. Sci. nat,,
T. VI, Sér. 5, Paris 1866.
27) Grassi, B., Lo sviluppo della colonna vertebrale ne’ pesci ossei.
Atti della R. Accademia dei Lincei, 1882—-1883.
28) — Beitrage zur niheren Kenntnis der Entwickelung der Wirbel-
saule der Teleostier. Morph. Jahrb. von Grcens., Bd. VIII,
Leipzig 1883.
29) Groppen, Cart, Ueber die Schwimmblase und die ersten Wirbel
der Cobitiden. Wiss. Mitt. a. d. Akad. Ver. d. Naturh. in Wien,
Heft 3, 1875, p. 1—15.
bo
60 Leopold Bloch,
30) Ginrner, A., An introduction of the study of Fishes. Edin-
burgh 1880.
31) Hansen, Fr. C. C., Eine zuverlissige Bindegewebsfarbung. Anat.
Anz, 1898, No. 9; 8, 151.
32) Hasse, C., Beobachtungen iiber die Schwimmblase der Fische,
in: Anatomische Studien, Bd. I, 1873, S. 583, Taf. X XVII,
XXVIII.
33) — Das Gehérorgan der Fische, in: Anat. Studien, Bd. I,
Leipzig 1873. Mit Taf. XIX—XXII.
34) Hayrx, Gust. v., Handbuch der Zoologie, Bd. III, Wien 1885.
35) Herzenstern, Dr., in: Wissensch. Resultate der von N. M.
PrzEWALSKI nach Centralasien unternommenen Reisen, Zoo-
logie, Bd. ITI, Abt. II, Fasc. 1, St. Petersburg 1888, folio.
36) Heusincer, J. C. C. F., Bemerkungen iiber das Geh.-Werkzeug
bei Mormyrus, Cyprinoides, Gastroblecus compressus und Pime-
lodus synodontis. Mzcxer’s Arch. fiir Anat. u. Phys., 1826,
8. 324.
37) Hirner, G., Zur physikalischen Chemie der Schwimmblasengase.
Arch. f. Physiol., Leipzig 1892, 8. 54.
38) Huscuxr, De organorum respiratoriorum in animalium serie
metamorphosi et de vesica natatoria piscium, Jenae 1818,
p-. 36.
39) Jacoss, Curistran, Ueber die Schwimmblase der Fische, Tii-
binger zool. Arbeiten, Bd. III, No. 2, Leipzig 1898, Verlag von
W. Engelmann.
40) Jaquer, M., Recherches sur la vessie natatoire des Loches
d’Europe. Rey. suisse de Zool., Genéve 1894.
41) Kennex, J., Lehrbuch der Zoologie, Stuttgart 1893.
42) Lnypie, F., Einige histol. Beobachtungen iiber d. Schlamm-
peitzger (Cob. foss.). Jon. Mttuzr’s Arch. f. Anat. u. Phys.,
1853, S. 3.
43) — Histologie des Menschen und der Tiere, Frankfurt 1857,
5. 378.
44) Mxcxen, J. F., System der vergl. Anat. 2. Teil, 1. Abt, Halle
1824, S. 230, 234.
45) Merrennemer, C., Disquisitiones anatomico-comparativae de
membro piscium pectorali, Berolini 1847.
46) Miuier, Ava., Beobachtungen zur verg]. Anat. der Wirbelsiule.
Jou. Mtuier’s Arch. f. Anat. u. Phys., 1853, S. 287.
47) Miurer, Jon., Untersuchungen iiber die Eingeweide der Fische-
Abh. d. K. Akad. d. Wiss., Berlin 1843, S. 109.
48) — Ueber den Bau und die Grenzen der Ganoiden. Abh. d.
Berliner Akad. d. Wiss., 1844, S. 178.
49) Nuszaum, Zool. Anz., 1881, S. 552.
Schwimmblase, Knochenkapsel ete. von Nemachilus barbatulus G. 61
50) Raruxs, M., Beitrige zur Geschichte der Tierwelt. Neueste
Schr. d. Nat. Ges. Danzig, 1820.
51) — Bemerkungen iiber die Schwimmblase einiger Fische. Neueste
Schr. d. Nat. Ges. Danzig, 1826.
52) Retcuert, C., Ueber den Visceralbogen der Wirbeltiere im all-
gemeinen und deren Metamorphosen bei den Viégeln und Sauge-
tieren. Jon. Mtuuer’s Arch. f. Anat. u. Phys., 1837.
53) Retnnarpt, J.. Om Svémmeblaeren hos Familien Gymnotini.
Vidsk. Meddel. f. d. naturhist. For. Kjébenhayn, 1852, p. 135.
54) Retssnur, E., Ueber die Schwimmblase und den Gehérapparat
einiger Siluroiden. Arch. f. Anat. u. Phys., 1859, S. 421.
55) Rospenruat, Fr., Ichthyotom. Taf. Berlin 1839, 2. Aufl. (Taf. 10).
56) Saacman, Muuper, I Bijdragen tot de natuurkundige weten-
schappen verzamelt door H. C. van Haru, M. Vrorm en G.
J. Muutprr, Amsterdam 1831.
57) Sacempun, M., Beitrage zur vergl. Anatomie d. Fische. Morph.
Jahrb., Bd. X, 1895.
58) Scuezt, Dr. C., Beitrage z. Entwickelungsgesch. d. Teleostier-
wirbelsiule. Morph. Jahrb. v. Gecrns., Bd. XX, 1895.
59) Scuutrzn, C. A. §., Ueber d. ersten Spuren des Knochensystems
und die Entwickelung der Wirbelsiule in den Tieren. Mucxkst’s
Arch. f. Physiol. Bd. IV, 1818, 8S. 329.
60) Stportaxk, Szymon, Beitrag zur Entwickelungsgeschichte des
endolymphatischen Apparates der Fische. Anat. Anz. Bd. XV,
No. 7, Jena 1898, 8. 93.
61) Sresoxp, Th., Die Siikwasserfische von Mitteleuropa, Leipzig 1863.
62) SdreNsEN, Witi., Om Lydorganer hos Fiske. En physiologisk
og comparativ-anatomisk Unterségelse, Kjébenhavn 1884.
63) — Om Forbeninger i Svommeblaren, Pleura og aortas Vig
Sammensmeltning deraf med Hvirvelséjlen sarlig hos Siluroiderne,
samt de saakaldte Weberske Knoglers morfologi. Vid. Selsk.
Skrifter Kjébenhavn (6) Bd. VI, 1890.
— Are the extrinsic muscles of the aire-bladder in some
Siluroidae and the ,,elastic spring“ apparatus of others, subordi-
nate to the voluntary production of sounds? What is, accord-
ing to our present knowledge the function of the Weberian
ossicles? A contribution to the biology of fishes. Journ. of
Anat. und Phys., 1895, Vol. X XIX.
65) Srannius, H., Zootomische Bemerkungen. Arch. f. Anat. und
Phys., 1849, p. 397.
66) — Das peripherische Nervensystem der Fische, anatomisch und
physiologisch untersucht, Rostock 1849.
67) — Handbuch d. Anat. der Wirbeltiere, Berlin 1854.
68) TrevirANnus, Gottinger gelehrte Anzeigen, 1821.
69) Wacner, R, Lehrbuch d. vergl. Anatomie, Leipzig 1834—35.
64
’
62 Leopold Bloch,
70) Weser, E. H., De aure animalium aquatilium, Lipsiae 1820.
71) Wirprrsnem, Ros., Lehrb. d. verg]. Anatomie, Jena 1886, 2. Aufl.
72) — GrundriB d. vergl. Anat., Jena 1898,
73) Wricutr, R. Ramsay, The relationsship between the air-bladder
and auditory organ in Amiurus, Zool. Anz, Bd. VII, 1884,
p. 248.
74) — Monography of Amiurus catus, R. Ramsay Wricut, J.
Puayrarr, Mc Morricu, A. B. Macaruum and T. Mc Kenzie.
Proc. of the Canadian Institute, Vol. II, Toronto 1884, p. 251.
75) — On the skull and auditory organ of the Siluroid Hyp-
ophthalmus. Mém. et Compt. rend. d. 1. Soc. Roy. du Canada,
T. III, 1886, Sect. IV, p. 107.
Schwimmblase, Knochenkapsel etc. von Nemachilus barbatulus G. 63
Figurenerklirungen.
Allgemeine Bezeichnungen,
/\ verknéchertes Ligament zw. Centrum des ersten Wirbels (bezw.
Proc. transyv.) und der Scapula (Cuv.)
A Ligamentum der Werser’schen Knéchelchen (Interossicular-
ligament).
A III, IV Arcus vertebrarum tertiae et quartae.
I, 11, 1V,.. Kérper des ersten, zweiten (falschen), vierten .. .
Wirbels.
a Aponeurose (Sehnenverknécherung).
ck Kommunikationskanal der beiden Kapselhialften.
cl Claustrum (WEBER).
co Rippe.
a Incus (WEBER).
icv Introitus capsulae vesicae (Hassn) = lateral cutaneous area
(BripGe and Happon).
m Malleus (WEBER).
os Os suspensorium (SORENSEN).
p-sp. Proc. spinosus.
pt Proc. transversus
sl II, sl III SchluBstiick des zweiten, des dritten Wirbels.
st Stapes (WEBER).
zy.a ZLygapophysen der Neuralbégen.
ZY-p- <5 ‘ » Wirbelkorper.
Fig. 1. Kopf und Brustregion, welche die unter der Kérper-
haut gelegene doppelte Oeffnung der Schwimmblasenkapsel zeigt
(nach Fario unwesentlich abgeaindert). /dm latero-dorsale Muskulatur ;
lum latero-ventrale Muskulatur; cv aufgeworfene Rander der Knochen-
kapsel, die seitliche Kapseléffnung begrenzend.
Fig. 2. Knochenkapsel, erster, fiinfter und sechster Wirbel
isoliert; von der rechten Seite gezeichnet.
Fig. 3. Knochenkapsel, von der caudalen Seite gezeichnet. af
accessorische Knochenfortsatze der Neuralbégen IV, qi Querlinie.
Fig. 4. Knochenkapsel, von der dorsalen Seite gezeichnet. af
access. Knochenfortsatze d. A. IV; olp. oberes Linienpaar,
64 Leopold Bloch,
Fig. 5. Knochenkapsel, von der ventralen Seite gez.; knl. die
Kapselhalften verbindende Knochenlamelle (unter IZ), is fiinfte un-
paare Oeffnung der Knochenkapsel, ulp. unteres Linienpaar.
Fig. 6. Knochenkapsel, von der cranialen Seite betrachtet, af
(vergl. Fig. 3)
Fig. 7. Kmnochenkapsel, von der rechten Seite gezeichnet, auf-
gebrochen (halbschematisch). In der Tiefe gewahrt man die median
eelegene rechte Oeffnung der Knochenkapsel, ferner II. und IV.
und den Malleus rechts.
Fig. 8. Zweiter falscher Wirbel, von der Knochenkapsel be-
freit, Ansicht von rechts, rechte Halfte des Wrperr’schen App. in
natiirl. Lage gezeichnet. Aponeurose (a) beinahe vollstiindig weg-
gebrochen, wodurch A JIJ zu Gesichte kommt, / Knochenleiste II.
Fig. 9. Wee. Apparat von der cranialen Seite aus gezeichnet, cl
rechts weggelassen, wodurch der schalenférmige Teil des Stapes
rechts sichtbar wird.
Fig. 10. Wes. Apparat, von oben gesehen; cl rechts weggelassen.
Fig. 11. Querschnitt durch Schwimmblase und Knochenkapsel
von Nem. barb. (300 X). ZL == Liicken, Kn.b Knochenbalken, Te
Tunica externa, 77 Tunica interna, Hp Epithel, ’% Faserkerne, B °
Bindegewebe, Bs straffes Bindegewebe, Gf Gefab.
Zur Kenntnis der Verbindungsweise
der Skeilettstiicke der Arme und Ranken
von Antedon rosacea Linck
(Comatula mediterranea Lam.).
Von
Heinrich Bosshard.
Hierzu Tafel III—VIII.
I. Allgemeine Organisation.
Die Comatulidae, zu denen Antedon rosacea gehort, sind die
einzige Crinoideenfamilie, deren Vertreter nur auf einem gewissen
Jugendstadium mit einem Stiele auf dem Meeresboden befestigt
sind, im geschlechtsreifen Zustande aber durch rudernde Bewegungen
ihrer Arme sich frei schwimmend fortzubewegen vermégen. Antedon
gehért der marinen Kiistenfauna an und ist z. B. im Golfe von
Neapel, woher das von uns untersuchte Material stammt, sehr ver-
breitet.
Der ‘uferlich radiér symmetrische Kérper besteht aus einem
centralen Becher oder Kelche und den von ihm ausstrahlenden
5 Armpaaren und ihren Verzweigungen, den Fiederchen oder
Pinnulae. Der von Kalkplatten gebildete Becher tritt hinsichtlich
seiner GréSe gegeniiber den Armen stark zuriick. Sein Durch-
messer schwankt zwischen 1,2 und 1,5 cm, wahrend die Arme
eine Lange von ca. 10 cm erreichen kénnen. Er birgt die EKin-
geweidemasse des Tieres; ihre Fortsetzungen finden wir in den
Weichteilen der Arme und Pinnulae wieder. Den Grund des
Bechers bildet die Centrodorsalplatte, deren Randpartie dicht mit
gegliederten Anhingen, den Cirren oder Ranken, besetzt ist, die
den Stengelgebilden der festsitzenden Crinoidea homolog sind (vergl.
Taf. III, Fig. 1). Die Mitte der Centrodorsalplatte stellt das eine Ende
der Hauptachse des Tieres, den apicalen, aboralen oder dorsalen
Pol dar. Das andere Ende der Hauptachse, der ventrale oder orale
Pol, liegt in der Mundéfinung, die nahezu central die hautige
Kelchscheibe durchbricht. Wabhrend der kurzen Zeit, da die Larve
von Antedon, als sogen. Pentacrinusstadium, eine sefShafte Lebens-
weise fiihrt, ist sie mit ihrem aboralen Pol an einem Stiele be-
Bd, XXXIV. N. F. XXVIL. 5
66 Heinrich Bofhard,
festigt und wendet ihre Mundéffnung nach oben. Der orale Pol
ist auch nach erfolgter Losléisung vom Stiele nach oben gerichtet,
und es kann daher die orale Seite auch als Oberseite, die aborale
dagegen als Unterseite bezeichnet werden.
Wahrend die Mundéfinung in der hautigen Kelchdecke eine
fast centrale Lage hat, erhebt sich die Afterréhre excentrisch in
einem Interradius derselben. Vom Munde aus verlaufen in der
Richtung der 5 Hauptradien als rinnenférmige Vertiefungen an
der Kelchdecke die 5 Nahrungsfurchen (Taf. VI, Nf. Fig. 15), um
nachher auf die Arme und Pinnulae iiberzutreten. Die gabelartige
Teilung eines jeden der 5 Arme bedingt auch eine Zweiteilung
einer jeden Nahrungsrinne in der Nihe des Scheibenrandes. Zur
Aufnahme dieser rinnenartigen Vertiefungen des Integumentes sind
die einzelnen Kalksegmente, welche das Skelett der Arme bilden,
auf ihrer oralen Seite ebenfalls gefurcht; auf diese Weise kommen
die Ambulacralfurchen der Arme zustande (vergl. Taf. IV, Fig. 8).
In den Skelettstiicken der Pinnulae ist auf der oralen Seite eben-
falls eine Furche aufgespart, um die Integumentrinne aufzu-
nehmen. Die oralen Pinnulae — als solche bezeichnen wir die
ersten ‘fuferen Fiederchen jedes Armpaares (Taf. I, Fig. 1
u. 2 Po) — besitzen dagegen weder eine Ambulacralfurche noch
eine Integumentrinne. Sie stehen auch in keinerlei Beziehung zu
dem Geschlechtsapparate wie die iibrigen Armfiederchen, die als
Bildungsstatten der Geschlechtsprodukte die letzten Verzweigungen
desselben darstellen. Die Annahme Perrter’s, daf diesen oralen
Pinnulae die Funktionen von Tastorganen zukommen, ist wohl
durchaus berechtigt. Man sieht sie nimlich bei Beriihrung der
Kelchdecke mit einer Nadelspitze sich energisch gegen die Mund-
dtthung hin zusammenneigen.
Um einen Einblick in die allgemeinen Organisationsverhaltnisse
von Antedon zu gewinnen, ist es wohl zweckmiafig, von einem
Querschnitte durch einen Arm auszugehen, wie er beispielsweise
in Taf. VI, Fig. 15 u. 16 dargestellt ist. (Vergl. auch die Erklarungen
zu obigen Figuren.) Der Querschnitt ist so gezeichnet, daf die
orale Seite des Armes nach oben, die aborale dagegen nach unten
gerichtet ist. Der orale Teil der Arme wird von Weichteilen
occupiert, die mit den entsprechenden Weichteilen des Kelches
im Zusammenhange stehen. Auf der aboralen oder unteren Seite
der Arme dagegen dominiert der Kalk, er steht an der Ursprungs-
stelle der Arme mit den Kalkpartien des Kelches in Verbindung.
Auf dem Armquerschnitte treffen wir, von der Oralseite zur
Verbindungsweise der Arm- u. Rankenglieder von Ant. ros. 67
Apicalseite fortschreitend, die Weich- und Hartteile in folgender
Anordnung :
a) die in die Ambulacralfurche der Skelettstiicke eingesenkte,
vom Integumente gebildete Nahrungsfurche (N/) mit ihrer epi-
thelialen Auskleidung und den ihre seitlichen Wande begleitenden
Tentakeln (7);
b) in der Tiefe des Epithels den radiiiren Strang des ober-
flichlichen oralen Nervensystems (Rn);
c) unter dem Epithel einen nicht auf allen Schnitten sicht-
baren Kanal, der von den einen Autoren als radiares Blutgefal
(LupwiG), von den anderen als Schizocél-Lingskanal (HAMANN),
oder als Gewebeliicke (Voar und YunG) bezeichnet wird. Wieder
andere (wie z. B. Perrier), fiihren ihn in ihren Darstellungen der
Armquerschnitte gar nicht auf;
d) den Radialkanal des Wassergefifsystems (Rh);
e) die 3 radiiren Sinusse des Armcéloms, von denen der
dorsale (Ds) durch den Genitalsinus (Gs) von den beiden ventral
gelegenen (Vs) getrennt ist;
f) den Genitalkanal mit der Genitalrhachis (Gs und Gr);
e) das Paar der ventralen Muskeln (JZ);
h) den Strang des aboralen oder apicalen Nervensystems (Sav);
i) die dorsale, den ventralen Muskeln der Armgelenke anta-
gonistisch entgegenwirkende Fasermasse (Df) oder den Kalkkérper
des Armgliedes (Kgs).
In der Bezeichnung dieser auf dem Querschnitte zu Tage
tretenden Gebilde haben wir uns an die von A. Lane (14,
S. 1004) vorgeschlagene Terminologie gehalten. Wie friiher schon
hervorgehoben worden ist, gehen die Nahrungsfurchen der Arme
an der Birfurkationsstelle der letzteren in die zum Munde bhin-
ziehenden 5 Hauptfurchen der Scheibe tiber. Den Nahrungs-
furchen schliefen sich in ihrem Verlaufe die Kanile des Wasser-
gefafsystems aufs engste an. Die Radialkanale der Pinnulae, der
Arme und der Scheibe vereinigen sich in einem Centralkanal, der
ringartig die Mundéffnung umgiebt. Die letzten Verastelungen
des WassergefaSsystems sind die Tentakelkanale (7k). Sie ent-
springen als seitliche Abzweigungen alternierend den Radialkanalen.
An den seitlichen Randern der Nahrungsfurchen erheben sich die
Tentakeln (7), von denen je 3 zu einer Gruppe vereinigt sind.
Jede dieser Triaden steht durch einen Tentakelkanal mit einem
Radialgefaifke in Verbindung. Die Tentakeln sind der lokomoto-
5*
68 Heinrich Bofhard,
rischen Funktion vollig entfremdet, sie vermitteln hauptsichlich
die Respiration und Nahrungszufuhr. Die Frage nach dem Ver-
halten derjenigen Organe, denen die Zuleitung des Meerwassers in
das Ambulacralsystem obliegt, kann noch nicht als definitiv ent-
schieden betrachtet werden, da die Ansichten der Forscher nicht
in allen Punkten miteinander tibereinstimmen. Lupwia (15) be-
trachtet die Schlauche, die dem Ringkanal des Ambulacralsystems
anhangen und nach seiner Darstellung frei in die Leibeshéhle
miinden, als Gebilde, die den Steinkanilen der iibrigen Echino-
dermen als morphologisch gleichwertig zu setzen sind, und homologi-
siert fernerhin die die Kelchdecke durchsetzenden Kelchporen mit
den Madreporenéffnungen der anderen Echinodermen. Nach seiner
Ansicht ist also das Wassergefafsystem der Crinoidea in der fiir
alle Echinodermen typischen Weise ausgebildet. PrrrieR (20)
unterscheidet periphere Kelchporen (entonnoirs périphériques),
welche das Meerwasser in das Innere der Arme leiten, und centrale
Kelchporen (entonnoirs centraux), die das Wasser einem ganz be-
stimmten Koérperbezirke zufiihren und nicht einfach an irgend einer
beliebigen Stelle die Verbindung der Aufenwelt mit der allgemeinen
Leibeshéhle vermitteln. Ueber die Beziehungeu zwischen den
Kelchporen und den Steinkanalen aufert er sich (I. c., S. 256)
folgendermafen: ,,En somme chez les Comatules adultes les tubes
hydrophores puisent dans la cavité générale Peau qui remplit le
canal tentaculaire et ses dépendances; mais cette eau n’arrive que
de seconde main, en quelque sorte, aux tubes hydrophores. Chez
Vanimal adulte, contrairement a ce qui a lieu chez les jeunes, on
ne peut donc réclamer ancun rapport particulier, fonctionnel ou
autre, entre les tubes hydrophores et les entonnoirs vibratiles.“
Eine direkte Beziehung zwischen den Steinkanaélen und den Kelch-
poren, namentlich auch in Bezug auf ihre Zahl, wiirde demnach
nach der Ansicht des franzésischen Zoologen nur auf gewissen
Jugendstadien zu konstatieren sein.
Wie die Kanale des Ambulacralsystems, so folgen nun auch
die Radiarstrange des oberflachlichen oralen Nervensystems (fn)
dem Verlaufe der Nahrungsfurchen, mit deren Epithelzellen ihre
Elemente in innige Beziehung treten. Das Centrum dieses ober-
fliichlichen oralen Nervensystems, dessen Verbreitungsbezirk die
oberflachlichen Partien des K6érpers, die aborale Seite ausgenommen,
und der Darmkanal und seine Anhangsgebilde darstellen, liegt in
einem den Mund umgebenden, ringférmigen Strange. Ohne auf
Verbindungsweise der Arm- u. Rankenglieder von Ant. ros. 69
die Meinungsverschiedenheiten naher einzutreten, die sich tiber die
Natur des Radiarstranges erhoben haben, wollen wir doch kurz
darauf hinweisen, dafi Lupwia (I. ¢.) zuerst denselben als Nerven
in Anspruch genommen hat.
Die auf dem Querschnitt durch einen Arm als Radiarsinusse
des Armcéloms bezeichneten Hohlraume stehen mit der Leibeshéhle
des Kelches, bezw. mit den verschiedenen Abteilungen derselben in
Verbindung. Die beiden ventralen oder subtentaculiren Kanale
(Vs) sind durch ein vertikales (Vsp) Septum von einander getrennt
und miinden in den axialen Teil des Kelchcéloms. Der Dorsal-
kanal ist durch ein horizontales Septum (Hsp) und den Genital-
kanal (Gs) von den Ventralkanalen geschieden und kommuniziert
mit der Periintestinalhdhle des Kelches. Die allgemeine Leibes-
hohle des Kelches zerfallt namlich in einen centralen Teil, der
den Darmkanal enthalt und als Periintestinalhéhle bezeichnet wird,
und in einen peripheren Abschnitt, fiir den die Bezeichnung peri-
phere oder subtegumentare Hohle eingefiihrt worden ist (LANG, 1. ¢.).
In der Periintestinalhéhle lassen sich wiederum zwei konzentrisch
angeordnete Abschnitte unterscheiden: ein axialer Teil, der den
Genitalstolo enthalt und mit dem im Grunde des Bechers gelegenen
»gekammerten Organ“ und durch letzteres auch mit den Kanilen
der Ranken in Beziehung steht, und ein peripherer auBerer Teil,
der den spiralig gewundenen Darm enthalt.
Der Genitalstrang (Gr) liegt auf dem Armquerschnitte zwischen
den ventralen Kanalen und dem Dorsalkanal in einem besonderen
Sinus, der in Bindegewebsmassen eingebettet ist. Jou. MULLER (18)
hat ibn als Nervenstrang betrachtet. Seine wahre Natur ist dann
von W. B. CARPENTER erkannt worden. Der Genitalstrang der
Arme folgt in seinem Verlaufe der Nahrungsfurche, er verastelt
sieh wie diese, und seine Zweige treten in die Fiederchen ein, wo,
wie friiher schon erwahnt wurde, die Geschlechtszellen gebildet
werden.
Die Genitalstrange lassen sich auch in der Kelchdecke bis
in die Nahe des Mundes verfolgen, ohne daf sich jedoch ein
direkter Zusammenhang mit dem Axialorgane nachweisen laft, wie
dies fiir die tibrigen Echinodermen mit Ausnahme der Holothurioidea
der Fall ist. Aus diesem Grunde sind wohl dem Axialorgane der
Crinoidea die verschiedenartigsten Funktionen zugeschrieben worden.
Daf es auch mit einer stattlichen Reihe von Benennungen bedacht
worden ist, diirfte nicht tiberraschen.
70 Heinrich Boghard,
Das aborale oder apicale Nervensystem, dessen radiarer Strang
(San) auf dem Armquerschnitte ebenfalls getroffen wird, ist bei den
Crinoidea iiberhaupt in hohem Grade ausgebildet. Trotzdem ist
seine wahre Natur und Bedeutung verhaltnismafig erst spat fest-
gestellt worden. Jou. Miuvuer hielt merkwirdigerweise den api-
calen Armnerven fiir einen Kanal und bezeichnet ihn als Central-
kanal. Lupwie (1. c.) fiihrt ihn als radiire Fasermasse auf, und
auch PERRIER (21) stellt seine nervése Natur noch entschieden in
Abrede, obwohl W. B. CARPENTER schon 1866 den Strang als Nerven
aufgefaBt hatte. Nachdem er die von W. B. CARPENTER zu Gunsten
seiner Auffassung des Stranges als Teil des Nervensystems ins
Feld gefiihrten Argumente allseitig gepriift und erwogen, kommt
Lupwie (1. c. 8. 335) zu folgendem Schlusse: ,,Bei dieser Lage
der Sache vermag ich CARPENTER’s Ansicht, daf die Faserstrange
Nerven seien und folglich den Crinoideen im Gegensatz zu den
iibrigen Echinodermen aufSer dem ambulacralen noch ein anti-
ambulacrales Nervensystem zukomme, nicht zu teilen, sondern halte
zunichst fest an der anderen vorhin geduferten Auffassung der
Faserstrange‘, und fiigt (1. c. S. 340) hinzu: ,,Die Faserstrange
sind zu betrachten als unverkalkt gebliebene Teile der binde-
gewebigen Grundlage der Kalkglieder, deren Aufgabe es ist, aus dem
BlutgefaBsystem, genauer aus den 5 Kammern, die ernaihrende
Fliissigkeit aufzunehmen und den Arm- und Pinnulagliedern zu-
zufiihren.“ Es blieb dann SEMPER (24) und P. H. Carpenter, (5, 6),
MARSHALL (16) und Jickert (11) vorbehalten, die Auffassung W.
B. CARPENTER’S hinsichtlich des Apicalstranges histologisch und
experimentell zu bestitigen. Die Apicalstringe der Arme und
Pinnulae verlaufen in den Axialstrangen (Aa u. Ar), die fiir sie
in den Skelettstiicken aufgespart sind, in jedem der letzteren ein
dorsales und ein ventrales Paar Aeste abgebend. Bevor sich die
Strange eines jeden Armpaares im Costale primum zu einem
primaren Strange vereinigen, kommt es zur Bildung eines kom-
plizierten Chiasmas im Bereich des Costale secundum (C, Fig. 1).
Dann ziehen die primaren Strange konvergierend zum Grunde des
Kelches hin, um daselbst in die nervése Hiille einzutreten, die die
Wandung des ,gekammerten Organs“ bildet und als Centrum des
aboralen Nervensystems zu betrachten ist. Im Axialkanal der
Kalksegmente der Ranken (Fig. 9, 11 u. 12 Av) verlaiuft eine
Rohre, die mit dem Hohlraumsystem des gekammerten Organs
kommuniziert und deren Wandung von der Fortsetzung der nervésen
Verbindungsweise der Arm- u. Rankenglieder von Ant. ros. 7]
Hiille desselben gebildet wird. Die Rankenkanile besitzen dem-
nach Nervenscheiden als Wainde. Der Vollstaéndigkeit halber wollen
wir hier noch das dritte Nervensystem der Crinoidea erwihnen.
Dasselbe ist auf der oralen Seite der Kelchscheibe und der Arme
entwickelt. Es hat eine subepitheliale Lage und setzt sich aus
einem Schlundring und 5 Paaren von Armnerven zusammen, die
zwischen den Ventralkanilen und dem Subtentaculirkanal (/h)
verlaufen und mit den ventralen Verzweigungen des apicalen
Stranges in Beziehung treten. Lanq@ spricht (1. ¢.) die Ansicht
aus, dieses dritte Nervensystem der Crinoidea sei als ein Homo-
logon zum tiefliegenden oralen System der iibrigen Echinodermen
zu betrachten.
Es folgt auf dem Armquerschnitte das Paar der ventralen
Muskeln (J), und unter denselben die Masse der Dorsalfasern (Df),
die auf der Dorsalseite der Arme die Artikulationsflachen zweier
Kalkglieder miteinander verbindet.
Nach der tibereinstimmenden Ansicht aller Forscher, die sich
mit der Organisation von Antedon befaSt haben, wird die Ver-
bindung zweier aufeinander folgenden Skelettstiicke auf der oralen
oder ventralen Seite der Arme durch echte Muskeln (7) bewerk-
stelligt. Hinsichtlich der Natur der Fasern aber, die auf der
Dorsalseite der Arme den echten ventralen Muskeln antagonistisch
entgegenwirken, gehen die Meinungen der Zoologen so sehr aus-
einander, dafi eine neue Priifung dieser Frage gerechtfertigt er-
scheint. Wahrend nimlich die alteren Forscher das Beugen der
Arme nach unten, d. h. gegen den Apex des Kelches hin, der
Wirkung der elastischen Interartikularsubstanz (Df) zuschreiben
und gleichzeitig den Ranken die Fahigkeit, willkiirlich sich zu be-
wegen, absprechen, betrachten neuere Zoologen die Dorsalfasern der
Arme und die Fasern in den Gelenken der Ranken (Taf. VII, Fig. 24
Ff) unbedenklich als Muskeln. Nach diesen orientierenden Be-
merkungen tiber die allgemeine Organisation von Antedon und die
Stellung der Echinodermenforschung zur Frage der Verbindungs-
weise der Skelettstiicke der Arme und Ranken wenden wir uns
den von uns angestellten Untersuchungen und ihren Resultaten
zu. Untersucht wurde das Skelett der Arme und Ranken und
teilweise auch dasjenige des Kelches, namentlich in Bezug auf die
Artikulationsverhaltnisse, sowie die Verbindungsweise der Skelett-
stiicke durch die verschiedenen Fasermassen. Zunachst mégen einige
Angaben iiber die technischen Mittel und Wege, die der Arbeit zu
Grunde liegen, Platz finden.
12 Heinrich BoSghard,
Ii. Technik.
Ein 5-monatlicher Aufenthalt an der zoologischen Station
in Neapel setzte uns in den Stand, Beobachtungen an _ einer
eroBben Zahl lebender Individuen anzustellen und nicht unwesent-
liche Erfahrungen tiber zweckmaige Konservierung und Ent-
kalkung des Untersuchungsmateriales zu sammeln. Der hoch-
verehrten Anstaltsleitung, deren iiberaus liebenswiirdiges Ent-
gegenkommen uns diesen liingeren Aufenthalt an der Station er-
mobelichte, sei an dieser Stelle aufrichtigster Dank gesagt. Die
Entfernung des die Weichteile des Tieres durchsetzenden Kalk-
skelettes erwies sich als besonders schwierig und in hohem Grade
zeitraubend. Gelingt es aber nicht, die Kalkmasse bis auf ihre
letzten Spuren zu entfernen, ohne durch die angewendeten Re-
agenzien die Gewebe allzusehr in Mitleidenschaft zu ziehen, so ist
die Herstellung brauchbarer Mikrotomschnitte eine Unmoglichkeit.
Soweit méglich, wurde das Material nicht blo& an Schnitten und
Zuptpraparaten, sondern auch in toto und zwar vor und nach er-
folgter Entkalkung und Farbung mit der Lupe untersucht. Als
Fixierungsmittel haben sich konzentrierte wisserige Sublimatlésung
und Kalium bichromicum (4-proz.) sehr gut bewéahrt. Fiir die
Herstellung der Skelettpraiparate wurde eine ca. 25-proz. Liésung
von Kalium causticum und zur Entkalkung konzentrierte Salpeter-
siure mit Erfolg angewendet. Die Fixierung mit Kal. bichromic.
erwies sich nach zwei Richtungen hin als vorteilhaft: einmal
wurden die Weichteile, namentlich die Dorsalfasern, sehr gut fixiert,
und andererseits wurde gleichzeitig noch ein betrachtlicher Teil
der Kalkmasse aufgelést. Die Anwendung dieses Fixatives machte
allerdings ein langes (mindestens 24-stiindiges) Auswaschen in
fliekendem Wasser nétig. Die zu entkalkenden Ranken und Arm-
stiicke wurden in relativ grofe Mengen Alkohols von 70 Proz. ge-
legt, dem nur wenige Tropfen konzentrierter Salpeterséure auf
einmal zugesetzt wurden. Hiéufige Erneuerung der Entkalkungs-
fliissigkeit mit jeweiligem Zusatz von nur wenigen 'Tropfen Sal-
petersiure und wochen-, ja selbst monatelanges Ausdehnen der
Entkalkungsprozedur anf dasselbe Objekt erméglichten allein die
schen Mikrotome in verschiedenen Dicken angefertigt und nach
Herstellung gentigend diinner und tiberhaupt brauchbarer Schnitt-
priparate. Als Einbettungsmasse wurde stets Paraffin angewendet.
Samtliche Schnitte und Schnittserien sind mit einem ZIMMERMANN-
Verbindungsweise der Arm- u. Rankenglieder von Ant. ros. 73
schen Mikrotome in verschiedenen Dicken angefertigt und nach
der Kapillarattraktionsmethode auf dem Objekttrager befestigt
worden. Diese Methode, die Schnitte aufzuheften, liefert bei
richtiger Handhabung sehr zuverlassige Resultate und gestattet
eleichzeitig ein rasches Arbeiten. Die Objekttrager mit den auf-
gezogenen Schnitten sollten mindestens eine Woche an einem
trockenen, mafig warmen Orte aufbewahrt werden, bevor sie einer
weiteren Behandlung unterworfen werden, sonst riskiert man, da
beim Farben der Schnitte besonders in wisserigen Farbstofflésungen
und nachherigen Auswaschen in Wasser einzelne Schnitte, oder
wenigstens Teile von solchen, sich ablésen und verloren gehen.
Stiick- und Schnittfarbung sind nebeneinander zur Anwendung ge-
kommen; doch muf der Schnittfarbung entschieden der Vorzug
gegeben werden, da sie auch bei nicht allzu reichlichem Material
zablreichere und damit auch mannigfaltigere Tinktionen gestattet
und eine bestindige Kontrolle der Farbstoffwirkung erméglicht.
Den einfachen Farbungen reihten sich Doppel- und Mehrfach-
farbungen an, tiber deren Resultate spaiter berichtet werden soll.
Hil. Das Skelett im allgemeinen.
Das Kalkskelett, das im Integumente der Echinodermen zur
Ausbildung gelangt, ist fiir den ganzen Stamm ebenso charak-
teristisch wie der strahlige Bau des Korpers oder das Wasser-
eefaBsystem, und ist auch von ganz eigenartiger mikroskopischer
Struktur. Das Gefiige dieser Skelettbildungen ist nicht kompakt,
sondern maschenartig oder schwammig. Die Kalkmasse_ bildet
stets die Balken des Gitterwerkes, wahrend die Maschen von
Gewebemassen ausgefiillt werden. Die Thatsache, dal gewisse
Platten in den Skeletten aller Echinodermenabteilungen wieder-
kehren, berechtigt wohl dazu, sie als homologe Bildungen und
als Bestandteile eines urspriinglichen hypothetischen Echinodermen-
skelettes zu betrachten. Das letztere setzt sich nach A. LANG
(1. c.) zusammen aus den Platten des oralen und aboralen Systems.
Das orale System besteht aus 5 Platten, die, kranzartig und
interradial gestellt, den Mundpol umgeben. Das aborale System
gelangt im Umkreis des aboralen Poles zur Ausbildung und nimmt
bei den Crinoidea einen hervorragenden Anteil an dem Aufbau
des die Eingeweidemasse enthaltenden centralen Bechers. Der
aborale Pol wird von der Centralplatte occupiert. Um sie herum
74 Heinrich Bofhard,
legt sich bei den Crinoidea mit dicyklischer Basis zunachst der
Kranz der 5 radial gestellten Infrabasalia, an welche sich nach
aufen hin die 5 interradial angeordneten Basalplatten anlegen.
An die Basalia schliefen sich die 5 Radialplatten (R Fig. 3),
die den Abschlu8 des aboralen Systems gegen das perisomatische
Skelett hin bilden. Bei den Crinoidea mit monocyklischer Basis
unterbleibt die Bildung der Infrabasalia. Diesem durchaus hypo-
thetischen Echinodermenskelette kommt dasjenige der Larve von
Antedon in ihrem Pentacrinusstadium am nachsten. So fehlen
der erwachsenen Antedon die Oralplatten, wiahrend sie auf ge-
wissen Jugendstadien deutlich entwickelt sind. Auch die Central-
platte verschwindet spater als selbstaindige Skelettplatte, indem
sie bei der Loslésung der Antedonlarve von ihrem Stiele mit dem
obersten, rankentragenden Stengelgliede und den Infrabasalia zur
Centrodorsalplatte (Zd Fig. 1) verschmilzt.
A. Das Skelett des Kelches.
Am Aufbau des Kelchskelettes der erwachsenen Antedon be-
teiligen sich neben den bereits erwahnten Platten des aboralen
Systems auch noch zwei perisomatische Skelettstiicke. Es sind
dies die auf die Radialia (R) des Kelches folgenden zwei Arm-
stiicke. Man hat sie friiher als Radiale Il und Radiale LUI be-
zeichnet, wir wollen sie nach dem Vorschlage Lana’s (I. ¢.) fixierte
Costalia oder Costale I und Costale Il nennen. Vergl. die Erklarun-
gen zu Taf. III, Fig. 1, 2 und Taf. IV, Fig. 4. Wird nach Entfernung
des Eingeweidesackes der Kelch mit den ersten Armsegmenten
mit einer Aetzkalilésung behandelt, so erliegt die ventrale Mus-
kulatur in den Gelenken zuerst der Einwirkung des Reagens,
wihrend die Armstiicke auf ihrer Dorsalseite durch die dem
Aetzkali gegeniiber viel resistentere Fasermasse noch langere Zeit
im Zusammenhange bleiben. SchliefSlich lést sich auch die Ver-
bindung zwischen den Radialia und Costalia, und es bleibt vom
Kelch eine Skelettmasse tibrig, in der Centrodorsalplatte (Zd),
Basalia und Radialia (#) vereinigt sind und die von W. B. Car-
PENTER (3) als ,,Pentagonal Base of the Calyx“ bezeichnet wird.
Die dorsale Seite der pentagonalen Basis (Fig. 1) wird von der
Centrodorsalplatte (Zd), ihre obere oder orale Seite von den
oralen Flachen der 5 Radialia (&) gebildet (Fig. 3). An den
5 Seitenlinien des Pentagons artikulieren die Costalia I. Basalia
Verbindungsweise der Arm- u. Rankenglieder von Ant. ros. 75
und Infrabasalia sind in der Skelettmasse der pentagonalen Basis
eingeschlossen und dem Auge nicht sichtbar. Die Centrodorsal-
platte ist auf ihrer dorsalen Seite konvex gekriimmt, ihre Rand-
partie ist dicht mit Ranken besetzt, die in 2—3 tibereinander
liegenden Reihen angeordnet sind. Nur der centrale Teil bleibt
frei von Ranken. Da, wo eine Ranke am Centrodorsale befestigt
ist, zeigt letzteres eine pfannenartige Vertiefung zur Aufnahme
der proximalen Artikulationsfliche des ersten Cirrensegmentes
(vergl. Fig. 1 u. 9). Da zwischen den die pentagonale Basis zu-
sammensetzenden Skelettstiicken eine gelenkige Verbindung nicht
besteht, verzichten wir hier auf eine detaillierte Beschreibung der-
selben und verweisen auf die héchst zuverlissigen Angaben und
Darstellungen W. B. CARPENTER’s (I. ©.).
Die 5 Radialia (f), deren orale Flichen in der ventralen
Ansicht der pentagonalen Basis (Fig. 5) dargestellt sind, haben die
Form eines regularen Dreieckes. Die Spitzen der 5 Dreiecke sind
dem Centrum des Pentagons zugekehrt, ihre leicht konvexen
Grundlinien bilden die 5 Seiten des letzteren. Die aufere oder
distale Flache eines Radiale artikuliert mit der proximalen Flache
eines Costale I und zeigt folgende Gliederung (Fig. 3 u. 5): In
jedem Radiale verliuft von dem einen Eckpunkte der distalen
Flache zum anderen in gerader Linie eine vorspringende Leiste
(Articular Ridge W. B. CarpENTER’s) und teilt somit die ganze
Artikulationsflache in zwei ungleich groBe Partien. Der dorsal von
der Querleiste liegende Teil ist wie ein Kreissegment konturiert
und namentlich gegen die Mitte hin ziemlich stark vertieft. Die
ventrale Partie der Flache ist bedeutend gréfer und wird von
einer vertikal gestellten Leiste halbiert. Jede Hilfte zeigt zwei
ungleich tiefe Gruben zur Aufnahme der Fasermassen, welche die
Verbindung zwischen Radiale und Costale I vermitteln. Die distale
Flache der Radialia weist also eine horizontale und eine vertikal
gestellte, vorspringende Leiste auf, dorsal von der Querleiste eine
unpaarige Gelenkgrube, ventral von der Querleiste und zu beiden
Seiten der Vertikalleiste 2 paarige ungleiche Artikulationsfelder.
Vergl. Taf. IV, Fig. 3 und 5 und die dazu gehérenden Erklirungen.
Die der distalen Flache der Radialia zugewendete proximale Flache
der Costalia I ist genau von derselben Konfiguration, so daf wir
hier auf ihre Beschreibung verzichten kénnen. Nach W. B. Car-
PENTER dient die unpaare dorsale Gelenkgrube zur Aufnahme der
»Ulastic Ligaments“ (Df), die mittlere, unmittelbar an die Quer-
leiste stoSende Grube nimmt die ,,Interarticular Ligaments“ (Lf)
76 Heinrich BoShard,
auf, und in der oberen, ventralen Vertiefung verlaufen von einer
Flache zur anderen die ,,Flexor Muscles‘, d. h. die echten ven-
tralen Muskeln aller Autoren (JZ). Wir sind in der Lage, die
Angaben CArpPEeNTER’s tiber die Beschaffenheit der Artikulations-
flichen der Radialia zu bestatigen. Der Axialkanal, in welchem
der Strang des apicalen Nervensystems (San) verlauft, dffnet sich
in der distalen F'lache der Radialia an der Kreuzungsstelle zwischen
der vertikalen und der horizontalen Kalkleiste (Aa). Auf der
Innenseite der Radialia ist seine Miindung doppelt. An die Radialia
schliefen sich die Costalia I, deren distale Flachen mit den proxi-
malen Flachen der Costalia II artikulieren. Die beiden Gelenk-
flachen der Costalia I sind nahezu parallel, so da8 auch der innere
und auere Rand des Segmentes gleich lang erscheinen. Vere].
Taf. III Fig. 1. Die distale Flache des Costale I ist, wie Fig. 6
zeigt, wesentlich verschieden von seiner proximalen Flache, welche,
wie bereits hervorgehoben worden ist, mit der ihr gegeniiber-
stehenden Fliche des Radiale iiberecinstimmt. Die nahezu elliptische
Flache wird durch eine Vertikalleiste in ein linkes und rechtes
Feld abgeteilt. Beide Felder sind grubenartig vertieft und mit
vorspringenden Réndern eingefaft. Ungefihr in der Mitte der
Vertikalleiste befindet sich die Oeffnung des Axialkanales (Aq).
Gegentiber der proximalen Fliche des Costale I ist also seine
distale Fliche von auffallend einfacher Gestalt. Die zwei einzigen
seitlichen Gelenkgruben sind nach W. B. CARPENTER nur zur Auf-
nahme von ,,interarticular ligaments“ aufgespart, und es wiirden
diesem Gelenke zwischen Costale I und Costale II demnach ,,elastic
ligaments“ und echte Muskeln fehlen, (,n0 muscular bands being
here interposed“, J. c. S. 715). Auch Jon. Minuer (1. c. S. 206)
sagt in Bezug auf dieses Gelenk: ,,Aber das Gelenk zwischen dem
2. und 3. Gliede (gemeint sind C, und C,) hat bei Alecto euro-
paea keine Muskeln, dies ist das Gelenk, welches nur Seiten-
bewegungen oder seitliches Hin- und Herwiegen des 3. Radiale
(Costale II) zulaBt. Dem Gelenk zwischen dem 2. und 3. Radiale
fehlt also die Muskelbewegung.“ Das Costale II hat, vom ab-
oralen Pole von Antedon aus gesehen (Fig. 1), nahezu die Form
eines Dreieckes mit distal gerichteter Spitze. Es hat 3 Gelenk-
flichen, von denen die proximale mit dem Costale I artikuliert,
und 2 distale, von denen jede mit einem Brachiale I (Fig. 1)
gelenkig verbunden ist. Die proximale Flache verhilt sich analog
wie die distale Flache des Costale I, wéihrend die 2 distalen
I'lachen kompliziertere Gebilde sind (vergl. Fig. 7). Sie sind von-
Verbindungsweise der Arm- u. Rankenglieder von Ant. ros. 177
einander getrennt durch eine Leiste, die vertikal von der ventralen
zur dorsalen Mitte des Segmentes verliuft. In jeder Flache ist
wieder eine Querleiste vorhanden, die aber nicht horizontal ge-
richtet ist, sondern vom dorsalen oder unteren Ende der Mittel-
leiste unter einem Winkel von ca. 30° schrag nach oben und aufen
zieht. Jede Flache zeigt wiederum eine dorsal von der Querleiste
liegende unpaarige Grube, und ventral von derselben 2 paarige
Vertiefungen, wie wir sie in der distalen Flache der Radialia
kennen gelernt haben. Im Costale II erfahrt der Axialkanal eine
dichotomische Teilung, daher ist auch jede der beiden Flachen
mit einer Oefinung desselben versehen (Aa Fig. 7). Das Gelenk
zwischen Costale Il und Brachiale I erméglicht also eine Drehung
um eine von unten und innen schrag nach oben und aufen gerichtete
Achse.
B. Das Skelett der Arme.
Jeder der 10 Arme besteht aus einer gréferen Zahl an-
einander gefiigter Kalksegmente, deren Durchmesser mit der Ent-
fernung von der Ursprungsstelle des Armes abnimmt. Die Zahl
dieser einen Arm zusammensetzenden Kalkglieder lat sich nicht
wohl genau angeben, da komplette, ganz unversehrte Arme nicht
allzu haufig zur Verfiigung stehen. In den meisten Fiillen hat
man es mit unvollstindigen Gebilden zu thun, deren letzte Seg-
mente abgefallen oder noch nicht ausgebildet sind. W. B. Car-
PENTER giebt fiir einen Arm von 4” Linge 140 Segmente an.
Alle Segmente haben auf ihrer ventralen Seite die schon friiher
erwihnte, als Ambulacralfurche bezeichnete, rinnenférmige Ver-
tiefung; in der Richtung ihrer Liingsachse sind sie vom Axialkanal
durchbohrt, ihre proximalen und distalen Flaichen sind, wenn wir
von den Syzygien (Sg Fig. 1 u. 2) absehen, zu Gelenkfacetten
ausgebildet und zeigen die zur Aufnahme der Muskeln, Dorsal-
fasern und Ligamente notwendigen Vertiefungen. Die Artikulations-
flichen des einzelnen Segmentes stehen nicht vertikal, sondern
schief zur Langsachse des Gliedes (Fig. 1). Sie sind daher auch
nicht parallel, sondern konvergieren abwechselnd nach der Innen-
und Aufenseite des Armes hin (Fig. 2). Jedes Segment hat daher
auch einen kiirzeren und einen langeren Seitenrand. Die Segmente
sind im Arme derart angeordnet, dafi z. b. der kiirzere Seiten-
bezw. Innenrand des ersten mit dem langeren Seiten- bezw. Innen-
78 Heinrich BoShard,
rand des nichsten, der liingere Seiten- bezw. AuSenrand des ersten
mit dem kiirzeren Seiten- bezw. AuBenrand des folgenden zu-
sammenstéft. Nur die Flichen, die eine Syzygie bilden, stehen
vertikal zur Liingsachse des Armes und sind untereinander parallel
(Fig. 2).
Was die Verbindungsweise der Armglieder untereinander be-
trifft, so kommen neben den Gelenken noch die schon mehrfach
erwihnten Syzygien vor. Gelenke und Syzygien wechseln in gesetz-
inibiger Weise mitemander ab (Fig. 2 u. Erklarung). Der Aus-
druck ,,Syzygie“ wird nicht von allen Autoren in demselben Sinne
angewendet. Es mag hier am Platze sein, diese Thatsache an einigen
deispielen zu illustrieren. Jon. MULLER giebt (1. c. 8. 215) folgende
Definition der Syzygie: ,,Unter Syzygie verstehe ich die unbewegliche -
Nahtverbindung zweier Glieder. In diesem Falle fehlen an dieser
Stelle sowohl die Muskeln als die elastische Interartikularsubstanz.
Die Verbindungsflichen dieser Glieder sind radiiert.‘‘ Daraus
geht klar hervor, daf der Ausdruck ,,Syzygie“ fiir MULLER nur
den Modus einer Verbindung zwischen zwei Segmenten und zwar
eine unbewegliche Verbindung angiebt und daher im Gegensatze
zu ,,Gelenk’S zu verstehen ist. Wie aus verschiedenen Stellen
seiner Arbeiten ,,Ueber den Bau des Pentacrinus Caput Medusae‘
und ,,Ueber die Gattung Comatula und ihre Arten‘S hervorgeht,
halt sich MULuer selbst nicht immer streng an seine Definition in
der Anwendung des Wortes ,,Syzygie“. Noch weniger konsequent
scheint P. H. CARPENTER in der Verwendung des Wortes zu sein,
wie die von BATHER (2) citierten Stellen aus seinen Arbeiten dar-
thun. Lane (I. c. 5S. 964) unterscheidet, die altere Ansicht tiber
die Verbindungsweise der Skelettstiicke vortragend, zwischen
Suturen oder Synostosen, Syzygien und Muskelgelenken. Der
Begriff ,,Sultur“, wie er hier angewendet wird, wiirde sich zum
Teil mit der von JoH. MULLER fiir Syzygie gegebenen Definition
decken, da fiir beide Unbeweglichkeit der Verbindung und Mangel
jeglicher Faserverbindung (bei MULLER’s Definition wenigstens der
elastischen Faserverbindung) zwischen den Skelettstiicken als wesent-
lich charakteristisch hervorgehoben wird. Mit dieser Erklarung
Lana’s steht der folgende Passus (1. c. 8. 1006) nicht im Ein-
klang: ,,Wo zwei Skelettstiicke durch eine Sutur vereinigt sind,
wird diese Sutur durch dicht gedrangte, parallel verlaufende
Fasern gebildet, welche das Grundgewebe des einen Stiickes mit
demjenigen des anderen verbinden.‘‘ Nach der citierten Auffassung
wiirden in den Syzygien elastische Fasermassen die Skelettstiicke
Verbindungsweise der Arm- u. Rankenglieder von Ant. ros. 79
verbinden und eine wenigstens passive Beweglichkeit der letzteren
erméglichen. Als Syzygien miiften nach derselben Ansicht be-
trachtet werden die Verbindungen der Stiel- und Rankenglieder,
ferner die Verbindungen zwischen Costale I und HU, Brachiale I
und II, wo ja die echten, ventralen Muskeln ebenfalls fehlen und
eleichzeitig auch die von Jon. MULLER, W. B. CARPENTER etc. als
Syzygien bezeichneten Verbindungen zwischen Brachiale III und IV,
Brachiale IX und X etc. Diese letzteren Verbindungsweisen diirfen
aber mit den Ranken- und Stielgelenken nicht identifiziert werden.
Angesichts dieser verschiedenen Anwendungen des Begriffes
»oyzygie’ ist es wohl gerechtfertigt, den Vorschligen BatrHeEr’s
zu folgen und den Ausdruck ,,Syzygie“ nur in seiner urspriing-
lichen, von Jou. MULLER vorgeschlagenen Bedeutung anzuwenden,
d. h. fir die unbewegliche, durch Fasermassen vermittelte Ver-
bindung zweier Skelettstiicke. Demgemaf kommen Syzygien vor
(Fig. 2): zwischen Br. 3 und 4, 9 und 10, 14 und 15, 18 und 19,
22 und 23, 26 und 27, 30 und 31, 34 und 35, 38 und 39, 42
und 43, 46 und 47 u.s.f. In den Endpartien kann dieses gesetz-
miifige Auftreten der Syzygien gelegentlich eine Storung erfahren;
doch haben wir nur einen einzigen derartigen Fall konstatieren
kénnen.
Konstant ist auch die Verteilung der Pinnulae auf die Arm-
glieder (Fig. 2). Von den beiden Kalkgliedern, die durch eine
Syzygie miteinander verbunden sind, traigt das proximale, d. h.
das sogen. ,,hypozygale“ niemals eine Pinnula, wohl aber das
distale oder ,,epizygale“ Glied. Bei der Anordnung der Pinnulae
kommen demnach die zwei durch eine Syzygie verbundenen Kalk-
stiicke stets nur als eine Einheit in Betracht. AeuBere Fiederchen
finden sich z. B. an folgenden Brachialia: 2, 5, 7, 10, 12, 15, 17,
20, 23, 25, 28, 31, 33, 36 u. s. f. Innere Pinnulae tragen die
Brachialiaw4.°6, 8.1) 13i 1G; b9e21, 24275-2932, 3d5imu. sf
Wenn wir das erste Brachiale vom aboralen Pol aus betrachten
(Fig. 1), so fallt in erster Linie der betrichtliche Langenunter-
schied auf, der zwischen seinem inneren und Auferen Seitenrande
besteht. Seine proximale Flache stimmt in ihrer Konfiguration
tiberein mit der ihr zugewendeten distalen Fliche des Costale II.
Hingegen ist seine distale Fliiche wesentlich verschieden gestaltet.
Sie ist nach demselben Typus gebaut, wie die distale Fliche des
Costale I, d. h. das ganze Artikulationsfeld ist durch eine verti-
kale oder dorso-ventral verlaufende Leiste in zwei seitliche Ver-
tiefungen abgeteilt, die nach CARPENTER nur Interartikularligamente,
80 Heinrich BoShard,
aber keine Muskeln aufnehmen kénnen (,,the distal face is formed
on the plan of that of the second Radial; being simply divided by a
vertical ridge into two lateral fossae, in which are lodged inter-
articular ligaments, but no muscles‘, |. c. 8. 720). PERRIER er-
wihnt das Fehlen von ,,muscles réfringents“* im Gelenk zwischen
Costale I und II, unterlaft es aber, darauf hinzuweisen, dafi die-
selben Verhiltnisse auch fiir die Gelenkverbindung zwischen
Brachiale I und Brachiale II bestehen. Diesen beiden Gelenken
kommt gegentiber allen anderen Armgelenken demnach eine
Ausnahmestellung zu. Diese letztere bezieht sich sowohl auf
die Gestaltung der miteinander artikulierenden Fliichen, als auch
auf die Art der Faserverbindung zwischen den beiden Skelett-
stiicken.
Die Dorsalansicht des Brachiale II (Fig. 1) hat insofern
einige Aehnlichkeit mit derjenigen des Brachiale I, als auch
hier der innere Seitenrand gegentiber dem aéuferen betrachtlich
kiirzer erscheint. Seine proximale Flache entspricht der distalen
des vorausgehenden Segmentes und weist wieder die dorso-
ventral verlaufende Leiste und die seitlich von ihr gelegenen
zwei Vertiefungen auf. Die distale Fliche ist im ganzen éhn-
lich der proximalen Flache des Brachiale I, das Auftreten der
ersten Pinnula verleiht ihr allerdings ein etwas verdandertes
Aussehen.
Im Gegensatz zu Brachiale I und If hat nun Brachiale II
einen lingeren Innenrand, so daf die erheblich schiefe Richtung
seiner proximalen Flache wiederum kompensiert und eine zur
Langsachse vertikale Richtung seiner distalen Fliche erméglicht
wird. Seine distale Flache bildet mit der proximalen Flache
des Brachiale IV die erste Syzygie (Taf. II, Fig. 1, 2 und
Taf. IV, Fig. 8). Es ist friiher schon hervorgehoben worden,
daB diese unbeweglichen Skelettverbindungen niemals_ schief,
sondern stets vertikal zur Langsachse verlaufen. Daf’ die
proximale Flaiche im wesentlichen mit der distalen Flache des
Brachiale II, mit der sie artikuliert, iibereinstimmen muf, ist
einleuchtend; nur fehlt ihr eine Ansatzstelle fiir eine Pinnula,
da sie ja einem ,,hypozygalen“ Gliede angebért. Eine ganz
andere Formation weist nun die distale Fliiche des Brachiale HI
auf (Fig. 8). Von der Oeffnung des Axialkanales (Aq) strahlen
radienartig Kalkleisten, welche gegen die proximale Fliche
des Brachiale [V vorspringen, zum aboralen Rande und zu den
Seitenrandern der Fliiche aus. Diesen vorspringenden Leisten ent-
Verbindungsweise der Arm- u. Rankenglieder von Ant. ros. 81
sprechen analoge Gebilde an der proximalen Fliche des vierten
Brachiale. Zwischen je zwei Leisten liegt eine Vertiefung. Da
eine Vertiefung in der Flache des Brachiale III mit einer analogen
Bildung in der Flaiche des Brachiale IV korrespondiert, so ent-
stehen auf diese Weise Kanile, die von den Oeffnungen des Axial-
kanales radienartig sich zur Peripherie der Flachen begeben und
mit ihren Miindungen an der aboralen und seitlichen Oberfliche
der verbundenen Segmente zu Tage treten. Mit Recht hebt W.
B. CARPENTER (1. ¢c. 8. 721) hervor, da’ zwei durch eine Syzygie
verbundene Skelettstiicke sich erst unter der Einwirkung kochender
Lésungen von Kal. caust. trennen. Ihr gegenseitiger Zusammenhang
ist demnach ein sehr fester. Seine weitere Bemerkung ‘No liga-
mentous substance is interposed between them; but an examination
of decalcified specimens shows that the canals are occupied by
radial extensions of the ordinary sarcodic basis-substance” diirfte
dagegen weniger einwandfrei sein, wie aus den Ausfiihrungen
S. 101 ff. hervorgeht. Das Brachiale IV hat einen langeren Innen-
und einen kiirzeren Aufenrand und tragt, wie Fig. 2 zeigt, die
erste Innere Pinnula. Seine distale, dem Brachiale V zugewendete
Flache weist die nimliche Konfiguration auf wie die proximale
Flache des Brachiale III, nur daf sie durch die Ansatzstelle der
ersten inneren Pinnula ausgezeichnet ist. Am Brachiale V ist der
Liangenunterschied zwischen Innen- und Aufenrand sehr gering,
so dafS seine beiden Artikulationsflichen nahezu parallel laufen.
Letztere weisen im tibrigen keine besonderen Merkmale auf,
sondern zeigen die typische Gliederung. Fir die Brachialia der
nun folgenden Armpartien ist charakteristisch in erster Linie die
allmaihliche Abnahme ihres Querdurchmessers ohne entsprechende
Reduktion ihrer Linge, ferner das Auftreten der Syzygien in
gleichen Zwischenriumen und die regelmafige Verteilung der
Fiederchen.
C. Das Skelett der Ranken.
Forses und W. B. CARPENTER weisen darauf hin, da die
Zahl der Ranken bei verschiedenen Individuen keineswegs konstant
und ihre Form auch nicht einheitlich sei. Wir sind im Falle,
diese Angaben bestitigen zu kénnen. Die vdllig entwickelte Dorsal-
cirre besteht nach W. B. CarPenrer in der tiberwiegenden Zahl
der Fille aus 15 Kalksegmenten. Jede einzelne Cirre ist als
Bd, XXXIV. N. F. XXVIL. 6
82 Heinrich BoShard,
Ganzes im wesentlichen gekriimmt wie die Endklaue ihres letzten
Segmentes, d. h. die Konvexitét der Ranke ist ventral oder nach
oben gerichtet, wihrend ihre Konkavitét der Spitze des Kelches
zugekehrt ist, also nach unten schaut. In den Endpartien ist
iiberdies die Kriimmung stirker als im Basalteile und in der Mitte
(Fig. 14). Die drei Basalsegmente einer Ranke sind gegentiber
den folgenden Stiicken in ihrer Lingsachse stark verktirzt (Fig. 13).
Sie stellen cylindrische Scheiben dar, deren Lingendurchmesser
gegentiber dem Querdurchmesser bedeutend zuriicktritt. Mit dem
4, Segmente nimmt die Linge der Glieder zu, wiahrend gleichzeitig
der Querdurchmesser eine Reduktion erfahrt. Das 8. Segment ist
so ziemlich das lingste, wahrend das 7. den kleinsten Querdurch-
messer hat. Die Segmente 9, 10, 11 und 12 sind nahezu gleich
lang. Der obere oder orale Rand der einzelnen Segmente bildet,
wenn wir 1—5 ausnehmen, nahezu eine gerade Linie, der aborale
Rand ist dagegen deutlich konkav. Das letzte Glied einer Ranke
triigt stets eine Klaue und an der Basis der letzteren auf ihrer
aboralen Seite einen kurzen und spitzen Fortsatz (vergl. Taf. V,
Fig. 14). Samtliche Glieder sind in der Richtung ihrer Langs-
achse von dem Axialkanal durchzogen, der von Jon. MULLER als
Nahrungskanal bezeichnet worden ist (vergl. Allgem. Organ. 8. 71
und Taf. V, Fig. 9, 10, 11, 12,13, 14).--In den-4:ersten
Segmenten folgt der Axialkanal in seinem Verlaufe genau der Langs-
achse jedes einzelnen Gliedes, um sich dann spater mehr und
mehr dem oralen Rande der Ranke zu nihern. Wir werden sehen,
daS auch der Gelenkwulst der Artikulationsflichen in den mitt-
leren und letzten Gliedern eine aihnliche Verlagerung erfahrt.
Die pfannenartigen Vertiefungen, in welche das 1. Glied jeder
Ranke eingelenkt ist, sind in 2—3 Reihen am Rande der Centro-
dorsalplatte angeordnet. In ihrer Kontur nihern sie sich meist
einem reguléren Fiinfecke, doch sind Abweichungen von dieser
typischen Form keine Seltenheiten (vergl. Taf. III Fig. 1). Durch
die Gelenkgrube hindurch zieht sich in der Richtung einer Diago-
nale der Gelenkwulst, welcher der proximalen Artikulationsflache
des 1. Basalsegmentes der Ranke gegentibersteht. In der Mitte
ist er von der elliptischen Oeffnung des Axialkanals durchbrochen
und nimmt nach beiden Seiten hin bei gleichzeitiger Verjiingung
auch an Hohe ab. Das 1. Rankenglied ist das kiirzeste und hat
Cylinderform. Dem Centrodorsale wendet es seine proximale, dem
2. Rankengliede seine distale Flache zu. Beide Flichen sind
Gelenkfacetten, aber yon verschiedener Beschaffenheit. Wéahrend
Verbindungsweise der Arm- u. Rankenglieder von Ant. ros. 83
die distale Flaiche von dem oben schon erwahnten queren Gelenk-
wulste durchzogen ist und dorsal und ventral von demselben er-
hebliche Vertiefungeu zur Aufnahme der die Glieder verbindenden
Fasermassen aufweist, zeigt die proximale Flache viel weniger
prignante Erhebungen und Vertiefungen. Das 2. Rankenglied
unterscheidet sich vom ersten nur durch seine etwas gréfere Linge,
ebenso verhalt sich auch das 3. Glied gegeniiber dem zweiten (vergl.
Taf. V, Fig. 11, 12 und 13). Jon. MULLER iuBert sich folgender-
ma8en tiber die Gelenkfliichen der Cirrenglieder (1. c¢. 8. 191 u. 192):
»Die Gelenkfacetten der Cirrenglieder, wodurch sie unter sich in
Verbindung stehen, beschreibt Mrtuer (17) also: ,,,,Sie sind von
einem erhabenen Saume umgeben. Das Innere ist ausgehoéhlt in
2 runde Vertiefungen von ungleicher GréSe. Beide Vertiefungen
sind getrennt durch einen queren Riff, der in der Mitte von dem
Nahrungskanal durchbohrt ist.‘‘‘‘ Ich finde die Gelenkfliiche der
unteren deprimierten Glieder von einem queren Riffe durchzogen,
worin die Centraléffnung. Weiterhin verandert sich die Gelenk-
fliche, so dali sie sich der von MiiLerR bezeichneten Form niihert.
Ich sehe immer einen kleinen erhabenen Kreis in der konkaven
Gelenkflache, dieser Kreis liegt zwischen dem Rande und der
Centraléffnung, oder richtiger, der kreisférmige Wulst geht durch
die Centraléffnung durch. Der Raum innerhalb des kleinen Wulstes
ist wieder vertieft. Der Raum zwischen 2 Gliedern wird von der
Interartikularsubstanz eingenommen. Durch den Wulst, den sie
dem ahnlichen Wulste des nachsten Gliedes zuwenden, sind sie in
den Stand gesetzt, sich aufeinander zu wiegen.‘‘ Diese Darstellung
der Artikulationsflachen durch MILLER und Jon. MULLER befriedigt
insofern nicht, als beide Autoren im ungewissen lassen, ob ihre
Angaben sich allgemein auf die Facetten aller Segmente oder nur
einzelner derselben beziehen. Im weiteren ist auch der Unter-
schied nicht erwihnt, der thatsachlich zwischen der proximalen
und distalen Fliche eines und desselben Gliedes besteht (vergl.
Taf. V, Fig. 11, 12 u. 13). W. B. Carpenter giebt Plate XXXIII
in Fig. 8a die Artikulationsfliche eines Basalgliedes und in 8b
diejenige eines Segmentes aus der mittleren Region einer Ranke
wieder, ohne anzugeben, ob seine Darstellungen sich auf die proxi-
male oder distale Flaiche des betreffenden Segmentes beziehen.
Es ist wohl der Schluf berechtigt, da’ die genannten Autoren
die Unterschiede in der Konfiguration der beiden Flichen entweder
iibersehen oder dann als zu geringfiigig betrachtet haben, um sie
durch Zeichnung besonders hervorzuheben,
6 *
84 Heinrich BoShard,
Der in Fig. 11 dargestellte, elliptische Gelenkwulst kehrt, wie
Fig. 13 zeigt, in der distalen Artikulationsfliche aller Basal-
segmente wieder. Die proximalen Gelenkflachen der letzteren
sind, wie Fig. 12 zeigt, ebenfalls stark konkay und zeigen in ihrer
Vertiefung auch einen elliptischen Querwulst, der aber in seiner
mittleren, die Centraléffnung umgebenden Partie so vertieft ist,
daf seine Grube den konvexen Wulst der distalen Flache des
vorausgehenden Segmentes aufnehmen kann. Die Beschaffenheit
der Artikulationsflaichen erméglicht eine wiegende Bewegung der
Segmente in dorso-ventraler Richtung. Die Gelenkgruben, die
dorsal und ventral vom Gelenkwulste zur Aufnahme der ver-
bindenden Fasermasse aufgespart sind, sind vollstandig gleich,
folglich ist auch die Exkursionsfihigkeit eines solchen Gelenkes
in dorsaler und ventraler Richtung dieselbe.
Wie schon an anderer Stelle hervorgehoben worden ist, sind
in der Mittel- und Endregion der Ranke die Segmente von anderer
Form als in dem Basalteil; auch die Artikulationsverhaltnisse
zwischen den einzelnen Gliedern erfahren dort eine nicht geringe
Modifikation. Die Segmente werden linger, gleichzeitig wird ihre
dem aboralen Pole zugekehrte seitliche Randlinie gegentiber der
ventralen Randlinie erheblich verktirzt, so da’ die beiden Artiku-
lationsflichen eines Segmentes nicht mehr parallel sind, sondern
in aboraler Richtung konvergieren, wahrend zwei einander zu-
gekehrte Gelenkflichen in derselben Richtung divergieren.
Von der Seitenfliche gesehen, prasentieren sich in diesen
Regionen die Segmente als Trapeze, deren kiirzere Parallelseite
aboral gerichtet ist. Die Gelenkwiilste und mit ihnen auch der
Axialkanal erfabren eine deutliche Verschiebung nach oben, wo-
durch eine Ungleichheit der Gelenkgruben und eine verschiedene
Lange der sie erfiillenden Fasern bedingt ist (Taf. VIII, Fig. 24).
Durch diese Einrichtung wird die Exkursionsfihigkeit der Gelenke
auf der dorsalen Seite erheblich vergréfert und damit auch die
Fafkraft der Ranke und namentlich ihrer Endklaue wesentlich
erhoht.
IV. Histologische Untersuchung.
Die Frage nach der histologischen Natur der Dorsalfasern in
den Armgelenken und der Fasermasse in den Rankengelenken ist
seit dem Erscheinen von Jon. MiLier’s grundlegender Arbeit
Verbindungsweise der Arm- u. Rankenglieder von Ant. ros. 85)
eifrig diskutiert worden. Dieser Autor spricht sich hinsichtlich
der Rankenfasern (1. c. 8. 186) folgendermafen aus: ,,Die Stengel-
gebilde der Pentacrinen sind ohne alle Muskeln, sowohl die Glieder
der Saule als die Cirren oder Ranken. Dasselbe gilt von den
Dorsalcirren der Comatulen. Die Ranken sind bei den Comatulen
sowohl als bei den Pentacrinen nicht einmal an ihren Befestigungs-
stellen mit Muskeln versehen.‘‘ Von der Artikulation der Arm-
glieder sprechend, aufert er sich (1. c. 8. 214) wie folgt: ,,Die
Riffe der Glieder sind untereinander durch ein unelastisches Band
verbunden, der ganze tibrige Teil der Artikulationsflichen wird
aber von der schon beim Stengel beschriebenen elastischen Inter-
artikularsubstanz eingenommen, die man nach Ausziehen der Kalk-
erde als ein dickes elastisches Kissen zwischen den Gliedern er-
halt, ihre Oberflachen sind nicht krausevartig gefaltet, wie es am
Stengel der Fall ist. Sie hat sonst durchaus denselben Bau wie
am Stengel und an den Cirren. Durch diese Art von Verbindung
ist ein Wiegen der Glieder in abwechselnd schiefen Richtungen
auf den Riffen médglich, wobei die elastische Substanz an der
einen Seite zusammengedriickt, an der anderen ausgedehnt wird.
Da nun bei Pentacrinen und Comatulen die Muskeln nur an
dem ventralen Teile der Artikulationsflichen oder zwischen den
ventralen Fortsitzen der Glieder liegen, so ergiebt sich hieraus,
dafi diese Tiere durch Muskelkraft nur die Beugung der Arme
bewirken kénnen, und daf die Streckung derselben der elastischen
Interartikularsubstanz anvertraut ist, welche sogleich wirkt, sobald
ihre Zusammendriickung aufbort.“ W. B. CARPENTER sagt (I. ¢.
S. 703 ff.): “From the position and action of the ligaments connect-
ing the pieces of the skeleton of Antedon, I think it is clear that
some of them are simply interarticular, having for their
function to tie these pieces together, but allowing a certain free-
dom of movement between them; whilst others are decidedly
elastic, their action being to antagonize muscles, as in many
other well-known cases among Vertebrate and Invertebrate animals”
und (Il. c. S. 709) “Between the segments (der Dorsalcirren) is
interposed a ligamentous (not muscular) substance; this is seen in
the basal joints to be as thick on the oral side as it is on the
aboral; but as we advance towards the middle of the cirrhus,
the thickness of the interarticular substance is seen to be much
greater on the aboral side, the form of the segments being so
modified as to admit considerable flexure in that direction,
whereby the prehensile power of the claw is much increased.”
86 Heinrich Bofghard,
Nach der Angabe Jos. MtLuer’s soll MILuer (1. c.) von Muskeln
im Stengel von Pentacrinus sprechen, bemerkt aber dazu (I. ¢.
S. 187): ,,Wenn Mi~uer in seinen Crinoiden von Muskeln spricht,
so darf man sich darunter nichts anderes als weiche Teile tber-
haupt vorstellen, denn in diesem Sinne braucht er den Ausdruck
auch sonst sehr oft.“ Wir haben von MiLuEr’s Arbeit keine Ein-
sicht nehmen kénnen und daher darauf verzichten miissen, die
Angabe Jou. Miver’s auf ihre Richtigkeit zu priifen. Unter
den alteren Autoren haben Heustrncer (10) und Leuckarr darauf
hingewiesen, daf die Comatulen die Cirren zum Kriechen bentitzen
kénnen, und THompson (25) erwdhnt die Fahigkeit der noch ge-
stielten jungen Comatulen, ihren Stengel in jeder Richtung biegen
und sogar spiralférmig zusammenzuziehen.
Unter den neueren Autoren teilt Lupwie (1. ¢.) auch noch
den Standpunkt Jon. MiLver’s in Bezug auf die Ranken, ohne
jedoch seine Ansicht auf eigene Beobachtungen und Untersuchungen
zu stiitzen. JickeEi (1. c.) schreibt den Cirren die Fahigkeit zu,
sich aktiv zu bewegen, und betrachtet die Fasern der Ranken-
gelenke und die Dorsalfasern der Armgelenke als Muskeln, die
sich von den echten ventralen Muskeln wesentlich nur durch den
Mangel jeglicher Schrigstreifung unterscheiden. Ihm schlieft sich
HAMANN an, der die in Frage stehende Gewebemasse als ,,spindlige
Muskelfasern bezeichnet. Er aufert sich dariiber wie folgt (9):
»Als Antagonisten der Armmuskeln treten uns _ eigentiimliche
Fasergruppen entgegen, welche mit den in den Cirren vorkommen-
den Fasern iibereinstimmen. Den Cirren, den beweglichen Ranken
des Kelches, welche an ihrer Spitze groSe, gekriimmte Haken
tragen, kommt diese Art von Muskulatur allein zu. Was mich
dazu fiihrt, diese Fasern als muskulés in Anspruch zu nehmen,
ist folgendes: Ihr Bau stimmt ganz tiberein mit den in den Cirren
auftretenden Fasern, und diese sind unzweifelhaft muskulés.“
Daf Voar und Yuna von der muskulésen Natur dieser Fasern
vollends iiberzeugt sind, geht daraus hervor, daf sie (26, 8S. 534)
die Cirrengelenke einfach als Muskelgelenke bezeichnen und bei
der Darstellung einer Syzygie (1. c. 8. 567) von einem muskulésen
oder elastischen Fasergewebe sprechen, welches die strahlenférmig
angeordneten, die Héhlung der Syzygie durchsetzenden Kanale
bilden soll. Auf §S. 568 wird dieses Gewebe nicht mehr als
muskulés oder elastisch bezeichnet, sondern es heift dort:
Die sehr feinen Fasern dieses elastischen Gewebes fiarben sich
intensiv durch Pikrokarmin.“’ Auch aus 1]. ¢. 8. 530 scheint mit
Verbindungsweise der Arm- u. Rankenglieder von Ant. ros. 87
Sicherheit geschlossen werden zu diirfen, da diese Autoren jede
Faserverbindung zwischen 2 Skelettstiicken als muskulés betrachten.
Auffallend ist auch, daf sie des ganz verschiedenen Farbentones
nicht erwahnen, den echte Muskeln, Dorsalfasern und Syzygial-
fasern bei der Farbung mit Pikrokarmin annehmen.
Perrier (1. c. 3™ série t. 1, 8S. 187) auBert sich in Bezug auf
diese Frage wie folgt: ,,I] est incontestable que le tissu fibreux inter-
calé entre les régions calcifiées des bras prend deux formes bien
différentes; mais pourquoi appelle-t-on ligamenteux le tissu qui se
colore peu, et musculaire celui qui se colore fortement sous l’action
de Péosine ou du carmin?“ und (1. ¢. 8. 189) ,,En raison des plus
faibles dimensions des bandelettes protoplasmatiques qui les consti-
tuent, nous appellerons les muscles dorsaux des bras et les muscles
analogues des cirrhes et de la tige muscles fibrillaires ou
encore muscles hyalins; les muscles du coté ventral peuvent étre
désignés sous le nom de muscles fibreux ou sous celui de
muscles réfringents, qui fait allusion ala grande réfringence de leurs
fibres.“ In ,,Etudes morphologiques sur les Echinodermes“ bemerkt
CuEnot (7) 8. 338: ,Chez les Crinoides seulement, le tissu mus-
culaire présente des caracteres vraiment inexplicables; voici les faits :
les articles calcaires des bras et des pinnules sont unis du cdété de la
rainure ambulacraire par une paire de muscles, parfaitement caracté-
risés, en tout semblables aux muscles des autres Echinodermes (mus-
cles réfringents de M. Perrier); du coté opposé, par une masse
unique de tissu fibrillaire spécial (spindlige Muskelfasern @HAMANN,
muscles hyalins de M. Perrier), compléetement différent d’aspect,
que Ja plupart des auteurs, sauf JickeL1, HAMANN et PERRIER,
ont considéré comme ligamenteux. Dans les cirrhes et la tige,
il n’ya plus du tout de muscles réfringents, les articles sont simple-
ment unis par des paquets de ce tissu fibrillaire. Les seules rai-
sons qui puissent faire considérer ce tissu fibrillaire comme mus-
culaire sont des raisons physiologiques. .... Mais, si au point
de vue physiologique comme JICKELI l’a bien prouvé, et comme
M. Perrrer le fait remarquer avec raison, on est bien forcé
Wadmettre que ce tissu agit comme un tissu musculaire, il faut
avouer quil y a d’énormes différences histologiques.“
Nach der alteren Ansicht wiirden demnach in den Gelenk-
verbindungen der Arme 3 differente Fasermassen vorkommen; nach
der Ansicht der neueren Untersucher wiirde die Verbindung zweier
Skelettstiicke der Arme durch ventrale und dorsale Muskeln be-
88 Heinrich Bofghard,
werkstelligt und eine besondere, nur ligamentiése Fasermasse nicht
vorhanden sein.
Schon bei einer makroskopischen Untersuchung der in Frage
stehenden Gewebemassen fallt ihre verschiedene Farbe sofort auf.
Die echten ventralen Muskeln sind stets gelb oder braun; wahrend
die Dorsalfasern dem Auge weif und gliinzend erscheinen. Sind
nach lingerem Verweilen der Armstiicke in verdiinnter Aetzkali-
lésung die ventralen Muskeln verschwunden, so wird in der Tiefe
der Gelenke eine Fasermasse sichtbar, die im auffallenden Lichte
eine bliuliche Farbung mit deutlichem Perlmutterglanze aufweist.
Diese Fasermasse tritt namentlich deutlich zu Tage im Gelenk
zwischen den Radialia und Costalia I, sodann wieder zwischen
Costalia II und Brachialia I und zwischen Brachialia II und
Brachialia III, wihrend sie zwischen Costalia I und Costalia II
und dann wieder zwischen Brachialia I und Brachialia II fehlt
(vergl. Fig. 4). Diese Fasermasse fehlt demnach in allen den-
jenigen Gelenken, deren Drehachse eine dorso-ventrale Richtung
hat und diirfte den CARPENTER’schen ,,Interarticular Ligaments‘
und dem ,,unelastischen Bande“ Jon. MULuer’s identisch sein.
Ihrer grofen Resistenz gegentiber der Aetzkalilisung ist es wohl
zuzuschreiben, dafi die Skelettstiicke auch trotz langerer Ein-
wirkung dieses Reagens noch im Zusammenhange bleiben. Das
Resultat unserer makroskopischen Priifung wiirde demnach eine
Bestitigung der Angaben W. B. Carpenrer’s hinsichtlich der
3 Gelenkgruben und der sie occupierenden 3 differenten Faser-
massen in den Gelenkverbindungen zwischen Radiale und Costale I,
Costale II und Brachiale I, und Brachiale II und Brachiale III
sein. Wir werden sehen, daf auch die mikroskopische Unter-
suchung zu denselben Ergebnissen fiihrt.
Durch zahlreiche Farbungsversuche haben wir das Verhalten
der in Frage stehenden Gewebemassen gegentiber den in der
Mikrotechnik gebrauchlichen Tinktionsmitteln festzustellen gesucht.
Um méglichst viele Variationen in den Farbungen zu erzielen,
wurde die Stiickfarbung bald aufgegeben und durch die Schnitt-
farbung ersetzt. Den einfachen Farbungen mit Himalaun, Hima-
toxylin, Karmin, Goldchlorid-Ameisensiure und Eisenhamatoxylin
(n. M. HemENHATN) reihten sich nachstehende Doppelfarbungen an:
1) Pikrokarmin,
2) Haimatoxylin und Eosin,
3) * ) Orange;
i 55 aurefuchsin,
D5) R » Pikrinsiure.
Verbindungsweise der Arm- u. Rankenglieder von Ant. ros. 89
Ferner wurden zahlreiche Schnitte nach den Angaben
CuEnot’s (1. c. 8. 316 und 317) gefarbt. Die Ergebnisse, zu denen
uns diese Methode der Farbung fiihrte, waren teilweise gut, schienen
uns aber doch noch zu wenig tiberzeugungskraftig zu sein, um darauf
ein abschlieSendes Urteil zu bilden. Dasselbe gilt auch zum Teil
in Bezug auf die Resultate der Anwendung des Enruicu-Bronpi-
schen Farbengemisches. Bei Anwendung einer einzigen Farbe
zeigen ventrale Muskeln und Dorsalfasern ein verschiedenes Ver-
halten hinsichtlich der Intensitét der Farbung, die sie erlangen.
Die verschiedenen Himatoxyline (ausgenommen das nach APATHY)
fiirben beispielsweise die ventralen oder echten Muskelfasern nur
schwach blau, wiahrend gleichzeitig Dorsalfasern und Syzygialfasern
sehr intensiv dunkelblau erscheinen. HerrtDENHAIN’s Eisenhima-
toxylin farbt die echten Muskeln tief schwarz, wahrend Dorsal-
fasern und Bindegewebe mit Ausnahme der rundlichen Kerne, die
ebenfalls schwarz sind, gar nicht gefarbt werden. APATHy’s Hiima-
toxylin tingiert die Muskelfasern dunkelbraun, Dorsalfasern,
Syzygialfasern und Bindegewebe nehmen dagegen nur eine duferst
schwache Firbung an. Bei Anwendung von Goldchlorid-Ameisen-
siiure erscheinen die Muskeln dem Auge in einem Farbentone,
der demjenigen der reifen Kirschen sehr nahe steht, Dorsal- und
Syzygialfasern erscheinen schwarz, der Axialstrang des apicalen
Nervensystems hell rotbraun. Auf Schnitten, die mit Pikrokarmin
(n. RANVIER) behandelt worden sind, erhalt die ventrale Muskulatur
einen fleischfarbenen Ton, wihrend die Dorsalfasern eine schéne
rosarote Farbung annehmen. Voar und Yune@, die ihre Prapa-
rate ebenfalls mit Pikrokarmin behandelt haben, erwahnen auf-
fallenderweise die verschiedenen Fairbungen nicht, welche Muskeln
und Dorsalfasern durch Pikrokarmin erhalten. Wird mit Ham-
alaun oder BOuMeER’schem Haimatoxylin vorgefarbt und nachher mit
Saiurefuchsin nachgefarbt, so tingiert das Himatoxylin die Dorsal-
fasern tief dunkelblau, die ventrale Muskulatur dagegen erscheint
schén rot. Werden Hamatoxylin- und Orangefirbung kombiniert,
so nimmt die Dorsalfasermasse die Farbe des Hiimatoxylins, die
Muskulatur diejenige des Orange an. Perrier (1. c. 8. 186) erwahnt
das verschiedene Verhalten der Muskel- und Dorsalfasern zum Eosin
wie folgt: ,,Entre la 1% et la 2° radiales (Radiale und Costale J),
le tissu calcifére est remplacé par un tissu avec lequel sa substance
fondamentale est également en continuité absolue; que l’on peut,
a premiére vue, considérer comme résultant d’une simple différen-
ciation de cette substance; mais ici la différenciation est beaucoup
90 Heinrich BoShard,
plus avancée que celle de la substance constituant la suture des
premicres radiales entre elles. Les maticres colorantes accusent,
en effet, deux couches bien nettes dans ce nouveau tissu. La
couche inférieure correspondant a la moitié inférieure (dorsal) de
la surface d’articulation, entre les deux radiales (Radiale und
Costale I) se colore faiblement par l’éosine, fortement au contraire,
et en violet, sous laction combinée du bleu de méthyléne et du
picro-carminate d@’ammoniaque. ... La couche supérieure (ventral),
beaucoup plus nettement arrétée que linférieure dans son contour,
se distingue encore de cette derniére parce qu’elle se colore trés
énergiquement sous laction de l’éosine, faiblement au contraire
et en bleu sous l’action combinée du bleu de méthyléne et du
picro-carminate @ammoniaque.“ Wir haben Eosin- und Haima-
toxylinfarbung kombiniert und gefunden, daf die Dorsalfasern die
blaue Farbe des Hamatoxylins, die Muskeln dagegen die Farbe
des Eosins annehmen.
Die letzten Fiarbeversuche wurden mit der vAN Grrson’schen
Methode angestellt und lieferten die brauchbarsten Resultate. Die
Differenzierungen, die wir mit dieser Methode in den Schnitten
erzielten, sind so pragnant, daf wir nicht umhin kénnen, einzelne
Schnitte bezw. ihre Tinktionen in den Figuren 15, 16, 17 u. 18
Taf. VI u. VIL wiederzugeben. Die Schnitte wurden zunachst in
ziemlich stark verdiinntem Boumer’schen Hamatoxylin vorgefarbt
und sorefiltig in Brunnenwasser und hernach in Aqua dest. aus-
gewaschen. Dann wurden sie fiir 1 Minute in das Gemisch von
gesattigter, wafriger Pikrinsiurelésung und Siurefuchsin gebracht
und wiederum wihrend 1 Minute in Aqua dest. ausgewaschen.
Dann erfolgte allmahliche Hartung durch 2—3 Minuten langes Ver-
weilen in 35-proz., 70-proz., 95-proz. und absolutem Alkohol,
rasches Abspiilen in Xylol und Einschlu8 in Kanadabalsam. Es
ist fiir das gute Gelingen dieser Farbungen sehr wichtig, daf die
ganze Farbungs- und Hartungsprozedur zeitlich auf ein Minimum
eingeschrinkt wird. Ebenso sehr fallt ins Gewicht das Mengen-
verhaltnis, in dem Pikrinsdiure und Saurefuchsin miteinander ver-
mischt werden. Das richtige Mischungsverhaltnis kann nur durch
zahlreiche Proben eruiert werden. Wir setzten der Pikrinséure
das Siurefuchsin tropfenweise zu, bis die Mischung etwa die Farbe
eines helleren Rotweines aufwies.
Wie die Figuren 15 und 16, welche Armquerschnitte dar-
stellen und die Figuren 17 und 18, welche einen Langsschnitt
durch einen Arm darstellen, zeigen, nehmen die echten oder ven-
Verbindungsweise der Arm- u. Rankenglieder von Ant. ros. 91
tralen Muskeln den Farbenton der Pikrinsiure an. Alle anderen
Partien der betreffenden Priparate werden von der Pikrinsiure
in keiner Weise gefirbt. Die dorsale Fasermasse erscheint da-
gegen auf dem Armquer- und Lingsschnitt intensiv violett ge-
firbt, ebenso die Grundsubstanz des Kalkkérpers (Fig. 16) und
— was ganz besonders stark ins Gewicht fallt — auch die Faser-
masse in den Syzygien, d. h. in den unbeweglichen Verbindungen
zweier aufeinander folgenden Kalksegmente. Aber auch die Faser-
masse, welche das CArPENTER’sche Interartikularligament_ bildet,
nimmt, wie Fig. 18 zeigt, eine spezifische Fairbung an. Thr Farben-
ton geht ins Dunkelviolette und hebt sich aufs schirfste von der
Farbung der Muskeln und Dorsalfasern ab. Fassen wir die durch
die zahlreichen Fiarbeversuche gewonnenen Resultate zusammen,
so ergiebt sich kurz Folgendes: Ventrale Muskeln und Dorsal-
fasern verhalten sich den Farbstoffen gegeniiber in allen von uns
beobachteten Fallen verschieden, wahrend Dorsal-Syzygialfasern
und Bindegewebe in Bezug auf Firbung in ihrem Verhalten eine
deutliche Uebereinstimmung an den Tag legen. Auf diese wichtige
Thatsache hat bereits Cufnot in aller Kiirze hingewiesen; doch
griindet sich sein Hinweis wohl blof auf die Resultate der Farbung,
(lie er mit seinem Dreifarbengemisch gewonnen hat. Halten wir
mit diesen Befunden die Thatsache zusammen, dal Dorsal-, Syzy-
gial- und ligamentése Fasern der Aetzkalilésung wochenlang erfolg-
reich zu widerstehen vermégen, so diirfte kein Zweifel mehr
dariiber bestehen, dafi zwischen den beiden in Frage stehenden
Fasermassen thatsachlich ganz enorme histologische Unterschiede
existieren und der 8. 87 citierte Ausspruch CUENOT’s seine volle
Berechtigung hat.
a) Die organische Grundsubstanz der Kalkkorper.
Die Kalkgrundsubstanz zeigt auf Langsschnitten, die durch
Arme und Ranken gefiihrt werden, dieselben Strukturverhaltnisse
(Fig. 23). Sie ist von zahlreichen Hohlriumen durchsetzt, die
vor der Entkalkung mit Bestandteilen des Skelettes ausgefiillt
waren. Diese Hohlriume sind meist kreisf6rmig oder elliptisch
und stets scharf umrandet. Die Grundsubstanz selbst firbt sich
nur schwach, sie ist nicht homogen, sondern es wechseln dunklere
und hellere Stellen miteinander ab. Oft treten diese dunkler ge-
farbten Stellen als sehr feine Punkte auf und verleihen dann der
92 Heinrich BoShard,
Grundsubstanz selbst ein etwas kérniges Aussehen. Zahlreiche
kugelige Kérperchen sind gruppenweise in die letztere eingebettet,
doch lat sich hinsichtlich der Zahl und der Anordnung dieser
Kérperchen eine Regelmahigkeit oder Gesetzmabigkeit keineswegs
erkennen. Nur in dem Bereiche der Gelenkflachen, wo die schon
erwahnten Hohlraume kleiner werden, nimmt die Zahl der Koérper-
chen zu. Die Kérperchen sind meist von kugeliger oder ellip-
tischer Form, stark tingiert und lassen keinerlei feinere Struktur-
verhaltnisse oder Auslaufer erkennen. Offenbar sind diese kugeligen
Kérperchen nichts anderes als die Kerne der in der Cutis liegenden
Bindegewebszellen. Dieser kurzen Darstellung der Kalkgrund-
substanz haben wir Fig. 23 Taf. VIII zu Grunde gelegt und ver-
weisen auf die diesbeziiglichen Erklarungen. Fir die Angaben
Perrier’s (1. c. 8. 184): ,,La forme générale des corpuscules
colorés est arrondie, mais ils présentent toujours sur leur pourtour
au moins deux prolongements et sont par conséquent fusiformes
ou étoilés etc.“ haben wir in unseren Praiparaten eine Bestaitigung
nicht finden kénnen.
b) Die ventrale Muskulatur.
Die ventrale Muskulatur, deren Verhalten zu den verschieden-
artigen Tinktionsmitteln wir bereits kennen gelernt haben, bietet
einer genaueren histologischen Untersuchung weit weniger Schwierig-
keiten dar als die dorsalen Fasern. Sie ist auch mehrfach genauer
studiert worden und ihre feineren Strukturverhaltnisse diirften im
allgemeinen als hinreichend bekannt betrachtet werden. Wenn
wir hier trotzdem noch etwas eingehender auf ihre Beschreibung
eintreten, so geschieht dies wesentlich, um eine Beobachtung, die
wir an unseren Praparaten gemacht haben, erganzend anzufiigen.
Jon. Miuuer giebt (1. c. Taf. IV Fig. 9) eine Abbildung der
Muskelfasern von Pentacrinus Caput Medusae bei 450-facher Ver-
eréferung. Er stellt die Fasern als bandartige Gebilde mit parallel
verlaufenden Randern dar. Von Kernen und Sarkolemm ist in
seiner Abbildung nichts zu sehen. Vergebens haben wir im Texte
seiner Arbeit nach einer detaillierten Beschreibung dieser Muskel-
fasern gesucht, wahrend der Interartikularsubstanz in ausfihrlicher
Weise gedacht ist. Eine gute Abbildung der Muskelfasern giebt
W. B. Carpenter (]. c. Taf. XLIII Fig. 4 und 4a). Die den
einzelnen Fasern angehérenden Kerne, deren Gestalt richtig wieder-
Verbindungsweise der Arm- u. Rankenglieder von Ant. ros. 93
gegeben ist, bezeichnet er in der betreffenden Tafelerklarung als
»nuclear ?; corpuscles“, deren histologischer Wert ihm nicht recht
klar sei. Ferner erwihnt er als auffillig den Mangel jeglicher
Querstreifung und die Unmédglichkeit, die Faser in feinere Ele-
mente aufzulésen. SCHWALBE (22) hat zum ersten Male die
Muskelfasern der Echinodermen einer genauen Untersuchung unter-
zogen und bei Ophiuren eine doppelte Schriagstreifung beobachtet,
die er ausfiihrlich beschreibt und in Figuren veranschaulicht. Wir
werden auf seine Ausfiihrungen noch zuriickzukommen haben.
Lupwie bestitigt im allgemeinen die Angaben CARPENTER’s und
ergiinzt sie in Bezug auf die Kerne und die Biindelbildung. Hin-
sichtlich der von ScHWALBE bei Ophiuren erwahnten Schriig-
streifung dufert er sich (1. c. 8S. 294) wie folgt: ,,Vergeblich habe
ich mich bemiiht, in den Muskelfasern eine feinere Struktur, Quer-
streifung oder die von ScHWALBE bei Ophiuren beschriebene
Schrigstreifung, aufzufinden.“ JickeLt (11) erwihnt eine Schrig-
streifung, die er an den Muskelfasern von Antedon gesehen haben
will, unterlaBt es aber, dieselbe genauer zu beschreiben und an
einer Figur zu verdeutlichen, so dafi seine Angaben tiber diesen
Punkt unverstiindlich sind. Es ist wohl anzunehmen, daf ihm die
SCHWALBE’sche Arbeit nicht bekannt war. Die von SCHWALBE be-
obachtete doppelte Schrigstreifung fand Hamann an Praparaten
von Intervertebralmuskeln von Ophioderma longicauda und Ophio-
myxa pentagona wieder, an den Fasern der ventralen Armmuskeln
von Antedon nahm er stets nur eine Liingsstreifung wahr. PERRIER
(20, 3™° série t. 1 5. 194) bemerkt, die Strukturverhaltnisse der
Muskelfaser von Antedon darstellend: ,,La substance des fibres
musculaires réfringentes est absolument homogéne ou légérement
striée longitudinalement; on n’y observe pas de stries transver-
sales.“
Wie wir uns an frischen Zupfpriparaten und Lingsschnitt-
praparaten tiberzeugen konnten, giebt es in den ventralen Arm-
muskeln von Antedon glatte Fasern, Fasern mit deutlicher Langs-
streifung und Fasern mit doppelter Schragstreifung, ja es kommen
sozusagen alle Uebergiinge von der glatten Faser bis zur einfach
und doppeltschraggestreiften Faser innerhalb desselben Muskel-
biindels vor. Die Ergebnisse unserer eigenen Beobachtung wiirden
demnach berechtigen, die Angaben ScHwaLser’s und HAMANN’s
tiber doppelte Schriagstreifung der Ophiurenmuskeln auch auf die
Muskeln von Antedon auszudehnen. Sie zeigen ferner, da’ die
erwihnte, in ihrer Kiirze unverstindliche Mitteilung Jickeri’s
94 Heinrich Bofghard,
immerhin auf einer wirklichen Beobachtung beruhte. Im weiteren
decken sich unsere Befunde fast vollstindig mit den Resultaten,
zu denen WaAckwitz (27), BatLowirz (1), ENGELMANN (8) und
Knouu (12 u. 13) in ihren Untersuchungen tiber doppelt schrig-
gestreifte Muskelfasern der Mollusken gelangt sind.
Wiihrend nach den iibereinstimmenden Angaben aller derer,
die sich mit der Histologie von Antedon befaSt haben, die dor-
salen Fasern in den Armgelenken mit der organischen Grund-
substanz der Skeletteile in ununterbrochenem Zusammenhange
stehen, sind die Fasern der ventralen Muskeln an ihren beiden
Enden scharf abgegrenzt. Die einzelne Faser ist bandartig ver-
breitert, so daf ihr Querschnitt eine rechteckige Figur dar-
stellt. Seitlich liegt ihr ein langlicher, elliptischer Kern auf, der
hiufig von einer etwas helleren kérnigen Zone umgeben ist
und iiber den das nicht immer leicht wahrnehmbare Sarkolemm
hinwegzieht. Oft ist das letztere gerade im Bereiche des oder
der Kerne etwas abgehoben, wihrend es im itibrigen Teile der
Faser sich enge an die kontraktile Substanz der letzteren an-
schmiegt. Was nun die erwihnte doppelte Schrigstreifung an-
betrifft, so ist ihre genauere Untersuchung, bezw. die Feststellung
der ihr zu Grunde liegenden Strukturverhaltnisse mit einigen
Schwierigkeiten verbunden. Oft halt es schwer, sie iberhaupt nur
zu sehen, daher ist es versténdlich, daf ihre Existenz so manchem
Beobachter entgangen ist. Je nach der Firbung, Einstellung und
Vergréferung erhalt man verschiedenartige Bilder, so da Tausch-
ungen nicht leicht zu vermeiden sind. Unsere Untersuchungen,
zu denen wir durch die ScHwALBE’sche Arbeit und den citierten
Lupwia’schen Hinweis auf dieselbe veranla8t wurden, erstreckten
sich auf frische, ungefirbte Zupfpraiparate und auf Langsschnitt-
priparate der ventralen Armmuskeln, die mit verschiedenen
Tinktionsmitteln gefirbt waren. Zur Anwendung kamen:
ReicHerRT Objektiv 8a und Kompensationsokular 4, Zeiss homo-
cene Immersion 3,0 und 2,0 und Kompensationsokular 6, 8 und
12. Am giinstigsten erwiesen sich fiir die Feststellung dieser
feinen Strukturen Lingsschnitte, die mit Haimatoxylin vorgefarbt
und in Enriicu-Bronpr’schem Gemische nachgefairbt waren. Diese
kriftige Farbung erlaubte noch die erfolgreiche Anwendung sehr
starker Vergré8erungen bei der Untersuchung. Nach einem solchen
Priparate ist Figur 19 gezeichnet, die, mit Apsn’schem Zeichen-
apparate angefertigt, die Verhaltnisse genau wiedergiebt, wie sie
sich bei Beobachtung mit Zeiss homog. Immers. 2,0, Kompen-
Verbindungsweise der Arm- u. Rankenglieder von Ant. ros. 95
sationsokular 8, Vergréferung 1000 darbieten. Wenn ScHWALBE
bemerkt, im Sarkolemm kénne die Streifung nicht liegen, da das-
selbe gerade an den Stellen der deutlichsten Streifung weit ab-
gehoben sei, sondern sie miisse auf ein Strukturverhiltnis der
kontraktilen Substanz selbst zuriickgefiihrt werden, so kénnen wir
ihm nur beipflichten. Es mag hier auch noch erwihnt werden,
da8 die seitliche Randlinie der Fasern nicht gebrochen verlauft,
wie dies doch der Fall sein miifte, wenn die Streifung auf einer
Faltungserscheinung im Sarkolemm beruhte. Seine weiteren Aus-
fiihrungen stehen hingegen mit unseren Befunden nicht mehr im
Einklang. Wahrend er zwei sich kreuzende helle Liniensysteme ab-
bildet, welche der isotropen Substanz entsprechen und dunkle
quadratische Felder, der anisotropen Substanz entsprechend, ein-
schlieBen sollen, sehen wir in unseren Priparaten umgekehrt
dunkle Linien schrig von der einen Seite zur anderen hiniiber-
ziehen und helle Felder umrahmen. Unsere Abbildung steht also
hinsichtlich der Verteilung der dunkeln und hellen Stellen in der
Muskelfaser im schrofisten Gegensatze zu den Darstellungen
ScHWALBE’s und HAmann’s. Bei Beobachtung weniger giinstig
gefirbter Priiparate und Anwendung schwicherer VergréSerungen
erhielten wir allerdings auch Bilder, die denen der genannten
Autoren vollig entsprachen.
Das in Figur 19 dargestellte Bild zeigt zwei sich kreuzende
Systeme dunkler Streifen, die nicht in derselben Ebene gelegen
sind, so daf nicht beide gleichzeitig mit derselben Deutlichkeit zu
Tage treten. Bei wechselnder Einstellung wird daher bald das
eine und bald das andere der beiden Liniensysteme deutlicher
gesehen. Die helle Substanz bildet rhombische oder rechteckige,
von den dunkeln Streifen eingefafte Felder. Nach unserer Ueber-
zeugung bilden die stirker lichtbrechenden Teilchen der Faser
einen ununterbrochenen Faden, der in der Form einer Spirale
die Faser in der Richtung ihrer Achse umgiebt. Die Faser selbst
ist im Bereiche ihrer Streifung nicht abgeflacht, sondern ziemlich
gewolbt, so da’ ihr Querschnitt eine Ellipse ergiebt. Ob die
beiden dunklen Liniensysteme einer einzigen Spirale angehdéren,
deren dem Beobachter zugekehrte und abgewendete Halften sich
kreuzen, wie BALLOWwITz und Wackwirz glauben annehmen zu
miissen, oder ob die Ansicht, die ENGELMANN und KNOLL ver-
treten, richtig ist, dahingehend, es handle sich um Anordnung der
anisotropen Substanz in 2 verschiedenen Spiralen, vermégen wir
vorlaufig noch nicht zu entscheiden, Ebenso unentschieden miissen
96 Heinrich BoShard,
wir die Frage lassen, ob und wie weit diese doppelte Schrig-
streifung sich auf einen Kontraktionsvorgang zuriickfihren 1]a8t.
Der Umstand, daf} doppelt schraggestreifte Fasern mit glatten und
lingsgestreiften Fasern gemischt vorkommen und durch ihren
elliptischen Querschnitt von den letztgenannten sich unterscheiden,
wiirde allerdings zu Gunsten derjenigen Ansicht sprechen, die in
der doppelten Schriigstreifung den Ausdruck eines Kontraktions-
zustandes erblickt. Knoiu dufert sich iiber diese Frage (1. c.)
wie folgt: ,,Wenn ich den Unterschied des SchlieSmuskels von
Lima inflata im verkiirzten und gedehnten Zustande mit Schlag-
worten kennzeichnen sollte, mii%te ich den Muskel im ersten Falle
als quergestreift, im letzteren als doppelt schriggestreift bezeichnen.“
Kine ausgesprochene Querstreifung haben wir bei Antedon aller-
dings nie beobachten kénnen.
c) Die Dorsalfasern.
Die Ergebnisse unserer zahlreichen Farbungsversuche zeigten,
daf ventrale Muskeln und Dorsalfasern den Farbstoffen gegeniiber
sich wesentlich verschieden verhielten und daf die Dorsalfasern die
Farbenténe der Bindesubstanzen annahmen. Wir verweisen hier in
Bezug auf diesen Punkt auf friiher Gesagtes und auf die diesbe-
ziiglichen Figuren 17,18 Von einigen Beobachtern, wie J. MULLER,
Perrier, W. B. Carpenter, Cutnot, ist nachdriicklich der un-
unterbrochene Zusammenhang der Dorsalfasern mit dem organischen
Grundgewebe der Kalksegmente hervorgehoben worden. Eine der-
artige Kontinuitaét ist in der That vorhanden und auch in unsern
Priparaten aufs deutlichste ausgesprochen (vergl. Fig. 20). Durch
dieselbe ist ein weiterer, nicht unwesentlicher Unterschied zwischen
dieser Fasermasse und den ventralen Muskeln konstatiert, die, wie
anderen Orts bemerkt worden ist, gegentiber der Kalkgrundsubstanz
scharf abgegrenzt sind. Wahrend die Fasern der ventralen Muskeln
im allgemeinen geradlinig verlaufen und nur ausnahmsweise kleinere
Kriimmungen aufweisen, verfolgen die Dorsalfasern fast stets eine
geschlingelte Richtung, in vielen Fallen zeigt die gesamte Faser-
masse in ihrem mittleren Teile eine scharfe Kriimmung, deren
Konkavitét dem Axialstrange zugekehrt ist, wahrend ihre Kon-
vexitat sich nach dem aboralen Rande des Armes hinwendet. Der
wellige Verlauf und der Umstand, da den Konkavititen einer
Faser die Konvexititen der benachbarten Faser entsprechen, be-
Verbindungsweise der Arm- u. Rankenglieder von Ant. ros. 97
dingen das Zustandekommen von Hohlriumen, die wie von
Schleifen eingefaft erscheinen und zahlreichen Anastomosen inner-
halb der gesamten Masse. In den Liicken zwischen den ein-
zelnen Fasern bemerkt man ziemlich hiiufig rundliche, dunkel ge-
firbte Kerne, die mit den friiher erwahnten, in das Maschenwerk
der Kalkgrundsubstanz eingestreuten nach unserem Dafirhalten
vollig identisch sind. Untersucht man eine etwas lockere Stelle
im Faserwerk mit starken Vergréferungen, z. B. Zeiss hom.
Immers. 2,0, Okular 8, so sieht man um diese Kerne herum
eine allerdings nur sehr schwach tingierte Plasmamasse, deren
Kontur genau _ festzustellen, uns nicht gelungen ist. Aber
daf& es sich hier nicht, wie PErrrer behauptet, um blofe Kerne
handelt, sondern um vollstandige Zellen, ist unsere durch viele
Untersuchungen bekriftigte Ueberzeugung. Die Figuren 26 und
20, auf deren Erklarung wir hier verweisen, geben diese unsere
Befunde wieder. Wir kénnen uns nicht entschlieSen, der Dar-
stellung Prrrrer’s zu folgen, der in diesen Gebilden. nervése
Elemente erblickt und aus dieser keineswegs einwandfreien An-
nahme die Berechtigung ableitet, die Dorsalfasern als echte Muskeln
in Anspruch zu nehmen. Wir lassen hier die diesbeziigliche Stelle
aus der Arbeit Prrrier’s folgen: ,,Seuls les muscles hyalins nous
ont paru richement innervés; la dénomination de ligament sous
laquelle ils sont habituellement décrits est donc inexacte. Ce nom
conviendrait beaucoup mieux aux muscles réfringents, les prétendus
muscles des auteurs, dont les fibres se développent aux dépens
de cellules spéciales et gardent chacune un noyau.“ Unsere An-
nahme geht dahin, diese Zellen mit den Bindesubstanzzellen der
Kalkgrundsubstanz zu identifizieren.
In der Nahe des Axialstranges sind die Fasern langer und
zeigen eine viel dichtere Anordnung als in der aboralen Rand-
partie, wo sie nach aufen allmahlich kiirzer werden, wahrend
gleichzeitig die zwischen ihnen liegenden Hohlraume gréfer werden,
wodurch das ganze Faserwerk ein lockereres Gefiige erhalt.
Figur 20 endlich diirfte tiber die Herkunft der Dorsalfasern
AufschluS zu geben geeignet sein. Sie stellt ein Stiick des Grenz-
bezirkes zwischen der Kalkgrundsubstanz und der Fasermasse dar.
Die einzelnen Fasern entstehen durch Vereinigung von Fibrillen,
die die Rander der Hohlriume bilden, zwischen denen sich die
Intercellularsubstanz ausbreitet, um dann im Bereiche der eigent-
lichen Fasern ganzlich zu verschwinden. Die die Fasern zu-
Bd, XXXIV, N. F. XXVII- 7
98 Heinrich BofShard,
sammensetzenden Fibrillen erscheinen also hier als Fortsetzungen,
bezw. Differenzierungen der Grundsubstanz der Kalkkérper. Gegen
die Mitte der ganzen Fasermasse hin werden die einzelnen Fasern
stiirker, weil die Zahl der zu ihrer Bildung zusammentretenden
Fibrillen zunimmt. So ist es auch begreiflich, dal’ manche Autoren
die Dorsalfasern mit pinselférmig ausstrahlenden Enden dargestellt
haben. An dieser Stelle mag auch noch ein Hinweis auf die Dar-
stellung Platz finden, die Jon. MULLER in seiner schon mehrfach
erwihnten Abhandlung (18) tiber die elastische Interartikular-
substanz des Stengels und der Ranken von Pentacrinus caput
Medusae gegeben hat. Das mikroskopische Bild, auf Grund dessen
er die feinere Struktur der elastischen Interartikularsubstanz dar-
stellte, muf in der Hauptsache mit Fig. 20 unserer Arbeit
tibereingestimmt haben. Ein Vergleich des nachfolgenden Passus
der MULLER’schen Abhandlung mit unserer Fig. 20 wird die Richtig-
keit unserer eben ausgesprochenen Behauptung darthun. Jon.
Muuer, (I. c. S. 195) sagt: ,,Untersucht man senkrechte Durch-
schnitte (vertikale Langsschnitte) dieser Substanz unter dem Mikro-
skop, so sieht man alsobald, dafi dieselbe aus lauter senkrecht
stehenden Fasersiiulchen besteht, die durch Reihen bogenférmiger
Schlingen einfacher Fasern verbunden sind. Dies wird sehr deut-
lich, wenn man die senkrechten Faserbiindel von einander zieht.
Sobald der Zug nachlalit, nahern sich die Saulchen einander wieder
und dies geschieht durch bogenformige Schlingen, welche mit den
regelmabigsten Arkaden in ganz gleichen Abstinden aus einem
Fasersiulchen in das andere tibergehen. Jede Arkade wird nur
aus einer einzigen glatten primitiven F'aser von ungemeiner Fein-
heit gebildet, deren Schenkel sich in die Faserséulchen verlieren.
Merkwiirdig ist ferner, dali die Arkaden in der oberen (distalen)
und unteren (proximalen) Halfte der Dicke der Interartikular-
substanz entgegengesetzt sind, die oberen Arkaden sind nach oben,
die unteren nach unten konvex. Das Verhalten der Bogenschenkel
in den senkrechten Fasersiulchen laft sich nicht direkt aufklaren ;
denn der Versuch, die Fasersiulchen selbst in Beziehung auf ihren
Zusammenhang mit den Bogen zu zergliedern, mifilingt. Beim
Zerlegen der Fasersiulchen tiberzeugt man sich nur, daf diese
Saulchen nichts anderes sind als die Biindel aller Fasern, welche in
den Arkaden sich entwickeln. Bei der weiter versuchten Isolierung
der Fasern in den Saiulchen verschieben sich die Arkaden, und die
so wunderbar regelmiige Figur wird verwirrt und unentwirrbar.*
Endlich miissen wir hier noch derjenigen zelligen Elemente
Verbindungsweise der Arm- u. Rankenglieder von Ant. ros. 99
gedenken, die sich in denjenigen Partien der Kalkgrundsubstanz
vorfinden, die unmittelbar an die Dorsalfasermasse der Arme an-
erenzen und hier wegen ihres haufigen Auftretens den Ursprung
der einzelnen Fasern verdecken, bezw. seine Feststellung ganz er-
heblich erschweren. Diese Zellen finden sich tibrigens auch in
den Partien der Kalkgrundsubstanz, die den Fasern der Syzygien
und der Rankengelenke benachbart sind; dagegen haben wir sie
auf der Héhe der echten ventralen Muskeln nie nachweisen kénnen.
Die einen dieser Zellen — sie sind in Fig. 22 dargestellt — sind
meist von ovoider Gestalt und scharf konturiert. Das Plasma ist
fast immer nur schwach gefairbt und verraét eine kérnige Be-
schaffenheit. Sehr charakteristisch ist fiir diese Zellen die Lage
des elliptischen, stark tingierten Kernes. Er befindet sich immer
in einer hellen Zone in unmittelbarer Nahe des Zellrandes, in den
meisten Fallen am spitzen Pole der Zelle selbst. Diese Zellen
zeigen keine Spur von Fortsatzbildungen und stehen auch mit
den Fasern resp. ihrem Ursprung nach unserer Ueberzeugnng in
keinem Zusammenhang. Neben diesen Elementen, tiber deren
Natur und Bedeutung wir uns ein abschlieSfendes Urteil noch nicht
haben bilden kénnen, giebt es noch Zellen, die man wegen ihrer
charakteristischen Gestalt als birnformig bezeichnen kénnte. An
diesen Zellen lief sich stets ein Fortsatz nachweisen und ein Stiick
weit in die Fasermasse hineinverfolgen. Zellplasma und Fortsatz
sind sehr fein gekérnelt und nur schwach gefiarbt. Der ebenfalls
elliptische Kern liegt auch in einer hellen Plasmazone dem vorderen,
seitlichen Rande der Zellen angeschmiegt. PERRIER nennt diese in
den Randzonen der Fasermasse auftretenden zelligen Elemente
»gros éléments fortement colerés par l’éosine et le carmin“ und
erblickt in ihnen Gebilde nervéser Natur, die mit Nervencentren
in Verbindung stehen sollen. Wir halten diese von PERRIER ver-
tretene Ansicht vorliufig noch als nicht gentigend begriindet,
unsere Priparate vermégen uns nimlich nicht diejenigen Auf-
schliisse zu geben, die berechtigen wiirden, uns den Schluifolge-
rungen des franzésischen Autors anzuschliellen. Wir enthalten
uns daher mit Cunnor jeder bestimmten Meinungsiuserung tiber
die erwihnten Gebilde und begniigen uns vorlaufig damit, ihre
Existenz bei Antedon zu konstatieren.
Die Resultate, zu denen uns unsere Untersuchungen tiber die
Dorsalfasern von Antedon gefiihrt haben, nétigen uns, uns der von
den alteren Forschern vertretenen Ansicht anzuschlielien, d. h.
100 Heinrich Boghard,
die Dorsalfasermasse nicht als Muskeln im Sinne der ventralen
Muskeln, sondern etwa als elastische Fasermasse aufzufassen.
d) Die ligamentése Fasermasse.
Auf Armlingsschnitten, die den Axialstrang des apicalen
Nervensystems treffen, beobachtet man zwischen der ventralen
Muskulatur und der Masse der Dorsalfasern eine 3. Fasergattung,
die von Jon. MULLER als ,,Interartikularsubstanz“, von W. B. Car-
PENTER als ,,Interarticular Ligament‘* bezeichnet, von den neueren
Untersuchern aber nicht besonders hervorgehoben und beschrieben
worden ist. Diese Fasermasse hebt sich durch ihr dichtes Ge-
fiige und die spezifische Farbung, die sie erlangt, scharf von den
benachbarten Gewebepartien ab (vergl. Fig. 18). Bei Anwendung
des nach vAN Girson hergestellten Farbengemisches erhalten diese
Fasern einen dunkelvioletten, fast blauen Ton, wahrend, wie Fig. 18
zeigt, die ventralen Muskeln bréunlich und die Dorsalfasern rétlich
erscheinen. Bei starker Vergréferung (1000) untersucht, weist sie
auch in ihrer feineren Struktur nicht unwesentliche Unterschiede
gegentiber der Dorsalfasermasse auf. Vergl. Fig. 21 und die dazu
gehérige Erklirung. Die einzelnen Fasern sind viel dinner und
bedeutend kiirzer als die Dorsalfasern. Sie sind ferner in eine
Grundsubstanz eingebettet, die bekanntlich zwischen den letzteren
fehlt. Neben starkeren Fasern liegen noch zahlreiche schwache
Faserchen in der Grundsubstanz, so dal das Priparat als ganzes
ein filzartiges Aussehen bekommt. Zwischen den stairkeren Fasern
sieht man dieselben rundlichen Kerne, die sich auch in der Dorsal-
fasermasse vorfinden; nur gelingt es hier nicht, den dazu gehoérigen
Zellenleib nachzuweisen. Was die Beziehungen dieser Fasermasse
zur organischen Grundsubstanz der Kalkkérper anbetrifft, so
scheinen sie ebenfalls sehr enge zu sein; den gegenseitigen Zu-
sammenhang genauer festzustellen, gelang uns nicht, weil das Ge-
fiige des Faserwerkes gerade an den Ursprungsstellen sehr dicht
ist. Die Fasermasse als Ganzes macht den Eindruck, als wiirde
sie an ihren beiden, den Gelenkfliichen zugekehrten Enden in einer
zur Langsachse der Arme senkrechten Richtung mehr oder weniger
stark gepreft sein. Auffallend ist auch die Thatsache, dal die
Langsschnitte im Bereiche dieser Fasermasse fast immer Risse
bekommen, gelegentlich fallt sogar die gesamte Masse aus dem
Schnitte heraus. Offenbar sind die Grenzzonen hier stark ver-
Verbindungsweise der Arm- u. Rankenglieder von Ant. ros. 101
kalkt, und héchst wahrscheinlich setzt sich der Prozef der Kalk-
ausscheidung auch noch im Bereiche der Fasermasse selbst fort.
JoH. MULLER und W. B. CARPENTER haben dieser Fasermasse die
Bedeutung eines blofen Ligamentes zugeschrieben. Wir unserer-
seits méchten ihr, wie der dorsalen Fasermasse, auch noch elastische
Kigenschaften zuerkennen. Zu dieser Annahme veranla8t uns in
erster Linie die Lage, die sie zwischen den artikulierenden Flachen
einnimmt. Ihre Fasern liegen namlich nicht, wie W. CARPENTER
angiebt und in Fig. 6 Taf. XLIII |. c. darstellt, ausschlieflich
ventral vom Axialkanal, d. h. auf gleicher Seite mit den ventralen
Muskeln, sondern, wie unsere Liangsschnitte unzweifelhaft darthun,
in ihrer Hauptmasse dorsal vom Axialstrang, bezw. zwischen ihm
und den Dorsalfasern. Wiirden ihr nun elastische Eigenschaften
vollstindig abgehen, so wiirde sie die Kontraktionswirkung der
ventralen Muskulatur sowohl als auch die Elasticitaétswirkung der
Dorsalfasern nicht unwesentlich beeintrachtigen. Besitzt sie aber
Elasticitat, was nach ihrer histologischen Struktur keineswegs aus-
geschlossen ist, so summiert sich die Elasticitaétswirkung stets mit
derjenigen der Dorsalfasern, indem bei der Kontraktion der ven-
tralen Muskeln der dorsal vom Axialstrang gelegene Teil ihrer
Fasern mit den Dorsalfasern durch Zugwirkung gedehnt, der ven-
tral gelegene Teil ihrer Fasern gleichzeitig zusammengepreft wird.
Hort die Wirkung der Muskelkontraktion auf, so ziehen sich alle
dorsal vom Axialstrang gelegenen Fasern zusammen und zwar in
dem Mae, wie sie durch die Muskelwirkung gedehnt wurden,
wahrend die ventral vom Axialstrang gelegene Faserpartie aus
dem Zustande der Pressung in denjenigen der Dehnung iibergeht,
der Muskelkontraktion demnach ebenfalls antagonistisch entgegen-
wirkt. So lassen sich nach unserem Dafiirhalten die apicalwarts
warts erfolgenden Armbewegungen von Antedon durch bDlofe
Elasticitatswirkung der mittleren und dorsalen Fasermassen hin-
reichend erklaren, ohne dali man gendtigt ist, den in Frage
stehenden Fasermassen den Charakter echter Muskeln zuzuschreiben
und sich dadurch mit den histologischen Befunden und Thatsachen
in schroffsten Gegensatz zu stellen.
e) Die Fasermasse in den Syzygien.
Zwischen den Fasern, die in den Syzygien die organische
Verbindung zwischen 2 Skelettstiicken herstellen und den Dorsal-
fasern der Armgelenke vermégen wir einen wesentlichen Unter-
102 Heinrich Bofkhard,
schied nicht herauszufinden. Die beiden Fasermassen sind nur in
der Lange der einzelnen Fasern verschieden. Auf ihr tiberein-
stimmendes Verhalten gegeniiber Farbstoffen ist friiher schon hin-
gewiesen worden. Auch in den Syzygien bilden die Fasern an ihren
Ursprungsstellen jene Schleifen, wie wir sie als Kinfassungen von
Hohlraiumen friiher schon kennen gelernt haben. Jene S. 99 er-
wihnten und in Fig. 22 dargestellten Zellen finden sich in den an
die Syzygialfasern grenzenden Zonen der Kalkgrundsubstanz wieder,
Wollte man also, dem Beispiele der neueren lorscher folgend, die
Dorsalfasern als muskulése Elemente auffassen, so miilite man diese
Auffassung notwendigerweise auch auf die Syzygialfasern ausdehnen
und die Definition der Syzygie als einer unbeweglichen Nahtverbindung
vollends preisgeben. HAMANN spricht sich (1. c. S. 127) tiber diesen
Punkt folgendermafen aus: ,,Ob man die Fasern in den Syzygien —
das sind die Nahtverbindungen, welche 2 Armglieder an Stelle der
Muskulatur verbinden kénnen — ebenfalls fiir muskulés erkliren
will oder nicht, das hangt ganzlich vom Belieben ab. Eine strenge
Grenze zwischen elastischer Faser und kontraktiler Faserzelle
kann ich nicht auffinden. Natiirlich erscheint es mir aber, wenn
man die Armnahte als nur aus elastischen Fasern bestehend an-
sieht, denen allerdings ein gleicher Bau zukommt wie den kon-
traktilen Faserzellen.“‘ Diese vollkommene Uebereinstimmung,
welche hinsichtlich der feineren Strukturverhaltnisse zwischen
Syzygial- und Dorsalfasern thatsachlich besteht, ist fiir uns ein
Grund mehr, die letzteren nicht als Muskeln zu betrachten und
der alteren Auffassung den Vorzug zu geben.
f) Die Fasern in den Rankengelenken.
Die Fasern, welche 2 Cirrensegmente miteinander verbinden,
sind von jeher als mit den Dorsalfasern in jeder Beziehung iiber-
elnstimmend dargestellt worden. Da unsere Praparate und Unter-
suchungen nur eine Bestatigung dieser Auffassung ergeben haben,
so kénnen wir hier unter Hinweis auf die Ausfiihrungen iiber die
Dorsalfasern auf eine Beschreibung der Rankenfasern verzichten.
Vom histologischen Standpunkte aus kénnen daher diese Faser-
massen ebensowenig als echte Muskeln in Anspruch genommen
werden wie Dorsal- und Syzygialfasern.
Verbindungsweise der Arm- u. Rankenglieder von Ant. ros. 103
V. Schlufbemerkung.
Die vorstehenden Untersuchungen haben ergeben, daf zwischen
den ventralen Armmuskeln von Antedon einerseits und den Dorsal-
und Rankenfasern andererseits in Bezug auf ihre feinere Struktur,
ihr Verhalten gegeniiber den Farbstoffen und chemischen Reagenzien
so weitgehende, wichtige Unterschiede bestehen, da’ es vom histo-
logischen Gesichtspunkte aus durchaus unstatthaft ist, Dorsal-
und Rankenfasern als Elemente des Muskelgewebes aufzufassen.
Wie verhalten sich nun diese Befunde der mikroskopischen Unter-
suchung mit den physiologischen Thatsachen? Halt man an dem
durch die histologischen Befunde gewonnenen Standpunkte auch
bei der Beurteilung der physiologischen Erscheinungen fest, so
kann nur die nach oben, d. h. oralwirts erfolgende Kriimmung
der Arme als Folge von Muskelkontraktionen betrachtet werden.
Das Strecken und Kriimmen der Arme gegen den Apex des
Kelches hin, wie man es besonders schén beim Schwimmen der
Tiere beobachten kann, darf dagegen, wie a. a. O. bereits angefiihrt
worden ist, nur auf Elasticitatswirkung der ligamentésen und dor-
salen Fasern zuriickgefiihrt werden. Daf die Elasticitat der in
Frage stehenden Fasermassen vollkommen ausreicht, um die apical-
wirts erfolgenden Armbewegungen der Tiere zu erkliren, scheint
uns aufer Zweifel zu sein, giebt es ja doch unter den Lamelli-
branchiern Formen, wie Pecten, die durch abwechselndes Oeffnen
und Schliefen ihrer Schalenhalften ebenso elegant im Wasser
schwimmen wie Antedon, und doch ist unseres Wissens das Oeffnen
der Schale auch nur auf die elastische Wirkung des SchloSbandes
und nicht auf Muskelkontraktion zuriickzufiihren. Da’ bei der
Abwartsbewegung der Arme ihre eigene Schwere fordernd ein-
wirkt, ist einleuchtend. Zur Stiitze der von uns vertretenen ilteren
Ansicht diirfte auch die nachfolgende, mehrfach beobachtete That-
sache beitragen. Bei Reizung des Apicalstranges abgeschnittener
Arme, die, beiléufig bemerkt, ihre Lebensfaihigkeit oft erst nach
10—14 Tagen einbiifen, konstatierten wir als erste Reaktions-
erscheinung stets ein Einrollen des Armes in oraler Richtung und
darauf ein Strecken. Niemals aber sahen wir auf einen Reiz hin
die Arme sich apicalwarts beugen und einrollen und nachher sich
ventralwarts strecken, was doch wohl ebenso gut der Fall sein
miiSte, wenn den ventralen Muskeln als Antagonisten auch Muskeln
von derselben histologischen und physiologischen Natur gegeniiber-
104 Heinrich BoBhard,
stehen wiirden. Gegen diese altere Ansicht ist auch der Kinwand
erhoben worden, dali die Tiere mit weit ausgebreiteter Armkrone
absterben miften, wenn die Antagonisten keine echten Muskeln,
sondern nur elastische Ligamente darstellten, indem ja die er-
schlatienden Muskeln nicht mehr imstande waren, die Elasticitats-
wirkung der Bandmassen zu kompensieren. Nun zeige die Er-
fahrung, dal Antedon stets mit geschlossener Armkrone absterbe
(Lana |. c¢.). Demgegeniiber ist zu bemerken, da bei Ueber-
fiihrung der Tiere in Mischungen von Meer- und Siifwasser in
zahlreichen Fallen ein Absterben nicht nur mit flach ausgebreiteter
Armkrone, sondern sogar mit vollstindig gegen den Kelch zuriick-
geschlagenen Tentakeln beobachtet werden konnte. Auch PERRIER
hat die namliche Beobachtung gemacht, wenn er die Tiere lebend
in Alkohol tauchte. Auffallig ist nun, daf derselbe Autor die
beiden total verschiedenen Absterbeerscheinungen dazu benutzt,
um die muskulése Natur der Antagonisten nachzuweisen. Lassen
wir ihm in Bezug auf diesen Punkt selbst das Wort. Er sagt
(1. c. S. 187): ,,Lorsque Panimal meurt, les muscles se relachant
et ne contrebalangant plus les effets de Vélasticité des ligaments,
il (Vanimal) devrait mourir les bras largement étendus. Or, il
nen est rien“ und weiterhin ,quand on plonge brusquement une
Comatule dans l’alcool, elle rabat volontairement tous ses bras
du coté dorsal et meurt dans cette attitude; ce mouvement ne
peut guére s’expliquer que par une contraction des prétendus
ligaments, qui doivent, des lors, étre considérés comme des
muscles.“* Im ersten Falle wiirde also die muskulése Natur der
Antagonisten die Ursache der Absterbens mit eingerollter Arm-
krone sein, im zweiten Falle wiirde dieselbe Eigenschaft der An-
tagonisten geeignet sein, das Absterben mit entfalteter Armkrone
zu erkliren. Wir vermégen in den angefiihrten Thatsachen keine
Stiitze fiir die neuere Ansicht zu erblicken. Sie zeigen vorlaufig
nur, da’ das Verhalten der Armkrone bezw. der Muskeln und der
Antagonisten beim Absterben bedingt ist durch die jeweilige Todes-
ursache. ‘Tritt der Tod unter normalen Bedingungen ein, so er-
halt sich die ventrale echte Muskulatur im Zustande der Kon-
traktion, sie erschlafft und erhalt sich in diesem Zustande, sobald
der Tod plétzlich und in Folge einer Vergiftung herbeigefiihrt
wird. Nimmt man, wie die neueren Zoologen es thun, die Dorsal-
fasern als echte Muskeln in Anspruch, so wird man dasselbe auch
gegentiber den Fasern in den Gelenken zwischen Costale I und
Costale II und Brachiale I und Brachiale Il thun miissen. Man
Verbindungsweise der Arm- u. Rankenglieder von Ant. ros. 105
wird auch genétigt sein, diesen Fasermassen dieselben physio-
logischen Leistungen zuzuschreiben wie ihren Antagonisten in den
iibrigen Armgelenken. Man wird ferner nicht leicht eine be-
friedigende Antwort auf die Frage finden, warum gerade in jenen
2 Gelenken nur Muskeln der einen Art zur Ausbildung gelangen,
wihrend in allen anderen Armgelenken beiderlei Muskeln vor-
kommen. Ebenso unverstandlich wiirde die Thatsache sein, dal
bei physiologisch gleichen Leistungen an einem und demselben
Tiere Muskeln vorkommen, die in Bezug auf ihre histologische
Beschaffenheit und ihr chemisches Verhalten ganz enorme Unter-
schiede aufweisen. Der Umstand, daf in den vorhin genannten
Gelenken echte Muskeln fehlen, scheint uns zu beweisen, daf die
vermeintlichen Muskeln der neueren Zoologen auch hinsichtlich
ihrer physiologischen Leistungen von ihren Antagonisten differieren.
Jene Gelenke gestatten wegen der vertikalen Richtung ihrer Achse
nur eine Drehung in horizontaler Richtung von zudem sehr ge-
ringem Ausmaf. Ein passiv erfolgendes seitliches Hin- und Her-
bewegen der Arme in diesen Gelenken, wie JoH. MULLER es an-
nimmt, reicht jedoch fiir die Bediirfnisse des Tieres hinsichtlich
der Beweglichkeit seiner Arme vollstindig aus. Da wo also aktive
energische Bewegung nicht gefordert wird, fehlen die echten ven-
tralen Muskeln. Nach unserer Ueberzeugung hat also die von
den alteren Zoologen vertretene Auffassung gegeniiber der neueren
Ansicht entschieden die gréfere Berechtigung, wenn sie auch nicht
auf alle sich aufdrangenden Fragen eine véllig befriedigende Auf-
klirung zu bieten vermag. So steht sie im Widerspruch mit der
Beweglichkeit der Ranken. Was nimlich die Fahigkeit der letzteren
anbetrifit, aktive Bewegungen auszufiihren, so wird dieselbe, wie
eingangs dieser Arbeit bemerkt worden ist, von den Alteren
Autoren entschieden in Abrede gestellt, von den neueren Unter-
suchern, wie JICKELI, HAMANN, PERRIER und CuENoT dagegen
ebenso entschieden bejaht. Zahlreiche Beobachtungen, die wir in
Neapel an lebenden Tieren zu machen die Gelegenheit hatten,
brachten uns zu der festen Ueberzeugung, daf} die Ranken in der
That aktiv bewegliche Gebilde sind. Ihre Bewegungen erfolgen
aber, wie iibrigens Cugnor schon bemerkt, auferordentlich lang-
sam und unterscheiden sich in dieser Beziehung in weitgehender
Weise von denjenigen der Arme. Fiir diese Thatsache eine ein-
wandsfreie Erklarung zu geben, ist fiir uns eine Sache der Un-
moglichkeit.
106
1)
2)
a
3)
8)
9
Sa
10)
11)
12)
13)
Heinrich Bofghard,
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Bd. III, Heft 3, Breslau 1892.
108 Heinrich BoShard,
Figurenerklirung.
Bedeutung der Buchstabenbezeichnungen der Figuren.
Aa Oeffnung des Axialkanales der Armglieder.
r a i “ » Rankenglieder.
Br,, Br., Br,, Br, 1. 2. 3. und 4. Brachialglied.
z Bindesubstanzzellen.
C, Costale primum.
Opes secundum.
Df Dorsalfasermasse.
Dfg Gelenkgrube zur Aufnahme der dorsalen Fasern.
Ds Dorsaler Sinus des Armcéloms.
Gs Genitalsinus.
Gr Genitalrhachis.
Hsp Horizontales Septum.
Kgs Kalkgrundsubstanz.
Lf Ligamentise Fasermasse.
Lfg Gelenkvertiefung zur Aufnahme der ligamentésen Fasermasse. |
M Muskulatur.
Mg Grubenférmige Vertiefung in den Gelenkflachen zur Aufnahme
der ventralen Muskeln.
Nf Nakrungsfurche der Arme.
P Pinnula.
Po Orale Pinnula.
R Radiale.
Rk Radiarkanal des Wassergefafsystems.
Rf Fasermasse der Rankengelenke.
Rn Radiiirer Nerv des oberflachlichen oralen Systems.
S Sacculi.
San Strang des apicalen Nervensystems.
Sg Syzygie.
Sgf Fasern der Syzygie.
T Tentakel.
Tk Tentakelkanal.
Vs Ventraler Sinus des Armcéloms,
Vsp Vertikales Septum.
Zd Centrodorsalplatte,
Verbindungsweise der Arm- u. Rankenglieder von Ant. ros. 109
Tafel, LEE
Fig. 1. Dorsalansicht des Kelches und der ersten Armglieder
von Antedon rosacea nach Entfernung der Ranken. Die Ansatz-
stellen der letzteren im Centrodorsale sind zum Teil eingezeichnet.
Vergréferung ca. 18.
Fig. 2. Schematische Darstellung der Verteilung der Syzygien
und Pinnulae in den Anfangsteilen eines Armpaares. Die durch
eine Syzygie verbundenen Skelettstiicke sind durch einen grauen
Ton heryorgehoben.
Tafel FV,
Fig. 3. Ventralansicht der pentagonalen Basis des Kelches
mit den ventralen Flachen der Radialia. VergréfSerung ca. 15.
Fig. 4. Ventralansicht der pentagonalen Basis des Kelches,
der Radialia, Costalia I und If und der Brachialia I. Diese Figur
zeigt ferner die grofen, fir die ventrale Muskulatur aufgesparten
Gelenkgruben, sowie in der Tiefe gegen den Axialkanal hin die
Konturen der von der ligamentésen Fasermasse, die ebenfalls ein-
getragen ist, occupierten Vertiefungen. Gezeichnet nach einem
langere Zeit mit Aetzkalilauge behandelten Praparate. Die Muskeln
sind der Einwirkung des Reagens lingst erlegen, wihrend die
iibrigen Fasermassen sich fast intakt erhalten haben.
Fig. 5. Distale Flache eines Radiale, mit der proximalen
Flache des Costale I artikulierend, zeigt die Oeffnung des Axial-
kanals (Aa), die vertikale und die horizontale Gelenkleiste, die
grubenartigen Vertiefungen zur Aufnahme der ventralen Muskeln
(Mg), der ligamentésen (fg) und der dorsalen Fasermasse (Df).
Vergréferung ca. 15.
Fig. 6. Distale Flache eines Costale I, mit der proximalen
Flache eines Costale II gelenkig verbunden, zeigt wieder die Oeff-
nung des Axialkanales (Aq) in der vertikalen Gelenkleiste und jeder-
seits eine grubenartige Vertiefung fiir die verbindenden Faser-
massen (Lfg). Diese Gelenkverbindung hat keine echten Muskeln.
Vergréferung ca. 15.
Fig. 7. Distale Flache eines Costale I, mit den proximalen
Flachen der beiden Brachialia I artikulierend, zeigt die vertikal
gerichtete Hauptleiste, die beiden schief von unten und innen nach
auBen und oben verlaufenden Querleisten, die zwei von der Mitte
der Ventralseite schief nach unten gerichteten Leisten, die doppelte
Miindung des Axialkanals (Aa) und 10 Vertiefungen zur Aufnahme
von Muskeln (Mg), ligamentésen (Zfg) und dorsalen Fasern (Df).
Die distale Fliche eines Costale II ist doppelt, da sie mit der
proximalen F'liche eines jeden der beiden Brachialia I des Armpaares
gelenkig verbunden ist.
Fig. 8. Ansicht einer Flache, die mit der ihr zugekehrten
Flache des benachbarten Armgliedes eine Syzygie bildet. Von der
110 Heinrich Bofghard,
Oeffnung des Axialkanals strahlen radienartig vorspringende Leisten
gegen die Peripherie des Gliedes aus. Auf der ventralen Seite ist
die Vertiefung der Ambulacralfurche sichtbar.
Paiel, V-
Fig. 9. Darstellung einer pfannenartigen Vertiefung im Centro-
dorsale zur Vermittelung der Artikulation mit der proximalen Flache
des 1. Basalgliedes einer Ranke. Quer durch die Vertiefung hin-
durch geht ein elliptisch konturierter Wulst, der in seiner Mitte
die Oeffnung des Axialkanales der Ranke (Av), umgeben von einer
seichten Vertiefung, zeigt. Die Figur ist stark vergréfert.
Fig. 10. Seitenansicht eines Basalgliedes einer Ranke.
Fig. 11. Dasselbe von seiner distalen Fliche gesehen, zeigt
den vorspringenden Wulst mit der Oeffnung des Axialkanals (Ar).
Fig. 12. Dasselbe von seiner proximalen Fliche gesehen, zeigt
den Gelenkwulst, aber mit einer Vertiefung, in deren Mitte sich der
Axialkanal (Ar) 6ffnet.
Fig. 13 stellt die Basalglieder einer Ranke, von der Seite ge-
sehen, dar. Der Gelenkwulst der distalen Flachen erscheint als
zapfenformiger Vorsprung. Der Axialkanal, der hier noch streng
der Achse eines jeden Ghedes folgt, schimmert durch.
Fig. 14. Seitenansicht der beiden Endglieder einer Ranke.
Das letzte Glied zeigt die scharf zugespitzte, aboralwarts gekriimmte
Klaue und ihr gegeniiber den ebenfalls dorsal gerichteten, dorn-
artigen Fortsatz. Auch hier ist der durchschimmernde Axialkanal
in seiner Kontur angedeutet.
Tafel VL
Fig. 15. Querschnitt durch einen entkalkten Arm, so gefiihrt,
dafi die Dorsalfasermasse getroffen ist. Gezeichnet mit Camera,
Reicuert Obj. 4b und Okular 3. Die Zeichnung giebt genau die
Farbenténe wieder, die das Praparat durch Anwendung der 8. 90
beschriebenen v. Greson’schen Farbemethode erlangt hat.
Fig. 16. Querschnitt durch einen entkalkten Arm, so gefiihrt,
da’ die Kalkgrundsubstanz quer getroffen ist. Die Farbenténe der
Zeichnung entsprechen wiederum denen des nach vy. Girson’scher
Methode gefarbten Priparates.
Tafel VII.
Fig. 17. Liangsschnitt durch ein entkalktes Armstiick, ge-
zeichnet mit Camera, Retcuert, Obj. 4b, Okular 3. Die Farbentéine
der Zeichnung entsprechen den Farben des nach vy. Grmson’scher
Methode gefirbten Praparates. Kgs Kalkgrundsubstanz, Df Dorsal-
fasern, M Ventrale Muskulatur, Sgf Fasermasse einer Syzygie, Bg
unverkalkte Bindesubstanz.
Verbindungsweise der Arm- u. Rankenglieder von Ant. ros. 111
Fig. 18. Armlangsschnitt, gezeichnet mit Camera, RueicHyrt
Obj. 4b, Okular 3. Der radiare Strang des aboralen Nervensystems
(San) ist in seiner ganzen Linge getroffen, ebenso ist die ligamen-
tise Fasermasse (Lf) in ihrer Langsrichtung geschnitten und sticht
durch ihre intensivere Farbung von den Dorsalfasern (Df) ab. Die
Farbenténe entsprechen wiederum den Farben des nach v. Grmson-
scher Methode gefiirbten Praparates. Das Priiparat zeigt auch
2 Syzygien, bezw. ihre Fasermasse (Sgf). Die Figur soll nur die
durch die Farbung erhaltenen Differenzierungen der verschiedenen
Gewebepartien darstellen. Daher fehlt iiberall die Ausfiihrung der
Details.
Tete laser re
Fig. 19. Stiicke von 2 Muskelfasern aus einem ventralen
Muskelbiindel mit doppelter Schrigstreifung. Gezeichnet mit Camera,
Zeiss, homog. Immersion 2,0, Okular 8. Vergréferung 1000. Das
Praiparat ist mit Himatoxylin nach Boéumer vorgefarbt und mit
Enruicu-Bronpischem Farbengemische nachgefarbt.
Fig. 20. Stiick aus der dorsalen Fasermasse und dem an-
grenzenden Bezirke der Kalkgrundsubstanz, zur Darstellung der
engen Beziehungen, die zwischen den beiden Massen bestehen. Die
Figur zeigt auch den Ursprung der Fasern, ihre Beziehungen zu
einander, die Hohlriume, die sie nach Art von Schleifen einfassen,
die zwischen ihnen liegenden Zellen mit den rundlichen Kernen.
In der Kalkgrundsubstauz treten dieselben Zellformen vermischt
mit anderen rundlichen, fortsatzlosen, in ihrem Wesen noch dunklen
Zellen, wie sie sich (vergl. Fig. 22) auch in der Nahe der Ranken-
fasermassen vorfinden, auf. Die rundlichen Hohlraume in der Kalk-
grundsubstanz sind vor der Entkalkung mit Kalk ausgefillt ge-
wesen.
Gezeichnet mit Camera, Zniss, homog. Immersion 2,0, Okular 6.
VergréfSerung 750.
Fig. 21. Stiick aus der ligamentésen Fasermasse. Die ein-
zelnen Fasern sind viel kiirzer als die Dorsalfasern und liegen in
einer Grundsubstanz, die im Bereiche der letzteren fehlt. Die Faser-
masse hat bei starker Vergréferung ein filziges Aussehen. Die zu
den rundlichen Kernen gehérenden Zellkérper sind nicht sichtbar.
Die Fasermasse erhalt durch Farbung mit dem y. Grmson’schen
Gemisch einen dunkelvioletten Ton, wahrend die Dorsalfasern rétlich-
violett gefarbt sind. Gezeichnet mit Camera, Zrtss, homog. Immers.
2,0, Okular 6. Vergréferung 750.
Fig 22. Zellen, die sich in denjenigen Bezirken der Kalk-
grundsubstanz vorfinden, die unmittelbar an Dorsal-, Ligament- und
Syzygialfassermassen grenzen. Offenbar sind diese Zellen identisch
mit den Prrrimr’schen ,masses ganglionnaires*.
Gezeichnet nach einem mit Himatoxylin und Eosin gefirbten
Rankenlangsschnittpraparate mit Camera, Zeiss, homog. Immers. 2,0,
und Okular 8. Vergréferung 1000,
112 BoShard, Verbindungsw. d. Arm- u. Rankenglieder v. Ant. ros.
Fig. 23. Stiick der Kalkgrundsubstanz einer Ranke. Nach
einem mit Himatoxylin und Pikrinsiure gefarbten Langsschnitt-
priparate gezeichnet mit Camera, Reicnert, Obj. 8a und Okular 3,
Fig. 24. Rankengelenk, nach einem entkalkten, mit Pikro-
karmin gefairbten Totalpraparat gezeichnet. Camera, Zuniss 8,0,
Okular 2. Der Axialkanal ist gegen den ventralen Rand der Ranke
hin verschoben. Die dorsal yon ihm liegende Fassermasse ist
michtiger als die ventrale, und ihre Fasern sind bedeutend linger.
Fig. 25. Tangentialer Langsschnitt durch die Fasermasse eines
Rankengelenkes und die Kalkgrundsubstanz der verbundenen Glieder.
Gezeichnet mit Camera, RetcHert, Obj. 4b und Okular 3.
Fig. 26. Zellen, die zwischen den Biindeln der Rankenfasern
liegen, von Prerrisr als blofe Kerne aufgefaft und bezeichnet. Nach
einem Lingsschnittpraparate gezeichnet mit Camera, Zuiss, homog.
Immers. 2,0 und Okular 6. Vergréferung 750.
Untersuchungen iiber das Grosshirnmark
der Ungulaten.
Von
Kaspar Schellenberg
aus Ziirich.
Hierzu Tafel IX—XII und 44 Figuren im Text.
Kinleitung.
Das Centralnervensystem der Vertebraten ist im Verlaufe der
letzten Jahre in vergleichend-anatomischer Beziehung von zahl-
reichen Autoren eingehend studiert worden. Unter den Vertretern
der niederen Tiere hat das Gehirn der Fische, Amphibien und
Reptilien zahlreiche, unter den Choriaten haben einzelne Vertreter
der Edentaten, der Cetaceen, der Rodentier, Insectivoren und
Carnivoren mehr als einen Bearbeiter gefunden. Auch das Gehirn
der Monotremen und Marsupialier ist neuerdings untersucht worden,
desgleichen haben mehrere Forscher das Centralnervensystem der
Primaten eingehend studiert. Vor allem ist das Gehirn des
Menschen sowohl nach Formverhaltnissen wie mit Riicksicht auf
die Histologie und unter Anwendung der vergleichend-anatomischen
Methode bearbeitet worden. Was dagegen die wichtige Ordnung
der Ungulaten anbetrifft, so finden sich in der bisherigen Litte-
ratur nur vereinzelte und im ganzen wenig in die Details dringende
Arbeiten. Noch von keiner Seite hat diese wichtige, systematisch
wohl begrenzte Tiergruppe beziiglich Form und Architektonik des
Grofhirns in zusammenhangender Weise und mit modernen Unter-
suchungsmethoden eine Bearbeitung erfahren.
So habe ich mir die Aufgabe gestellt, das Grofhirn der Un-
gulaten an der Hand eines gréferen Materials sowohl hinsichtlich der
Oberflachenverhaltnisse und der makroskopischen Beziehungen der
Rinde zum Grofhirnmark als hinsichtlich der mikroskopischen Ver-
haltnisse zu studieren. Letzteres geschah unter Anfertigung von
liickenlosen Schnittserien durch das ganze Organ eines jeden
Hauptvertreters dieser Tierordnung (Ziege, Schaf, Rind, Pferd,
Bd, XXXIV. N. F. XXVII 8
114 Kaspar Schellenberg,
Schwein). Ueberdies untersuchte ich 5 Ziegengehirne, die neu-
geboren an der Hirnoberflaiche operiert wurden, und eines mit
Enukleation eines Augapfels. Endlich unterwarf ich mehrere im
hirnanatomischen Laboratorium aufbewahrte Schnittserien von
operierten Katzen- und Hundegehirnen einer eingehenden Revision
und verglich ich diese Priparate mit den von mir verfertigten.
Bei der Bearbeitung dieses Gehirnmaterials ging ich von den
bekannten, bei Carnivoren und beim Menschen festgestellten Ver-
haltnissen aus und war bemiiht, die einzelnen Windungsgruppen
bei den Ungulaten nach ihrer phylogenetischen Entwickelung so-
wie in Bezug auf ihre Homologie einer sorgfaltigen Betrachtung
zu unterziehen.
Im ferneren unterwarf ich den Markkoérper einer griindlichen
vergleichend-anatomischen Untersuchung, da sich bis jetzt niemand
fiir diese Frage verbreitet hat. Im Anschlusse hieran versuchte
ich auch die Faserverhaltnisse der tibrigen Hirnteile und die Ge-
staltung der grauen Substanz hinsichtlich der bekannteren Regionen
und Bahnen zu eruieren.
Nachstehende Arbeit wurde im hirnanatomischen Laboratorium
hiesiger Universitét unter Leitung von Herrn Prof. Dr. C. v. Mona-
Kow ausgefiihrt. An dieser Stelle ist es mir angenehme Pflicht,
meinem hochverehrten Lehrer fiir seine Bemiihungen und _ sein
reiches Interesse an dieser Arbeit den herzlichsten Dank auszu-
sprechen.
Material und Technik.
Die Beschaffung eines guten und frischen Untersuchungs-
materiales war schwierig, nichtsdestoweniger gelangte ich im Ver-
laufe der letzten Jahre in den Besitz einer Anzahl zur Unter-
suchung geeigneter Objekte, teils aus meiner eigenen Praxis, teils
aus dem anatomischen Institute der hiesigen Tierarzneischale. Ich
bin dem Vorstande des Institutes, Herrn Prof. Dr. P. Marvin, fir
dic Ueberlassung von Gehirnen zu bestem Danke verpflichtet.
Die Gehirne wurden zuerst mit Riicksicht auf dic Oberflachen-
vestaltung studiert. Zu diesem Zwecke ging eine Hartung frischen
Materiales in 10-proz. Formol, in chromsauren Salzen und in ab-
solutem Alkohol voraus. Fiir makreskopische Untersuchung ist Be-
handlung der Stiicke in Formol sehr zu empfehlen, einmal wegen
der Kigenschaft dieses Mittels, dem Gewebe eine héhere Elasticitat
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 115
zu verleihen, und sodann wegen der Fahigkeit, rasch in die Tiefe
des Organs einzudringen.
Hierauf wurden die Gehirne in frontaler Richtung in Scheiben
von 1—5 mm Dicke zerlegt. Es geschah dies mit Hilfe des
GuppeN’schen Mikrotoms. Nachher schritt ich zur Anfertigung
von fortlaufenden Schnittserien durch normale und durch experi-
mentelle Eingriffe vorbereitete Objekte. Die Hartung in Chrom-
salzen erforderte meist eine Zeitdauer von 2—3 Monaten; nach-
her wurden die Gehirne fiir kurze Zeit in fliefSendes Wasser gelegt,
eingebettet und mittelst des GuppEN’schen Mikrotoms unter Wasser
geschnitten. Die Mehrzahl der Schnitte wurde in wasseriger
Karminlésung gefirbt*'). Einige Schnitte habe ich indessen auch
nach PAL mit Karminnachfarbung tingiert. Die fiir feinere histo-
logische Priifung bestimmten Hirnteile wurden mittelst der NIssL-
schen Methode behandelt. Die Farbung in Karmin geschieht in
der von alteren Autoren empfohlenen Weise, wobei besonders Ge-
wicht darauf zu legen ist, daf die Schnitte vor der Karminfarbung
mit Alkohol nicht in Bertihrung kommen. Um ganz gute Farbung
zu erhalten, mu8 jede Ueberhartung vermieden werden, es empfiehlt
sich auch, diinne Schnitte 1—3 Tage vor der Farbung in ge-
wohnlichem Wasser liegen zu lassen.
Im weiteren wurden die Gehirne der zur Untersuchung ge-
langten Tiere in toto in chromsauren Salzen gehartet, hierauf in
Scheiben von 3—5 cm Dicke zerlegt und diese in Celloidin ein-
gebettet. Die nach Wericert und Pat gefirbten Schnittserien
wurden mittelst des Schlittenmikrotoms geschnitten nach der
tiblichen Vor- und Nachbehandlung. Es wurde besonderes Ge-
wicht darauf verlegt, die dicken Scheiben mit Celloidin vollstandig
zu durchtranken. Vor dem Schneiden wurden die Scheiben auf
ein besonders angefertigtes Objekttischchen aufgeklebt. Um jede
1) Ich habe alle Veranlassung, mit den Resultaten der Karmin-
methode, welche ich allen anderen neueren Methoden vorziehe, zu-
frieden zu sein, indem dieselbe die Farbung der Fasern wie der
zelligen Elemente in hiibschen Uebersichtsbildern zur Darstellung
bringt.
Auch zur Farbung von Praparaten mit experimentell erzeugten
sekundiren Degenerationen ist diese Methode nach meinen Er-
fahrungen, wofiir auch die Praparate im hiesigen Laboratorium
sprechen, anderen elektiven Methoden bei weitem vorzuziehen, weil
die sekundir entarteten Abschnitte grauer Substanz in veranderter
Farbe und Schirfe mit allen ihren histologischen Details zum Vor-
schein kommen.
ge
116 Kaspar Schellenberg,
Aenderung der Schnittrichtung zu vermeiden und eine vollstandig
eleichmakige Schnittserie zu erhalten, wurde das Schneiden des
Blockes gewohnlich in einer Sitzung beendigt. Die der Reihe nach
aufeinander gelegten und auf Klosettpapier aufgezogenen Schnitte
lieS ich noch einige Tage in einer schwachen Lésung von Kal.
bichromic. liegen, bis ich eine Weiterbehandlung derselben vor-
nahm. Die Markscheidenfarbungen geschahen sowohl nach WEIGERT
und Pau als auch nach Wouters. Bei der Darstellung der Mark-
fasern der Rinde war die WourTERs’sche Methode den anderen ent-
schieden tiberlegen.
Versuchsweise fanden auch die Osmiummethode nach HELLER
und die MALLory’sche Himatoxylinfirbung Anwendung. Metall-
impragnationen habe ich nicht angewendet.
Fiir die Wiedergabe der feineren Form- und Strukturverhalt-
nisse der Ganglienzellen leistete die Nissi’sche Methylenblau-
methode ausgezeichnete Dienste. Die verschiedensten Hirnteile
von simtlichen zur Untersuchung gezogenen Tieren wurden nach
dieser Methode studiert.
Von der Beniitzung der Marcurschen Methode habe ich bei
den operierten Tieren Umgang genommen, weil bei dieser Methode
nur die Entartung der Fasern zur Darstellung gebracht wird, nicht
aber diejenige der grauen Substanz, ich aber vor allem gerade
die sekundaire Degeneration der letzteren zu studieren beabsich-
tigte. Zudem hatten die Tiere nach der Operation zu lange ge-
lebt, auch waren sie zu jung operiert worden, als daf die ge-
nannte Methode mit genitigendem Erfolg hatte angewendet werden
kénnen.
Die Zeichnungen wurden mit Hilfe des Pantographen ent-
worfen, einem einfachen Apparat, der sich hauptsachlich zur Wieder-
gabe der gréberen Formverhiltnisse der makroskopischen Serien
fiir diese Zwecke sehr praktisch erwiesen hat. Schemata habe
ich nur entworfen, um die Oberfliche der Hemispharen tibersicht-
lich wiederzugeben, im tibrigen aber absichtlich gemieden und mich
an die Art und Weise der Reproduktion gehalten, wie sie im
Werke von D&rJERINE (11) durchgefiihrt wurde. Die Figuren sind,
wo nichts anderes bemerkt ist, in natiirlicher Gréfe wiedergegeben,
auch habe ich mich daher auf die zum Verstandnis der von mir
im Texte behandelten anatomischen Verhaltnisse unbedingt nétigen
Details im Bilde beschrankt.
Die Ergebnisse meiner Arbeit lege ich in nachbezeichneten
zwei Hauptabschnitten nieder:
Untersuchungen tiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 117
I. Morphologie der GroShirnoberfliche und des GrofShirnmarkes
im Allgemeinen.
II. Aufbau und Beziehungen des GrofShirnmarkes zur Hirn-
rinde und zu den infracorticalen Regionen.
I Phew:
Morphologie der Grofshirnoberflache und des Grofshirn-
markes im Allgemeinen.
Die Oberflache des GroShirnes der Ungulaten zeigt bekannt-
lich gyrencephalen Typus. Die Furchen und Windungen verraten
hier eine Form und Anwendung, die selbst von denen nahe-
stehender Tierordnungen, z. B. der Carnivoren, wesentlich ver-
schieden ist.
Historisehes.
Auf den eigenartigen Bau der Gehirnoberfliche der Ungulaten
hatte bereits Cuvier (8) hingewiesen, der das beziigliche Verhalten
bei mehreren Ordnungen studiert hatte.
Eingehendere vergleichend-anatomische Untersuchung iiber die
Grofhirnoberflaiche verdanken wir zunichst Owen (57, 58). Dieser
ging von dem durch seine einfachen und regelmafigen Furchen aus-
gezeichneten Felidengehirn aus und priifte hierauf die Oberflachen-
verhialtnisse nahestehender Tierordnungen. Als erster benannte er
die Windungen und Furchen (deren er 45 unterschied). Er teilte
die Furchen und Windungen in primaire und sekundire ein. Zur
Aufklarung der furchenreichen Gehirne der Ungulaten ging er in
vergleichend-anatomisch richtiger Weise von den einfachsten Ver-
hiltnissen, wie sie bei Tragulus und Hyrax bestehen, aus.
In noch umfassenderer und ausfihrlicherer Weise behandelte
Levuret (41) die Windungen der Hauptvertreter der Saugetiere.
Er klassifizierte nach der Windungsanordnung (Aufstellung von
14 Gruppen) wie Owen und fiigte seinen Untersuchungen zahlreiche,
sehr anschauliche Figuren bei. Seine Bilder sind von spiteren
Autoren wiederholt beniitzt und zur Vergleichung herangezogen
worden. Den Grundtypus erkannte Leurer in jenem System von
parallel verlaufenden longitudinalen Windungen, wie sie beim Fuchse
am ausgeprigtesten vorhanden sind. Den Furchen maf er keine
Bedeutung zu, er lie sie in seinen Beschreibungen ganz aufer acht.
Die Ruminantier und Herbivoren fafte Laurer zu einer besonderen
118 Kaspar Schellenberg,
(9.) Gruppe zusammen, auch das Schweinegehirn brachte er in einer
eigenen (10.) Gruppe unter.
Spiaiteren Untersuchern erschien die Leurnr’sche Einteilung zu
umstaindlich, willkiirlich und nach zu wenig charakteristischen Merk-
malen geordnet. Man suchte zu vereinfachen. So kam Dargsre (10)
dazu, nur noch 4 Windungstypen aufzustellen. Die Ruminantier
wies er neben den Pachydermen dem 3. Windungstypus zu. Aehn-
lich wie Lruretr (41), an dessen Beschreibung er sich anlehnte,
ging DarestE (10) von 3 parallelen Windungsziigen aus, von denen
der an der Mantelspalte gelegene und der nach aufen davon liegende
occipitalwirts sich erweitern und gabeln, der Aufkerste dagegen von
den quergestellten Furchen, namentlich der Fissura Sylvi, unter-
brochen wird.
Auf dem nimlichen Wege der Vergleichung der Windungen
kamen auch Lussana und Lemorenk (42) zur Aufstellung von neuen
Typen, wobei sie tiber die Schranken der natiirlichen Ordnung hinaus-
gingen. So kam beispielsweise das Pferd in einen eigenen Typus
(,,tipo equino“), das Schwein mit dem Hippopotamus und Rhinoceros
zusammen in den ,tipo suino“, die iibrigen Ungulaten wurden in
den ,,tipo pecorino“ in toto untergebracht. Abgesehen davon, dab
sie in ihren Schematen die Oberflachenverhialtnisse ganz entstellt
wiedergaben, entspricht auch ihre Auffassung beziiglich der Wichtig-
keit des Gehirnwinkels und der Ableitung der Windungen aus
einer Stammwindung nicht den thatsachlichen Verhiltnissen.
Kine ganz neue Wandlung in der Lehre und in der Auffassung
der Oberflichenverhailtnisse verdanken wir Panscu (59). Diesem
Forscher gebiihrt das Verdienst, die Bedeutung der Furchen in ihr
Recht eingesetzt zu haben, welche er nach der Tiefe des EHin-
schnoidens. nach ihrer Konstanz und Liinge als Haupt- und Neben-
furchen unterschied.
Gestiitzt auf die von Panscn aufgestellten neuen Gesichtspunkte,
nahm dann Krune (37) eine nach den Familien der Ungulaten ge-
ordnete Trennung der Furchen in 10 Hauptfurchen an, welche allen
Vertretern der Ordnung der Ungulaten zukommen. Die vielen
Nebenfurchen sind nach ihm zum Teil der Gattung, zum Teil der Art
eigen. Als solche Hauptfurchen, die auch in der ontogenetischen
Entwickelung sich zuerst zeigen und die keine verginglichen Vor-
laufer in der Entwickelung aufweisen, bezeichnete Krure die Fis-
sura Sylvii, splenialis, suprasylvia, coronalis, praesylvia, lateralis,
diagonalis, rostralis, postica und genualis. Grenzfurchen nannte er
die Fissura rhinalis und hippocampi. Seinen Besprechungen der
10 Ungulatenfamilien fiigte Krure recht tibersichtliche, zum Teil
von anderen Autoren entlehnte Bilder von Hemisphiiren an. Von
Krusee wurde ebenfalls die Reihenfolge der Entwickelung der
Furchen beim Schafe, Rinde und Schweine studiert. Ihm kommt
auch das Verdienst zu, auf die Verwandtschaft der Hauptfurchen
der Ungulaten und der Carnivoren zuerst die Aufmerksamkeit ge-
lenkt zu haben, wobei er die Homologie der Fissura coronalis beim
Hund und Schaf und auch diejenige der iibrigen Hauptfurchen bei
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 119
Carnivoren und Ungulaten nicht nur auf anatomischem Wege be-
griindete, sondern hier auch auf die experimentellen Resultate von
Hirzie (80) und Marcaccr (45), die erregbaren Rindenstellen be-
treffend, Riicksicht nahm. Krura konnte durch eigene Versuche
die Angaben von Marcaccr beziiglich der erregbaren Zone _ be-
statigen. Die hauptsichlich bei kleinen Tieren beobachtete Neigung
der Furchen, sich medialwarts von der dem Sulcus longitudinalis
zugekehrten Seite auf die Konvexitét der Hemisphiare zu verlagern,
bezeichnete Kruxre als Supination, den umgekehrten Verlagerungs-
prozef (Pronation) auf die dem Lingsspalt zugekehrte Seite konnte
er bei grofen Tieren wahrnehmen.
Wahrend die friiheren Forscher mit Ausnahme von Kruse die
Oberfliche lediglich vom morphologischen Standpunkte betrachteten,
eréffnete Muynerr (50, 51, 52) neue Gesichtspunkte in der Be-
trachtung der GrofShirnoberflache, indem er diese in Beziehung zu
den Hirnfunktionen brachte und zwar in dem Sinne, daf die Furchen
als natiirliche Grenzen fiir eine bestimmte Zahl grofer Gruppierungen
bestimmter Funktionen anzusehen wiren. Er verglich als erster
die verschiedene Griéfe der Stirnhirnentwickelung bei Carnivoren
und wies darauf hin, dal eine Verletzung oder Abtragung dieses
Hirnteiles keine Motilitaétsstérungen zu Folge habe. Fir die Ent-
wickelung des Stirnlappens hielt er die Gréfe des Linsenkernes,
die davon abhangige Ausdehnung der Insel und die Hoihe des
Scheitellappens von grundlegender Bedeutung. Am Zweihufergehirn
fand er die Bogenfurchen mehr gestreckt, daher zeige sich keine
Hohlung in der Konkavitiit der ersten Bogenwindung, deshalb liege
die Insel frei ausgestreckt zu Tage, deshalb sei auch eine stirkere
Frontalentwickelung vorhanden. Den Schlifelappen betrachtete
Meynerr unter die Hinterhauptsgegend geschoben und in 2 Win-
dungen zerfallend. Den quergestellten hinteren Ast der Fissura
coronalis des Schafes erklirte er der Fissura centralis der Primaten
homolog.
Einen weiteren Schritt vorwarts in dem Verstindnis der Grob-
hirnoberflache brachten uns die Reiz- und Abtragungsversuche, die
Munk (56) an Aifen, Hunden und auch am Pferde vornahm. Bei
diesem letzteren Tiere konnte er durch Exstirpation am Hinterhaupts-
lappen Erscheinungen von Seelenblindheit, durch solche am Scheitel-
lappen Bewegungsstérungen am Vorderbein der gegeniiberliegenden
Seite hervorrufen. Der nihere Ort der Reizung bezw. der Abtragung
an der Hirnoberfliche wurde yon diesem Forscher, beim Pferde
wenigstens, nicht genauer angegeben.
Aehnlich wie Hirzig (30) beim Hunde und Marcaccr (45) beim
Schafe, so hatte Arnorne (2) auch beim Pferde einzelne erregbare
Punkte bestimmt. Er schlug vor, den vordersten, nicht erregbaren
Bezirk am Stirnende als lobe orbitaire‘ von einem hinteren,
erregbaren ,,lobe fronto-pariétale, occipitale und temporale“ abzu-
grenzen.
Wahrend die obengenannten Untersucher bemiiht waren, an
der Oberflache die Oertlichkeiten nach den Funktionen abzugrenzen,
120 Kaspar Schellenberg,
so suchte GuppEN (27) in seinen zahlreichen Arbeiten die Grofhirn-
oberflache mit Riicksicht auf ihre Verbindungen mit dem Stabkranz
und den anderen Fasermassen zu erforschen. Seine Untersuchungen
bilden fiir die Anatomie der GroShirnoberfliche eine neue frucht-
bare Phase. Durch seine Atrophiemethode stellte dieser Forscher
bekanntlich bei dem Hunde als erster das Ursprungsgebiet der
Pyramidenbahn im groben fest. Die betreffende Rindenzone fallt
nach ihm so ziemlich mit dem motorischen Rindenfeld von Hrrzie
zusammen. LEinseitige Abtragung dieser Hirnpartie, d. h. des Gyrus
sigmoideus und des Gyrus coronarius beim neugeborenen Tiere hat
vollstandige Vernichtung der gleichseitigen Pyramidenbahn zur
Folge, wahrend Abtragung der weiter occipitalwarts legenden
Windungen auf die Entwickelung der Pyramiden ohne Kinfluf bleibt.
Mittelst derselben Methode der Operation am neugeborenen
Tier gelang es auch v. Monaxow (53, 54, 55), ttberaus wichtige Er-
gebnisse iiber die Abhangigkeitsverhaltnisse der verschiedenen Stab-
kranzteile, der Kerne des Sehhiigels und mancher tieferer Hirnteile
von der Grofhirnoberfliche bei Kaninchen, Katze und Hund festzu-
stellen und die beziiglichen Faserverbindungen zu erschliefen. Ich
werde in der Folge noch mehrmals auf diese grundlegenden For-
schungen zuriickkommen.
Seit Mmynerr (51) ging unter den neueren Forschern das Be-
streben darauf hin, die naihere Homologie der Furchen und Win-
dungen bei den Primaten einerseits, bei den Carnivoren und bei
den Ungulaten andererseits zu finden. Dahinzielende Versuche finden
sich in den Arbeiten von Friescu (22) und Famiuaianr (19), welche
die Furchen des Carnivorengehirnes mit denen des Primatengehirnes
verglichen.
In eingehenderer Weise als die genannten Autoren suchten
Tencuint und Nzearini (70) die homologen Windungen beim Menschen,
beim Pferd und beim Rind zu ermitteln. Sie gingen dabei von der
Gefaiverteilung in der Hirnoberfliche aus, doch beriicksichtigten sie
auch die ontogenetische Reihenfolge des Auftretens der Windungen
und Furchen. Gleich wie Broca (6) nahmen sie an, daf das Frontal-
hirn bei Pferd und Rind gegeniiber dem des Menschen eine sehr
dirftige Entwickelung zeige. Die besonders gute Ausbildung der
Parietalregion hielten sie fiir das Pferd und das Rind charakteristisch,
den Occipitallappen betrachteten sie als rudimentir entwickelt und
magen ihm nur geringe Bodeutung zu. Die Fissura calcarina des
Menschen verlegten sie auf die mediale Seite des Pferdegehirnes in
eine unbedeutende Furche am Uebergange des Lobus pyriformis in
den Gyrus fornicatus. Manche dieser Deutungen sind meines Er-
achtens als ziemlich willkiirliche zu bezeichnen, ganz besonders aber
die, daf die prasylvische und Coronarfurche des Pferdes und Rindes
der Centralfurche des Menschen entspreche. Uebrigens geben die
beiden Autoren selber zu, da ihre Homologisierungsbestrebungen
nicht sehr gliickliche waren. Zu ahnlichen gezwungenen Schliissen
kamen 'Tpncuint und Nearint bei der Vergleichung der Windungen
der genannten Tiere. Nichtsdestoweniger verleihen der Abhandlung
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 121
der beiden Autoren die naturgetreue Wiedergabe einzelner er-
eles und fétaler Gehirne sowie die Uebersicht der arteriellen
Sefakverteilung einen hohen Wert.
“Im Anschlusse an die Untersuchungen bei den Waltieren ver-
suchtén KixkenrHan und ZreHEN (38) bei einer Reihe von Siugetier-
ordnungéx. die Homologien der GroShirnfurchen wiederzugeben. Nur
die entwickelungsgeschichtliche und rein morpbologische Betrach-
tungsweise leitete sie bei der Aufstellung ihrer Schliisse. Grofen
Wert raumten sie den Variationsméglichkeiten der Fissuren ein, die
sie nach den vier folgenden yon ihnen aufgestellten Variations-
gesetzen ordneten: 1) daf eine Furche in ihrem Verlaufe ein- oder
mehrfach unterbrochen sein kann; 2) dali eine Furche von einer
oder mehreren Parallelfurchen oft begleitet wird, so daf die Unter-
scheidung schwer halt; 3) daf jede Furche sich verliingern kann
unter Beeinflussung benachbarter Furchen; 4) daf Nebeniiste im
alleemeinen fiir die Konfiguration der Hirnoberflaiche gleichgiltig
sind. Jede Fissur vergleichen sie innerhalb der betreffenden Ord-
nung und mit denen nahestehender Ordnungen. Besonders beachtens-
wert bleibt die Schilderung der Fissura Sylvii und der Fissura cru-
ciata, welch letztere sie als der Fissura centralis der Primaten
homolog annahmen. Ihre Studien bilden einen wertvollen Beitrag
zur vergleichenden Anatomie der Oberfliche gyrencephaler Siuger.
Thre Untersuchungen haben sie auf den Markkérper des Grofhirnes
und die tieferen Teile, namentlich auf den Faserverlauf nicht aus-
gedehnt, was diese Autoren mit Recht als eine Liicke ansehen.
Von ZibHEN (75, 76) stammen weitere wertvolle Beitrige und
Untersuchungen iiber die Furchenverhiltnisse bei den Carnivoren,
den Marsupialiern und den Monotremen.
Auch Jencersma (32) beschrieb den Bau des Siiugergehirnes. Er
fand bei den Ruminantiern und Solidungula infolge des griferen
Kérpergewichtes eine kompliziertere Entwickelung der Furchen und
Windungen.
Tourner’s (71) Arbeit brachte eine einheitlichere Anschauung
iiber die Oberflachengestaltung der Hemisphiare. Er unterscheidet
sagittale, coronale und bogenférmig verlaufende Fissuren; als Grund-
typus fiir das Ungulatengehirn stellte er 3 longitudinale Windungs-
ziige auf, die sich wiederum in Unterabteilungen zerlegen lassen,
wie z. B. die Randwindung beim Pferd und Rind.
Zu einer anderen Betrachtungsweise der Bildung der Windungen
kam Parker (60), welcher den Versuch gewagt hat, auf gleichsam
mathematischem Wege eine Erklirung der Entstehung der Win-
dungen zu geben, und der es versuchte, auf diesem Gesichtspunkte
fuBend, die Homologie der Faltung aufzuklaren. Er fand die Furchen
und Windungen als einfache Wiederholungen, die bei Carnivoren
und Ungulaten vollstindig identisch sind. Darauf bauend, stellte
er eine Entwickelungsreihe, mit dem Peccary (Dicotyles torquatus),
bei welchem Tier sich auf der lateralen Oberflache nur eine Fissur
findet, beginnend, auf. Diesem einfachsten Typus folgt das Gehirn
des Schafes und des Tapirs mit 2, das der Giraffe und des Lama
122 Kaspar Schellenberg,
mit 3 Fissuren. Das Pferd mit den 4—5 Fissuren stellte den
letzten Typus dar. Die beziiglichen Furchen stellte Parksr der
einen Furche des Peccary gleich.
Neuere Forscher haben zur Erklarung der Furchenbildung wie
Parkpr zu eigenen Theorien ihre Zuflucht genommen. Ich nenne
Reicuert (61) und Serrz 66), die von den Gefafen ausgingen, Mry-
nERT (50), ScuwauBe (65) und Meyer (49), die den Einfluf der Schadel-
kapselals bestimmend annahmen, im weiteren Wunpt (74), KOLLIKER (34).
Srrasser (69), Marvin (46), JerGersma (33), Ecker (15) und Scunopr-
HAGEN (64), welche simtlich die Ursache im Gehirn selbst suchten.
Krfreulicherweise liefern die Ergebnisse der pathologisch-anatomischen
Forschungsrichtung, vor allem die Falle von Makro- und Mikrogyrie
zweifellos Beweismomente fiir die letztere Annahme, daf die Ur-
sachen der Rindenfaltung ausschlieflich im Organ selbst zu suchen sind.
Die heute allgemein giltige Auffassung der Oberfliche beim
Carnivoren- und Ungulatengehirn hat die von Lrurer (41) auf-
gestellte Einteilung zur Grundlage. Durch Laneaury’s (389) und
ELensercer’s (18) Untersuchungen hat dieses Einteilungsprinzip
fiir die Furchen neue Unterstiitzung gefunden. Enunnpercer (18)
gelang es, die Verwandtschaft des Hundegehirns mit demjenigen der
Ungulaten festzustellen. In der Anordnung der Furchen beim
Schweine fand er den vermittelnden Uebergang zwischen Hund und
Wiederkiuer. In seiner Darstellung beriicksichtigte er tbrigens
nur die oberflichlich legenden Furchen, was sich aus seinen
schematischen Zeichnungen ergiebt, auch laft er das relativ ein-
fache Schaf- und Ziegengehirn unbesprochen.
Eine kurze, skizzenhafte Schilderung des Pferdegehirnes haben
auch Lreer und Lanzmuorri (40) geliefert; sie enthalt indessen
keine neuen Gesichtspunkte. Die Oberflichengestalt der Hemisphire
wird selbstverstandlich auch in simtlichen Lehrbiichern der Veterinar-
anatomie, im allgemeinen indessen nur kurz und schematisch be-
handelt. In den neueren ausfiihrlichen Handbiichern, wie in dem
von Franck-Martin (23) und Cuavveau (7), finden sich die Oberflachen-
verhailtnisse von samtlichen Haustieren geschildert; in dem Hand-
buch von Mac Fapyan (43) werden nur die Verhaltnisse beim Pferd
beriicksichtigt. Als Ausgangspunkt ihrer Darstellungen wihlen fast
alle diese Autoren den einfachen Typus der Bogenwindungen beim
Hunde. Die Gyri der itibrigen Haustiere werden in summarischer
Weise mit Zugrundelegung der Oberflaiche des Hundes abgehandelt.
Das Dexuer’sche Lehrbuch (12) halt sich an die Ausfiihrungen von
ELLENBERGER und Krurc, was die Furchen anbetrifft, es enthalt
daneben aber auch wertvolle eigene Untersuchungen des Verfassers
am Pferde.
Das neuerdings erschienene ausfiihrliche Buch von Frarav-
Jacopsoun (20), das den Gegenstand in weit ausfiihrlicherer Weise
als die. ibrigen Lehrbiicher der Anatomie behandelt und so ziem-
lich das ganze zu Tage geférderte Material beriicksichtigt und zu-
sammenfaft, enthalt neue Ergebnisse beziiglich der feineren Ge-
staltung der Hirnoberfliche der Ungulaten nicht.
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 123
Specieller Teil.
Furchen und Windungen bei den Ungulaten.
Allgemeine Bemerkungen. In den Furchen und Win-
dungen der verschiedenen Vertreter der Ungulaten lassen sich
verwandte Merkmale erkennen, und doch zeigt wiederum jede Art
in der Anordnung ihrer Oberfliche ihre besonderen Eigentiimlich-
keiten. Im allgemeinen kann man sagen, dafi die Anlage der
Furchen den beziiglichen Verhiltnissen bei den Carnivoren, speciell
bei den Caniden und Feliden nahesteht. Die Differenzen im Auf-
bau der Grofhirnoberflaiche sind innerhalb der einzelnen Vertreter
der Ungulaten bisweilen recht in die Augen fallende, der Grund-
typus lat sich indessen bei allen leicht erkennen. Es ist nicht
iiberfliissig, zu bemerken, dafi selbst innerhalb der namlichen Art,
ja mitunter sogar beim namlichen Individuum mehr oder weniger
bemerkenswerte Modifikationen in der Windungsanlage sich vor-
finden. Es stellen sich daher der vergleichenden Untersuchung
gerade bei den Huftieren und namentlich bei den gréferen Ver-
tretern unter diesen, bei denen der Furchenreichtum wachst, er-
hebliche Schwierigkeiten entgegen. Jedenfalls ist da ein Studium,
bei welchem nur die oberflachlich zu Tage tretenden Furchen be-
riicksichtigt werden, fiir eine griindliche Orientierung unzureichend,
und sind Schliisse, die lediglich diese Betrachtungsweise zur Grund-
lage haben, irreleitend.
Um nicht auf Abwege zu geraten, mul sich der Untersuchende
zuerst tiber das, was unter ciner Furche zu verstehen ist, Rechen-
schaft ablegen. Als Furche bezeichnet man gewohnlich jeden Kin-
schnitt oder jede Einstiilpung der Oberfliche des Hirnmantels.
Nun werden gewohnlich nur die bis an die Konvexitaét reichenden
Spalten bei der Darstellung zu Rate gezogen, wihrend die viel-
fachen Seiteneinstiilpungen und Taschen der Hauptfurchen, welche
bisweilen in auSerordentlich komplizierter Weise sich in die Tiefe
des Hirnmantels einsenken, von der Verwertung ausgeschlossen
werden.
Durch diese verschiedenen Einstiilpungen der Rinde, durch
die mannigfaltigen gréfSeren und kleineren Furchen werden aber
einzelne Windungen und Windungskomplexe mit ihren Markzungen
abgegrenzt, und bei diesen letzteren driingt sich die tiberaus wichtige
Frage ihrer Beziehungen zum Markkorper des GroShirnes und zu
124 Kaspar Schellenberg,
weiteren Verbindungsstitten in den Vordergrund, mit anderen
Worten: neben dem Gesichtspunkt, welcher lediglich die auSeren
Formverhaltnisse beriicksichtigt, verdient der anatomisch-architek-
tonische eine besondere Wiirdigung. Es ist dem alten, auf den
Verlauf der oberflichlichen Furchen sich stiitzenden Einteilungs-
prinzip bei der Orientierung auf der Grofhirnoberflache ein neues
architektonisch-physiologisches Einteilungsprinzip, wel-
ches die Projektionsverhaltnisse des Markkérpers (Stabkranz, Asso-
ciationsbiindel etc.) zur Grundlage hat, gegeniiberzustellen. Bei
diesem lJetzteren Prinzip waren unter anderem die Projektions-
felder der Kerne des Sehhiigels, der verschiedenen Hauben-
abschnitte, die Kinstrahlungsbezirke des Pedunculus cerebri, ferner
aber auch die Ursprungs- und Endigungsfelder der wichtigsten
langen Associations- und Kommissurenbiindel zu Grunde zu legen.
Jedenfalls wire ein Bestreben darauf zu richten, beide Kinteilungs-
und Abgrenzungsgrundprinzipe miteinander in richtigen Einklang
zu bringen. Von letzterem Ziele sind wir allerdings noch ziemlich
weit entfernt, und zur Erreichung eines solchen ist eine umfassende
Arbeit in reiner, oberflichentopographischer Beziehung unbedingt
erforderlich. Bis auf weiteres, d. h. bis die Absteckung der
Rindenfelder nach architektonisch-physiologischen oder nach histo-
logischen Momenten weiter gediehen ist, wird auch jede Einteilungs-
art fiir sich weiter ausgebaut werden miissen.
Indem ich mich der im Vorstehenden angedeuteten Vorarbeit
beztiglich einer méglichst erschépfenden Darstellung der Ober-
flichentopographie bei Ungulaten unterziehe, méchte ich meine
Betrachtung eréffnen mit der Behandlung der Vorfrage, ob
Furchen mit aéhnlicher anatomischer Lage bei verschiedenen Tieren
als einander homolog zu betrachten sind. Gerade bei dieser Frage
wird die Bedeutung der physiologischen und faseranatomischen
Gesichtspunkte evident. Ob eine Windungspartie mit einer gleich-
artig gelegenen einer anderen Tierspecies identisch ist, kann erst
durch das physiologische und anatomische Experiment, event. durch
eine feinere histologische Untersuchung der Rinde entschieden
werden, und erst wenn die betreffende Partie die Proben in letzt-
genannter Beziehung mit Erfolg bestanden hat, wird man mit
Sicherheit von ihrer Homologie reden kénnen?). Jedenfalls ist es
meines Erachtens unrichtig, lediglich aus der Reihenfolge ihres
Auftretens, aus der Verlaufsrichtung, Oberflichenzeichnung oder
1) Vergleiche auch ZinHen (77).
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 125
gar aus den GefaiSbezirken Verwandtschaften von Oberflachen-
bezirken anzunehmen. Durch physiologische und _ vergleichend-
anatomische Untersuchungen ist fiir einzelne Grofhirnabschnitte
wahrscheinlich geworden, daf gleich gelagerte Rindenabschnitte
verwandte Verbindungsarten, z. B. des Stabkranzes, besitzen. So
wissen wir beispielsweise, daf fast bei allen bis jetzt zur Unter-
suchung gekommenen Saugetieren der Hinterhauptlappen, mag er
oberflichlich gefaltet sein wie immer, die Sehstrahlungen in sich
birgt und die Sehsphare in sich schlieSt. Wir sind indessen noch
weit davon entfernt, selbst bei den am besten studierten Saugern
(Katze, Hund, Affe, Mensch) im einzelnen zu wissen, wie sich die
feineren Komponenten der zahlreichen Stabkranz- und Associations-
biindel auf die verschiedenen Windungssegmente und Furchenthialer
projizieren. Es fehlt uns daher fiir viele Oberflachenabschnitte,
d. h. fiir die dort angelegten Furchen und Windungen noch jeder
feinere Anhaltspunkt fiir eine Homologie bei Katze, Hund, Affe
und Mensch. Fiir die Ungulaten fehlt uns eine Windungshomologie
mit Bezug auf die soeben genannten bestuntersuchten Vertreter
der Saugetierreihe einerseits, als andererseits mit Bezug auf die
einzelInen Arten der Ungulaten selbst nahezu vollstandig.
Die Bezeichnungen der Furchen und Windungen der Ungulaten-
hemisphare sind, wie bereits friiher schon angedeutet worden,
vom Hundegehirn heriibergenommene. Hier hat sich die von
LANGLEY (39) eingefiihrte Nomenklatur allgemein eingebiirgert.
So wurden die Bezeichnungen Laneury’s fiir die Furchen von
ELLENBERGER (18) und anderen Autoren ohne weiteres auf die
entsprechenden Fissuren des Pferdes tibertragen. Dal dabei manche
willkiirliche Uebertragungen mit untergelaufen sind, ist selbst-
verstindlich, wenn man tiberlegt, dafi jenen Forschern bei ihren
Priifungen nur die oberflaichlich liegenden Furchen zur Grundlage
gedient haben, und dal’ von ihnen andere Anhaltspunkte mehr
faseranatomischer Natur aufler Betrachtung gelassen wurden.
Bei der Darstellung der topographischen Verhaltnisse bediente
ich mich, soweit méglich, der naimlichen Bezeichnungen, wie sie
von KLLENBERGER (18) und anderen bei den Ungulaten angewendet
wurden, d. h. der von LANGLEY (30) und Kruxe (37) aufgestellten,
soweit wenigstens ihre Homologie nicht zweifelhafter Natur war.
Aufgerdem aber konnte ich nicht umhin, neue Bezeichnungen ein-
zufiihren, wobei ich, um nichts zu prajudizieren, mich meist der
Zahlen und Buchstaben bediente.
Fiir die vergleichende Darstellung der verschiedenen Bezirke
126 Kaspar Schellenberg,
der Oberfliche schien es mir empfehlenswert, die vom Menschen
heriibergenommene Abgrenzung nach Lappen auch am Ungulaten-
erofhirn vorzunchmen. Eine solche grobe Abtrennung an der
Oberfliche 148t sich nicht in der naimlichen Weise wie bei den
Primaten durchfiihren; es miissen daher zur Vornahme der Tier-
ordnung entsprechende Grenzen angenommen werden. Vorlaufig
bemerke ich, daf ich das Gebiet vor der Fissura cruciata und dem
Balkenknie wie beim Hunde als Frontallappen bezeichne. Das
Gebiet zwischen der Fissura suprasylvia und F. rhinalis posterior
occipitalwarts von der F. Sylvii trenne ich als Temporallappen ab;
die Region hinter der Fiss. cruciata bis zum Balkenwulste, zwischen
der F. suprasylvia und der F. callosomarginalis, bezeichne ich als
Parietallappen; das Gebiet hinter dem Balkenwulste, das sich vom
Parietallappen durch keine natiirlich gezogene Linie abhebt, grenze
ich als Occipitallappen ab. Das tibrige Gebiet wird vom Riech-
und Sichellappen eingenommen.
Ks wird von Interesse sein, wenn ich meinen Studien Angaben
iiber das Hirngewicht der untersuchten Vertreter der Ungulaten
vorausschicke. CHAUVEAU (7) und ROGNER (62), besonders aber
Dusors (14) und Max Weper (73) haben an einem gréferen
Material Waigungen vorgenommen. Ihren Ergebnissen ist zu ent-
nehmen, daf auch bei den Ungulaten das Hirngewicht nicht pro-
portional dem Ké6rpergewicht zunimmt, und dal die Rasse be-
stimmend einwirkt. Es betrigt im Mittel das Hirngewicht:
Gramm Proz. des Kérpergewicht.
Pierda the ivtl at 650 0,12
Rams ae ee 480 0,096
Och wel; rsp ait id 120 O,1
PGE scat cit alate 130 0,17
PNOFC ve | od) Se 130 0,26
Da die Bezeichnungen der Windungen und Furchen der Ober-
fliche des Ungulatengehirnes vom Hunde entnommen sind, wird
es empfehlenswert sein, an dieser Stelle eine kurze Schilderung
der Windungsverhaltnisse des Hundes zu geben.
Die relativ einfache GroShirnoberflache des Hundes stellt einen
besonderen, héher entwickelten Typus dar, zu dessen Aufstellung
nach TurNER (71) die 4 konzentrisch angelegten Windungen
bei Mustela furo als Ausgangspunkt gedient haben mégen. Das
Canidengehirn la8t indessen 5 solcher parallel und longitudinal
verlaufender Windungen erkennen, welche in ihrem Verlaut gewisse
Modifikationen erfahren.
Untersuchungen iiber das GroBhirnmark der Ungulaten. 127
Das Riechhirn (Rhinencephalon) trennt sich vom Mantel durch
die Fissura rhinalis ab. An der Uebergangsstelle des Tractus
olfactorius in den Lobus pyriformis, dort, wo die Sylvische Furche
abgeht, zeigt sich eine winkelige Knickung der Fiss. rhinalis,
welche Veranlassung giebt zur Bildung eines vorderen und eines
hinteren Astes (Fig. 1).
Um die leicht hakenférmige, eigentliche Sylvische Furche,
welche als aufsteigender Ast imponiert, ziehen die bekannten
3 Haupt- oder Bogenfurchen: die Fiss. ectosylvia, supra-
sylvia uud lateralis (Fig. 1). Eine im ahnlichen Sinne an-
gelegte Bogenfurche an der medialen Seite der Mantelkante ist die
Fiss. callosomarginalis (Fig. 2 cm).
Fig. 1. Hund. Laterale Fig. 2. Hund. Mediale
Ansicht. Schema. Ansicht. Schema.
Die einzige rein transversal zu diesen Furchen verlaufende
ist die Fiss. cruciata, welche, im vorderen Drittel der Kon-
vexitait von der Fiss. callosomarginalis abzweigend, in den Gyrus
sigmoideus einschneidet, indem sie tiber die Mantelkante an die
Oberfliche tritt. Der an der medialen Seite gelegene Teil bildet
bereits einen Hauptbestandteil der Fiss. callosomarginalis (Fig. 1,
Znen):
Ktwa 1 cm vor der Abzweigung der Sylvischen Furche aus
der Fiss. rhinalis, die vorderen Schenkel der Bogenfurchen um-
ereifend, findet sich die Fiss. praesylvia in einem vor der
Fiss. cruciata schrag aufwarts ziehenden Bogen.
Durch die Fiss. rhinalis, Sylvii und ectosylvia wird die erste
Bogenwindung, der Gyrus sylvius, abgeschniirt (Fig. 1 S).
Der vordere Schenkel dieser Windung steht mit der zweiten oder
128 Kaspar Schellenberg,
oder ektosylvischen Windung in Kommunikation; er bildet den
vom Parietalteil gelieferten Opercularlappen, welcher von der
vorderen Seite her die Insel bedeckt. Die hinter der Sylvischen
Furche gelegene Abteilung der Sylvischen Windung bildet den
temporalen Anteil des Opercularlappens und geht wie im vorderen
Schenkel ebenfalls in den Gyrus ectosylvius (hinteren Schenkel)
iiber. Dieser hintere Abschnitt der ektusylvischen Windung ist
besonders tiber der Spitze der Fiss. Sylvii recht schmal. Die ge-
nannte Windung ist an ihrem Uebergang zur ersten und dritten
Bogenwindung besonders machtig angelegt (Fig. 1 ES).
Die dritte Bogenwindung (Gyrus suprasylvius) hat medial
die Fiss. lateralis, lateral die Fiss. suprasylvia zur Grenzlinie.
Occipitalwarts nimmt diese Windung an Machtigkeit und Breite
zu und spaltet sich hier, eingeschnitten durch die Fiss. ectolateralis,
in 2 kleinere (obere und untere suprasylvische). Demgegeniiber
bleibt der vordere, als Gyrus coronarius bezeichnete Ab-
schnitt schmal. Er umzieht in einem nach aufen konvexen Bogen
den vorderen Teil der vierten Bogenwindung, den Gyrus sigmoideus.
Auf die Verbreiterung des occipitalen Abschnittes der supra-
sylvischen Windung hat besonders Mann (44) hingewiesen, der in
diese Partie die Vertretung des Gesichtssinnes verlegt. Occipital-
warts biegt dieser breite Abschnitt rechtwinklig nach dem Tem-
poralpol, um schlieflich in den Gyrus ectosylvius und marginalis
iiberzugehen.
Die vierte Bogenwindung (Fig. 1, 2 M IV) [Gyrus
marginalis, Gyr. entolateralis + suprasplenialis von LaNne@Lry]
umfafit das Gebiet der Mantelkante, reicht medialwarts bis an die
Fiss. callosomarginalis resp. bis zum Gyrus fornicatus und erstreckt
sich lateralwarts bis zur Fiss. lateralis resp. bis zum Gyrus supra-
sylvius (Fig. 1, 2). Im frontalen Drittel schlieft sie das Gebiet
des Gyrus sigmoideus (Fig. 1, 2 ¥) in sich, dessen Faltung
die Fiss. cruciata darstellt. Der am meisten frontal liegende Ab-
schnitt spitzt sich konisch zu und bildet das Frontalende bezw.
den Gyrus prorae (Fig. 1, 2 Pr). Das occipitale Ende des
Gyrus marginalis stellt die Occipitalspitze der Hemisphare dar,
die weitere, der Basis zugekehrte Fortsetzung legt sich den Klein-
hirnhemisphiren an und vereinigt sich nach abwarts mit dem Gyrus
suprasylvius.
Der am meisten medial gelegene Gyrus fornicatus stellt
eine Windung dar (Fig. 2 F'), welche zwischen dem Balken und
der Fiss. callosomarginalis verliuft. Der Gyrus fornicatus umzieht
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 129
das Splenium und geht ununterbrochen auf den Gyrus hippo-
campi tiber, mit anderen Worten: es wird der unterhalb des
Splenium liegende Abschnitt dieser gemeinsamen Windung als Gyrus
hippocampi bezeichnet (Fig. 2 H). Im frontalen Schenkel liefert
der Gyrus fornicatus eine Windungsbriicke zum Gyrus sigmoideus
anterior. Die genannte Windung biegt schlieSlich nach vorn um
das Rostrum nach abwarts und vereinigt sich mit dem vorderen
Teile des Gyrus prorae (Fig. 2 fF’).
Bei der Katze erscheinen die Bogenwindungen gedrungener
als beim Hunde, auch ist hier das vordere Drittel der Hemisphare
verkiirzt. Die Fiss. cruciata ist dem Frontalende somit naher
gelagert. Famirant (19) schatzte die Strecke zwischen der Fiss.
cruciata und der Frontalspitze beim Hunde 18—27 Proz. der
Hemispharenlinge, wahrend diese Entfernung bei der Katze blo’
10—18 Proz. betragt. Im tibrigen finden sich zwischen beiden Tier-
arten starker ausgesprochene Differenzen nicht vor, die fiir die vor-
liegende Untersuchung von grundlegender Bedeutung sein kénnten.
GroShirnoberflache bei den Ungulaten. Bei der
Schilderung der Grofhirnoberfliche der Ungulaten méchte ich von
den Verhaltnissen bei einem Vertreter der Cavicornier, welche
dem Hunde in vielen Beziehungen nahestehen, der Ziege, aus-
gehen.
Bei diesem Tier fallt im allgemeinen sofort auf bei Betrachtung
der GroShirnoberflache, daf die Furchen und Windungen weniger
winklig geknickt, sondern mehr gestreckt sich prasentieren (Fig. 3
bis 5). Infolge dieser Streckung tritt das Gebiet der Insel, die beim
Hunde verborgen liegt, frei hervor. Es zeigt sich hier zum ersten-
mal eine Gabelung der Sylvischen Furche in 2 Aeste, nam-
lich in den Ramus anterior und posterior (Fig. 4 sa, sp). Der
hintere Ast ist nur kurz und geknickt, auch vereinigt er sich mit
der Fiss. rhinalis posterior. Der vordere Ast bleibt lang aus-
gestreckt gegen das Frontalende hin und kriimmt sich in einem
nach vorn konvexen Bogen, indem er sich schlieflich gabel-
formig teilt.
In der Nahe der Frontalspitze zieht die Fiss. praesylvia,
welche mitunter aus dem vorderen Aste der Fiss. Sylvii, mitunter
aus der Fiss. rhinalis hervorgeht und die nach vorn und oben
zwischen den beiden vorderen Endasten der weiter unten zu be-
sprechenden Fiss. coronalis sich verliert (Fig. 3, 4 ps).
Wahrend beim Hunde die ektosylvische Furche un-
unterbrochen bogenférmig durch die ganze Lange der Hirn-
Bd, XXXIV. N. F. XXVU. 9
130 Kaspar Schellenberg,
oberflache zieht, finden wir bei der Ziege eine Unterbrechung
dieser Furche im mittleren Abschnitt (Fig. 3, 4). Die Trennungs-
briicke wird durch die Sylvische Windung gebildet, in welche der
aufsteigende Ast der Sylvischen Furche einschneidet. Dadurch
entstehen zwei fiir sich verlaufende Furchenschenkel, namlich die
Fiss. ectosylvia anterior und posterior (Fig. 3, 4 esa, p).
= =
jo QI
I 1g, dvs
Fig. 4.
Ziege. Schema.
Der vordere Teil dieser
Furche zieht dem vorderen
Aste der Sylvischen Furche
nahezu parallel, er steigt
schief von oben nach ab-
warts und gabelt sich an
seinem vorderen Ende in
eine schief gestellte Furche,
die mit dem _ besonderen
Namen der Fiss. diago-
nalis von vielen Autoren
belegt wurde (Fig. 4 esa).
Hiiufig sind Verbindungsiste
mit dem Ramus anterior
fiss. Sylvii vorhanden. Der
hintere Schenkel der ekto-
sylvischen Furche (Fiss. ecto-
sylvia posterior ; Fiss. postica
von KruEG) ist reich an
Seitenzweigen,
welche die ganze
iibrige Temporal-
gegend quer und
lings durchfur-
chen (Hig: | 3,,.4
esp).
Als die Haupt-
furche des Fron-
talteils ist bei der
Ziege wie bei den
Ungulaten itiber-
haupt zweifellos
die Fiss. coro-
nalis (Fig. 3,4
cor) zu betrach- —
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 151
ten. Dieselbe trennt die marginale Partie des Frontalteils scharf
ab und ist von einer bemerkenswerten Tiefe. In der Mitte ihres
Verlaufes giebt sie medialwiirts einen bedeutenden Seitenast ab.
Thr frontaler Abschnitt teilt sich gabelf6rmig und faft die Fiss.
praesylvia zwischen sich. Der hintere Abschnitt biegt haken-
formig um, indem er den Gyrus sigmoideus abgrenzt. Der hin-
terste Abschnitt durchschneidet die marginale Windung vollstandig
und geht an die mediale Seite des Hirnmantels tiber. Diesen
letzteren sehr charakteristischen quer verlaufenden Furchen-
abschnitt bezeichne ich
als die Fiss. trans-
versa. (Fig. 3—5 #7)
(Biigel a Kruse, 37). An
der Umbiegungsstelle
des hinteren Schenkels
der Fiss. coronalis findet
sich noch ein lateral-
warts abgehendes Aest-
chen, welches bisweilen
mit dem Querast der
suprasylvischen Furche
eine Anastomose bildet Fig. 5.
(Fig. 3, 4).
In den meisten Fallen umgreift der mediale Querast der End-
gabelung der suprasylvischen Furche die von mir als Fiss. trans-
versa bezeichnete Partie der Fiss. coronalis. Die supra-
sylvische Furche zieht namlich in schwach gewundenem
Bogen um die Spitze der Fiss. Sylvii und endigt als tiberaus
machtige Spalte, nachdem sie sich in occipito-temporaler Richtung
mehrfach geteilt, von der occipitalwarts aufsteigenden Fiss. rhi-
nalis durch eine Windungsbriicke getrennt (Fig. 3, 4 ss).
Das mehr occipital gelegene Areal zwischen Fiss. suprasylvia
und der Mantelkante enthalt die Fiss. lateralis (Fig. 3, 4 /),
die ca. 11/, cm hinter der Fiss. transversa die Mantelkante leicht
einschneidet und schrag lateral- und occipitalwarts zicht, um in
der Nahe des Occipitalpols zu endigen. Zwischen dieser Fiss.
lateralis und der Fiss. suprasylvia finden sich unterbrochene und
wenig regelmabige Furchenstiicke, die in toto als Fiss. ecto-
lateralis zusammengefaft werden kénnen (Fig. 3, 4e/). Als
Seitenstiicke hierzu sind ganz ahnliche Furchensegmente zwischen
der Fiss. lateralis und der Mantelkante zu beobachten, welche als
O*
132 Kaspar Schellenberg,
Teilstiicke einer Fiss. entolateralis aufgefakt werden diirfen
(Fig. 3 enl).
Auf der medialen Seite zieht wie beim Hunde die Fiss.
callosomarginalis (Fig. 5 cm), gré8tenteils dem Balken
parallel verlaufend, dahin. Sie umgreift das Splenium und endigt
zwischen der Fiss. hippocampi und rhinalis posterior.
Die Fiss. cruciata ist ganz eigenartig gebildet. Sie stellt
ein die Mantelkante nur verhaltnismaBig knapp einschneidendes
Stiick dar, welches mit der Fiss. callosomarginalis in direkter
Kontinuitat steht (Fig. 3—5 er).
Im Frontalteil findet sich eine tiefe und mehrfach Seiten-
zweige abgebende Furche, welche von den Autoren als Fiss.
genualis bezeichnet wird. Ich méchte diese Furche, auch wenn
sie durch eine Windungsbriicke von der Fiss. callosomarginalis
getrennt wird, zu dieser rechnen und sie als vorderes frontales
Segment der Fiss. callosomarginalis bezeichnen. Die Breite
der trennenden Windungsbriicke betragt etwa 1 cm. Den nach
vorn und abwarts abbiegenden Schenkel des genannten Abschnittes
bezeichnet Kruea als Fiss. rostralis.
Zwischen der Fiss. callosomarginalis und dem Balken liegen
sowohl am Rostrum wie am Splenium getrennte kurze Furchen-
stiicke, welche als Fiss. entogenualis und entosplenialis
zu bezeichnen sind (Fig. 5 eg, espl).
Die Windungen der Ziege sind wohl ausgebildet und
in ihrer Art charakteristisch.
Dem Tractus olfactorius liegt seitlich die offene Insel an,
diese zieht frontalwarts und geht mit den Windungen, die ich als
zweite und dritte Frontalwindung bezeichnen méchte 4),
eine Verbindung ein. Die Sylvische Windung (dritte Stirnwindung,
F’,) erweist sich im Frontalteil als recht betrachtlich (Fig. 4).
Sowohl in ihrem dem Ramus ascendens fiss. Sylvii anliegenden
Anteil als auch in dem am Frontalende liegenden Stiick verbindet
sie sich mit der zweiten Frontalwindung. Die zweite Frontal-
windung trennt sich vom Gyrus sylvius, d. h. als von der dritten
Frontalwindung ab. An dieser Stelle geht die zweite Frontal-
windung durch das Verbindungsstiick, das bei allen Ungulaten in
1) Die bisherige Bezeichnungsweise verlasse ich und iibertrage
die beim Menschen iibliche auf die Ziege, da mir die Verhaltnisse
bei diesem Tier noch am meisten Verwandtschaft mit denen beim
Menschen zu haben scheinen.
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 133
eigenartiger Weise sich abgrenzt und welches ich mit w bezeichne,
eine Anastomose mit dem Gyrus suprasylyius ein. Die zweite
Frontalwindung (/’,, Gyr. coronarius ++ ectosylvius anterior),
Fig. 3, 4) zieht als breite Windung zum Frontalpol, wo sie mit
der ersten und dritten Frontalwindung Verbindungen austauscht.
Sie ist seitlich begrenzt durch die Fiss. coronalis und ectosylvia
anterior.
Die erste Frontalwindung (/,, Gyr. prorae der Au-
toren) ist bei der Ziege von einer auferordentlichen Michtigkeit
und erinnert an die beziiglichen Verhaltnisse beim Menschen. Sie
ist vom Gyrus sigmoideus nicht scharf geschieden, nur durch
den Seitenast ( teilweise getrennt. Sie steht mit dem Gyrus
fornicatus in Verbindung (Windungsbriicke zwischen Hauptteil des
Sulcus callosomarginalis und dem vorderen Abschnitte). Sie
nimmt die Mantelkante bis zur Frontalspitze ein, biegt da nach
unten um, anastomosiert hier mit der zweiten Frontalwindung, mit
der verlingerten Insel sowie mit dem Riechfeld (Fig. 3—5 F',).
Die Fiss. transversa grenzt nach vorn den Gyrus supra-
sylvius ab, wodurch eine quergestellte, zusammengesetzte (gréBten-
teils aus dem Gyr. suprasylvius, kleinerenteils aus der Marginal-
windung bestehende) Windung gebildet wird. Die von mir mit
w bezeichnete hufeisenformige, zwischen der Fiss. transversa und
der medialen Abzweigung der suprasylvischen Furche gelegene
Windung kommuniziert mit der zweiten Stirnwindung, an der
Mantelkante laft sich die genannte w-Windung zum Gyrus
suprasylvius verfolgen. Als breitester Windungszug erstreckt sich
der Gyrus suprasylvius (Fig. 3, 4SS) schrag occipitalwarts,
durch die Stiicke der Fiss. ectolateralis durchfurcht, und verbindet
sich schlieSlich in der Nahe des Occipitalpoles lateralwirts mit
dem Gyrus ectosylvius, medialwirts mit dem Gyrus marginalis.
Der Gyrus marginalis wird lateral durch die Fiss. la-
teralis begrenzt. Er ist im vorderen Abschnitt schmiler als
im occipitalen und zeigt eine Kommunikation mit dem Gyrus
suprasylvius. Am Occipitalpol geht er schlieBlich basalwarts in
den Lobus pyriformis tiber (Fig. 3—5 J).
Die Windungen des Temporalteiles gehen bei der Ziege hinter
der Spitze der Sylvischen Furche aus einer gemeinsamen Windung
hervor, durch die Fiss. ectosylvia wird naimlich erst ein Gyrus
sylvius (Gyr. compositus LANGLEY, 39) und ein Gyrus ecto-
sylvius abgetrennt (Fig. 3, 4 S, ES).
An der Medialseite bleibt der Gyrus fornicatus in seinem
—
134 Kaspar Schellenberg,
Mittelstiick wohl abgegrenzt, in seinem hinteren Schenkel geht er
in den Gyrus hippocampi tiber, uachdem eine Partie desselben
hier durch die entospleniale Furche abgeschieden und als_ be-
sondere Windung sich abgelést hat. In seinem frontalen Ab-
schnitt giebt der Gyrus fornicatus jene friiher schon erwahnte
Windungsbriicke zum Gyrus sigmoideus ab, die auch noch mit
der ersten Frontalwindung im Zusammenhange steht. Vor dem
Rostrum wird er durch die Fiss. entogenualis in zwei Neben-
windungen getrennt, in seinem der Basis zugekehrten Ende kom-
muniziert er zum Teil mit der Substantia perforata anterior und
teilweise noch mit dem Septum sowie mit der ersten Frontal-
windung (Fig. 5 7’).
Wenn wir die Haupteigentiimlichkeiten, welche dem Ziegen-
gehirne zukommen, kurz zusammenfassen, so ist vor allem hervor-
zuheben die freiliegende Insel, die gestreckt verlaufen-
den Frontalwindungen (deutliche Bildung von 3 Frontal-
windungen ahnlich wie beim Menschen), ferner ein spirlich ent-
wickelter, aber doch an die Konvexitit tretender Gyrus sig-
moideus, und endlich eine Uebergangswindung zwischen
zweiter Frontalwindung und dem Gyrus suprasylvius (w- Windung).
Die Oberflichengestaltung der Grofbirnhemispharen beim
Schafe erfahrt gegentiber der Ziege einige Abiinderungen (Fig.
6—8).
Einmal ist die geringere Ausbildung der frontalen Windungs-
ziige auffillig, hauptsachlich betrifft das die erste Frontalwindung,
welche im Vergleich zur Ziege eine leichte Depression und Ver-
kleinerung erfahrt. So steigt beim Schaf die zweite Frontalwindung
héher empor als die erste, auch fallt es auf, daf beim Schafe die
Kiss. transversa viel ktirzer ist.
Die Fiss. cruciata ist zwar als deutliche, auf die Konvexitit
sich erstreckende Furche sichtbar (Fig. 6—8 er), doch ist sie
kiirzer, auch ist der Gyrus sigmoideus auffallend kleiner als bei
der Ziege (Fig. 6—8 3).
Wenn auch in geringerem Grade als beim letzteren Tiere ist
die Fiss. transversa immerhin noch ziemlich ansehnlich entwickelt.
Die Windung w') dagegen ist besser entwickelt als bei der Ziege
(Fig. 6, 7 w).
Die Fiss. suprasylvia hat beim Schaf im ganzen einen mehr
gebogenen Verlauf als bei der Ziege. Der Gyrus sylvius und
ectosylvius sind beim Schafe deutlich kleiner als bei der Ziege.
1) Vergl. 8. 133.
Untersuchungen iiber das GroShirnmark der Ungulaten. 135
Der Gyrus suprasylvius nimmt, indem er die erste Frontal-
windung etwas tiberwélbt und dadurch die Fiss. transversa und
cruciata zuriickdringt, die Gestalt eines S an. Er erscheint in
seiner Liinge verkiirzt, in der Breite jedoch michtiger als bei
Fig. 6.
Fig. 6—S. Schaf, schematisch.
der Ziege. In seinem hinteren Verlaufe verbindet er sich abnlich
wie bei der Ziege mit dem Gyrus marginalis und ectosylvius.
Der hintere Abschnitt der occipitalen Windungen kommt hier, wie
Mrynert (52) richtig erwihnte, direkt hinter die temporalen
Windungen zu liegen. Dagegen war es mir nicht mdglich, die
Kommunikation der Fiss. suprasylvia mit der Fiss. ectosylvia
anterior zu bestitigen.
Wenn wir nun zu den Oberflachenverhiltnissen beim Rinder-
gehirn iibergehen, so zeigt dieses gegeniiber dem der kleinen Wieder-
kauer bereits bemerkenswerte Verschiedenheiten (Fig. 9—11).
Schon der Tractus olfactorius unterscheidet sich von dem
des Schafes und der Ziege dadurch, dali er ebenso wie der Lobus
pyriformis deutliche, wenn auch nicht tiefe Lingsfurchen zeigt.
136 Kaspar Schellenberg,
Ferner ist hervorzuheben, daf beim Rinde die Insel in noch
gréBerem Umfange als bei den schon erwahnten Tieren frei
Fie. 10.
Fig. 9—11.
Rind. Schema.
zwischen den Schen-
keln der Fiss. Sylvii
zu Tage liegt (Fig.
10 J7). Die beiden
Schenkel, d. h. der
Ramus anterior und
posterior der Fiss.
Sylvii kommunizie-
ren nicht mit der
Fiss. rhinalis, wie
dies namentlich bei
der Ziege der Fall
ist, doch vereinigen
sie sich zu einem
deutlichen aufstei-
genden Aste, welcher
wesentlich kiirzer
ist als bei den vor-
erwahnten ‘Tieren.
Das Gebiet der Insel
ist von kleinen
Untersuchungen tiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 137
Querfurchen, die auf der schematischen Abbildung weggelassen
sind, durchsetzt.
Im weiteren ist beim Rinde hervorzuheben, daf hier eine
oréRere Anzahl kleiner Nebenfurchen sich vorfindet als beim
Schaf und der Ziege, was die Auffindung der typischen Haupt-
furchen wesentlich erschwert. Ich mache hier nur auf die Menge
der Nebenaste im Bereich der Fiss. ectosylvia anterior und posterior
aufmerksam (Fig. 9, 10 esa, esp.).
Die 3 Frontalwindungen lassen sich auch beim Rinde
sehr deutlich und durch die niimlichen Furchen wie bei der Ziege
abgrenzen. Wie beim Schafe, so findet sich auch beim Rinde die
erste Frontalwindung diirftig entwickelt, machtig ist dagegen die
zweite und dritte Frontalwindung ausgebildet. Beziiglich der
Breite ergiebt sich ein Gréfenverhaltnis der ersten zur zweiten
und dritten Frontalwindung wie 1 : 2: 3.
Im tempo-
ralen Gebiete
erreicht die
Sylvische
Windung eine
aulerordent-
liche Machtig-
keit, sie wird
hier durch die
strahlenartig
veristelten
Nebenfurchen
der Fiss. ecto-
sylvia poste-
rior unvoll-
kommen ge- Fig. 11.
trennt.
Die Fiss. suprasylvia giebt hinter der Fiss. transversa
einen Querast ab, der ganz nahe an diese heranriickt und in diese
oft iiberzugehen scheint. In der Parietalgegend geht die supra-
sylvische Furche schrig nach hinten, indem sie wahrend ihres
Verlaufs zahlreiche Nebenistchen sowohl in medialer als in lateraler
Richtung abgiebt.
Die Uebergangswindung w ist auch beim Rinde stattlich ent-
wickelt und bildet einen eigentlichen Haken. Der vordere Win-
dungswulst des Gyrus suprasylvius ist hinter der Fiss. transversa
138 Kaspar Schellenberg,
verhaltnismabig schmaler als beim Schaf und bei der Ziege, weil
die Fiss. lateralis von der Fiss. transversa durch eine schmale
Windungsbriicke getrennt ist.
Der Gyrus marginalis ist wesentlich breiter und mach-
tiger als bei den kleineren Wiederkiuern, auch wenn man alle
Gréfenverhaltnisse beriicksichtigt. Er steht zum Gyrus supra-
sylvius im Verhiltnis wie 2: 2,5.
An der medialen Flaiche zieht die sehr tiefe Fiss. calloso-
marginalis in machtigem Bogen, indem sie weit hinter dem
Splenium, d. h. tiber dem Gyrus hippocampi beginnt und kon-
zentrisch zum Balken nach vorn geht. Sie biegt in einem gréferen
Bogen um das Rostrum herum und hort erst kurz vor dem Beginn
der Area perforata anterior auf.
Die auffallend diirftig an der Konvexitét entwickelte Fiss.
cruciata zweigt wie bei der Ziege von der Fiss. callosomarginalis
und zwar am Beginne des vorderen Drittels von dieser ab. Sie
ist an der medialen Hemispharenseite zur Mantelkante fast senk-
recht gestellt und schneidet die erste Frontalwindung, wie bereits
angedeutet, nur wenig ein. Man kann daher beim Rinde
von einem eigentlichen Gyrus sigmoideus, wie er
bei der Ziege sich vorfindet und auch beim Schafe
noch zu erkennen ist, nicht reden, mit anderen Worten:
die von dem aufsteigenden Stiicke der Fiss. cruciata eingeschnittene
Windungspartie ist nichts anderes als die erste Frontalwindung
(Fig. 9-—11 3). Schon an dieser Stelle méchte ich davor warnen,
die Fiss. transversa mit der Fiss. cruciata der Carnivoren zu
identifizieren, wie es fast von allen Autoren und erst jiingst wieder
von ELLENBERGER geschehen ist‘). GrEGENBAUR (26) geht sogar
so weit, den Ungulaten tiberhaupt eine Kreuzfurche abzusprechen,
eine Behauptung, die der Wirklichkeit nicht entspricht. Krura (37)
bekimpft dagegen die Homologie der Fiss. transversa (Biigel a)
der Cavicornier mit dem Sulcus cruciatus der Caniden, lat jedoch
in seinen Figuren die von mir als Fiss. cruciata bezeichnete
Furche ?) unbezeichnet.
1) Auch Marrrn (23), weicher die ELLENBERGER’schen Figuren (18)
reproduziert, begeht den niamlichen Fehler, nur in seinen eigenen
Figuren 116 If und III, welche fétale Rindergehirne darstellen,
ist die Fiss. cruciata richtig abgebildet, jedoch nicht bezeichnet.
2) Auf die Frage der Homologie der Fiss. cruciata, welche
durch morphologische Betrachtungen allein nicht entschieden werden
kann, werde ich in einer spateren Arbeit noch zuriickkommen und
Untersuchungen tiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 139
Der gut abgegrenzte Gyrus fornicatus wird sekundar in der
Nahe des Rostrum und des Splenium durch eine Furche ein-
geschnitten, die weder typisch noch konstant anzutreffen ist, nam-
lich durch den Sulcus entogenualis und entosplenialis.
Beim Schweine finden sich an der Grofhirnoberfliche
wichtige Kigentiimlichkeiten vor (Fig. 12—14).
Fig. 12—14. Schwein. Schema.
Fig. 14.
Eine freiliegende Insel, wie bei der Ziege und auch beim Rinde,
ist beim Schweine nicht nachweisbar. Es ist hier daher auch ein
vorderer und ein hinterer Ast der Fiss. Sylvii nicht vorhanden,
d. h. er fallt mit der Fiss. rhinalis zusammen. Dafiir ist aber
der Ramus acuminis sehr lang hakenférmig ausgezogen und liegt
meine Auffassung durch Versuchsresultate begriinden. Schon hier
erwihne ich, daf der Bau der Rinde des Gyrus sigmoi-
deus ein besonderer, dem der Carnivoren homologer
ist, und daS aus den Riesenpyramidenzellen des
Gyrus sigmoideus dieselben Stabkranzanteile wie
bei den Carnivoren hervorgehen.
140 Kaspar Schellenberg,
ziemlich weit zuriick. Infolgedessen erscheint das Frontalhirn
stark verlingert gegentiber den friiher behandelten Tieren und
mehr spitz ausgezogen (Fig. 12, 13 s).
Die Fiss. praesylvia, welche bei der Ziege und beim Rinde
weiter zurtickliegt, ist hier nach vorn geriickt. Die 3 Frontal-
windungen lassen sich noch leichter auseinanderhalten wie bei der
Ziege und beim Rinde (Fig. 12 F,, F,, F's).
Die Fiss. suprasylvia schlieBt vorn T-formig ab und giebt
etwa in ihrer Mitte einen starken lateral- und basalwiarts ziehenden
Ast ¢ ab, letzterer bildet die obere Grenze der dritten Frontal-
windung. Die T-formige Gabelung auf der Scheitelhéhe schneidet
mit dem Aste 0 in die zweite Frontalwindung ein, der medial
abgehende Ast y verliuft der Fiss. transversa leicht parallel,
schneidet die Mantelkante durch und steht mit der Fiss. calloso-
marginalis in Kommunikation.
Die zweite Frontalwindung bildet beim Schweine die
ausgedehnteste Windung des Frontalhirnes. Ihr hinterster Ab-
schnitt drangt sich zwischen die beiden Schenkel 0 und « der
Fiss. suprasylvia; er wird durch eine ca. 1'/, cm lange typische
Furche 7 in 2 Abschnitte geteilt. Diese Furche 7 wurde schon
von Lreurer (41) beschrieben und von Kruna (37) bestatigt mit
der Bemerkung, da’ sie fiir die Suilliden nicht charakteristisch
sei. Der mediale Windungszug der zweiten Frontalwindung wird
medial von der Fiss. coronalis und lateral-occipital von dem
T-formigen Ende y + 0 der Fiss. suprasylvia abgegrenzt. Die
Fiss. transversa ist hier zwar erhalten, bildet aber nichts anderes
als den hinteren, medial verlaufenden Schenkel der Fiss. coronalis,
so daf diese Furche nicht so charakteristisch auftritt wie bei der
Ziege.
Kine besondere w-Windung ist mit Riicksicht auf die nur
andeutungsweise vorhandene Fiss. transversa beim Schweine kaum
festzuhalten. Die Fiss. coronalis endigt in parietaler Richtung
bisweilen T-formig und giebt dann Veranlassung zur Bildung einer
aihnlichen Fiss. transversa wie beim Rinde und Schafe. Bei ein-
zelnen Tieren fehlt indessen der laterale Fortsatz des I, und es
findet sich dann nur eine ganz modifizierte Fiss. transversa. Dem-
entsprechend gelangt eine deutliche w-Windung nicht zur Aus-
bildung.
Der vordere Schenkel der ektosylvischen Furche und ebenso
auch der vordere Schenkel der Fiss. coronalis ist bisweilen kurz,
9
es kommunizieren dann die 3 Frontalwindungen am Frontalende
Untersuchungen iiber das Groghirnmark der Ungulaten. 141
in gréSerem Umfange als bei den friiher beschriebenen Ungulaten.
Die Fiss. coronalis ist beim Schweine tiberhaupt sehr einfach an-
gelegt, wenn auch tief und arm an Seitendsten.
Wenn man das Schweinegehirn mit dem Gehirn des Rindes
vergleicht, dann lift sich die Fiss. transversa trotz ihrer Modi-
fikation ganz leicht identifizieren. Was nun die Fiss. cruciata
anbetrifit, so findet sich eine den Verhaltnissen beim Rinde ent-
sprechende, die Mantelkante einschneidende und parallel zur Fiss.
transversa liegende Furche nicht oder héchstens andeutungsweise
an der Konvexitaét noch vor. Sie ist kaum 3 mm lang und sehr
seicht. Die cigentliche Fiss. cruciata liegt beim Schweine an der
medialen Hirnoberflaiche, wo sie, wie beim Rinde, als eine Seiten-
furche der Fiss. callosomarginalis abzweigt. Diese Seitenfurche
ist indessen, wie schon gesagt, kurz und wenig tief. Sicher ist,
daf der von manchen Autoren als Fiss. cruciata gedeutete, mediale
Zweig y ber suprasylvischen Furche mit dem Sulcus cruciatus des
Hundes nichts zu thun hat‘).
Die erste Frontalwindung beginnt an der Stelle, wo
der mediale Schenkel der Fiss. transversa tiber die Mantelkante
ereift. Der am meisten occipital liegende Abschnitt der ersten
Frontalwindung erscheint auffallend schmal, die dem Gyrus sig-
moideus entsprechenden Rindenteile miissen demnach zum grofen
Teil an der medialen Flache gesucht werden (Fig. 14 ¥). An der
Frontalspitze wird die erste Frontalwindung durch die iss. prae-
sylvia in zwei kleinere Windungen geteilt; ihr lateraler Abschnitt
geht in die zweite Frontalwindung tiber, wahrend der mediale die
eigentliche Frontalspitze darstellt und keulenartig endigt, indem
er durch den unten anliegenden Bulbus olfactorius nach oben ge-
driickt erscheint. An der medialen Hemispharenflache sieht man
einen Uebergang der ersten Frontalwindung in den Gyrus forni-
catus. Mit ihrem vordersten Teile geht diese Windung, ohne durch
Furchen unterbrochen zu werden, in die Area perforata anterior
iiber.
Die Fiss. suprasylvia liuft in einem nach unten offenen Bogen
bis hinter den Temporalpol. Die Fiss. ectosylvia posterior zieht
dem aufsteigenden Aste der Fiss. Sylvii parallel und endigt basal-
warts T-formig. Infolgedessen liegt der Gyrus ectosylvius beim
1) Anronint (1), der mir seine Arbeit jiingst iibermittelte, halt
den Zweig y fiir den richtigen Sulcus cruciatus.
142 Kaspar Schellenberg,
Schweine hinter und parallel dem Gyrus sylvius und ganz ahnlich
wie beim Hunde (Fig. 13 HS).
Der Gyrus suprasylvius ist deutlich abgegrenzt und labt
sich, indem er nach hinten an Breite zunimmt, mit einer Pyramide
vergleichen. Er beginnt sofort hinter dem Aste y der supra-
sylvischen Furche und verliuft ahnlich wie bei den friiher ge-
schilderten Tieren.
Die Fiss. lateralis liegt dem Sulcus longitudinalis auffallend
nahe, nichtsdestoweniger findet sich zwischen beiden, zumal im
occipitalen Abschnitt, eine Zwischenfurche, die Fiss. entolateralis.
Infolgedessen fallen beim Schweine, namentlich gegeniiber Schaf
und Ziege und in ganz abhnlicher Weise wie beim Rinde, die
schmalen und longitudinal verlaufenden Windungsabschnitte der
marginalen Windungsgruppe auf (Fig. 12 MW). Der Gyrus
marginalis reicht bis zum vorderen T-férmigen Aste y der Fiss.
suprasylvia (Biigel a Krusra’s), der bis auf die Fiss. calloso-
marginalis einschneidet. Er erhalt jedoch nur eine Breite von
1/,—1/, des Gyr. suprasylvius.
Die Fiss. callosomarginalis erscheint beim Schweine
nach meinen Beobachtungen auffallend kurz. Sie beginnt wie bei
anderen Tieren in der Mitte der Occipitalgegend, verlauft ein
Stiick weit parallel zum Splenium bis in die Mitte des Balkens,
erstreckt sich von hier unter S-formiger Biegung nach oben, nach-
dem sie in ihrem vorderen Drittel den Ast der Fiss. cruciata ab-
gegeben hat. Im _ frontalen Abschnitt laft sich ein deutlicher
Schenkel einer Fiss. callosomarginalis tiber das Balkenknie hinaus
nicht beobachten, es miifte denn sein, da’ die von mir als Fiss.
entogenualis bezeichnete Furche ein abgetrenntes Segment der
Fiss. callosomarginalis ware. Jedenfalls ist zwischen der letzt-
genannten Furche und der Fiss. entogenualis ein breites Win-
dungsgebiet vorhanden, auch liegt die Fiss. entogenualis dem
Balkenkérper naher als die Fiss. callosomarginalis bei anderen
Tieren.
Wie das Gehirn des Schweines, verrat auch die Grofhirn-
oberfliche des Pferdes eine besondere Eigenart (Fig. 15—17).
Die Windungen und Furchen des Pferdes sind viel kompli-
zierter. als diejenigen des Schweines und auch des Rindes und
erinnern, was den Reichtum der Windungen anbelangt, an die-
jenigen des Menschen. Eine Menge von Nebenfurchen, welche
senkrecht in die Windungen einschneiden, lassen auf den ersten
Blick eine genauere Anordnung an dem Aufbau der Furchen und
Untersuchungen tiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 143
Windungen vermissen. Alles scheint hier regellos ineinander iiber-
zugehen. Selbst die Blutgefife der Oberfliche bilden bemerkens-
werte, wenn auch nur oberflachliche Einschnitte in die Windungen
und tauschen Furchen vor. Diese Komplikationen mégen daher
einen Grund bilden, weshalb jeder tiber das Pferdegehirn arbeitende
Autor andere Schilderungen von Windungsanlagen gegeben hat
und die Furchen in verschiedener Weise einteilt. Eine klare
Gruppierung der Windungen versuchten in der That nur wenige
Forscher zu geben. DrEXxLeER (12), der neuestens die Oberflache
beschrieb, erklairte, daB ein Vergleich mit dem Hundegehirn be-
ziiglich Homologie der Furchen auf erhebliche Schwierigkeiten
stoBe und sich nur gezwungen durchfiihren lasse.
Fig. 15-17. Pferd.
Halbe GréBe, schematisch.
Big. 17s
Das Riechhirn ist beim Pferde autfallend stark entwickelt.
Der Tractus olfactorius und der Lobus pyriformis zeigen, wie beim
Rinde, 2—3 seichte Langsfurchen. Die Fiss. rhinalis grenzt tiberall
deutlich ab, sie erstreckt sich bis auf die dem Kleinhirn anliegende
Seite der Hemisphare,
144 Kaspar Schellenberg,
Die Fiss. Sylvii giebt, wie beim Rinde, einen Ramus anterior
und posterior ab, iar Ramus acuminis ist kurz. Der Ramus anterior
anastomosiert mit der Fiss. ectosylvia anterior (Fig. 16 sa).
Die Fiss. praesylvia geht aus dem mittleren Abschnitt
der Kiss. rhinalis anterior hervor, sie steigt von da im Bogen
empor und geht ohne Unterbrechung in die Fiss. coronalis iiber.
Bei anderen Tieren besteht an dieser Stelle eine Windungsbriicke
(Fig. 15, 16 ps).
Parallel mit der Fiss. praesylvia und frontal von dieser findet
sich eine nicht sehr tiefe, ebenfalls im Bogen emporsteigende Furche,
nimlich die Fiss. praesylvia anterior. Sie zieht bis zur
Mantelkante und schneidet diese ein, um dort zu endigen (Tiss.
intraorbitalis Brapuey, 5) [Fig. 15, 16 psa).
Die Fiss. ectosylvia ist ziemlich kurz, giebt einige Seiten-
zweige ab sowohl nach vorn als nach hinten. Ihr vorderer, quer-
gestellter Schenkel wird von KrurcG (37) und spateren Autoren
als Fiss. diagonalis bezeichnet. Die Fiss. ectosylvia anterior
bildet mit dem Ramus anterior der Sylvischen Furche eine an der
Oberflache ununterbrochene Furche, hier und da findet sich zwischen
beiden eine schmale Windungsbriicke, bisweilen liegt dieselbe unter
der Oberfliche. Der vordere hakenférmige Schenkel der Fiss.
ectosylvia (Fiss. diagonalis) verastelt sich reichlich. Er bildet im
Gegensatz zum Schafe und der Ziege eine in ihrem ganzen Langs-
verlaufe und speciell auch tiber der Spitze der Fiss. Sylvii un-
unterbrochene Furche und hangt so mehr in geradem Zuge mit
der Fiss. ectosylvia posterior zusammen. Im Temporalteil ver-
aistelt sie sich reichlich und anastomosiert mit einzelnen Zweigen
mit der Fiss. suprasylvia und der Fiss. rhinalis posterior. .
Von besonderem Interesse ist beim Pferde die Anlage der
Fiss. coronalis und der Fiss. transversa. Jene Furche
zieht schrag lateral-frontal zur Fiss. praesylvia (vergl. oben) und
zeichnet sich durch besondere Tiefe aus. Der mediale Ast der
iss. transversa, welche tibrigens im ganzen etwas schmialer ist
als bei der Ziege und beim Rinde, liegt ganz in der Mantelkante,
waihrend der laterale Ast in den Querast der suprasylvischen
Furche gewéhnlich tibergeht. In manchen Fallen riicken die beiden
letztgenannten Furchensegmente nur nahe zusammen. Letzteres
wird iibrigens 6fters auch bei den kleinen Wiederkiuern und auch
beim Rinde beobachtet. Mit Bezug auf das Verhalten des lateralen
Astes der Fiss. transversa zum Querast der Fiss. suprasylvia finden
sich in der Litteratur sehr verschiedene Angaben. Die Ver-
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 145
mutung Krura’s (37), daf eine Anastomose zwischen den beiden
genannten Furchenabschnitten nur fiir die Artiodactylier und fiir
diese auch nur zum Teil Geltung habe, halte ich nicht fir
richtig, ebensowenig wie die, dal} bei den Perissodactyliern die
Fiss. transversa der Fiss. cruciata der Caniden homolog sei, eine
Annahme, fiir die sich auch ELLENBERGER (18) erklart hat.
Gegen die Krus@’sche Auffassung (37) spricht die ver-
gleichende Betrachtung der verschiedenen Reprisentanten der
Ungulaten, insbesondere, wie schon bereits hervorgehoben, die
iiberaus klaren bezitiglichen Verhaltnisse bei der Ziege und beim
Schaf sowie die Ergebnisse der experimentellen Eingriffe, welche
spater zur Sprache gebracht werden. Aus der Anlage der Fiss.
transversa laBt sich kein Unterscheidungsmerkmal zwischen Artio-
und Perissodactyliern aufstellen. Selbst die Tapiriden besitzen
immer noch diese charakteristische Uebergangswindung zwischen
dem medialen Ast der Fiss. transversa und dem vorderen Quer-
ast der suprasylvischen Furche wie das Pferd und das Rind.
DEXLER bezeichnete in seinem neuesten Buche (12) beim
Pferde dieselbe Fissura transversa ibnlich wie ELLENBERGER zwar
als die Fiss. cruciata, es entgeht ihm aber ganz, daf diese Furche
(seine F. cruciata und meine Fiss. transversa) mit der Fiss. coro-
nalis in Kommunikation steht (Fig. 25 der Dex er’schen Arbeit).
Dieser Autor laft im Gegensatz zu anderen Autoren zwischen der
Fiss. transversa und dem vorderen Querast der Fiss. suprasylvia
eine Windungsbriicke bestehen.
Nach Braptey (5) kommuniziert die Fiss. coronalis nach
hinten mit der Fiss. lateralis (Fiss. suprasylvia mihi). Den me-
dialen Ast der Fiss. transversa halt auch dieser Autor der Fiss.
cruciata der Caniden homolog.
Die Fiss. suprasylvia verlaiuft ganz ahnlich wie beim
Schwein schrig lateral occipitalwarts, sie ist auch im Verhialtnis
michtiger als bei dem genannten Tier und endigt sowohl im
Occipitalteil wie auf der Scheitelhdhe T-formig (letztere Quer-
furche wurde oben beriicksichtigt). Letztere Quergabelung um-
greift haufig den lateralen Ast der Fiss. transversa und grenzt
auf diese Art die Windung w ab. Diese Windung ist beim Pferd
auffallend schmal und mehr langgestreckt.
Die Fiss. lateralis nebst ihrem medialen und lateralen
Parallelaste (Fiss. entolateralis und ectolateralis) schneidet ziem-
lich tief in den Mantel ein und verliuft der Mantelkante bis zum
Occipitalrande parallel. Durch diese Furche ebenso wie durch die
Bd. XXXIV. N. F. XXVIL. 10
146 Kaspar Schellenberg,
bisweilen mehrfach segmentierte Fiss. ectolateralis und ento-
lateralis wird eine kleine Reihe von schmalen longitudinal, ein-
ander parallel verlaufenden Windungen gleichen Namens_ nebst
Zwischenwindungen abgegrenzt, die sich in abnlicher Weise nur
beim Rind vorfinden, nur sind beim letzteren die Windungsriicken
entschieden breiter. Doch ist das gesamte Windungsareal vom
Sulcus longitudinalis bis zur suprasylvischen Furche beim Pferde
wesentlich breiter, zumal im occipitalen Teile, als beim Rinde.
An der medialen Seite zieht die Fiss. callosomarginalis
ununterbrochen in grofem Bogen vom occipitalen bis zum Frontal-
ende ganz ahnlich wie beim Rinde. Brnepicre Maurice (4) halt
diese Furche beim Pferdegehirn fiir die machtigste in der ganzen
Sdiugetierreihe. Auch eine Fiss. entogenualis und entosplenialis
sowie nach aussen von der Fiss. callosomarginalis gelegene Furchen-
segmente (Fiss. ectogenualis und ectosplenialis) lassen sich beim
Pferd deutlich nachweisen. Alle diese Furchenabschnitte sind
ziemlich seicht, sie verlaufen der Fiss. callosomarginalis parallel
und sind tiber der Mitte des Balkens unterbrochen (Fig. 17).
Ks ist schon in Vorstehendem hervorgehoben worden, daf die
Fiss. transversa der Fiss. cruciata der Caniden nicht entsprechen
kann. Die dieser letzteren homologe Furche, d. h. die eigentliche
Centralfurche (Mensch) ist zu verlegen in den
kurzen, den marginalen Rand durchschneidenden
Sulcus (Fig. 17 er), welcher aus dem Frontalschenkel
der Fiss. callosomarginalis schraig aufwairts seinen
Ursprung nimmt und emporsteigt. Bei der Betrachtung
der Mantelkante von der Oberflache aus, ohne die beiden Hemi-
spharen im Sulcus longitudinalis auseinanderzudrangen, laft sich
von dieser Furche nur selten etwas erkennen. Die Verhaltnisse
liegen hier somit genau so wie beim Schwein (bei der Ziege, beim
Schaf und teilweise auch noch beim Rind geht die beziigliche
Furche, wie schon friiher erwahnt, ziemlich weit an die Oberfliche
und giebt Veranlassung zur Bildung einer dem Gyrus sigmoideus
der Carnivoren durchaus gleichartigen Windung). Da somit beim
Pferd der Sulcus cruciatus die Mantelkante gewéhnlich nicht er-
reicht, wird selbstverstandlich auch die erste Frontalwindung im
hinteren Abschnitt gestreckt bleiben. Es entsteht deshalb
an der betreffenden Stelle keine an den Gyrus
sigmoideus erinnernde Bildung (Fig. 15 F,, 3).
Nichtsdestoweniger ist die erste Frontalwindung beim
Pferde ziemlich miachtig ausgebildet, zumal im frontalsten Teil.
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 147
Hier iibertrifft sie die anderen Stirnwindungen nicht ganz um das
Doppelte; es verhilt sich demnach die erste zur zweiten und
dritten Stirnwindung wie 3: 2:1 in ihrer breite. Im weiteren ist
zu bemerken, dass die erste Frontalwindung im vorderen Abschnitt
durch die Fiss. praesylvia anterior in zwei Windungshalften ge-
trennt wird, nimlich in den lateralen Hauptabschnitt und den
medialen Nebenabschnitt. An den medialen Nebenabschnitt schlieBt
sich basalwirts der michtige Bulbus und Tractus olfactorius an.
Letzterer geht wie bei den anderen Tieren in die Substantia
perforata anterior (Tuberculum olfactorium) und auf den Lobus
pyriformis tiber, wo er sich verliert.
Die zweite Frontalwindung anastomosiert mit dem
Gyrus ectosylvius durch eine schmale Windungsbriicke und ebenso
auch mit der w-Windung. Der vordere lateral und basal ziehende
Schenkel der zweiten Frontalwindung geht ohne scharfe Grenze
in den vorderen freiliegenden Teil der Insel tiber.
Die dritte Stirnwindung liegt vom Frontalende ziemlich
weit entfernt zuriick; sie wird wie gewéhnlich nach hinten und
unten von dem aufsteigenden und dem vorderen Aste der Fiss.
sylvii, in frontaler Richtung und nach oben von der Fiss. ecto-
sylvia bezw. von ihrem vorderen Querast abgegrenzt. Zusammen
mit dem hinter dem Ramus ascendens fiss. sylvii liegenden Gyrus
bildet sie den Gyrus sylvius der Autoren.
Die grofe Breite des Gyrus suprasylvius gegeniiber
dem Gyrus marginalis ist bereits bei der Besprechung der beziig-
lichen Furchen erwaihnt worden. Dieser Gyrus ist gewdéhnlich
etwa 4mal so breit wie die beim Pferd auffallend schmale mar-
ginale Windung.
Entsprechend der Machtigkeit der Fiss. callosomarginalis ist
auch der Gyrus fornicatus, welcher in ahnlicher Weise, wie
dies bei den friiheren Tieren hervorgehoben wurde, von der Area
perforata anterior emporsteigt, den Balken begleitet und in den
Gyrus hippocampi tibergeht.
Ueber die Verwandtschaft zwischen dem Carnivoren-
und dem Ungulatengehirn.
Nachdem ich in Ktirze die Oberflichenverhaltnisse einiger
Hauptvertreter der Ungulatenreihe unter Betonung der verwandten
und der unterscheidenden Merkmale zur Darstellung gebracht
habe, wird es nun angemessen sein, das GroShirn desjenigen Ver-
LO=
148 Kaspar Schellenberg,
treters der Ungulatenreihe, welches meines Erachtens beziiglich
der GroShirnoberflache und speciell des Gyrus sigmoideus dem
Carnivorengehirn am nachsten stehen diirfte, namlich der Ziege,
niher zu studieren und zwar unter engerer Vergleichung mit dem
Hundegehirn.
Dieser Vergleich soll nicht nur auf die morphologischen Ver-
haltnisse der Windungen sich beziehen, sondern auch auf den
Aufbau des Grofhirnmarkes und die anatomischen Beziehungen
des Markkérpers zu den centralen Ganglien ausgedehnt werden.
Obwohl die Bezeichnung der Windungen und Furchen bei den
Ungulaten nach denen beim Hunde vorgenommen wurden, so halte
ich doch eine Vergleichung des GroShirns des Hundes und der
Ziege lediglich auf Grundlage der auSeren Gestaltung in Bezug
auf die Homologie fiir unzureichend; meines Erachtens muf die
Vergleichung, wenn sie fruchtbar sein soll, von einer viel breiteren
Grundlage ausgehend sein und den inneren Aufbau sowie Form
und Grée der Ganglien in weitgehender Weise mitberiicksichtigen.
Bei einfacher vergleichender Betrachtung der GrofShirnober-
flache von Vertretern weit auseinanderstehender Arten lassen sich
weder an reifen noch an unentwickelten Gehirnen wirklich bin-
dende Homologieen von Windungen und Furchen auffinden.
Wie weit man unter Anwendung dieser ausschlieflich rein ana-
tomischen Methode kommt, ersieht man am besten an den ge-
scheiterten Bemtihungen alter Autoren eine der Centralfurche des
Menschen homologe Furche in der Saugetierreihe festzustellen.
Die Homologie wurde hier erst durch das Experiment festgestellt
Die Bemiihungen von TENcHINI und Nearint (70), welche
das Gehirn des Pferdes und des Rindes mit demjenigen des
Menschen in den Einzelheiten vergleichen und Homologien erkennen
wollten, haben den Wert von Vermutungen.
Man darf bei der Aufstellung von Homologien iiberhaupt
nicht vergessen, daf solche nur bis zu einer bestimmten Stufe
sich ziehen lassen, denn wie die feinere motorische Funktion in
der Saugetierreihe auferordentlich mannigfaltig gestaltet ist, so
sind auch die ihr zur Grundlage dienenden nervésen Apparate
oft grundsitzlich ganz verschieden angelegt. Die Art der Re-
prasentation der kombinierten Bewegungen in der Rinde z. B.
ist sowohl mit Riicksicht auf den Modus der Lokalisation an der
Oberfliche als auch der Ausgestaltung beim Pferd und Hund eine
ganz verschiedene.
Eine solche Parallele ist mit Riicksicht auf die zuletzt er-
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 149
wihnten gewif nicht unwichtigen Punkte meines Wissens_ bisher
noch nicht aufgestellt worden, ja der Aufbau des Markes (Centrum
ovale, Markzungen, Balken, Fornix etc.) ist wenigstens bei der
Ziege tiberhaupt nicht niher studiert worden. Schon aus diesem
Grunde halte ich eine genaue Schilderung der beziiglichen grob
anatomischen Verhiltnisse fiir dringend geboten.
Der in den meisten anatomischen Lehrbiichern vertretenen
Ansicht, daf' das Schwein beziiglich Anordnungen der Furchen
und Windungen dem Hunde am nachsten stehe, muf ich auf
Grund meiner Untersuchungen entgegentreten und méchte mich
eher der Ansicht zuneigen, daS, ahnlich wie es bereits von KruEG
ausgesprochen wurde, die Cavicornier den Caniden in der Win-
dungsanlage wesentlich naher kommen.
Geeigneter zum Vergleich mit dem Carnivorengehirn als die
Cavicornier waren vielleicht die Traguliden und die Elaphier,
allein es war mir nicht méglich, mich in Besitz solcher Gehirne
zu bringen; tibrigens gewann ich bei der Durchmusterung der
Litteratur tiber das Gehirn letztgenannter Tiere den Eindruck,
dafi grundsitzliche Verschiedenheiten im Aufbau der Grofhirn-
oberflache zwischen diesen Tieren und der Ziege nicht vorhanden
sind.
Deshalb habe ich mich der Aufgabe unterzogen, versuchsweise
das Gehirn der Ziege und des Hundes auf ihre Verwandtschaft
hin zu priifen.
Eine wesentliche Differenz im Gehirpbau der Ziege und des
Hundes besteht in der Bildung des Frontalhirns. Es dehnt
sich dasselbe bei der Ziege unter Auswachsen mehrerer reich-
gefalteter Gyri in frontaler und lateraler Richtung, wihrend es
beim Hunde einen bescheidenen Umfang verrit und nach abwarts
umgebogen erscheint. Das Frontalende des Hundes, welches das
ganze Frontalhirn enthilt, besteht eigentlich aus einer einzigen
spitz ausgezogenen Windung, dem Gyrus prorae (lobus orbitalis
LANGLEY), welche seitlich wenig tiefe unregelmafige Kinkerbungen
zeigt. Die Frontalwindungen sind somit beim Hunde nur eben
angedeutet.
Basal liegt dem Frontalende der Bulbus und Tractus olfac-
torius an. Der an Bulbus und Tractus medial anschliefende
Windungsteil ist der Gyrus rectus.
Anders bei der Ziege. Da findet sich auBer dem Gyrus fron-
talis primus (Gyr. prorae) seitlich ein weiterer Windungskomplex an-
gelagert, nimlich die zweite und dritte Stirnwindung (Fig. 18, F’, 7’).
150 Kaspar Schellenberg,
Die Fiss. coronalis schneidet zwischen erster und zweiter Frontal-
windung von oben her ein, indem sie auffallend tief in den Mark-
mantel sich einsenkt. Der Bulbus und Tractus olfactorius legt
sich nicht wie beim Hunde dem Gyrus rectus lateral, sondern rein
basal an.
Besser noch als bei Betrachtung der Oberflaiche la8t sich die
Gesamtdifferenz zwischen beiden Tieren an den Querschnitten aus
den entsprechend liegenden Ebenen erkennen.
Beim Hunde (Fig. 19) sind im Frontalende 3 Markzungen
vorhanden: 1) eine aufwarts gerichtete, welche dem oberen Ab-
schnitt (Gyr. prorae) des Frontalendes angehért ; 2) das zum Gyrus
rectus gehérende, abwiirts spitz abschlie{ende Markfeld und 3)
ein seitlicher, auf dem Querschnitt hackenformiger Fortsatz, welcher
von dem vereinten Markfelde lateralwarts abzweigt (Fig. 19).
Fig. 18. Ziege. Fig. 19. Hund.
Dieselben Markiste lassen sich auch bei der Ziege auffinden.
Aber welch ein Unterschied in ihrer Gesamtanlage im Vergleich
zu den iiberaus einfachen Verhiiltnissen beim Hunde.
Zunichst ist hervorzuheben, da’ die Markzunge, welche die
erste Frontalwindung und den Gyrus rectus der Lange nach durch-
setzt, ebenso wie die betreffenden Windungen auffallend schmal
sind bei der Ziege, jedenfalls schméler als beim Hund. Dann aber
erscheint der laterale, in die 2. und 3. Stirnwindung sich er-
streckende Markfortsatz wesentlich machtiger als beim Hunde und
ganz lang gedehnt, auch giebt er zu den einzelnen frontalen Neben-
windungen je kleine Markzungen ab (Fig. 18). Wahrend also
beim Hunde die Hauptmarkmasse von der einzigen Frontalwindung
eingeschlossen wird, scheint bei der Ziege der gréfere Abschnitt
der 2. und 5. Frontalwindung anzugehéren.
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 151
Die eigenartige Ausbildung des Frontalendes des Hundes wird
zum Teil bedingt durch das Zuriickliegen und das tiefe Ein-
schneiden der Fiss. pracsylvia (Fiss. orbitalis LANGLEY). Letztere
Furche liegt nimlich bei der Ziege fast ganz am Frontalende. Sie
schiebt sich da zwischen die vorderen Endiste der Fiss. coronalis
ein. Die seitliche Anlagerung neuer Windungen an die erste
Frontalwindung erfolgt beim Hunde hinter der Fiss. praesylvia,
wo ein deutlicher Uebergang zwischen der Rinde des Frontalendes
und dem Gyrus ectosylvius anterior, tibrigens ganz ahnlich wie
bei der Ziege, bei dieser nur viel weiter vorn, vorhanden ist.
An den Gyrus sigmoideus schliefen sich bei der Ziege wie
beim Hunde die 3 Bogenwindungen an. Dieser Anschluf erfolgt
indessen bei der Ziege in einer ganz anderen Weise als wie beim
Hunde.
Beim letzteren Tiere imponiert auf dem Frontalschnitt der
breite Windungsriicken des Gyrus sigmoideus (Fig. 20 3). An
diesen schlieft sich der wesentlich
diirftigere Gyrus coronarius an,
welcher von der prasylvischen
Furche abgeschlossen wird. Die
Fiss. coronalis schneidet beim
Hunde viel weniger tief in den
Markmantel ein als wie dies bei
der Ziege der Fall ist. Auch ist
hervorzuheben, daf die Bogen-
windungen beim Hund sich erst
beim Gyrus sigmoideus anschliefen,
wihrend dies bei der Ziege nicht JV
zutrifft. Beim Hunde stiilpt die Fig. 20. Hund.
Fiss. praesylvia einen Rindenfort-
satz ziemlich tief in den Gyrus sigmoideus ein. Bei der Ziege
liegt diese Furche weiter basalwarts und ist ganz unansehnlich.
Der Gyrus coronarius und ectosylvius haben beim Hunde somit
eine gewisse Verwandtschaft mit der 2. und 3. Stirnwindung bei
der Ziege aufzuweisen und zwar mit Riicksicht auf ihre Abgrenzung
durch die Fiss. coronalis und ectosylvia.
Die Art und Weise der makroskopischen Vereinigung des
Tractus olfactorius mit dem Gyrus rectus und die Art des Ueber-
ganges beider in die Substantia perforata anterior ist bei beiden
Tieren eine ganz ihnliche.
Das Prinzip des Markaufbaues bei der Ziege andert sich im
152 Kaspar Schellenberg,
Frontallappen in weiter nach hinten gelegenen Ebenen, zumal in
denen der Gyrus sigmoideus in die Schnittflaiche tritt. So sehen
wir in der durch den Gyrus sigmoideus gelegten Ebene bei der
Ziege an der Medianspalte eine schmale, relativ reich gefaltete
Windungsgruppe, welche dem Gyrus sigmoideus entspricht
(Fig. 21 %.p). Die Markziige dieser Windung sind ebenso wie
diejenigen des vordersten Abschnittes der ersten Frontalwindung
diirftig, aber entsprechend der reichen Rindenfaltung mehrfach
veristelt. Die auffallend tiefe Fiss. coronalis trennt den genannten
Windungsbezirk scharf vom tibrigen Mantel ab.
Kinen wesentlich gréf8eren Win-
dungsabschnitt stellt die sich an
den Gyrus sigmoideus anschlieBende
Mantelpartie dar, welcher durch
schmale Furchen getrennt von oben
nach unten die 2. und 3. Frontal-
windung und noch mehr basalwarts
die Insel, letztere durch die Fiss.
Sylvii anterior abgegrenzt, folgt.
Die Hauptmarkmasse findet sich
ganz a&hnlich wie in vorderen
Ebenen in der 2. und 3. Frontal-
windung (Fig. 21). Selbstverstandlich ist die Zahl der vom ge-
meinschaftlichen Markfeld der 2. und 5. Frontalwindung abgehen-
den Markzungen entsprechend der reichen Faltung daselbst eine
ziemlich betrachtliche.
Beim Hunde fallt das Schwergewicht des Markes in den
Gyrus sigmoideus, wiihrend die viel diirftiger entwickelten von
der Kiss. coronalis abgetrennten, lateral und basal liegenden Win-
dungen (Gyr. coronarius, suprasylvius, ectosylvius) nur im Besitze
wesentlich kleinerer Markfelder sind. Immerhin ist zu bemerken,
daf& bei der Ziege wie beim Hund, bei jener allerdings in ge-
ringerem Grade, der medial einschneidende Fortsatz der Fiss.
cruciata ziemlich tief in den Hirnmantel sich einsenkt und so die
mediale Rinde des Gyrus sigmoideus einstiilpt. .
Im weiteren ist zu sagen, daf beim Hunde der Balken sowie
das Vorderende des Streifenhiigels und des Vorderhorns des Seiten-
ventrikels von der Frontalspitze viel weniger weit entfernt ist als
wie bei der Ziege. Diese Thatsache bildet eine der Hauptver-
schiedenheiten in der Anlage des Frontalhirns. Wiahrend die
Entfernung vom Balkenknie bis zum Frontalende bei der Ziege im
Fig. 21. Ziege.
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 153
Durchschnitt etwa 3 cm betriagt, ist sie beim Hunde nur etwa
14—20 mm je nach Rasse und je nach Gréfe des Tieres.
Die von mir mit w bezeichnete Windungsbriicke des Gyrus
coronarius zum Gyrus suprasylvius, welche durch den lateralen
Ast der Fiss. transversa und den vorderen Querast der Fiss. supra-
sylvia abgegrenzt ist, gelangt beim Hunde zu deutlich stirkerer
Entwickelung als wie bei der Ziege (Fig. 21).
Beziiglich der Frontalwindungen ist noch zu erwahnen, dal
sie selbstverstiindlich und schon mit Riicksicht auf die bedeutende
Distanz zwischen dem Frontalende und dem Balkenknie einen
wesentlich gréferen Raum und Ausdehnung einnehmen wie beim
Hunde, und dafi bei der Ziege vor allen Dingen die 3. Stirn-
windung als stattliche und mit bedeutendem Markfeld versehene
Windung in Betracht kommt, ein Gyrus, welcher beim Hunde
just als eine kleine Erhabenheit der Grofhirnoberflache sich wahr-
nehmen aft. Diese Windung liegt beim Hunde ziemlich weit
zurtick (Gyr. sylvius).
Bessere Uebereinstimmungen im Bau des Grofhirns der
beiden Tiere finden sich in den Windungen des Parietal-
und Occipitalteiles. Es ist da nicht ohne Interesse, bei der
Vergleichung auch noch die beziiglichen Verhiiltnisse bei der Katze
heranzuziehen.
Der Balken und Fornix verhalten sich nach GréfSe und Aus-'
dehnung in ahnlicher Weise.
Was die Markfelder der verschiedenen Windungen des Parietal-
teiles anbelangt, so kann man im allgemeinen sagen, daf beim
Hunde die Markzungen kiirzer sind, von einander unabhangiger
verlaufen und daf sie sich radiaér in das Centrum ovale bezw. in
die innere Kapsel ergieBen. Bei der Katze liegen die Verhalt-
nisse ganz ahnlich (Fig. 24).
Bei der Ziege sind die Markfelder entsprechend der griferen
Dicke der Hemisphirenwand und entsprechend reicheren Ein-
stiilpung der Rinde wesentlich linger, auch etwas steiler, dafiir
aber schmiler als wie beim Hunde. Auch sieht man, da einige
mehreren Windungen angehérende Markzungen, bevor sie in das
Centrum ovale oder innere Kapsel tibergehen, noch ein gemein-
sames Markfeld passieren (lig. 26).
Was die Differenzen der einzelnen Windungen anbetrifft, so
ist hervorzuheben, daf der Gyrus fornicatus der Ziege wesentlich
miichtiger entwickelt ist als beim Hund und bei der Katze.
Beziiglich des Gyrus marginalis ist zu sagen, daf er beim
154 Kaspar Schellenberg,
Hund und bei der Katze durch die Fiss. lateralis vom Gyrus
suprasylvius ziemlich scharf abgegrenzt ist. Bei der Ziege ist die
Trennung beider Gyri in den mehr nach vorn gelegenen Ebenen
eine ziemlich oberflichliche, dementsprechend bildet auch der
Gyrus suprasylvius in diesen Ebenen ein kleines Anhangsel mit
einem bescheidenen Markanteil an der marginalen Windung. In
den mehr nach hinten gelegenen Ebenen werden die Verhaltnisse
bei der Ziege tibrigens ganz éhnlich wie beim Hund und der Katze.
Die suprasylvische Furche ist zwar bei der Ziege wesentlich tiefer
als wie beim Hunde und bei der Katze, sie ist indessen auch bei den
letztgenannten Tieren durchaus nicht nur oberflachlich gebildet.
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Fig. 24. Katze. Fig. 25. Hund.
Was die Grenze des Sehhiigels anbelangt, so ist zu betonen,
dafi beim Hunde die erste Ebene des Sehhiigels in die ersten
Frontalebenen der Insel fallt, bei der Ziege dagegen riickt die
vorderste Partie des Sehhiigels verhaltnismafig mehr nach hinten,
d. h. in die nimliche Ebene, in welcher der Ramus ascendens der
Kiss. Sylvii in der Hauptsache in die Schnittflache fallt (Fig. 23).
Der allererste Anfang der Insel fallt bei Katze und Hund in
dieselbe Schnittebene wie die vordere Kommissur (Fig. 22, 24).
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 155
Eine noch gréf8ere Uebereinstimmung in der Anlage der Win-
dungen und Markzungen zeigt sich in der parieto-occipitalen Re-
gion aller drei zum Vergleich herangezogenen ‘Tiere.
Bei der Katze ist der Gyrus fornicatus klein und zusammen-
gedriickt, besser ist er schon beim Hunde entwickelt und am
ausgeprigtesten zeigt er sich bei der Ziege, wo er langgestreckt
erscheint (Fig. 29 /’).
Der Gyrus marginalis grenzt sich bei allen oben erwahnten
Tieren gut ab, bei der Ziege ist er lang ausgezogen, aber schmal
(Fig. 29 1).
Den breitesten Windungsriicken hat bei der Ziege der Gyrus
suprasylvius, derselbe erfaihrt aber ebenso wie beim Hunde in der
Regel eine sekundare Zweiteilung (Fig. 26).
Fig. 27. Katze.
Fig. 28. Hund. Fig. 29. Ziege.
Das temporale Windungsgebiet wird bei diesen Tieren durch
2 Windungen, den Gyrus ectosylvius und sylvius, dargestellt. Den
Windungen entsprechend gestalten sich auch die denselben zu-
gehérigen Markzungen (Fig. 24—29). Die Markmasse des Centrum
156 Kaspar Schellenberg,
ovale bildet hier wie bei allen Saugetieren ein Dach des Seiten-
ventrikels.
In den Ebenen des Uebergangs des Seitenventrikels in das
Unterhorn sieht man bei allen Vergleichstieren, daf die Rinde des
Lobus pyriformis allmahlich in diejenige des Uncus und des Gyrus
hippocampi tibergeht. Die Fascia dentata und die Fimbria
schliefen sich direkt an den Gyrus hippocampi an. Die Ammons-
windung zieht in einem nach hinten konvexen Bogen frontalwirts
bis zum vordersten Ende des Sehhtigels, welchen sie dachférmig
bedeckt. Auf den Querschnitten (Fig. 26, 27) erscheinen Fascia
dentata und Gyrus hippocampi ventral vom Balken quergetroften.
Wenn wir am Querschnitte die Gegend des Occipitalteils
priifen, so ergeben sich in der Anlage der Windungen keine
wesentlicheren Differenzen.
Vergleichung der Hemispharen der verschiedenen
Ungulaten.
Nachdem ich in Kiirze vorstehend auf das Wesentlichste mit
Riicksicht auf Verwandtschaft mit dem Carnivorengehirn ein-
getreten bin, sollen nun die wichtigsten Punkte mit Bezug auf
gemeinsame und differente Merkmale bei den Ungulaten unter
einander besprochen werden.
Im Frontalteil des Schafes ergeben sich gegentiber
der Ziege keine wesentlichen Unterschiede aufer den friiher er-
wahnten (Fig. 30).
Fig. 30. Schaf. Fig. 31. Rind.
Beim Rinde bleibt infolge geringerer Entwickelung die erste
Frontalwindung betrichtlich gegen die tiberliegende 2. Frontal-
windung zuriick und zusammengedringt. Eine sehr tiefe Fiss.
coronalis trennt beide Windungen (lig. 31).
Untersuchungen tiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 157
Die Gyri am Frontalende des Schweines sind schmal und
langgestreckt, iihnlich wie bei der Ziege; sie stehen im eigent-
lichen Gegensatze zu denen des Rindes. Der Tractus olfactorius
erreicht besondere GréBe und zeichnet sich beim Schweine noch
dadurch aus, da er im vorderen Teile die Fiss. praesylvia noch
iiberragt (Fig. 32).
Der Stirnteil des Pferdes_ besitzt
besondere Eigentiimlichkeiten. Vor allem
faillt hier die massige Entwickelung der
Stirnwindungen auf. Dieses Verhalten
erinnert in geringerem Grade an die
Frontalwindungen des Rindes. Die 1.
Stirnwindung hat wie beim Rinde Neigung
zum Kinsinken (Fig. 33).
Was die Markverhaltnisse anbelangt,
so besitzt vor allen untersuchten Tieren
das Pferd in den Stirnwindungen die gréSten Markansammlungen.
Lange schmale Markzungen, wie sie bei der Ziege, dem Schafe,
dem Schweine und in geringerem Grade auch noch bei dem
Fig. 32. Schwein.
fi .
ANN
« be,
ha \
q
Fig. 33. Pferd.
Rinde anzutreften sind, fehlen beim Pferde ganzlich. Entsprechend
der Dicke der Windungen sind auch die Markfortsitze starker,
weniger spitz ausgezogen an ihren Enden. Die dicken Mark-
zungen treten zu einem einheitlichen grofen Markfelde vor dem
Beginn des Seitenventrikels im Frontalhirn zusammen Ein ahn-
liches Markfeld fehlt den iibrigen Vergleichstieren in dieser Aus-
dehnung.
158 Kaspar Schellenberg,
Auf der Héhe der Fiss. cruciata beginnt schon beim
Schafe die 1. Frontalwindung gegeniiber derjenigen der Ziege
etwas kleiner zu werden (Fig. 34). Diese Verkleinerung wird beim
Pferde und Rinde, besonders aber beim Schweine am ausgeprag-
testen. Wie friiher schon bertihrt, geht mit dieser Verkleinerung
Fig. 34. Schaf. Fig.35. Schw ein.
der 1. Frontalwindung eine Verkiimmerung der Fiss. cruciata
Hand in Hand, so daf die noch beim Schafe und der Ziege deut-
liche, tiber die Mantelkante tibergreifende Viss. cruciata beim Pferde,
. Ar j
(
Fig. 36. Pferd.
beim Rinde und beim Schweine vollends auf die mediale Lippe der
1. Frontalwindung zuriickgedriingt wird. Diesem Vorgange ent-
sprechend verhalt sich das Mark. Schaf und Ziege schliefen in
diesem Teile der 1. Frontalwindung erheblich gréfere Markzungen
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 159
ein als das Rind oder das Schwein. So stellt die Markzunge an
der Fiss. cruciata des Schweines und des Rindes eine diinnere
Lamelle dar, auch beim Pferde erreicht dieselbe durchaus keine
auBergewohnliche Starke (Fig. 56).
Die 2. und 3. Stirnwindung weist bei allen Vergleichstieren
dieselbe grofe Ausdehnung auf, besonders entwickelt sind beide
Stirnwindungen beim Pferde, bei welchem Tiere sie noch in Unter-
abteilungen zerfallen. Ihnen kommt bei diesem Tiere ein sehr
starkes gemeinsames Markfeld zu, das sich in ahnlicher Ausdehnung
bei keinem der untersuchten Tiere wiederfindet (Fig. 36).
Der Beginn des Balkens, des Seitenventrikels und des Streifen-
hiigels fallen bei allen diesen Tieren so ziemlich in dieselbe Ebene.
Im allgemeinen herrscht auch in der Parietalregion beim
Pferde entsprechend den gréSeren und breiteren Windungen eine
erdfere Ausdehnung in den Markfortsatzen vor. Die Enden dieser
Markleisten sind mehr lappig und ziehen sich nicht wie bei den
iibrigen Vergleichstieren in spitze Fortsatze aus. Auch zeichnet
sich das Centrum ovale und die innere Kapsel beim Pferde durch
auBergewohnliche Starke in hinteren parietalen Ebenen aus.
Beim Schafe, der Ziege und beim Schweine sind besonders die
der Mantelspalte nahe gelegenen Windungen und die zugehérenden
Markfortsaitze lang und schmal (Fig. 37, 26, 38).
Fig. 38. Schwein.
Die Insel fallt bei allen Vergleichstieren mit der vorderen
Kommissur zusammen (Fig. 37, 38, 39).
Der Beginn des Sehhiigels stimmt mit der bereits bei der
Ziege beschriebenen Ebene iiberein.
Septum und Fornixsiule liegen entsprechend wie bei der
Liege.
Die Ammonswindung bedeckt, wie schon friiher bei der Ziege
gesagt wurde, den Sehhiigel von oben und reicht bis wenig itiber
160 Kaspar Schellenberg,
seine Mitte nach vorn. Um auf die GréSenunterschiede der
einzelnen Windungen tiberzugehen, muf hier wiederum auf die
relativ. geringe Ausdehnung des Gyrus fornicatus beim Pferde
Fig. 39. Rind.
und beim Rinde gegentiber der Ziege, dem Schafe und dem
Schweine verwiesen werden. Beim Pferde ist zudem der Gyrus
Fig. 40. Pferd.
marginalis relativ am kleinsten, wihrenddem diese Windung beim
Schafe, beim Schweine und der Ziege eine Mittelstellung einnimmt.
Am umfangreichsten ist die Randwindung unbestritten beim Rinde
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 161
(Fig. 43). Bei diesem Tiere bleibt jedoch der Gyrus suprasylvius
an Breite zuriick und kommt der nimlichen Windung beim Pferde
an Umfang bei weitem nicht gleich. Es gehért deshalb auch beim
Pferde, dem Schafe, der Ziege und bei dem Schweine der gréfBere
Markanteil nicht der marginalen Windung, wie dies beim Rinde
der Fall ist, sondern der suprasylvischen Windung an (Fig. 44,
Al, 26, 42).
Fig. 41. Schaf. Fig. 42. Schwein.
In den temporalen Windungen kann ein gréfSerer Unterschied
nicht herausgefunden werden, auch erreicht der Lobus pyriformis
bei allen Vergleichstieren den ihrer Gré8e entsprechenden Umfang.
Fig. 43. Rind.
Nahe der Occipitalspitze treten bei allen Vergleichstieren
gegen die Medianspalte hin mehr langgestreckte Markleisten und
Windungsziige auf, wihrend die mehr lateralen Windungen breitere
Riicken mit gréferen Markmassen aufweisen.
Bd. XXXVI, N. F. XXXVI. ial
1g2r Kaspar Schellenberg,
Auf die Gréfe der Markansammlung am Uebergange des
Seitenventrikels in das Unterhorn muf noch besonders aufmerksam
gemacht werden. Dieses Markfeld erreicht hauptsichlich beim
Pferde den gré8ten Umfang und nimmt bei allen Vergleichs-
tieren besondere, schon makroskcpisch erkennbare Schichtung an
(Fig. 41—44).
a mz, ne
ai q Hi \\
; Muh
i ouetiit :
WAL
Vf
Fig. 44. Pferd.
Um itiber die Mengenverhaltnisse des Markes und
der Rinde des Ungulatengehirnes einigermaSen orientiert
zu sein, habe ich nach dem Vorschlage von DANILEWSKY (9) und
His (29) Untersuchungen angestellt.
Obwohl ich mit einigen Bedenken solchen Berechnungen
eegentiberstand, erschien es mir wissenswert, gegentiber den Resul-
taten beim Menschen einige Anhaltspunkte iiber das gegenseitige
Verhaltnis der weiSen zur grauen Substanz im Grofhirn der Un-
gulaten zu besitzen. Genau genommen ist es wohl niemals még-
lich, einen richtigen Aufschluf tiber die gegenseitigen Gréfenver-
haltnisse zu erlangen, weil ja eine Abgrenzung zwischen grauer
und weifer Substanz sowohl nach der Rinde wie nach den tieferen
Teilen hin auf so rohe Weise eine Menge von Fehlerquellen in
sich schlieBt.
So erhielt ich Zahlen, die einmal nach der untersuchten Tier-
art und sodann nach der topographischen Lage der untersuchten
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 163
Stelle variierten. Im Frontalteil konnte ich ein enges Verhialtnis,
das mehr dem des Menschen nahe stand, also ein Verhiltnis von
Mark zu Rinde wie 2:3 ergab, finden. Insbesondere kam der
Frontalteil des Pferdes dem des Menschen am nichsten. In
anderen Hemisphirenabschnitten fiihrten die quantitativen Be-
stimmungen zu entgegengesetzten Resultaten, in denen die Rinde
um das Doppelte und noch mehr das Mark itibertraf.
.- Tex].
Beziehungen des Grofshirnmarkes zur Hirnrinde und
zu den infracorticalen Regionen.
Im Anschluf an die im ersten Teil behandelte Schilderung
der GrofShirnoberfliche und des Markkérpers bei den Ungulaten
sollen nunmehr die feineren Beziehungen zwischen den Faser-
massen und der Hirnrinde sowie den infracorticalen grauen Re-
gionen zur Darstellung gelangen.
Zur Illustration des Gesagten sollen auch hier die im vorher-
gehenden Abschnitte reproduzierten Figuren von Frontalschnitten
der verschiedenen Gehirne dienen, auf welche jeweilen im Texte
verwiesen wird.
Die centralen Markmassen, d. h. das Centrum ovale und die
Markzungen in den Windungen setzen sich aus Markfasern sehr
verschiedenen Kalibers zusammen, die an Pau-Praparaten in ihren
verschiedenen Schnittrichtungen sehr deutlich sichtbar sind. Die
Dicke der Markscheiden von gleichartigen Biindeln ist bei den
verschiedenen Reprasentanten der Ungulaten ungefaihr die nam-
liche, dagegen variiert sie bei dem einzelnen Tiere je nach ana-
tomischer Bedeutung und auch innerhalb gleichartiger Verbin-
dungen in ziemlich betrachtlicher Weise, d. h. zwischen 1—5 wu.
So sind in der Zonalschicht der Rinde bisweilen Fasern zu finden,
die denen des Stabkranzes zum mindesten im Kaliber gleichkommen,
ja sie oft noch iibertreffen.
Bei neugeborenen Tieren hat bekanntlich der Markkérper
noch nicht dieselbe Beschaffenheit wie bei alteren Tieren; er ist
kleiner und es finden sich hier die markhaltigen Fasern nur in
11%
164 Kaspar Schellenberg,
beschrankter Anzahl] vor, auch sind sie auffallend diinn. Die
marklosen Fasern tiberwiegen hier ahnlich, wie es beim Menschen
der Fall ist und ahnlich, wie es DOLLKEN (13) bei jungen Katzchen
beobachtet hat.
Die Markentwickelung erfolgt, wie ich mich beim Studium der
beziiglichen Verhaltnisse an jungen Ziegen tiberzeugt habe, successive
und ahnlich, wie es D6LLKEN (13) bei der Katze festgestellt hat
in einer Reihenfolge, die wohl gréftenteils durch die physiologische
Bedeutung der Bahnen fiir das junge Tier bestimmt wird.
Das UngulatengroShirn ist, wenigstens an der Konvexitat,
charakterisiert durch lange Windungen mit schmalen Kammen
und daher auch durch lang ausgezogene dtinne Markziige und
durch auffallend tiefe Furchen. Dem gegeniiber sind die ent-
sprechenden Windungen beim Hunde und vollends beim Affen und
Menschen mehr breit, wulstig, dafiir aber niedriger; die Mark-
zungen sind breiter und kiirzer, die Markleisten der Windungen
sind dicker und faserreicher als bei den Ungulaten, bei welchen
iiberhaupt in der Mitte der Konvexitét das Grofhirnmark eine
nur bescheidene Entwickelung zeigt.
Eine Sonderung der Fasermassen im Centrum ovale und in
den Markzungen nach ihrer Herkunft ist bei einer noch so minu-
tidsen Durchmusterung der Schnittreihen selbstverstandlich nur
im Groben moglich. Eine fliichtige Betrachtung der nach Pat
gefarbten Schnitte lehrt indessen, daf bei den Ungulaten nicht
minder wie bei den iibrigen Saugern die Associationsfasern (kirzere
und langere) sowohl iiber die Kommissurenfasern als vollends tiber
die Projektionsfasern stark dominieren. Die kiirzeren Associations-
fasern scheinen im Centralgebiet weniger reich angelegt zu sein
wie beim Hunde, Affen und Menschen. Ihr Mangel bedingt gewil
zum Teil die friiher beriihrten Eigentiimlichkeiten im centralen
Windungsgebiet der Ungulaten.
Bei simtlichen von mir untersuchten Ungulaten sind dagegen
die streckenweise als geschlossene Biindel verlaufenden langen
Associationsfasern stattlich angelegt und lassen sich anatomisch
ziemlich gut abgrenzen. Ich nenne hier z. B. die 3 Hauptstrata
des occipitalen Markes, den Fasciculus cinguli und subcallosus.
Von den Kommissuren zeigt sowohl der Balken, die vordere
Kommissur als auch die Commissura hippocampi eine sehr be-
achtenswerte Ausdehnung, die derjenigen der Carnivoren keines-
wegs nachsteht. Der Balken ist bei der Ziege und beim Pferde,
schon nach gréberer Schatzung zu urteilen, relativ weit machtiger
Untersuchungen iiber das GroShirnmark der Ungulaten. 165
entwickelt, zumal im Knie, als derjenige der Katze und des Hundes,
ja sogar des Affen, doch erreicht er die Ausdehnung des mensch-
lichen bei weitem nicht.
Was die Projektionsfasern anbetrifft, so lassen sie sich aus
der Masse der Stabkranzfasern und der inneren Kapsel, ferner
aus dem Umfang des Pedunculus und der Pyramide am _ besten
ermessen. Auch die Fornixbiindel dtirfen zum Vergleich heran-
gezogen werden, doch ist die Zahl der hier verlaufenden Projek-
tionsfasern eine geringe.
Der Stabkranz erreicht bei den hoher entwickelten Ungulaten
(Ziege, Pferd) relativ einen mindestens ebenso bedeutenden Um-
fang wie bei Katze und Hund und es scheint namentlich der vor-
dere, frontale Abschnitt besonders machtig entwickelt zu sein, in
diesem Teile machtiger als bei den Carnivoren.
Die innere Kapsel verrat demnach bei den Ungulaten, ins-
besondere in ihrem lenticulo-striaren Anteil, einen sehr bemerkens-
werten Umfang.
Auch der Sehhiigel, der bei allen héheren Siugern in seiner
Entwickelung mit derjenigen des Grofhirnmantels ziemlich Schritt
halt (ForEL 24), zeigt bei den Ungulaten im vorderen Abschnitt
eine gréfere Ausdehnung als bei den Carnivoren.
Der Pedunculus cerebri ist bei beiden Tierordnungen ver-
haltnismaBig gleich entwickelt, doch nimmt er bei den Ungulaten
nach abwarts rasch ab, in dem die beziiglichen Faseranteile sich
teils in der Substantia nigra, teils aber in der Briicke fast vollig
erschépfen. Der Pyramidenanteil ist selbst bei der Ziege und
vollends beim Rinde, Schafe, Schweine und beim Pferde autfallend
schmal; er zeigt bei der Ziege z. B. kaum den absoluten Umfang
der Pyramide eines Kaninchens.
Es wird am besten sein, die Beteiligung der verschiedenen
Markbiindel an der Bildung des Grofhirnmarkes und ihre zu den
iibrigen Hirnteilen verlaufenden Abschnitte an einer Tierart
naher zu beleuchten. Ich wahle hierzu das Pferd und ziehe die
tbrigen Vergleichstiere, sofern ihnen besondere Verhiltnisse zu-
kommen, zur Vergleichung heran.
Das Mark des GroBhirnes des Pferdes.
Allgemeines,
Die Art der Ausbreitung des Markes im GroShirn des Pferdes
und speziell die quantitative Verteilung desselben auf die einzelnen
166 Kaspar Schellenberg,
Abschnitte des GroShirnes bietet auferordentlich viel Interessantes
dar und namentlich wenn man die beziiglichen Verhiltnisse mit
denen des menschlichen Gehirnes vergleicht.
Studiert man eine ununterbrochene Frontalschnittreihe des
Pferdes vom Frontalende aus in occipitaler Richtung, dann gestalten
sich die Verhiltnisse folgendermafen :
Die Markmasse des Frontallappens, d. h. derjenigen Partie
beim Pferde, welche vom Frontalpol bis zur vordersten Ebene
des Balkens sich erstreckt, ist beim Pferde aufSerordentlich reich
entwickelt. Sie steht der des menschlichen Gehirnes durchaus
nicht sehr weit nach. Bei wiederholten Messungen zeigt sich,
da’ beim Pferde die Entfernung vom Frontalpol bis zum ersten
Beginn des Balkens etwa 4 cm betrigt und somit eher etwas
gréBer ist als beim Menschen. Dafiir ist allerdings der Balken
beim Menschen wesentlich linger und volumindéser.
Auch in der Breite der Hemisphire ist das Centrum ovale
in fast allen Querschnitten auffallend ausgedehnt. Es erreicht das
Feld des Centrum ovale in einer Entfernung von ca. 32 mm vom
Frontalpol da und dort eine Dicke bis zu 3 cm, wahrend die
Dicke der Hemisphare 45 mm betragt. Beim Menschen mit die
Breite des Markes auf gleicher Héhe 4—4,5 cm, die Dicke der
Hemisphare 5,5 cm. Die gré’te Hohe des Centrum ovale betragt
in dieser Entfernung vom Frontalpol beim Pferde 4,8 cm, die ge-
samte Héhe des Frontallappens 6,5 cm einschlieflich des Riech-
lappens, beim Menschen erreicht das Mark des Centrum ovale
eine Héhe von 5,3 cm, die Hemisphire eine Héhe von 7—7,5 cm.
Von dieser Ebene (3,2 cm vom Frontalpol entfernt) an gegen
den Frontalpol zu nimmt die Markmasse beim Pferde ebenso wie
beim Menschen successive ab, vielleicht etwas rascher als bei
diesem und es fallen in die Schnittflache die tiberaus tiefen und
an Seitentaschen reichen Hauptfurchen (Fiss. coronalis, praesylvia),
wodurch das Centrum ovale mehrfach in Sonderabteilungen zer-
fallt, resp. in die Markzungen der vordersten Frontalwindungen
iibergeht. Auch in diesen Ebenen ist die Markanhiufung eine
sehr bemerkenswerte (Fig. 33).
Von 3,5 cm hinter der Frontalspitze an sondert sich inner-
halb des Centrum ovale centralwirts die erste Andeutung paralleler,
gleiche Richtung (longitudinale) einnehmender Faserstriinge: es
ist dies der Beginn des frontalen Abschnittes des Stabkranzes
(Fig. 45).
Von diesen Ebenen an und bis zu den Ebenen des Balken-
Untersuchungen tiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 167
knies findet sich im Centrum ovale eine auferordentlich reiche
Markfiille. Es bezieht sich diese insbesondere auf das dorsale
Gebiet der Konvexitit, wihrend schon hier und im Gegensatz zu
den Verhaltnissen beim Menschen die basale Partie, abgesehen
des beim Pferde aufSerordentlich miachtig entwickelten Lobus
olfactorius und Gyrus rectus, der Markkérper ebenso wie die
Windungen (untere basale Halfte der 2. und 3. Stirnwindung)
wesentlich markarmer sind als beim Menschen.
Von den vorderen Ebenen des Balkens (Balkenknie) an er-
fahrt der Markkérper des GroShirnes entsprechend der Eigen-
tiimlichkeit der Oberflichenfaltung in der parietalen Gegend eine
sehr bemerkenswerte Modifikation, die mit geringen Schwankungen
bis zu den Querschnittsebenen durch die Gegend des Ueberganges
des Seitenventrikels in das Unterhorn ziemlich gleichmafig sich
erstreckt.
Mit dem Beginn der schon friiher eingehend geschilderten
langgestreckten und schmalen Windungen der Konvexitat (welche
fiir die Ungulaten typisch sind), nimmt die Ausdehnung des eigent-
lichen Centrum ovale ziemlich rasch ab. Der Markkoérper wird
beinahe erschépft durch die Markzungen der langen Windungen
einerseits, durch Stabkranz- und Balkenfaserung andererseits der-
art, daf die Markfelder, abgesellen der Markzungen und der ge-
nannten Markabschnitte nur einen sehr bescheidenen Raum ein-
nehmen (Fig. 41, 44).
Was im Weiteren und namentlich bei Vergleichung der ent-
sprechenden Querschnitte des menschlichen Gehirnes auffallt, das
sind die der auferordentlich diirftig entwickelten basalen Windungs-
masse (Insel, Operculum, Lobus pyriformis, Schlifenwindungen)
entsprechenden markfaserarmen und schmachtigen Markzungen
der genannten Windungen (Fig. 45).
Von den Ebenen des Balkenspleniums (Uebergangsebenen des
Seitenventrikels ins Unterhorn) nimmt die Markmasse des Grol-
hirnes im allgemeinen an Umfang zudem etwas zu bis kurz vor
der Occipitalspitze, um bald nachher von neuem rasch abzunehmen.
Dieser Zunahme ist diejenige im Parietallappen des menschlichen
Gehirnes wohl an die Seite zu stellen. In den genannten Ebenen
(Ebene des iuferen Kniehéckers und des vorderen Zweihiigels)
findet sich abermals, abgesehen von den Markzungen der Win-
dungen, ein kleines Centrum ovale, das jedoch im Gegensatz zu
dem Centrum ovale im Frontalmark dem menschlichen in ent-
sprechenden Ebenen nachsteht. Insbesondere fallt die Schmalheit
168 Kaspar Schellenberg,
des allgemeinen Markfeldes im Gebiet des Operculum, aber auch
in dem der medialen Windungen, vollends jedoch im Schlafelappen
auf. Der Schlafelappen des Pferdes betrigt kaum die Hiilfte des
menschlichen.
Dieser Reduktion des Markmantels steht gegeniiber die aufer-
ordentliche Machtigkeit der weiter unten genauer zu besprechenden
sagittalen Strahlungen des Hinterhauptslappens und teilweise auch
des Balkens.
Occipitalwirts nimmt der Markmantel successive und rascher
ab als beim Menschen und beansprucht in der Nahe der Occipital-
spitze im Vergleich zu den reichen Windungen einen auferordent-
lich diirftigen Raum.
I. Das Mark des Frontalteiles.
1. Das Mark des Lobus olfactorius.
Der Lobus olfactorius zeigt bei seiner Vereinigung mit dem
Gyrus rectus zwei Hauptfaserschichten, die ich in gleicher Weise,
wie es KOLLIKER (34) beim Kaninchen gethan hat, in eine ober-
flachliche, an der lateralen und ventralen Seite des Lobus olfac-
torius liegende Markschicht und in eine centrale Schicht des
Riechmarkes, die lateral und ventral dem Ventrikel des Lobus
olfactorius sich vorfindet, einteile.
Die Vereinigung des Lobus olfactorius fiihrt zu engeren Be-
ziehungen des frontalen Markes mit dem oberflachlichen und cen-
tralen Riechmark.
Das periphere, oberflachliche Riechmark stellt.die eigentlichen
Fasern des Tractus olfactorius dar; es ist ein Biindel starker
Fasern, die an der lateralen Oberflache des Tractus olfactorius
sich bis in die untere Lippe an der Fissura rhinalis erstrecken,
medial in kleinen Fascikeln sich in caudaler Richtung iiber die
Rinde am Streifenhiigelkopfe ausbreiten. Das ganze Biindel zieht
in sagittaler Richtung bis zur Rinde des Lobus pyriformis. Es
kann dieses Biindel des Tractus olfactorius schon makroskopisch
verfolgt werden (Fig. 45).
Vor dem Tuberculum olfactorium teilen sich die Fasern des
Tractus olfactorius in einen lateralen und in einen medialen Ast.
Die umfangreichere laterale Tractuswurzel enthalt die grofe Mehr-
zahl der Tractusfasern.
Untersuchungen tiber das GroShirnmark der Ungulaten. 169
Die mediale kleinere Wurzel biegt um die Rinde an der
inneren Mantelkante nach einwirts und riickwarts um und verliert
sich ahnlich, wie das bei den Carnivoren bekannt ist, an der
Rinde der medialen Wandung bis gegen das Septum hin.
Beide Tractusschenkel schliefen das Tuberculum olfactorium
zwischen sich, eine flache, grauweife Erhabenheit, die sich von
der riickliegenden Area perforata nicht deutlich abgrenzt. DEXLER
(12) trennte beim Pferde noch eine mittlere Tractuswurzel ab,
welche sich zum Tuberculum olfactorium erstrecken sollte; ich
méchte diese Faserung unbedeutenden Umfanges der lateralen
Wurzel zuteilen. Ein gesonderter Fascikel geht auch beim
Schweine, bei welchem Tiere die Riechfaserung eine aufergewohn-
liche Starke erreicht, in das Tuberculum olfactorium nicht tiber
(Fig. 48). Bei diesem Tiere ist auch das Tuberculum olfactorium
wenig mehr entwickelt als bei den iibrigen Ungulaten, jedenfalls
aber bedeutend weniger als beim Maulwurfe, bei Monotremen oder
bei Marsupialiern.
Auch GANSER (25) hebt die geringe Anzahl der zum Tuber-
culum olfactorium ziehenden Tractusfasern beim Schweine hervor
und ZIEHEN (76) fabt diese wenigen Fasern zu einer besonderen
Radix tubercularis olfactoria zusammen.
Diesen oberflachlich liegenden Fasern des Tractus olfactorius
stehen die tief gelegenen des centralen Riechmarkes gegeniiber.
Dieses letztere setzt sich teils aus starken Biindeln, teils aus
feineren Fascikelchen zusammen, die bis in den Bulbus olfactorius
hinein zu verfolgen sind. Nach riickwirts teilt sich das centrale
Mark in zwei Lager; das mehr lateral liegende umfangreichere
erhalt bestindig einen neuen Faserzuzug von der Rinde des Lobus
olfactorius und zwar von jener Stelle, welche von der lateralen
Tractuswurzel bedeckt ist (Fig. 48). Dieses Faserbiindel greift
mehrfach in das Gebiet der basalsten Stabkranzfasermassen tiber
und steht auch in hinteren Ebenen mit der auferen Kapsel in
Zusammenhang. Das mediale Biindel wendet sich in der Richtung
gegen das Cingulum, an dessen Bildung es sich beteiligt; es um-
faBt den basalen und medialen Abschnitt des Streifenhiigelkopfes
und die Vorderhornspitze und steigt in der medialen Hemispharen-
wand empor (Fig. 45, 48). Ein anderer Teil des medialen
Biindels zieht nach riickwarts an der Rinde der Area bis in die
Gegend des Chiasma opticum und mischt sich hier mit Fornix-
fasern. Eine direkte Verbindung mit dem Sehhiigel oder dem
Ammonshorne habe ich nirgends finden kénnen.
170 Kaspar Schellenberg,
Die Endigung der Tractusfasern geschieht somit: 1) am Tu-
berculum olfactorium, an der Area perforata und am Lobus pyri-
formis; 2) an der medialen und basalen Partie der Hemispharen-
wand bis zum Septum hin.
In beiden Endigungsbezirken riicken die Tractusfasern bis zur
Pyramidenschicht vor und umfassen die dort oft zu Gruppen ge-
stellten Pyramidenzellen. Wahrscheinlich splittern sie sich in ein
dichtes Filzwerk auf, wenigstens ist dort eine reichliche Anhaéufung
erauer Substanz zu beobachten. Die Verhaltnisse liegen hier ganz
iihnlich wie sie GANSER (25) fiir die Rinde am Streifenhiigel kopf
beim Maulwurfe beschrieben hat.
Allem Anscheine nach gehen aus der lateralen Abteilung des
centralen Riechmarkes starke Faserbiindel zur vorderen Kommissur
ab. Auch vom centralen Riechmark her fliefen zu der Pyramiden-
schicht des Lobus olfactorius massenhaft Fasern zu, welche die
Zellenhaufen umfassen.
29, Die Associationsfaserung 1m Frontalteil:
Die bemerkenswertesten Eigenbestandteile des Lobus_ olfac-
torius wurden im vorigen Abschnitte erértert. Wenn wir uns nun
zu einem neuen Bestandteil wenden, so sind in erster Linie die
Associationsfasern zu beriicksichtigen, welche teils aus der ersten,
teils aus den anderen zwei Frontalwindungen hervorgehen (Fig. 45).
Es sind namentlich die die einzelnen benachbarten Windungen
verbindenden Fibrae propriae in stattlicher Anzahl vorhanden und
verlaufen in zierlichen parallelen Ziigen. Eine starkere An-
sammlung von solchen associativen Fibrae propriae findet sich in
der Tiefe des Sulcus rhinalis anterior vor.
Es sei auch an dieser Stelle erwaihnt, daf die Zonalfaser-
schicht der Rinde der ersten Frontalwindung allmahlich in die
Oberflache des Lobus olfactorius tibergeht und an letzterem Orte
mit den Fasern des Tractus olfactorius lateralis zusammenflieBt
(Fig. 45).
Wie weit Associationsfasern in den Fuss des Stabkranzes
iibergreifen, lift sich bei Betrachtung der Querschnitte nicht mit
Sicherheit eruieren. Nach dem Umfange des Querschnittes der
vorderen Partie der inneren Kapsel zu urteilen, ist die Zahl der
langen Associationsfasern, welche noch Bestandteil des frontalen
Stabkranzabschnittes bilden, jedenfalls keine sehr bedeutende.
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 171
3. Der frontale Stabkranz.
Der Hauptbestandteil des Markkérpers im basalen Abschnitt
des Frontalteiles wird durch ein miachtiges Querschnittsfeld ge-
bildet, welches etwa zwei Dritteile der Héhe des Markes ein-
nimmt und das der Hauptsache nach den frontalen Stabkranz in
sich birgt (Fig. 45).
Schon bei der Durchmusterung der Frontalschnittreihe lakt
sich erkennen, daf aus simtlichen Windungen des Frontallappens
und zwar hauptsiachlich aus den dem Frontalende naher gelegenen
Gyri Radiirfasern in dieses Feld einstr6men und zwar auf dem
kiirzesten Wege und in einfacher Reihenfolge. Der griéSte Teil
dieses Faserquerschnittes, welcher in den Ebenen des Streifen-
hiigelkopfes als frontaler Stabkranz bezeichnet werden darf, zieht
direkt in die innere Kapsel iiber und wendet sich dem unteren
Thalamusstiel zu.
Die mehr medial gelegenen Abschnitte dieses Feldes scheinen
teils in das Cingulum, teils in die Balkenfaserung tiberzugehen,
wihrend die lateralen Bestandteile teilweise wenigstens Faser-
anteile zum Fasciculus longitudinalis superior liefern. Eine scharfe
anatomische Scheidung ist selbstverstiindlich ebensowenig wie beim
Menschen modglich.
Es ergiebt sich bei der Betrachtung der Frontalschnitte zur
Evidenz, da8 der angedeutete frontale Stabkranzanteil beim Pferde
besonders machtig entwickelt ist, mithin der reichen Rindenfaltung
im Frontalhirn dieses Tieres Schritt hilt (Fig. 45).
Im allgemeinen laft sich erwihnen, dali die Radiirfasern aus
dem untersten Teil der 1. Frontalwindung und dem vorderen Teil
der Insel sehr sparlich entwickelt sind.
If. Das Mark des Parietalteils.
1. Der Stabkranz des Parietallappens‘).
Der Stabkranz des Pferdes ist verhialtnismafbig recht aus-
eedehnt. Der frontale Stabkranzanteil, der in Vorstehendem aus-
fiihrlicher behandelt wurde, erreicht ebenso wie der vordere Ab-
1) Unter Parietallappen verstehe ich hier die Windungsgebiete,
welche mit den Frontalschnittebenen des Balkens zusammenfallen.
172 Kaspar Schellenberg,
schnitt der inneren Kapsel einen weit gréSeren Umfang als wie
der des Menschen.
Der Stabkranz des Parietallappens entspricht so ziemlich der
Grife des Sehhiigels. Es ist daher beim Pferde nicht nennens-
wert kleiner als beim Menschen. Wie bei diesem, so fallt auch
beim Pferde, bei letzterem vielleicht noch in héherem Grade, die
Einstrahlung des Stabkranzes in Masse in den Sehhiigel auf
(Fig. 46). Die den verschiedenen Sebhiigelabschnitten ent-
sprechenden Stabkranzanteile verlaufen ziemlich separiert ihrem
Bestimmungsort entgegen.
Die iibrige Masse des Stabkranzes (kleinerer Teil) senkt sich
in den Pedunculus cerebri ahnlich wie beim Menschen, auch wird
ihnlich wie beim Menschen die innere Kapsel durch Fasern der
Linsenkernschlinge vom Pedunculus cerebri getrennt. In den
Ebenen des Corpus Luysii ist der Pedunculus cerebri an Faser-
zahl nahezu vollstindig und nicht wesentlich dinner als beim
Menschen. Nach meinen Messungen betragt hier die Breite des
Pedunculus 21 mm und seine Dicke 5 mm. Auf die weiteren
Schicksale und Verainderungen in seinen Faserbestandteilen in
caudaler Richtung werde ich spater eintreten.
Kin kleiner Bruchteil der inneren Kapsel, die in diesen Ebenen
durch die nimlichen Gebilde wie beim Menschen abgegrenzt wird,
senkt sich in die Regio subthalamica und in den Markmantel des
roten Kerns ein.
In zierlicher Weise préasentiert sich die FEinstrahlung des
hintersten Abschnittes der inneren Kapsel in das Pulvinar. Hier
laBt sich der Uebergang der Stabkranzfasern in die genannte Seh-
hiigelpartie auBerordentlich deutlich und besser als beim Menschen
wahrnehmen.
Von den Ebenen des Ueberganges des Seitenventrikels in das
Unterhorn (Ebenen des Corpus geniculatum externum) an gliedert
sich die Masse des Stabkranzes, die aus den occipitalen Win-
dungen hervorgeht, resp. in dieselben zieht, in scharferer Weise ab.
Die beziiglichen Biindel (laterales Mark des Corpus genicu-
latum externum) erscheinen an Frontalschnitten quergetroffen.
Der Hauptsache nach handelt es sich hier um das sagittale Occi-
pitalmark, welches auch beim Pferde in drei Segmente grob ana-
tomisch sich abgrenzt (Fasciculus longitudinalis inferior oder das
Stratum sagittale ext., die eigentliche Sehstrahlung oder das
Stratum sagittale internum und die sog. Balkentapete). Der Ge-
samtquerschnitt des sagittalen Markes erreicht beim Pferde ab-
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 173
solut ungefahr dieselbe Dicke wie beim Menschen, namlich an der
breitesten Stelle 10 mm, indessen ist er beim Pferde weniger
hoch. Auch vermift man beim Pferde die Kriimmung oder Um-
biegung dieses Faserzuges in basaler Richtung, wie sie beim
Menschen zu beobachten ist und bei diesem dadurch hervor-
gebracht wird, daf die Strahlung sich der gebogenen Hinterhorn-
wand anschmiegt. Beim Pferde ist das Hinterhorn nur eben an-
gedeutet.
Was die Ausdehnung der einzelnen Felder anbelangt, so
scheint das Stratum sagittale externum relativ gleichgrof zu sein
wie beim Menschen, wahrend das Stratum sagittale internum und
die Balkentapete auch relativ die GréSe der menschlichen nicht
erreichen (Fig. 47).
Die Fasern des ganzen sagittalen Markes im mittleren
Stratum, d. h. die eigentlichen Sehstrahlungen wenden sich vor
allem auf dem kiirzesten Wege den occipitalen Windungen (be-
sonders den medialen) zu.
Beziiglich der occipitalen und parietalen Windungen ist her-
vorzuheben, daf der Gyrus suprasylvius und ectosylvius be-
sonders reich an Mark sind, auch in der dem Operculum des
Menschen an die Seite zu stellenden Sylvischen Windung 1lagt
sich (auch abgesehen von eigentlichen und bisweilen gabelférmig
geteilten Markzungen dieser Windung) ein noch ziemlich breites,
als ein Centrum ovale anzusprechendes und vom Stabkranz sich
sonderndes Markgebiet erkennen.
Diesen Windungsgruppen gegeniiber, welche die Hauptmasse
in der Parietalgegend darstellen, erscheinen der Gyrus fornicatus
und der Gyrus marginalis diinner und ihr Markgebiet zeigt auf
dem Frontalschnitt eine geweihartige Form, d. h. es finden sich
da schmale lange Markzungen mit mehreren gabelférmigen, in die
Nebenwindungen eintretenden Teilungen (Fig. 46, 47).
In der letztgenannten Windung ist nach meiner Schatzung
vor allem die Zahl der Associationsfasern mittlerer Lange,
welche benachbarte Windungen miteinander verkniipfen, eine
auferordentlich geringe. Man sieht hier an Frontalschnitten fast
ausschlieBlich radiar gegen den Stabkranz zu verlaufende Fasern,
im Gegensatz zu den Verhiltnissen im Frontallappen, wo gerade
die 1. Stirnwindung und andere dem Sulcus longitudinalis zuge-
kehrte Windungen sehr breite Markzungen besitzen (Fig. 45).
Nur von der Inselwindung, dem umgebogenen Teil der 1. Frontal-
windung und dem Lobus pyriformis ist hervorzuheben, da sie
174 Kaspar Schellenberg,
ahnlich wie beim Menschen und wie es Voer (72) auch bei den
Carnivoren und den Affen gefunden hat, sehr arm an Fasern sind.
Im Gegensatz zum Frontallappen, wo an einzelnen Stellen
ein Abgang von radiairen Fasern nur auf kurze abgebrochene
Strecke oder gar nicht beobachtet werden kann, sind im Gebiete
des Parietalhirns Windungen, welche eine reichliche Anordnung
von radiaren, gegen den Stabkranz zu verlaufenden Biindeln ver-
missen lassen (Projektions- und lange, gegen das Centrum ovale
verlaufende Associations- sowie Balkenfasern), nicht vorhanden.
III. Das Mark des Occipitallappens.
Das Mark des Occipitalteils verraét beim Pferde eine relativ
geroBere Ausdehnung als wie beim Menschen (Fig. 47).
So sieht man in einer Entfernung von 116 mm von der
Frontalspitze, abgesehen des hier ganz central gelegenen und
ziemlich machtigen, auf dem Querschnitt ca. 16 mm hohen und
12 mm breiten sagittalen Markes, noch durchwegs konzentrisch
mit diesem ein 6—8 mm (Entfernung zwischen dem _lateralen
Rande des sagittalen Markes und den Windungsthalern der Nach-
barschaft) breites Feld des Centrum ovale, welches sich occipital-
warts nur allmahlich erschépft, aber noch bis zu einer Entfernung
von 124 mm von der Frontalspitze durch seine relativ reiche
Ausdehnung imponirt. Erst 126 mm von der Frontalspitze, d. h.
erst etwa 12 mm von der Occipitalspitze, verschwindet das Centrum
ovale des Occipitallappens von der Bildflache.
Was den Reichtum der Fasern in den einzelnen Markzungen
anbetrifft, so prasentieren sich die lateral gelegenen occipitalen
Windungen einschlieSlich der basalen Windungsgruppen (Gyr.
sylvius) als bei weitem die markreichsten. Demgegeniiber sind
die an der medialen Seite der Konvexitét gelegenen Windungen
wiederum an Nebenwindungen reich und enthalten ahnlich wie
die medialen Windungen des Parietallappens lange und schmale,
sich bisweilen gabelférmig teilende Markzungen (Fig. 47).
Soweit man bei bloBer anatomischer Durchmusterung der
Schnittreihe entscheiden kann, finden sich auch in saémtlichen
Windungen des Occipitallappens, wenn auch in ungleicher Weise,
gegen den Stabkranz zu verlaufende radiire Bindel. Auf den
Querschnitten 15—20 mm von der Occipitalspitze nach vorn ver-
teilt sich der Markkérper in den hier massenhaft noch durch
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 175
Seitentaschen der Furchen durchbrochenen Schnittebenen wie ein
kompliziertes Ast- oder Geweihwerk, d. h. er besteht aus lauter
in der Dicke auferordentlich wechselnden, gegen die Windungs-
kuppe zu sich verschmilernden Markzungen, die sich selbstver-
stindlich aus in verschiedener Richtung durchtrennten Fasern,
namentlich aber aus schrag getroffenen Fasern zusammensetzen.
IV. Der Balken.
Der Balken setzt sich bei den Ungulaten wie beim Menschen
aus dem Knie mit dem Schnabel, aus dem Koérper und aus dem
Wulst zusammen. Die Gesamtlange des Balkens betraigt beim
Pferde 65 mm; er erreicht im Knie eine maximale Dicke von
5 mm, im Korper eine solche von 3 mm und am Wulst eine
solche von 4,5 mm.
Um den Balken in seiner feineren Gestaltung klar zu_ iiber-
sehen, ist es empfehlenswert, ihn an einer Frontalschnittserie zu
studieren.
Wenn wir durch die vordere Ebene des Streifenhiigelkopfes
einen Querschnitt anlegen, da wo der Balken in seiner Masse im
Knie getroffen wird, dann sieht man die dorsale Halfte der Bal-
kenfaserung in derben Ziigen in die beiden Hemisphiren aus-
strahlen und den Stabkranz, beziehungsweise das Centrum ovale
durchbrechen, um sich auf diese Weise den Endzielen in den
verschiedenen Windungen der Konvexitaét zu nahern (Fig. 48, 52).
Der ventrale Abschnitt, das Rostrum, sendet basalwirts je
einen starken Fortsatz, welcher sich in die basalen medialen Win-
dungen nach vorn und riickwarts ergiebt.
Der dorsale Abschnitt der Balkenfasern zieht in leicht dorsal-
konkavem Bogen tiber die Mantelspalte hin, er grenzt Vorderhorn
des Seitenventrikels und Fasciculus subcallosus nach unten ab.
Die Rostrumfaserung liegt dagegen medial unter dem Ependym
des Vorderhorns.
Die Verlaufsrichtung der Fasern in beiden Abschnitten des
Balkenkniees ist eine verschiedenartige. Die Fasern durchflechten
sich in ziemlich groben Fascikeln und auf den verschiedenen Héhen
in ungleicher Weise, so dafi man fortwihrend schrag und langs-
getrofienen im Rostrum auch quergetroffenen Biindeln begegnet.
— Eine genaue Verfolgung der Balkenfasern in die Markzungen
der Windungen ist auf anatomischem Wege _ selbstverstindlich
176 Kaspar Schellenberg,
nicht méglich. Aus dem Faserreichtum und der Faserrichtung in
den Markzungen laBt sich aber schlieSen, da Balkenfasern auch
in sie reichlich eintreten.
An dieser Stelle sei auch daran erinnert, daf ein Teil der
zwischen Rostrum und medialer Rinde verlaufenden feinen Fasern
nach vorn ziehen, den Balken umgreifen, um teils in den Faser-
zug der als Stria longitudinalis bezeichnet wird, teils in
das Cingulum tiberzugehen (Pedunculus corporis callosi) (Fig. 45).
Die Strahlung des Rostrums wird auf Frontalschnitten nach
riickwarts successive schmaler, sie trennt sich schlieSlich vom
Balkenkorper, resp. wird hier durch das beginnende Septum pellu-
cidum abgedrangt, um sich etwa in der Schnittebene der vorderen
Kommissur ganzlich zu verlieren, indem die beziiglichen Fasern
in die mediale Rinde der Basis eindringen.
Der vom Balkenknie aus gegen den Frontallappen zustrebende
kompakte Markfortsatz, der Forceps anterior, welcher der
Vorderhornspalte anliegt und von der medialen basalen Rinde des
Frontallappens durch eine schmale Markwand aus Associations-
fasern bestehend getrennt wird, verlauft in gerader Richtung bis
gegen die Frontalspitze hin, um sich allmahlich strahlenartig gegen
die verschiedenen Frontalwindungen, insbesondere in die medialen
zu ergiefen. Dementsprechend wird der beziigliche Querschnitt
frontalwarts successive kleiner, wahrend die dazwischenliegende
Markwand an Ausdehnung langsam zunimmt.
Ein kleinerer, mehr lateral gelegener Fortsatz des Balken-
kniees wendet sich zunachst dorsal von der Vorderhornspitze und
zwar oberhalb eines Faserquerschnittes, welcher scheinbar die
anatomische Fortsetzung des Fasciculus subcallosus darstellt, um
allmahlich mehr lateralwarts sich zu wenden und sich strahlen-
formig in den lateralen und dorsalen Windungen des Frontallappens
aufzulésen. Dieser Abschnitt mischt sich zweifellos mit der Masse
der Stabkranzfaserung, von der er bald nach seinem Abgang ana-
tomisch nicht mehr gesondert werden kann (Fig. 45).
Ob der die anatomische Fortsetzung des Fasciculus sub-
callosus bildende, frontalwarts ein Stiick weit an Umfang zu-
nehmende Faserfortsatz auch noch Balkenfasern in sich aufnimmt,
]aBt sich anatomisch nicht entscheiden; sicher ist indessen, dal
an der ca. 3 cm von der Frontalspitze entfernt liegenden Frontal-
schnittebene im Gebiet des Frontalmarkes und im Centrum ovale
ein miachtiges Faserquerschnittfeld sich abgrenzen laft, in dem
mit Riicksicht auf die verschiedene Schnittrichtung anatomisch
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 177
drei Strata unterschieden werden kénnen: ein mediales, ein
inneres und ein laterales, und daf das mediale fast ausschlieflich
aus Balkenfasern (frontaler Balkenforceps), das mittlere und das
laterale zum kleineren Teil aus Balkenfasern, zum gréBeren Teil
aus dem Stabkranz und dem Fasciculus subcallosus zugehérenden
Fasern sich zusammensetzt. Bis zu einer Entfernung von 2 cm
von der Frontalspitze la8t sich das soeben geschilderte centrale
gemischte Querschnittsfeld (sagittales Frontalmark) noch einiger-
mafien scharf von der tibrigen Markmasse abgrenzen, eine Schei-
-dung in besondere Strata ist aber hier bei dem Faserwirrwarr
nicht mehr moéglich. Die Grenzen verstreichen sich wahrscheinlich
deshalb, weil die Fasern des Fasciculus subcallosus sich hier in
losen Ziigen zerstreuen und zwischen die anderen langen Fasern
des Frontalmarkes hineindringen. Die anatomischen Verhiiltnisse
im Frontalmark liegen somit beim Pferde ahnlich wie beim Men-
schen, bei dem ebenfalls drei Strata des centralen Markes im
Frontallappen sich vorfinden und bei dem die Fortsetzung und
Aufsplitterung des Fasciculus subcallosus frontalwarts in gleicher
Weise vor sich geht. Nur der mediale Forceps ist beim Menschen
wesentlich miachtiger als beim Pferde, wahrend das innere und
das laterale Stratum einen kleineren Querschnitt zeigen, die somit
den Umfang wie beim Pferde nicht erreichen.
Die im Bereich des Parietallappens liegenden Querschnitte
des Balkenkérpers zeigen fast durchweg eine ungefahr gleiche
Dicke, erst gegen das Splenium hin tritt eine Abnahme = ein
(Fig. 46).
Die Art der Faserdurchflechtung des Balkens in der Mantel-
spalte und innerhalb des Centrum ovale ist so ziemlich auf allen
Schnitten eine ganz ahnliche. Man sieht durchweg grébere und
feinere Fascikel des Balkenkérpers sich durchflechten, nur selten
und mehr in occipitalwarts gelegenen Ebenen zeigt sich eine An-
lage von parallelen Fasern. Die Verbreitung der Fasern im Cen-
trum ovale verrat oft eine zierliche Divergenz, so daf die beziig-
lichen Biindel noch stiickweise gegen die lateralen und medialen
Windungen verfolgt werden kénnen.
Es sei noch hervorgehoben, daf der gesamte Balkenkérper,
zumal in der naichsten Umgebung der Mantelspalte, durch mehr-
fach zerkliiftete, longitudinal ziehende Fascikel durchbrochen wird,
die bis in die Ebenen der Commissura hippocampi verfolgt werden
kénnen, wo sie an Zahl eher noch zunehmen. Es handelt sich
da um Faserbiindel, welche dem Fornix dorsalis angehéren.
Bd, XXXIV. N. F. XXVIU. 12
178 Kaspar Schellenberg,
Vom Ende des Balkenkniees ab senkt sich je ein weniger
machtiger Fortsatz als der frontale Balkenforceps, der Forceps
posterior, in den medialen Markkorper. Er spaltet sich, nach-
dem er die Rinde des Gyrus fornicatus durchbohrt hat, in zwei
Anteile (Fig. 47), von denen der miachtigere dorsale sich lateral
und dorsal vom Seitenventrikel schlagt, um sich teils den Win-
dungen der Konvexitat, teils der Occipitalspitze zuzuwenden und
sich dann im Bereich des Querschnittes des sagittalen Occipital-
markes zu verlieren, bezw. mit dessen Fasern zu mischen. In
welchem der drei Strata des Occipitalmarkes die Balkenfasern am -
reichlichsten vertreten sind, ]aBt sich nur annahernd schitzen,
wahrscheinlich senken sich nur wenige in das Stratum sagittale
internum. Zur Balkentapete habe ich vom Forceps posterior aus
entgegen der Annahme Drexuer’s (12) keine Fasern ziehen sehen.
Der andere Teil zweigt medial und basalwarts ab und giebt
unterwegs eine Reihe von Biindeln an die mediale Rinde ab,
wahrend die Grofzahl, dem zuerst erwahnten Anteile an Faser-
zahl nachstehend, sich in occipitaler Richtung dem Seitenventrikel
medial anliegend als isoliertes Biindel successive unter Abgabe
von Fasern an die medialen Windungen erschopft.
An den Balkenwulst legen sich ventral die Fasern der Com-
missura hippocampi an.
V. Das Septum.
Unter Septum pellucidum beim Menschen versteht man die
dem Vorderhorn des Seitenventrikels zugekehrte mediale Hemi-
spharenwand und speziell die lediglich aus weifer Substanz be-
stehende Fortsetzung der Rinde, welche sich nach oben dem
Balken anlegt.
Das Septum pellucidum erfahrt hinsichtlich seiner Ausgestal-
tung in der Saugetierreihe abwirts eine Reihe von Modifikationen.
Wahrend wir beim Menschen zwei durch einen Ventrikelraum
(VerGA’scher V.) geschiedene Markplatten finden, die nur in den
vordersten Ebenen basalwarts in Zusammenhang mit der Rinde
treten, um in occipitaler Richtung basalwarts an die centrale
graue Substanz Anschlu8 zu finden, die ferner in den Ebenen der
Einstrahlung der Fornixsiéule ins Tuber cinereum sich stark ver-
kiirzen, d. h. vor den Schenkeln des Fornix, zwischen diesen und
dem Balken in stark reduziertem Umfange weiter verlaufen, um
Untersuchungen tiber das GrobBhirnmark der Ungulaten. 179
in den vorderen Ebenen des Sehhiigels allmahlich zu verschwinden,
resp. in den Balken tiberzugehen, stellt das Septum pellucidum
bei den Nagern ein Stiick wirklicher Hemisphaérenwand mit Rinde
dar und finden sich hier die Markfasern gegentiber der grauen
Substanz in einer betrachtlichen Minderzahl. Die graue Substanz
des Septums reicht dort bis zum Balken und ein Ventrikel zwischen
den beiden Septumblattern laBt sich nirgends konstatieren.
Das Ungulatengehirn zeigt beztiglich der Bildung des Septums
Verhaltnisse, die zwischen denen des Menschen und denen der
Nager liegen. Das Septum pellucidum beim Pferde nimmt seinen
Anfang an der occipitalwarts konkaven Kriimmung des Balken-
rostrums. In den vordersten Ebenen sieht man nur eine sehr
schmale Markwand des Septums, in welcher ein Ventrikel nicht
nachweisbar ist. Eine genauere Scheidung seiner Fasern vom
Rostrum ist anatomisch nicht gut médglich. Auch beim Pferde
sieht ‘man wie beim Menschen einen successiven Uebergang der
Septumfasern in die mediale Hemisphirenwand, so da das Septum
und die Rinde die mediale Wand an der Vorderhornspalte dar-
stellen. Nur ein kurzes Stiick des Septums besteht lediglich aus
Markfasern, der gré8te Teil setzt sich ahnlich wie bei den Nagern aus
der Rinde der medialen Hemisphirenwand zusammen. Mit dieser
letzteren tritt das Septum in engere Beziehungen, um sich dann
vor den Fornixschenkeln und mit diesen nach oben und occipital-
warts gegen den Balken hin fortzusetzen und sich nach Bildung
einer diinnen, kurzen, Jongitudinal gestellten Scheidewand zwischen
Fimbria und Balken allmahlich in diesem zu erschépfen. Der
verdiinnte, lediglich aus weifer Substanz bestehende Abschnitt des
Septums besitzt beim Pferde im Maximum eine Dicke von 3 mm
(beide Wande) am geharteten Gehirn. Bei der Ziege und beim
Schafe ist die doppelseitige Wand selbstverstandlich wesentlich
diinner und betragt ca. 0,8 mm (Fig. 50, 53).
Das Septum pellucidum stellt in seinem Markabschnitt Faser-
verbindungen dar, die aus recht verschiedenen Komponenten be-
stehen und unter denen die Bestandteile des Fornix den Haupt-
bestandteil ausmachen.
Wie bereits friiher bemerkt, sieht man in jeder Halfte der
medialen Hemispharenwand basalwirts die Rinde teils durch-
querende, teils in derselben sich zerstreuende Biindel, die auf
Frontalschnitten meist der Linge nach getroffen werden. Manche
derselben endigen in der Rinde an der Basis (Olfactoriusrinde)
12%
180 Kaspar Schellenberg,
und im centralen Hohlengrau der Umgebung des Chiasma opticum
oder nehmen von dort ihren Ursprung (Pedunculus septi pellucidi).
Auch K6LiLIkER (34) konnte beim Kaninchen diese Biindel
bis zum Lobus olfactorius hin verfolgen. Die zahlreichen Ganglien-
zellenhaufen, welche im verdickten Septum und im Tuberculum
olfactorium sowie in der Area perforata vorhanden sind, werden
auch bei Ungulaten von diesen Biindeln férmlich umsponnen. Dab
auch Fasern des Septums noch weiter nach riickwairts bis zur
Amygdala, zum Temporallappen oder gar zum Thalamus ziehen,
wie HoneGGer (31) und E. Smirx (67) annahmen, kann ich nach
meinen Untersuchungen bei Ungulaten nicht bestitigen. Ebenso-
wenig war ich imstande, eine Verbindung der Septumfaserung zur
Spitze des Gyrus hippocampi zu finden. Meine Befunde bei den
Ungulaten schlieBen sich beziiglich der basalen Endigung der
Septumfaserung (vorderes Ringbiindel von ZieHEN [76] und Fasci-
culus praecommissuralis von E. Smira [67], Pedunculus septi)
vollstandig an diejenigen von K6nLuinikeEr (34, 35) (Katze, Kanin-
chen, Maus) und ZieHEN (76) (Monotremen und Marsupialier) an.
Nach oben verbreiten sich die Septumfasern an den Seiten-
teilen, dringen zwischen die Balkenfasern ein und durchqueren
diese. Die bis zum Balkenknie sich erstreckenden Fasern ent-
sprechen dem nasalen Gewolbeschenkel, den Martin (47) bei der
Katze beschrieben hat. Ein kleinerer Faseranteil des Septums
durchsetzt den Balken in der Medianlinie; ein gréferer Anteil
schiebt sich, wie ich mich mit aller Deutlichkeit iiberzeugt habe,
gegen die Basis des Gyrus fornicatus hin, indem er durch die
Balkenfasern sich schrag nach oben Bahn bricht. Die zuerst er-
wahnten Faserbiindel schlieBen sich den Striae longitudinales an,
die letzteren lateralen verlieren sich im Marke des Gyrus forni-
catus und gegen das Cingulum hin.
Aus der Richtung der Fasern im Frontalschnitt lift sich der
Verlauf der den Balken perforierenden und der iibrigen Septum-
fasern annahernd erkennen. Im vorderen Abschnitte des Septums
ziehen die Biindel mehr senkrecht zum Balken, wahrend die mehr
occipital gelegenen Abschnitte einen mehr der sagittalen Richtung
sich nahernden Verlauf annehmen und sich der Faserung des
Fornix dorsalis auflagern. Ich habe in keinem Falle eine Kreuzung
der Septumfasern erkennen kénnen. Wenn sich der eigentlichen
Septumfaserung gekreuzte Fasern beimischen, so gehéren diese
dem Fornix an.
A. Meyer (48) bringt in seiner Arbeit p. 477 die Bemerkung,
Untersuchungen tiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 181
daf die graue Substanz des Septums nicht den Charakter der
Rinde aufweise. Demgegentiber méchte ich hervorheben, daf die
graue Substanz des Septums den Charakter der Rinde der medialen
Hemisphirenwand bei Huftieren ganz ausgesprochen zeigt (Schichten
pyramidenformiger Zellen verschiedenen Umfangs). Aber auch fiir
das Kaninchen und die Katze liegen die naimlichen Verhiltnisse
vor wie bei den Ungulaten. Von einem Bau, wie er in den
centralen Ganglien vorhanden ist, kann bei dem Rindeniiberzug
der Septumwand nirgends die Rede sein, doch ist einzuraéumen,
dali die Rinde des Septums successive in die Area perforata
tibergeht.
Auch DEXxLEr (12) betrachtete die graue Substanz des Septums,
die er als besonderen Nucleus septi pellucidi zusammenfabte, als
eine vom Kopfe des Streifenhiigels abgespaltene Partie. Daf es
sich jedoch hier um eine richtige Hirnrinde handelt, ist oben be-
reits hervorgehoben worden.
Mit Bestimmtheit konnte ich mich davon iiberzeugen, daf
zerstreute, sowohl dem Septum als der Fornixformation entstam-
mende Biindel da und dort in die Balkenfaserung sich er-
gieBen, resp. den Balken mit aufbauen helfen. Diese wurden von
HonreGGER (31) und spiter auch von A. MEYER (48) bestritten,
meiner Ansicht nach aber mit Unrecht. In dieser Frage muf ich
mich auf die Seite von GANSER (25) und KOLLIKER stellen, die
den meinigen ahnliche Beobachtungen am Maulwurf (GANSER) und
an Kaninchen, Katzen und am Menschen (KO6LLIKER) mitgeteilt
haben. Auch Brevor (3) beobachtete bei Affen, dafi die Septum-
fasern den Balken durchbrechen.
Wohin die aus dem Septum kommenden und den Balken
perforierenden Fasern ziehen, la8t sich auf anatomischem Wege
selbstverstindlich mit Bestimmtheit nicht feststellen, wohl aber
lat sich ein Uebergang solcher Fascikel bei allen untersuchten
Ungulaten und zumal an Pat-Priparaten mit aller gewiinschten
Sicherheit erkennen. Ich halte bestimmt dafiir, daB die beziig-
lichen Biindel sowohl zur Stria longitudinalis ziehen, als auch in
noch gréferer Zahl im Gyrus fornicatus sich zerstreuen (Anteile
des Fornix dorsalis).
Die Angabe K6LLIKER’s (35), daf die in der Medianlinie des
Balkens perforierenden Biindel ausschlieBlich zur Fornixsaule ziehen,
die lateralen dagegen, d. h. die zum Gyrus fornicatus abzweigen-
den, ausschlieSlich zur Septumfaserung (Riechstrahlung ZucKkeEr-
KANDL’s) gehoren, trifft fiir die Ungulaten nicht zu. Woher diese
182 Kaspar Schellenberg,
lateralen Fibrae perforantes kommen, dariiber giebt KOLLIKER nur
Vermutungen an. Neben den zum Fornix dorsalis (F. superior
KO6LLIKER’s) gehérenden Fasern, welche die Gro8zahl der Septum-
fasern in sich schlieSt, entstammt eine geringere Zahl aus dem
Fornix ventralis (inferior K6LLIKER’s). Daneben handelt es sich
meines Erachtens wie in anderen anatomisch geschlossenen und
scheinbar einheitlichen Faserziigen noch um wechselnde und ver-
schiedenartige Bestandteile, deren weitere Zusammensetzung auf
rein anatomischem Wege nicht erschlossen werden kann.
Aus der Arbeit von F. RurisHauser (63) (sekundare Degene-
ration nach doppelseitiger Abtragung des Frontalendes und der
basalen Abschnitte) geht hervor, da’ das Septum pellucidum des
Affen von dem basalen Rindengebiet des Frontallappens abhangig
ist und da die beziiglichen Biindel, welche den Schnabel des
Balkens durchbohren, zur Stria longitudinalis ziehen und mit dem
Gyrus fornicatus in Verbindung treten. Im weiteren ergiebt sich
aus dieser Arbeit, daf der Gyrus fornicatus und die Stria longitu-
dinalis eine Ursprungsstelle des Fornix dorsalis darstellen. Eine
noch feinere Analyse der Septumfaserung la8t sich indessen aus
dem Versuche von RUTISHAUSER nicht ableiten.
Daf die Septumfasern thatsichlich mit ihrem Rindentiberzug
in engem Zusammenhang stehen und somit Projektionsfasern ent-
halten, geht aus einem Versuchsergebnisse v. Monakow’s (55)
mit Bestimmtheit hervor. v. Monakow fand namlich bei einem
einer Hemisphaire beraubten Hunde im Anschluf an die Verletzung
der basalen Partie die gleichseitige mediale, das Septum noch ent-
haltende Hemisphirenwand teilweise und die Septumfasern selbst
atrophisch. Es ist dies ein Befund, welcher dem RuTISHAUSER-
schen ganz an die Seite zu stellen ist.
VI. Der Fornix.
Wie bereits friiher hervorgehoben wurde, zeigt das Ammons-
horn bei den Ungulaten einen ganz ahnlichen Bau wie bei den
Carnivoren. Es stiilpt sich die hintere Partie des Sehhiigels um-
fassend in den Seitenventrikel hinein und es erstreckt sich die
dem Sehhiigel dorsal anliegende Partie ungefahr bis zu den
vorderen Ebenen des Sehhiigels (ventraler Hippocampusbogen),
(Fig. 46, 54), indem sie sich von der Mitte des Sehhtigels an
langsam erschépft, resp. um das Balkensplenium herum auf die
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 183
Oberfliche des Balkens sich umschligt (dorsaler Hippocampus-
bogen). Der dorsale und der unter dem Balken liegende umge-
knickte Teil der Ammonsfalte sind jedoch bei Ungulaten stark
reduziert infolge der bedeutenden Entwickelung des Balkens
gegentiber der gleichen Bildung bei Marsupialiern.
Die dem Sehhiigel zugekehrte Rinde des Ammonshorns der
einen Hemisphire geht mit einer breiten Platte ohne Unter-
brechung in die Rinde der anderen Hemisphare iiber. Es ist
dieser basale Rindeniibergang (Uebergangswindung der Fascia
dentata) dem dorsal vom Balken gelegenen, wo die Rinde eines
Gyrus fornicatus in diejenige des anderen tibergeht, an die Seite
zu stellen (Fig. 46, 54). i
Aus dem Ammonshorn und zwar sowohl aus dem Alveus als
im kleineren Umfange aus dem Subiculum laft sich ein nach vorn
stetig wachsender die Ammonshornrinde begleitender Faserzug
verfolgen. Es ist das die basale Wurzel der Fimbria, welche von
dem in den Seitenventrikel eingestiilpten Teil des Ammonshorns
fortwaihrend neuen Faserzuzug erhalt und das hinterste Ende des
Fornix ventralis darstellt (Fig. 46, 51, 54).
In den Ebenen durch die hinteren Abschnitte des duberen
Kniehéckers sieht man bereits ventral vom Balkensplenium und
von diesem anatomisch schwer zu trennen eine michtige Faser-
kommissur, welche die beiden Ammonshérner miteinander ver-
bindet. Diese Ammonshornkommissur, Commissura hippocampi
(Psalterium dorsale), welche nur unscharf von den lokal hinzu-
tretenden Fasern der Fimbria zu sondern ist, nimmt ihren Ur-
sprung, soweit man tibersehen kann, gréBtenteils aus dem Alveus.
Einige Millimeter weiter nach vorn zeigt sich eine scharfere
Sonderung der Kommissur von dem Anteil des Fornix dorsalis
(Fornix longus von FoREL), welcher zwischen Balken und Kom-
missur gelagert eine longitudinale Richtung einschlagt, wahrend
die Kommissurenfasern, die nach vorn an Zahl stetig abnehmen,
quer zur anderen Seite verlaufen (Fig. 46, 51, 54).
Wahrend nun die Commissura hippocampi etwas mehr fron-
talwairts sich allmahlich erschépft, zieht die Masse des Fornix
dorsalis frontalwarts, stetig wachsend, aber ventralwarts noch von
der Ammonsrinde und dorsal vom Balken umschlossen, bis sie sich
in den Ebenen des Corpus Luysii (Frontalschnitte) mit dem von
der Basis des Ammonshorns herkommenden Anteil der Fimbria
vereinigt.
Der von der basalen Partie des Ammonshorns herkommende
184 Kaspar Schellenberg,
Teil der Fimbria legt sich der in den Seitenventrikel eingestiilpten
Partie lateral an und findet sich somit im Winkel zwischen dem
Schweif des Nucleus caudatus und dem Fasciculus subcallosus der
Hemisphire anliegend. In den vordersten Frontalebenen des
Ammonshorns liegt der ganze Querschnitt der Fimbria nebst dem
Fornix dorsalis vereinigt da, immerhin Jat sicht letzterer als ein
unpaariges, in der Medianlinie und oft nur durch ein kurzes Sep-
tum vom Balken getrennt liegendes Biindel rein quergeschnittener
Fasern ziemlich scharf von der Umgebung abgrenzen. Der seitlich
vom Fornix dorsalis liegende Fimbriaanteil bildet einen leichten
Haken (Fig. 49), auch sieht man auf einer Reihe weiter nach
vorn liegender Schnittebenen deutlich eine Kreuzung von der
einen Seite zur anderen und ventral vom Fornix dorsalis ver-
laufen. Es werden demnach die am meisten medial gelegenen
Fasern der Fimbria der Linge nach getroffen (Psalterium ventrale)
(Fig. 49).
In den vordersten Ebenen des Sehhiigels vereinigen sich die
beiden basalen Anteile der Fimbria zu einer im Querschnitt lang-
lich-ovalen, beim Pferde ca. 15 mm breiten und etwa 3 mm
dicken Markplatte. Der Fornix dorsalis, welcher als unpaariger
runder Querschnitt ventral vom Balken liegt, strebt in dieser
Richtung frontalwarts, wird jedoch bald von dem nach rickwarts
sich vorschiebenden Septum vom Balken abgedraingt. Die Fasern
des Fornix dorsalis durchbrechen in verschiedenen Hoéhen den
Balken bis zum Wulste hin, indem sie je in die linke und rechte
Balkenhilfte mit feinen Fascikeln eindringen. Es nimmt somit
der Fornix dorsalis, wie friiher schon angedeutet wurde, aus dem
oberen tiber dem Balken umgeschlagenen Hippocampusbogen und
aus der dem Balkensplenium zugekehrten Rinde des Ammonshorns
seinen Ursprung.
Auf diesem vergleichend anatomisch durchaus richtigen Ge-
sichtspunkte iiber den Ursprung der Fornixfaserung aus dem
Hippocampusbogen basiert auch die von E. SmirH (67) aufgestellte
Einteilung des Fornixsystems, die ich als fiir die Ungulaten durch-
aus zutreffend acceptieren méchte. Sie fallt im wesentlichen mit
der von K6LLIKER (34) aufgestellten Einteilung zusammen. Ks
enthalt demnach der Fornix ventralis gekreuzte und ungekreuzte
Fasern, die bei der Balkenentwickelung nicht beriihrt werden und
aus dem hinteren Hippocampusbogen stammen (Fimbria), wahrend
die Fasern des Fornix dorsalis, die ungekreuzt sind, durch die
Untersuchungen itiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 185
Balkenentwickelung in ihrem Verlaufe gestért werden, d. h. den
Balken perforieren miissen.
Vor der Abzweigung der Fimbria in die Fornixschenkel findet
die Kreuzung der Fasern des Fornix ventralis statt.
Bekanntlich hat GuppEN (28) dieses gekreuzte Biindel beim Ka-
ninchen experimentell abgegrenzt. Bei den Ungulaten ist die Zahl
der die Medianlinie tiberschreitenden, sich kreuzenden Fasern ver-
haltnismafig sehr machtig und auf eine grofe Reihe von Schnitten
verteilt; es besteht also eine langgezogene Kreuzung, wie das
bereits von ZieHEN mit Recht hervorgehoben wurde. Die Kreu-
zung beginnt bei den Ungulaten unmittelbar vor dem Ammonshorn
und erst nach Vollendung der Commissura hippocampi. Die mehr
medial gelegenen Biindel der Fimbria kreuzen sich zuerst, die
darauf folgenden in mehr frontalgelegenen Kbenen und die am
meisten lateralzichenden sind héchst wahrscheinlich die Bestand-
teile des oberen gekreuzten Fornixbiindels von GuppEN, welche
am meisten frontal vor dem Uebergang in die Fornixschenkel
kreuzen. Somit erstreckt sich die Kreuzung der Fimbria wesent-
lich weiter als die kleine Kommissur der Ammonshérner, welch
letztere in der Saiugetierreihe aufwarts bestandig an Faserreichtum
zuriickgeht. Auf Frontalschnitten ist beim Pferde nirgends die
Kreuzung neben der Kommissur zu treffen, wie das beim Kaninchen
der Fall ist.
Endlich sei noch einmal hervorgehoben, daf die hintere Partie
des Balkenspleniums bei den Ungulaten wie bei anderen Saugern
nicht nur Balken-, d. h. Mantelfasern, sondern auch in sehr reicher
Menge Ammonshornfasern enthalt und zwar sowohl solche, die der
Commissura hippocampi angehéren, als auch Anteile, die vom
Fornix dorsalis zum oberen Hippocampusbogen ziehen.
Neuere Autoren (SmitH [67], Zienen [76]) nehmen an, dal
die Commissura superior der Monotremen und Marsupialier teils
dem Balken, teils der Commissura hippocampi der héheren Saiuger
entspreche. In der That gehen beide Anteile am Splenium in
einander iiber und es verlaiuft auch bei den Ungulaten die Com-
missura hippocampi ventral an das Splenium anschliefSend in einer
Weise, daS eine anatomische Scheidung zwischen ihr und dem
Balkensplenium unméglich ist. Die Ausdehnung der Commissura
hippocampi betragt in frontaler Richtung beim Pferde 15 mm,
bei den anderen Ungulaten ist sie entsprechend kleiner, am_ kiir-
zesten beim Schweine (8 mm).
Der Annahme Honeccer’s (31), dal das Tapetum Fasern
186 Kaspar Schellenberg,
aus dem Fornix dorsalis in sich aufnehme, kann ich nicht bei-
stimmen, ebensowenig wie derjenigen Annahme desselben Forschers,
daf der Fornix dorsalis in irgendwie nachweisbarer Weise an
der Bildung des Fasciculus subcallosus beteiligt sei. Ich habe
auf diese Punkte hin wiederholt die Praiparate mit aller Sorgfalt
durchgesehen und eine anatomische Grundlage fiir diese Annahme
nicht finden kénnen. Uebrigens stehen der HonEeGGEr’schen An-
nahme auch meine spéiter mitzuteilenden experimentellen Befunde
entgegen.
Die Masse der Fimbriafasern wendet sich immer noch nicht
scharf paarig tiber dem vordersten Abschnitte des Sehhiigels wie
bei allen héheren Saéugern basalwarts; sie giebt auf dieser Wan-
derung eine Menge von Fasern ans Septum und an die mediale
Hemisphaérenwand ab. Hervorzuheben ist besonders, dafi sich die
anschlieSenden Fornixschenkel bei den Huftieren infolge der fron-
talen Entwickelung des Ammonshorns, das sich ja unter dem
Balken bis auf die Mitte des Sehhiigels nach vorn schiebt, gegen-
tiber den gleichen Gebilden beim Menschen auferst verkiirzt
haben. Sie durchschneiden kurz vor dem Eintritt der vorderen
Kommissur die mediale Hemisphirenwand der Lange nach, schei-
den sich da links und rechts je in ein getrenntes Biindel, welches
in die eigentliche Fornixsaule fortsetzt. Die Fornixséulen biegen
nach riickwarts um und verlaufen hinter der vorderen Kommissur
gegen das centrale Héhlengrau und das Tuber cinereum (Fig. 53,
49). Ueber die weiteren Schicksale der gekreuzten und unge-
kreuzten Biindel der Fornixsiule (Fasciculus postcommissuralis
von SmitH, Fasciculus anularis posterior von ZIEHEN) kann ich
hier nicht naher eintreten, nur soviel sei hervorgehoben, dal der
Gesamtfaserquerschnitt der absteigenden oder Tuber cinereum-
Wurzel successive occipitalwarts gegen das Corpus mamillare zu
sich erschépft und in den vordersten Ebenen des Sebhhiigels beim
Pferde ungefahr die Ausdehnung der menschlichen Fornixsaule an-
nimmt. Bei den iibrigen Ungulaten ist sie entsprechend kleiner.
Von Honeaaer (31) ist die Behauptung aufgestellt worden,
da8 von der Fornixsiule an die Taenia thalami bei Ungulaten ein
Faserbiindel abgehe. Auch fiir diese Annahme konnte ich be-
stimmte anatomische Anhaltspunkte bei den Ungulaten nicht ge-
winnen. Ich halte dafiir, da’ sich HONEGGER einige Verwechs-
lungen zu schulden kommen lief. Sicher ist, daf der von
HonrEGGER angenommene Uebergang beim Menschen wenigstens
nicht besteht. An einem Falle von totaler Vernichtung einer
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 187
Fornixsiule und der gleichseitigen Fimbria konnte ich namlich an
jener bereits von v. MonaAkow anderen Orts (54) mitgeteilten
Schnittreihe mich tiberzeugen, daf die Zahl der Fasern der Taenia
thalami wie auch der untere Sehhiigelstiel auf der Seite der feh-
lenden Fimbria ebenso grof war wie auf der gesunden Seite.
Ebensowenig stehen auch die Fasern der Stria terminalis mit
denen der Fornixsiule in Verbindung.
VII. Striae longitudinales.
Unter dem Lancrsi’schen Streifen oder den Striae longitudi-
nales (Gyrus supracallosus ZUCKERKANDL’S, Taenia tecta, Indusium
griseum) versteht man einen sagittal verlaufenden Zug feiner
Fasern, welcher tiber der Medianlinie des Balkens einherzieht
und noch von einer diinnen Schicht Rindensubstanz bedeckt ist,
die in der Tiefe der Fissura corporis callosi lateralis mit der
Rinde des Gyrus fornicatus zusammenhangt. Der Anfang dieses
Biindels, welches zwischen den seitlichen paarigen Teilen (Striae
laterales) einen mittleren unpaaren (Stria medialis) einschlieSt
(Fig. 46, 52), kann schon in den vordersten Teilen des Balkens,
wo es ventral um das Knie umbiegt und gegen die frontale me-
diale Hemisphaérenwand ausstrahlt, erkannt werden. Es hat alle
Wahrscheinlichkeit, dafi dieses um das Balkenknie umbiegende
Striabiindel (Pedunculus corporis callosi, Fasciculus marginalis
E. Smira (67), das der medialen Abteilung des Forceps anterior
aufliegt, mit dem centralen Riechmarke in Verbindung steht (Fig. 48).
Auch mischen sich die in gleicher Weise umbiegenden Cin-
gulumfasern mit denen der Stria, so daf sie beide in ihrem Ver-
laufe gegen die basale Olfactoriusrinde hin auch beziiglich ihres
Ursprunges nicht zu trennen sind. K6LLIkER (35) hat bereits
die Ansicht ausgesprochen, daf Cingulum und Striae longitudinales
als zusammengehorige Biindel zu betrachten seien und das Cin-
gulum selbst nur als ein einfacher Ableger der Striae anzusehen
wire, der im Gyrus fornicatus eingeschlossen ist. Es erscheint
mir diese Auffassung fiir die Verhaltnisse der Ungulaten durch-
aus zutreffend.
Was die Bogenfasern der Striae, welche von der Oberflache
des Balkens her das Balkenknie nach vorn und unten umziehen,
anbetrifft, so bilden diese im ferneren bei Ungulaten noch einen
betrachtlichen Anteil, der sich von vorn her der Septumfaserung
188 Kaspar Schellenberg,
anschliefSt und mit dieser in ununterbrochener Reihe an der me-
dialen Hemispharenrinde endigt, sowie nach riickwarts sich bis
zur Area perforata erstreckt. Es kreuzen somit diese Bogenfasern
der Striae mit denen des Septums unter spitzem Winkel und bei
den Ungulaten in gleicher Weise, wie es KOLEIKER (35) bei der
Katze beobachtet hat.
Occipitalwarts ist die Stria stets in gleicher Weise dem
Balken aufgelagert und mit diesem bis zum Splenium zu verfolgen,
wo sie sich der Fascia dentata zuwendet und in diese umbiegt.
Wihrend ihres Verlaufes wachst sie von vorn nach hinten be-
stiindig.
Gegeniiber Honracer (31), der die laterale Stria aus dem
Subiculum cornu Ammonis hervorgehen lief, mu ich hier auf die
Untersuchungen von K6LLIKER (34, 35) (Kaninchen, Katze) sowie
auf meine Ergebnisse, die beziiglich des Ueberganges des Sub-
iculums iibereinstimmen, zuriickgreifen und am Uebergang des
Subiculums auf den Gyrus fornicatus unbedingt festhalten. Auch
sprechen fiir unsere Ansicht die phylogenetische (Smrrn [68],
ZIEHEN [76]) und die ontogenetische Entwickelung (Martin [47]).
Die Striae erreichen im lateralen Abschnitt und in mehr
hinteren Ebenen beim Pferde eine Héhe von 1—2 mm, bei den
kleineren Ungulaten nur 0,6—0,8 mm. Die Stria medialis ist be-
deutend diinner und betragt in der Dicke nur 0,1—0,2 mm.
Beziiglich der Rinde der dorsalen und medialen Hemispharen-
wand ist hervorzuheben, dafi sie im Gegensatz zu den Verhilt-
nissen beim Menschen bei den Ungulaten in der Medianlinie des
Balkens eine Unterbrechung nicht erfaihrt, so da der Boden des
Sulcus longitudinalis von den ersten Ebenen des vereinigten
Spleniums mit der Hippocampuskommissur an bis zu den Ebenen
der absteigenden Fornixsiule von einer Rindenschicht ausgekleidet
ist, die von einem Gyrus fornicatus zum anderen tibergeht. Diese
Rindenschicht nimmt mit den Fasern der Striae von vorn nach
hinten an Dicke zu. Bein Menschen ist sie auSerordentlich diinn
(Indusium griseum). Bei den Ungulaten nimmt sie gegen das
jalkenknie hin ab und verschwindet beinahe vollstindig, so daf
nur noch eine einheitliche Markfaserlage den vordersten Teilen
des Balkens aufgelagert ist (ig. 52).
Die Fasern der Striae longitudinales sind sehr fein, ihre
Richtung ist bei der GroSzahl keine rein sagittale, insbesondere
iiberwiegen in der medialen Stria die schief und senkrecht zum
Balken verlaufenden Fasern. Es stehen diese senkrechten Biindel
Untersuchungen tiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 189
wahrscheinlich mit den Fibrae perforantes des Fornix dorsalis in
Verbindung. Der Faserreichtum der lateralen Stria ist ein be-
deutend gréferer als in der medialen Abteilung, auch prasentiert
sich die graue Rinde der lateralen Stria mit einem oberen und
einem unteren, dem Balken aufliegenden Markbelag als eine kleine
langsziehende Windung, deren oberer Markbelag an die Zonal-
schicht des Gyrus fornicatus anschlieft, waihrenddem der untere
zu dem direkt anliegenden Cingulum Fasern austauscht. Eine
Faserverbindung zum Fasciculus longitudinalis superior habe ich
nicht gesehen.
VIII. Die langen Associationsbiindel.
Als Fasciculus subcallosus (Murarorr) (Fig. 46—54)
(Fasciculus occipito-frontalis von ForEL und ONurrowicz)_ be-
zeichnet man in neuerer Zeit einen longitudinal verlaufenden,
zwischen dem Streifenhiigelkopf und dem Balken legenden und
teilweise die laterale Wand des Seitenventrikels bildenden Faser-
zug, der sich aus der Balkentapete langsam herausditferenziert
und bis in den Stabkranz des Frontallappens zu verfolgen ist.
Hier pflegt er sich in den Markmassen des Centrum ovale auf-
zulésen.
Bei allen untersuchten Ungulaten prasentiert sich der Faser-
zug als ein von der inneren Kapsel und von den umgebenden
Biindeln anatomisch scharf abgegrenzter Faserstrang. Beziiglich
der Dicke steht er zwar dem Fasciculus longitudinalis inferior
bedeutend nach, hinsichtlich seiner Linge tiberragt er ihn bei
weitem. Er lat sich frontalwarts, durch Fasern verstirkt, den
Streifenhiigel dorsal begleitend, bis zum Beginn des Ventriculus
olfactorius verfolgen, d. h. beim Pferde bis zu einer Entfernung
von 3 cm von der Frontalspitze. Der Querschnitt sondert sich
von dieser Ebene an immer scharfer von der Umgebung ab, wird
auch gleichzeitig etwas kleiner. Er erreicht in den Ebenen des
Uebergangs des Vorderhorns in den Ventriculus olfactorius beim
Pferde einen Umfang von 4 mm Dicke und 4 cm Hohe. Diese
Ausdehnung nimmt von den Ebenen des Septums an rasch ab,
er behalt dann dieselbe Dicke bis zum Uebergang in die Balken-
tapete, d. h. bis zur Uebergangsebene des Seitenventrikels ins
Unterhorn. Hier prasentiert er sich als sogen. Balkentapete, ein
die ganze laterale Wand des Seitenventrikels auskleidender Quer-
190 Kaspar Schellenberg,
schnitt, der basalwarts in ein schmales Band quergetroffener, die
Wand des Unterhornes bedeckender Faserbiindel iibergeht. Hier
ist tiberhaupt eine deutliche Trennung zwischen Tapete und Fas-
ciculus subcallosus nicht mehr moéglich; es lat sich hier leicht
iibersehen, daf der als Tapete bezeichnete Abschnitt nur das ins
Unterhorn umbiegende hintere Teilstiick des Fasciculus subcallosus
darstellt (Fig. 47).
Was die Faserbestandteile des F. subcallosus, welcher dem
menschlichen viel machtigeren Fasciculus occipito-frontalis ent-
spricht, anbetrifft, so scheinen diese durchaus nicht einheitlich zu-
sammengesetzt zu sein. Zu einem gewissen Grundbestand von
echten langen, vom Occipital- bis zum Frontallappen ziehenden
Associationsfasern tritt zweifellos ein fortwihrender Zu- und Abfluf
associativer Biindel aus der Umgebung hinzu, die insbesondere
von den lateralen Windungen her den Stabkranz durchbrechen und
auch in den Streifenhiigel sich einsenken. Zur Balkenstrahlung
bestehen keine auffalligen Faserbeziehungen.
Die den F. subcallosus begleitende Substantia gelatinosa cen-
tralis ist bei den Ungulaten weniger umfangreich als beim Men-
schen; sie liegt zwischen die Faserfascikel eingestreut und zeigt
eine wechselnde Machtigkeit. Sie begleitet das Biindel in seiner
ganzen Lange des Verlaufs.
Abgesehen vom F. subcallosus, welcher die Hauptverbindung
zwischen dem Occipital- und Frontallappen darstellt, finden sich
bei Ungulaten noch zwei lange, sagittal verlaufende Associations-
biindel in der medialen Hemisphirenwand der Konvexitat, namlich
das Cingulum und ein noch unbenanntes Biindel von
Fasern, welche die marginale Windung durchziehen.
Das Cingulum ist als ein sagittales Biindel ziemlich gut
bei allen Ungulaten abzugrenzen. Seine Fasern ziehen im Marke
an der Basis des Gyrus fornicatus, durchbrechen die Querbiindel
des Gyrus und sind von den Ebenen des Balkenwulstes an bis
iiber das Balkenknie hinaus gegen die mediale Rinde am Gyrus
rectus und Lobus olfactorius hin zu verfolgen. Ueberdies giebt
das Cingulum zur Rinde des Gyrus fornicatus und an die Stria
lateralis Fasern ab, auch sendet es in seiner ganzen Linge, wie
friiher schon erwihnt, Fascikel, welche den Balken durchbrechen,
zum Fornix dorsalis und zur Septumfaserung (Fig. 46, 51—54).
Auch dieses, wie man sieht, aus ziemlich verschiedenen Kom-
ponenten sich zusammensetzende Associationsbiindel behalt inner-
halb des ihm zugewiesenen dreieckigen Querschnittareals von hinten
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 191
nach vorn so ziemlich denselben Umfang bei. Wahrend die Fasern
des F. subcallosus ein feines Kaliber zeigen, fallt die relative
Derbheit der Fasern des Cingulums auf.
In occipitaler Richtung biegen seine Fasern hinter dem Balken-
wulste basalwarts und dringen gegen die mediale Rinde in der
Richtung des Ueberganges des Gyrus fornicatus auf den Gyrus
hippocampi vor (Fig. 47).
Das marginale Langsbiindel, wie ich es benennen will,
stellt keinen scharf begrenzten Strang dar, sondern setzt sich
mehr aus zahlreichen zerstreut liegenden sagittalen Biindelchen
zusammen. Ueber ihren Ursprung und ihr Ende 1Jaft sich bei
der Durchmusterung der Querschnittserien wenig Sicheres sagen,
doch unterliegt es keinem Zweifel, da’ es sich auch hier teilweise
wenigstens um ziemlich lange Associationsbiindel handelt, die, im
Gyrus marginalis gelegen, bis in die vordersten (erste Stirn-
windung) Abschnitte des Frontallappens vordringen, wofiir spiater
zu besprechende experimentelle Eingriffe bei der Ziege beweis-
kraftig erscheinen.
Es handelt sich da offenbar um die namlichen sagittalen
Fasern, welche v. Monakow (54) im Gyrus marginalis der Katze
beschrieben hat, die ebenfalls in diinnen Fascikein die Fasermasse
des Gyrus marginalis durchbrechen und nach Abtragung des
Occipitallappens bis ins Frontalhirn, resp. bis in den Gyrus sig-
moideus in toto atrophieren.
Ein eigentlicher Fasciculus arcuatus ist bei den Un-
gulaten nicht nachweisbar. An der der Gegend des F. arcuatus
des Menschen entsprechenden Partie (Sylvische Windung, Insel)
finden sich eine ganze Reihe von sagittal verlaufenden Biindeln
vor, dieselben lassen sich aber von den Fasern der auferen Kapsel
und dem Stabkranz als gesondertes Faserbiindel nicht abtrennen.
Ganz abnlich verhalt es sich mit dem Fasciculus unci-
natus, der bei der Besprechung der aufSeren Kapsel noch kurz
beriihrt werden soll. Wenn ein F. uncinatus besteht, so ist er
jedenfalls bei den Ungulaten auferordentlich diirftig entwickelt.
Der laterale Teil des Balkens wird allem Anschein nach von
sagittal verlaufenden Faserbiindeln durchbrochen, die fascikelweise
angeordnet sind und die méglicherweise nicht alle zur Stabkranz-
faserung gehéren. Bei der Betrachtung der Schnitte drangt sich
die Annahme auf, da’ auch hier Fasern in ganz ahnlicher Weise
wie im Fasc. subcallosus in frontaler Richtung ziehen, bezw. dal
vom F. subcallosus abgesprengte Biindel den Weg zwischen Cin-
192 Kaspar Schellenberg,
gulum und Stabkranzfaserung nehmen. Als Fasciculus lon-
gitudinalis superior wire am besten die Gesamtheit aller
sagittal zum Frontallappen verlaufender Fasern zu bezeichnen,
d. h. die kurz erwihnten Fasern, das Cingulum, der Fascic. sub-
callosus und das marginale Lingsbiindel. Wie viele von diesen
Biindeln schlieSlich noch Fasern zum Querschnitt der Balkentapete
abgeben, laft sich nur ganz oberflachlich schaitzen, jedenfalls wird
es nur von einem kleinen Bruchteil zutreffen.
Fasciculus longitudinalis inferior.
Verfolgt man eine Frontalschnittreihe vom Occipitalende in
frontaler Richtung, so findet man im Centrum ovale, ja schon
etwa 2 cm vom Occipitalpol entfernt ein ziemlich umfangreiches
Feld sagittal verlaufender Fasern ganz aihnlich wie beim Menschen,
das sich successive teils nach seiner naiheren Verlaufsrichtung,
teils nach dem Faserkaliber und der Dichtigkeit der Fascikel
in besondere Strata abgrenzen lat. Beim Auftreten der Sub-
stantia gelatinosa centralis, welche bei den Ungulaten dem Hinter-
horn beim Menschen 6rtlich entspricht, sieht man ganz deutlich
drei sagittale Strata konzentrisch angeordnet, von denen das in-
nerste (am meisten medial gelegene) zweifellos die Fortsetzung
der Balkentapete darstellt und in den F. subcallosus nach vorn
zu verfolgen ist. Das diesem lateral anliegende Stratum, die
eigentliche Sehstrahlung oder das Stratum sagittale internum, das
beim Pferde schon auf dieser Héhe dem entsprechenden Abschnitt
des Menschen gleichkommt und sich im allgemeinen aus ziemlich
zarten, etwas weit auseinanderliegenden Fascikelu zusammensetzt,
wurde schon frither besprochen.
Als laterale machtige Querschnittswand liegt der Sehstrahlung
im engeren Sinne der F. longitudinalis inferior oder das Stratum
sagittale externum auf, das schon hier, vollends aber in nach vorn
gelegenen Ebenen, die vorhin erwahnten anderen sagittalen Strata
in seinem Querschnitt iibertrifft. Zudem ist dieses Biindel aus
Fascikeln derberen Kalibers zusammengesetzt!), die zu einander
viel dichter liegen, so daf das beziigliche sichelfo6rmige Quer-
schnittsfeld sich von der Umgebung ganz scharf abhebt. Mit dem
diesem Feld lateral anliegenden Markkérper (dem Centrum ovale
1) Dies trifft auch fiir den Menschen zu. Vergl. Monaxow in
Archiv fir Psychiatrie, Bd. 31.
DEG 31 1900
Untersuchungen tiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 193
gehirend) scheint der Fasc. longitudinalis inferior in Faseraus-
tausch zu stehen, obgleich beide eine Verschiedenheit in der Ver-
laufsrichtung ihrer Fasern aufweisen. Immerhin mul hervor-
gehoben werden, daf von den basalen Windungen fortgesetzt Fas-
cikel in dieses Querschnittsfeld (Fasc. long. inf.) und dariiber
hinaus in das Stratum sagittale internum tibergehen.
Der Fasc. longitud. inferior wichst ebenso wie das Stratum
sagittale internum von hinten nach vorn gegen die innere Kapsel
zu successive und iiberfliigelt in ausgesprochener Weise die eigent-
liche Sehstrahlung an Umfang. Es unterliegt daher keinem
Zweifel, dafi zu dem urspriinglichen Faserkontingent, auch wenn
es auf weite Strecken sich gleichbleibt, aus den umgebenden
Windungen fortgesetzt und zwar weiter nach vorn (kurz vor den
Ebenen des Ueberganges des Seitenventrikels in das Unterhorn)
aus dem Mark der anliegenden Windungen Faserzuflu8 stattfindet.
Ich habe den Eindruck gewonnen, daf sowohl zum Balken ziehende
als Projektionsfasern und gelegentlich auch makig lange Asso-
ciationsfasern an der Bildung des F. longitudinalis inferior mit
beteiligt sind (Fig. 47).
Bald nach dem Eintritt des Sehhtigels und der _ hinteren
inneren Kapsel in die Schnittebene verliert sich die obere Etage
des gesamten sagittalen Faserzuges, indem die beziiglichen Biindel
sich teilweise wenigstens im hinteren Abschnitt des Sehhiigels, so-
wie im Corpus geniculatum externum auflésen. Ein Bestandteil
des F. longitudinalis inferior scheint sich ebenfalls in die hintere
Partie der inneren Kapsel zu senken. Er wird wohl, wie das beim
Hunde und bei der Katze durch v. Monakow experimentell nach-
gewiesen wurde, als Stiel des inneren Kniehéckers mit letzterem
in engere Verbindung treten. Die beziiglichen Fascikel lassen
sich im Groben auch beim Pferde in die genannten Sehhiigel-
abschnitte verfolgen.
Die ventrale Lage des F. longitudinalis inferior ]a8t sich in-
dessen ebenso wie beim Menschen noch weiter frontal beobachten
und zwar in der Richtung gegen den Lobus pyriformis und das
temporale Operculum hin. Hier wendet sich ein Teil in die innere
Kapsel, um sich im Sehhiigel aufzulésen. Ueber die letzten Aus-
laufer des 4uferen Kniehéckers hinaus la8t sich nur wenig mehr
von diesem Biindel entdecken.
Der geschilderte Verlauf und die Resultate der Experimente
v. Monaxow’s (54) bei der Katze und beim Hunde, sowie ein
beziiglicher experimenteller Versuch von mir bei der Ziege machen
Bd. XXXIV. N. F. XXVIII, 13
194 Kaspar Schellenberg,
es sehr wahrscheinlich, dafi auch bei den Ungulaten ein nicht
unbetrachtlicher Bruchteil der sagittal verlaufenden Fasern des
F. longitudinalis inferior teils eine Verbindung zwischen dem
Occipitallappen, dem lLobus pyriformis und den Opercular-
windungen darstellt, teils aber als Stiel des bei Ungulaten keines-
wegs unbedeutenden Corpus geniculatum internum anzusehen ist.
Das als Fascic. longitudinalis inferior bezeichnete Faserfeld
in Fig. 27 des Dexuer’schen Buches (12) entspricht beim Pferde
nicht diesem Faserzuge, ebenso sind die Bezeichnungen in Fig. 24
(III und IV) entsprechend abzuandern.
IX. Vordere Kommissur.
Die vordere Kommissur ist bei den untersuchten Ungulaten
recht stattlich entwickelt, wenn sie schon nicht den Umfang dieses
Gebildes bei niederen Saéugern, z. B. Marsupialiern oder Nagern
relativ erreicht. Ihr Querschnitt auf dem Sagittalschnitt betragt
beim Pferde und Rinde 3,5 mm, beim Schafe und der Ziege 1,5 mm,
beim Schweine 2 mm. Sie ist also beim Pferde michtiger als
beim Menschen (Fig. 50, 53).
Die vordere Kommissur liegt wie bei allen Saugern frontai
von den ins Tuber cinereum sich einsenkenden absteigenden
Fornixsiulen. Auch bei den Ungulaten lift sie einen Riech-
(Pars olfactoria sive anterior) und einen Schlifenanteil (Pars
temporalis s. posterior) abgrenzen. Der Riechanteil ist ent-
sprechend der starken Entwickelung des Lobus olfactorius (Makros-
matiker) wesentlich miichtiger als der Schlafenanteil.
Beziiglich der Faserbestandteile und zuniichst des Riech-
anteils ist hervorzuheben, daf aus dem centralen Riechmarke
Faserbiindel zum Riechanteil der vorderen Kommissur abgehen.
Von der medialen Vereinigungsstelle an sieht man zunachst in
frontaler und basaler Richtung je einen Arm der vorderen Kom-
missur ventral vom Streifenhtigelkopf sich einsenken. Der ge-
meinsame Arm erfahrt eine gabelf6rmige Teilung in der Weise,
daf ein lateral ziehender Abschnitt den Querschnitt der inneren
Kapsel im unteren Drittel durchbricht und occipitalwarts umbiegt,
um sodann in der déuferen Kapsel nach riickwarts zu ziehen und
sich an den temporalen Windungen und am Lobus_ pyriformis
zu erschépfen. Es ist dies die verhaltnismifig wenig umfang-
reiche Pars temporalis, derjenige Teil, der beim Menschen viel
Untersuchungen tiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 195
michtiger angelegt ist. Er findet sich lateral und dorsal von der
Pars olfactoria und zeichnet sich durch Fasern geringeren Kalibers
aus, die in Pat-Priaparaten heller erscheinen.
Zu diesen beiden Anteilen der vorderen Kommissur kommt
noch ein neuer Faserbestandteil hinzu, naimlich ein kleines Bindel,
das dazu dient, die beiden Striae terminales miteinander in Kom-
munikation zu bringen. Die beziiglichen Fasern biegen von der
in gleicher Richtung wie die Fornixsiulen zur Hirnbasis ziehenden
Stria terminalis rechtwinklig zur vorderen Kommissur ab und
legen sich, indem sie zur anderen Hemisphire tibergehen, der
Pars temporalis dorsal an. Dieses Biindel wurde friiher schon
von HonraGcer (31) beim Schweine beschrieben; ich habe dasselbe
bei allen Vergleichstieren wiederfinden kénnen.
X. Aeufere Kapsel.
Sie erscheint als eine Faserwand, welche dem Linsenkern
seitlich anliegt und dessen lateraler Flache entsprechend sichel-
formig gebogen ist (Fig. 49, 50, 53).
Ihren gréften Faserzuwachs erhalt sie in vorderen Ebenen
aus dem Lobus olfactorius und aus der Area perforata, teilweise
auch aus dem Inselgebiet. In der Gegend der Insel schmiegt sich
der déuferen Kapsel lateral die Vormauer an; in der Parietal-
gegend erstreckt sich die auGere Kapsel, die nach oben mit der
inneren Kapsel in Verbindung steht, bis in den Lobus pyriformis.
Ihre Bestandteile sind in hinteren Ebenen recht verschiedene.
Einmal enthalt sie longitudinal verlaufende Biindel, welche zum
Teil der Pars temporalis der vorderen Kommissur angehéren, zum
anderen Teil aber einem Fasciculus uncinatus des Menschen ent-
sprechen, d. h. Faserziige, die den Lobus pyriformis mit parietalen
Windungen verbinden. Recht ansehnlich sind die Stabkranzanteile,
welche zur inneren Kapsel ziehen, wobei sie hiufig den Linsen-
kern durchbrechen. Ebenfalls sind in der auferen Kapsel Anteile
der Striatumfaserung enthalten.
XI. Stria terminalis.
Als Stria terminalis (Stria cornea, ‘Taenia semicircularis) be-
nennt man bei héheren Saugern eine zwischen dem Sehhiigel und
dem Streifenhiigel dahinziehende wenig erhabene Leiste, die sich
13%
196 Kaspar Schellenberg,
aus dem Ependym, Substantia gelatinosa und einem diinnen Biindel
Fasern zusammensetzt, welches aus der grauen Substanz vor dem
Tuber cinereum hervorgeht, dem Streifenhiigel folgt und basal-
warts umbiegt, um in der Gegend des Uncus zu verschwinden.
Auch dieses vielfach studierte Gebilde setzt sich zweifellos
aus sehr verschiedenen Faserbestandteilen zusammen. Der Haupt-
anteil zieht auf der Héhe der vorderen Kommissur frontal vom
unteren Sehhiigelstiel und der Fornixsiule basalwarts und zerstreut
sich in einem Zellenhaufen (Riechrinde), welcher dem Tuber cine-
reum frontal anliegt (Basalkern von GANSER und KOLLIKER). Kin
Uebergang einzelner Fasern der Stria in die Fornixsiule findet
nach meinen Untersuchungen nicht statt; was als Abzweigung der
Fornixséule in diesen Ebenen imponiert, sind Fasern der Taenia
thalami und Fornixbiindel, die im centralen Grau endigen und
mit den Fasern der Stria terminalis nichts zu thun haben. Die
Taenia thalami liegt der Stria allerdings in ihren vordersten
Ebenen medial an, trennt sich jedoch von dieser, sobald der Seh-
hiigel erreicht wird (Fig. 53, 46, 49, 51).
Die Stria terminalis folgt dann dem Schweife des Nucleus
caudatus medial, biegt mit diesem ins Unterhorn um und
fasert sich am Mandelkern bis zum Uncus hin auf. In die innere
Kapsel treten bestimmt keine Fasern ein. Das ganze Biindel er-
scheint im Pau-Priparate in hellem Ton und besitzt sehr diinne
Fasern.
HoneGGer (31) hat bei der Maus und dem Kaninchen in den
Thalamus eindringende Striafasern beschrieben. Bei den Ungu-
laten konnte ich eine solche Verbindung nicht beobachten. Ebenso
habe ich jene derberen Fasern, wie sie sich in den oberflichlichen
Schichten des Thalamus vorfinden, in den eigentlichen Striabiindeln
nicht entdecken kénnen, vielmehr mu ich betonen, daf simtliche
Fasern der Stria bei den Ungulaten sich, wie schon oben bemerkt,
durch ein diinnes, ziemlich gleiches Kaliber auszeichnen.
Ebensowenig gelang es mir, bei den Ungulaten im Nucleus
amygdalae die drei von Honeaaerr geschilderten Ganglienmassen
abzugrenzen (Nuclei lenticulares von KO6LLIKER) und dement-
sprechend drei gesonderte Endbiischel der Stria terminalis zu
entdecken. Vielmehr zerstreuen sich die Fasern der Stria suc-
cessive und in unregelmafiger Weise in der gesamten basalen
Ganglienmasse. Sicher kénnen auch Striabiindel bis zum Uncus
‘hin verfolgt werden, die dort angekommenen Fasern biegen so-
dann nach aufen zur Rinde des Lobus pyriformis um.
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 197
XII. Das Vorderhirnganglion und seine Faserung.
Das Stammganglion des Grofhirns (Corpus striatum) setzt
sich bei den Ungulaten wie bei den iibrigen héheren Séugern aus
dem geschwinzten Kern (Nucleus caudatus), dem Linsenkern (Nu-
cleus lentiformis), dem Mandelkern (Nucleus amygdalae) und der
Vormauer (Claustrum) zusammen. Man kann alle diese Abtei-
lungen insgesamt mit Meynertr als das Vorderhirnganglion be-
zeichnen.
Bei allen Huftieren finden sich durchweg zwischen den ein-
zelnen genannten Ganglien graue Anastomosen, so daf ihre ana-
tomische Trennung nur eine kinstliche ist. Beriicksichtigt man
im weiteren, daf diese vier Ganglien, wie GUDDEN und seine
Schiiler nachgewiesen haben, nach Abtragung einer GroShirnhemi-
sphare beim neugeborenen Tier kaum nennenswert in ihrer Ent-
wickelung beeintrachtigt werden und dies im Gegensatz zu den
Kernen des Sehhiigels und anderen tieferliegenden infrakortikalen
Gebilden, so ist man auch noch mit Ricksicht auf die phylogene-
tische Entwickelung vollends berechtigt, sie als eine gemeinsame
unter sich verwandte graue Masse zu betrachten, die ja auch nach
den erwabnten operativen Eingriffen ihrer anatomischen Grenzen
beraubt wird (durch Massenausfall der sie durchsetzenden Faser-
ziige z. B. der inneren Kapsel).
Bei den Ungulaten bildet das Corpus striatum ein ziemlich
umfangreiches Gebilde von retortenformiger Gestalt, das mit dem-
jenigen des Menschen viel Verwandtes zeigt. Der Kopfteil des
geschwanzten Kerns ist frontal bis zum Uebergang des Vorder-
horns in den Ventriculus olfactorius zu verfolgen (Fig. 45); sein
gréhter Durchmesser findet sich in der Frontalebene des Balken-
knies, wo von lateralwarts her eine Durchbrechung durch Fascikel
der inneren Kapsel anhebt, eine Durchbrechung, die occipitalwarts
rasch zunimmt. Der ziemlich scharf abgegrenzte Durchtritt der
nunmehr geschlossen verlaufenden Partie der zum vorderen Schenkel
der inneren Kapsel gehérenden Fasern giebt Veranlassung zur
Scheidung des Streifenhiigelkopfes in zwei Abschnitte, einen me-
dialen Teil (Nucleus caudatus) und einen lateralen Teil (Nucleus
lentiformis), die stellenweise durch graue, die innere Kapsel quer
durchsetzende Briicken mit einander verbunden sind.
Der mediale Abschnitt nimmt kaudalwaérts an Volumen sa-
cessive ab und geht allmahlich in den Schweif des Hee
Kerns tiber. Dieser Uebergang erfolgt jedoch mehr stufenweise
198 Kaspar Schellenberg,
als beim Menschen. In denjenigen Ebenen, in denen der Streifen-
hiigelschweif an Umfang bedeutend abnimmt (Ebenen des vorderen
Drittels des Sehhiigels und des Corpus mamillare), schlieSt sich
an den lateralen Abschnitt, das Putamen des Linsenkerns, eine
umfangreichere Masse grauer Substanz an, welche von Faser-
fascikeln in unregelmabiger Weise durchbrochen wird, es ist dies
die mediale Partie des Linsenkerns (Globus pallidus), in welcher
deutliche Laminae medullares, wie man sie beim Menschen, aber
auch teilweise bei den Carnivoren antrifft, sich nicht erkennen
lassen und somit auch Abgrenzungen von besonderen Linsenkern-
gliedern nicht vorzunehmen sind (Fig. 53).
Der ganze Linsenkern erreicht beim Pferde etwa den dritten
Teil der GréBe dieses Gebildes beim Menschen.
In caudaler Richtung geht der Linsenkern allmahlich da und
dort, von diinnen Markwinden unterbrochen, in den Mandelkern
iiber und erstreckt sich somit in den Lobus pyriformis hinein.
Als Mandelkern bezeichne ich die dem Linsenkern basal anliegende,
faserarme Zellenmasse, die der Rinde des Lobus pyriformis medial
anliegt. In diesen Ebenen findet sich auch der Anschluf des
Linsenkerns und des Mandelkerns an die Vormauer, welche
namentlich mit ihrem basalen Abschnitt in den Mandelkern tiber-
ereift.
Die Vormauer stellt bei Ungulaten eine verhaltnismafig dicke
(3—4 mm beim Pferde), lateral von der inneren, medial von der
ziemlich scharf ausgesprochenen auferen Kapsel begrenzte Wand
grauer Substanz dar, welche mit der Insel in die Schnittflache
fallt, nach hinten rasch an Umfang zunimmt, dann wieder mit
dem Auftreten des Lobus pyriformis wesentlich diinner wird und
in der friiher erérterten Weise mit dem Mandelkern eine gemein-
same, nur durch wenige Biindel der auferen Kapsel getrennte
graue Masse bildet (Fig. 46, 53).
Das Mark der Insel scheidet die Ganglienmasse des Claustrums
von der Inselrinde. HonrEaGerr (31) gegeniiber, der das Claustrum
der Huftiere nach der Gréfe dem der Maus anreihte, muf ich
hervorheben, dafi die Vormauer bei den Ungulaten von der Insel-
rinde deutlich durch Markfasern getrennt ist. Ein Zusammen-
flieken der grauen Substanz der Vormauer und der Inselrinde ist
bei Ungulaten nirgends nachweisbar, jedenfalls lat sich die in
beiden Gebilden ganz verschieden angelegte graue Substanz
(Zellenform und Anordnung) tiberall scharf sondern,
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 199
Sowohl aus der Gegend des Nucleus caudatus als vom Nu-
cleus lentiformis her ziehen ahnlich wie bei den Carnivoren und
beim Menschen ziemlich betrichtliche Faserbiindel medialwirts.
Sie durchbrechen in losen Ziigen die innere Kapsel und senken
sich in die Regio subthalamica ein, um sich im centralen Grau
des Sehhiigels pinself6rmig zu erschépfen. Es ist dies die Lin -
senkernschlinge. Manche dieser Biindel legen sich dem
Tractus opticus ziemlich scharf an, ja einzelne begleiten denselben
ein Stiick weit nach vorn. Die Durchtrittsstelle der Linsenkern-
schlinge in der inneren Kapsel kann wie beim Menschen als die
Grenze zwischen dem Pedunculus cerebri und der eigentlichen
inneren Kapsel betrachtet werden (Fig. 46).
Ein anderer Anteil zieht um das Vorderende des Hirnschen-
kels herum und ergieft sich von der ventralen Seite her in den
Sehhiigel, ohne die innere Kapsel zu durchbrechen (Hirnschenkel-
schlinge).
Sowohl der Linsenkern wie der geschwanzte Kern, der Mandel-
kern und wahrscheinlich auch die Vormauer giebt Faseranteile
zur Linsenkernschlinge ab. Auer den den Streifenhtigelkopf
langsdurchziehenden Biindeln finden sich tiberall mehr oder weniger
starke, quer durch die innere Kapsel verlaufende Faserbiindel,
welche moglicherweise Verbindungen zwischen den einzelnen Stria-
tumabteilungen darstellen.
KOWALEWSKY (36) beschrieb beim Schweine Fasern, die aus
dem Stabkranz in den Linsenkern treten, ihn durchsetzen und in
den Pedunculus cerebri tibergehen. Derartige aberrierende Biinde
der inneren Kapsel kann ich auch bei den tibrigen Huftieren fin-
den; sie trennen sich meistens vom oberen Teile der auferen
Kapsel ab und durchziehen den oberen Teil des Linsenkerns.
Die Linsenkernschlingen entsprechen dem basalen Vorderhirn-
biindel Eprnaer’s (17) (Radiatio strio-thalamica). Alle unter-
suchten Huftiere besitzen eine starke Strahlung des Vorderhirn-
ganglions zum Sehhiigel, die jedoch im Vergleiche zur corticalen
Strahlung zum Thalamus nur eine auferst diirftige genannt wer-
den kann. Epincer (17) schrieb der Linsenkernschlinge ein feines
Faserkaliber zu, das er mit der Kiirze des Verlaufes in Beziehung
bringt. Bei den Ungulaten zeigen jedoch die Fasern der Linsen-
kernschlinge trotz ihres kurzen Verlaufes ein bemerkenswertes
Kaliber, welches dasjenige der kurzen Associationsfasern der Hirn-
rinde und vollends dasjenige der Pyramidenfasern noch tbertrifft.
900 Kaspar Schellenberg,
XII. Das GroBhirnmark der tibrigen Vergleichstiere.
Gehe ich bei der vergleichenden Betrachtung zunachst von
der allgemeinen Anlage des Markkorpers aus, dann fallt es auf,
da die kleinen Wiederkiuer und das Schwein beziiglich des
Centrum ovale viel primitivere Verhaltnisse darbieten als das
Pferd. Wenn man als Centrum ovale diejenige centrale Mark-
masse bezeichnet, die auSer dem Bereich der in die Windungen
sich erstreckenden Markzungen liegt, so kann man sagen, da8 die
Ziege und das Schaf nur an wenigen Schnittebenen aus dem
Frontallappen und an einzelnen des Occipitallappens ein einiger-
mafen deutliches Centrum ovale. erkennen lassen. Das kleine
Centrum ovale der Ziege ist etwas miachtiger als das des Schafes
und vorziiglich des Schweines.
Im iibrigen, namentlich innerhalb des bei Ziege und Schaf
verhaltnismaflg sehr machtigen Frontallappens, setzt sich der
Markkérper fast ausschlieBlich aus weit verzweigten und ziemlich
dicken Markzungen, welche in die zahlreichen Haupt- und Neben-
windungen geweihartig ausstrahlen, zusammen. In dieser Be-
ziehung gleicht der Frontallappen der kleinen Wiederkiuer dem
der Carnivoren, wenn er auch beziiglich des Umfanges der Win-
dungen, der feineren Ausgestaltung derselben von ihnen, und zwar
zu seinen Gunsten, differiert.
Aber auch beim Rinde ist das Centrum ovale bei weitem
schwicher entwickelt als beim Pferde, wie denn auch der Frontal-
lappen bei diesem Tier viel weniger voluminés ist als beim Pferde.
Immerhin lat sich beim Rinde an einzelnen Schnitten (z. B. in
den vorderen Ebenen des Streifenhiigels) ein kleines Centrum
ovale von relativ gleichem Umfange wie bei Ziege und Schaf ab-
grenzen, desgleichen auch in den Ebenen des Hinterhauptslappens,
welche sich direkt an das Ammonshorn anschlieBen. Aber auch
hier an dieser Stelle halt das Centrum ovale den Vergleich mit
dem des Pferdes nicht im entferntesten aus. Die Markzungen
sind beim Rinde breiter und derber und auch entsprechend der
eroken Tiefe einzelner Furchen (Fiss. coronalis, ectosylvia) be-
deutend langer als bei Ziege und Schaf.
Hand in Hand mit der wesentlich geringeren Entwickelung
des Stirnhirns geht auch beim Rinde eine Reduktion der frontalen
Sehhiigelstrahlung gegeniiber der des Pferdes einher. Der genannte
vordere Sehhiigelstiel oder vordere Schenkel der inneren Kapsel
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 201
ist also beim Pferde viel voluminéser als beim Rinde.
Bei der Ziege und dem Schafe ist dieses Gebilde relativ umfang-
reicher als beim Rinde, immerhin aber noch deutlich kleiner als
beim Pferde. Zur iibersichtlichen Vergleichung der Gréfenver-
hiltnisse des vorderen und des hinteren Schenkels der inneren
Kapsel lasse ich hier eine Zusammenstellung der Masse folgen.
Es betragt in Millimetern die innere Kapsel:
Vorderer Schenkel Hinterer Schenkel
Linge _ Breite Lange _ Breite
Pferd 14 7 26 1:
Rind 10 5 20 8
Ziege 9,5 as 17 6,5
Schwein 8 3, 13 5
Die verhaltnismakig nicht unansehnliche Fasermasse im I’rontal-
lappen des Schweines ist wohl mit der tiberaus machtigen Aus-
bildung der Olfactoriusfaserung in Verbindung zu bringen (Fig. 48).
Der lenticulo-optische Teil (hinterer) der inneren
Kapsel zeichnet sich bei allen Ungulaten durch Faserreichtum aus,
bei der Ziege und beim Pferde ist die Zahl der Fasern hier wohl
am gréften. Immerhin halt sich dieser Abschnitt der inneren Kapsel
ungefahr in den namlichen Schranken wie bei den Carnivoren.
Der retrolenticulire Teil der inneren Kapsel sowie die
sagittalen Strahlungen des Occipitalmarkes iiberragen dagegen bei
den Ungulaten die entsprechenden Teile der Carnivoren in ziem-
lich betrachtlicher Weise. Ich habe beziiglich der sagittalen Mark-
strahlungen genauere Messungen angestellt, die ich hier tabellarisch
wiedergeben will. In den Frontalebenen des Uebergangs des
Unterhorns in den Seitenventrikel zeigen die drei Strata nebst
dem zugehérigen Abschnitt des Centrum ovale in der Dicke folgende
Werte in mm:
Fasc. Strat. Strat. ;
subcallosus sagitt. int. sagitt. ext. Centrum ‘ovale
Pferd 3,0 2,5 2,6 2.0
Rind 18 1,2 15 1,5
Schwein 10 0,6 0,8 0,6
Schaf 1,0 0,8 1,3 1,5
Ziege 1,0 1,0 1,5 15
Unter Beriicksichtigung der Gréfenverhaltnisse wiirde nach
dieser Tabelle das Pferd die machtigsten sagittalen Strahlungen
und auch das gréfte Centrum ovale im Occipitalmark besitzen.
Ihm folgt die Ziege, dann das Schaf, das Rind und endlich das
202 Kaspar Schellenberg,
Schwein. Bemerkenswert ist, dai die Ausdehnung des ge-
samten Markes im Occipitallappen bei der Ziege
relativ am machtigsten ist, was mdoglicherweise mit der
taglichen Erfahrung, daf die Ziege ein auSerordentlich fein ent-
wickeltes Gesicht hat, in Zusammenhang zu bringen ist. Beim
Rinde und Schweine ist das fiir die Leitung des Gesichtssinnes
hauptsachlich in Betracht kommende Stratum sagittale internum
beim Schweine absolut, beim Rinde relativ, auch wenn man die
Langenverhaltnisse in Betracht zieht, wesentlich schmiler als bei
der Ziege, deren eigentliche Sehstrahlung unter Beriicksichtigung
der geringen Koérpergréfe dieses Tieres gegentiber derjenigen des
Pferdes wohl die miachtigste Ausdehnung unter den Ungulaten hat.
Auch beziiglich des Balkens bestehen bei den einzelnen
Vertretern der Ungulaten betrachtliche Schwankungen in Aus-
dehnung und Faserreichtum.
Dicke des Balkens in mm:
Lange des Lange der
am Knie Mitte am Wulst Balcones Hemisphare
Pferd 5 3 4,5 65 130
Rind 4. 2 3 46 100
Schwein 3 1 3 30 65
Schaf 3,5 1 3 34 75
Ziege 5 2 4 38 75
Relativ fallt die Lange des Balkens bei der Ziege auf. Auch
beztiglich der Dicke und des Faserreichtums im Knie, in der
Mitte und im Wulst zeigt die Ziege teilweise sogar absolut tiber-
aus reiche Entwickelung. Beim Rinde und beim Schafe sind die
Balkenfasern bei weitem nicht so machtig entwickelt wie bei der
Ziege und beim Pferde. Es ist hervorzuheben, da’ die Ziege,
welche ein michtiges Frontalhirn, aber nur ein relativ kleines
Centrum ovale besitzt, durch einen besonderen Faser-
reichtum des Balkenkniees und auch des Spleniums
ausgezeichnet ist und trotz ihrer geringen Gréfe in dieser
Beziehung auch absolut dem Pferde kaum nachsteht. Es _ ist
nicht ohne Interesse, dabei hervorzuheben, daf das beziiglich des
Hirnbaues der Ziege an die Seite zu stellende Schaf hinsicht-
lich der Balkenentwickelung ganz bedeutend un-
giinstigere Verhaltnisse darbietet als die Ziege.
Ob hiermit nicht die Differenz dieser beiden Tiere in psychischer
Beziehung in Verbindung zu bringen ist?
Beziiglich der tibrigen Anteile des Balkens ist nichts Be-
sonderes hervorzuheben.
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 203
Zum Septum rechnet man gewohnlich nicht nur die mark-
haltige verdiinnte Scheidewand, sondern auch das basalwarts an
diese anschliefende Stiick medialer Rindenwand.
HONEGGER (31) unterschied bei den Ungulaten zwei ‘T'ypen
der Septumbildung, zunichst einen solchen mit verdtinnten
Septumblattern, denen sich lateralwairts etwas Rinde anschlieSt
und einen anderen Typus, bei dem die Septumwand ohne Rinden-
bekleidung verbleibt. Nach meinen Erfahrungen ist eine solche
Trennung undurchfiihrbar. Ich fand den ersten Typus von
HoneGGerR bei allen Vertretern, dagegen bestehen beziiglich der
Masse des rindenlosen Teils ziemliche Schwankungen. So ist
beim Schweine ahnlich wie bei den Nagern der mit Rinde be-
deckte Abschnitt sehr betrachtlich, der rindenlose sehr klein,
wihrend beim Rinde gerade umgekehrte Verhaltnisse bestehen.
Pferd, Schaf und Ziege stehen hier in der Mitte.
Die Septumfaserung des Rindes ist bisher am eingehendsten
von Honreccer (31) untersucht worden, welcher die Haupt-
bestandteiie derselben im Fornix longus und in den gekreuzten
Fasern der Fimbria erblickt. Damit stimmen auch meine Befunde
iiberein, dagegen nicht beziiglich der Annahme von HONEGGER (31),
daf die Septumfasern im Sehhiigel und im auferen Kniehécker
endigen.
Beziiglich der Stria longitudinalis ist noch zu_be-
merken, dafi dieselbe beim Pferde, Rinde und der Ziege stark ent-
wickelt ist, beim Schafe und Schweine in geringerem Grade.
Im Fornixsystem sind bei den einzelnen Vertretern der
Ungulaten keine nennenswerten Unterschiede zu_ konstatieren.
Ich kann den Befund von E. Smiru (68) fiir das Rind bestitigen,
dafi der Durchtritt der Fibrae perforantes durch den Balken in
besonders iibersichtlicher Weise stattfindet.
XIV. Das Mark der Grofhirnrinde.
Im Anschlu8 an die Darstellung der morphologischen Ver-
haltnisse sowie an die Faserverhaltnisse im Grofhirnmark der
Ungulaten sei es mir gestattet, tiber den feineren Aufbau und
die Anlage der Markfaserung in der GrofShirnrinde meine Beob-
achtungen mitzuteilen.
Die Fasern, welche in den Markzungen der Windungen empor-
steigen, senden garbenartig ausstrahlende Anteile an die Seiten-
204 Kaspar Schellenberg,
lippen und an die Kamme der Gyri, welche sich in der Rinde,
beziiglich des Ortes ihrer Endigung schwankend, verlieren. Nicht
alle Abschnitte der Windungen werden in gleicher Weise von den
Faserbiindeln bevorzugt. Der Windungskamm nebst den diesem
zunichst liegenden Lippenteilen empfangen verhaltnismaBig viel
mehr solcher Strahlenbiindel als die dem Windungsthal zuge-
kehrten Rindenabschnitte. Diese Strahlenbiindel oder Mark-
strahlen (K6LLIKER [34]), welche aus einer gréferen oder
kleineren Anzahl aneinandergefiigter, geschlossen verlaufender, fiir
sich abgegrenzter Einzelfasern bestehen, variieren in ihrer Grofe
nach der Machtigkeit der Markzungen, welche die betreffende
Windung versorgen. Es ist demnach auch die Zahl der in die
Rinde einstrahlenden Fasermassen eine ziemlich verschiedene, wie
denn auch bereits friiher hervorgehoben, die Markzungen beziig-
lich ihres Umfanges stark variieren. Dementsprechend nimmt
der Faserreichtum in den Einzelmarkstrahlen vom Kamme der
Windung nach dem Thal successive ab, wie das bereits auch von
KOLLIKER beim Menschen hervorgehoben wurde. In den Thalern
senken sich nur vereinzelte Fasern in die Rinde ein, wahrend ich
in den Markstrahlen je nach Lage bis zu 30 Einzelfasern auf dem
Querschnitt zihlen konnte.
Der Reichtum der sich in der Rinde aufsplitternden Fasern
und die Feinheit dieser Aufsplitterung schwankt je nach Windung
in ziemlich betrachtlichem Umfange. Bei allen Ungulaten sind
die Strahlenbiischel, die von der Markzunge abzweigen, im Gyrus
fornicatus, marginalis und suprasylvius viel reicher angelegt als
in den der Basis zugekehrten Windungen. Sehr diirftig sind die
corticalen Markstrahlen in der der Syivi’schen Windung, der Insel
und dem Lobus pyriformis. Diese an Radiarfasern so armen
Windungsabschnitte wren den ebenfalls an Projektionsfasern
armen Windungen des Menschen, welche FLecnsia (21) zu den
Associationscentren zihlt, an die Seite zu stellen und wiirden den
beziiglichen Feldern, die Voar (72) bei Carnivoren und bei Affen
gefunden hat, entsprechen. Der Gyrus sigmoideus und die erste
Frontalwindung stehen beziiglich der Radiarfasern zwischen den
zuerst genannten Windungen und den an Radiarfasern ganz armen
in der Mitte, waihrenddem in der zweiten und gar in der dritten
Stirnwindung der Faserreichtum wieder zurtickgeht.
Die Bestandteile der Markstrahlen sind allem Anscheine nach
nicht einheitlicher Natur; es kommen hier sowohl Associations-
wie Kommissuren- und Projektionsfasersysteme in Betracht und
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 205
es ist der Anteil jeder dieser Faserarten auf anatomischem Wege
nicht genauer auszuscheiden. Jedenfalls ist die Zahl der Projek-
tionsfasern auch bei den Ungulaten eine ganz wesentlich geringere
als der tibrigen langen Faserziige, sie wird aber, wie aus den
experimentellen Befunden zu entnehmen ist, in den verschiedenen
Windungen ebenso eine recht schwankende sein wie in den ver-
schiedenen Abschnitten der einzelnen Windung. Jedenfalls muf
man sich hiiten, die Radiirfasern mit Projektionsfasern zu _ ver-
wechseln und mit diesen zu identifizieren, auch an solchen Stellen,
wo die Verhiiltnisse relativ einfach zu liegen scheinen und in
Masse parallel verlaufende Faserziige bis ins Centrum ovale sich
verfolgen lassen.
Das Kaliber der einzelnen Fasern der Markstrahlen ist eben-
falls ein auSerordentlich mannigfaltiges, die diinnsten Fasern be-
tragen kaum ein Sechsteil des Durchmessers der dicksten. Die
dicken und die feinen Fasern verlaufen meist innig gemischt;
sowohl feinste als dickste Fasern lassen sich in allen Abteilungen
der Rinde wiederfinden.
Die Markumhiillung der einzelnen Fasern schwindet gewohn-
lich erst, kurz bevor sich die Fasern in ihre einzelnen Fibrillen,
resp. feineren Veristelungen auflésen oder bevor der Achsen-
cylinder in die ihm zugehérige Ganglienzelle eindringt. Dement-
sprechend ist an Pau-Praparaten die Endigung der einzelnen Fasern
auf dem Schnitt eine unvermittelte, d. h. die Markfaser bricht
plétzlich ab.
Zu dem System der Radiirfasern, d. h. der Markstrahlen,
kommt in der Rinde der Ungulaten ganz 4bhnlich wie bei dem
Menschen eine ganze Reihe von Systemen quer, also zur Rinde
parallel verlaufender und fiir sich abgegrenzter Faserschichten.
Ks ist diesdasSystem der tangentialen Faserstreifen.
Bei allen zur Untersuchung gekommenen Tieren prasentieren
sich die tangentialen Fasersysteme an Palpriiparaten als mit un-
bewafinetem Auge schon wahrzunehmende Gebilde. Wenn schon
die Fasern schichtenweise sich prisentieren, so ist die Abtrennung
in besondere Schichten oder Streifen bei den Ungulaten eine kiinst-
liche, indem man zwischen den Schichten eine ganze Reihe von
Querfasern antrifft; immerhin lassen sich wie beim Menschen
2—3 Schichten annehmen.
Die an der Oberflaiche der Rinde unter dem Ependym liegende
Schicht ist die Zonalfaserschicht. Zwei weitere Bander
liegen zwischen dieser Zonalfaserschicht und der Markzunge: der
206 Kaspar Schellenberg,
aiufere oder Vicqg pb’Azyr’sche oder der GrEmmMArrsche Streif
und der innere oder Baillarger’sche oder Remax’sche Streif,
beide zusammen bilden die Schicht der mittleren Tangentialfasern
von KOLLIKER.
Die Tangentialfasern sind bei den Ungulaten am ausgeprig-
testen in der hinteren Halfte des Gyrus fornicatus (vergl. Fig. 55
bei der Ziege). Auch im Gyrus marginalis und suprasylvius
finden sich diese Faserquerbander in ziemlich reicher Menge. In
der Rinde dieser letzteren Windungen riicken die zwei mittleren
(auBerer und innerer) Querstreifen zusammen und sind nicht bis
zur Rinde des Windungsthales zu verfolgen. Sie brechen also
gegen das Windungsthal hin ab und fehlen am Uebergange voll-
stindig. In den temporalen Windungen (Gyrus ectosylvius, sylvius)
findet sich deutlich eigentlich nur die Zonalschicht ausgesprochen,
wiihrend die die Rinde in tieferen Schichten durchsetzenden Fasern
zu einer besonderen Schicht sich nicht vereinigen lassen. Hier
ist also ein eigentlicher auSerer (mittlerer) Streifen nicht abzu-
erenzen. In der Rinde des Lobus pyriformis konnte ich bei den
von mir untersuchten Tieren Tangentialfasern tiberhaupt nicht
nachweisen, wenigstens nicht auf den Querschnitten. Die Zonal-
schicht wird hier wohl durch die machtige Strahlung des Tractus
olfactorius lateralis ersetzt.
In der Rinde der frontalen Windungen laft sich die Zonal-
schicht in zwei Lagen trennen (ein Seitenstiick zur KarEs-BEcH-
TEREW’schen Schicht beim Menschen). Hier sieht man auch die
Zonalschicht in die Windungsthailer umbiegen und somit in die-
jenigen der anliegenden Windung tibergehen, was beim mittleren
Streifen nicht beobachtet werden kann. Neben der doppelt an-
velegten Zonalschicht findet sich in der Frontalrinde auch ein
wittlerer Querstreifen, der sich nicht weiter teilen laBt. Im Gyrus
sigmoidens des Schafes und der Ziege, weniger beim Pferde und
Rinde, findet sich eine schén ausgesprochene Zonalschicht und ein
mnittlerer Streif, die beide gegen die Rinde der Frontalwindungen
zu an Intensitaét abnehmen. In der dritten Stirnwindung und der
Insel schrumpfen sie bis auf eine ganz diinne Zonalschicht zu-
sammen. Eine ganz ahnliche allma&hliche Erschépfung der Tan-
ventialfasern von der ersten Stirnwindung lateralwairts gegen die
Insel zu findet sich auch beim Schweine, Rinde und Pferde.
Die Machtigkeit der Streifen variiert je nach dem Tiere in
ganz betrichtlicher Weise. So betraigt die Breite der Zonalschicht
am Gyrus fornicatus des Pferdes 0,42, des Rindes 0,32, des
Schweines 0,28, des Schafes 0,3 und der Ziege 0,31 mm.
i ial
Untersuchungen iiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 207
Zur Orientierung iiber den Faserreichtum, den Umfang und
die Lage der Tangentialfaserschichten lasse ich eine Zahlentabelle
folgen, die sich auf den Gyrus fornicatus der Ziege bezieht. Es
pen in mm:
2]
aga lee Saleen
SE 5/85/23
Gu | SH] 8H /.87
athe a
Breite des Ependyms. . . . . . «10,015|0,015/0015|0,015
Breite der Zonalschicht . . . . .| 0,315] 0,445] 0,445] 0,750
auBere dichte Lage. . . . . « ||0,090} 0,045} 0,045} 0,150
innere lockere Lage derselben. . |0,225} 0,890) 0,390} 0,600
Entfernung des mittleren Streifs von der
Oberfliche. . . 0,72 10,45 |0,42 | —
Breite des (mittleren) auSeren|
bie Lis - Kitson Bb ee lO Osos Oa Si tent
Entfernung zwischen (mittlerem) iuberem |
und. innerem Sireif. .. ._. . . .. -{0,87 10,35 |029 | —
Breite des inneren Streifs . . .|/0,22 |0,19 |0,28 | fehlt
Entfernung vom inneren Streif bis zur |
Markzunge . snl fe ot ER e oa! mor 2 SOS Os doteh Or oi hii
PR dee ds wi amide stone wsinblies ne . ||2,24 |1,50 | 1,62 | 1,50
Die Zonalfaserschicht liegt direkt unter dem Ependym; sie
besteht aus Fasern sehr verschiedenen Kalibers, die netzartig nach
allen Richtungen sich zerstreuen, mit anderen Worten: es finden
sich da sowohl quer als der Lange nach durchschnittene nnd
meistens kiirzere Fasern. Am dichtesten ist dieses Netzwerk
unmittelbar unter der Pia, nach abwarts liegen sie lockerer und
zerfallen in ein unregelmibig gelagertes Faserwerk von feinerem
und gréberem Kaliber. Mit Sicherheit konnte ich die Biindel der
Markstrahlen bis in die Zonalschicht nicht verfolgen. Ich halte
die iibliche Annahme, daf diese Schicht sich vorwiegend aus kiir-
zeren Associationsfasern zusammensetze, fiir eine richtige und_ fiir
das Ungulatengehirn zutreffende.
Der mittlere Streifen (Vicq p’Azyr’sche) dagegen wird von
den Markstrahlen erreicht und sogar durchsetzt. Er enthalt kiirzere,
parallel zur Oberfliiche ziehende Fasern von variabler Breite neben
Bestandteilen von Markstrahlen. Am Gyrus fornicatus und mar-
ginalis ist er am stirksten entwickelt und zeigt hier eine Doppel-
anlage in Form eines inneren Streifens. An der medialen Lippe
ist er etwas stirker entwickelt als auf der Kuppe oder der late-
ralen Lippe. Beide Streifen verlieren sich im Thale. Der innere
208 Kaspar Schellenberg,
Streifen ist am deutlichsten an den Seitenlippen, er liegt voll-
stindig zwischen den dicken Markstrahlen, deren Fasern er in
rechtem Winkel kreuzt. Er ist lockerer angelegt wie der Aufere
Streifen und enthalt die namliche Faserzusammensetzung wie dieser.
Bei allen Ungulaten verliert sich in den Thalern zwischen
den Windungen die tangentiale Streifung bis auf die Zonalschicht,
haufig auch diese noch. Dafiir tritt hier ein System bogenférmig
verlaufender Associationsfasern auf, die teils in der Rinde, teils
im Marke selbst verlaufen: die Fibrae arcuatae (ARNOLD), U-Fa-
sern (MEYNERT) oder inneren Tangentialfasern (KO6LLIKER). Sie
vertreten hier die mittleren Querstreifen, indem sie oft die ganze
Rinde des Thales konzentrisch durchziehen oder ins Mark eintauchen
um an den Seitenlippen wieder in die Rinde herauszutreten. Sie
erfiillen oft das ganze Windungsthal und sind in ihrer Dicke wie
die tbrigen Tangentialfasern sehr variierend.
Am Uebergange des Gyrus fornicatus auf den Gyrus hippo-
campi, also an jener Rindenpartie, welche dem vorderen Zweihiigel
aufliegt, bestehen oft vier tangentiale Streifen neben einem dufberst
dichten Faserfilzwerk.
Mit dieser reichen Menge von Markstrahlen und Tangential-
fasern ist die Reihe der Rindenfasern nicht erschépft. Es lassen
sich mit EpInGer (16) ahnlich wie beim Menschen innerhalb der
Markstrahlung noch zwei Flechtwerke unterscheiden, nimlich
das superradiare zwischen Zonalfaserschicht und mittlerem
Streifen und das interradiare, welches letztere zwischen den
mittleren Streifen und den Markkegel zu liegen kommt. Ks ist
nicht méglich, bei der Betrachtung der Schnittpriparate die Be-
ziehungen der beiden Flechtwerke unter einander und zu den
Streifen zu ermitteln. Wahrscheinlich mischen sich hier Kigen-
fasern der Rinde mit den aus den Markzungen hinzutretenden in
inniger Weise ebenso wie mit der tangentialen Faserung.
Die der Mantelspalte naiher liegenden Windungsziige zeigen
im allgemeinen dichtere Filzwerke als die lateralen. Besonders
reich entwickelt sind sie im Gyrus fornicatus.
Indem sich an diesem Orte meine Untersuchungen iiber das
Grofhirnmark bei Ungulaten abschlieSe, méchte ich noch erwahnen,
dal die Ergebnisse der experimentellen Untersuchung, die ich im
Vorstehenden schon hie und da gestreift, in einem spiter zu ver-
Offentlichenden dritten Teile, der bereits abgeschlossen ist, zum Teil
als Bestitigung, anderenteils als Erginzung der in vorstehenden
Untersuchungen gewonnenen Resultate zusammengefaSt wurden.
1)
4)
5)
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Untersuchungen tiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 209
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54) — Experimentelle und patholog.- anatom. Untersuchungen iiber
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centren. Archiv fiir Psychiatrie, Bd. XIV, 1883, Bd. XVI, 1885.
55) — Experimentelle und patholog.-anat. Untersuchungen iiber die
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14*
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und Funktion im Bereich der motorischen Region der Grob-
hirnrinde. Archiv f. Anatomie u. Physiol., Physiol. Abt., 1899.
78) ZuckprKanpu, E., Ueber das Riechcentrum. Vergl. anatomische
Studie. Stuttgart 1887.
Untersuchungen tiber das Grofhirnmark der Ungulaten. 213
Figurenerklirung.
Figuren 1—17: Furchen- und Windungsschemata, mit Angabe
der Schnittrichtungen der Figuren 18—44. Erklarung im Text.
Figuren 18—44: Frontale Querschnitte der Gehirne. Erklarung
im Text; Buchstaben fiir Figuren 1—44 auf Seite 213.
Figuren 45—55: Frontale Querschnitte :
Fig. 45: Pferd, Frontallappen, Vergr. 2.
Fig. 46: Pferd, Parietallappen, Vergr. 2.
Fig 47: Pferd, Occipitallappen, Vergr. 2.
Fig. 48: Schwein, Frontallappen, Vergr. 2!/,.
Fig. 49: Schwein, Parietallappen, Vergr. 2'/,.
Fig. 50: Schaf, Parietallappen, normale Grobe.
Fig. 51: Schaf, hinterer Parietallappen, Vergr. 21/9.
Fig. 52: Ziege, Balkenknie, Vergr. 21/,.
Fig. 53: Ziege, Septum, Vergr. 21/,.
Fig. 54: Ziege, hinterer Parietallappen, Vergr. 21/,.
Fig. 55: Ziege, 6-jahrig. Gyrus fornicatus, Vergr. ca. 50.
Erklarung zu Fig. 45—55 im Text, Furchen- und Windungs-
bezeichnungen auf 8. 213.
Bezeichnungen fiir die Textfiguren und Tafeln.
Furchen: Windungen:
cel, EK. corp: callosr lat. A Area olfactoria (per-
em. F. callosomarginalis. forata).
cor. EF. coronalis. ES Gyr. ectosylvius.
cruc. cr. F. cruciata. F G. fornicatus.
el. F. ectolateralis. F.,,-G. trontalis I
eg. F. entogenualis. F’,a G. frontalis I ant.
enl, F. entolateralis. F, G. frontalis I.
esa. F. ectosylvia ant. I’, G. frontalis IIT.
esp. FE. ectosylvia post. Fd G. dentatus (Fascia
espl. F. entosplenialis. dentata).
h. F. hippocampi. H G. hippocampi.
I. F. lateralis. I G. insulae (Insel).
ps. F. praesylvia. M G. marginalis.
214 Schellenberg, Untersuch. iib. d. Grofhirnmark d. Ungulaten.
Furchen: Windungen:
psa. F. praesylvia ant. W Uebergangswindung zwi- —
rh. a. p. F. rhinalis ant., post. schen #’, und SS.
s. F. sylvii, ram. acum. Olf. Bulb. u. Lobus olfactor.
sa. F. sylvii ram. ant. P Lob. pyriformis.
sp. F. sylvii ram. post. Pr Gyr. prorae.
ss. F. suprasylvia. R Gyr. rectus.
tr. F. transversa. S G. sylvius.
+,a.,p. G. sigmoideus anterior
u. post.
SI. Stria longitudinalis.
‘SG. suprasylvius.
U Nucus.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena, — 2065
Verlag von Gustav Fischer in Jena.
Lehrbuch der Zoologie.
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des Menschen.
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Inhalt.
FURBRINGER, Max, Zur vergleichenden Anatomie des Brustschulterappa-
rates und der Schultermuskeln. Mit Tafel XIJI—XVII, Fig. 103—179,
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NATURWISSENSCHAFT |
Zusendungen an die Redaktion erbittet man durch die Verlagsbuchhandlung.
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zur Morphologie und Systematik der Vogel.
Zugleich ein Beitrag
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Hieraus werden einzeln abgegeben: Allgemeiner Theil. Resultate und Reflexionen
auf morphologischem Gebiete. Systematische Ergebnisse und Folgerungen. Mit 5 Tafeln.
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theilungen und ihr gegenseitiger Verband. Versuch eines genealogischen Vogelsystems.
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tiber die
Spermatogenese von Paludina vivipara.
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Professor Dr. Leopold Auerbach
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Anatomisch untersucht
Dr. Emil Ballowitz,
: a. 0. Professor der Anatomie an der Universitat Greifswald.
Mit 7 Jithographischen Tafeln und 3 Holzschnitten im Text.
1899. Preis: 24 Mark.
Untersuchungen iiber den Bau der Brachiopoden.
Zweiter Teil.
Die Anatomie von Discinisca Lamellosa (Broderip)
und Lingula Anatina Bruguiere.
Von
Dr. Friedrich Blochmann,
Professor an der Universitit Tiibingen.
Mit einem Atlas von 12 lithographischen Tafeln und 14 Abbildungen im Text,
1900. Preis: 30 Mark.
Preis fiir das vollstiindige Werk: 55 Mark.
JAN 25 1901
Zur vergleichenden Anatomie
des Brustschulterapparates und der
Schultermuskeln.
Von
Max Firbringer.
IV. Teil.
Mit Tafel XIII—XVII, Fig. 103—179, und 141 Figuren im Text.
Dieser Teil bildet die Fortsetzung meiner vor vielen Jahren
veroffentlichten Untersuchungen, welche unter dem Titel: ,,Zur
vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln“ 1873 und 1874 in
der Jenaischen Zeitschrift (Bd. VII, 8. 237-320, und Bd. VIII,
S. 175—280) und 1875 im Morphologischen Jahrbuche (Bd. 1,
S. 636—816), sowie unter dem Titel:. ,,Zur Lehre von den Um-
bildungen der Nervenplexus“ 1879 im Morphologischen Jahrbuche
(Bd. V, 8. 324—394) erschienen sind.
Arbeiten anderer Art hatten mich lange Zeit diesem Unter-
suchungsgebiete entfiihrt und nicht dazu kommen lassen, die bereits
vor 27 Jahren ausgefiihrten Untersuchungen tiber die Schulter-
muskeln der Wirbeltiere abzurunden und zu veréffentlichen. Wenn
ich jetzt dieses Versiumnis wieder gut zu machen suche, so weil
ich wohl, dafi es sehr spat ist, aber ich glaube nicht, daf es zu
spat ist. Die Litteratur der letzten Decennien hat mir gezeigt,
daf die meisten hierher beziiglichen Fragen noch nicht beantwortet
oder gar abgethan sind. In der inzwischen verflossenen Zeit hat
sich selbstverstindlich die ganze vorliegende Aufgabe mit allen
mit ihr verbundenen Fragen vertieft und erweitert, und es will
mir scheinen, daf der vertieften Betrachtung auf diesem Gebiete
Bd, XXXIV, NF. XXVII 15
216 Max Firbringer,
noch eine weite, an Problemen und hoffentlich auch erfreulichen
Lisungen reiche Zukunft vorbehalten ist.
Der vorliegende IV. Teil soll Nachtrage zu Kap. IV. Saurier
und Crocodile (Morph. Jahrb., Bd. I, 1875, 8. 636—816) bringen
und in diesen einmal die seitdem erschienenen beziiglichen Arbeiten
anderer Autoren besprechen, dann aber namentlich die hierher
gehérenden Gebilde auf Grund neuer eigener Untersuchungen
an Lacertiliern, Rhynchocephaliern und Crocodiliern behandeln.
Hierbei wurde zugleich Gelegenheit genommen, eine zusammen-
fassende Darstellung des Brustschulterapparates und Humerus
aller ausgestorbenen und lebenden Reptilienordnungen zu geben.
Den Schlu8 der vorliegenden Abhandlung bildet die genealogische
Verwertung der erhaltenen Befunde, wobei diese als Ausgang
dienen, aber selbstverstaéndlich nur einen Teilfaktor fiir die syste-
matischen und genealogischen Schliisse betreffend die Stellung der
Sauropsiden und ihrer Unterabteilungen ausmachen.
Die folgenden, die Végel und Saugetiere behandelnden Kapitel
sollen sich schnell anschlieBen. Das Schlufkapitel des Ganzen
wird die Zusammenfassung der erhaltenen Resultate sowohl nach
der morphologischen als genealogischen Seite hin enthalten. In
demselben sollen auch die verschiedenen seit meinen letzten be-
ziiglichen zusammenfassenden Darstellungen von 1879 und 1888
erschienenen Abhandlungen tiber die gegenseitigen Beziehungen
von Knochen, Muskel und Nerv, sowie iiber die mit der Theorie
der Wanderung der Extremitaiten und den metamerischen Um-
bildungen der Knochen, Muskeln und Nerven zusammenhingenden
Fragen und die ihr entgegenstehenden Anschauungen besprochen
und schlieSlich die Homodynamie der Extremititen (Vergleichung
der vorderen und hinteren Extremitiét, Extremitatentheorie) im
Zusammenhange behandelt werden.
Vergleich, Anatomie des Brustschulterapparates ete. 217
Nachtriige zu Kapitel IV.
Neuere Litteratur und neue eigene Untersuchungen,
betreffend die Lacertilier, Rhynchocephalier und
Crocodilier, sowie die anderen Reptilien.
Suey
Schultergirtel, Brustbein und Humerus’).
Litteratur ”).
Cuvier, G., Recherches sur les ossemens fossiles des quadrupédes ete.
4, éd., X, Paris 1836.
1) Der eigenen Untersuchung stand, im Vergleiche zu dem
betrachtlichen Umfange des hier behandelten Gebietes, nur ein
relativ beschranktes Material (Skelette und Spiritusexemplare recenter,
Gipsabgiisse fossiler Tiere) zur Verfiigung. Die hauptsichlichsten
Grundlagen fiir die folgende zusammenfassende Darstellung bilden
die in der Litteratur niedergelegeten Abbildungen und Beschrei-
bungen anderer Autoren, fiir deren jedesmalige Richtigkeit ich
selbstverstandlich nicht einstehen kann. Wo ich nachuntersuchen
konnte, ist es geschehen; in den weitaus meisten Fallen mu8te ich
mich mit den von Anderen gegebenen Materialien begniigen, habe
dabei aber nach Méglichkeit nach einer kritischen Verwertung der-
selben gestrebt. — Bei den Beschreibungen in diesem, wie in den
vorhergehenden und den folgenden Abschnitten habe ich mich,
um den schweren Ballast doppelter Namen zu vermeiden, in der
Regel auf die Wiedergabe der Gattungsnamen be-
schrankt. Der die Verzeichnisse der untersuchten Tiere und die
sonst angefiihrten Litteratur-Quellen zu Rate ziehende Leser wird
schnell und leicht sehen, welche Species dieser Genera der Dar-
stellung zu Grunde lagen. Selbstverstandlich liegt mir
nichts ferner, als mit der bloBen Anfiihrung der Gat-
tungsnamen behaupten zu wollen, da8 alle Species
einer Gattung so groge Uebereinstimmungen in ihrem
Bau darbieten, da8 es gleichgiltigist, welche Arten
von ihnen untersucht werden. Infriheren Veréffent-
lichungen und in der vorliegenden habe ich zu wie-
derholten Malen dargethan, da’ nicht allein még-
lichst viele Arten einer Gattung, sondern auch moég-
lichst viele Individuen einer Species untersucht
werden sollten.
2) Auferdem verweise ich noch auf die 1874 und 1875 (Zur
vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln, II. und IIT. Teil)
angegebene Litteratur, von der alles Speciellere hier nicht wieder-
gegeben wurde.
15*
218 Max Firbringer,
Drstonacuames, E., Mémoire sur le Poecilopleuron Bucklandii,
grand Saurien fossile, intermédiaire entre les Crocodiles et les
Lézards; découvert dans les carriéres de la Maladrerie prés Caen.
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— Beitriige zur Lehre von den Sinnesorganen der Hatteria punctata.
Ibidem, LII, 8S. 268—366. Bonn 1898. (Enthilt auch Ver-
gleichendes iiber Skelet und Weichteile, sowie systematische
Folgerungen.)
— Ueber die Stellung der Hatteria punctata in der Tierreihe.
Verh, d. Anat. Gesellsch. auf d. 12. Vers. in Kiel, S. 1OO—106.
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giirtel des Ornithorhynchus paradoxus und der Hidechse Uro-
mastix spinifer. Zool. Anz. XXII, S. 329—335. Leipzig 1899.
(Enthaélt auf Grund bekannter Thatsachen eine speciellere Ver-
gleichung des Brustschulterapparates von Uromastix und Ornitho-
rhynchus und kommt zu dem wunderlichen Schlusse, daf die
Uebereinstimmung der Knochen beider Schultergiirtel eine so
vollkommene sei, ,,dai selbst ein erfahrener Zoologe den
Schultergiirtel eines Ornithorhynchus, aus dem Skelette heraus-
genommen, fiir den Schultergiirtel einer Eidechse, nicht fiir jenen
eines Siiugetieres halten kénnte“. In Wirklichkeit wird das
auch einem recht unerfahrenen Zoologen nicht passieren.)
Wituston, 8S. W., Some Additional Characters of the Mosasaurs.
Kansas Univ. Quart., VIII, A, p. 39—41. Lawrence 1899.
Auf die trefflichen, genauen Beschreibungen Sigepenrock’s sei
besonders hingewiesen.
Die folgende Darstellung enthalt eine zusammenfassende Be-
handlung des fiir die Schultermuskulatur in erster Linie in Be-
tracht kommenden Brustschulterapparates und des Humerus und
kniipft an meine alteren Beschreibungen von 1874 und 1875 an.
Hierbei lag es nahe, den zu beschreibenden Stoff nicht auf die
lebenden Reptilien zu beschriinken, sondern auch auf die aus-
gestorbenen Vertreter derselben auszudehnen.
Um die Gleichartigkeit der Behandlung mit den folgenden
Abschnitten (§ 14 und § 15) tiber die Nerven und Muskeln der
Lacertilier, Rhynchocephalier und Crocodilier zu wahren, also
230 Max Firbringer,
lediglich aus praktischen Griinden, wurden auch hier bei der Be-
schreibung des Skelettes die noch lebende Vertreter aufweisenden
Ordnungen (unter anhangsweiser Zufiigung ihrer fossilen Repra-
sentanten) zuerst behandelt, und daran erst — somit ohne Riick-
sicht auf die systematische Folge — die fossilen Reptilienordnungen *)
nebst den Cheloniern (deren Nerven und Muskeln bereits 1874
Bearbeitung fanden und hier nicht wieder behandelt werden) an-
geschlossen?). Die Darstellung macht damit dem Systematiker
einen sozusagen unwissenschaftlichen Eindruck *); die am Schlusse
1) Bei den fossilen Ordnungen wurden, um den mit der Pala-
ontologie der Reptilien nicht Vertrauten eine erste Orientierung
zu geben, einige einleitende Worte iiber Alter und Einteilung der
betreffenden Vertreter gegeben; die palaéontologisch Geschulten bitte
ich diese fiir sie tiberfliissigen Mitteilungen freundlich zu entschul-
digen. Die Darstellung beriihrt iibrigens auch betreffend den
Brustschulterapparat und den Humerus nur die Hauptpunkte, und
die Eingangs citierte Litteratur ist weit davon entfernt, vollstandig
za sein.
2) Die auch rudimentirer Brustschulter-Elemente entbehrenden
Ophidier fallen selbstverstandlich auferhalb der Behandlung.
3) Den gleichen systematisch unwissenschaftlichen Hindruck
gewahrt auch die Folge in der Behandlung der beziiglichen Skelett-
teile bei den lebenden Reptilien (exkl. Chelonier), indem dieselben,
um nicht zu viel ungleichwertige Unterabteilungen in die Dar-
stellung einzufiihren, einfach in 5 aufeinander folgende Abschnitte
— Kionokrane Lacertilia, Amphisbaenia, Chamaeleontia, Rhyncho-
cephalia, Crocodilia — geghedert wurde. Es versteht sich auch
fiir mich, daB die drei ersten Vertreter der Lacertilier einander
niher stehen als den Rhynchocephahern und den Crocodiliern und
dal eine weite Kluft die Crocodilier von den Rhynchocephaliern
und Lacertiliern trennt. Beziiglich der Dreiteilung der lebenden
Lacertilier in die Kionokrania, Amphisbaenia und Chamaeleontia
folge ich noch den ialteren taxonomischen Anschauungen (nament-
lich Srannius 1856) und unterscheide mich damit z. B. von der
von Bovuiencrer (1884—87) vorgetragenen und von den meisten
neueren Herpetologen angenommenen Einteilung, wonach die Cha-
maeleontia (Rhiptoglossa) als besondere Subordo den Lacertilia vera
gegentibergestellt, die Amphisbaenia aber als blofe in der niichsten
Nahe der Tejidae stehende Familie (Amphisbaenidae) den Lacertilia
vera eingereiht werden. Die Griinde fiir meinen Konservativismus
liegen hauptsaichlich in meiner Ueberzeugung von der fiir die La-
certilier nicht unerheblichen differential-diagnostischen Bedeutung
der Columella, welche durch die neueren beziiglichen Untersuchungen
bei Anniella und Chamaeleo (vergl. Dotto 1884, Corr 1887, Baur
1889 und 1894) nur verstirkt wurde — iiber Dibamus scheinen
mir die Akten noch nicht geschlossen zu sein —, sowie in dem sin-
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 231
dieses ganzen IV. Teiles, also nach Behandlung der Skelettteile,
Nerven und Muskeln zu gebende Zusammenfassung soll namentlich
auch systematischen Prinzipien dienen und die genealogischen Be-
ziehungen der behandelten Reptilien zu erértern suchen.
A. Kionokrane Lacertilia.
Alle neueren Untersuchungen iiber Schultergiirtel, Brustbein
und Humerus ergeben die wesentliche Uebereinstimmung dieser
Gebilde bei den kionokranen Lacertiliern und schliefen somit ohne
weiteres an meine friiheren Veréffentlichungen (1875) an.
Allenthalben bei guter Ausbildung setzt sich der Schult er-
giirtel aus dem primaren, aus Scapula und Coracoid bestehenden,
und aus dem sekundaren, durch die Clavicula reprasentierten An-
teile zusammen; ersterer steht zu dem primaren Brustbein, Ster-
num, letzterer zu dem sekundaren, Episternum, in direkter Be-
ziehung ?).
Durch Riickbildung?) vereinfacht sich der Apparat, indem das
gularen Verhalten der Lunge der Amphisbaenia gegeniiber dem
amphisbaenen -ahnlichen Tejiden Ophiognomon (cf. Butter, Proc.
Zool. Soc., 1895). Ich glaube, daf noch eingehende und ausgebreitete
anatomische Untersuchungen an Amphisbaenoiden (namentlich Chiro-
tiden) und Tejiden (namentlich Proctoporus, Scolecosaurus, Cophias
und Ophiognomon), sowie auch den (iibrigens eine ganz andere
Richtung einschlagenden) Dibamiden nétig sind, um diese Frage
definitiv zu entscheiden. Solche Untersuchungen auszufihren,
fehlte mir leider das nétige in Betracht kommende Material.
1) Diese bekanntlich von GrcGenpaur (1865) eingefiihrte und
tief und ausfiihrlich begriindete Unterscheidung in einen primiaren,
enchondral verknéchernden, und einen sekundiren, als Deckknochen
ossifizierenden, Teil des Brustschulterapparates ist, soweit insbesondere
die Clavicula in Betracht kommt, namentlich von Gorrs (1877) und
WIEDERSHEIM (1892) angegriffen, von GeGENBAUR (1898) aber wirksam
verteidigt worden. Sapnatirer (1897) hat selbst die enchondrale
Natur des Episternums behauptet und ist zu Ansichten gekommen,
die weiter unten (sub Rhynchocephalia) rekapituliert werden sollen.
Perrin (1897) vertritt im wesentlichen die gleichen Anschauungen
wie GrcenBAuR. Auch ich folge (wie schon friiher) auf Grund
neuer eigener Untersuchungen GEGENBAUR.
2) Ueber den Riickbildungsprozef der Extremititen und des
Extremititengiirtels verdanken wir Copr (1892, A) eine wesentliche
Bereicherung unserer Kenntnisse, indem dessen Untersuchung an
einem viel umfanglicheren Material als meine altere (1870) angestellt
Bd, XXXIV. N. F. XXVIL 16
232 Max Firbringer,
Episternum unter successiver Reduktion ganz schwindet (Pygopus
lepidopus, Ophisaurus, Dopasia gracilis, Anguis fragilis [ausnahms-
weise], Anelytropsis papillosus, Feylinia currori), das Sternum den
Verband mit den Rippen verliert (Ophisaurus, Pseudopus, Dopasia,
Anguis) und unter allmahlicher Verkleinerung auch ganz verkiimmert
(Anelytropsis, Feylinia), und indem endlich auch der primare oder
sckundare Schultergtirtel véllig reduziert wird; in einzelnen Fallen
persistieren noch Reste des primaren Schultergiirtels allein (Acontias,
Typhlosaurus)+) oder des sekundaren allein (Feylinia)?) oder der
ist. Auch Sauvace (1878) und SuHurexpr (1882) machen Mitteilungen,
ersterer (ohne Kenntnis der meisten vorausgegangenen Arbeiten)
iiber Ophisaurus apus, letzterer iiber Ophisaurus ventralis. — Nach
Corr’s Arbeiten, die ich durch die Angaben in BovuLuncnr’s Cata-
logue of Lizards und die seitdem erschienene Litteratur vervoll-
standige, findet sich 1) ganzliche Riickbildung der freien vorderen
Extremitat bei Zonuridae: Chamaesaura (Mancus) macrolepis. —
Pygopodidae (alle Gattungen). — Anguidae: Ophisaurus (alle Arten
inkl. die unter den Genusnamen Pseudopus und Dopasia an-
gefiihrten); Ophiodes (alle Arten); Anguis (fragilis). — Anmniellidae
(Gattung Anniella mit allen Arten). — Scincidae: Ollochirus (Cops);
Lygosoma bipes, L. (Soridia) praepeditum, L. (Ophioscincus) ophio-
scincus; Ophiomorus (einige Arten, z. B. punctatissimus, latastei) ;
Scelotes (gewisse Arten, z. B. Sc. bipes, Sc. (Podoclonium) guentheri,
ferner die auch mit dem Gattungsnamen Herpetosaura bezeichneten
Sc. inornatus, arenicola, bicolor etc.); Herpetoseps (anguinus); Sepsina
(Dumerilia) bayonii u. A.; Melanoseps (ater); Sepophis (punctatus) ;
Acontias [die meisten Arten incl. die mit Pseudacontias (madagasca-
riensis), Paracontias (brochii) und Grandidierna (rubrocaudata) be-
zeichneten|; Typhlacontias (punctatissimus); Ophiopsiseps (nasutus).
— Anelytropidae (alle Gattungen und Arten: Anelytropsis, Feylinia,
Typhlosaurus, Voeltzkowia). — Dibamidae: Dibamus (alle Arten). —
2) ganzliche Unterdriickung der vorderen Extremitat und
des Brustschulterapparates bei gewissen Arten von Acontias,
bei Anelytropsis, Dibamus und Anniella, vermutlich auch noch bei
anderen Scincidae und noch nicht untersuchten Anelytropidae. (Ueber
die Verhaltnisse bei den Amphisbaenoiden s. bei diesen.)
1) Bei Acontias und Typhlosaurus auf Grund meiner 1870 ge-
machten Mitteilungen (vergl. Die Knochen und Muskeln der Extre-
mitaten bei den schlangenihnlichen Sauriern, Leipzig 1870, 8S. 15 f.).
Die dort geauferte Annahme von der méglichen Existenz clavicularer
Elemente in dem Schultergiirtelrudiment von Acontias niger méchte
ich jetzt fallen lassen. Immerhin empfiehlt sich Nachuntersuchung
an anderen Exemplaren.
2) So bei Feylinia nach Corn. Danach — wenn Copr’s Deutung
richtig ist — scheint es, daf die Reduktion des Schultergiirtels bei
den Acontiidae und Anelytropidae zu sehr verschiedenen Ausgingen
kommt.
Vergleich. Anatomie des Brustschuiterapparates etc. 233
ganze Schultergtirtel verschwindet spurlos (Acontias indiy., Anely-
tropsis, Dibamus, Anniella).
Der primare Schultergitirtel‘) reprasentiert ein winkelig
gebogenes Skelettstiick aus knorpeliger Grundlage, dessen lateraler
Schenkel, die Scapula, an der Seitenwand des Kérpers aufsteigt
und dorsal frei ausliuft, waihrend der ventrale Schenkel, das
Coracoid, in seinem hinteren Bereiche mit dem Sternum artikuliert
und mit seinem medialen Rande sich bei guter Ausbildung unter
Ueberschreitung der Mittellinie tiber den Rand des Coracoids der
Gegenseite schiebt?), Die winkelige Verbindungsstelle von Scapula
und Coracoid wird in der Jugend durch Synchondrose, im Alter
durch Synostose gebildet; an ihrem distalen Rande liegt die Ge -
lenkhoéhle fiir den Humerus *).
Die Scapula‘) besteht aus dem ventralen schmaleren und
meist auch kiirzeren Abschnitte, der mit dem Coracoid in der
‘angegebenen Weise verschmolzen ist und verknéchert, der Scapula
s. str. (Infrascapulare), und dem dorsalen, breiteren und gréferen
Teile, der knorpelig bleibt oder nur verkalkt, dem Suprascapu-
lare®): beide bilden ein Continuum ®), Der vordere Rand resp.
1) Seapulo-coracoideum: Go6rrn u. a. A. — Osso scapolare:
ORLANDI.
2) Ueber diese von Alters bekannte gegenseitige Deckung der
Coracoide machen Horrmann (1879) und Srepenrock (1894, 1895)
Mitteilungen; ersterer hielt sie fiir eine Kigentiimlichkeit des von
ihm untersuchten Goniocephalus dilophus, was von Sirpenrock durch
Untersuchung zahlreicher anderer, ahnlich sich verhaltender Lacer-
tilier widerlegt wurde. Bei schwiicherer Ausbildung oder Reduktion
des Coracoids entfernen sich die beiden Coracoide voneinander;
bei Acontias niger scheint Verschmelzung beider einzutreten. So-
mit abnlich wechselnde Verhaltnisse wie bei den Batrachiern.
3) Cavitas glenoidalis, Fovea articularis, Gelenkhéhle der Au-
toren. Bei den Arten mit véllig riickgebildeter vorderer Extremitat
schwindet sie; bei Pseudopus fand ich (1870) individuell noch das
letzte Rudiment des Humerus syndesmotisch (ohne Ausbildung einer
Gelenkhéhle) an der entsprechenden Stelle angeheftet.
4) Scapula, Scapola, Scapulum, Omoplate der Autoren. — Por-
zione verticale e dorsale dell’ osso scapolare: ORLANDI.
5) Episcapulum: Sapatrer. — Soprascapola: Ficaupi. — Supra-
scapulare: Srepenrock. — Porzione dorsale dell’ osso scapolare:
ORLANDI.
6) Eimige Messungen ergeben mir hinsichtlich des gegenseitigen
Lange-Verhaltnisses (dorso-ventrale Ausdehnung) der Scapula
s. str. und des Suprascapulare: 1:2 bei Phrynosoma; 2:3 bei Hemi-
dactylus; 3:4 bei Gecko, Varanus; 4:5 bei Lacerta; 1:1 bei
alts
234 Max Firbringer,
Vordersaum der Aufenflache der Scapula tragt bald an der Grenze
von Infrascapulare und Suprascapulare, bald an ersterem oder an
letzterem einen kleinen, fiir die Aufnahme der Clavicula bestimmten
Processus clavicularis s. Acromion'). Membranés ver-
schlossene Fensterbildungen im vorderen Bereiche der Scapula
(Fenestra scapularis)”) oder an der Grenze der Scapula und des
Coracoids (Fenestra coraco-scapularis) *) finden sich nicht selten;
letzteres ist die haufiger vorkommende Bildung. Mitunter wird
Ameiva; 3:2 bei Calotes, Uroplates. Die Breite- Dimensionen
(sagittale Dimensionen) dieser Teile kénnen in Wirbellaingen als
Einheiten folgendermagen ausgedriickt werden: geringste Breite
der Scapula s, str.: 11/, bei Varanus; 1 bei Ameiva, Phryno-
soma, Calotes; */; bei Lacerta; 3/, bei Gecko, Hemidactylus, Uro-
plates; gré8te Breite des Suprascapulare: 31/, bei Va-
ranus; 3'/, bei Gecko, Hemidactylus; 31/, bei Lacerta; 3 bei Ca-
lotes, Uroplates; 2?/, bei Ameiva, Uroplates; 1°/, bei Phrynosoma.
— Uroplates wies im ganzen die schlankeste und am _ weitesten
verknécherte Scapula auf und nahert sich damit unter allen wahren
(kionokranen) Lacertiliern am meisten den Chamaeleontiden.
1) Bei den Saugetieren ist die betreffende Bildung viel héher
ausgebildet und namentlich auch in ihrer Lage fixiert, weshalb eine
specielle Homologie zwischen dem Acromion der Saugetiere und
Lacertilier von GEGENBAUR (1865) nicht angenommen wurde; daf
es sich aber um gleichartige Bildungen handelt, ist zweifellos und
wird auch durch Annahme der betreffenden Bezeichnung fiir die
Lacertilier neuerdings (1898) durch Grerenspaur dokumentiert.- Sa-
BATIER nennt dasselbe Acromion scapulaire. Srepenrock, der das
Gebilde bald als acromion-ahnlichen Fortsatz, bald als Acromion
bezeichnet, macht eingehendere Mitteilungen iiber sein wechselndes
Verhalten bei vielen Lacertiliern (1893, 1894, 1894) und hebt bei
den Scincidae namentlich auch die Lage an der Aufenflache
und in einiger Entfernung von dem vorderen Rande der Scapula
hervor (1895, A); ich kann seine Angaben bestitigen.
2) GeGENBAUR’S Fenster No. 4. — Scapular Fenestra, Scapular-
fenster: Parker, SIEBENROCK.
3) GreenBaur’s Fenster No. 3, wodurch zugleich die gréfere
Haufigkeit gegeniiber dem dorsal von ihm gelegenen Fenster No. 4
ausgedriickt wird. — Foramen crico-coracoidien: Gmrvars. — Coraco-
scapular Fenestra: Parker. — Die beide Fenster scheidende resp.
das untere dorsal begrenzende Skelettspange (Trabecula) wird von
ParKER als Mesoscapula hervorgehoben ; SaBariur bezeichnet sie als
Préscapulum, Ficansr als Apofisi o processo mesoscapolare, Copx als
Proscapular process, Sirpenrock als Processus anterior scapulae. —
Mir scheinen die Bezeichnungen Mesoscapula und Préscapulum die
Bedeutung des fraglichen Gebildes weit zu iiberschatzen; von Fort-
satzbildungen méchte ich aber auch nicht sprechen, da es sich hier
offenbar nur um Aussparangen infolge der sekundiren Fenster-
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 235
die sie vorn verschlieBende Skelettspange') sehr fein und _ bildet
sich selbst zum Bande um’); dann kann man von Incisurae ob-
turatae oder Semifenestrae an Stelle der Fenster sprechen.
Fig. 1. Fig. 2.
Fig. 1. Brustschulterapparat von Iguana tuberculata juv. 3. Cl Cla-
vicula. Co Rippe. Cr Coracoid. st Episternum. F.spe Foramen supra-
coracoideum. Pst Prosternum. Sc Scapula. SS Suprascapulare. Xst Meta-
sternum (Xiphisternum). Z Fenestra coracoidea anterior. 2 Fen. cor. post.
& Fen. coraco-scapul. 4 Fen. scap. (Nach W. K. PARKER.)
Fig. 2. Brustschulterapparat von Hemidactylus sp. juv. }. Zer Epi-
coracoid. #F.gl Fossa glenoidalis humeri. 4 Incisura obturata (Semifenestra)
scapularis. Uebrige Bezeichnungen s. Fig. 1. (Nach W. K. PARKER.)
Das Coracoid®*) bildet eine breite horizontale Platte, welche
in ihrem an die Scapula grenzenden lateralen Abschnitte ver-
bildung, also um Trabekeln, handelt. — Ueber die Existenz der
beiden Fenster verdanken wir StmpEnrock (1894, 1895) genaue Mit-
teilungen; dieselben wechseln selbst bei nahen Verwandten erheblich.
— Sie dienen mit ihren Umrahmungen bald dem M. scapulo-
humeralis anterior, bald diesem Muskel und dem dorsalen Teile
des M. supracoracoideus als Ursprungsstellen.
1) Von Parker und Gérre als Praescapula, Praescapular belt,
Praescapulare benannt. Auch dieser Bezeichnung méchte ich aus
dem in vorhergehender Anmerkung angegebenen Grunde nicht das
Wort reden. Hinsichtlich des wechselnden Verhaltens verweise ich
gleichfalls auf Srtepenroce’s Mitteilungen, aus denen auch das Ent-
sprechende iiber das gewebliche Verhalten dieser Spange zu er-
schliefen ist.
2) Genaueres dariiber s. u. a. bei Gorrr (1877).
3) Coracoid, Coracoide, Osso coracoideo der Autoren. — Porzione
ventrale dell’ osso scapolare: Ortanpi. — Die alte Deutung als Cla-
vicula scheint allgemein verlassen zu sein; das Bilderwerk von
Briun, der nach Srpsenrocr’s Mitteilung den knorpeligen Teil als
Chondro-claviculare bezeichnet, stand mir nicht zur Hand. Ueber
die Richtigkeit der Deutung als Coracoid braucht nicht mehr dis-
putiert zu werden.
236 Max Firbringer,
knéchert, in ihrem medialen und vorderen (kranialen) Bereiche
aber in wechselnder Ausdehnung knorpelig bleibt'). Mit ihrem
hinteren medialen Rande greift sie in den Sulcus coracoideus des
Sternums ein und ist durch Vermittelung eines schlaffen Kapsel-
bandes gelenkig mit ihm verbunden; medial steht sie zu dem
Coracoid der Gegenseite in den bereits angegebenen Bezichungen ;
vorn ragt sie frei vor, wobei sie meist von der Clavicula bedeckt
wird, ohne aber mit derselben in Beriihrung zu kommen. Selten
(Helodermidae) ?) bildet sie eine — abgesehen von dem noch zu
Fig. 3. Fig. 4. Fig. 5.
Fig. 3. Brustschulterapparat von Heloderma suspectum. ?. Bezeich-
nungen s. vorhergehende Figuren. (Nach SHUFELDT.) ,
Fig. 4. Brustschulterapparat von Gerrhonotus imbricatus. (Nach SIEBEN-
ROCK.)
Fig. 5. Brustschulterapparat yon Varanus bengalensis. %. 3 Incisura
obturata (Semifenestra) coraco-scapularis. Uebrige Bezeichnungen s. vorher-
gehende Figuren. (Nach W. K. PARKER.)
erwihnenden Foramen supracoracoideum — _ undurchbrochene
Platte; in allen tibrigen Fallen guter Ausbildung ist sie von einem
meist grofen, mit Membran gefiillten Fenster (Fenestra coracoidea
1) Der knorpelige resp. knorpelig gebliebene Abschnitt wird
auch von verschiedenen neueren Autoren nach dem Ursprunge
Cuvier’s als Epicoracoide, Epicoracoideo, Epicoracoid (GorrTs,
SABATIER, Ficauei, SIEBENROCK), von Brinn als Chondro-claviculare
bezeichnet. Srepenrock stellt ihn dem knéchernen Coracoid gegen-
iiber zu sehr in Gegensatz; beide bilden ebenso wie Scapula s. str.
und Suprascapulare ein einheitliches Skelettstiick.
2) Hinsichtlich dieses bemerkenswerten, an die Chamaeleontiden
erinnernden Verhaltens des primiaren .Schultergiirtels von Heloderma
verweise ich des niheren auf Suurenpr und Corr. Selbstverstind-
lich begriindet dieses Verhalten keine besondere systematische Stel-
lung der Helodermidae jenseits der iibrigen kionokranen Lacertilier
(vergl. auch BouLENnGEr).
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 237
principalis s. anterior) 1) durchbrochen, zu dem nicht selten noch
ein zweites, caudalwarts dahinter gelegenes (Fenestra coracoidea
posterior) *) hinzukommen kann. Das ersterwihnte Fenster, das
bei vielen Lacertiliern das einzig vorkommende im primaren
Schultergiirtel ist, tritt, wie GEGENBAUR hervorgehoben hat, vor
allen anderen Fensterbildungen in Scapula und Coracoid als
Hauptfenster in den Vordergrund und lat sich auch mit den
Fensterbildungen bei anderen Reptilien und den Amphibien ver-
gleichen, wahrend die iibrigen Fenster (No. 2, 3 und 4) specielle
und sehr wechselnde Differenzierungen (Nebenfenster) innerhalb
der kionokranen Lacertilier bilden. Angesichts dieser fundamen-
w Fst
m ir Cc Cl Se SS
< Pst
WANN Col
Co.4
Xst
Fig. 6. Fig. 7.
Fig. 6. Brustschulterapparat von Zonosaurus ornatus. (Nach SIEBEN-
ROCK.)
Fig. 7. Brustschulterapparat von Iguana tuberculata. 4. (Nach W. K.
PARKER.)
1) Primares Fenster, Hauptfenster, Fenster No. 1: GrarHpaur.
— Upper coracoid fenestra: Parker. Sriepenrock gebraucht beide
Bezeichnungen. Nach Gorre entstehen alle Fenster erst sekundiar
wahrend der ontogenetischen Entwickelung. — Das Hauptfenster
dient mit seiner Umrahmung dem M. supracoracoideus als Ursprungs-
stelle.
2) Sekundiares Fenster, Fenster No. 2: Grcensaur. — Lower
coracoid fenestra: Parker. — Nebenfenster: Srepenrock (der auch
die anderen Benennungen wiedergiebt). — In der Haufigkeit seines
Vorkommens rangiert dieses Fenster etwa mit dem coraco-scapularen
Fenster. Von der es auskleidenden Membran und der Umrahmung
des Fensters entspringt der proximale Kopf des M. biceps brachii.
238 Max Firbringer,
talen und weitgehenden Bedeutung +) reprasentieren auch die es
umgrenzenden Skeletteile wichtige Strecken des Coracoids?): die
vor (kranial) ihm liegende Spange ist das Procoracoid %), die
medial davon befindliche das Epicoracoid®‘), der hinter (caudal)
und lateral von ihm gelegene Hauptteil des Coracoids das Cora-
coid s. str.°). Von viel geringerer Wichtigkeit ist bei der Aus-
bildung von zwei coracoidalen Fenstern die zwischen diesen beiden
gelegene Spange °). Bei Reduktion des Coracoids wird die procoraco-
idale und epicoracoidale Spange schmaler und schmiler, erstere kann
sich auch ligamentés zuriickbilden, in welchem Falle das Haupt-
fenster zur Incisur’) sich umwandelt; weiterhin bei noch héheren
Graden der Verkiimmerung kann auch die coracoidale und scapulare
Fensterbildungen resp. Incisuren trennende Spange in Wegfall
kommen, wodurch eine gemeinsame coraco-scapulare Incisur ent-
1) G6érrr und, ihm folgend, Horrmann und WiepursHerm halten
im Gegensatz zu GrGENBAUR dieses Hauptfenster den iibrigen
Fensterbildungen im primiaren Schultergiirtel fiir gleichwertig und
vermégen darum auch, namentlich im Hinblick auf die fensterlosen
Coracoide von Chamaeleo und Sphenodon, die fundamentale Bedeu-
tung desselben und der es umschliefenden drei Strecken des Cora-
coides nicht anzuerkennen. Prrrin unterscheidet dieselben sehr
wohl.
2) Es handelt sich somit, worauf einiges Gewicht zu legen ist,
nicht um drei durch separate Verknicherungen gesonderte Teile,
sondern blof um verschiedene Regionen des Coracoids s. lat., und
damit ist ein gewisser Unterschied gegeniiber den Bildungen der
Saiugetiere und einzelner anderen Reptilienabteilungen (Anomodontia,
Plesiosauria) gegeben, bei denen das Coracoid mit zwei lange ge-
trennt bleibenden Centren ossifiziert. Howes (1893) unterscheidet
danach auch die meisten Sauropsiden (und Amphibien) als unicora-
coidale Tiere von den zuvor genannten Reptilien und Mammalia,
auf die er den Terminus bicoracoidal anwendet.
3) Précoracoide, Praecoracoid: Sauvacn, SHurELDT. — Précora-
coide et Epiprécoracoide: Sasarizr. — Apofisi 0 processo precora-
coideo: Ficansi. — Procoracoid: Gérrr, Cope.
4) Epicoracoide, Epicoracoid, Epicoracoideum : SAuvAGE, SHUFELDT,
SIHBENROCK.
5) Coracoid s. str. der Autoren. — Coracoide et Epicoracoide:
SABATIER.
6) Mesocoracoid, Mésocoracoide, Mesocoracoideo: Parker, GOTTE,
Sapatrer, Ficaupr. — Wegen der Unbestindigkeit des hinteren
Coracoidfensters kann ich dieser Spange nicht die Bedeutung bei-
messen, die mit der erwihnten Bezeichnung (als integrierender Teil
des Coracoids) ausgedriickt wird,
7) Emargination: Cop.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 239
steht (Anguis, GOTTs); endlich bei noch weiterer Reduktion fehlt
jede prozonale Incisur, indem nur ein schmales Rudiment des
Coracoids s. str., das lateral in das scapulare Rudiment auslauft,
iibrig bleibt. — Zwischen dem Hauptfenster und der Gelenkhéhle
Fig. 8. Brustschulterapparat
von Phrynosoma cornutum. 3.
1 + F. spe Fenestra coracoidea
anterior, durch das zugleich der
N. supracoracoideus tritt. Uebrige
Bezeichnungen s. vorhergehende
Figuren. (Nach der Natur.)
fiir den Humerus wird das Coracoid von dem Foramen supra-
coracoideum') durchbohrt, welches dem Durchtritte des Ner-
vus supracoracoideus und der gleichnamigen Gefaife dient. Es
liegt immer im Bereiche des Coracoids s. lat. und kann in einzelnen
Fallen in den Rand des Hauptfensters treten; bei starker redu-
ziertem Brustgiirtel tritt der Nerv, wenn noch vorhanden, vor
(kranial von) dem coracoidalen Rudimente nach aufen '),
Der sekundare Schultergiirtel wird durch die als
Deckknochen ossifizierende Clavicula?) reprasentiert, eine den
vorderen (kranialen) Rand des Schulterapparates einnehmende
quere Knochenspange oder Knochenplatte, welche zwischen dem
Anfange des Episternums und dem Proce. clavicularis (Acromion)
der Scapula erstreckt ist und dementsprechend auch eine ahnliche
winkelige Biegung wie der primire Schultergtirtel zeigt.
Beziiglich ihrer Verbindung mit dem Episternum *) habe ich
meinen Mitteilungen von 1875 kaum etwas zuzufiigen: ist das
1) Trou coracoidien: Sauvage. — Nervenloch: Srepenrock. —
SIEBENROCK macht genauere Mitteilung iiber sein Vorkommen und
findet auch bei Scincus (entgegen GrcEnBaur’s Alterer Angabe),
da8 es sich nicht an der Grenze von Coracoid und Scapula finde. —
Insbesondere bei den mir vorliegenden Exemplaren von Phrynosoma
und Uroplates fallt es in den Bereich des bei letzterem recht
kleinen coracoidalen Fensters. Auch Siesenrocx bildet fiir Uro-
plates kein separates Foramen supracoracoideum ab.
2) Clavicula, Clavicule, Clavicola der Autoren. — Dermo-clavi-
culare: Brisa.
3) Hinsichtlich des selbst innerhalb engerer Familienverbinde
recht wechselnden Details verweise ich namentlich auf Stmpenrock
(1893—95).
240 Max Firbringer,
Episternum T-férmig, so sind die beiden Clavikeln in gréferer Aus-
dehnung mit dessen Querschenkeln vereinigt; ist es kreuzformig, so
findet sich die konstante direkte Verbindungsstelle an der Spitze des
Liingsschenkels, wozu mitunter noch ein direkter Verband mit den
Enden der queren Schenkel kommen kann, wihrend sich zwischen
den voneinander entfernteren Strecken der Clavicula und der epister-
nalen Querschenkel eine mabig entwickelte Membrana episterno-
clavicularis erstreckt; wird das Episternum nur durch einen
Lingsstab reprasentiert, so liegt die Clavicula blof dem Anfange
desselben an. Bei weiterer Riickbildung des Episternums lést
Fig. 10. Fig. 11.
Fig. 9. Brustschulterapparat von Gerrhonotus imbricatus. (Nach SIEBEN-
ROCK.)
Fig. 10. Clavicula, Sternum und Episternum yon Zonurus cordylus. 4.
(Nach der Natur.)
Fig. 11. Brustschulterapparat von Heloderma suspectum. 3. (Nach
SHUFELDT.)
sich der Verband mit der Clavicula; das episternale, meist nur
noch im sternalen Bereiche erbaltene Rudiment liegt dann in mehr
oder minder grofer Entfernung von der Clavicula!). Bei ganz-
lichem Schwunde des priméren Schultergiirtels und der Brustbein-
bildungen legen sich die medialen Enden der beiden Clavikeln an
die von den vereinigten Sternocostalien der ersten Thorakalrippe
eebildete Spitze an (Keylinia, Cope) ?); haufiger schwinden die
1) Diese Liésung und Riickbildung konnte von Gort bei An-
guis auch ontogenetisch nachgewiesen werden.
2) Diese Angabe Copn’s von der Persistenz der Clavicula bei
ginzlich geschwundenem primaren Schultergiirtel ist sehr auffallend.
Der beziigliche Befund bei Feylinia wiirde eine Ausnahme von dem
Verhalten aller anderen Tetrapoden (Amphibien, Sauropsiden und
Mammalia) darbieten. Erneute Untersuchungen sind sehr erwiinscht.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 241
Clavikeln noch vor dem primaren Schultergiirtel oder mit diesem
zugleich (Acontias, Anelytropsis, cf. Corr). In allen diesen Fallen
ist das gegenseitige Verhalten der rechten und linken Clavicula
ein wechselndes; zwischen den Extremen einer ausgedehnteren
Verbindung beider miteinander und einer mabigen Entfernung
voneinander finden sich alle Ueberginge.
Der Verband mit der Scapula erfolgt an der bei dieser an-
gegebenen Stelle (Acromion) und kann bald an der Scapula s. str.,
bald am Suprascapulare, bald an der Grenze beider stattfinden ;
diese Stelle liegt meist am Vorderende der Scapula s. lat., bei
zahlreichen Lacertiliern (namentlich Scincidae) aber auch an der
AuSenflaiche.
SS
Ss
Fig. 12.
Fig. 12. Clavicula, Sternum und Episternum von Agama atra. (Nach
SIEBENROCK.)
Fig. 13. Brustschulterapparat von Varanus bengalensis. 2. Vergl. Fig. 5.
(Nach W. K. PARKER.)
Die Gestalt der bei guter Ausbildung des Schultergiirtels
winklig gebogenen, bei weiter gegangener Riickbildung desselben aber
weniger gekriimmten Clavicula ist einem grofen, insbesondere von
Cope und BouLeNGER systematisch verwerteten Wechsel unter-
worfen: 1) einen diinnen und auf dem Querschnitte rundlichen
Stab bildet sie bei den Uroplatidae, Zonuridae, Anguidae, Pygo-
podidae, Helodermatidae, Xenosauridae, meisten Iguanidae, meisten
Agamidae, Varanidae, denen Feylinia, sowie vereinzelte aberrante
Geckonidae, Scincidae, Lacertidae und Tejidae (bei denen sich
wohl sekundar die schlankere Form aus der breiteren bildete)
angereiht werden kénnen; 2) wiahrend die laterale Halfte in der
Regel schmal bleibt, ist die mediale Halfte verbreitert, zuniichst
im maifigem Grade (einzelne Vertreter der Familien der Gecko-
242 Max Firbringer,
nidae, Scincidae, Zonuridae, Anguidae, Iguanidae'), Agamidae)
oder in ausgedehnterer Weise zu einer breiteren Platte, die meist
von einem mehr oder minder ansehnlichen querovalen Fenster
durchbrochen ist (iiberwiegende Mehrzahl der Geckonidae, Scincidae,
Eublepharidae, Gerrhosauridae, Lacertidae, Tejidae, Xantusiidae ”);
Fig. 14. Clavicula und Episternum von Laemanctus longipes. §. (Nach
W. K. PARKER.)
Fig. 15. Brustschulterapparat von Tiliqua nigrolutea. %. (Frei nach
W. K. PARKER.)
Fig. 16. Clavicula und Episternum von Mabuia multifasciata. (Nach
STEBENROCKE.)
Fig. 17. Brustschulterapparat von Hemidactylus sp. juv. 7. (Nach
W. K. PARKER.)
Fig. 18. Clavicula und Episternum von Trachysaurus rugosus. }. (Nach
W. K. eee
1) Bei Laemanctus selbst mit kleinem Fenster (PARKER 1868).
2) Bei Mabuia findet Stepenrock (1895) 2 hintereinander ge-
legene Fenster; Ortanpr bildet bei Macroscincus hinter dem grofen
Fenster noch 2 ganz kleine Oeffnungen ab. Der das Fenster
hinten begrenzende Knochenrand kann (vergl. Simpenrock, sowie
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 243
bei Cophias, Tiliqua und Trachysaurus, wo die medial (bei Trachy-
saurus in hohem Grade) verbreiterte Clavicula die gréfte Massig-
keit erreicht, fehlt in der Regel die Fensterbildung ').
Mit dieser Ausbildung verbindet sich eine verschiedenartige
Konturierung des hinteren (caudalen) Randes der clavicularen
Platte; von den hier zur Beobachtung kommenden Einschnitten,
Zacken und Vorspriingen ist derjenige an der Verbindungsstelle
Fig. 19.
Fig. 19. Brustschulterapparat von Zonosaurus ornatus. (Nach SIEBEN~-
ROCK.)
Fig. 20. Brustschulterapparat von Lacerta simonyi. (Nach SIEBEN-
ROCK.)
mit dem lateralen Schenkel des kreuzformigen Episternums hervor-
zuheben”). Ein geradliniger Verlauf der Clavicula ist hierbei
nicht der gewohnliche; haufiger besitzt dieselbe (abgesehen von
eigene Beobachtung) bei mehreren, von Smmpenrock mit Namen auf-
gefiihrten Lacertidae durch Ligament vertreten sein: dann resultiert
— am macerierten resp. seiner Membranen beraubten Skelette —
auch im medialen Bereiche eine schmale, nur durch den vorderen
Fensterrand gebildete Clavicula. Auch bei einzelnen Iguanidae
(Laemanctus, Basiliscus) wird eine Perforation des verbreiterten
medialen Teiles der Clavicula angegeben (BouLENGER).
1) Das von Parker untersuchte und abgebildete Exemplar von
Trachysaurus zeigt ein kleines Fenster; Werrser, Gueensaur, ich,
Corr, Srepenrock vermiften es. Offenbar handelt es sich bei
diesem Scinciden um einen sekundaren Verschluf.
2) Srepenrock macht iiber diese Verhaltnisse genauere Mit-
teilungen. Auch Sauvace (1878) bildet die am hinteren Rande sehr
zackige Clavicula von Gongylus ab.
244 Max Firbringer,
der oben angegebenen winkligen Biegung) eine mehr oder minder
ausgesprochene S-formige Kriimmung.
Bei Riickbildung des Schultergiirtels wird die Clavicula durch-
weg diinner, schmaler und mehr geradlinig.
Das primare Brustbein, Sternum!), ist einesteils Tra-
ger des Coracoids und des Episternums, wie es anderenteils im gut
ausgebildeten Zustande von Rippen getragen wird, entsteht durch
die Verschmelzung der ventralen verbreiterten Rippenenden und
bleibt wie diese in der Regel knorpelig; nicht selten kann der
Knorpel verkalken. Es besteht aus einer vorderen breiteren, un-
paaren, rhomboidalen Platte, an welche sich hinten ein schmalerer
Teil in Gestalt rippenartiger Fortsatze oder eines unpaaren Stabes
anschlieBt; der vordere Teil reprasentiert das Sternum s. str.
(Prosternum), der hintere das Xiphisternum (Metasternum).
Die rhomboidale, meist in maBigem Grade nach aufen ge-
wolbte?) Platte des Sternum s. str. (Prosternum)?) ist der
altere, d. h. friiher aus den Rippen hervorgegangene Hauptteil
des Sternums; ihre beiden vorderen Rander tragen die Gelenk-
flachen fiir die Coracoide, Sulci articulares coracoidei
(mit einem Labium externum und internum), ihre beiden hinteren
Rander verbinden sich mit einer wechselnden Zahl von Rippen-
knorpeln (Sternocostalien)*), meist 3 bei gut ausgebildeten Brust-
beinen °); zwischen den vorderen und hinteren Randern findet sich
1) Sternum der Autoren, Plaque sternale: Gervais.
2) Bei Uroplates ist der Anfang starker nach aufen gewélbt.
53) Portion rhomboidale: Saparinr. — Sterno: Frcaupr. — Prae-
sternum: PARKER, SIEBENROCK. — GEGENBAUR (1898), wenn ich ihn
recht verstehe, citiert Parker als Gewahrsmann fiir die Bezeichnung
Mesosternum, die er selbst gebraucht.
4) Rippenknorpel, Cartilagines costarum der Autoren. — Sterno-
costalleisten: Srannius. — Gastropleuralia: Brinn.
5) Die Dreizahl der mit dem gut entwickelten Praesternum
verbundenen Rippen ist das weitaus haufigste Vorkommnis und wird
auch von SirsenRocK als Regel angegeben. Manche anders lautende
Angaben lassen sich daraus erklaren, da’ die letzte prosternale
oder die erste xiphisternale Rippe gerade an der Grenze beider
Brustbeine sich einlenkt und dann von den Autoren bald dem vor-
deren, bald dem hinteren zugeteilt wird. Eine wohl nicht zu _ be-
zweifelnde Vierzahl mit dem Prosternum verbundener Rippen
wird bei Phyllodactylus, Grammatophora, Agama, Liolepis, Uromastix,
Laemanctus, [guana, Dipsosaurus, Crotaphytus und Oplurus, eine
Zweizahl (zum Teil wohl individuell) bei Sitana, Lyriocephalus,
Calotes, Anolis, Phrynosoma, Mancus, Psammosaurus, Varanus, Mo-
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 245
die laterale Ecke, die bei verschiedenen kionokranen Lacertiliern
in einen mehr oder minder ansehnlichen Processus lateralis aus-
gezogen sein kann‘). Der Medianlinie der Aufenfliche des Pro-
sternum ist das Episternum in wechselnder Ausdehnung aufgelagert
und eingewachsen. Eine mediane, hinten an das Episternum an-
schlieBende Erhebung der aiuSeren Prosternalflache, also die erste
Andeutung einer Crista sterni, fand Stepenrock bei einzelnen
Agamiden (Moloch, Lyriocephalus).
Der hintere und jiingere Teil des primairen Brustbeines, das
Xiphisternum (Metasternum)?), befindet sich, wie auch
nitor und Chalcides angegeben oder abgebildet; danach sind also
namentlich innerhalb der Agamidae und [guanidae die Differenzen
erhebliche. Noch weniger Rippen finden sich bei den in Riick-
bildung befindlichen Brustbeimen (s. unten). — Die erste Ster-
nalrippe gehért in der Regel dem 9. Wirbel an; bei den Vara-
nidae, aber nicht ausnahmslos (s. v. JHERING), sowie vereinzelt und
wohl individuell auch bei den anderen Lacertiliern (Agama stellio,
v. JHERING) ist sie wie bei den Crocodilen erst mit dem 10. Wirbel
verbunden. Anders lautende Angaben beziiglich gut entwickelter
Brustschulterapparate (z. B. die von Werser) beruhen wohl auf Ivrtum.
— Mit Riickbildung des Brustbeines und Schultergiirtels scheint
sich eine kranialwarts gehende Vorwanderung desselben um 1—2
Metameren zu verbinden; doch ist die genauere Bestimmung hier
mit Schwierigkeit verbunden, weil in diesen Fallen die Verbindung
des Sternums mit Rippen in der Regel aufgegeben ist. Daher
schwanken auch hier die Angaben auferordentlich; irrig sind jeden-
falls diejenigen, welche als Cervicalwirbel nur diejenigen auffassen,
welche keine beweglichen Rippen tragen (da bekanntlich bei den
gut ausgebildeten Lacertiliern eine ganze Anzahl hinterer Hals-
wirbel, meist 5, mit beweglichen Rippen verbunden sind), oder
welche alle mit Hamapophysen versehenen vorderen Wirbel zum
Cervicalgebiete rechnen (vergl. hieriiber die gute Kritik von SIEBEN-
rock, 1895, S. 18). Die richtige Bestimmung kénnte einmal an
der Hand der Ontogenese, falls sie nicht versagt, gegeben werden
(bei Anguis-Embryonen z. B. konnte G6rrr noch einen Verband des
Sternums mit einer [der ersten} Rippe nachweisen), dann auch durch
die genauere Vergleichung der Plexus brachiales, insbesondere den
Verlauf der prozonalen und postzonalen Zweige derselben gegeben
werden. Das ist im Detail noch ein Desiderat fiir zukiinftige Spe-
cialarbeiten. Auf Grund der Untersuchung des Plexus von
Pseudopus und Anguis bin ich geneigt, hier eine Verminderung des
Brustschulterapparates um 1—2 Wirbel anzunehmen.
1) Vergl. Stesenrock, 1895 B. p. 1164.
2) Xiphisternum, Xiphosternum, Xiphisternale, Xifisterno der
meisten Autoren. — Os hyposternale s. Processus ensiformis:
246 Max Firbringer,
GEGENBAUR ,hervorhebt, gegeniiber den ihn produzierenden Rippen
noch in statu nascendi, man kann seine allmahliche Ausbildung und
Abgliederung von diesen durch die Vergleichung der verschiedenen
Lacertilier successive verfolgen'). Bald verbindet sich nur ein
Paar hinterer Rippenknorpel mit dem hinteren Ende des Pro-
sternum (Kublepharis, Uroplates, Heloderma, Phrynosoma, ver-
Fig. 21. Fig. 22.
Fig. 21. Brustschulterapparat von Lacerta simonyi. (Nach SIEBEN-
ROCK.)
Fig. 22. Brustschulterapparat von Zonosaurus ornatus. (Nach SIEBEN-
ROCK.)
schiedene Agamidae, Psammosaurus, Varanus), bald sind es die
durch die Verbindung zweier Rippenknorpel gebildeten paarigen
Spangen (Mehrzahl der kionokranen Saurier), welche sich ihm an-
fiigen. Diese paarigen Spangen liegen zumeist in mafiger Ent-
fernung neben einander, kénnen sich aber betrachtlich vonein-
ander entfernen [Stenodactylus, verschiedene Agamidae?) und
WerBER. — Common haemapophysis or ,,xiphoid rood“: Corr. —
Metasternum: Grarnnpaur. — Parker findet in dem Xiphosternum
vieler Lacertilier auch ein Mesosternum, was ich fiir eine unnétige und
auch nicht berechtigte Specialisierung halte. Ich ziehe als Synonym
zum Xiphisternum die Bezeichnung Metasternum vor, die ParkEr
auch — aber an anderer Stelle und mit anderem Sinne — gebraucht
(vergl. auch GrGENBAUR).
1) Die folgende genetische Zusammenstellung beruht nur zum
kleineren Teile auf eigenen Beobachtungen. In der Hauptsache
wurden dazu die zahlreichen Einzelmitteilungen von Corr und
SreBpnrock benutzt.
2) Bei Amphibolurus, Stellio, Agama, Moloch, Phrynocephalus
(vergl. auch Parker und SrpBENROCK).
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 247
Iguanidae !)|, in welchem Falle man nicht von einer hinteren Spitze,
sondern von einem hinteren Querrande zu sprechen hat, oder in
intime Nachbarschaft und selbst Beriihrung miteinander treten [unter
anderen Platydactylus, verschiedene Agamidae?), sowie Psammo-
saurus und Varanus|. Damit leitet sich die partielle oder totale
Verschmelzung beider Spangen ein, welche zur Ausbildung eines
unpaaren, oft von Fenstern durchbrochenen, meist 2 Rippen tra-
genden Metasternum von der Form eines Stabes oder einer schmalen
Platte fiihrt, die bald in geringerer, bald in gréSerer Selbstandig-
keit gegentiber dem Prosternum und den mit ihr verbundenen Sterno-
costalien auftreten kann (so bei zahlreichen Scincidae, Zonosaurus,
Ophiognomon). Xiphosternale Bildungen anderer Art kommen
durch Abgliederung der Sternocostalien oder Teilstiicke derselben
von den zugehérigen Rippen und weitere Ausbildung derselben
zur Entstehung; dieselben reprisentieren frei auslaufende paarige
Stabe, welche dem hinteren Ende des Prosternum angegliedert
sind (namentlich bei vielen Agamidae, gewissen Iguanidae, Zon-
urus)*); in diesen Fallen sind eigentliche wahre Rippen nicht
mit dem Metasternum verbunden.
Das gesamte Sternum steht sonach im normal ausgebildeten
Zustande bei der tberwiegenden Mehrzahl der Lacertilier mit 5,
mitunter aber auch mit 6 (Phyllodactylus, Macroscincus, Gongylus,
einige Iguanidae und Agamidae) oder mit 4 (Kublepharis, Uroplates,
Zonurus, Heloderma, Phrynosoma, die meisten Agamidae, Varanus
indiv.) oder nur mit 3 Rippen (Phrynosoma indiv., zahlreiche
Agamidae, Psammosaurus, Varanus indiv.) in Verband‘).
1) Bei Sceloporus, Crotaphytus, Phymatura, und besonders weit
entfernt bei Sauromalus und Phrynosoma (Cops).
2) Bei Draco, Sitana, Lyriocephalus, Calotes (Sresrnrocx),
3) Agamidae: Draco (Raruxr, Sresenrock), Lyriocephalus
(R.), Lophyrus (R.), Histiurus (R.), Grammatophora (R.), Agama
stellio (PARKER), Ag. mutabilis und colonorum (R.), Ag. pallida (S.),
Moloch (R.), Phrynocephalus (R., 8.), Liolepis (S.), Uromastix (R.,
S.). Iguanidae: Basiliscus (R.), Phrynosoma (R., eig. Unters.); —
Zonurus (R.). — Bei Phrynosoma reprasentieren diese Stabe das
kraftig weiter entwickelte rechte und linke sternale Glied des
3. Sternocostale, das sich von dem costalen Gliede abgelést hat;
letzteres zeigt eine ungleich schwachere Ausbildung und lauft fein
und spitz aus (eig. Unters.).
4) Diese vornehmlich nach Parkur, Cope und Simpenrock zu-
sammengestellte Uebersicht ist weit davon entfernt, vollstandig zu
sein. Hinsichtlich des Details verweise ich auf die genannten
Autoren.
Bd, XXXIV, N. F, XXVI. 17
248 Max Firbringer,
Fensterbildungen ') sind weder im Prosternum (Mesosternum)
noch im Metasternum eine Seltenheit. Im ersteren treten sie
hiufiger auf, und zwar in der Regel als unpaares, hinter der
caudalen Spitze des Episternum gelegenes Fenster von langovaler
oder herzformiger Gestalt und wechselnder Gréfe (bei zahlreichen
Scincidae, Gerrhosaurus, vielen Lacertidae, Iguanidae), minder
hiufig als paarige, teilweise auch durch den hinteren Schenkel
des Episternum geschiedene Oeffnungen (bei Lacerta muralis var.
coerulea, den meisten Agamidae)”). Im Metasternum wurden sie
2
7)
1 + F. spe i
Fig. 23. Fig. 24.
Fig. 23. Brustschulterapparat von Phrynosoma cornutum. 2. Vergl.
Fig. 8. (Nach der Natur.)
Fig. 24. Clavicula, Sternum und Episternum von Agama stellio. (Nach
SIEBENROCK.)
namentlich bei den Scincidae, bald in bedeutenderer (Mabuia, Able-
pharus), bald in geringerer Gréfe (Zonosaurus, sowie Chalcides,
Trachysaurus, Macroscincus, Cyclodus) gefunden. In der Jugend
sind sie in der Regel gréfer als im Alter; nach verschiedenen
Beobachtungen namentlich am Metasternum diirfte ihre Entstehung
zu der Verwachsung der einstmals paarigen Halften des Brust-
beins im Konnexe stehen (RATHKE, GOTTE).
Bei der Riickbildung des Brustschulterapparates verkiirzt
sich das Sternum von hinten her, so da8 zuerst das Xiphisternum
(Metasternum), danach der hintere Bereich des Prosternum in
Weefall kommt; damit koincidiert der Verlust des Verbandes mit
den Rippen, der auch von hinten nach vorn fortschreitet. So
vermindert sich die Zahl der wahren Sternalrippen auf 3 (Chamae-
1) Fontanellen: Werrser, Corr. — Orifice elliptique: SaBarrer.
— Fenster: SrEBENROCK.
2) Auch 2 hintereinander liegende (Ablepharus, Simpenrock)
resp. 3 Fenster (gewisse Agamidae, Srepenrock) werden ange-
geben. MHinsichtlich weiterer Angaben ist namentlich SreBENROcK
zu vergleichen.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 249
saura (Mancus) macrolepis, Chaicides c¢. p.), 2 (Ophiodes, Ophio-
gnomon (Propus) vermiforme, Acontias, Evesia) und 1 (Pygopus),
bis endlich das sehr verkiirzte Sternum sich giinzlich von den
Rippen loslést und frei in der Bauchmuskulatur liegt [Ophi-
saurus incl. Dopasia, Anguis‘)]. SchlieSlich kann jede Spur des
Sternums verschwinden (Acontias e. p., Anelytropidae, Dibamus,
Anniella).
Die auf die Sternalrippen folgenden abdominalen oder
metasternalen Rippen zeigen ein wechselndes Verhalten:
entweder enden sie frei, in verschiedener Entfernung von der
ventralen Mittellinie, oder sie sind nur ligamentés miteinander
verbunden, oder sie treten beiderseits in geringerer oder gréferer
Anzahl mit ihren verlaingerten terminalen Knorpeln (Abdomini-
costalien) in der Mittellinie in mehr oder minder intimen Zu-
sammenhapg und bilden so quer, meist winklig oder bogen-
formig nach vorn gebogene Knorpelspangen, die auch verkalken
kénnen *), meist den Zusammenhang mit ihren Rippen beibehalten,
nicht selten aber auch sich von ihnen abgliedern und damit eine
gewisse Selbstindigkeit gewinnen*). Solche knorpelige Verbin-
dungen der ventralen Rippenstiicke sind namentlich bei Geckonidae,
Scincidae, Anelytropidae, Iguanidae, Uroplatidae und Chamaeleon-
tidae beobachtet worden. Bei den Geckonidae und der Mehrzahl
der hierher gehérigen Scincidae und Iguanidae ist ihre Zahl gering
(1—3); sie kann aber bei Uroplates, einzelnen Scincidae (Able-
pharus, Chalcides, Acontias), den Anelytropidae, gewissen Iguanidae
aus der Anolis- und Polychrus-Gruppe und den Chamaeleontidae
1) Bei Embryonen von Anguis fand Gérrr noch den Verband
mit einer (der 1.) Rippe, der sich wahrend der weiteren Entwicke-
lung unter Riickbildung des beziiglichen Sternocostale liste.
2) Auch ossifizierte und zum Teil selbstiindige Abdominalrippen
werden angegeben, was selbst an rudimentiire Parasternalia denken
laft. Ich habe iiber diese Vorkommnisse keine eigene Erfahrung
und halte weitere genauere Untersuchungen iiber die Art dieser
behaupteten Ossifikation zur Entscheidung dieser Frage fiir not-
wendig. Was ich auf diesem Gebiete bei Lacertiliern beobachtete,
steht zu Rippen, aber nicht zu einem Parasternum in niherer Be-
ziehung.
3) Beides, mit den Rippen noch verbundene und von ihnen
abgegliederte Abdominicostalia, kann sich an demselben Tiere zu-
sammen vorfinden.
bys
250 Max Firbringer,
auf 4—27 steigen'). Sehr tiberraschend ist in diesem Stiicke die
Aehnlichkeit zwischen Uroplates und den Chamaeleontidae.
Das sekundare Brustbein, das Episternum?), bildet
in gut entwickeltem Zustande ein meist T- oder kreuzférmiges
unpaares Knochenstiick, weleches im Zusammenhange resp. in der
direkten Nachbarschaft der Clavicuila®) wie diese als Deckknochen
entsteht und mit seinem hinteren Abschnitte der Aufenflache des
Sternum in wechselnder Ausdehnung median angewachsen ist.
Infolge seiner charakteristischen wechselnden Gestalt ist es auch
zu klassifikatorischen Zwecken verwendet worden (BouLENGER,
Fig. 25. Fig, 26.
Fig. 25. Clavicula, Sternum und Episternum von Agama atra. (Nach
SITEBENROCKE.)
Fig. 26. Brustschulterapparat von Varanus bengalensis. °. Vergl. Fig. 5.
(Nach W. K. PARKER.)
1) Uroplates fimbriatus hat 14, wovon die 4 letzten sich von
den Rippen abgelést haben, Ablepharus pannonicus 4, Chalcides
mionecton 5, Ch. tridactylus 9, Acontias plumbeus (niger) 23, Ac.
meleagris 27, Feylinia currori 7, Typhlosaurus aurantiacus 25, Anolis-
Gruppe 4—5, Polychrus-Gruppe 7—10, Chamaeleo vulgaris 8,
Brookesia superciliaris 6 (vergl. auch Srannius, Corn, SrEBENROCK).
2) Interclavicula, Interclavicle: Sauvage, SHUFELDT, Corr. —
Episternum ou interclaviculaire, Episterno o interclavicola: SaBaTipr,
Ficausi. — Episternale, Episternum, Episterno: Bri, SrmBENROCK,
ORLANDI.
3) Am ersten Anfange der Ontogenese, noch vor der Ver-
kalkung hingen die Anlagen von Clavicula und Episternum zu-
sammen, wie das ja in so friihen Entwickelungszustanden auch
anderswo in der Regel der Fall ist. Danach tritt die Sonderung
ein. Die vergleichende Anatomie lehrt, daf beide Gebilde phylo-
genetisch gesondert und selbstiindig auftreten. WrepErsini betont
nur die selbstiindige ontogenetische Anlage der im Anfang noch
paarigen Episterna gegeniiber den Claviculae.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 251
Corr). Ein T- oder ankerférmiges Episternum kommt im allge-
meinen den Agamidae, Iguanidae (inkl. Anolidae) und Vara-
nidae zu; ein kreuzférmiges oder annihernd kreuzformiges findet
sich bei der tberwiegenden Mehrzahl der tibrigen kionokranen
Lacertilier, speciell den Scincidae, Gerrhosauridae, Lacertidae,
Tejidae, Xantusiidae‘), Zonuridae, Anguidae, Xenosauridae ‘), sowie
gewissen Geckonidae, wobei beide Formen im Detail einen grofen
Wechsel hinsichtlich der Linge und Breite der Langs- und Quer-
schenkel aufweisen?). Bei grofer Verkiirzung des vorderen Langs-
Fig. 29. Fig. 28.
Fig. 27. Clavicula und Episternum von Mabuia multifasciata. (Nach
SIEBENROCK.)
Fig. 28. Brustschulterapparat von Tiliqua nigrolutea. §. (Frei nach
6
W. K. PARKER.)
Fig. 29. Clavicula und Episternum von Trachysaurus rugosus. 2. (Nach
W. P. PARKER.)
schenkels kann sich die Kreuzform der T-Form néihern (gewisse
Geckonidae, einzelne Lacertidae, namentlich aber Anguidae und
Zonuridae) und umgekehrt finden sich auch bei den Familien mit
gemeinhin T-formigen Episterna Ueberginge zur Kreuzform
(einzelne Iguanidae und Agamidae). Plumpere Gestalten mit
kiirzeren und breiteren Schenkeln bieten gewisse Scincidae und
1) Bei den Xenosauridae und Xantusiidae giebt Corr (1892)
ein kreuzférmiges, BouLtnnenr (1885) ein T-formiges Episternum
an. Ich hatte keine Gelegenheit, Vertreter derselben zu unter-
suchen.
2) Hinsichtlich dieses Wechsels in der Gestalt und den Dimen-
sionen der Teile verweise ich namentlich auf die Beschreibungen
und Abbildungen von Ratuxr, GreGenpaur, Parker, Bouncer,
Corr und SreBEenrock.
252 Max Firbringer
viele Agamidae, gracilere Gebilde mit lingeren und schlankeren
Schenkeln zahlreiche Lacertidae und die Varanidae dar. Daneben
finden sich namentlich unter den Geckonidae, Iguanidae und Aga-
midae intermediaére und aberrante Formen vor, die nicht immer
leicht der T-Form oder Kreuzgestalt cingereiht werden kénnen;
dies ist z. B. der Fall bei gewissen Geckonidae, wo subrhomboidale
Pst
Fig. 30. Higa3l.
Fig. 30. Brustschulterapparat von Hemidactylus sp. juv. 7. (Nach
W. K. PARKER.)
Fig. 31. Clavicula, Sternum und Episternum von Zonurus cordylus. +.
(Nach der Natur.)
Formen vorwiegen, bei zahlreichen Agamidae und Iguanidae, welche
einen ungemeinen Wechsel der verschiedenartigsten Umbildungen,
Riickbildnngen und Zusammendringungen der T-Gestalt aufweisen
(bei Phrynosoma ist in Korrelation zur Verktirzung des ganzen
Kérpers der hintere Langsschenkel des Episternum sehr verkiirzt
oder kann selbst fehlen). Stabférmig, d. h. nur aus dem Langs-
schenkel bestehend, ist das Episternum bei Heloderma (sowie bei
den mehr riickgebildeten Brustschulterapparaten von Ophiognomon
|Propus| vermiforme und Acontias [Evesia] monodactylus)!). Uro-
plates zeigt bei sonst gut entwickeltem Brustschultergiirtel ein
sehr reduziertes Episternum, welches in Gestalt einer kleinen, sub-
rhomboidalen Platte der vorderen Spitze des Sternum fest ange-
wachsen ist. — Ungemeine Verschiedenheiten weist ferner die Aus-
dehnung der episterno-sternalen Synchondrostose auf: zwischen
einer kurzen, auf den vorderen Bereich des Sternum beschrainkten
1) Bountencer (1891) reiht Lophura hier noch an; das ist ein
individueller Befund; Sispenrock und ich fanden kurze Seiteniste.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 253
Vereinigung (so bei gewissen Geckonidae, einzelnen Scincidae, Uro-
plates, vielen Agamidae) und einer Verbindung in dem gréferen
Teil resp. beinahe der ganzen Linge des Sternum (mehrere Tejidae,
Agamidae und Varanidae) finden sich alle Zwischengrade ‘) ;
zwischen den Seitenschenkeln des Episternum und dem coraco-
Fig. 32. Clavicula, Sternum und Episternum von Goniocephalus kuhli.
(Nach SIEBENROCK.)
Fig. 33. Clavicula, Sternum und Episternum von Lyriocephalus scutatus.
(Nach SIEBENROCK.)
Fig. 34. Clavicula, Sternum und Episternum yon Liolepis bellii. (Nach
SIEBENROCK.)
Fig. 35. Clavicula, Sternum und Episternum von Moloch horridus.
(Nach SrEBENROCE.)
Fig. 36. Clavicula, Sternum und Episternum von Agama stellio. (Nach
SIEBENROCK.)
idalen Seitenrande des Sternum ist meist eine diinne Membrana
sterno-episternalis erstreckt, die in einem gewissen Konnex zu der
Ursprungsaponeurose des M. sterno - episterno - cleido - mastoideus
1) Auch hier sei namentlich auf Raraxer, Parker und Siespen-
ROCK verwiesen.
254 Max Firbringer,
steht (s. unten bei diesem Muskel). — Eine Fensterbildung im
Episternum, ungefihr in der Mitte desselben, bildet Parker bei
Hemidactylus ab.
See
= ree
Spy Esp
= \\ \
U, Ly
ae Me SF = WOE ree x age tt
7 | ) <4 Cll «SS Fig. 37. Brustschulterapparat
2 \ es von Phrynosoma cornutum. 2.
i_ Biss » Wy } \Cr 4
Peres nay Wi \. Bese (Nach der Natur.)
Bei Reduktion des Brustschulterapparates tritt das Epi-
sternum zuerst in Riickbildung. Dieselbe vollzieht sich meistens
unter Verminderung der Liangendimension, und zwar haufiger
mm SS Es
CNS an
{f \\ i} “CrCl jScass:
1+ Ff. spe \\ Wy \ Est
Y . rae Pst
AX Ff. spe oy
Co. 4
aS S
Fig. 38. Fig. 39.
Fig. 38. Brustschulterapparat von Heloderma suspectum. #. (Nach
SHUFELDT.)
Fig. 39. Brustschulterapparat und erste Bauchrippen von Uroplates fim-
briatus. 3. (Teils nach SIEBENROCK, teils nach der Natur.)
(Ophisaurus apus und ventralis, Anguis) unter Schwund des
vorderen Teiles‘!), wodurch die Lésung von der Clavicula herbei-
eefiihrt wird, seltener (Ophiodes) unter Ablésung des _hinteren
Abschnittes vom Sternum; im ersteren Falle bildet das Episternum
ein kurz T-formiges bis queres resp. ein noch mehr zusammen-
1) Diese Riickbildung des vorderen Schenkels und die Liésung
des Episternums wie der Clavicula hat Gérrr auch ontogenetisch
bei Anguis nachgewiesen.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 25D
gezogenes Knochenplattchen, welches dem vorderen Teil des
Sternumn fest auflagert, im letzteren ein der Clavicula angelagertes
T-formiges Stiick, welches mit seinem hinteren Ende nicht mehr
das Sternum erreicht. In anderer Weise, unter Verkiimmerung
der Querschenkel, verlauft die Reduktion bei Ophiognomon (Propus)
und Acontias (Evesia); hier persistiert, wie bereits angegeben,
ein kurzes medianes Stabchen, welches sich zwischen Clavicula
und Sternum ausspannt. Bei Pygopus, Ophisaurus (Dopasia)
gracilis, wie es scheint, auch individuell bei Anguis (Corr) ist das
Episternum bei sonst noch leidlich persistierendem Brustschulter-
giirtel véllig geschwunden. Dieselbe ginzliche Reduktion findet
sich bei Acontias und Typhlosaurus, wo nur noch ein rudimen-
tiirer primirer Schultergiirtel, bei Feylinia, wo allein ein Rudi-
ment der Clavicula angegeben wird; bei Acontias (ind.) und
Anelytropsis ist mit dem Episternum auch der gesamte Brust-
schultergiirtel in Wegfall gekommen 4).
Parasternale Gebilde (s. bei Rhynchocephalia p. 280f.) gehen
allen bisher bekannt gewordenen Lacertiliern ab (vergl. auch p. 249
Anm. 2). Ob gewisse Hautverknécherungen in der entsprechenden
Gegend bei Scincidae z. B: primordiale Stadien derselben vor-
stellen’), erscheint sehr zweifelhaft; ich méchte eher sekundire,
spaiter entstandene Bildungen darin erblicken.
Der Humerus®) der kionokranen Lacertilier laft in seinen
meist sehr entwickelten Fortsatzbildungen die grofe Rolle erkennen,
welche er als Ursprungs- und Endpunkt fiir kraftige Muskelmassen
bildet; dementsprechend ist er im proximalen und distalen Be-
reiche meist erheblich starker und breiter als in der Mitte; distal
wirkt auch die ausgedehnte Artikulation mit den beiden Vorder-
armknochen sehr verbreiternd. Seine relativen Dimensionen sind
tibrigens einem grofen Wechsel unterworfen, indem in extremen
Fallen die Linge die gréfte Breite einerseits nicht ganz um das
3-fache (Varanus), andererseits nahezu um das 7-fache (Calotes)
tibertreffen kann. Zwischen diesen Extremen finden sich alle még-
lichen Zwischenstufen, wobei erdlebende und gréfere Lacertilier
einen relativ kiirzeren und massigeren, baumlebende und kleinere
1) Hinsichtlich aller dieser Verhaltnisse sind meine Alteren
Darstellungen (1870), sowie diejenigen Copn’s (1892 A) zu ver-
gleichen.
2) Dieser Auffassung ist Hancken (1895, p. 346) zugeneict.
3) Humerus, Humérus, Omero der Autoren.
256 Max Firbringer,
einen schlankeren Humerus aufweisen. Die Mehrzahl der Lacer-
tilier hat einen 3—3*/, mal lJangeren als breiteren Humerus;
unter den schlanken Formen kann auch Uroplates mit einer etwa
5mal die Breite tbertretienden Humeruslinge hervorgehoben
werden. Der proximale Teil des Humerus (proximale Epiphyse)
beginnt mit dem tiberknorpelten Caput humeri'), welches mit
ellipsoidischer Gelenkfliiche in die Pfanne des primaren Schulter-
giirtels einlenkt und mit dieser unter Vermittelung eines schlaffen,
aber partiell verstirkten Kapselbandes das freie Schultergelenk
bildet. Daran schliefen die beiden fiir die Insertion der meisten
Schultermuskeln bestimmten Processus an, der sehr ansehnliche,
ventralwarts vorragende und in der Regel tiber das proximale
Drittel des Humerus ausgedehnte Processus lateralis?), der
mit einem wenig entwickelten Tuberculum laterale beginnt, da-
Fig. 40. Linker Humerus von Varanus
niloticus. Ventralansicht. 2. C.7 Condylus
radialis. C.w Cond. ulnaris. Ca.n.7 Canalis
nervi radialis (ectepicondyloideus). Cp Caput
humeri. £c.r Epicondylus radialis. Ze. w Epi-
cond. ulnaris. #.bé Fossa bicipitalis. Pr.
Processus lateralis. Pr.m Proc. medialis. (Nach
der Natur.)
nach an Hohe bis zu seiner Mitte zunimmt und distal in den
Schaft des Humerus ausliuft, und der kiirzere Processus
medialis*), der gleich hinter dem Caput sich in seiner gréften
Hoéhe erhebt (Tuberculum mediale) und schon am Anfang des
zweiten Sechstels des Humerus endet. Beide Processus markieren
eine flache Stelle an der humeralen Ventralflache (Iossa inter-
1) Testa: Frcausr. — Head of the Humerus: Suureipt, Corr.
— Caput humeri (Condylus articularis): SrmBEnRock.
2) Tubérosité externe, Tuberosité latérale externe: SABaTiER. —
Radial tuberosity: pz Vis. — Trochitere: Ficaus1. — Bony crest
to the radial side: Saurrtpr. — Condylus lateralis: SresBenrocx.
Eine namentlich bei Agama gut ausgeprigte starke Leiste an seiner
lateralen (dorsalen) Flaiche beschreibt Srmpenrock als Condylus III.
3) Tubérosité interne: Sapariter. — Ulnar tuberosity: pe Vis.
-—— Condylus medialis: SrmBENRocK.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 257
tubercularis s. bicipitalis), welche den Mm. biceps und coraco-
brachialis als Unterlage dient; dorsal findet sich zwischen ihnen
die nicht immer gut ausgepragte Linea m. latissimi dorsi‘) fiir
die Insertion des genannten Muskels. Das Mittelstiick (Schaft,
Diaphyse) des Humerus?) ist verschméalert und besitzt einen an-
nihernd rundlichen Querschnitt. Im distalen Bereiche verbreitert
sich der Humerus wieder und endet mit den beiden ftir Ulna und
Radius bestimmten Gelenkhéckern, dem gréferen Condylus
(Trochlea) ulnaris s. medialis*) und dem kleineren Con-
dylus radialis s. lateralis‘), tiber denen der Humerus
namentlich durch eine an der Ventralfliche ausgeprigte Ver-
tiefung (fiir die proximalen Vorragungen der Vorderarmknochen),
die Fossa supratrochlearis ventralis °), verdiinnt ist. Am lateralen
Rande erhebt sich der Humerus hier zu dem Epicondylus
radialis s. lateralis), der sehr haufig in Gestalt ciner
langeren Crista proximalwarts in den Schaft ausliuft (Crista late-
ralis) und dem kiirzeren aber héheren Epicondylus ulnaris
s. medialis’). Oberhalb des Epicondylus (Crista) radialis resp.
im proximalen Bereiche desselben wird der Humerus der meisten
kionokranen Lacertilier mit wohlentwickelten Extremitaten von
einem schragen Kanale fiir den Nervus radialis und die ent-
sprechend verlaufenden Gefafe, dem Canalis nervi radialis
s. ectepicondyloideus'), durchsetzt.
1) Short ridge on the posterior external surface: pE Vis. —
Rauhe Leiste fiir den M. latissimus dorsi: Siesenrock (bei manchen
Lacertiliern als separater Knochensplitter ossifizierend).
2) Shaft: Corr. — Mittelstiick: SreBenrock.
3) Troclea, Trochlea: Ficatp1, Stzpenrock. — Ulnar tubercle:
Suuretpt. — Median roller: Cops.
4) Condilo: Frcarpr. — Radial tubercle: SHureipr. — External
rib: Copr. — Capitulum: Sresenrock.
5) Die Fossa supratrochlearis ist oberhalb der Trochlea ulnaris
besser ausgeprigt als oberhalb des Condylus radialis, weshalb
Siepenrock, nachdem er zuerst (1894) von einer Fossa supra-
trochlearis anterior und F. supracapitata anterior gesprochen, spiter
(1895) nur die erstere erwahnt.
6) Ridge above the radial tubercle: Suurenpr. — External
epicondyle: Copn. — Condylus externus: Wrepersunm. — Epicon-
dylus lateralis: Sresenrock (mit starker zum Mittelstiick des Humerus
ziehender Crista).
7) Inner condyle, internal epicondyle: pr Vis, Copr. — Con-
dylus internus: Wrepersuem. — Epicondylus medialis: Srmpenrock.
8) Bekanntlich schon von H. von Meyer (Die Saurier des
Muschelkalkes, Frankfurt a/M, 1847—1855, p. 52, 53) nachge-
258 Max Firbringer,
Bei den Sauriern mit verkiimmerten Gliedmafen zeigt der
Humerus alle méglichen Grade von Riickbildung, die sich nament-
lich in der Reduktion seiner Muskelfortsitze und Dimensionen
aussprechen und schliefSlich zu seinem vollkommenen Schwunde
fiihren. Eine ausfiihrliche, meine friiheren beziiglichen Mitteilungen
(1870) wesentlich erginzende Zusammenstellung dieser Verhalt-
nisse giebt Cope (1892 B). Abgesehen von den zahlreichen
Formen der Diploglossa und Leptoglossa, deren vordere Extremi-
tiiten nur im distalen Bereiche (Hand) integrierende Defekte in
ihren Komponenten aufweisen, deren Humerus aber nur verkleinert
und vereinfacht ist, beginnt die weiter vorschreitende Verkiimme-
rung desselben mit der hochgradigen Degeneration des Vorder-
armes (Ophiognomon) und fiihrt zu seiner (des Humerus) voll-
kommenen Reduktion bei den Pygopodidae, Mancus, der Mehrzahl
der Anguidae, vielen Scincidae (inkl. Acontias), Dibamus und
den Anelytropidae. Arten, die in der Regel keinen Humerus
mehr besitzen, kénnen individuell noch minimale Rudimente des-
selben auch im erwachsenen Zustande aufweisen (Pseudopus,
DumeErIL ct Brsron, Firsrincer). Bei jungen Embryonen von
Anguis beschreibt Born (1883) eine bald wieder verschwindende
rudimentiire frei hervorragende vordere Extremitat.
B. Amphisbaenia‘).
(Vergl. Taf. XII, Fig. 103—112.)
Ueber diese nahe verwandten Tiere liegen neuecre Veréffentlich-
ungen von SMALIAN (1885: Amphisbaena fuliginosa, Blanus cinereus,
wiesen und von verschiedenen Autoren bestitigt. —- Canal ectépi-
condylien: Dorio. — Canalis nervi radialis s. supracondyloideus
lateralis s. ectepicondyloideus: Firprincer. — Canalis ectepicon-
dyloideus: Baur, WiepErsHemm, Srepenrock (1895). — Hierher ge-
hért wahrscheinlich auch Suuretpt’s Incompleted Foramen at the
middle of the radial ridge. Simspenrock (1894) erinnert das Loch
an die Bildung bei den Saugetieren (die in Wirklichkeit einen
Canalis nervi mediani s. entepicondyloideus darstellt); 1895 giebt
er die richtige Deutung und Benennung. — Ich habe diesen Kanal
bei keinem der von mir untersuchten kionokranen Lacertilier mit
wohl entwickelten Extremititen vermift; mitunter war er nicht
leicht zu finden. Dotto (1884) fiihrt mehrere Genera aus den
Familien der Scincidae, Tejidae, Iguanidae und Agamidae an, bei
denen er den Kanal nicht sah.
1) Die Anniellidae (Aniellidae), fiir die Cope bekanntlich 1887
eine besondere Unterordnung (Anguisauri Corr) in der nichsten Nahe
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 259
Anops kingii, Trogonophis wiegmanni) und Cope (1892: Chirotes
canaliculatus, Amphisbaena occidentalis, Rhineura floridana) vor.
Ich konnte Blanus cinereus Vanp., Bl. strauchii Bepr., Amphis-
baena alba L. (2 Ex.), A. fuliginosa L., Anops kingii BEtt,
Monopeltis sphenorhynchus Prrers, Rhineura floridana Batrp,
Lepidosternon microcephalum Waau., L. phocaena D. et B. und
Trogonophis wiegmanni Kaup (2 Ex.) auf ihre Skelettelemente
untersuchen, von denen ich einen grofen Teil der Giite der Herren
Geheimrat Prof. Kk. Mépius
und Prof. G. TornierR ver-
danke. Chirotes zu erlangen,
eliickte mir leider trotz
vieler aufgewendeten Miihe
nicht.
Der Brustschulterapparat
des von CopE untersuchten
Exemplares von Chirotes!),
als Vertreter der Chirotinae,
zeigt in der Hauptsache das-
selbe Verhalten wie die friiher
von J. Mier, DuméR. et
Brsron und PARKER be-
schriebenen Tiere; im De-
tail weichen dieselben, von
denen das Parker’sche das \
jiingste zu sein scheint, et- Fig. 41. Brustschulterapparat von
; PPS J mn is crise
was voneinander ab. Chirotes canaliculatus. 7, Or Coracoid.
eS F.gl Fossa glenoidalis pro humero. Psé Pro-
Der primaire Schul- sternum. se Scapula, SS Suprascapulare.
tergtirtel, der in der Xs¢ Metasternum (Xiphisternum).
der Amphisbaenia (Opheosauri Corn) gebildet, und die er 1892
als sehr distinkte Familie zu den Amphisbaenia gestellt hatte, be-
sitzen nach Baur’s Nachweis (The Relationship of the Lacertilian
Genus Anniella Gray. Proc. U. 8. Nat. Museum, XVII, p. 345 f.
Washington 1894) eine Columella und bilden eine degenerierte Familie,
die zu den Anguidae in demselben Verwandtschaftsverhaltnis steht
wie Acontias zu den Scincidae. Das entspricht im wesentlichen
dem systematischen Platze, den ihnen BoutuncEr (Catal. of Lizards,
II, 1884) neben den Anguidae anweist.
1) Corr’s Beschreibung enthalt zwei sinnstérende Druckfehler,
indem das Suprascapulare als Supraclavicle, die Scapula als Clavicle
angefiihrt ist.
260 Max Firbringer,
Jugend Scapula und Coracoid noch separat besitzt (PARKER’s Abbil-
dung), bildet im ausgewachsenen Zustande ein einheitliches Knochen-
stiick, dessen scapularer Anteil aus der recht schmalen Scapula
und dem etwas breiteren verkalkten (oder verknécherten?) Supra-
scapulare besteht, wahrend das Coracoid den in der sagittalen
Dimension breitesten (in der transversalen kiirzesten) Abschnitt
darstellt, und nahezu mit seinem ganzen medialen Rande mit dem
Sternum artikuliert'). Fensterbildungen und Foramen supra-
coracoideum werden nicht angegeben. Die Gelenkhéhle fiir den
Humerus wird in der iiblichen Weise von Scapula und Coracoid
eebildet, befindet sich daher entsprechend der transversalen Schmal-
heit des Coracoids in sehr medialer Lage.
Das primare Brustbein, Sternum, entbehrt der Ver-
bindung mit Rippen und besteht aus einem nicht unansehnlichen
pentagonalen verkalkten (oder knéchernen?) Prosternum, das vorn
mit querem Rande abschlieSt, mit seinen langen antero-lateralen
Seiten die Coracoide trigt, und mit oder ohne Fensterbildung ist,
sowie einem daran anschliefSenden langen und schmalen Xiphi-
sternum, das, wie es nach der Abbildung scheint, aus zwei dicht
cinander angeschlossenen Stiben besteht, in seinen vorderen ?/,
verkalkt (oder verknéchert?) und seinem hinteren 1/, knorpelig
ist und hier in zwei kurze Lappen ausliuft °).
Die sekundéren Bestandteile des Schultergiirtels (Clavicula)
und Brustbeins (Episternum) fehlen.
Der Humerus der kleinen vierzehigen vorderen Extremitat *)
besteht aus einem ziemlich kurzen und schwachen etwas gebogenem
Knochen, dem besser entwickelte Muskelfortsitze abgehen und der
proximal mit dem Coraco-scapulare, distal mit Radius und Ulna
artikuliert.
Hinsichtlich der Existenz der Schultergirtel-Rudi-
1) Corr spricht ihm deshalb auch einen procoracoidalen Anteil
ab. Ich méchte wegen seiner betrachtlichen sagittalen Ausdehnung
ihm denselben zuerkennen, somit annehmen, dass es, ahnlich wie
das undurchbrochene Coracoid s. lat. von Heloderma, die Elemente
von Coracoid s. str., Procoracoid und Epicoracoid enthilt.
2) Das Xiphisternum des jungen von Parxker untersuchten
Exemplares ist knorpelig und deutlich aus paarigen Stiiben (Sterno-
costalien) zusammengesetzt, die vorn (Mesosternum ParkErR) einander
dicht anliegen, hinten (Xiphisternum Parker) in ziemlich langer
Strecke auseinanderweichen.
3) Corr (1894) fihrt bekanntlich auch dreizehige Vertreter
(Hemichirotes Corn) an und unterscheidet die drei Genera Bipes,
Euchirotes und Hemichirotes der Chirotidae.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 261
mente der Amphisbaeninae (Amphisbaena, Blanus, Anops,
Rhineura) und Trogonophinae (Trogonophis) gehen die An-
gaben auseinander. Wihrend Corr dieselben bei allen ihm zur
Verfiigung stehenden Tieren vermifte (bei Amphisbaena wohl
wegen mangelhafter, nicht selbst vorgenommener Priparation),
findet SMALIAN — in teilweiser. Uebereinstimmung mit RATHKE’s
und meinen fritheren Angaben (1854 und 1870) — bei Amphis-
baena und Blanus sehr kleine, walzenférmige, bei Trogonophis ein
wenig gré8ere, hakenférmige Knochenstiickchen als letzte Reste
des primaren Schultergiirtels; bei Anops vermifte er sie. Sternale
Rudimente wurden bisher von keinem Untersucher gefunden.
Meine neueren Untersuchungen ergaben mir die geringste
Verkiimmerung des Brustschultergiirtels bei Trogonophis, daraut
folgt Blanus, dann Amphisbaena, wahrend ich bei Anops, Lepido-
sternon, Monopeltis und Rhineura keine Rudimente mehr fand.
Bei Trogonophis wiegmanni (Exemplar von 17,8 cm
Linge, Fig. 106 und 112) findet sich ein rechter und linker
Schultergiirtel, die an ihrem medialen Bereiche mit einem unpaaren
Sternum verbunden sind. Der primare Schultergirtel,
Scapulo-coracoid (SeCr), bildet einen langen und schlanken,
etwas gekriimmten, in ascendenter (caudo-dorsal nach rostro-ventral)
Richtung in die Muskulatur eingebetteten Knochenstab, der seine
konvexe Seite nach vorn und aufen wendet und an seinen beiden
Enden in kurze Knorpelstiicke tibergeht; der vordere mediale und
ventrale Knorpel (C7’) ist ein wenig breiter als der hintere laterale
und dorsale (Sc’). Eine Sonderung des knéchernen Stabes in ein
medio-ventrales Coracoid und eine latero-dorsale Scapula ist nicht
vorhanden; die beiden Knorpel entsprechen den Knorpelteilen von
Coracoid und Scapula (Suprascapulare). Das primaire Brust-
bein, Sternum (S?), bildet eine quere ventral gelegene einheit-
liche Knorpelspange von doppelter Kriimmung, indem ihr mittlerer
Abschnitt stark konvex nach hinten gekriimmt ist, wahrend die
kiirzeren seitlichen Abschnitte von der vordersten Vorragung des
Sternums aus in einem stumpfen bis rechten Winkel schriig nach
hinten abweichen; diese seitlichen Teile sind jederseits syndesmo-
tisch (durch ein Lig. sterno-coracoideum, Z. stc.) mit den Coracoiden
verbunden, ohne daf Andeutungen von Gelenken vorliegen. Be-
ziehungen des Sternums zu den Rippen fehlen'). Sekundare
1) Vermutlich ist aber das Sternum durch die ventrale Ver-
bindung eines Rippenpaares urspriinglich entstanden. Fraglich er-
scheint, ob sich dies noch ontogenetisch nachweisen laft.
262 Max Firbringer,
Skelettteile (Clavicula, Episternum) sind nicht vorhanden. Die
Linge des primiren Schultergiirtels wurde zu 4,4 mm, seine
kleinste Breite’) zu 0,25 mm, seine grifte Breite zu 0,36 mm ge-
messen. Die transversale Ausdehnung (quere Linge) des Sternums
betrug 3,3 mm, seine sagittale Dimension (Breite oder Dicke)
0,36 mm. Die medialen Enden der beiden Schultergiirtel sind
2,1 mm voneinander entfernt. Aehnliche Dimensionen zeigt ein
zweites etwas kleineres Exemplar von 17,0 cm Lange.
Blanus schlieBt sich Trogonophis in der etwas weiter fort-
geschrittenen Riickbildung seines Brustschulterapparates an ?), und
zwar zeigte das untersuchte Exemplar von Blanus cinereus (von
16,2 cm Kérperlinge) einen etwas minderen Reduktionsgrad als
das von Blanus strauchii (von 17,2 cm Lange). Diese mehr vor-
geschrittene Reduktion von Blanus zeigt sich in dem Brustbein
und den Dimensionen des Schultergiirtels, nicht aber in dessen
Form, die in mancher Hinsicht die Konfiguration des Schulter-
giirtels der typischen Lacertilier noch besser bewahrt hat als Trogo-
nophis. Bei Blanus cinereus (Fig. 105 und 111) reprasen-
tieren die beiden primaren Schultergiirtel, Scapulo-coracoide
(Se Cr), kiirzere und quer (transversal-ascendent) gestellte Skelet-
teile von komplizierter Kriimmung, welche recht weit voneinander
und von den sternalen Rudimenten entfernt sind. Sie bestehen
aus einem mittleren Knochenstiick, das in einen kiirzeren medio-
ventralen (Cr’) und einen langeren latero-dorsalen Knorpelabschnitt
(Sc) tibergeht; letzterer erinnert in seiner Form sehr an ein
schlankes, iibrigens leidlich gut ausgebildetes Suprascapulare der
Lacertilier. Eine Scheidung des knéchernen Abschnittes, der etwa ?/,
der Gesamtlinge des Schultergiirtels betragt, in einen coracoidalen
und scapularen Anteil ist unméglich. An Stelle des Sternum
finden sich paarige, sehr kleine, auferst diinne querovale Knorpel-
plittchen (S¢), die ziemlich weit voneinander entfernt sind, wenn-
eleich sie sich der ventralen Mittellinie mehr nahern als die
coracoidalen Enden des Schultergiirtels; das linke sternale Rudi-
1) Annihernd in der Mitte der Linge. Auch fiir die folgenden
Messungen bezieht sich die angegebene kleinste Breite (Dicke) auf
intermediare Abschnitte der betreffenden Skelettteile, nicht aber auf
deren verjiingte Enden.
2) Smanran findet die Rudimente von Blanus (8. 194, Fig. 19
—21) in Uebereinstimmung mit denen von Amphisbaena. Falls das
untersuchte Tier richtig bestimmt war, so vermute ich, dai die
Knorpelteile tibersehen wurden.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 265
ment war bei dem untersuchten Exemplare etwas gréfer als das
rechte. Ein schleierartiger Faserzug (1. ste.) giebt eine Andeutung
des Lig. sterno-coracoideum von Trogonophis. Sekundare Skelet-
teile fehlen. Die Lange des Schultergiirtels wurde zu 2,1 mm,
seine kleinste Breite zu 0,18 mm, seine gréfte Breite (Supra-
scapulare) zu 0,72 mm gemessen. Die Breite des linken sternalen
Rudimentes betrug 0,23, des rechten 0,18 mm. Die Entfernung
der medialen Schultergiirtelenden voneinander wurde zu 2,1 mm,
die der beiden sternalen Plattchen zu 1.2 mm bestimmt. Bei
Blanus strauchii (Fig. 104 und 110) zeigen die ein wenig
kiirzeren Rudimente des Schultergtirtels (SeCr) eine ahnliche
Gestalt und Lage wie bei Blanus cinereus; doch tritt der knécherne
Teil mehr gegen die knorpeligen Abschnitte (Sc’, Cr’) zuriick, indem
er im Mittel nur 1/, der Gesamtlinge des Schultergiirtels betrigt ').
Auch ist die Form des Suprascapulare (Sc’) nicht so ausgeprigt
wie bei der verwandten Art. Die hier gleich grofen Rudimente
des Sternum (S¢) entsprechen denen von Bl. cinereus. Das
Gleiche gilt fiir die Andeutung des Lig. sterno-coracoideum (LL. séc.).
Die Lange des Schultergiirtels betragt 1,8 mm, seine kleinste und
erékte Breite 0,17 mm und 0,7 mm, die Breite der sternalen
Rudimente 0,2 mm. Die gegenseitige Entfernung der Schulter-
giirtel wurde zu 1,92 mm, die der beiden Brustbeinrudimente zu
1 mm gemessen.
Auf Grund dieses Befundes besteht namentlich im Quale der
Konfiguration des Brustschulterapparates eine nahe Verwandtschaft
zwischen Trogonophis und Blanus.
Erheblich weichen die Rudimente von Amphisbaena ab.
Sie bestehen in recht kurzen und diinnen, annaihernd walzen-
formigen oder besser keulenférmigen, latero-dorsal etwas verdickten
und mitunter in der Mitte etwas eingeschniirten Knochenstiabchen,
welche, weit voneinander entfernt, in transversaler Lage tief in
die Muskulatur eingebettet sind und an ihrem medialen und
lateralen Ende mit deren Myokommata (Inscriptiones tendineae
(MC) zusammenhangen. Dieselben reprisentieren ein weiter vor-
geschrittenes Riickbildungsstadium des primaren Schulter-
1) Linkerseits war der Knochenteil ein wenig linger als rechter-
seits. Ob die geringere Entwickelung des knéchernen Abschnittes
bei dem untersuchten Exemplar von Blanus strauchii gegeniiber
Bl. cinereus eine specifische Differenz bedeutet, oder ob nur yer-
schieden alte Tiere zur Beobachtung vorlagen, ist an mehr Material
zu entscheiden.
Bd, XXXIV, N. F. XXVIL. 18
264 Max Firbringer,
eiirtels (SceCr), an dem der coracoidale Anteil ebensowenig
wie bei Trogonophis und Blanus von dem scapularen zu sondern
ist. Knorpelteile fehlen ganz oder sind, wenn vorhanden, ganz
minimal. Sternale Rudimente wurden vergeblich gesucht !); sekun-
dire Brustschulterelemente fehlen gleichfalls. Bei Amphisbaena
fuliginosa (Exemplar von 31,5 cm Linge, Fig. 109) wurde die
Liinge des Rudimentes zu 1,5 mm, seine geringste Dicke zu
0,15 mm, seine gréf’te Dicke zu 0,23 mm gemessen. Bei 2
Exemplaren von Amphisbaena alba von 52,4 cm (Fig. 103 und
108) und 60,5 cm Lange (Fig. 107) betrugen die entsprechenden
Dimensionen: Linge 1,6 mm (linkerseits) und 1,5 mm (rechterseits)
resp. 3,2 mm’), geringste Dicke 0,3 mm resp. 0,4 mm, gré’te Dicke
0,45 mm resp. 0,58 mm. Ich fiige noch, in Centimeter und Milli-
meter umgerechnet, 2 Messungen von RATHKE (1853) hinzu. Der-
selbe fand bei einer Amphisbaena fuliginosa von 35,3 cm Ké6rper-
linge ein Rudiment von ,,wenig mehr als“ 2,2 mm, bei einer A.
alba von 48,4 cm Lange ein Rudiment von 2,2 mm.
Die absoluten und relativen Lingen der gefundenen Rudi-
mente des primiaren Schultergtirtels (Coracoid -+- Scapula), letztere
auf eine Kérperlange von 100 bezogen, verhalten sich danach,
wie die Tabelle auf p. 265 zeigt.
Bei den anderen untersuchten Amphisbaeniden Lepido-
sternon, Anops, Monopeltis und Rhineura, finde
ich, wie schon SMALIAN bei Anops kingii erwahnt, die Stelle, wo
die Schultergtirtelrudimente liegen wiirden, durch eine deutliche
Inscriptio tendinea (sehnige Verwachsungsstelle der Muskulatur) *)
markiert, von ihnen selbst aber keine Spur‘). Bei Lepidosternon
1) In meiner Erstlingsarbeit von 1870 habe ich bei Amphis-
baena fuliginosa eine rechts und links von der ventralen Mittellinie
befindhiche breite Inscriptio tendinea beschrieben und auf Grund
ihrer Gestalt als Sternalaponeurose mit dem Sternum von Chirotes
verglichen. Dieser Vergleich ist nicht haltbar, da mit dem Auf-
héren des Knorpelgewebes auch der Begriff des Sternum ver-
schwindet. Auch jetzt fand ich bei Amphisbaena fuliginosa und
alba diese breite Inscriptio, aber auch bei mikroskopischer Durch-
musterung derselben keine Knorpelelemente.
2) Also eime erhebliche individuelle Schwankung.
3) Muskellose Linie SMALIAN.
4) Ravruxe fand bei einem 56,2 cm langen Exemplar von
Lepidosternon microcephalum sehr kleine, nicht véllig 2,2 mm
(somit 0,39 Prozent der Kérperlinge betragende) lange, bohnenférmige
knécherne Rudimente des Schultergiirtels, wihrend ich dieselben bei
meinen friiheren und jetzigen Untersuchungen stets vermifte. Ent-
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 265
Absolute |Absolute Liange|Relative Lange
Linge des} des Schulter- | des Schulter-
Tieres giirtels girtels in Proz.
in mm in mm der Kirperlinge
Trogonophis wiegmanni 18 44 2,47 Proz.
(F pr.)
Blanus cinereus (F sr.) 16,2 2,1 lige eye
strauchii (Fsr.) Ist | 1,8 lb 607 ie
Amphisbaena fuliginosa 35,3 wenig mehr als\wenig mehr als
(RATHKE) | 2,2 0,62 Proz.
A. alba (F sr.) 60,5 3,2 3 Olbavrmes
A. fuliginosa (Fr.) 31,5 1.5 O48. 4
A. alba (RatHKe) 48,4 2,2 0,45... 5
A. alba (Fsr.) 52,4 1,55 1) OO bs
microcephalum und L. phocaena, wie bei Anops kingii ist diese
bindegewebige Stelle sehr gut ausgepriigt und von einiger Breite,
bei Monopeltis sphenorhynchus (verletztes Exemplar) und Rhineura
floridana dagegen minder deutlich, doch auch ohne Miihe nach-
weisbar.
Bei allen von mir untersuchten Amphisbaeniden findet sich
die Stelle des Schultergiirtelrudimentes oder der eben erwihnten
Inscriptio tendinea im Niveau des 3. oder 4. Wirbels.
C. Chamaeleontia (Rhiptoglossa).
Unsere Kenntnis des Brustschultergiirtels und des Humerus
des Chamaeleontia (Rhiptoglossa) hat durch die genaue Unter-
weder liegt hier eine weitgehende individuelle Variierung oder eine
falsche Bestimmung des untersuchten Tieres vor, woran angesichts
der sehr grofen von RatHKE angegebenen Kérperdimension, die
gemeinhin Lepidosternon microcephalum nicht erreicht, wenigstens
zu denken ist. — Bei den mir vorliegenden Exemplaren von Lepido-
sternon, Anops, Monopeltis und Rhineura geschah iibrigens die
Untersuchung mit Riicksicht auf die gebotene Schonung der Tiere
am ganzen Kérper bei mifiger (14-facher) Lupenvergréferung,
nicht aber bei mikroskopischer Behandlung der betreffenden ausge-
schnittenen Kérperstellen. Ich halte es fiir méglich, daS die ge-
nauere mikroskopische Untersuchung die eventuelle Existenz von
kleinen Skeletrudimenten ergeben mag.
1) Mittelzahl aus 1,6 mm (linkerseits) und 1,5 mm (rechterseits).
18*
266 Max Firbringer,
suchung von Brookesia durch StepenrocKk (1893) eine Bereiche-
rung erfahren; auch Copr (1892) verdanken wir eine gelegentliche
Bemerkung.
Brookesia besitzt wie Chamaeleo und Lophosaura lediglich
einen primiéren Schultergtirtel und ein primiares Brustbein, wah-
rend die sekundairen Bestandteile derselben (Clavicula, Episternum)
ithnlich wie bei Chirotes — in vollkommene Reduktion ge-
treten sind.
Der primare Schultergiirtel besteht aus den in der
Jugend synchondrotisch, im ausgewachsenen Zustande synostotisch
verbundenen scapularen und coracoidalen Anteilen. Die knécherne,
des Acromions entbehrende Scapula ist recht schlank und geht
dorsal in das breitere, knorpelige Suprascapulare tiber, das aber
nicht die Dimensionen wie bei den typischen kionokranen Lacer-
tiliern erreicht!). Das Coracoid stellt eine die Scapula etwas
an Breite iibertreffende Knochenplatte dar, hat einen schmalen
medialen Knorpelsaum und artikuliert mit der ganzen Linge
desselben mit dem Sternum. Hier besteht das Coracoid in der
Hauptsache aus dem Coracoid s. str.; procoracoidale Elemente
sind gréStenteils (wenn nicht ganz) unterdriickt. Fensterbildungen
evehen dem Schultergiirtel ab; ein Foramen supracoracoideum
durchbohrt das Coracoid in mehr lateraler Lage als bei den
anderen Lacertiliern, kann selbst der Grenze von Coracoid und
Scapula nahekommen. Die Gelenkhéhle fiir den Humerus liegt
an der iiblichen Stelle; ihr gegeniiber findet sich am vorderen
Rande des Schultergiirtels eine Prominentia coraco - scapularis,
welche, weil von beiden Anteilen desselben (Coracoid und Scapula)
gebildet, und nach sonstigem Verhalten (Mangel der Clavicula)
einem Acromion nicht verglichen werden darf. Von allen Bil-
dungen bei den kionokranen Lacertiliern steht der primire
Schultergiirtel von Uroplates dem der Chamaeleontiden relativ am
nichsten.
1) Ich finde bei Chamaeleo und Brookesia das gegenseitige
Lingeverhiltnis von Scapula s. str. und Suprascapulare wie 3:1;
die geringste Breite (sagittale Dimension) der Scapula s. str. betrug
bei Brookesia ?/,, bei Chamaeleo 1/, Wirbellinge, die griiite Breite
des Suprascapulare bei Brookesia 11/,, bei Chamaeleo 1'/, Wirbel-
linge. Chamaeleo zeigt somit die grifte Schlankheit; da’ Uro-
plates sich in dieser Hinsicht den Chamaeleontiden annihert, wenn-
gleich sie noch lange nicht erreicht, geht aus den oben (p. 233 f,.
Anm. 6) mitgeteilten Magen hervor.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 267
Das primare Brustbein, Sternum, bildet bei Brookesia
eine in seinem vorderen Teile, Prosternum, einheitliche, ziemlich
stark nach aufen gewodlbte rhomboidale Knorpelplatte'), welche
mit ihren antero-late-
ralen Randern die Co-
racoide in den Sulci
coracoidei aufnimmt
und mit ihren anschlie-
Senden lateralen Seiten
mit 2 Paar Rippen ver-
bunden ist; der hintere
Teil befindet sich noch
in statu nascendi und
wird durch die Sterno-
costalien des 3. Rip-
penpaares —reprasen-
tiert, welche sich dem
hinteren Ende des Pro- -
sternum anfiigen. Bei
Chamaeleo und Lo-
phosaura haben sich
diese Rippenpaare in
der Kinzahl (3. Rippen-
paar) oder Zweizahl (3.
und 4. Rippenpaar) zur
Bildung eines unpaari-
gen Xiphisternum ver-
einigt, das dieselben
selbst etwas nach hin-
ten tiberragt. Zugleich
ist durch einen wahr-
scheinlich sekundaren
Abgliederungs- und
Verschmelzungsprozef
bei der Mehrzahl der
Exemplare dem Pro-
sternum der hintere
F.spe Se SS
~ Pst
Co.1
Fig. 42. Brustschulterapparat und erste
Bauchrippen von Brookesia superciliaris. +. (Teils
nach SIEBENROCK, teils nach der Natur.)
Fig. 43. Brustschulterapparat und_ erste
Bauchrippen von Uroplates fimbriatus. 3. (Teils
nach SrEBENROCK, teils nach der Natur.)
1) Diese starke Wélbung des ganzen Sternums bietet sich als
eine hohere und weitere Aushildung des bei Uroplates nur am
vorderen Ende begonnenen Wéolbungsprozesses dar (cfr. Anm. 2
auf S. 244).
268 Max Firbringer,
(die 2. Rippe tragende) Abschnitt abgegliedert worden, so dafi nun
das Prosternum (Prosternum vermindert um seinen hinteren Ab-
schnitt) von Chamaeleo und Lophosaura mit nur 1 Rippe, das
Xiphisternum (Xiphisternum vermehrt uw den hinteren Abschnitt
des Prosternum) mit 2 (Chamaeleo) bis 3 Rippen (Lophosaura) ver-
bunden ist'). Die Gesamtzahl der mit dem Sternum verbundenen
Rippen ist sonach 3 (Brookesia, Chamaeleo) bis 4 (Lophosaura) ”).
Auf das Sternum folgt bei den Chamaeleontia eine Anzahl
(8 bei Chamacleo, 6 bei Brookesia) querer resp. winkelig oder
bogenfoérmig nach vorn vorspringender Knorpelspangen, welche den
M. rectus abdominis quer durchsetzen und aus der Verbindung
oder Verschmelzung der rechten und linken Rippenknorpel der den
Sternalrippen folgenden Rippen hervorgegangen sind. Sie gleichen
in allen wesentlichen Kigenschaften den entsprechenden Knorpel-
bogen der kionokranen Lacertilier (vergl. S. 249, 250). Auf die
groBe Achnlichkeit zwischen Uroplates und den Chamaeleontidae
wurde schon dort aufmerksam gemacht.
Sekundare Bestandteile (Clavicula, Episternum, Para-
sternum) konnten bisher nicht an dem Brustschultergiirtel der
Chamaeleontia aufgefunden werden und sind wahrscheinlich seit
langem verkiimmert*). Auch hier sei auf das sehr reduzierte
Episternum des kionokranen Uroplates hingewiesen.
1) Diese EHrklarung ist nur ein Versuch, den ich mit allem
Vorbehalte gebe und der an der Hand der Untersuchung erst noch
zu priifen ist. Gerade hier besteht noch viel Dunkel — auch hin-
sichtlich des hinteren, die 3. Rippe tiberragenden, vielleicht einer
(spiter riickgebildeten) 4. Rippe entstammenden Teiles des Xiphi-
sternum von Chamaeleo — und Widerspruch in den Angaben der
Autoren (vergl. Raraxe und Parker). Eigentiimlich ist die Be-
obachtung Parxsr’s, der bei einem Exemplar von Chamaeleo vulgaris
an der linken Seite des Prosternum vor der gewoéhnlichen ersten,
dem 6. Wirbel angehérenden Sternalrippe noch ein Sternocostale
fand, das aber nicht mit der Rippe des 5. Wirbels, sondern mit
Ueberspringung derselben mit derjenigen des 4. Wirbels verbunden
war wahrscheinlich ein sekundirer, abnormer Befund.
2) Die erste Sternalrippe der Chamaeleontiden gehért dem 6.
Wirbel an. Der Brustschulterapparat derselben befindet sich somit
in einer erheblich kranialeren Lage als derjenige der typischen
kionokranen Lacertilier mit wohl entwickelten Extremititen. Bei
Riickbildung desselben tritt auch hier eine Vorwiartsbewegung nach
dem Kopfe zu ein (s. sub Nervensystem).
3) Srepenrock (1893, p. 707) wirft die Frage auf, ob eventuell
das Sternum und Scapula verbindende Ligament als Clavicula zu
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 269
Der Humerus der Chamaeleontia entspricht im ganzen
demjenigen der typischen kionokranen Saurier und unterscheidet
sich nicht wesentlich von ihm durch etwas gréfere Schlankheit
und geringere Ausbildung der Muskelfortsaétze im proximalen und
distalen Bereiche; namentlich der sonst recht kraftig entwickelte
Epicondylus medialis tritt sehr zuriick oder fehlt beinahe (Corr).
Seine Linge tibertrifft die gré%te Breite annihernd d5mal (Chamaeleo)
bis 7mal (Brookesia). Calotes und Verwandte sowie Uroplates
unter den kionokranen Lacertiliern kommen ihm in dieser Hinsicht
am nachsten. Kin Canalis n. radialis wurde vermibt.
Anhang zu den Lacertilia.
Dolichosauria. Mosasauria. Telerpetidae.
Die kionokranen Lacertilia, Amphisbaenia und Chamaeleontia,
werden bekanntlich von den meisten Autoren mit den Ophidia zu
der héheren Abteilung (Ordo resp. Legio) der Squamata (Strepto-
stylica, Lepidosauria, Pholidota) vereinigt. Zu diesen werden noch
zwei fossile kionokrane Abteilungen aus der Kreide, die Dolicho-
sauria und die Mosasauria (Pythonomorpha), gestellt,
wobei die einen (CUviIER, OWEN, BAuR, MrERRIAM u. A.) einer Ein-
reihung derselben in die Lacertilier (in der Nahe der Varanidae)
das Wort reden, die anderen (Core, ZrvreL, BOULENGER, HAECKEL
u. A.) fiir eine selbstandige Stellung zwischen Lacertiliern und
Ophidiern eintreten.
Beide Abteilungen haben einen verlingerten schlangenahn-
lichen Kérper mit verkleinerten Extremititen und zeigen eine An-
passung an das Wasserleben, die bei den Dolichosauriern noch in
den Anfangsstadien sich befindet'), bei den Mosasauriern in
héherem Grade und unter Ausbildung von flossenartigen und durch
Phalangenvermehrung (Hyperphalangie) gekennzeichneten Extremi-
taten sich entwickelt hat. Die Dolichosaurier beginnen mit ziem-
betrachten sei. Dieselbe ist zu verneinen. Dieses, iibrigens ganz
kraftige Band geht vom Sternum an den Vorderrand der hervor-
ragenden Verbindungsstelle von Coracoid und Scapula, also an eine
ganz andere, viel ventralere Stelle als die Clavicula normalerweise
(Acromion), Auch fehlt ein Acromion. Das Band ersetzt die Clavi-
cula zum Teil funktionell, nicht aber morphologisch.
1) Die altesten Vertreter derselben, die Aigialosauridae, méigen
noch erdlebende Lacertilier gewesen sein (GorJANOVIC-KRAMBERGER).
270 Max Firbringer,
lich kurzhalsigen Formen, Aigialosauridae, in der unteren Kreide
und erheben sich in der oberen zu den langhalsigen Dolicho-
sauridae; die Mosasaurier waren von mafiger Lange des Halses
und lebten in der oberen Kreide ').
Dolichosauria.
Der Brustschulterapparat der Dolichosaurier ist noch un-
vollstindig bekannt; die meiste Aufklirung bietet KoRNHUBER’sS
Fund, Carsosaurus, dar ”).
Der primaire Schultergiirtel weist eine recht mafig entwickelte
knécherne Scapula auf, die, wie es scheint, mit dem breiteren
knéchernen Coracoid®) synostotisch verbunden ist; letzteres hat
ein gut entwickeltes Foramen supracoracoideum und am medialen
convexen Rande 2 Incisuren, die unter Vergleichung mit dem
Brustgtirtel von Varanus zu dem Hauptfenster und dem hinteren
coracoidalen Fenster erginzt werden kénnen. Beziiglich der Aus-
dehnung der knorpeligen Teile von Scapula
und Coracoid fehlt jede Andeutung. Der
sekundare Schultergiirtel, die Clavicula,
bildet ein diinnes und schlankes Knochen-
stiibchen, welches dem lateralen Schenkel
des Episternum vorn aufliegt und sich
nach der Gegend der Scapula erstreckt.
Fig. 44. Clavicula und Das primaire Brustbein, Sternum,
Episternum von Carsosau- weil knorpelig, ist nicht mehr erhalten;
rus marchesettii. 3. (Nach pach der Lage der noch vorhandenen 5
ving ca erga Sternocostalien auf KoORNHUBER’s Tafeln
scheint es von bedeutender Grofe gewesen zu sein. Das sekun-
dire Brustbein, Episternum, reprasentiert einen schlanken,
1) Die Halswirbelzahlen sind (auf Grund der Revisionen von
Dotto und Bovunencer): Aigialosauridae 9-—10, Dolichosauridae
15—17, Mosasauria 9—10. Unter den lebenden Lacertiliern bieten,
als regelmifiges Vorkommen, die Varanidae 9 Halswirbel dar.
2) Kornuuser ist geneigt, Carsosaurus als besonderes Genus
neben Varanus den Varanidae zuzuzihlen. Mit Dotto stelle ich
ihn zu den Aigialosauridae.
3) Die oben gegebene Determination weicht etwas von der-
jenigen Kornuuser’s ab. Ich bin nach genauer Ansicht des Licht-
druckes geneigt, die virtuelle Grenze von Scapula und Coracoid
namentlich vorn mehr scapularwirts zu verlegen und die dort
von Kornuuper angegebene Sutur als Bruchstelle aufzufassen.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 271
T-formigen Knochen, der in seiner Form zwischen derjenigen der
Iguaniden und Varaniden steht.
Parasternale Gebilde fehlen wie bei den Lacertiliern durchaus.
Der Humerus der Dolichosaurier (Pontosaurus, Carsosaurus)
ist im Vergleich zu dem der typischen Lacertilier etwas zuriick-
gebildet und verktirzt, doch tiberwiegt die Langendimension noch
in erheblichem Mae tiber die Breite (ca. 3:1).
Mosasauria (Pythonomorpha),.
Bei den Mosasauriern zeigt der primaire Schultergiirtel eine
auffallend breite knécherne Scapula und ein ansehniiches, noch
breiteres knéchernes Coracoid, das von einem Foramen supra-
Fig. 45. Brustschulterapparat von Varanus
bengalensis juv. 2%. (Frei nach W. K. PARKER.)
Fig. 46. Knoécherne Teile des Brustschulter-
apparates von Clidastes dispar. (Frei nach MARSH;
Stellung des Schultergiirtels verdndert.) |
Fig. 47. Knécherne Teile des Schultergiirtels XU
von Clidastes westii. 5. (Nach WILLISTON.)
Gemeinsame Bezeichnungen: Cr Coracoid. F. co
Facies articularis costae. /.gl Fossa glenoidalis pro
humero. F.spe Foramen supracoracoideum, Pst Pro- Fig. 47.
sternum. Se Scapula. 1 Teil der Fenestra coraco-
idea anterior. 3 Teil der Incisura coraco-scapularis.
Cr :
F.spe F. gl
coracoideum durchbohrt ist und an seinem medialen Rande bald
einen Einschnitt zeigt (Plioplatecarpus, gewisse Arten von Plate-
carpus und Clidastes), bald ganzrandig ist (Hainosaurus, Tylo-
saurus, gewisse Arten von Platecarpus [Holosaurus| und Clidastes,
272 Max Firbringer,
Baptosaurus) '). Ueber die Knorpelteile des primairen Schulter-
giirtels wissen wir nichts, doch sind dieselben vermutlich wie bei
den Lacertiliern (Varanidae) sehr ausgedehnt gewesen ?); auch kann
der Einschnitt ohne Bedenken zum Hauptfenster des Coracoids
erginzt werden, das bei Plioplatecarpus ahnlich wie bei den
Varanidae ziemlich ansehnlich ist, bei einigen Arten von Plate-
carpus und Clidastes sich verschmalert hat und bei den anderen
oben erwahnten Mosasauriern geschlossen ist. Ftir diesen succes-
siven Schlu8 der Fenster zeigen auch die Lacertilier Parallelen,
namentlich die den Varanidae*) nicht ganz fern stehenden Helo-
dermidae weisen ein solides Coracoid auf.
Die Existenz eines sekundaren Schultergiirtels in Gestalt einer
kleinen und schlanken Clavicula wird von Baur (1890) an-
eegeben. Andere Untersucher auf diesem Gebiete fanden sie noch
nicht, doch lat die Beschaffenheit des von WILLIsTon (1899) be-
schriebenen Episternums (ovale Gelenkfacetten am vorderen Ende)
auf deren Existenz schliefen.
Das primaire Brustbein, Sternum, bildet bei Clidastes dispar
(Marsu 1880) eine ganz ansehnliche, mafig breite, aber lange,
schwach nach aufen gewolbte verknécherte Platte, welche vorn die
beiden einander genaherten Sulci coracoidei, an ihren langen, nach
hinten etwas konvergierenden Seitenrindern 5 Gelenkfacetten fiir
die Sternocostalia trigt. Ganz abweichend davon findet WILLIsTon
(1898, 1899) bei Platecarpus coryphaeus ein breit- halbmond-
formiges, gut ossifiziertes Sternum mit hinterem konkaven Rande,
dessen coracoidale Gelenkfurchen weit voneinander entfernt sind‘).
Angesichts dieser fundamentalen Differenzen der beiden nahe ver-
wandten Gattungen und der grofen Abweichungen von dem Lacer-
tilier-Typus sind weitere aufklirende Funde sehr erwiinscht.
1) Das wechselnde Vorkommen der Incisur wurde von Marsu
(1872) und Merriam (1894) als generisches Merkmal aufgefaft, von
Wiuuiston und Cas (1898) an der Hand eines umfangreichen Ma-
teriales héchstens als Differentialcharakter der Species erkannt.
2) Auch Wituiston (1897) erginzt ein sehr ansehnliches Supra-
scapulare.
3) Bekanntlich zeigen die Varanidae (ebenso wie Carsosaurus
nach meiner Deutung) 2 coracoidale Fenster, von denen aber das
hintere in wechselnder Weise den Verschluf vorbereitet; bei den
bekannten Mosasauriern ist dasselbe stets geschlossen und nur noch
das Hauptfenster bei gewissen Vertretern offen.
4) Wiuutston erblickt in der Verknécherung des beobachteten
Sternum an Stelle der gewéhnlichen Knorpelverkalkung einen in-
dividuellen resp. pathologischen Befund.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 273
Das sekundire Brustbein, Episternum, reprisentiert einen
knéchernen Lingsstab, der vorn ein wenig geteilt ist resp. in
zwei kurze seitliche Zipfel ausgeht (BAUR 1890, Dono 1892);
Wiuuiston (1898, 1899) beschreibt ein breites und diinnes, spatel-
formiges Episternum, das an seinem vorderen abgestutzten Ende
zwei ovale Gelenkflichen tragt. In dieser Hinsicht niihert sich
das Episternum der Mosasaurier, falls keine Liisionen vorliegen,
mehr demjenigen gewisser Iguanidae und der Helodermatidae als
dem der Varanidae.
Parasternale Elemente fehlen den Mosasauriern wie den Do-
lichosauriern und anderen Lacertiliern.
Pim
Fig. 48. Linker Humerus yon Cli-
dastes westii, Ventralansicht. 1. C.r Con- Pl
dylus radialis. C.«w Cond. ulnaris. Ze.r
Kpicondylus radialis. £e.w Epicond. ul- fey 4 PA
naris. P./ Processus lateralis. P.m Proc. mm Ki 2 ay ee
medialis. (Nach WILLISTON.) Ci = = Cir
Der Humerus der Mosasaurier zeigt die typische Form des
Elementes einer zur Flosse umgestalteten Extremitét. Er ist kurz,
breit, flach. und seine Liingendimension iibertrifft dic der Breite
nur wenig oder gar nicht. Dabei besitzt er ansehnliche Vor-
spriinge, von denen namentlich der Processus lateralis, sowie die
beiden Epicondylen, deren medialer am kraftigsten entwickelt ist,
hervortreten. Dadurch ist sein Mittelstiick gegentiber den breiteren
Enden mehr oder minder betrichtlich eingeengt.
Die Aehnlichkeit der erwahnten Skeletteile der Dolichosaurier
und Mosasaurier mit denen der kionokranen Lacertilier ist er-
sichtlich. Ueber meine Ansicht betretfend die speciellere syste-
matische Stellung dieser beiden Abteilungen werde ich mich am
Schlusse dieser Arbeit iufern.
Telerpetidae.
Ich reihe hier noch die sehr unvollstindig bekannten Gat-
tungen Saurosternon aus der Karrooformation (untere Trias) und
Telerpeton aus dem Elgin-Sandstein (obere Trias) an. Huxtry
hat Telerpeton 1866 mit groBer Bestimmtheit als kionokranen
Lacertilier gekennzeichnet, 1873 aber ohne Angabe von Griinden
den Homoeosauria eingefiigt. LypekKrr (1888) verbindet Sauro-
274 Max Fiirbringer,
sternon und Telerpeton zur Familie Telerpetidae und _ vereinigt
dieselbe mit seinen Familien Homoecosauridae (= Homoeosauridae
und Sauranodontidae) und Pleurosauridae (= Acrosauria) zt
der Subordo Homoeosauria, wihrend sie Zirren (1889) zu den
Proterosauridae stellt. Beide Autoren reihen sie also, im Einzelnen
iiber ihre speciellere Stellung recht differierend, den Rhyncho-
cephalia ein.
Von Saurosternon sind meines Wissens keine Fragmente des
Brustschulterapparates bekannt, von Telerpeton hat dagegen
Huxtey (1866) ein Exemplar beschrieben und teilweise abgebildet,
das einen leidlich gut erhaltenen Schidel, Wirbelséule mit Rippen
und bemerkenswerte Teile des Schultergiirtels, Beckens, der vor-
deren und namentlich der hinteren Extremitat aufweist. Hux Ley
kommt dabei, wie schon erwahnt, zu dem Ergebnis, Telerpeton
zu den Lacertiliern, und zwar auf Grund der amphicélen Wirbel
zu den primitiveren Formen derselben zu rechnen.
Ich kann ihm in der Diagnose von 1866 nur beistimmen,
wiihrend ich die genauere Begriindung der spiter (1873) behaup-
teten Zugehoérigkeit zu den Homoeosauriern vergeblich suche.
Der abgebildete Schidel erinnert nach Verhalten des Schlafen-
bogens (der ventrale fehlt) und des Quadratums weit mehr an
einen Lacertilier als an einen Rhynchocephalen; das akrodonte
Gebif nétigt nicht zu der Einreihung in die Rhynchocephalen,
denn auch die Agamidae besitzen ein solches; der Tarsus mit
seinem grofen proximalen und seinen drei‘) distalen Tarsalia fallt
eleichfalls in den Rahmen der Lacertilier (nach GEGENBAUR’S
Nachweisen 1864 besitzen die Geckonidae 3 distale Tarsalia) ;
endlich fiir das eigentiimliche Verhalten der 5. Zehe mit ihren
2 Phalangen bieten nicht die Rhynchocephalen, wohl aber die
Lacertilier, und zwar die Agamidae, Aehnliches dar: durch SreBEN-
rock (1895) wissen wir, daf anstatt der iiblichen Vierzahl der
Phalangen dieser 5. Zehe bei gewissen Vertretern derselben auch
nur 3 (Lyriocephalus) oder 2 (Moloch) vorkommen, oder dal
diese 5. Zehe gainzlich reduziert sein kann (Sitana).
Der Brustschulterapparat von Telerpeton ist unvoll-
stindig bekannt. Die knécherne Scapula reprasentiert einen
1) Im Text werden ausdriicklich 3 distale Tarsalia angegeben,
auf der beigegebenen Textfigur aber 4 abgebildet. Aber auch die
Vierzahl dieser Tarsalia wiirde nach Graensaur’s Untersuchung der
Jugendzustande von Lacerta keine Schwierigkeit gegen eine Ein-
reihung in die Lacertilier bilden.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 275
langen, diinnen und ziemlich schmalen Knochen, der an seinem
ventralen, dem Coracoid wohl durch Sutur verbundenen Ende ver-
breitert und verdickt ist und hier einen rostralen Vorsprung zeigt,
der mit dem Schaft der Scapula eine Incisura (Semifenestra)
scapularis, vielleicht auch ein scapulares Fenster umschlof. Das
Coracoid bildet eine nach ihrer sagittalen und namentlich trans-
Fig. 49. Schultergiirtel von Tel-
erpeton elginense. +. Cr Coracoid. Se Sca-
pula. 7 Fenestra coracoidea (anterior).
(Nach HUXLEY.)
versalen Dimension sehr ansehnliche Platte, beteiligt sich mit
der Scapula in der tiblichen Weise an der Bildung der Gelenk-
fliche fiir den Humerus und scheint, nach der von HuxLey ge-
gebenen Restauration, mit einem ansehnlichen Fenster (coracoidales
Hauptfenster) versehen gewesen zu sein. Dasselbe erinnert etwas
an die tiefe Incisur der parasuchen Crocodile (Phytosaurus). Eine
Clavicula war vorhanden, doch giebt Huxtry keine genauere
Beschreibung derselben.
Brustbeinbildungen, Sternum und Episternum, sind bisher
nicht bekannt geworden; dai sie vorhanden waren, unterliegt wohl
keinem Zweifel.
Auch von sog. Bauchrippen (Parasternum) erwihnt Huxiry
nichts; nach ZirreL scheinen sie zu fehlen.
Der Humerus war nicht langer als die knécherne Scapula,
proximal und distal verbreitert und verdickt, mit ansehnlichem
Proc. lateralis versehen, in der Mitte eingeengt. Nervenkaniile
werden nicht angegeben.
Alle diese Angaben gewiihren nicht genug Anhalt, um Tel-
erpeton mit Sicherheit unter den besser bekannten Reptilien unter-
zubringen. Doch weist das, was bisher vom Brustschulterapparat
bekannt geworden ist, mehr auf die Lacertilier als auf die Rhyn-
chocephalier hin.
Vorliufig, bis nicht genauere Beschreibungen der bisher be-
kannten Funde oder bis nicht neue modifizierende Funde vorliegen,
bin ich geneigt, Telerpeton als Vertreter einer besonderen Familie
in der Nihe der Geckonidae und Agamidae den kionokranen
Lacertiliern einzureiien. Ueber die systematische Stellung von
Saurosternon dufere ich mich nicht, da mir die bisher davon be-
276 Max Fiirbringer,
kannten Fragmente noch weniger zu geniigen scheinen, um seine
verwandtschaftlichen Beziehungen zu anderen Reptilien zu be-
stimmen.
Endlich fiihre ich noch gewisse als Reptilien erkannte Micro-
saurier, Hylonomus und Petrobates, an. Dieselben kénnen
zu den Lacertiliern oder zu den Rhynchocephaliern gehéren; ich
werde das, was man von ihrem Brustschulterapparat weil, bei
den letzteren besprechen.
D. Rhynchocephalia ').
(Vergl. Taf. XVI und XVII, Fig. 168 und 178.)
Der Brustschulterapparat des noch lebenden Vertreters der
Rhynchocephalia, Sphenodon (Hatteria)?), schlie&t sich in der
guten Ausbildung primérer und sekundarer Skeletteile dem der
typischen kionokranen Lacertilier niher an als denjenigen der
Chirotiden und Chamaeleontiden, welche der sekundaren Bestand-
teile entbehren. Der Humerus weicht dagegen in einem Punkte
(Anwesenheit eines Foramen nervi mediani) erheblich von den
Humeri aller Lacertilier und der meisten Reptilien iiberhaupt ab.
Dazu kommt noch die Existenz eines Parasternum, welches Sphen-
odon mit den Crocodilen, Cheloniern (die es in umgewandelter Form
besitzen), mehreren anderen ausgestorbenen Reptilien-Ordnungen
und Archaeopteryx teilt, welches aber den Lacertiliern abgeht.
1) Ueber die systematische Stellung yon Sphenodon sind bis
auf den heutigen Tag die Ansichten sehr geteilt. Zwischen den-
jenigen, welche dieses Reptil mit seinen Verwandten als den Re-
praisentanten einer besonderen, sehr viel eigentiimliche und ur-
spriingliche Ziige aufweisenden Ordnung der Reptilien resp. als den
primitivsten lebenden Sauropsiden auffassen, und denen, welche es
als einen zu den Agamidae gehérigen oder wenigstens dieser Fa-
milie nahestehenden Lacertilier betrachten, finden sich alle még-
lichen vermittelnden Anschauungen vertreten. Dariiber wird am
Schlusse dieser Abhandluug noch des weiteren zu sprechen sein.
2) Nach Baur’s historischer Darlegung (Zoologischer Anzeiger,
X, 8S. 120f. Leipzig 1887) hat der Name Sphenodon (1831)
den Vorzug vor der Bezeichnung Hatteria (1842); auch BounEncER
(1879), Gucenpaur u. a. gebrauchen ihn.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 277
Der primaire Schultergitirtel') wird wie bei den Lacer-
tiliern von Scapula und Coracoid gebildet, welche, ungefaéhr im
rechten Winkel sich treffend, in der Jugend synchondrotisch, im
ausgewachsenen Zustande synostotisch verbunden sind und hier
am distalen Rande die Gelenkhéhle fiir den Humerus (CGI, F’. gl) *)
tragen. Die Scapula (Sc)*) besteht aus der schmaleren kné-
chernen Scapula s. str. (Sec, Infrascapulare), welche dorsalwarts
in das etwas kiirzere, aber erheblich breitere Suprascapulare (SS)
ausliuft, welches noch knorpelig geblieben ist*). An dem Vorder-
F. gl Se SS
Cl
Cr
Est
St
Fig. 50. Brustschulterapparat von-Sphenodon punctatus. 4. CZ Clavi-
cula. Cr Coracoid. Fst Episternum. F.g/ Fossa glenoidalis pro humero. F. spe
Foramen supracoracoideum. Se Scapula. SS Suprascapulare. S¢ Sternum (Pro-
sternum). & Incisura coraco-scapularis. (Nach der Natur.)
rand der knéchernen Scapula, etwa.in der Mitte seiner Liinge, be-
findet sich der Processus clavicularis (Acromion)*®), mit dem das
laterale Ende der Clavicula verbunden ist. In dieser ausgedehnten
Verknécherung der Scapula s. str. und Lage des Acromion
spricht sich ein den hoheren Lacertiliern ‘aquivalentes Kntwicke-
lungsstadium aus. Fensterbildungen fehlen der Scapula wie dem
1) Scapulo-Coracoid: Osawa.
2) Cavitas glenoidalis: Osawa.
3) Scapula der Autoren.
4) Ich finde das gegenseitige Liingenverhiltnis von Scapula
8. str. zu Suprascapulare wie 2:3; die geringste Breite der Scapula
s. str. betragt 11/,, die gréfte Breite des Suprascapulare 4?/, Wirbel-
einheiten — somit Dimensionen, welche diejenigen bei den Lacer-
tiliern nicht unerheblich iibertreffen.
5) Acromial tuberosity, Tuberositas acromialis: Ginrumr,
Osawa. — Osawa bezeichnet auch den coracoidalwirts gleich daran
anschliekenden Einschnitt als Incisura scapulae.
278 Max Firbringer,
Coracoid, doch findet sich gerade an der Verbindungsstelle beider
ein mit Membran ausgefiillter Einschnitt, Incisura obturata coraco-
scapularis, welcher der Semifenestra scapulo-coracoidea der kiono-
kranen Lacertilier verglichen werden kann. Das Coracoid (Cr) 1)
stellt eine solide Platte dar, die in der sagittalen Dimension be-
trichtlich langer, in der transversalen etwas kiirzer als die Scapula
ist. Der der Scapula und der Gelenkhoéhle fiir den Humerus be-
nachbarte caudo-laterale Abschnitt ist verknéchert, der mediale
und vordere in ziemlich grofBer Ausdehnung noch knorpelig. Mit
seinem medialen Rande ist das Coracoid in ansehnlicher Linge in
den Sulcus coracoideus des Sternum eingefiigt, der vordere Teil
ragt frei tiber das Sternum vor und tritt mit seinem medialen,
dorsal hinter dem freien Teile des Episternum gelegenen Saume
etwas iiber die Mittellinie, wobei das rechte Coracoid ventral
unter das linke zu liegen kommt. Hierdurch unterscheidet es
sich nicht unwesentlich von dem Coracoid von Chamaeleo und
nihert sich mehr dem der kionokranen Lacertilier, insbesondere
dem von Heloderma, enthalt somit bei mangelnder Fensterbildung
coracoidale, epicoracoidale und procoracoidale Elemente in sich.
An der iiblichen Stelle wird es von dem Foramen supracoracoideum
fiir den Nervus supracoracoideus?) und die gleichnamigen Gefafe
durchbohrt. Der hintere, von dem Schultergelenke nach dem
Sternalgelenke verlaufende Rand ist konkav, mitunter besonders
tief eingeschnitten.
Der sekundare Schultergiirtel, die Clavicula (Cl) *),
ist von miifiger Linge und Breite und reprasentiert, &hnlich der
Clavicula der Iguanidae und gewisser Agamidae, einen mafhig ge-
bogenen, schlanken Knochen, welcher in seiner medialen Hilfte
der rostralen Fliche des Seitenschenkel des T-férmigen Episternum
je nach dem Alter durch ziemlich straffe Syndesmose oder durch
1) Coracoid der Autoren.
2) Foramen supracoracoideum: Osawa.
3) Clavicula der Autoren. — Sapatier (1897) behauptet, dal
die Clavicula der héheren Vertebraten ein knorpelig priformierter
Knochen (Os de cartilage) sei und dafi sie ein von dem Vertebro-
costale abgelistes und mit dem prathorakalen Segment des Ster-
num, der Interclavicula, verbundenes prithorakales Sternocostale
reprasentiere. Ich brauche nicht auseinanderzusetzen, daf diese
Behauptung und Deutung von Clavicula und Episternum (Inter-
clavicule) fiir mich gianzlich unannehmbar ist.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 279
Sutur verbunden ist'). Die medialen Enden der rechten und
linken Clavicula sind hierbei etwa um die Breite des Liingsschenkels
des Episternum voneinander entfernt oder ein wenig mehr ge-
nahert. Das Alter scheint hierbei keine Rolle zu spielen. Lateral
hangt die Clavicula mit dem von der knéchernen Scapula gebil-
deten Acromion beweglich syndesmotisch zusammen; diese Stelle
liegt ungefahr in der Mitte der scapularen Vorderrandes, also
etwas ventraler als bei den kionokranen Lacertiliern.
Das primare Brustbein, Sternum (S#)”), bildet eine
ebene, rhomboidale bis pentagonale Knorpelplatte, deren beide
antero-laterale Rander die Sulci coracoidei*) mit auferem und
innerem Labium fiir die Coracoide tragen, wahrend die disto-
lateralen Seiten sich mit 3—4 Paar Sternocostalien (Co. th. I—IV)
verbinden‘); da die Insertionen des letzten Rippenpaares seitlich
weit auseinanderweichen, findet sich, wie bei einigen Iguanidae
und Agamidae (p. 247), an Stelle der hinteren Spitze ein ziemlich
breiter querer hinterer Rand, der meist in der Mittellinie etwas
konkav eingebuchtet ist resp. mit zwei seitlichen Konvexititen
endet. Es stellt somit lediglich ein Prosternum (Mesosternum)
dar; das Bildungsmaterial fiir das Xiphisternum liegt in dem
letzten Sternocostale, ist also noch nicht so weit differenziert,
dafi man von dieser Sternalbildung sprechen kénnte.
Das sekundaére Brustbein, Episternum (ES?)°),
1) Die Grenzen zwischen den Claviculae und dem Episternum
werden von GinrHER, aber nicht von Osawa abgebildet; Osawa
spricht jedoch von einer ,,Artikulationsflache* des Episternum fiir
die Clavicula. Ich finde hier nichts einem Gelenk Vergleichbares.
— Auf Crepner’s Abbildung sind die medialen Enden beider Cla-
viculae ziemlich weit voneinander entfernt, auf derjenigen von
Smeets beriihren sie sich beinahe in der Mittellinie. Prrriy findet
sie fest mit dem Episternum verbunden (soudée) und erblickt darin
ein primitives Verhalten, das bei den Lacertiliern einer freieren
Verbindung (,,se détache successivement“) Platz gemacht habe.
2) Sternum der Autoren.
3) Grooves for the reception of the coracoid: GinrHEer. —
Suleus coracoideus: Osawa.
4) Incisurae costales: Osawa. — Die 1. Sternalrippe gehért
wie bei den meisten kionokranen Lacertiliern dem 9. Wirbel an.
Hiufiger verbinden sich nur 3 Sternalrippen mit dem Brustbein;
doch wurden von mir auch 4 beobachtet (so in dem auf den
Tafeln abgebildeten Exemplare).
5) Episternum: GecEnpaur, Crepner, ZitTen, GUNTHER, Osawa.
— Interclavicle: Smpers, Savatier, BouLENGER, meiste Palaiontologen.
Bd. XXXIV. N. F. XXVIL, 19"
980 Max Firbringer,
bildet einen T-férmigen Knochen, dessen vordere Querschenkel in
der bereits angegebenen Weise mit den medialen Hilften der
Clavikeln verbunden sind, wiahrend der Langsschenkel in seinem
rostralen Drittel frei tiber das Sternum vorragt, in seinen cau-
dalen 2 Dritteln mit dessen Mittellinie (im Bereiche der vorderen
2/. desselben) verwachsen ist'); zwischen dem Hinterrande der
episternalen Querschenkel und dem vorderen Sternalrande er-
streckt sich ahnlich wie bei den Lacertiliern eine diimne Membrana
sterno-episternalis (JZ. stest).
Direkt auf das Sternum folgt, den hintersten Saum desselben
ventral etwas tiberlagernd?) und mit ihm durch Band _ver-
bunden, der Komplex jener queren Knochenspangen, welche sich
bis zum Bereich des Beckens erstrecken und von GEGENBAUR als
Parasternum (PS?)*) zusammengefaft werden. Sie kommen
in der Zahl von 20—26, meist 24, also in der doppelten Anzahl
wie die Wirbel und Rippen der entsprechenden Kérperregion (je
2 parasternale Metameren auf 1 Rumpfmetamer) vor, bestehen
jede (mit Ausnahme der ersten) aus einem mittleren unpaaren
Schenkel, dem sich seitlich paarige Stiicke, ein rechtes und ein
1) In der von GtnrnEer gegebenen Abbildung ist das Epi-
sternum reichlich mit den vorderen */, des Sternum verwachsen,
wiihrend Osawa es von der vorderen Ecke des Brustbeins nach
vorn gehen lat. Letztere Angabe beruht wahrscheinlich auf eimem
Irrtum.
2) Bereits von BoutEnerr (1889) hervorgehoben und leicht zu
bestatigen.
3) Abdominal ribs, Bauchrippen: Ginrner, Knox, Newman,
WiepEersHEm. — Plastron (Sternum abdominal): Donto. — Ver-
knécherte Inscriptiones tendineae der Bauchmuskeln: v. Ammon,
WirpersHeim. — Plastron: Boutpncur. — Abdominalskelet: ANDREAE.
— Abdominal ossicles: Baur (1896). — Gastralia: Baur (1897). —
Parasternum: GrGENBAUR (1898). — Ventrale Abdominalrippen:
Osawa (1898). — Gonruer und Newman faften diese parasternalen
Gebilde als endoskeletale auf und verglichen sie den verbundenen
Sternocostalien der Lacertilier, wihrend Knox, Roiurstron, Bou-
LENGER, Baur, Gr@pnpaur und die Mehrzahl der Palaontologen
ihre wahre Natur als rein dermale Ossifikationen und ihre prinzi-
pielle Verschiedenheit von den knorpelig praformierten Rippen
richtig erkannten. Im Gegensatz zu dieser gewonnenen Erkenntnis
homologisiert sie Sanarrer (1897) wieder mit der Interépineux
ventraux und faft sie als Homodyname der Arcs pubiens und des
Sternum auf; diese Anschauungen Saparinr’s sind fiir mich ebenso
unannehmbar wie seine Deutungen der Clavicula und des Episternum
(vergl. S. 278, Anm. 3).
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 281
linkes, anfiigen, und tragen alle Merkmale von dermalen Deck-
knochen an sich. Sie sind abwechselnd, eine um die andere (d. h.
die 1., 3., 5. bis 17., 19. und 21.), mit den ventralen Enden von
11 verkalkten Rippenknorpeln (deren erster sofort auf die letzte
sternale Rippe folgt) verbunden, und zwar derart, daf diese mit
seitlichen Schaufeln versehenen und den Sternocostalien ent-
sprechenden Rippenknorpel ziemlich lateral an die lateralen
Enden der Mittelstiicke und die daneben befindlichen Stellen der
Seitenstiicke sich anheften. Die dazwischen gelegenen para-
sternalen Spangen (d. h. die 2., 4. bis 18. und 20.), sowie die
3 letzten (die 22. bis 24.) entbehren des costalen Verbandes.
Im tbrigen sind sie von aufen her in den Musculus rectus
abdominis, den sie oberflachlich durchsetzen und segmentieren,
eingebettet und mit den Mm. pectoralis, obliquus abdominis ex-
ternus superficialis und profundus verbunden'). Alle diese Zu-
sammenhinge mit der Muskulatur sind héchst wahrscheinlich erst
sekundaér erworben. Die parasternalen Elemente reihen sich so-
mit in gewisser Weise, auch in ihrer Zusammensetzung aus einem
mittleren unpaaren und seitlichen paarigen Staben, den episternalen
und claviculiren Gebilden genetisch an, wobei ich indessen einer
specielleren Homodynamie beider noch mit Vorsicht gegeniiber-
stehe. Parasternale Gebilde gehen samtlichen sicher erkannten
Lacertiliern (inkl. Amphisbaenia, Chamaeleontia, Dolichosauria
und Mosasauria, sowie den Ophidia) ab — denn die bei diesen
von verschiedenen anderen Autoren damit verglichenen Gebilde
sind Produktionen der echten Rippenknorpel — finden sich aber,
in sehr wechselnder Ausbildung, noch bei den Ordnungen der
Ichthyosauria, Chelonia, Sauropterygia, Crocodilia, Dinosauria,
Patagiosauria (Pterosauria) und Saurura (Archaeopteryx) ”).
Der Humerus (H)*) von Sphenodon zeigt im grofen und
ganzen ahnliche Verhaltnisse wie bei den mit kraftiger Muskulatur
versehenen kionokranen Lacertiliern; doch ist sein proximales
und distales Ende breiter entwickelt als bei diesen, wodurch seine
Lange nur das 21/,-fache seiner gréften Breite bildet. Der proxi-
1) Vergl. hieriiber Maurer (1896, S. 193 f.), dessen Angaben
ich durchaus bestitigen kann.
2) Siehe Guannsaur (1898, S. 307) und die betreffende palionto-
logische Litteratur. Auch die folgenden Darstellungen der beziig-
lichen Skeletteile der fossilen Reptilien werden sich wiederholt mit
ihnen beschiftigen.
3) Humerus, Omero der Autoren.
19%
989 Max Firbringer,
male Teil beginnt mit dem lang-ellipsoidischen Caput humeri
(CH, Cp)*), welches mit der coraco-scapularen Pfanne artikuliert,
und triigt an der Aufenseite den langen und miichtig ventralwarts
vorragenden Processus lateralis (PL, Pr.!)?), sowie an der
Innenseite den kiirzeren, aber auch gut entwickelten Processus
medialis (PM, Pr.m)*); beider Anfange kann man wie bei den
Tim. ld
Ca.n.m x
z Ca.n.7r
KHeu Ee.r
Cou od
EHeu
Fig. 52.
Fig. 51. Linker Humerus von Sphenodon punctatus. Ventralansicht. +.
(Nach der Natur.)
Fig. 52. Linker Humerus von Sphenodon punctatus. Lateralansicht. +.
(Nach der Natur.)
Gemeinschaftliche Bezeichnungen: C.r Condylus radialis. C.w Cond. ul-
naris. Oa.n.r Canalis nervi radialis (ectepicondyloideus). Ca.n.m Canalis n.
mediani (entepicondyloideus). Cp Caput humeri. Ze.r Epicondylus radialis.
Ec.u Epicond. ulnaris. 2m./d Eminentia (Linea) m. latissimi dorsi. F. bi Fossa
bicipitalis. Pr.J Processus lateralis. Pr.m Proc. medialis.
Lacertiliern als Tubercula (laterale und mediale) bezeichnen.
Zwischen beiden Processus findet sich ventral die Fossa inter-
tubercularis s. bicipitalis+); dorsal ist die Eminentia (Linea) m.
latissimi dorsi ziemlich gut entwickelt. Das Mittelstick
(Schaft)°) ist verengt und von rundlichem Querschnitte. Im
distalen Bereiche verbreitert sich der Humerus wieder und zwar
noch mehr als im proximalen. Am Ende trigt er die Gelenkvor-
spriinge fiir Ulna und Radius, Condylus (Trochlea) ulnaris®)
1) Kopf, Téte: Bayer, Dotto.
2) Processus lateralis s. Tuberculum majus: Bayer, Osawa. —
Créte delto-pectorale: Doo.
3) Processus medialis s. Tuberculum minus: Bayrr, Osawa.
4) Fossa intertubercularis: Osawa.
5) Schaft: Bayer, Osawa. — Mittelstiick: Crepnemr.
6) Condylus ulnmaris: Bayer. — Entocondyle: Dotto, —
Trochlea: Osawa.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 283
und Condylus radialis'), tiber denen sich ventral die Fossa
supratrochlearis ventralis”) findet. Auf beiden Seiten erheben sich
in dieser Gegend, die grofe Verbreiterung des Humerus hier be-
dingend, die beiden Muskelfortsitze, Epicondylus ulnaris s.
medialis (ZU, Ee.u)*) und Epicondylus radialis s. late-
ralis (ZR, Ec.r)*). Proximal von ihnen resp. in ihrem proximalen
Bereiche wird der Humerus von 2 schragen Kaniilen durchbobrt,
dem Canalis n. radialis s. ectepicondyloideus (CanR,
Ca.n.r)°), welcher dem Durchtritt des Nervus radialis und der
mit ihm verlaufenden Kanale dient und dem gleichnamigen Kanal
der Lacertilier und vieler anderer Reptilien homolog ist, und
dem Canalis n. mediani s. entepicondyloideus (Can,
Ca.n.m)"), welcher fiir den Nervus medianus und die Brachialgefabe
bestimmt ist, den Lacertiliern und meisten Reptilien abgeht, aber
dem Kanale der theromorphen Reptilien sowie der Mammalia zu
vergleichen ist. Durch die gleichzeitige Koésistenz dieser beiden
Kanale stellt sich Sphenodon nicht allein allen lebenden Reptilien,
sondern selbst allen lebenden Amnioten gegentiber und teilt nur
mit einigen anderen fossilen Rhynchocephaliern, sowie den thero-
morphen Deuterosaurus (Brithopus), Gomphognathus und anderen
von H. y. Meyer nicht niher bezeichneten Resten aus dem Perm,
sowie den Nothosauriern diese Eigentiimlichkeit ’).
-
1) Condylus radialis: Bayer. — Ectocondyle: Dotto. — Emi-
nentia capitata: Osawa.
2) Vertiefung: Bayer. — Fossa supracondyloidea: CrepNer.
— Fossa cubitalis anterior: Osawa.
3) Entépicondyle: Dortuo. — Condylus internus: WrepERSHEIM,
— Epicondylus ulnaris: Osawa.
4) Ectépicondyle: Dotto. — Radial condyle: Brooxs. — Con-
dylus externus: Wirprersuerm. — Epicondylus radialis: Osawa.
5) Oeffnung o’: Bayur. — Canalis ectepicondyloideus: Doxuo,
Baur, WrepersHem, Osawa. — Canalis n. radialis s. supracondylo-
ideus lateralis s. ectepicondyloideus: Firsrincer. — Foramen ect-
epicondyloideum: Baur.
6) Oeffnung 0: Bayrnr. — Canalis entepicondyloideus: Doxno,
Baur, WieprrsHem, Osawa. — Canalis n. mediani s. supracondylo-
ideus medialis s. entepicondyloideus: Firsrincrer. — Foramen ect-
epicondyloideum: Crepner. — Foramen entepicondyloideum: Baur.
7) Die Koéxistenz der beiden Kaniile von Sphenodon hat zuerst
Bayer (19. VI. 1884) gefunden und abgebildet, aber nicht naher
pracisiert. Die genauere Kenntnis von ihrer Bedeutung verdanken
wir Donno (24. VIL 1884, Dezember 1884), dem dann die Ver-
284 Max Firbringer,
Anhang: Fossile Rhynchocephalia, Acrosauria, Microsauria.
Sphenodon ist der letzte tiberlebende Reprasentant der alten
Ordnung der Rhynchocephalia, deren Reste schon in den jiingeren
paliozoischen Schichten (Perm) und namentlich in den mesozoischen
Lagen gefunden werden; gewisse Vertreter dieser Ordnung gehéren
somit zu den altesten bisher gefundenen Reptilien. HArcKEL
nannte sie, um damit ihre primitive, Ausgang gebende Stellung zu
bezeichnen, Tocosauria.
Ueber den Umfang, die Grenzen und die Einteilung ist noch
nicht einmal in den Grundziigen Einheit erzielt; die einen Unter-
sucher reihen ihnen Formen ein, welche die anderen bei anderen
Ordnungen unterbringen. Das erklart sich zum Teil aus der
éffentlichungen von mir, Baur, Crepner u. A. folgten. — Ruan
(Beitrage zur Gefiflehre des Menschen, Morph. Jahrb, IX, 1884,
S. 341) hilt dafiir, da’ der Canalis supracondyloideus (Canalis n.
mediani) der Saéugetiere bei Reptilien, sehr wahrscheinlich durch
die Muskulatur, angebahnt und ausgebildet worden sei. Wuirpmrs-
HEIM (1892, S. 240), dem spiiter Osawa (1898) zustimmt, ist da-
gegen der Ueberzeugung, ,daf jene Kanile eine viel langere
Stammesgeschichte hinter sich haben, und daf ihr Ursprung in der
polymeren, auf die Konkrescenz von Radien zuriickzufiihrenden
Anlage des Basale beruht, wie wir eine solche bei der Selachier-
bezw. der Ganoiden-Flosse konstatieren konnten*. Ich kann WiepeErs-
nEIM nicht beistimmen, einmal weil jener vermeintliche Nachweis
einer Konkrescenz von Radien in den genannten Flossen auf einem
Beobachtungsfehler beruht, dann weil die Nerven in der dem freien
Chiropterygium entsprechenden Region des Ichthyopterygiums meist
ihre ventrale und dorsale Lage wahren und, wenn sie doch in ihrem
weiteren Verlaufe auf die Gegenseite der Extremitit iibergreifen,
memals zwischen deren Radien dahin gelangen. Diese Kanile am
Humerus der Amnioten sind — und darin begegnet sich meine
Anschauung viel mehr mit der Rueu’s — erst zu einer Zeit ent-
standen zu denken, wo der Humerus sich im Chiropterygium bereits
zu seiner typischen Ausbildung erhoben hatte, und zwar dadurch,
daf die am lateralen und medialen Rande des Humerus in Spiral-
touren verlaufenden Nn. radialis (resp. brachialis superior) und
medianus (resp. brachialis inferior) yon dem sie umgebenden und
zunchmenden Skeletgewebe umrandet und _ schlieflich umwachsen
wurden, wodurch es sucessive zur Bildung von Rinnen und Kanilen
fiir diese Nerven und die mit ihnen verlaufenden Gefafe kam. Um-
gekehrt konnten sich die einmal gebildeten Kaniale unter Rarefizierung
der sie umgebenden Skelettteile wieder in Rinnen umwandeln und
auch diese schlieflich ganz verschwinden, wie das sehr haufig zu
beobachten oder zu erschliefen ist.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 285
Mangelhaftigkeit des bisher verfiigbaren Materiales; doch sind
dabei auch verschiedene Anschauungen der einzelnen Bearbeiter
mafSeebend. Um die Kenntnis und Einteilung derselben haben
sich namentlich H. v. Meyer, Huxtry, Dono, SEeLey, Baur,
CREDNER und BouLenGer verdient gemacht; die Kenntnis von
Palaeohatteria und Kadaliosaurus verdanken wir CrepNER. Die
iiltesten amphicélen Formen werden als Subordo Proterosauria
(Protorosauria) !) mit den Haupttypen der Palaeohatteriidae (Palaeo-
hatteria) aus dem unteren Rotliegenden und den Proterosauridae
(Proterosaurus, Aphelosaurus u. a.) aus dem Zechstein zusammen-
gefalt; zwischen beide Familien stellen sich, falls sie iiberhaupt
hierher und nicht zu den Lacertiliern gehdren, wohl die leider
noch unvollkommen bekannten Kadaliosauridae (Kadaliosaurus) 2)
aus dem unteren Rotliegenden; als letzte Auslauter der Protero-
sauria werden, ohne dal bisher verbindende Formen aus den
Zwischenschichten bekannt geworden sind *), die spaten Champso-
sauridae (Champsosaurus) aus der oberen Kreide und dem unteren
Eociin angesehen. Die naiheren Verwandten von Sphenodon bilden
die Subordo Rhynchocephalia s. str. (Rhynchocephalia
vera); sie sind erst aus den mesozoischen Schichten bekannt und
verteilen sich in die vier Familien Hatteriidae (Sphenodon) aus
der Jetztzeit, Homoeosauridae (Homoeosaurus und Verwandte) ‘)
aus dem oberen Jura, Rhynchosauridae (Rhynchosaurus, Hyperoda-
pedon) aus der oberen Trias (Keuper) und Sauranodontidae
(Sauranodon s. Sapheosaurus) aus dem oberen Jura®); die drei
ersten Familien haben amphicéle, die letzte procéle Vertreter.
1) Die Proganosauria Baur’s, welche aufer Proterosaurus noch
Mesosaurus und Stereosternum umfaften, sind auf Grund der in-
zwischen gewonnenen genaueren Kenntnis aufzulésen; die Mesosauria
gehéren an andere Stelle (s. unten),
2) An dem einzigen, iibrigens vortrefflich erhaltenen Skelet von
Kadaliosaurus fehlt Kopf und Brustschulterapparat.
3) Von den Mesosauria aus dem oberen Perm und der unteren
Trias ist abgesehen.
4) Exklusive Pleurosaurus und Acrosaurus, die wohl aus den
Homoeosauridae zu entfernen sind und eine besondere Abteilung
(Acrosauria BouLenGcEr) bilden.
5) Es liegt auf der Hand, dafi die bisherigen Fundstatten der
verschiedenen Familien der Rhynchocephalia ganz unvollkommene
und liickenhafte sind. Von den Hatteriidae z. B., die gewif schon
in palaiontologischer Zeit lebten, ist nur der recente Sphenodon
bekannt.
286 Max Firbringer,
Die zumeist den Rhynchocephalia, speciell den Homoeosauridae
zugerechneten Gattungen Pleurosaurus und Acrosaurus aus dem
oberen Jura, die aber schon H. v. Meyer als selbstaindige Ab-
teilung Acrosauria hervorhob, wurden neuerdings von BOULENGER
auf Grund ihres einfachen lacertilierartigen Schlafenbogens zwischen
Rhynchocephalia und Squamata gestellt und zur Ordnung Acro-
sauria erhoben.
Ferner sind die triassischen Gattungen Telerpeton und Sauro-
sternon, von LypeKKeR zur Familie Telerpetidae vereinigt,
von den neueren Paliontologen, speciell von LypEKKER und
ZirteL, den Rhynchocephalia eingereiht worden. Ich habe die-
selben bereits bei den Lacertilia behandelt, wobei mir die von
Hux.Ley gegebene Beschreibung (1866) als Grundlage diente‘).
Endlich sei noch auf gewisse Vertreter der den Stegocephalen
eingereihten karbonischen und permischen Microsauria, speciell
auf die von CREDNER genauer untersuchten Hylonomus und
Petrobates aus dem unteren Rothliegenden hingewiesen, die
Baur (1897) an der Hand der Crepner’schen Abbildungen auf
Grund der Beteiligung von 2 Wirbeln an ihrer Sacralbildung als
primitive Reptilien ansprach. Hylonomus zeigt in der Anordnung
seines Parasternums mehr stegocephale, Petrobates dagegen mehr
rhynchocephale Eigenschaften.
Diese alten und kleinen Formen, bei denen man zweifelhaft
sein kann, ob sie zu den Lacertiliern oder Rhynchocephaliern zu
rechnen seien, bei denen selbst die Zugchérigkeit zu den Reptilien
mir noch nicht endgiltig entschieden zu sein scheint, lassen, wie
schon CREDNER andeutet, auf Grund ihrer Konfiguration auf noch
primitivere und mehr generalisierte Vorgiinger aus dem Karbon,
moéglicherweise aus noch iilteren palaozoischen Schichten mit ter-
restrer Formation schlieBen, die zum ersten Male eine reptilien-
artige Existenz erméglichten und die Frage der Abstammung der
Reptilien lésen diirften. Hier liegt eine grofe Zukunft
fiir die Forschung, die gerade in diesem Punkte nicht hoff-
nungslos aussieht.
Die Kenntnis des Brustschulterapparates und des
Humerus der Rhynchocephalier lait bei den alteren, noch viel
1) In der Anatomie der Wirbeltiere (1873) fiigt er sie ohne
Angabe von Griinden den Homoeosauria ein.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 287
Knorpel im Skelett darbietenden Vertretern manches zu wiinschen
iibrig. Immerhin verfiigen wir bei einzelnen Formen, namentlich
betreffs des sekundiren Deckknochenapparates, iiber relativ recht
eute Grundlagen.
Proterosauria (Protorosauria).
Palaeohatteria.
Ueber die Proterosauria sind wir dank CREDNER’s vortrefflicher
Darstellung der knéchernen Ueberbleibsel von Palaecohatteria gut
unterrichtet; von den Knorpelteilen ist nichts mehr erhalten.
Vom primaren Schultergiirtel existiert ein ganz ansehnlicher,
ziemlich langer, vorn diinner und hinten dicker Knochenkern, die
Scapula, und eine kleinere, diinne und runde Platte, das
Coracoid; beide scheinen durch ausgedehnten Knorpel verbunden
Wits Ca. 2.170
Ee.r
Ee.u
Fig. 53. Brustschulterapparat von Palaeohatteria longicaudata. !. Ca.n.m
Canalis nervi mediani. Cl Clavicula. Cr Knochenkern des Coracoids. Ee. 7
Epicondylus radialis. “ce. Epicond. ulnaris. “st Episternum. Pr.J Processus
lateralis humeri. Se Knochenkern der Scapula. (Nach CrEDNER; Humeri
wohl verdreht.)
eewesen zu sein, ein recht primitiver, embryonalen Zustinden der
Iebenden Amphibien und Reptilien gleichzustellender Befund.
Ueber die Gestaltung der sonstigen Knorpelteile (Suprascapulare,
Epicoracoid, Procoracoid) lat sich nichts aussagen. Der sekunddre
Schultergtirtel, die Clavicula, ist als reiner, keine Knorpelteile
enthaltender Deckknochen in seiner ganzen Ausdehnung wohl er-
halten und stellt eine sichel- oder bumerangartig gebogene Platte
dar, die héchstwahrscheinlich mit ihrem breiteren medialen Ende
mit dem Episternum, mit ihrem schmileren dorso-lateralen Ab-
schnitte mit der Scapula resp. dem Suprascapulare verbunden war.
Durch ihre mit Ausnahme des schmileren scapularen Endes breitere
Form unterscheidet sie sich von der Clavicula von Sphenodon und
288 Max Fiirbringer,
nihert sich mehr den primitiven Verhaltnissen bei den Stego-
cephalen; hervorzuheben ist, daf die breiteste Stelle wie bei zahl-
reichen Lacertiliern dem medialen Teile entspricht.
Das primitive Brustbein, Sternum, weil knorpelig, ist
unbekannt; doch macht die Form des Episternum und der Ver-
eleich mit Sphenodon wahrscheinlich, daf es eine ansehnliche
Platte, vermutlich von rhombischer Form, darstellte. Das sekun-
dare Brustbein Episternum'), reprasentiert den weitaus an-
sehnlichsten Teil des Brustschulterapparates und stellt eine lange
spatelformige Platte vor, die vorn rhomboidal verbreitert und quer
verdickt ist, und nach hinten in einen schmaleren, wahrscheinlich
mit dem Sternum verbundenen Stiel auslaéuft. An der vorderen
rhomboidalen Verbreiterung kann man einen centralen verdickten
Teil in Gestalt eines kurzschenkeligen Kreuzes unterscheiden.
Das Parasternum besteht aus zahlreichen Metameren, von
denen abweichend von Sphenodon (wo sich je zwei auf ein Rumpf-
metamer fanden) drei auf eine Rippe (Rumpfmetamer) kommen.
Noch gréfer ist die Abweichung hinsichtlich der queren Gliederung
jedes parasternalen Metamers. Wahrend dasselbe bei Sphenodon
nur aus drei langeren (einem mittleren und paarigen seitlichen)
Stiben bestand, verbinden sich bei Palaeohatteria zahlreiche
kiirzere, spindelférmige, schmal schuppenartige Knochenstabchen
als Glieder angereiht mit einander und lateral durch Mittel feiner
Knochenfaidchen mit den Rippenenden (je 3 mit einer Rippe). In
dieser grofen Zahl begegnen uns an Stegocephalen erinnernde
Verhaltnisse; doch sind bei diesen die Knochenstibchen meistens
durch breitere Knocheuschuppen vertreten.
Der Humerus, dessen proximales und distales Knorpelende
nicht erhalten ist, zeigt eine ziemlich gute Entwickelung, besitzt
einen gut ausgepriigten Proc. lateralis, sowie, nach seiner distalen
Verbreiterung zu schliefen, auch gut ausgebildete Epicondylen
1) Episternum: Crepner u. A., Interclavicula vieler Palionto-
logen. — Koxen (1893) scheint die Bezeichnung Interclavicula in
jeder Beziehung vorzuziehen, da diese Platte weder mit der Sterna-
lisierung der Rippen noch des Schultergiirtels (Omosternum) etwas
zu thun hat. Ich kann ihm nicht beistimmen; einmal hat die Be-
zeichnung Episternum die Prioritit vor dem englischen Terminus
Interclavicle und in GxrGEnBAuR einen recht guten Gewihrsmann,
dann aber halte ich auch das Episternum fiir ein fiir die Genese
des Sternums recht wichtiges Element (dariitber spater in der
Zusammenfassung).
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 289
und proximal vom Epicondylus medialis einen Canalis nervi me-
diani (entepicondyloideus). Das Verhiiltnis seiner Lange zur gréften
Breite mag etwa Sphenodon entsprochen haben.
Kadaliosaurus.
Von Kadialiosurus ist bisher nur das Parasternum und der
Humerus bekannt geworden, ersteres in wundervoler Erhaltung.
Das Parasternum nimmt in grofer Ausdehnung etwa in
der Lange von 14 Rumpfmetameren die Bauchflache zwischen
Brustschulter- und Beckengiirtel ein und setzt sich aus sehr zahl-
reichen Knochenstaben zusammen, die sich in etwa 80 para-
sternalen Metameren, von denen somit 5 bis 6 (also die doppelte
Anzahl wie bei Palaeohatteria und die 3fache wie bei Sphenodon)
auf je 1 Rippe (Rumpfmetamer) kommen, verteilt. Jedes para-
sternale Metamer besteht ahnlich wie bei Sphenodon aus einem
rechten und linken schraggestellten Schenkel, die sich in der
ventralen Mittellinie treffen; aber in wesentlicher Differenz zu dem
lebenden Rhynchocephalier und in gréferer Uebereinstimmung mit
Palaeohatteria sind es héchst zahlreiche Glieder, welche in Gestalt
kurzer und schmaler, eigentiimlich miteinander verbundener
Knochenstébchen (ein kleines unpaares Medianstiick, rechts und
links von paarigen Medianstiicken begrenzt wird, sowie bei guter
Ausbildung 5 bis 6 seitliche Stiicke, alle nach CREDNER’s Nomen-
klatur) die Schenkel zusammensetzen und ebenfalls wie bei Palaeo-
hatteria, aber in vermehrter Anzahl, durch lateral an sie an-
schlieBende feine, auch aus Gliedern aufgereihte Knochenfadchen
(Verbindungsstiicke CREDNER’s) mit den Rippenenden (je 5 bis 6 auf
1 Rippe) sich verbinden. Im hinteren Bereiche des Bauches sind
die parasternalen Metameren minder entwickelt resp. zum Teil redu-
ziert; hier fehlen die Medianstiicke, die seitlichen Stiicke sind in
der Zahl vermindert (je 2 bis 3 auf jeder Seite), auch die Ver-
bindungsstiicke kénnen fehlen (letztes parasternales Metamer). Der
ganze parasternale Apparat setzt sich somit aus etwa 1000 feinen
Elementarteilen zusammen. Der Vergleich mit Sphenodon ergiebt
mit Wahrscheinlichkeit, daf der unpaare mittlere Sckenkel jedes
parasternalen Metamers aus der Vereinigung der 3 Medianstiicke
von Kadaliosaurus, die paarigen seitlichen Stibe desselben aus
der Verschmelzung der zahlreichen seitlichen Stiicke des per-
mischen Reptils hervorgegangen sind oder ihnen wenigstens ver-
glichen werden kénnen.
290 Max Firbringer,
Der Humerus von Kadaliosaurus kommt im_ wesentlichen
Verhalten mit dem der Lacertilier und der beiden besprochenen
Rhynchocephalier (Sphenodon und Palaeohatteria) tiberein, ist
aber erheblich schlanker als der rhynchocephale Humerus, indem
seine Lange mehr als das 3-fache seiner gréften Breite betrigt.
Insofern steht er dem Humerus der Lacertilier naher. Auch
findet sich wie bei diesen und abweichend von Sphenodon und
Palaeohatteria am distalen Ende nur ein Canalis n. radialis (entepi-
condyloideus).
Proterosaurus (Protorosaurus).
Bei Proterosaurus ist die Ossifikation des primaren Schulter-
giirtels erheblich weiter vorgeschritten. Leider gestattet, wie viele
Exemplare von Proterosaurus und in H. von Mrysr’s ausge-
zeichneter Monographie (1856) auch abgebildet sind, die Erhaltung
gerade des Brustschulterapparates keine sicheren Schliisse tiber die
Gestalt der ihn zusammensetzenden Teile. Die Scapula scheint
aus einem ziemlich schmalen Schafte und einem betrachtlich ver-
breiterten und verdickten ventralen Ende zu bestehen, das sich
mit dem Coracoid verbindet und mit ihm die Gelenkhohle fiir den
Humerus bildet. Das Coracoid reprasentiert eine ansehnliche,
namentlich in der sagittalen Dimension ausgedehnte und mit einem
Kinschnitt!) versehene Knochenplatte. Ueber die eventuellen
Knorpelteile des primaren Schultergiirtels la8t sich nichts aussagen.
Der sekundire Schultergiirtel, die Clavicula, lat sich von der
Clavicula von Palaeohatteria ableiten; sie scheint nur am epister-
nalen Ende verbreitert, tibrigens aber in ihrer gréferen Aus-
dehnung ziemlich schlank gewesen zu sein.
Das primare Brustbein, Sternum, ist, weil aus Knorpel be-
stehend, nicht mehr erhalten. Das sekundare Brustbein, Epister-
num, schlieft gleichfalls an dasjenige von Palaeohatteria an; es
ist aber schlanker und am vorderen rhomboidalen Ende mehr ver-
kiirzt und in die Breite gezogen, wodurch es den Uebergang zu
den T-formigen Episterna anbahnt. Beide sekundéire Knochen
1) An welchem Rande des Coracoids dieser Einschnitt lhegt,
ist nicht aufgeklart. Zrrren verlegt ihn an den Vorderrand, nach
H. v. Meyer’s Abbildung und Erklarung des Miinster’schen Exem-
plares scheint er dem Hinterrand anzugehéren und damit eine
pragnantere Ausbildung der schon bei Sphenodon angegebenen
erofen Konkavitiit dieses Hinterrandes darzubieten.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 291
(Clavicula und Episternum) bieten damit eine gréfere Anniherung
an die Formen von Sphenodon und gewissen Lacertiliern (einige
Agamidae und Iguanidae mit medial verbreiterten Clavikeln und
Uebergiingen von rhombischen zu T-formigen Episternen) dar.
Das Parasternum wird von zahlreichen Metameren ge-
bildet, deren je 3 (also wie bei Palaeohatteria) auf 1 Rumpf-
metamer (Rippe) kommen. Jedes parasternale Metamer setzt sich
aus zahlreichen kurzen und spindelférmigen (nach CREDNER spitz-
haferkornahnlichen) Knochenstaébchen zusammen, von denen die
am meisten lateralen durch fadenformige knécherne Verbindungs-
stiicke mit den Rippenenden verbunden waren. Unpaare Mittel-
stiicke scheinen riickgebildet gewesen zu sein.
Fig. 54. Fig. 55.
Fig. 54. Clavicula und Episternum von Proterosaurus spenerl. j}. (Nach
CREDNER.)
Fig. 55. Linker Humerus von Proterosaurus speneri (verletzt). Ventral-
ansicht. 3. (Nach H. v. MEYER.)
Der Humerus bildet einen robusten Knochen, der proximal
und distal verbreitert, in der Mitte mehr eingeengt ist. Die Linge
iibertrifit die gréBte Breite etwa 2°/, mal. Proximal sind Proc.
lateralis und medialis, namentlich der erstere, distal die beiden
Epicondylen (radialis und ulnaris) gut entwickelt. H. von Meyer
leugnet die Existenz von Nervenkanilen. CrepNer und BoULENGER
geben einen Canalis n. radialis (ectepicondyloideus), Baur und
ZITTEL einen Canalis n. mediani (entepicondyloideus) an.
Champsosaurus.
Der an das Wasserleben angepafte und vielleicht den letzten
seitlichen Ausliufer der Proterosauria bildende Champsosaurus
292 Max Firbringer,
(Simoedosaurus) zeigt eine noch erheblich héhere Entwickelung
seines Brustschulterapparates. Die Knochenteile von Scapula
und Coracoid sind recht ansehnlich, erstere mit einem kleinen
vorderen Ausschnitt versehen'), letzteres von gestreckter Form
und ohne Foramen supracoracoideum. Die Clavicula_ ist
spangenformig mit Verbreiterung in ihrer Mitte (nicht am medialen
Ende).
Vom Sternum ist nichts mehr erhalten; das Episternum
ist T-formig.
Dem Parasternum scheinen, aihnlich wie bei Proterosaurus,
die mittleren Stiicke zu fehlen, so daB8 es nur aus der paarigen
Reihe seitlicher Stabe besteht.
Fig. 56. Fig. 57.
5
Fig. 56. Clavieula und Episternum von Champsosaurus. $. (Nach DoLLo.)
2
Fig. 57. Linker Humerus von Champsosaurus. Dorsalansicht. 3. Ca.n.r
Canalis nervi radialis (ectepicondyloideus). Cp Caput humeri. Zc. 7 Epicon-
dylus radialis. Zc. Epicond. ulnaris. Pr.m Proc. medialis. (Nach DoLwo.)
Der Humerus zeigt, entsprechend der Anpassung an das
Wasserleben, eine gewisse Abflachung und eine relativ geringe
Entwickelung seiner Fortsaitze; auch bietet die Anordnung seiner
proximalen und distalen Muskelfortsitze eine gewisse Verlagerung
dar. Seine Linge betrigt etwa das 2°/,-fache seiner gréften
Breite. Ein Canalis resp. Sulcus n. radialis (ectepicondyloideus) ist
vorhanden.
1) Dieser Ausschnitt, Fossette scapulaire Douo’s, erinnert an
die Verhiltnisse von Sphenodon und gewissen Lacertiliern. An
dieser Stelle fand sich vermutlich eine von Scapula und Coracoid
gebildete Incisura obturata s. Semifenestra coraco-scapularis. Das
Auffallende des Mangels eines Foramen supracoracoideum hebt
Douuo hervor.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 293
Alles dies, namentlich das Verhalten von Coracoid und Para-
sternum, zeigt eine Specialisierung der betreffenden Teile, welche
Champsosaurus betriachtlich tiber Proterosaurus, selbst iiber den
lebenden Sphenodon erhebt.
Rhynchocephalia s. str.
Sphenodon wurde schon oben (p. 276—283) behandelt.
Homoeosaurus gleicht in allen wesentlichen Verhaltnissen
seines Brustschalterapparates Sphenodon. Der Knochenteil des
Coracoids ist noch kleiner als bei diesem und durch Naht mit
der Scapula verbunden. Episternum und Parasternum
sind gleichfalls in entsprechender Form, das Parasternum mit drei-
gliedrigen Metameren, und je 2 parasternale Metameren auf 1
Rumpfmetamer kommend, vorhanden. Ueber die Nervenkanile
des Humerus gehen die Angaben auseinander: H. v. MryEr,
v. Ammon und Baur schreiben ihm einen Canalis n. radialis
(ectepicondyloideus)'), ZirreL und BouLENGER einen Canalis 0.
mediani (entepicondyloideus) zu; méglicherweise besa’ er beide
Kanale gleichzeitig (BAuR) und vielleicht individuell in verschiedener
Weise entwickelt.
In der Hauptsache mit ahnlichen Bildungen schliefen sich die
Rhynchosauridae und Sauranodontidae an, so dafi auf
das Detail der Darstellung des Brustschulterapparates verzichtet
werden kann. Dem Parasternum der Rhynchosauridae werden
(ahnlich Kadaliosaurus) je 5—6, dem der Sauranodontidae (iiberein-
stimmend mit Sphenodon und Homoeosaurus) je 2 Metameren
auf 1 Rumpfmetamer zugeschrieben. Von dem Humerus beider
Familien wird ein Canalis n. radialis (ectepicondyloideus) angegeben.
Die grofe Variabilitat in den Angaben iiber die Verteilung
der Nervenkanaile des Humerus bei den verschiedenen Vertretern
der Ordo Rhynchocephalia 1aé8t noch umfassendere Untersuchungen
iiber diese Kaniale als sehr wiinschenswert erscheinen, namentlich
mit Ricksicht auf die Beantwortung der Frage, ob denselben die
héhere systematische Bedeutung, welche ihnen von verschiedenen
Autoren (namentlich Dotto und Baur) zugeschrieben wird, bei-
zulegen sei oder nicht. Die bisher bekannten Verhaltnisse bei
1) Auf den Abbildungen von H. v. Meyer und v. Ammon finde
ich einen Kanal, der nur als Canalis n. radialis gedeutet werden
kann.
294 Max Fiirbringer,
den Rhynchocephaliern lassen in ihnen ein mehr untergeordnetes
Differentialmerkmal erblicken.
Acrosauria.
Die gleich den Champsosauridae an das Wasserleben ange-
pagten und zugleich durch eine schlangenihnliche Verlangerung
ihres Kérpers und eine Verkleinerung ihrer Extremitaten gekenn-
zeichneten Acrosauria (Acrosauria H. v. Meyer; Fam. Pleuro-
sauridae LyDEKKER; von ZirrEL ohne besondere Abgrenzung den
Sphenodontidae eingereiht; Fam. Acrosauridae ANDREAE und
Dames; Ordo Acrosauria BOULENGER 1895) besitzen entsprechend
der Riickbildung ihrer Gliedmafen einen relativ kleinen primaren
Schultergiirtel, dessen Teile, Scapula und Coracoid, durch
Naht resp. Synchondrose (junges Exemplar von Dames) getrennt
sind und in ihren knéchernen Ueberbleibseln ebenso gut an Sphen-
odon wie an Lacertilier erinnern'); die Scapula entbehrt des Acro-
mions, das méglicherweise wie bei Lacertiliern im Knorpelbereiche
(Suprascapulare) lag oder in Korrelation zur Riickbildung der
Clavicula reduziert war. Die Clavicula ist sehr klein und
yy
F. gl Se eae
Fig. 58. Fig. 59. Fig. 60.
Fig. 58. Knochenteile des Coracoids und der Scapula von Pleurosaurus
minor. 3. (Frei nach DAMES; gegenseitige Lage von Cr und Sc verindert.)
Fig. 59. Clavicula und Episternum von Pleurosaurus goldfussi. 4. (Nach
DAMES.)
Fig. 60. Linker Humerus von Pleurosaurus minor. Ventralansicht. 4.
(Nach DAMES.)
1) Dames (1896) giebt davon eine Abbildung nach der Platte
des Berliner Exemplares, in welcher beide Knochen gegenseitig ver-
lagert sind, und verwechselt in der Beschreibung die Riinder des
Coracoids. Die von ihm daraufhin hervorgehobene Eigentiimlich-
keit des hinteren Randes (Konvexitiit!) des pleurosauren Coracoids
besteht in Wirklichkeit nicht.
Pril
Ca.n.m
iF Ca.n.7
1] |
Kew Ee. r
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 295
schlank und befindet sich, falls bei dem Haarlemer Exemplar ein
intakter Knochen vorliegt, in weit vorgeschrittener Riickbildung.
Das Sternum ist nicht erhalten, das Episternum im
Vergleich zu der Clavicula ansehnlich, T-férmig und mit ebenso
langen Querschenkeln wie der Langsschenkel. Darin liegt ein
Mifverhaltnis zur Ausbildung der Clavicula, das hoffentlich durch
weitere Funde von Clavikeln erwiinschte Aufklirang findet. DAmgEs
weist mit Recht auf mehrfache Aehnlichkeiten sowohl mit Sphen-
odon wie mit Ichthyosauriern hin.
Die Existenz eines zarten Parasternum wird von H.
v. Meyer, BOULENGER und namentlich ANDREAE (1893) bezeugt.
Es setzt sich aus parasternalen Metameren zusammen, von denen
wie bei Sphenodon wohl je 2 auf 1 Rumpfmetamer kommen und
von denen jedes ebenfalls wie bei Sphenodon und den Rhyncho-
cephalia vera aus einem winkeligen Mittelstiick und einem rechten
und linken Seitenstiick zusammengesetzt ist.
Der ziemlich kleine (und bei dem wohl jugendlichen EKxem-
plar von Dames unvollkommen verknécherte) Humerus besitzt
wie Sphenodon beide Nervenkanile; der Canalis n. mediani ist
erdfer als der fiir den N. radialis bestimmte.
Reptilische Microsauria.
Unter den zumeist zu den Stegocephalen gerechneten Micro-
sauria hat Baur die Gattungen Hylonomus und Petrobates
auf Grund der Bildung ihres Sacrums fiir primitive Reptilien
erklirt. Der Brustschulterapparat und Humerus dieser Tiere ist
uns, namentlich dank CreEpNER’s Forschungen, recht gut bekannt
geworden.
Von dem primaren Schultergiirtel liegen die Knochenkerne
von Scapula und Coracoid vor'), die mancherlei Ueberein-
stimmungen mit denen von Palaeohatteria darbieten. Der langere,
hinten (caudal) verdickte und vorn (rostral) zugescharfte diirfte
1) Crepner (1890) ist geneigt, simtliche Knochenkerne (die
er vermutlich vor endgiltiger Redaktion des Textes auf den Tafeln
durchweg als Scapulae bezeichnete) als Coracoide anzusprechen, so
dag, wenn ich ihn recht verstehe, Hylonomus und Petrobates ver-
knécherte Scapulae iiberhaupt abgehen wiirden. Ich glaube aber,
da8 die Crepner’schen Abbildungen uns das Recht geben,
zwischen scapularen und coracoidalen Knochenkernen bei diesen
Tieren zu unterscheiden.
Bd, XXXIV. N. F. XXVIL. 20
296 Max Firbrin ger,
als Scapula, der kiirzere rundliche resp. halbrunde als Coracoid
anzusprechen sein. Die Knorpelpartien waren gewif sehr ausge-
dehnt. Alles deutet auf Mangel an Fensterbildungen hin. Der
sekundire Schultergiirtel, die Clavicula, ist als reiner Deck-
knochen in toto erhalten und reprisentiert einen kraftigen, winkelig
gebogenen Knochen, der in allen wesentlichen Eigenschaften dem
von Palaeohatteria gleicht und auch im medialen Bereiche etwas
breiter als im lateralen ist. Eine etwas grifere Schlankheit und
Zuschirfung auch am medialen Ende kennzeichnet die Clavicula
der beiden Microsaurier gegeniiber der von Palaeohatteria.
Von dem primaren Brustbein, Sternum, zweifellos einem
rein knorpeligen Gebilde, ist nichts mehr erhalten. Um so mehr
dominiert das sekundire Brustbein, Episternum, in Gestalt
eines langen unpaaren Knochens, der vorn mit breiter rhombischer
Platte beginnt und hinten in einen langen, stielférmigen Fortsatz
ausgezogen ist. Im Vergleich mit Palaeohatteria ist die vordere
Platte etwas quer verbreitert.
Fig. 61. Fig. 62. Fig. 63.
Fig. 61. Episternum von Palaeohatteria longicaudata. 4. (Nach CREDNER.)
Fig. 62. Episternum von Petrobates truncatus. 3. (Nach CREDNER.)
Fig. 63. Episternum von Hylonomus geinitzi. 4. (Nach CREDNER.)
Das Parasternum besteht bei Hylonomus aus aahl-
reichen schriigen, sich etwas deckenden Schuppenreihen, welche
vorn in der Mittellinie im stumpfen Winkel sich treffen und von
denen je 2 auf 1 Rumpfmetamer kommen. Jede Schuppenreihe (para-
sternales Metamer) besteht aus vielen breiten, querovalen Schuppen,
die sich auch in der Quere dachziegelf6rmig decken und von ihrem
leistenférmig verdickten Hinterrande aus nach vorn verdiinnen.
Dieses Parasternum gleicht in der allgemeinen Anordnung dem
der Rhynchocephalier, weicht aber in der speciellen Form seiner
Komponenten von diesen Reptilien ab und zeigt mehr Ueberein-
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 297
stimmungen mit den aus breiten Dermalschuppen zusammen-
gesetzten Parasterna der meisten Stegocephalen!). Bei Petro-
bates setzen sich die parasternalen Metameren, von denen ebenfalls
je 2 auf 1 Rumpfmetamer kommen, jederseits aus Schragreihen von
5—6 schmalen, spindelférmig zugespitzten Stabchen zusammen *),
die somit mancherlei Uebereinstimmung mit denen der Protero-
sauria darbieten; mittlere unpaare Glieder fehlen ebenso wie bei
Proterosaurus und dem hinteren Abschnitte des Parasternum von
Kadaliosaurus, vermutlich infolge von Riickbildung. Petrobates
nimmt somit in der Bildung seines Parasternum eine hoéhere Stufe
als Hylonomus ein *).
Der Humerus zeigt die tiblichen Verbreiterungen des proxi-
malen und distalen, die Gelenke tragenden und vorwiegend mit
der Muskulatur verbundenen Endes, wahrend das Mittelstiick ein-
geengt ist. Bei Hylonomus ist er ziemlich schlank und etwa
3mal so Jang wie seine gréfte Breite, bei Petrobates dagegen
kiirzer und stiimmiger, indem hier die Lange die gréSte Breite
nur reichlich um das Doppelte tibertrifft. Nervenkanaile werden
nicht angegeben, fiir Hylonomus von CreEDNER direkt abgeleugnet ;
an dem breiteren Humerus von Petrobates ist die Existenz beider
oder wenigstens eines derselben sehr méglich.
E. Crocodilia.
Ueber den Brustschultergiirtel und den Humerus der lebenden
Crocodilier (Emydosaurier) sind seit meinen friiheren Mitteilungen
(1875) keine Untersuchungen von Umfang gemacht worden. Ich
kann daher auf meine damalige Darstellung verweisen, der ich
1) Ausdriicklich sei hervorgehoben, daf bei Stegocephalen auch
Parasterna mit schmalen, stabchenformigen Gliedern (ahnlich denen
der Rhynchocephalen) vorkommen.
2) Dieselben sind ahnlich denen von Archegosaurus an der
Innenseite konkav ausgehéhlt. Die Vermutung Crepner’s (1890,
S. 255), daf sie hier im Inneren knorpelig blieben, kann ich nicht
teilen. Angesichts der rein dermalen Natur dieser Deckknochen-
gebilde kann es sich nur um eine bindegewebige Fiillung der
Konkavititen handeln.
3) Crepner fiihrt auch an (1890, S. 257), da’ Hylonomus mehr
zu den Stegocephalen neigt, Petrobates sich mehr den Rhyncho-
cephaliern niihert.
20*
298 Max Firbringer,
nur einiges, damals minder bedeutsam Erscheinendes oder seitdem
von den Autoren Gefundenes zufiige.
Der primare Schultergiirtel besteht, wie damals des
eenaueren beschrieben worden, aus einer Scapula und einem
Coracoid, die in ihrer Verlingerung, ihrer rostralwirts gehen-
—y SS
F. gl
Em. seer
F’. spe
Cr
Fig. 64.
Fig. 64. Linker primiirer Schultergiirtel von Crocodilus americanus.
Lateralansicht; Coracoid in die gleiche Ebene projiziert. +. (Nach der Natur.)
Fig. 65. Brustschulterapparat von Caiman sclerops. 4. (Zum Teil nach
Brin, zum Teil nach der Natur.)
Gemeinsame Bezeichnungen: Co Sternalrippe. Cr Coracoid. 2m. secr Emi-
nentia scapulo-coracoidea. “st Episternum. F. gl Fossa glenoidalis pro humero.
F. spe Foramen supracoracoideum. Pst Prosternum. Se Scapula. SS Supra-
scapulare. Xs¢t Metasternum (Xiphisternum).
den Richtung und ihrer vorn befindlichen synchondrotischen resp.
symphytischen Verbindung bereits eine gewisse Parallele zu dem
bei den carinaten Végeln viel weiter ausgebildeten Verhalten der
beiden Knochen zeigen [GEGENBAUR, FURBRINGER, SABATIER !)].
Die Scapula zeigt im ventralen Bereiche ihres vorderen Randes
1) Sasatipr benennt die Vorragung der coraco-scapularen Ver-
bindungsstelle Eminence scapulo-coracoidienne, eine Bezeichnung, die
ich gern iibernehme.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 299
eine Leiste (Spina scapulae s. Crista deltoidea), welche dem M. del-
toides inferior als Ursprungsstelle dient. An dem soliden, nicht
durchbrochenen Coracoid lief sich als Rudiment des bei den
Lacertiliern bestehenden Procoracoids ein geringfiigiger Proc.
procoracoideus!) nachweisen; das Foramen supracoracoideum 2)
ist entsprechend der Verlangerung und Richtungsiinderung des
Coracoids nach vorn geriickt.
Der sekundare Brustgitirtel, die Clavicula, fehlt
den lebenden Crocodilen *).
Das primare Brustbein, Sternum, besteht aus dem
vorderen breiten Prosternum (Mesosternum)*) und dem _hin-
teren schmiileren und langeren Xiphisternum (Metasternum) °),
beide aus Knorpel, die bald direkt zusammenhingen, bald von-
einander abgegliedert sind. Das erstere trigt die Coracoide und
das Episternum und artikuliert meist mit 2 Sternocostalien; das
1) Den Anschauungen Goérre’s und WirpEeRsHEIM’s, wonach in
der Coracoidplatte selbst das Procoracoid der kionokranen Lacer-
tilier enthalten sei, kann ich nicht beistimmen; das procoracoidale
Rudiment, wenn noch vorhanden, markiert sich, wie GuaENBAUR mit
Recht betont, als kleiner Fortsatz dieser Platte. Vergl. auch Anm. 3.
2) Gefafloch: Briuu.
3) Daf die Clavicula erst infolge sekundarer Riickbildung bei
den lebenden Crocodilia (und iiberhaupt den Eusuchia) in Wegfall
gekommen ist, darf billigerweise angenommen werden und wird
auch durch ihr Vorkommen bei den Parasuchia und Pseudosuchia
(s. unten) bestatigt. — Horrmann ist der Ansicht, daf der vordere
verdickte Rand der Membrana episterno-coracoidea als Rudiment
einer Clavicula anzusprechen sei; darin kann ich ihm nicht folgen.
— Wiepersuem findet bei Embryonen von Crocodilus porosus
(biporcatus) an der entsprechenden Stelle einen prochondralen, ,,an
ein Procoracoid erinnernden“* Vorsprung der Scapula, der sich
weiterhin von derselben abgliedere und nicht in Knorpel, sondern
in das sonst den clavicularen Anlagen zukommende dichtzellige
Gewebe umwandle, spiter aber ganz verschwinde; dies sei die
Anlage der Clavicula des Crocodils. Diese Beobachtung verdient
Beachtung, fordert aber zugleich zu weiteren Untersuchungen auf;
GEGENBAUR (1898) erblickt in dem von WiepERsHEIM beschriebenen
embryonalen Gebilde eher eine abortive Anlage des Procoracoids,
welcher Deutung ich zustimme.
4) Vorderstiick, vordere Rhomboidalplatte: Brinn. — Prae-
sternum: Parker. — Mesosternum: GEGENBAUR (1898).
5) Hinteres Knorpelblatt, Xiphoidealplatte: Briiut. — Meso-
sternum und Xiphisternum: Parker (wobei dieser Autor den un-
paaren ‘Teil als Mesosternum, den paarigen als Xiphisternum an-
spricht). — Metasternum: GucENnBAuR (1898).
(
300 Max Firbringer,
letztere ist mit 4—7 Sternocostalien verbunden ') und lauft hinten
in schmale, paarige und weit divergierende Schenkel aus, zu denen
(bei Alligator) noch ein kiirzerer unpaarer Fortsatz kommt, der
auch ein kleines Fenster haben kann ”).
Das sekundéire Brustbein, Episternum®*), existiert
in der Gestalt eines Lingsstabes, der hinten, wo er dem Pro-
sternum (vordere ”/, bis ganze Linge desselben) aufgewachsen
ist, eine etwas gréfere Breite zeigt also vorn, wo er dasselbe
iiberragt und bald stumpf, bald spitz frei auslauft.
In einiger Entfernung hinter dem Sternum findet sich ein
Parasternum‘), das — im Gegensatz zu Sphenodon — aus
einer beschrankteren Zahl (7—8) voneinander weiter entfernter
und den Rippenzahlen (Rumpfmetameren) entsprechender Meta-
meren besteht, von denen jedes aus medialen und lateralen paarigen
schlanken Knochenstiben zusammengesetzt ist. Darin zeigt sich
im Vergleich mit Sphenodon eine Reduktion, einmal in der ge-
samten Ausdehnung des Parasternum, die bei den Crocodiliern
geringer ist, dann in der Folge dieser Metameren, die bei Sphen-
odon in doppelter, hier aber nur in einfacher Zahl auf die
(echten) Bauchrippen kommen, endlich in der queren Gliederung
jedes Metamers, das bei Sphenodon aus einem unpaaren medianen
und einem Paar seitlicher Stabe, bei den Crocodiliern aber aus
paarigen medialen und lateralen Stiicken besteht, von denen die
1) Raraxe giebt als Gesamtzahl aller mit dem Sternum ver-
bundenen Rippen bei mehreren Arten von Alligator, sowie bei
Crocodilus niloticus (vulgaris) und Cr. americanus (acutus) 7 an,
was ich bestiatigen kann, bei Crocodilus porosus (biporcatus) 8,
bei Tomistoma (Gavialis) schlegeli 9. Britut bildet bei Alligator
mississippiensis (lucius) und Crocodilus sp. 8 Sternalrippen ab.
Parker findet bei Crocodilus niloticus (vulgaris) nur 6 mit dem
Sternum wirklich verbundene Rippen, wahrend die 7. nur beinahe
mit ihm in Kontakt kommt. Also mannigfache Variierungen. —
Die erste Sternalrippe gehért bei den Crocodilen dem
10. Wirbel an.
2) Diese Angaben beruhen auf der Untersuchung eines an
Zahl sehr geringen Materiales und diirften noch manche Modi-
fikationen erfahren.
3) Interclavicle, Interclavicula der meisten Autoren. — Clavi-
culares Sternum: Horrmann (1879).
4) Costae abdominales, Abdominal ribs, Abdominalrippen der
Autoren. —- Abdominal ossicles, Gastralia: Baur (1896, 1897, vergl.
auch §. 280 Anm. 3). — Parasternum: GrcGENBAUR. — Beziiglich
SapatiEr’s Deutung verweise ich gleichfalls auf S. 280, Anm. 3.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 301
paarigen medialen wahrscheinlich, ahnlich f-
wie bei Proterosaurus und zum Teil Kadalio- AAW /
‘ Pr.m
des erwachsenen) nach der Mittellinie zu verlingert haben, dabei
aber noch in einigem Abstande von ihr und dem inzwischen ent-
wickelten knéchernen Proc. epicoracoideus sich befinden und dab
sie endlich beim erwachsenen Tiere miteinander und den Proc.
epicoracoidei in den bereits oben angegebenen Verband treten
(entwickelte Elasmosaurier-Stufe).
Fig. 92. Fig. 93.
Fig. 91—93. Entwickelungsstadien des Brustschulterapparates von Crypto-
clidus oxoniensis. Dorsalansichten. ;';. (Frei nach ANDREWS.) Fig. 91 erstes,
Fig. 92 zweites, Fig. 93 ausgebildetes Stadium.
Das den vorderen Schenkeln (c), mégen sie nun zusammen-
treten oder nicht, rostro-dorsal aufgelagerte Mittelstiick (Mittel-
stiicke (m) verhalt sich wechselnd: bald stellt es ein einheitliches
Stiick dar, bald besteht es aus symmetrischen Hiilften, bald aus
3 Stiicken (einem mittleren und 2 seitlichem, welche dem mittleren
durch Sutur verbunden sind oder nur anlagern). Auch voll-
kommener Mangel wird angegeben; doch ist wahrscheinlicher, dah
2
330 Max Firbringer,
es sich bei dem fossilen Objekte dann nur abgelést hatte und ver-
loren gegangen war.
Wahrend hinsichtlich der Deutung der Scapula und des Cora-
coides gerade so wie bei den Nothosauriern keine gréferen Dif-
ferenzen existieren, gehen die Anschauungen tiber die Homologie
der vorderen Schenkel (c) und des Mittelstiickes resp. der Mittel-
stiicke (m) erheblicher auseinander. Die Mittelstiicke (m) sind
bald mit dem Omosternum (Omosternalia) [HuLKE, LyDEKKER|
bald mit dem Episternum (Interclavicula) und den Claviculae
(OwEN, HuxeEy, ZitTeL, KOKEN, SEELEY, ANDREWS, BOULENGER)
homologisiert worden; die vorderen Schenkel (c) deutete man als
Teile der Scapula (Acromialfortsaitze, anterior ventral Rami of
the Scapula) [SEELEY, Baur, Koken, ANDREWS, BOULENGER], als
ventrale Fortsitze der Scapula (Praecoracoid) [D6pERLEIN], als
Praecoracoide (HuLKE, LypEKKER), als Procoracoide oder Clavi-
culae (Cope 1870)'). Endlich sei noch erwahnt, dafi' SeELey
(1894) vermutet, da bei den Plesiosauriern ein vollkommener
Verlust der — bei den Nothosauriern wahrscheinlich knorpelig
vorhandenen — Procoracoide stattgefunden habe.
Hinsichtlich der Deutung der Mittelstiicke (m) schlieBe ich
mich den Autoren an, welche in ihnen Episternum (Inter-
clavicula) und Clavicula, in getrenntem oder anchylosiertem oder
C1 Est Cl
Fig. 94.
Fig. 94. Clavicula und Episternum von Plesiosaurus arcuatus. Ventral-
ansicht. Dorsale Grenzlinie des “st in Punktlinien angegeben. (Frei nach
SEELEY.)
Fig. 95. Clavicula und Episternum von Muraenosaurus platyclis. (Nach
SEELEY.)
teilweise zuriickgebildetem Zustande erblickten; Struktur und An-
ordnung, namentlich in den Fallen, wo ein unpaares Episternum
und paarige Clavikeln vorhanden sind, sprechen durchaus fiir diese
Deutung”), wenn ich auch nicht verkenne, daf die dorsale Lage
1) Corr spricht 1889 den Plesiosauria jede Clavicula ab.
2) Bei Anwesenheit eines unpaaren und paariger, also dreier
Stiicke ist in der Deutung kein Zweifel méglich. Bei nur paarigen
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 331
an der Innenfliche des vorderen Bogens (c) Schwierigkeiten be-
reiten und auch an andere Homologien, wie z. B. an das Omoster-
num, denken lassen kann. Letzterer Homologie kann ich indessen
nicht das Wort reden, da sie fiir das Vorkommen dreier Stiicke
und ihre fiir Deckknochen charakteristische Verbindung keine Er-
klirung giebt; auch erblicke ich in der dorsalen (inneren) Lage
der in Frage kommenden Teile, wie auffallend sie auch auf den
ersten Blick erscheint, kein ernsthaftes Hindernis gegen die Homo-
logie mit Episternum und Clavicula. Zunichst ist hervorzuheben,
da’ die genannten Knochen nicht rein dorsal, sondern vielmehr
rostro-dorsal vor den vorderen Schenkeln (c) des priméren Schulter-
giirtels liegen, dann aber auch nicht auBer acht zu lassen, dal
diese Skelettteile, speciell die Clavikeln sich durchaus nicht immer
an der Ventral- oder AuSenseite des primaren Schultergiirtels
finden, sondern bei Anamniern (die hierfiir zugleich Ausgang
gebend ist) gerade an der vorderen oder rostralen Flache des-
selben, nicht selten von hier rinnenformig auf seine ventrale oder
iufere und seine dorsale oder innere Fliche gleich weit tiber-
creifend. Bei Anura und Mammalia e. p. ist dieses rinnen-
formige Umfassen gewahrt geblieben, bei den meisten Reptilien
und Monotremen hat sich der au8ere, bei den Plesiosauriern da-
gegen der innere Teil mehr entwickelt und erhalten. Dazu kommen
noch die weiteren Lageverschiebungen, denen gerade in Riick-
bildung begriffene Teile infolge der michtigeren Entfaltung der
Nachbargebilde unterliegen. Welche funktionellen Beziehungen
diese Differenzen herbeifiihrten, ist gré8tenteils unbekannt. Hervor-
eehoben sei, daf gerade in diesem Stiicke die Chelonier und
Plesiosaurier, wie viele Aehnlichkeiten sie sonst auch darbieten,
Extreme bilden.
Die gréften Schwierigkeiten bereitet die Homologisierung des
vorderen Bogens (c). Hier entscheide ich mich fiir die von HULKE
und LypeKKEer gegebene Deutung als Procoracoid. Nach
Lage und Verhalten zu Scapula und Coracoid existieren wesent-
Stiicken wird man an eine Homologie mit den Clavikeln denken
und annehmen, daf das —- schon bei den Nothosauria kleine —
Episternum ganz in Riickbildung trat (falls es nicht doch als kleines
Rudiment persistierte und nur am aufgefundenen Fossil verloren ging).
Bei nur einem Stiicke ist an eine Anchylosierung episternaler und
clavicularer Elemente oder — weniger wahrscheinlich an eine
relativ héhere Entfaltung des Episternum unter vélliger Reduktion
der clavicularen Rudimente zu denken.
332 Max Firbringer,
liche Uebereinstimmungen mit dem vorderen Schenkel der Chelo-
nier. Das ist wohl der Mehrzahl der Autoren nicht zweifelhaft,
und die gleiche Bezeichnung (als Prascapular-Fortsatz oder Acro-
mion) bei Cheloniern wie Plesiosauriern giebt deutlich davon
Kunde!). Ich habe diesen Schenkel, und ich hoffe mit gutem
Grunde, bei den Cheloniern mit GeEGENBAUR u. A. als Procoracoid
gedeutet. Da steht m. E. nichts im Wege, diese Deutung auch
auf die Verhaltnisse bei den Plesiosauriern zu tibertragen. Diese
Uebertragung giebt jedoch nur die Vergleichung von zwei hoch-
entwickelten Endformen, geht aber nicht auf die Genese des Pro-
coracoides bei den Sauropterygiern iiberhaupt ein. Zu diesem
Zwecke mul auf den primitiveren Schultergiirtel der Nothosaurier
zuriickgegriffen werden. Hier hatte ich mit SrmLey die Existenz
eines knorpeligen Procoracoides supponiert, mich aber aller An-
gaben tiber seine Gestalt und Ausdehnung enthalten. Fitir dieses
Procoracoid bot bei Nothosaurus mirabilis der besondere Fortsatz
des Coracoides und eine groéfere Beriihrungsfliche der Scapula
den Ausgangspunkt, wahrend bei anderen Arten von Nothosaurus
und bei Lariosaurus mit nicht ausgeprigtem coracoidalen Fort-
satze wohl die Scapula die hauptsachlichste Basis fiir dasselbe
bildete. Lariosaurus steht dem urspriinglichen Stocke der Sauro-
pterygier wohl naher als Nothosaurus (mirabilis) mit seinen schirfer
markierten ormen. Es diirfte sonach gerechtfertigt sein, fiir die
friihesten Vorfahren des Plesiosaurier-Zweiges ein knorpeliges
Procoracoid zu postulieren, das wie bei den Embryonen der
Chelonier, mit ihrer ontogenetischen Parallele fir die friiheren
phylogenetischen Zustinde des Chelonier-Schultergiirtels, ganz
tiberwiegend von der Scapula ausging und sich successive aus-
schlieBlich auf diesen Ausgangspunkt beschrankte, wobei die
eigentiimliche Liingsausdehnung des ventralen Teiles der Scapula
(s. p. 827, 328) als korrelatives Moment mit in Frage kam. Dieses
knorpelige, bis nahe zur Medianlinie der Brust erstreckte Pro-
coracoid ist dann bei der weiteren Ausbildung der Plesiosaurier
— wie bei den Cheloniern — in rasche Verknécherung und in
synostotischen Verband mit der Scapula getreten, wodurch seine
funktionelle Leistungsfahigkeit erheblich zunahm, und damit war
auch das Kausalmoment fiir die schnelle und ausgiebige Reduktion
der Clavicula — gegeniiber der hochausgebildeten Clavicula der
1) Die Deutung als Clavicula fallt von selber mit dem ander-
weitigen Nachweis der wahren Clavicula.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. isis)
Nothosaurier — gegeben. In der von ANDREWS mitgeteilten in-
teressanten ontogenetischen Reihe des elasmosauren Cryptoclidus
oxoniensis ist dieser medialwairts vorschreitende Ossifikations-
prozef8 successive zu verfolgen (s. Fig. 91—93 auf p. 329); die hier
abgebildeten medialen Enden seiner Proscapularfortsatze stellen
meiner Ansicht nach keine freien Enden dieser Fortsatze dar,
Fig. 96. Pliosaurus planus
eyansi. Kombination von Pl. planus
und evansi (Pliosauridae). (Nach
LYDEKKER.)
Fig. 97. Plesiosaurus hawkinsi
(Plesiosauridae). (Aus LYDEKKER.)
Fig. 98. Cryptoclidus oxonien-
sis (Elasmosauridae). (Kombination
nach ANDREWS.)
Ventralansichten von Brust-
schulterapparaten von Plesiosauriern.
Cr Coracoid (b). Her Epicoracoid. F. gl
Fossa glenoidalis pro humero. m
Mittelstiick (Clavicula, Episternum).
In Fig. 98 bedeutet die Punktlinie ae
die caudale Grenze des von Per be- \,
deckten Teiles. Per Procoracoid (c). Ne
Sc@ dorsaler Teil der Scapula (a). et
Sev ventraler Teil der Scapula (a’). Fig. 98.
Or
sondern setzen sich in die nicht mehr erhaltenen medialen Knorpel-
tele der von Anfang an bis nahe zur Mittellinie ausgedehnten
Procoracoide fort. Es handelt sich also hier nicht um ein succes-
sives freies Auswachsen eines urspriinglich lateral gelegenen kurzen
Acromion (Nothosaurier) in der Richtung nach der Medianlinie
zu, sondern um ein in dieser Richtung gehendes Fortschreiten
der Ossifikation unter Verkiirzung der von Anfang an vorhandenen
334 Max Fiirbringer,
Knorpelteile'). Mit dieser Erklarung steht in bestem Kinklange
das Verhalten der Clavikeln, die bei langen oder kurzen knéchernen
Procoracoiden, auch bei Pliosauridae und Plesiosauridae, diesen
immer nur (dorsal) angelagert sind, aber nicht — wie das der Fall
bei zwei acromialen Fortsatzen sein sollte — zwischen ihnen liegen ;
dieses Dazwischenliegen wurde durch den im Leben vorhandenen
medialen Knorpelteil des Procoracoides unméglich gemacht.
Auf Grund dieser Darlegungen besteht der primaire Brust-
giirtel der Plesiosaurier aus einer verkiirzten, in ihrem yventralen
Bereiche verbreiterten und etwas umgebildeten Scapula, aus
einem ihr durch Naht verbundenen, sehr breit und machtig ent-
wickelten Coracoid und aus einem synostotisch mit ihr ver-
schmolzenen und ebenfalls durch Naht sich gegen das Coracoid ab-
setzenden Procoracoid; bei der héchsten Ausbildung k6énnen
Coracoid und Procoracoid durch Vermittelung eines vom Coracoid
ausgehenden Proc. epicoracoideus auch medial sich durch Sutur
verbinden.
Der sekundire Schultergiirtel wird durch eine Clavicula
reprasentiert, die — im Vergleiche zu den Nothosauriern — sich
in verschiedenem Grade riickgebildet zeigt und, wie es scheint,
sich auch mit dem Episternum synostotisch verbinden kann, in
welchem Falle die Grenzbestimmung zwischen beiden Knochen
erofen Schwierigkeiten unterliegt.
Ein primares Brustbein, Sternum, ist bisher nicht auf-
gefunden worden. Auf Grund der Konfiguration des Coracoides
und des Episternum darf wohl als sicher angenommen werden,
daf es vollig riickgebildet ist.
Das sekundare Brustbein, Episternum, zeigt bei den tiefer
stehenden Plesiosauriern noch eine mehr oder minder gute Ent-
wickelung als breites, dem medialen Bereiche des Procoracoides
dorsal angelagertes Mittelstiick 2), bei den héheren ist es betrachtlich
riickgebildet, in Gestalt und Lage verandert und kann auch fehlen.
Das Parasternum ist gut und kraftig entwickelt und be-
stcht aus einer maSigen Anzahl kriftiger, vorwiegend quer ge-
1) Da eine solche medialwiarts vorschreitende Verknécherung
der ventralen (coracoidalen) Bestandteile des Schultergiirtels eine
alleemeine Erscheinung bei Sauropsiden bildet, ist bekannt.
2) Auch hier ist mit Verwachsungen mit den Clavikeln zu
rechnen, so daf es sich zum Teil méglicherweise um Episternum
+ Clavicula handelt. Das hintere Ende kann ventral von den Proc.
epicoracoidei gedeckt werden resp. sich mit ihnen verbinden (Plesio-
sauridae).
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. O30
lagerter Metameren, von denen jedes wohl je einem Rumpfmetamer
entspricht. Jedes parasternale Metamer besteht aus Gliedern, die
bis zur Siebenzahl entwickelt sind, einem unpaaren Mittelstiick
und seitlichen Stabchen, die bis zu 3 Paar rechts und links sich
finden kénnen. In dieser Konfiguration mengen sich primitivere
und héhere Entwickelungszustinde; als relativ primitiv ist die
Vielgliedrigkeit jedes parasternalen Metamers zu beurteilen (falls
hier nicht sekundére Gliederungen vorliegen), als héhere Differen-
zierung die geringe Zahl der parasternalen Metameren an sich
und im Vergleich zu den Rumpfmetameren.
Prem
Fig. 99. Fig. 100.
Fig. 99. Linker Humerus von Cimoliosaurus cf. trochantericus. Ventral-
ansicht. (Nach HULKE.)
Fig. 100. Linker Humerus von Cimoliosaurus eurymerus. Ventralansicht.
(Aus LYDEKKER.)
Der Humerus reprasentiert in der Anpassung an das Wasser-
leben einen namentlich im distalen Bereiche abgeflachten Knochen,
bei dem die Lange die gréfte Breite etwa 2—3mal iibertrifft.
Nervenkanale sind meines Wissens an ihm nicht beobachtet worden.
Wie schon erwahnt, bietet namentlich der Plesiosaurier-Zweig
der Sauropterygier eine Konfiguration des primairen Schultergiirtels
dar, die in wesentlichen Ziigen an die der Chelonier erinnert;
damit harmoniert die véllige Riickbildung des primaren Brust-
beins. Abweichend verhalten sich die Elemente des sekundiren
Brustschulterapparates, bei beiden Abteilungen reduziert, aber bei
den Cheloniern in das Plastron aufgenommen, bei den Plesiosauriern
dagegen der Vorderinnenseite des primiren Schultergiirtels an-
336 Max Firbringer,
liegend. Noch gréfSer sind die Differenzen betreffend den Notho-
saurier-Zweig, von den Mesosauria ganz zu schweigen. Alles dies
eréffnet zahlreiche Fragestellungen betreffend die Vorgeschichte
dieser Bildungen und insbesondere die progressiven und _ retro-
graden Wege, welche ihre Entwickelung einschlug; — neuen gliick-
lichen Funden der Zukunft wird vorbehalten sein, hier manches
Dunkel zu lichten. Fiir zunichst méchte ich eine leidlich nahe,
aber nicht zu tiberschaitzende Verwandtschaft in der Bildung des
Brustschulterapparates der Chelonier und Sauropterygier befiir-
worten.
IV. Mesosauria.
Die Mesosaurier sind eine kleine Gruppe altester, in dem
unteren Perm gefundener Reptilien, die aus der von GERVAIS
1856 begriindeten Gattung Mesosaurus (aus der unteren Karroo-
formation) und dem von Corr 1885 aufgestellten nahe verwandten,
vielleicht nicht einmal generisch von Mesosaurus verschiedenen
Stereosternum (aus dem Permo-Carbon Brasiliens) bestehen; spiter
wurden, namentlich durch SEELEY, noch andere Vertreter von
Mesosaurus aus dem Karroo bekannt.
Ueber ihre systematische Stellung differieren die Anschau-
ungen noch sehr. Baur (1887), Cope (1887) und Zirren (1889)
verbinden sie mit Proterosaurus und anderen Rhynchocephaliern
zu dem Subordo Proganosauria. SEELEY vereinigt sie 1892 als
Division Proganosauria mit der Div. Neusticosauria (= Lario-
sauridae) zu dem Ordo Mesosauria, rechnet sie aber 1894 mit
Wahrscheinlichkeit als besondere Ordnung Proganosauria s. Meso-
sauria zu seinen Anomodontia (Theromorpha im weitesten Sinne).
BouLENGER (1896) dagegen verleibt sie als erste Unterordnung
seinem Ordo Plesiosauria (mit den 3 Subordines 1) Mesosauria,
2) Nothosauria und 3) Sauropterygia [= Plesiosauria d. Aut.])
ein. Die Zahl ihrer Halswirbel betriigt mehr als 9, wie es scheint
10—11 (BoULENGER), zeigt also Vermehrungen gegentiber den
Rhynchocephaliern und Theromorphen, erreicht aber nicht die bei
den Sauropterygiern beobachteten Zahlen.
Die Untersuchung ergiebt zur Geniige sehr primitive EKigen-
schaften, die zum Teil an Rhynchocephalier erinnern, und manche
Aehnlichkeiten mit primitiven Sauropterygia und Theromorpha.
Die hier gegebene relativ selbstandige Stellung in der Nahe der
Stécke der Rynchocephalia, Theromorpha und namentlich Sauro-
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 337
pterygia soll nur eine vorlaufige sein und nichts hinsichtlich der
specielleren Affinititen prajudizieren.
Der Brustschulterapparat der Mesosauria ist unvoll-
kommen bekannt.
Der primiire Schultergiirtel besteht aus Scapula und Coracoid,
die beide synostotisch miteinander verbunden sind und die Gelenk-
flaiche fiir den Humerus bilden. Ueber die Scapula konnte ich
nach den vorliegenden Beschreibungen und Abbildungen keine
Klarheit gewinnen; es ist méglich, daf Teile des Coracoides s.
lat. ihr zugerechnet wurden. Auch tiber das Coracoid gehen
Ca.n.m
Ee.u
Cu
Fig. 101.
Fig. 101. Brustschulterapparat von Mesosaurus tenuidens. Ventralansicht.
4, (Freie Kombination nach SEELEY.) Cl Clavicula. Cr Coracoid. er Epi-
coracoid. F. gl Fossa glenoidalis pro humero. Per Procoracoid. Se Scapula.
Fig. 102. Linker Humerus von Mesosaurus tenuidens. Verletzt. Ventral-
ansicht. 3. (Nach SEELEY.) C.r Condylus radialis. C.w Cond. ulnaris. Ca. n.m
Canalis nervi mediani (entepicondyloideus). Ze. Epicondylus radialis. Ze. u
Epicond. ulnaris.
die Angaben (Stereosternum Corr, Mesosaurus SEELEY) im Detail
sehr auseinander. Es bildet eine breite und lange Knochenplatte,
die mit medialem Einschnitt (Cope) oder mit Oeffnung (SEELEY)
versehen ist und entweder (Stereosternum) mit dem der Gegen-
seite im Verband tritt oder (Mesosaurus) es nach der Art wie
bei Urodelen, Lacertiliern und Rhynchocephaliern iberlagert.
Der hinter der Oeffnung liegende Teil kann als Coracoid, der
vor ihr befindliche als Procoracoid und der medial von ihr ge-
legene als Epicoracoid gedeutet werden.
Fragmente eines sekundaren Schultergiirtels, Clavicula, sind
vorhanden; ihre Gestalt wird von SEELEY als unpaarer, nach vorn
konvexer Bogen rekonstruiert, also abweichend von den Bildungen
anderer Reptilien.
338 Max Firbringer,
Ein primares Brustbein, Sternum, ist nicht bekannt; ver-
mutlich reprisentierte es eine sehr kleine Knorpelplatte, wenn es
iiberhaupt vorhanden war. Vom sekundaren Brustbein, Epi-
sternum (Interclavicula), sind Fragmente gefunden worden, die
aber nichts tiber seine Gestalt aussagen lassen.
Kin Parasternum!) existiert bei Stereosternum wie dem
kaum generisch von ihm unterschiedenen Mesosaurus. Bei Stereo-
sternum werden von Cope zahlreiche sehr feine Staébchen ab-
gebildet, die, zu mehreren gliederartig aufgereiht, ein paraster-
nales Metamer bilden; gegen 5—6 solche Metameren kamen
auf 1 Rumpfmetamer. Auch Sretey bildet von Mesosaurus zahl-
reiche aufeinander folgende und an einander gereihte, spindel-
formige Stibchen ab, an denen man je ein unpaares und mehr-
fache paarige unterscheiden kann. Dieser Befund ist sehr primitiv
und reiht sich nach Entwickelungshéhe den tiefer stehenden Proto-
sauriern (Kadaliosaurus, Hyperodapedon) an.
Der Humerus (s. p. 337) reprisentiert einen ziemlich langen
Knochen, dessen Liinge die gré8te Breite reichlich 3 mal iibertrifft.
Er erreicht im distalen Bereiche seine gréfte Breite, hat mifig
entwickelte Muskelfortsitze und einen Canalis n. mediani.
Die betreffenden Teile bieten verschiedene mehr allgemeine
Anklange an Rhynchocephalier, Theromorphen und namentlich
primitive Sauropterygier dar, sind aber noch zu divergent dar-
gestellt, um sichere systematische Folgerungen zu gestatten.
V. Theromorpha.
Die Theromorpha [Theromora Corr ?), Anomodontia SEELEY °)|
reprasentieren bekanntlich mit den Proterosauria und Mesosauria
die iltesten Reptilienreste: ihr Schwerpunkt fallt in den Perm
und Buntsandstein; nur einzelne Vertreter haben sich bis in die
mittlere Trias erhalten‘), sie sind von sehr verschiedener Gro8e
1) Abdominal protective Armature: Corp. — Ventral Armour:
SEELEY.
2) Nach Ausschluf der Subordines Parasuchia und Progano-
sauria, von welch letzteren aber die Procolophontidae den Thero-
mora verbleiben (Corr 1889).
3) Nach Entfernung des O. Mesosauria (Sumtmy 1894).
4) Die Placodontia des Muschelkalkes. — Ob die vereinzelten
Pareiosauria und Dicynodontia aus dem Elgin-Sandstein dem Keuper
oder tieferen Lagen des Trias angehéren, scheint noch nicht end-
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 339
und namentlich in ihren gréferen Formen von grofer Massigkeit.
Dabei zeigen sie mit dem Skelettsystem der Saugetiere mancherlei
Aehnlichkeiten, die seit alter Zeit aufgefallen sind und viele Au-
toren veranlafit haben, sie fiir die Vorfahren der Mammalia zu
halten oder wenigstens in ihnen diejenigen Reptilien zu erblicken,
welche sich von dem gemeinsamen (sauro-mammalen) Stamme der
Reptilien und Mammalia am friihesten und den Siugetieren am
meisten benachbart abgezweigt haben.
Ueber die Theromorphen ist mehr als tiber viele andere Rep-
tilien-Abteilungen gearbeitet worden — vor allen sei an Owen,
Huxtey, Cope und S£eLey erinnert — aber die mafige Erhal-
tung der fossilen Reste, namentlich ihr so oft geléster Zusammen-
hang, hat der Untersuchung grofie Schranken und Schwierigkeiten
auferlegt. Die verdflentlichten Systeme (OwEN, Copr, ZITTEL,
SEELEY, LyDEKKER, HAECKEL), bei denen aus nahe_ liegenden
Griinden der Schwerpunkt auf der Beschaffenheit des Schadels
und Gebisses, sowie des Sacrum liegt, differieren namentlich in
der Reihefolge der einzelnen Unterabteilungen erheblich. Ich
schlieSe mich im wesentlichen SEELEY und HAECKEL an und unter-
scheide danach, ohne irgendwie in das Detail einzugehen, die pri-
mitivere Ordnung der Therosuchia (Theriodontia, mastocephale
Theromora) und die specialisiertere der Therochelonia (Anom-
odontia Owern, chelycephale Theromora), Die Therosuchia
setzen sich zusammen aus dem homodonten Subordo Pareio-
sauria (mit den Familien der Pareiotichidae s. Procolophontidae,
Pareiosauridae, Clepsydropidae und wohl auch Diadectidae),
den Uebergangs-Unterordnungen Gorgonopsia und Dino-
cephalia und den heterodonten Subordines Deuterosauria
(vielleicht auch mit den Placodontia), Theriodontia (Pelyco-
sauria CopE mit den Lycosauridae, Cynodontidae und Gomph-
odontidae) und Endothiodontia. DieTherochelonia werden
von den dicynodonten (nur mit 2 Eckziihnen versehenen) oder
udenodonten (zahnlosen) Subordines Dicynodontia und K isto-
cephalia gebildet, wobei noch nicht véllig gesichert ist, ob die
Existenz oder der Mangel dieser Eckzihne als Familiencharakter
oder, was wahrscheinlicher, als blofe Differenz der Geschlechter
(dicynodonter $, udenodonte @) zu gelten hat.
giltig entschieden zu sein. Ebenso differieren die Auffassungen
tiber das Alter der einzelnen Stufen der Karrooformation (Perm,
Buntsandstein) nicht unerheblich.
340 Max Fiirbringer,
Die Kenntnis des Brustschulterapparates der Thero-
morphen lift noch zu wiinschen tibrig; doch sind bei Vertretern
der verschiedensten Abteilungen besser erhaltene Stiicke oder
wenigstens Fragmente des priméren und sekundaren Schulter-
siirtels und des Episternum gefunden worden. Ueber die Existenz
eines Parasternum wissen wir nichts Sicheres und Genaues.
Der primare Schultergtirtel besteht aus einer ziemlich
langen, mibig breiten und, abgesehen von dem verdickten ven-
tralen Ende, ziemlich diinnen Scapula, die ventral durch feste
Sutur oder Anchylose mit dem Coracoid und Procoracoid (Kpi-
coracoid) verbunden ist'). Die Breite der Scapula ist miafig
bei Pareiosaurus und Keirognathus, dagegen im dorsalen Bereiche
Fig. 103. Fig. 105.
Fig. 103. Brustschulterapparat von Procolophon trigoniceps. Ventral-
ansicht. %. (Frei nach SEELEY.)
Fig. 104. Fragment des Brustschulterapparates von Pareiosaurus bombi-
dens. Linke Seite, Ventralansicht. 4. (Frei nach SEELEY.)
Fig. 105. Desgl. Durchschnitt von Clavicula und Episternum. (Nach
SEELEY.)
Ql Clavicula. Cr Coracoid. Zs¢ Episternum. F. gl Fossa glenoidalis. Per
Procoracoid (Epicoracoid).
recht ansehnlich bei Deuterosaurus; die iibrigen Scapulae haben
mittlere Dimensionen. Ihre Richtung wird sehr verschieden an-
gegeben; in den meisten Fiillen mag sie eine der transversalen
nahekommende gewesen sein, doch werden auch von SEELEY
Restaurationen mit erheblich descendenter (Keirognathus) oder
ascendenter Richtung (Deuterosaurus und der ihm nahe verwandte
Rhopalodon) angegeben. Am Vorderrand findet sich nicht selten
ein Acromion”) (Pareiosaurus, Dicynodontia), mitunter (Cyno-
1) Bei Aristodesmus ist der Verband, wie es scheint, ein ein-
fach synchondrotischer.
2) Acromion: LypEKKer 1893.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 341
enathus) auch eine férmliche Crista scapulae’), wahrscheinlich fiir
den Verband mit der Clavicula. Das ventrale Ende beteiligt sich
mit dem Coracoid und mitunter auch Procoracoid an der Bildung
der Gelenkfliche fiir den Humerus. Ein, wie es scheint, bei den
tiefsten Theromorphen nicht oder nur wenig entwickelter Fortsatz
an der yorderen ventralen Ecke der Scapula, Proc. procoracoideus
scapulae ?), dient dem Verbande mit dem Procoracoid und_bildet
dann mit diesem die vordere Begrenzung eines Foramen coraco-
scapulare, das somit bei den primitiveren Formen durch eine In-
cisura (Semifenestra) coraco-scapularis vertreten wird.
Clth Cl Per Est Per Cl Clth
YY
Sc £.cse))|. Or Per
F’. spe
Fig. 106. Restauration des Brustschulterapparates von Pareiosaurus baini.
Cl Clayicula. Clth Cleithrum? (Epiclavicle or Mesoscapula SEELEY). Zs¢ Epi-
sternum. F.gl Fossa glenoidalis pro humero. F.spe Foramen supracoracoideum.
I.cse Incisura (Fenestra?) coraco-scapularis. Per Procoracoid (Epicoracoid).
Sc Scapula. (Nach SEELEY.)
Der ventrale Teil des primiren Schultergiirtels ist in der trans-
versalen Dimension viel schmiler, in der sagittalen aber breiter als
die Scapula; in gewissem Gegensatze zu der Mehrzahl der Rep-
tilien *) wird er durch zwei separat verknéchernde Teile, ein hin-
teres Coracoid und ein vorderes Procoracoid (Epicoracoid), beide
durch eine transversale Naht voneinander getrennt, repriisentiert.
Kin ahnliches Verbalten findet sich auch bei Monotremen (und
in reduzierten Zustande auch bei den Jugendstadien der meisten
anderen Siiugetiere), und diese Aehnlichkeit ist mit anderen
Aehnlichkeiten von zahlreichen Autoren fiir die Begriindung der
1) Prescapular ridge: Srey.
2) Von verschiedenen Autoren irrtiimlich als Acromion be-
zeichnet, worauf schon LyppKker aufmerksam macht. — Bei den
Procolophontidae (Procolophon, Aristodesmus) und Pareiosauridae
(Pareiosaurus) wird nichts davon beschrieben oder abgebildet.
3) Wie bereits im Vorgehenden ausgefiihrt, sind auch bei den
Chelonia und Sauropterygia Procoracoid und Coracoid durch Naht
geteilt.
342 Max Firbringer,
nahen Verwandtschaft der Theromorpha und Mammalia verwertet
worden); ich vermag darin nicht mehr als eine ziemlich ober-
flichliche Parallelitét resp. Konvergenzanalogie und auch nichts
nur fiir Theromorpha und Mammalia Charakteristisches zu er-
blicken, da, wie schon hervorgehoben, auch Chelonia und Sauro-
pterygia eine Scheidung des Procoracoides durch Naht aufweisen.
Das Coracoid?) bildet den hinteren, mit der Scapula_ sich
hauptsichlich an der Bildung der Gelenkhéhle fiir den Humerus
beteiligenden Teil des ventralen Schultergiirtels und kommt dem
Per Cr F. gl Se Per Cr| F.gl Se
F’. spe
Fig. 107. Fig. 108.
Fig. 107. Restauration des linken primiren Schultergiirtels von Deutero-
saurus. Lateralansicht. (Nach SEELEY.)
Fig. 108. Restauration des linken primiren Schultergiirtels von Rhopal-
odon. Lateralansicht. (Nach SEELEY.)
Procoracoid an Gréfe gleich; mitunter kann es gréfer, mitunter
kleiner als dieses sein. Medialwarts wird es etwas breiter und
bildet einen konvexen oder winkelig gebogenen Rand, der in seinem
hinteren Teile mit dem Sternum in gelenkige Verbindung getreten
ist. Das Procoracoid (Epicoracoid)*) ist der vordere Teil des
1) Howns (1893) scheidet danaech die coracoidalen Bildungen
der Tetrapoden in unicoracoidale (Amphibien, alle lebenden Rep-
tilien, Végel) und bicoracoidale (einige Anomodontia, Mammalia,
Ichthyosauria und Nothosauria [?]). Ich kann diese Verteilung nur
zum ‘Teil anerkennen.
2) Coracoid gs. str. der meisten Autoren. — Metacoracoid:
LypekKker, Howes, Osporn.
3) Clavicula coracoidea anterior: Mecxs (bei Ornithorhynchus).
— Epicoracoid: Cuvier, GrecenBpAur, Huxtry, W. K. PArksr,
Howes, Corn, LypeKkKrer, Ossporn. — Procoracoid, Praecoracoid :
Sapatipr, Hurxs, Sepnny. — Coracoid: Lyprxxer 1893. — Ver-
gleichbar der das Foramen supracoracoideum lateral begrenzenden,
bisher gewoéhnlich der Wurzel des Procoracoides zugeteilten Partie
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 345
ventralen Schultergiirtels und partizipiert, wie es scheint aber
nicht immer, mit einem kleineren Anteile an der Gelenkhohle fiir
den Humerus’). Bei den am tiefsten stehenden Theromorphen
Aristodesmus ?), Procolophon und Pareiosaurus ragt es rostral-
wirts erheblich tiber das Niveau des vorderen Randes der Scapula
vor und ist von dieser durch eine ansehnliche, hinten von Coracoid
Se
i | WM
\
Cr. se VD),
wobei die letzteren etwas starker als die ersteren sind. Der Ein-
tritt erfolgt allenthalben an der Innenflache der Muskeln.
b) Nn. levatores et serrati profundi (N.lsprf)*). In
wechselnder Weise von den Nn. thoracici superiores IV—VIII
oder V—VIII abgegeben, von denen die drei letzten groSenteils
zwischen der oberflachlichen und tiefen Schicht des M. levator et
serratus profundus verlaufen. Die oberflachliche Schicht wird von
den Nn. thor. sup. VI = VII oder VI < VII von der Innenseite
her versorgt (N.lsprfi), wahrend die Nn. thor. sup. IV—VIII
oder V—VIII in die AuSenseite der tiefen Schicht eintreten
(N.lsprfii), wobei der von IV abgegebene Faden minimal und
1) Auf allen Figuren der Taf. XIV schwarz gezeichnet.
2) Eventuell und fraglich auch vom» 3. Spinalnerven (vergl.
Anum. 3 auf p. 375).
3) Nach Osawa gleichfalls von IV, V und VI gebildet, aber
in anderer Verteilung, als ich es fand, indem Osawa den M. levator
scap. spf. superior von VI, den M. levator scap. spf. inferior von
IV und V versorgen laft. Eine derartige Innervation des erst-
genannten Muskels weicht ganz von meinen Beobachtungen an 4
Exemplaren ab.
4) Nach Osawa (Nerven fiir dessen Mm. collo-thoraci-scapularis
und collo-seapularis) auch von V—VII versorgt.
380 Max Firbringer,
unbestindig ist, die von V und VIII gebildeten schwach und die
von VI und VII stammenden am besten entwickelt sind.
c) Nn. serrati superficiales (N.sspf)*). Von den Nn.
thoracici superiores VII, VIII und IX in variabler Weise ge-
bildet (VIL < VIII, VII < VII > IX, VIII > IX) und an der
Aufenfliiche des M. serratus superficialis eintretend. Einzelne
Zweige schieben sich so in den Muskel ein, daf sie eine schwichere
tiefe und eine starkere und ausgebreitetere oberflaichliche Lage
desselben unvollstindig sondern.
B-+C-+D. Hauptplexus.
Der die Nn. brachiales superiores und inferiores und die Nn.
thoracici inferiores abgebende Hauptplexus ist, wie bereits aus der
vorhergehenden Beschreibung der einzelnen hierfiir in Betracht
kommenden ventralen Aeste der Spinalnerven ersichtlich, von den
Nn. spinales VI.—XI. (seltener VI.—X.) in wechselnder Weise,
sowohl was das Stirkeverhaltnis der einzelnen Wurzeln als ihre
gegenseitige Verbindung anlangt, gebildet. Die beobachteten
Gréfenverhaltnisse lassen sich in ihren wesentlichen Ziigen durch:
VI =< VIb= VIN. — 1k] XS
ViE= Vib Sa Vix XS
VO= Vil— Vil =] KX > xX
Veal = Vil 1k Xa
ausdriicken?), wobei die in den beiden ersten Zeilen wieder-
gegebenen Verhaltnisse (Fig. 121, 122) mehr jiingeren, die in
den beiden letzten (Fig. 123, 116) mehr alteren Tieren entsprechen.
Zur Begriindung der naheliegenden Annahme, daf es sich hierbei
um eine retrograde, kopfwarts gehende Wanderung und Umbildung
des Plexus handle, ist (wie bereits p. 377, Anm. 1 erwahnt) die
untersuchte Reihe viel zu klein. — Ueber das wechselnde Ver-
halten der Ansenbildungen orientieren die beigegebenen Ab-
bildungen besser als viele Worte.
Fiir die von dem Hauptplexus abgehenden Nerven gilt
folgendes:
1) Nach Osawa allein von VII versorgt. Meine Exemplare
ergeben VIII als den konstanten, VII als den selten fehlenden und
IX als den haufig vermiften Nervenanteil.
2) Die von Osawa von seinem Plexus gegebene Abbildung zeigt
VI < VII S VIII = IX >X. Angaben iiber die Grife des be-
ziiglichen Tieres sind nicht gemacht.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 381
B. Nn. brachiales superiores ‘).
Sie bilden die dorsale Schicht des Hauptplexus. Die vorderen
(rostralen) Nerven sind fiir den dorsalen Bereich der Schulter
bestimmt, wobei der erste (a) am Abgange von dem Plexus in der
Regel mit dem ersten N. brachialis inferior in innigem Konnexe
steht?) und die drei nachstfolgenden (c, d und e) gewoéhnlich zu
einem kurzen Stamme miteinander verbunden sind, wahrend der
zweite und letzte (b und f) in dieser Hinsicht ein wechselndes
Verhalten darbieten; der hinterste (caudalste, g) erstreckt sich auf
den dorsalen Bereich des Armes und sondert sich sehr bald voll-
kommen von dem hintersten N. brachialis inferior, wobei zugleich
das Caput coracoideum m. anconaei sich zwischen beide ein-
schiebt.
a) N. dorsalis scapulae (N. axillaris posterior) (NV. dsc)*).
Ziemlich starker Nery, der sich in der Regel gemeinsam mit dem
N. supracoracoideus von dem Plexus ablést?), wobei seine Fasern
je nach der Starke der ersten Plexuswurzel VI und VII oder nur
VI entstammen. Nach ganz kurzem Verlaufe trennt er sich von
dem N. supracoracoideus und verliuft nach hinten zur Achsel-
hohlengegend, wobei er die nachst zu erwahnenden Nn. brachiales
superiores dorsal kreuzt; im Bereiche der Achselhoéhle tritt er
dorsal (oberhalb) von dem M. anconaeus scapularis zwischen die
Mm. dorsalis scapulae und latissimus dorsi, wobei er sich in eine
Anzahl Zweige (4—5) teilt, von denen die oberflachlichen (Nn. cu-
tanei axillares supraanconaei, N.cut.spa)*) an die Haut
im ventralen Bereiche der beiden letztgenannten Muskeln und im
proximalen lateralen Gebiete des Oberarmes (bis zur Mitte des-
1) Auf allen Abbildungen von Taf. XIV grau wiedergegeben.
— Diese Nerven entsprechen Osawa’s N. axillaris (I. 2) aus dem
N. coraco-scapularis und dem N. brachialis longus superior Ftr-
BRINGER (II).
2) So fand es Osawa und auch ich in 4 Fallen; nur einmal
schlo8 sich dieser erste N. brachialis superior den folgenden naher
an und zeigte dem N. supracoracoideus gegeniiber griéfere Selb-
stindigkeit. Damit kam das sonst bei den Sauropsiden gewéhn-
liche Verhalten zum Ausdruck, wahrend der Zusammenschluf der
beiden heterogenen Nn. dorsalis scapulae und supracoracoideus eine
Besonderheit von Sphenodon bildet.
3) Aufer den Gesamtbildern des Plexus vergl. insbesondere
Fig. 117 und 120. — N. axillaris: Osawa (I. 2).
4) Nn. cutanei brachii superiores laterales: Osawa.
382 Max Fiirbringer,
selben) gelangen, der tiefere aber Anastomosen mit dem N. del-
toides clavicularis s. cleido-humeralis (axillaris inferior) eingeht
und gemeinsam mit ihm, bedeckt von dem M. dorsalis scapulae,
nach vorn in der Richtung nach dem M. deltoides clavicularis
verlauft, indem er hierbei den M. dorsalis scapulae mit motorischen
Nerven versorgt (NV. dsc) ').
Der Nerv entspricht dem hinteren Aste des N. dorsalis sca-
pulae (inkl. N. cutaneus brachii superior lateralis s. axillaris
supraanconaeus) der Lacertilier (Schultermuskeln, III, p. 662 und
p. 370, Anm. 1) resp. dem N. dorsalis scapulae (posterior) der Cro-
codile, weicht jedoch von letzterem etwas in der Hautversorgung
ab, wobei aber das besondere Verhalten des M. anconaeus scapu-
laris desselben die Hauptschuld der Inkompletitat der Homologie
trigt. — Von menschlichen Bildungen stehen die Nn. teres minor
und cutaneus n. axillaris (cutaneus humeri posterior s. brachii
lateralis) dem vorliegenden Nerven am nachsten, wobei gleichfalls
das abweichende Verhalten des M. anconaeus scapularis zu be-
riicksichtigen ist.
b) N. subcoracoscapularis (N.sbesc)?). Mabig starker
Ast, der den am meisten ventralen Nerv der Nn. brachiales supe-
riores reprasentiert und VI < VII oder VII > VIII entstammt.
Er lést sich entweder selbstindig (mit 2—38 Wurzeln) von der
Ventralflache des dorsalen Hauptplexus ab oder geht gemeinsam
mit den Nn. deltoides clavicularis, scapulo-humeralis und cutaneus
brachii et antibrachii infraanconaeus von ihm ab, um sich aber
auch in letzterem Falle recht friihzeitig von dem gemeinsamen
Stamme abzulésen, und gelangt nach mafig langem Verlaufe, in
mehrere Zweige zerfallend, zu dem scapularen und coracoidalen
Anteile des M. subcoracoscapularis. Ersterer wird von den zuerst
abgehenden Seitenzweigen (V.sbsc) versorgt, letzterer (V.sbe) von
den zahlreichen Endausbreitungen des Nerven, wobei die vordersten
derselben an dem dorsal (innen) von ihnen gelegenen Lig. sterno-
scapulare internum vorbeiziehen.
Der N. subcoracescapularis von Sphenodon entspricht dem
gleichnamigen Nerven der Lacertilier und enthalt Homologa des
1) Entsprechend lautet die von Osawa gegebene Beschreibung.
— Auch eine partielle Versorgung des M. cleido-humeralis wurde
in einigen Fallen gefunden; sie war aber eine minimale.
2) Osawa’s N. subscapulo-coraco-brachialis (II. 1) mit dem R.
subscapularis und R. coracoidalis.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 383
N. subscapularis der Crocodile und des N. subscapularis superior
der menschlichen Anatomie in sich.
c) N. scapulo-humeralis (Nsch)1). Mabig starker Nerv,
der von VII oder VII > VIII stammt und in ziemlich langer
Strecke mit dem N. deltoides clavicularis verbunden ist, um erst
unweit des axillaren Randes der Mm. subcoracoscapularis und
scapulo-humeralis posterior sich von ihm abzutrennen. Er tritt
dann zwischen diese beiden Muskeln ein, wobei er den letzteren
von seiner Innenseite her mit einem oder zwei schwachen Zweigen,
N. scapulo-humeralis posterior (V.schp), versorgt und dann weiter
nach vorn gehend sich zu der Innenfliche des M. scapulo-hunieralis
anterior begiebt, den er mit seinem mehrfach verzweigten Endteil,
N. scapulo-humeralis anterior (N.scha), innerviert. Der N. scapulo-
humeralis anterior ist erheblich starker als der N. scapulo-hume-
ralis posterior; sein erster feiner Seitenzweig (N.scha;) tritt zu
dem besonderen kleinen tiefen Muskelbande des M. scapulo-hume-
ralis anterior (siehe dessen Beschreibung).
Enthalt die Elemente des N. scapulo-humeralis profundus
(anterior) der Lacertilier und des M. scapulo-humeralis profundus
(posterior) der Crocodilier in sich.
d) N. deltoides clavicularis s. cleido-humeralis
(N. axillaris anterior) (N.dcl)?). Ziemlich kraftiger, VII oder VII
und VIII entstammender Nerv, der nach seiner Abzweigung von
dem vorhergehenden und unter Anastomosenbildung mit dem N.,
dorsalis scapulae unter dem M. dorsalis scapulae sich nach vorn
wendet, um schlieflich in ventro-rostralwarts gehendem Verlaufe
auch unter den M. deltoides clavicularis zu gelangen. Beide
Muskeln versorgt er von ihrer Innenfliche her mit Zweigen, den
M. dorsalis scapulae nur zum kleinsten Teile (indem hier der N.
dorsalis scapulae die Hauptinnervation tibernimmt), den M. deltoides
clavicularis, wenn nicht ausschlieBlich, so doch in ganz tiberwiegen-
dem MafSe (N.dcl). Von seinem Endteile zweigt sich ein sehr
feiner langer Faden ab, der von dem ventralen Teile des M. del-
toides clavicularis bedeckt und an dem dorsalen Rande des M.
supracoracoideus wieder nach hinten (caudalwarts) verlaiuft, um
1) N. scapulo-humeralis: Osawa (II. 3), der gleichfalls die Ver-
sorgung beider Muskeln beschreibt.
2) Vergl. namentlich Fig. 117 und 120. — N. dorsalis scapulae:
Osawa (II. 2). Osawa giebt ebenfalls die Innervation der Mm.
dorsalis scapulae und deltoides clavicularis an, erwihnt aber den
N. humero-radialis proximalis nicht.
384 Max Fiirbringer,
den ersten Anfang des M. humero-radialis mit einer mafigen
Anzahl von Nervenfasern zu versehen (N. humero-radialis
proximalis, N.hrpz).
Dieser Nerv entspricht im grofen und ganzen dem vorderen
Aste des N. dorsalis scapulae (axillaris) der Lacertilier resp. mit
der durch das besondere Verhalten des M. anconaeus scapularis
gegebenen Abweichung dem N. axillaris (exkl. N. cutaneus brachii
et antibrachii superior lateralis) der Crocodile. Eine allgemeinere
Homologie besteht ferner mit dem R. deltoides n. axillaris der mensch-
lichen Anatomie. — Der N. humero-radialis proximalis ist eine be-
sondere Bildung der Rhyuchocephalier, die den Lacertiliern fehlt;
doch existieren mit dem N. humero-radialis der Crocodile und dem
N. deltoides propatagialis der Végel gewisse Beriihrungspunkte.
e) N. cutaneus brachii et antibrachii superior
lateralis (infraanconaeus) (N.c.latifa)*). Nicht schwacher
Nerv, der in der Regel VII und VIII oder VIII entstammt und
sich friiher oder spiter von den vereinigten Nn. scapulo-humeralis
und deltoides clavicularis ablést, um im dorsalen Bereiche der
Achselhéhle sich nach hinten und unten zu wenden und ventral
von dem M. anconaeus scapularis, zwischen ihm und M. anconaeus
humeralis lateralis durchtretend, an die Lateralseite des Oberarms
zu gelangen, wo er sich mit mehreren Zweigen an der Haut ver-
zweigt und auch in den Bereich der Streckseite des Vorderarms
gelangt.
Der N. cutaneus brachii et antibrachii superior lateralis kommt
dem gleichnamigen Nerven der Lacertilier (p. 370, Anm. 1) und
Crocodilier (Schultermuskeln, III, p. 678) am nachsten. Bei den
Lacertiliern verteilt sich sein Verbreitungsgebiet einerseits in den
in gleicher Weise zwischen die Mm. anconaei scapularis und
humeralis lateralis durchtretenden N. cutaneus brachii superior
lateralis infraanconaeus (p. 370, Anm. 1) und andererseits in den
abweichend davon durch den ventralen und distalen Teil des
M. anconaeus humeralis lateralis nach aufen tretenden N. cutaneus
antibrachii lateralis (Schultermuskeln, III, p. 664). — Noch grofer
sind die Abweichungen der hierher zu rechnenden Nerven der
menschlichen Anatomie (R. cutaneus medialis s. internus n. radialis
s. N. cutaneus brachii posterior superior und R. cutaneus late-
ralis s. externus n. radialis s. N. cutaneus brachii posterior inferior) ;
hier kann nur von sehr inkompleten Homologien gesprochen
werden.
1) N. cutaneus brachii et antibrachii lateralis: Osawa (II. 4).
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 385
fy Ne latissimus dorsi CNeid)*). “Hin (Pigvil2ie 122)
oder zwei (Fig. 117, 123) Nerven, welche VII < VIII oder VIII
entstammen, von denen der vordere dem von b—e gebildeten
Stamme auf kurze Zeit angeschlossen sein kann, die aber dem-
selben gegentiber meist eine selbstindige Stellung einnehmen.
Geht nur ein N. latissimus dorsi von der dorsalen Lage des
Hauptplexus ab, so teilt sich derselbe doch friihzeitig in zwei
langere Aeste, so daf auch hier bald zwei Nn. latissimi dorsi
resultieren. Die beiden Nerven (Aeste) gelangen in nach hinten
und oben gerichtetem Verlaufe, die ventralen von ihnen befindlichen
langen Nerven des Plexus kreuzend, an die Innenflache des
M. latissimus dorsi, wobei der erste, in der Regel etwas schwachere
den vorderen Teil desselben mit dorsal aufsteigenden Zweigen
versorgt, wihrend der meist starkere hintere, lings des ventralen
Innensaumes seines Muskels verlaufend, mit einer Anzahl dorsal-
warts aufstrebender Seitenzweige und seinem Endzweige den mitt-
leren und hinteren Teil des Muskels versorgt.
Entspricht dem gleichnamigen Nerven der Lacertilier, Cro-
codilier und der menschlichen Anatomie.
s)ON. brachialis! longus swperior)radiadis)
(N.brisp) ?).- Von VII < VIII 2 IX > X oder VIII 2 IX > X ge-
bildeter Hauptstamm des Plexus. Er verlauft neben (dorsal und
rostral von) dem N. brachialis longus inferior und seinen Teilasten
nach dem Oberarm und tritt, von diesen Nerven durch die
Ursprungssehne des Anconaeus coracoideus geschieden, in den
dorsalen Oberarmbereich ein, um zuerst zwischen Anconaeus
coracoideus und Anc. scapularis, dann zwischen medialem und late-
ralem humeralen Kopfe des M. anconaeus und in der Tiefe des letz-
teren distalwarts weiter zu verlaufen, wobei er in einer lateralwarts
gerichteten Windung (Teil einer Spirale) nach der dorsalen Oetf-
nung des Canalis nervi radialis s. ectepicondyloideus gelangt, um
denselben zu durchsetzen und, aus seiner ventralen Oeffnung aus-
tretend, in den proximalen Bereich der radialen Extensorengruppe
des Vorderarms zu gelangen und von da aus sich weiterhin im
dorsalen Gebiete von Vorderarm und Hand zu verzweigen*). Auf
‘seinem Verlaufe (Fig. 117) giebt der N. radialis da, wo er die
1) N. latissimus dorsi: Osawa (II. 5). Auch Osawa giebt einen
einfachen oder doppelten Ursprung an.
2) Musculo-spiral Nerve: Brooxs. — N. radialis: Osawa (II. 6).
3) N. radialis medialis von Osawa (II. 6. B.).
386 Max Firbringer,
Ursprungssehne des Anconaeus coracoideus kreuzt, oder friiher
einen sehr kraftigen, etwa ?/, seiner Dicke ausmachender Nerven,
N. anconaeo-extensorius (N.ae), ab, der gleichfalls in die
dorsale Muskulatur des Oberarms (M. anconaeus) eintritt, sie mit
einer grofien Anzahl von Aesten (Nn. anconaei, JN.a)*) ver-
sorgend, und sie weiterhin durchsetzt. Hierbei verliuft er parallel
zu dem Stamme des N. radialis, aber durch eine ziemlich an-
sehnliche Partie des M. anconaeus humeralis lateralis von ihm
geschieden, distalwarts und gelangt schlieBlich auch an die Streck-
seite des Vorderarms, um diese mit Muskel- und Hautzweigen zu
versorgen; er liegt im ganzen mehr ulnarwarts als der Haupt-
stamm und endet bereits im dorsalen Bereiche der Handwurzel ”).
— Von den nach dem Durchtritte durch den Canalis nervi radialis
abgegebenen Vorderarmisten kommt fiir die vorliegende Dar-
stellung noch der zuerst, d. h. bald nach dem Austritt aus dem Kanal
abgegebene N. brachio-radialis (supinator) (V.brr) fiir den M. bra-
chio-radialis (supinator) in Betracht, weil dieser einen feinen Nerven
abgiebt, der, den proximalen Teil des genannten Muskels durch-
brechend, riicklaufig in den Bereich des Oberarms gelangt, in
dessen distalem 1/, er, von dem M. humero-radialis bedeckt, ver-
lauft, um in die Innenseite dieses Muskels am Ende von dessen
zweitem Drittel einzutreten (N. humero-radialis distalis,
(N.hrdt)*); er ist der Hauptnerv des M. humero-radialis.
Der N. radialis entspricht im grofen und ganzen dem gleich-
namigen Nerven der Lacertilier, zeigt aber einige Besonderheiten
ihm gegeniiber. Der N. humero-radialis distalis ist ein Gebilde,
1) Nn. anconaei: Osawa.
2) Brooxs giebt eine ziemlich gute Beschreibung des Nerven,
wobei er aber seine Hautverastelung ignoriert und den Schwer-
punkt auf die Versorgung des M. anconaeus IV. legt (Nerve to the
Anconaeus of Human Anatomy). — Genauer ist Osawa’s Darstellung.
Er bezeichnet den Nerven mit Inbegriff der Nn. anconaei als N.
radialis lateralis (II. 6. A) und stellt ihn dem Hauptstamm des N.
radialis (N. radialis medialis Osawa) gegeniiber. Ich méchte das
nicht unterstiitzen. Auch die Bezeichnungen lateralis‘ und
,»medialis*, wenn auch an sich nicht inkorrekt, geben leicht zu
irrigen Vorstellungen iiber Lage und Verlauf dieser Nerven Anlaf,
da man gemeinhin nicht gewéhnt ist, der Ulna mehr genaherte
Teile als laterale und dem radialen Bereiche zugehérende als
mediale zu bezeichnen.
3) Von keinem Autor erwabnt.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 387
das meines Wissens sich bei keinem anderen Tetrapoden !) wieder-
findet. — Zu dem menschlichen N. radialis bestehen allgemeine
Homologien.
C. und D. Nn. brachialis inferiores 2) und Nn. thoracici inferiores *).
Sie reprisentieren die ventrale Schicht des Hauptplexus.
Wie bei den Nn. brachiales superiores sind die vorderen (rostralen)
fiir Schulter und Brust bestimmt, wobei der erste (a) in der Regel
am Abgange mit dem N. dorsalis scapulae verbunden ist, die
nachsten (b) sich ziemlich friih als selbstindige ventralste Nerven
des Plexus ablésen, die folgenden (c, d) dies erst im Bereiche der
letzten Ansae thun oder schon die ersten Seiteniste der Nn. bra-
chiales longi inferiores darstellen; die hinteren (caudalen) (e, f)
bilden die langen ventralen Nerven des Armes und gelangen,
durch die Sehne des Anconaeus coracoideus von den dorsalen
Nerven getrennt, in den Bereich der freien Extremitat.
a) N. supracoracoideus (N.spe)*). Ansehnlicher Nerv,
der VI oder VI und VII entstammt und gemeinsam mit dem
N. dorsalis scapulae als erster von dem Hauptplexus sich ablost.
Er trennt sich sehr bald von seinem caudalwarts strebenden dor-
salen Genossen, wendet sich, rein transversal oder zugleich etwas
rostralwarts gerichtet, nach der vom Coracoid gebildeten Brust-
wand und tritt, ventral (aufen) an dem Lig. sterno-scapulare in-
ternum vorbei, nach dem Foramen supracoracoideum und durch
dasselbe, also diazonal, nach aufen. Auf der Aufenfliche des
Coracoides versorgt er den M. supracoracoideus mit der Haupt-
1) Doch soll die Méglichkeit, da ein im allgemeinen ent-
sprechender Nery bei gewissen Végeln (Rhinochetus u. A.) vorkomme,
nicht von der Hand gewiesen werden. Der daselbst von Brpparp
gefundene und als ,Accessory biceps“ bezeichnete Muskel zeigt
nach Lage gewisse Uebereinstimmungen mit dem distalen Teile des
M. humero-radialis von Sphenodon und wird méglicherweise auch
von einem entsprechenden Nerven versorgt. Brpparp giebt nichts
tiber seine Innervierung an (vergl. auch den nichsten die Végel
behandelnden Teil dieser Untersuchungen).
2) Auf allen Abbildungen von Taf. XIV weil wiedergegeben.
— Diese Nerven entsprechen Osawa’s N. supracoracoideus (I. 1)
aus dem N. coraco-scapularis und N. brachialis longus inferior (III).
3) Auf allen Figuren von Taf. XIV wei gezeichnet. — R.
sterno-coracoideus und R. costo-sterno-scapularis: Osawa.
4) N. supracoracoideus: Osawa, der auch den Hautast auffihrt.
388 Max Firbringer,
masse seiner Aeste, wihrend ein feinerer Zweig, R. cutaneus
supracoracoideus (N.c.spe), den M. supracoracoideus durch-
bohrend und danach zwischen den Mm. deltoides clavicularis und
pectoralis an des letzteren Vorderrande nach aufen tretend, die
den Anfangsteil der Brust und Schulter deckende Haut innerviert.
Der Nerv entspricht dem gleichnamigen Nerven der Lacertilier
und Crocodilier. — Von Gebilden der menschlichen Anatomie
kommt, wie ich bereits friher (Schultermuskeln, I, 1873, p. 270)
hervorgehoben, der N. suprascapularis als partielles Homologon
in Betracht; die Monotremen mit gut entwickeltem N. supra-
coracoideus sind hierbei die Vermittler.
b) Nn. thoracici inferiores‘). Feine, in ihrem Abgange
und Verlaufe wechselnde Nerven (vergl. Fig. 116, 121, 122, 123),
die mit 2—4 Wurzeln von VII, VIII und IX abgehen?), wobei
die gegenseitige Starke derselben ganz von dem metamerischen
Verhalten des Hauptplexus beherrscht wird; meist ist der von
IX abgegebene Anteil etwas stiirker als der von VII stammende,
wahrend der von VIII kommende auch den von IX abkémm-
lichen etwas tibertrifft. Ueber einige der zahlreichen Variierungen
des Abganges, die meist davon abhaingen, ob die einzelnen Wurzeln
friiher oder spiter sich verbinden, orientieren die beigegebenen
Abbildungen. Aus dem so gebildeten Plexus thoracicus in-
ferior resultieren schlieflich zwei Nerven oder ein Nerv, der
sich bald wieder in zwei Aeste teilt. Der vordere und _ stéirkere
derselben reprasentiert den von VII und VIII oder VII, VIII und
IX gebildeten N. sterno-coracoideus internus (N.séez) *),
der, ventral (aufen) an dem M. sterno-costo-scapularis vorbei-
ziehend, nach der ventralen Brustwand gelangt und sich hier mit
einer Anzahl von Zweigen an den beiden Mm. sterno-coracoidei
interni superficialis und profundus verteilt, wobei er zwischen
beide Muskeln eindringt und somit den ersteren von der Innen-
seite (N.stcispf), den letzteren von der Aufenseite her versorgt
(N.siciprf). Der hintere schwichere Nerv (Ast) bildet den VIII und
1) Vergleiche Anm. 3 auf p. 387.
2) In den Fallen mit starker Plexuswurzel VI ist die Még-
lichkeit einer sehr schwachen — Beteiligung derselben nicht
vollig ausgeschlossen. Osawa aft die Nerven nur von VIII und
IX abgegeben werden.
3) Osawa’s N. sterno-coracoideus, der mit 2 Wurzeln von VIII
und IX abgegeben wird und die Mm. sterno-coracoidei interni sowie
den M. costo-coracoideus dieses Autors versorgt.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 389
IX entstammenden N. sternocosto-scapularis (N.sfesc) *)
und gelangt nach kiirzerem Verlaufe zu dem gleichnamigen von
ihm innervierten Muskel.
Entspricht den gleichnamigen Nerven der Lacertilier. Doch
weicht die Lage zu dem M. sternocosto-scapularis zum Teil ab,
indem derselbe bei Lacerta ventral (auSen) von dem N. sterno-
coracoideus externus liegt. Zu den Crocodiliern existieren minder
intime Beziehungen. — Von den Gebilden der menschlichen Ana-
tomie kommt nur der N. subclavius als inkompletes Homologon in
Betracht.
c) N. pectoralis (N.p.)?). Sehr kraftiger Nerv, der VIII
und IX oder VII, VIII und IX entstammt und entweder noch
im Bereiche der letzten Ansen des Hauptplexus oder von dem
Anfange des gemeinschaftlichen N. brachialis longus inferior neben
dem N. coraco-brachialis proximalis oder mit demselben ver-
bunden abgeht (vergl. Fig. 116, 121, 122, 123). Er wendet sich
am hinteren Rande des M. coraco-brachialis longus nach aufen
und unten, wobei er in zwei ansehnliche, stark divergierende Aeste
sich teilt, einen meist etwas kraftigeren vorderen und etwas
schwicheren hinteren, die beide in die Innenfliche des M. pecto-
ralis eintreten, wobei vorwiegend der vordere den episternalen
und sternalen, der hintere den parasternalen Teil desselben versorgt.
Der N. pectoralis entspricht den gleichnamigen Nerven der
iibrigen Sauropsiden und zugleich im wesentlichen den zu den Mm.
pectoralis major und minor gelangenden Nn. thoracici anteriores
der menschlichen Anatomie.
d) N. coraco-brachialis et biceps proximalis
(N.chbrpx, N.bipx)*). MaBig starker Nerv, der von VII und VIII
oder VIII kommt‘) und in der bereits bei dem vorhergehenden
1) Osawa’s N. costo-sterno-scapularis, der aus IX stammt und
den M. costo-sterno-scapularis innerviert.
2) N. pectoralis: Osawa (III. 1).
3) N. coraco-brachialis: Osawa (III. 2). Osawa findet wie ich
die Versorgung des M. coraco-brachialis brevis und des proximalen
Kopfes des M. biceps, giebt aber auferdem noch einen Zweig fiir
das Caput coracoideum des M. subcoracoscapularis (seines M. sub-
scapulo-coraco-brachialis) an, den ich niemals fand. Stets wurde,
wie es auch nicht anders zu erwarten war, bei allen mir vorliegen-
den Exemplaren dieser Kopf ausschlieBlich von dem N. subcoraco-
scapularis versorgt.
4) Selbst eine Beteiligung von VI, wenn stark entwickelt, ist
nicht ginzlich auszuschliefen. Doch gelang wir dieser Nachweis
an meinem Materiale nicht.
390 Max Firbringer,
Nerven angegebenen Weise von dem Plexus oder dem Anfang des
N. brachialis longus internus sich ablést. Hierbei kann er bald etwas
spiter, bald etwas friiher als der N. pectoralis, bald mit ihm ge-
meinsam abgehen; im letzten Falle trennen sich beide Nerven
nach kurzem Verlaufe voneinander. Er wendet sich direkt am
hinteren Rande des Coracoides, also rostraler als der N. pectoralis
nach unten und vorn (ventro-rostralwarts), durchbricht den pro-
ximalen Bereich des M. coraco-brachialis brevis, den er hierbei
mit Zweigen versorgt (N. coraco-brachialis proximalis,
N.cbrpx), und endet danach in dem proximalen Bauche des M. bi-
ceps, in dessen Innenfliche eintretend (N. biceps proximalis,
N.bipx).
Er ist ein Homologon der gleichnamigen Nerven der Lacer-
tilier (in den Schultermuskeln, III, 1875, als Nn. coraco-brachialis
und coraco-antibrachialis sub £, p. 660 neschrieben). Zu den ent-
sprechenden Nerven der anderen Sauropsiden existieren minder
innige Beziehungen. — Ganz im allgemeinen und sehr inkomplet
vergleichbar ist der Nerv mit den proximalsten zu dem M. coraco-
brachialis gelangenden Rr. musculares des menschlichen N. mus-
culo-cutaneus; die Hauptsache des Nerven fehlt dem Menschen.
e) N. cutaneus brachii et antibrachii inferior
medialis (N.c.abim, N.cut.abim)'). Gut entwickelter Hautnerv,
der IX, X und wohl X12) entstammt und in sehr variabler Weise,
bald vor Bildung des N. brachialis longus inferior, bald als einer
der ersten Zweige desselben Nerven, von dem Hauptplexus abgeht
und, friiher oder spiter in mehrere Zweige zerfallend, an der
Medialseite des Oberarms (den Mm. anconaeus scapularis, coraco-
brachialis longus und biceps medial aufliegend) und des Vorderarms
(auf der Beugemuskulatur derselben) distalwarts zieht und hierbei
die Haut der betreffenden Strecken bis herab zur Hand versorgt.
Entspricht dem gleichnamigen Nerven der Lacertilier und
Crocodilier (in den Schultermuskeln, III, 1875, p. 660 sub y als
N. cutaneus brachii et antibrachii medialis angefiihrt) und ent-
halt Elemente des N. cutaneus brachii internus minor et major
(N. cutaneus brachii et antibrachii medialis) der menschlichen
Anatomie in sich, wobei er zugleich einen Teil des von dem
1) N. cutaneus brachii et antibrachii medialis: Osawa (III. 4).
2) Wegen der Zartheit der von XI abgegebenen Wurzel und
ihrer friihen Vereinigung mit X war an dem mir disponibeln
Materiale der direkte Nachweis nicht zu fiihren; per exclusionem
ist aber die Beteiligung von XI sehr wahrscheinlich.,
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. oul
menschlichen N. cutaneus brachii externus (cutaneus antibrachii
lateralis) versorgten Gebietes vikariierend tibernimmt.
f) N. brachialis longus inferior (N.bri)'). Der kraf-
tige Hauptstamm der Nn. brachiales inferiores des Plexus, der
von VII, VIII, IX, X und wohl auch XI?) abstammt. Er giebt
zuerst, falls dieselben nicht schon friiher sich vom Plexus losgelést
haben, die Nn. pectoralis (c), coraco-brachialis proximalis (d) und
cutaneus brachii et antibrachii inferior medialis (e) ab und zer-
fallt nach kurzem Verlaufe *) in drei Hauptaste, die von dem
N. brachialis longus superior zuerst nur durch die Sehne des
Anconaeus coracoideus geschieden werden, dann aber, auf die
Ventralseite des Armes gelangend, sich weiter von dem dorsalen
Nerven entfernen.
Von den drei Hauptasten (Fig. 116) zweigt sich der schwachste
derselben, N. brachialis longus inferior lateralis (N.
musculo-cutaneus et medianus e. p.) (N.briilt)4), zuerst ab*) und
begiebt sich, durch den Spalt zwischen den Mm. coraco-brachiales
brevis und longus hindurchtretend, zur Beugeseite des Oberarms,
wobei er die benachbarten Mm. coraco-brachiales, biceps (distaler
Bauch) und brachialis inferior mit mehreren zum Teil ganz an-
sehnlichen Zweigen (Nn. coraco-brachiales distales,
N.cbrdi; N. biceps distalis, N.osdi; N. brachialis in-
ferior, N.bri) versorgt und mit einem den M. brachialis inferior
schrag durchsetzenden schwachen Zweige an die Haut der Radial-
seite des Vorderarms im Bereiche des M. brachio-radialis (supina-
tor) gelangt (N. cutaneus antibrachii lateralis, N.c.ablt) *).
1) Umfaft Osawa’s Nervuli coraco-brachiales (III. 3), N. hume-
ralis superior (III. 5), N. musculo cutaneus (III. 6), N. humeralis
inferior (III. 7), N. medianus (III. 8) und N. ulnaris (infolge eines
Schreibfehlers auch mit III. 8 bezeichnet).
2) Siehe Anm. 2 auf p. 390.
3) Diese Teilung kann sehr friih, noch ehe der Nerv in den
Bereich des Oberarms gelangte, oder im proximalen Gebiete des-
selben erfolgen.
4) Entspricht Osawa’s No. III. 3, 5, 6 und Anteil von 8.
5) Auch hier ist ein Wechsel zu konstatieren, indem dieser
Abgang viel friiher als die Sonderung der beiden anderen Aeste
oder auch nahezu in derselben Hohe erfolgen kann (vergl. Anm. 3).
6) Dieser Teil des N. brachialis longus inferior lateralis, der
die 3 Beugemuskeln im Bereiche des Oberarms versorgt und mit
dem N. cutaneus antibrachii lateralis endet, kann als N. musculo-_
cutaneus bezeichnet werden. Dem entspricht auch in der Haupt-
Bd, XXXIV. N. F. XXVII. 26
392 Max Firbringer,
Nach Abgabe aller dieser Zweige gelangt der wesentlich dinner
gewordene Nerv‘), von dem distalen Bauche des M. biceps brachii
bedeckt, in den Bereich des Ellenbogengelenkes, wo er medial
neben der Insertionssehne der vereinigten Mm. biceps brachii und
brachialis inferior zum proximalen Teile des Vorderarms geht, um
sich in dessen Beugemuskulatur einzusenken. Hierbei giebt er
Zweige an den M. pronator und N. brachialis longus inferior
medialis (ulnaris) ab und tritt gleich darauf unter intimer Ana-
stomosenbildung mit dem N. brachialis longus inferior medianus
(medianus brachii) zusammen, um gemeinsam mit ihm den Haupt-
bereich der Beugeseite von Vorderarm und Hand (Muskeln und
Haut) zu versorgen. Dieser gemeinsame Nerv (Nervenkomplex)
kann als N. medianus (antibrachii et manus)') bezeichnet
werden.
Von den beiden anderen, in ihrer Dicke einander sehr nahe
kommenden Hauptisten verlauft der meist ein wenig schwachere
N. brachials longus inferior medianus (N. medianus brachil)
N.brlime?) an der Medialseite des Oberarms zwischen Anconaeus
coracoideus resp. den vereinigten K6épfen und Bauchen des M.
anconaeus einerseits und dem M. coraco-brachialis longus anderer-
seits langs des Humerus, ohne einen Zweig abzugeben; an der
sache die Nomenklatur von Osawa (III. 6), der nur die fiir die
Mm. coraco-brachialis bestimmten Zweige von dem Hauptteile als
Nervuli coraco-brachiales (III. 3) sondert. Der Hautast ist richtig
von ihm dargestellt. Dagegen giebt er auch eine Versorgung des
M. humero-radialis (M. humero-antebrachialis lateralis Osawa) durch
den N. musculo-cutaneus an, die nach meinen Beobachtungen nicht
existiert. Bei allen daraufhin untersuchten Exemplaren sah ich
nur feine Gefafzweige aus dem medialen und ventralen Gebiete
des Oberarms (wo der N. musculo-cutaneus sich befand) zu dem
M. humero-radialis treten. Die wirklichen Nerven dieses Muskels
entstammten aber dem Gebiete des N. deltoides clavicularis und
des N. brachio-radialis aus dem N. radialis.
1) Dieser Teil des N. brachialis longus inferior lateralis ent-
spricht in der Hauptsache dem N. humeralis superior Osawa’s
(III. 5). Osawa findet im wesentlichen gleich mir die Vereinigung
mit dem N. brachialis longus inferior medianus (seinem N. hume-
ralis inferior, III. 7) zu einem gemeinsamen Stamm fiir die Beuge-
seite des Worderarms und der Hand, den er als N. medianus
(III. 8) bezeichnet. Dieser ist identisch mit meinem N. medianus
antibrachii et manus.
2) Osawa’s N. humeralis inferior (III. 7); nach der Vereinigung
mit dem Endteil des N. humeralis superior (III. 5) als N. medianus
(III. 8) bezeichnet (siehe die vorhergehende Anmerkung).
9
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 393
hinteren Oeffnung des Canalis nervi mediani s. entepicondyloideus
angelangt, tritt er durch diesen Kanal hindurch in den Bereich
der Ellenbogenhéhle, worauf er, bedeckt von dem gleichfalls hier
liegenden N. brachialis longus inferior lateralis, zum Anfang der
Beugeregion des Vorderarms geht und hier mit diesem Nerven
die soeben beschriebenen Verbindungen eingeht, welche zur Bildung
des N. medianus (antibrachii et manus) (N.meam) fiihren‘).
Der dritte Hauptast wird durch den N. brachialis longus
inferior ulnaris (N. ulnaris) (N.brliw)?) reprasentiert, der ein
wenig kraftiger als der N. brach. longus inf. medianus (medianus
brachii) und etwa doppelt so dick wie der N. brachialis longus
inferior lateralis ist. Er verlauft neben dem zuvor beschriebenen
Nerven und vom Humerus etwas mehr entfernt als dieser zwischen
dem M. anconaeus und dem M. coraco-brachialis longus und ge-
langt, am meisten ulnar gelegen, zwischen Epicondylus medialis
und Olecranon in den proximalen Bereich der Beugemuskulatur
des Vorderarms. Von da aus geht er im ulnaren Bereiche des
Vorderarms und der Hand weiter, um hier Muskulatur und Haut
zu versorgen. :
Der N. brachialis longus inferior entspricht im grofen und
ganzen dem gleichnamigen Nerven der anderen Sauropsiden, zeigt
aber eine Verteilung, die in verschiedenen Punkten abweicht und
gewisse gemeinsame Ziige mit derjenigen der menschlichen Anatomie
aufweist. Wie bereits die gewahlte Nomenklatur zeigt, enthilt
er die Elemente der menschlichen Nn. musculo-antaneus, medianus
und ulnaris in sich, derart verteilt, daS der N. brach. long. inf.
lateralis dem N. musculo-cutaneus und einem Teile (einer Wurzel)
des N. medianus entspricht, der N. brach. long. inf. medianus den
anderen Teil (andere Wurzel) des N. medianus darstellt und der
N. brach. long. inf. medialis s. ulnaris in der Hauptsache dem
N. ulnaris homolog ist. Auch in dem Durchtritt des N. brach.
long. inf. medianus durch einen Canalis nervi mediani (entepicon-
dyloideus) spricht sich eine Aehnlichkeit mit dem Verhalten bei
den Saugetieren aus, die tibrigens mit den Rhynchocephaliern auch
gewisse Theromorphen und Sauropterygier teilen. Man darf aber
darauf nicht nahere verwandtschaftliche Beziehungen dieser Reptilien
mit den Mammalia griinden, sondern kann hier nur von parallelen
Bildungen sprechen.
1) Vergl. die beiden vorhergehenden Anmerkungen.
2) N. ulnaris: Osawa (III. 8; soll II. 9 heifen).
26 *
394 Max Firbringer,
E. Crocodilia.
Das Verhalten der Plexuswurzeln bei den Crocodiliern hat
v. JHERING bei Crocodilus americanus (acutus), Caiman sclerops
(Jacare sclerops) und Caiman trigonatus studiert. Genau so wie
bei den von mir untersuchten Crocodilus americanus (acutus) und
Alligator mississippiensis (lucius) fand er eine Zusammensetzung
des Plexus aus dem 7. bis 11. Spinalnerven und eine Bildung des
N. supracoracoideus durch die dem 7. und einem Teile des
8. Nerven angehérenden Wurzeln.
Die Crocodile reihen sich somit, wie schon 1875 und 1879
von mir betont, in dieser Hinsicht den Varanidae und (wie ich
auf Grund des von JHERING gemachten Befundes bei Agama stellio
zufiigen kann) vielleicht gewissen Agamidae an. Mit der Riick-
wartswanderung des Plexus verbindet sich die metamerische Um-
bildung der Wirbelsiule, welche (gleich den meisten Varanidae
und v. JHERING’s Exemplar von Agama stellio) 9 Cervikalwirbel
zahlit.
§ 15.
Muskeln der Schulter und des Oberarms').
Litteratur ”),
Gtnrner, A., Contribution to the Anatomy of Hatteria (Rhyncho-
cephalus Owen). Phil. Trans. Roy. Soc., CLVII, P. Il, p. 595
—629. London 1867.
1) Zur neueren eigenen Untersuchung dienten:
Lacertilia. Geckonidae: Hemidactylus mabouia Mor., Gecko
verticillatus Laur., Ptychozoon homalocephalum Crev.; Uropla-
tidae: Uroplates fimbriatus Scun.; Scincidae: Lygosoma oliva-
ceum Gray; Gerrhosauridae: Zonosaurus madagascariensis
Gray; Lacertidae: Lacerta ocellata Daup.; Tejidae: Ameiva
surinamensis Laur.; Zonuridae: Zonurus cordylus L.; Igua-
nidae: Phrynosoma cornutum Haru.; Agamidae: Calotes jubatus
D. et B.; Varanidae: Varanus niloticus L.; Chamaeleontidae:
Chamaeleo vulgaris Daup., Brookesia superciliaris Kunn. — Rhyn-
chocephalia. Sphenodontidae: Sphenodon punctatus Gray
(6 Exemplare in der Groéfe von 7,5 bis 50 cm; vergl. p. 365,
Anm. 2). — Crocodilia. Alligatoridae: Alligator mississippi-
ensis Daun. (All. lucius, 3 Exemplare).
2) Hinsichtlich der friiheren Litteratur verweise ich auf die
Abhandlung von 1875 (Zur vergleichenden Anatomie der Schulter-
muskeln, III, Morph. Jahrb., I, p. 688 f.).
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 395
Forsricer, Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln.
I. Jenaische Zeitschrift, VII, p. 237-320. Leipzig 1873. —
II, Ibidem, VIII, p. 175—280. Jena 1874. — III. Morpholog.
Jahrb., I, 1875, p. 636—818. Leipzig 1876.
Aurx, E., Sur la détermination du muscle long supinateur chez les
oiseaux. Journ. d. Zoologie p. P. Gervais, III, p. 21—25.
Paris 1874.
-— Essai sur l’appareil locomoteur des oiseaux. Paris 1874. (Enthalt
auf p. 424—427 eine zum Vergleiche mit der Flugmuskulatur
der Vogel herangezogene Beschreibung der Schultermuskeln von
Monitor, wahrscheinlich Varanus niloticus.)
Newman, A. K., Notes on the Physiology and Anatomy of the
Tuatara (Sphenodon giintheri). Trans. and Proc. New. Zealand
Inst., X, 1877, p. 222—239. Wellington 1878 (read 22. IX.
1877). (Beschreibung mehrerer Muskeln.)
SauvacE, H. E., Etude sur le membre antérieur du Pseudope de
Patias. Ann. sc. nat. (6. sér.) Zoologie, VII, Art. 15 (13 pp.).
Paris 1878. (Diirftige und unrichtige Angaben iiber einzelne
beziigliche Muskeln von Ophisaurus apus.)
Furperincer, M., Zur Lehre von den Umbildungen der Nervenplexus.
Morph. Jahrb., V, p. 324—394. Leipzig 1879.
Sapatipr, A., Comparaison des ceintures et des membres antérieurs
et postérieurs dans la série des Vertébrés. Extr. d. Mém. d.
PAcad. d. Sc. et Lettr. de Montpellier, LX (437 pp.). Mont-
pelher et Paris 1880. (Vergleichend-anatomische Untersuchung
und Beurteilung der entsprechenden Arbeiten anderer Autoren;
einzelne eigene Untersuchungen an Alligator lucius; Innervation
nur ganz nebensichlich beriicksichtigt.)
bE Vis, Cu. W., Myology of Chlamydosaurus kingii. Proc. Linn.
Soc. N. 8S. Wales, 1883, p. 300—320. Sydney 1884. (Kurze
und zum Teil gute Beschreibung ohne Beriicksichtigung der
Nerven.)
Carusson, A., Untersuchungen iiber die Gliedmafenreste bei Schlangen.
Bihang till K. Svenska Vet. Akad. Handl., XI, 1885, No. 11
(38 pp.). (Notiz tiber die Innervation einiger Muskeln bei
Pygopus lepidopus und Amphisbaena vermicularis).
Smauian, O., Beitrage zur Anatomie der Amphisbaenoiden. Zeitschr.
f. wiss. Zool., XLII, p. 126—202. Leipzig 1885. (Gute Angaben
iiber die Muskulatur von Blanus cinereus, Amphisbaena fuligi-
‘nosa, Anops kingii und Trogonophis wiegmanni.)
Sauvace, H. E., Note sur le plexus brachial et le plexus sacro-
lombaire du Zonure géant. Bull. Soc. Zoolog. de France, p. 489
—499. Paris 1887. (Angaben iiber Innervation einiger Schulter-
muskeln von Zonurus giganteus.)
Brooks, H. Sr. J.. On the Morphology of the Extensor Muscles.
Stud. Mus. Zool. Dundee, I, No. 5 (17 pp.). Dundee 1889. (Ver-
halten des N. radialis zum M. anconaeus etc. von Sphenodon
punctatus. )
396 Max Fiirbringer,
Snuretpt, R. W., Contributions to the Study of Heloderma suspectum.
Proc. Zool. Soc. London, 1890, p. 148—244. (Ziemlich genaue
Beschreibung der Schulter- und Oberarmmuskeln, ohne Beriick-
sichtigung der Innervation. )
Oruanpi, S., Note anatomiche sul Macroscincus coctei. Atti Soe.
Ligust. Sc. Nat. Genova, V, Fasc. 2. Genova 1894. (Kurze
und zum Teil unrichtige Angaben iiber einige Schultermuskeln
und ihre Funktion von Macroscincus coctaei; die Innervierung
wurde nicht beriicksichtigt. )
Maurer, Fr., Die ventrale Rumpfmuskulatur einiger Reptilien.
Festschr. fiir Graunspaur, I, p. 181—258. Leipzig 1896. (Gute
Bemerkungen itiber Ursprung und Lage der Mm. pectoralis,
sterno-coracoideus, sternocosto-scapularis etc. bei Cyclodus [wahr-
scheinlich Tiliqua scincoides}, Lacerta agilis, muralis und viridis,
Sphenodon punctatus und Crocodilus sp.)
Osawa, G., Beitrage zur Anatomie der Hatteria punctata. Arch. f.
mikr. Anat., LX, p. 481—691. Bonn 1898. (Gute Beschreibung
der Muskulatur von Sphenodon punctatus nebst Innervation
derselben. )
Die folgenden Ausfiihrungen zeigen, wie das durch ihren
Charakter als Nachtrige bedingt ist, eine gewisse Ungleichmiabig-
keit der Bearbeitung. Die Abschnitte iiber die kionokranen Lacer-
tilier und Chamaeleontier schliefen sich den entsprechenden Dar-
stellungen von 1875 an, gehen aber mit Riicksicht auf ihre syste-
matische Verwertung mehr in das Detail bei den einzelnen neu
untersuchten Vertretern ein. Auf eine Behandlung der betreffen-
den Teile bei den Amphisbaeniern mute ich zunachst ver-
zichten, da mir von dieser Abteilung nur Formen mit weit vor-
geschrittener Reduktion des Brustschulterapparates zu Gebote
standen, welche nur eine ganz allgemeine Vergleichung mit den
Verhiltnissen der mit Gliedmafen versehenen Lacertilier erlaubten ;
erst eine rationelle Untersuchung von Chirotes, kombiniert mit
derjenigen gewisser Tejidae, wird speciellere Aufklarungen zu Tage
fordern. Die Bearbeitung der Schultermuskeln des lebenden Ver-
treters der Rhynchocephalier, Sphenodon, ist ausfithrlich gegeben.
Der die Crocodilier betreffende Abschnitt kniipft an die Beschrei-
bung von 1875 an und ist wesentlich polemischer Natur, indem
er ganz vorwiegend die damals von mir gegebenen Darstellungen
und Deutungen gegentiber den ziemlich weit zuriickliegenden, von
mir bisher aber nicht beantworteten Angriffen SABATIER’S ver-
teidigt und aufrecht erhalt, — eine recht unerquickliche Arbeit,
die aber notwendig erschien, da es sich hier nicht blof um ein
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 397
paar specielle Reptilienmuskeln, sondern namentlich um sehr ab-
weichende Methoden in der vergleichend-myologischen Untersuchung
handelt.
A. Kionokrane Lacertilia.
(Vergl. Taf. XV, Fig. 124—160.)
Die seit 1874 veréffentlichte Litteratur tiber die Sehulter-
muskeln der kionokranen Lacertilier enthalt eine ausfiihrlichere
Untersuchung von SHUFELDT tiber Heloderma (Helodermatidae), zum
Teil brauchbare Beschreibungen und Deutungen der Muskeln von
Attx bei Monitor (Varanidae) und von pe Vis bei Chlamydo-
saurus (Agamidae), diirftige Mitteilungen von SAUVAGE tiber Ophi-
saurus (Anguidae) und OrLANDI tiber Macroscincus (Scincidae),
beilaufige Bemerkungen tiber den M. pectoralis von Maurer bei
Tiliqua (Scincidae) und Lacerta (Lacertidae), kurze, aber gute An-
gaben tiber die Innervation der hierher gehérigen Muskeln von
Cartsson bei Pygopus (Pygopodidae) und eine zusammenfassende
kritische Besprechung und Deutung von Sapatrer. — Ich habe
zu dem friiher (1870 und 1875) von mir untersuchten Materiale
noch die oben (p. 365, Anm. 2) angefiihrten Vertreter der Gecko-
nidae, Uroplatidae, Scincidae, Gerrhosauridae, Lacertidae, Tejidae,
Zonuridae, Iguanidae, Agamidae und Varanidae zugefiigt, wobei
mich hauptsachlich die Verwertung der Untersuchung der be-
treffenden Muskeln — deren hohe Bedeutung hierfiir mir meine
Untersuchungen iiber die Morphologie und Systematik der Vogel
1888 ergeben hatten — zu systematischen Zwecken leitete. Ob-
wohl die Zahl der dafiir zur Verfiigung stehenden Tiere eine recht
kleine, lange nicht alle Klassen der kionokranen Lacertilier um-
fassende war, ergab die Untersuchung doch Resultate, die um-
fassenderen Arbeiten auf diesem Gebiete eine gute Prognose
stellen lassen.
In der folgenden Darstellung vermeide ich, soweit nicht be-
sondere Griinde zum Gegenteil gegeben sind, alle Detailangaben
der Untersuchungen und beziehe mich in der Hauptsache auf
meine friihere Darstellung von 1875. Von der Litteratur verwerte
ich im wesentlichen nur die wichtigeren und gesicherteren Mit-
teilungen seit dieser Zeit und stelle auch nur die Nomenklatur
seit 1875 zusammen.
398 Max Firbringer,
1. Cucullaris s. Trapezius und Sterno-episterno-cleido-mastoideus
(Capiti-dorso-clavicularis und Capiti-cleido-episternalis) (cw).
Capiti-dorso-clavicularis (Cucullaris) und Capiti-
cleido-episternalis (EH pisterno -cleido-mastoi- ©
deus): FUrRBRINGER.
Trapéze et Cléido-mastoidien: Atrx.
Cléido-mastoidien: Sauvage 1878.
Sterno(cleido)-mastoideus und Trapezius, Sterno-
mastoideus und Trapezius: bse Vis, SHurenpr (No. 15
und 16).
Cucullare: Oruanpi.
Mehr oder minder einheitliche oder in Partien gesonderte
Muskelausbreitung am Halse und am Anfang des Riickens und
der Schulter, welche von dem Hinterteile des Kopfes, sowie dem
dorsalen Bereiche des Halses und Riickens bis zum 10.—13. Wirbel
entspringt und an Episternum, Sternum, Clavicula und Scapula
resp. Suprascapulare inseriert. Der vom Kopf kommende und
zu Episternum, Sternum und dem mittleren Bereiche der Clavicula
gehende Teil mége als Episterno-cleido-mastoideus, der vom Hals
und Riicken beginnende und an dem dorsalen Teile der Clavicula
und der dariiber gelegenen Scapula (Suprascapulare) endende als
Cucullaris betrachtet werden. Der gesamte Muskel wird in seinem
gréBeren vorderen Bereiche in wechselnder Ausdehnung von dem
M. depressor mandibulae et sphincter colli bedeckt (am weitesten
nach hinten bei Zonosaurus, Lacerta, Ameiva, am eigenartigsten
bei Phrynosoma), und deckt andererseits im Halsbereiche die Mm.
levator scapulae superficialis, cleido-hyoideus und episterno-hyo-
ideus, am Riicken den Anfang des M. latissimus dorsi und an der
Schulter zum Teil die Mm. dorsalis scapulae und deltoides clavi-
cularis, sowie bei Varanus im Brustbereiche den Anfang des M.
pectoralis, wihrend bei allen anderen Lacertiliern dieser das
ventrale insertive Ende des M. sterno-episterno-cleido-mastoideus
deckt.
Der vordere und ventrale Teil wird vorwiegend vom N. acces-
sorius, die tibrige Hauptpartie von Nn. spinales (cervicales) inne r-
viert, bei den primitiveren Formen ist der Accessorius-Anteil
voluminéser entwickelt als der Spinalis-Anteil, der bei den héheren
Typen betrachtlich tiberwiegt.
Der Ursprung beginnt in wechselnder Weise vom Parietale
und Squamosum, von der Dorsalkante des Halses (Dornfortsatzen
der Halswirbel), wobei der Muskel oft mit dem der Gegenseite
verwachsen ist, und von dem dorsalen Bereiche des Anfangsteiles
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 399
des Riickens, und zwar hier meist aponeurotisch, bei relativ guter
Ausbildung frei und selbstandig von den Proc. spinosi der 4 bis
5 ersten Dorsalwirbel, bei gréferer Riickbildung nicht so deutlich
bis dahin verfolgbar, sondern mit dem aponeurotischen Ursprungs-
teil des M. latissimus dorsi verschmolzen.
Die Insertion geschieht, vom ventralen Gebiete ab ge-
rechnet, am Episternum (Querschenkel in wechselnder Ausdehnung),
an dem AuSensaume des Labrum coracoideum des Sternum (gleich-
falls in variabler Strecke), sehr ausgedehnt an der Clavicula (auf-
steigender Schenkel) und endlich an dem Acromion und dem
supraacromialen Bereiche der Scapula resp. des Suprascapulare
(meist in senkrechter, vor dem Ursprunge des M. dorsalis scapulae
gelegener Linie). Die Insertion an dem Querschenkel des Epi-
sternum (cw.ep) findet, der Mittellinie bald naher kommend,
bald weiter von ihr entfernt, sehnig-muskulés, entweder mit Ueber-
wiegen des muskulésen oder mit Ueberwiegen des sehnigen Gewebes,
statt; in der caudalen Fortsetzung desselben ist zwischen dem
Querschenkel des Episternum und dem auferen Saume des cora-
coidalen Labrum des Sternum die diinne Membrana sterno-
episternalis (JMstest) ausgespannt. Lateral schlieSt sich direkt
die sternale Insertion (cw.st) des Muskels an, die in Gestalt
einer Insertionsaponeurose lateral an der Spitze des episternalen
Querschenkels vorbei nach dem coracoidalen Labrum des Sternum
zieht. Diese sternale Insertionsaponeurose und die Membrana
sterno-episternalis sind zusammengehorige und ganz gleich gebaute
Gebilde, die je nach der Lange des episternalen Querschenkels
in einem korrelativen GréSenverhaltnis stehen: bei relativ kiirzeren
Schenkeln (Gecko, Hemidactylus) ist die mediale Membrana sterno-
episternalis schmaler als die laterale Insertionsaponeurose (Fig. 124),
bei mafig langen Schenkeln (Zonosaurus) sind beide gleich breit
(Fig. 125), bei noch langer werdenden Schenkeln (Lygosoma
|Fig. 126], namentlich aber Lacerta, Ameiva, Zonurus) ist die
Membran breiter als die Aponeurose, die schlieflich bei den
Lacertiliern mit T-férmigem oder dieser Form sich naherndem
Episternum (Iguanidae, Agamidae, doch mit Ausnahmen) gegen-
iiber der Membran ganz in Riickbildung tritt. In diesem letzten
Falle existiert keine sternale Insertion mehr, und Muskel und
Membrana sterno-episternalis sind durch den Querschenkel des
Episternum getrennte Dinge. Bei Phrynosoma fand sich an Stelle
der sehnigen Sternalaponeurose eine muskulése Ausbreitung. Bei
Uroplates fehlt die episternale Insertion; das kleine Rudiment des
400 Max Firbringer,
Episternum dient hier dem Ursprunge des M. episterno-hyoideus.
Alle diese episternalen und sternalen Insertionsteile des Muskels
nebst der Membrana sterno-episternalis schieben sich zwischen M.
pectoralis und M. deltoides clavicularis ein, wobei sie von ersterem
iiberdeckt werden; bei gewissen Scincidae mit rudimentiren Glied-
maBen und anderen schlangenahnlichen Lacertiliern kommt es
hierbei zu mehr oder minder ausgedehnten und auch tiber die
AuBenflache des M. pectoralis sich ausbreitenden Verbanden beider
Muskeln, die sich als sekundare Differenzierungen von den typischen
Befunden bei den mit guten Extremitaten versehenen Lacertiliern
ableiten lassen. Auch Aberrationen an andere benachbarte Muskeln
(Kpisterno-hyoideus, Deltoides clavicularis) lassen sich beobachten
(Phrynosoma). Diese oberflichlichen Verbénde sind unter teilweiser
Aufgabe der tiefen in extremer Weise bei Varanus entwickelt: hier
endet der episternale Teil nur zum kleinsten Teile vor dem M.
pectoralis, zieht aber in der Hauptsache oberflachlich tiber diesen
Muskel hinweg (nicht von ihm gedeckt) nach seiner Insertion am
Liingsschenkel des Episternum. Die claviculare Insertion
(cu.cl), in den meisten Fallen die ausgedehntere des Muskels,
findet an dem ganzen aufsteigenden (lateralen) Schenkel der Clavi-
cula statt; mitunter (Lacerta, Ameiva) wird sie durch das Kin-
ereifen des Ursprunges des M. dorsalis scapulae in eine kleinere
dorsale Abteilung, die sich dem scapularen Insertionsteile naher
anschliekt, und eine breitere ventrale Portion gesondert. Auch
findet sich ein Weitergreifeu oberflachlicher Teile auf die Fascie
des M. deltoides clavicularis, gewissermafen in der lateralen Ver-
breiterung der oben beschriebenen sternalen Insertionsaponeurose
(z. B. bei Zonosaurus, Lacerta, Ameiva). An diesen drei Insertions-
stellen (Episternum, Sternum und Clavicula) endet in der Haupt-
sache der von Kopf und Hals entspringende, descendent bis trans-
versal verlaufende Hauptteil des Muskels; der vom Ricken
kommende Teil geht in transversaler bis ascendenter Richtung an
die oben angegebene Stelle der Scapula (Suprascapulare)
und zum Teil an das dorsale Ende der Clavicula.
In primitiver Ausbildung bildet der Muskel eine mehr oder
minder einheitliche Ausbreitung (Cucullaris 4+- Episterno-cleido-
mastoideus: Gecko individuell, Lygosoma, Zonosaurus, Lacerta ind.,
Ameiva, Tupinambis). Daran schlieBen sich Sonderungen
mifigen Grades an, entweder innerhalb des Cucullaris zwischen
Hals- und Riickenteil (Gecko ind., Varanus ind.) oder zwischen
Kopf- und Halsteil, d. i. zwischen Episterno-cleido-mastoideus
et
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 401
und Cucullaris (Tarentola, Trachysaurus, Lacerta ind., Zonurus,
Iguana, Liolepis, Uromastix); erstere sind die variableren und
unwichtigeren, letzteren kommt eine héhere Bedeutung zu. Weiter-
hin fiihrt der Sonderungsprozef unter Ausfall (Riickbildung) ge-
wisser Muskelpartien zur vollkommenen Scheidung des
Sterno-episterno-cleido-mastoideus und Cucullaris
(Uroplates, gewisse schlangenahnliche Scincidae und Anguidae,
Heloderma [SHuretpr], Phrynosoma, Calotes, Chlamydosaurus
[pE Vis], Lophyrus, Varanus ind.), wobei bei Varanus die Schei-
dung am Ursprungsteile sehr ausgeprigt, am Insertionsteile wenig
ausgeprigt ist, wahrend Phrynosoma den héchsten Grad der
Sonderung der beiden ganz weit voneinander entfernten Muskeln
reprisentiert. Der Sterno-episterno-cleido-mastoideus bildet hierbei
ein gut oder mabig entwickeltes Muskelband, der meistens viel
diinnere Cucullaris zeigt alle méglichen Riickbildungsgrade bis zu
erheblicher Verschmalerung (bei Phrynosoma von den 35 bis 4
ersten Dorsalwirbeln entspringend: vélliger Schwund des Hals-
teiles) oder Zerfall in eine vordere Hals- und eine hintere Riicken-
partie (Varanus [ALrx], Uroplates); selbst vollkommener Schwund
des Cucullaris wird angegeben (Phrynosoma nach SANDERS). Bei
Uroplates kommt der vordere Teil des Cucullaris (Cu. anterior
s. cervicalis) von dem Parietale und den 6 ersten Wirbeln und
geht zum dorsalen Teile der Clavicula und zum Acromion, der
hintere Teil (Cu. posterior s. dorsalis) vom 8. bis zur Mitte des
11. Wirbels und endet, der Insertion des vorderen Teiles nahe
kommend, sie aber nicht erreichend, an dem supraacromialen Be-
reiche des Suprascapulare.
Auf Grund dieser Befunde kennzeichnet, soweit untersucht,
die Geckonidae, die Mehrzahl der Scincidae und die Gerrho-
sauridae, danach die Lacertidae und Tejidae ein mehr primitives
Verhalten des Muskels; gewisse Scincidae, die Zonuridae, Anguidae
und gewisse Agamidae bieten eine etwas weiter vorgeschrittene
Differenzierung (progressiver oder retrograder Natur) dar; dieselbe
erreicht bei den Uroplatidae, Helodermidae, Iguanidae, gewissen
Agamidae und den Varanidae e. p. den héchsten Grad. Uroplates
weicht voéllig von den Geckonidae ab und zeigt ein Quale, das
in weiterer Differenzierung zu Verhiiltnissen fiihrt, wie sie sich
bei den Chamaeleontiden finden. Varanus stellt sich im Verhalten
des Episterno-cleido-mastoideus zum Pectoralis allen anderen
Lacertiliern (inkl. die Chamaeleontidae) und — wie noch hinzu-
402 Max Firbringer,
gefiigt werden mag — Sphenodon gegeniiber, nihert sich aber
dabei mehr den Crocodiliern.
2. Levator scapulae superficialis (Collo-scapularis superficialis).
Collo-scapularis superficialis (Levator scapulae
superficialis): FUrRBRINGER.
Angulaire No. 1 et No. 2 (omo-basilaire): Anrx.
Levator scapulae: pr Vis, SHureipt (No. 18).
Collo-scapularis: Carusson.
Ansehnlicher Muskel an der Seitenfliche des Halses, der
eréftenteils von dem M. episterno-cleido-mastoideus, im hinteren
ventralen ‘eile auch haufig von dem dorsalen, von Scapula, Supra-
scapulare und acromialen Ende der Clavicula kommenden Saume
des M. episterno-cleiduv-hyoideus resp. episterno - cleido - omo-
hyoideus bedeckt wird.
Er beginnt sehnig muskulés oder vorwiegend sehnig bei der
Mehrzahl der untersuchten Tiere vom Seitenteil des 1. Wirbels,
wozu bei einigen (Gecko, Uroplates, Ameiva) noch ein kleiner von
dem Proc. transversus des 2. Wirbels entspringender Zipfel kommt’),
und gebt in einen Muskelbauch iiber, der immer breiter werdend
und von einigen Cervikalnerven bald in seinem mittleren, bald in
seinem ventralen Bereiche durchbohrt, nach hinten verlauft und in
erokem Wechsel an der Aufenfliche der Suprascapulare (vor oder
iiber dem M. cucullaris), an dem Vorderrand und vorderen Innen-
saum der Scapula, von da aus mitunter recht weit auf die Innen-
flache iibergreifend (namentlich bei Phrynosoma)’, am Acromion
und hiiufig am dorsalen Ende der Clavicula (wenig bei Gecko,
Lacerta, Ameiva, Zonurus, mehr bei Uroplates, Lygosoma) inseriert.
Der Muskel zeigt mit Riicksicht auf seine Kontinuitaét einen
1) Die von verschiedenen Autoren gemachten Angaben iiber
einen Ursprung vom Occipitale (vergl. Schultermuskeln, 1875, die
p. 702, Anm. 1 gegebene Litteratur-Zusammenstellung, wozu noch
Ortanpt 1894 hinzukommt) erscheinen bis auf weiteres, bis nicht
sicherer beglaubigte Untersuchungen vorliegen, zweifelhaft. Auch
die Mitteilungen tiber Urspriinge von den auf den 2. folgenden
Halswirbeln (vergl. pe Vis, Ortanpr) beruhen wohl in der Haupt-
sache darauf, daf man Teile des M. levator scapulae profundus dem
vorliegenden Muskel zurechnete. (Doch vergleiche die Text-
beschreibung, Varanus betreffend.)
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 403
grofen Wechsel: er ist ganz oder fast einheitlich bei Gecko, Uro-
plates, Ameiva, Phrynosoma, wenig gespalten bei Zonosaurus,
Zonurus und Uromastix, fast ganz in einen dorsalen und ventralen
Teil (Levator scapulae superficialis superior und
inferior) zerfallen bei Lygosoma und anderen Scincidae, sowie
Lacerta, vielleicht auch bei Chlamydosaurus (DE Vis). Bei _ selb-
standiger Ausbildung der beiden Teile endet der etwas breitere und
oberflichlichere Levator scapulae spf. superior an der Aufen-
flache des Suprascapulare, an demselben namentlich bei Scincidae
oft recht weit nach hinten greifend, der etwas schmalere und
tiefere Levator scapulae spf. inferior an der Scapula und Clavicula;
die Nn. cervicales treten zwischen beiden oder durch den letzteren
hindurch. Aus diesen Mitteilungen ist ersichtlich, da dem Muskel
eine héhere systematische Bedeutung nicht zukommt.
Ganz abweichend von allen anderen Lacertiliern — und auch
von Sphenodon — verhalt sich der Levator scapulae supertficialis
von Varanus. Hier entspringt der schlanke und lange Muskel
von den Proc. transversi resp. Rippen der 6 ersten Halswirbel,
wobei die von dem 1., 2., 3. und einem Teile des 4. kommende
schwachere vordere Partie an dem Vorderrande des Suprascapulare
(Levator scapulae superficialis superior), der vom 4., 5. und
6. Wirbel kommende kraftigere Teil an dem Vorderrande des
dorsalen Teiles der Scapula endet (Levator sc. spf. inferior).
Angesichts dieses sehr eigentiimlichen Befundes und der ginzlich
davon differierenden Beschreibung von Atix*) sind weitere Unter-
suchungen an Varaniden sehr erwiinscht.
3. Serratus superficialis (Thoraci-scapularis superficialis).
Thoraci-scapularis superficialis (Serratus super-
ficialis): Firprincer.
Grand dentelé, No. 1: Aux.
Wohl 1. Portion des Serratus: bE VIs.
Serratus superficialis: Saurexipr (No. 24).
1) Aurx, der auch den M. omo- resp. cleido-hyoideus seinem
Angulaire einfiigt, unterscheidet ein kleines, von der Rippe des
6. Wirbels entspringendes Biindel und einen enormen Omo-basilaire,
der von der Basis des Occipitale komme. Ich fand bei dem yon
mir untersuchten Exemplare nichts dergleichen.
404 Max Firbringer,
sreiter und ansehnlicher, an der Seitenflache des Rumpfes
hinter der Scapula s. lat. gelegener Muskel, der grofenteils von dem
M. latissimus dorsi gedeckt wird. Er entspringt bald (seltener)
mit deutlicher gesonderten, bald (haiufiger) mit mehr zusammen-
fliekenden Zacken meist von 2, minder oft von 3 (Phrynosoma,
Varanus) oder 4 (Uroplates) Rippen in der hinteren Hals- oder
vorderen Brustregion!) und geht in descendenter Richtung (von
hinten und unten nach vorn und oben) an den hinteren Rand des
Suprascapulare (in der ganzen Ausdehnung desselben) und meist
auch des dorsalen Endes der knéchernen Scapula; gewohnlich
ereift er hierbei auch etwas auf den Aufensaum, mehr noch auf
den Innensaum tiber. Die Insertion an der Scapula s. str. fehlt
oder ist minimal bei Ameiva, Zonurus, Varanus, relativ recht an-
sehnlich (dorsale ?/, derselben) bei Uroplates, wahrend sich die
anderen untersuchten Lacertilier, wie erwaihnt, auf eine sehr mafkige
Ausdehnung am dorsalen Ende der Scapula beschranken; bei Zon-
urus bleibt das dorsale Ende des Suprascapulare frei.
Bei der Mehrzahl der kionokranen Lacertilier hat der Muskel
gewisse Beziehungen zur Sonderung der M. subscapularis in eine
innere und aufere Partie (s. unten bei dem M. subscapularis).
In der Regel zeigt sich der M. serratus superficialis deutlich
von dem M. serratus profundus getrennt; bei Uroplates ist, infolge
der Existenz einer Uebergangspartie, diese Scheidung minder aus-
gepragt.
ee
1) Unter Zufiigung friiherer Befunde ergiebt sich ein Ursprung
von den beiden letzten Halsrippen (7, 8) bei Tarentola, Lacerta,
Ameiva, Tupinambis, Zonurus, Iguana, Phrynosoma individuell, Lio-
lepis, — von der letzten Hals- und 1. Brustrippe (8, 9) bei Gecko,
den untersuchten Scincidae, Zonosaurus, Ophiodes, Pygopus, Uro-
mastix, — von den 2 ersten Brustrippen (9, 10) bei Heloderma
(SuureLpT), — von den 3 letzten Halsrippen (6, 7, 8) bei Phrynosoma
ind., von den 2 letzten Hals- und der 1. Brustrippe (7, 8, 9) bei
Chlamydosaurus (pz Vis), — von den 2 letzten Hals- und der 1. Brust-
rippe resp. von der letzten Hals- und den 2 ersten Brustrippen
(8, 9, 1 oder 9, 1, 2) bei Varanus ind., — von den 3 ersten Brust-
rippen (1, 2, 3) bei Varanus (Aurx), — von den 2 letzten Hals-
und 2 ersten Brustrippen (7, 8, 9, 10) bei Uroplates. Die grofe
Verschiedenheit von Uroplates und den untersuchten Geckonidae ist
in die Augen fallend. — In der Hauptsache sind aber diese Vari-
ierungen weniger ein Zeichen generischer Differenzen, als der Aus-
druck der sich deutlich an diesem Muskel ausdriickenden meta-
merischen Verschiebungen der vorderen Extremitit.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 405
4. Levator scapulae et Serratus profundus (Collo-thoraci-scapularis
profundus).
Collo-thoraci-scapularis profundus (Levator sca-
pulae et Serratus profundus), a) oberflachliche Schicht,
b) tiefe Schicht: Firprineer.
Grand dentelé, No. 2: Anrx (vielleicht auch einen Teil des
Angulaire No. 1 enthaltend).
Wohl 2., 3. und 4. Portion des Serratus: bE Vis.
Serratus profundus und Serratus III.: Ssure.pr
(No. 25 und 26).
Samtliche untersuchte Tiere, mit Ausnahme von Varanus,
lassen die typischen 1875 beschriebenen Verhaltnisse erkennen.
a) Die kleinere oberflachliche Schicht kennzeichnet
sich durch ziemlich schmale und voneinander getrennte Zacken
odcr Biindel, descendenten resp. descendent-longitudinalen Verlauf
derselben und eine in der Regel am vorderen Teile der Innenflache
des Suprascapulare stattfindende Insertion; nur bei Uroplates fand
sich ein Ansatz des hinteren schwacheren, gewissermafen eine
tiefere Lage des Serratus superficialis resp. eine Uebergangspartie
zwischen diesem und dem Serratus profundus bildenden, Biindels
an dem hinteren Innensaum des dorsalen Teiles der knéchernen
Scapula s. str. Der Ursprung dieser Schicht beginnt in der
Regel in grokem Wechsel von 2, seltener 3 Halsrippen ').
b) Die meist ansehnlichere tiefe Schicht bildet eine mehr
zusammenhangende Lage von vorwiegend transversalem (vorn
transversal-ascendentem) Verlaufe und inseriert ausgedehnt am dor-
salen Bereiche der Innenflache des Suprascapulare. Sie entspringt
dorsal von der oberflichlichen Schicht in sehr wechselnder Weise
von den (freien oder verbundenen) Rippen von 2—5 Halswirbeln ?),
1) Von 5 und 6 bei Tarentola, Lacerta, Ameiva, Zonurus, —
6 und 7 bei Gecko, Trachysaurus, Uromastix, — 7 und 8 bei
Iguana (Mrvarr), — 8 und 1 bei Heloderma (SuureLpr), — 4, 5, 6
bei Tupinambis, Phrynosoma, — 5, 6, 7 bei Uroplates. — Ebenso-
wenig wie bei der tiefen Schicht kommt diesen Zahlen eine tiefere
systematische Bedeutung zu; ihr Wechsel ist der Ausdruck der
Variabilitat der metamerischen Verschiebungen und Umbildungen
(vergl. auch die vorhergehende Anmerkung).
2) Von 5 und 6 bei Phrynosoma, Liolepis, — von 6 und 7%
bei Iguana (Mivart), — von 4, 5, 6 bei Tarentola, Zonosaurus,
Lacerta ind., Ameiva, Tupinambis, — von 5, 6, 7 bei Gongylus,
Trachysaurus, Heloderma (SuureLpt), Uromastix, — von 4, 5, 6, 7
bei Gecko, Lacerta ind. — von 3, 4, 5, 6, 7 bei Uroplates.
406 Max Firbringer,
wobei die Randzacken schwiacher sind als die in der Mitte des
Muskels befindlichen.
Ganz einseitig ist der Muskel bei Varanus gebildet, indem
hier eine oberflachliche Lage nicht nachweisbar ist, die tiefe aber
eine besondere Differenzierung darbietet. Er entspringt von
dem 3. bis 8. Halswirbel resp. deren Rippen mit 6 Zacken, von
denen die beiden vordersten unbedeutend sind, die beiden mitt-
leren zu einem sehr kraftigen Muskelbauche zusammenfliefen und
die beiden hintersten durch besondere Breite sich kennzeichnen.
Der von dem 3. bis 6. Wirbel resp. Rippe kommende Teil liegt vor
der Scapula und wird zum Teil durch den M. levator scapulae
superficialis bedeckt; er verliuft in ascendenter resp. ascendent-
longitudinaler Richtung und geht in eine mittelstarke Aponeurose
iiber, welche an die AufSenfliche des Suprascapulare gelangt und
hier dorsal von dem vorderen Teile des M. dorsalis scapulae in-
seriert. Der von der 7. und 8. Halsrippe entspringende Teil wird
von Scapula und Suprascapulare bedeckt und geht in transver-
salem Verlaufe an den breiten Dorsalsaum* der Innenflache der
Scapula. Wahrend somit der hintere Teil des Muskels den nor-
malen Bildungen der kionokranen Lacertilier eutspricht, hat der
vordere durch Vermittelung einer offenbar von ihm neu (sekundar)
gebildeten Aponcurose (eroberten Fascie) eine von dem Verhalten
aller anderen Kionokranier (und auch Sphenodon) abweichende
Insertion an der AuSenflache (statt an der Innenfliche) des Supra-
scapulare gewonnen, die ihn auf den ersten Blick leicht als einen
Teil des M. levator scapulae superficialis (superior) ansprechen
lassen kiénnte, wenn eine solche Deutung nicht durch die genauere
Untersuchung verboten wiirde *).
5. Sterno-coracoideus internus superficialis und profundus °).
Sterno-scapulaire (welcher den Sterno-coracoidien profond
zu ersetzen scheint): ALrx.
1) Aurx thut dieser eigentiimlichen Verhaltnisse keine Er-
wahnung. Auch hier sind bei der Eigenartigkeit der Bildung
Untersuchungen an weiteren Varaniden geboten.
2) Sauvace beschreibt und bildet bei Ophisaurus apus (Pseudo-
pus pallasii) einen M. costo-claviculaire ab, der von den Randern
der 2., 3. und 4. Rippe komme, an der Innenflache des Sternum
und dem hinteren Rande des Episternum inseriere und ein ,, Analogon“
des Subclavius zu sein scheine. Einen solchen Muskel finde ich
weder bei Ophisaurus noch einem anderen Lacertilier. Vielleicht
handelt es sich um zum Teil unrichtig beschriebene Teile des M.
obliquus abdominis internus resp. der Mm. intercostales.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 407
Sterno-coracoideus internus superficialis und
Sterno-coracoideus internus profundus: Ftr-
BRINGER, SHUFELDT (No. 27 u. 28).
Sterno-costo-coracoidiens (faisceaux coracoidiens du petit
pectoral des Mammiferes): SABATIER.
Sterno-coracoid: DE VIS.
Sterno-coracoideus internus: Carusson.
An der Innenflaiche des Sternum und des Coracoides liegende
Muskeln, die bei den Geckonidae eine wenig getrennte Muskelmasse,
Sterno-coracoideus internus, bilden, bei Zonosaurus, Lacerta, Ameiva,
Varanus in die beiden Mm. sterno-coracoidei interni superficialis
und profundus gesondert sind, aber noch mannigfache Zusammen-
hange hier aufweisen, und endlich bei Zonurus und den unter-
suchten Iguanidae und Agamidae groéfere Selbstandigkeit zeigen.
Bei Uroplates ist der M. sternocoracoideus internus profundus
ganz zurtickgebildet, der M. stc. int. superficialis ziemlich gut ent-
wickelt.
I. Sterno-coracoideus internus (communis). Die
von mir 1875 fir Tarentola annularis (Platydactylus aegyptiacus)
gegebene Beschreibung gilt auch fiir Hemidactylus mabouia. Der
Muskel entspringt hier mehr oder minder einheitlich von der
Innenfliche des Sternum, namentlich auch des Labium internum
des Sulcus coracoideus desselben, sowie der sternalen Anfange
der mit dem Brustbein verbundenen Sternocostalien, und inseriert
vorwiegend muskulés an dem vorderen und medialen Bereiche
der Innenflache des Coracoides (Epicoracoid). Eine wenig ein-
greifende Scheidung in einen lateralen oberflichlicheren und einen
medialen tieferen Teil wird durch die sternale Insertion des M.
transversus abdominis und des sehr zarten Lig. sterno-scapulare
internum bedingt. Bei Gecko ist diese Sonderung weiter durch-
gefiihrt, wobei zugleich auch die tiefere Portion sich geweblich
durch eine in ihrem caudalen Bereiche schrage Insertion (recht
kurze Endsehne) gegentiber der muskulés inserierenden oberflach-
lichen Portion heraushebt. Damit ist der Uebergang zu zwei Mm.
sternocoracoidei interni gegeben.
Il. Sterno-coracoideus internus superficialis
und Sterno-coracoideus internus profundus. Zwei in
verschiedenen Graden der Sonderung begriffene Muskeln, die in
ihrer groferen hinteren Halfte durch die sternale Anheftung des
M. transversus abdominis und des hier besser ausgebildeten Lig.
sterno-scapulare internum gut geschieden sind, im Anfangsbereiche
Bd, XXXIV. N, F. XXVIL. 27
408 Max Firbringer,
des Sternum dagegen alle Grade von Zusammengehdorigkeit bis zu
vollkommener Trennung aufweisen; damit geht auch eine scharfere
Differenzierung der Insertion Hand in Hand, die bei dem M. ste.
int. superficialis vorwiegend oder rein muskulés, bei dem M. ste. int.
profundus gemischt oder vorwiegend resp. rein sehnig, bis zur
Ausbildung einer schlanken platten Sehne, stattfindet.
a) Sterno-coracoideus internus superficialis.
Der kleinere und kiirzere, aber breitere laterale Muskel, der in
wechselnder Ausdehnung von dem Labium internum des Sulcus
coracoideus sterni, bei einigen auch von dem sternalen Ende der
ersten Sternocostalien (bei Varanus sehr ausgedehnt vom 1., bei
Heloderma [nach SuuretpT] vom 1. und 2. Sternocostale), sowie
von dem ihn innen deckenden und vom M. sterno-coracoideus in-
ternus profundus scheidenden sternalen Anfange des Lig. sterno-
scapulare internum (Lygosoma, Phrynosoma, namentlich aber Va-
ranus) entspringt und mit longitudinalen resp. longitudinal-descen-
denten, in der Hauptsache parallelen Fasern an die Innenflache
des medialen Teiles des Coracoides (Epicoracoid) geht, wo er rein
oder vorwiegend muskulés medial neben dem Ursprunge des M. sub-
coracoideus und medial neben der Sehne des M. ste. int. profundus,
aber viel ausgebreiteter als sie, im Bereiche der gréferen (Lygo-
soma, Zonosaurus, Lacerta, Varanus) oder kleineren (Uroplates,
Phrynosoma) vorderen Halfte oder, vorwiegend hinter dieser Sehne,
am mittleren Drittel des Epicoracoides (Zonurus) inseriert. Dem-
entsprechend zeigt der Muskel auch bei den ersterwahnten Lacer-
tiliern, vor allen bei Varanus'), eine ansehnliche, bei Uroplates,
Zonurus und Phrynosoma eine mabige Entfaltung.
1) Hier bei Varanus kann man von einem miachtigen M. sterno-
coracoideus internus superficialis sprechen, der mit mehreren In-
sertionszipfeln (welche die Endsehne des M. ste. int. superficialis
umfassen, also zum Teil auch lateral von ihr inserieren) an der
Innenflaiche des Epicoracoides medial neben dem M. subcoracoideus
endet. Auch ist hier der Ursprung von dem Lig. sterno-scapulare
internum und namentlich dem 1. Sternocostale in grofer Ausdehnung
entwickelt. Die Bezichungen zu Sternocostale und Ligament mégen
Autx veranlaft haben, ihn als Sterno-scapulaire (,,Le sterno-cora-
coidien profond semble étre remplacé par un sterno-scapulaire qui va
de la premiére céte & la face profonde de l’omoplate, et qui est
rejoint par une expansion tendineuse de la longue portion du
triceps“) zu deuten. Die genaue Untersuchung lehrt, daf hier nicht
die dem Sternocosto-scapularis eigentiimliche Insertion an dem
Lig. sterno-scapulare internum (offenbar Axx’ Expansion tendi-
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 409
b) Sterno-coracoideus internus profundus. Der
gréBere, von der sternalen Innenflache resp. ihrem hinteren Ab-
schnitte und in wechselnder Zahl und Ausdehnung von den mit
dem Sternum artikulierenden Sternocostalien entspringende, mediale
Muskel*), der in seinem hinteren und mittleren Bereiche durch
den M. transversus abdominis und das Lig. sterno-scapulare in-
ternum von dem lateralen M. sterno-coracoideus internus super-
ficialis geschieden ist, weiter vorn aber bald mehr oder minder
mit ihm zusammenhaingt (Zonosaurus, Ameiva, mehr noch bei
Gecko, Lacerta und Varanus), bald mehr oder minder vollkommen
von ihm getrennt ist (Zonurus, Phrynosoma, Uromastix, Calotes).
Die Insertion geschieht in der Regel sehnig-muskulés resp. mit
kiirzerer Sehne (primitive Formen) oder schlankerer Sehne (hohere
Formen) lateral oder kraniolateral neben der Insertion des M. ste.
int. superficialis 2) vor der Mitte (meist im Bereiche des 2. Viertels,
bei Phrynosoma noch weiter vorn) der Innenfliche des Epicora-
coides. In der Regel ist der Muskel recht kraftig, bei Varanus
héchst ansehnlich entwickelt; bei Uroplates ist er ganzlich zuriick-
gebildet.
SABATIER (1880, p. 154—156) wirft mir, weil ich die beiden
Mm. sterno-coracoidei scharf von dem M. pectoralis abgetrennt hatte,
eine Konfusion vor, die er zerstéren miisse, und vergleicht sie
danach mit den Faisceaux coracoidiens des M. pectoralis minor
der Saugetiere, welche bei gewissen Vertretern derselben eine
besonders tiefe Lage des M. pectoralis minor bilden. SapaTrer’s
Ausfiihrungen haben mich in keiner Weise von der Unrichtigkeit
meiner Homologisierung tiberzeugt ; seine Argumentation vernach-
lassigt die sehr verschiedene Innervation der Sterno-coracoideus-
neuse), sondern vielmehr ein Ursprung von demselbe: vorliegt,
welcher dem Sterno-coracoideus internus superficialis zukommt.
Auch nach seiner sonstigen Lage kann kein Zweifel bestehen, daf
es sich um einen M. sterno-coracoideus internus sunerficialis und
nicht um einen M. sternocosto-scapularis handelt.
1) Meist ist der Ursprung von dem 1. Sterncostale ganz
minimal oder fehlt ganz; wenig ausgedehnt entspringt der Muskel
von dem 2. Sternocostale, ausgedehnter von den nichstfolgenden.
pE Vis beschreibt bei Chlamydosaurus einen Ursprung von allen
sternocostalen Articulationen.
2) Bei Gecko verticillatus auch von einem lateralen Insertions-
zipfel des M. stc. int. superficialis umfaft. Das Gleiche findet sich,
obschon minder entwickelt, bei Varanus.
27 *
410 Max Firbringer,
(Subclavius-) und der Pectoralis-Gruppe, beachtet nicht genug die
Lagebeziehungen und zieht Differenzierungen zum Beweise herbei,
welche sich erst innerhalb der Saugetierreihe ausgebildet haben.
Eine Ankniipfung an niedrigere Zustande als bei den Rep-
tilien ist schwierig und mit den jetzigen Materialien kaum zu
geben, weil bei den daraufhin untersuchten (und wohl allein noch
iibergebliebenen) Amphibien direkte Homologa dieser Muskeln
nicht existieren. Nach Faserrichtung und Lage kénnen sie nur
zu dem Rectus abdominis oder zu den Intercostales (externi und
interni) in homodyname Beziehungen gebracht resp. deren Systemen
zugerechnet werden. Beide Systeme stehen, wie Maurer (1896)
nachgewiesen hat, in engem genetischen Zusammenhange mitein-
ander, und MAurer (p. 196 und p. 200) faBt beide Mm. sterno-
coracoidei von Sphenodon, ohne sie zu benennen (der M. sterno-
coracoideus int. spf. wird mit x, der M. sterno-coracoideus int. prf.
mit z bezeichnet), als Teile des prasternalen Rectus-Systemes auf,
hierbei zugleich angebend, da’ z auch Fasern aus den ventralen
Intercostales (gleichwertig den Intercostales externi und interni)
aufnehme. Das ist in der Hauptsache auch meine Anschauung.
Ich rechne sie zum Rectus-System des Rumpfes, ohne hierbei zu
unterscheiden, ob und wie viel Material ihnen von den nahe ver-
wandten Intercostales ventrales beigemengt sei‘).
Bei Urodelen fehlt, zufolge der weitgehenden Reduktion in
dieser K6rpergegend, jede specieller darauf beziigliche Bildung ‘).
Bei den Anuren existieren geringfiigige Insertionen des M. rectus
abdominis am ventralen Schultergiirtel, die meist in Gestalt von
feinen Sehnenziigen an der hinteren medialen Ecke des Coracoides
sich anheften; zu diesen bestehen gewisse, aber sehr wenig kom-
plette Homologien ”).
1) Auch das mammale Diaphragma gehért zu diesem System
und ist dem M. sterno-coracoideus internus verwandt.
2) Die von mir friiher (Schultermuskeln, III, 1875, S. 710) an-
gebene Homologie ,im weitesten Sinne“ mit dem M. abdomini-
scapularis der Anuren méchte ich trotz ihrer schon damals sehr
vorsichtig gehaltenen Fassung nicht mehr festhalten; dieser Muskel
steht nicht zu den Mm. sterno-coracoidei interni, sondern zu dem
M. sternocosto-scapularis (p. 411 f.) in gewisser Relation. Der M.
pectori-scapularis internus der Urodelen (Schultermuskeln, I, 1873)
kommt auch nicht in Frage, sondern hat zum System der zum
Zungenbein gehenden Muskels (Omo-hyoideus) nahere Beziehungen.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 411
6. M. sternocosto-scapularis und Lig. sterno-scapulare internum.
a) M. sternocosto-scapularis:
Sternocosto-scapularis (Costo-coracoideus): Fir-
BRINGER.
Sternocosto-scapulaire (Faisceau scapulaire du petit pecto-
ral des Mammiferes): SaBATIER.
Costo-coracoid, Costo-coracoideo: pr Vis, ORLANDI.
Sternocosto-scapularis: Carusson, SHuretpt (No. 29).
b) Lig. sterno-scapulare internum:
Expansion tendineuse de la longue portion du
triceps: ALIx.
Lig. sterno-scapulare internum: FURBRINGER.
Sterno-coracoid ligament: pr Vis.
Ziemlich schmaler und miifig entwickelter Muskel, dessen
Existenz immer an die Ausbildung des Lig. sterno-scapulare in-
ternum gebunden ist und der hiufig fehlt. Er liegt viel dorsaler
als die Mm. sterno-coracoidei interni.
Er entspringt in gréferer (Lygosoma, Trachysaurus, Lacerta)
oder geringerer Ausdehnung (Zonosaurus, Ameiva, Zonurus, Lo-
phyrus, Uromastix) von dem Vorderrande des 1. Sternocostale ')
und geht in longitudinalem Verlaufe, ohne sich wesentlich zu
verschmiilern, nach vorn an das Lig. sterno-scapulare internum,
um sich breiter oder schmaler, im Bereiche von dessen mittlerem
Drittel, an dasselbe in schrigem Winkel in der Richtung nach der
Scapula zu anzuheften (vergl. Fig. 143 u. 144, stesci). Dement-
sprechend wirkt sein Zug vorwiegend auf die scapulare Strecke
dieses Bandes, das damit die Stelle einer an der Scapula endenden
Insertionssehne dieses Muskels tibernimmt’). Bei Lygosoma,
Trachysaurus und Lacerta ist der Muskel relativ am besten, bei
Ameiva, Zonurus, Lophyrus und Uromastix miakig, bei Zonosaurus
recht schwach entwickelt; bei Hemidactylus, Tarentola, Gecko,
Uroplates, Phrynosoma, Varanus*) fehlt er ganz.
1) Bei Macroscincus nach OrLanpr von den 3 ersten Sterno-
costalien, was noch nachzuuntersuchen ist.
2) Saurenpt und Ornanpr lassen daher auch den Muskel an
der Scapula direkt inserieren.
3) Nach Aurx bei Varanus (Monitor) gut entwickelt, den M.
sterno-coracoideus profundus ersetzend und von dem 1. Sternocostale
nach der Scapula erstreckt. Ich glaube, daf hier eine Verwechslung
mit dem M. sterno-coracoideus internus superficialis vorliegt (vergl.
Anm. 1 auf p. 408).
412 Max Firbringer,
Das Lig. sterno-scapulare internum (Fig. 143—146,
L.stsci) bildet eine sehnige Briicke, die an der Innenfliche des
Brustschulterapparates von der Mitte des Labium internum des
Sulcus coracoideus sterni (vor der sternalen Insertion des M. trans-
versus abdominis) (sé) nach dem ventralen vor dem Acetabulum
befindlichen Teile der Scapula (sc¢;), an der Grenze gegen das Cora-
coid (in der Regel zwischen dem Caput scapulare und dem Caput
coracoideum des M. subcoracoscapularis) ausgespannt ist!) und
hierbei die Mm. sterno-coracoideus internus superficialis und sub-
coracoideus (Caput coracoideum m. subcoracoscapularis) innen
iiberbriickt. Die sternale Strecke dieses Bandes ist stets diinner,
breiter und mehr nach Art einer zarten Aponeurose gebildet als
die kraftiger, schmaler und mehr wie ein schlankes Ligament ge-
staltete. Seine Starke hingt meistens zu einem guten Teile von
dem Grade der Entfaltung des M. sternocosto-scapularis ab: wo
dieser Muskel einen kraftigeren Zug auf das Ligament ausiibt,
ist es namentlich in seiner scapularen, der Hauptwirkung der-
selben ausgesetzten Strecke kraftig ausgebildet, und umgekehrt;
doch kann es auch bei schwacher Ausbildung des Muskels un-
verhaltnismavig stark sein (Zonurus). Auch bei ginzlichem Mangel
des M. sternocosto-scapularis existiert das Lig. sterno-scapulare
internum, meistens schwach (untersuchte Geckonidae, Uroplates),
doch auch in ganz guter Ausbildung (Phrynosoma, Fig. 146, Va-
ranus, Fig. 145), weil die Reduktion aus Stiitzgewebe geformter
Gebilde einem trageren Entwickelungsgange unterliegt als die-
jenige von Muskeln, und weil bier noch von anderen Instanzen
(Verbindungen mit Sterno-coracoideus internus superficialis und
Anconaeus coracoideus) die Inanspruchnahme und Erhaltung dieses
Bandes abhangt.
Die geringste Entfaltung zeigt das Lig. sterno-scapulare in-
ternum bei Uroplates und den Geckonidae: hier bildet es einen
zarten Zug, der in schleierartiger Diinnheit, und teilweise selbst
nicht leicht erkennbar von dem Sternum (sé) (Labium internum
der Sulcus coracoideus) ausgeht und sich in seinem weiteren Ver-
laufe zu einer diinnen, schmalen und schlanken Sehne konzentriert,
(lie zwischen den Anfaingen der Mm. subscapularis und subcoraco-
ideus (Hemidactylus, Gecko) oder vor denselben (Uroplates) an
1) Nach Aurx bei Monitor an der Innenfliche ,du scapulum
sur son union avee le sus-scapulaire“ angeheftet; ich kann dies
nicht bestatigen.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 413
dem coracoidalen Ende der Scapula sich anheftet (sc'). Kraf-
tiger, aber noch einfach, lediglich mit sternaler und scapularer
Insertion, ist das Band bei Lygosoma gebildet. Weiterhin kommt
dazu eine coracoidale Ankerung (cv), welche die Mitte des
Bandes mit der hinteren Ecke des Coracoides verbindet (err) und meist
auch mit der Ursprungssehne des Anconaeus coracoideus (ac)
vereinigt ist (sehr wenig bei Zonurus, besser bei Mabuia cari-
nata, Zonosaurus, Lacerta, Ameiva, Iguana, Uromastix, Varanus,
in hohem Grade bei Phrynosoma), ihr partiell als Ausgangspunkt
dienend.* Ueber die sehr wechselnden Verhaltnisse orientieren die
beigegebenen Abbildungen (Fig. 143— 146) besser als weitliufige
Beschreibungen ; stets ist hierbei die scapulare Strecke des Bandes
die kraftigste. Endlich kann die coracoidale Ankerung auch dem
M. coraco-brachialis longus teilweisen Ursprung gewihren
(Phrynosoma, Varanus).
SABATIER (p. 154—156) vergleicht den M. sternocosto-scapu-
laris, unter den entsprechenden Argumenten wie bei den vorher-
gehenden Muskeln, mit den Faisceaux scapulaires des Pectoralis
minor der Mammalia. Daf ich ihm nicht zustimmen kann, ergiebt
sich aus meinen Bemerkungen sub Sterno-coracoidei p. (409, 410).
Ueber seine Homologisierung mit Gebilden der Saugetiere — soweit
tiberhaupt Elemente des Sternocosto-scapularis sich noch bei den
Saugern finden, kann nur an die Subclaviusgruppe derselben gedacht
werden -— werde ich mich specieller bei diesen iufern.
Auch hier ist die Genese und Ableitung des M. sternocosto-
scapularis und des Lig. sterno-scapulare internum, mangels aus-
reichender Zwischenformen zwischen und bei Amphibien und Rep-
tilien, nicht direkt zu demonstrieren.
Der M. sternocosto-scapularis diirfte, wie Maurer
bei Sphenodon (der betreffende Muskel ist hier ebenfalls nicht
benannt, sondern mit z’ bezeichnet) dargethan hat und wie auf den
ersten Blick einleuchtet, eine vordere Fortzetzung der Mm. inter-
costales ventrales (externi, interni) darstellen. Bei den iiber-
lebenden Urodelen fehlt aber jede ahnliche Bildung. Bei den
Anuren existiert allerdings ein Muskel (M. abdomini-scapularis
FURBRINGER, vergl. Schultermuskeln, I, 1873, p. 303, Pars ab-
dominalis s. omo-abdominalis s. scapularis des M. obliquus externus
der Autoren), der in der Faserrichtung und in der Anheftung an
der Scapula (hinteres ventrales Ende des Suprascapulare) eine
gewisse Aehnlichkeit mit dem Sternocosto-scapularis hat, aber
durch seine Zugehérigkeit zu dem M. obliquus externus und durch
414 Max Firbringer,
seine speciellere Anordnung sich weiter von ibm entfernt; sehr
inkomplette Beziehungen allgemeinster Art diirfen jedoch zwischen
beiden Muskeln angenommen werden, da aueh der Obliquus_ ex-
ternus ultima ratione von primitiven Intercostales ableitbar ist.
Etwas dem Lig. sterno-scapulare internum Ver-
eleichbares fehlt allen daraufhin untersuchten Amphibien. Es
kann jedoch zum vorderen sehnigen Rande der inneren Bauch-
muskeln der Lacertilier (Transversus und Obliquus internus) in
Beziehung gebracht werden. Dieser Rand lauft im ventralen
Bereiche parallel zu dem Bande und inseriert direkt nebén seiner
sternalen Anheftung, derselben innen aufliegend. Man kann so-
nach an eine sekundare, erst bei den Reptilien erfolgte Ausbrei-
tung von der auBeren Flache dieses Randes nach der Innenflaéche
des Schultergiirtels unter Heranziichtung des hier befindlichen
Bindegewebes zu einer festen Sehnenbriicke durch den EinfluS des
M. sternocosto-scapularis oder auch an partiell umgebildete und
— ebenfalls unter dem Einflusse dieses Muskels!) — noch in
Resten erhaltene primordiale Bildungen denken, welche aber wegen
der in jener Gegend bei den Amphibien viel weiter als bei den
Reptilien vor sich gegangenen Verkiimmerungen noch weniger er-
halten geblieben sind als bei den primitiven Reptilien, denen die
kionokranen Lacertilier ziemlich nahe stehen. Eine Begriindung
und Entscheidung zwischen beiden Annahmen ist indessen zur Zeit
nicht zu geben; es handelt sich zunachst um nicht mehr als um
aufgeworfene Fragen.
7. Pectoralis.
Pectoralis, Pectorale: Firprincer, Carisson, SHUFELDT
(No. 19), Ortanpi, Maurer.
Grand pectoral, Pectoralis major: Attx, DE VIs.
Grand pectoral (Grand pectoral et faisceaux huméraux du
petit pectoral des Mammiféres): SaBaTrer.
Breiter und ansehnlicher Muskel an der Ventralfliiche der
Brust und des Bauches, der hinten von dem M. obliquus abdominis
externus superficialis und M. rectus abdominis lateralis *) tiberdeckt
1) Warum das Band auch nach dem Schwunde dieses Muskels
wie so viele Gebilde aus Stiitzgewebe erhalten geblieben ist, wurde
schon oben (p. 412) besprochen.
2) Dieser den M. pectoralis lateral iiberlagernde vordere End-
teil des M. rectus lateralis wurde von mir 1875 als Supra-
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 415
ist, vorn gréftenteils frei unter der Haut liegt, soweit nicht bei
einigen Lacertiliern (gewisse Scincidae, namentlich aber Varanus)
der hintere Teil des M. episterno-cleido-mastoideus ihm auflagert.
Andererseits deckt er den M. obliquus abdominis externus pro-
fundus, die Anfiinge der Mm. coracobrachiales, biceps brachii und
supracoracoideus, den hinteren Saum des M. deltoides clavicularis
und bei den meisten Lacertiliern den hinteren Teil des M. epi-
sterno-cleido-mastoideus und die Membrana sterno-episternalis (cf.
p. 400). In der Regel ist sein mittlerer Teil am stirksten; von
da aus schwiacht sich der Muskel nach vorn und nach hinten ab.
Der M. pectoralis entspringt vom Episternum, Sternum nebst
Sternocostalien und lést sich hinten von dem M. rectus abdominis
medialis ab, wobei zugleich geringere Zusammenhainge mit den
anderen angrenzenden Bauchmuskeln existieren. Wie schon 1875
von mir angegeben, ist der hintere Ursprung der alte, urspriing-
liche, bei den Amphibien den Schwerpunkt des Muskels aus-
machende, der vordere, namentlich der vom Episternum, der neu
erworbene; letzterer befindet sich bei den Lacertiliern noch in
der Ausbreitung nach vorn begriffen. Der episternale Ursprung
beschrankt sich bei Hemidactylus, Gecko, Lygosoma, Ameiva auf
den hinteren Langsschenkel des Episternum, bei Lacerta, Zonurus,
Calotes, Uromastix, Varanus greift er in verschieden grofer Aus-
dehnung auf den Querschenkel tiber; infolge von sekundarer Re-
duktion des Episternum kann der von diesem beginnende Ursprung
recht zuriicktreten (Phrynosoma) oder ganz ausscheiden (Uroplates).
Bei Heloderma (SHuFELDT), Liolepis (SANDERS) und Chlamydo-
saurus (DE Vis) wird auch ein clavicularer Ursprung an-
gegeben '); die von mir untersuchten Lacertilier zeigten ihn nicht.
Der sternale und sternocostale Ursprung ist der am
meisten ausgebreitete und geschieht in der ganzen Linge des
Sternum, vorn mehr im medialen Bereiche desselben, hinten in
pectoralis bezeichnet. Ich lasse diesen Namen jetzt fallen und
folee der Nomenclatur von Maurer (1896), der die Beziehungen
des M. pectoralis zur Bauchmuskulatur bei Lacerta und Tiliqua
genau und eingehend beschreibt.
1) Ich kann diese Angaben weder bestitigen noch beanstanden,
da mir die angefiihrten héheren Lacertilier nicht zur Untersuchung
vorlagen. Die entsprechenden Mitteilungen Rtpineur’s von einem
clavicularen Ursprunge bei Scincidae und Lacertidae halte ich teils,
soweit ich nachuntersuchte, fiir irrig, teils fiir recht unwahr-
scheinlich.
416 Max Firbringer,
seiner gréferen bis ganzen Breite und erstreckt sich von da auf
die mit dem Sternum verbundenen Sternocostalien mit Ausnahme
des ersten, das an diesem Ursprunge nicht participiert. Meist
beschrinkt sich der Ursprung vom 2. Sternocostale auf dessen
sternales Ende, greift bei dem 3. weiter und erreicht in der
Regel, aber nicht ausnahmslos, am 4. die griéf%te Ausdehnung ‘),
wihrend die folgenden 2 bis 3 Sternocostalien nur bei einzelnen
Lacertiliern (Uroplates, Zonurus) in ausgedehnterem Mafe daran
participieren. Der hintere Teil des Pectoralis steht bei den nie-
deren und mittelhoch stehenden Formen in direktem Zusammen-
hange mit dem Rectus abdominis medialis, wihrend bei den héheren
Familien und den Gattungen mit median verbundenen Sterno-
costalien gewisse Modifikationen dieser Beziehung existieren.
Die Insertion des Muskels geschieht kraftig fleischig-sehnig
an der Beugeflache des Proc. lateralis humeri, wozu nicht selten
eine schwache Ankerung an der Ventralfliche des Tuberculum
mediale humeri kommt; letztere ist bei Uroplates recht kraftig
entwickelt und bildet zusammen mit der Hauptinsertion des Muskels
eine feste Scheide um die Ursprungssehne des M. biceps. brachii.
Meist reprasentiert der Muskel eine einheitliche Ausbreitung ;
veringere Unterbrechungen des Zusammenhanges werden aber nicht
selten beobachtet. Den 1875 angegebenen Fallen kann ich noch
Varanus anreihen, wo die vom vorderen Teil des Kpisternum
entspringende Partie des Muskels eine gewisse Selbstindigkeit
gewinnt und mit separater tiefer Endsehne dicht neben dem
supracoracoideus und mit ihm verbunden an dem proximalen Teil
des Proc. lateralis inseriert.
Bei Lygosoma fand ich eine von dem Insertionsteil des
M. pectoralis ausgehende Aberration an die Haut der Beugeflache
des proximalen Oberarmbereiches in Gestalt eines diinnen sehnigen
Zipfels.
SABATIER (p. 156) erblickt in dem Pectoralis der Lacertilier
ein Homologon des Grand pectoral und der Faisceaux humeraux
du petit pectoral der Saiugetiere; das stimmt mit meiner 1875
dar rgelegien Vergleichung tiberein.
1) Die Verhiltnisse sind sehr wechselnde. Bei Phrynosoma
bildet das 3. (von seinem iibrigen Rippenteile abgeléste und einen
langen hinteren Seitenfortsatz ‘des Sternum bildende) Sternocostale
den Schwerpunkt, bei den meisten Lacertiliern das 4., bei Zonurus
(wo die 4 ersten Sternocostalien gar nicht am Ursprunge des
Pectoralis participieren) das 5. und 6. Sternocostale.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 417
8. Supracoracoideus ').
Supracoracoideus: FURBRINGER.
EK picoraco-huméral, Epicoraco-humeralis: ALix, DE
VIS.
Chef (faisseau) coraco-huméral et précoraco-humé-
ral de l’obturateur externe thoracique: SaspaTInr.
Supraspinatus: Sxaurenpt (No. 21).
Kraftiger Muskel an der vorderen Ventralfliche der Brust-
schultergegend, der von den Mm. deltoides clavicularis und pecto-
ralis gedeckt, dorso-lateral von dem M. scapulo-humeralis anterior
und hinten (caudal) von den Mm. biceps brachii und coraco-
brachialis brevis begrenzt wird; hierbei kommt es auch zu
Deckungen oder Verwachsungen, welche bei den einzelnen Lacer-
tiliern verschiedene Verhiltnisse zeigen.
Er entspringt von der Aufenfliche des vorderen Teiles des
Coracoides im Bereiche des Hauptfensters (No. 1) und seiner Um-
rahmung (Procoracoid, vorderes Epicoracoid und vorderer Saum
des Coracoid s. str.)?) resp. von der diesem Fenster entsprechen-
den soliden Stelle (Heloderma) und kann bei breiter Entwickelung
auch lateral auf den medialen Bereich des coraco-scapularen
Fensters (No. 3) tibergreifen (Geckonidae, Phrynosoma); bei Uro-
plates, dessen Coracoid in sagittaler Richtung betréchtlich ver-
kiirzt und nur von einem kleinen Fenster (Hauptfenster +- Foramen
supracoracoideum) durchbrochen ist, reicht er dorsolateral bis zur
scapularen Grenze des Coracoides und schlagt sich vorn um den
Vorderrand des Coracoides bis auf den schmalen Vordersaum der
Innenfliche desselben um. Mit stark konvergierenden Fasern ver-
liuft der Muskel nach dem Humerus, um an dem _ proximalen
Teil des Proc. lateralis, proximal von dem M. pectoralis, ventral
resp. ventro-proximal von den Mm. dorsalis scapulae und deltoides
clavicularis mit kraftiger, sehnig-muskuléser Insertion zu enden;
1) Der von Oxtanp1 bei Macroscinius unter dem Namen Supra-
coracoideo beschriebene Muskel gehért nicht hierher, sondern ent-
spricht wohl dem M. dorsalis scapulae (s. bei diesem p. 427).
2) Bei Gecko und Lygosoma, deren M. coraco-brachialis brevis
sehr kraftig (kraftiger als der M. supracoracoideus) entwickelt ist,
nimmt dessen vorderer Abschnitt den hinteren Teil der gewoéhnlich
von dem M. supracoracoideus eingenommenen Strecke ein (ins-
besondere das Epicoracoid und selbst bei Lygosoma den kleineren
disto-medialen Bereich des Hauptfensters). — Aurx giebt bei
Monitor nur das Epicoraceid als Ursprungsstelle an, was irrig ist.
418 Max Firbringer,
bei einzelnen Lacertiliern (Gecko, Ameiva) finden sich schwache
Zusammenhange mit einem Teil des Lig. scapulo-humerale laterale.
Wechselnd sind die Beziehungen zu den Nachbarmuskeln.
Von dem M. scapulo-humeralis anterior ist der M. supra-
coracoideus meist gut abzutrennen; nicht selten finden sich aber
innige Verwachsungen durch Vermittelung einer kraftigen inter-
mediaéren Fascie (untersuchte Geckonidae, Uroplates, Lygosoma,
Phrynosoma), wobei der M. scapulo-humeralis anterior die Tendenz
zeigt, tiber den M. supracoracoideus hertiberzugreifen und seinen
dorsalen Saum zu decken.
Die Mm. coraco-brachialis brevis und biceps brachii werden
in der Regel in ihrem vorderem Bereiche von dem hinteren Saum
des M. supracoracoideus gedeckt, wobei haufig in der Tiefe in-
timere Beziehungen zwischen Supracoracoideus und _ Coraco-
brachialis brevis existieren. Bei den untersuchten Geckonidae
und Scincidae, aber auch bei Varanus ist die Verbindung beider
so innig, daf nur unter Beriicksichtigung der Innervation (diazo-
naler N. supracoracoideus und postzonaler N. coraco-brachialis)
die Scheidung beider Muskeln gelingt; zugleich wurde bei Varanus
ein vicariierendes Uebergreifen des M. supracoracoideus beobachtet,
indem die von dem muskulésen Ursprungskopfe des M. biceps
brachii bedeckte Muskelmasse — bei allen anderen untersuchten
Lacertiliern dem M. coraco-brachialis brevis angehérig — _ hier
von dem N. supracoracoideus versorgt, wurde, somit dem M. supra-
coracoideus zuzurechnen ist. Dieser Zusammenhang des Supra-
coracoideus und Coraco-brachialis ist bei den Geckonidae und
Scincidae als ein primitiver zu beurteilen; das Vicariieren bei
Varanus stellt eine Besonderheit dieser Lacertilier dar, die wahr-
scheinlich von einem primitiven Verbande beider Muskeln ausging
und am Ende der mit Gecko und Lygosoma (mit den Supracora-
coideus iiberwiegender Ausbildung des Coraco-brachialis, s. Anm. 2
auf p. 417) beginnenden Reihe steht.
Kine partielle Scheidung des M. supracoracoideus, die aber
noch nicht zur Ausbildung von gesonderten Képfen gegangen ist,
wird von SHUFELDT bei Heloderma angegeben. — Ein deutlicher
Zerfall des Muskels in eine breitere ventrale und eine schmialere
dorso-laterale Abteilung (Supracoracoideus inferior und superior)
wurde bei Uroplates beobachtet; letzterer geht bis zur scapularen
Grenze des Coracoid. Die Insertion beider Abteilungen ist ein-
heitlich. In diesem Verhalten sind Anklinge an die weiter aus-
gebildete Sonderung bei den Chamaeleontidae gegeben.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 419
SABATIER (p. 192—194) findet eine Innervation des M. supra-
coracoideus durch die Nervi supracoracoideus und scapulo-hume-
ralis profundus und faft diesen Muskel als Chef (faisceau) coraco-
huméral et précoraco-huméral des M. obturateur externe thoracique
auf, wobei er ihn zu dem gleichnamigen Obturator externus des
Beckens in seriale Homologie bringt. Der von mir namentlich auf
Grund der Versorgung durch ahnlich laufende (prozonale resp.
diazonale) Nerven angenommenen Verwandtschaft mit dem M.
supraspinatus der Saéugetiere ist er geneigt zuzustimmen, aber
weniger wegen der Innervation (welcher er nicht die gleiche Be-
deutung fiir die Bestimmung der Muskelhomologien zuerkennt wie
ich), sondern wegen der gemeinsamen tieferen Lage beider Muskeln.
SHUFELDT homologisiert ihn gleich SANDERS mit dem Supra-
spinatus. — Ich kann nur festhalten, was ich friiher (1873, p. 270
und 1875, p. 717, 718) iiber die Deutung dieses Muskels aus-
gefiihrt habe: Der Muskel ist kein direktes Homologon des M.
supraspinatus, der erst innerhalb der Saugetiere zur Ausbildung
velangt, sondern nur ein ventral liegender Verwandter desselben,
der bei den Monotremen noch als kraftig entwickelter Muskel
neben dem M. supraspinatus existiert, bei den anderen Mammalia
aber Hand in Hand mit der Riickbildung des Coracoides reduziert
wurde. Die von SABATIER angegebene partielle Innervation durch
einen prozonalen Nerven (N. scapulo-humeralis profundus) habe
ich bei Lacertiliern nicht gefunden; die in dieser Weise inner-
vierten Teile wiirden zu dem M. teres minor der Saugetiere in
eine ganz allgemeine Homologie zu bringen sein.
9. Coraco-brachialis brevis und longus‘) (cbrb und cbr/).
Coraco-brachialis brevis:
Coraco-brachialis brevis: FUrsRinceR, SABATIUR, DE VISs,
Suuretpr (No. 32).
Premier faisceau du coraco-brachial: Atrix.
Coraco-brachialis longus:
Coraco-brachialis longus: Fwtrsrincer, SABATIER, DE VIS,
Suuretpt (No. 33).
Second faisceau du coraco-brachial: Atrix.
1) Coraco-brachialis: Ortanpr (ohne Unterscheidung
seiner beiden Teile).
420 Max Firbringer,
Von dem gréferen oder kleineren hinteren Teile der cora-
coidalen Aufenflache ausgehende Muskelmasse, die sich nach der
Beuge- und Medialseite des Humerus erstreckt, wobei sie im Be-
reiche des Schultergiirtels von den Mm. pectoralis, supracoracoideus
und biceps brachii, im Bereiche des Oberarms von dem distalen
Bauche des letzteren Muskels bedeckt wird; kranial grenzt sie
zugleich an den M. supracoracoideus an, mit ihm haufig die bei
dessen Besprechung angegebenen Zusammenhiange bildend (s. p. 418).
Meistens entspringt der M. coraco-brachialis einheitlich und wird
erst in seinem weiteren Verlaufe, namentlich durch den durch-
tretenden Nervus brachialis longus inferior‘), in den M. cbr. brevis
und longus geteilt; haufig (Uroplates, Ameiva, Zonurus, Heloderma
[SHuFELpT], Varanus) sind beide Muskeln von Anfang an mehr
oder minder gut gesondert.
Coraco-brachialis brevis (ebrb). Der kiirzere, dickere
und breitere Muskel von beiden. Er entspringt caudal vom M.
supracoracoideus, lateral vom M. biceps brachii und kranial vom
M. coraco-brachialis longus muskulés von der Aufenflache des
Coracoid, und zwar in der Regel von dem Coracoid s. str.2), wo-
bei der Grad seiner Ausdehnung nach yvorn durch die geringere
oder gréBere Entfaltung des M. supracoracoideus bedingt wird;
zwischen den Extremen der Geckonidae und Scincidae mit grofer
Breitenentfaltung des M. coraco-brachialis brevis und des Varanus
mit schmalem M. cbr. brevis finden sich alle Zwischenstufen (vergl.
auch p. 418). Von da aus verlaiuft der Muskel, direkt der Kapsel
des Schultergelenkes aufliegend und mit ihr verbunden, nach der
Beugefliiche des Humerus (zwischen den Vorragungen des Proc.
lateralis und Proc. medialis) und inseriert fleischig an den Basen
beider Processus und an dem Schaft des Humerus bis zur Mitte
desselben (Anfang des 3. 1/; bei Ameiva, Ende der ersten Halfte
bei Uroplates, Uromastix, Varanus, Anfang der zweiten Halfte bei
Phrynosoma) oder weiter hinab (Ende des 3. 1/; bei Gecko, Ende
des 2. 1/, bei Tarentola, Lygosoma, Zonosaurus, Zonurus, Ende
>
des 5. 1/, bei Lacerta), wobei er sich zugleich zusehends ver-
1) Anrx’ Angabe, daf beide Muskeln bei Varanus durch die
Sehne des M. latissimus dorsi getrennt seien, ist irrtiimlich.
2) Die Angabe von px Vis, daf der Muskel bei Chlamydo-
saurus auch von dem Humeruskopfe entspringe, beruht wohl auf
einer Ueberschatzung des Verbandes mit der Kapsel des Schulter-
gelenkes.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 421
schmalert. Im grofen und ganzen zeigen die primitiveren Lacer-
tilier die gréfere Ausbreitung des Muskels, der sich sonach bei
der Mehrzahl der héheren successive verkiirzte.
Coraco-brachialis longus (cbrl). Der langere, schlankere
und diinnere Muskel. Er beginnt muskulés oder sehnig-muskulés
von der hinteren Ecke des Coracoides, wobei er zumeist auch auf
den hinteren Rand und Innensaum desselben iibergreift, mitunter,
bei kraftiger Entwickelung der coracoidalen Ankerung des Lig.
sterno-scapulare internum, auch zum Teil von dieser entspringen
kann (Phrynosoma, Varanus). Mit parallelen Fasern verlauft er
medial neben dem M. coraco-brachialis brevis, ihm zuerst ver-
bunden oder dicht anliegend, nach und nach sich immer mehr
von ihm entfernend, an der Medialseite des Humerus bis hinab
zum Epicondylus medialis, wo er in der Regel rein oder vor-
wiegend muskulés, seltener mit mehr oder minder schlanker Sehne
(einzelne Scincidae, Uroplates) inseriert. Seine Dicke ist meist
gering, seltener (Zonosaurus, namentlich Ameiva) betrachtlicher.
Bei Ameiva inseriert nur die kleinere laterale Hilfte am Epicon-
dylus; die gréfere mediale Hialfte aberriert an die Fascie des
ersten Anfanges des M. pronator, sich ziemlich fest mit ihr
verbindend (Lacertus fibrosus m. coraco-brachialis
longi).
SABATIER (p. 235) gebraucht die gleichen Namen wie ich
(Coraco-brachialis brevis und longus).
10. Biceps brachii (Coraco-antibrachialis) (47).
Coraco-antebrachialis (Biceps brachii): Firprinerr.
Biceps: Aurx, DE Vis, Suurentpr (No. 31).
Biceps brachial: Sasatier.
Langer vom Coracoid bis zum Vorderarm erstreckter Muskel,
der proximal vom mittleren und hinteren Bereiche der Aufenflache
des Epicoracoid beginnt, wobei er in der Regel von den Mm.
pectoralis und supracoracoideus gedeckt wird und seinerseits den
M. coraco-brachialis deckt, dann an der Beugefliiche des Humerus,
medial neben dem M. brachialis inferior und auf dem M. coraco-
brachialis aufliegend, distalwarts verlauft und endlich gemeinsam
mit dem M. brachialis inferior zwischen die Streck- und Beuge-
muskulatur am Vorderarm eintretend an den Anfingen von Radius
und Ulna endet.
422 Max Firbringer,
In der Kontinuitét des im tbrigen einheitlichen Muskels !)
findet ein Wechsel des Gewebes statt, indem der Muskel mit einem
rein muskulésen oder fleischig-sehnigen proximalen Bauch (der
schlieflich zur einfachen Ursprungssehne sich umbilden kann) be-
ginnt, darauf im Niveau des Schultergelenkes in eine breite
Zwischensehne tibergeht und endlich wieder einen in der Regel
kraftigen distalen Muskelbauch bildet, der am Ende des Oberarms
sich mit dem M. brachialis inferior verbindet und mit ihm in die
beiden gemeinschaftlichen Endsehnen tibergeht.
Der proximale Muskelbauch (bu) reprasentiert in seiner
wechselnden Ausbildung ein ausgezeichnetes systematisches Merkmal
und zugleich einen guten Gradmesser fiir die Héhe der Entwicke-
lung. 1) Bei guter Entfaltung, welche zugleich dem primitiven
Verhalten entspricht, bildet er einen breiten, platten Muskel,
welcher, medial vom M. coraco-brachialis brevis von der Aufen-
flache des mittleren und hinteren Bereiches (exkl. hinteres Ende)
des medialen Teiles des Coracoid (Epicoracoid), sowie, wenn das-
selbe vorhanden ist, dem hinteren coracoidalen Fenster (No. 2)
entspringt (untersuchte Geckonidae, meiste Scincidae, Zonosaurus)
und in der Gegend des Schultergelenkes in die Zwischensehne
ibergeht. Die gréf%te Entfaltung wies dieser Muskel bei Lygosoma
auf, dann folgten Hemidactylus, Gecko (Fig. 127), Tarentola,
Ptychozoon, Gongylus, Zonosaurus in der Ausbildung des hier
auch noch ansehnlichen Muskels. 2) Das nachste Stadium kenn-
zeichnet sich durch partielle Umwandelung in eine Ursprungssehne
oder Ursprungsaponeurose (b2.¢); dies findet stets im hinteren
(caudalen) Bereiche des Muskels statt, wahrend der vordere
(kraniale) noch als schmialerer Muskelbauch persistiert. Hierbei
kann der muskulése Teil desselben noch tiberwiegen (Trachy-
saurus, Lacerta (Fig. 128), Ameiva, Tupinambis, Zonurus) oder
ihm annahernd gleich sein (Phrynosoma (Fig. 130) [SANpERS,
ich], Liolepis [SanpERS], Uromastix)”) oder gegen ihn in mafigem
1) Meine 1875 p. 724 und p. 726 Anm. 1 gemachten ab-
weichenden Angaben betreffend Sphenodon (Hatteria), die mangels
eigener Beobachtungen auf der zum Teil irrtiimlichen Beschreibung
und Deutung von GinrHeEr basierten, nehme ich nach gewonnener
besserer Kenntnis durch eigene Untersuchung zuriick und verweise
im ibrigen auf die unten bei den Rhynchocephaliern gegebene Dar-
stellung der Mm. biceps brachii und humero-radialis.
2) Bei Phrynosoma reicht, entsprechend der sagittalen Ver-
kiirzung des vorderen (kranialen) Teiles des Coracoides, der Ursprung
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 423
Grade zuriicktreten (Varanus, Fig. 129). 8) Endlich bleibt unter
volliger Reduktion des Muskelgewebes und Umwandlung des inter-
muskuliren Bindegewebes in Sehnengewebe nur ein sehniger Ur-
sprung tibrig (Heloderma [Suureitpr|, Iguana [Mrtvart], Phryno-
soma |RUpINGER], Stellio [RipINGER], Calotes, Uroplates, Fig. 131).
— Es bieten sonach von den untersuchten kionokranen Lacer-
tiliern die Geckonidae, die meisten Scincidae und Gerrhosauridae
einen rein muskulésen, einzelne Scincidae, die Lacertidae, Tejidae
und Zonuridae einen vorwiegend muskulésen, die Iguanidae und
Agamidae einen muskulés-sehnigen oder rein sehnigen, die Helo-
dermatidae und Uroplatidae einen rein sehnigen Ursprung dar. Die
grofe Distanz zwischen den Geckonidae und Uroplatidae ist er-
sichtlich; Lygosoma und Gecko zeigten das primitivste, Uroplates
das sich am weitesten davon entfernende Verhalten. Weitere
Untersuchungen werden diese Reihe in mancher Hinsicht noch
vervollstandigen und vermutlich auch modifizieren.
Die Zwischensehne (bi) bietet sich bei Lygosoma als
kurze breite Inscriptio tendinea dar, welche den Biceps brachii
derartig durchsetzt, daf der distale Muskelbauch an der tiefen
Flache (Innenfliche) beginnt, ehe der proximale an der Oberflache
geendigt hat; ein Querschnitt an dieser Stelle zeigt also das inter-
mediare Sehnengewebe an der Oberflaiche und an der tiefen Flaiche
(Innenflache) von dem Muskelgewebe des proximalen und des
distalen Muskelbauches begrenzt. Bei den anderen Lacertiliern
verlingert sich die Inscriptio zur breiten Zwischensehne (Zwischen-
aponeurose), die bei Gecko und Zonosaurus noch von mabiger
Lange, bei Hemidactylus und Ptychozoon ziemlich lang, breit und
diinn, bei Lacerta und den anderen Formen mit sehnig-muskulésem
Ursprunge des biceps in entsprechender Liinge und etwas kraftiger
entwickelt ist. Bei den Lacertiliern mit rein sehnigem Ursprunge
bildet sie naturgemaS den distalen Teil der Ursprungsebene und
ist hier, wie diese, meist etwas verschmialert. Diese Verschmile-
rung ist bei Uroplates recht betrachtlich; hier ist die Sehne auch
von der durch die Hauptinsertion und die Ankerung des M. pecto-
des muskulésen Kopfes relativ sehr weit nach vorn (2. bis 4. Achtel
der sagittalen Linge des Epicoracoides); der von dem 3. Viertel des
Epicoracoides ausgehende sehnige Teil ist in mehrere Faserziige
zerfallen (Fig. 130). — Auch Chlamydosaurus gehért nach pe Vis
zu den Lacertiliern mit muskulés-sehnigem Anfange des Biceps
brachii; doch giebt dieser Autor nichts tiber das gegenseitige
Gréfenverhiltnis des muskulésen und des sehnigen Kopfes an.
Bd. XXXIV. N. F. XVII. 28
424 Max Firbringer,
ralis gebildeten Scheide eingeschlossen (vergl. sub M. pectoralis
p. 416).
Der distale Muskelbauch (bi) bildet den im Bereiche
des Oberarmes befindlichen auf dem Querschnitte rundlichen Muskel,
der bei keinem untersuchten Lacertilier fehlt und bei den meisten
recht kraftig ist; Ameiva, mehr noch Phrynosoma und Uroplates
kennzeichnet ein schmalerer distaler Bauch. Am Ende des Humerus
geht er den oben angegebenen Verband mit dem lateral gelegenen
M. brachialis inferior ein und inseriert gemeinschaftlich mit ihm
mit 2 Zipfeln an dem proximalen Bereiche des Radius und der
Ulna. — Bevor er gemeinsam mit dem M. brachialis inferior
zwischen die Streck- und Beugemuskulatur des Vorderarmes ein-
tritt, kann von seiner freien medialen Seite aus eine fleischig-
sehnige Aberration an den Anfang der oberflachlichen Fascie der
Beugemuskulatur des Vorderarmes gehen und sich hier anheften.
Dieses, nach Lage einem Lacertus fibrosus (Aponeurosis)
bicipitis vergleichbare, Gebilde wurde als ganz ansehnliche,
etwa dem dritten Teile des M. biceps entsprechende Muskel-
aberration bei Lygosoma gefunden, die ausgebreitet muskulds an
der Beugefascie des Vorderarmes endete; viel kleiner, aber auch
deutlich an der genannten Strecke inserierend, war sie bei Gecko;
bei Zonosaurus und Lacerta léste sich ein minimaler Zipfel an
der entsprechenden Stelle des M. biceps ab, endete aber bereits
in dem proximal von den Beugemuskeln des Vorderarmes ge-
legenen Bindegewebe; bei Ptychozoon und Zonurus fand sich hier
nur eine Lockerung der oberflichlichen Fasern des Biceps mit
Adhasion an dem benachbarten Bindegewebe. Die tibrigen jetzt
von mir untersuchten Lacertilier (darunter auch Hemidactylus)
zeigten nichts derartiges'). Die betreffende Aberration ist somit
eine mehr den tiefer stehenden Lacertiliern zukommende Bildung.
SABATIER (p. 261 f.) stimmt in der Deutung des Muskels und
der Homologisierung seines Ursprungsteiles mit dem Caput longum
des M. biceps brachii der Saiugetiere in der Hauptsache mir bei,
findet aber in dem Lacertilier-Muskel nur die coracoidale Partie
(Portion coracoidienne) des langen Bicepskopfes der Mammalia
wieder. Diese Vergleichung geht von korrekten logischen Er-
wigungen aus, betrachtet aber die Muskelurspriinge als etwas zu
1) Wahrscheinlich hat die Aberration eine gréfere Verbreituug
und wurde vermutlich von den friiheren Untersuchern, denen auch
ich mich beirechne (1875), bei manchem Lacertilier tibersehen.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 425
Starres, Unveranderliches und stets ihre Stelle genau Behauptendes.
(Weiteres s. bei den Saugetieren.)
11. Brachialis inferior (Humero-antibrachialis inferior).
Humero-antebrachialis inferior (Brachialis in-
ferior): FURBRINGER.
Brachial antérieur, Brachialis anticus: Aur, Sapa-
TIHR, DE Vis, SuureLpt (No. 34).
Ziemlich kurzer, aber nicht unkraftiger Muskel an der Beuge-
seite des Oberarmes, der medial von dem M. biceps brachii,
latero-dorsal von dem M. anconaeus humeralis lateralis begrenzt
wird und in wechselnder Weise, mehr oder minder ausgedehnt,
mit den proximal von ihm endenden Mm. supracoracoideus und
deltoides clavicularis verwachsen sein kann.
Er entspringt von der Beugeseite der Diaphyse des Humerus,
wobei er lateral auf den distalen Bereich der Dorsolateralfliche des
Proc. lateralis ibergreift, und verbindet sich im unteren Abschnitte
des Oberarmes in der Regel mit dem M. biceps brachii in der bei
diesem angegebenen Weise (p. 422), um danach mit zwei, beiden
Muskeln gemeinsamen Sehnen an den Anfangen des Radius und
der Ulna zu enden. Dieser Verband zeigt bei den Lacertiliern
verschiedene Grade von Intimitaét; bei Heloderma (SHure.pt) ist
dieselbe sehr gering.
SABATIER (p. 295) folgt der allgemeinen Anschauung hinsicht-
lich der Homologie dieses Muskels.
12. Latissimus dorsi (Dorso-humeralis) (/d).
Dorso humeralis (Latissimus dorsi): Firsrinerr.
Grand dorsal, Latissimus dorsi: Atix, SaBaTisr,
pE Vis, SuurEupt (No. 17).
Dorso-omerale: ORLANDI.
Sehr breiter und ausgedehnter Muskel an der Seitenflache
des Thorax, der vorn von dem hinteren Teile des Ursprunges des
Cucullaris bedeckt wird'), wahrend er andererseits den hinteren
Bereich der Scapula s. lat. mit dem M. dorsalis scapulae, den M.
1) In der Ausdehnung von 2—3 Wirbeln bei Uroplates, von
4 bei Gecko und Varanus, von 5 bei Zonurus, von 6 bei Phryno-
soma, von 7 bei Zonosaurus und Lacerta, von 8 bei Ameiva.
28*
426 Max Firbringer,
serratus superficialis, die spino-dorsalen Riickenmuskeln und die
oberflachliche Bauchmuskulatur deckt. Mit dem M. cucullaris, so-
wie der Riicken- und Bauchmuskulatur kann er mehr oder minder
ausgedehnt verwachsen sein. Vorn oder in der Mitte ist er am
kraftigsten, hinten wird er in zunehmendem Mafe schwacher und
gveht meist in eine ausgebreitete, diinne Aponeurose iiber.
Er entspringt vorwiegend oder rein aponeurotisch in wechseln-
der Weise von dem letzten oder den (2—83) letzten Halswirbeln ‘)
und einer Anzahl (5—16) darauf folgender Dorsalwirbel, wobei
der Ursprung des vorderen Teiles des Muskels deutlich von den
Proc. spinosi der Wirbel beginnt, wihrend es in der Regel nicht
gelingt, die fest mit ihrer Unterlage (Fascie der spino-dorsalen
Muskulatur) verwachsene Aponeurose des hinteren Teiles sicher
bis zu den Wirbeldornen zu verfolgen?); man kann hier ebenso
gut von einem Ursprunge des M. latissimus dorsi von der Fascia
dorsalis sprechen. Dies ist ganz besonders der Fall bei Zonurus,
Varanus, Phrynosoma und Uroplates; bei den beiden letzteren
entspringt der untere und hintere Teil des Muskels in der Haupt-
sache von Rippen (6. Dorsalrippe bei Phrynosoma, 4. und 5. bei
Uroplates) *).
1) Mitunter, bei Heloderma (Suurxnpr), Phrynosoma und Uro-
plates, entspringt der Muskel gar nicht von Halswirbeln, sondern
beginnt erst mit dem 1. oder einem folgenden Dorsalwirbel. —
Ueberhaupt wurde der Anfang des Ursprunges gefunden: vom
6. Wirbel (drittletzter Halswirbel) bei Ameiva (frithere und neuere
Untersuchung), Iguana (Mivarr), Liolepis (SANDERS); vom 7. Wirbel
(vorletzter Halswirbel) bei Tarentola, Lacerta; vom 8. Wirbel (letzter
resp. bei Varanus vorletzter Halswirbel) bei Gecko, Lygosoma,
Euprepes, Zonosaurus, Zonurus, Uromastix, Varanus; vom 9. Wirbel
(1. Dorsalwirbel resp. bei Varanus letzter Halswirbel) bei Uro-
plates, Trachysaurus, Phrynosoma, Varanus (Aix, eigene Beobach-
tung); vom 10. Wirbel (2. Dorsalwirbel) bei Heloderma (Suure.pr) ;
vom 11. Wirbel (3. Dorsalwirbel) bei Phrynosoma (friithere Beob-
achtung).
2) Die hintere Grenze des Muskels wurde, in Verfolgung der
Richtung der letzten Muskelfasern, bis zum 13. bis 24. Wirbel, also
innerhalb sehr weitgehender Grenzen der Variierung bestimmt,
wobei die untersuchten Scincidae, Gerrhosauridae, Lacertidae, Tejidae,
Heloderma (Suureipr), einzelne Iguanidae und Agamidae, meist die
grékere, die Geckonidae, Zonurus, gewisse Iguanidae und Agamidae,
Varanus, Uroplates meist die geringere Ausdehnung nach _hinten
zeigten. Wie schon im Texte hervorgehoben, ist aber eine sichere
und genaue Bestimmung der hinteren Grenze nicht moglich.
3) Auch bei Varanus sind gewisse, wenn auch minder intime,
Beziehungen zu Rippen erkennbar.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 427
Von diesem ausgedehnten Ursprunge konvergieren die Fasern,
von denen die vorderen je nach dem Beginn des Ursprunges in
descendent-transversaler oder transversaler, die hinteren je nach
der hinteren Ausdehnung des Muskels in longitudinaler oder
longitudinal-ascendenter Richtung verlaufen, schnell und erheblich
zu dem verhaltnismifig schmalen Insertionsteile, der zwischen dem
scapularen und coracoidalen, danach dem lateralen und medialen
humeralen Kopfe des M. anconaeus in die Tiefe der Streck-
muskulatur des Oberarmes eindringt und seltener relativ ziemlich
breit (Gecko), in der Regel ziemlich schmal an der Streckflache
des proximalen Bereiches des Humerus, distal vom M. scapulo-
humeralis anterior mit fleischig-sehniger (Gecko, Lacerta) oder
mit rein sehniger und dann meist schmalerer Insertion (iiber-
wiegende Mehrzahl der Lacertilier) endet.
Der dreieckige Muskel ist danach von sehr ansehnlicher Aus-
breitung bei den meisten Scincidae, Zonosaurus, den Lacertidae,
Tejidae, den meisten Iguanidae und Agamidae, dagegen schmialer
und minder ausgedehnt bei Trachysaurus, Zonurus, Phrynosoma,
Varanus, Uroplates. Wahrscheinlich beruhen diese Faille von ge-
ringerer Entwickelung hauptsichlich auf einer sekundaren Riick-
bildung; bei Phrynosoma und Varanus ist dies nicht zu verkennen.
Der Insertionsteil des M. latissimus dorsi kann mehr oder
minder intime Zusammenhaénge mit dem M. anconaeus scapularis,
der von ihm eine Ankerung erhalt (Gecko), oder mit der Ursprungs-
sehne des Anconaeus coracoideus (von den untersuchten Tieren
besonders bei Heloderma [SHureLptT|, Phrynosoma und Varanus
|vergl. Fig. 145 und 146] entwickelt) darbieten. Hinsichtlich des
Weiteren verweise ich auf meine friihere Darstellung (Schulter-
muskeln, III, 1875, p. 729).
13. Dorsalis scapulae (Deltoides scapularis s. superior).
Dorsalis scapulae (Deltoides scapularis s. supe-
rior): FURBRINGER.
Sous-épineux, Infraspinatus: Aix, SHuretpr (No. 22).
Chef (faisceau) scapulo-huméral de l’obturateur
externe thoracique: SABATIER.
First part of the Deltoideus: p& Vis.
Vielleicht Supracoracoideo: Orwannr!).
1) Hine sichere Identifizierung ist wegen der sehr allgemein
gehaltenen Beschreibung Oruanpi’s nicht méglich.
428 Max Firbringer,
Ansehnlicher Muskel, der zu dem folgenden Deltoides clavi-
cularis in so innigen Relationen steht, daf’ Beide urspring-
lich als Képfe eines einzigen Muskels (Deltoides s. lat.)
aufzufassen sind, die sich nach und nach zu gréferer Sonderung
und Selbstaindigkeit ausgebildet haben. Diese successive Sonde-
rung vollzieht sich innerhalb der Abteilung der kionokranen Saurier
in folgender Weise: 1) Den Ausgang bildet ein einheitlicher Muskel,
der von der Scapula und Clavicula beginnt und ohne jede Sonde-
rung im dorso-lateralen Bereiche des Proc. lateralis humeri in-
seriert, wobei die von der Clavicula kommenden Fasern im grofen
und ganzen proximaler inseriren als die von der Scapula ent-
springenden (Lygosoma). 2) Die erste Sonderung vollzieht sich
am Ursprunge, indem sich hier ein kiirzerer (Gecko) oder langerer
(Varanus) Spalt zwischen dem dorsalen scapularen (Dorsalis
scapulae) und dem ventralen clavicularen Teile (Deltoides clavi-
cularis) bildet, waihrend der Muskel sonst einheitlich ist und in
der gleichen Weise wie bei Lygosoma inseriert (Gecko, Varanus).
3) Die Sonderung am Ursprunge geht weiter, aber auch der,
iibrigens noch ungetrennt bleibende, Insertionsteil zeigt eine
héhere Differenzierung, indem die Fasern des Deltoides clavi-
cularis distalwarts weitergreifen, so da% nun ein Muskel (Muskel-
paar) entsteht, bei dem der ventrale Deltoides clavicularis sich
am Proc. lateralis ebenso weit distal erstreckt wie der dorsale
Dorsalis scapulae und mit seiner muskulésen Insertion ventral und
oberflachlich die tiefere, vorwiegend sehnige Insertion des letzteren
deckt (Hemidactylus, Zonurus). 4) Der weitere Fortschritt dieses
Differenzierungsganges fiihrt zu zwei unvollkommen gesonderten
Muskeln, von denen der ventrale Deltoides clavicularis den dorsalen
Dorsalis scapulae nicht allein bei der Insertion am Proc. lateralis
humeri deckt, sondern selbst distalwirts etwas weiter greift als
dieser (in sehr geringem Grade bei Ptychozoon, Zonosaurus, wenig
bei Lacerta, etwas mehr bei Ameiva und Uromastix). 5) Endlich
resultiert eine mehr oder minder vollkommene Trennung beider
Muskeln vom Anfang bis zum Ende, wobei zugleich die muskulése
oberflichliche Insertion des ventralen Deltoides clavicularis am
Proc. lateralis erheblich weiter greift als die von ihm bedeckte
sehnige Endigung des dorsalen Dorsalis scapulae (Phrynosoma,
mehr noch bei Calotes, am meisten bei Uroplates) *).
1) Bei Uroplates ist die Sonderung beider Muskeln weniger
durchgefiihrt als bei Phrynosoma und Calotes; das distale Ueber-
greifen des Deltoides clavicularis erreicht aber den héchsten Grad.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 429
Diese Entwickelungsreihe ist an einer recht geringen Anzahl
untersuchter Tiere gewonnen und bedarf der Komplettierung durch
ein reicheres Untersuchungsmaterial, woraus voraussichtlich ver-
schiedene Modifizierungen resultieren werden. Immerhin fallt die
systematische Verwertbarkeit dieses Merkmals in die Augen: Scin-
cidae und gewisse Geckonidae kennzeichnet ein primitiver Zu-
sammenhang des Dorsalis scapulae -+ Deltoides clavicularis, auch
die Varanidae zeigen in dieser Hinsicht urspriingliche Verhaltnisse ;
— andere Geckonidae, Zonurus, die Gerrhosauridae, Lacertidae,
Tejidae und gewisse Agamidae bieten die verschiedensten Grade
der beginnenden und mehr und mehr sich ausbildenden Sonderung
dar, und auch Heloderma (SHuFeLpT) und Iguana (Mivart) diirften
hierher gehéren; — bei anderen Iguanidae und Agamidae ist
dieser Sonderungsprozef vollendet, und diesen reiht sich in ge-
wisser Beziehung (héchste einseitige Differenzierung der Inser-
tionen) Uroplates an. Auch hier stellt sich somit Uroplates weit-
ab von den Geckonidae.
Der M. dorsalis scapulae bildet einen meist recht breiten
und Jangen dreieckigen Muskel an der Oberfliche der Scapula
s. lat., der in seinem dorsalen Bereiche von den Mm. cucullaris
und latissimus dorsi gedeckt wird und andererseits die Mm. sca-
pulo-humeralis anterior, subscapularis externus und den Anfang
des M. anconaeus scapularis deckt; dorsal und kranial grenzt er
zugleich an die Mm. cucullaris und levator scapulae, ventral an
den M. deltoides clavicularis an.
Er entspringt bei den verschiedenen Lacertiliern in recht
wechselnder Ausdehnung von dem Suprascapulare, wobei die In-
sertionen der Mm. cucullaris und levator scapulae seine vordere
und obere Grenze bilden, von dem Acromion und meist in gerin-
gerer (Lygosoma, Zonosaurus, Lacerta, Phrynosoma, Varanus)
oder gréferer (Gecko, Hemidactylus, Ptychozoon, Ameiva, Uro-
plates) Ausdehnung von dem dorsalen Ende der Clavicula; ein
Ursprung von der knéchernen Scapula findet nur bei relativ weit
dorsal hinaufreichender Verknécherung derselben statt (z. B. bei
Calotes, Varanus, Uroplates).
Mit konvergierenden, transversal bis descendent verlaufenden
Fasern geht er in den Insertionsteil tiber, der lateral an den An-
fangen des M. anconaeus‘') vorbeizieht und vorwiegend oder rein
1) Mitunter kann ihn eine kleine laterale Zacke dieses Muskels
auch aufen umgreifen (z. B. bei Gecko).
430 Max Fiirbringer,
sehnig an dem mittleren dorsalen Bereiche des Proc. lateralis
humeri endet, wobei er zugleich — in den oben sub 3 bis 5 auf-
gefiihrten Fallen — oberflichlich von dem muskulésen Insertions-
teil des Deltoides clavicularis gedeckt sein kann.
Gewo6hnlich bildet er eine einheitliche Muskelausbreitung, die
hie und da eine leise Andeutung einer weiteren Sonderung darbietet
(Lacerta ind., Uromastix), mitunter aber auch zu einer recht aus-
gedehnten Trennung in deutlich geschiedene Teile (vorderer und
hinterer Muskel bei Phrynosoma und Calotes) zerfallen ist.
Atrx und SHUFELDT wiederholen die alte Deutung von PFEIFFER,
STANNIUS und SANDERS als Infraspinatus, die sofort bei Beriick-
sichtigung der Innervation fallt; in der Lage besteht aller-
dings eine gewisse Aehnlichkeit zwischen dem Dorsalis scapulae
und Infraspinatus, die aber nur die Bedeutung einer Analogie hat.
SABATIER (p. 195) deutet den Muskel als Chef (faisceau)
scapulo-huméral des M. obturateur externe thoracique, bringt ihn
somit zu dem M. supracoracoideus (Chefs coracoidien et précora-
coidien des M. obturateur externe thoracique) in naihere Beziehung,
negiert aber jedwede Homologien mit dem Deltoides oder Infra-
spinatus der Siugetiere, weil diejenigen Teile der Scapula, welche
diesen beiden mammalen Muskeln Ursprung geben, den Sauriern
fehlten. — Ich werde durch diese Ausfiihrungen SABATIER’S, die
einerseits zwei ginzlich verschieden innervierte Muskeln zusummen-
bringen, andererseits der Scapula der Lacertilier Teile absprechen,
die sie in Wirklichkeit besitzt, in keiner Weise veranlaft, meine
Auffassung von der Zusammengehirigkeit der Mm. dorsalis sca-
pulae und deltoides clavicularis und meine bisherige Deutung des
Muskels aufzugeben. Die oben (p. 428) mitgeteilte Entwickelungs-
reihe laft meines Erachtens gar keine andere Auffassung auf-
kommen. Der Muskel hat zu den Mm. supracoracoideus, supra-
spinatus und infraspinatus keine Bezichungen, sondern gehért zur
Deltoides-Gruppe (Deltoides und Teres minor der Siugetiere), wo-
bei nihere, aber nicht ganz komplette Homologien zu dem Teres
minor anzunehmen sind. In dieser letzteren Vergleichung stimme
ich mit SABATIER gern tiberein.
14. Deltoides clavicularis s. inferior (Cleido-humeralis).
Cleido-humeralis (Deltoides clavicularis s. infe-
rior): FURBRINGER.
Sus-épineux: ALrx.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 451
Deltoide, Deltoideus: Sanatier, Suurentpr (No. 20).
Second part of the Deltoideus: pr Vis.
Cleido-omerale: OR.anpt.
Der M. deltoides clavicularis ist in der Regel schmaler als
der M. dorsalis scapulae, reprasentiert aber einen ganz ansehn-
lichen Muskel im ventralen resp. ventro-lateralen Bereiche des
Schulterapparates, der einerseits zum Teil von den Anfangen der
Mm. pectoralis und episterno-hyoideus, von dem Insertionsteile des
M. sterno-episterno-cleido-mastoideus, von dem ventralen Teile
der Clavicula und der zwischen ihr und dem episternalen Quer-
schenkel (namentlich bei kreuzférmigem Episternum) ausgebreiteten
Membrana episterno-clavicularis gedeckt wird, andererseits teil-
weise die Mm. scapulo-humeralis anterior, supracoracoideus und
— bei weiter vorgeschrittener Sonderung von dem M. dorsalis
scapulae (s. p. 428) — auch diesen an der Insertion deckt.
Der Ursprung beginnt von dem ventralen oder ventralen und
ventro-lateralen Bereiche der Clavicula und kann von da auch in
geringem Grade (Lygosoma, Phrynosoma [SANDERS, ich|) oder in
ausgedehnterem MaSe (Heloderma |[SHuFreLpT|, Calotes, Varanus
[ALrx, ich]) auf den vorderen Teil des Episternum (Spitze oder
bei T-formigem Episternum kleinerer oder gréferer medialer Teil
des Querschenkels) tibergreifen'). Die Hauptursprungsstelle bildet
immer die Clavicula, die in dem hauptsichlich in Frage kommenden
ventralen Bereiche bald von gewéhnlicher Schmalheit (Uroplates,
Heloderma, meiste Agamidae und Iguanidae, Varanidae), bald wenig
verbreitert (Zonurus), bald zur ansehnlichen, breiten, in der Regel
mit Fenster versehenen Platte (meiste Geckonidae, Scincidae, Ger-
rhosauridae, Lacertidae, Tejidae) ausgebildet ist”). Zu dieser
Ausbildung steht die Entwickelung des M. deltoides clavicularis
in direkter Korrelation*). Die mediale Halfte des Muskels_ ent-
springt von der Innenflaiche (Dorsalflache) inkl. der das claviculare
Fenster schlieSenden Membran der betreffenden Strecke der Clavi-
1) Auch ein minimales Uebergreifen auf das angrenzende
Sternum wurde beobachtet (Heloderma (Suuretpt|, Phrynosoma).
2) Genaueres siehe im osteologischen Abschnitt (p. 241 f.).
3) Die héchste Entwickelung des namentlich von der Aufen-
fliche kommenden Ursprunges bieten die Lacertilier mit verbreiterter
Clavicula dar, wihrend bei den Arten mit wenig oder nicht ver-
breiterter Clavicula der Ursprung sich meist auf die Innenflache,
die Rander und den Vordersaum der Aufenfliche beschrinkt, jeden-
falls aber von der Aufenfliche nur in viel geringerer Breite statt-
finden kann.
432 Max Fiirbringer,
cula'); die laterale langere Halfte beginnt von der Aufenflache
(Ventralflache) der gleichen Strecke nebst Fenster‘), schlaigt sich
um den vorderen Rand der Clavicula herum, hier weitere Ur-
sprungsfasern empfangend, und tritt dann, von der Clavicula_ be-
deckt, nach hinten und lateralwarts, um sich noch im Niveau der
Clavicula mit der medialen Halfte zu dem einheitlichen Muskel
zu verbinden, der mit konvergierenden Fasern nach dem Proc.
lateralis humeri geht, wo er bei Lygosoma, Gecko, Varanus proxi-
mal von dem ihm innig verbundenen M. dorsalis scapulae, bei
Zonurus ihn deckend und ventral von ihm, bei Zonosaurus, Lacerta,
Ameiva, Uromastix ventral und etwas distal von dem hier mehr
gesonderten Muskel und bei Uroplates, Phrynosoma, Calotes ven-
tral und ausgedehnt distal von dem meist gut von ihm separierten
M. dorsalis scapulae inseriert.
Die Insertion des M. deltoides clavicularis ist eine rein oder
vorwiegend muskulése. Hiaufig existieren Zusammenhainge der
oberflachlichen Insertionsfasern mit den oberflachlichen Ursprungs-
fasern des M. anconaeus humeralis lateralis. Nicht selten
schiebt sich zwischen sein Ende und die Insertion des M.
supracoracoideus der Anfang des M. brachialis inferior ein.
Bei Lygosoma wurde auf einer Seite ein kleiner, von dem
Insertionsteil ausgehender Aberrationszipfel an das _ benachbarte
Unterhautbindegewebe beobachtet.
Die Vergleichung von ALIx mit dem Supraspinatus der Sauge-
tiere (und dem Pectoralis II. der Végel) traigt ganz einseitig und
auch nicht fehlerfrei der Lage des Muskels Rechnung, ignoriert
aber vollstiéndig die Innervation. Sie ist durchaus unannehmbar.
SABATIER, DE Vis und SHureLpT vergleichen den Muskel
dem Deltoides der Saugetiere, was meiner Deutung (1875) ent-
spricht. Doch ist in dem vorliegenden Muskel nur die claviculare
Portion des menschlichen Deltoides enthalten, die Homologie so-
mit keine ganz komplette.
15. Scapulo-humeralis anterior (Coraco-scapulo-humeralis
anterior) *) (scha).
Scapulo-humeralis profundus: FUrBrRINGER.
Chefs précoracoidien et scapulaire antérieur de
l’obturateur interne thoracique: SABATIER.
1) Von der Innen- und Aufenfliche der Clavicula namentlich
bei Varanus breit auf die Innen- und Aufenfliche des episternalen
Querschenkels iibergreifend.
2) Das Epitheton ,profundus“ meiner friiheren Bezeichnung
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 433
Infraspinatus: pe VIs.
Teres minor: SuHurevpt (No. 23).
Rotatore o piccolo rotondo: Orwanpt.
MittelgroBer bis kleiner Muskel, der von der Aufenflache des
ventralen Teiles der Scapula und des angrenzenden _lateralen
Abschnittes des Coracoides, sowie von der Membran der zwischen
beiden befindlichen Fenestra oder Semifenestra coraco-scapularis
entspringt und, der Kapsel des Schultergelenkes dicht aufliegend
und mit ihr verbunden, mit konvergierenden Fasern distalwirts
zieht, um sich zwischen dem medial vorbeiziehenden M. anconaeus
scapularis und dem lateral liegenden M. anconaeus humeralis
lateralis an die Dorsalflache des proximalen Teiles des Humerus
zu begeben, wo er zwischen den Anfaingen der humeralen Képfe
des M. anconaeus und proximal von der Insertion des M. latissi-
mus dorsi inseriert. Er wird in seinem gréferen proximalen Be-
reiche von den Mm. dorsalis scapulae und deltoides clavicularis,
in seinem distalen, vor der Insertion befindlichen Teile von der
humeralen Ankerung des M. anconaeus scapularis (resp. dem Lig.
scapulare laterale, siehe bei M. anconaeus scapularis p. 439 f.) ge-
deckt und grenzt ventral an den M. supracoracoideus sowie dorsal
an den Anfangsteil des M. subscapularis externus an, beide meist
etwas deckend.
Bei guter Entwickelung (Scincidae, Gerrhosauridae, Lacertidae,
Tejidae, Zonuridae, Fig. 134—137) bildet er einen zweiképfigen
und nach dem Zusammentritt der beiden Képfe gefiederten Muskel ;
der scapulare Kopf (sha.s) ist der breitere, kiirzere und etwas
kraftigere, der coracoidale (sha.c) der schlankere und kann sich
am lateralen Aufensaume des Coracoides (Procoracoides) fast so weit
nach vorn erstrecken wie der medial direkt an ihn angrenzende
M. supracoracoideus. Nicht selten ist er hierbei mit letzterem
Muskel mehr oder minder fest verwachsen und entspringt, seinen
lateralen Bereich deckend, auch von dessen Fascie (am meisten
bei Lygosoma). Kiirzer sind die Képfe bei den untersuchten
(1875) lasse ich, weil unnétig, fallen, fiige aber das Epitheton
,anterior“, weil zur Unterscheidung von dem Scapulo-humeralis
posterior der Crocodile notwendig, hinzu. — Auxtx beschreibt den
Muskel am Ende von p. 426 und fiihrt an, da’ er von den Autoren
als Petit rond bezeichnet werde, womit er aber nichts zu thun habe;
einen Namen giebt er ihm nicht.
434 Max Firbringer,
Geckonidae (Fig. 133), Iguanidae und Agamidae!); der M. sca-
pulo-humeralis anterior représentiert damit eine mehr einheitliche,
bei den Iguanidae und Agamidae noch ganz ansehnliche, bei den
Geckonidae schwiichere Bildung. Noch kleiner ist er bei Uroplates
(Fig. 140) und Varanus. Verwachsungen mit dem M. supracoraco-
ideus finden sich auch hier in wechselnder Weise (p. 418).
Auf Grund seines nie vermiften coracoidalen (procoracoidalen)
Ursprunges verdient er den Namen Coraco-scapulo-hume-
ralis anterior (Procoraco-scapulo-humeralis anterior), den ich
oben auch in Parenthese beigefiigt habe. Insofern ist auch die
Bezeichnung SABATIER’sS (p. 196) als Chefs précoracoidien et sca-
pulaire antérieur des M. obturateur interne thoracique eine
durchaus korrekte. SaBaTier schlieSt zugleich eine Verglei-
chung mit Supraspinatus, Infraspinatus und Deltoides aus,
homologisiert aber den scapularen Anteil des Muskels mit
einem Teile des menschlichen Subscapularis. — Wie ich bereits
1875 ausgefiihrt, sind von den zum Vergleiche kommenden
Muskeln Supraspinatus und Infraspinatus ohne weiteres wegen
ihrer Innervation durch einen prozonalen Nerven auszuschliefen,
wahrend ein Vergleich mit Deltoides und Teres minor wegen der
sehr abweichenden Insertion dieser Muskeln auch unannehmbar
ist. Es bleibt somit nur die Méglichkeit, den Scapulo-humeralis
profundus der Lacertilier entweder, wie SABATIER will, mit Teilen
des menschlichen Subscapularis (Subscapularis minor s. acces-
sorius?) zu vergleichen oder ihn als eine Bildung zu_ erklaren,
die sich bei Amphibien und Sauropsiden findet, aber als normales
Gebilde bei den Siugetieren in Schwund gekommen ist. Bei der
Besprechung der Schultermuskeln der Mammalia wird naher auf
diese Frage einzugehen sein. Die Bezeichnung Obturator internus
thoracicus fiir diesen lediglich von der AufSenseite des Schulter-
giirtels entspringenden Muskels halte ich nicht fiir ganz gliicklich ;
auch bringt sie ihn zu dem an der Innenfliche des Schultergiirtels
liegenden und in einiger Entfernung von ihm am Humerus in-
serierenden Subcoracoscapularis in zu nahe Beziehung. — ALIx
weist gleich mir die Homologisierung mit dem Teres minor ab,
SnureLpr und, wie es scheint, auch OrLANDI treten fiir dieselbe
ein, diirften aber damit nicht Recht behalten.
1) Aus Suurenptr’s und pe Vis’ tibrigens guten und korrekten
Beschreibungen der Muskeln yon Heloderma und Chlamydosaurus
ist nicht zu ersehen, ob der Muskel hier lingere oder kiirzere
Kopfe hat.
(sh)
or
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 4:
16. Teres major.
Teres major, Grand rond: Ftrsrincrer, SABATIER.
Bei keinem der von mir neuerdings untersuchten Lacertilier
finde ich eine Spur dieses Muskels') und halte seine Existenz in
der typischen Anordnung (Insertion mit oder neben dem M. la-
tissimus dorsi) zunichst, soweit mir Material zur Untersuchung
zur Verfiigung stand, auf gewisse Agamidae beschrankt ’).
SABATIER bezeichnet den Muskel eleichfalls als Teres major
und weist wie ich und andere Autoren auf die Beziehungen zum
Latissimus dorsi hin.
17. Subcoracoscapularis *).
Subcoracoscapularis: FURBRINGER.
Sous-scapulaire, Subscapularis, Sottoscapolare:
Auix, DE Vis, SHuretpr (No. 30), Orvanpt.
Chefs coracoidien et scapulaire postérieur de
l’obturateur interne thoracique: SABATIER.
Breiter und ansehnlicher Muskel an der Innenfliche des
Schultergiirtels, soweit dieselbe nicht von den Muskeln der Levator-
1) Der von Aurx bei Monitor beschriebene Grand rond ist ver-
mutlich ein Teil des M. subscapularis. — Ortanpi’s Angaben iiber
einen Grande rotondo genannten Muskel bei Macroscincus, der vom
Schultergelenk nach dem distalen Ende des Humerus und dem
proximalen der Ulna sich erstrecken soll, sind mir unverstindlich ;
diese Beschreibung palit eher auf den M. anconaeus scapularis, aber
auch nur zum Teil, da dieser Muskel nicht am Humerus _inseriert.
2) Sicher, individuell oder generell, bei Uromastix (Schulter-
muskeln von 1875, p. 737 vielleicht auch bei Stellio (RipinGER).
Meine alteren Angaben iiber sein Vorkommen bei gewissen Scincidae
(1870, 1875), wonach er aber nicht mit dem M. latissimus dorsi,
sondern fiir sich in der Nahe des Proc. medialis humeri inserierte,
konnte ich leider nicht durch Nachuntersuchung kontrollieren, um
die Frage zu entscheiden, ob hier eine dem M. teres major oder
einem Scapulo-humeralis posterior (Rhynchocephalier, Crocodile,
Vogel) oder dem Subscapularis externus vergleichbare Bildung vor-
hegt. Weitere auf diesen Punkt gerichtete Untersuchungen halte
ich fiir sehr erwiinscht.
3) Bei diesem Muskel beschreibt pe Vis bei Chlamydosaurus
noch einen ,M. coraco-humeralis“, den er mit dem External sterno-
coracoid Mivarv’s identifiziert und der gerade wie der Subcoraco-
scapularis (Subscapularis pe Vis) von der ganzen Innenflaiche des
Coracoides und Epicoracoides kommen solle. Vermutlich liegt hier ein
Irrtum resp. eine Vermengung des M. sterno-coracoideus internus
superficialis mit Teilen des M. subcoracoideus vor.
436 Max Firbringer,
Serratus-Gruppe, den Mm. sterno-coracoidei interni und dem
M. coraco-brachialis longus eingenommen ist; zum Teil kann sie
auch tiber den Hinterrand der Scapula auf den hinteren Bereich
von deren Aufenfliche tibergreifen. Alle diese ausgebreiteten
Ursprungsteile sammeln sich facherférmig in einer einheitlichen,
den Proc. medialis umgreifenden Insertion. Man kann an dem
M. subcoracoscapularis eine Pars coracoidea (M. subcoracoideus
s. lat.) und eine Pars scapularis (M. subscapularis) unter-
scheiden '), welche zumeist durch die scapulare Insertion des
Lig. sterno-scapulare internum getrennt sind, aber auch da,
wo diese Insertion direkt vor dem proximalen Rande des M. sub-
coracoscapularis stattfindet (Uroplates), gesondert erscheinen; die
Pars coracoidea greift auch in der Regel auf den vorderen unteren
Bereich der Scapula tiber, ist also, streng genommen, eine Pars
coracoscapularis.
Pars coracoidea s. coracoscapularis (M. subcora-
coideus s. lat.) (sbe). Meistens der breitere und ansehnlichere
Teil des Muskels, der von der Innenfliche des gré8ten Teiles des
Coracoides nebst Fenstern (mit Ausnahme des medialen Drittels | Epi-
coracoid], an dem die Mm. sterno-coracoidei interni inserieren und
von dem der M. coraco-brachialis longus entspringt), der die
Fenestra s. Semifenestra coraco-scapularis fiillenden Membran und
des ventro-proximalen Bereiches der knéchernen Scapula s. str.
entspringt, mit konvergierenden Fasern nach der Gegend des
Schultergelenkes verliuft und tiber dessen Innenfliche hinweg,
hierbei zugleich innig mit seiner Kapsel verbunden, nach dem
Proc. medialis humeri geht, wo er gemeinsam mit der Pars sca-
pularis kraftig sehnig-muskulés inseriert. Bei den Lacertidae und
bei Zonurus ist die P. coracoscapularis erheblich gréfer als die
P. scapularis, bei der tiberwiegenden Mehrzahl der Lacertilier nur
wenig grofer oder annihernd gleich, bei Uroplates von gleicher
Starke, aber etwas schmiiler, bei Phrynosoma und Varanus kitrzer
und etwas schwacher. Der vom Coracoid (inkl. Procoracoid)
kommende Teil kann als Subcoracoideus s. str., der von
dem ventro-proximalen Bereiche der Scapula entspringende als
Subscapularis anterior unterschieden werden; diese Unter-
1) Beide Teile werden von Atrx bei Monitor, pre Vis_ bei
Chlamydosaurus, und Snurevpr bei Heloderma ganz richtig be-
schrieben; SHurenpr thut auch des Lig. sterno-scapulare internum,
das er als Endsehne des M. sternocosto-scapularis auffaSt, dabei
Erwahnung.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 437
scheidung ist aber im wesentlichen nur eine regionale, denn in
der Regel bildet der ganze Subcoracoideus s. lat. eine einheitliche
Masse.
Pars scapularis (M. subscapularis) (sbsc). Der
schmalere und meistens etwas gegen die Pars coracoidea zuriick-
tretende Teil des Muskels. Er entspringt in sehr wechselnder
Ausdehnung von der Innenflache des dorsal resp. dorso-distal von
dem Lig. sterno-scapulare internum befindlichen Teiles der kné-
chernen Scapula und des ventralen Teiles des Suprascapulare,
soweit an denselben nicht die Mm. levator scapulae superficialis,
seratus superficialis und namentlich levator scapulae et serratus
profundus Anheftung nehmen, ferner von dem Hinterrande der
Scapula s. str. und des ventralen Bereiches des Suprascapulare
und, bald mehr, bald weniger, von dem angrenzenden hinteren
Bereiche der Aufenfliche; hierbei kann er auch geringgradige
und unbestindige Urspriinge von dem scapularen Ende des Lig.
sterno-scapulare internum, von der Ursprungssehne des M. anco-
naeus scapularis, sowie dem distalen Teile des Lig. scapulo-hume-
rale laterale nehmen. Die von der Innenfliche und die von
der Aufenfliche kommenden Teile kénnen am Ursprunge eine
gewisse Selbstandigkeit gewinnen, wobei haufig die Insertion des
M. serratus superficialis sich etwas zwischen sie einschiebt; dann
kann man von einem Subscapularis posterior internus
und einem Subscapularis externus sprechen, von denen der
erstere den ansehnlicheren und konstanteren Teil bildet, der letztere
zwischen den Grenzen einer ziemlich weit tiber den hinteren Be-
reich der scapularen Aufenflaiche ausgedehnten Entfaltung (Gecko-
nidae, Scincidae) und einer sehr geringen, in der Hauptsache
auf den hinteren Rand der Scapula beschrinkten und kaum yon
dem Subscapularis internus gesonderten Ausbildung (Varanus)
alle méglichen Entwickelungszustande aufweist.
Beide Teile konvergieren nach der Insertion zu einem ganz
einheitlichen Subscapularis, der, vollkommen mit dem Subcoraco-
ideus verbunden, am Proc. medialis humeri sich anheftet. Die
einfachere Ausbildung ist nicht als der rein erhaltene urspriing-
liche Zustand des Muskels zu beurteilen, sondern beruht zu einem
guten Teile auf partiellen Reduktionen der Muskelmasse.
Nach SABATIER (p. 196—198) reprisentieren der coracoidale
und scapulare Anteil die Chefs coracoidien et scapulaire postérieur
des M. obturateur interne thoracique; ersterer sei beim Menschen
riickgebildet, letzterer entspreche der axillaren (von dem hinteren
438 Max Firbringer,
resp. unteren Teile der Scapula kommenden) Portion der mensch-
lichen Subscapularis. — In der allgemeinen Vergleichung mit dem
menschlichen Subscapularis folgen SaABATIER und SHureLpt der
iiblichen, auch von mir geteilten Annahme. Die Beschrankung
der direkter vergleichbaren Elemente des Subscapularis der Lacer-
tilier auf den hinteren (axillaren) Teil des menschlichen Subscapu-
laris scheint mir dagegen auf eine allzu grofe Specialisierung und
kiinstliche Sonderung des Muskels der Mammalia hinauszukommen.
18. Anconaeus.
a) Caput scapulare:
Caput scapulare m. anconaei s. M. anconaeus scapu-
laris lateralis: Firerincer (18a).
Longue portion du triceps brachial: Aux.
Chef scapulaire du long triceps brachial: Sasatinmr.
External long head of the Triceps: bE Vis.
Third head of the Triceps (Strong, cord-like tendon of
the Triceps from the Scapula): SuHuretpr (No. 35).
b) Caput coracoideum:
Caput coracoideum m. anconaei s. M. anconaeus
coracoideus: Firsrincer (18b).
Expression tendineuse ete. de la longue portion
du triceps brachial: Atrix.
Chef coracoidien du long triceps brachial: Saparimr.
Internal long head of the Triceps: ps Vis.
Fourth head of the Triceps (Long flat tendon of the
Triceps from the Coracoid): Suurenpt (No. 35).
c) Caput humerale laterale:
Caput humerale laterale m. anconaei s. M. anco-
naeus humeralis lateralis: Firsrincer (18c).
Faisceau huméro-cubital externe (Vaste externe):
ALrx,
Vaste externe: SABATIER.
External humeral head of the Triceps: pr Vis.
First head of the Triceps: Suurexnpr (No. 35).
d) Caput humerale mediale:
Caput humerale mediale m. anconaei s. M. anco-
naeus humeralis medialis: Firsrrmcer (184d).
Faisceau huméro-cubital interne (Vaste interne):
AULIx,
Vaste interne: SaBATIER.
[Internal humeral head of the Triceps: pr Vis.
Second (another) head of the Triceps: Suurenpr (No. 35).
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 439
An der Streckseite des Oberarms befindliche kriftige oder
sehr kraftige und ansehnliche Muskelmasse, die mit zwei langeren
Képfen, Caput scapulare und C. coracoideum, von dem dorsalen
und ventralen Bereiche des Schultergiirtels, mit zwei kiirzeren
K6épfen, Caput humerale laterale und C. humerale mediale, von
der Dorsalfliche des Humerus entspringt und nach der Vereinigung
derselben einen meistens sehr voluminédsen Muskelbauch bildet,
der kraftig an dem proximalen Bereiche der Ulna inseriert.
a) Caput scapulare s. M. anconaeus scapularis
(lateralis) (asc). Der dorsale, laterale und weitaus ansehn-
lichere der beiden langen Képfe. Es entspringt, bedeckt von dem
M. dorsalis scapulae und zwischen den Mm. scapulo-humeralis
anterior und subscapularis externus, mit einer in der Regel kraf-
tigen Sehne von dem hinteren Rande und dem angrenzenden hin-
teren Bereiche der AuSenflache ') des direkt tiber der Gelenkhéhle
gelegenen (supraglenoidalen) Teiles der Scapula und geht in einen
meist recht kraftigen Muskel tiber, der, den M. latissimus dorsi
lateral deckend, an der Dorsolateralseite des Oberarms distalwarts
zieht und sich, meist vor der Mitte desselben, mit dem Caput
coracoideum und bald darauf mit den humeralen K6épfen vereinigt.
Bevor er den M. latissimus dorsi passiert, tritt er zu den hier
befindlichen Nn. brachiales superiores in bemerkenswerte Bezie-
hungen: dorsal von ihm verlaufen die Nn. dorsalis scapulae und
cutaneus brachii superior lateralis (supraanconaeus), ventral die
Nn. scapulo-humeralis anterior und cutaneus brachii et antibrachii
superior lateralis (infraanconaeus).
Die Ursprungssehne (Hauptsehne) (ascr) des Anconaeus
scapularis zeigt bei allen von mir neuerdings untersuchten Lacer-
tiliern eine humerale Ankerung (asen), welche als ein sehr
verschiedenartig entwickeltes Gebilde den ventralen Rand der
Sehne mit dem gleich an den Gelenkkopf anschliefenden Anfang
des Proc. lateralis humeri verbindet und hierbei den M. scapulo-
humeralis anterior tiberbriickt. Am haufigsten beginnt diese Anke-
rung mit dem Ursprunge der Hauptsehne: ihre am
meisten proximalen Ziige verlaufen dann von dem hinteren Teile
der scapularen Aufenfliche nach dem ersten Anfange des Proc.
1) Meist greift der Ursprung nicht iiber das hintere 1/, der
scapularen Aufenfliche vor; durch den am weitesten vorn beginnen-
den Ursprung sind die untersuchten Iguanidae und Agamidae ge-
kennzeichnet.
Bd, XXXIV. N. F. XXVIL 99
~_
440 Max Firbringer,
lateralis humeri und bilden damit eine nicht direkt von dem Zuge
des M. anconaeus scapularis abhangige Sehnenbriicke, welche Lig.
scapulo-humerale laterale (L.schit) heiben mége'). Ur-
spriinglich als sehr diinnes bis diinnes, gegeniiber der Hauptsehne
und der Ankerung recht zuriicktretendes Gebilde auftretend (Gecko,
Fig. 135), dann kraftiger werdend und der hier nicht unbedeuten-
den Ankerung an Starke gleichkommend (Lygosoma und Zono-
saurus, Fig. 134, 155), gewinnt sie weiterhin eine hodhere Ent-
faltung als die Ankerung (Varanus, Fig. 138, Zonurus, Fig. 136,
Lacerta, Fig. 187) und bildet sich zu einem kraftigen, den An-
fang der Hauptsehne deckenden Bande aus, das schlieBlich sich
erdktenteils von der Hauptsehne ablést und eine dieser gegentiber
mehr oder minder selbstandige, zwischen Scapula und Proc. late-
ralis humeri ausgespannte Sehnenbriicke tiber dem M. scapulo-
humeralis anterior reprisentiert (Lacerta). Die humerale An-
kerung kann aber auch erst im weiteren Verlaufe der
Hauptsehne von deren ventralem Rande ausgehen: dann bildet
sie einen rechtwinkelig von dieser sich abzweigenden, meist schmalen,
aber nicht unkraftigen Sehnenzug, der in der gewohnten Weise
den M. scapulo-humeralis tiberbriickt; ein Lig. scapulo-humerale
laterale fehlt aber. Dies ist der Fall bei Uroplates, Fig. 140, und
Phrynosoma, ,Fig. 139; bei letzterem dient die humerale Anke-
rung zugleich dem ventralen Teile des Muskelbauches des Anco-
naeus scapularis als Ursprungsstelle.
Kine andere, schwacher und viel unbestandiger entwickelte
Ankerung findet sich etwas distaler und verbindet die dorso-
mediale Flaiche des Anconaeus scapularis mit dem Insertionsteile
des M. latissimus dorsi (am besten bei Geckonidae, Fig. 133 asein,
ausgepragt).
Mitunter, bei gewissen Iguanidae und Agamidae, kann der
Ursprung des Anconaeus scapularis in zwei Zipfel gespalten sein ;
besonders hochgradig ist dieser Zerfall bei Calotes, wo zwei vollig
1) Ankerung und Sehnenbriicke wurden auch in der Be-
schreibung von 1875 (p. 742) als sehr hiufige Bildungen angefiihrt,
aber nicht weiter im Detail behandelt. Da die meisten Autoren
ihrer nicht Erwahnung thaten, konnte ich fir ihre durchgehende
Existenz bei den Lacertiliern nicht eintreten: ich vermute aber,
daf die genauere Untersuchung dieselbe erweisen wird. — SHUFELDT
thut ihrer bei Heloderma ganz richtig Erwihnung, doch nicht so
eingehend, dai ich diesen Lacertilier den im obigen Texte be-
schriebenen Formen einreihen kann.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 441
getrennte Kopfe bestehen, ein kriftigerer dorsaler und oberflaich-
licher, dessen durch eine dorsale scapulare Ankerung verstarkter
Ursprung recht breit an der Scapula hinaufreicht, und ein
schwicherer ventraler und tiefer, der, von dem dorsalen Saume des
M. scapulo-humeralis anterior bedeckt, gleich neben der Gelenk-
héhle von dem Rande der Scapula entspringt und weiterhin die
diinne und ziemlich breite humerale Ankerung abgiebt, die iibrigens
in der gewodhnlichen Weise den distalen Teil des M. scapulo-
humeralis anterior iiberbriickt !).
b) Caput coracoideum s. Anconaeus coracoideus
(ac). Der coracoidale Kopf wird durch eine schlanke Sehne
reprisentiert, welche von der hinteren Ecke des Coracoides oder
von dieser und dem Lig. sterno-scapulare internum entspringt ”)
und an der Medialflache des Oberarmes zwischen den Nervi
brachiales longi superior und inferior und an der Innenseite
(Medialseite) des M. latissimus dorsi distalwarts verlauft, um ent-
weder in einen kurzen und schmalen Muskelbauch tiberzugehen
(Geckonidae, Phrynosoma, Varanus), der sich darauf mit der
Medialseite des Caput scapulare verbindet, oder direkt als Sehne
diese Verbindung mit dem Caput scapulare zu vollziehen.
Dem Verhalten des Caput coracoideum, namentlich seinem
Ursprunge, kommt eine gewisse Bedeutung als partieller Grad-
messer der tieferen oder héheren systematischen Stellung der be-
trettenden Lacertilier zu: 1) Bei den Geckonidae entspringt die
ziemlich kraftige (Gecko) oder mifig schwache (Hemidactylus)
oder sehr® diinne Sehne (Tarentola) wie bei den Urodelen ledig-
lich vom Rande und dem Innensaume der hinteren Ecke des
Coracoides und geht nach langem Verlaufe erst in der distalen
Halfte des Oberarmes in den kleinen, schmalen Muskelbauch iiber,
1) Da der M. seapulo-humeralis anterior zuerst die Hauptsehne
deckt, dann aber von der humeralen Ankerung gedeckt wird, ver-
lauft diese, aus der Tiefe kommend und oberflichlich endend, in
medio-lateraler Richtung.
2) pe Vis laft den Internal long head bei Chlamydosaurus auf
der einen Seite ventral vom External long head von der Scapula,
auf der anderen von dem Kapselbande des Schultergelenkes kommen
und sich durch eine schlanke, von dem Sehnenbogen unter dem
Subscapularis (Lig. sterno-scapulare internum mihi) ausgehende
Sehne verstirken. Dieser Befund ist sehr eigentiimlich und laft
weitere Untersuchungen wiinschenswert erscheinen.
29*
442 Max Firbringer,
der sich bald darauf mit dem Caput scapulare verbindet '). 2) Bei
Lygosoma, Zonosaurus, Lacerta (Fig. 145) und Zonurus (Fig. 144)
entspringt die bei den beiden ersten Lacertiliern schwachere, bei
den beiden letzten kraftigere Sehne hauptsachlich von der hinteren
Ecke des Coracoides (er;), neben der coracoidalen Ankerung des
Lig. sterno-scapulare internum (e711) und mit ihr verbunden, steht
aber auch durch eine breitere, jedoch sehr diinne, an diese Anke-
rung anschliefende Sehnenausbreitung mit dem Lig. sterno-scapu-
lare internum (L.stscz) in Verband; ohne in einen Muskelbauch
iiberzugehen, verbindet sie sich direkt, und zwar vor der Mitte
des Oberarmes, meist gleich distal von dem hinteren Rande des
M. latissimus dorsi, mit dem Caput scapulare. 3) Bei den unter-
suchten Iguanidae, Agamidae und Varanidae hat sich der Verband
mit dem Lig. sterno-scapulare internum (Z.séscz) zu einem kraftigen
Sehnenzuge entwickelt, so daf man hier von zwei gleichwertigen
schlanken und festen Ursprungszipfeln des Caput coracoideum
sprechen kann, von denen der eine von der Ecke des Coracoides
(cr;), der andere von dem Ligamentum ausgeht; beide Zipfel
hangen zugleich mit der coracoidalen Ankerung zusammen, die
zum Teil als diinne aponeurotische Membran zwischen ihnen aus-
gespannt ist, und bei Phrynosoma (Fig. 146) la8t sich der vom
Lig. sterno-scapulare kommende Zipfel zugleich als leidlich selb-
standiger schmaler Zug bis zur Scapula verfolgen. Bei Varanus
(Fig. 145) und Phrynosoma (Fig. 146) gehen die Sehnen (ac) vor
der Verbindung mit dem Caput scapulare in ziemlich kleine
Muskelbauche (acm) ”) tiber, die zugleich von dem insertiven Teile
des M. latissimus dorsi abgehende accessorische Ursprungszipfel
(acy) bekommen; auch bei Heloderma ist dies nach SHUFELDT
der Fall. — Uroplates wies einen negativen Befund auf: das
Caput coracoideum ist bei ihm, allein unter allen untersuchten
kionokranen Lacertiliern, wie bei den Chamaeleontiden géanzlich
riickgebildet.
c) Caput humerale laterale s.M.anconaeus hume-
ralis lateralis (ahl). Er bildet den kraftigeren von den hume-
1) Snuretpr erwahnt bei Heloderma keinen Verband des
Anconaeus coracoideus mit dem Lig. sterno-scapulare internum. Ich
vermute, nach dem sonstigen Verhalten von Heloderma, daf der-
selbe hier existiert, daf somit Heloderma unter 2 (oder 3) ein-
zureihen ist.
2) Die Muskelbauche sind hier gréfer als bei den Geckonidae;
ihre primitive Natur kann angezweifelt werden.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 443
ralen Képfen und nimmt Ursprung von der dorso-lateralen Cirkum-
ferenz des Mittelstiickes des Humerus, wobei er am Anfange mit
den Mm. dorsalis scapulae, deltoides clavicularis und brachialis
inferior mannigfache Verbinde eingehen, auch mit einem kleineren
lateralen Zipfel iiber das Ende der Insertion des M. dorsalis
scapulae iibergreifen kann (so namentlich bei Gecko). Dem distalen
Bereiche seiner Fliche ist mitunter (specieller beobachtet bei
Lygosoma und Lacerta, wahrscheinlich aber weiter verbreitet) ein
schlanker Sehnenstreifen eingewebt, der an den proximalen Teil
der Fascie der Streckseite des Vorderarmes sich ansetzt.
d) Caput humerale mediale s. M. anconaeus hume-
ralis medialis. Der kleinere humerale Kopf, der von der
dorso-medialen Cirkumferenz des humeralen Schaftes entspringt.
Im proximalen Drittel des Oberarmes durch die Insertionen des
M. scapulo-humeralis anterior und latissimus dorsi von dem Caput
humerale laterale getrennt, tritt er bald darauf mit ihm zu einem
mehr oder minder einheitlichen Muskel zusammen, mit dem sich
bald danach die vereinigten langen K6épfe verbinden.
Die Verbindung aller 4 K6épfe ist meist um die Mitte des
Oberarmes, seltener weiter distal von ihr vollzogen. Der daraus
resultierende kriftige Muskelbauch') zieht tiber die Dorsalflache
des Oberarmes und der Kapsel des Ellenbogengelenkes, mit ihr
fest verbunden und zu einem kleinen Teile an ihr endend (M. sub-
anconaeus), hier zugleich eine verschieden entwickelte Patella
ulnaris (Pa.u)”) einschlieBend, nach der Ulna, an deren proxi-
malem Ende (Olecranon) er mit kraftiger Sehne endet.
1) Derselbe ist bei der Mehrzahl der untersuchten Kionokranier
sehr ansehnlich; bei Uroplates und Calotes wurde er relativ am
schwiichsten gefunden.
2) Ich habe die Patella ulnaris bei keinem von mir unter-
suchten Lacertilier vermift; sie besteht bald aus Knochen und
Knorpel, bald nur aus Knorpel. Eine knorpelige und knécherne
Patella findet sich bei den untersuchten Geckonidae, bei Uroplates,
Lacerta, Phrynosoma und Calotes; sie bildet hier eine rundliche
oder lingliche, distalwirts meist etwas schmialer, aber dicker
werdende Platte, deren proximaler Teil von Knorpelgewebe, deren
distaler Abschnitt von Knochengewebe gebildet ist; hierbei tritt der
knécherne Anteil gegen den knorpeligen meist mehr oder minder
erheblich zuriick (am schwichsten und noch ganz von Knorpel um-
schlossen ist er bei Lacerta, etwas ansehnlicher bei Ptychozoon,
Uroplates und Phrynosoma) oder er kommt dem knorpeligen in der
Flachenausbreitung gleich (Gecko, Calotes) oder er iibertrifft ibn
444 Max Firbringer,
B. Amphisbaenia.
Ueber die Muskeln der Amphisbaenidae ist seit meiner 1870
veroffentlichten Arbeit tiber die Knochen und Muskeln bei den
schlangenaihnlichen Sauriern, die auch tiber Amphisbaena fuliginosa
und Lepidosternon microcephalum Mitteilungen machte, 1885 eine
verdienstvolle Untersuchung von SMALIAN erschienen, welche die
Muskulatur von Trogonophis wiegmanni, Blanus cinereus, Amphis-
baena fuliginosa und Anops kingii behandelt und im Anschlu8 an
meine Erstlingsarbeit, die sie in mancher Hinsicht tiberholt, auch
tiber die Schultermuskel-Rudimente bei Blanus und Amphisbaena
berichtet.
Ich habe seitdem meine friiheren Beobachtungen an Trogon-
ophis, Blanus, Amphisbaena und Lepidosternon fortgesetzt, ziehe
aber vor, mit der Veréffentlichung derselben zu warten, bis es mir
gelungen ist, fiir die betreffenden Untersuchungen noch Chirotes
zu erhalten. Erst damit und mit der eventuellen vergleichenden
Herbeiziehung von gewissen Tejidae diirfte die Untersuchung eine
eréBere und auch speciellere systematische Bedeutung gewinnen ;
bis dahin hat sie nur den beschrainkten Wert, die Rudimente bei
den extremitétenlosen Amphisbaenidae durch den Vergleich mit
ferner stehenden Kionokraniern in ganz allgemeiner Weise zu
analysieren.
selbst nicht unerhebllch (Hemidactylus). Eine nur knorpelige
(resp. faserknorpelige) Patella wurde bei Lygosoma, Zonosaurus,
Zonurus, Ameiva und Varanus gefunden; bei Lygosoma, Zonosaurus
und Varanus bildet sie eine rundliche, bei Zonurus eine abgerundet
viereckige, bei Ameiva eine abgerundet fiinfeckige Platte, die bei
Varanus ziemlich schwach, bei Ameiva degeneriert und von mikro-
skopischer Diinnheit ist. Ptychozoon, Uroplates und Phrynosoma
kennzeichnet eine relativ grofe Patella, bei den anderen Kiono-
kraniern ist sie von mittlerer oder geringerer, bei Ameiva von
minimaler Grife. pm Vis erwahnt bei Chlamydosaurus eine
knécherne Patella, SHurrnpr vermift sie bei Heloderma. — Die
genauere Kenntnis der Patella kann nur durch Beobachtung der
inneren, der Gelenkhéhle zugekehrten Flache und durch die Patella
gelegter Schnitte gewonnen werden; die Aufenfliche gewihrt em
ganz unvollkommenes Bild und laft den gréBeren Teil der knorpe-
ligen Abschnitte iibersehen (vergl. die inneren auf Fig. 147—158
dargestellten Ansichten; die Knorpelteile sind etwas dunkler. wieder-
gegeben als die Knochenteile). Von gréiferer systematischer Be-
deutung scheint ihr Vorkommen und ihre Bildung nicht zu sein.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 445
C. Chamaeleontia (Rhiptoglossa).
(Vergl. Taf. XV, Fig. 132, 141, 142, 159, 160.)
Neuere Untersuchungen oder Darstellungen der Schulter-
muskeln der Chamaeleontidae seit 1875 sind mir nicht bekannt
geworden. SABATIER giebt in seinem Werke 1880 zum Teil neue
Deutungen derselben, wie es scheint, nicht auf Grund eigener Be-
obachtungen. Ich wurde durch die bei Uroplates gemachten Be-
funde angeregt, Chamaeleo vulgaris nochmals, sowie Brookesia
supericiliaris neu zu untersuchen. Aus Sapatier’s Deutungen
hebe ich nur diejenigen hervor, welche von den von mir aufge-
stellten Homologisierungen abweichen.
1. Sterno-mastoideus (Capiti-sternalis) und Cucullaris (Dorso-
scapularis).
Capiti-sternalis (Stero-mastoideus) und VDorso-
scapularis (Cucullaris): Firprincer (No. 1 und 2).
Bei den Chamaeleontiden ist der bei gewissen Vertretern der
kionokranen Lacertilier beobachtete Zerfall des urspriinglich ein-
heitlichen Muskels in zwei ganz getrennte und voneinander ent-
fernte Partien (vornehmlich bei Uroplates und gewissen Iguanidae
und Agamidae, s. p. 401) in extremer Weise, graduell mit Phryno-
soma rangierend, entwickelt.
Der Sterno-mastoideus verliuft als schmales und mabig
schwaches (Chamaeleo) oder sehr schmales und zartes (Brookesia)
Muskelband vom Kopfe nach dem vorderen Teile des Sternum,
wobei er sich wie die Mehrzahl der Kionokranier zwischen den
M. deltoides inferior (clavicularis) und den ersten Anfang des M.
pectoralis einschiebt. Zwischen ihm und dem _ entsprechenden
Muskel von Uroplates bestehen qualitative Uebereinstimmungen.
Der Cucullaris repriisentiert einen schmalen und diinnen
Muskel, der bei Chamaeleo, wie es scheint in wechselnder Weise,
von den Proc. spinosi 2 oder 3 vorderer Dorsalwirbel entspringt
(verg]l. Schultermuskeln, 1875, p. 751, Anm. 3; ich beobachtete
neuerlich einen Ursprung vom 2. und 3. oder 3. und 4. Dorsal-
wirbel) und in transversal-ascendenter Richtung zur Aufenfliche
des Suprascapulare gleich hinter der Insertion des M. levator
scapulae superficialis geht. Bei Brookesia ist der Muskel noch
446 Max Firbringer,
schmiler und dinner und entspringt nur vom 2. Dorsalwirbel.
Er entspricht im wesentlichen einem sehr reduzierten M. cucullaris |
posterior von Uroplates.
2. Levator scapulae superficialis (Collo-scapularis superficialis).
Collo (Capiti)-scapularis superficialis (Levator
scapulae superficialis: Firprincrer (No. 3).
Ansehnlicher, vom 1. Halswirbel kommender Muskel‘), der bei
Chamaeleo entweder eine ganz einheitliche Masse bildet oder nur
unvollkommen gesondert ist, bei Brookesia dagegen einen deut-
licheren Zerfall in eine dorsale und ventrale Partie (Levator
scapulae superficialis superior und inferior), beide von anniihernd
eleicher Gréfe, zeigt. Der dorsale Muskel geht an den vorderen
Teil der Aufenfliche des Suprascapulare, der ventrale an den
Vorderrand des dorsalen Bereiches der knéchernen Scapula.
3. Serratus superficialis (Thoraci-scapularis superficialis).
Thoraci-scapularis superficialis (Serratus super-
ficialis): Firprincer (No. 4).
Ansehnlicher, von den beiden letzten Halsrippen und der
1. Brustrippe (4, 5, 1) entspringender Muskel, der an den ganzen
Hinterrand des kurzen Suprascapulare und an die dorsalen ?/,;
bis 7/, des Hinterrandes der ziemlich langen knéchernen Scapula
s. str. geht. In dieser ausgedehnten Insertion an der Scapula s. str.,
die mit der weiter fortgeschrittenen Verknécherung der Scapula
s. lat. (wodurch der speciell scapulare Anteil derselben sich ver-
orikert, der suprascapulare sich vermindert) zusammenhinet,
offenbart sich eine weitere Entwickelung des beziiglichen Ver-
haltens bei Uroplates (p. 404). Auch in der wenig deutlichen
Scheidung von dem M. serratus profundus zeigen sich verwandt-
schaftliche Beziehungen zu diesem Kionokranier.
4. Levator scapulae et Serratus profundus (Collo-thoraci-scapularis
profundus).
Collo-thoraci-suprascapularis profundus (Serra-
tus profundus): Firerincer (No. 5).
] |
1) Der von Mivarr angebene occipitale Ursprung fand sich bei
keinem der mir vorliegenden Exemplare.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 447
Relativ schwach entwickelter Muskel, den ich nur bei Cha-
maeleo genauer untersuchte. Er bietet die beiden Schichten der
Kionokranier gleichfalls dar und nahert sich in seinem specifischen
Verhalten etwas dem Muskel von Uroplates, der aber bei diesem
viel ansehnlicher entwickelt ist.
a) Oberflaichliche Schicht. Kommt mit zwei zusammen-
hangenden Zacken von den beiden letzten Halsrippen (4 und 5)
und geht in descendenter Richtung an die hintere Hilfte der
Innenfliche des Suprascapulare, wobei (wie bei Uroplates) recht
nahe Beziehungen zu dem M. serratus superficialis existieren
(Uebergangsbiindel). Das bei Uroplates entwickelte vordere (an
dem vorderen Teile der suprascapularen Innenfliche endende)
Biindel ist bei Chamaeleo minimal oder fehlt ganz.
b) Tiefe Schicht. Breite, aber recht schwache Lage, die
hauptsichlich von der yorletzten, mit einem geringen Anteile auch
von der drittletzten Halsrippe (5 und 4) entspringt und in trans-
versalem Laufe an den dorsalen Teil des Suprascapulare geht.
5. Sterno-coracoideus internus profundus.
Sterno-coracoideus internus: Firprincer (No. 6).
Der Sterno-coracoideus internus der Chamaeleontiden liegt
medial und innerhalb des M. transversus abdominis, ist somit ein
profundus.
Er reprasentiert einen maig entwickelten Muskel, der von
der Innenflaiche des Sternum und, minimal, von den angrenzenden
Enden der beiden ersten Sternocostalien entspringt und nach
longitudinalem Verlaufe sehnig-muskuliés mit Ueberwiegen des
sehnigen Charakters an der Innenfliche der vorderen medialen
Ecke des Coracoides inseriert. ;
Ein M. sterno-coracoideus internus superficialis wurde
vermilst.
Durch diese Existenz des M. stc. int. profundus und den Mangel
des M. stc. int. superficialis treten die Chamaeleontiden in Gegen-
satz zu Uroplates, bei dem das Umgekehrte der Fall ist. Solche
auf der blofSen Existenz oder Nichtexistenz (Verkiimmerung) von
Muskeln beruhende, rein quantitative Ditferenzen sind aber in
systematischer Beziehung nicht zu itiberschitzen, da sie an sich
keine Verschiedenheit des Quale, welches das Ausschlaggebende
ist, bedeuten.
448 Max Firbringer,
6. Lig. sterno-scapulare internum.
Der M. sternocosto-scapularis fehlt den Chamaeleontiden ihn-
lich wie den Geckonidae und Uroplates ganzlich. Das Lig. sterno-
scapulare internum dagegen ist vorhanden als ein mifig entwickelter
Sehnenzug, der breit und diinn von dem Sternum (Lab. internum
sulci coracoidei) entspringt und, schmiiler, aber etwas kraftiger
geworden, sich an der Scapula (an der Grenze gegen das Coracoid)
anheftet. Bei Brookesia ist das Band etwas schwicher als bei
Chamaeleo.
Im Vergleich mit den kionokranen Lacertiliern stellen sich
die Chamaeleontiden hinsichtlich der quantitativen Ausbildung
des Bandes zwischen die Geckonidae und Uroplates einerseits und
Lacerta andererseits; bei ersteren ist dasselbe schwacher, bei
letzterem kraftiger.
7. Pectoralis.
Pectoralis: FURBRINGER.
MittelgroBer, zufolge der komprimierten Form des Rumpfes
an der ventralen Seitenflaiche der Brust und des Bauches gelegener
Muskel, der in Ermangelung eines Episternum nur von dem
Sternum und einigen Sternocostalien entspringt und den urspriing-
lichen Zusammenhang mit der Bauchmuskulatur (insbesondere
Rectus abdominis) sehr modifiziert zeigt. Ventral ist er gréftenteils
von der eigentiimlich entwickelten hyoidalen Muskulatur iiberlagert.
Der sternale Ursprung beginnt von dessen ganzer Linge
mit Ausnahme des vorderen (Chamaeleo) und hinteren (Chamaeleo,
Brookesia) Endes, die von den Urspriingen resp. Insertionen der
Mm. sterno-mastoideus (vorn) und sterno-hyoideus (hinten) ein-
genommen sind, der sternocostale von dem 2. und 3. Sterno-
costale, bei Chamaeleo iiberwiegend von dem 2., bei Brookesia
hauptsichlich von dem 3.; auch kommt bei Chamaeleo noch ein
sehr kleiner, von dem Ende des 1. Sternocostale entspringender
Zipfel hinzu.
Die Insertion geschieht in der gewéhnlichen Weise an dem
Proc. lateralis humeri, wobei die Ankerung an dem Tuberculum
mediale und die Umscheidung der Ursprungssehne des M. biceps
brachii gerade so wie bei Uroplates sehr ansehnlich ausgebildet
ist. Dieses tibereinstimmende Verhalten, sowie der wie bei den Cha-
maeleontidae auch bei Uroplates fehlende episternale Ursprung des
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 449
Pectoralis ergeben zwischen beiden Abteilungen nihere specifische
Beziehungen.
Bei Chamaeleo hat der von dem 2., bei Brookesia der von
dem 3. Sternocostale kommende Teil des Muskels eine gewisse
Selbstiindigkeit, die bei Brookesia sehr ausgebildet ist und das
Recht giebt, bei dieser Art von einer gegeniiber dem iibrigen
Pectoralis gesonderten Pars abdominalis zu sprechen.
8. Supracoracoscapularis.
Supracoracoideus und Suprascapularis: Firprincer
(No. 8 und 9).
Chef coracoidien (et précoracoidien) de l’obtura-
teur externe thoracique und Chef scapulaire anté-
rieur de l’obturateur interne thoracique: SABATIER.
Bei den Chamaeleontiden hat sich der — durch den auf den
Vordersaum der coracoidalen AuSenflaiche iibergewanderten Ur-
sprung des M. deltoides inferior beeintrichtigte — M. supracora-
coideus der kionokranen Lacertilier dorso -lateralwirts auf den
ventralen Bereich der Scapula ausgebreitet und ist damit ein M.
supracoracoscapularis geworden. Beide Teile, der alte coracoidale
und der neu erworbene scapulare, haben sich zugleich durch einen
Spalt gesondert, so dai sie, obwohl gemeinschaftlich am Anfange
des Proc. lateralis humeri inserierend, doch in ihrer gréferen
Ausdehnung als mehr oder minder separate Mm. supracoracoideus
und suprascapularis sich préasentieren.
Der breitere ventrale Supracoracoideus entspringt von
der Auenfliche des vorderen Teiles des Coracoides mit Ausnahme
des Vordersaumes, der von dem Ursprunge des M. deltoides inferior
eingenommen ist, wird von diesem und dem M. pectoralis gedeckt
und deckt anderseits den M. coraco-brachialis brevis und den
sehnigen Ursprung des M. biceps brachii.
Der schlankere dorso-laterale Suprascapularis beginnt
von dem vorderen Teile der Au8enflache der ventralen */;
(Brookesia) bis ?/, (Chamaeleo) der knéchernen Scapula s. str.
(mit Ausnahme von deren unterstem Ende), deckt den M. scapulo-
humeralis anterior und wird von dem dorsalen Rande des M.
deltoides inferior bedeckt und von dem vorderen des M. dorsalis
scapulae dorsal begrenzt.
Die Mm. supracoracoideus und suprascapularis wurden von
mir (1875, p. 756, 757) auf Grund ihrer gleichen Innervation
450 Max Firbringer,
durch den diazonalen N. supracoracoideus (supracoracoscapularis),
ihrer gemeinsamen Insertion am Anfange des Tuberculum laterale,
ihrer intimen Nachbarschaft und mehr oder minder innigen Ver-
bindung miteinander als Glieder desselben Systemes behandelt.
SABATIER (1880, p. 198 f.) list ohne jede wirkliche Begriindung
seinerseits — denn die auch hier wiederholte Behauptung, dal
ich mit meiner Deutung eine Konfusion begangen, kann doch nicht
als sachliche Begriindung gelten — diese natiirliche Verbindung
auf und deutet den Supracoracoideus als Chef coracoidien et
précoracoidien des M. obturateur externe thoracique, den Supra-
scapularis dagegen als Chef scapulaire antérieur des M. obturateur
interne thoracique, wobei er zugleich den M. scapulo-humeralis
profundus (den auch Mrvarr und RUDINGER nicht besonders unter-
schieden hiitten) mit dem M. suprascapularis als kleines und
undeutlich gesondertes Biindel desselben vereinigt (p. 199, Anm. 1).
— Diese neue Deutung Sapatier’s zerreift einerseits willkirlich
den natiirlichen Zusammenhang der durch die gleiche Innervation
und Insertion, sowie durch gegenseitigen Verband vereinigten
beiden Muskeln (M. supracoracoideus und suprascapularis) und
bringt andererseits zwei Muskelbildungen (M. suprascapularis und
M. scapulo-humeralis profundus) zusammen, welche grundverschie-
den (der erstere durch den diazonalen N. supracoracoscapularis, der
letztere durch den postzonalen N. scapulo-humeralis profundus)
innerviert sind und entfernt von einander (der erstere am Tuber-
culum laterale, der letztere an der Dorsalflache des Humerus
zwischen den beiden humeralen Képfen des Anconaeus) inserieren.
Daf der M. scapulo-humeralis profundus anterior der Chamaeleon-
tiden von Mrivarr und Ripinger tibersehen resp. abgeleugnet
wurde!), ist doch wohl kein Grund gegen seine selbstandige Kxistenz;
Mecke., Pretrrer und Rotieston haben ihn gleich mir sehr
wohl gesehen, und ein wirklich genauer Untersucher kann gar
nicht auf den Gedanken kommen, diesen Muskel, der tiberdies
noch durch das Lig. scapulo-humerale laterale von dem M. supra-
scapularis vollkommen geschieden ist, mit dem ganz anders ge-
arteten M. suprascapularis zu verschmelzen. Der Umdeutung
SABATIER’S fehlt jeder Grund und Boden.
1) Die Rtpinerr’sche Abhandlung zeigt alle Merkmale einer
fliichtig vorgenommenen Untersuchung. Eventuell ware auch, wenn-
gleich mit grofer Unwahrscheinlichkeit, mit einem individuellen
Mangel des Muskels zu rechnen. Ich habe mehrere Exemplare von
Chamaeleo auf seine Existenz untersucht, ihn aber niemals vermibt.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 451
9. Coraco-brachialis brevis und longus (cbrb und cbri).
Coraco-brachialis (brevis und longus): FURBRINGER
(No. 10).
Die Mm. coraco-brachiales brevis und longus der Chamaelecn-
tidae (Fig. 132) sind von Anfang an getrennt und im ganzen
gering entwickelt.
Coraco-brachialis brevis (cbrb). Makig grofer, kurzer
Muskel, der von dem hinteren Teile der coracoidalen Aufenflache
entspringt und bei Chamaeleo bis zur Mitte des Humerus herab-
reicht. Bei Brookesia ist er etwas schwacher als bei Chamaeleo
und reicht bis zum Ende des 2. 1/; des Oberarmknochens.
Coraco-brachialis longus (chrl). Diinner und schmaler
Muskel, der von der hinteren Ecke des Coracoides entspringt und,
ihnlich wie bei Uroplates, mit schlanker Sehne an dem Epicon-
dylus medialis inseriert.
10. Biceps brachii (Coraco-antibrachialis) (02).
Coraco-antebrachialis (Biceps): Fursrincer (No. 11).
Mabig entwickelter bis schwacher Muskel (Fig. 132), der rein
sehnig von der Mitte des Epicoracoides entspringt, im proximalen
Bereiche des Oberarmes in den Muskelbauch iibergeht und distal
am Radius und an der Ulna endet.
Die lange und schlanke Sehne (07.¢) ist ganz zwischen dem sie
deckenden M. supracoracoideus und dem yon ihr gedeckten M. co-
raco-brachialis brevis eingegraben und wird dann am Anfange
des Oberarmes im Sulcus bicipitalis von der durch die Haupt-
insertion und die Ankerung des M. pectoralis gebildeten Scheide
umgeben (p. 448). Der schlanke, rundliche Muskelbauch (b7;) teilt
sich bei dem untersuchten Exemplar von Chamaeleo hinter der
Mitte des Oberarmes in zwei Teile, einen gréBeren lateralen, der,
dem M. brachialis inferior dicht anliegend, aber nicht eigentlich
mit ihm verschmolzen, in eine Sehne tibergeht, die mit 2 Zipfeln
an Radius und Ulna endet, und einen kleineren medialen, der
mit dem sehnigen Anfange des M. pronator (nicht mit seiner ober-
flachlichen Fascie) verschmilzt, somit dem Lacertus fibrosus der
kionokranen Lacertilier (p. 424) nicht direkt verglichen werden
kann'). Brookesia zeigt eine schwachere und einfachere Aus-
1) Vielleicht handelt es sich hier um eine individuelle Be-
sonderheit des medialen Sehnenzipfeis. Ich entsinne mich nicht,
452 Max Firbringer,
bildung des Muskels; ob auch hier ein Verband mit dem M. pro-
nator existiert, konnte wegen zu schlechter Erhaltung der _be-
treffenden Stelle beider vorderen Extremitaten des untersuchten
Tieres nicht entschieden werden.
Die mancherlei Uebereinstimmungen mit Uroplates, nament-
lich im Verhalten der Ursprungssehne, sind sehr in die Augen
fallend ').
li. Brachialis inferior (Humero-antibrachialis inferior).
Humero-antebrachialis inferior (Brachialis infe-
ferior): Fursricer (No. 12).
Bei den Chamaeleontiden ist der M. brachialis inferior etwas
schwiicher als bei den kionokranen Lacertiliern entwickelt, tiber-
trifft aber den medial neben ihm verlaufenden M. biceps brachii
eanz erheblich an Starke; beide Muskeln stehen in ihrem in-
sertiven Bereiche in minder innigen Beziehungen als bei der
Mehrzahl der Kionokranier und wahren mehr oder minder ihre
Selbstaindigkeit. Bei Chamaeleo teilt sich der M. brachialis in-
ferior in eine schlanke, aber nicht unkraftige laterale Sehne, die
ganz fiir sich an dem Radius inseriert, und einen dickeren, fleischig-
sehnigen Bauch, der mit kurzer Sehne direkt neben der beziig-
lichen Biceps-Insertion an dem Anfang der Ulna endet.
12. Latissimus dorsi (Dorso-humeralis).
Dorso-humeralis (Latissimus dorsi): Fwrsringer
(No. 13),
ihr bei frither untersuchten Chamaeleontiden begegnet zu sein; auch
die anderen Untersucher erwiihnen nichts davon.
1) Auch die sowohl dem Biceps, wie den anderen im
Bereiche der freien Extremitaten (vorderer wie hinterer)
befindlichen Muskeln zukommende Schwiache der Ent-
wickelung zeigt bei Uroplates und den Chamaeleontidae etwas
Gemeinsames, das sich schon juferlich in dem schwachen und
schlanken Gliedmafenbau dieser Tiere kundgiebt; doch will ich auf
dieses Verhalten — weil es sich hier um ein quantitatives Merkmal
handelt — nicht zu viel Gewicht legen. Uroplates zeigt noch die
am leidlichsten entwickelte Muskulatur, darauf folgt Chamaeleo,
Brookesia mit sehr schwachen Muskeln (und einem nur aus 3 Wurzeln
bestehenden Plexus brachialis) beschlieft die Reihe.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 455
Der M. latissimus dorsi der Chamaeleontiden tritt in Aus-
breitung und Stirke erheblich gegen den Latissimus dorsi der
meisten Kionokranier zuriick; nur Uroplates, Phrynosoma und
Varanus zeigten dort Reduktionszustande, welche denen bei den
Chamaeleontidae nahekommen.
Er entspringt von dem Niveau der 4 bis 5 ersten Dorsal-
wirbel (6. bis 10. Wirbel)‘), vorn deutlich von den Dornen kom-
mend, hinten mit der Fascie der spino-dorsalen Riickenmuskulatur
verwachsen, sowie relativ recht ausgebreitet von der 3. und 4.
Brustrippe (Vertebrocostale), wobei der unterste und _ hinterste
Teil des Muskels bei Chamaeleo vorwiegend von der 3., bei Broo-
kesia von der 4. Rippe ausgeht ”).
Von da aus konvergieren die Fasern, die vorderen spinalen
in transversaler, die hinteren costalen in longitudinaler bis longi-
tudinal-ascendenter Richtung zu der schmalen, an der gewéhn-
lichen Stelle stattfindenden Insertion, wobei zugleich eine partielle
Faserkreuzung stattfindet, indem die costalen proximaler als die
spinalen sich an den Humerus ansetzen.
Auch hier sind die nahen Relationen zu Uroplates (ent-
sprechendes Verhalten der Rippenurspriinge) unverkennbar.
13. Dorsalis scapulae (Deltoides scapularis s. superior).
Dorsalis scapulae (Deltoides scapularis s. supe-
rior): Furprincer (No. 14).
Chef scapulaire de l’obturateur externe thora-
cique: SABATIER.
Die Chamaeleontiden stellen sich hinsichtlich der gegenseitigen
insertiven Beziehungen der Mm. dorsalis scapulae und deltoides
coraco-sternalis s. inferior in gewisser Hinsicht in die Reihe der
sub 4 angefiihrten Kionokranier (p. 428): beide Muskeln sind
vrobtenteils voneinander gesondert, und der vorwiegend muskulés
inserierende M. deltoides inferior lagert sich an der Insertion iiber
den vorwiegend sehnig endenden M. dorsalis scapulae, wobei er
1) Bei Chamaeleo auch individuell erst mit dem 2. Dorsalwirbel
(7. Wirbel) beginnend.
2) Gugleich nahm der dorsal daran angrenzende Teil des
Muskels bei Chamaeleo Ausgang von der 4. bei Brookesia von der
3. Rippe — somit eine umgekehrte Verteilung bei diesen beiden
Gattungen der Chamaeleontiden, falls nicht rein individuelle Ver-
haltnisse vorliegen.
454 Max Firbringer,
zugleich bei Brookesia nur minimal (= Zonosaurus), bei Cha-
maeleo in mabigem Grade (= Ameiva oder Uromastix) distalwarts
weiter greift als dieser Muskel. Eine Besonderheit bieten die
Chamaeleontiden insofern dar, als beide Muskeln in ihrem Anfange
und dem gréferen Teile ihres Verlaufes nicht nur von einander
gesondert, sondern durch einen breiten (von dem M. suprascapu-
laris ausgefillten) Spalt voneinander getrennt und entfernt sind.
Der M. dorsalis scapulae bildet entsprechend der Lange
und Schmalheit der Scapula einen langen, aber mabig breiten
Muskel, der von dem hinteren und ventralen Bereiche des kurzen
Suprascapulare (hinter und ventral von den Insertionen der
Mm. cucullaris und levator scapulae), sowie von dem dorsalen '/,
(Chamaeleo) bis ?/, (Brookesia) der langen knéchernen Scapula ‘)
entspringt und mit konvergierenden Fasern am dorsalen mittleren
Teile des Proc. lateralis humeri, dorsal von dem M. deltoides in-
ferior inseriert.
Die Beziehungen zu den Nachbarmuskeln entsprechen im
eroken und ganzen denen bei den kionokranen Lacertiliern; den
Chamaeleontiden eigentiimlich ist die direkte Nachbarschaft mit
dem — sekundir ausgebildeten — M. suprascapularis (p. 449),
dessen hinterer Rand an den vorderen unteren des M. dorsalis
scapulae angrenzt.
SABATIER (p. 198) bezeichnet den M. dorsalis scapulae in
Uebereinstinmung mit dem entsprechenden Muskel der kiono-
kranen Lacertilier als Chef scapulaire des M. obturateur externe
thoracique und bringt ihn damit in viel zu nahe Beziehungen zu
dem anders gearteten M. supracoracoideus (Chefs coracoidien et
précoracoidien des M. obturateur externe thoracique). Die von
ihm im Anschluf an Ripincer betonte Vergleichbarkeit mit dem
menschlichen Teres minor entspricht, falls damit nicht eime specielle
komplette Homologie behauptet werden soll, meinen Anschauungen
(vergl. auch meine Ausfiihrungen bei dem Dorsalis scapulae der
kionokranen Lacertilier p. 731 f.).
14. Deltoides coraco-sternalis s. inferior.
Coraco-humeralis anterior und Sterno-humeralis
anterior (Deltoides coraco-sternalis s. inferior):
Fisrprincer (No. 15).
"
1) Dieser Bereich entspricht dem ventralen Abschnitte des
Suprascapulare der meisten kionokranen Lacertilier.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 455
Der M. deltoides clavicularis der kionokranen Lacertilier hat
bei den Chamaeleontiden eine mit der Riickbildung der Clavicula
Hand in Hand gehende Umbildung erfahren: er ist auf den vor-
deren Rand und den Vordersaum der Aufenfliiche des Coracoides,
sowie den benachbarten vorderen Teil des Sternum tibergewandert ').
Er reprisentiert einen mittelgrofen und ziemlich diinnen,
also schwaicheren Muskel als bei den kionokranen Lacertiliern,
der, von dem M. dorsalis scapulae durch einen weiten (durch den
M. suprascapularis ausgefiillten) Zwischenraum getrennt, von der
angegebenen Ursprungsstelle entspringt und nach dem Proc. late-
ralis humeri verlauft, wo er sich mit dem Insertionsteile des
M. dorsalis scapulae trifft und ventral und etwas distal von ihm
muskulés oder vorwiegend fleischig inseriert. Die untersuchten
Exemplare von Chamaeleo zeigten den sternalen Ursprung in ver-
schiedener Ausdehnung, wahrend derselbe bei Brookesia nur ganz
minimal ausgebildet war.
Bei dem neuerdings untersuchten Exemplare von Chamaeleo
aberrierte von der Oberfliche des lateralen Teiles des Muskels
ein schmales und sehr diinnes Muskelband in descendenter Rich-
tung nach dem medialen, den M. sterno-hyoideus deckenden
Bereiche der Brusthaut. Darin, wie in den von MEcKEL und
PFEIFFER mitgeteilten (vergl. Schultermuskeln, III, 1875 p. 763)
und dem von mir bei Lygosoma gemachten Befunde (p. 432 der
vorliegenden Arbeit) spricht sich eine besondere Tendenz dieses
Muskels zu Aberrationen aus, die bei den Végeln in noch weit
héherem Grade (in der Ausbildung des M. deltoides propatagialis)
in Erscheinung tritt, aber auch, wenngleich in eigentiimlicher
Differenzierung, bei den Rhynchocephaliern und _ Crocodiliern
1) Diese Ueberwanderung ist nicht so zu denken, als ob die
gleichen erst von der Clavicula entspringenden Fasern danach auf
das Coracoid iibergewandert seien. Es handelt sich vielmehr um
eine Neubildung tiefer Fasern, welche an Coracoid und Sternum
unter teilweisem Zuriickweichen des M. supracoracoideus Platz
griffen, wahrend die alten clavicularen mit der Reduktion der
Clavicula sich riickbildeten. Ueberginge, die diesen Prozef im
Detail ad oculos demonstrieren kénnten, sind noch nicht _ be-
obachtet. Fir die Entwickelung der vom Sternum kommenden
Fasern kann entweder der neuerworbene coracoidale oder der altere
episternale Ursprung (wie er sich bei manchen Kionokraniern findet,
cf. p. 431) den Ausgang gebildet haben. An der Hand der Be-
funde von Uroplates, Brookesia und Chamaeleo halte ich das erstere
fiir wahrscheinlicher.
Bd, XXXIV, N. F, XXVI. 30
456 Max Firbringer,
(M. humero-radialis resp. proximaler Teil desselben) zur Beobach-
tung kommt. Alle diese Gebilde zeigen eine allgemeine Verwandt-
schaft, sind aber nicht ohne weiteres zusammenzuwerfen (vergl.
die specielleren Ausfiihrungen bei den betreffenden Sauropsiden-
Abteilungen).
15. Scapulo-humeralis anterior (Coraco-scapulo-humeralis
anterior) ‘) (scha).
Scapulo-humeralis profundus: Ftrsrincer (No. 16).
Der 1875 gegebenen Beschreibung habe ich nichts Wesent-
liches zuzufiigen. Der Muskel von Chamaeleo (Fig. 141) ist klein,
auf den hinteren, direkt vor dem Schultergelenk gelegenen Bereich
der Auf enfliche der Scapula und des Coracoides retrahiert und
geht, der Kapsel des Schultergelenkes dicht anliegend und_ver-
bunden und von der humeralen Ankerung des M. anconaeus sca-
pularis (s. diesen p. 458) bedeckt, in der iiblichen Weise an den
Humerus. Seine sekundire Verkiirzung spricht sich auch darin
aus, da8 er gianzlich von dem M. supracoracoscapularis (supra-
scapularis) bedeckt wird, wahrend er bei den kionokranen Lacer-
tiliern neben dem M. supracoracoideus, mit der Tendenz, den-
selben zu decken, liegt. Noch kleiner als bei Chamaeleo ist er
bei Brookesia (Fig. 142), so daf es hier einiger Aufmerksamkeit
bedarf, ihn nicht zu tibersehen. Doch habe ich ihn bei keinem
untersuchten Chamaeleontiden vermibt.
SABATIER (p. 199, Anm. 1) vereinigt ihn mit dem Supra-
scapularis zu dem Chef scapulaire antérieur des M. obturateur
interne thoracique. Gegen die Annehmbarkeit dieser Proposition
habe ich mich bereits bei dem M. supracoracoscapularis aus-
gesprochen (p. 450).
16. Teres major.
Ein Teres major wurde bei keinem Chamaeleontiden gefunden.
1) Wie bei den kionokranen Lacertiliern lasse ich das Epitheton
,profundus* der Bezeichnung von 1875 fallen, fiige aber ,,anterior“
hinzu (vergl. p. 432, 433 Anm. 2).
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 457
17. Subcoracoscapularis.
Subcoracoscapularis: Ftrsrincer (No. 17).
Wie bereits 1875 hervorgehoben, kennzeichnet den M. sub-
coracoscapularis der Chamaeleontiden die im ganzen einfachere
Ausbildung desselben, der Mangel eines besonderen Subscapularis
externus und die Trennung und relativ weite Entfernung des
Subcoracoideus s. str. von dem Subscapularis (posterior) internus,
indem der bei den kionokranen Lacertiliern zwischen beiden be-
findliche Subscapularis anterior ausgefallen ist. Der Subcoraco-
ideus ist der breitere, aber kiirzere Teil, der mit Ausnahme des
medialen Teiles von der Innenflache des Coracoides entspringt, der
Subscapularis internus der langere und etwas schmalere, an seiner
dem Thoraxraum zugekehrten Flaiche teilweise sehnig umgebildete
Abschnitt, der von der Innenfliche der Scapula kommt. Beide
Teile (K6pfe) treten in ihrem insertiven Bereiche zu einem ein-
heitlichen Muskel zusammen, der in der gewéhnlichen Weise am
Proc. medialis humeri endet.
Alle diese Verhaltnisse finden ihre Erklairung in partiellen
Riickbildungen des Muskels, die zugleich mit der Reduktion und
Verschmalerung des primaren Schultergiirtels Hand in Hand
gehen.
18. Anconaeus.
a) Caput scapulare:
Caput scapulare laterale m. anconaei s. M. anco
naeus scapularis lateralis: Ftrsrincer (18a).
b) Caput humerale laterale:
Caput humerale laterale m. anconaei s. Anconaeus
humeralis lateralis: Firsrincer (18b).
c) Caput humerale mediale:
Caput humerale mediale m. anconaei s. Anconaeus
humeralis medialis: Fursrincer (18c).
Kraftiger resp. ziemlich kraftiger (Chamaeleo) oder mabig
entwickelter (Brookesia), im ganzen also dem der kionokranen
Lacertilier an Gréf%e nachstehender Muskel, der aus einem sca-
pularen und zwei humeralen Képfen sich zusammensetzt, die sich
unterhalb der Mitte des Oberarmes zu einem Muskelbauche ver-
binden, der an dem proximalen Bereiche der Ulna inseriert. Ein
30 *
458 Max Firbringer,
Caput coracoideum fehlt bei den Chamaeleontiden gerade so wie
bei Uroplates, der in dieser Hinsicht sich von allen anderen unter-
suchten Kionokraniern unterscheidet.
a) Caput scapulare s. M. anconaeus scapularis
(lateralis) (asc). Starkster Kopf des Muskels, der mit zwei
getrennten Portionen, einer gréferen oberflachlichen und dorsalen
(asc\spf) und einer kleineren tiefen und ventralen (asc;pr), vom
Hinterrand der supraglenoidalen Scapula entspringt. Bei dem
neuerdings untersuchten Exemplar von Chamaeleo finden sich im
wesentlichen die gleichen Verhaltnisse wie 1875 (Schultermuskeln,
III, p. 765 f.) beschrieben; doch wird hier die tiefe, rein sehnig
entspringende Portion (Kopf) nur an ihrem ventralen Anfange von
dem M. scapulo-humeralis anterior gedeckt. Die in der gewoéhn-
lichen Weise den M. scapulo-humeralis anterior distal itiber-
briickende humerale Ankerung (ase) ') geht — wie bei Uroplates
(und Phrynosoma) — erst im weiteren Verlaufe der tiefen Haupt-
sehne von dieser ab, ist aber breiter als bei den genannten Kiono-
kraniern. Ein Lig. scapulo-humerale laterale fehlt gleichfalls wie
bei diesen Lacertiliern. Bei Brookesia sind die Verhaltnisse in
der Hauptsache dieselben wie bei Chamaeleo; die dorsale, vor-
wiegend muskulés entspringende Portion (Kopf, ascjspf) des im
iibrigen ziemlich schwachen Caput scapulare ist aber hier von
ungewohnlicher Entwickelung und zu einem kurzen und dicken
Muskelbauche angeschwollen; die erheblich schwachere ventrale,
einen rein sehnigen Ursprung nehmende Portion (Kopf, aseipr)
entspricht in dem Verhalten ihrer Ankerung (asc) Chamaeleo,
wird aber gar nicht von dem hier erheblich schmaleren M. sca-
pulo-humeralis anterior gedeckt. Beide Portionen (Koépfe) ver-
binden sich am Ende des proximalen resp. am Anfange des 2.
Drittels des Oberarmes miteinander.
b) Caput humerale laterales. M. anconaeus hume-
ralis lateralis (ahl). Der gréfere humerale Kopf. Entspricht
der 1875 p. 766 gegebenen Beschreibung.
c) Caput humerale mediale s. M. anconaeus hume-
ralis medialis. Der kleinste Kopf des Muskels (siehe tibrigens
die Beschreibung von 1875 p. 766).
Die beiden humeralen K6pfe verbinden sich etwa in der
Mitte des Oberarmes miteinander und am Ende des mittleren
1) In der friiheren Beschreibung von 1875 als den M. scapulo-
humeralis profundus iiberbriickender Sehnenschenkel angegeben.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 459
oder am Anfang des distalen Drittels mit dem scapularen Kopfe
zu einem bei Chamaeleo ziemlich kraftigen, bei Brookesia ziem-
lich schwachen einheitlichen Muskelbauche, der, der Dorsalfliche
des Humerus und der Kapsel des Ellenbogengelenkes dicht an-
liegend und mit ihr verbunden (M. subanconaeus), hier zugleich
eine Patella ulnaris (Pauw, Fig. 159, 160) *) einschlieBend, distal-
warts zum proximalen Ende der Ulna (Olecranon) geht, wo er mit
ziemlich breiter und ziemlich kraftiger Sehne inseriert.
D. Rhynchocephalia.
(Taf. XVI, XVII, Fig. 161—179.)
Seit GiinTHER’s erster Beschreibung der Muskeln von Spheno-
don punctatus (1867) ist die Kenntnis der Myologie dieses
Tieres von NeEwmAN (1878), Brooks (1889), Maurer (1896) und
Osawa (1898) bereichert worden. Brooks und Maurer handeln
iiber einzelne der hier in Betracht kommenden Muskeln; NEwMAN
und Osawa geben eine umfassendere Untersuchung, von denen
sich die Osawa’s durch Vollstindigkeit, Genauigkeit und Beriick-
sichtigung der Nerven hervorhebt und _ beziiglich der Schulter-
muskulatur an meine Darstellung der Schultermuskeln der Lacertilier
anschliefit. SABATIER (1880) bespricht die Deutung des M. biceps.
Meinen Untersuchungen dienten die bereits oben (p. 365) an-
gegebenen 6 Exemplare von 7,5 bis 50 cm Linge als Grundlage.
Die Muskeln der Schulter und des Oberarmes von Sphenodon
lassen sich in folgender Weise einteilen:
A. Durch N. vago-accessorius und Nn. thoracici anteriores
innerviert:
Ursprung vom Hinterkopfe und Riicken, Inser-
tion an der Clavicula und dem Acromion:
Cucullaris s. Trapezius et Cleido-mastoideus (Capiti-dorso-
clawicularis).
1) Die Patella wurde bei Chamaeleo (Fig. 159) als eine ziem-
lich ansehnliche Knorpelplatte von ahnlicher langlicher Form wie bei
Uroplates, aber ohne jede Verknécherung, bei Brookesia (Fig. 160)
als kleines und sehr diinnes Knorpelplattchen gefunden.
460 Max Firbringer,
B. Durch Nn. thoracici superiores innerviert.
Ursprung von Rippen und Proc. transversi, In-
sertion am dorsalen Abschnitte des Schultergiirtels
(Scapula und dorsales Ende der Clavicula):
a) Insertion am Vorder- und Hinterende sowie der
Aufenflache (und nur mit wenig tibergreifenden
Fasern der Innenflache) der Scapula (und Clavi-
cula); oberflaichliche Schicht:
a) Ursprung vom Anfang des Halses:
Levator scapulae superficialis (Collo- scapularis super-
ficialis) supertor und inferior.
3) Ursprung vom Rumpfe.
Serratus superficialis (Thoraci-scapularis superficialis).
b) Insertion an der Innenflache der Scapula; tiefe
Schacht:
Levator scapulae et Serratus profundus (Collo-thoraci-sca-
pularis profundus).
C. Durch Nn. thoraici inferiores innerviert.
a) Ursprung von der Innenfliche des Sternum,
Insertion an der Innenflache des Coracoides:
Sterno-coracoideus internus superficialis.
Sterno-coracoideus internus profundus.
b) Ursprung von der ersten Sternocostalleiste, In-
sertion mittelbar an der Scapula (vermittelst des
Lig. sterno-scapulare internum):
Sternocosto-scapularis.
D. Durch Nn. brachiales inferiores innerviert.
a) Ursprung vom Rumpfe (Episternum, Sternum und Para-
sternum), Insertion am Oberarm:
Pectorals.
b) Ursprung vom ventralen Teile des primaren
Schultergtirtels (Coracoid).
a) Innervation durch den diazonalen N. supracoracoideus,
Insertion am Oberarm:
Supracoracoideus.
3) Innervation durch postzonale Aeste des N. brachialis
longus (Nn. coraco-brachiales und coraco-antibrachiales) :
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 461
aa) Insertion am Oberarm:
Coraco-brachialis brevis.
Coraco-brachialis longus.
bb) Insertion am Vorderarm :
Biceps brachii (Coraco-antibrachialis).
c) Ursprung vom Oberarm, Insertion am Vorder-
arm:
Brachialis internus (Humero-antibrachalis).
E. Durch Nn. brachiales superiores innerviert.
a) Ursprung vom Rumpfe (obere Dornfortsiitze der Riicken-
wirbel), Insertion am Oberarm:
Latissimus dorsi (Dorso-humeralis).
b) Ursprung von der AuSenfliche des Schulter-
giirtels, Insertion am Oberarm:
a) Insertion am Processus lateralis humeri.
aa) Ursprung von der Scapula:
Dorsalis scapulae (Deltoides scapularis s. superior).
bb) Ursprung von der Clavicula und dem Episternum:
Deltoides clavicularis s. inferior (Cleido-humeralis).
8) Insertion an der Streckfliche des Humerus zwischen Proc.
lateralis und medialis, Verlauf lateral vom Caput scapu-
lare m. anconaei:
Scapulo-humeralis (profundus) anterior.
y) Insertion an der Streckfliche des Humerus distal vom
Processus medialis, Verlauf medial vom Caput scapulare
m. anconaei:
Scapulo-humeralis (profundus) posterior.
c) Ursprung von der Innenflaiche des primaren
Schultergiirtels (Scapula und Coracoid), Insertion
am Processus medialis humeri:
Subcoracoscapularis.
d) Ursprung vom primiren Schultergirtel (Scapula
und Coracoid) und vom Oberarm, Insertion am
Vorderarm.
a) Innervation durch Rr. musculares n. brachialis longi supe-
rioris (Nn. anconaei), Ursprung vom Schultergiirtel und
dem Humerus, Insertion an der Ulna:
Anconaeus s. Triceps brachir.
462 Max Firbringer,
3) Innervation durch einen Zweig des N. axillaris (N. humero-
radialis proximalis) und einen vom Vorderarm zuriick-
laufenden Zweig des N. radialis (N. humero - radialis
distalis), Ursprung vom Lig. acromio-humerale, Insertion
am M. brachio-radialis (supinator) und an der Vorderarm-
fascie :
Humero-radialis.
1. Cleido-mastoideus et Cucullaris s. Trapezius (Capiti-dorso-
clavicularis) (clm -+- cu).
Capiti-dorso-clavicularis (Cucullaris) und Capiti-
cleido-episternalis (Episterno-cleido - mastoi-
deus): Firprincer (Lacertilier).
Sterno-cleido-mastoideus: Newman.
Capiti-dorso-claviculariss. Cucullaris: Osawa (No. 1).
Der M. capiti-dorso-clavicularis von Sphenodon bildet eine in
der Hauptsache einheitliche!) ansehnliche Muskelausbreitung am
Halse und am Anfange des Riickens, welche in ihren vorderen
2/, von den Mm. depressor mandibulae und sphincter colli gedeckt
wird, im hinteren !/, direkt unter der Haut liegt; andererseits
deckt sie die Mm. levatores scapulae und omo-hyoideus, sowie
die Anfinge der Mm. dorsalis scapulae und latissimus dorsi.
Diese im vorderen Bereiche ziemlich dicke, nach hinten
diinner werdende Muskelmasse entspringt kraftig und vorwiegend
muskulés in ansehnlicher Ausdehnung von dem hinteren Teile des
Schaidels, und zwar von dem Parietale, Squamosum und — bei
einem Exemplare — von der Spitze des am Squamosum hinauf-
1) So fand ich den Muskel bei 2 Exemplaren, wahrend ein
drittes daraufhin untersuchtes — abgebildetes — Individuum
rechterseits eine deutliche Sonderung des Ursprunges aufwies, indem
hier ein ziemlich schmales ventrales Biindel von dem unteren Ende
des Squamosum entsprang, um sich nach miafig langem Verlaufe
mit der iibrigen Masse zu verbinden. Linkerseits war diese Spaltung
nicht angedeutet. —- Osawa fand in einem Falle eine kleine Spaltung
des Insertionsteiles. Newman giebt an, dafi der Muskel leicht in
mehrere, distinkten Muskeln gleichende Portionen getrennt werden
kann; ich vermute, daf er hierbei den M. sphincter colli mitrechnet.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 463
ragenden hinteren oberen Schenkels des Quadratojugale'), sowie
schwacher und aponeurotisch von der Dorsalkante des Halses
und Riickens bis zum. Bereiche des 8. bis 9. Wirbels?), wobei die
Ursprungsaponeurose mit der der Gegenseite zusammenhiingt, auch
hinten (caudal) mit der des Anfanges des M. latissimus dorsi ver-
wachsen ist. Von diesem Ursprunge aus konvergieren die Fasern,
wobei die vorderen einen descendenten, die hinteren einen trans-
versalen und ascendenten Verlauf aufweisen, zum Insertionsteile,
der in mifiger Breite an den lateralen ?/, der Clavicula — so-
mit ziemlich weit von dem Muskel der Gegenseite entfernt —
und an dem Acromion sich anheftet. An der Clavicula inseriert
der vom Kopfe und vom Anfang des Halses kommende Hauptteil
mit vorwiegend fleischigen Fasern, an dem Acromion die hintere
diinne Partie des Muskels, nachdem sie schon zuvor sehnig ge-
worden und so tiber das Acromion hinweggezogen war.
Innerviert durch den Ramus accessorius externus s. posterior
nervi vago-accessorii (N.acc.p) und Zweige des 4., 5. und mit-
unter 6. Spinalnerven*). Der R. accessorius ist ein ansehnlicher
Nerv und tritt zuerst in den ventralen Kopfteil ein, um von da
aus sich mit dorsalwirts strebenden Aesten im dorsalen Kopf-
teil und dem ersten Anfange des Halsteiles zu verbreiten. Die
Spinalnervenzweige, die vom 4. bis zum 6. an Starke abnehmen,
sind fiir den Hals- und Rumpfteil bestimmt.
Der Muskel entspricht im allgemeinen dem Cucullaris +- Sterno-
episterno - cleido-mastoideus derjenigen Lacertilier, welche diese
Muskelausbreitung noch mehr oder minder einheitlich aufweisen,
unterscheidet sich aber von ihm im besonderen dadurch, da8 er
sowohl ventral wie caudal eine geringere Ausdehnung zeigt, ins-
besondere nicht mehr an episternalen und sternalen Teilen des
Brustschulterapparates inseriert. Diese Differenz beruht in der
Hauptsache auf einer sekundéiren Reduktion des Muskels, die so-
wohl von vorn wie von hinten ihren Ausgang genommen hat; zum
Teil — soweit der dorsale Abschnitt des Muskels in Frage kommt
— mag sie auch ein primitiveres Verhalten des Muskels aus-
1) Osawa giebt auch einen Urspung vom Supraoccipitale an.
Bei allen von mir untersuchten Exemplaren war dieses so_ voll-
stiindig von der spino-dorsalen Riickenmuskulatur eingenommen und
auch von dem Parietale und Squamosum so weit entfernt, daf mir
diese Angabe auf einem Irrtum zu beruhen scheint.
2) Nach Osawa bis zum Niveau des 11. Wirbels reichend.
3) Osawa giebt gleichfalls den 4. bis 6. Spinalnerven an.
464 Max Firbringer,
driicken, der noch nicht jene weite Ausdehnung in das Gebiet
des Riickens gewonnen hat, welches viele Lacertilier aufweisen.
Kine relativ primitive Bezichung zeigt auch die starke Anteil-
nahme des N. accessorius an der Innervation des Muskels, und
damit stellt sich Sphenodon mit den am tiefsten stehenden Lacer-
tiliern in eine Reihe, wihrend bei der Mehrzahl derselben diese
Versorgung tiberwiegend von Spinalnerven iibernommen wird: bei
Sphenodon tritt somit der alte Kopfteil des Muskels (Fische,
Amphibien) noch nicht in dem Grade gegeniiber dem neu hinzu-
gekommenen Spinalteil zuriick, wie bei der Mehrzahl der Lacer-
tilier oder gar bei den Végeln, bei welchen letzteren der Kopfteil
im Verhaltnis zum Spinalteil fast verschwindend klein werden kann.
Auch lift die Art des Nerveneintrittes mit einiger Wahrschein-
lichkeit darauf schliefen, da der ventralste Teil des Kopf-
abschnittes der alteste Teil des Muskels ist.
Die bei einzelnen Exemplaren von Sphenodon beobachteten
Sonderungen am Ursprunge und an der Insertion entsprechen
ungefaihr der bei den Lacertiliern beobachteten und hier bei vielen
Vertretern desselben in weit héherem Grade vorgeschrittenen
Sonderung des Muskels in den M. trapezius und M. cleido-masto-
ideus; eine speciellere Vergleichung wird durch die andere Art
der Innervation und des Zerfalles ausgeschlossen.
Wie bei den Lacertiliern ist der Muskel von Sphenodon im
grofen und ganzen den Mm. trapezius und sterno-cleido-mastoideus
des Menschen vergleichbar, ohne daf auch hier eine komplete
Homologisierung dieser beiden Teile des gemeinsamen Muskels
angenommen werden kann.
2. Levator scapulae superficialis (Collo-scapularis) superior
et inferior (/sspfs, Isspfi).
Collo-scapularis superficialis (Levator scapulae
superficialis): FUrBRinGER.
Dorsaler und ventraler Bauch des Levator sca-
pulae (Collo-scapularis und Collo-clavicularis):
Osawa (No. 3a u. b).
Ansehnlicher von dem M. trapezius et cleido-mastoideus be-
deckter Muskel, der nur am Ursprunge einheitlich ist, in der
Hauptausdehnung seines Verlaufes jedoch durch zwei vollig ge-
trennte, selbstiindige Muskeln von annihernd gleicher Starke, einen
oberen (dorsalen) und unteren (ventralen) M. levator scapulae
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 465
superior und inferior reprasentiert wird. Der gemeinschaftliche
Ursprung beider findet an den Proc. transversi des 1. und 2. Hals-
wirbels und zwar vorwiegend von dem 1. statt"); gleich darauf
beginnt der Zerfall in die beiden Teile.
a) Levator scapulae superficialis superior (dsspfs).
Kriiftiger, vom Proc. transversus I. beginnender Teil, der, an Breite
zunehmend, nach hinten resp. nach hinten und etwas nach oben
verlaiuft, wobei er sich von dem M. levator scapulae inferior immer
mehr entfernt und an der Aufenflache des knorpeligen Supra-
scapulare, an dem oberen Bereiche der vorderen */, desselben
dorsal von dem M. dorsalis scapulae sich inseriert.
b) Levator scapulae superficialis inferior (lsspf?).
Er ist etwas schwiicher, aber kraftiger als der M. levator scapulae
superior. Von den Proc. transversi I. und II. (hauptsachlich von I.)
entspringend, geht er longitudinal und ein wenig absteigend nach
hinten, wobei er gleichfalls breiter wird, und endet, sich unter
den vorderen Rand des M. dorsalis scapulae einschiebend, zu etwa
gleichen Teilen an dem vorderen Rande der knéchernen Scapula
nebst Acromion, sowie an dem dorsalen Ende der Clavicula?).
Oberhalb des M. omo-hyoideus, der ihn hier ventral begrenzt,
greift die Insertion auch auf den vorderen Innensaum der kné-
chernen Scapula tiber.
Innerviert durch Zweige der Nn. spinales IV. und V.,
die zum Teil Ansen bilden und an die Unterflaiche der beiden
Muskeln eintreten (N./sspfs, N.Jsspfz); einmal fand ich auch ein
feines, von dem 6. Spinalnerv abgehendes Fiadchen, welches das
hintere Ende des M. levator scapulae inferior versorgte*). Letz-
terer Muskel wird zugleich von den ventralen Hauptstimmen
(nebst den zum M. trapezius et cleidomastoideus tretenden
1) Ich zaéhle von dem 1. vollstiindigen Wirbel an und
ignoriere die von manchen Autoren als Proatlas gedeuteten Stiicke.
— Nach Osawa entspringt der Muskel nur vom 2. Wirbel.
2) Der an der Clavicula endende Teil bildete in der Mehrzahl
der Fille die etwas grifere Halfte. Osawa Ja8t den ventralen Teil
(seinen M. collo-clavicularis) nur an der Clavicula inserieren. Ich
vermifte niemals die scapulare Insertion.
3) Osawa laft den oberen Muskel vom 6., den unteren vom
4. und 5. Cervicalnerven aus versorgt werden. Das deckt sich hin-
sichtlich des letzteren mit meinen Befunden, weicht aber beziiglich
des ersteren ab; ich konnte fiir den Levator scapulae superior
bei den 4 darauf untersuchten Tieren nur eine Versorgung durch
N. spinalis [V. und V. nachweisen.
466 Max Firbringer,
Zweigen) des 4., 5. und 6. Spinalnerven (IV, V, VI; N.cv. LV,
V, VI) durchbohrt.
Entspricht dem gleichnamigen Muskel der Lacertilier und
Crocodilier. Auch bei diesen waren Sonderungen des M. levator
scapulae superficialis in eine obere und untere Partie zu erkennen,
die aber dort, zum Teil auch in einer etwas anderen Weise er-
folgt, nur bei gewissen Vertretern so vorgeschritten waren, wie hier
bei Sphenodon (cf. p. 403). Sphenodon zeigt damit eine einseitige
Differenzierung des M. levator scapulae superficialis innerhalb des
Sauropsidenstammes in hoher Ausbildung 4).
3. Serratus superficialis (Thoraci-scapularis superficialis) *) (ssp/).
Serratus magnus: NEwman.
Thoraci-scapularis superficialis (Serratus super-
ficialis): FURBRINGER.
Serratus superficialis s. Thoraci-scapularis super-
ficialis Firprincer: Osawa (No. 4).
Ziemlich breiter und nicht unkraftiger Muskel, welcher zum
Teil von dem M. latissimus dorsi gedeckt wird, seinerseits einen
Teil des M. serratus profundus deckt und am Ursprung mit dem
M. obliquus abdominis externus profundus alterniert und dabei mit
ihm zum Teil zusammenhangt. Er beginnt mit zwei Zacken von
der letzten Cervical- und ersten Sternalrippe (Rippen des 8. und 9.
Wirbels) *) und zwar von den Strecken, welche sich von den Basen
der Processus uncinati bis herab zur unteren Spitze (letzte Hals-
rippe) oder bis auf das angrenzende Ende des Sternocostale (1.
Brustrippe) ausdehnen. Beide Zacken, von denen die hintere die
viel ansehnlichere, breitere ist und die vordere deckt, schliefen
sich zu einem einheitlichen (durch den Nerveneintritt aber doch
in zwei den beiden Zacken entsprechende Lagen, sspf und sspf,
etwas gesonderten) Muskel zusammen, der mit parallelen resp.
nur wenig divergierenden Fasern nach vorn und oben zur Scapula
verliuft, an deren Hinterrande er sowohl im Bereiche des knor-
1) Einen noch weiter fortgeschrittenen Zerfall zeigt der M.
levator scapulae superficialis der Anuren. Die Differenzierung bei
diesen ist aber in ganz abweichender Weise vor sich gegangen und
hat nichts mit derjenigen bei den Rhynchocephalen gemein.
2) Von Maurer (1896) auf p. 194 erwahnt und auf Taf. I,
Fig. 1, 2 abgebildet, aber nicht benannt.
3) Nach Newman von der 4. und 5. Rippe (d. h. den beiden
letzten Halsrippen), nach Osawa von den beiden ersten Brustrippen.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 467
peligen Suprascapulare als des oberen Abschnittes der knéchernen
Scapula (dorsal vom M. subscapularis) inseriert, wobei er zugleich
nicht unansehnlich auf den hinteren Innensaum iibergreift.
Innerviert entweder nur von dem N. thoracicus superior,
welcher dem 8. Spinalnerven entstammt, oder von Nn. thora-
cici superiores, welche vom 7. und 8. oder vom 8. und 9.
Spinalnerven abgegeben werden (N.sspf); aber auch in diesen
Fallen ist der vom N. spinalis VIII. abgegebene Anteil der ganz
iiberwiegende !). Die versorgenden Nervenadste treten an der
Innenseite des Muskels ein.
Der M. serratus superficialis ist ein Homologon des _ gleich-
namigen Muskels der Lacertilier und Crocodilier und steht hierbei
der Bildung der Crocodilier naiher als derjenigen der Lacertilier.
Die differenten Angaben betreffs der Urspriinge von Newman und
Osawa (bei denen ein Irrtum wohl kaum méglich ist) unterein-
ander und gegeniiber meinen Befunden deuten auf eine gewisse
individuelle Flissigkeit in den metamerischen Umbildungen.
4. Levator scapulae et Serratus profundus (Collo-thoraci-scapularis
profundus) (/sprf).
Collo-thoraci-scapularis profundus (Levator sca-
pulae et Serratus profundus): FUrsrrcer.
Serratus profundus s. Collo-thoraci-scapularis Ftr-
BRINGER und Collo-scapularis: Osawa (No. 7 und 8)?).
Mittelgrofer, von der Scapula und den Mm. levatores scapulae
superficiales und serratus superficialis bedeckter Muskelkomplex,
der deutlich aus zwei ziemlich selbstandigen Schichten zusammen-
gesetzt ist.
1) Osawa giebt eine Versorgung durch den R. thoracicus des
N. cervicalis VII. an, was mit meinen Befunden nicht iiberein-
kommt und angesichts der sehr caudalen Lage seines M. serratus
superficialis (der von der 1. und 2. Sternalrippe komme) wenig
Wabhrscheinlichkeit hat.
2) Osawa halt es fiir naturgemif, die beiden Schichten als
2 Muskeln zu unterscheiden und die tiefe besonders zu benennen,
weil sie von der oberflachlichen sehr leicht und deutlich abzu-
priparieren sei. Das ist Geschmackssache, aber kaum ein Fort-
schritt. Jedenfalls wird mit der Einfiihrung einer besonderen —
zudem wenig markanten — Bezeichnung der genetische Zusammen-
hang beider Schichten sehr geldst.
468 Max Fiirbringer,
Die oberflachliche Schicht (lsprf;)) ist die schwachere
und minder kompakte und besteht aus 2—2 diinnen, annadhernd
gleich grofen Zacken, welche von den Spitzen der Rippen des
6. und 7. resp. 5., 6. und 7. Wirbels entspringen und, ohne zu-
sammenzuflieBen, nach oben und vorn an die Innenfliche des
knorpeligen Suprascapulare gehen, an dessen vorderen ?/, sie im
Bereiche des knappen 2. vertikalen '/, (vom dorsalen Rande des
Suprascapulare ab gerechnet) inserieren.
Die tiefe Schicht (Ilsprfy)”) ist ausgebreiteter und kraf-
tiger und beginnt von den Rippen der 5 bis 6 letzten Halswirbel
(des 4. bis 8. resp. 3. bis 8. Wirbels) oberhalb der Enden der-
selben, am letzten in der Hohe des Proc. uncinatus. Die getrennt
entspringenden Zacken schliefen sich, konvergierend, zu einem ein-
heitlichen Muskel zusammen, der in der Hauptsache in transver-
saler Richtung an die Innenfliche des knorpeligen Suprascapulare
geht, wo er an den vorderen °/, oder annihernd der ganzen
sagittalen Breite desselben im Bereiche seines dorsalen 1/, (exkl.
Dorsalsaum), dorsal von der oberflachlichen Schicht sich anheftet.
Innerviert von Nn. thoracici superiores, welche von dem
5. bis 8. resp. 4. bis 8. Spinalnerven abgegeben werden (N./sprf).
Der von N. spinalis IV. kommende Zweig ist, wenn vorhanden,
stets sehr unbedeutend. Die oberflichliche Schicht wird von
den Nn. spinales VI. und VII. (N./sprf;), die tiefe von (IV.), V.,
VI., VU. und VIII. (NV.lsprfin) versorgt *).
Der gleichnamigen Bildung der Lacertilier und mehr noch
der Crocodile nahestehend. Auch hier weisen die individuellen
Variierungen auf eine grofe Fliissigkeit in dem metamerischen
Umbildungsprozef hin.
1) Osawa’s No. 7; nach demselben aber von den 2 unteren
Halsrippen und der 1. Brustrippe (also den Rippen des 7. bis
9. Wirbels) entspringend und nahe der Grenze der knéchernen
Scapula an die knorpelige Scapula sich ansetzend, was beides zu
meinen Befunden im Widerspruche steht.
2) Osawa’s No. 8 (Collo-scapularis), nach diesem Autor nur
von den 4 letzten Halsrippen (Rippen des 5. bis 8. Wirbels) ent-
springend. Die erste resp. die beiden ersten Zacken werden von
Osawa nicht angegeben.
3) Nach Osawa wird die oberflichliche Schicht vom 6. und
7., die tiefe vom 5. und 6. Spinalnerven aus versorgt. Hierbei
wurde offenbar die Innervation der hintersten Zacken der tiefen
Schicht iibersehen.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 469
5. Sterno-coracoideus internus superficialis und Sterno-coracoideus
internus profundus‘') (stcispf und stciprf).
Sterno-coracoideus internus superficialis und
Sterno-coracoideus internus profundus: Firsrincer.
Sterno-coracoideus internus superficialis Fwir-
BRINGER und Sterno-coracoideus internus profun-
dus FUrpringer, sowie Costo-coracoideus: Osawa (No. 9
und 10, sowie No. 6).
Das System der Mm. sterno-coracoidei wird bei Sphenodon
durch zwei vollkommen voneinander gesonderte Muskeln repra-
sentiert.
M. sterno-coracoideus internus superficialis
(steispf). Kurzer, aber ziemlich breiter und dicker Muskel, der
fleischig von der Innenflache des vorderen Sternalbereiches (Innen-
flache in der ganzen Ausdehnung des Labium internum sulci
coracoidei) und — nicht immer — von dem mit dem Sternum
artikulierenden medialen Abschnitte des 1. Sternocostale ent-
springt?), innen tiber das breite Sterno-Coracoidal-Gelenk hinweg-
zieht und fleischig an den medialen 2/, der dem Gelenk benach-
barten Innenflaiche des Coracoides, medial neben dem von den Mm.
sterno-coracoileus internus profundus und subcoracoideus einge-
nommenen Bereiche inseriert.
M. sterno-coracoideus internus profundus (sétciprf).
Langer und breiter, aber nicht dicker Muskel, der fleischig von
der Innenfliche der hinteren Halfte des Sternum bis zum Rande
(hierbei auch mit den Mm. intercostales verbunden) und medial an
den Muskel der Gegenseite angrenzend, entspringt und sich ver-
schmalernd nach vorn zieht, um an der Grenze von Sternum und
Coracoid in eine platte und ziemlich diinne Sehne iiberzugehen,
1) Von Maurer auf p. 200 und auf Tafel III, Fig. 12 gut
beschrieben und abgebildet, aber nicht benannt. Beide werden dem
prasternalen Rectus-System zugerechnet. Der M. sterno-coracoideus
internus superficialis ist mit x, der M. sterno-coracoideus internus
profundus mit z bezeichnet. Letzterer nimmt zum Teil Fasern aus
dem ventralen Ende des M. intercostalis externus und internus auf.
2) Osawa unterscheidet den vom Sternum kommenden Haupt-
teil als Sterno-coracoideus internus superficialis und die von dem
Sternocostale kommenden Fasern als Costo-coracoideus. Letztere
scheinen bei dem von ihm untersuchten Exemplare eine weit gréfere
Entfaltung und Selbstandigkeit gehabt zu haben als bei den
meinigen.
470 Max Firbringer,
welche, innen an dem M. sterno-coracoideus internus superficialis
vorbeiziehend, zur Innenflache des Coracoides gelangt, wo sie
zwischen den Mm. sterno-coracoideus, lateral und rostral von
ersterem, etwa an der Grenze des medialen und mittleren 1/, der
transversalen Coracoidbreite und in der Mitte der sagittalen Cora-
coidlinge inseriert.
Innerviert von dem gleichnamigen, von den Nn. spinales
VI. und VIII. oder VIL, VIII. und IX. (wobei der N. spinalis
VIII. stets den tiberwiegenden Hauptanteil bildet)') abgegebenen
Nerven (N.stcz), der von dem M. sternocosto-scapularis gedeckt,
nach den Mm. sterno-coracoidei interni zieht und sich derart
zwischen beide einsenkt, daf der M. sterno-coracoideus internus
superficialis von seiner Innenseite her, der M. sterno-coracoideus
internus profundus von seiner AuSenseite her mit Zweigen
(N.stcispf, N.stciprf) versorgt werden.
Beide Muskeln gleichen in der Hauptsache den gleichnamigen
Bildungen der hodheren Lacertilier; der M. sterno-coracoideus
internus superficialis zeigt in seinem auch zum Teil von dem
1. Sternocostale kommenden Ursprunge Aehnlichkeit mit Varanus.
Zu dem M. costo-coracoideus der Crocodilier (denen specifische Mm.
sterno-coracoidei interni bekanntlich abgehen) bestehen nur ent-
fernte Beziehungen.
Die Sterno-coracoidei interni gehéren, wie bereits MAURER
(1896) gezeigt hat, zum prasternalen Rectus-System (vergl. auch
p. 410 und Anm. 1 auf p. 469).
6. Sternocosto-scapularis (Costo-coracoideus) ”) (sécsc).
Sternocosto-scapularis (Costo-coracoideus): Fwtr-
BRINGER.
Costo-sterno-scapularis: Osawa (No. 5).
Kleiner und schlanker Muskel, der ziemlich frei in der Brust-
hohle, dorsal von dem Plexus brachialis und den von ihm ab-
gehenden Nerven ausgespannt ist. Er entspringt von der lateralen
1) Nach Osawa nur von VIII. Ich will nicht bestreiten, daf
auch eine derartige einfache Bildung vorkommen kann.
2) Von Maurer auf p. 200 und 201 und Taf. III, Fig. 12
unter der Bezeichnung z' beschrieben und abgebildet. Er verhalte
sich wie eine direkte Fortsetzung der den Mm. intercostales ext.
und int. gleichwertigen Mm. intercostales ventrales nach vorn.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 471
Halfte des 1. Sternocostale (knapp bis zur Grenze mit dem Vertebro-
costale) und geht in longitudinaler Richtung und sich etwas ver-
schmalernd nach vorn, um sich in der Hoéhe des Sterno-Coracoid-
Gelenkes spitzwinkelig (in der Richtung nach der Scapula zu) an
die Sehnenbriicke (Ligamentum sterno-scapulare in-
ternum, JL.stsci) anzusetzen, welche von der Innenfliche des
Sternum (Labium internum des Sulcus coracoideus, dicht medial
neben der Mitte des Ursprunges des M. sterno-coracoideus internus
superficialis) nach der Innenfliche der Scapula (caudal hinter dem
Ursprung des M. omo-hyoideus, dorso-rostral vor dem Schulter-
gelenk und zwischen dem coracoidalen und scapularen Ursprung
des M. subcoracoscapularis resp. rostral vor dem scapularen und
lateral von dem coracoidalen Kopfe dieses Muskels) ausgespannt
ist und zugleich durch eine seitliche Sehnenausbreitung (coracoi dale
Ankerung) mit dem Coracoid (gleich medial neben dem Schulter-
gelenk) verbunden ist !).
Innerviert von dem gleichnamigen Nerven (NV.s¢esc), der
von dem 8. und 9. Spinalnerven gebildet wird ”).
Der M. sternocosto-scapularis gleicht in der Hauptsache dem
gleichnamigen Muskel der Lacertilier und unterscheidet sich nur
unwesentlich von ibm durch die etwas geringere, auf den lateralen
Bereich des 1. Sternocostale beschrankte Breite des Ursprunges °).
Auch hinsichtlich des noch bei den Végein nachweisbaren Lig.
sterno-scapulare internum besteht grofe Uebereinstimmung mit den
héheren Lacertiliern. Zu dem M. costo-coracoideus der Crocodilier
existieren gewisse, aber viel weniger nahe Beziehungen.
Wie Maurer (1896) bereits hervorgehoben, bildet der M. sterno-
costo-scapularis eine Fortsetzung der Mm. intercostales nach vorn
(vergl. auch p. 413 und Anm. 2 auf p. 470).
7. Pectoralis (p).
Pectoralis major: GinruHpr (mit hinder portion und clavi-
cular portion), Maurer (Text).
1) Osawa erwahnt diesen Verband mit dem Coracoid nicht.
2) Nach Osawa von dem vom 9. Spinalnerven abgegebenen
gleichnamigen Nerven versorsgt.
3) Eine gewisse Abweichung bietet die Lage zu dem N. sterno-
eoracoideus dar. Bei Lacerta zog dieser Nery abweichend von den
iibrigen Plexusnerven dorsal vom M. sternocostoscapularis zu seinen
Muskeln, bei Sphenodon gleich den anderen Nerven des Plexus
ventral von diesem Muskel weiter.
Bd, XXXIV. N. F. XXVIL. 31
A472 Max Firbringer,
Pectoralis: Firprincer, Maurer (Tafelerklarung).
Pectoralis (mit 4 Portionen: claviculare, episternale, sternale
und abdominale Portion): Osawa (No. 11).
Sehr ausgedehnter und michtiger Muskel, welcher die ganze
Ventralfliche der Brust und die vordere Halfte des Bauches ein-
nimmt und in seiner vorderen Hauptausbreitung direkt unter der
Haut liegt, waihrend die kleinere hintere Partie von dem M.
obliquus abdominis externus superficialis gedeckt wird.
Er entspringt, von vorn nach hinten verfolgt, 1) von dem
Episternum (Pars episternalis, pe), und zwar von der ganzen
Linge des Querschenkels‘) wie Lingsschenkels, wobei aber in der
Mitte ein schmaler Vordersaum des ersteren und ein schmaler
Medianstreif des letzteren (der also zwischen dem rechten und
linken M. pectoralis direkt unter der Haut zu Tage tritt) frei
bleibt, 2) von dem angrenzenden ‘Teile des Sternum (Pars
sternalis, pst), und zwar im hinteren Bereiche desselben in
gréBerer Breite, mit Ausnahme des caudalen Saumes des Brust-
beines, und 3) von dem lateralen Rande des Parasternum (Pars
parasternalis s. abdominalis, pa) im Bereiche der ersten
16 bis 17 Knochenspangen desselben. Dieser letzte abdominale
Teil bildet die hinteren */, der ganzen Linge des Muskels, wird
groBtenteils von dem M. obliquus abdominis externus superficialis
gedeckt, deckt seinerseits den ventralen Bereich des M. obliquus
abdominis externus profundus?), mit dem er zugleich etwas ver-
wachsen ist, und steht zugleich mit dem im ganzen Gebiete des
Parasternum erstreckten M. rectus abdominis in Verbindung. Die
vorderen Partien des M. pectoralis decken die Mm. deltoides
clavicularis, supracoracoideus, biceps brachii und coraco-brachialis,
sowie den gréferen hinteren Teil der Membrana sterno-episternalis.
1) Osawa unterscheidet noch eine von der auferen Fliche der
Clavicula kommende claviculaire Portion. Ich habe bei genau darauf
gerichteter Untersuchung gefunden, daf der Ursprung sich auf die
Querschenkel des Episternum beschrinkt und nicht auf die den-
selben vorn anliegenden Clavikeln tibergreift. Nur in einem Falle
sah ich, in lateraler Verlingerung der Spitzen des episternalen
Seitenschenkels, einige ganz wenige Fasern auch von der angrenzen-
den Stelle der Clavicula ausgehen; die Bezeichnung einer be-
sonderen clavicularen Portion verdienten sie nicht.
2) Diese Lage zwischen dem oberflichlichen und tiefen M.
obliquus abdominis externus und die sonstigen Beziehungen zur
Bauchmuskulatur werden auch von Maurer gut beschrieben und
abgebildet (p. 193, Taf. III, Fig. 12).
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 473
Von diesem sehr ausgedehnten Ursprunge konvergieren die
Fasern derart, daf die P. episternalis vorn descendent, hinten trans-
versal und die Pp. sternalis und abdominalis ascendent bis longi-
tudinal verlaufen, so daS die Hauptmasse des Muskels lateralwiirts
und nach vorn gerichtet ist, und enden kraftig an der Ventral-
flache des michtigen Proc. lateralis humeri, die sie ganz um-
fassen.
Innerviert durch den N. pectoralis (N.p), der mit einem
stiirkeren vorderen (V.p[e + s¢|), in der Hauptsache fiir die beiden
ersten Portionen bestimmten und einem mehr oder minder
schwiicheren hinteren (N.pa), namentlich zur dritten Portion
gehenden Zweigkomplexe in die Innenflache des Muskels eintritt.
Der Muskel ist ein Homologon der gleichnamigen Bildungen
der Lacertilier und Crocodilier, nimmt aber gegeniiber diesen durch
die Beziehungen des hinteren Teiles zu dem Parasternum eine
bemerkenswerte Stellung ein. Diese Beziehungen sind, entsprechend
der Abstammung des Parasternum aus dem Integumente, als
sekundir erworbene aufzufassen: in dem Male, als die para-
sternalen Gebilde sich tiefer einsenkten und unter die Haut ge-
langten, entwickelte sich successive der Verband mit dem M.
pectoralis und den anderen an ihnen Befestigung gewinnenden
Bauchmuskeln. Aehnliche Verhaltnisse haben vielleicht auch die
Ichthyopterygier, Sauropterygier und gewisse alte Crocodilier und
Dinosaurier mit hoch entfaltetem Parasternum dargeboten; die
neueren Crocodilier mit ihren rudimentiaren Parasternalien zeigen
nichts mehr davon‘). Doch ist hier der ausschlieSlich von der
Innenfliiche des Brustschildes (Plastron) entspringende M. pecto-
ralis der Chelonier (vergl. ,,Zur vergleichenden Anatomie der
Schultermuskeln“, II, Jenaische Zeitschrift, VIII, p. 251 f., Jena
1874) anzureihen, insofern die demselben hier Ursprung gebende
Flache mit gréfter Wahrscheinlichkeit von primitiven episternalen
und parasternalen Skelettelementen des Integumentes abstammt.
1) Ein mittelbarer, sehniger (fascidser) Zusammenhang mit den
beiden ersten Parasternalien wurde bei einem 50 cm langen Exem-
plare von Alligator lucius beobachtet, bei anderen untersuchten
Individuen nicht (siehe unten sub M. pectoralis der Crocodilier). Ich
wage daraufhin nicht zu entscheiden, ob dieser Verband als Rudi-
ment Alterer intimerer Beziehungen zwischen M. pectoralis und
Parasternum der Crocodilier aufzufassen sei, oder ob er einen mehr
sekundaren Befund bedeutet. — Bei den Lacertiliern sind sichere
parasternale Gebilde bisher nicht bekannt geworden.
3
474 Max Firbringer,
Die Ausbildung desselben ist aber bei den Cheloniern recht ab-
weichende Wege von jener bei den Rhynchocephaliern gegangen,
so daS hier nur von ganz allgemeinen und inkompleten Homo-
logien gesprochen werden kann. Ob die Vorfahren der Lacertilier
auch einstmals ein Parasternum zur Entwickelung brachten, von
dem der hintere Teil ihres M. pectoralis partiellen Ursprung nahm,
kann zur Zeit nur als Frage aufgeworfen werden. Im _ iibrigen
stellt der M. pectoralis von Sphenodon mit seinem hoch aus-
gebildeten Ursprunge vom Episternum eine Bildung dar, welche
derjenigen der am héchsten stehenden Lacertilier mindestens gleich-
kommt.
8. Supracoracoideus (spc).
Vorderer \Teil. der Anterior Portion of: the Coraco-—
brachialis: Gtnruer.
Supracoracoideus: FURBRINGER.
Vorderer Teil des Epicoraco-humeral: Newman.
Wahrscheinlich oberflachliche Portion und Teil der
tiefen Portion des M. supracoracoideus FURBRINGER:
Osawa (No. 14).
Ganz ansehnlicher, vorn von dem M. deltoides clavicularis,
hinten von dem M. pectoralis und medial von der Membrana
sterno-episternalis (JZ.stest) gedeckter Muskel im vorderen Be-
reiche der Brust, der seinerseits wieder die benachbarten Saume
des dorsal von ihm befindlichen M. scapulo-humeralis profundus
anterior und der caudal hinter ihm gelegenen Mm. biceps brachii
(ganz geringe Bedeckung) und coraco-brachialis brevis deckt. Er
ist hierbei mit diesen Muskeln verwachsen, mit dem M. coraco-
brachialis brevis so innig, dafs’ eine Scheidung beider nur unter
Beriicksichtigung der Innervation (M. supracoracoideus durch den
diazonalen, M. coraco-brachialis brevis durch den postzonalen ent-
sprechenden Nerven) méglich ist. Von der gemeinsamen Muskel-
masse des M. supracoracoideus -+ coraco-brachialis brevis bildet
er somit die vordere, meist etwas kleinere Hilfte.
Er entspringt von der vorderen Hilfte der coracoidalen Aufen-
fliche mit Ausnahme einer dorsal an die Scapula angrenzenden
Strecke derselben (welche dem M. scapulo-humeralis prof. anterior
als Ursprungsstelle dient) und einer medialen (von welcher der
M. biceps brachii beginnt) und geht mit transversalen bis. de-
scendenten und etwas konvergierenden Fasern teils an den Anfang
des Proc. lateralis humeri (Tuberculum laterale), teils an die
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 475
humeralen 2/; des vom Acromion zu dem Proc. lateralis humeri
ausgespannten und den M. scapulo-humeralis prof. anterior tiber-
briickenden kraftigen Fascienzuges (Lig. scapulo-humerale laterale)*) ;
der an den Knochen inserierende Teil ist etwas starker als der
am Bande endende.
Innerviert durch den diazonalen N. supracoracoideus
(N.spe).
Der M. supracoracoideus von Sphenodon entspricht dem
gleichnamigen Muskel der Lacertilier —- und zwar diesem mehr
als dem der Crocodilier — zeigt jedoch nicht die ansehnliche Ent-
wickelung wie bei der Mehrzahl der Lacertilier. Charakteristisch
ist die vollkommene Vereinigung mit dem M. coraco-brachialis
brevis, die beide Muskeln ohne genauere Beriicksichtigung der
Innervation irrtiimlich als einen einzigen erscheinen laft?); doch
finden sich ahnliche Verbinde beider Muskeln auch schon bei den
Lacertiliern, bieten somit nichts Unvermitteltes dar. Mit den bis-
her gegebenen Materialien ist nicht zu entscheiden, ob dieser
intime Verband beider Muskeln bei Sphenodon als etwas Primi-
tives (noch nicht vollzogene Sonderung) oder etwas Sekundares
(spitere Verschmelzung friiher getrennter Muskeln) zu _beurteilen
sei. Ich neige dazu, der ersteren Auffassung den Vorzug zu
geben. — Die Insertion an dem aus Fascienziigen zu einer ziem-
lich ansehnlichen Starke herausgebildeten Lig. scapulo-humerale
laterale reprasentiert einen sekundiren Charakter, der in dieser
Ausbildung fiir Sphenodon specifisch zu sein scheint und die An-
heftungsfliche des im iibrigen durch seine Nachbarmuskeln be-
eintrichtigten M. supracoracoideus dieses Tieres ausgiebiger ge-
staltet; Andeutungen dieses Verhaltnisses finden sich aber auch
schon bei gewissen Lacertiliern (p. 418).
9. Coraco-brachialis brevis (cbrb) und Coraco-brachialis
longus (cbr).
Coraco-brachialis brevis:
Hinterer Teil der Anterior Portion of the Coraco-
brachialis: GUNTHER.
1) Der Insertion an dem Lig. scapulo-humerale laterale thut
kein Autor Erwahnung; ich vermifte sie niemals.
2) Gonrner, Newman und Osawa haben auch beide Muskeln
als einheitliches Gebilde beschrieben, wobei indessen Osawa die
doppelte Innervation nicht entging.
476 Max Fiirbringer.,
Coraco-brachialis brevis: FURBRINGER.
Teil der tieferen Portion des Supracoracoideus
FURBRINGER: Osawa (No. 14).
Coraco-brachialis longus:
Inferior Portion of the Coraco-brachialis: Gtnruer.
Coraco-brachialis longus: FURBRINGER.
Coraco-brachialis: Newman, Osawa (No. 15).
Ansehnliche, von den Mm. pectoralis, supracoracoideus und
biceps brachii bedeckte und mit dem M. supracoracoideus innig
verschmolzene Muskelmasse, welche, wenn auch nicht vollkommen,
in die beiden Mm. coraco-brachialis brevis und longus gesondert.
Ist);
M. coraco-brachialis brevis (cbrb). Recht ansehn-
licher, dicker und breiter, aber miig langer Muskel, welcher, wie
schon erwahnt, vollkommen mit dem M. supracoracoideus (s. auch
diesen p. 474) verwachsen ist. Er entspringt fleischig von der
Aufenfliche der hinteren Hialfte des Coracoides (mit Ausnahme
der medial von dem Ursprunge des M. biceps brachii und caudal
von dem des M. coraco-brachialis longus eingenommenen Stellen)
und verlauft, bedeckt von dem M. biceps brachii und direkt auf
dem Schultergelenke liegend, nach der Beugeflache des Humerus,
wo er, zwischen Proc. lateralis und medialis mit schriger Grenz-
linie bis tiber die Mitte des Humerus hinabreichend, inseriert.
M. coraco-brachialis longus (ebrl). Ziemlich ansehn-
licher, schlanker Muskel, der, dem M. coraco-brachialis brevis dicht
angeschlossen, von der hinteren Ecke des Coracoides sehnig-mus-
kulés entspringt und darauf, sich deutlicher von seinem Nachbar
sondernd, im Bereiche des Oberarmes auch durch den N. brachialis
longus inferior lateralis und die zu den Mm. biceps brachii und
brachialis inferior gehenden Nn. bicipitis distalis und brachialis in-
ferior von ihm getrennt, an der Medialfliche des Humerus distal-
warts verlauft und schlieflich an dem 4. und 5. Sechstel des-
selben, proximal vom Epicondylus medialis”), namentlich aber an
der den Canalis nervi mediani (entepicondyloideus) medial be-
erenzenden Spange endet. Ueber die einmal beobachtete, zum
M. biceps gehende Aberration s. bei diesem (p. 478).
1) Osawa findet den Grad der Sonderung beider Muskeln
individuell verschieden, womit ich iibereinstimme.
2) Von Newman wohl infolge Schreibfehlers als External
Condyle angegeben.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 477
Innerviert durch die zumeist an der Innenseite (dem
Knochen zugekehrten Unterfliche) der Muskeln eintretenden
Nn. coraco-brachialis proximalis et distalis (N.cbrpz und N.cbrdi).
Beide Muskeln entsprechen den gleichnamigen der Lacertilier
und gehéren zusammen, was durch die Innervation und auch
durch das Verhalten der zwischen ihnen durchtretenden Rr. mus-
culares (teilweise Homologa des N. perforans Casseri der mensch-
lichen Anatomie) bestiatigt wird. Dal trotz der intimen Ver-
wachsung mit dem M. supracoracoideus die von GUNTHER, NEWMAN
und Osawa angegebene Zugehérigkeit zu diesem Muskel nicht
angenommen werden darf, wurde bereits oben (p. 475) dargethan.
10. Biceps brachii (Coraco-antibrachialis) (07).
The inner Muscle of the Biceps brachii (Homologon
des Caput breve des menschlichen Biceps): Ginruer.
Coraco-antebrachialis (Biceps brachii, Homologon
des Caput longum des menschlichen Biceps): Firerrerr.
Zweiter Kopf des Biceps brachii: Newman.
Portion coracoidienne du long chef du Biceps
humain: SABATIER.
Coraco-antebrachialis Ftrpringer, Biceps brachii
GinTHER: Osawa (No. 19).
Ansehnlicher, zweibiuchiger Muskel an der Ventralseite des
Schultergiirtels und Oberarmes, der in seinem proximalen Bereiche
von dem M. pectoralis und der Membrana sterno-episternalis ge-
deckt wird, vorn und lateral an den M. supracoracoideus angrenzt
(wobei er von dessen hinterem Saume ganz wenig gedeckt sein
kann) und den Mm. coraco-brachialis und brachialis inferior
aufliegt.
Der proximale Muskelbauch (bz) entspringt von dem
sagittalen mittleren 1/, der AuSenflache des Coracoides, medial
neben den Urspriingen der Mm. supracoracoideus und coraco-
brachialis brevis, wobei er namentlich mit dem ersteren ziemlich
’ ausgedehnt verwachsen ist, und verliuft als breiter, aber miibig
dicker Muskel auf dem M. coraco-brachialis brevis bis zum Niveau
des Schultergelenkes, wo er in die ziemlich breite, aber recht
dinne Zwischensehne (Zwischenaponeurose) tibergeht, die sich
in der Hohe des Proc. lateralis humeri in den distalen Muskel-
bauch (bt) fortsetzt. Dieser bildet einen rundlichen und
ziemlich kraftigen Muskel, welcher, sich successive verjiingend, an
der Beugeseite des Oberarmes in der von den Mm. brachialis in-
478 Max Fiirbringer,
ferior und coraco-brachialis longus gebildeten Rinne distalwirts
zieht und in der Gegend des Ellenbogengelenkes, mehr und mehr
sehnig werdend sich mit dem M. brachialis inferior verbindet, um
gemeinsam mit ihm in die Tiefe der Beuge- und Streckmuskeln am
Anfange des Vorderarmes sich einzusenken und mit zwei Sehnen-
zipfeln am proximalen Bereiche von Radius und Ulna zu enden}).
Einmal fand sich ein feiner, von dem M. coraco-bra-
chialis longus sich ablésender und somit von der hinteren
Ecke des Coracoides ausgehender Muskelstreifen, welcher
den distalen Muskelbauch des Biceps brachii an seiner medialen
Seite begleitete und schliefSlich im distalen Bereiche des Oberarmes
sich mit ihm verband (Caput breve m. bicipitis).
Innerviert durch zwei Nerven, von denen der erste, etwas
schwachere (N. bicipitis proximalis, N.bipx) durch deu M. coraco-
brachialis brevis hindurch an die diesem Muskel zugekehrte
Innenflache des proximalen Bauches tritt, wihrend der zweite,
etwas stirkere (N. bicipitis distalis, N.bédi), durch den Schlitz
zwischen M. coraco-brachialis brevis und longus durchtretend,
mit mehreren Zweigen an die Innenfliche des distalen Bauches
gelangt und diesen versorgt.
Der M. biceps brachii von Sphenodon entspricht dem gleich-
namigen Muskel der Lacertilier, namentlich derjenigen Bildung, die
einen gut ausgebildeten, rein muskulésen proximalen Muskelbauch
aufweist (Geckonidae, viele Scincidae, Zonosaurus). Bereits 1875
(p. 724) wurde von mir an dem Muskel von Tarentola (Platy-
dactylus) dargethan, dafi damit ein sehr urspriingliches Verhalten
(primitiver als das Verhalten bei den meisten anderen Lacertiliern)
gegeben sei; dasselbe gilt somit auch fiir Sphenodon (vergl. auch
p. 422 f.).
Dafi der M. biceps der Lacertilier dem Caput longum des
menschlichen Biceps entspreche, habe ich auch damals (p. 726,
727) ausgefiihrt und halte diese Homologie auch fiir den Muskel
von Sphenodon gegentiber den anders lautenden Deutungen von
GUNTHER und Newman aufrecht; diese Autoren wurden sehr ge-
tiuscht, indem sie ganz anderswohin gehodrende Bildungen
(M. humero-radialis und Lig. acromio-humerale) mit dem Caput
longum des Biceps hominis verglichen und danach zur Homologi-
1) Ginrner und Newman geben irrtiimlich nur eine Insertion
an der Ulna an; Osawa beschreibt richtig, daf die Endsehne an
Radius und Ulna sich ansetzt.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 479
sierung des wirklichen Biceps brachii von Sphenodon mit dem
Caput breve bicipitis hominis gelangten'). SaBaTipr (p. 262)
folgte mir in der Vergleichung mit dem langen Kopfe des Menschen,
erblickte aber in dem vorliegenden Muskel von Sphenodon nur
das Homologon des coracoidalen Anteiles desselben, welche Deu-
tung mir zu eng gezogen erscheint und den freien, lebendigen
Muskelbildungen eine zu starre Begrenzung zuerteilt (siehe auch
p. 424 f.).
Das wahre Homologon des Caput breve des menschlichen
Biceps brachii vermifte ich bei den Cheloniern, Lacertiliern
und Crocodiliern und gab an (1875 p. 727), dab es erst bei den
Saugetieren zu der Bildung desselben — als einer sich mit dem
alten Caput longum bicipitis verbindenden neuen Aberration des
M. coraco-brachialis — kommt. In dieser Hinsicht ist der oben
beschriebene, bisher von mir nur als einmalige Varietit beobachtete
Befund des von dem M. coraco-brachialis longus sich ablésenden
und mit der Medialseite des M. biceps sich verbindenden feinen
Muskelstreifens von grofem Interesse, insofern er bereits bei Sp he -
nodon, also innerhalb der Sauropsiden, die erste
Ausbildung eines Caput breve bicipitis zur Erschei-
nung bringt. In diesem sporadischen Falle kann von einem wirk-
lich zweiképfigen Biceps mit machtigem Caput longum und zartem
Caput breve auch bei Sphenodon gesprochen werden. Es liegt
mir aber fern, damit behaupten zu wollen, da Sphenodon sich
in diesem Stiicke als direkter Verwandter der Saéugetiere erweise ;
vielmehr handelt es sich um eine vereinzelte Parallele zu dem
bei den Mammalia zu allgemeinerer Verbreitung gelangten Bil-
dungsprozesse.
11. Brachialis inferior (Humero-antibrachialis inferior) (077).
Brachialis internus: GUNTHER.
Humero-antebrachialis inferior (Brachialis infe-
rior): FiRBRINGER.
Humero-antibrachialis: Osawa (No. 20).
1) Die mir damals unverstiindliche Beschreibung Gtnrner’s
(vergl. meine Rekapitulation, 1875, p. 724, Anm. 3) ist mir jetzt,
nachdem ich Sphenodon selbst untersucht, anschaulich und seine
Deutung zugleich unannehmbar geworden (Weiteres s. unten bei M.
humero-radialis).
480 Max Firbringer,
Ganz kriftiger, an der Beuge- und Lateralflache des Ober-
armes gelegener Muskel, der ventral von dem distalen Bauche des
M. biceps brachii, lateral zum Teil (an seinem dorsalen Saume)
von dem M. humero-radialis gedeckt wird, dorsal an den M. an-
conaeus humeralis lateralis angrenzt, im tibrigen aber, namentlich
mit dem griften Teile seiner Lateralflache, frei unter der Haut liegt.
Er entspringt von dem 2. bis 4. Fiinftel der Lateral- und
Ventralfliche des Humerus, wobei er zugleich lateral ziemlich
weit auf die laterale Fliche des Proc. lateralis humeri hinaufgreift,
und verliuft unter mafiger Verjiingung distalwarts, um sich in
der Hohe des Ellenbogengelenkes mit dem hier medial neben ihm
gelegenen M. biceps brachii zu vereinigen. Die gemeinsame Masse
senkt sich zwischen Extensoren und Flexoren in die Tiefe der
Vorderarmmuskulatur ein, setzt sich zum Teil an den ventralen
Bereich der Kapsel des Ellenbogengelenkes an (hierbei ist der
vom M. brachialis inferior stammende Anteil ganz tiberwiegend,
wenn nicht ausschlieSlich beteiligt) und geht endlich in zwei kraf-
tige Sehnenzipfel iiber, von denen der kiirzere an dem Anfange
des Radius, der etwas langere an der entsprechenden Stelle der
Ulna inseriert. Da, wo der Muskel an den Extensoren des Vorder-
armes vorbeizieht, findet sich eine mitunter leidlich feste binde-
sewebige Verbindung mit dem M. brachio-radialis (supinator), die
sich jedoch nicht zum Range einer Ankerung erhebt; von einer Art
Insertion an diesem Muskel kann aber keine Rede sein.
Innerviert von dem N. brachialis inferioris (N.bri), der,
nachdem er mit dem N. bicipitis zwischen den Mm. coraco-
brachiales brevis und longus durchgetreten, mit mehreren Zweigen
sich in die Oberflache seines Muskels einsenkt.
Die Homologie mit dem gleichnamigen Muskel der Lacertilier
und Crocodilier ist nicht zweifelhaft. Der von Osawa gewihlte
Zusatz ,medialis“ erscheint mir nicht gliicklich, weil damit der
M. brachialis inferior zum Socius des zu einem ganz anderen
Systeme gehérenden M. humero-radialis (M. humero-antibrachialis
lateralis OsAwA) gemacht wird — ein Irrtum, der schon 1866
Hauauton bei der Beschreibung der Muskeln des Crocodiles
passierte.
12. Latissimus dorsi (Dorso-humeralis) (/.d).
Latissimus dorsi: GUNTHER.
Dorso-humeralis (Latissimus dorsi): FURBRINGER.
Latissimus dorsi s. Dorso-humeralis: Osawa (No. 2).
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 481
Sehr breiter und ausgedehnter, aber malig starker Muskel an
der dorsalen Lateralfliche des Rumpfes, der nur an seiner dorso-
rostralen Ecke yon dem caudalen Ende des M. trapezius gedeckt
wird, wobei er mit ihm verwachsen ist, im tibrigen aber direkt
unter der Haut liegt.
Er entspringt in bedeutender Lange aponeurotisch von den
Proc. spinosi der 3 letzten Hals- und 9 ersten Dorsalwirbel (6.
bis 17. Wirbel) +), wobei die Ursprungsapeneurose in dem Bereiche
des 6. und 7. Wirbels bald in den Muskelbauch tibergeht, in dem
darauf folgenden Hauptteile des Muskels aber erheblich langer ist
und hier auch ziemlich feste Verbindungen mit den von ihr be-
deckten Teilen (Riickenmuskeln mit ihren Fascien) aufweist. Von
dem Ursprungsteile aus konvergieren die Muskelfasern sehr erheb-
lich, wobei die vordersten in transversal-descendenter, die hinter-
sten in longitudinal-ascendenter Richtung verlaufen, und bilden
einen dreieckigen Muskel, dessen ziemlich schmaler, sehnig-mus-
kulés gewordener Insertionsteil zwischen den lateral vorbeiziehenden
Capita scapulare (insbesondere seiner humeralen Ankerung) und
humerale laterale m. anconaei und den medial befindlichen Capita
coracoideum und humerale mediale m. anconaei sowie dem M.
scapulo-humeralis profundus anterior sich in die Tiefe der Streck-
seite des Oberarmes einsenkt und hier etwa im Bereiche des
3. Achtels des Oberarmes zwischen dem lateral gelegenen Ursprung
des M. anconaecus humeralis lateralis und der proximo - medial
befindlichen Insertion des M. scapulo-humeralis prof. anterior
mit kurzer und maig schmaler Sehne sich an den Humerus
ansetzt.
Innerviert durch den gleichnamigen Nerven (N./d, der
auch durch zwei selbstaindige Nn. latissimi vertreten sein kann) ”),
der, von vorn und unten nach hinten und oben verlaufend, den
Muskel mit zahlreichen in seine Innenfliche eindringenden
Zweigen versorgt.
Der M. latissimus dorsi von Sphenodon entspricht der gleich-
namigen Bildung der Lacertilier und teilt auch mit der Mehrzahl
derselben die mangelnden Beziehungen zu einem M. teres major,
der hier wie dort in Riickbildung getreten ist.
1) Osawa fand annahernd das Gleiche (Urspung von den Proc.
spinosi des 5. bis 17. Wirbels).
2) Auch Osawa thut des einfachen oder doppelten Ursprunges
der Nn. latissimi dorsi Erwihnung. Haufiger fand ich das erstere.
482 Max Firbringer,
13. Dorsalis scapulae (Deltoides scapularis s. superior) (dsc).
Deltoideus: GtnrHpr, Newman.
Dorsalis scapulae (Deltoides scapularis s. superior):
FURBRINGER.
Dorsalis scapulae s. Deltoides scapularis FUrBrincEr:
Osawa (No. 13).
Ganz ansehnlicher, dreieckiger Muskel an der Seitenflache der
Scapula, der im dorsalen Bereiche von den Mm. trapezius und
(nur wenig) levator scapulae spf. superior, an seinem ventralen in-
sertiven Ende von dem M. deltoides clavicularis und an seinem
hinteren Saume dorsal und ganz schmal von dem M. latissimus
dorsi gedeckt wird, tibrigens aber frei unter der Haut liegt.
Er entspringt von den vorderen 3/, des ventralen Bereiches
(knappe ventrale ?/,) des knorpeligen Suprascapulare, wobei er
vorn ventralwairts auf die dorsale Ecke der knéchernen Scapula
s. str. tibergreift, hinten aber den ventralen Saum des Supra-
scapulare frei laft, geht mit konvergierenden Fasern in trans-
versal-descendenter Richtung nach unten und hinten, wobei er die
Mm. scapulo-humeralis profundus posterior nnd anconaeus scapu-
laris deckt, und senkt sich schlieflich, in eine makig starke platte
Sehne iibergehend, zwischen dem ihn lateral deckenden Endteil des
M. deltoides clavicularis und dem medial an ihm yorbeiziehenden
M. anconaeus scapularis in die Tiefe des Oberarmes ein, um an
dem dorsalen Bereiche des Proc. lateralis humeri, dorso-distal von
dem M. supracoracoideus, sowie dorsal und dorso-proximal von
dem M. deltoides clavicularis') zu inserieren.
Innerviert von den an seiner Innenflaiche eintretenden
Nn. dorsalis scapulae (N.dsc) und cleido-humeralis (N.dcel), von
denen der erstere weitaus den Hauptteil des Muskels versorgt.
Der Muskel entspricht, ungeachtet gewisser speciellerer Ab-
weichungen, dem M. dorsalis scapulae der Lacertilier und Croco-
dilier und nimmt in seinem Verhalten zu dem ihm nahe verwandten
M. deltoides clavicularis eine Zwischenstellung zwischen dem Ver-
halten der tiefer und héher stehenden unter den Lacertiliern
(p. 428f.) ein: wihrend bei den primitiveren Lacertiliern die Mm.
dorsalis scapulae und deltoides clavicularis dicht nebeneinander (resp.
gemeinsam) inserieren, wobei der erstere urspriinglich etwas mehr
1) Auch Osawa bildet dies annahernd richtig auf Fig. 13
(p. 527) ab, vertauscht aber infolge eines Schreibfehlers die Inser-
tionsstellen beider Muskeln.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 483
distal sich an den Proc. lateralis humeri ansetzt als der letztere,
hat sich bei Sphenodon der M. deltoides clavicularis mit seinem
Insertionsteil in mafigem Grade tiber den M. dorsalis scapulae
hinweggeschoben, um hier ventral und mit seinem Ende ventro-
distal von dem letzteren an den Humerus sich anzusetzen; bei
gewissen hoheren Lacertiliera (einige Iguanidae und Agamidae,
doch auch Uroplates) und vor allem bei den Crocodiliern ist diese
distal gehende Wanderung der Insertion des M. deltoides clavi-
cularis gegentiber der proximal stehen gebliebenen Insertion des
M. dorsalis scapulae in noch weit erheblicherem Grade als bei
Sphenodon zur Ausbildung gekommen.
Daf der M. dorsalis scapulae zu der Deltoides-Gruppe (Delto-
ides und Teres minor der menschlichen Anatomie) gehért und
zu dem Teres minor des Menschen die nachsten, wenngleich nicht
ganz kompleten Beziehungen aufweist, wurde bereits oben (p. 430)
von mir hervorgehoben. Die speciellere Homologisierung mit dem
menschlichen Deltoides (GiNTHER, NEWMAN) ist abzuweisen.
14. Deltoides clavicularis s. inferior (Cleido-humeralis) (dc/).
Claviculo-brachialis (of Emys): Ginruer.
Cleido-humeralis (Deltoides clavicularis s. infe-
rior): FURBRINGER.
Cleido-humeralis s. Deltoides clavicularis Fir-
BRINGER: Osawa (No. 12).
Ganz gut entwickelter, dem M. dorsalis scapulae aber an
Masse nachstehender Muskel, der im ventro-lateralen Gebiete der
Schulter sich befindet, zum gréferen Teile frei unter der Haut
liegt nnd nur im ventralen Bereiche von dem M. pectoralis sowie
an der Insertion etwas von dem Anfange des M. humero-radialis ge-
deckt wird; andererseits deckt er Teile der Mm. supracoracoideus,
scapulo-humeralis (profundus) anterior und dorsalis scapulae und
der Membrana sterno-episternalis'), sowie nahezu das ganze Lig.
1) Die Membrana sterno-episternalis bildet bei Sphen-
odon eine membranise Ausbreitung, welche zwischen der Aulen-
flache des Labium externum des Sulcus coracoideus sterni und dem
Querschenkel des Episternum ausgespannt ist, aber zu dem bei
Sphenodon lediglich an der Clavicula inserierenden M. cleido-masto-
ideus gar keine Beziehungen mehr darbietet. Darin driickt sich
ein durchaus sekundarer Zustand aus, der an das Verhalten der
in dieser Hinsicht am héchsten differenzierten Formen unter den
484 Max Firbringer,
acromio-humerale, das ihn zugleich véllig von dem M. scapulo-
humeralis anterior scheidet.
Er entspringt ziemlich ausgedehnt von dem Episternum 4),
und zwar, direkt angrenzend an den Ursprung des ihn deckenden M.
pectoralis, von dem Lateralsaume des vorderen 1/,—'/, des Lings-
schenkels und dem hinteren Saume der ganzen Linge des Quer-
schenkels, sowie von der reichlichen distalen Halfte der Clavicula,
d. h. dem zwischen der Spitze des Querschenkels und dem Acro-
mion erstreckten Teile derselben; der claviculare Teil des Muskels
ist der schwiichste?). Der anfangs recht breite Muskel konvergiert
zu dem kraftigen Insertionsteile, der zwischen dem lateral von
ihm befindlichen M. humero-radialis und dem medial gelegenen
M. dorsalis scapulae in die Tiefe geht und vorwiegend muskulés
an dem dorso-lateralen Bereiche des Proc. lateralis humeri und
distal etwas dariiber hinaus sich anheftet, wobei seine Insertions-
stelle proximal von der Insertion des M. supracoracoideus, lateral
und distal von den Urspriingen der Mm. brachialis internus und
anconaeus humeralis lateralis und medial von der Insertion des
M. dorsalis scapulae begrenzt wird. Mit dem M. anconaeus hume-
ralis ist er hierbei ausgedehnt und recht innig verwachsen, mit
dem M. humero-radialis haingt er durch eine aponeurotische Aus-
breitung zusammen.
Innerviert von demN. cleido-humeralis (NV.dcl), der, eventuell
durch einige Fasern des N. dorsalis scapulae (N.dsc.) verstarkt,
kionokranen Lacertiliern (Iguanidae, Agamidae) anschlieft (vergl. die
beziiglichen Ausfiihrungen bei dem M. cucullaris der Kionokranier
p. 399 f.), dasselbe aber noch an weiter fortgeschrittener einseitiger
Entwickelung iibertrifft, indem bei Sphenodon der M. cleido-masto-
ideus seine sternale und episternale Insertion aufgegeben, der M.
deltoides clavicularis dagegen sekundare Ursprungsbeziehungen
zum Episternum gewonnen hat und mit diesen ihm neu zuge-
kommenen episternalen Ursprungsfasern den Anfang der Membrana
sterno-episternalis deckt, wahrend er urspriinglich (bei den primi-
tiveren Lacertiliern) von ihr gedeckt wurde (p. 398).
1) Der episternale Ursprung wird von Osawa im Texte seiner
Beschreibung nicht erwahnt und in der Abbildung Fig 5 (p. 491)
nur auf einen kleinen Teil des Querschenkels beschriinkt und zu
weit auf den medialen Bereich der Clavicula verlegt.
2) Uebrigens individuell von verschiedener Ausbildung: bei den
meisten untersuchten Exemplaren von mittlerer Entfaltung, bei
einem sehr schwach entwickelt und von dem iibrigen Muskel durch
einen schmalen Spalt getrennt.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 485
oberflichlich am Lig. scapulo-humerale laterale (LZ. schlt) vor-
beizieht und seinen Muskel von der Innenseite her versorgt.
Der M. deltoides clavicularis s. inferior steht dem gleich-
namigen Muskel der Lacertilier naher, wihrend er sich von seinem
Homologon bei den Crocodiliern weiter entfernt. Charakteristisch fiir
Sphenodon ist die weitgehende ventrale Entwickelung, die in dem
ausgedehnten Ursprunge von dem Episternum ihren Schwer-
punkt findet, wahrend bei den meisten Lacertiliern der Ursprung
sich auf die Clavicula beschrankt, bei den Crocodiliern selbst —
infolge der sekundaren Reduktion der Clavicula und der eigen-
artigen Ausbildung des M. supracoracoscapularis — sich dorsal
auf die Scapula lokalisiert hat. Doch findet sich auch bei den
Lacertiliern ein Ursprung von dem Episternum (Heloderma [Sau-
FELDT |, Phrynosoma, Calotes, Monitor u. a.) (p. 431), der bei diesen
indessen nicht wie bei Sphenodon oberflachlich tiber die Membrana
sterno-episternalis hinweggreift (vergl. Anm. 1 auf p. 483 und 484)
Der Anfang des M. deltoides clavicularis von Sphenodon zeigt
somit in dieser Hinsicht eine einseitige Ausbildung ‘), fiir die jedoch
gewisse Lacertilier vermittelnde Zustande aufweisen, wahrend bei
den Crocodiliern die ganz entgegengesetzte Entwickelungsrichtung
zur Erscheinung kommt’): der Ursprung des Muskels der lebenden
Rhynchocephalier und lebenden Crocodilier hat nicht einen einzigen
Skelettteil gemeinsam, und doch besteht kein Zweifel, da es sich
um die gleiche Bildung handelt, die bei den ersteren von der
Clavicula aus (meiste Lacertilier) ventralwarts auf das Episternum,
bei den letzteren dorsalwarts auf die Scapula (unter sekundirem
Verlust der Clavicula und des clavicularen Ursprunges) iiberwanderte
— ein besonders anschauliches Beispiel, eine wie geringe Bedeutung
fiir die Bestimmung der Muskelhomologien dem specielleren Ver-
halten der Muskelurspriinge zukommt und wie sehr Diejenigen
irren, welche starren Beziehungen zwischen den Muskeln und
den ihnen Ursprung gebenden Knochenstellen das Wort reden*).
1) Bei Heloderma wird selbst ein Uebergreifen auf das Ster-
num angegeben (SHureLptT); doch bedarf dies noch der Bestitigung.
2) Etwas dem episternalen Ursprunge des M. deltoides clavi-
cularis von Sphenodon Vergleichbares existiert auch in der Pars
plastro-humeralis des M. deltoides der Chelonier (vergl. Schulter-
muskeln, II, 1874, p. 267 f.).
3) Noch gréfer wird die Variabilitat bei Mitberiicksichtigung
der Verhiltnisse der Chamaeleontiden (1875, p. 762 f. und diese Ab-
handlung p. 455), bei denen der Ursprung des Muskels auf Coracoid
und Sternum iibergewandert ist.
486 Max Firbringer,
In der Insertion des M. deltoides clavicularis hat sich auch
eine Wanderung vollzogen (die bereits bei dem M. dorsalis sca-
pulae p. 482f. besprochen wurde), die hier die erste Etappe eines
Bildungsganges zeigt, welcher bei den hodheren Lacertiliern und
Crocodiliern in derselben Richtung noch weiter entwickelt ist.
Daf die Homologie mit dem menschlichen M. deltoides eine
recht nahe, wenn auch nicht vollkommen komplete ist, wurde von
mir bereits fiir den Muskel der Lacertilier hervorgehoben (1875,
p. 734) und dabei gleichzeitig die noch stringentere Ver wandtschaft
der entsprechenden Bildungen der Crocodilier und Vogel mit dem
Deltoides hominis betont (1875, p. 798). Ich verstehe nicht, was
GUNTHER dazu fihrte, diese Homologie zu bestreiten, — falls er
nicht die specielle Ausbildung des Ursprunges als Hindernis tiber-
schatzte und durch seine (irrtiimliche) Vergleichung des M. dor-
salis scapulae von Sphenodon mit dem menschlichen Deltoides
verhindert wurde, die wahre Homologie zu erkennen.
15. Scapulo-humeralis anterior (Coraco-scapulo-humeralis
anterior) ') (scha).
Wahrscheinlich ganz oder zum gréferen Teile Supra- and In-
fraspinatus et Teretes: Ginrner, NEWMAN.
Scapulo-humeralis profundus (der Lacertilier): Fur-
BRINGER.
Scapulo-humeralis profundus Ftrprincer: Osawa
(No. 16).
Ziemlich kraftiger Muskel, der hauptsachlich von dem M.
deltoides clavicularis, an seinen Randern auch von den Mm. dor-
salis scapulae und supracoracoideus gedeckt und auferdem von
dem kraftigen, zwischen ihm und diesen 4 Muskeln sich hindurch-
ziehenden Lig. scapulo-humerale laterale (L.schlt)?) tiberbriickt
wird.
Er entspringt von dem dorsalen Bereiche des Coracoides
(direkt iiber dem M. supracoracoideus) und dem ventralen der
knéchernen Scapula (rostral und ventral von dem Ursprunge des
M. scapulo-humeralis posterior), zieht zwischen diesen beiden
1) Das frither (1875) bei den Lacertiliern gebrauchte Epitheton
»profundus“ lasse ich im folgenden als unnétig weg (vergl. auch
Anm. 2 auf p. 432 und 433).
2) Weiteres tiber das Lig. seapulo-humerale laterale enthalten
die Ausfiihrungen bei dem M. anconaeus scapularis (siehe unten
p. 492).
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 487
Muskeln, hierbei anfangs etwas mit dem M. supracoracoideus ver-
wachsen, nach hinten und gelangt, dem dorsalen Bereiche der
Kapsel des Schultergelenkes direkt aufliegend und partiell mit
ihr verbunden, dorsalwarts an den Anfang der Streckfliche des
Humerus. Hier findet seine vorwiegend muskulése Insertion im
Bereiche des 2. 1/,—1/, der Humeruslinge an einer ziemlich
ausgedehnten Stelle statt, welche lateral resp. latero-distal von
den Insertionen der Mm. dorsalis scapulae und latissimus dorsi
und dem Ursprunge des M. anconaeus humeralis lateralis, medial
von der Insertion des M. scapulo-humeralis posterior und dem
Ursprunge des M. anconaeus humeralis medialis begrenzt wird.
Gréftenteils unter ihm liegend findet sich ganz in der Tiefe
ein feines und schmales Muskelband (scha;), welches, direkt
neben dem M. anconaeus scapularis und bedeckt von dem M.
scapulo-humeralis posterior, von dem Rande der Scapula entspringt
und sich dann sofort unter den M. scapulo-humeralis anterior
begiebt, um, mit ihm verbunden und der Kapsel innig angeschmiegt,
nach dem Humerus zu verlaufen, wo es als am meisten proximaler
tiefer Teil dieses Muskels am Anfange des 2. 1/, inseriert.
Innerviert durch den N. scapulo-humeralis anterior (NV.scha),
der, zwischen den Mm. scapulo-humeralis posterior und sub-
scapularis, sowie ventral unter dem M. anconaeus scapularis
hindurchtretend, zum oberen und hinteren Rande seines Muskels
gelangt, um ihn von da aus zu versorgen. Das unter ihm liegende
Muskelband wird durch einen feinen, waihrend des Durchtrittes
durch die beiden oben genannten Muskeln von dem N. scapulo-
humeralis anterior abgehenden Seitenzweig dieses Nerven (NV.scha;)
innerviert.
Der M. scapulo-humeralis anterior entspricht dem M. scapulo-
humeralis profundus der Lacertilier und hat demzufolge weder in
den Mm. supra- und infraspinatus, noch in den Mm. teretes (major
und minor) ein Homologon; die diesbeziiglichen Deutungen von
GUNTHER und NEWMAN, wenn ich diese Autoren recht verstehe,
sind daher zurtickzuweisen. Den Crocodiliern geht der M. scapulo-
humeralis anterior ab. Dagegen besteht zu dem M. scapulo-
humeralis der Végel eine direkte Homologie.
Das oben beschriebene feine und schmale Muskelband in der
Tiefe des M. scapulo-humeralis anterior rechne ich auf Grund
seiner Insertion diesem Muskel zu; es ist ein etwas selbstandiger
gewordenes tiefstes Biindelchen desselben, das namentlich in der
Art seines Ursprunges (Nachbarschaft zum M. anconaeus scapu-
Bd, XXXIV, N, F. XXVI. 32
488 Max Firbringer,
laris) besonders nahe Beziehungen zu dem M. scapulo-humeralis
anterior der Végel aufweist, der bekanntlich bei diesen allent-
halben recht schwach entwickelt, haufig zu einem sehr feinen
Muskelfaden reduziert und nicht selten ginzlich riickgebildet ist.
16. Scapulo-humeralis posterior *) (schp).
Scapulo-humeralis profundus (der Crocodilier): Ftr-
BRINGER.
Scapulo-humeralis posterior s. teres major Fir-
BRINGER: Osawa (No. 17).
Ziemlich kleiner Muskel, der dorsal von dem vorhergehenden,
von ihm durch den Ursprungskopf des M. anconaeus scapularis
getrennt, sich befindet, von dem M. dorsalis scapulae gedeckt
wird und der duferen Flache des M. subscapularis aufliegt.
Er entspringt von der AuSenflache der knéchernen Scapula
(von den vorderen */, der ventralen Halfte derselben) direkt tiber
dem Ursprunge des M. anconaeus scapularis und des kleinen tiefen
Muskelbandes des M. scapulo-humeralis anterior und zieht zwischen
den lateral von ihm liegenden Mm. anconaeus scapularis und
scapulo-humeralis anterior und dem medial von ihm befindlichen
M. subscapularis tiber das Schultergelenk hinweg an den Anfang
der Streckflache des Humerus, wo er an dem distalen Ende des
Tuberculum mediale, medial neben der Insertion des M. scapulo-
humeralis anterior, disto-lateral neben der Insertion des M. sub-
coracoscapularis und proximal von dem Anfange des Ursprunges des
M. anconaeus humeralis medialis endet.
Innerviert von dem N. scapulo-humeralis posterior (N.schp),
einem feinen Nerven, der sich am hinteren Rande des M. sub-
scapularis d. h. knapp vor dem Kintritte zwischen diesem und
dem M. scapulo-humeralis posterior von dem gemeinsamen N.
scapulo-humeralis (profundus) abzweigt.
Der M. scapulo-humeralis posterior hat die direktesten Be-
ziehungen zu dem M. scapulo-humeralis profundus der Crocodilier
(1875, p. 799f.) und dementsprechend auch zu dem M. scapulo-
humeralis posterior der Végel; letztere zeigen eine sehr michtige
1) Auch hier lasse ich den Zusatz ,profundus* in der Folge
weg. — Von Ginter und Newman, wie es scheint, nicht erwahnt.
Mir ist der Muskel 1875, da ich damals Sphenodon nicht selbst
praparieren konnte, unbekannt geblieben; er entspricht aber dem
dort angefiihrten M. scapulo-humeralis profundus der Crocodile.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 489
Entfaltung des bei den Reptilien noch relativ unbedeutend aus-
gebildeten Muskels.
In der Koexistenz zweier Mm. scapulo-humerales (anterior
und posterior), welche tiberdies noch durch das eigen verlaufende
tiefe und feine Muskelband des M. scapulo-humeralis anterior in
naheren Verband gebracht werden, bietet Sphenodon gewisser-
mafen den Schliissel fiir die Erklarung der sich nicht ganz
deckenden Bildungen der Scapulo-humerales (profundi) der Lacer-
tilier und der Crocodilier, sowie des Auftretens der beiden Scapulo-
humerales (anterior und posterior) der Végel. Ich bin daraufhin
geneigt, in erheblicher Modifizierung meiner friiheren Auffassung
des M. scapulo-humeralis profundus der Crocodilier (1875, p. 799 f.),
die urspriingliche Existenz zweier Mm. scapulo-humerales (pro-
fundi), eines anterior und eines posterior — die vermutlich aus
einem ecinfachen primordialen M. scapulo-humeralis (profundus)
hervorgegangen sein mégen — bei den Vorfahren der hier in
Frage kommenden Abteilungen anzunehmen *).
Diese beiden Muskeln wurden von Sphenodon bewahrt und
bei den Végeln selbst — in einseitiger Differenzierung (beginnende
oder vollendete Riickbildung des M. scapulo-humeralis anterior,
hohe Entfaltung des M. scapulo-humeralis posterior) — zur weiteren
Ausbildung gebracht; bei den kionokranen Lacertiliern dagegen
trat der M. scapulo-humeralis posterior, bei den Crocodiliern der
M. scapulo-humeralis anterior in Reduktion, so da erstere nur
den M. scapulo-humeralis anterior, letztere den M. scapulo-hume-
ralis posterior bewahrten.
17. Subcoracoscapularis (sbesc).
Subcoracoscapularis: FURBRINGER.
Subscapularis: Newman.
Subscapulo-coraco-brachialis: Osawa (No. 18).
Ansehnlicher einheitlicher Muskel an der Innenflache des
Schultergiirtels, der sich aus einer scapularen und coracoidalen
Portion zusammensetzt, die indessen kaum voneinander geschieden
sind.
1) Auch bei zahlreichen Anuren konnte ich zwei Mm. scapulo-
humerales profundi (anterior und posterior) beobachten (Schulter-
muskeln, II, 1874, p. 217—220); es liegt mir aber fern, in diesem
Verhalten einen Vorlaufer fiir die Rhynchocephalier und Vogel zu
erblicken.
32 *
490 Max Firbringer,
Pars scapularis s. Caput scapulare (Subscapu-
laris) (sbse). Kleiner dorsaler Teil, der von dem hinteren Be-
reiche (Hinterrand und daran grenzender Innen- und Aufensaum)
der ventralen Halfte der knéchernen Scapula hinter der Anheftung
des Lig. sterno-scapulare internum entspringt und mit ziemlich
kurzen Fasern nach der Insertion zu verlauft, wobei er an
seiner Aufenflache von dem M. scapulo-humeralis posterior ge-
deckt wird‘).
Pars coracoidea s. Caput coracoideum (Subcora-
coideus) (sbc). Viel (5 bis 6mal) gréfere ventrale Portion, die
nahezu von dem ganzen, nicht von den Befestigungsstellen der Mm.
sterno-coracoidei interni und coraco-brachialis longus eingenommenen
Teile der Innenflaiche des Coracoides, d. h. reichlich von den
lateralen 3/, desselben, entspringt (wobei sie von den durch das
Foramen supracoracoideum durchtretenden gleichnamigen Nerven
und Gefafen durchbohrt wird) und einen aus recht langen Fasern
gebildeten breiten Muskel bildet, der lateral véllig mit der Pars
scapularis verschmolzen ist und, stark konvergierend, tiber das
Schultergelenk (mit dessen Kapsel verbunden) hinweg an das Tuber-
culum mediale humeri geht, wo er kraftig sehnig-muskulés inseriert.
Innerviert durch den N. subcoracoscapularis (N.sbesc), der
mit mehreren ziemlich friih selbstaéndig werdenden Zweigen sich
an der Innenflaiche des Muskels verbreitet ”).
Der Muskel entspricht dem M. subcoracoscapularis der Lacer-
tilier und zwar am meisten jener Vertreter derselben, bei welchen
die Pars scapularis gegen die Pars coracoidea in Entwickelung
zuriicktritt. Bei Sphenodon erreicht dieses Mifverhaltnis zu Un-
gunsten der P. scapularis den héchsten Grad; dasselbe ist, wie
die Verkiirzung der betreffenden Fasern und die Beschrankung
1) Damit deckt sich Newman’s Beschreibung, der den Muskel
von der Innen- und Aufenflache nicht nur der knéchernen, sondern
auch der knorpeligen Scapula (Suprascapulare) entspringen last und
den Ursprung vom Coracoid gar nicht erwiahnt, in keiner Weise.
Diese Angaben wiirden eher auf den Subscapularis der Crocodile
passen. — Osawa giebt eine richtige Beschreibung des Muskels.
2) Osawa lakt das Caput coracoideum (Caput coracoides Osawa)
auger durch den N. subcoracoscapularis (N. subscapulo - coraco-
brachialis Osawa) auch noch durch einen Ast aus dem N. coraco-
brachialis innerviert werden. Ich fand bei keinem der von mir
untersuchten Exemplare etwas derartiges und halte die reine Ver-
sorgung durch den N. subcoracoscapularis fest.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 491
des Ursprunges auf den hintersten Teil der knéchernen Scapula
zeigt, auf eine weitgehende sekundire Reduktion der scapularen
Portion zuriickzufiihren. Sphenodon tritt. damit zugleich in einen
diametralen Gegensatz zu den Crocodiliern, bei denen die Pars
scapularis als ein ausgedehnt von der Innenfliche der Scapula
entspringender M. subscapularis erhalten geblieben ist, wahrend
die Pars coracoidea vollkommen in Riickbildung trat.
18. Anconaeus (Triceps brachii) (a).
Triceps: Gtntuer, Newman!), Brooxs.
Anconaeus: FURBRINGER.
Anconaeus Ftrsrincer: Osawa (No. 22).
a) Caput scapulare laterale m. anconaei:
Superficial Portion of the Triceps: Guntur.
Caput scapulare anconaei s. M. anconaeus scapu-
laris: FURBRINGER.
Cap. L of the Triceps: Newman.
Caput scapulare: Osawa (No. 22a).
b) Caput coracoideum m. anconaer:
Additional Tendon of the Superficial Portion of
the Triceps: GUNTHER.
Caput coracoideum m. anconaei s. M. anconaeus co-
racoideus: FUrRBRINGER.
Cap. II of the Triceps: Newman.
Caput coracoideum: Osawa (No. 22b).
¢) Caput humerale laterale m. anconaei:
Teil der _ Inner Portion of the Triceps: GUntTHEr.
Caput humerale laterale m. anconaei s. M.anconaeus
humeralis lateralis: FUrerincer.
Caput humerale laterale: Osawa (No. 22c).
ad) Caput humerale mediale m. anconaei:
Teil der Inner Portion of the Triceps: GtnTuHer.
Caput humerale mediale m. anconaei s.M. anconaeus
humeralis medialis: FURBRINGER.
Caput humerale mediale: Osawa (No. 22d).
1) Newman 1laft den M. triceps nur aus zwei Képfen (scapularer
und coracoidaler) bestehen, die aufer an dem Olecranon auch an
der hinteren Flache des Humerus inserieren sollen. Kein anderer
Untersucher fand dergleichen.
492 Max Fiirbringer,
Sehr kraftiger Muskelkomplex an der Streckseite des Ober-
armes, welcher mit zwei weit getrennten Képfen, Caput scapulare
und C. coracoideum, von dem Schultergiirtel entspringt, wahrend
die von dem Humerus kommenden Teile eine mit zwei kurzen
Zipfeln, Caput humerale laterale und C. humerale mediale, be-
ginnende Masse bilden.
a) Caput scapulare laterales. M. anconaeus scapu-
laris lateralis (ase). Ansehnlicher Kopf, der mit kraftiger
Sehne von dem ventralen Bereiche der Aufenflache der Scapula
zwischen den Urspriingen der Mm. scapulo-humerales anterior und
posterior, sowie dem Anfange des Lig. scapulo-humerale laterale,
also von der Basis des Acromions beginnend, entspringt und
hierauf zwischen den beiden genannten Muskeln, zugleich lateral
von dem M. dorsalis scapulae gedeckt, nach dem Oberarm ver-
lauft, wobei er successive in einen starken, lateral am Endteil
des M. latissimus dorsi vorbeiziehenden Muskelbauch iibergeht,.
der sich zuerst mit dem Caput coracoideum, dann mit dem Caput
humerale laterale verbindet.
Das Lig. scapulo-humerale laterale (L.schlt) bildet.
einen sehr kraftigen Sehnenzug, der von dem Acromion und dem
caudal davon befindlichen Teile der Scapula beginnt und sich an
den Anfang des Proc. lateralis humeri, dicht.neben der Insertion
des M. supracoracoideus ansetzt. Hierbei spannt es sich in de-
scendenter Richtung briickenartig tiber den M. scapulo-humeralis
anterior aus, steht mit seinem Anfangsteile mit der Ursprungs-
sehne des Caput scapulare m. anconaei in ausgedehntem Verbande
und ist mit seinem Endteile breit mit dem M. supracoraco-
ideus, schmal mit dem M. humero-radialis verbunden; der M.
supracoracoideus inseriert mit seinem dorsalen Teile an ihm, der
M. humero-radialis nimmt seinen Hauptursprung von ihm. — Das
Lig. scapulo-humerale laterale von Sphenodon kniipft an die gleich-
namige Bildung der kionokranen Lacertilier an, zeigt aber in
seiner sehr starken Ausbildung, in seinem bis zum Acromion nach
vorn erstreckten Ursprunge (der die Bezeichnung eines Lig.
acromio-humerale laterale rechtfertigen wiirde) und in seinen
Verbindungen mit den Mm. supracoracoideus und humero-
radialis eine Héhe der Entwickelung, die kein Lacertilier er-
reicht und die als eine Besonderheit des Rhynchocephaliers auf-
zufassen ist.
Weiter hinten, in der Hohe des proximalen Teiles der End-
sehne des M. latissimus dorsi, besitzt der Anconaeus scapularis
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 493
auch eine ziemlich kraftige, mit seiner Unterfliiche verbundene
humerale Ankerung, die somit in einer mehr distalen Lage
als bei den Lacertiliern sich befindet. Der von dieser Ankerung
lateral begrenzte Spalt (zwischen ihr und dem sehnigen Caput
coracoideum) bildet die Durchtrittsstelle fiir die weiterhin am
Oberarm verlaufenden Nn. brachiales superiores.
b) Caput coracoideum s. Anconaeus coracoideus
(ac). Entspringt mit langer und schlanker, aber nicht unkraftiger
Sehne') von dem lateralen Rande (und von da minimal auf die
Innenfliche iibergreifend) des Coracoides in der Mitte zwischen
Acetabulum und hintererer Ecke, wobei er anfangs aufen von dem
M. coraco-brachialis brevis bedeckt wird, und geht, die Nn. brachiales
superiores und inferiores voneinander scheidend, nach dem Ober-
arm, wo er sich, sehnig bleibend, mit dem Caput scapulare ver-
einigt.
c) Caput humerale laterale s. M. anconaeus hume-
ralis lateralis (q@hl). Lateraler, gréferer und lingerer Kopf
der humeralen Masse des Anconaeus, der von dem lateralen Be-
reiche der Streckfliche des Humerus entspringt und sich sehr
bald mit dem Caput humerale mediale verbindet, von dem er nur
am Anfange namentlich durch die Insertionen der Mm. latissimus
dorsi und scapulo-humeralis anterior geschieden war. Distal be-
grenzt er die Insertion des M. deltoides clavicularis, mit dem er
zugleich ziemlich innig verbunden sein kann. Zweimal wurde ein
ihn in einen gréferen lateralen und kleineren medialen Zipfel
trennender feiner Spalt gefunden; doch war diese Sonderung eine
durchaus unvollkommene und in beiden Fallen nicht ganz tiberein-
stimmende.
d) Caput humerale mediale s. M. anconaeus hume-
ralis medialis (ahm). Medialer, kleinerer und kiirzerer Kopf,
der, unterhalb des Proc. medialis beginnend, von dem medialen
Bereiche der Streckseite des Humerus entspringt, wobei er von
1) Newman beschreibt den coracoidalen Kopf als langes flei-
schiges Biindel, was sicher auf einem Irrtum beruht. Osawa hebt
die rein sehnige Natur richtig hervor, spricht aber von einer sehr
diinnen Sehne, die vom’ caudalen Winkel der Innenflaiche des Cora-
coides ausgehe. Ich fand die Sehne zwar erheblich diinner als die
des Caput scapulare, aber nicht eigentlich schwach und sah sie
auch stets proximal von dem caudalen Winkel des Coracoides ent-
springen.
494 Max Firbringer,
dem Caput humerale laterale durch die bei diesem angefiihrten
Muskelinsertionen getrennt wird und distal zugleich die Inser-
tionen der Mm. subcoracoscapularis und scapulo-humeralis posterior
begrenzt.
Direkt oberhalb der Mitte des Oberarmes verbinden sich das
Caput scapulare und C. coracoideum miteinander, und unterhalb
derselben, in schrager von oben und aufen nach unten und innen
(disto-medialwarts) absteigender Linie, geschieht die Vereinigung
der coraco-scapularen Masse mit der humeralen zu einem mach-
tigen Muskel, der, tiber die Dorsalseite des Ellenbogengelenkes
hinwegziehend und auch hier mit der Kapsel zusammenhangend,
nach der Ulna geht, an deren proximalem Finftel er kraftig
sehnig-muskulés inseriert, den Anfang derselben zugleich zu einem
hervortretenden Olecranon ausbildend. Am Insertionsteile tiber-
wiegen oberflichlich die Sehnenfasern, in der Tiefe finden. sich
noch zahlreiche Muskelelemente. Eine Patella ulnaris ist nicht
ausgebildet.
Innerviert durch den kraftigen N. anconaeus (N.a), der
nach seiner Abzweigung von dem N. brachialis longus superior
bald in mehrere Aeste (N.asc, N.ahl, N.ahm) fiir die einzelnen
Abteilungen des Muskels, soweit sie aus Muskelgewebe bestehen,
zerfallt.
Der M. anconaeus entspricht, ungeachtet einiger speciel-
leren Differenzierungen, im grofen und ganzen dem _ gleich-
namigen Muskel der kionokranen Lacertilier, namentlich ist dies
bei den tief stehenden Geckonidae der Fall, wo die vom Cora-
coid kommende ziemlich kraftige (Gecko) oder mehr oder
minder reduzierte (Hemidactylus, Tarentola) Sehne noch in einen
kleinen Muskelbauch tibergeht, der sich dann erst mit dem Caput
scapulare verbindet. Bei Sphenodon ist die Sehne kraftig ge-
blieben, der Muskelbauch aber unterdriickt, das Verhalten somit
nicht ganz auf der niedrigen Stufe wie bei diesen Lacertiliern.
Dazu kommt der weit nach vorn erstreckte Ursprung des Caput
scapulare und die Ausbildung des Lig. scapulo-humerale laterale, die
in der Hauptsache ein hoéheres einseitiges Entwickelungsstadium
als bei den meisten Lacertiliern bekunden. Der M. anconaeus
von Sphenodon zeigt somit, im Vergleich mit den Lacertiliern, ein
Gemisch primitiver und hoéher differenzierter Ziige.
Zu dem M. anconaeus der Crocodilier bestehen fernere Be-
ziehungen.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 495
19. Humero-radialis (hr).
The outer Muscle of the Biceps brachii (Homologon
des Caput longum des menschlichen Biceps) und wahr-
scheinlich auch The very slender muscle accom-
panying this part of the M. biceps (third detached
part of the biceps): GtnruEr!).
Wahrscheinlich erster Kopf des Biceps: Newman.
Portion scapulaire du long chef du Biceps humain:
SABATIER (p. 262) 1).
Humero-antibrachialis lateralis: Osawa (No. 21).
Ein schwacher Muskel, der oberflaichlich an der Lateralseite
des Oberarmes liegt. Er beginnt mit kurzer und schmaler, mit-
unter auch von einigen Muskelfasern begleiteter Sehne (hrj) von
dem Endteile des Lig. scapulo-humerale laterale, wobei er der In-
sertion des M. supracoracoideus ganz benachbart ist, und geht
bald in den Muskelbauch iiber, der noch einen zweiten mehr dor-
salen Ursprung in Gestalt einer etwas breiteren, aber viel diinneren
Aponeurose (hii), die mit dem Endteile des M. deltoides clavi-
cularis zusammenhiingt, besitzt ?). Der platte, bandférmige Muskel-
1) GtnrneR rechnet zu dem Muskel auch das ihm Ursprung
gewihrende Lig. scapulo-humerale laterale (a strong ligament run-
ning from the tuberculum majus humeri to the scapula) als eigent-
liche Ursprungssehne desselben und lift ihn sonach von der Scapula
entspringen und nur seitliche Anheftung am Proce. lateralis humeri
(Tuberculum majus) gewinnen (it is arrested in its course by the
tuberculum majus humeri, to which it is attached by the side of
the pectoralis major). SaBATIER stimmt ihm in dieser Auffassung
bei und rechnet daraufhin den vorliegenden Muskel zu den muscles
interrompus; wahrend aber Ginrner ihn dem ganzen Caput longum
des menschlichen Biceps vergleicht, homologisiert er ihn nur dem
speciell scapularen Anteile desselben. Der very slender muscle
accompanying this part of the M. biceps scheint eine gerade bei dem
von GtnrHer untersuchten Exemplare von Sphenodon vorhandene
Varietit (Abspaltung von der Hauptmasse) vorzustellen; weder die
anderen Untersucher noch ich fanden ihn bei den uns vorliegenden
‘Tieren.
2) Auch mit der darunter liegenden Lateralfliche des Proc.
lateralis humeralis existieren ziemlich lockere bindegewebige Zu-
sammenhinge, die sich aber bei keinem der von mir untersuchten
Tiere zur Bedeutung wirklicher Urspriinge erheben. GtnrHER wie
Osawa lassen den Muskel auch von diesem Knochenfortsatz des
Humerus entspringen, wobei ich nicht entscheiden kann, ob es sich
bei den ihnen vorliegenden Exemplaren um gut angebildete Ur-
spriinge handelte oder ob die angegebenen bindegewebigen Zu-
sammenhiange von ihnen iiberschitzt wurden.
496 Max Firbringer,
bauch zieht, die Mm. brachialis inferior und anconaeus humeralis
lateralis teilweise deckend, lings des Oberarmes nach der Streck-
flache und dem Radialrande des proximalen Vorderarmbereiches
und endet hier mit einer diinnen und ziemlich breiten, in zwei
Blatter gespaltenen Aponeurose. Das oberflichliche!) Blatt (hr')
zieht tiber die Streckseite des M. brachio-radialis (supinator) ”)
hinweg und verbindet sich mit der die Mm. extensores metacarpi
radialis und digitorum deckenden Vorderarmfascie; das tiefe ')
Blatt (hr") dringt teilweise (mit einem diinnen und breiten Zuge)
zwischen die beiden Portionen des M. brachio-radialis (brr) ein,
um hauptsichlich an dessen oberflichlicher Portion zu enden *),
teilweise (mit kraftiger, tiefer Sehnenausbreitung) verbindet es sich
direkt mit dem Radialrande der tiefen, hier zum Teil sehnigen
Portion des M. brachio-radialis (supinator), Mit den Mm. brachialis
inferior und biceps brachii besteht kein Zusammenhang; die In-
sertion dieser Muskeln (an Radius und Ulna) findet an einer von
der Insertion des M. humero-radialis ganz entfernten Stelle statt.
Innerviert durch die zwei weit voneinander entfernten
Nn. humero-radiales proximalis und distalis. Der N. humero-
radialis proximalis (N.krpx) ist ein sehr feiner+) Zweig des
N. deltoides (axillaris), der, von dem ventralen Teile des M. del-
toides clavicularis bedeckt, bis zum Anfange des M. humero-
radialis zieht und hier in dessen Innenflaiche eindringt. Der
minder schwache N. humero-radialis distalis (N.Ardi) reprasen-
tiert einen friih abgehenden Seitenzweig des (erst im Ellen-
bogenbereiche, nach dem Durchtritte durch den Canalis ectepi-
1) Die Bezeichnungen ,,oberflachlich* und ,tief* gelten mit
Bezug auf die Ansicht von der Streckseite her.
2) Supinator longus: GUnrHEeR. — Supinator longus et brevis:
Brooxs. — Supinator: Osawa.
3) Einige diimne Sehnenfasern konnten auch bis zum Radius
verfolet werden; doch ist dieser Verband ein so schwacher und
variabler, daf man hier kaum von einer eigentlichen Insertion
sprechen kann. Die Angaben GtnrHer’s, der den Muskel aus-
schlieflich am Radius enden lift, beruhen auf ungenauer Unter-
suchung. Osawa lift den Muskel lediglich in die radiale Vorder-
armfascie ausstrahlen, was der Wahrheit nahe kommt, ihr aber nicht
ganz entspricht.
4) Bei der speciell daraufhin vorgenommenen Untersuchung
eines Exemplares von 50cm Linge fand ich den Nerven aus
11 Nervenfasern bestehend; bei jiingeren Tieren schien er etwas
dicker zu sein.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 497
condyloideus von dem Radius abgezweigten) N. brachio-radialis
(N. supinator) (NV.brr), der den M. brachio-radialis durchbricht
und riicklaufig (proximalwarts) am Oberarm, von dem M. humero-
radialis bedeckt, verlauft, um am Ende von dessen zweitem Drittel
in seine Innenfliche einzudringen; er ist der Hauptnerv des
Muskels !).
Der M. humero-radialis reprasentiert eine der eigenartigsten
Muskelbildungen von Sphenodon: durch seine doppelte Innervation
dokumentiert er sich als ein zusammengesetztes Gebilde, das in
seinem kleineren proximalen Abschnitte dem Deltoides-System, in
seinem gréSeren distalen Bereiche der radialen Extensoren-Gruppe
des Vorderarmes entstammt. Beide Teile sind in so innigen Ver-
band miteinander getreten, da’ eine auSerlich sichtbare Grenz-
marke zwischen beiden nicht mehr aufzufinden ist ?); auch zeigen
die von dem Lig. acromio-humerale beginnenden Ursprungsfasern
und der an die Vorderarmfascie ausstrahlende Teil der Endapo-
neurose, die beide als sekundaére Erwerbungen aufgefafit werden
miissen, daf’ der vorliegende Doppelmuskel von seinem urspriing-
lichen Ausgange bedeutend abgewichen ist und einen komplizierten
Entwickelungsgang durchgemacht hat. Primitivere Ziige oftfen-
baren die Verbindungen mit dem M. deltoides clavicularis und
dem M. brachio-radialis (supinator); diese koincidieren auch mit
der Nervenversorgung. Vermutlich hat auch friiher ein festerer
Verband mit dem Proc. lateralis humeri bestanden *).
Den Lacertiliern fehlt, soweit mir bekannt, véllig etwas dem
M. humero-radialis Vergleichbares ; doch besitzen die Crocodilier und
Végel Bildungen, welche ihm wenigstens zum Teil entsprechen. Der
M. humero-radialis der Crocodilier (vergl. 1875, p. 807 f., sowie
die weiter unten bei den Crocodiliern folgenden Ausfiihrungen) hat
1) Osawa laft den ganzen Muskel gerade so wie den M. bra-
chialis inferior (Humero-antibrachialis medialis Osawa) lediglich von
dem N. musculo-cutaneus her versorgt werden. Diese Angabe be-
ruht auf einem Irrtum; alles, was von der Gegend dieses Nerven
oder von dem M. brachialis inferior her in den M. humero-radialis
eintrat, erwies sich bei mikroskopischer Untersuchung als zu dem
Gefalsystem gehdrig oder als blokes Bindegewebe.
2) Diese véllige Verschmelzung der genetisch verschiedenen
Anteile ist tibrigens eine haufige Erscheinung bei doppelt inner-
vierten Muskeln.
3) In diesem Sinne lassen sich vielleicht auch die Angaben
von GinrHeR und Osawa, falls sie dem thatsachlichen Verhalten
entsprechen, verwerten.
498 Max Firbringer,
eine ihnliche Lage, entspringt vom M. deltoides scapularis in-
ferior (Homologon des M. deltoides clavicularis von Sphenodon)
und dem distalen Bereiche des Proc. lateralis humeri, zeigt in-
sertive Verbindungen oder daraus ableitbaren Zusammenhang mit
Radius, Fascie der Streckfliiche des Vorderarmes und M. brachio-
radialis s. supinator (Sehnenschlinge) und wird von einem Zweige
des N. axillaris versorgt: dieser Muskel entspricht, soweit aktives
Muskelgewebe in Frage kommt, dem proximalen (axillaren) Anteil
des M. humero-radialis von Sphenodon, wiihrend der distale Anteil
dieses Rhynchocephaliers bei den Crocodiliern als Muskel nicht
nachweisbar ist!); doch zeigt die Endigung des M. humero-radialis
der Crocodilier, bei allen sonstigen Abweichungen und Besonder-
heiten, gewisse Ziige, die sich auf das insertive Verhalten des
M. humero-radialis von Sphenodon zum Teil beziehen lassen. Bei
den Vigeln existiert ein Deltoides propatagialis brevis, dessen
Muskelbauch dem Deltoides-System angehért und von einem Teile
des N. axillaris innerviert wird, und dessen Sehne in grofer
Manniefaltigkeit mit der Fascie der Radial- und Streckseite des
Vorderarmes und mit dem Homologon des M. brachio-radialis s.
supinator (bei den Végeln wegen der veranderten Insertion ge-
meinhin als M. extensor metacarpi radialis benannt, eine Bezeich-
nung, die durchaus keine Homologie mit dem gleichnamigen Muskel
von Sphenodon ausdriickt) verbunden ist. Der Muskelbauch dieses
Deltoides propatagialis ist ebenso wie der des Humero-radialis
der Crocodilier dem proximalen Anteile des M. humero-radialis von
Sphenodon vergleichbar; seine Endsehne aber zeigt in ihren Ver-
binden mit der Vorderarmfascie und dem M. brachio-radialis
(sog. M. extensor metacarpi radialis) eine ganz aulerordentliche
Uebereinstimmung mit der Insertion des M. humero-radialis von
Sphenodon, so dafS man mit Grund annehmen darf, daf die Vor-
fahren der Vogel dereinst einen — damals allerdings noch nicht
diesen Namen verdienenden — Propatagialis brevis besafen, der
auch distale, von dem N. brachio-radialis (supinator) aus ver-
sorgte muskulise Elemente enthielt, die aber vollkommen in Riick-
bildung traten, wihrend ihr sehniger Verband mit dem M. brachio-
radialis und der Vorderarmfascie erhalten blieb ”).
1) Mit den bis jetzt gegebenen Materialien laft sich nicht
einmal mutmafen, ob ein solcher distaler Muskelanteil jemals bei
den Vorfahren der heutigen Crocodilier vorhanden war oder nicht.
2) Aufverdem sei noch auf den kleinen, als seltenes Vorkommnis
(zweimal) beobachteten Muskel aufmerksam gemacht, den Bspparp
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 499
Alle Autoren, denen der M. humero-radialis von Sphenodon
bisher bekannt geworden ist, haben ihn entweder dem M. biceps
brachii zugerechnet (GUNTHER, SABATIER) oder als lateralen
M. humero-antibrachialis beschrieben (OSAwa).
Beide Deutungen widerlegen sich ohne weiteres durch die
ganz abweichende Innervation des M. humero-radialis durch Nerven,
welche dem System des N. brachialis longus superior zugehdéren,
wahrend die Mm. biceps brachii und brachialis inferior (humero-anti-
brachialis medialis Osawa) durch Zweige des N. brachialis longus
inferior versorgt werden‘). AuSerdem ist aber die Art und Weise,
wie von GUNTHER und SABATIER ein kiinstliches Caput longum
bicipitis aus dem M. humero-radialis in Verband mit dem ihm
Ursprung gebenden Lig. scapulo-humerale laterale herauskon-
struiert wurde, zuriickzuweisen. Das Lig. scapulo-humerale laterale
wie der Ursprung des M. humero-radialis von demselben sind
sekundaire Differenzierungen, und das Ligament verdankt seine
Ausbildung nur zu einem kleinen Teile dem sekundair mit dem
M. humero-radialis gewonnenen Verbande. Aber selbst wenn man
sich mit den beiden genannten Autoren auf den (rein fiktiven und
in Wirklichkeit ganz irrigen) Standpunkt stellen wollte, daf Lig.
scapulo-humerale laterale und M. humero-radialis von Anfang an
zusammengehoérende Gebilde reprasentierten, so wiirde daraus ein
Caput longum bicipitis resultieren, das vom Acromion entspringt,
den M. scapulo-humeralis anterior tiberbriickt und durch den-
Selben von dem Schultergelenke weit abgetrennt wird, an der
Dorsalflache des Proc. lateralis humeri, und mit demselben dorsal
verbunden, vorbeizieht, immer in Entfernung von dem echten M.
biceps brachii (Caput breve bicipitis GUNTHER, Portio coracoidea
capitis longi bicipitis SaBatreR) bleibt, im Streckbereiche des
Vorderarmes an dessen dorsaler Fascie und am M. brachio-radialis
(supinator), also an ganzlich anderen Stellen als der wahre Biceps
brachii inseriert und von durchaus verschiedenen Nerven versorgt
wird — somit ein kiinstlich konstruiertes Caput longum bicipitis,
das nach Ursprung, Verhalten zum Schultergelenk, Verlauf und
als Accessory Biceps beschrieben hat, der aber offenbar zu dem
System der dorsalen Muskeln des Fliigels gehért (siehe spiter bei
Beschreibung der Schultermuskeln der Végel).
1) Osawa’s Deutung ist auf Grund des von ihm angegebenen
Untersuchungsbefundes — Innervation des Muskels durch den N,
musculo-cutaneus — eine theoretisch korrekte, aber der Unter-
suchungsbefund ist ein irrtiimlicher (siehe Anm. 1 auf p. 497).
500 Max Firbringer,
Lage am Oberarm, Entfernung von dem sicher als Biceps brachii
erkannten Muskel, Insertion und Innervation von dem wirklichen
Caput longum bicipitis toto caelo verschieden ist.
E. Crocodilia.
Eine vergleichend-anatomische Besprechung der meisten
Schultermuskeln der Crocodilier im Anschluf8 an meine Angaben
von 1875, zum Teil aber auch auf Grund eigener Untersuchungen
giebt SABATIER (1880). Ich habe, wie schon erwiahnt, infolge der-
selben eine — meine damaligen Befunde in allem Wesentlichen
bestatigende — Nachuntersuchung an zwei Exemplaren von Alli-
gator mississippiensis von 50 cm und 147 cm Lange vor-
genommen 4). .
In der Folge fiihre ich nur die Muskeln an, beziiglich deren
Kontroversen zwischen SABATIER und mir bestehen, sowie die-
jenigen, wo meine Nachuntersuchung bemerkenswerte Erganzungen
ergab.
3. Levator scapulae superficialis (Collo-scapularis superficialis).
Collo-scapularis superficialis (Levator scapulae
superficialis): FUrBRincer.
Die genaue Nachuntersuchung ergab, daf der Muskel von der
Hauptinsertion aus, die sich (dorsal gleich an den Ursprung des
M. omo-hyoideus anschliefend) tber den ganzen Vorderrand der
knéchernen Scapula und das untere Ende des Suprascapulare er-
streckt, auch auf die Innenflaiche des Schultergiirtels tbergreift,
und zwar im Hauptbereiche der Scapula tiber den Vordersaum
derselben, im unteren Teile derselben aber in weiterer Ausdehnung
(etwa bis zur Mitte ihrer Breite) und selbst tiber die coracoidale
Innenflaiche rund um das Foramen supracoracoideum. Diese
ventrale Insertion liegt hinter (caudal von) dem Ursprunge des
M. supracoracoideus.
1) Fiir den M. supracoracoideus untersuchte ich auferdem noch
ein 23 cm langes Exemplar von Alligator mississippiensis sowie
einen 3,8 cm langen Embryo von Crocodilus americanus und einen
7 cm langen Embryo von Cr. porosus.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 501
4. Serratus superficialis (Thoraci-scapularis superficialis).
Thoraci-scapularis superficialis (Serratus super-
ficialis): Firprincer.
Auer den Haupturspriingen von der letzten Cervical- und
den drei ersten Dorsalrippen konnte bei dem jiingeren Exemplare
(50 cm Lange) ein Uebergreifen auf die Fascie bis zum Bereiche
der 4. Rippe nachgewiesen werden. Der vordere Saum der In-
sertion schiebt sich ein wenig in den M. subscapularis ein, die
erste Andeutung einer Sonderung desselben in eine Pars scapularis
externa und interna einleitend.
5. Levator scapulae et Serratus profundus (Collo-thoraci-scapularis
profundus).
Collo-thoraci-suprascapularis profundus (Levator
scapulae et Serratus profundus): FURBRINGER.
Bei den beiden untersuchten Exemplaren von Alligator ent-
sprang die gemeinsame, aus zwei Lagen bestehende Muskelmasse
von den Rippen resp. Querfortsatzen (vergl. die genauere Be-
schreibung von 1875, p. 778) des 5. bis 10. resp. 6. bis 10. Wir-
bels und inserirte aufer an dem ventralen Teile der Innenfliche
des Suprascapulare auch an dem Dorsalsaume der Innenflache der
Scapula s. str.
6. Rhomboides.
Rhomboideus: FURBRINGER.
Bei beiden Exemplaren von Alligator aus zwei Biindeln be-
stehend, deren Insertion bei dem 50 cm langen Individuum tiber
die vorderen ?/, der dorsalen Innenflaiche der Suprascapulare, bei
dem 147 cm langen Tiere noch etwas weiter caudalwarts sich
erstreckte. Die 1875 von mir angegebene Insertion an der Innen-
flache des vorderen oberen Winkels des Suprascapulare war etwas
zu kurz bemessen.
7. Costo-coracoideus.
Costo-coracoideus: FURrBRIncER.
Costo-coracoidien (faisceau coracoidien du petit pectoral
des Mammiferes): Saparrer.
502 Max Firbringer,
Genau so, wie 1875 angegeben. Bei dem kleineren Exemplare
wurde auch eine unbedeutende accessorische Anheftung an den
Seitenrand des Sternum gefunden.
SABATIER (p. 154—156) rechnet den Muskel, gleich den
Mm. sterno-coracoidei und dem M. sternocosto-scapularis der
Lacertilier zu dem M. pectoralis. Ich habe mich bereits oben
(p. 409 f.) gegen diese Homologisierung ausgesprochen und kann
nur eine Zugehérigkeit zu dem System der Mm. thoracici in-
feriores wiederholt betonen, wobei zugleich dem M. sterno-coraco-
ideus internus superficialis von Sphenodon eine in mahigem Grade
vermittelnde Bedeutung zukommt (vergl. p. 469 f.).
8. Pectoralis.
Pectoralis: FURBRINGER.
Grand pectoral (Grand pectoral et faisceaux huméraux du
petit pectoral des Mammiféres): Sapatier.
Bei dem 50 cm langen Exemplare von Alligator wurde auch
ein iibrigens nur mittelbar durch Sehnengewebe (Fascie) herge-
stellter Zusammenhang mit den beiden ersten Parasternalien be-
obachtet; bei den 23 cm und 147 cm langen Individuen war der-
selbe nicht nachweisbar. Ob dieser Zusammenhang eine urspring-
liche intime Beziehung andeatet oder eine sekundire Ditferenzierung
von wenig Gewicht darstellt, kann ich nicht entscheiden (vergl.
auch p. 473, Anm. 1). Hinsichtlich des Verhaltens zu dem M.
obliquus abdominis externus superficialis fand ich meine alteren
Angaben (1875) und die neueren Maurer’s (1896) bestatigt. Das
nach der Innenseite des Oberarmes aberrierende Bindel (1875)
beobachtete ich nur bei dem alteren Exemplare.
9. Supracoracoideus (Supracoracoscapularis).
Supracoracoideus (Supracoracoscapularis): Fwtr-
BRINGER.
Chefs précoracoidien et scapulaire antérieur dé
l’obturateur interne thoracique: SABATIER.
Ich unterschied 1875 (p. 785) an diesem ansehnlichen Muskel
einen kraftigeren ventralen Teil, Pars coracoidea (inferior),
welcher, soweit nicht vom M. pectoralis gedeckt, direkt unter der
Haut liegt, und einen schwiacheren dorsalen Teil, Pars scapu-
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 503
laris (superior), welcher vom M. deltoides scapularis inferior
bedeckt wird. Der erstere entspringt von der ganzen vorderen
Hilfte des Coracoides, und zwar von dessen Aufenfliche, Vorder-
(resp. Medial-)Rand und Innenfliche, wobei die von der Innen-
fliche kommenden Fasern sich um den Vorderrand (Medialrand)
herumschlagen und die oberflaichliche Schicht des Muskels bilden,
und geht gemeinsam mit der Pars scapularis an den proximalen,
wenig entwickelten Teil des Proc. lateralis humeri; der letztere
entspringt von der Aufenfliche des unteren Drittels der Scapula
hinter der Spina scapulae (Ursprungsstelle des M. deltoides sca-
pularis inferior) und vor dem Ursprunge der Mm. anconaeus sca-
pularis externus und scapulo-humeralis posterior, vereinigt sich
mit der Pars coracoidea zu einem homogenen Muskel und in-
seriert am proximalen Teile des Proc. lateralis humeri, wobei seine
Fasern mehr proximal liegen als die des coracoidalen Teiles
(p. 785).
Gegen diese Beschreibung hat SABATIER (p. 206) auf Grund
der Untersuchung eines 21/, m langen Alligator‘) und einiger
kleineren (deren Lange nicht angegeben wird) Einspruch erhoben,
indem er bei seinen Exemplaren nur einen Ursprung von dem
Vorderrande und der Innenfliche der Scapula und des Coracoides
fand, dagegen von der Aufenflache des Coracoides (inkl. Procora-
coides) kommende Fasern durchaus vermifite; falls Urspriinge von
der Aufenflaiche des Coracoides (wie ich sie angegeben) wirklich
existierten, so miifiten sie als sekundire Verbindungen (adhérences
consécutives) aufgefaft werden.
Ich habe daraufhin den Muskel bei 3 verschieden grofen
Alligator mississippiensis (von 23 cm, 50 cm und 147 cm Linge)
nochmals untersucht und erhalte bei den beiden kleineren Exem-
plaren Befunde, welche mit meiner friiheren Beschreibung tiber-
einstimmen, also einen Ursprung der Pars superior lediglich von
der Aufenfliche der Scapula (nicht aber von dem Vorderrande
und der Innenfliiche derselben, die von dem Ursprunge des M.
deltoides scapularis inferior und der Insertion des M. levator sca-
pulae superficialis in dem hierfiir eventuell in Betracht kommenden
Bereiche eingenommen werden) und einen Ursprung der Pars in-
ferior von der Aufenfliche, dem Vorderrande (Medialrande) und
der Innenfliche des Coracoides und der daran angrenzenden der
1) Species wird nicht angegeben.
Bd, XXXIV. N. F. XXVII, 33
504 Max Firbringer,
ventralen vordéren Ecke der Scapula (Acromion)‘), sowie eine
gemeinsame Insertion beider innig zusammenhangenden Portionen
am proximalsten Teile des Proc. lateralis humeri (Tuberculum
laterale), noch vor derjenigen des M. dorsalis scapulae. Bei dem
erdfheren Exemplare sind die Verhaltnisse im wesentlichen die
gleichen: Ursprung von der Aufenflache der Scapula und von der
AuBenflaiche, dem Vorderrande und der Innenflaiche des Coracoides
und der angrenzenden Ecke des Acromion und Insertion am
proximalen Teile des Proc. lateralis humeri; der einzige Unter-
schied beruht darauf, dafi der Ursprung von der coracoidalen
AuSenflache sich verkiirzt hat und nur noch von dem Vordersaum
derselben (in einer Breite von ca. 2'/, mm) stattfindet 2). — Auf
Grund dieser Befunde muf ich der Angabe Sapatrier’s, daf der
Muskel nicht von der Auf enflaiche des Coracoides entspringe, so-
weit seine kleineren Exemplare (falls dieselben nicht tiber 1*/, m
ero waren) in Frage kommen, widersprechen und vermute, dai
eine ungewohnlich schlechte Beschaffenheit des untersuchten
Materiales (hochgradige Maceration mit Ablésung der betreffenden
Fasern von ihrem Ursprunge) ihn diesen auferen Ursprung tiber-
sehen lief. Beziiglich des grofen Exemplares von 21/, m Lange
enthalte ich mich einer Entscheidung, da mir ein gleich langes
nicht zur Disposition stand; ich halte es aber fiir méglich, da’
bei einem solchen das — bereits bei meinem 11?/, m langen Alli-
gator begonnene — proximale Zurtickweichen resp. Vorgreifen
der aufen entspringenden Fasern zum Aufgeben des gesamten Ur-
1) Dieser Ursprung der Pars inferior von der Aufenfliche des
Coracoides ist namentlich in deren dorsalem (lateral von der Biceps-
sehne liegendem) Gebiete recht breit und reicht nach hinten bis
zum Foramen supracoracoideum; im ventralen (medialen) Teile, wo
die Ursprungssehne des M. biceps nahe bis zum Rande des Coraco-
ides reicht, ist er erheblich schmialer. Der Ursprung von der
Innenfliche der acromialen Ecke entstand vermutlich durch ein
dorsales Weitergreifen der urspriinglich coracoidalen Fasern.
2) Ich fiige hinzu, daf auch Roiiueston in seinem 1875 von
mir citierten Werke (On the Homologies of certain Muscles connected
with the Shoulder-joint, Trans. Linn. Soc. London, XXVI, p. 626,
1868) bei Crocodilus und Alligator neben dem inneren Kopfe auch
einen duferen von der Aufenfliche des Pricoracoides angiebt; die
beigefiigte Abbildung entspricht, falls sie das Praparat in natiir-
licher Gréfe wiedergiebt, nach Linge des Schultergiirtels und
Humerus einem Tiere von ungefahr 11/, m Kérperlinge.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 505
sprunges von der Aufenflache des Coracoides gefiihrt haben kann,
will somit die Richtigkeit von SABATrER’s beziiglicher Beobachtung
nicht beanstanden ‘).
Die vergleichende Betrachtung der Befunde bei den 4 Tieren
von 23, 50, 147 und 250 cm Lange lehrt, daf die Pars scapularis
ihren Ursprung von der Au8enflaiche der Scapula im wesentlichen
unverriickt festhilt?), wihrend dagegen der coracoidale von der
Aufenfliche und dem Vorderrande (Medialrande) des Coracoides
auf die Innenflaiche desselben iibergegriffen hat*), sich in dem neu
gewonnenen Ursprungsbereiche, der ihm langere und daher leistungs-
fihigere Fasern gewahrt, mehr und mehr etabliert, dagegen die
iilteren, nicht so giinstig situierten Urspriinge von der coracoidalen
Aufenfliche zusehends vermindert und schlieSlich — die Richtig-
keit von SABATIER’s Befunde an dem 2'/, m langen Alligator
vorausgesetzt — ganz aufgiebt. Dieses Verhalten, das auch durch
den Verlauf des N. supracoracoideus nach dem Muskel und in
dem Muskel des weiteren illustriert wird, zeigt somit eine gewisse
Parallele zu der Bildung des M. gemello-obturator internus, bei
welchem die beiden Mm. gemelli den Ursprung von der Aufen-
fliche des Beckens noch gewahrt haben, wahrend der M. obturator
internus auf die Innenflache des Beckens iibergriff und schlieBlich
seinen auleren Ursprung ganz aufgab‘). Daf der M. supracora-
1) Daf Sasatrer nur von einem Ursprunge des Muskels von
der Innenfliche der Scapula, nicht aber von einem solchen von der
Aufenflaiche derselben spricht, kann ich nur auf einen Schreib-
fehler oder eine Liicke in seinen Notizen zuriickfiihren; die Existenz
von der scapularen Aufenflache kommender Fasern (die gesamte
Pars superior) bedarf keiner Diskussion.
2) Ich sehe hierbei ab von der schon in der vorhergehenden
Anmerkung hervorgehobenen unvollstindigen Angabe Sasarier’s
beziiglich des auBeren Ursprunges der Pars scapularis.
3) Dieses Uebergreifen des Ursprunges von der Ausenflache
auf die Innenflache kénnte méglicherweise zufolge der ontogene-
tischen Rekapitulation durch die genauere Untersuchung von jiingeren
Embryonen ad oculos demonstriert werden. Mein verfiigbares
Material, das aus einem Embryo von Crocodilus americanus von 38 mm
und einem Embryo von Cr. porosus von 70 mm Kérperlinge (gemessen
an einem der Achsenkriimmung entsprechend gelegten und danach
gestreckten Faden) bestand, reichte dafiir nicht aus. Bei dem
ailteren Embryo entsprang der Muskel bereits zum Teil von der.
coracoidalen Innenflaiche, bei dem jiingeren war Erhaltung und
Schnittrichtung zu unginstig, um Sicherheit beziiglich dieses Ur-
sprunges zu erhalten.
4) Selbstverstindlich liegt es mir ganz fern, damit irgendwelche
33 *
506 Max Firbringer,
coideus (supracoracoscapularis) der Crocodile seiner urspriinglichen
Natur nach ein eminent ‘iuferer, aber nicht innerer Muskel des
Schultergiirtels ist, wird (ganz abgesehen von dem Vergleiche mit
den Cheloniern, Lacertiliern und Rhynchocephaliern) auch durch die
korrelative Lage der Insertion des M. levator scapulae superficialis
und des Ursprunges des M. deltoides scapularis inferior bewiesen,
welche unter Annahme einer urspriinglich inneren Lage des Supra-
coracoideus nicht verstiindlich ware.
Indem Sapatrer (p. 205—207) den Schwerpunkt auf den
inneren Ursprung des M. supracoracoideus legt, kommt er dazu,
diesen Muskel nicht — wie er bei dem M. supracoracoideus der
kionokranen Lacertilier thut — zu dem M. obturateur externe
thoracique, sondern vielmehr zu dem M. obturateur interne thora-
cique zu rechnen und den Chefs scapulaire antérieur et précora-
coidien desselben zu vergleichen. Er homologiert ihn damit dem
M. scapulo-humeralis anterior der kionokranen Lacertilier und
bringt ihn zu dem M. subcoracoscapularis (Chefs scapulaire posté-
rieur et coracoidien) derselben in die nachste Beziehung, wahrend
er das Homologon des M. supracoracoideus (Chefs coracoidien et
précoracoidien des M. obturateur externe thoracique) der Lacer-
tilier in dem M. coraco-brachialis brevis der Crocodilier erblickt.
Gegen diese Deutung und Vergleichung habe ich das Folgende
zu bemerken:
1) Sie ignoriert vollsténdig die Innervation, denn die Mm.
supracoracoidei (supracoracoscapularis) der Lacertilier und Croco-
dilier werden durch den diazonalen N. supracoracoideus, die Mm.
scapulo-humeralis anterior, subcoracoscapularis (subscapularis)
und coraco-brachialis durch die postzonal verlaufenden gleich-
namigen Nerven versorgt.
2) Sie iibersieht géianzlich die klaren Verhaltnisse der Inser-
tion. Dieselbe findet statt bei dem M. supracoracoideus (supracoraco-
scapularis) der Lacertilier und Crocodilier an dem proximalen
Teil des Processus lateralis humeri (Tuberculum laterale), bei
den Mm. scapulo-humerales beider an der Dorsalfliiche des
Humerus (von der Insertion des M. supracoracoideus durch die
Mm. anconaei humerales lateralis und posticus getrennt, aber in
Homodynamie zu behaupten. Der Supracoracoideus ist ein pro-
resp. diazonaler, der Gemello-Obturator internus ein postzonaler
Muskel, die Stellen der Ueberwanderung der Muskelfasern auf die
Innenflaichen der Giirtel entsprechen einander nicht und das Ver-
halten der Nerven ist nicht adiquat.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 5O7
der Nahe der Insertion des M. subcoracoscapularis), bei dem M.
subcoracoscapularis (subscapularis) beider an dem Proc. medialis,
bei dem M. coraco-brachialis brevis beider an der Ventralflache
des Humerus (von der Insertion des M. supracoracoideus durch
den M. pectoralis geschieden).
3) Sie bringt Muskeln zusammen, welche durch den ganzen
Schultergiirtel voneinander getrennt nach ihren Insertionen ver-
laufen, denn der M. supracoracoscapularis (Chef scapulaire antérieur
et précoracoidien de Pobturateur interne) der Crocodilier geht pro-
zonal, der ihm direkt verglichene M. scapulo-humeralis anterior
der Lacertilier dagegen, ebenso wie die Mm. subcorascapularis
(subscapularis) und coraco-brachialis der Lacertilier und Crocodilier,
verlaufen postzonal von ihren Urspriingen am Schultergiirtel nach
ihren Insertionen am Humerus.
4) Sie beachtet nicht die Lageverhaltnisse, denn der M. supra-
coracoideus (supracoracoscapularis) der Lacertilier und Crocodilier
deckt die Mm. biceps brachii und coraco-brachialis derselben,
wihrend der M. coraco-brachialis beider nicht nur unter dem M.
supracoracoideus (supracoracoscapularis), sondern auch unter dem
M. biceps liegt. Somit wird ein Muskel, der bei den Lacertiliern
direkt unter dem M. pectoralis, also in der 2. Schicht der
Schultermuskeln liegt und den M. biceps deckt, einem Muskel
verglichen, der bei den Crocodiliern unter den Mm. pectoralis,
supracoracoscapularis und biceps sich befindet, also die 4. Schicht
der Schultermuskeln bildet.
5) Sie erblickt in offenbar sekundar erworbenen Ausbreitungen
des Ursprunges auf die Innenfliche des Schultergiirtels das Ur-
spriingliche, bestreitet die Existenz der auferen Ausgang gebenden
Urspriinge und verkennt die prinzipielle, primitive Bedeutung der-
selben, indem sie diese Urspriinge (falls sie tiberhaupt existieren
sollten) zu sekundairen Anheftungen degradiert.
Diese Vergleichung von SABATIER verleugnet somit die Ver-
haltnisse der Innervierung, der Insertion, des prozonalen oder
postzonalen Verlaufes, der oberflichlicheren oder tieferen Lage
und der priméren oder sekundaéren Ursprungsverhialtnisse, somit
alles, was man gewohnt war, als das wesentliche Besitztum
einer sorgfaltigen und rationellen Muskelhomologisierung zu er-
kennen. In dieser Eigenart diirfte sie ein Paradigma bilden. Auch
werden die folgenden Besprechungen ergeben, wie verhangnisvoll
sie fiir seine weiteren Muskelvergleichungen wurde.
508 Max Purbrine sr,
Daf ich meine bisherige Homologisierung SABATIER gegen-
iiber vollkommen festhalte, bedarf danach keiner weiteren Be-
tonung.
10. Coraco-brachialis (brevis).
Coraco-brachialis (brevis): Ftrprincer.
Chef coracoidien de l’obturateur externe thora-
cique et Coraco-brachialis brevis: SaBatinr.
Das kleinere, 50 cm lange Exemplar von Alligator zeigte
genau dieselben Verhaltnisse, wie ich 1875 angegeben'). Bei dem
oréferen, 147 cm langen Tiere ist der Muskel etwas kraftiger und
dementsprechend sein coracoidaler Ursprung etwas ausgedehnter,
die Insertion aber dieselbe wie bei dem kleineren Alligator. Stets
nimmt der Muskel eine ansehnliche Strecke des Coracoides ein,
wird in seinem kleineren vorderen Teile (ca. '/;) von der Ur-
sprungssehne des M. biceps gedeckt ”), liegt aber in seinem gréferen
hinteren Teile (hintere */,) unter dem M. pectoralis und zum Teil
dem M. supracoracoideus.
SABATIER (p. 203, 204) wird vornehmlich durch den weit
nach vorn ausgedehnten coracoidalen Ursprung des Muskels ver-
fiihrt, denselben in der Hauptsache als Chef coracoidien des M.
obturateur externe thoracique zu deuten und somit dem M.
supracoracoideus der Lacertilier zu homologisieren. Beziiglich
der hinteren, vom sternalen Ende des Coracoids entspringenden
Fasern tritt er auch fiir die Méglichkeit einer Vergleichung mit
dem M. coraco-brachialis brevis der kionokranen Lacertilier ein,
fait somit den Muskel, wenn ich ihn recht verstehe, als ein Ver-
schmelzungsprodukt der Mm. supracoracoideus (Chef coracoidien
de Pobturateur externe thoracique SABATIER) und coraco-brachialis
brevis der Lacertilier auf *).
1) In der Beschreibung von 1875 (p. 791) ist infolge eines
Schreib- oder Druckfehlers auf Zeile 2 eine Bedeckung des M.
coraco-brachialis durch die Sehne des M. coraco-brachialis ange-
geben; selbstverstandlich muf es Sehne des M. coraco-antibrachialis
(biceps brachii) heifen.
2) Der vordere, Teil des M. coraco-brachialis wird iibrigens
nicht vollstandig von der Biceps-Sehne gedeckt; ein schmaler Saum
desselben ragt proximo-lateral noch iiber und legt direkt unter dem
M. supracoracoscapularis.
3) Cette extension trés-marquée ..... , ainsi que le lieu de
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 509
Gegen diese Annahme SABATIER’s spricht 1) die ausschlief-
liche Innervation des vorliegenden Muskels der Crocodilier durch
nur einen Nerven, den postzonalen M. coraco-brachialis, 2) die
Insertion, welche nichts mit der typischen Insertionsstelle des M.
supracoracoideus am Anfang des Proc. lateralis zu thun hat. Da-
gegen zeigt derselbe alle wesentlichen Merkmale des M. coraco-
brachialis brevis der kionokranen Lacertilier. Die Verbreiterung
und proximo-laterale Ausdehnung seines Ursprunges steht zu der
Verlingerung und Richtungsinderung des Coracoides (s. p. 298)
in engstem Kausalkonnexe und ist so erfolgt, wie sie in Korre-
lation dazu erfolgen mu8te. Bei den Végeln finden sich noch
ganz andere Differenzierungen des M. coraco-brachialis.
Aus alledem diirfte zur Geniige hervorgehen, daf der ganze
M. coraco-brachialis brevis der Crocodilier lediglich dem gleich-
namigen Muskel der Lacertilier zu vergleichen ist.
11. Biceps brachii (Coraco-antibrachialis).
Coraco-antebrachialis (Biceps): Firprinaer.
Biceps brachial: Sasatier.
Mafig grofer Muskel, der in der 1875 beschriebenen Weise
(p. 793) vom Coracoid nach dem Vorderarm geht, wo er, mit dem
M. brachialis inferior verbunden, mit gleich grofen Sehnenzipfeln
an Radius und Ulna inseriert. Bei dem gréferen Exemplare von
Alligator wurde eine kleine muskulése, an dem Anfang des 4. 1/,
der humeralen Medialkante zwischen M. brachialis inferior und
M. anconaeus humeralis medialis inserierende Aberration (Coraco-
brachialis longus ?) beobachtet, sowie ferner ein kleiner Sehnenzipfel,
der mit der Fascie des M. pronator teres sich verband (Andeutung
der Aponeurosis bicipitis s. Lacertus fibrosus).
SABATIER (p. 203f.), der in der Deutung des Muskels mit
mir tibereinstimmt, hebt den nach vorn geriickten Ursprung des
Muskels mit Recht als eine nach den Verhaltnissen bei den Végeln
tendierende Bildung hervor und giebt tiber die specielleren Homo-
logien des Biceps brachii bei Reptilien und Saugetieren Aus-
einandersetzungen (p. 264, 274), denen ich gréBtenteils zustimme.
ses insertions, qui occupent toute la face extérieure du coracoide,
me portent a considérer ce muscle comme représentant par sa
portion postérieure la partie proximale (coraco-brachialis
brevis) du coraco-brachial des Sauriens, c’est-a-dire le carré
huméral, et par sa portion antérieure le chef coracoidien de lob-
turateur externe (p. 204).
510 Max Firbringer,
12. Brachialis inferior (Humero-antibrachialis inferior).
Humero-antebrachialis inferior (Brachialis infe-
rior): FURBRINGER. .
Brachial antérieur: SABATIER.
Meiner friiheren Beschreibung dieses vom Humerus zu Radius
und Ulna gehenden Muskels (1875, p. 794) habe ich nichts hinzu-
zufiigen. Derselbe hangt proximal mit dem M. humero-radialis
zusammen, um sich bald wieder von ihm zu trennen, verschmilzt
aber im Insertionsteile vollkommen mit dem M. biceps, so daf
man Biceps und Brachialis inferior als coracoidalen und humeralen
Kopf eines gemeinsamen Muskels auffassen kann.
SABATIER (p. 296) vereinigt ihn gleich HauautTon (s. meine
friihere Darstellung 1875, p. 794) mit dem M. humero-radialis zu
einem Muskel, ihn als dessen Portion interne benennend. Ich
kann diese Vereinigung nach wie vor nur als wenig gliicklich be-
zeichnen. Nach Ursprung, Lage, Verlauf und namentlich nach
Innervation und Insertion sind beide Muskeln durchaus zu scheiden.
Mit dem gleichen Rechte kénnte man Brachialis inferior und An-
conaeus humeralis auch zu einem Muskel verbinden.
13. Latissimus dorsi (Dorso-humeralis).
Dorso-humeralis (Latissimus dorsi): FURBRINGER.
Grand dorsal: Saparimr.
Wie 1875 (p. 794f.) beschrieben. Der Muskel war bei den
untersuchten Exemplaren von Alligator einheitlich, wies aber
axillare Aberrationen auf. Verband mit dem M. teres major
recht innig.
14. Dorsalis scapulae (Deltoides scapularis superior).
Dorsalis scapulae (Deltoides scapularis superior):
FURBRINGER.
Chef scapulaire de l’obturateur externe thoracique:
SABATIER.
Verhalt sich bei den beiden Exemplaren von Alligator gleich
der Beschreibung von 1875 (p. 796). Auf die betrachtliche Ver-
schmialerung gegeniiber dem M. dorsalis scapulae der Lacertilier
und Rhynchocephalier méchte ich besonders aufmerksam machen;
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 511
es driickt sich darin eine Tendenz aus, welche bei den Végeln
zu ihrem Endziele — dem vyilligen Schwunde des Muskels —
gelangt ist.
SABATIER (p. 204 f.) fait den Muskel wie bei den Lacertiliern
als Chef scapulaire des M. obturateur externe thoracique auf und
bringt ihn damit zu dem M. coraco-brachialis des Crocodiles (Chef
coracoidien des M. obturateur externe thoracique) in nachsten
Verband. Von eventuell fiir einen Vergleich in Frage kommenden
menschlichen Bildungen schlieSt er wie bei den Lacertiliern die
Mm. supraspinatus, infraspinatus und deltoides wegen ihres Ur-
sprunges von einem Teile der Scapula, welcher den Reptilien fehle,
ganz aus, erklart sich aber mit BurrmMann und ROLueston fiir
eine Homologisierung mit dem M. teres minor.
Die von SABATIER durchgefiihrte Vereinigung der Mm. dorsalis
scapulae und coraco-brachialis unter der gemeinsamen Rubrik
des M. obturator externus thoracicus ist eine irrige, wobei der
Hauptfehler an der unrichtigen Deutung des M. coraco-brachialis
(s. p. 509) liegt. — In der Abweisung einer Homologie mit den
Mm. supraspinatus und infraspinatus kommt SABATIER zu dem-
selben Resultate wie ich, jedoch auf anderem Wege: fiir mich war
hierbei die sehr verschiedene Innervation ausschlaggebend, fiir ihn
ist es die Differenz in der schmaleren oder breiteren Ausbildung
der Scapula der Reptilien und Saugetiere, die ich aber — soweit
der Ursprung des M. infraspinatus, also die Fossa infraspinata in
Frage kommt — nicht anerkennen kann. Aus dem_ gleichen
Grunde wird von Sapatrer jede Verwandtschaft mit dem M.
deltoides ausgeschlossen, womit ich somit auch nicht tibereinstimme.
Nur in der Annahme einer Homologisierung mit dem M. teres
minor finden wir uns. Fiir mich bilden aber — auf Grund der
Untersuchung an Amphibien und den tibrigen Reptilien — nach
wie vor Deltoides und Teres minor sehr nahe verwandte Muskeln,
die sich erst allmaihlich zu nach Lage und Insertion voneinander
mehr unabhiingigen Bildungen differenziert haben (vergl. auch
p. 430); daf der Dorsalis scapulae gerade mit dem Teres minor
mehr Beriihrungspunkte aufweist als mit dem Deltoides, ist auch
meine Ueberzeugung !).
1) Ich bin jetzt einer direkten, wenngleich nicht ganz kom-
pleten Homologisierung des M. dorsalis scapulae der Reptilien mit
dem M. teres minor der Saugetiere mehr zugeneigt als 1875.
512 Max Firbringer,
15. Deltoides scapularis inferior.
Deltoides scapularis inferior: Firprincer.
Deltoide: Sapatrer.
Entsprechend meiner friitheren Beschreibung (1875, p. 797).
Bei dem gréferen Exemplare war eine ziemlich innige Verbindung
Seines ventralen Randes mit dem von ihm gedeckten ventralen
Teile der Pars scapularis des M. supracoracoscapularis zu beob-
achten, konnte aber unter Beriicksichtigung der sehr verschieden-
artigen Innervation beider Muskeln gelést werden. Dieses Ver-
halten ist von einigem Interesse, da auch bei gewissen Végeln
mehr oder minder intime Zusammenhinge zwischen M. supra-
coracoideus und M. deltoides minor gefunden werden (s. Kap. V
sub Deltoides minor der Végel). Der partielle Uebergang in den
M. humero-radialis fand sich ebenso, wie 1875 angegeben, bei
beiden Alligatoren.
Die Deutung des Muskels durch Sapatier als Deltoides
(p. 228) stimmt mit der meinigen tiberein.
16. Scapulo-humeralis posterior ‘).
Scapulo-humeralis profundus: FUrBRINGER.
La 1. portion du chef scapulaire postérieur de l’ob-
turateur interne thoracique: SABATIER.
Die Untersuchung der beiden Exemplare von Alligator ergab
hier eine ansehnlichere Ausbildung des Muskels als bei Crocodilus
(americanus), welchem die 1875, p. 799 gegebene Beschreibung
entstammt. Der M. scapulo-humeralis posterior ist bei Alligator,
namentlich bei dem kleineren Exemplare, ein nicht unansehnlich
ausgebildeter Muskel, der nicht nur vom Hinterrande, sondern
auch von dem hinteren Teile der Aufenfliche (bei dem Alligator
von 50 cm Lange etwa vom hinteren !/,, bei demjenigen von
147 cm von den hinteren ?/,) in ganz ansehnlicher Ausdehnung
(im Bereiche des ventralen 1/,—*/, der knéchernen Scapula) ent-
springt, der Kapsel dicht anliegend nach dem Humerus verlauft
und hier zwischen den Anfingen des Caput humerale posticum
1) Das Epitheton ,profundus“ meiner friiheren Bezeichnung
lasse ich, weil unnétig, hinweg, fiige aber ,posterior“ hinzu, um
die speciellere Homologie mit dem M. scapulo-humeralis posterior
von Sphenodon genauer zu pracisieren.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 513
und mediale m. anconaei tief eingreifend und zugleich in naher
Nachbarschaft zu der proximo-medial davon gelegenen Insertion
des M. subscapularis — also im wesentlichen so, wie 1875 an-
gegeben — inseriert.
SABATIER (p. 199, Anm. 1, und p. 209, 210) faBt den M.
scapulo-humeralis posterior der Crocodilier als Teil des M. sub-
scapularis derselben auf und deutet ihn zusammen mit diesem
Muskel als Chef scapulaire postérieur des M. obturateur interne
thoracique. Zugleich wirft er mir vor, da’ ich eine Konfusion
begangen habe, die viel Dunkelheit auf die Muskelhomologien werfe,
weil ich den Muskel dem M. scapulo-humeralis profundus der
kionokranen Lacertlier verglich, der nach SABATiEr’s Anschauung
einen Chef coracoidien et scapulaire antérieur des M. obturateur
interne thoracique vorstellt und bei den Crocodiliern durch meinen
M. supracoracoideus (supracoracoscapularis) reprasentiert wird.
Ueber diese letztere Homologisierung SaABaTier’s habe ich
mich bereits bei dem M. supracoracoideus (supracoracoscapularis)
der Crocodilier zur Gentige geiiufert und sie auf das bestimmteste
zuriickgewiesen (p. 503—507). Daf der M. scapulo-humeralis pro-
fundus der Lacertilier und namentlich der Crocodilier nahe Beziehun-
gen zu dem M. subcapularis aufweist, habe ich von allem Anfang an
hervorgehoben, stehe somit in diesem Punkte SapatTrer nicht so
fern. Gleichwohl vermag ich den M. scapulo-humeralis posterior
der Crocodilier nicht ohne weiteres mit dem M. subscapularis der-
selben zu identifizieren, denn beide Muskeln haben trotz ihrer
nahen Nachbarschaft nicht allein separate Urspriinge, sondern
auch separate Insertionen, sind auch zum Teil durch den Ursprung
des M. anconaeus coracoscapularis voneinander geschieden, Dazu
kommt, daf aus dem ziemlich unscheinbaren M. scapulo-humeralis
posterior der Crocodilier sich bei den Végeln der miichtige M. sca-
pulo-humeralis posterior entwickelt hat, welcher gegentiber dem
M. subcoracoscapularis derselben als eine durchaus selbstandige,
sehr ansehnliche Muskelbildung auftritt; eine derartige hoch-
gradige Difterenzierung und Ausbildung geschieht gewoéhnlich nicht
mit einem Schlage aus einem bereits in sich abgerundeten Muskel,
sondern bereitet sich schon bei den tiefer stehenden Verwandten
als bildsamerem und entwickelungsfihigerem Material vor.
Was nun das gegenseitige Verhalten der Mm. scapulo-hume-
rales (profundi) der kionokranen Lacertilier und Crocodilier an-
langt, so habe ich nie verkannt, dal zwischen den Bildungen beider
Reptilien-Abteilungen eine sehr auffallende Differenz der Lage zu
514 Max Firbringer,
dem M. anconaeus scapularis lateralis besteht: bei den Lacertiliern
zieht dieser Muskel an der Innenseite, bei den Crocodiliern an der
Aufenseite des M. scapulo-humeralis (profundus) vorbei; und ich
kann sehr wohl begreifen, daf’ SaABATIeER darin eine untiberwind-
liche Schwierigkeit fand, beide Muskeln miteinander zu homolo-
gisicren. Ich habe selbst diese Schwierigkeit bei meinen friiheren
Ueberlegungen lebhaft empfunden, habe mich aber bemiiht, sie
aus dem Wege zu raiumen, indem ich eine inkomplete Homologie
der Mm. anconaei scapulares laterales der Lacertilier und Cro-
codilier statuierte und den betreffenden Anconaeus scapularis der
Crocodilier als eine von dem Anconaeus scapularis lateralis der
Lacertilier ausgehende laterale Neubildung mit der besonderen
Bezeichnung eines M. anconaeus scapularis lateralis externus deter-
minierte. Gleichwohl habe ich das durchaus Hypothetische dieses
Erklarungsversuches nicht verschwiegen (1875, p. 806) und auch
spaiter, als ich (in den Untersuchungen zur Morphologie und
Systematik der Végel, 1888, p. 707, 708) fiir den M. anconaeus
scapularis der Vogel, welcher in der Hauptsache mit dem M. an-
conaeus scapularis lateralis externus der Crocodile identisch ist,
einige weitere Instanzen zu Gunsten dieser Deutung beibrachte,
nicht behauptet, einen sicheren Beweis fiir dieselbe zu geben.
Zur Entscheidung dieser Frage hat nun Sphenodon eine neue,
von mir nicht erwartete, aber sehr erwiinschte Instanz gebracht,
indem hier (cf. p. 486—489) zwei M. scapulo-humerales (profundi)
nebeneinander existieren, von denen der eine (M. scapulo-humeralis
anterior) nach Ursprung, Insertion und Lage zu dem M. anconaeus
scapularis lateralis dem Scapulo-humeralis (profundus) der kiono-
kranen Lacertilier gleicht, der andere (M. scapulo-humeralis po-
sterior) in entsprechender Weise mehr mit dem Scapulo-humeralis
(profundus) der Crocodilier iibereinstimmt. Damit ist ein neues
Faktum gegeben, welches geeignet erscheint, die Frage in dem
Sinne zu beantworten, daf allerdings keine komplete Homologie
zwischen den in Frage stehenden Muskeln der Lacertilier und
Crocodilier besteht, sondern daB die ersteren den M. scapulo-hume-
ralis anterior, die letzteren den M. scapulo-humeralis posterior
von Sphenodon besitzen (vergl. auch p. 489). Wenn mir auch das
verschiedene Verhalten der Mm. anconaei scapulares und der dorsal
oder ventral von ihnen vorbeiziehenden Nerven noch nicht vollig
ceklirt erscheint, so bin ich jetzt doch gern geneigt, diesem einen
Punkte von Sasatrer’s Argumentation zuzustimmen, alle anderen
Folgerungen dieses Autors hinsichtlich der beiden Scapulo-hume-
rales muf ich dagegen, wie ausfiihrlich dargethan, ablehnen.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 515
17. Teres major.
Teres major, Grand rond: Férsrincer, SABATIER.
Wie 1875 (p. 800) beschrieben. An der ihm und dem
M. latissimus dorsi gemeinsamen Insertionssehne, welche durch
einen namentlich bei dem gréferen Exemplare von Alligator wohl-
ausgebildeten Sehnenbogen (des Anconaeus) verlief, wird der ober-
flichliche (laterale) und rein sehnige Teil von dem Latissimus
dorsi, der tiefe (mediale) und vorwiegend muskulése Teil vom
Teres major gebildet.
In der Deutung des Muskels besteht zwischen SABATIER und
mir keine Kontroverse.
18. Subscapularis.
Subscapaul ris: FiRBRINGEr.
La 2. portion du chef scapulaire postérieur del’ob-
turateur interne thoracique: SABATIER.
Von der Innenflache der knéchernen Scapula (exkl. den vor-
deren Teil derselben) zu dem Proc. medialis humeris, wo er medial
und proximal gleich neben dem M. scapulo-humeralis posterior
inseriert (verg]l. 1875, p. 801). Dieser Muskel liegt ihm, wie schon
erwihnt, dicht an, soweit nicht der dorsale Ursprungszipfel des
M. anconaeus coraco-scapularis sich zwischen beide einschiebt.
Durch das vordere insertive Ende des M. serratus superficialis
wird ein kleinerer oberflichlicherer Teil (Subscapularis externus),
welcher zu dem M. scapulo-humeralis posterior die intimeren Be-
ziehungen aufweist, von der tibrigen Hauptmasse (Subscapularis
internus) partiell abgesondert.
SABATIER (p. 209), der in dem Muskel den Hauptteil seines
Chef scapulaire postérieur des M. obturateur interne thoracique
wiederfindet, vertritt damit im wesentlichen dieselbe Homologie
wie ich.
19. Anconaeus (Triceps brachii) ').
a) Caput scapulare laterale externum:
Caput scapulare laterale externum m. anconaeis. M.
anconaeus scapularis lateralis externus: Fir-
BRINGER.
1) Sapatier geht auf das Verhalten der humeralen Kipfe des
Triceps der Crocodilier nicht naher ein; er spricht mehr im allge-
meinen nur von einem Vaste externe et interne.
516 Max Firbringer,
Chef scapulaire ou portion scapulaire externe du
long triceps brachial: Saparizr.
b) Caput coraco-scapulare :
Caput coraco-scapulare m. anconaei s. M. anconaeus
coraco-scapularis: Firprinerr.
Portion scapulaire interne du long triceps bra-
chial: Saparirr.
c) Caput humerale laterale :
Caput humerale laterale m. anconaei s. M. anco-
naeus humeralis lateralis: FURBRINGER.
d) Caput humerale posticum:
Caput humerale posticum m. anconaei s. M. anco-
naeus humeralis posticus: Firprrerr.
e) Caput humerale mediale:
Caput humerale mediale m. anconaeis. M.anconaeus
humeralis medialis: FUrBRinGeEr.
Meiner 1875 gegebenen Beschreibung (p. 803--805) habe ich
kaum etwas Wesentliches hinzuzufiigen.
Beziiglich des Caput scapulare laterale externum
verweise ich auf diese Darstellung.
Die Gréfe und das Verhalten der beiden Ursprungszipfel des
Caput coraco-scapulare wechselt: bei dem kleineren Exem-
plare ist der scapulare (der hier direkt vor der Insertion des
M. serratus superficialis beginnt) viel schmaéler und nur wenig
stiirker als der breite coracoidale; bei dem gréf%eren Tiere ist
der erstere (der hier gerade von dem vorderen Teile der Inser-
tionssehne des M. serratus superficialis bedeckt wird) auch viel
schmiler, aber betrachtlich starker als der diinne und _ breite
coracoidale Ursprungszipfel.
Von den drei humeralen Képfen ist das Caput hume-
rale der schwachste und lingste Kopf und beginnt zwischen
den Insertionen des lateral davon liegenden M. dorsalis scapulae
und des medial von ihm befindlichen M. latissimus dorsi + teres
major; das Caput humerale posticum reprdasentiert den
kraftigsten, aber an Linge ein wenig hinter dem lateralen Kopfe
zuriicktretenden Teil und beginnt zwischen den Insertionen des
M. latissimus dorsi + teres major und des M. scapulo-humeralis
posterior, wobei ihn nur ein schmaler Spalt vom lateralen, ein
erheblich breiter Zwischenraum vom medialen Kopfe trennt; das
Caput humerale mediale ist noch kiirzer und schwacher
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 517
als der hintere Kopf, aber etwas stirker als der laterale, und
beginnt medial von der Insertion des M. scapulo-humeralis po-
sterior, der ihn, tief und breit eingreifend, von dem hinteren Kopfe
scheidet, sowie gleich distal von der Insertion des M. subscapularis.
Hinsichtlich der Vergleichung der einzelnen Teile verweise
ich auf meine fritheren Ausfiihrungen (1875, p. 805, 806) und die
jetzt bei dem M. scapulo-humeralis posterior gegebenen Be-
sprechungen (p. 514); auf das Verhalten der dorsalen Ursprungs-
zipfel zu den Mm. scapulo-humeralis posterior und subscapularis
moéchte ich einigen Nachdruck legen. Die einerseits durch die
vereinigten Mm. latissimus dorsi +- teres major, andererseits durch
den M. scapulo-humeralis posterior bewirkte Dreiteilung der hu-
meralen Muskelmasse reprisentiert eine héhere Differenz als bei
den Lacertiliern und Rhynchocephaliern, findet sich aber vereinzelt
bei den Végeln (gewissen Gallidae) wieder.
SABATIER dufert sich nicht iiber die Differenzen im Verhalten
des Muskels bei den Lacertiliern und Crocodiliern.
20. Humero-radialis.
Humero-radialis: FUrBrinGer.
Portion (Vaste) externe du brachial antérieur:
SABATIER. ©
Die Untersuchung der beiden Exemplare von Alligator be-
stitigte, daB der ventrale oberfliichliche Teil des Muskels
(ca. 1/,—?/,) so innig mit dem M. deltoides scapularis inferior
zusammenhangt, daf er als dessen Fortsetzung betrachtet werden
kann, wahrend die dorsale und tiefere Hauptmasse von dem Hu-
merus distal von der Insertion des M. deltoides scapularis inferior
vom Humerus beginnt. Der Muskel endet, wie 1875 angegeben,
mit runder Sehne am Radius; bei dem kleineren Exemplare schien
auberdem eine schwache sehnige Aberration an die Fascie der
Streckseite des Vorderarmes zu existieren, ahnlich wie dieselbe von
BUTTMANN angegeben wird.
Ich habe den von einem Zweige des N. axillaris innervierten
Muskel 1875 von dem M. brachialis inferior abgetrennt, mit
welchem er namentlich von HAUGHTON vereinigt worden war, und
auf seine viel niheren Beziehungen zu dem M. deltoides hin-
gewiesen. SABATIER greift wieder, ohne sich auf eine Diskussion
gegen meine Deutung einzulassen, auf die altere Hauauron’sche
Auffassung zuriick und bezeichnet danach den Muskel als Portion
518 Max Fiirbringer,
(Vaste) externe des M. brachial antérieur. Ich kann nur nach
wie vor diese Verbindung so heterogener Muskeln als eine unnatiir-
liche bezeichnen; der M. humero-radialis gehért zu der Gruppe
der Extensoren (Mm. brachiales superiores), der M. brachialis
inferior zu derjenigen der Flexoren (Mm. brachiales inferiores) ').
Die Bestimmung der specielleren Homologien des M. humero-
radialis unterliegt allerdings erheblichen Schwierigkeiten; daf er
wenigstens zum Teil zum Deltoides-System gehért, médchte ich
auch heute noch festhalten?), doch sind auch gewisse homologe
Beziehungen zu dem M. brachio-radialis (supinator longus) sicher
nicht von der Hand zu weisen. In dieser Hinsicht treffe ich mich
mit Aurx, der bereits 1874 den M. humero-radialis der Crocodilier
von dem M. brachialis inferior abtrennte*) und M. supinateur
externe supérieur benannte. Auf diese Frage wird bei Besprechung
der Schultermuskeln der Séiugetiere noch einzugehen sein.
Anhangsweise sei hier noch ein kleiner M. coraco-scapu-
laris erwahnt, den ich bei dem kleineren, 50 cm langen Exemplar
von Alligator fand. Derselbe entspringt muskulés neben dem
1) Ich will nicht unterlassen zu erwahnen, daf die mensch-
liche Anatomie den M. brachialis anticus (M. brachialis inferior)
ausschlieBlich oder in der Hauptsache durch ventrale Nerven (N.
musculo-cutaneus), mitunter und accessorisch auch durch einige
Fiiden des N. radialis versorgen laft. Darin kénnten die Anhanger
der Haveuton’schen Auffassung, falls sie tiberhaupt die Inner-
vationsfrage in den Bereich ihrer Erwigungen ziehen sollten, eine
Stiitze fiir ihre Ansicht erblicken. Dem ist indessen nicht so; die
hier zur Beurteilung gestellten Gebilde der Sauropsiden und der
Mammalia miissen auseinandergehalten werden. Des naheren ver-
weise ich auf die spatere Besprechung bei den Siugetieren.
2) Hierbei ist auch an den M. deltoides propatagialis brevis
der Vogel zu denken, der mit dem M. humero-radialis der Crocodilier,
ohne ihm direkt homolog zu sein, doch einige Beziehungen teilt, an
der Fascie der Streckseite des Vorderarmes endet und unter Um-
stiinden auch am Radius (Upupa) inserieren kann. Ferner sei auf
einen von Brpparp bei Rhinochetus (und einem nicht benannten
anderen Vogel) gefundenen Muskel hingewiesen, der méglicherweise
die Beschreibung giebt nichts Sicheres iiber Innervation und
Insertion an — hierher gehért (siehe Cap. V. Vogel sub M. biceps
und M. deltoides).
3) Auf Grund des Mangels seiner Insertion an der Ulna. Der
Innervation wird keine Erwaihnung gethan.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 519
Acetabulum (Gelenkhohle fiir den Humerus) von dem disto-late-
ralen Rande und, mit wenigen Fasern, von dem daran angrenzen-
den Innensaum des Coracoides (im Bereiche von dessen lateralem
Viertel, neben dem ventralen Ursprungszipfel des M. anconaeus
coraco-scapularis) und geht nach kurzem Verlaufe an den hinteren
Rand der Scapula, wo er direkt vor (proximal von) dem dorsalen
Ursprungszipfel des M. anconaeus coraco-scapularis mit schlanker
Sehne inseriert. Der gesamte Muskel, dessen Innervation nicht
eruiert werden konnte, liegt somit im Bereiche der Urspriinge des
coraco-scapularen Anconaeus-Kopfes.
Nachtrag.
Nach Abschluf von § 13—15 fand ich noch Gelegenheit, zwei
zum Teil hierher Bezug habende Veréffentlichungen einzusehen:
Verstuys, J., Die mittlere und aufere Ohrsphire der Lacertilia und
Rhynchocephaha, Jena 1898.
Osporn, H. F., A Complete Mosasaur Skeleton, Osseous and Cartila-
ginous. Mem. Amer. Mus, Nat. Hist., No. I, 4, October 25, 1899
(New York).
Ad p. 271—273. Bei dem von Osporn beschriebenen, auch
in seinen Knorpelteilen sehr wohlerhaltenen Skelette von Tylo-
saurus dyspelor Core entspricht der primare Schultergirtel
im wesentlichen demjenigen anderer Mosasauridae. Die knécherne
Scapula ist breit, aber ein wenig schmaler, als von mir nach
MarsH und Wixuistron bei Clidastes abgebildet (p. 271), das knor-
pelige Suprascapulare zeigt eine erheblichere Breite als die Sca-
pula, ist aber nicht vollkommen erhalten. Das knécherne Coracoid
nimmt eine Mittelstellung zwischen Clidastes dispar und westii ein
(cf. p. 271), indem der bei ersterer Art gut ausgebildete mediale
Eiuschnitt nur schwach angedeutet ist, das knorpelige Coracoid
(Epicoracoid) ist sehr breit entwickelt und mag wohl in ausge-
dehntem Mafe iiber das der Gegenseite tibergegriffen haben‘).
1) Auf der Abbildung Osporn’s Fig. 9 (p. 180) beriithren sich
die medialen Rander der beiden Knorpelcoracoide in der Mittel-
linie, greifen aber nicht iibereinander iiber. Damit kommen die
Bd, XXXIV, N. F. XXVIL 34
520 Max Firbringer,
Von einem sekundaren Schultergiirtel, Clavicula, wird
nichts erwahnt. Das primaire Brustbein, Sternun, ist zu
einem grofen Teile erhalten, und zwar in ahnlicher Form, wie
dies Marsu abbildet (cf. meine Kopie Fig. 46 auf p. 271); doch
lauft es hinten spitz aus und wird mit 10 Sternocostalleisten ver-
bunden angegeben (wahrend bisher nur 5 bei den Mosasauriern
bekannt waren). Einsekundares Brustbein, Episternum,
wurde gleichfalls an dem Osporn vorliegenden Exemplar vermift.
Der Humerus ist schlanker als bei Clidastes (cf. p. 273); seine
Lange betragt etwa ®/, seiner gré8ten Breite, sein Proc. lateralis
ist kurz, aber gut entwickelt. — Hinsichtlich der systema-
tischen Stellung der Mosasaurier entscheidet sich OsBorn
gegen eine nahe Verwandtschaft mit den Varanidae (mit denen
am Schadel einige wenige Aehnlichkeiten sich finden) und halt
sie fiir einen sehr alten, primitive und generelle Merkmale
wahrenden Zweig der Lacertilier (eine distinkte Subdivision der
O. Lacertilia), der sich in hohem Grade dem Wasserleben ange-
pabt habe.
Ad p. 398. VeErstuys beschreibt bei den Geckonidae (p. 11)
und bei Uroplates (p. 28) neben dem gewoéhnlichen Kopfursprunge
des M. sterno-episterno-cleido-mastoideus auch einen solchen von
der dorsalen Endplatte des Hyoidbogens, welche der hinteren Um-
erenzung des Trommelfelles angelagert ist. Ich kann diese Angaben
bestatigen. Auch sonst enthalt seine Abhandlung (auf p. 127 und
128) speciellere Angaben tiber den Kopfteil des genannten Muskels.
§ 16.
Zusammenfassung. Genealogische Schlisse.
In diesem Teile soll eine zusammenfassende Uebersicht der
in den vorhergehenden Abschnitten behandelten Skelettteile, Nerven
und Muskeln der Reptilien gegeben und dabei zugleich der Schwer-
knéchernen Coracoide in eine bei Lacertiliern ungewohnliche gegen-
seitige Entfernung voneinander, jedenfalls auch weiter, als ich in
Korrektur von Marsn’s Abbildung auf Fig. 46 (p. 271) angegeben
hatte.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 521
punkt auf die Systematik und Genealogie derselben gelegt werden.
Die betreffenden Skeletteile sind mit Auswahl bereits wiederholt
fiir systematische Zwecke verwertet worden, entsprechend den ver-
schiedenen Auffassungen der Untersucher mit verschiedenen Re-
sultaten. Den entsprechenden Nerven und Muskeln wurde bisher
nicht die gleiche Beriicksichtigung zu teil; aber auch sie liefern
ein fiir genealogische Zwecke sehr brauchbares Material, von dem
man um so fleifiger Nutzen ziehen sollte, als leider das, was von
der grofen Reptilienabteilung noch lebend tibrig geblieben ist, nur
einen relativ kleinen Bruchteil der einstmals in so grofer Reich-
haltigkeit vertretenen Abteilung reprasentiert.
Morphologische und genealogische Momente durchdringen sich
auf das innigste und verleihen sich gegenseitig Kraft und Er-
ganzung. Je mehr die Systematik von der Peripherie ins Centrum
dringt und hier, entsprechend den mannigfaltigen Korrelationen
der inneren Organe, ihr reiches und dankbares Arbeitsfeld findet,
desto gréfer ist der Gewinn fiir die Morphologie; und anderer-
seits wird nur die mit strengen morphologischen und_ physio-
logischen Grundsitzen arbeitende Systematik sich zu einer wirk-
lichen wissenschaftlichen Genealogie vertiefen.
Selbstverstandlich liefern diese Untersuchungen nur einen
verschwindend kleinen Beitrag zu der groben Aufgabe.
A. Brustschulterapparat und Humerus.
Nach GEGENBAUR’s scharfer Formulierung und ausgiebiger
Begriindung besteht der Brustschulterapparat der Wirbeltiere bei
guter vollstindiger Ausbildung aus einem primaren und sekundaren
Anteile. Der primaire Brustschulterapparat ist knorpelig
angelegt und wird reprasentiert durch die heterogenen Bestandteile
des primaren Schultergiirtels, der von dem Visceral-
skelet ableitbar ist'), und des primaren Brustbeines, das
zu den Rumpfrippen in nachster genetischer Beziehung steht;
seine Verknécherung erfolgt auch bei oberflichlicherem Beginne
enchondral unter Verdrangung des Knorpelgewebes und_ fiihrt
zu der Ausbildung von Scapula und Coracoid. Der sekundare
1) Von verschiedenen Seiten wird das bekanntlich bestritten.
34*
522 Max Firbringer,
Brustschulterapparat ist ganz direkt dermaler Abkunft*)
und bildet sich aus dem Hautskelette zunichst in Gestalt von
zahlreichen Hautplatten (Hautzahnen), die successive mit den da-
runter liegenden primaren Bestandteilen als Deckknochen der-
selben in einen zunichst minder intimen Zusammenhang treten;
was sich auf den primaren Schultergiirtel auflagert, reprasentiert
den sekundaren Schultergiirtel, die verschiedenen Clavi-
cularia, was sich mit dem priméren Brustbein verbindet, das sekun -
dire Brustbein, Episternum (Interclavicula); dazu kommt
noch ein hauptsachlich hinter dem Brustschulterapparat, also im
abdominalen Bereiche gelegener Komplex dermogener Knochen-
platten oder Knochenstabe, die meistens mit den ventralen Teilen der
Rippen sich verbinden, das Parasternum (Plastron, Gastralia).
Der Humerus bildet den proximalen Teil der freien Extremitat
und artikuliert mit dem primaren Schultergiirtel (Scapula und
Coracoid); seiner Genese und Ossifikation nach steht er zu diesem
in innigem Konnexe ”).
In dieser Zusammensetzung aus primiren (chondralen, chondro-
stotischen) und sekundaren (dermalen) Bestandteilen zeigt sich
somit im wesentlichen das gleiche Verhalten wie an anderen
Stellen des Wirbeltierkérpers, namentlich wie am Kopfe. Auch
die Schicksale der beiderlei Komponenten bieten hier wie dort
manche Parallelen, die natiirlich entsprechend der sehr ver-
schiedenen Funktionierung sehr wechselnd und different modifiziert
sein kénnen.
Bei den Reptilien besteht der Brustschulterapparat in
seiner vollkommensten Ausbildung aus dem primaren Schulter-
giirtel, der mit zwei (Scapula und Coracoid) oder drei (Scapula,
Coracoid und Procoracoid) Knochenkernen ossifiziert und unter
Beteiligung der beiden oder auch zum Teil der 3 Knochen die
Gelenkhohle fiir den Humerus bildet, aus dem sekundaren Schulter-
giirtel, der in der Regel nur noch ein Claviculare, die Clavicula,
1) Schlieflich ist auch der primare Knochen auf die Ossi-
fikationen der Haut zuriickzufiihren; er hat sich aber schon friih-
zeitig in der direkten Nachbarschaft resp. innerhalb des Knorpel-
skelettes lokalisiert, wihrend der sekundire seine Heimatsstitte
besser erhalten hat.
2) Beziiglich aller dieser Verhaltnisse verweise ich den minder
Orientierten auf die uniibertreffliche Darstellung in GeGENBaAuR’s Ver-
gleichender Anatomie der Wirbeltiere, I, Leipzig 1898 p. 294 f.
und p. 467 f.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 523
gewahrt hat, aus dem primiren Brustbein oder Sternum, welches
mit dem Coracoid artikuliert und zugleich mit einer Anzahl von
Rippen (Sternocostalien) in Verband steht, und dem sekundiren
Brustbein oder Episternum, das mit seinem hinteren Teile mit
dem Sternum, mit seinem vorderen mit den beiden Clavikeln ver-
bunden ist. Ihm reiht sich hinten das aus zahlreichen metamer
resp. hypermetamer') angeordneten Staben (Platten, Stabreihen)
zusammengesetzte Parasternum an.
Alle diese Teile sind in ihrer Gestalt und Existenz einem
eroBen Wechsel unterworfen. Mit der zunehmenden Hohe der
Differenzierung verbindet sich aber keine Vermehrung der Bestand-
teile, sondern in der Regel eine Verminderung bei hoéherer
Ausbildung und Specialisierung der tiberbleibenden. Bei den
Reptilien mit gut entwickelten Extremititen bilden der die vorderen
Gliedmafen tragende primare Schultergiirtel und das mit dem-
selben verbundene primire Sternum die bestandigeren Elemente,
wihrend die sekundaren (Clavicula, Episternum, Parasternum) weit
mehr zur Riickbildung neigen und schlieflich in vélligen Schwund
treten kénnen. Bei allgemeiner Reduktion der Extremitiaten, wie
sie bei schlangenahnlichen Lacertiliern und in ihrem extremen
Ausgange bei Ophidiern beobachtet werden, verfallt mit oder nach
der freien Gliedmafe auch der Brustschulterapparat der successiven
Verkiimmerung, wobei auch meist die sekundaren Elemente friiher
vergehen als die primaren und von letzteren der primare Schulter-
giirtel noch Rudimente aufweist, nachdem das Sternum bereits
vollig geschwunden ist (p. 232f.). Bei einzelnen Lacertiliern und
bei den Ophidiern verschwindet der ganze Apparat vollkommen,
doch deutet, sicher bei ersteren, eine besondere Inscriptio tendinea,
mit der sich aufer echten Rumpfmuskeln auch die letzten Rudi-
mente der Mm. thoracici superiores und inferiores verbinden,
noch die Stelle an, wo der Schultergiirtel sich einstmals befand.
1. Primarer Schultergiirtel.
a) Allgemeine Zusammensetzung und gegenseitiger Verband
der Hauptabschnitte.
Die Ontogenese der lebenden Reptilien lehrt, daf derselbe,
im groBen und ganzen ahnlich dem primitiven Schultergiirtel der
1) Metamer: den zugehérigen Rumpfmetameren an Zahl ent-
sprechend; hypermetamer: in gréferer Anzahl auf je 1 zugehériges
Rumpfmetamer kommend.
524 Max Firbringer,
Selachier'), als einheitliche, im Winkel gebogene und in einen
dorsalen (scapularen) und ventralen (coracoidalem) Schenkel aus-
laufende Knorpelplatte beginnt, die im hinteren Bereiche der
winkeligen Vereinigungsstelle die Gelenkflache fiir den Humerus
triigt und mit dem hinteren medialen Teile der ventralen Platte
sich mit dem Sternum verbindet.
Bei der Mehrzahl der Reptilien ossifiziert dieselbe mit zwei
Knochenkernen, Scapula und Coracoid, die beide in der Nahe
der Gelenkhéhle beginnen und von da aus dorsalwirts -— die
Scapula — und medialwarts resp. mediorostralwirts — das Cora-
coid -— sich vergréfern; einige Ordnungen (Chelonier, wahrschein-
lich Plesiosaurier, Theromorphen) zeigen drei Knochenkerne, in-
dem zu den beiden genannten noch ein dritter fiir den vorderen
Teil des Coracoides, das Procoracoid, hinzukommt, das unter
Umstanden (bei Theromorphen) an der Bildung der Gelenkhoéhle
fiir den Humerus participieren kann. Darin spricht sich bei den
genannten Reptilienordnungen eine héhere physiologische
Dignitiit des Procoracoides im Vergleich zu der Mehrzahl der
Reptilien aus. Ueberhaupt beherrscht das physiologische Moment
den Gang der Verknécherung und namentlich auch die Art der
Verbindung der drei Knochenkerne: die urspriingliche Synchondrose
kann zur festen, aber den Komponenten des Schultergiirtels eine
gewisse Selbstandigkeit und gegenseitige Beweglichkeit gewaihrenden
Symphyse sich umbilden, sie kann auch zu der keine Bewegung
mehr gestattenden Sutur werden, sie kann endlich zur vollkomme-
nen synostotischen Verwachsung (Anchylosierung) fiihren. Diese
verschiedenen Arten der Verbindung finden sich im gréSten Wechsel
bei den niedrigsten und héchsten Ordnungen der Reptilien ?), selbst
innerhalb der engsten Abteilungen (z. B. bei Lacertiliern, Patagio-
sauriern, Végeln). Auch k6nnen bei dreifach verknécherndem
Schultergiirtel die drei Bestandteile in gleichwertige Verbindung
treten (Theromorphen), oder die Verbindung von Procoracoid und
Scapula wird eine innigere als die mit dem Coracoid (Chelonier,
Plesiosaurier). Ueberall ist die funktionelle Zweckmaigkeit im
Kampfe ums Dasein das ziichtende Prinzip. Weitergehende morpho-
logische und systematische Folgerungen sind aus diesen gegen-
1) Von den Abghederungen an den Enden, wie z. B. dem
Suprascapulare vieler Haifische, abgesehen.
2) Das Gleiche gilt auch fiir Amphibien und Végel.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 525
seitigen Verbindungen von Scapula, Coracoid und Procoracoid
nur mit Vorsicht zu ziehen.
b) Relative Ausdehnung der knéchernen und knorpeligen
Bestandteile.
Ein wichtigeres graduelles Moment bildet die relative Aus-
dehnung der knéchernen und knorpeligen Bestandteile des pri-
miren Schultergiirtels in der Richtung nach dessen freien Enden
oder Randern: in der auf Kosten der letzteren fortschreitenden
Ausdehnung der ersteren spricht sich die zunehmende héhere Aus-
bildung des Schultergiirtels als Gradmesser der hoéheren Ent-
wickelung der verschiedenen Abteilungen aus.
Die Lacertilier mit sehr ausgedehnten Knorpelmassen
(Suprascapulare, Procoracoid, Epicoracoid) geben sich auf den ersten
Blick als primitive Formen zu erkennen, und unter ihnen stehen
wieder die Kionokrania (p. 236f.)+) tiefer als die Chamaeleontia,
bei denen das Verhaltnis mehr zu Gunsten des knéchernen An-
teiles liegt. Mit der Reduktion des Schultergiirtels kommt es zu
abortiven Retardationen des Ossifikationsprozesses, wodurch schein-
bar wieder primitivere Verhialtnisse eintreten (schlangenahnliche
Kionokranier, namentlich aus den Familien der Scincidae und
Anguidae). Hierher gehéren aueh die Amphisbaenia, die aber
innerhalb ihres Bereiches sehr differente Verhaltnisse darbieten:
bei Chirotes?) (p. 260, 266) erinnert der primaire Schultergiirtel etwas
an den von Chamaeleo; bei den mediterranen Gattungen Trogon-
ophis (p. 261) und Blanus (p. 262 f.) bildet der Knorpelbestandteil
einen hervorragenden Faktor (bei Blanus strauchi etwa ‘/, des
ganzen Schultergiirtels betragend); bei den untersuchten neotro-
1) Unter den kionokranen Lacertiliern stehen nach dieser Ver-
teilung die Geckonidae am tiefsten, die Mehrzahl der Agamidae und
Iguanidae, sowie Uroplates am héchsten, worin sich die systema-
tischen Beziehungen — auf Uroplates, der hierin den Chamaeleon-
tiden nahe kommt, sei speciell hingewiesen — auch gut wider-
spiegeln. Doch liefern die aberranten Formen, z. B. Phrynosoma,
auch Ausnahmen.
2) Zugleich weicht er mit seinem fast rein knéchernen Cora-
coid ziemlich erheblich von dem in eigentiimlicher Weise aus
alternierenden Knochen- und Knorpelpartien bestehenden Coracoid
von Ophiognomon vermiforme (Tejidae) ab (Corr, Journ. of Morph.,
1892, p; 231, Pl. XVE Bigs 10).
526 Max Kirbrin per,
pischen Arten von Amphisbaena (p. 263 f.) tritt er dagegen ganz
zurtick, indem hier das coracoscapulare Rudiment ganz aus Knochen
besteht (s. auch Taf. XIII). Bei den meisten fossilen Dolichosauria und
Mosasauria (p. 270, 271 f.) aus der Kreide lat sich auf Grund direkter
Beobachtungen nichts tiber diese Verhaltnisse aussagen; doch
macht es die Konfiguration der erhaltenen Knochenteile wahr-
scheinlich, daf sie in der Ausdehnung der knorpeligen Anteile
nicht wesentlich von den Lacertiliern, vermutlich gewissen héheren
Formen derselben (Varanidae) abwichen. Vereinzelt sind gré8ere
Knorpelausbreitungen direkt beobachtet worden (cf. p. 519). Bei den
Telerpetidae aus dem Keuper sind die knéchernen Teile nicht gut
genug erhalten, um Schliisse tiber die knorpeligen zu gestatten. Selbst-
verstindlich mufi angenommen werden, dafi} das Reich der Lacer-
tilier in friiheren Perioden ein sehr grofes war; morphologische Er-
wigungen und vereinzelte Reste (Hylonomus, Petrobates, Kadalio-
saurus, die vielleicht mit dem gleichen Rechte als primitive Rhyncho-
cephaiier anzusprechen sind) weisen ihm ein Alter bis in die Karbon-
zeit zu. Von diesen uralten Vorfahren kénnen wir nur postulieren,
daf’ hier die Knochenelemente noch mehr gegen die Knorpelteile
zuriicktraten.
Von den Rhynchocephaliern (p. 277 f.) stellt sich Sphe-
nodon in der graduellen Verteilung seiner Knochen- und Knorpelsub-
stanz mit den tiefer stehenden (aber nicht den am tiefsten stehen-
den) etwa auf die gleiche Stufe. Von den fossilen Vertretern der-
selben lat Palaeohattteria aus dem unteren Rotliegenden nach
der Beschaffenheit seines kleinen und rundlichen coracoidalen
Knochenkerns auf ein erhebliches Vorwiegen des Knorpels im
Coracoid schliefen, wahrend auch der langere und hoher ent-
wickelte scapulare Knochenkern ein sehr ansehnliches knorpeliges
Suprascapulare und eine breite Knorpelgrenze zwischen Scapula
und Coracoid nicht ausschlieSt. Palaeohatteria bietet in dieser
Hinsicht die primitivsten Verhaltnisse unter allen bisher bekannten
Reptilien dar. Bei den anderen ausgestorbenen Rhynchocephaliern
von dem oberpermischen Proterosaurus bis herauf zu den kreta-
ceischen und untertertiaren Champsosauridae nimmt die Knochen-
ausbreitung zu und erreicht nicht nur die von Sphenodon bekannten
Verhaltnisse, sondern scheint sie sogar zum Teil zu tbertreften.
In toto darf man aber die Rhynchocephalia etwa auf die gleiche
tiefe Stufe wie die Lacertilia stellen. Etwas hoéher diirften die
Ichthyopterygier (p. 309) stehen. An die gut ausgebildeten
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 527
Knochenteile von Scapula und namentlich Coracoid!) haben sich
augenscheinlich ein ansehnliches knorpeliges Suprascapulare und
Procoracoid angeschlossen, vielleicht auch ein mafig ausgedehntes
knorpeliges Epicoracoid, doch ist tiber diesen Punkt zur Zeit nichts
einer gréferen Wahrscheinlichkeit Nahekommendes auszusagen.
Die Chelonier (p. 312 f.) stellen sich mit der weitgehenden
Ossifikation ihres eigen gestalteten Schultergiirtels ein gutes
Stiick héher als die bisher behandelten Reptilien, doch zeigen die
Enden von Scapula, Procoracoid und namentlich Coracoid noch in
verschiedenem Grade mabig ausgedehnte Knorpelteile 2).
Aehnlich verhielten sich wohl auch die Sauropterygier
(p. 323 f., 328 f.), deren altere und primitivere Formen (Nothosaurier)
aber vermutlich (nach SEELEY’s und meiner Deutung und Rekonstruk-
tion) ein noch ausgedehntes knorpeliges Procoracoid aufwiesen, wih-
rend dasselbe bei den spateren und héheren (Plesiosauriern) in zu-
nehmendem Mafe in medialwairts gehender Richtung in Ver-
knécherung trat und bei den héchsten Formen (Elasmosauridae)
vollstandig (einschlieSlich des epicoracoidalen Anteiles) ossifizierte
. und fiir keine oder nur ganz gerinegfiigige Knorpelreste Platz lief.
Gleichfalls tiberwiegen, wie es scheint, die Knochenteile an dem
noch nicht vollkommen bekannten Schultergiirtel der Mesosaurier
(p. 337), und dasselbe gilt fiir die ebenso alten oder wenig jiingeren
Theromorphen (p. 340f.). Namentlich bei den letzteren erreicht
der Schultergiirtel in dieser Hinsicht eine einseitige Héhe der
Entwickelung, die bei dem grofen Alter dieser Tiere wunder nimmt.
Auch die Crocodilier (p. 298 f., 502 f.), deren Scapula einen
schmalen Knorpelsaum (Suprascapulare) aufweist, wahrend am Cora-
coid die Knorpelteile noch viel mehr zuriicktreten, bekunden in
der Ausbreitung ihrer Verknécherung von ihren Altesten bekannten
Vertretern ab einen hchen Entwickelungsgrad. Nicht tiefer, zum
Teil selbst héher stehen die Dinosaurier (p. 349 f.). Noch hoher,
alle anderen Reptilien tiberragend, ist die von den Patagio-
sauriern (p. 357f.) erreichte Stufe; hier scheint der Schulter-
1) In der relativ hohen Ausdehnung des Knochenteiles des
Coracoides gegeniiber dem der Scapula zeigt sich eine erhebliche
graduelle Differenz von Palaeohatteria, wo gerade der coracoidale
Knochenkern gegeniiber dem scapularen sehr zuriicktrat.
2) Vermutlich unterlag auch das knorpelige Epicoracoid einer
sekundaren Riickbildung und teilweisen Umbildung in ein Liga-
mentum.
528 Max Firbringer,
giirtel, abgesehen von der bei gewissen Vertretern existierenden
freieren Verbindung von Scapula und Coracoid, ganzlich verknéchert
zu sein, womit eine Entwickelungshohe erreicht wurde, welche die
Patagiosaurier in diesem Stiicke den Végeln graduell gleichstellt.
c) Speciellere Gestaltung und Grofe.
Noch bedeutsamer als diese relative Ausdehnung der knorpe-
ligen und knéchernen Gebiete des Schultergiirtels erweist sich in
systematischer Beziehung die speciellere Gestaltung und Gré8e
desselben; in dieser spricht sich nicht bloS ein quantitatives,
sondern nach mehreren Richtungen hin ein hodheres qualitatives
Ditferentialmoment aus.
Bei der tiberwiegenden Mehrzahl der kionokranen Lacer-
tilier (p. 233f. u. 236 f.) stellen der scapulare und coracoidale
Anteil des Schultergtirtels breite und ansehnliche Platten dar, von
denen die Scapula (inkl. das knorpelige Suprascapulare) die gréBte
transversale!), das Coracoid (inkl. Procoracoid und Epicoracoid)
die ansehnlichere sagittale') Dimension aufweist; doch kann sich
auch der dorsale Bereich der im Knochenteile nicht sehr breiten
Scapula zu ansehnlicher Ausdehnung des Knorpelteiles in die
Breite entfalten. Der Wechsel dieser verschiedenen Dimen-
sionen ist bei den verschiedenen Familien der Kionokranier
sehr erheblich; zu den gréSten Schultergiirteln gehért der der
Varanidae und Mosasauridae, zu den kleinsten der von Uro-
plates, sowie Phrynosoma und anderen aberranten Iguanidae und
Agamidae, waihrend die primitiveren Formen sich durch mittlere
Gréfen kennzeichnen. Die erheblichere sagittale Verschmile-
rung, welche das Coracoid und die Scapula von Uroplates kenn-
zeichnet, ist in noch weiterem Grade bei den Chamaeleontia (p. 266 f.)
ausgebildet, wo insbesondere die ausgiebig verknécherte Scapula
eine grofe Schlankheit zeigt; gewisse specifische Besonderheiten
weisen auf speciellere genealogische Beziehungen zwischen Uro-
platidae und Chamaeleontidae hin. Bei guter transversaler Ent-
faltung der Coracoide greifen diese bekanntlich bei den kiono-
kranen Lacertiliern in der Mittellinie tibereinander tiber+); auch
hier kann ein Zuriickweichen der medialen Rander infolge von
1) Transversal und sagittal im Sinne der Ebenen des ganzen
Korpers.
s
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 529
transversaler Verschmiilerung der Coracoide stattfinden, wobei
wieder die von Uroplates zu den Chamaeleontia fiihrende Richtung
Beachtung verdient. Weitere Verschmilerung und Verkiirzung
tritt ein bei der Reduktion des Brustschulterapparates bei den
schlangenahnlichen Lacertiliern. In sehr einseitiger Weise ist die-
selbe bei Trogonophis entwickelt (p. 261), wo das Scapulacoracoid
einen relativ langen, aber sehr diinnen Stab bildet, der bei Blanus
(p. 262 f.) sich weiter verkiirzt, wahrend eine in von den beiden
genannten Amphisbaeniden ganz abweichender Weise vorge-
schrittene Reduktion sich bei Amphisbaena (p. 263 f.) findet. Diese
Riickbildungen fiihren bei gewissen Scincidae, bei den Anelytropidae,
Dibamidae, Anniellidae und verschiedenen Amphisbaenidae zum
volligen Schwunde des Schultergiirtels'!), — Ein auffallendes
Charakteristikum des primaren Schultergtirtels der kionokranen
Lacertilier ist seine Fensterbildung: friih auftretende Rare-
fikationen des Knorpelgewebes fiihren schlieBlich zu Durchbriichen
in der Knorpelsubstanz, die von dem zur bindegewebigen Membran
verschmolzenen und umgebildeten auBeren und inneren Perichon-
drium ausgefiillt werden. Am ausgebildeten Schultergiirtel fallen
diese Fenster meist in die Grenze des Knochen- und Knorpel-
teiles von Scapula und Coracoid, so dal sie hinten von Knochen,
vorn von Knorpel umrahmt werden; finden sie sich weit vorn am
Vorderrande des Schultergiirtels, so kann die vordere Knorpel-
umrahmung fehlen resp. durch Bindegewebe ersetzt werden, und
es kommt dann zu mit Membran verschlossenen Einschnitten (In-
cisurae obturatae s. Semifenestrae). Die Fensterbildungen kénnen
bis zu 4 steigen, von denen 2, ein vorderes (Fenestra coracoidea
anterior, No. 1 GEGENBAUR’s) und ein hinteres (I. coracoidea
posterior, No. 2 GEGENBAUR’S) im Coracoid, im Bereiche des M.
supracoracoideus (No. 1) und der Urspriinge der Mm. biceps brachii
und coraco-brachialis brevis (No. 2) sich befinden; ein weiteres
liegt an der Grenze von Coracoid und Scapula (F. coraco-scapu-
laris, No. 3 GrGENBAUR’s), dient hauptsichlich dem Ursprunge
des M. scapulo-humeralis anterior (resp. dieses Muskels und des
M. supracoracoideus) und tritt sehr hiufig als Incisura obturata
(Semifenestra) coraco-scapularis auf; ein letztes, am seltensten
vorkommendes Fenster beschrankt sich auf den Bereich der Scapula
(I. scapularis, No. 4 Ge@ENBAUR’s), kann auch zur Incisura ob-
1) Bekanntlich ist auch bei den Ophidiern der Brustschulter-
apparat ginzlich geschwunden.
530 Max Firbringer,
turata umgebildet sein und entspricht dem scapularen Kopfe des
M. scapulo-humeralis anterior. Nach GrcGENnBAur’s Nachweisen
tritt No. 1, auch als Hauptfenster bezeichnet, als wichtigstes und
bestindigstes ganz in den Vordergrund; die es umrahmenden Teile
des Coracoides sind Coracoid s. str., Epicoracoid und Procoracoid.
Auf dieses folgt an Bedeutung die Fenestra (Semifenestra) coraco-
scapularis. Die beiden anderen Fenster sind speciellere und minder
wichtige Bildungen. Zwischen dem Hauptfenster und der Gelenk-
héhle fiir den Humerus findet sich das Foramen supracora-
coideum als Durchtrittsstelle fiir die gleichnamigen Nerven
und Gefifie; seltener (Uroplates, Phrynosoma u. a.) fallt dasselbe
mit dem Hauptfenster zusammen. Die speciellere Gestaltung und
Anordnung dieser Fenster ist fiir die einzelnen Familien der Kiono-
kranier von diagnostischer Bedeutung, wobei aber nicht aufer
acht zu lassen ist, daf sie (abgesehen von No. 1) als variable
Gebilde innerhalb derselben Familie auch durch blof verdiinnte
Stellen der Scapula und des Coracoides vertreten sein kénnen.
Bei den am tiefsten stehenden kionokranen Lacertiliern (Gecko-
nidae) treten sie bereits in voller Ausbildung auf; ein primordial
imperforiertes Scapulo-coracoid hat kein lebender kionokraner
Lacertilier mehr bewahrt. Doch kommt es haufig wieder zu sekun-
daren Ausfiillungen dieses oder jenes Fensters durch Skeletgewebe
und hierfiir bieten die meisten Familien charakteristische Belege
dar; insbesondere sei auf Varanidae und Mosasauridae hingewiesen.
Das Hauptfenster leistet dieser sekundaren Ausfillung am langsten
Widerstand und ist nicht selten als alleiniges Fenster vorhanden
(so auch bei den fossilen Telerpetidae); bei Phrynosoma, nament-
lich aber Uroplates ist es sehr eingeengt, bei Heloderma endlich
vollkommen verschlossen; die hier wieder eingetretene Fenster-
losigkeit ist somit nicht als etwas primordiales, sondern wohl als
etwas sekundires aufzufassen +). Die Einengung des Hauptfensters
1) Ueber die primare oder sekundire Natur der Fensterlosig-
keit des primaren Schultergiirtels bei Lacertiliern und Rhyncho-
cephaliern sind allerdings die Akten noch nicht geschlossen. Den
ersten Ausgang gaben imperforierte Schultergiirtel, die danach
Fensterbildungen zur Entwickelung brachten, die schlieflich wieder
sich fillen konnten. Es ist aber die Méglichkeit nicht von der
Hand zu weisen, daf gewisse fensterlose Schultergtirtel noch jetzt
lebender Formen direkt von imperforierten primordialen Formen
abstammen.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 531
bei Uroplates leitet tiber zu den Chamaeleontidae, bei denen es
durch vélligen Verschluf desselben zu einem gleichfalls imperforierten
Schultergiirtel kommt. Aehnlich verhalt sich Chirotes. Mit der
durch die Riickbildung des Schultergiirtels bei den schlangen-
ahnlichen Lacertiliern bedingten Verschmalerung desselben kommt
es auch hinsichtlich der Fensterbildung zu Vereinfachungen, indem
diese teils sich ausfiillen, teils durch Reduktion der vorderen Um-
randung zu Incisuren sich umgestalten und schlieflich ganz ab-
flachen; der hier fensterlose primére Schultergiirtel ist es meistens
durch Reduktion seines ganzen fensterfiihrenden Bereiches ge-
worden. — Das Acromion wird in seiner Ausbildung von der-
jenigen der Clavicula beherrscht, doch nicht ausschlieBlich. Seine
Lage variiert: bei langerer Clavicula liegt es mehr dorsal, bei
kiirzerer mehr ventral, meist am vorderen Rande des ventralen
Bereiches des knorpeligen Suprascapulare, seltener an dessen
Aufenflaiche. Bei den héheren Formen fallt es mit der zunehmen-
den Verknécherung der Scapula an die Grenze von Knorpel- und
Knochenteil oder selbst in das Gebiet des letzteren. Bei Riick-
bildung der Clavicula, wie sie bei den Chamaeleontia, Dei
Chirotes und verschiedenen schlangenartigen kionokranen Lacer-
tiliern sich findet, schwindet meistens auch das Acromion. —
Ueber die Verbindung des Coracoides mit dem Sternum soll bei
letzterem gesprochen werden (siehe unten sub Sternum p. 536 f.).
— In allen diesen Verhaltnissen der Konfiguration
des primaren Schultergtirtels kann sich keine andere
Reptilienordnung an Bedeutung nur annahernd mit
den Lacertiliern messen; sie bieten den Schlissel
fiir alle weiteren Differenzierungen desselben inner-
halb der Sauropsiden dar.
Unter den Rhynchocephalia (p. 277 f.) schlieft sich der
primare Schultergiirtel von Sphenodon dem der kionokranen Lacer-
tilier ziemlich nahe an. Er reprasentiert ein relativ sehr ansehn-
liches, den gréften Schultergiirteln der kionokranen Lacertilier
nicht nachstehendes Gebilde, dessen coracoidaler Anteil wie bei
diesen in der ventralen Mittellinie tiber den der Gegenseite greift,
und ist, abgesehen von einer mabig entwickelten Semifenestra
(Incisura obturata) coraco-scapularis und dem iiblichen Foramen
supracoracoideum, imperforiert. Diese Fensterlosigkeit méchte
ich aber auch nicht als eine primordiale ansprechen, sondern
neige, namentlich unter Beriicksichtigung der Existenz des er-
wahnten Halbfensters und anderer nicht ganz primitiver Ziige im
5352 Max Firbringer,
Schultergiirtel von Sphenodon, dazu, sie als eine sekundire Er-
scheinung zu bezeichnen. Das Acromion findet sich entsprechend
der relativ ktirzeren Clavicula mitten im Bereiche des vorderen
Randes der knéchernen Scapula; auch das ist kein primitiver Zug.
Einfacher gebildet war vermutlich der Schultergiirtel von Palaeo-
hatteria. Auffallend ist die breite Ausbildung und der vor-
springende Kontur des vorderen Randes der knéchernen Scapula;
ihre Gestalt und die des coracoidalen Knochenkernes lassen fragen,
ob hier der primordial imperforierte Schultergiirtel wirklich vor-
liegt. Eine naihere Antwort ist nicht zu geben und die Existenz
einer Fenestra oder Incisura coraco-scapularis, wenn auch nicht
sehr wahrscheinlich, doch nach der Konfiguration der in Frage
kommenden Stelle der Scapula keineswegs ausgeschlossen. Die
noch nicht ausreichend bekannten Schultergiirtel der iibrigen fossilen
Rhynchocephalier und Acrosaurier bieten nichts dar, was Sphenodon
gegentiber wesentlich neue Ziige offenbarte. Das Coracoid der-
selben scheint imperforiert gewesen zu sein, wihrend eine Incisura
resp. Fenestra coraco-scapularis existiert haben mag; bei den
Champsosauridae diirfte dasselbe wohl zugleich die Durchgangs-
stelle fiir die supracoracoidalen Gefafe und Nerven gebildet haben.
Im Gegensatze zu den Lacertiliern tritt somit bei den Rhyncho-
cephaliern das coraco-scapulare Fenster oder Halbfenster in den
Vordergrund, wihrend das coracoidale Hauptfenster bei ihnen
nicht zu rechter Entfaltung gelangte resp. sich bald wieder
schlof.
Dem priméaren Schultergirtel der Rhynchocephalier kommt in
wesentlichen Ztigen der der Ichthyopterygier (p. 309 f.) nahe.
Auch hier findet sich ein imperforiertes Coracoid und eine imper-
forierte Scapula, aber eine wohl entwickelte, héchst wahrscheinlich
vorn von einer ansehnlichen Knorpelspange (Procoracoid) abge-
schlossene Fenestra coraco-scapularis, mit der zugleich das _ in
Gestalt einer coracoidalen Incisur in sie einmiindende Foramen
supracoracoideum zusammengeflossen ist. Ob die beiden Coracoide
in der Mittellinie iibereinander griffen oder in gegenseitigen Kon-
takt traten, ist noch nicht véllig aufgeklirt. Die Clavicula lag
der knéchernen Scapula in grofer Ausdehnung auf.
Die Chelonier (p. 312f.) kennzeichnet ein ganz anderer
Typus als die Rhynchocephalier und Ichthyosaurier; derselbe wird
aber ultima ratione aus den primordialen Verhiiltnissen bei den
Lacertiliern verstandlich, die auch hierin im Vergleich mit den
Rhynchocephaliern ihre centralere Stellung bekunden. Bei den
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 533
Cheloniern tritt das, den supracoracoidalen Nerven und Gefaen
zugleich Durchgang gebende, coracoidale Hauptfenster ganz domi-
nierend in den Vordergrund, wahrend alle anderen Fensterbildungen
fehlen, und beherrscht damit die ganze Gestalt. des schlank und
kraftig zugleich gebildeten primaren Schultergiirtels. Dieser er-
halt damit ein erheblich anderes Ansehen als der Schultergiirtel
der bisher besprochenen Reptilienordnungen, wozu noch die par-
tielle Riickbildung des das Hauptfenster medial begrenzenden
Epicoracoides unter Lésung der medialen Verbindung von Coracoid
und Procoracoid und der durch die Funktion beherrschte (s. p. 524)
besondere Verband der drei Elemente dieses Schultergiirtels (Sca-
pula + Procoracoid; Coracoid) hinzukommt. Neu gewonnene Ver-
bindungen mit dem Riickenschild (1. Dorsalwirbel) und Bauch-
schild (Entoplastron) vollenden die eigenartige Specialisierung dieses
Gebildes, das vermutlich schon in sehr friiher Zeit seine besondere
Entwickelungsbahn eingeschlagen hat. Keine den lebenden La-
certiliern — von den Rhynchocephaliern ist ganzlich abzusehen —
nahestehende Form kann ihnen als Ausgangspunkt gedient haben;
doch kann die kombinierende Beurteilung primordiale lacertilierartige
Bildungen sich unschwer vorstellen, die hier den Anfang gaben.
Dali gewisse Parallelitaten mit dem Schultergiirtel der Anuren
nicht als Verwandtschaften zu nehmen sind, bedarf keiner Aus-
fiihrung.
Nicht allzu fern von den Cheloniern steht die Bildung des
primiren Schultergiirtels der Sauropterygier (p. 323f., 327f.);
bei allen Besonderheiten, die derselbe darbietet, ist sein Abstand von
dem der Chelonier relativ geringer als derjenige von den anderen
Reptilien. Auch hier dominiert das zwischen Coracoid und Pro-
coracoid befindliche Hauptfenster; die Scapula ist in ihrem dor-
salen Bereiche kiirzer, vermutlich riickgebildet, im ventralen
breiter gestaltet; das rechte und linke Coracoid treten in ihrem
ganzen medialen Bereiche in zunehmend sich verbreiternde Ver-
bindung miteinander; die bei den Nothosauriern wohl noch ganz
knorpeligen, bei den Plesiosauriern successive mehr und mehr ver-
knéchernden Procoracoide stehen bei letzteren wie bei den Che-
loniern mit der Scapula in synostotischem, mit dem Coracoid in
symphytischem resp. suturalem Verbande, und schliefSlich — in
héchster Ausbildung dieser gleichfalls sehr eigenartigen Ent-
wickelungsrichtung — kommt (bei den Elasmosauridae) eine aufer-
ordentlich ausgedehnte mediane Verbindung des zu sehr erheblicher
sagittaler Dimension gestalteten ventralen Schultergiirtels (Pro-
534 Max Fiirbringer,
coracoid, Epicoracoid und Coracoid) der rechten und linken Seite
zustande.
Der noch ungentigend bekannte Schultergiirtel der Meso-
saurier (p. 337f.) enthielt in dem ausgedehnten ventralen Bereiche
eine ziemlich kleine Oeffnung, die wahrscheinlich auch als cora-
coidales Hauptfenster (wohl inkl. Foramen supracoracoideum) an-
zusprechen ist. Insofern bestehen gewisse relativ niihere Bezie-
hungen zu den Sauropterygiern. Andere Ziige weisen, weniger
nah, auf die Theromorphen hin. In dem gegenseitigen, iibrigens
noch nicht gesicherten Verhalten der beiden Coracoide von Meso-
saurus scheinen primitive, an Lacertilier und Rhynchocephalier
erinnernde Ziige sich zu offenbaren'). Eine Ableitung des Schulter-
giirtels der Sauropterygier von dem der Mesosaurier — wie er
bis jetzt bekannt ist — macht Schwierigkeiten, jedoch nicht un-
iiberwindliche. Wie namentlich SEELEY und BOULENGER hervor-
hoben, bieten andere Teile des Skelettes recht grofe Aehnlich-
keiten dar, die naheren genealogischen Beziehungen zwischen
Mesosauriern und Sauropterygiern das Wort reden.
Einen anderen Entwickelungsgang haben die Theromorphen
(p. 340 f.) eingeschlagen, doch befand sich sein Anfang in der Nahe
derjenigen der Mesosaurier und damit der Sauropterygier; zugleich
weisen gewisse Ziige, insbesondere die Ausbildung eines (manch-
mal sekundir unterdriickten) coraco-scapularen Fensters sowie der
lang ausgedehnte Verband der Scapula und Clavicula auch auf
nachbarliche Wurzeln der Rhynchocephalier nnd Ichthyopterygier
hin. In der Hauptsache kennzeichnet aber die innerhalb der Ord-
nung immer anselnlicher werdende Ausbildung der langen und
mehr und mehr dominierenden Scapula gegeniiber den successive
mehr und mehr zuriicktretenden ventralen Elementen (Coracoid
und Procoracoid) nicht nur die im Vergleich mit den Rhyncho-
cephaliern und Ichthyopterygiern héhere Entwickelungsstufe der
Theromorphen, sondern namentlich auch ein ginzlich differentes
Quale in der Ausbildung gegeniiber den Sauropterygiern, bei denen
gerade die ventralen Elemente des Schultergtirtels bedeutend vor-
1) Die von Corr (Stereosternum) und Srenrey (Mesosaurus)
abgebildeten und beschriebenen Schultergiirtel zeigen namentlich im
medialen Bereiche des Coracoides Abweichungen, die sich mit der
nahen Stellung dieser beiden, vielleicht gar nicht generisch ver-
schiedenen Gattungen kaum vereinigen lassen. Vermutlich liegen in
dem Copr’schen Exemplare erhebliche Defekte vor.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 535
wiegen. In dieser Hinsicht kommt es zu Anklaingen an die Ver-
haltnisse bei den Dinosauriern und bei den Saugetieren, welche
letzteren auch durch die Existenz ihrer drei Verknécherungscentren
im Schultergiirtel eine gewisse Aehnlichkeit mit den Theromorphen
darbieten ; alle diese Aehnlichkeiten bedeuten aber, wie so manche
andere geltend gemachten Uebereinstimmungen, nur parallele Ent-
wickelungsgainge, Analogien, welche nihere Verwandtschaften nur
vortiuschen.
Ganz allgemeiner Art sind die Beziebungen der Theromorphen
zu den Crocodiliern (p. 298f.), die hingegen etwas priignantere
Uebereinstinmungen mit den Dinosauriern, auch einige, jedoch nicht
zu tiberschatzende, Aehnlichkeiten mit den Patagiosauriern und
Végeln darbieten. Bei den alteren Crocodiliern (Parasuchia) zeigt
sich eine betrachtliche Entwickelung der Scapula in die Linge‘) und
ein beginnendes Zuriicktreten des Coracoides, das aber mit einer
(bei Phytosaurus) vorhandenen Incisur auf die Existenz einer
Fenestra (Semifenestra?) coraco-scapularis, die vorwiegend von
dem Coracoid begrenzt wurde, schliefen lat. Damit, mehr aber
noch mit der in Korrelation zu der Riickbildung der Clavicula
erfolgten Gewinnung neuer gréferer Ursprungsflichen steht die
ansehnliche Entfaltung des ventralen Endes der Scapula im Zu-
sammenhang. Bei den neueren Crocodiliern (Kusuchia) zeigt die
Scapula keine wesentliche Verinderung, dagegen hat sich das
Coracoid zugleich unter Riickbildung des rostro-medialen Teiles
des parasuchen Coracoides schlanker gestaltet und ist eine Rich-
tungsiinderung eingegangen, welche auch auf die Richtung der
Scapula nicht ohne Einfluf blieb und zu einer auch in sagittaler
Richtung winkeligen Vereinigung beider Elemente und zur Aus-
bildung einer rostral vorragenden Eminentia scapulo-coracoidea
fiihrte. Aehnliches ist zum Teil in noch héherem Grade bei den
Patagiosauriern und carinaten Végeln ausgebildet. Ein echtes
Acromion fehlt entsprechend der Riickbildung der Clavicula; die
seine Stelle einnehmende Leiste kann nur als Crista deltoidea
bezeichnet werden.
Derselben Entwickelungsrichtung wie die Crocodilier gehért
der Schultergiirtel der Dinosaurier (p. 349f.) an und bekundet
1) Diese Formentwickelung iiberschritt keineswegs die schon
innerhalb der Lacertilier bei den Chamaeleontia vorhandene, wie
auch Newron die Form der Scapula von Erpetosuchus mit der von
Chamaeleo vergleicht.
Bd, XXXIV. N. F. XXVIL. 35
536 Max Firbringer,
in seinem ersten Auftreten bei den bekannten Vertretern derselben
in der ganz vorwiegenden Entfaltung der Scapula, in dem be-
trachtlichen Zuriicktreten des Coracoides und in dem Mangel jeder
Fensterbildung — lediglich ein im Coracoid, mitunter ganz nahe
an der Grenze gegen die Scapula liegendes Foramen supra-
coracoideum durchbohrt ihn — eine héhere Entwickelung als bei
den parasuchen, aber eine etwas tiefere als bei den eusuchen
Crocodiliern. Damit koincidiert die in verschiedenem Grade
schriige Stellung der Scapula, die an ihrem ansehnlicher gestalteten
ventralen Teile ganz vereinzelt einen vielleicht als Acromion zu
deutenden Vorsprung, regelmalig dagegen eine Crista deltoidea
aufweist. |
Bei den Patagiosauriern (p. 357f.) ist die von den jiingeren
Crocodiliern eingeschlagene Richtung in parallelem Entwickelungs-
gange zur hoéchsten Ausbildung gebracht. Scapula und Coracoid
reprasentieren schlanke und lange Knochen, die sich im sagittalen
Winkel an der Prominentia scapulo-coracoidea verbinden und ab-
gesehen von einigen specifischen Differenzierungen eine grofe Ver-
einfachung ihrer Gestalt aufweisen. Eine ganz einseitige Differen-
zierung weisen die am _ héchsten entwickelten Patagiosaurier
(Ornithocheiridae) auf, indem sich bei ihnen, in einiger Aehnlich-
keit mit den Rochen und Schildkréten, die dorsalen Enden der
Scapula mit der Wirbelsiule verbinden. Zwischen dem Schulter-
giirtel der Patagiosaurier und Végel bestehen gewisse Parallelen,
die aber im wesentlichen nur analoger Natur (Konvergenz-Analo-
gien) sind.
2. Primares Brustbein’).
a) Gestalt und Verbinde des Sternum.
Das primaire Brustbein, Sternum, ist bekanntlich ein Pro-
dukt der Rippen und hat sich aus miteinander verschmolzenen
ventralen Enden desselben zu einem unpaaren Skeletteil ausge-
bildet, der mit seinem vorderen Teile, mit den Coracoiden arti-
kulierend, Traiger des primaren Schultergiirtels wurde, mit seinem
seitlichen und hinteren Bereiche die alten Beziehungen zu den
1) Inkl. metamerische Lage desselben resp. Linge der Hals-
wirbelsiule, sowie metasternale Rippen.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. Sait
Rippen (Sternocostalien), meist unter gelenkiger Abgliederung von
denselben gewahrt hat; zugleich ist es in seiner Medianlinie
meistens mit dem ihm ventral (aufen) auflagernden Langsschenkel
des Episternum fest verbunden.
Das genetische Moment fiir seine Entstehung bildet, wie
GEGENBAUR dargethan, der direkte Kontakt des nach hinten ge-
wanderten Schultergiirtels mit einer Sternalrippe, der hierdurch
die neue Aufgabe eines Stiitzapparates fiir denselben wurde, wobei
sie zum Zwecke gréferer Leistungsfaikigkeit mit einer Zahl ihr
folgender Rippen in Verband und Verschmelzung trat. Ich méchte
einen zweiten, diese Verschmelzung urspriinglich getrennter und
durch Muskulatur in gegenseitiger Bewegung stehender Elemente
zu einer langen und breiten unpaaren Platte noch weiter er-
klarenden Faktor in der Ausdehnung des Episternum nach hinten
und der Verbindung seines hinteren Fortsatzes mit den ventralen
Rippenenden erblicken, wodurch deren gegenseitige Beweglichkeit
und Selbstindigkeit aufgehoben und der Prozef ihrer Vereinigung
begiinstigt wurde *).
Bei den typischen Lacertiliern (p. 244f.) bildet das Sternum
eine ansehnliche unpaare rhombische Knorpelplatte (Prosternum),
die meistens in einen hinteren schmaleren paarigen oder unpaar
1) Aehnliche Verschmelzungen unter dem beginstigenden —
aber ebenfalls nicht allein hierbei in Frage kommenden — Einflusse
von lang ausgedehnten Deckknochen zeigt uns die vergleichende
Anatomie an verschiedenen Stellen des Schidels und des Anfanges
der Wirbelsiule. — Das costale Brustbein beginnt nicht erst mit
den Reptilien, sondern bereits mit den Amphibien, insbesondere den
Stegocephalen, deren Reste aus dem unteren Rotliegenden wegen
seiner knorpeligen Beschaffenheit zwar nichts mehr davon erhalten
zeigen, deren zum Teil sehr lang nach hinten erstrecktes Episternum
(,mittlere Kehlbrustplatte*) aber bei vielen Gattungen (z. B. Melan-
erpeton, Urocordylus, Archegosaurus, Discosaurus, Stereorhachis und
Verwandte) seine schon damals erfolgte Ausbildung mit grofer
Wabrscheinlichkeit vermuten lassen. Unter den damaligen und den
spiteren Stegocephalen finden sich auch solche mit kurzem oder
fehlendem hinteren Schenkel des Episternum (z. B. Branchiosaurus,
Pelosaurus, Metopias, Mastodonsaurus); ein Teil von diesen kiirzeren
Formen diirfte auf sekundarer Reduktion des hinteren Schenkels
beruhen, und bei diesen ist wohl auch das Sternum in partielle
Riickbildung getreten. Ein vollkommener Schwund des Episternum
findet sich bei den Urodelen und Anuren, und damit koincidirt auch
eine mehr oder minder erhebliche Reduktion des Sternum, die
namentlich auch in der Lisung des sternalen Rudimentes von den
Sternalrippen und in der Riickbildung dieser Ausdruck findet.
ool,
538 Max Firbringer,
gewordenen Fortsatz auslauft (Metasternum s. Xiphisternum), der
zum Teil noch die Entstehung aus Rippen in nuce aufweist oder
auf retrogradem Wege illustriert, als eine sekundiire Angliederung
des Prosternum zu beurteilen ist und itibrigens einen auch in
systematischer Beziehung interessanten Wechsel in seiner Bildung
darbietet (p. 245f.). Die breiten vorderen Sulci coracoidei des
Prosternum dienen der Artikulation mit den Coracoiden, der
Medianlinie desselben ist das Episternum in verschiedener Aus-
dehnung angewachsen. Der Verband mit den Rippen geschieht
jederseits durch 3—6 Facetten'), die sich in sehr ungleicher
Weise auf Prosternum und Metasternum verteilen, wobei die
héheren Zahlen (5—6 Rippen) die gréfere Verbreitung unter
den kionokranen Lacertiliern, namentlich unter tieferen und mittel-
hohen Vertretern derselben, aufweisen, wihrend die niederen, nicht
selten mit sehr geringgradiger Ausbildung oder selbst Mangel des
Metasternum einhergehenden Zahlen (3—4 Rippen) vereinzelter
und mehr, wenn auch nicht ausschlieflich, bei den héher stehenden
Familien (Eublepharis, Uroplates, Zonurus, Heloderma, viele
Agamidae, einzelne Iguanidae, Varanidae) sich finden. Das giebt
an die Hand, anzunehmen, daf die Ausbildung des Sternum bei
den Lacertiliern schon friihzeitig ihren Héhepunkt erreichte und
zum Teil wieder mit Riicksicht auf die ihm verbundenen Rippen
in retrogradem Entwickelungsgange sich befindet 2). Die Chamae-
leontia (p. 267 f.) weisen auch nur Verbinde mit 4 oder 3 Rippen
auf. Bei Riickbildung des Brustschulterapparates beginnt die
Reduktion des Sternum meistens im hinteren Bereiche, der sich
dementsprechend mehr oder minder erheblich verkiirzt*) und die
Anzahl seiner Rippenverbande successive auf 3, 2 und 1 ver-
mindert (verschiedene Scincidae, Tejidae, Zonuridae, Anguidae, Pygo-
podidae, s. p. 248, 249) und schlieflich zu einer an die Verhiltnisse
bei den Urodelen erinnernden volligen Lésung des Verbandes mit
1) Eine ganz erhebliche Ausnahme bildet Tylosaurus dyspelor
auf Grund der Abbildung und Beschreibung von Osporn (cf. p. 519),
wo jederseits 10 Rippen sich mit dem Sternum verbinden.
2) Die Gréfe kann dabei erheblich sein, z. B. bei den Varanidae,
wo das Sternum nicht kleiner ist als das mit 5 Rippen verbundene
Brustbein der Dolichosaurier. Sehr abweichend verhalt sich nach
Ossorn’s Angaben Tylosaurus (cf. die vorhergehende Anmerkung).
3) Ausnahmen bilden Ophiognomon und Chirotes mit lingerem
Sternum. Bei letzterem ist die costale Natur des Xiphosternum
deutlich erkennbar.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 539
Rippen fiihrt (gewisse Scincidae und Anguidae, Chirotes, Trogon-
ophis). Bei weiterer Reduktion zerfallt das stark verkiirzte Ster-
num in kleine paarige Knorpelkerne (Blanus [p. 262, 263], durch fort-
schreitende Verkiimmerung aus dem querstabférmigen Sternum
von Trogonophis ableitbar) und schwindet schlieSlich vollstaindig
gewisse Arten von Acontias [?], Anelytropidae, Dibamidae, Anni-
ellidae, meiste Amphisbaenidae). — In der Regel ist das Sternum
eine plane oder nur ganz wenig nach aufSfen konvexe Platte; bei
Uroplates zeigt sein vorderer Teil, bei den Chamaeleontidae seine
ganze Ausdehnung eine ansehnliche Wélbung nach aufen. — Bei
simtlichen lebenden Lacertiliern, sowie bei den Dolichosauria und
Telerpetidae besteht das Sternum aus Knorpel, der allerdings mehr
oder minder ausgiebig verkalken kann, und offenbart damit eine
tiefere histologische Entwickelungsstufe als der immer, wenn auch
nur teilweise, ossifizierende primare Schultergiirtel. Bei den fossilen
Mosasauriern wird bald ein knorpeliges, bald ein knéchernes Sternum
angegeben, iiber dessen Gestalt die Mitteilungen differieren (p. 272,
519). — Sternale Fensterbildungen sind bei den Lacertiliern eine
hiufige Erscheinung, die aber nicht von gréferer systematischer
Bedeutung ist.
Unter den Rhynchocephaliern (p. 279) besitzt Sphen-
odon ein ansehnliches planes, rhombisches, knorpeliges Ster-
num, das mit dem lacertilen Typus tibereinstimmt, nur mit
3—4 Rippen verbunden ist und nur einem Prosternum verglichen
werden kann. Die Frage, ob hier eine sehr urspriingliche Bildung
vorliegt, die noch nicht zur Entwickelung eines Metasternum
fiihrte, oder ob es sich um eine sekundire Riickbildung eines
einstmals bestandenen Metasternum handelt, ist eine offene; ich
neige dazu, den primitiven Zustand eines noch nicht ausgebildeten
Metasternum anzunehmen, da die auf die 3—4 sternalen Rippen
folgende nichste Rippe bereits mit dem Anfange des Parasternum
in Verbindung steht und dieser Verband wohl als ein primitiver,
nicht erst sekundir herausgebildeter zu betrachten ist. Sphenodon
stellt sich damit auf eine tiefere Stufe als die Lacertilier, deren
Metasternum vielleicht in dem Male zu successiver Ausbildung
gelangte, als die auf das Prosternum folgenden Rippen Freiheit
yon einem vermutlich urspriinglich vorhandenen, aber allmahlich in
Riickbildung tretenden Parasternum gewannen, diese aber bald wieder
verloren, indem sie sich dem Prosternum angliederten. Das ist
lediglich eine Hypothese, die mit mehr als einer Unbekannten
oder wenigstens nicht geniigend Bekannten rechnet. Die fossilen
540 Max Firbringer,
Rhynchocephalier und Acrosaurier zeigen zufolge der Knorpel-
beschaffenheit ihres Sternum nichts mehr von demselben erhalten ;
es besteht aber kein besonderer Grund, sich dasselbe sehr ab-
weichend von Sphenodon zu denken.
Auch von dem knorpeligen Sternum der Ichthyopterygier
(p. 310) ist nichts mehr erhalten; das Verhalten des Episternum,
namentlich aber der Coracoide macht wahrscheinlich, da es sich
in Rickbildung befand.
Bei den Cheloniern (p. 318, 319) fehlt ein Sternum ganzlich.
Es ist fiir mich keine Frage, da8 dieser Mangel auf totaler Riick-
bildung eines bei den alteren Vorfahren noch existierenden Sternum
beruht. Das Gleiche darf fiir die Sauropterygier (p. 325, 334)
angenommen werden, bei denen die Konfiguration der Coracoide
mit sehr groBer Wahrscheinlichkeit, wenn nicht Sicherheit die
Existenz eines Sternum ausschlieSt. Wenn die Mesosaurier
(p. 338) ein Sternum besafen, so war es jedenfalls sehr klein; die
Frage seiner Existenz befindet sich bei der Unsicherheit tiber das
Verhalten der Coracoide in der ventralen Mittellinie des Kérpers
kaum im Vorstadium der Behandlung.
Unter den Theromorphen (p. 345) ist bei den héheren
Vertretern derselben ein nicht unansehnliches, in der iiblichen
Weise mit dem Coracoid verbundenes und zu einem gro8en Teile
knéchernes Sternum nachgewiesen worden, tiber dessen Rippen-
verbindung wegen der vermutlich knorpeligen Beschaffenheit seiner
costalen Randpartien nichts bekannt ist. Damit stellen sich die
Theromorphen etwas hoher als die vorher behandelten Ordnungen,
was init der Ausbildung ihres Schultergiirtels gut harmoniert.
Die primitiveren Formen besafen ein knorpeliges Sternum, iiber
dessen speciellere Form nichts ausgesagt werden kann.
Eine mit Riicksicht auf seine gewebliche Beschaffenheit gra-
duell tiefere Stufe als das Sternum der hoéheren Theromorphen
nimmt dasjenige der Crocodilier (p. 299f.) ein. Es bildet eine
in der tiblichen Weise mit Episternum, Coracoiden und Rippen
verbundene Knorpelplatte, an welcher in der Art wie bei den
Lacertiliern ein vorderes, rhombusahnlich gestaltetes Prosternum
und ein hinteres schmales und langes Metasternum (Xiphisternum)
unterschieden werden kann; beide zusammen sind mit 6—9
Rippen, also mit einer gréferen Zahl als bei den Lacertiliern *)
1) Abgesehen von dem von Ossorn abgebildeten Exemplar von
Tylosaurus dyspelor,
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 541
und Rhynchocephaliern verbunden, was mit der weiter vorge-
schrittenen Ausbildung des Metasternum koincidiert. Ueber das
Sternum der fossilen Crocodilier ist nichts bekannt.
Die Dinosaurier (p. 352 f.) besaben vermutlich ein ansehn-
liches, breites Sternum, tiber dessen Gestalt und sonstige Verbinde
mit den Nachbarknochen aber sehr wenig bekannt ist, da es ent-
weder rein knorpelig war oder nur in unvollkommener Weise ver-
knécherte. Beginnende Ossifikationen sind bei gewissen Sauro-
poden in Gestalt kleiner paariger Kerne, weiter ausgebildete bei
den hédheren Ornithopoden in Gestalt gréferer paariger Stiicke,
die (bei Hypsilophodon) selbst zu einer ziemlich ansehnlichen un-
paaren Platte verschmelzen, nachgewiesen worden. Die rippen-
tragenden Rander waren knorpelig. Durch seine Ossifikationen
stellt sich das dinosaure Sternum hoher als das crocodile und
etwa in das gleiche graduelle Stadium wie das theromorphe.
Die hichste Entwickelungsstufe unter den Reptilien erreichte
das Sternum der Patagiosaurier (p. 360f.). Dasselbe repra-
sentiert eine nicht lange, aber relativ breite, mehr oder minder
stark nach unten gew6lbte Knochenplatte, deren Rander entweder
noch knorpelig waren oder die in ihrer ganzen Breite verknéchert
ist und damit genaue Aufschliisse tiber die Zahl der mit ihm ver-
bundenen Rippen (4 bei Ornithostoma) giebt; iiber die Beschaffen-
heit seines vermutlich verschiedenartig ausgebildeten hinteren Randes
ist noch keine sichere Kenntnis erzielt. Mit dieser Konfiguration
verbindet sich, in Korrelation zur Ausbildung der Flugmuskulatur,
die Ausbildung einer ansehnlichen unpaaren Spina resp. Cristo-
spina in seinem vorderen Bereiche, welche einige Aehnlichkeit mit
den entsprechenden Bildungen der Vogel aufweist, aber in der
eigentiimlichen Lokalisierung der coracoidalen Gelenkfliche an
der Basis dieser Spina (Ornithostoma) eine ganz specifische Kon-
figuration darbietet. Das Verhalten der coracoidalen Artiku-
lation bei den tiefer stehenden Patagiosauriern ist nicht geniigend
aufgehellt.
b) Metamerische Lage des Sternum, Lange der Halswirbelsaule.
Von besonderem Interesse ist die metamerische Lage des
Sternum’, die zu derjenigen des Brustgiirtels und der ganzen
vorderen Extremitait im direkten Kausalkonnexe steht. Wie von
542 Max Firbringer,
GEGENBAUR und seiner Schule wiederholt dargethan‘') und wie
namentlich von Braus und mir im Detail nachgewiesen worden,
nehmen die Extremitaéten keine konstante metamerische Lage ein,
sondern machen Verschiebungen von verschiedener Ausgiebigkeit
lings des Rumpfes durch, welche ihre jeweilige Lage bestimmen.
Diese Verschiebungen oder Wanderungen sind, da die primaren
Extremitaitengiirtel (Schulter- und Beckengiirtel) von dem _ vis-
ceralen Kopfskelette Ausgang nehmen, zuerst in caudaler Richtung
erfolet, bei der hinteren in weit ausgedehnterem Mae als bei der
vorderen, haben aber dann, nachdem die ersten Etappen bei den
primitiven Pterygiern (Selachier) erreicht worden waren, keinen
Stillstand erfahren, sondern sind bald in der gleichen (progressiven),
caudalwarts gerichteten Bewegung noch weiter gegangen, bald auch
in riicklaufiger (regressiver), rostralwairts gewandter Richtung wieder
mehr nach dem Kopfe zu geriickt. Da die Extremitatengiirtel
zum Rumpfskelette, zu den vom Rumpfe ausgehenden Muskeln
und zu den Spinalnerven im innigsten Konnexe stehen, hat sich
diese Wanderung natiirlich auch mit den mannigfaltigsten Um-
bildungen der genannten Teile verbunden. Zu derjenigen der
vorderen Extremitait steht die metamere Lage des mit dem Cora-
coid verbundenen Sternum in direktem Konnexe und diese wieder
wird der Wirbelsiule gegeniiber durch die mit dem Sternum ver-
bundenen Rippen bestimmt. Bei caudalwarts gehenden (progres-
siven) Wanderungen werden successive immer neue hintere Rippen
fiir den Verband mit dem Sternum gewonnen, wahrend die bis-
herigen vorderen Sternalrippen aus diesem Verbande ausscheiden,
zu Cervicalrippen werden und mit ihren Wirbeln das Gebiet der
Halswirbelsiule vergréfern; bei rostralwirts gerichteter (regres-
siver) Wanderung kommt es umgekehrt zur Ausbildung vorderer
Sternalrippen aus bisherigen Cervicalrippen und zu einer ent-
sprechenden Verkiirzung der Halswirbelsdaule.
Wahrend die Zahl der die Wirbelsiule und ihre einzelnen
Abschnitte zusammensetzenden Wirbel bei den Wirbeltieren und
im speciellen bei den Reptilien einem so grofen Wechsel unter-
worfen ist”), da’ sie als differential-diagnostisches Moment fir
1) Das Verdienst, diese Frage zuerst auf die rechte Bahn ge-
lenkt und fiir die hintere Extremitit der Primaten eine Verschiebung
langs der Wirbelsiiule nachgewiesen zu haben, gebihrt EK. Rosrn-
BERG.
2) Selbst innerhalb desselben Genus kann es zu ganz erheb-
lichen Differenzen kommen: so hat nach Simpenrock (1895) Lygo-
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 543
erdBere Abteilungen keinen Wert hat, macht davon gerade der
erste Abschnitt der Wirbelsiule, die cervicale, d. h. die vor
dem die 1. Sternalrippe tragenden Dorsalwirbel befindliche Region’),
eine Ausnahme: hier finden sich im grofen und ganzen wesentlich
konstantere Verhaltnisse, und damit erheben sich die bei dieser
oder jener Abteilung auch zu beobachtenden ausgiebigeren Vari-
ierungen zu groéferer systematischer Bedeutung?).
Als Ausgangspunkt fiir die Reptilien dient die aus 8 Wirbeln
zusammengesetzte Halswirbelsaule®*); der 9. Wirbel tragt die
erste Sternalrippe. Bei der tiberwiegenden Mehrzahl der lebenden
kionokranen Lacertilier bleibt diese Zahl gewahrt; desgleichen
findet sie sich bei Sphenodon und wahrscheinlich den meisten,
wenn nicht allen Rhynchocephaliern*) und Acrosauriern, ferner
den Cheloniern, den primitiveren Theromorphen (Pareiasauria) und
Patagiosauriern *®). Ob sie bei allen diesen primitive Verhaltnisse
darbietet, ist zur Zeit nicht sicher zu sagen.
Diese Zahl verkleinert sich durch regressive oder vergroéfert
soma 68—81, Chalcides 76—116 Wirbel. Noch gréfer werden
die Differenzen innerhalb der Anguidae, wo Ophisaurus 2—3mal
mehr Wirbel aufweist als Gerrhonotus.
1) In der allgemein iiblichen Weise ziahle ich hier nur die gut
entwickelten freien Wirbel und sehe von den in die Schiidelregion
aufgenommenen, occipitalen Wirbeln ab.
2) Auch das durch den Beckengiirtel herangeziichtete Sacrum
bietet im ganzen bei den Reptilien minder variable Wirbelzahlen
dar; seine metamere Lage ist aber einem grofen Wechsel uterworfen.
3) Wie lang die MHalswirbelsiule der amphibischen Vor-
fahren der Reptilien war, ist zur Zeit nicht anzugeben. Die
Bildung der Plexus brachiales der Urodelen und anuren Amphibien
kann hierbei nicht zur Bestimmung der einstmaligen Lage heran-
gezogen werden, weil bei diesen regressive, rostralwirts gerichtete
Wanderungen von verschiedener Ausgiebigkeit im Verein mit
sekundérer Riickbildung und Lésung des Sternum aus seinen
urspriinglichen Rippenverbinden vorliegen.
4) Bei den fossilen Formen mit nicht erhaltenen Sterna und
Sternocostalia ist die direkte Bestimmung der Zahl] der Halswirbel
nicht méglich; dann wahlt man zur Determination des 1. Dorsal-
wirbels die dorsolaterale Lage seiner Artikulation mit der Rippe,
wobei jedoch Irrtiimer in der Ziahlung nicht ausgeschlossen sind.
— Bei Palaeohatteria, die in dieser Hinsicht besonders interessiert,
fehlen sichere Angaben iiber die Halswirbelzahlen gerade so wie
bei den Ichthyosauriern.
5) Den Patagiosauriern werden meist 7 MHalswirbel zuge-
sprochen, doch nur bei Ornithostoma ist meines Wissens bisher die
direkte Bestimmung der 1. Sternalrippe méglich gewesen (WILLI-
544 Max Fiirbringer,
sich durch progressive Wanderung der vorderen Extremitat. Beides
findet sich bei den Lacertiliern, und daraus erhellt aufs neue die
hohe Bedeutung dieser primitiven Gruppe.
Die regressive, rostralwarts gehende Wanderung
fihrt zu der aus nur 5 Wirbeln bestehenden Halswirbelsiule der
Chamaeleontia‘). Entsprechende Wanderungen bietet auch der
verkiimmernde Brustschulterapparat, namentlich nach seiner Ab-
lésung von den Rippen dar’); in diesen Fallen ist der Nachweis
der Verschiebung durch das feinere Reagens der metamerischen
Umbildungen des Plexus brachialis oder seines Rudimentes zu
geben, die auch schon bei noch festgehaltener Achtzahl der Hals-
wirbel eine rostralwirts gerichtete Tendenz zeigen koénnen (siehe
p. 369, sowie die weiteren Ausfiihrungen unten sub B Nerven etc.).
Fir den Ausgang der Lage der vorderen Extremitit bei den
Amphisbaenia ist die Untersuchung der betreffenden Teile bei
Chirotes unerlafSlich. Auch bei den Mosasauria'), sowie bei ge-
wissen héheren Theromorphen (Cynodontia) scheint eine rostral-
warts gehende Wanderung vorzukommen (bei Cynognathus werden
6 Halswirbel angegeben) *).
ston); dieselbe gehért aber, wie ich wenigstens den Angaben dieses
Autors entnehme, dem 9. Wirbel an (s. p. 359 Anm. 3).
1) Es kann auch daran gedacht werden, da’ die gemeinsamen
Vorfahren der kionokranen Lacertilier und Chamaeleontier dereinst
mehr als 5 und weniger als 8 Halswirbel darboten und daf von da
aus durch progressieve Wanderung die Achtzahl der lebenden
Kionokranier, durch retrograde Wanderung die Fiinfzahl der lebenden
Chamaeleontier erreicht wurde (vergl. auch p. 373). Ich halte in-
dessen einen Ausgang der Chamaeleontier von der Achtzahl fiir
das Wahrscheinlichere. — Aehnliches gilt fiir die Mosasaurier, deren
7 Cervicalwirbel als urspriinglich oder als von 8 Halswirbeln ab-
geleitet gelten konnen.
2) Siehe Anm. 3 auf p. 543.
3) Auch ist die Méglichkeit wenigstens zur Zeit nicht ausge-
schlossen, da bei den Vorfahren der Chelonier und der Patagio-
saurier einstmals eine lingere Halswirbelsiiule vorlag, die sich durch
retrograde Wanderung der vorderen Extremitit auf die Achtzahl
ihrer Wirbel verkiirzte. Beziiglich der Chelonier sei angefiihrt,
dai W. K. Parker (Development of the Green Turtle. Rep. Sc.
Res. Voyage of Challenger, Zoology I, London 1880, p. 3f., Pl. T)
bei 61/,—9 lines (133/,—19 mm) langen Embryonen von Chelone
viridis 15 cervicale Myotome beobachtete (wihrend das erwachsene
Tier und die alteren Embryonen 8 Cervicalwirbel darbieten) und
daraufhin mit Baur (1887) den Schluf zieht, dai eine sekundire
Verkiirzung der einst langeren Halswirbelsiule der sauropterygier-
artigen Vorfahren der Chelonier um ca. 7 Wirbel stattgefunden
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 545
Eine viel gréfere Verbreitung besitzt die progressive
caudalwarts gerichtete Wanderung der vorderen Extremitit.
Sie fiihrt unter den Lacertiliern bei den Varanidae zu 9'), bei den
Mosasauria eventuell zu 9—10?), bei den Dolichosauria zu 9—17
Halswirbeln (Aigialosauridae mit 9—10, Dolichosauridae mit15—17
Cervicalwirbeln). Offenbar haben die neuen Anpassungen an das
Wasserleben und die verinderten Aufgaben der Extremitaten eine
Gleichgewichtsstérung in den bisherigen Verhaltnissen zuwege
gebracht. Aber auch hier darf keine einseitige Betrachtung
der Dinge Platz greifen; die mehr an das Wasser angepassten
Mosasaurier haben eine kiirzere Halswirbelsiule als die Dolicho-
saurier, deren Extremitaten von der terrestren Ausgangsform sich
weniger weit entfernten*). — Eine andere, zu noch gréferer Linge
der Halswirbelsiiule sich steigernde Reihe zeigen die Mesosaurier
und Sauropterygier, bei denen gleichfalls die Anpassung an das
Wasserleben koincidiert: die Mesosauria haben 11, die Nothosauria
16—21, die Plesiosauria 20—72 Cervicalwirbel (Pliosauridae mit
20, Plesiosauridae mit 28—40, Elasmosauridae mit 35—72 Hals-
wirbeln). — Eine miakige Verschiebung nach hinten bieten noch
die ee mit 9 und die Dinosaurier mit wohl meistens
Hace Mir scheint indessen Parxur’s Beobachtung nicht eindeutig
genug zu sein, um damit eine Verkiirzung der Halswirbelsiule
dusch Ausfall (Expolation oder Exkalation) cervikaler Wirbel oder
durch kranialwirts vorschreitende Verschiebung der vorderen Ex-
tremitit zu beweisen; die Aufnahme einer Anzahl erster Cervical-
wirbel in das Cranium ist nicht ausgeschlossen. Jedenfalls sind
erneute Untersuchungen nétig, um den Fund und seine Deutung zu
sichern. An eine Verkiirzung der Halswirbelsiule bei den Pata-
giosauriern kann deshalb gedacht werden, weil dieselben ver-
mutlich von primitiven dinosaurierartigen Vorfahren ausgegangen
sind, die bekannten Dinosaurier aber 10—11 Cervicalwirbel be-
sitzen. Doch ist ebenso gut méglich, daf der primitive Ahne der
Patagiosaurier noch nicht so viel Halswirbel hatte wie die spiteren
Wineasurier und daf die Patagiosaurier die kiirzere Halswirbelsiule
wahrten, die Dinosaurier sie verlangerten.
1) v. JHprinG giebt auch fiir Agama stellio 9 Halswirbel an,
wahrend Simsenrock bei dieser Art wie Wei den anderen Agamidae
nur 8 Cervicalwirbel findet. In dem v. Jumrina’schen Falle handelt
es sich vermutlch um eine vereinzelte individuelle Variation.
2) Die Akten iiber die Halswirbelzahlen der passe ues (7
nach Dotio, Wiiiisron und Osporn, 9 ) diirften
noch nicht geschlossen sein. Bei 7 Halewstbaln ist eine eee
Wanderung “oder ein urspriingliches Verhalten anzunehmen.
3) Auch sei an die brachytrachelen Ichthyosaurier und Ceta-
ceen erinnert.
546 Max Firbringer,
10—11 Halswirbeln dar. — Bei den Vogeln, bei denen die Um-
wandelung der vorderen Extremititen in Fliigel koincidiert, hat
die Halswirbelsiule eine Zusammensetzung aus 10—25 Wirbeln ‘).
c) Metasternale Rippenknorpel.
Schlie{lich sei in Kiirze der ventralen Teile der auf das
Sternum folgenden metasternalen (abdominalen) Rippen
gedacht.
Bei dem rhynchocephalen Sphenodon verbinden sich die-
selben in der Zahl von 11 mit den durch unpaare Zahlen bezeich-
neten Metameren des Parasternum (d. h. mit dem 1., 3,5... .,
21. parasternalen Metamer) und zwar durch Band mit dem late-
ralen Bereiche dieser Querspangen (p. 281). Bei den meisten
fossilen Rhynchocephaliern wiegen die von dem Parasternum ge-
lieferten Verbindungsstiicke vor (p. 288 f.).
Bei den Lacertiliern, wo parasternale Gebilde fehlen,
enden die ventralen Knorpelendeu der abdominalen Rippen ent-
weder frei, oder sie treten in ligamentésen antimeren Verband, oder
sie vereinigen sich in geringerer oder gréferer Zahl synchon-
drotisch in der ventralen Mittellinie mit denen der Gegenseite
(gewisse Geckonidae, Uroplatidae, einige Scincidae, Anelytropidae,
eewisse Iguanidae, Chamaeleontidae), wobei mancherlei Wechsel in der
Zahl und Anordnung dieser Verbindungen existiert (p. 249, 250, 268).
Abgesehen von den schlangenartigen Scincidae und Anelytropidae
ist dieses System abdominaler Knorpelstangen besonders eindrucks-
voll bei Uroplates und den Chamaeleontidae und zeigt hier auch
im Quale grofe, fiir einen niheren genealogischen Zusammenhang
sprechende Uebereinstimmungen.
Bei den Crocodiliern enden die Knorpel der metasternalen
Rippen frei und stehea mit dem hier verbundenen, aber in De-
generation begriffenen Parasternum in keinem Zusammenhange.
Ueber die Beschaffenheit der metasternalen Rippen bei den
fossilen Reptilien fehlt wegen der knorpeligen Textur derselben,
die eine Erhaltung nicht gestattete, jede genauere Kenntnis.
1) Bei den Végeln stehen gleichfalls die Flugfahigkeit und
Halslinge durchaus nicht in einem direkten Verhialtnis zu einander.
Gute und schlechte Flieger mit kurzen und langen Halsen wechseln
in bunter Reihe miteinander ab. Aber auch hier kann erkannt
werden, daf die Anpassung an den Flug mit ausgiebigeren meta-
merischen Verschiebungen der vorderen Extremitat sich verband.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 547
3. Sekundarer Brustschulterapparat
(Clavicularia, Episternum, Parasternum).
Siimtliche hier zusammengefaSten Skelettteile sind dermaler
Abkunft und bilden Deckknochen, von denen die paarigen Clavi-
cularia den sekundiren Schultergiirtel, das unpaare Episternum
das sekundire Brustbein und das Parasternum einen Komplex
zahlreicher metasternaler Deckknochengebilde in der hinteren
Brustregion und in der Bauchgegend reprasentieren ').
A. Sekundiarer Schultergiirtel (Cleithrum, Clavicula).
Durch GEGENBAUR wissen wir, da der sekundire Schulter-
giirtel bei den Fischen (Ganoiden) mit einer ganzen Kette paariger
Clavicularia beginnt, deren dorsale Elemente (Supraclavicularia,
Supracleithralia) zugleich dem Verbande des Schultergiirtels mit
dem Schidel dienen (Ganoiden, Crossopterygier, Teleostier, Dipnoer)
und in Zahl und speciellerem Verhalten mannigfachen Wechsel
darbieten. Diese Zahl hat sich bei den Stegocephalen?) infolge
von Riickbildung der Supracleithralia vermindert, womit zugleich
eine Lockerung resp. Lésung des erwahnten Verbandes mit dem
Schadel eintrat; es existieren hier nur noch zwei Paare von Clavi-
cularia, ein laterales, das GrGENBAUR Cleithrum benannte, und
ein ventrales, von den Paliontologen meist als seitliche Kehl-
brustplatte bezeichnetes, GrEGENBAUR’S Clavicula. Hinter, zum
Teil auch zwischen den beiden Claviculae findet sich noch die un-
paare mittlere Kehlbrustplatte, kein neuer Erwerb der Stego-
cephalen — denn mit ihr vergleichbare Gebilde finden sich schon
1) Grofe Verdienste um die Kenntnis der primiren Zustiinde
dieser Gebilde bei Stegocephalen und Rhynchocephaliern besitzt
H. Crepner (Die Stegocephalen und Saurier aus dem Rotliegenden des
Plauenschen Grundes bei Dresden, I—X, Zeitschr. d. Deutsch.
Geolog. Gesellsch. 1881—1893).
2) Wenn ich hier, wie auch vorher und in der Folge, die
Stegocephalen zum Vergleiche herbeiziehe, so denke ich damit nicht
daran, sie etwa als die direkten Vorfahren der Reptilien aufzufassen.
Sie stehen aber den Vorfahren derselben vermége ihrer niedrigeren
Organisation graduell ziemlich nahe und gewihren damit ein primi-
tives paralleles Stadium, dessen Kenntnis viel zur Aufklirung der
Verhiltnisse der Reptilien beitriigt. Dabei ist es wahrscheinlich,
daf in dem, was man Stegocephalen nennt, namentlich in den
karbonischen Microsauriern auch ein Teil sehr primitiver, aber noch
ungentigend erkannter Reptilien steckt (siehe unten sub D),.
548 Max Firbringer,
bei Fischen —, aber hier zum ersten Male zu héherer Bedeutung
fiir den Brustschulterapparat gestaltet, das Episternum.
Von den beiden Clavicularia der Stegocephalen tritt das bei
den Fischen noch ansehnlich entwickelte Cleithrum an Gréf%e und
Bedeutung mehr und mehr zuriick, so daf die Clavicula, ohne sich
absolut irgendwie zu vergréfern, von nun an das Hauptelement
des sekundiiren Schultergiirtels bildet.
a) Cleithrum.
Bei den Reptilien ist diese Riickbildung des Cleithrum noch
weiter gegangen und hat in der tiberwiegenden Mehrzahl der
Falle zum volligen Schwunde desselben gefiihrt. Doch steht die
Frage offen, ob nicht nach Baur’s Deutung bei gewissen primitiven
Theromorphen (Pareiasaurus) in Seevtey’s Epiclavicle or
Mesoscapula ein umgewandeltes Rudiment des gleichen Skelet-
elementes vorliegt (p. 345).
b) Clavicula.
Die Clavicula ist mehr oder minder intakt von den Vorfahren
iibernommen, zeigt aber innerhalb der Reptilien einen Ent-
wickelungsgang, der in der Hauptsache auch als ein regressiver
anzusprechen ist; bei der Mehrzahl der héheren Formen ist sie
in zunehmendem Mage in Riickbildung und schlieflich totalen
Schwund getreten.
Die urspriingliche Form der Clavicula, wie sie uns von den
Stegocephalen iiberliefert worden ist, reprisentiert einen langlichen,
winkelig gebogenen Skelettteil, der medial mehr oder minder ver-
breitert sich dem Episternum auflagert resp. mit der Clavicula
der Gegenseite in Verbindung tritt, lateral dagegen schmaler aus-
lauft und hier wahrscheinlich dem noch knorpeligen Vorderrande
der Scapula verbunden war.
Dieser Gegensatz von medialer Breite und lateraler Schmal-
heit besteht noch bei den auf Grund ihres Sacrum als primi-
tive Reptilien anzusprechenden Hylonomus und Petrobates
(p. 296), er findet sich aber unter allen anderen Reptilien nur
noch bei gewissen Familien der Lacertilier und bei den protero-
sauren Rhynchocephaliern gewahrt, die damit aufs neue ihre primi-
tive Stellung bekunden.
Von den kionokranen Lacertiliern (p. 241f.) zeigen 1) die
Geckonidae, Eublepharidae, Scincidae, Gerrhosauridae, Lacertidae,
Tejidae und Xantusiidae, also die tief und mittelhoch stehenden
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 549
Familien derselben, dazu noch einige aberrante Gattungen héherer
Familien (vergl. p. 242) diese breite Gestaltung des medialen
Teiles der Clavicula, der hier allerdings durch das Auftreten eines
Fensters (das aber namentlich bei den tiefer stehenden Scincidae
nicht selten unterdriickt oder wieder ausgefiillt ist) eine gracilere
und leichtere Ausbildung erfuhr. 2) Bei den anderen kionokranen
Lacertiliern (z. B. einzelnen Vertretern der Geckonidae, Scincidae,
Zonuridae, Anguidae, Iguanidae und Agamidae) hat sich der
mediale Abschnitt verschmilert, wobei er aber immer noch den
lateralen an Breite iibertrifit. Endlich 5) bei der Mehrzahl der
Zonuridae, Anguidae, Iguanidae und Agamidae, sowie den Uro-
platidae, Pygopodidae, Xenosauridae, Helodermatidae und Vara-
nidae, also vorwiegend Vertretern der héheren Lacertilier, denen
noch vereinzelte aberrante Formen tiefer stehender Abteilungen
eingereiht werden kénnen, ist die Clavicula durch noch weiter
gegangene Reduktion der medialen Breitendimension ein schlanker,
medial und lateral etwa gleich starker Knochenstab geworden.
Diese Verhaitnisse sind so typisch, da sie schon seit langem zu
systematischen Zwecken verwendet werden. Zugleich bildet die
Clavicula einen in querer Richtung lang ausgestreckten Skeletteil,
der von der ventralen Mittellinie meistens bis in das Gebiet des
Suprascapulare, dem von diesem gebildeten Acromion sich ver-
bindend (p. 529), reicht, wobei er einen dem lateralen Rumpfcontur
entsprechenden Winkel bildet. Die fossilen Dolichosaurier und
wahrscheinlich auch die Mosasaurier besafen eine schlanke Clavi-
cula nach Art der Varanidae; die der Mosasaurier, wohl in
weit mehr vorgeschrittener Verkiimmerung befindlich, ist nicht
sicher bekannt. Weiterhin fiihrt dieser regressive Prozefi zur
ganzlichen Riickbildung der Clavicula, wie sie bei den Am phis-
baenia (p. 260f.) und Chamaeleontia (p. 266) in Er-
scheinung tritt. Auch die allgemeine Verkiimmerung des Schulter-
giirtels fiihrt schlieSlich bei den im typischen Zustande eine gut
entwickelte Clavicula besitzenden Familien unter successiver Lésung
des Verbandes mit dem Episternum zum totalen Schwunde der
Clavicula, der in der Reduktion des primaren Schultergiirtels
vorauseilt oder wenigstens gleichzeitig mit ihm stattfindet (gewisse
Scincidae, Anelytropidae'), Dibamidae, Anniellidae und Amphis-
baenidae). Bemerkenswert ist die tiefgehende Differenz,- die
1) So bei Typhlosaurus. Feylinia, wenn von Corr recht beob-
achtet, bildet eine Ausnahme, indem hier die Clavicula bei ver-
schwundenem Scapulocoracoid noch persistiert (p. 232, Anm. 2,
p. 240, Anm, 2).
550 : Max Fiirbringer,
Ophiognomon vermiforme (Tejidae) in dieser Hinsicht von Chirotes
canaliculatus (Amphisbaenia) scheidet: bei ersterem persistieren
Clavicula und Episternum wie bei den kionokranen Lacertiliern in
noch guter Ausbildung, obwohl die freie vordere Extremitit zu
einem Rudimente von Humerus und Vorderarmknochen zuriick-
gebildet ist, wahrend der akionokrane Chirotes, der noch 4 Finger
aufweist, keine Spur von Clavicula und Episternum besitzt. —
Ganz abgesehen von den mit der allgemeinen Riickbildung des
srustschulterapparates zusammenhiingenden Reduktionen, zeigen
somit auch die mit gut entwickelten Extremitaéten versehenen
Lacertilier eine ungemeine Mannigfaltigkeit von den
primitivsten Stadien bis zu hoher Differenzie-
rung, von der vollkommensten Ausbildung der Cla-
vicula bis zu ihrer vélligen Rickbildung, welche
letztere aber keineswegs einen niederen Stand-
punkt bekundet. Keine andere Reptilienordnung
kann sich auch hierin an Reichtum und Bedeutung
mit ihnen messen.
Die Rhynchocephalier (p. 278f., 287f, 290 f., 292), ob-
wohl auch hinsichtlich des sekundéren Schultergiirtels zu den
primitiveren Formen zu rechnen, stehen — abgesehen von der
primordialen Palaeohatteria — im ganzen doch etwas hoher als
die niedrigeren Vertreter der Lacertilier. Palaeohatteria besitzt
eine im medialen Bereiche ziemlich ausgedehnt verbreiterte Cla-
vicula; Proterosaurus zeigt nur das mediale Ende verbreitert und
schlieft sich damit dem zweiten Stadium der kionokranen Lacer-
tilier (p. 549) an; bei Champsosaurus, den Rhynchocephalia vera
(inkl. Sphenodon) und den Acrosauria hat sie sich medial zu-
sehends verschmalert und kommt damit in die gleiche Reihe wie
das dritte Stadium der kionokranen Lacertilier (p. 549). Zugleich
bietet Sphenodon eine relativ verkiirzte Clavicula dar, welche die
Mittellinie und die Clavicula der Gegenseite nicht mehr erreicht
und lateral nur bis zur Mitte der knéchernen Scapula sich er-
streckt. Auch darin spricht sich eine reduktive Verkiirzung aus,
die bei den Acrosauriern noch weiter vorgeschritten ist.
Die Ichthyopterygier (p. 310) schlieBen sich in der
schlanken Gestaltung der Clavicula graduell den héheren kiono-
kranen Lacertilia und den Rhynchocephalia vera an; ihre Clavi-
cula ist aber langer als bei letzteren, indem sie wie bei den
Lacertiliern von der Mittellinie (wo sie sich mit der Clavicula der
Gegenseite verbindet) dorsolateralwirts in ziemlich grofer Aus-
dehnung lings des scapularen Vorderrandes sich erstreckt. Repriisen-
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 5
tieren somit die Ichthyosaurier in diesem Stiicke ein etwas primi-
tiveres Stadium als die Rhynchocephalia s. str., so zeigt dagegen
ihr Episternum eine erheblich weiter fortgeschrittene Reduktion
(s. unten p. 556).
Bei den uns bekannten Cheloniern (p. 318) liegt eine ganz
einseitig entwickelte und in ihrer Eigenart weit vorgeschrittene
Bildung vor. Die Clavicula steht ganz oder fast ganz auSer Ver-
band mit dem primiiren Schultergiirtel und findet sich als kleines
und verschieden gestaltetes Element (Epiplastron), hierbei zugleich
die tiblichen Lagebeziehungen zur Clavicula der Gegenseite und
zum Episternum (Entoplastron) wahrend, in dem Bauchschilde.
Ob diese eigenartige Differenzierung von einem einstmaligen Sta-
dium ausging, wo direktere, wenn gleich wenig innige Beziehungen
zu dem primiren Schultergitirtel bestanden, oder ob sie sich aus-
bildete, bevor die dermalen Platten noch in Kontakt mit den pri-
miiren Elementen des Brustschulterapparates getreten waren, ist
mit dem jetzt vorliegenden osteologischen Materiale nicht zu ent-
scheiden; die Vergleichung mit entsprechenden Formen und unter
Heranziehung der myologischen Verhaltnisse (s. unten sub Muskeln
der Schulter und des proximalen Armbereiches, 4. Chelonier) der
lebenden Formen giebt an die Hand, die ersterwahnte Modalitat
fiir die weitaus wahrscheinlichere zu halten.
Kaum weniger eigenartig verhalten sich die Sauropterygier.
Hier ist der Entwickelungsgang zum Teil noch zu _ verfolgen.
Die Nothosaurier (p. 324 f.) zeigen eine kraftig entwickelte Clavi-
cula, die sich medial mit der der Gegenseite und mit einem er-
heblich reduzierten Episternum, lateral mit dem vorderen ven-
tralen Ende der Scapula verbindet; wie es hinsichtlich eines
eventuellen Verbandes mit dem postulierten knorpeligen Procora-
coid stand, ist nicht anzugeben. Bei den Plesiosauriern (p. 330 f.) ist
die Clavicula in erheblicherem Grade in Riickbildung und zugleich in
eine eigenartige — von den Cheloniern ganzlich verschiedene —
Umbildung getreten, welche sie als vorwiegend inneres Deck-
knochenstiick an die Visceralfliche des Procoracoides fiihrte.
Zeigt, wie oben (p. 535) ausgefiihrt, der primaire Schultergiirtel
der Plesiosaurier mit dem der Chelonier wesentliche Ueberein-
stimmungen, so tritt der sekundire bei beiden Ordnungen in
diametralen Gegensatz, wobei indessen die beiden divergenten Ent-
wickelungsbahnen in der rinnenfoérmigen Umschliefung des Pro-
coracoides durch die Clavicula, wie sie z. B. von den Anuren noch
heutzutage dargeboten wird, eine einigermafen autklarende Parallele
Bd, XXXIV. N. F. XXVIL 36
552 Max Firbringer,
finden (p. 331). Hierbei liegt es mir selbstverstindlich fern, die
Anuren genealogisch zwischen die Ahnen der Chelonier und Plesio-
saurier zu stellen.
Die Clavicula der Mesosaurier (p. 337), die gerade fiir
die Genese und die friiheren Entwickelungsstufen der Clavicula
der Sauropterygier manche Aufklirungen darbieten diirfte, ist
nicht geniigend bekannt, um darauf weiter zu bauen.
Die Theromorphen (p. 344f.) bieten minder abweichende
Entwickelungsbahnen ihres sekundiren Schultergiirtels dar. An-
kniipfungen an die entsprechenden Verhiltnisse bei den Lacer-
tiliern, Rhynchocephaliern und Ichthyosauriern ergeben sich ohne
grofe Schwierigkeit. Bei den primitiveren Formen (Pareiasauria)
bildet er einen langen und kraftigen Knochen, der medial bis zur
Mittellinie ausgedehnt mit dem Episternum, latero-dorsal in nicht
minderer Ausdehnung mit dem Vorderrand der Scapula verbunden
ist und hier auch dorsal an das bereits erwihnte, vielleicht als
Cleithrum zu deutende Skelettstiick (Fig. 106 auf p. 341) angrenzt.
Bei den héheren Abteilungen (Dicynodontia) ist der mediale Teil ver-
kiirzt und nur noch mit dem lateralen Bereiche des Episternum in
Verband, wihrend der latero-dorsale, falls die Funde allenthalben
sicher erkannt sind, entweder noch in bedeutender Linge (Keiro-
egnathus) oder in erheblicher Verkiirzung (Gordonia) der Scapula
anliegt. Die Clavicula kann hierbei an beiden Enden oder nur
an einem Ende verschmiilert sein; es ist nicht unwahrscheinlich,
da das episternale hier das schmalere Ende vorstellt. Alle diese
Befunde reden einer an die oben angegebenen Ordnungen an-
schlieBenden, aber doch in besonderer Weise weiter gegangenen
Entwickelung das Wort.
Bei den Crocodiliern ist die Clavicula erheblich in Riick-
bildung getreten, und darin bekundet sich eine hédhere Ent-
wickelungsstufe dieser Ordnung. Bei den Parasuchia (Phyto-
sauria) und Pseudosuchia (Aétosaurus) (p. 303, 305) bestand noch
eine kleine reduzierte Clavicula, bei den Eusuchia (Crocodilia
vera) ist dieselbe giinzlich geschwunden (p. 299, 306).
Das Gleiche scheint bei den noch hoéher stehenden Dino-
Sauriern (p. 352) und Patagiosauriern (p. 357) eingetreten
zu sein; bei beiden Ordnungen wurde bisher keine Clavicula ge-
funden, doch ist die Méglichkeit der Existenz einer sehr zuriick-
gebildeten Clavicula bei gewissen Dinosauriern nicht von der Hand zu
weisen; eine Art Acromion wurde bei einzelnen beobachtet (p. 350).
Bei den Végeln endlich hat die Clavicula, im scharfen
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 553
Gegensatze zu den Dinosauriern und Patagiosauriern, unter der
besonderen Heranziichtung durch die Flugmuskulatur vermehrtes
Volumen und erhéhte Bedeutung gewonnen. Den Ausgang dafiir
miissen urspriingliche Formen gebildet haben, deren claviculare
Gebilde nach Art der héheren kionokranen Lacertilier in mittlerem
Grade entwickelt waren. Eine Ableitung von Crocodiliern, Dino-
sauriern oder Patagiosauriern ist auch durch das Verhalten der
Clavicula ausgeschlossen; der Mangel derselben bei gewissen Végeln
(viele Ratiten, einige Carinaten) wurde erst sekundir innerhalb
dieser Ordnung erworben, und es darf mit guten Griinden an-
genommen werden, daf simtliche der Clavicula entbehrende
Végel von solchen mit Clavicula abstammen.
B. Sekundares Brustbein (Kpisternum).
Ein dem Episternum homologes Gebilde ist bekanntlich in
der Gestalt der mittleren Kehlbrustplatte bereits bei Ganoiden
und Crossopterygiern vorhanden, bei den Stegocephalen!) aber in
héherem Grade entfaltet. Die dort vorkommenden Gebilde treten
in Gestalt mehr oder minder ansehnlicher unpaarer rhombischer
oder ahnlich gestalteter Platten auf, die sich haufig in einen
schmiileren stabférmigen nach hinten gerichteten Fortsatz ver-
lingern (Melanerpeton, Urocordylus, Discosaurus, Stereorhachis
u.a.). Thr breiter vorderer Teil schlieft sich der rechten und linken
Clavicula direkt an und kann sich auch teilweise zwischen beide
lagern; der hintere Teil (Fortsatz), der sich caudalwirts bis ins
Niveau der Coracoide oder selbst hinter dieselben erstrecken kann,
diirfte einem knorpeligen costalen Sternum zum Teil als Deck-
knochen aufgelegen haben, zu einem wesentlichen Teile dessen
Ausbildung bedingend (p. 536). Je nachdem die Lage und Be-
ziehung zu den beiden Claviculae oder zu dem Sternum in den
Vordergrund gestellt wurde, ist das vorliegende Gebilde als Inter-
clavicula oder Episternum bezeichnet worden. Ich ziehe den _hi-
storisch alteren und bedeutungsvolleren Namen Episternum vor.
Neben solchen verlingerten oder langgestielten Episterna,
siimtlich Stegocephalen aus dem unteren Rotliegenden angehérend,
finden sich auch kiirzere, mehr auf den interclaviculiiren Bereich
beschrankte, und zwar sowohl bei gleichalterigen Stegocephalen
(z. B. den lepospondylen Branchiosaurus und Pelosaurus) als bei
solchen aus dem Keuper (z. B. den stereospondylen Metopias,
1) Vergl. Anm. 2 auf p. 547.
36 *
554 Max Firbringer,
Mastodonsaurus u. a.). Diese letzteren Formen aus der oberen
Trias halte ich ftir Reduktionsprodukte'); bei den kurzen Epi-
sterna aus dem unteren Perm und aus dem Carbon wird es noch
eingehender Untersuchungen bediirfen, um zu entscheiden, wie
viele hierbei primitivere, d. h. caudalwarts noch nicht verlingerte,
wie viele reduktive, d. h. sekundiir verkiirzte Gebilde vorstellen.
Bei den Altesten bisher bekannten Reptilien, Palaeo-
hatteria (p. 287 und 296), Hylonomus (p. 296) und Petro-
bates (p. 296) aus dem unteren Rothliegenden, besitzt das sehr an-
sehnliche, vorn rhombisch verbreiterte und hinten in einen langen
stabférmigen Fortsatz auslaufende Episternum im wesentlichen die
gleiche Gestalt wie die langeren Formen desselben bei den Stego-
cephalen. Bei Palaeohatteria ist die vordere rhombische Platte
ungefahr so lang wie breit, bei Hylonomus und Petrobates iiber-
wiegt die Breitendimension derselben. Alle drei sind Rhyncho-
cephalier oder primitive Zwischenformen zwischen Rhynchocephaliern
und Lacertiliern. In ihren Episterna liegen in nuce die Formen
aller anderen Episterna der Amnioten; das von Palaeohatteria er-
scheint mir als das am meisten primitive. In der rhombischen
Platte desselben findet sich bereits in den verdickten Partien die
Kreuzform angedeutet; durch weitere Aussparung der diinneren
und hoéhere Differenzierung der dickeren Stellen kann sie sich
zur gracilen Kreuzgestalt umformen, sie, wie die von Hylonomus
und Petrobates, kann aber auch durch weitere Verbreiterung und
Verkiirzung ihres vorderen Endes zur T-Form gelangen.
Damit sind die beiden Hauptformen des Episternum der
kionokranen Lacertilier (p. 250f.) in Erscheinung getreten, die
bekanntlich gleich der Clavicula durch ihre charakteristische Ge-
staltung zum seit langem gebrauchten diagnostischen Differential-
merkmal wurden. Dal dabei die Korrelationen zu dem medialen
Teile der Clavicula, je nachdem derselbe verbreitert oder ver-
schmilert ist, bestimmend auf die Ausbildung der Kreuz- und
T-Form einwirkten, ist augenfillig. Dementsprechend finden wir
auch bei den tiefer und mittelhoch stehenden Familien (Gecko-
nidae, Scincidae, Gerrhosauridae, Lacertidae, Tejidae, Xantusiidae,
Anguidae) die Kreuzform oder eine ihr nahestehende Gestalt tiber-
wiegend, wobei zugleich der vordere Schenkel kiirzer werden und
das Episternum in zunehmendem Male der T-Form sich annihern
1) Noch weiter, bis zum vélligen Schwunde des Episternum,
ist die Reduktion bei den lebenden Amphibien gegangen,
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 5d5
kann (gewisse Geckonidae, Zonuridae, Anguidae, Xantusiidae,
Xenosauridae, einzelne Agamidae); bei den héheren Abteilungen
(iiberwiegende Mehrzahl der Iguanidae und Agamidaec; Varanidae,
Dolichosauria, Mosasauria) zeigt das Episternum die T- oder Anker-
Form, die auch unter den mancherlei speciellen Formverinderungen,
die sich namentlich bei Iguanidae und Agamidae finden, doch er-
kannt werden kann. Der hintere, mit dem Sternum (Prosternum)
verbundene und fiir dessen Grenze besonders bedeutungsvolle
Langsschenkel ist von verschiedener Lange und reicht nicht mehr
bis zum hinteren Ende desselben, worin ich eine bereits beginnende
Riickbildung erblicke; bei einigen und zwar nicht gerade tiefer
stehenden Lacertiliern (z. B. bei gewissen Agamidae und Varanidae)
erstreckt er sich noch in ansehnlicher Ausdehnung lings des Pro-
sternum. Weiterhin kénnen sich die Querschenkel des T betricht-
lich verkiirzen (vereinzelte Iguanidae, Mosasauria) oder ganz ver-
schwinden (Heloderma), woraus die Form eines einfachen Lings-
Stabes resultiert; umgekehrt kann der hintere Liingsschenkel sich
ganz oder fast ganz reduzieren, wodurch das Episternum zum
Querstabe wird (Phrynosoma); bei noch weiterer Riickbildung per-
sistiert ein kleines, dem vorderen Sternalende angefiigtes Knochen-
plittchen (Uroplates); endlich verschwindet es ganz (Chirotidae, Cha-
maeleontidae). Entsprechende Reduktionen, die zur Liingsstabform
(Ophiognomon, Acontias) oder zur Querstabform (gewisse Anguidae)
neigen, im letzten Falle unter Lésung des Verbandes mit der
Clavicula, verbinden sich auch mit der allgemeinen Riickbildung
des Brustschulterapparates ; bei noch weiter fortschreitender Ver-
kiimmerung tritt es giénzlich in Riickbildung bei gleichzeitiger
Persistenz des Sternum und des Schultergiirtels (gewisse Anguidae,
Pygopodidae, Trogonophis und andere Amphisbaenidae) oder bei
vollkommenem Schwunde aller Teile des Brustschulterapparates
(einzelne Scincidae, Anelytropsis, Dibamidae, Anniellidae und meiste
Amphisbaenidae). Auch hier ist der Reichtum mannig-
faltiger Differenzierungen der Lacertilier auSer-
ordentlich; alle anderen Reptilienordnungen kommen ihnen
darin nicht gleich. Speciell sei auch auf die ahnlichen Entwickelungs-
ginge der Uroplatidae und Chamaeleontidae und die recht diver-
genten Wege von Ophiognomon und Chirotes aufmerksam gemacht.
Unter den Rhynchocephaliern (p. 279f.) schlieft sich an
die oben (p. 554) geschilderte Gestalt des Episternum von Palaeo-
hatteria auch Proterosaurus an, bei dem die rhombische Platte
aber schon mehr in die Breite gezogen ist. Das fiihrt zu dem
556 Max Fiirbringer,
T-formigen Episternum von Champsosaurus, den Rhynchocephalia
vera und Acrosauria. Bei Palaeohatteria und Proterosaurus ist
der Lingsschenkel sehr ansehnlich und erstreckte sich vermutlich
in der ganzen Lange des Sternum (Prosternum); bei Sphenodon
dehnt er sich noch tiber die vorderen ?/, desselben aus; bei
Pleurosaurus (Acrosauria) ist er nur noch so lang wie der Quer-
schenkel. Aber bei allen Rhynchocephaliern reprasentiert das
Episternum ein sehr gut entfaltetes Gebilde.
Zeigen die Rhynchocephalier gegentiber den Lacertiliern bereits
eine grofe EKinseitigkeit und Verarmung der episternalen Bildungen,
so ist die Einténigkeit derselben bei den anderen Reptiliern noch
betrachtlicher: die T-form, der Lingsstab, das kleiner gewordene
Rudiment und der vollige Schwund bilden zumeist den engen
Kreis, in welchem sich die meist retrograde Entwickelung des
Episternum bewegt.
Das Episternum der Ichthyopterygier (p. 311) schlieft
sich in seiner T-form dem der Rhynchocephalier an. Es hat aber
hier an Volumen abgenommen, tritt gegen die weit ansehnlicheren
Claviculae mehr zuriick, indem es den medialen Enden derselben
hinten anliegt oder zwischen sie eingeschaltet ist, und hat zugleich
seinen Langsschenkel erheblich verkiirzt, so daf dieser, wenn
hier tiberhaupt noch ein bemerkenswertes Sternum vorhanden war,
héchstens bis zum ersten Anfange desselben gereicht haben kann.
Einen gleichfalls degenerativen Charakter zeigt das Episternum
der Chelonier (p. 319f.). Als Entoplastron ist es in den Bauch-
schild aufgenommen, befindet sich in der tiblichen Lage zwischen
und hinter den Clavikeln (Epiplastra) in demselben und ist zugleich
ligamentés mit dem medialen Ende des Procoracoides yverbunden.
Fir seme verschiedenen rudimentiiren Formen (kurzes T, Lings-
stab, Rhomboid) bildet die T-form den Ausgang; auch kann die
Reduktion bis zum voélligen Schwunde fiihren.
Noch weiter als bei den Cheloniern ist der reduktive Prozef bei
den Sauropterygiern vorgeschritten. Bei den Nothosauriern
(p. 325) reprasentiert das Episternum ein ziemlich kleines, zwischen
die ansehnlichen Claviculae eingeschobenes Mittelstiick, etwas an die
Ichthyosaurier erinnernd; bei den Plesiosauriern (p. 330 und 334) ist
es bald minder bald mehr verkiimmert und entweder zwischen die
schon genugsam riickgebildeten und an der Visceralseite der Pro-
coracoide befindlichen Clavikeln eingeschaltet oder mit ihnen syno-
stotisch verwachsen, so daf die Grenzbestimmung unter Umstanden
schwierig resp. unméglich wird, oder endlich ganz geschwunden.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 557
Das Episternum der Mesosauria (p. 338) ist noch unbe-
kannt; seine Kenntnis wiirde fiir die Bestimmung der systematischen
Stellung dieser Abteilung von besonderem Werte sein.
Abweichend von den Ichthyosauriern, Cheloniern und Sauro-
pterygiern bildet das Episternum der Theromorpha (p. 345)
ein ansehnliches, direkt an das der Lacertilier und Rhyncho-
cephalier anschlieBendes Gebilde. Durchweg von T-Form, zeigt
es bei den primitiveren Theromorphen (Pareiosauria) einen sehr
ausgedehnten hinteren Liingsschenkel und verschieden ausgebildete,
meist auch gut entwickelte Querschenkel; ersterer war vermutlich
ausgiebig mit dem Sternum verbunden, letztere weisen meistens
einen nicht minder ausgiebigen Verband mit den Claviculae auf.
Bei den héheren Theromorphen (Dicynodontia) scheint eine Ver-
kiirzung und teilweise Verbreiterung der Schenkel mit plumperer
Gestaltung des ganzen Episternum Platz gegriffen zu haben, wobei
die Verbindung mit Sternum und Clavicula nicht aufgegeben, aber
in ihrer Ausdehnung vermindert wurde.
Bei den Crocodiliern (p. 300, 303f., 305) begegnen wir
wieder vorwiegend reduktiven Formen des Episternum, die sich aber
ganz von denen der Ichthyosaurier, Chelonier und Sauropterygier
unterscheiden. Das crocodile Episternum ist vermutlich von einer
T-Form mit sehr ausgedehntem Langsschenkel und _ verkiirzten
Querschenkeln ausgegangen, wie sie bei einzelnen lebenden Lacer-
tiliern noch gefunden wird, und hat mit weiterer Riickbildung der
Querschenkel in Korrelation zur Reduktion der mit ihnen ver-
bundenen Claviculae zur Gestalt des Lingsstabes gefiihrt, der mit
seinem hinteren Teile ausgedehnt dem Sternum aufliegt, mit seinem
vorderen frei iiber dasselbe vorragt. Bei den Parasuchia und Pseudo-
suchia lassen gewisse Konfigurationen am vorderen Ende des Epi-
sternum noch auf einen Verband mit rudimentiren Clavikeln
schliefen, bei den Eusuchia sind dieselben mit dem gianzlichen
Schwunde der Claviculae gleichfalls in Riickbildung getreten.
Bei den Dinosauria (p. 353) hat der RiickbildungsprozeB
bei dem Episternum, gerade so wie bei der Clavicula, zum volligen
Schwunde gefiihrt; wenigstens ist bisher noch kein Rudiment eines
solchen mit Sicherheit nachgewiesen worden.
Dasselbe ist der Fall bei den Patagiosauriern (p. 357);
die Spina resp. Cristo-spina derselben hat nichts mit einem Epi-
sternum zu thun, sondern ist eine sternale Bildung.
Auch bei den Végeln ist das Episternum zumeist in voll-
kommene Riickbildung getreten; ob dem interclaviculairen, mit-
558 Max Fiirbringer,
unter selbstindig ossifizierenden Schlufstiicke der Furcula eine
primitive Bedeutung als Rudiment eines Episternum oder ein
sekundirer Charakter als mit der spateren Vergréferung der Fur-
cula neu erworbener accessorischer Knochenkern zukommt, ist erst
noch zu entscheiden.
C. Parasternum.
Parasternale Gebilde sind gleichfalls bei den Stegocephalen
in hoher Ausbildung nachgewiesen'). In primitiver Anordnung
bilden sie schrage, von lateral und hinten nach medial und vorn,
also in ascendenter Richtung verlaufende Schuppenreihen
(parasternale Metameren) von symmetrischer Anordnung, die sich
vorn in der ventralen Mittellinie im Winkel treffen und die ganze
Bauchseite zwischen Schulter- und Beckengiirtel bekleiden, wobei
sie sich dachziegelartig decken. Jede Reihe setzt sich aus einer
eréferen Anzahl nebeneinander gereihter und sich gleichfalls mit
ihren Randern deckender, ziemlich breiter Schuppen, deren Hinter-
rinder oder Mitten meist etwas verdickt sind, zusammen. Ks ist
wahrscheinlich, daf diese Schuppen echte, noch im Gebiete des
Integumentes gelegene Hautschuppen reprasentierten. In héherer
Ausbildung ist bei den Stegocephalen eine Differenzierung ein-
getreten, derart, da die breiten Schuppen vermutlich unter
stirkerer Entwickelung ihrer verdickten Stellen und unter Reduk-
tion ihrer diinneren Partien sich zu kurzen Stabchen umbildeten,
die sich in der alten Schrigstellung in aufeinander folgenden
Stabchenreihen (parasternalen Metameren) zusammenschlossen,
sich aber entsprechend ihrer schlankeren Gestaltung nicht mehr
deckten. Sehr méglich haben sich diese Stibchenreihen zugleich
tiefer, in das subkutane Gebiet, eingesenkt und sind vielleicht
auch zu den oberflachlichen Schichten der ventralen Bauch-
1) Vergl. H. v. Meyrr, Ueber die Reptilien aus der Stein-
kohlenformation Deutschlands, I, Cassel 1857; A. Frirscu, Die
Fauna der Gaskohle und der Kalksteine der Permformation Béh-
mens, J, II, Prag 1883—85, und vor allem H. Crepner, Die
Stegocephalen und Saurier aus dem Rotliegenden des Plauenschen
Grundes bei Dresden, III—X, Zeitschr. d. Deutsch. geol. Gesellsch.,
Berlin 1882—93. — Grarnpaur (Vergleichende Anatomie, I, Leipzig
1898, p. 168 f.) hat in tiefsinniger und geistvoller Weise die Genese
und Erhaltung dieser Gebilde unter Vergleichung mit der Struktur
der Haut der den Stegocephalen verwandten Gymnophionen be-
griindet.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 559
muskulatur in direktere Beziehung getreten'). Die Zahl dieser
parasternalen Metameren iibertraf die der entsprechenden Rumpf-
metameren wohl stets mindestens um das Doppelte.
Hier setzen die primitiven Formen unter den Reptilien ein.
Die als Reptilien angesprochenen microsauren Gattungen
Hylonomus und Petrobates (p. 296f.) bieten entsprechende
Bildungen dar, ersterer in der primitiveren Gestalt von Schuppen-
reihen, letzterer in der héheren Form von aufgereihten spindel-
formigen Staibchen; je zwei dieser parasternalen Metameren kommen
auf 1 Rumpfmetamer. Ob die Schuppenreihen von Hylonomus
sich noch in cutaner oder bereits in subcutaner Lage befinden,
kann nur als Frage aufgeworfen werden ”).
Bei den Rhynchocephaliern (p. 280f.) erreicht dieser,
nun nicht mehr aus in der Haut befindlichen Schuppen, sondern
aus tiefer gelagerten Stabchenreihen oder Stabchen bestehende,
parasternale Apparat die reichste Ausbildung und mannigfaltigste
Gestaltung unter den Reptilien, wobei die héheren und spiteren
Formen eine Vereinfachung desselben darbieten. Bei den Pro-
terosauria (p. 288), vor allen bei Kadaliosaurus (p. 289), ist
die absolute Zahl seiner Metameren sehr ansehnlich (ca. 80. bei
Kadaliosaurus), auf je 1 Rumpfmetamer kommen 3—6_paraster-
nale Metameren (5—6 bei Kadaliosaurus und Hyperodapedon *),
3 bei Palaeohatteria und Proterosaurus), endlich besteht jedes
Metamer aus vielen Gliedern, einem unpaaren Medianstiick und
zahlreichen paarigen Stabchen; lateral sind dieselben durch be-
sondere, sehr feine, gegliederte Knochenfaiden mit den Enden der
zugehérigen Rippen verbunden. Diese reiche Anordnung hat aber
schon mannigfache Riickbildungen erfahren: bei Kadaliosaurus sind
1) Der Gegensatz zwischen Schuppenreihen und Stibchenreihen
erscheint bei dem jetzigen Stande unseres Wissens, wo vermittelnde
Zwischenformen noch nicht sicher bekannt sind, als ein tiefgehender
und diirfte auch fiir die Systematik der Stegocephalen als be-
deutungsvoll sich erweisen.
2) Auch diese Differenz zwischen Hylonomus mit seinem mehr
stegocephalen und Petrobates mit seinem mehr rhynchocephalen
Parasternum erscheint bedeutsam und laft weitere eingehende Unter-
suchungen iiber den Bau und die systematische Stellung beider als
sehr wiinschenswert erscheinen.
3) Baur (Kadaliosaurus 1890), dem ich folge, trennt Hypero-
dapedon (als Vertreter der Hyperodapedontidae) von Rhynchosaurus
(als Vertreter der Rhynchosauridae) ab und rechnet ersteren zu den
Proterosauria, letzteren zu den Rhynchocephalia vera,
560 Max Firbringer,
im hinteren Teile des Parasternum die Medianstiicke ausgefallen
und auch die paarigen Stabchen an Zahl vermindert, bei Protero-
saurus und Champsosaurus scheint der Ausfall der Medianstiicke
im ganzen Bereiche des Parasternum zur Regel geworden zu sein,
Champsosaurus, der letzte, sehr spite Ausliufer der proterosauren
Reihe, zeigt eine noch weitere Verminderung in der Zahl der late-
ralen Stiicke. Bei den Rhynchocephalia vera (p. 280f., 293),
denen sich die Acrosaurier (p. 295) anreihen, besitzt der Apparat
noch eine sehr ansehnliche Ausdehnung; das relative Zahlen-
verhiltnis der parasternalen Metameren zu den Rumpfmetameren
betragt aber in der Regel 2:1 (Sphenodon, Homaeosaurus, Rhyn-
chosaurus, Acrosaurus)') und die Anzahl der Glieder, aus denen
jedes parasternale Metamer besteht, ist nur noch 3, ein ausge-
dehntes, winkelférmiges mittleres unpaares und ein Paar lingere
Seitenstiibe — somit eine erhebliche Verminderung der Zahl der
Glieder, aber gegentiber verschiedenen Proterosauria eine gréSere
Bestindigkeit der unpaaren Stiicke. Auch die Art der Verbindung
mit den Rippen (durch Vermittelung von eigentiimlich gestalteten
Homodynamen der Sternocostalien, die immer je 1 mit dem Rumpf-
skelette nicht verbundenes parasternales Metamer tiberspringen) ist
eine wesentlich andere als diejenige bei den Proterosauria. Sphenodon
lehrt uns, daf hier der parasternale Apparat in die Bauchmuskulatur
eingesenkt ist, indem er den M. rectus abdominis in seinem ober-
flachlichen Teile (M. rectus superficialis MAurEr’s) in lauter quere
resp. schrage Segmente zerlegt und lateral zugleich ausgedehnte
Verbande mit den Mm. obliqui externi abdominis superficialis und
profundus, sowie dem M. pectoralis darbietet; es ist wohl be-
rechtigt, alle diese Verbiinde als sekundare, erst mit dem Tiefer-
riicken des Parasternum ausgebildete zu erkliren. — Der para-
sternale Apparat der Rhynchocephalier la8t bei seiner grofen
Mannigfaltigkeit, die von keiner anderen Reptilienordnung wieder
erreicht wird, und seinen vielen durchgreifenden Differenzen bei
den verschiedenen Vertretern der Rhynchocephalier eine ganze
Reihe von Fragen entstehen, fiir die auch — rein theoretisch —
gréBere oder geringere Wahrscheinlichkeiten angefiihrt werden
kénnen; doch enthalten dieselben keine thatsichlichen Lésungen.
Diese sind nur von neuen gliicklichen Funden, von einer sehr
1) Hyperodapedon wird von Bavr von Rhynchosaurus abge-
trennt und zu den Proterosauria gestellt (vergl. die vorhergehende
Anmerkung).
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 561
sorefaltigen Detailuntersuchung der bereits vorliegenden Original-
objekte, vielleicht auch zum Teil von der Ontogenie von Sphenodon
zu erwarten. Es wird sich hierbei hauptsiachlich um die Fragen
handeln: 1) Welches Zahlenverhiltnis der parasternalen zu den
Rumpf-Metameren (2:1 oder 3:1 oder 5—6: 1) war das urspriing-
liche, und auf welche Weise entwickelten sich die sekundaéren Ver-
haltnisse aus den primitiven')? 2) Ist die Verminderung der Glieder-
zahl der einzelnen parasternalen Metameren bei den Rhyncho-
cephalia vera durch Verschmelzung der kiirzeren Stabchen von
proterosaurier-artigen Vorfahren oder durch Verlangerung gewisser
Glieder derselben unter Schwund der Nachbarglieder erfolgt? 3)
Wie sind die Differenzen in der Verbindung der parasternalen
Metameren mit den Rippen zu erkliren und zu vereinigen ?
Dagegen ist bei den Lacertiliern (p. 255) und Ophi-
diern, wenigstens den zweifellos als solche anzusprechenden
Formen, bisher noch keine sichere Spur eines Parasternum auf-
gefunden worden’). Ist ein solches hier nie zur Entwickelung
eekommen oder bereits in friiher Zeit in Riickbildung getreten ¢
Hylonomus und Petrobates, vielleicht auch die altesten Rhyncho-
cephalier Palaeohatteria und Kadaliosaurus kann man _ eventuell
ebenso gut fiir Vorginger der Lacertilier wie der spateren Rhyn-
chocephalier halten. Ihre Skelettverhiltnisse, namentlich das fiir
diese Frage Wesentlichste derselben, die Knorpelformation des
Schiadels und Kieferapparates, sind nicht geniigend bekannt, und es
bedarf nur der Annahme eines gréferen oder geringeren Ausfalles
von Deckknochen und yon mafigen Umbildungen an den anderen
Skelettteilen, um entweder zu typischen Lacertiliern oder zu
typischen Rhynchocephaliern zu gelangen. Dann aber ist auch an
die dermalen Ossifikationen bei relativ tiefstehenden Lacertiliern
(z. B. Scincidae) zu erinnern, von denen erst noch zu entscheiden
st, ob sie rein sekundare, spat entstandene Gebilde darstellen,
was mir wahrscheinlicher ist, oder ob sie schon mit den friihesten
Zustinden einer Umbildung und dermalen Retention unterworfen
1) Die Annahme einer polyphyletischen Genese der ver-
schiedenen Formen lést die Frage nicht, sondern verschiebt sie nur
in friihere Zeit (stegocephalen-ahnliches Stadium).
2) Bei vereinzelten Lacertiliern werden auch ossifizierte und
zum Teil selbstiindige Abdominalrippen angegeben. Ich méchte die-
selben nicht mit Parasternalia, sondern mit Rippen in Verband
bringen (vergl. auch p. 249, Anm. 2). Jedenfalls sind hier noch
eingehende Untersuchungen sehr erwiinscht,
562 Max Fiirbringer,
wurden, was HArckeL (1895, p. 346) zu vertreten scheint. Nicht
zu vergessen ist hierbei die oberflachliche Lage des M. rectus
lateralis (MAurrER) der Lacertilier, sein Verband mit der Haut
und seine oberflichliche Segmentierung'). Wenn somit den aus-
gebildeten echten Lacertiliern auch ein typisches Parasternum ab-
zusprechen ist, so sind doch Momente vorhanden, um der Existenz
desselben bei ihren friihesten Vorfahren eine gewisse Wahrschein-
lichkeit zu geben”), Eine wirkliche Entscheidung dieser Frage bleibt
den Arbeiten der Zukunft tiberlassen (vergl. auch p. 539).
Die Ichthyopterygia (p. 311) schlieBen sich in der Zu-
_ sammensetzung jedes parasternalen Metamers aus nur 3 Stiicken
den Rhynchocephalia vera an, doch sind die Metameren an Zahl
verringert, indem auf je 1 Rumpfmetamer nur je 1 parasternales
Metamer kommt. Auch hier ist die Verminderung — ob durch
Ausfall der nicht mit den Rippen verbundenen Metameren oder
ob durch Riickbildung der terminalen Strecken des Parasternum
mit metamerischer Verschicbung seiner tiberbleibenden Metameren
herbeigefiihrt — noch thatsiichlich zu begriinden; jedenfalls kenn-
zeichnen sich die Ichthyopterygier durch dieselbe als héher stehende
Formen gegeniiber den Rhynchocephaliern.
Die Chelonier (p. 320f.) bieten den parasternalen Apparat
nach Zahl seiner Metameren hocheradig riickgebildet und nach
Art seiner Zusammensetzung zugleich erheblich umgebildet dar;
der aus ihm hervorgegangene hintere Hauptteil des Plastron baut
sich aus wenigen paarigen Parasternalien auf, die allerdings zu
breiten, durch Sutur miteinander verbundenen Knochenplatten
herangewachsen sind.
1) Maurer (1898, Diskussion zu Osawa p. 105, 106) hebt
auch hervor, daf die beziiglichen Verhiltnisse bei den Lacertiliern
durch Riickbildung der betreffenden Skeletteile von Sphenodon
erklarbar seien.
2) Auch auf die bis zur Ausbildung von wirklichen winkelig
nach vorn (also ganz abnlich wie die parasternalen Metameren)
gerichteten Querspangen vorgeschrittene hohe Entwickelung der
Rippenknorpel verschiedener Lacertilier (p. 249 f., 268) sei auf-
merksam gemacht. Liegen hier auch vom Parasternum morphogenetisch
ganz differente Gebilde vor, so ist ihr Verhalten zur ventralen
Bauchmuskulatur ein analoges oder fahnliches, und der Gedanke,
daf sie eventuell als funktioneller Ersatz fiir in Riickbildung
tretende parasternale Metameren sich successive entwickelten, kann
wenigstens mit der nétigen Vorsicht ausgesprochen werden. Mehr
als eine Frage bedeutet er allerdings zur Zeit nicht.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 563
Umegekehrt zeigen die Sauropterygier (p. 325, 334f.) in
ihrem Parasternum viel zahlreichere Komponenten und erheblich
primitivere Verhaltnisse. Bei den Lariosauridae kommen je 2 para-
sternale Metameren auf 1 Rumpfmetamer, bei den Nothosauridae
und den Plesiosauria ist die Zahl der parasternalen und der
Rumpf-Metameren die gleiche; letztere bekunden damit ihre hohere
Stellung gegentiber den Lariosauridae. An der Zusammensetzung
der einzelnen Metameren fehit niemals das unpaare winkelig ge-
bogene Mittelstiick, wahrend die paarigen Lateralstiicke jederseits
in der Zahl von 2 (Lariosauridae), 1 (Nothosauridae) und 1—3
(Plesiosauria) vorkommen. Auch hierin stehen die Lariosauridae
tiefer als die Nothosauridae, wihrend die mehrfache Gliederung
der im itibrigen hdher stehenden Plesiosauria, ob primitiv oder
sekundir, noch zu erkliren ist.
Ein sehr primitives, an das des Proterosauria erinnerndes
Verhalten bietet das aus sehr zahlreichen Elementen zusammen-
gesetzte Parasternum der Mesosauria (p. 338) dar; jedes Meta-
mer besteht aus vielen kurzen Stibchen, und auf 1 Rumpf-
metamer kommen wie bei Kadaliosaurus und Hyperodapedon
5—6 parasternale Metameren.
Bei den Theromorpha (p. 340) sind parasternale Gebilde
meines Wissens bisher nicht in ausreichender Weise nachgewiesen
worden; doch besteht kein Grund, ihre Existenz véllig abzuleugnen.
Das Parasternum der Crocodilia (p. 300f., 304, 306) be-
findet sich in weit vorgeschrittener Reduktion, auch darin die relativ
hohe Stellung dieser Reptilien bekundend. Wie es scheint, ent-
spricht allenthalben 1 parasternales Metamer 1 Rumpfmetamer,
und an der Zusammensetzung jedes parasternalen Metamers_ be-
teiligen sich bei den Parasuchia gerade so wie bei Sphenodon und
den Ichthyosauria ein unpaares winkeliges Medianstiick und ein
rechter und linker paariger Lateralstab, wihrend bei den Eu-
suchia an Stelle des unpaaren Medianstiickes auch paarige Medial-
stiibe sich finden, so da das parasternale Metamer bei ihnen
jederseits aus 2 miteinander verbundenen Stiiben, die mit den
Rippen keinen direkten Verband mehr aufweisen, besteht. Ob es
sich hierbei um einen Zerfall des unpaaren Mittelstiickes oder um
von Anfang an paarig angelegte Medialstiicke handelt, ist noch
zu entscheiden; erstere Annahme hat manche Wahrscheinlichkeit
fiir sich. Bei den lebenden Crocodiliern sind noch 7—8 paraster-
nale Metameren erhalten.
An die Crocodilier schlieBen sich die Dinosaurier (p. 353)
564 Max Firbringer,
an. Das hier nur bei einigen Theropoden bisher gefundene Para-
sternum ist sehr reduziert und besteht nur aus paarigen Staben,
wobei, wie es scheint, die relative Zahl der parasternalen Meta-
meren derjenigen der Rumpfmetameren entspricht.
Die Patagiosaurier (p. 362 f.) besitzen ein vollkommneres
Parasternum, das aus einem unpaaren Mittelstiicke und einem
rechten und linken daran anschliefenden stabformigen Seitenstiick
besteht, welches letztere aber mit den zugehérigen Rippenenden
gelenkig verbunden ist. Auch hier entsprechen sich parasternale
und Rumpf-Metameren in ihrer relativen Zahl.
Daf auch bei den jurassischen Végeln (Archaeopteryx)
parasternale Bildungen sich finden, sei in Kiirze zugefiigt. Das
hier bekannt gewordene Parasternum besteht aus 12—13 paarig
angeordneten stabférmigen Metameren, die an Zahl den Rumpf-
metameren entsprechen, aber mit den Rippen nicht mehr ver-
bunden sind; es befindet sich somit im Zustande einer sehr weit
vorgeschrittenen Reduktion und weicht ganz erheblich von dem
der Patagiosaurier ab.
4. Humerus.
Der Humerus der Reptilien zeigt, soweit er nicht erheblich
riickgebildet ist, bei allen Vertretern derselben die charakteristischen
Ziige: Er beginnt 1) mit einem verbreiterten proximalen Teile,
der durch einen meist ellipsoidisch geformten Gelenkkopf
(Caput humeri) mit der von Scapula und Coracoid gebildeten
Gelenkhéhle artikuliert und, daran anschliefend, zwei Fortsitze
aufweist, einen breiten und langen, lateral und ventral vor-
springenden Proc. lateralis, welcher vornehmlich den Mm.
pectoralis, supracoracoideus (supracoracoscapularis), dorsalis sca-
pulae und deltoides clavicularis s. inferior als Insertionsstelle dient,
und einen kiirzeren, proximaler gelegenen (somit direkter an
das Caput anschliefenden) Proc. medialis, an dem namentlich
die Mm. subcoracoscapularis und scapulo-humeralis posterior
inserieren. Zwischen beiden Fortsitzen finden sich an der Ventral-
fliche die Konkavitét fiir die Insertion des M. coraco-brachialis
brevis und den Verlauf des M. biceps brachii (Sulcus s. Fossa
bicipitalis), an der Dorsalflaiche die Insertionsstellen des M. sca-
pulo-humeralis anterior und des M. latissimus dorsi (letztere nicht
selten durch eine besondere Linea s. Eminentia latissimi dorsi
gekennzeichnet), sowie die Anfiinge der Urspriinge der humeralen
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 565
Képfe des M. anconaeus. Daran schlieft sich 2) das Mittelstiick,
die weitere Insertionsstelle des M. coraco-brachialis, sowie die
Ursprungsstatte der Mm. brachialis inferior und anconaeus hume-
ralis, an, in der Regel der schmilste und keine besonders mar-
kanten Ziige aufweisende Abschnitt des Humerus. Endlich folgt
3) der distale Teil, der sich wieder bald zu gleicher Breite
wie der proximale Teil, bald zu geringerer oder gréBerer Breite
als dieser verbreitert, wobei die Ebene dieser Verbreiterung in
der Regel einen mehr oder minder ansehnlichen Winkel (bis zu
annahernd 90°) mit der Ebene der proximalen Verbreiterung
macht. Der distale Teil artikuliert medial (ulnar) durch den
Condylus ulnaris mit der Ulna, lateral (radial) durch den
Condylus radialis mit dem Radius; proximal von diesen Ge-
lenkfliichen springen — an der Stelle der gréften Breite — die
beiden Muskelhécker (Epicondylen) hervor, von denen der Epi-
condylus radialis (Ursprungsstelle der Extensoren am Vor-
derarm) meist schwicher, aber in gréferer Linge und darum
etwas weiter proximalwirts hinaufreichend ausgebildet ist als der
Epicondylus ulnaris (Ursprungsstelle der Flexoren). Ge-
wohnlich im Bereiche dieser Epicondylen, nicht selten aber auch
proximal von ihnen kénnen Kandale oder Furchen fiir die Nn. radials
und medianus und die mit ihnen verlaufenden GefaSe sich finden ;
der fiir den N. radialis liegt an der Radialseite (Canalis resp.
Sulcus nervi radialis s. ectepicondyloideus), der fiir
den N. medianus an der Ulnarseite des Humerus (Canalis nervi
medianis. entepicondyloideus).
Zu diesen durch die Beziehungen zu dem Schultergiirtel und
dem Vorderarm, sowie zu den sich hier ansetzenden Muskeln und
hier verlaufenden Nerven und GefifSen ohne weiteres verstiindlichen
specielleren Bildungen kommen noch allgemeinere Konfigu-
rationen, wie Verlingerung und Verkiirzung, Abflachune und
Verbreiterung, Kriimmung des Humerus u. s. w., die auch den be-
wegenden Kraften, den Beziehungen zu den Nachbarknochen und
den Korrelationen zu den umgebenden Medien (Erdleben, Baum-
leben, Anpassung an das Wasser, Flugbewegung etc.) ihre Ent-
stehung yerdanken, die sich somit aus vielen Detailwirkungen
und Detailanpassungen aufbauen und deren Analyse eine dank-
bare, aber keineswegs einfache Aufgabe ist.
Ein geitibtes Auge und ein durch Nachdenken gescharfter
Blick findet in dem Humerus der Reptilien zahlreiche Momente,
welche von mehr oder minder grofer systematischer Bedeutung
566 Max Firbringer,
sind, welche aber, was noch wichtiger ist, zugleich ein Stiick
Genealogie ablesen lassen.
Auf diese Fragen naiher einzugehen, verbietet sich durch die
Grenzen dieser Arbeit. Nur einige in systematischer Beziehung
bemerkenswertere Momente sollen herausgegriffen werden; zu einem
groken Teile bieten sie nichts Neues dar.
a) Allgemeine Dimensionen des Humerus.
Fiir die allgemeinen Dimensionen des Humerus — Verhialtnis
von Linge zu gréfter Breite — bilden die kionokranen Lacer-
tilier (p. 255f., 269, 271, 273, 520) und die Rhynchocephalier
(p. 281f., 288 f., 290, 291, 292, 295) wieder den Ausgang: erstere
weisen vorwiegend, aber mit markanten Ausnahmen, schlankere
Formen [Laingen-Index +) 2°/,—6°/,], letztere kompaktere Humeri
(Lingen-Index 2!/,—3) auf; der den Rhynchocephaliern proviso-
risch eingereihte Kadaliosaurus (Lingen-Index 3—31/,) gleicht in
dieser Hinsicht mehr einem Lacertilier. Unter den Lacertiliern
zeigen im grofen und ganzen die baumlebenden Vertreter (den-
drobate Agamidae und Iguanidae, Uroplatidae, Chamaeleontidae)
die schlanksten und mit den schwéachsten Muskelfortsitzen ver-
sehenen Humeri (Langen-Index 4—6*/,), die erdjebenden und
wasserbewohnenden (nebst den Dolichosauria) relativ kiirzere und
kraftigere Formen (L.I. 23/,—4)?), endlich die vollkommen an
das Wasserleben angepaSten Mosasauria ganz auferordentlich
kurze und platte Oberarmknochen (L. I. 1—1?/,). Es finden sich
somit bei den Lacertilia s. lat. (inkl. Chamaeleontia, Dolicho-
sauria und Mosasauria) die gré{ten Extreme der relativen
Lange (LI. 1—7) und dabei eine Vielgestaltigkeit, wie
sie keine andere Reptilienordnung annihernd wieder darbictet.
Das kennzeichnet aufs neue die tiefe Stellung derselben, zugleich
aber auch die ungemeine Variabilitiit und Anpassungsfihigkeit des
Humerus, welche beziiglich der systematischen und genealogischen
Verwertung zu gréSter Vorsicht auffordert. Man wird von mitt-
leren Dimensionen (L.I. 21!/,—31/,) Ausgang zu nehmen haben *)
und yon da aus die specialisierten Extreme der betreffenden
1) Lange dividiert durch die grifte Breite.
2) Varanus hat den kleinsten Lingen-Index (2°/,) unter den
lebenden kionokranen Lacertiliern.
3) Auch die microsauren Hylonomus und Petrobates, ersterer
mit L.I. 3, letzterer mit L.I. 21/3, reihen sich hier an.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 567
Agamidae, Iguanidae, Uroplatidae und Chamaeleontidae auf der
einen und der Mosasauridae auf der anderen Seite ableiten. Von
der Verkiimmerung des Humerus bei den schlangenahnlichen
Lacertiliern sei hier abgesehen. Die wasserlebenden rhyncho-
cephalen Acrosaurier zeigen eine nur mifige Verkiirzung (L.I. 3),
dagegen ist dieselbe bei den den Rhynchocephaliern nahestehenden
Ichthyopterygiern (p. 311, LI. 11/,—1'/,) wieder recht
extrem geworden, wenn sie auch die héheren Grade der Mosasaurier
nicht ganz erreicht ‘).
Der Humerus der Chelonier (p. 321) geht von mittleren
Mafien (L.I. 21/,—351'/;) aus und verkiirzt resp. verbreitert sich
bei den wasserlebenden Chelonidae und Sphargidae in mafigem
Grade (L.I. 2!/,—2).
Bei den Sauropterygiern (p. 326 und 335) bilden wieder
langere Formen den Ausgang (Nothosauria mit L.I. 3—4), um bei
den wasserlebenden Plesiosauriern zu mafiger Verkiirzung (L.I.
2—3) zu kommen. Die Mesosaurier (p. 338, LI. 3—31/,)
schliefen sich den primitiven Sauropterygiern gut an.
Die Theromorphen (p. 338f.) kennzeichnet ein kurzer,
stimmiger Humerus mit geringem Lingen-Index (1°/,—21/,); die
kleineren Tiere besitzen minder plumpe, die gréSeren bieten un-
gemein massig entwickelte Formen mit gewaltigen Muskelfortsatzen
dar. Alles weist auf vorgeschrittene Specialisierung hin ; die Ausgang
gebenden Formen sind uns noch unbekannt.
Auffallend schlank und mit malig entwickelten Muskelfort-
sitzen verschen ist der Humerus der 4lteren und jiingeren Cro-
codilier (p. 301, 304, 305, 306, L.I. im Mittel 4).
Bei den in der Entwickelung und dem Gebrauche ihrer vor-
deren Extremitit sehr variierenden Dinosauriern (p.353f.) finden
sich neben ziemlich schlanken (namentlich unter den kleineren
Dinosauriern) kolossal plumpe Formen; letztere (Palaeosaurus,
Stegosaurus, Triceratops u. a.) kénnen die Massigkeit der Thero-
morphen erreichen (L.I. 1°/,); erstere (mit einem L.I. von 3
und dariiber) sind wohl erst durch sekundare Reduktion der Muskel-
1) Die peripheren Partien der Ichthyopterygier-Flosse zeigen
eine viel héhere Umbildung fiir das Wasser (Homéomerie, Hyper-
phalangie, Hyperdactylie) als die Mosasaurier; doch greift zum Teil
bei letzteren die Verkiirzung weiter proximal (bis zum Oberarm)
hinauf als bei den ersteren.
Bd, XXXIV. N, F. XXVIL. 37
568 Max Firbringer,
fortsitze zu ihrer Schlankheit gelangt. Diese Verhiltnisse der
Dinosaurier weichen wesentlich von denen der Crocodilier ab.
Die Patagiosaurier (p. 363 f.) zeigen im allgemeinen einen
schlankeren Humerus, dessen Index sich aber durch die michtige
proximale Entwickelung des Proc. lateralis verringert (mit dem
Proc. lateralis ist der Index 2—3, ohne ihn, also unter alleiniger
Beriicksichtigung der Breite des distalen Endes, 4—7).
b) Ausbildung der Muskelfortsitze.
Die Ausbildung der Muskelfortsitze bietet im Detail bei den
verschiedenen Abteilungen einen ganz auferordentlichen Wechsel
dar, auf den hier nicht eingegangen werden kann. Die Altesten
Rhynchocephalier und Microsaurier zeigen eine makige Entwicke-
lung; das Gleiche gilt fiir die schlankeren (gewisse Lacertilier,
Crocodilier), sowie fiir die platteren Humeri der an das Wasser
angepaBten Formen (Mosasauria, Ichthyosauria, Plesiosauria), bei
welchen aber die Vereinfachung durch sekundare Riickbildung zu-
stande kam. Eine bessere Entwickelung der Fortsitze kenn-
zeichnet die meisten kionokranen Lacertilier; noch héher ist die-
selbe bei den jiingeren Rhynchocephaliern und Cheloniern ‘) aus-
gebildet; extreme Grade erreicht sie bei gewissen Theromorphen
und Dinosauriern, sowie — mehr auf den proximalen Bereich des
Humerus beschrinkt — bei den Patagiosauriern.
Die genauere Vergleichung dieser Abteilungen lehrt zugleich
sehr charakteristische Ziige der einzelnen in Frage kommenden
Fortsitze. So zeigt z. B. der Proc. lateralis bei Lacertiliern
und Rhynchocephaliern eine makig lange, erst im 2. Fiinftel des
Humerus seine gré’te Hervorragung erreichende Entwickelung,
bei den Theromorphen ist er von seinem Anfange an in den proxi-
malen 1/,—*/, des Humerus enorm ausgebildet, bei den Dino-
sauriern in der proximalen Halfte, wobei er bald von Anfang an,
bald erst im weiteren Verlaufe des Humerus seine Hauptentfal-
tung gewinnt; bei den Patagiosauriern endlich beschrankt er sich
in der Regel auf das proximale 1/;—1/, des Humerus, springt
aber hier von Anfang an, selbst proximalwarts tiber das Caput
humeri, michtig hervor. Man kann danach beurteilen, in wie ver-
1) Bei den Cheloniern aber vorwiegend am proximalen Ab-
schnitte des Humerus.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 569
schiedenem Grade die an ihm inserierenden Muskeln (s. p. 564)
bei diesen verschiedenen Reptilienordnungen entwickelt sind.
Aehnlich wechselnde Beziehungen lassen sich fiir den Proc.
medialis und die beiden Epicondyli nachweisen. Kine
besondere Entwickelung der Linea m. latissimi dorsi zeichnet
gewisse Rhynchocephalier, namentlich aber Sauropterygier und
Theromorphen aus; durch die Vergleichung wird der sekundare
Charakter dieser auffallenden Prominenz erkannt.
c) Nervenkandle im distalen Bereiche des Humerus.
Dem Verhalten der Nervenlécher im distalen Bereiche des
Humerus ist von jeher eine besondere Beachtung geschenkt wor-
den. Der Canalis nervi radialis (ectepicondyloideus), der
auch durch eine blofe Furche (Sulcus nervi radialis s. ectepicon-
dyloideus) vertreten sein kann, zeigt sich in relativ weitester Ver-
breitung, und zwar bei den meisten kionokranen Lacertiliern,
Rhynchocephaliern (exkl. Palaeohatteria)') nebst Acrosauriern,
meisten Cheloniern, Nothosauriern (wie es scheint, nicht ganz kon-
stant), einzelnen Theromorphen, gewissen parasuchen Crocodiliern
(Sulcus n. radialis)?). Der Canalis nervi mediani (entepi-
condyloideus) ist minder verbreitet und findet sich bei Palaeo-
hatteria, Sphenodon, vielleicht Homoeosaurus, den Acrosauriern,
Nothosauriern, Mesosauriern und Theromorphen. Dementsprechend
kennzeichnet eine Koexistenz beider Kandale (resp. von
Kanal und Furche) Sphenodon, vielleicht Homoeosaurus, die Acro-
saurier, Nothosaurier und einige Theromorphen (Deuterosaurus s.
Brithopus, Gomphognathus und wohl noch mehrere andere). Jed-
wede Kanalbildung fehlt (oder wird als fehlend angegeben) bei
mehreren Lacertiliern (gewisse kionokrane Lacertilier, alle Cha-
maeleontia, wie es scheint, die Dolichosauria und Mosasauria),
Hylonomus, vielleicht Petrobates, den Ichthyopterygiern, einzelnen
Cheloniern, den Plesiosauriern, den meisten Crocodiliern, den Dino-
sauriern und Patagiosauriern; doch ist nicht unwahrscheinlich,
daf bei manchen der hier angefiihrten Abteilungen bei giinstigeren
1) Auch die Nervenéffnung von Homoeosaurus wird von Zirren
und Bouteneer fiir eine entepicondylare erklart.
2) Andeutungen eines Sulcus nervi radialis bieten auch ge-
wisse Vogel (Casuarius, Macrochires) dar.
ate
570 Max Firbringer,
Objekten noch Nervenkanile oder Andeutungen derselben gefunden
werden mégen.
Auf die Verteilung dieser Kanale ist in systematischer Hin-
sicht viel Wert gelegt worden; namentlich wurde auch die Aus-
bildung des Canalis nervi mediani bei den Theromorphen benutzt,
um damit deren behauptete Verwandtschaft mit den Mammalia
(die den gleichen Kanal in grofer Verbreitung zeigen) zu stititzen.
Die auferordentlich wechselnden Verhaltnisse bei den Rhyncho-
See
cephaliern und anderen Ordnungen geben an die Hand, dieses —
systematische Merkmal nicht zu iiberschitzen und mit grofer
Vorsicht zu benutzen.
Auch ist diesen Kaniilen eine tiefere primitive Bedeutung,
als iibrig bleibende Spaltbildungen bei der Konkrescenz des Humerus
aus mehreren Radien, zuerteilt worden (W1EDERSHEIM 1892). Wie
ich bereits bei der Besprechung des Humerus von Sphenodon
(p. 283, 284, Anm. 7) ausgefiihrt, kann davon keine Rede sein, da
einmal jeder Nachweis fiir den (in jeder Hinsicht mehr als un-
wahrscheinlichen) Aufbau des Humerus aus mehreren Radien
fehlt, dann aber, weil — selbst bei der Annahme, daf er statt-
gefunden hatte — die Nerven an der polymeren Flosse die ihnen
zukommenden Seiten derselben wahren und nicht belicbig zwischen
deren Gliedern von der Ventralseite nach der Dorsalseite und
umgekehrt hindurchtreten'). Aehnlich wie schon Rugs fiir den
Canalis nervi mediani der Saéugetiere betont hat (1884), kann ich
diese Nervenkanale, die bei den Amphibien noch durchaus fehlen,
nur als Produkte einer progressiven Vergréferung des Volumens
des Humerus (die ihrerseits wieder der erheblichen Verstairkung
der Muskulatur ihre Entstehung verdankte) erklaren: in dem
Make, als die Oberfliiche des Humerus zunahm, wurden die an ihr
verlaufenden Nerven (und Gefafe) zunaichst in Rinnen, dann in
Kanaile durch iiberbriickende Skeletmassen eingeschlossen; und
umgekehrt, wie das z. B. die Lacertilier und Crocodilier zeigen,
1) An der vom proximalen Ende her verkiimmernden Bauch-
flosse der Ganoiden kommt es, wie Braus wahrscheinlich gemacht,
zu Nervendurchtritten durch die Glieder; hier liegen aber ganz
sekundire und einseitige Umbildungs- und Reduktionserscheinungen
vor, die nur infolge des Schwundes des Beckengiirtels und Meta-
pterygoides méglich wurden und zur Erkliirung der Nervendurchtritte
durch den Humerus von Sphenodon im Sinne von WrppERsHEIM
nicht verwendet werden kénnen.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 571
konnte es wieder bei der sekundaren Verschmachtigung des Humerus
und Riickbildung dieser Skeletteile zu einer Umwandlung der
Kanale in Furchen und zu einem villigen Schwunde derselben
kommen. Bei den héheren Reptilien, denen, wie es scheint, die
Kanile fast durchweg abgehen (manche Crocodilier, Dinosaurier,
Patagiosaurier) wird es durch den Vergleich mit den primitiven
Lacertiliern, Rhynchocephaliern und Phytosauriern nicht unwahr-
scheinlich, daf’ ihre zur Zeit gré8tenteils unbekannten Vorfahren
entsprechende Bildungen noch aufwiesen.
B. Nerven fiir die Schulter und den proximalen
Armbereich.
Alle diesbeziiglichen Untersuchungen, die ich seit 1873 aus-
gefiihrt, haben mir die grundlegende morphologische Bedeu-
tung des Nervensystemes fiir die wahre Erkenntnis der Muskulatur
und fiir die Bestimmung der Muskel-Homologien dargethan. Jede
myologische Arbeit, welche die betreffenden motorischen Nerven
vernachlassigt, ist eine liickenhafte und, soweit sie beabsichtigt,
die vergleichende Myologie derselben zu geben, ihr Ziel ver-
fehlende. Bei dem grofen Wechsel und den oft ganz gewaltigen
Umbildungen der Muskulatur ist die Nervenversorgung derselben
oft der einzige sichere Punkt und diejenige hohere Instanz, welche
— mit der nétigen Kritik angewendet — niemals tauscht und
niemals auf Irrwege fiihrt. Diese Erkenntnis wird von der tiber-
wiegenden Mehrzahl der in diesem Gebiete arbeitenden Forscher
geteilt und ist sozusagen Allgemeingut geworden. Die dagegen
angefiihrten Griinde einzelner Stimmen kénnen als stichhaltige
nicht anerkannt werden‘). Besonders beweisend fiir die Unerlaf-
lichkeit der Nervenberiicksichtigung bei myologischen Arbeiten
waren aber die negativen Resultate, welche ohne dieselbe von
diesem oder jenem Autor erhalten wurden.
Wie hoch somit die morphologische Bedeutung der motorischen
1) Wie schon erwahnt, wird der allgemeine Teil dieser ganzen
Untersuchungsreihe, nachdem die Végel und Saugetiere behandelnden
Abschnitte erledigt sind, sich auch mit diesen Arbeiten beschaftigen
und die ganze Frage der Innervation der Muskeln in zusammen-
fassender Weise behandeln.
572 Max Firbringer,
Nerven zu stellen ist, so ist der Gewinn, den die Systematik
aus ihr ziehen konnte, kein bedeutender. In den Untersuchungen
zur Morphologie und Systematik der Végel habe ich mich bereits
dariiber ausgesprochen (1888, p. 1068) und konnte dabei zeigen,
da8 die Plexusbildungen der Nerven, teils wegen der einfachen
Gestaltung, die das Nervensystem gegeniiber der reich differen-
zierten Muskulatur aufweist, teils wegen der metamerischen Um-
bildungen und der damit zusammenhangenden Variierungen in
der Zahl der Plexuswurzeln, fiir eine systematische Verwertung
nicht sehr geeignet sind!). Ein getibtes Auge erkennt auch im
Wechsel die Ziige der Verwandtschaft, dieselben sind aber oft
schwer zu sehen und werden von dem verwirrenden Hin und Her
der metamerischen Umbildungen recht haufig sehr verdeckt. So
schwankt die Zahl und Starke der Wurzeln des Plexus brachialis
bei demselben Tiere nicht unerheblich (z. B. bei Sphenodon, p. 380),
und ganz nahe Verwandte kénnen in der Wurzelzahl bedeutend
differieren (z. B. Chamaeleo vulgaris mit 5, Brookesia superciliaris
mit 3 Wurzeln, p. 372). Doch mége der Untersucher namentlich
auf das Verhalten der Ansenbildungen und auf die Ab-
gange der peripherischen Nerven vom Plexus achten,
und gewisse Resultate werden seine Sorgfalt lohnen.
Einige Beispiele, in denen die betreffenden peripherischen
Nerven sich zu etwas hoherer systematischer Bedeutung erheben,
moégen weiter ausgefiihrt werden.
a) N. accessorius posterior.
Die Anteilnahme des Ramus accessorius posterior nervi vago-
accessorii (cf. Schultermuskeln, I, 1874, p. 229; III, 1875, p. 649 f.,
667, 671 f.; Untersuch. z. Morph. und Systematik d. Végel, 1888,
p- 236 f., und diese Abhandlung p. 374 f.) an der Innervation des
(von ihm und gewissen Cervicalnerven versorgten) M. trapezius
+ sterno - episterno- cleido-mastoideus (cleido- mastoideus) giebt
einen gewissen Gradmesser fiir die tiefere oder héhere Stellung
der betreffenden Sauropsiden :
1) Meine damalige pessimistische Prognose méchte ich aber
nicht mehr in ihrem ganzen Umfange festhalten. Fiir die Sonde-
rung engerer Gruppen erweist sich das Verhalten des Plexus bra-
chialis allerdings nicht sehr hoffnungsreich, fiir gréfere Abteilungen
hingegen bietet es gute Differentialmomente dar.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 573
1) Bei Sphenodon, einzelnen Geckonidae und Scin-
cidae ist der N. accessorius posterior ziemlich stark und in-
nerviert einen recht ansehnlichen Teil dieses Muskels.
2) Bei gewissen Agamidae, Iguanidae, Uroplates,
namentlich aber Chamaecleontidae wird er recht fein und der
von ihm versorgte Muskelteil klein.
3) Auch bei den Cheloniern ist er fein bis sehr fein.
4) Bei den Crocodiliern geht er bei gleicher Feinheit
intime Anastomosierungen mit dem 1. Cervicalnerven ein.
5) Bei den Vé6geln endlich kann er so fein werden, daf er
oft recht schwer nachzuweisen ist und da der von ihm innervierte
Teil des Muskels ganzlich gegen den von Cervicalnerven versorgten
zuriicktritt.
b) Metamerische Lage des Plexus brachialis.,
Die — aus dem Gewirre der metamerischen Umbildungen
doch sicher erkennbare — metamerische Lage des Plexus brachialis,
ob mehr rostral oder mehr caudal befindlich, bildet eine nicht zu
unterschitzende systematische Marke fiir die einzelnen Abteilungen,
mit der in charakteristischer Weise die Liinge der Halswirbel-
siule koincidiert :
1) Bei der tiberwiegenden Menge der kionokranen Lacer-
tilier (Schultermuskeln, II, 1875, p. 650f.; Zur Lehre von den
Umbildungen der Nervenplexus, 1879, p. 329f., und diese Abhand-
lung p. 8366—369) bilden der 6. bis 9. Nerv (VI—IX) die alleinigen
oder die hauptsachlichsten Wurzeln des Plexus brachialis'), zu
denen haufiger der 10. Nerv (X), seltener der 5. Nerv (V) sich
in einer, wie es scheint, systematisch regellosen Weise zugesellen
kann. Damit ist zugleich eine caudalwarts oder rostralwarts
gehende metamerische Bewegung des Plexus angebahnt. Die Hals-
wirbelsiule besteht aus 8 Wirbeln.
2) Diesem Plexus ist der von Sphenodon (diese Abhand-
lung p. 869, 380) anzuschliefen. Derselbe besteht aus VI—X oder
VI—XI, zeigt somit gegeniiber den kionokranen Lacertiliern eine
1) Die angegebenen Zahlen der Nerven beziehen sich durchweg
auf die Hauptplexus (s. p. 366). — Abweichend von den
meisten kionokranen Lacertiliern verhalt sich Heloderma, dessen
Plexus nach Suuretpt von dem 5. bis 8. Cervicalnerven gebildet
ist. Mir erscheint hier eine Nachuntersuchung sehr erwiinscht.
574 Max Firbringer,
erhebliche caudalwarts gehende Ausbreitung (um 1—2 Nerven)
unter Erhaltung des rostralen Anfanges (VI). Mit der Zahl von
6 Wurzeln erreicht zugleich Sphenodon das héchste yon den
lebenden Sauropsiden erreichte Maf+). Die genauere Untersuchung
der 5- oder 6-wurzeligen Plexus zeigt aber, daf der Schwerpunkt
des sphenodonten Plexus auf VIJ—X liegt, somit im Vergleich
zu der Mehrzahl der kionokranen Lacertilier eine um 1 Metamer
caudalwarts verschobene Zusammensetzung aufweist. Die Hals-
wirbelsiule besteht aus 8 Wirbeln.
3) In Parallele zu dem Plexus brachialis der kionokranen
Lacertilier steht der der Chelonier (Schultermuskeln, II, 1874,
p. 230f.), der auch in der Regel (Chrysemys, Clemmys, Emys,
Testudo) von VI—IX, bei Trionyx (ob individuell?) aber nur von
VI—VIII gebildet wird. Das letzterwahnte Verhalten eines nur
3-wurzeligen Plexus kann als primitiveres oder als sekundires
(Riickbildung mit rostralwirts gehender Bewegung) angesehen
werden. Bei der bis jetzt vorliegenden sparlichen Untersuchungs-
reihe ist zur Zeit keine Entscheidung zu geben. 8 Halswirbel.
4) Die caudalwarts gerichtete Bewegung bei den kiono-
kranen Lacertiliern fiihrt unter ganzlicher Reduktion von VI und
unter Kraftigung von X zu einem von VII—X gebildeten Plexus
(diese Abhandlung p. 367, 369). Derselbe steht somit ungefahr in der
gleichen metameren Reihe wie der von Sphenodon. Das wird von
vy. JHERING fiir einzelne Agamidae (Draco volans und _lineatus,
Agama stellio) angegeben ”), wird aber zur Regel bei den Vara-
nidae*). Hierbei weisen Draco volans und lineatus 8, Agama
stellio (nach v. JHERING)?) und die Varanidae 9 Halswirbel auf.
1) Kein anderes untersuchtes lebendes Reptil zeigt mehr als
5 Wurzeln fiir den Hauptplexus, und nur einzelne Vogel (Cha-
radrius, Columba) erreichen auch die Sechszah] der Wurzeln.
2) Hierbei handelt es sich offenbar um individuelle Variationen
der von y. JHERING untersuchten Exemplare von Draco volans und
lineatus; bei beiden Arten fand ich wie bei den kionokranen Lacer-
tiliern eine Zusammensetzung von VI—X. Agama stellio, bei dem
Srepenrock 8 Halswirbel angiebt (vergl. p. 545 Anm. 1) konnte ich
nicht untersuchen.
3) Einmal unter den Varanidae, bei Varanus salvator, wird hier
von v. JHERING eine Zusammensetzung aus VI—IX angegeben.
Alle anderen von ihm, sowie simtliche von mir untersuchten Vara-
nidae ergaben stets einen von VII—X_ gebildeten Plexus. Der
Befund bei Varanus salvator ist wohl ein individueller.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. (3)
Namentlich die Varanidae heben sich somit durch die ausgebildete
Wanderung ihres Plexus brachialis und Verlingerung ihrer Hals-
wirbelsiule um 1 Metamer nach hinten deutlich vor den anderen
kionokranen Lacertiliern hervor. Ihnen reihten sich vielleicht
auch die mit 9—10 Halswirbeln versehenen Aigialosauridae und
gewisse Mosasauridae (?) an.
5) Eine noch weiter caudalwarts gehende Ausbildung des Plexus
brachialis zeichnet die Crocodilier (Schultermuskeln, III, 1875,
p. 682f.; diese Abhandlung p. 394) aus, bei denen der Haupt-
plexus von VII—XI zusammengesetzt ist und die Halswirbelsiule
wie bei den Varanidae aus 9 Halswirbeln besteht.
6) Bei den V6geln (Untersuchungen z. Morph. u. System.
der Végel, 1888, p. 238f.) mit Plexuszahlen von X—XIV bis
XXII—XXVI und Halswirbelzahlen von 10—25 erreicht diese
caudalwarts gehende Bewegung unter den noch lebenden Sauro-
psiden ihren Hoéhepunkt *).
7) Die rostralwairts gerichtete Bewegung ist bei den
bisher untersuchten Chamaeleontia (Schultermuskeln, III,
1875, p. 667f.; diese Abhandlung p. 372 f.) bis zu einem Plexus
von IV—VI (Brookesia) oder III—VII resp. HI—VI (Chamaeleo)
angelangt. Die Halswirbelzahl betragt hier 5. Gegentiber den
typischen kionokranen Lacertiliern existiert somit eine nach vorn
gehende Umbildung und Wanderung um ca. 3 Metameren. Zwischen-
stadien zwischen ihnen und den typischen kionokranen Lacertiliern
sind nicht bekannt?”).
8) Eine gleichfalls rostralwarts gehende Bewegung der
vorderen Extremitaét und des Plexus brachialis verbindet sich be-
kanntlich zugleich mit der ausgiebigeren Riickbildung der
1) In den von den Vogeln eingenommenen Wirbelbereich fielen
auch die Bildungen der Plexus brachiales bei den Dolichosauridae
(mit 15—17) und den Nothosauria (mit 16—21 Halswirbeln),
wihrend bei den héheren Formen der Plesiosauria (mit 20—72 Cer-
vicalwirbeln) der Plexus brachialis zu noch betrachtlich weiter
gehender Wanderung nach hinten gelangte (vergl. auch p. 545 f.).
2) Die von V—IX gebildeten Plexus einzelner kionokranen
Lacertilier kénnen nicht eigentlich als Zwischenformen angesprochen
werden; ebensowenig der Plexus brachialis von Heloderma mit
seiner meines Erachtens nicht vollkommen gesicherten Zusammen-
setzung aus V-—VIII. — Eine beginnende retrograde Bewegung
rostralwarts kennzeichnete méglicherweise auch den Plexus der
Mosasauria mit 7 Halswirbeln.
576 Max Firbringer,
Extremitaten bei den kionokranen Lacertiliern (Schulter-
muskeln, III, 1875, p. 665 f.; Umbildungen d. Nervenplexus, 1879,
p. 829 f., diese Abhandlung p. 367 f., 369). Bei Chalcides tridactylus
hat der Plexus noch seine normale Lage (VI—IX), bei Anguis
wird sein Rudiment von V und VI, bei Pygopus lepidopus (Carts-
SON) und Ophisaurus apus von IV—VI gebildet'). Noch weiter
kann die rostral gerichtete Wanderung bei den Amphisbae-
nia (diese Abhandlung p. 369, 371 f.) gehen, indem die hier viel-
leicht als Rudiment eines Plexus brachialis anzusprechenden
Nerven bei Trogonophis aus IV und V, bei Amphisbaena aus
lif und IV resp. (Cartsson) I[—IV sich zusammensetzen 2), —
Bei allen diesen Tieren bildet zugleich das Verhalten dieses rudi-
mentaren Plexus mit seinen prozonal und metazonal verlaufenden
Nerven das Mittel, um die metamere Lage des rudimentaren
Schultergiirtels resp. seiner einstigen Stelle zu bestimmen.
Den Ausgang fiir die ganze Reihe bildet der von VI—X
oder von VI—XI gebildete Hauptplexus der kionckranen Lacer-
tilier und von Sphenodon und die aus 8 Wirbeln bestehende
Halswirbelsaule dieser Tiere. Ob hierbei der Schwerpunkt des
Plexus urspriinglich*) auf der an erster oder zweiter Stelle ge-
gebenen Zusammensetzung lag, ob Sphenodon oder die Lacertilier
die primitivere Stufe hierbei einnehmen, ist mit den zur Zeit ge-
gebenen Materialien nicht zu entscheiden. Ueber schr viele Ver-
treter ausgebreitete und namentlich auf zahlreiche ontogenetische
Stadien ausgedehnte Untersuchungen an Sphenodon, Geckonidae
und Scincidae diirften aber diese Frage lésen oder wenigstens der
Lésung naher bringen.
1) Diese Rudimente sind nur den ersten Wurzeln des Plexus
brachialis der Lacertilier mit ausgebildeten Extremitaten zu ver-
gleichen; die hinteren Wurzeln sind mit Riickbildung der peripheren
Abschnitte der Extremititen vélliig reduziert.
2) Von gréftem Interesse wire die Kenntnis des Plexus bra-
chialis von Chirotes als desjenigen Amphisbaeniers, dessen
vordere Extremitaét nur in makigem Grade zuriickgebildet ist.
3) Selbstverstandlich habe ich die bereits Reptilien gewordenen
Vorfahren dieser Tiere im Auge; die noch friiheren (amphibien-
artigen) Vorstufen desselben hatten vermutlich einen mehr rostral
hegenden Plexus, der mit der vorderen Extremitit successive
caudalwarts wanderte.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 577
Von da aus geschah entweder die caudalwirts gehende (pro-
gressive) oder rostralwairts gerichtete (regressive) Wanderung und
Umbildung.
Die caudalwarts gehende Wanderung reprasentiert die
weitere Fortsetzung des von Anfang an eingeschlagenen Weges der
vorderen Extremitaét der Reptilien und bildet mit der Eroberung
des 11. Nerven (Sphenodon, Crocodilier), mit dem Verluste des
5. Nerven (die sub 4 angefiihrten Lacertilier, namentlich die Vara-
nidae, sowie die Crocodilier) und mit der durch die Umbildung
des bisherigen ersten Dorsalwirbels in einen Cervicalwirbel und
der damit bedingten Verlingerung der Halswirbelsiule auf 9 Wirbel
(Varanidae, Crocodilia) verschiedene Etappen dieses Weges dar.
Die Crocodilier stehen am Ende der von den lebenden Reptilien
gebildeten Reihe; zwischen sie und die meisten kionokranen Lacer-
tilier stellen sich Sphenodon und die Varanidae, ersterer den
Lacertiliern, letztere den Crocodiliern mehr genahert. Die Che-
lonier stehen den Lacertiliern in dieser Hinsicht gleichwertig da und
zeigen keine ausgiebigere Bewegung des Plexus; bei den Dolicho-
sauriern, namentlich aber bei den Vogeln und Sauropterygiern ist
die caudalwirts gerichtete Wanderung noch in erheblichem Grade
weiter geschritten.
Umgekehrt bezeichnet die rostralwarts gehende Be-
wegung die regressive, d. h. die von den Vorfahren in alter
Zeit schon durchlaufenen Wege wieder rickwirts einschlagende
Richtung und reprasentiert mit der Aufnahme des 5. Nerven in
den Hauptplexus (einzelne kionokrane Lacertilier)!) und mit
der bei den Chamaeleontia und verschiedenen schlangenartigen
Lacertiliern und Amphisbaeniern weiter nach vorn bis zum 3.
(vielleicht selbst 2.) Nerven gegangenen Umbildung des Plexus
und der durch die Umwandlung der 3 letzten Halswirbel in
Dorsalwirbel bedingten Verkiirzung der MHalswirbelsiule auf
5 Wirbel gleichfalls verschiedene Etappen dieses Weges. Hierbei
ist aber wohl zwischen den Eidechsen mit und ohne Extremitateu
1) Méglicherweise bildet schon die Verstarkung von VI (Sphen-
odon, p. 380) den ersten Schritt auf diesem Wege. Zwischen diesem
Anfange und dem von den Chamaeleontiern erreichten Endziel
befindet sich aber eine noch unvermittelte, unbekannte Strecke. Es
ist daher auch mit der Méglichkeit einer einstmaligen Mittelstellung
des Ausgang gebenden Plexus der Lacertilier s. lat. zu rechnen
(vergl. p. 373); der sichere Beweis fiir das eine oder andere ist
zur Zeit nicht zu fiihren.
578 Max Firbringer,
zu unterscheiden; im ersteren Falle (Chamaeleontia) hat sie
grifere systematische Bedeutung als im letzteren, wo die Wan-
derung des Brustschulterapparates nach vorn mit der Lésung des
Sternum von den Rippen koincidiert. Die Beurteilung der Ver-
haltnisse bei den Amphisbaenia kann erst nach Untersuchung
des Plexus von Chirotes (und Ophiognomon) geschehen. Nach
unserer jetzigen Kenntnis bilden die Chamaeleontia unter allen
bisher genauer bekannten lebenden und ausgestorbenen Sauro-
psiden mit ausgebildeten Extremitéten den Endpunkt der rostral-
warts gerichteten Reihe 4).
c) Verhalten der vom Plexus brachialis abgehenden
peripheren Nerven.
Endlich bietet das Verhalten der von dem Plexus abgehenden
peripheren Nerven zahlreiche Ziige dar, welche von differential-
diagnostischer Bedeutung sind.
Besonders markant sind dieselben bei Sphenodon und zeigen
mehr noch als das Skeletsystem die besondere Stellung dieses
Rhynchocephaliers. 1) Der gemeinsame Abgang der Nn. dorsalis
scapulae und supracoracoideus von dem Plexus (p. 381), 2) die
Existenz der Nn. scapulo-humerales anterior und posterior (p. 383),
3) die Entwickelung der Nn. humero-radiales proximalis und
distalis (p. 383, 384 und 386), 4) die Art der Sonderung des N. bra-
chialis longus superior (p. 385 f.), vor allem aber 5) die friihe Tei-
lung des N. brachialis longus inferior (p. 391 f.) in die 3 Haupt-
‘iste des N. brachialis longus inferior lateralis (N. musculo-cuta-
neus ++ medianus e. p.), medianus (N. medianus e. p.) und ulnaris
(N. ulnaris) und 6) der besondere Verlauf des N. brach. long. inf.
medianus durch den Canalis n. mediani (p. 393) sind lauter Mo-
mente, durch die sich Sphenodon ganz wesentlich sowohl von den
Lacertiliern wie von den Crocodiliern unterscheidet. Die sub 2)
angefiihrte Koexistenz der beiden Nn. scapulo-humerales findet sich
unter den Sauropsiden nur noch bei den Végeln, aber hier in ab-
weichender Entwickelung wieder; den Nn. humero-radiales ganz
1) Die Angaben, wonach auch gewisse Rhynchocephalier nur
5 Halswirbel haben sollen, beruhen auf der abweichenden Zahlart
dieser Halswirbel; alle diese Formen diirften wohl nicht weniger
als 8 Cervicalwirbel haben. Ueber die Verhiltnisse bei den Amphis-
baeniern und Ophidiern ist das Urteil zunachst noch zu vertagen;
das Gleiche gilt fiir die reptilischen Microsaurier (Hylonomus,
Petrobates), sowie vielleicht fiir die Mosasaurier.
a
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 579
inkomplett homologe Gebilde existieren bei Crocodilen und Végeln ;
das sub 5) und 6) hervorgehobene Verhalten des N. brachialis
longus inferior erinnert an die bei den Saéugeticren noch zu_be-
schreibenden Verhiltnisse. Man wiirde aber sehr fehlgehen, wenn
man daraufhin gewisse intimere verwandtschaftliche Beziehungen
yon Sphenodon zu den Végeln oder gar Siugetieren griinden wollte ;
es handelt sich nur um Parallelitaéten, die im weitesten Sinne des
Wortes ganz allgemeine Affinitiiten bedeuten. Das aber beweisen
die angegebenen Befunde mit hinreichender Deutlichkeit, dal ein
Tier, das allein in einem ganz kleinen Abschnitte seines Nerven-
systemes solche prinzipielle Besonderheiten darbietet, nicht den
Lacertiliern eingerechnet werden darf.
Zum Schlusse sei noch das Verhalten der Nn. thoracici
inferiores (Schultermuskeln, III, 1875, p. 658 f., 675; diese Ab-
handlung p. 388) hervorgehoben, die bei den kionokranen Lacer-
tiliern in wechselnder Weise von VI, VII und VIII, bei Sphenodon
von VII, VIII und IX, bei den Crocodiliern von VIII, IX und X
abgegeben werden, beziiglich welcher somit Sphenodon wie fiir
den ganzen Plexus brachialis eine mittlere Stellung zwischen den
Lacertiliern und Crocodiliern einnimmt.
Aehnliche, minder ausgepraigte, metamerische Verhiiltnisse
bieten die Nn. thoracici superiores (Schultermuskeln, ILI,
1875, p. 651f. und 672 f.; diese Abhandlung p. 379f.) dar.
Betrefis der besonderen Stellung der Chelonier und Cro-
codilier bedarf es keiner Erérterung. Dieselbe spricht sich
auch im Plexus aus, wie ein Blick auf die Abbildungen desselben
(verg]. Schultermuskeln, II, 1874, Taf. V resp. VI; III, 1875,
Taf. XXIII) lehrt. Namentlich sei auf die friihe Trennung der
Nn. brachiales inferior und superior bei den Cheloniern, ein Merk-
mal, das keine primitive Stellung derselben bekundet, hingewiesen.
C. Muskeln der Schulter und des proximalen Armbereiches.
Die hohe systematische Bedeutung der Muskulatur der
Schulter und des proximalen Armbereiches hatte sich mir schon
in den Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vogel
1888 zur Geniige gezeigt 1); fiir die daselbst gegebene systematische
1) Neuerdings auch durch R. Buri (Zur Anatomie des Fliigels
von Micropus melba und einigen anderen Coracornithes, Jenaische
Zeitschr., XX XIII, Jena 1900, p. 602) bestatigt.
580 Max Firbringer,
Kinteilung der Vogel bildeten speciell diese Muskeln einen der
am meisten in den Vordergrund tretenden Faktoren.
Das Gleiche ergiebt die Untersuchung der entsprechenden
Muskulatur bei den Reptilien!). Wie sehr gering auch die Zahl
der von mir daraufhin bearbeiteten Tiere ist, so sind die Ergeb-
nisse doch derartige, daf sie zur Erginzung, zur Sicherung und
zur niheren Beschrankung der durch die betreffenden Skelettteile
gewonnenen systematischen Erkenntnisse sehr wesentliche Momente
hinzufiigen. Jede in dieser Richtung vorgenommene,
mit Treue und Verstandnis ausgefiihrte weitere
Untersuchung wird dankenswerte Resultate habien
und die systematische und genealogische Kenntnis
der hier in Betracht kommenden Tiere férdern.
Von den hierfiir besonders verwertbaren Muskeln (beziiglich
deren aufer der vorliegenden Arbeit, p. 398—519, auch die
Teile II, 1874, p. 243—276, und III, 1875, p. 693—808 einzu-
sehen sind) stehen an erster Linie: der M. cucullaris + sterno-
episterno-cleido-mastoideus (cleido-mastoideus) nebst der Mem-
brana sterno-episternalis, das mit dem M. sternocosto-scapularis
in Verbindung stehende Lig. sterno-scapulare internum, der M.
biceps, die Mm. dorsalis scapulae und deltoides clavicularis s. in-
ferior, der M. anconaeus scapularis mit seinen Ankerungen und
dem Lig. scapulo-humerale laterale, der Anconaeus coracoideus
und der M. humero-radialis. Ihnen folgen, mannigfaltige dif-
ferential-diagnostisch wichtige Ziige offenbarend, die Mm. levator
scapulae superficialis, sterno-coracoidei, sternocosto - scapularis,
latissimus dorsi, scapulo-humerales anterior und posterior, sub-
coracoscapularis. Minder bedeutsam, aber doch nicht ganz
zu unterschitzen, sind die anderen in den vorhergehenden Ab-
schnitten beschriebenen Muskeln.
Die zusammenfassende Beurteilung der betreffenden Bildungen
ergiebt das folgende.
1. Kionokrane Lacertilia.
Unter den auf die Muskulatur untersuchten Abteilungen *) der
kionokranen Lacertilier (Schultermuskeln, III, 1875, p. 695—746;
1) Damit soll nicht gesagt sein, daf nicht auch andere Teile
des Muskelsystemes gute taxonomische Resultate darbieten kénnen.
Eine — allerdings nicht sehr eingehende — Durcharbeitung der
gesamten Muskulatur ergab mir aber gerade diesen Abschnitt als
einen dafiir besonders geeigneten.
2) Infolge von Mangel an Material ist die Untersuchungsreihe
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 581
diese Abhandlung p. 8398—443) zeigen einerseits die Geckonidae,
andererseits die Scincidae, welchen letzteren sich in mancher
Hinsicht die Gerrhosauridae anreihen, das relative Maximum ') an
primitiven Ziigen: einheitlicher M. cucullaris + sterno-episterno-
cleido-mastoideus, gut entwickelte sternale Insertion desselben und
relatives Zuriicktreten der Membrana sterno-episternalis; mafige
Sonderung der Mm. sterno-coracoidei interni; schwache Entwicke-
lung oder einfache Ausbildung des Lig. sterno-scapulare internum ;
ausgedehnter Zusammenhang des M. pectoralis mit der Bauch-
muskulatur und Beschrinkung seines episternalen Ursprunges auf
den hinteren Liingsschenkel des Episternum; unvollstandige Sonde-
rung der Mm. supracoracoideus und coraco-brachialis voneinander;
ansehnliche Langsentfaltung des M. coraco-brachialis brevis; starke
und rein muskulése Entwickelung des proximalen Biceps-Bauches ;
einheitliche Ausbildung der Mm. dorsalis scapulae und deltoides
clavicularis resp. noch in den ersten Anfaingen begriffene Sonde-
rung derselben; unbedeutende oder mafige Entwickelung des Lig.
scapulo-humerale laterale, das von der scapularen Ursprungssehne
und der humeralen Ankerung des M. anconaeus scapularis noch
nicht gesondert ist; allein oder vorwiegend (bei geringer Ver-
bindung mit dem Lig. sterno-scapulare internum) vom Coracoid
selbst stattfindender Ursprung des Anconaeus coracoideus.
Hierbei ergiebt sich zwischen den Geckonidae und den Scin-
cidae eine Anzahl prignanter Unterschiede, insbesondere im Ver-
halten des M. cucullaris + sterno-episterno-cleido-mastoideus, des
M. sternocosto-scapularis (bei den Geckonidae fehlend), des M.
scapulo-humeralis anterior und des Anconaeus coracoideus (der
bei den Geckonidae noch einen kleinen distalen Muskelbauch dar-
bietet), welche eine nahe Verwandtschaft beider ausschlieben. Die
Geckonidae nehmen eine relativ separate Stellung ein.
sehr unvollstindig. Vertreter der Eublepharidae, Xantusidae, Helo-
dermatidae, Anguidae, Xenosauridae und Anolidae in ihren mit Extre-
mitaten versehenen Reprisentanten standen mir nicht zu Gebote;
auch verfiigte ich hinsichtlich mancher Familien, namentlich der
Tejidae, Iguanidae und Agamidae, nicht tiber die gentigende Anzahl
typischer Gattungen.
1) Daneben finden sich auch vereinzelte hihere Differenzierungen,
z. B. die hohe Entfaltung der Patella ulnaris, des M. latissimus
dorsi. — Eine in jeder Hinsicht tiefere Differenzierung bietet die
Natur selten dar; die gréfere oder geringere Summe bestimmt.
582 Max Fiirbringer,
Dagegen lift sich von den Scincidae aus die Entwicke-
lungsreihe durch die Gerrhosauridae zu den Lacertidae
und zum Teil auch den Tejidae verfolgen. Graduell existiert
zwischen den ersteren und letzteren ein ziemlich grofer Unterschied,
das Quale gestattet die Ableitung von gemeinsamem Zweige. Gewisse
Besonderheiten, namentlich eine Vereinigung von graduell recht
divergenten (primitiven und relativ hohen) Ziigen, charakterisieren
die Tejidae und lassen sie mehr als einen Seitenzweig der Reihe
auffassen. Hier ist indessen noch viel an einem reicheren Material
zu untersuchen; namentlich die Tejidae mit ihren mannigfach aus-
eebildeten Vertretern verlangen noch manche Arbeit. Charakte-
ristisch fiir die genannten Familien (Gerrhosauridae, Lacertidae,
Tejidae) verhalten sich: Der M. cucullaris + sterno-episterno-cleido-
mastoideus, bei dem die Membrana sterno-episternalis mehr und
mehr in den Vordergrund tritt; das Lig. sterno-scapulare internum,
dessen Verband mit der coracoidalen Ecke sich mehr und mehr
entwickelt; der M. pectoralis, dessen Ursprung auf den medialen
Bereich des episternalen Querschenkels (nicht bei Ameiva) iiber-
ereift; die beginnende Verkiirzung des M. coraco-brachialis brevis;
der proximale Bauch des Biceps, der bei den Scincidae und
Gerrhosauridae noch rein muskulés ist, bei den Lacertidae und
Ameiva in beginnender Degeneration sich befindet und zum kleineren
Teile durch Ursprungssehne ersetzt wird; die hohe Entwickelung
des M. latissimus dorsi; der ausgiebig zweiképfige Ursprung des
M. scapulo-humeralis anterior; das Ueberwiegen der Pars coraco-
scapularis tiber die Pars scapularis des M. subcoracoscapularis; die
bessere Entfaltung des Lig. scapulo-humerale laterale und der
zunehmend, aber immer noch mafig entwickelte Verband der Ur-
sprungssehne des Anconaeus coracoideus mit der coracoidalen
Ankerung des Lig. sterno-scapulare internum.
Zonurus teilt die Mehrzahl der Charaktere mit den vier
erwahnten leptoglossen Familien, zeigt aber namentlich in -dem
Verhalten des M. cucullaris +- sterno-episterno-cleido-mastoideus,
des Lig. sterno-scapulare internum, des M. pectoralis (vergréferter
episternaler Ursprung), des M. latissimus dorsi gewisse Ziige,
durch die er sich abseits von ihnen und zum Teil auch héher
stellt. Eine rationelle Vergleichung mit den Anguidae, Xeno-
sauridae und Iguanidae war durch Mangel an Material verboten.
Heloderma wird — auf Grund der von SHUFELDT ge-
gebenen Beschreibung; eigene Untersuchungen fehlen aus Mangel
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 583
an Material — charakterisiert durch die Scheidung der Mm.
cucullaris und sterno-episterno-cleido-mastoideus (episterno-masto-
ideus), durch den ausgedehnten sternocostalen Ursprung des M.
sternocosto-scapularis, durch das Uebergreifen des Ursprunges des
M. pectoralis auf die Clavicula, durch den rein sehnigen Anfang
des M. biceps brachii, durch den ausgedehnten Ursprung des M.
deltoides clavicularis von dem Episternum, durch die Verbindung
des Anconaeus coracoideus mit dem Insertionsteil des M. latis-
simus dorsi — Charaktere, welche ihm teils eine besondere (zum
Teil zu der besonderen Konfiguration des Episternum in Kor-
relation stehende) Position, teils eine héhere Stellung als den vor-
genannten Lacertilier- Familien anweisen. Neben der eigenen
Untersuchung von Heloderma wurde auch diejenige eines mit gut
entwickelten Extremitiiten versehenen Vertreters der Anguidae
sehr vermiBt.
Fiir die wirkliche Kenntnis der Verhaltnisse bei den gerade
hinsichtlich der vorliegenden Muskeln recht vielgestaltigen Igua-
nidae (inkl. Anolidae) und Agamidae reichen die bisherigen
Untersuchungen an so wenigen, zum Teil auch aberranten Ver-
tretern bei weitem nicht aus. Doch ergeben sich markante Dif-
ferenzen von den mit kreuzformigem Episternum und medial ver-
breiterter und gefensterter Clavicula versehenen Lacertiliern.
Weiterhin zeigte sich, da beide Familien Vertreter aufweisen,
deren Muskulatur teils einen mittleren (Iguana, Uromastix, Lio-
lepis), teils einen héheren Rang (Phrynosoma, Chlamydosaurus,
Calotes) in der Differenzierung bekunden. Die mit mabiger Sonde-
rung beginnende und zur vollkommenen Trennung und Entfernung
durchgefiihrte Scheidung der Mm. cucullaris und sterno-episterno-
cleido-mastoideus; die in zunehmendem Mae ausgebildete Ent-
wickelung der coracoidalen Ankerung des Lig. sterno-scapulare
internum; das bald nicht, bald successive zunehmende Uebergreifen
des pectoralen Ursprunges auf die Clavicula; die partielle Ver-
bindung des Anfanges des M. coraco-brachialis longus mit der
coracoidalen Ankerung des Lig. sterno-scapulare internum; das
Verhalten des M. biceps brachii, der bei Uromastix und Liolepis
etwa zu gleichen Teilen muskulés und sehnig entspringt, bei
Phrynosoma einen bald mafig, bald gar nicht entwickelten fleischigen
Ursprung zeigt (waihrend der sehnige speciellere Sonderungen auf-
weisen kann), bei Iguana, Agama stellio und Calotes rein sehnig
beginnt; die gegenseitigen Beziehungen der Mm. dorsalis scapulae
Bd. XXXIV. N. F. XXVII, 38
584 Max Firbringer,
und deltoides clavicularis, die bei Iguana und Uromastix noch in
mivigem Grade gesondert, bei Phrynosoma und Calotes ganz und
gar geschieden und in ihren Insertionen in hohem Grade ver-
schoben sind (wozu bei Phrynosoma und Calotes noch eine weitere
Sonderung des M. dorsalis scapulae, bei Calotes ein weit auf das
Episternum iibergreifender Ursprung des M. deltoides clavicularis
kommt); die hohe Entwickelung, zum Teil (besonders bei Calotes)
auch Verdoppelung des scapularen Ursprunges des M. anconaeus
scapularis und die besondere Gestaltung seiner humeralen Anke-
rung (die bei Phrynosoma auch einem Teile des Muskelbauches
des Anconaeus scapularis als Ursprung dient); die hohe Entfaltung
des Verbandes der Ursprungssehne des Anconaeus coracoideus mit
dem Lig. sterno-scapulare internum (wozu bei Phrynosoma noch
der Verband mit dem M. latissimus und die sekundére Heraus-
differenzierung eines kleinen Muskelbauches des Anconaeus coraco-
ideus kommt) — alle diese Befunde ergeben eine Differenzierung,
welche die tiefer stehenden Iguanidae und Agamidae den héchsten
der bisher besprochenen Familien gleichstellt, die hdher entwickelten
aber mehr oder minder weit iiber deren Niveau erhebt. Dabei er-
geben sich bei dieser oder jener Form progressive Differenzierungen
und aberrante Charaktere (vergl. hinsichtlich des Details die Unter-
suchungen von 1875, p. 693—744 und die vorliegende speciellere
Muskelbeschreibung p. 398—443), welche die Iguanidae und
Agamidae, wie schon deren Skelettsystem bekundete, als ausgebildete
Specialisten unter den kionokranen Lacertiliern erkennen lassen.
Markante Differential-Charaktere zwischen beiden Familien konnten
nicht aufgefunden werden; ob die grofe Aehnlichkeit der beider-
seitigen Stadien Parallelitit oder nihere Verwandtschaft bedeutet,
kann erst nach ausgedehnteren Untersuchungen entschieden werden.
Auf Grund der vorliegenden bin ich der Annahme naher genetischer
Beziehungen zugeneigt.
Eine durchaus selbstiindige Stellung unter den kionokranen
Lacertiliern, namentlich gegeniiber den Geckonidae, nimmt Uro-
plates auch in seinen Muskelverhiltnissen ein, damit zugleich
auf diesem Gebiete die Richtigkeit der von BOULENGER vollzogenen
Abtrennung von den Geckonidae und die bereits bei dem Skelett-
system hervorgehobenen Differenzen bestatigend. Einige Aehn-
lichkeiten mit den Geckonidae sind vorhanden: Mangel des M.
sternocosto-scapularis, sehr schwache Entwickelung des Lig. sterno-
scapulare internum, Verhalten des M. scapulo-humeralis anterior
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 585
zu dem benachbarten M. supracoracoideus, Ursprung des M. dor-
salis scapulae von dem Ende der Clavicula; dieselben sind aber
von wenig specifischer (qualitativer) Bedeutung, und die gleiche
oder selbst gréfere Anzahl von Uebereinstimmungen kann fiir be-
liebige andere Lacertilier- Familien zusammengestellt werden.
Ihnen tritt eine iiberwaltigende Fille von ausgepragten Differenzen
zu den Geckonidae gegeniiber: Zerfall und Sonderung der Mm.
cucullaris und sterno-cleido-mastoideus **); Ursprung des M. ser-
ratus superficialis von 4 Rippen und ausgedehnte Insertion des-
selben an der knéchernen Scapula; Uebergangspartie zwischen
den Mm. serrati superficialis und profundus *; sehr ausgeprigter
Ursprung des M. pectoralis von Sternocostalleisten * und Aufgabe
des episternalen Ursprunges *; Zerfall des M. supracoracoideus,
Kiirze des M. coraco-brachialis brevis *; Schlankheit und sehnige
Insertion des M. coraco-brachialis longus *; rein sehniger Ursprung
des M. biceps * und Umfassung seiner Ursprungssehne beim Pas-
sieren iiber die Fossa bicipitalis humeri durch die Insertionssehne
und Ankerung des M. pectoralis *; ausgedehnter costaler Ur-
sprung des M. latissimus dorsi *; scharfe Scheidung der Mm.
dorsalis scapulae und deltoides clavicularis * und weites gegen-
seitiges Uebergreifen ihrer Insertionen *; abweichendes Verhalten
des clavicularen Ursprunges des M. deltoides clavicularis; speciellere
Anordnung der humeralen Ankerung des M. anconaeus scapularis *,
vollige Reduktion des Anconaeus coracoideus *; schwache Ent-
faltung des gesamten M. anconaeus *; Gestalt der Patella ulnaris *,
— Differenzen, durch welche sich Uroplates weitab von den
Geckonidae stellt und zugleich trotz des primitiv gebliebenen
Zustandes seiner Wirbelsiule zu den h6her stehenden Lacer-
tiliern rechnen la8t. Und damit verbindet sich zugleich fiir die
meisten — mit * markierten — Merkmale eine so auffallende
Aehnlichkeit resp. Uebereinstimmung’?) mit den entsprechenden
Verhiltnissen der Chamaeleontidae, daf hier nicht mit blofen
Parallelitaten oder Konvergenzerscheinungen, sondern mit einem
wirklichen nahen genetischen Zusammenhange zu rechnen
ist. Ganz durchgreifend ist diese Uebereinstimmung nicht; ver-
1) In den mit Stern markierten Punkten niahert sich Uroplates
zugleich den Chamaeleontidae.
2) Auch der Uroplates mit den Chamaeleontidae und Geckonidae
gemeinsame Mangel des M. sternocosto-scapularis kann noch bei-
gefiigt werden.
38 *
586 Max Firbringer,
einzelte abweichende Verhaltnisse in der Anwesenheit oder Ab-
wesenheit der Mm. sterno-coracoidei interni superficialis und pro-
fundus, in dem (bei Uroplates um den Vorderrand des Coracoides
nach der Innenfliche desselben herumgreifenden, bei den Chamaeleon-
tidae durch den mit Reduktion der Clavicula auf den Vorderrand
des Coracoides iibergewanderten Ursprung des M. deltoides inferior
von diesem getrennten) Ursprunge des M. supracoracoideus und
in der Ausbildung des (bei Uroplates gut entwickelten und ober-
flachlich von dem M. supracoracoideus liegenden, bei den Chamae-
leontidae auf den Hinterrand der Scapula retrahierten und von dem
M. supracoracoideus gedeckten) M. scapulo-humeralis anterior
zeigen, daf Uroplates immerhin etwas von der von den Chamae-
leontidae durchlaufenen Bahn abgewichen ist. Doch sind diese
Differenzen vorwiegend nur gradueller Natur, wohl geeignet, um
— abgesehen von wichtigeren Differenzen auf anderen Gebieten —
eine Vereinigung der Uroplatidae mit den Chamaeleontidae zu
verbieten (denn erstere stehen noch vollig im Bereiche der kiono-
kranen Lacertilier), aber nicht derartig, um Zweifel an der durch
die Uebereinstimmungen bewiesenen gemeinsamen genealogischen
Wurzel zu erwecken.
Endlich die Varanidae. Deutlicher noch als die betretfenden
Skelet- und Nervenverhaltnisse zeigt die Muskulatur prignante
Besonderheiten gegeniiber den anderen kionokranen Lacertiliern.
Ueber die Stellung der Helodermatidae zu ihnen kann ich auf
Grund eigener Beobachtungen nichts aussagen. Das, was SHUFELDT
iiber die betreffende Muskulatur von Heloderma und namentlich
iiber die Wurzeln des Plexus brachialis dieses Tieres mitteilt, ist
einer Verwandtschaft beider nicht giinstig; doch sind dessen be-
ziigliche Untersuchungen mit Riicksicht auf diese Frage keine er-
schépfenden. Die Differenzen, welche die Muskulatur von Varanus
gegeniiber allen anderen von mir untersuchten kionokranen Lacer-
tiliern darbietet (insbesondere die den M. pectoralis deckende
episternale Insertion des M. episterno-cleido-mastoideus, der von
6 Halswirbeln kommende Ursprung und die eigentiimliche Insertion
des M. levator scapulae superficialis, der Mangel der oberflich-
lichen Schicht des M. levator scapulae et serratus profundus und
die Umbildung der tiefen Schicht dieses Muskels, die sehr kriif-
tige und eigenartige Ausbildung der Mm. sterno-coracoidei interni,
das Vikariieren des M. supracoracoideus fiir einen Teil des M.
coraco-brachialis brevis und die damit zusammenhingende par-
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 587
tielle Deckung des ersteren durch den M. biceps brachii) ver-
binden sich mit einzelnen Ziigen seiner Muskulatur, welche als
primitive oder miiSig hohe anzusehen sind (Verhalten der Mm.
dorsalis scapulae und deltoides clavicularis, muskulés-sehniger
Ursprung des M. biceps brachii, wobei der muskulése Teil etwas
gegen den sehnigen zuriicktritt), und mit einer etwas gréfSeren
Anzahl solcher, welche eine hohere Differenzierung bekunden
(Riickbildung des M. sternocosto-scapularis, hohe Ausbildung des
Lig. sterno-scapulare internum, ausgedehnter Ursprung des M. pe-
ctoralis am Querschenkel des Episternum, Kleinheit des M. coraco-
brachialis brevis, ausgebreiteter episternaler Ursprung des M. del-
toides clavicularis, Vereinfachung des M. subscapularis externus,
eigenartige an Phrynosoma etwas anklingende Differenzierung des
Anconaeus coracoideus). Die Beurteilung aller dieser Kigentiimlich-
keiten weist den Varanidae eine hohe und isolierte Stel-
lung unter den kionokranen Lacertiliern an; gewisse Besonder-
heiten sind so eigenartig, da sie bei keinem anderen Lacertilier
und auch bei Sphenodon sich nicht wiederfinden, wihrend in ein-
zelnen Differenzierungsrichtungen (M. cucullaris, M. levator sca-
pulae) ein Weg eingeschlagen erscheint, der etwas an die von den
Crocodiliern in hoéherer Vervollkommnung ausgebildeten Verhalt-
nisse erinnert. Es erscheint nicht zulassig, daraufhin die Varanidae
von den kionokranen Lacertiliern abzutrennen und zwischen die-
selben und die Crocodilier zu stellen, aber wohl gestatten diese
Verhaltnisse, sie innerhalb der kionokranen Lacertilier zum Range
einer héheren Abteilung (Subordo) zu erheben.
Ueber die systematische Bedeutung der betreffenden Mus-
kulatur der Amphisbaenier werden, wie schon oben (p. 444)
betont, mangels des dafiir nétigen Materiales (namentlich Chiro-
tidae) keine Untersuchungen mitgeteilt.
2. Chamaeleontia.
Gegeniiber den bei den kionokranen Lacertiliern (exkl. Uroplates)
beobachteten Verhaltnissen gewaihrt die Muskulatur der Schulter
und des proximalen Teiles der vorderen Extremitat der Chamae-
leontia (Schultermuskeln, III, 1875, p. 746—767; diese Abhandlung
p. 445—459) ein besonderes Geprige, welches — zusammen mit
anderen Merkmalen — das Recht giebt, diese Lacertilier als be-
588 Max Fiirbringer,
sondere Unterordnung von den kionokranen Lacertiliern abzutrennen.
Diese Besonderheiten der Muskulatur, die indessen der Ankniipf-
ungen an die kionokranen Lacertilier nicht entbehren, sind unter
anderem: die eigenartige Sonderung der Mm. cucullaris und sterno-
mastoideus, mit der sich eine hochgradige Riickbildung des M.
cucullaris verbindet; die Insertion des M. serratus superficialis an
der knéchernen Scapula und die innige Beziehung dieses Muskels
zu dem M. serratus profundus; die Reduktion des M. sterno-cora-
coideus internus superficialis; die Beschrinkung des Ursprunges
des M. pectoralis auf das Sternum und die Sternocostalien, wobei
die von letzteren kommende Partie sich von besonderer Differen-
zierung und Starke erweist; die Ausbreitung des M. supracora-
coideus auf das scapulare Gebiet (M. supracoracoscapularis); die
extreme Verkiirzung des M. coraco-brachialis brevis; die Um-
fassung der schlanken Ursprungssehne des M. biceps brachii durch
die Insertion und Ankerung des M. pectoralis; der namentlich an
der 3. und 4. Rippe stattfindende Ursprung des M. latissimus
dorsi; die weitgehende proximale Trennung und Entfernung der
Mm. dorsalis scapulae und deltoides inferior, sowie die mit der
volligen Reduktion der Clavicula und des Episternum zusammen-
hangende Ueberwanderung des Ursprunges des M. deltoides inferior
auf Sternum und Vorderrand des Coracoides; die betrichtliche
Retraktion und Reduktion des M. scapulo-humeralis anterior und
Seine von dem M. supracoracoscapularis bedeckte Lage; die Re-
duktion des M. subscapularis externus; der eigenartige zweiképfige
Ursprung des M. anconaeus scapularis von der Scapula und die
Verbindung der humeralen Ankerung mit dem tiefen Kopfe; die
vollige Riickbildung des Anconaeus coracoideus; die schwache Ge-
staltung der am Oberarm befindlichen Muskulatur (besonders bei
Brookesia).
Mit einigen dieser Differenzierungen (Riickbildung des M.
sterno-coracoideus internus superficialis, Ausbildung eines M. supra-
coracoscapularis, weitgehende proximale Trennung der Mm. dor-
salis scapulae und deltoides inferior, Ursprung des M. deltoides
inferior vom Coracoid und Sternum, Retraktion des M. scapulo-
humeralis anterior auf den hinteren Rand des Schultergiirtels)
stehen die Chamaeleontia allen untersuchten kionokranen Lacer-
tiliern ohne Ausnahme gegeniiber; weitaus die meisten Besonder-
heiten teilen sie mit den Uroplatidae (p. 585 f.), so daf diese, wie
schon oben erwihnt, als tiefer stehende, kionokrane Verwandte der
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 589
zu hoherer einseitiger Entwickelung gelangten Chamaeleontia
anzusprechen sind.
3. Sphenodon (Rhynchocephalia).
Die weitaus zahlreichsten Charaktere der Muskulatur der
Schulter und des proximalen Bereiches der vorderen Extremitat teilt
Sphenodon (diese Abhandlung p. 462—500) mit den kionokranen
Lacertiliern, und unter diesen sind es wieder die mit T-formigem
Episternum und schlanker Clavicula versehenen Formen, insbe-
sondere die Agamidae, welche vielfache Uebereinstimmungen mit
Sphenodon bekunden. Es ist daher sehr wohl erklarlich, da (ab-
gesehen von anderen ahnliche systematische Resultate vertretenden
Autoren) neuerdings auch Osawa (1898), der unter anderen diese
Muskeln untersucht’ hat, zu dem Schlusse kam, Sphenodon den
Lacertiliern einzureihen und als ein den Agamidae angehdriges
oder wenigstens ihnen nahe stehendes Reptil zu bezeichnen.
Die genauere Betrachtung der in Frage kommenden Musku-
latur von Sphenodon zeigt aber, daf dieselbe gegeniiber allen
Lacertiliern gewisse Besonderheiten (Beschrankung der
Insertion des M. cucullaris + cleido-mastoideus auf Acromion und
Clavicula; ausgebreiteter parasternaler Ursprung des M. pectoralis ;
ausgedehnter und die Membrana sterno-episternalis deckender Ur-
sprung des M. deltoides clavicularis von dem Episternum; Koexistenz
der Mm. scapulo-humeralis anterior und posterior; eigenartige Ent-
wickelung des Lig. scapulo-humerale laterale, welches nach vorn
bis zum Acromion sich erstreckt und an seinem humeralen Ende
dem M. supracoracoideus zu einem grofen Teile als Insertions-
fliche und dem M. humero-radialis ganz vorwiegend als Ursprungs-
stelle dient; Existenz des diploneuren, den Lacertiliern fehlenden
M. humero-radialis) darbieten, die zwar nicht an Zahl, um so
mehr aber an qualitativer Bedeutung hervortreten.
Die mit den kionokranen Lacertiliern itiberein-
stimmenden Charaktere teilt Sphenodon einerseits mit den
primitiveren Formen derselben (allgemeines Verhalten des M.
cucullaris + cleido-mastoideus; muskuléser Ursprung des M. biceps
brachii; Ursprungsverhaltnisse des gut entwickelten Anconaeus
coracoideus), andererseits mit ihren mafig hoch entwickelten
Vertretern (Verhalten des Lig. sterno-scapulare internum; M. latis-
simus dorsi; M. dorsalis scapulae) und wieder andererseits mit
590 Max Firbringer,
den héchsten kionokranen Lacertiliern (Grad der Ausbildung
der Membrana sterno-episternalis; Mm. sterno-coracoidei interni ;
ausgedehnter episternaler Ursprung des M. pectoralis; hohe Dif-
ferenzierung des M. scapulo-humeralis anterior; partielle Reduktion
der Pars scapularis m. subcoracoscapularis; Verhalten des M. an-
conaeus scapularis)'). Weiterhin gewahren gewisse Differen-
zierungen des M. serratus superficialis und M. levator scapulae et
serratus profundus, sowie die Existenz des M. scapulo-humeralis
posterior und M. humero-radialis unverkennbare Anklange an
die entsprechenden Bildungen bei den Crocodiliern. Endlich
sei auf die (nur einmal gefundene) erste Ausbildung eines Caput
breve m. bicipitis brachii (p. 478) hingewiesen ’”).
Die in Frage kommende Muskulatur von Sphenodon zeigt
somit zahlreiche Uebereinstimmungen mit den kionokranen Lacer-
tiliern, vereinzelte mit den Crocodiliern, zugleich aber eindrucks-
volle Ziige, welche sich nicht mit dem Lacertilier-Typus vereinigen
lassen und dem vorliegenden Rhynchocephalier eine besondere
Stellung anweisen. Sphenodon, als lebender Vertreter der Rhyncho-
cephalier, steht auf Grund der vorliegenden muskulésen Bildungen
auferhalb der Ordnung der Lacertilier, derselben aber viel mehr
genihert als der Ordnung der Crocodilier. AuSerdem aber zeigt die
besprochene Muskulatur, dai Sphenodon auf diesem Organgebiete
durchaus nicht ein rein oder tiberwiegend primitives Verhalten
darbietet, sondern daf sich. mit primitiven Ziigen ein gréferes
Plus sekundarer, mittelhoch oder hoch differenzierter Gebilde
mengt, welches ihn hoher stellen laSt als die primitiveren Familien
unter den kionokranen Lacertiliern.
Wie weit sich Sphenodon in diesem Stiicke den kionokranen
Lacertiliern nahert oder von ihnen entfernt, hangt von der quali-
tativen und quantitativen Bedeutung der oben angegebenen Dif-
ferentialmerkmale ab. Daf er einige Bildungen darbietet, welche
1) Auch die oben erwahnten, jenseits des Bereiches der Lacer-
tilier stehenden Bildungen des M. deltoides clavicularis (namentlich
im Verhalten zu der Membrana sterno-episternalis), sowie des Lig.
scapulo-humerale laterale sind nicht als etwas Primitives, sondern
als héhere Differenzierungen zu beurteilen.
2) Bekanntlich erst bei den Saugetieren in allgemeinerer Ver-
breitung ausgebildet. Selbstverstiindlich denke ich aber nicht daran,
in dieser an sich interessanten Parallelerscheinung bei Sphenodon
einen direkten Vorlaufer der betreffenden mammalen Differenzierung
zu erblicken.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 591
jenen abgehen, somit eines gréferen Reichtumes in seinem Muskel-
system sich erfreut, kann an sich als primitives, Ausgang gebendes
Merkmal aufgefaSt werden; doch ist es nétig,; damit zu rechnen,
da diese Muskelbildungen zum Teil auch auf spateren, wahrend
der weiteren Entwickelungsphasen der Rhynchocephalier-Ordnung
erworbenen Differenzierungen beruhen kénnen:
1) Ob der parasternale Ursprung des M. pectoralis
von Sphenodon eine absolute oder relative Differenz gegentiber
den Lacertiliern darstelle, hangt zusammen mit der Entscheidung,
ob die Vorfahren der Lacertilier dereinst parasternale Gebilde
besafien oder nicht. War dies der Fall, so wiegt dieses Differential-
merkmal nicht so schwer, wie es auf den ersten Blick scheint.
Wie schon im Vorhergehenden (p. 561 f.) erwaihnt, kann aber bei
der Unvollkommenheit der jetzigen Materialien tiber die eventuelle
einstmalige Existenz eines Parasternum bei den Vorfahren der
jetzigen Lacertilier zur Zeit keine sichere Entscheidung gegeben
werden. Ganz abgesehen von der allgemeinen Erfahrung, daf das
Parasternum ein bei den héheren Typen verschiedener Sauropsiden-
Ordnungen in Schwund tretendes Gebilde ist, konnten auch fiir
die Lacertilier im speciellen gewisse Wahrscheinlichkeitsgriinde
fiir eine einstmalige Existenz bei den friihesten Vorfahren der-
selben angefiihrt werden, und unter diesen wurde namentlich auch
auf das besondere Verhalten des M. rectus lateralis der Lacertilier
hingewiesen. Es besteht somit die Mdéglichkeit, selbst Wahr-
scheinlichkeit, da dereinst auch der M. pectoralis der friihesten
Vorfahren der Lacertilier zum Teil mit parasternalen Bildungen
in Zusammenhang stand, da8 aber dieser Verband frithzeitig in
vollkommene Riickbildung und damit zu dem Verhalten der Rhyn-
chocephalier in recht scharfen Gegensatz trat.
2) Der sehr ausgedehnte episternale Ursprung des
M. deltoides clavicularis von Sphenodon steht nicht unver-
mittelt da, weil auch bei Lacertiliern dieser Muskel in geringer
Ausdehnung auf das Episternum iibergreifen kann; etwas sehr
Abweichendes ergiebt aber die Bedeckung der Membrana
sterno-episternalis durch diesen episternalen Teil des M.
deltoides, denn bei den kionckranen Lacertiliern befindet sich die
sternale Insertion des M. sterno-episterno-cleido-mastoideus und
die mit ihr in genetischem Konnexe stehende Membrana sterno-
episternalis oberflachlich vom M. deltoides clavicularis. Hier liegt
bei Sphenodon eine lange, woh] an primitive Zustinde der Lacer-
592 Max Fiirbringer,
tilier ankniipfende, aber eine sehr abweichende Richtung ein-
schlagende und zu sehr heterogenem Endziele gelangte Ent-
wickelungsbahn yor.
3) Durch die Koéxistenz der beiden Mm. scapulo-
humerales (p. 486 f.) stellt sich Sphenodon einerseits allen
Lacertiliern (die nur einen M. scapulo-humeralis anterior haben),
andererseits den Crocodiliern (die nur den M. scapulo-humeralis
posterior aufweisen) gegeniiber, wahrend er diesen doppelten Besitz
mit den Végeln teilt. Ich erblicke darin ein primitives Moment,
das auch bei den Amphibien nicht ohne Parallele ist.
4) Die Entwickelung des Lig. scapulo-humerale laterale zu
einem formlichen Lig. acromio-humerale (p. 492), das mit
seinem humeralen Ende dem M. supracoracoideus Insertion, dem M.
humero-radialis Ursprung gewahrt, lift sich von lacertilierartigen
Verhialtnissen ableiten, steht aber im Grade seiner Ausbildung
nicht allein hoch tiber diesen, sondern prasentiert sich auch in
einer Eigenart, welche unter den bekannten Formen keine Ver-
mittelung darbietet und Sphenodon ein in dieser Hinsicht ganz
singulares Geprige verleiht.
5) Endlich reprasentiert der M. humero-radialis (p. 495 f.)
ein ganz besonderes Gebilde von Sphenodon, fiir welches die Cro-
codilier und Végel partielle Homologe, die Lacertilier aber nichts
irgendwie Vergleichbares darbieten. Bei dem eigentiimlich kom-
plexen, diploneuren Charakter dieses Muskels ist es nicht wahr-
scheinlich, daf er eine uralte, generelle Bildung darstelle, die auch
den Vorfahren der Lacertilier zukam und spiter bei ihnen in
Schwund trat; im Gegenteil ist eine gréfere Wahrscheinlichkeit
dafiir vorhanden, daf die Lacertilier niemals etwas derartiges
besaBen, daf somit auch dieser Muskel eine praignante Differenz
von Sphenodon gegentiber den Lacertiliern bekundet.
Mag somit auch hinsichtlich des einen oder des anderen
Faktors bei genauerer Betrachtung die Scharfe des Gegensatzes
sich mildern, die Summe der Faktoren gentigt jedenfalls, um Sp he -
nodon auferhalb des Bereiches der Lacertilier, wenn
auch in ihre Nahe, zu stellen und seine Differenzierung
nicht einseitig als eine primitive und allgemeine, sondern viel-
mehr als ein Gemisch primarer, genereller Ziige mit
sekundadren, specialisierten zu betrachten.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 593
4, Chelonier.
In hohem Grade abweichend von den Verhaltnissen bei den
Lacertiliern und bei Sphenodon verhalt sich die Schulter- und
Oberarm - Muskulatur der Chelonier (Schultermuskeln, II, 1874
p. 239—276); infolge der eigenartigen Ausbildung des Riicken-
und Bauchschildes ist sie zugleich in ihren zu einem grofen Teile
auf diese Schilder tibertragenen Urspriingen so specifisch und
weitgehend umgebildet, daf} es nicht leicht fallt, das urspriingliche
Gesicht dieser Muskulatur, wie es sich bei den primitiven atheken
Vorfahren‘) der Chelonier gezeigt haben mag, herauszuliésen.
Was nach Abzug dieser speciellen Anpassungen tibrig bleibt, be-
kundet ein Gemisch primitiver Verhaltnisse und hoherer Ditfe-
renzierungen, von denen aber die letzteren wesentlich iiber-
wiegen. In Summa darf man den betreffenden Bildungen der
Chelonier unbeschadet gewisser primordialer Ziige eine erheblich
hohere Entwickelungsstufe anweisen als den Lacertiliern und als
Sphenodon.
Die mit der Bildung des Riicken- und Bauchschildes
zusammenhangenden besonderen Differenzierungen betreffen
vornehmlich: die Mm. cucullaris und episterno-mastoideus, die
zum M. testo-scapulo-procoracoideus und zum M. capiti-pla-
stralis umgebildet wurden; den M. costo-coracoideus, der sich in
eigentiimlicher Weise zum M. testo-coracoideus umgestaltete; den
M. pectoralis, der seine sternalen und costalen Urspriinge ginzlich
verlor und die an dem hinteren Bereiche des Episternum und an
dem Parasternum stattfindenden zu einem breiten Anfange vom
Plastron ausbildete; den M. latissimus dorsi, der seine Urspriinge
1) Die jetzt lebenden Atheca (Sphargidae mit Dermochelys
coriacea) sind keine primordialen Atheca, sondern sind zu ihrem
scheinbar primitiven Verhalten sehr wahrscheinlich zu einem guten
Teile durch sekundare Riickbildungen des bei ihren Vorfahren
vermutlich besser ausgebildeten Riicken- und Bauchschildes ge-
kommen. Zahlreiche Besonderheiten im Skelettbau und in der An-
ordnung der Muskulatur bezeugen teilweise eine hodhere Stellung
der Sphargidae, als es nach der geringen Entwickelung ihres
Panzers aussieht, und mancherlei Beriihrungspunkte bekunden nicht
zu ferne verwandtschaftliche Beziehungen zu den cryptodiren Che-
lonidae.
594 Max Firbringer,
nicht auf die Wirbeldornen, sondern auf die Rippen lokalisierte
und damit unter weiteren Umbildungen und Reduktionen auf den
Anfang des Riickenscheidels verlegte; sowie endlich den M. delto-
ides clavicularis, dessen dereinstiger clavicularer Ursprung auf
den Anfang des Plastron, ungefahr da, wo Clavicula und Epister-
num sich befinden, sowie auf das Procoracoid sich itbertrug
(M. scapulo-procoraco-plastro-humeralis). | Namentlich fiir das
Verstiindnis der Urspriinge der beiden letzten Muskeln gewahren
die Verhiiltnisse bei den Chamaeleontia einzelne instruktive
Parallelen; selbstverstandlich liegt es mir aber in jeder Hinsicht
eiinzlich fern, irgend welche niheren Beziehungen zwischen den
beiden durchaus heterogenen und divergenten Typen anzunehmen,
sondern ich will durch die Heranzichung der Chamaeleontia nur
die Ueberwanderung und Lokalisierung der urspriinglichen spinalen
und clavicularen Urspriinge auf Rippen und Procoracoid demon-
Strieren.
Primitive Charaktere, aber nicht ganz rein, sondern mit
sekundaren vermischt, zeigen: der M. pectoralis in seinem nicht
weiter als bis auf den hinteren Langsschenkel des Episternum
reichenden Ursprunge; der wenigstens bei gewissen Cheloniern
(Trionyx) intimere Zusammenhang des M. supracoracoideus mit
dem M. deltoides inferior (M. procoraco-plastro-humeralis); der
M. biceps in seinem allenthalben muskulésen Anfange von dem
Coracoid; die Mm. brachialis inferior und anconaeus in ihrer
kraftigen, aber im ganzen einfachen Ausbildung.
Diesen nicht zahlreichen primitiven Ziigen tritt eine tiber-
wiegende Fille héherer und einseitiger Differen-
zierungen gegeniiber, welche auch auf diesem Gebiete die Che-
lonier als ausgebildete Specialisten charakterisicren: Der M. epi-
sterno-cleido-mastoideus gewinnt nicht nur neue Anheftung an dem
Plastron, sondern aberriert auch an die Fascie der Schulter (ver-
mutlich infolge der Riickbildung und Ablésung der Clavicula von
dem primaren Schultergiirtel); der M. cucullaris verliert in zu-
nehmendem Mafe seine alten Urspriinge und bildet schlieSlich bei
den hdheren Cheloniern eine zwischen Scapula und Procoracoid
erstreckte, nur noch in ihrer Mitte muskulés gebliebene binde-
gewebige Membran; das System der Mm. thoracici superiores
(levator scapulae et serratus) befindet sich, in Korrelation zu der
festeren Anheftung der Scapula am Riickenschilde, allenthalben
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 595
im Zustande einer mehr oder minder weit vorgeschrittenen Riick-
bildung; der M. supracoracoideus ist bei den meisten Cheloniern
(exkl. Trionyx, wo nur ein leichter Spalt die beginnende Sonderung
andeutet) in zwei erst an der Insertion zusammentretende Muskeln
(M. supraprocoracoideus und M. supracoracoideus) zerfallen; der
M. coraco-brachialis ist in seiner Insertion auf den proximalen
Teil des Humerus beschriinkt, dabei aber in besonderer (zu den
Verhaltnissen bei Anuren und Voégeln eine gewisse Parallele dar-
bietender) Weise in einen M. coraco-brachialis brevis externus und
M. cbr. brevis internus differenziert, wobei ersterer dem M. coraco-
brachialis brevis der Lacertilier und Rhynchocephalier, letzterer
dem M. coraco-brachialis longus derselben naher steht; der M.
biceps brachii zeigt eigentiimliche Spaltungen und in weiterer ein-
seitiger Entwickelung des Lacertus fibrosus weit am Vorderarme
und selbst bis zur Hand hinabreichende Insertionen; der M. del-
toides inferior hat, wie schon oben angegeben, infolge der Riick-
bildung und Aufnahme der Clavicula in das Plastron seine Ur-
sprungsverhaltnisse erheblich verandert; die Mm. scapulo-humerales
sind gréftenteils geschwunden; dem M. subcoracoscapularis fehlt
vollkommen der coracoidale Teil, dessen Ursprungsstelle von dem
M. coraco-brachialis brevis internus eingenommen wird, wihrend der
scapulare (M. subscapularis) eine sehr machtige, aber infolge der
Verkiimmerung des M. serratus einheitliche Entwickelung ge-
nommen hat. Bei der tiberwiegenden Mehrzahl dieser Differen-
zierungen zeigt Trionyx primitivere Verhaltnisse, wihrend sich
Sphargis, bei unverkennbaren Besonderheiten, mehr den héheren
Cheloniern, insbesondere Chelone anschlieBt.
Eine Ableitung der entsprechenden Muskeln der Lacertilier
und Rhynchocephalier von denen der Chelonier ist véllig unméglich,
wohl aber gelingt es, letztere auf die der beiden ersteren zuriick-
zufiihren und damit zu begreifen. Nach den sehr tiefgreifenden
Veranderungen ist anzunehmen, daf die Sonderung und Ausbildung
der Chelonier bereits in sehr friiher Zeit statthatte ‘).
1) Auch sei nicht unterlassen, auf die mancherlei Aehnlichkeiten
mit anuren Bildungen hinzuweisen, welche mich 1873 und 1874
veranlaften, die Behandlung der Schultermuskeln der Chelonier auf
die der Anuren folgen und derjenigen der Lacertilier vorausgehen
zu lassen. Ich méchte dieselben jetzt nicht mehr so hoch stellen
wie damals und in der Hauptsache nur Parallelbildungen in ihnen
erblicken, welche keine Verwandtschaft zwischen Anuren und Che-
596 Max Firbringer,
5. Crocodilier.
Die Schulter- und Oberarmmuskeln der Crocodilier (Schulter-
muskeln, II, 1875 p. 767—808; diese Abhandlung p. 500—519)
weichen gleichfalls erheblich von denen der Lacertilier und Rhyncho-
cephalier ab, doch ist ihr Typus lange nicht so abweichend und
einseitig gestaltet wie der der Chelonier, so daf die Ankniipfungen
an die Lacertilier und Rhynchocephalier sich ohne Schwierigkeit
ergeben. Unter den ersteren kehren die Varanidae (p. 586 f.),
ohne aus dem Verbande der Lacertilier herauszutreten, ihr Gesicht
den Crocodiliern zu, und Sphenodon zeigt gleichfalls einige gemein-
same Charaktere mit den Crocodiliern (p. 590), wenn er auch den
Lacertiliern viel naher steht als diesen.
Wesentliche Differentialmomente bieten dar: der ganz eigen-
artig differenzierte M. sterno-mastoideus (M. atlanti-mastoideus
und M. sterno-atlanticus); der allen anderen Reptilien abgehende,
aber bei den Végeln in noch héherem Grade entwickelte M. rhom-
boides; der M. costo-coracoideus, der mit keiner Bildung der
Lacertilier und Rhynchocephalier einen direkten Vergleich ge-
stattet, wihrend die Mm. sterno-coracoidei interni und sterno-
costo-scapularis nebst dem Lig. sterno-scapulare internum der
Lacertilier und Rhynchocephalier (die sich auch teilweise bei den
Voégeln wiederfinden) den Crocodiliern géinzlich abgehen; der
M. supracoracoideus (supracoracoscapularis), der in seinem Ueber-
greifen auf die Innenseite des Coracoides und die Aufenflache der
Scapula allerdings gewisse Parallelen mit dem Verhalten bei den
Uroplatidae (Uebergreifen auf die Innenseite des Coracoides) und
den Chamaeleontidae (Ausbreitung auf die Scapula) darbietet; der
nur durch den Cbr. brevis reprasentierte kurze M. coraco-brachialis ;
der nicht mehr von dem M. cucullaris bedeckte und recht re-
duzierte M. latissimus dorsi; der zufolge der Riickbildung der Cla-
vicula abweichende (aber etwas an die Verhiltnisse bei den Cha-
maeleontidae erinnernde) Ursprungsverhiltnisse darbietende M. del-
toides clavicularis (M. deltoides inferior); der Mangel des M. sca-
loniern begriinden, aber immerhin zeigen, daf der bei den Amphibien
von urodelen- zu anurenartigen Formen fiihrende Entwickelungs-
weg auch innerhalb der Reptilien in der schlieflichen Ausbildung
der primitivsten Vertreter derselben zu chelonierartigen Formen eine
gewisse Parallele besitzt.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 597
pulo-humeralis anterior und die Existenz des M. scapulo-humeralis
posterior; die ginzliche Riickbildung der Pars coracoidea des
M. subcoracoscapularis (M. subscapularis); die nach ganz anderem
Typus erfolgte Ausbildung des M. anconaeus mit allen seinen
K6épfen; die besondere Differenzierung des M. humero-radialis.
Hier liegen Ditferenzierungen vor, die sich meistens weit tiber
das Bildungsniveau bei den Lacertiliern und bei Sphenodon er-
heben, zum Teil in ihren mutmaflichen Anfangen direkte An-
kniipfungen an diese gestatten, zum Teil aber als Bildungen sui
generis sich zu erkennen geben, fiir welche die bekannten Dif-
ferenzierungen der lebenden Lacertilier und Rhynchocephalier nicht
als ausganggebend angesehen werden kénnen. Die Wurzel der
Crocodilicer kann somit auf Grund dieser muskulésen Differen-
zierungen nicht direkt auf bekannte lebende Formen derselben zu-
riickgefiihrt werden; sie ist aber auf etwas mehr generalisierte
Muskelgebilde leicht zu beziehen. Solche mégen die Vorfahren der
Lacertilier und Rhynchocephalier dargeboten haben; doch hat eine
solche Konstruktion und Ableitung, weil ihr die thatsichlichen,
direkt ad oculos zu demonstrierenden Unterlagen fehlen, nur die
Bedeutung von Wahrscheinlichkeiten, aber nicht die Kraft reeller
Beweise.
D. Systematische und genealogische Schliisse’).
I. Stellung der primitivsten Reptilien (Lacertilia
und Rhynchocephalia), Abstammung der Sauropsiden.
Die vorhergehenden Mitteilungen ergaben, daf die ihnen zu
Grunde liegenden genauer untersuchten Skelet-, Muskel- nnd
1) Der rein zusammenfassende Charakter dieser kurzen Mit-
teilungen schlieSt jedes genauere Hingehen auf die Litteratur aus.
Es sei zu diesem Zwecke namentlich auf die bekannten systema-
tischen und genealogischen Werke von Owen, Corn, Baur, Marsu, Bou-
LENGER, Zirrer, LypEKKerR, SEpLEY und HaxrcKen und die wenigstens
mit den Jahreszahlen markierten sonstigen Verdffentlichungen in
diesem Gebiete verwiesen. Der mit denselben vertraute oder in sie
Einsicht nehmende Leser wird die Uebereinstimmungen und Ab-
weichungen meiner Auffassung und Darstellung ohne weiteres er-
kennen.
598 Max Firbringer,
Nervenverhaltnisse des Brustschulterapparates und der vorderen
Extremitét bei den Ordnungen der Lacertilier und Rhyncho-
cephalier die am meisten primitive Entwickelung unter
den Sauropsiden bekunden. Dies wird auch durch die Resultate
fremder und eigener Untersuchungen an zahlreichen anderen
Teilen des Kérpers dieser Tiere bestitigt.
Von den Rhynchocephaliern ist nur noch ein Reprasentant,
Sphenodon, tibrig geblieben; um so gréfer ist der Reichtum und
die Mannigfaltigkeit der noch mehr als 1600 lebende Vertreter
zihlenden Lacertilier.
Diese Mannigfaltigkeit ist auf den ersten Blick verwirrend
und laf%t zuniachst leicht den Gedanken entstehen, daf hier ein
Heer von recht divergenten Specialisten vorliege; bei sehr
gattungs- und familienreichen Abteilungen fallen stets zuerst die
Divergenzen auf, und erst die tiefer gehende Vergleichung aft
das Gemeinsame erkennen. Diese zeigt hier, dafi alle diese ver-
schiedenartigen und zum Teil sehr fein ausgearbeiteten Differen-
zierungen — beispielsweise sei an die zahlreichen Fensterbildungen
und die ungemein gracile Gestaltung vieler Skeletelemente') er-
innert — keineswegs einen héheren Standpunkt bekunden, sondern
sich vielmebr innerhalb relativ tieferer Entwickelungsstufen be-
wegen und ungezwungen auf einen sehr primitiven Typus des
Reptilienkérpers zuriickfiihren Jassen, welchem die tiefsten Vertreter
der kionokranen Lacertilier (Geckonidae, danach die in mancher
Hinsicht schon héher entwickelten Scincidae) recht nahe stehen.
Der rhynchocephale Sphenodon giebt sich auch in der
iiberwiegenden Summe seiner Merkmale als ein recht primitives
Reptil von genereller Struktur und Erhaltung verschiedener, sehr
alten fossilen Reptilien eigenthiimlicher Charaktere (die zum Teil
von den Lacertiliern aufgegeben wurden) zu erkennen; andere
Merkmale, am Kopf und. an den Extremititen, bekunden eine
hohere und speciellere Differenzierung, als wir bei den primitiveren
Formen der Lacertilier finden. Die gewissenhafte Abschitzung
aller Instanzen wird ihn tiefer als die héheren Typen unter den
Lacertiliern, aber héher als die tieferen Vertreter derselben stellen.
Ganz besonders sei auf den Kieferstiel (Quadratum) hingewiesen,
1) Fensterbildungen und gracile Gestaltungen dieses oder jenes
Skeletteiles finden sich bereits bei Selachiern, ohne daf damit der
primitiven Stellung dieser Vertebraten Eintrag geschieht.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 599
dessen streptostyles Verhalten bei den Lacertiliern gegentiber dem
monimostylen bei Sphenodon ein primitiveres Merkmal bildet').
Die Beurteilung der systematischen und genealogischen Stellung
der Lacertilier und Rhynchocephalier innerhalb des Sauropsiden-
stammes ist aber selbstverstindlich ohne Kenntnis der palionto-
logischen Geschichte derselben unvollstandig.
1) Das primordiale Verhalten der Streptostylie beweist auch
der M. spheno-pterygoquadratus (partielles Homologon des M. levator
maxillae superioris Verrer der Selachier und des M. tensor veli
palatini der menschlichen Anatomie) der Lacertilier (Tensor tym-
pani Sanpers) und Végel (zum Teil dem Orbito-quadratus Gapow’s
entsprechend), der hier einen ansehnlichen, in der Hauptsache am
Pterygoid, aber bei gewissen Lacertiliern (Hemidactylus, Gehyra,
Varanus) und Végeln auch am Quadratum inserierenden Muskel
reprasentiert, bei Sphenodon sehr reduziert, aber auch zum Teil
noch zum Quadratum verfolgbar ist. Die Annahme einer der
Streptostylie vorausgehenden Monimostylie bei allen diesen Tieren
wiirde die Existenz dieses Muskels und seiner Insertion am Qua-
dratum nicht recht verstiindlich machen. —- Von anderer Seite
(Atprecut, Cope u. A.) ist die gelenkige Verbindung des Quadratum
mit dem Schiidel aus der unbeweglichem Vereinigung beider Teile
abgeleitet worden. Das diirfte eine Umkehrung der thatsiachlichen
Entwickelungsverhiltnisse sein (vergl. unter anderen auch Kinestry
1900). Wie uns die Selachier und die Ontogenese der tiefer-
stehenden Gnathostomen lehren, bildet die bewegliche gelenkige
Verbindung des Kieferstieles mit dem Kranium den Ausgangspunkt,
wihrend die bei gewissen Formen der Anamnia (z. B. Holocephala,
Dipnoa, Amphibia) sich findende Verschmelzung beider Teile erweisbar
der abzuleitende Zustand ist. Durch die reiche und michtige Deck-
knochenausbildung in jenem Schidelbereiche mag diese Verschmelzung
begiinstigt worden sein. Damit ist aber noch kein Recht gegeben,
an die erste Hypothese einer sekundiren Reduktion jener Deck-
knochen (gegen die ich, wenn mit Ma8 vertreten, gar nichts einzu-
wenden habe) auch die zweite Annahme eines wieder beweglich
werdenden Quadratum anzukniipfen. So lange, trotz sonstiger
Fixation durch die Temporalbogen, das dorsale Ende des Qua-
dratum noch eine diarthrotische Verbindung mit dem Schadel dar-
bietet, ist die Wiederherstellung der einstigen Streptostylie unter
Riickbildung jener Temporalbogen méglich. Die Untersuchung eines
ausgewachsenen Sphenodon, sowie jiingerer Exemplare von Emys
orbicularis und Alligator mississippiensis zeigte mir aber keine Ge-
lenkhéhle in jener Gegend mehr, sondern einen syndesmotischen
resp. suturalen Verband (bei Sphenodon noch mit partiller Erhaltung
des urspriinglichen Gelenkknorpels, bei Emys und Alligator unter
Verlust desselben). Daf jiingere Embryonen von Cheloniern und
Crocodiliern ein knorpeliges, durch Bindegewebe locker mit dem
Primordialcranium verbundenes Quadratum darbieten, ist seit RATHKE
und W. K. Parker bekannt; die Ontogenese von Sphenodon wird
Bd, XXXIV. N. F. XXVIL 39
600 Max Firbringer,
Bei den Lacertiliern lat uns diese im Stich; was wir als
sicher erkannte fossile Vertreter derselben ansprechen kénnen,
gehért nicht den alteren Schichten an und steht morphologisch
nicht tiefer als viele Familien der noch lebenden Lacertilier. Un-
zweifelhaft ist dieses Deficit nur der Ausdruck unserer mangel-
haften paliontologischen Kenntnis der vielleicht auch zu einem
erofen Teile nicht erhaltenen Reste der altesten Lacertilier, die
vermutlich aus sehr kleinen, im Gesellschaftsleben der Reptilien
urspriinglich sehr zuriicktretenden Tieren bestanden'). Auf Grund
des morphologischen Baues der lebenden Lacertilier und aus der
Vergleichung entnommenen Griinden miissen wir annehmen, dal
echte Lacertilier bereits in paléozoischer Zeit existierten; vielleicht
gehérten Kadaliosaurus und gewisse Microsaurier zu ihnen.
Anders und besser steht es hinsichtlich der paliontologischen
Reste der Rhynchocephalier. Neben naheren Verwandten
von Sphenodon (Rhynchocephalia vera), die zum Teil einige héhere
Ziige aufweisen als dieser und uns eine nur geringe Aufklarung
hinsichtlich der phylogenetischen Entwickelung gewahren, besitzen
wir in den vorwiegend permischen Proterosauria eine sehr wichtige
Quelle der genealogischen Erkenntnis. In ihnen begegnen uns Formen,
die in der Hauptsache primitiver sind als Sphenodon, und der
alteste Vertreter derselben, die dem unteren Rotliegenden ange-
horende Palaeohatteria, ist auf Grund mehrfacher Ziige ihrer
Organisation wohl als das am tiefsten stehende oder wenigstens als
eines der am tiefsten stehenden bisher bekannt gewordenen Reptilien
anzusprechen. Andere, gleichfalls aus dem Rotliegenden stammende
Formen, wie Hylonomus?), Petrobates?), Kadaliosaurus,
vermutlich ahnliches, vielleicht auch noch eine embryonale Gelenk-
héhle zwischen dem dorsalen Ende des Quadratum und der Temporal-
region des Cranium (Streptostylie) aufweisen.
1) In der Kleinheit und dem Zuriicktreten dieser Tiere lag
auch ihre Zukunft, Entwickelungsfahigkeit und ihr Schutz. Grobe,
fertig ausgebildete Tiere sind durch ihre festgelegte Entwickelung
und ihr betrachtliches Koérpervolumen nicht mehr anpassungsfahig,
schwerer zu ernihren und Gefahren viel mehr exponiert; die Phylo-
genie der Tiere und Menschen zeigt uns allenthalben, daf Gréfe
und Hohe der Entwickelung zugleich den Keim des Niederganges
in sich tragt. Sie gewihrt eine groke Gegenwart, verbiirgt aber
keine lange Zukunft (vergl. auch das Kapitel iiber das Verhiltnis
der Kérpergréfe in den Untersuchungen zur Morphologie und Syste-
matik der Végel, 1888, p. 991—995).
2) Crepner (1890) hat bekanntlich bei Petrobates auf Ueber-
einstimmungen mit den Rhynchocephaliern hingewiesen, aber ihn
wie Hylonomus doch als Stegocephalen angesprochen. Von Baur
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 601
zeigen gleichfalls eine sehr tiefe Organisation, die selbst, wie schon
angedeutet, die Frage offen lat, ob hier primitive Vorfahren
der Rhynchocephalier oder der Lacertilier vorliegen resp. ob in
ihnen die gemeinsamen Vorfahren dieser beiden zu dieser Zeit
noch nicht gesonderten Reptilienordnungen gegeben sind.
Diese Frage diirfte wohl im wesentlichen zu beantworten sein,
wenn uns erst besser erhaltene Exemplare dieser Fossilien vorliegen.
Trotz der verschiedenen erheblichen Differenzen, welche Lacertilier
und Rhynchocephalier in ihren bisher genauer bekannten Vertretern
trennen, scheint mir die Annahme eines gemeinsamen Stammes
beider Abteilungen durch die weit gréSere Anzahl tibereinstimmen-
der Merkmale gerechtfertigt zu sein. Selbstverstaindlich wird hier
das genauere Verhalten des Quadratum von gréfter Bedeutung
sein; hier oder in noch alteren Schichten (Karbon, vielleicht noch
friiher) liegt die Wurzel, welche den primitiveren streptostylen
und den von ihnen abzuleitenden monimostylen Reptilien
Ausgang gab, und dieses Moment, d. h. die Art der Verbindung
des dorsalen Endes des Quadratum mit dem Cranium, halte ich
in diagnostischer Beziehung fiir wichtiger als das Verhalten der
Deckknochen in der Schlafengegend oder der Parasternalien in der
Bauchgegend.
Damit méchte ich keineswegs die Bedeutung jener Deck-
knochen gering achten. Zur Zeit, wo uns die Kenntnis der
meisten und wichtigsten primordialen Teile des Skelettes zufolge
ihrer grofenteils knorpeligen Beschaffenheit fehlt, und wohl auf
lange Zeit hinaus miissen wir uns mit jenen gut erhaltenen Deck-
knochen begniigen, da wir nichts Besseres haben; sie bilden in
der Gegenwart immer noch die relativ besten Werkzeuge unserer
phylogenetischen Erkenntnis. Von den Meisten ist angenommen,
da8 jene Deckknochen mit zahlreichen einzelnen Hautplatten be-
gannen und sich an den exponierteren Stellen des Kérpers unter
héherer Differenzierung zu festeren Panzern') zusammmenschlossen,
(1897) dagegen wurden weitere Reptilienthnlichkeiten dieser beiden
Microsaurier, namentlich das Verhalten der Sacralgegend der Wirbel-
siule und der ventralen Wirbelbogen, hervorgehoben, welche nach
der Entscheidung dieses Autors die Stellung beider innerhalb der
Reptilien bestimmten. Ob damit eine endgiltige systematische
Erkenntnis begriindet wurde, bleibt abzuwarten.
1) Gaupp hat hierfiir die guten Namen stegocrotaph, zygo-
crotaph (di-zygocrotaph und mono-zygocrotaph) und gymnocrotaph
eingefiihrt. Man kann noch die Termini anazygocrotaph und kata-
zygocrotaph zufiigen, um damit die Anwesenheit eines oberen oder
unteren Schlafenbogens zu bezeichnen.
og”
602 Max Fiirbringer,
daf danach eine mit Schwund gewisser Teile einhergehende Ver-
minderung der Zahl der zusammensetzenden Skelettelemente und
eine Abnahme ihres Volumens stattfand und in der Schlaifengegend
zu gesonderten Temporalbogen!), in der Bauchgegend zu_stab-
formigen parasternalen Spangen fiihrte und daf es schlieflich zu
weiterer Rarefizierung, Riickbildung und schlieflich Schwund *) jener
Bogen und Spangen in grokem Wechsel und grofer Mannigfaltig-
keit kam. Namentlich Baur (1889, 1894), Cops (1892) und Gaupp
(1894) haben diese Verhiltnisse in der Schlafengegend mit Sorgfalt
untersucht; ersterer nimmt sie als Ausgangspunkt fiir seine letzte
systematische Anordnung der Sauropsiden (1894).
Mit GeGENBAUR (1898) erkenne ich gern das Gesunde und
Richtige der diese Entwickelungsreihe fordernden Gedankengange an.
Ks besteht auch fiir mich kein Zweifel, dafi zahlreichere Elemente und
plumpere und massigere Konfigurationen der Auslese der notwendig-
sten Teile und ihrer schlankeren Gestaltung vorausgingen. Es ist, um
einen naheliegenden Vergleich zu ziehen, dieselbe erst nach und nach
entwickelte Materialersparnis, wie sie z. B. bei dem Uebergange des
romanischen Baustiles in den gotischen und bei dessen héherer Aus-
bildung sich vollzog. Verdénderungen der Bedingungen im Kampfe
ums Dasein mit feindlichen Tieren und feindlichen Klimaten, welche
vielleicht friiher einen héheren Schutz gegen die Aufenwelt nétig
machten, denselben aber spiter leichter entbehren liefen, mégen
auch bei dieser Rarefizierung und Auslese mitgewirkt haben.
Immerhin aber méchte ich sehr zur Vorsicht raten, diese Lehre
von der fortschreitenden Reduktion des Deckknochensystemes nicht
zu einem starren Schematismus ausarten zu lassen. Es ist még-
lich, daf simtliche alteste Reptilien einen nach Art der Stego-
cephalen geschlossenen Deckknochenpanzer besafen und daf der-
selbe nach und nach, je nach der Ausbildung dieser oder jener
ihrer Vertreter, bald in dieser bald in jener Weise sich modifizierte
und verminderte, da’ im speciellen die Ordnungen mit keinem
oder nur mit einem schlanken Temporalbogen von solchen mit
breitem Temporalknochenkomplexe oder mit zwei Bogen ab-
stammen und daf alle Vorfahren der lebenden Sauropsiden ein
hoch und voluminés entwickeltes Parasternum besafen, das nach
und nach in Reduktion und bei vielen Vertretern derselben selbst
in vélligen Schwund trat — es ist aber ebenso gut méglich, daf die
direkten Altesten Vorfahren der deckknochenirmeren Sauropsiden
(z. B. Squamata) jene Deckknochenbildung wohl in etwas reicherer
1) S. Anm. 1 auf p. 601%
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 603
Gestaltung besafen als die jetzt lebenden Vertreter, aber lange
nicht in der voluminésen Ausbildung, welche uns Stegocephalier
und viele andere Reptilien zeigen). Wir kennen die direkten
Vorfahren der Lacertilier nicht, wir wissen nicht einmal genug von
den fossilen Lacertiliern, um uns ganz direkte Schliisse iiber deren
Konfiguration zu gestatten, und aus diesem Grunde ist auch hier
grofie Vorsicht und geduldige Zuriickhaltung geboten.
Zum Teil mit dieser Frage hangt auch die viel allgemeinere
von der Abstammung der Sauropsiden von tiefer stehenden
Wirbeltieren ab. Dal die Vorfahren derselben eine Entwickelungs-
stufe durchlaufen haben, welche graduell mit derjenigen der Am-
phibien gleichwertig war, ist nicht zu bezweifeln. Wie aber das
Quale der direkten amphibienartigen Vorfahren der Sauropsiden
thatsachlich beschaffen war, entzieht sich zunachst noch unserer
Kenntnis. Konstruieren kann man sich dieselben sehr leicht; aber
solche Konstruktionen sind keine reelle Lésung, keine Erkenntnis.
Da die lebenden Amphibien mit ihren vielen besonderen Differen- ~
zierungen progressiver und regressiver Natur eine direkte An-
kniipfung der Sauropsiden an sie nicht gestatten, so sind wir auf
die altesten fossilen Amphibien, die Stegocephalen angewiesen, die
bereits im Karbon und im unteren Perm in grofem Reichtum und
in grofer Mannigfaltigkeit entwickelt waren; vermutlich lebten
auch primitive Vertreter von ihnen schon im Devon. Zahlreiche
Ziige in ihrem Skelettsystem zeigen Uebereinstimmung mit dem
der altesten Reptilien (Palaeohatteria, Hylonomus, Petrobates), und
namentlich die Konfiguration des Deckknochenapparates am Schadel,
Brustschulterapparat und Rumpf erhebt sich bei allen zu grofer
Aehnlichkeit. Aber gerade die wichtigeren typischen Konfigura-
tionen in ihren Knorpelteilen, unter anderem das genauere Ver-
halten des primordialen Kiefergaumenapparates, sind uns noch un-
bekannt; unsere Vergleichung arbeitet mit Bruchstiicken und hat
daher nur bedingten Wert.
Nichts hindert anzunehmen, dafi das, was man jetzt unter
dem Namen Stegocephalen zusammenfaft, neben echten stego-
cephalen Amphibien auch Formen enthalt, die diesen auferlich
wohl ahneln, in ihrem innersten Wesen und in ihrer Entwickelung
aber ganz heterogen von ihnen sich verhalten. Und ebenso gut
kann man annehmen, daf die wahren Proreptilien sich gar nicht
1) Ich nehme dabei an, daf diese Vorfahren bei ihrer Klein-
heit und dem versteckten Leben, das sie fiihrten (vergl. p. 600
Anm. 1), jenes Schutzes nicht so sehr bedurften wie die gréferen
und mehr exponierten Formen.
604 Max Firbringer,
unter den bis jetzt bekannten ,,Stegocephalen“ befinden, da sie
erst noch aufgefunden werden miissen. Und dies ist nur ein Teil
der Frage, welche die Genese der den Proreptilia gleichwertigen
Promammalia natiirlich auch im Auge behalten muf (siehe die
weiter unten folgenden Ausfiihrungen bei den Theromorpha).
Die meiner Ansicht nach zu postulierende streptostyle Beschaffen-
heit der Proreptilia und Promammalia gestattet keine direkte An-
kniipfung an die bisher bekannten monimostylen Amphibien oder
Dipnoer, ebensowenig aber eine solche an die wieder in anderer
Weise — hyostyl — erfolgende Verbindung des Kieferapparates
bei den Crossopterygiern, sondern laBt sich direkt nur zu solchen
primitivsten Vorfahren der Amphibien zuriickfiihren, deren Qua-
dratum nach Art der Selachier, und speciell der tiefsten Vertreter
derselben (Notidanidae), beweglich mit dem Schadel verbunden
war. Daf solche primitive streptostyle Amphibien einstmals
existiert haben, wird uns auch durch die bekannten onto-
-genetischen Befunde bei den jetzt lebenden Amphibien wahrschein-
lich gemacht. Vermutlich wandelte sich bei ihnen die Streptostylie
in dem Mage in Monimostylie um, als phylogenetisch ihr urspriing-
lich oberflachlich gelegener Deckknochenapparat mit dem Quadratum
in intimeren Verband trat und damit dessen freie Beweglichkeit
beeintrachtigte und schlieBlich bis zur Unbeweglichkeit aufhob.
Dazu kommen aber noch die vielen anderen wichtigen Dif-
ferentialmerkmale, nicht zum mindesten das Verhalten der Flossen,
die sich bei Amphibia, Sauropsida und Mammalia zu dem Cheiro-
pterygium ausbildeten, ohne daf wir tiber die demselben speciell
Ausgang gebende Flossenform tiefer stehender, noch nicht cheiro-
pteryger Tiere volle Klarheit besitzen.
Zusammenfassend wiirde folgendes zu sagen sein: Lacertilia
und Rhynchocephalia sind die am ticfsten stehenden Reptilien und
in der Hohe der Entwickelung im grofen und ganzen einander
gleichwertig, indem bei den einen bald diese, bei den anderen
bald jene Faktoren ihres morphologischen Baues tiefer oder héher
entwickelt sind. Die Streptostylie der ersteren ist als Beibehaltung
eines primordialen Zustandes, die Monimostylie der letzteren als
eine sekundare Differenzierung aus urspriinglicher Streptostylie zu
beurteilen. Eine Ableitung der Lacertilier von rhynchocephalier-
artigen Vorfahren wird durch das morphologische Verhalten beider
Abteilungen nicht unterstiitzt, wohl aber entspringen beide dem-
selben gemeinsamen streptostylen Stamme, welcher als die mehr
oder minder direkte Fortsetzung der hypothetischen Proreptilia
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 605
angesehen werden kann. Die streptostylen Proreptilia aber haben
sich neben den streptostylen Promammalia aus tiefer stehenden
streptostylen Tieren entwickelt, welche im Grade ihrer Ausbildung
amphibienartigen Tieren gleichzusetzen sind, in ihrem Quale aber
von allen bisher genauer bekannt gewordenen fossilen und leben-
den — monimostylen — Amphibien mehr oder minder verschieden
sich verhalten. Diese monimostylen Amphibien bilden einen Komplex
von Seitenzweigen aus dem urspriinglichen streptostylen Amphi-
bien-Stamme. Ob Reste der direkten Vorfahren der Amnioten in
der Stegocephalen genannten Sammelgruppe, in den noch unzu-
reichend bekannten Typen derselben sich finden oder nicht, ent-
zieht sich zur Zeit unserer Kenntnis. —
Ich wende mich jetzt zu einer kurzen Besprechung der einzelnen
Abteilungen der Reptilien ‘).
Il. Streptostylia s. Squamata (Lacertilia und
Op hidia) ”).
Die Ordnung der Lacertilier ist bekanntlich in alter Zeit (ins-
besondere von Stannius 1856) in die drei Unterordnungen der
kionokranen Lacertilia, Amphisbaenoidea und Chamaeleonidea
(Rhiptoglossa) gesondert worden; ihr wurde als gleichwertige Ord-
nung die der Ophidier zur Seite gestellt. Beide zusammen bildeten
den Superordo oder die Subclassis der Squamata s. Lepidosauria s.
Streptostylica *). Zwischen Lacertilia und Ophidia wurden dann,
namentlich nach Copsr’s Begriindung (1869), die Mosasauria s.
Pythonomorpha als gleichwertige Abteilung eingefiigt, eine syste-
matische Anordnung, die viel Beifall fand, aber auch mannig-
fachen Angriffen, namentlich von Seiten Baur’s (1890—1896, der
nach Cuvier’s und Anderer Vorgange die Mosasaurier den
Lacertiliern einverleibte und neben die Varanidae stellte) be-
gegnete. Fernerhin gaben BouLENGER’s bekannte systematische
Arbeiten (1884—1893) den Anstof zu weiteren Veranderungen,
wonach der Superordo Squamata zum Ordo Squamata mit den
Subordines Dolichosauria, Pythonomorpha, Lacertilia (kionokrane
1) Den kurz summierenden, zum Teil selbst skizzenhaften
Charakter dieser systematischen Uebersicht brauche ich nicht noch
besonders zu betonen und zu entschuldigen,
2) Vergl. auch p. 231—276, p. 366—374, p. 397459 und die
betreffenden Ausfiihrungen sub § 16 A—C, p. 521—589.
3) Nicht zusammenfallend mit der Ausdehnung, die LypEKKER
den Streptostylica giebt, indem er diesen auch die (nicht strepto-
stylen) Rhynchocephalia und Proterosauria einreiht.
606 Max Firbringer,
Lacertilia nebst Amphisbaenia, welche als einfache Familie
neben die Tejidae gestellt wurden), Rhiptoglossa und Ophidia
degradiert wurde; die Dolichosauria dienten BoULENGER als der
Ausgang gebende Subordo der Squamata, von dem die Pythono-
morpha, Lacertilia und Ophidia abstammten, wahrend die Lacer-
tilia ihrerseits wieder den Rhiptoglossa Ausgang gaben. Auch
gegen diese Einteilung, namentlich betreffend die Stellung der
Dolichosauria und Pythonomorpha, wurden Einwinde erhoben,
insbesondere von Baur (1890) und Dotio (1892), die in den
Dolichosauria nicht den Stammzweig, sondern nur einen Seiten-
zweig der Gruppe zu erkennen vermochten.
Meine — sich nicht blo8 auf die in den vorhergehenden Ab-
schnitten beschriebenen Kérpergebiete beschrankenden, sondern
iiber verschiedene Organsysteme erstreckenden — Untersuchungen
lassen mich der alten Einteilung unserer alten grofen Morphologen,
namentlich derjenigen von STaANNius (1856), den Vorzug geben.
Mit ihnen mochte ich Lacertilia im weitesten Sinne und Ophidia
unterscheiden, beide nahe verwandt, aber doch selbstandige Ord-
nungen, und die letzteren als héhere Specialisten von primitiven
Lacertiliern ableitbar.
Hinsichtlich des Ordo der Ophidia habe ich nichts weiter zu
bemerken und verweise im tibrigen auf die bereits von STANNIUS
und Huxtey angegebenen anatomischen Differentialmerkmale
gegeniiber den Lacertilia, sowie auf das treffliche System derselben
von BouLENGER (1892—96). Speciellere anatomische Untersuchun-
gen iiber die Vertreter derselben habe ich nicht angestellt.
Ein weit gréferes genealogisches Interesse kniipft sich an
die im grofen und ganzen tiefer stehende Ordnung der Lacer-
tilia (sensu latiori). Hier schlage ich die 5 Unterordnungen
Lacertilia vera, Varano-Dolichosauria, Mosasauria, Amphisbaenia
und Chamaeleontia vor.
a) Lacertilia vera‘).
Die Lacertilia vera bilden den Ausgang. Kionokrane Lacer-
tilier mit einer bei den typischen Vertretern”) aus 8 Halswirbeln
zusammengesetzten Halswirbelsiule, stehen sie durch eine grofe
Summe von primitiven Ziigen in ihrer Organisation tiefer als die
1) Lacertilia vera Bounmncer nach Ausschlu8 der Varanidae
und Amphisbaenidae.
2) Bei den schlangenartigen Formen tritt nicht selten eine Ver-
kiirzung der Halswirbelsiule ein.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 607
anderen angefiihrten Unterordnungen und erweisen sich zugleich
bei der grofen Fiille ihrer Formen als. eine reiche Fundgrube
des Verstindnisses der bei den Sauropsiden sich vollziehenden
Entwickelungsginge (vergl. auch p. 531, 550, 555, 581 f.)'). Unter
den Sauropsiden nehmen sie eine ahnliche Stellung ein wie die
Selachier unter den Fischen, und es ist als ein gliickliches Ge-
schick zu preisen, dafi uns diese reiche primitive Abteilung in
solcher Fiille bis zum heutigen Tage fiir die Untersuchung er-
halten geblieben ist.
Die vielen Familien derselben, beziiglich deren Definition und
Folge namentlich auf BouLeNnGEerR (1884—87) und Cope (1889)
verwiesen sei, lassen sich in den folgenden Gruppen oder Gentes
verteilen :
1) Nyctisaura s. Geckonomorpha. Die primitivsten
Formen mit den zahlreichen amphicélen Geckonidae und
den aus wenigen Vertretern bestehenden, etwas héher entwickelten
procélen Eublepharidae, beide kosmopolitisch. Mit der Pro-
célie der Eublepharidae beginnt eine héhere Entwickelungsstufe
der Lacertilier, die von nun an — nur mit Ausnahme der Uro-
platidae — durch procéle Wirbel gekennzeichnet sind. Die Be-
deutung dieses Merkmales, das gewil} nicht zu tibersehen ist, darf
aber, wie die nahe Verwandtschaft der Geckonidae und Euble-
pharidae beweist, nicht iiberschatzt werden 2). — Von verschiedenen
Autoren sind die Geckonomorphae zu einer besonderen AbDtei-
lung héherer Ordnung erhoben worden (abgesehen von Alteren
Herpetologen teilt z. B. GGnrneR 1867 die Lacertilia in die Sub-
ordines der Amphisbaenoidea, Cionocrania, Chamaeleonoidea und
Nyctisaura ein); meines Erachtens liegen dafiir nicht geniigende
Griinde vor.
2) Pygopodomorpha. Durch die BouLENGER’sche Familie
der Pygopodidae reprasentierte, tiefstehende schlangenahnliche
1) Man denke unter anderem auch an die Verschiedenartigkeit im
Vorkommen und Verhalten der Zahnbildungen, die in ihrem Wechsel
von Palatodontie (mit der variierenden Auslese des Palatinum und
Pterygoides) und Maxillodontie, Pleurodontie und Acrodontie, Homé-
odontie und Heterodontie, Isodontie und Anisodontie die grofe
Mannigfaltigkeit und bei allem Reichtum der Bildungen zugleich
vorwiegend primitive Stellung der Lacertilier bekunden; die Am-
phisbaenia und Chamaeleontia sind lediglich maxillodont (vergl.
tiber diese Verhiltnisse unter Anderen auch Burckuarpt 1895).
2) Bekanntlich wechseln auch bei tiefer stehenden Wirbeltieren,
z. B. bei den Ganoiden, die Verhaltnisse der Wirbelverbindung
innerhalb naher Verwandter sehr erheblich.
608 Max Firbringer,
procéle Lacertilier, welche saimtlich Australien bewohnen und
friiher in mehrere Familien (die Gray’schen Pygopidae, Apra-
siadae und Lialisidae) gesondert und in die Nahe der Scincidae
gestellt wurden. Sie haben aber fast mehr mit den Geckono-
morpha gemeinsam und zeigen im tibrigen an den verschiedensten
Teilen ihres K6rpers zahlreiche degenerative Merkmale. Auch
Anklinge an die Ophidier bestehen. Eine genaue anatomische
Durcharbeitung der Gruppe ist nach wie vor Desiderat. Mir
fehlte das Material dafiir.
3) Leptoglossa s.Autosauromorpha. Eine aus ziem-
lich zahlreichen procélen Familien zusammengesetzte Gruppe, die
durch gemeinsame Schiadelcharaktere, die Kombination einer
medial verbreiterten und meist gefensterten Clavicula mit einem
kreuzformigen Episternum und eine beschuppte Zunge verbunden
werden. Am tiefsten unter ihnen steht die primitive kosmopoli-
tische, aber am reichsten in Australien entwickelte Familie der
Scincidae, welche durch zahlreiche und recht mannigfaltig
organisierte Vertreter gebildet wird und zum Teil auch zu Reduk-
tionen der Extremitaéten mit schlangenaihnlicher Gestaltung des
Koérpers neigt (zum Teil den Acontiadae Cope’s entsprechend) ;
ihre nahen Verwandten und in der angegebenen Richtung re-
duzierten Familien sind die Anelytropidae und wohl auch
Dibamidae'). Etwas héher als die Scincidae stehen die
verwandten Gerrhosauridae, die zugleich zu den noch hoher
entwickelten Lacertidae fiihren; diese beiden Familien sind
altweltliche Formen; mit den Scincidae (und deren Verwandten)
zusammen bilden sie die zicmlich gute Familiengruppe (Super-
familie) der Scinco-Lacertae. Eine gewisse Parallele zu ihnen
bildet die neuweltliche Superfamilie Teji mit den Tejidae und
den ihnen nahestehenden Xantusiidae (mit T-férmigem Epister-
num), welche sich den héheren Scinco-Lacertae gleichwertig gegen-
iiberstellen und durch zahlreiche Besonderheiten in der Haut, im Ske-
lett und den Muskeln, sowie den Eingeweiden (vergl. unter anderen
auch BurLer 1889) yon diesen unterscheiden. Die Tejidae
bilden eine formenreiche Familie mit einer groBen Fiille von Arten,
unter denen auch schlangenahnliche Formen mit rtickgebildeten
Extremititen und in beginnender Verkiimmerung begriffener Colu-
1) Teste Bountencer; mir lagen keine Vertreter derselben vor.
Auch in der angegebenen Degeneration der Columella offenbart sich
eine ziemlich weitgehende Reduktion des Kopfskelettes. Ferner
sei aut die Gattung O phioseps BocacsE (Ophiopsiseps) hingewiesen,
die lacertile und ophide Charaktere in sich vereinigen soll.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 609
mella und Orbitalregion des Schadels (Ophiognomon) eine gewisse
Aehnlichkeit mit den Amphisbaenidae zeigen; BOULENGER schlieft
letztere bekanntlich den Tejidae an.
4) Diploglossa s. Anguimorpha. Eine von mehreren,
zum Teil lose zusammenhingenden procélen Familien gebildete
Gruppe, welche zwischen der vorhergehenden und der _ folgen-
den Gruppe, der letzteren naher, steht, wobei gewisse Vertreter
eine vollkommen intermediare Stellung zwischen beiden einnehmen.
Kine medial nicht oder nur ganz wenig verbreiterte Clavicula, ein
kreuzformiges oder von der Kreuzform zur T-Form tibergehendes
Episternum und eine mit Papillen besetzte Zungenschleimhaut
verbindet die einzelnen Familien der Gruppe. Im grofen und
ganzen sind dieselben durch eine etwas héhere Ausbildung als die
vorhergehende Abteilung gekennzeichnet, jedenfalls stehen sie
durchweg hoéher als die Scincidae. Die sie zusammensetzenden
Familien kénnen in die Superfamilien Zonuri, Angues, Helodermates
und Xenosauri gruppiert werden. Die Zonuri werden durch die
afrikanischen Zonuridae gekennzeichnet, die in ihrem ana-
tomischen Bau sich zwischen Scinci, Angues und Iguanae stellen.
Die Angues reprasentiert die umfangreichere kosmopolitische,
aber ihre meisten Vertreter in Amerika zaihlende Familie der
Anguidae, welche den Nachbarfamilien gegentiber eine gewisse
Selbstandigkeit darbietet und viele degenerierte (schlangenahnliche)
Formen aufweist; von ihnen ist die ebenfalls schlangenahnliche
kleine Familie der Anniellidae ableitbar. Die Helodermates
werden durch die amerikanischen Helodermatidae'), welche
neben zahlreichen anguimorphen und selbst an die Xantusiidae
erinnernden Merkmalen auch sehr selbstandige Konfigurationen
(Schadelstrukturen, fensterloser primarer Schultergiirtel, stabf6r-
miges Episternum, Giftdriisen und ophide Dentition) und einzelne
Aehnlichkeiten mit den Varanidae verbinden. Die Xenosauri
endlich werden durch die nur einen Vertreter zahlende ameri-
kanische Familie der Xenosauridae reprasentiert, die in zahl-
reichen Charakteren (namentlich auch in ihrem Brustschulter-
apparat mit ausgesprochenem T-formigen Episternum) sich den
Iguanidae anschlieBt, aber auch so viel anguimorphe Charaktere
aufweist, daf sie als vollkommen intermediaire Familie zwischen
Anguidae und Iguanidae anzusprechen ist’). Mit Riicksicht auf
1) Die Stellung des asiatischen Lanthanotus ist dunkel; viel-
leicht bildet er eine besondere Familie neben den Helodermatidae.
2) Nach Mitteilung der Autoren. Ich hatte keine Gelegenheit,
Xenosaurus zu untersuchen.
610 Max Firbringer,
den Grad ihrer Ausbildung gehéren alle diese diploglossen
Familien zu den mittelhoch stehenden Formen der Lacertilier.
5) Pachyglossa (Crassilingues) s. Eunota s. Igu-
anomorpha. Diese Gens, der man auch die soeben besprochenen
pleurodonten Xenosauridae') anschliefen kann, besteht aus den
beiden zahlreichen Familien der Iguanidae und Agamidae,
erstere reprasentiert durch pleurodonte, fast durchweg (mit Aus-
nahme von Chalarodon, Hoplurus und Brachylophus) neuweltliche
Formen, letztere durch akrodonte, ausschlieBlich altweltliche Ver-
treter. Beide gleichen einander in allen wesentlichen auferen und
inneren Merkmalen; nur der auffallende Unterschied der pleuro-
donten und akrodonten Verbindung der Zahne mit den Kiefern
trennt sie. Dieser Unterschied ist von vielen Autoren, namentlich
auch von Cops, erheblich tiberschatzt worden?) und hat den er-
wahnten Untersucher, wenn ich ihn recht verstehe, veranlaft, die
akrodonten Agamidae von den pleurodonten Iguanidae (Iguania
Cope mit den Familien der Iguanidae und Anolidae) ganzlich zu
entfernen und den Chamaeleontidae niher zu stellen, was durch
die Anatomie dieser Tiere in keiner Weise gestiitzt wird. Be-
kanntlich ist der Unterschied der vorliegenden Pleurodontie und
Akrodontie ein nur gradueller resp. ontogenetischer, wie unter Anderen
SIEBENROCK (1895) und CARLSSON (1896) bei den Agamidae gezeigt
haben und wie wir auch von anderen Lacertiliern (z. B. den
Tejidae und Chamaeleontidae) durch BouLenGrR (1885) und R6sE
(1893) wissen: aus der loseren Pleurodontie bildet sich unter
Zunahme der Knochensubstanz der alveolaren Rander die Akro-
dontie aus. Die Agamidae nehmen somit hinsichtlich ihrer Den-
tition eine héhere Stufe ein als die Iguanidae (und Xenosauridae).
Dies gilt aber nicht hinsichtlich der anderen morphologischen
Charaktere, wo mittelhohe und hohe Formen sich vermischt bei
diesen grofen und darum recht vielgestaltigen, auch an aberranten
Vertretern reichen Familien finden. Die Columella (Proc.
ascendens quadrati) ist bei den Agamidae in der Regel etwas
zuriickgebildet, bei gewissen Arten (Draco, Lyriocephalus) selbst
in vorgeschrittenerem Grade.
6) Gecko-Chamaeleontes s. Uroplatimorpha. Die
nur wenige Vertreter zihlende madagassische Familie der Uro-
platidae zeigt mit den Geckonidae eine grofe Aehnlichkeit im
1) Als nachste Nachbarn der Iguanidae.
2) Auch Burcxnarnpt (1895) spricht sehr mit Recht der Differenz
zwischen Pleurodontie und Akrodontie eine grifere genealogische
Bedeutung fiir weitere Formenkreise ab.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 611
iuferen Aussehen und teilt mit ihnen die primitive Beschaffenheit
der Wirbelsiiule (Amphicélie) und des V- oder nierenférmigen
occipitalen Condylus, sowie eine Anzahl ziemlich bedeutsamer oder
minder wichtiger oder ganz allgemein bei den Lacertiliern ver-
breiteter Strukturen, weicht aber hinsichtlich gewisser Ziige
wesentlich von ihnen ab. BouLEncer (1884) hat auf die sehr
differente Bildung ihres Episternum und ihres Nasale hingewiesen
und auf Grund dieser Verschiedenheiten die Uroplatidae von den
Geckonidae abgetrennt, aber in seinem System auf sie und die
Eublepharidae direkt folgen lassen. Corr (1889) hat sie wegen
der varanus-iihnlichen Beschaffenheit des Nasale als Subordo Gecco-
varani neben die Varanidae (zwischen sie und die Nyctisaura) ge-
stellt. SreBeENROcK (1893) verdanken wir eine genaue Darstellung
ihrer Osteologie, die aber keine systematischen Folgerungen ent-
halt. VersLtuys (1898) macht auf grofe Aehnlichkeiten des
Mittelohres der Geckonidae und Uroplatidae aufmerksam. In der
vorliegenden Untersuchung habe ich den Brustschulterapparat nebst
dem proximalen Abschnitte der vorderen Extremitaét und seine
Muskulatur nebst benachbarten Teilen eingehender behandelt, und
die damit erhaltenen Resultate haben mir ergeben, einmal, dal
die BouLENGER’sche Abtrennung von den Geckonidae eine sehr
richtige ist, dann aber auch, daf die Uroplatidae trotz der oben
angegebenen und anderer primitiver Ziige in der Summe ihrer
Merkmale eine relativ hohe Stellung unter den kionokranen La-
certiliern einnehmen und dabei zugleich recht tiberraschende
Ziige von Verwandtscheft mit den Chamaeleontidae darbieten
(p. 525° Anm: 1, 531, 539; 546; 555, 566;. 585f.): Diesen
Ziigen kann man noch eine ziemlich grofe Anzahl anderer innerer
Strukturen anreihen, die trotz der augenfalligen auferen Ver-
schiedenheit beider Abteilungen doch mit einem der Sicherheit
sehr nahe kommenden Grade von Wabhrscheinlichkeit darthun,
daf die Wurzel der Chamaeleontia in gréfter Nahe derjenigen
der Uroplatidae sich befand. Hinzugefiigt sei, da die iiberwiegende
Mehrzahl der Chamaeleontidae gleichfalls Madagascar bewohnt,
daf hier wohl der Ausgangspunkt fiir die Verbreitung dieser
Familie sich befindet, ferner, dafi die Uroplatidae Baumkletterer
nach Art der Chamaeleonten sind, eine bereits zur Kletterhand
dieser tendierende Stellung der Finger ihrer vorderen Extremitat
aufweisen und den gleichen hoch ausgebildeten Farbenwechsel wie
die Chamaeleontidae zeigen. — Auf Grund dieser Erkenntnis
(Aehnlichkeit und manches Uebereinstimmende mit den Geckonidae
und innere Verwandtschaft mit den Chamaeleontidae) schlage ich
612 Max Firbringer,
die Bezeichnung Gecko-Chamaelecontes fiir die Uroplatidae
vor. Die Copr’sche Bezeichnung Geccovarani erscheint mir nicht
sehr gliicklich; die den Uroplatidae und Varanidae gemeinsame
Verbindung der beiden Nasalia zn einem unpaaren Skelettstiick
ist kein qualitatives, sondern nur ein graduelles und zudem recht
vereinzeltes Merkmal, dem sich eine sehr grofe Summe von durch-
ereifenden Differenzen gegeniiberstellt, welche die géiinzliche Di-
vergenz der Uroplatidae und Varanidae zur Gentige begriindet.
Die genauer bekannten fossilen kionokranen Lacertilier
mit 8 Halswirbeln lassen sich samtlich den angefiihrten Familien
einreihen. Daneben existieren zahlreiche Reste unvollkommen er-
kannter Lacertilier, tiber deren genauere Stellung sich zur Zeit noch
nichts aussagen abt.
Noch am besten sind unter diesen die amphicélen akrodonten
Telerpetidae aus der Trias erhalten (p. 273—276). Die meisten
Autoren rechnen sie den Rhynchocephaliern zu, wahrend ich (im An-
schlusse an HuxLey’s Originalabhandlung von 1866) weit mehr dazu
neige, sie den kionokranen Lacertiliern einzufiigen; und zwar
scheinen sie mir eine selbstandige Familie in der Nahe des Anfanges
der Agamidae zu bilden, entsprechend ihrem ziemlich hohen Alter
vermutlich auch von tieferer Stellung als die lebenden Vertreter
der Agamidae.
Auch die jurassischen Acrosauria seien als Zwischenformen
zwischen Lacertilia und Rhynchocephalia hier erwihnt; ihre weitere
Besprechung wird bei den letzteren stattfinden (p. 626, 627).
Dali unsere Kenntnis der fossilen Lacertilia vera eine sehr
diirftige ist, braucht nicht besonders versichert zu werden. Es
besteht gar kein Zweifel, da einer jetzt aus so divergenten Fa-
milien bestehenden Abteilung eine Fiille von verbindenden Formen
vorausgegangen sein mu, kionokranen Lacertiliern von geringer
Kérpergréfe, von denen wohl die meisten zufolge ihres vorwiegen-
den Landlebens und zufolge der zarten und leicht zerstérbaren
Beschatienheit ihres Skelettsystems uns immer unbekannt oder
ganz ungentigend bekannt bleiben werden.
b) Platynota s. Varano-Dolichosauria.
In dieser Unterordnung verbinde ich eine Anzahl procdéler
kionokraner Lacertilier miteinander, deren Halswirbelsiule die
iibliche Zahl von 8 Wirbeln iiberschritten hat und von 9—17 Wirbeln
eebildet wird. Im Vorhergehenden (p. 545f., 573f.) habe ich aus-
gefiihrt, dali die oktospondyle Halswirbelsiule wohl einen Ausgang
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 613
gebenden Markstein fiir die Reptilien bildet und von der Mehrzahl
der Ordnungen derselben festgehalten wird. Jede durch Wanderung
der vorderen Extremitit erzeugte Veriainderung dieser Zahl ist sonach
als Ditferentialmerkmal von gréferer diagnostischer Bedeutung zu
beurteilen. Ist einmal die typische Achtzahl tiberschritten und so-
zusagen eine gréfere Fliissigkeit in die caudalwirts gerichtete
Bewegung der vorderen Extremitiét und die successive Umbildung
von Thorakalwirbeln in Cervicalwirbel eingeleitet, so kommt es
gewohnlich zu mehr oder minder weitgehenden Fortschritten in
dieser Verlingerung der Halswirbelsaule.
Die hier in Betracht kommenden Lacertilier werden durch
die 2 Gentes der Varanomorpha und der Dolichosauromorpha, die
erstere noch in lebenden, die letztere nur in ausgestorbenen
Formen vorhanden, gebildet.
1) Varanomorpha. Die Vertreter derselben bilden die V a -
ranidae, eine sehr eng geschlossene, streng genommen nur durch
eine Gattung (Varanus) reprisentierte altweltliche Familie terrestrer,
aber meistens wasserliebender, zum Teil recht grofer Lacertilier,
welche mit verschiedenen Besonderheiten im Schidelbau, 9 Hals-
wirbeln, sehr schlanker Clavicula und auferordentlich gracilem
T-formigen Episternum, glatter, tiefgespaltener und hinten mit
Scheide versehener Zunge (Thecaglossa), zahlreiche von den tibrigen
kionokranen Lacertiliern abweichende LEigentiimlichkeiten im
Muskelsystem, eine besondere Gestaltung der peritonealen Struk-
turen (BEDDARD 1888), eine anderen Lacertilier tiberragende Aus-
bildung der Lunge (Minanr 1894) etc. verbinden. Durch alle diese
Charaktere bekunden die Varanidae ihre grofe Isolation von den
Lacertilia vera. Die namentlich von WAGLER (1830), DuMERIL et
Brpron (1836) und Baur (1890)*') vertretenen Ankniipfungen an
die Helodermatidae sowie an die Anguidae griinden sich auf eine
zu geringe Anzahl von Uebereinstimmungen und halten gegeniiber
der Fille divergenter Merkmale nicht stand; man kann hochstens
annehmen, dali die Anguimorpha diejenigen Lacertilier bezeichnen,
deren Stamm in der Nahe der Wurzel der Varanomorpha sich
befand. Die graduelle Stellung der Varanidae ist im ganzen eine
hohe, was einzelne ziemlich tiefe Ziige nicht ausschlieft. Manches
tendiert in der Richtung nach den Crocodiliern zu; doch kann ich
Brepparp nicht folgen, der sie als eine den Lacertiliern und Rhyn-
1) Baur (1890, 1892) vereinigt bekanntlich Varanidae und
Mosasauridae zu den Varanoidea und diese mit den Helodermatoidea
zur Subordo Platynota (Dumérit et Breron).
614 Max Firbringer,
chocephaliern aquivalente Gruppe auffafte und den Crocodiliern
niher brachte als den Lacertiliern. Ueber ihre Zugehérigkeit zu
den Lacertiliern besteht fiir mich kein Zweifel.
2) Dolichosauromorpha. Diese Gruppe (Ophiosauria
von GORJANOVIG-KRAMBERGER, 1892) wird von langgestreckten
(schlangenartigen) Lacertiliern mit verkleinerten Extremititen ge-
bildet, welche in verschicdener Kérpergréfe die Kreide bewohnten.
Die alteren und primitiveren Vertreter derselben, die Aigialo-
sauridae aus der unteren Kreide, besitzen 9—10 Halswirbel
und Gliedmafen, die auf terrestre Lebensweise schliefen lassen ;
bei den jiingeren und etwas hoher entwickelten Dolichosau-
ridae aus der oberen Kreide mit 15—17 Halswirbeln zeigen die
Extremititen vereinfachte Strukturen, die auf eine beginnende
resp. mehr und mehr sich ausbildende Anpassung an das Wasser-
leben schliefien lassen. Die nahen Beziehungen der Aigialosau-
ridae zu den Varanidae werden durch sehr zahlreiche Merkmale
im Skelettbau gestiitzt, derart, dafi gewisse Vertreter derselben
(Carsosaurus- von KORNHUBER 1893) von den genauesten Kennern
bald den Varanomorpha, bald den Dolichosauromorpha zugerechnet
werden. Die intimen Beziehungen der Dolichosauridae zu den
Aigialosauridae sind aber trotz der sehr verlangerten Halswirbel-
siule der ersteren einleuchtend. BouLencer (1891, 1893) hat
bekanntlich die Dolichosaurier auf Grund der einfachen, den Am-
phibien sich annaihernden Struktur ihrer Extremitaéten als sehr
primitive Formen, ja selbst als die Stammformen der anderen
Squamata (Pythonomorpha, Lacertilia, Rhiptoglossa, Ophidia) an-
gesprochen, ist aber bei BAur (1892) und Dotio (1892), welche
namentlich in der wirbelreichen Halswirbelsiule der Dolichosauria
kein primitives, sondern ein sekundaéres Moment erblickten, auf
Widerstand gestofen. Ich teile durchaus diese Bedenken und
Auffassungen der beiden letzteren Autoren. Wenn ich auch,
wie aus meinen friiheren und auch aus dieser Verdffentlichung
zur Geniige erhellt, im allgemeinen der Ansicht bin, dal die Ex-
tremitaten bald caudalwirts, bald rostralwirts gehende Wanderungen
einschlagen kénnen und dafi in der Entwickelungsreihe der Tiere
die einmal eingeschlagenen Richtungen keineswegs unabinderlich
festgehalten werden, so besteht fiir mich im vorliegenden Falle
doch kein Zweifel, da’ die verlingerte Halswirbelsiule der Dolicho-
sauridae nicht fiir die kiirzere der Aigialosauridae und der anderen
Lacertilia den Ausgang giebt, sondern da sie von der aus 9—10 Hals-
wirbeln bestehenden Halswirbelsiule aigialosaurierartiger Vor-
fahren und diese wieder von der oktospondylen Halswirbelsiule
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 615
primitiver lacertiler Vorfahren sich ableitet'), und ebenso kann
ich in der Extremitaét der Dolichosauridae keine rein primitive
Form, sondern nur eine in Anpassung an das Wasserleben ver-
einfachte resp. scheinbar vereinfachte Form 2) erblicken. Ich be-
trachte die Dolichosauromorpha als recht hochstehende kiono-
krane Lacertilier, die gemeinsam mit den Varanidae von dem
primitiven Stocke der Lacertilier ausgingen, leite aber weder die
Varanidae von ihnen ab, noch sie von den Varanidae. Diese An-
schauung kommt der von DoLLo vertretenen am nachsten.
c) Mosasauria.
Die Unterordnung der Mosasauria wird durch die Gens der
Mosasauromorpha mit der Familie der Mosasauridae (mit
den von den Autoren angegebenen Subfamilien der T'ylosaurinae,
Platecarpinae und Mosasaurinae) repriisentiert. Dieselben bilden
langgestreckte, véllig an das Wasserleben angepafte und mit durch-
aus flossenartigen Extremitaten versehene Lacertilier von meist
sehr ansehnlicher Kérpergréfe, welche sich vorwiegend in der
oberen Kreide finden. Die Zahl ihrer Halswirbel wird von den
einen zu 7, von den anderen zu 9—10 angegeben; erstere Zahl
erscheint gesichert, beziiglich der letzteren ist dies noch zu ent-
scheiden. Wenn dies der Fall ist, so diirften wohl zwei Familien
der Mosasauromorpha, solche mit kiirzerem und solche mit langerem
Halse anzunehmen sein.
Gewisse Uebereinstimmungen mit den Varanidae sind schon
von Cuvier hervorgehoben worden; Cope (1869—1896) hat da-
gegen auf ophidierartige Strukturen insbesondere am Schadel und
am Quadratum aufmerksam gemacht, hat daraufhin die Mosasaurier
zu einem besonderen zwischen Lacertiliern und Ophidiern stehenden
Subordo Pythonomorpha erhoben und hat in dieser systematischen
Anordnung auch zahlreiche Anhanger (LYDEKKER, ZITTEL, Bovu-
LENGER, HAFCKEL u. A.) gefunden. Gegen diese von CopE ge-
machten Angaben und vertretenen systematischen Anschauungen
ist namentlich Baur (1890, 1895, 1896) aufgetreten und hat in
fiir mich iiberzeugender Weise dargethan, dafi die wesentlichen
der behaupteten ophidierartigen Strukturen resp. Abweichungen
1) Parallele, zu noch viel gréferen Halswirbelzahlen fihrende
Verhiltnisse finden wir bei den Sauropterygiern, wo auch, namentlich
innerhalb der Plesiosaurier, die héhere Organisation mit der gréferen
Halswirbelsiulenlange im grofen und ganzen koincidiert. :
2) Die genauere Betrachtung lift bei vielen Lacertiliern pri-
mitivere Ziige als bei den Mosasauriern erkennen.
Bd, XXXIV, N. F, XXVIL 40
616 Max Firbringer,
von den Lacertiliern bei den Mosasauriern in der Hauptsache
scheinbare resp. irrtiimlich behauptete sind und dafi die Mosa-
saurier durchaus den kionokranen Lacertiliern angehéren; dieselbe
Ansicht vertritt Dotto. Zugleich, wie schon erwihnt, vereinigt
Baur unsere Gruppe mit den Varanidae und Helodermatidae zum
Subordo Platynota. Osporn (1899) erkennt gewisse kraniale Ueber-
einstimmungen mit den Varanidae an, findet aber im Verhalten
des Basioccipitale, der Halswirbelsiule (7 Halswirbel), der Rippen
(10 mit dem Sternum in Verband stehende Sternocostalien) und
anderer Merkmale der amerikanischen Mosasaurier (speciell Tylo-
saurus) Abweichungen, die fiir ihn die nahere Verwandtschaft mit
den Varanidae ausschliefen; fiir ihn sind die Mosasauria sehr
alte Lacertilier mit primitiven und generalisierten Strukturen, die
sich sehr friih und in ausgedehntem Grade dem Wasserleben an-
gepaft haben und eine besondere Subdivision der Ordo Lacertilia
bilden.
Auf Grund eigener Beobachtungen stimme ich Baur, DOLLO
u. A. hinsichtlich der Zugehérigkeit zu den Lacertilia bei, méchte
aber angesichts der von WILLISTON und Osporn hervorgehobenen
Verhaltnisse die Subordo Platynota Baur’s oder die intimen Ver-
wandtschaften zu den Varanidae nicht aufrecht erhalten. Anderer-
seits diirfte aber auch die irrefiihrende Copr’sche Bezeichnung
Pythonomorpha am besten einzuziehen sein. Die Mosasaurier sind
schon friihzeitig pelagisch gewordene kionokrane Lacertilier mit
verkiirzter (oder primitiv gebliebener oder makig verlaingerter ?)
Halswirbelséule, deren Entwickelungsbahn sich in ziemlich alter
Zeit von derjenigen der kionokranen Lacertilier und wohl in der
Nahe der Varano - Dolichosauria abzweigte und zu _ einseitiger,
zu ziemlicher Hohe fiihrender Ausbildung gelangte. Das deckt
sich im wesentlichen mit den systematischen Ergebnissen, zu denen
Osporn gekommen ist. Doch bleibt zur voélligen Sicherung noch
manches zu untersuchen.
d) Amphisbaenia.
Die Amphisbaenia bilden eine mafig groke Gruppe erdlebender,
schlangenahnlicher, kurzschwanziger, procéler Lacertilier, welche
entweder nur vordere Extremitaten in reduziertem Zustande be-
sitzen (Chirotes resp. Copr’s Euchirotidae)‘) oder auch diese ver-
missen lassen (iibrige Gattungen der Amphisbaenia), wobei die
1) Corn (1892) bildet auch ein minimales Knorpelrudiment des
Femur ab, ohne desselben im Texte Erwaihnung zu thun.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 617
Degeneration des Brustschulterapparates und Beckengiirtels bis zu
minimalen Rudimenten resp. (hinsichtlich des Brustschulterapparates)
zum volligen Schwunde fortschreiten kann. Auf Grund der Organi-
sation kann man alle Vertreter in einer Familie, Amphisbae-
nidae, zusammenfassen. Die Amphisbaenidae finden sich vor-
wiegend in Amerika, danach auch in Afrika; einige wenige Arten
(Blanus, Trogonophis) sind cirkummediterran. Charakteristisch
ist der Mangel einer Columella, welche zugleich den ilteren Morpho-
logen, insbesondere Stannius (1856), Anlaf zur Abtrennung von
den kionokranen Lacertiliern gab. Gray (1844) war zuvor noch
weiter gegangen, indem er sie giinzlich von allen anderen Lacer-
tiliern entfernt und als eine den Lacertiliern, Cheloniern und
Crocodiliern gleichwertige Abteilung hinter die Crocodilier gestellt
hatte; Dumérit und Bipron (1839) hatten sie dagegen als einfache
Subfamilie (Cyclosaures glyptodermes) mit dem von ihnen als
Cyclosaures ptychopleures bezeichneten Familiengemisch (Zonuri-
dae, Gerrhosauridae, Anguidae, Tejidae, Scincidae) zu der Familie
der Cyclosauria vereinigt. BOouLENGER (1884, 1885) faBt sie als
hochgradig degenerierte Verwandte der Tejidae auf und stellt sie
innerhalb der Lacertilia vera direkt neben diese Familie. Fiir
ihre weitere Einteilung in Unterfamilien resp. Familien ist gemein-
hin die Art der Verbindung der Zaihne mit den Kiefern und die
An- oder Abwesenheit der Priaanalporen verwendet worden und
hat zur Unterscheidung der Prosphyodontes (Chirotes und Ver-
wandte, Blanus und eigentliche Amphisbaenen) und Emphyodontes
(Trogonophis und Verwandte) gefiihrt.
Mir war es leider nicht méglich, den am wenigsten degene-
rierten und darum fir die Systematik weitaus wichtigsten Ver-
treter der Amphisbaenia, Chirotes oder irgend einen Vertreter der
Euchirotidae, zu untersuchen; desgleichen stand mir das fiir die
Kontrolle der von BouLENGER aufgestellten verwandtschaftlichen
Beziehungen bedeutsame tejide Genus Ophiognomon nicht zu Ge-
bote. Auch von der durch ihre Schadelstrukturen wichtigen fossilen
Gattung Hyporhina (BAuR 1893) hatte ich nicht einmal eine Ab-
bildung zur Verfiigung. Ich kann daher beziiglich dieser Tiere
nur auf die Einzelangaben der dariiber berichtenden Autoren
bauen und damit nur in bedingter Weise tiber die systematische
Stellung derselben mich déufern. Nach einer gewissenhaften Ab-
schitzung der mir vorliegenden Materialien gebe ich, bis nicht
eigene oder fremde weitere Untersuchungen mich anders belehren,
der systematischen Anschauung von STANNIUS (der auch HAECKEL
folgt), welche die Amphisbaenier als besondere Unterordnung oder
40 *
618 Max Firbringer,
Superfamilia von den kionokranen Lacertiliern trennt, den Vorzug,
wobei mir verschiedene von BEDRIAGA (1884) hervorgehobene Schidel-
charaktere, der decidierte Mangel einer Columella (deren Schwund
allerdings auch bei Ophiognomon und einzelnen anderen kiono-
kranen Lacertiliern angegeben wird), einige splanchnologische
Merkmale (BepRIAGA), worunter vor allem die unter simtlichen
lebenden Reptilien nur den Amphisbaenen zukommende Riickbildung
der rechten Lunge (wahrend bei allen schlangenahnlichen Lacer-
tiliern inkl. den tejiden Ophiognomon und allen Ophidiern stets
die linke Lunge sich riickbildet, cf. Meckrn 1818, Beprtaca 1884,
Taf. IV, SmautaAn 1885, Minant 1894, Cope 1896 und namentlich
Burier 1895) und das sehr verschiedene Quale in der Degeneration
des Brustschulterapparates (Copr 1892, Taf. XIII), ferner die An-
gaben von VERSLUYS (1898) iiber das Mittelohr und von EK. FIscHER
(1900) iiber die Nasenhéhle als Grundlage dienen. Aber gern
stimme ich BOULENGER insoweit bei, als mir von allen kionokranen
Lacertiliern die Tejidae die den Amphisbaenia relativ am nachsten
stehende Familie zu bilden scheinen; letztere haben sich sonach
in der Nahe derselben vom kionokranen Stocke abgezweigt und
unter Degeneration der einen, unter héherer Entwickelung der
anderen Strukturen einseitig weiter entwickelt.
Die Amphisbaenia sind jedenfalls zu den héher stehenden
Abteilungen der Lacertilier zu rechnen. Sie haben von kiono-
kranen Lacertiliern mit einer aus 8 Wirbeln bestehenden Hals-
wirbelsiule Ausgang genommen; aber vermutlich hat sich, worauf
die Verhaltnisse der Plexus brachiales und die Lage der coraco-
scapularen Rudimente bei den untersuchten Trogonophidae und
Amphisbaenidae mit Wahrscheinlichkeit hinweisen, in ihrer weiteren
Entwickelung eine rostralwirts gehende Wanderung der vorderen
Extremitat mit Verminderung der Zahl der Halswirbel vollzogen.
Die Untersuchung von Chirotes wird diese Frage mit Sicherheit
lésen (vergl. auch p. 544, 576).
Zu der iblichen Einteilung der Amphisbaenia, deren Dif-
ferentialmerkmale der Zahneinfiigung und der praéanalen Poren an
sich keinen grofen diagnostischen Wert haben, stehen gewisse
osteologische Charaktere, namentlich die Art der Degeneration
des Brustschulterapparates (p. 259—265) nicht im Einvernehmen.
Danach schliefen sich die mit relativ spitzem Schwanze versehenen
mediterranen Gattungen Trogonophis und Blanus naiher zusammen
und stellen sich den stumpfschwanzigen Genera Amphisbaena,
Anops, Monopeltis, Rhineura und Lepidosternon aus Amerika
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 619
und dem tropischen Afrika gegeniiber'). Bereits Beprraca (1884)
und SMALIAN (1885) haben auf Besonderheiten der mediterranen
Vertreter der Amphisbaenia aufmerksam gemacht und ich konnte
auf den von mir genauer untersuchten Gebieten diese Anschauungen
bestatigen. Eine Revision des Systemes der Amphisbaenia scheint
mir erwitinscht zu sein. Provisorisch, mehr in der Form einer
noch genauer zu priifenden Frage, schlage ich vor, die extremitaten-
losen Amphisbaenier in die Subfamilien der Trogonophinae s,
Amphisbaenidae oxyurae (die mediterranen Gattungen
Trogonophis und Blanus) und Amphisbaeninae s. Amphis-
baenidae amblyurae (die tibrigen Amphisbaenen aus dem
amerikanischen und afrikanischen Faunengebiet) zu sondern; ob
Chirotes zu diesen zu rechnen sei oder eine Subfamilie fiir sich
(Chirotinae) bilde, kann ich wegen mangelnder eigener Unter-
suchung nicht angeben.
e) Chamaeleontia.
Die Chamaeleontia oder Rhiptoglossa werden durch die eng
geschlossene procéle, akionokrane?), akrodonte Familie der Cha-
maeleontidae gebildet, welche ganz vorwiegend Afrika be-
wohnen und nur mit wenigen Species sich nach Westasien und
Siideuropa ausgebreitet haben; als eigentliche Ausgangsstatte ist
Madagaskar anzusprechen, wo die weitaus gréfere Halfte derselben
lebt. Die ganze Organisation der Chamaeleontidae zeigt mit sehr
zahlreichen inneren und éuferen Merkmalen die durchaus selb-
standige Stellung dieser Abteilung gegeniiber den anderen Lacer-
tiliern; die Halswirbelsaule besteht aus nur 5 Wirbeln. Weitaus
die meisten Autoren haben die Chamaeleontier mehr oder minder
weit von den tibrigen Lacertiliern entfernt, einige sogar (worunter
namentlich BouLENGER 1887, 1891) zu einem den Lacertilia vera
und Ophidia gleichwertigen Subordo (Rhiptoglossa WrEGMANN) er-
hoben. Andere, z. B. Cope (1889), treten fiir eine nahere Be-
ziehung zu den anderen Lacertiliern ein, Cope stellt sie als ein-
fache lacertile Superfamilie Rhiptoglossa gleich neben die Acro-
dontia (Agamidae). Ich folge gleich HaArcKEL (1895) vornehmlich
der von STannius (1856) gegebenen Aufstellung, wonach sie eine
1) Ueber die zwischen Anops und Monopeltis stehende Gattung
Geocalamus sowie iiber die Trogonophis verwandten Genera Pachy-
calamus und Agamodon habe ich keine Erfahrung.
2) Die Angabe Dotuo’s (1884) von der Anwesenheit einer
Columella konnte nicht bestitigt werden (vergl. auch Baur 1889).
620 Max Firbringer,
besondere, den Lacertilia vera gegeniiberstehende Unterordnung
der Lacertilier bilden, welche sich durch eine relativ hohe Dif-
ferenzierung und eigenartige, einseitige Entwickelung von diesen
abhebt. Ankniipfungen an die kionokranen Lacertilier waren bisher
unbekannt geblieben, bis mir die geradezu erstaunliche Fiille ge-
meinsamer Merkmale von demselben Quale, wenn auch von ver-
schiedener gradueller Ausbildung die kionokranen und amphicdélen
Uroplatidae als unverkeunbare Verwandte der Chamaeleontidae
ergab (p. 610 f.). Wenn auch die héher stehenden Chamaeleontidae
nicht als direkte Descendenten der tieferen Uroplatidae ange-
sprochen werden kénnen, so zeigen doch die letzteren einen Reichtum
von Charakteren aus allen Organsystemen, die bei hoherer Ent-
wickelung direkt zu der Organisation der Chamaeleontidae fiihren.
Die Heimat beider ist dieselbe. Bemerkenswert erscheint mir auch,
daf die Uroplatidae auf den ersten Blick durchaus nicht die
specifische Differenzierungsrichtung erkennen lassen, welche in
héherer Ausbildung zu den Chamaeleontidae fiihrte; in diesem
unscheinbaren, primitiven Verhalten spricht sich leise, aber ein-
dringlich der vorbereitende Ausgang fiir die markant ausgebildeten
und fixierten Eigentiimlichkeiten der Chamaeleontia aus.
Zusammenfassung: Der Superordo der Streptostylica
(Squamata, Lepidosauria) besteht aus den beiden Ordnungen der
Lacertilia und Ophidia, von denen die erstere die viel-
gestaltigste ist und zugleich die primitiveren Formen enthalt,
waihrend die letztere (die hier nicht weiter behandelt wird) einen
einseitig und relativ héher entwickelten Zweig darstellt.
Ordo Lacertilia.
I. Subordo Lacertilia vera. Schr mannigfaltig gestaltete und
zugleich die primitivsten Lacertilier enthaltende Unterord-
nung. Bei den typischen Vertretern 8 Halswirbel; amphi-
céle (Geckonidae, Telerpetidae, Uroplatidae) oder procdle
Wirbel (iibrige Lacertilia vera). In der Regel mit Co-
lumella. Clavicula und Episternum bei den typischen Ver-
tretern (mit gut ausgebildeten Gliedmafen) meist gut ent-
wickelt.
1. Gens Nyctisaura s. Geckonomorpha.
Fam. Geckonidae.
» Eublepharidae.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 621
2. Gens Py gopodomor pha.
Fam. Pygopodidae.
3. Gens Leptoglossa s. Autosauromorpha.
o) Superfam. Scinco-Lacertae.
Fam. Scincidae, Anelytropidae, Dibamidae.
» Gerrhosauridae.
» Lacertidae.
3) Superfam. Teji.
Fam. Tejidae.
» Aantusiidae.
4. Gens Diploglossa s. Anguimorpha.
a) Superfam. Zonuri.
Fam. Zonuridae.
- £) Superfam. Angues.
Fam. Anguidae.
» Anniellidae.
vy) Superfam. Helodermates.
Fam. Helodermatidae.
0) Superfam. Xenosauri *).
Fam. Xenosauridae.
5. Gens Pachyglossa s. Eunota s. lguanomorpha.
Fam. Telerpetidae ”).
Tguanidae.
Agamidae.
6. Gens Gecko-Chamaeleontes s. Uroplatimorpha.
Fam. Uroplatidae.
II. Subordo Platynota s. Varano-Dolichosauria. Terrestre, aber
meist wasserliebende oder dem Wasserleben mehr oder
minder angepafte procéle und kionokrane Lacertilier mit
9—17 Halswirbeln. Hoéher stehend als die meisten Lacer-
tilia vera. Wahrscheinlich von primitiven Anguimorpha ab-
gezweigt. Clavicula und Episternum gut entwickelt.
1. Gens Varanomorpha.
Fam. Varanidae.
1) Die Xenosauri bilden eine intermediare Superfamilie zwischen ,
Anguimorpha und Iguanomorpha.
2) Die systematische Position der Telerpetidae an dieser Stelle
erscheint nicht gesichert.
3) Eventuell auch 2 oder mehr Familien.
622 Max Firbringer,
2. Gens Dolichosauromorpha.
Fam. Aigialosauridae.
», Dolichosauridae.
III. Subordo Mosasauria. Dem Wasserleben vollkommen ange-
paBte procéle und kionokrane Lacertilier mit 7—10 (?) Hals-
wirbeln. Wohl tiefer stehend als der vorhergehende Subordo.
Vermutlich in der Nahe derselben, aber friiher vom gemein-
samen Stock der Lacertilia abgezweigt. Clavicula erheblich
oder ganzlich riickgebildet, Episternum vorhanden.
Gens Mosasauromorpha.
Fam. Mosasauridae 4).
IV. Subordo Amphisbaenia. Erdlebende, schlangenahnliche, procdéle
Lacertilier ohne Columella und wahrscheinlich durchweg
mit weniger als 8 Halswirbeln. Héher stehend als die
Mehrzahl der Lacertilia vera. Wahrscheinlich von primi-
tiven Autosauromorpha (Teji) abgezweigt. Clavicula und Epi-
sternum ganzlich reduziert.
Gens Amphisbaenomorp ha.
Fam. Amphisbaenidae (vielleicht mit den Sub-
familien Chirotinae, Trogonophinae s. Amphis-
baenidae oxyurae und Amphisbaeninae s.
Amphisbaenidae amblyurae).
V. Subordo Chamaeleontia. Baumlebende procdéle Lacertilier ohne
Columella und mit 5 Halswirbeln. Hoher stehend als die
Lacertilia vera. Von primitiven Uroplatimorpha abgezweigt.
Clavicula und Episternum vollkommen riickgebildet.
Gens Chamaeleontomorpha.
Fam. Chamaeleontidae.
II. Rhynchocephalia, Acrosauria, Microsauria}),
Der einzige tiberlebende Reprasentant der Rhynchocephalier,
der neuseelindische Sphenodon (Hatteria), ist wohl von simt-
lichen Untersuchern als ein mehr oder minder primitives Reptil
beurteilt worden; als die wesentlichsten Charaktere seines Baues
hat man amphicéle Wirbel, 8 Halswirbel, 2 Schlafenbogen, Moni-
mostylie, ziemlich breite Columella, gut und primitiv ausgebildete
1) Vergl. auch p. 276—297, p. 369, 374—393, p. 459, sowie
die betreffenden Ausfiihrungen sub § 16 A—C, p. 521—592.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 623
Extremitatengiirtel und Extremitaéten, sehr entwickeltes Para-
sternum, Humerus mit 2 Nervenkanalen, akrodonte Zahne und
eine lacertilierartige Afteréffnung angegeben.
Gray (1842, 1845), Perers (1870) und Osawa (1898—99)
haben ihn den kionokranen Lacertiliern und zwar den Agamidae
einverleibt oder wenigstens dieser Familie ganz nahe_ gestellt;
andere haben ihn bei den Lacertiliern (im weiteren Sinne) belassen,
aber ihn von den Agamidae entfernt, so z. B. Huxiey (1873),
der ihn mit den Ascalabota (Geckonidae), Homoeosauria und Pro-
terosauria zu den Kionokrania amphicoelia verband und den an-
deren Lacertiliern gegentiberstellte, oder Horrmann (1890), der
ihn als Vertreter einer selbstandigen Familie an den Anfang der
Lacertilia sensu lat. brachte. Eine Abtrennung von den Lacer-
tiliern erfolgte durch GUNTHER (1867), der ihn zum Reprisen-
tanten des besonderen Ordo Rhynchocephalia erhob und mit den
ihm gleichwertigen Ordnungen der Ophidia und Lacertilia zu den
Squamata verband. Die im wesentlichen gleichen systematischen
Anschauungen wurden von Baur (1887), LyDEKKER (1888), ZITTEL
(1889), D6pERLEIN (1890) und, wenn ich recht verstehe, Bou-
LENGER (1895), sowie HAECKEL (1895) vertreten1); und ebenso
entschieden sich Rerzrus (1884, 1899), Gaupp (1899) und ScHau-
INSLAND (1899) fiir die selbstandige Stellung von Sphenodon in der
nachsten Nahe der Lacertilier (,mit sehr starkem Ueberwiegen
1) Baur (1887) betont zugleich die sehr nahen Beziehungen
der Rhynchocephalia zu den Ichthyopterygia und Squamata. LyprKKEr
(1888) verbindet die Ordines Squamata (mit den Subordines Ophidia,
Pythonomorpha, Dolichosauria und Lacertilia), Rhynchocephalia (mit
den Subord. Homoeosauria und Sphenodontina) und Proterosauria zu
dem Streptostylic Branch, wobei allerdings beziiglich der Rhyncho-
cephalia und Proterosauria die Bezeichnung Streptostylica nicht ganz
glicklich gewahlt ist. Zrrren, (1889) stellt die Rhynchocephalia im
System zwischen die Theromorpha und Lepidosauria und hebt ihre
nahe Stellung zu den letzteren unter Mitteilung der Thatsache, dab
sich alle alteren Vorlaufer der Lepidosaurier an die Rhynchocephalier
mehr oder weniger eng anschliefen, hervor. Aehnliche Anschau-
ungen vertreten DépErLEIN (1890) und HakrcKken (1895), welcher
letztere die Rhynchocephalia als Tocosauria, d. h. Stammformen
der Saurier, an den Antang der Reptilien stellt und zusammen mit
den Squamata als tiefen Seitenast von den Proreptilia entspringen
laft. BouLencer (1893) hebt als vermittelnde Zwischenform zwischen
den Squamata und Rhynchocephalia die Acrosauria hervor. Baur
scheint spaiter (1895) auf Grund der Bildung der Schlafengegend
zur Anschauung einer noch selbstandigeren Stellung der Rhyncho-
cephalia gegeniiber den Lacertilia und Ophidia gekommen zu sein.
624 Max Firbringer,
der Sauriercharaktere“ ScHAavurnstAnp). BOoULENGER (1889) be-
tonte, da die Affinitéten zu den Lacertiliern und Cheloniern gleich
grofke seien, Gapow (1899), daB er weder zu den Crocodiliern
noch zu den Lacertiliern gehére, aber der Wurzel beider nahestehe.
Cope (1887, 1889) entfernte ihn resp. die Rhynchocephalier giinz-
lich von den Squamata (Streptostylica) und vereinigte sie mit den
Cheloniern und Sauropterygiern auf Grund der Verbindung des
Quadratum mit dem Schidel zu den Synaptosauria (1887) oder
stellte sie zwischen die Crocodilier und Chelonier (1889).
Die sehr primitive Stellung von Sphenodon ist namentlich
von Baur und Haxcker (die aber Palaeohatteria und Protero-
saurus als noch tiefer stehende Rhynchocephalier anfiihren) sowie
von Gapow (welcher Sphenodon als niederstes Reptil, welches
wir kennen, bezeichnet) betont worden ; auf primitive Ziige und Reten-
tionen im Skelettsystem haben unter Anderen ZirreL (1889), Bou-
LENGER (1889) und GeGENBAUR (1898), auf primitive Verhaltnisse in
der Muskulatur (ungeteilte Muskeln, Existenz verschiedener kleiner,
bei Lacertiliern fehlender Muskeln) Perrin (1894) hingewiesen.
Ich konnte gleichfalls eine grofBe Anzahl primitiver Ziige
namhaft machen, fand aber zugleich im Skelet, namentlich aber
in der Muskulatur Bildungen, die zum Teil héher standen als die
entsprechenden der tieferen unter den kionokranen Lacertiliern
und nicht durchweg als nur generelle zu beurteilen waren. Die
Lacertilier zeigten zudem, vermége der gréferen noch vorhandenen
Zahl ihrer lebenden Vertreter, eine weit grifere Mannigfaltigkeit
primitiver Bildungen als Sphenodon, der ziemlich friihzeitig schon
seinen bestimmten und in gewissem Sinne besonderen Weg ein-
geschlagen haben mag (p. 531, 550, 555 f., 589—592).
Kin Blick auf die Gesamtheit der Organisation ergicbt auch
mir Sphenodon als einen sehr tiefstehenden Vertreter der Rep-
tilien, der eine tiberwiegende Summe primitiver Merkmale gewahrt
hat; aber ich glaube, daf diese Merkmale von einzelnen Autoren
etwas tiberschitzt und einseitig allzu sehr in den Vordergrund
gestellt worden sind. Andere Merkmale, wie z. B. die Unbeweg-
lichkeit des Quadratum (Monimostylie), die Akrodontie, die Be-
schaffenheit von Clavicula, Episternum und Parasternum, sowie
die besondere Bildung mehrerer Muskeln an Schulter- und Becken-
giirtel, vorderer und hinterer Extremitit (vergl. p. 591, 592, sowie
Perrin 1894) zeigen eine Differenzierung, die nicht mehr als eine
primitive und generelle, sondern als eine héher stehende, sekun-
dare und einseitig specialisierte anzusprechen ist. Jedes tiefer
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 625
stehende Tier kann vereinzelte héhere Ziige aufweisen, die sich
aber gegeniiber der viel gréferen Summe primitiver Differen-
zierungen nicht hervorheben und den in toto primitiven Cha-
rakter nicht zu beeintrachtigen imstande sind. Dies gilt fiir
Sphenodon nicht. Hier beeintriichtigen und modifizieren die
specialisierten Ziige den gewil} vorwiegend primitiven Charakter
doch derart, daf es mir unméglich erscheint, von ihm die Lacer-
tilier oder irgend welche anderen mir bekannten Reptilien direkt
abzuleiten; bei den Geckonidae z. B. tiberwiegen — trotz ver-
schiedener Specialisierungen, die es auch verbieten, sie zum Aus-
gange fiir Sphenodon zu machen — die primitiveren Ziige mehr
und weisen ihnen unter den lebenden Reptilien eine tiefere Stelle
als Sphenodon an.
Hinsichtlich der verwandtschaftlichen Stellung von Sphenodon
zu den Lacertiliern komme ich in der Hauptsache zu den gleichen
Resultaten wie diejenigen unter den oben angefiihrten Autoren,
welche ihn als nahen Verwandten der Lacertilier an-
fiihren, erblicke aber allein schon in der Monimostylie') eine
Barricre, welche jede Vereinigung beider unmdglich macht und
eine friihe Scheidung anzunehmen zwingt. Von einer Einver-
leibung in die Lacertilier und insbesondere in oder in die Nahe
der Agamidae kann fiir mich keine Rede sein; auBer der Monimo-
stylie, deren trennende Bedeutung Osawa’s diesbeziigliche Aus-
fiihrungen nicht zu erschiittern vermochten, existiert eine Fiille
von grundlegenden Differenzen im Skelett-, Muskel- und Nerven-
system, welche die Annahme so intimer Beziehungen durchaus
verbietet. Mehrfache grofe Aehnlichkeiten zwischen Sphenodon
und den Agamidae existieren; der gréBere Reichtum bedeutsamer
Differenzen la8t sie jedoch nur als Parallel- resp. Konvergenz-
Analogien beurteilen.
Muf somit Sphenodon trotz der erwahnten relativ nahen
Beziehungen zu den Streptostylia, speciell den kionokranen
Lacertilia, doch scharf von ihnen auseinanderge-
halten, in die gleiche Héhe oder selbst hoéher als
deren tiefere Vertreter gestellt und in mancher Be-
ziehung sogar als Specialist aufgefaft werden, so gilt nicht
dasselbe von den noch primitiveren und alteren fossilen
1) Die Existenz von Knorpel am dorsalen Ende des Quadratum
(p. 599 Anm. 1) bezeugt iibrigens, das die Monimostylhe von
Sphenodon jiingeren Datums ist.
626 Max Firbringer,
Vertretern der Rhynchocephalia. Die mesozoischen
Rhynchocephalia vera (mit den Familien der Homoeo-
sauridae, Rhynchosauridae [nach Entfernung von Hyperodapedon| *)
und Sauranodontidae) stehen nicht tiefer als Sphenodon (Hatteriidae),
die Sauranodontidae zufolge der Procélie ihrer Wirbel und anderer
Specialisierungen im Schidel und Gebifi (Riickbildung) ?) selbst
héher als dieser. Dagegen nehmen die in der Hauptsache per-
mischen Proterosauria (mit den Familien der Palaeohatteriidae,
Kadaliosauridae(?), Proterosauridae, Hyperodapedontidae‘) und
Champsosauridae) abgesehen von den — auch jiingeren — Champso-
sauridae (Kreide und Eocan) in zahlreichen ihrer Merkmale eine
unverkennbar tiefere Stufe als der noch lebende Vertreter ein,
und unter diesen ist es wieder die alteste P&laeohatteria aus dem
untersten Perm, welche durch eine grofe Summe von Merkmalen
eine wesentlich primitivere Organisation als Sphenodon aufweist und
sich unter den bisher besser bekannten Reptilien mit als tiefstes
dokumentiert *). Immerhin reprasentiert Palaeohatteria nicht den
tiefsten denkbaren Reptilientypus (der von den Geckonidae aus
auf direktem Wege zu gewinnen ist), auch sind wichtige Ziige
ihres Baues, so das Verhalten ihres Quadratum noch nicht be-
kannt; da aber nach Anordnung der Schlafenbogen eine Ver-
wachsung desselben mit dem Schadel wahrscheinlich ist, liegt auch
hier eine monimostyle, also nicht primitive, Differenzierung vor.
Intermediare Formen zwischen Rhynchocepha-
liern und Lacertiliern sind aus 4lteren und _ jiingeren
Schichten mit Wahrscheinlichkeit bekannt, aber als solche noch
nicht ausreichend und sicher erkannt worden.
Die Acrosauria sind, soweit bekannt, jiingeren Datums
(Jura) und reprasentieren dem Wasser angepafte, schlangenartige
1) Vergl. Anm. 3 auf p. 559.
2) Im iibrigen zeigt das Gebif der Rhynchocephalia hinsicht-
lich ihres auch palatodonten Vorkommens (Kiefer, Vomer, Palatinum,
Pterygoid) eine fast noch tiefere Stufe als das der Lacertilier und
und Ophidier, verhalt sich aber hinsichtlich der Einfiigung der
Zahne (Akrodontie) gleichmafiger.
3) Harcken (1895) giebt bei Palaeohatteria gegeniiber den
anderen monocondylen Rhynchocephaliern paarige occipitale Con-
dylen an, somit ein Verhalten, das, wie es scheint, demjenigen der
Geckonidae nahekommt, falls nicht damit eine amphibienihnliche
Struktur gegeben ist. Ich habe iiber diese Dicondylie von Palaeo-
hatteria keine eigene Erfahrung.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 627
Reptilien, bei denen sich lacertile Schadelstrukturen mit rhyncho-
cephalen Differenzierungen des Parasternum und der Gliedmafen
verbinden. Sie scheinen danach als besonderer Zweig zwischen
Lacertiliern und Rhynchocephaliern zu stehen. Doch ist auch
méglich, daf spatere Degenerationen an den Temporalbogen und
dem Parasternum nur zu einer sekundéren, genealogisch nicht viel
bedeutenden Parallele mit den Lacertiliern fiihrten. Ueber ihre
Anfange und ihre Entstehung aus terrestren Formen ist nichts
bekannt.
Viel wichtiger sind die Formen aus dem unteren Perm, wie
Kadaliosaurus und wie die mit Wahrscheinlichkeit als Reptilien
erkannten Microsaurier Hylonomus und Petrobates, deren
uns bisher bekannte Organisation vorwiegend rhynchocephale
Strukturen zeigt, mit denen sich aber auch lacertile Merkmale
mengen. Dabei sei nicht unerwabnt gelassen, daf die reptilische
Natur von Hylonomus noch nicht so gesichert ist wie die von Kadalio-
saurus und Petrobates, und daf Petrobates als sehr kleines Wirbel-
tier mit relativ kurzem Halse (wie es scheint, mit weniger Hals-
wirbeln als die oktospondylen Rhynchocephalier) ein besonderes
Interesse als vielleicht am tiefsten stehendes bekanntes Reptil be-
anspruchen darf. Da uns jedoch die Kenntnis fiir die Differential-
diagnose wesentlicher Teile noch abgeht, so ist es, wie schon oben
bemerkt, zur Zeit unméglich zu entscheiden, ob hier primitive
Rhynchocephalier oder Lacertilier oder Zwischenformen zwischen
beiden vorliegen, ob eventuell gemeinsame Ahnen beider Ord-
nungen unter ihnen sich finden. Hier liegen noch ungehobene
Quellen reichster Erkenntuis, und es sei hinzugefiigt, da’ Fahrten-
abdriicke aus dem Karbon (Dromopus MArsn 1894) der
bisher nur theoretisch gerechtfertigten Annahme, daf schon hier
primitive Lacertilier oder gemeinsame Stammformen *von Lacer-
tiliern und Rhynchocephaliern existieren, einen gewissen thatsich-
lichen Untergrund geben.
IV. Ichthyopterygia’).
Die Ichthyopterygier repriisentieren meistens grofe, kurz-
halsige, vollig an das Wasserleben angepafte amphicéle Reptilien
mit maxillodonten, thekodont oder holkodont dem Kiefer einge-
fiigten, bei einzelnen auch ginzlich riickgebildeten Zahnen, die
1) Vergl. auch p. 307—311 und die betreffenden Ausfihrungen
sub § 16 A, p. 521—571.
628 Max Firbringer,
bisher nur im mesozoischen Zeitalter (Muschelkalk bis Kreide),
von Anfang an in mehr oder minder vollkommener Ausbildung
ihrer Gestalt gefunden wurden.
Auf den ersten Blick zeigen die Ichthyopterygier eine unge-
mein einfache Gestaltung ihrer flossenartigen Extremitaten, die sie
friiher als sehr primitive Formen auffassen und tiefer als die
iibrigen Reptilien stellen lie’ (BLAINVILLE 1835, GeGENBAUR 1865,
1870, Harckent 1868, 1870 und folgende Jahre u. A.)"); auch
spiter sind sie noch von Cope (1887, 1889) allen anderen Rep-
tilien gegentiber und an deren Anfang gestellt worden. Es ist
das grofe Verdienst von HAECKEL, mit diesen Anschauungen einer
primitiven Gestaltung der Ichthyopterygier gebrochen zu haben,
indem er bereits 1866 den Gedanken aussprach, daf die Hali-
saurier (Ichthyopterygier und Sauropterygier) von terrestren Ahnen
abstammten; diese Anschauung ist von Voer (1881) und nament-
lich von Baur (1886 —1894) des weiteren verfolgt und begriindet
worden und hat sich jetzt wohl allgemeine Geltung erworben.
Baur hat insbesondere auch auf zahlreiche Uebereinstimmungen
des morphologischen Baues der Ichthyopterygier mit den Rhyncho-
cephaliern aufmerksam gemacht und gegenitiber der mit véllig aus-
gebildeten, homéomeren Flossen versehenen Hauptmasse der Ichthyo-
saurier (Ichthyosauridae) auf alteste Formen aus der Trias (Mixo-
sauridae) hingewiesen, bei denen diese Homoéomerie noch nicht
auf den noch verlangerten und seinen terrestren Ursprung ver-
ratenden Vorderarm sich ausgedehnt hatte.
CoNYBEARE (1821) hat bekanntlich die kurzhalsigen Ichthyo-
pterygier und die langhalsigen Sauropterygier (siehe unten sub VI)
zu einer gemeinsamen Abteilung vereinigt, die er Enaliosaurier
benannte. Owen (1839) begriindete die grofen Differenzen beider
und schied sie in die beiden Ordnungen der Ichthyopterygier und
Sauropterygier. H. v. Meyer (1847—1855) bezeichnete die Enalio-
saurier (Halisaurier) als Nexipodes, wies aber gleichfalls auf die
fundamentale Verschiedenheit der von ihnen umfaften Ichthyo-
pterygier (Brachytracheli) und Sauropterygier (Macrotracheli) hin.
In der Zeit danach sind Ichthyopterygier und Sauropterygier von
den verschiedenen Autoren einander bald mehr genahert, bald mehr
entfernt worden. HarckEL (1895), der dieser Frage viel Nach-
3) Hour (1814—1819) rechnete sie sogar den Fischen zu.
Buarnvittn (1835) stellte sie allen Amphibien und Reptilien gegen-
iiber. Ihre Reptiliennatur ist bekanntlich bereits von Cuvimr (1826)
in tiberzeugender Weise dargethan worden,
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 629
denken gewidmet, halt trotz der von ihm vollkommen anerkannten
grofen Differenz in dem Baue beider Abteilungen doch ihre Ab-
stammung von einem gemeinsamen mesosaurier-artigen Ahnen fiir
das Wahrscheinlichere; ihm folgt BurckHArRDr (1895). Baur
(1886 und folgende Jahre) andererseits tritt wohl am_ ent-
schiedensten fiir eine vollkommene Trennung beider ein.
Nach eigener Priifung bin ich geneigt, in der Hauptsache
Baur zu folgen. Sowohl die relativ nahe Verwandtschaft
der Ichthyopterygier mit den Rhynchocephaliern
wie die weite Entfernung von den Sauropterygiern
scheinen mir hinreichend begriindet zu sein.
Mit den Ichthyopterygiern beginnt die Reihe der monimostylen
Reptilienordnungen, die fast durchweg ') als ausgemachte Specialisten
zu bezeichnen sind. Unter diesen nehmen sie aber die relativ
primitivste Stellung ein; friihzeitig, wohl schon im unteren Perm,
haben sie sich vermutlich von alten rhynchocephalier-artigen ter-
restren Formen’) abgezweigt und in zunehmendem Ma8e in marine
umgeformt. Die uns erhaltenen Reste zeigen bereits die vdllige
Anpassung an das Wasserleben; immerhin kénnen wir bei ihnen
noch einige spatere Stufen dieser Ausbildung wahrnehmen:
1) Mixosauria (Baptosauria HAECKEL) mit noch nicht auf Vorder-
arm und Unterschenkel (Zeugopodien HaArckEL) ausgedehnter
Homéomerie, 2) Longipinnata (Pontosauria HAEKEL) mit iiber die
Zeugopodien ausgedehnter Homéomerie, Hyperphalangie und noch
nicht oder erst in den Anfiingen in Erscheinung getretener Hyper-
daktylie, 3) Latipinnata (Ichthyosauria und Baptanodontia HAECKEL)
mit ausgebildeter Homéomerie, Hyperphalangie und Hyperdaktylie
(mit zum Teil gegenseitiger Verschiebung der einzelnen Ab-
schnitte)*). Damit geht eine zunehmende Vereinfachung der
Konfiguration der einzelnen Komponenten (ahnlich wie wir sie an
der Cetaceen-Flosse finden) Hand in Hand, welche allerdings das
Bild einer héchst primitiven Gliedmafe entstehen lift; doch finden
sich die ,,primitiven’’ Gliedmafen bei den spiiteren, nicht bei den
friiheren Ichthyopterygiern. Zugleich dominiert die vordere Extre-
1) Eine Ausnahme mache ich mit den generelle Ziige auf-
weisenden Mesosauria (s. u. sub VII).
2) Die Mesosaurier, welche zu den Sauropterygiern gewisse
speciellere Beziehungen besitzen, kommen fiir die Ichthyopterygier
nicht in Frage.
3) Verschiedene Reduktionen kénnen dieses Bild wohl triiben,
aber nicht ausléschen.
630 Max Firbringer,
mitét in ihrem am meisten ausgebildcten Zustande erheblich tiber
die hintere; auch das ist ein Zeichen der sekundéren Anpassung
an das Wasserleben. Diese specielle Anpassung erreicht bei den
héchsten Formen der Ichthyopterygier eine Vollkommenheit, die
von keinem Amnioten erreicht wird; auch darin liegt ein morpho-
logischer Grund, der ein friihes Einsetzen der beginnenden An-
passung bei noch recht primitiven und darum in ausgiebigem
Mage umbildungsfahigen Tieren mit einigem Rechte voraussetzen
laBt.
Der genauere Grad der Verwandtschaft zu den Rhyncho-
cephaliern ist zur Zeit schwer, jedenfalls nicht mit Sicherheit
zu bestimmen. So nahe, wie z. B. die Mosasauria den Varano-
Dolichosauria, stehen sie den Rhynchocephaliern nicht. Der Diffe-
renzen sind im Einzelnen zu viele und zum Teil zu_tiefliegende,
als dafS man dieselben durchweg auf sekundare Anpassungen
zurickfiihren kénnte. Gliickliche Funde, welche uns die Vor-
geschichte der Ichthyopterygier in der unteren Trias und im
Perm enthiillen, miissen abgewartet werden. Bis dahin ist es ge-
raten, sie als selbstandige Ordnung neben die Rhynchocephalier
zu Stellen.
V. Chelonia’).
Wie klar uns auch der Bau der ausgebildeten Chelonier vor
Augen liegt, so dunkel ist die phylogenetische Entwickelung der-
selben. Die Altesten bekannten Reste begegnen uns erst in der
oberen Trias, und diese stehen nicht tiefer als die noch lebenden
Formen, gehéren zum Teil selbst den héchsten Typen derselben
an. Alle bekannten Chelonier, auch die relativ am tiefsten stehen-
den Vertreter derselben, kennzeichnen sich neben gewissen primi-
tiven Ziigen, namentlich im distalen Bereiche der Extremititen,
die etwas an Rhynchocephalier erinnern, durch eine grofe Fille
sekundarer und besonderer Differenzierungen, die einen langen
oder energischen einseitigen Entwickelungsgang voraussetzen lassen.
Es sei unter anderem an die Bildung des Riicken- und
Bauchschildes und die in Korrelation dazu héchst mannigfaltigen
Gelenkungen der frei bleibenden Wirbel, die Reduktion der Zahne,
die vielen Besonderheiten der Kingeweide erinnert. Wenig andere
Reptilienordnungen sind zu solcher Specialisierung gelangt.
1) Vergl. auch p. 311—321 und die betreffenden Ausfiihrungen
sub § 16 A—C, p. 521—595.
_”
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 631
An die Stelle der alteren, zum Teil unzulinglichen Einteilungen
der Chelonier sind die vollkommeneren taxonomischen Arbeiten
namentlich RGTIMEYER’s (1872, 1873), Copr’s (1871 —1875), DoLLo’s
(1886) nnd Baur’s (1889—1896) getreten und von den mafgeben-
den neueren Systematikern unter Vorkehrung bald dieses, bald
jenes Punktes angenommen worden. Cope (1889), BoULENGER
(1889) und Lyprekker (1889), unterscheiden die beiden Haupt-
abteilungen (Subordines) der primitiven lederhiiutigen Athecae !)
und der héher stehenden panzerhiutigen Thecophora; die kleine
Abteilung der Athecae wird durch die Familie der Sphargidae
reprisentiert, die grofe der Thecophora durch die Superfamilien
oder Sektionen der Trionychoidea, Cryptodira?) und Pleurodira 2),
denen LypEKKER noch die rein fossilen Amphichelydidae zufiigt.
Die Pleurodira werden allgemein gegentiber den Cryptodira als
die héheren Formen angesehen, die Trionychoidea bald (Corr,
LYDEKKER) vor die Cryptodira als tiefste, bald (BouULENGER, Ly-
DEKKER) hinter die Pleurodira als héchste Chelonier gestellt.
HaArckeL (1895) verbindet Athecae (Dermochelya HAarckeL) und
Trionychoidea (Diacostalia Baur, HArckeL, Chilotae WrEGMANN,
Baur) zu der tiefer stehenden Sublegion der Bursochelya, Cryptodira
und Pleurodira zu der héheren Sublegion der Cerachelya. Baur
(1889, 1890) und Zirren. (1889) ziehen die Abteilung der Athecae
wieder ginzlich ein*), indem sie dieselben als einfache Familie
den Cryptodira einreihen, und unterscheiden somit nur die 3 Unter-
ordnungen der am tiefsten stehenden Trionychia, der Cryptodira
und der am héchsten stehenden Pleurodira; Zrrren. betrachtet
hierbei, wenn ich ihn recht verstehe, die Sphargidae als die primi-
tivste Familie der Cryptodira und stellt sie vor die Chelonidae,
Baur geht noch weiter, indem er die Sphargidae von den Chelo-
nidae ableitet und als unter Riickbildung ihres Panzers speciali-
sierte Abkémmlinge derselben auffaBt.
1) Fiir die primitive und isolierte Stellung der Sphargidae sind
auch Spenxy (1880), Dotno (1886, als hauptsichlichster Begriinder
dieser Stellung), Smuira Woopwarp (1887) und GinruEr (1888)
eingetreten.
2) Bekanntlich hat Srannius schon vor nahezu 50 Jahren auf
die differente Befestigungsweise des Beckens der Chelonier auf-
merksam gemacht und die Cryptodira als Emydea streptopelyca von
den Pleurodira, den Emydea monimopelyca, unterschieden.
3) Auch Srannius (1856), Rirmeyer (1873), Huxiey (1873),
Van Bemmecen (1896), Case (1897), Hay (1898) u. A. erkennen die
separate und tiefe Stellung der Sphargidae nicht an; Srannius ver-
einigt sie mit den Chelonidae zu den EKuereta.
Bd, XXXIV. N, F. XXVIL 41
632 Max Firbringer,
Hinsichtlich der genealogischen Beziehungen der Chelonier
zu anderen Wirbeltieren sind, wie schon erwahnt, die generalisierten
und tiefstehenden Rhynchocephalier herangezogen worden. OWEN
(1839), Corr (1871, 1887), Parker (1880), Baur (1887, 1888),
LypEKKER (1889), HuLKr (1892) u. A. haben namentlich im Bau
des Kopfes, sowie des Brustschulter- und Beckengiirtels Zeichen
der Verwandtschaft mit den Sauropterygierp gefunden. Von Zirren
(1889) und Harcken (1875) wurde auf grofe Aehnlichkeiten im
Schadel der theromorphen Anomodontia (Therochelonia SEELEY,
chelycephale Theromora HAEcKEL) hingewiesen; Zirret halt es fiir
tiberaus wahrscheinlich, da’ Theromorphen und Chelonier von ge-
meinsamen Ahnen entsprungen sind, HArEcKEL hat selbst die direkte
Abstammung der Chelonier von den Anomodontia vermutungsweise
ausgesprochen. Baur (1894) findet in der specielleren Zusammen-
setzung und Anordnung des einen (dem ganzen Komplex der
Stegocephalen homologen) Schlafenbogens tibereinstimmende Ver-
haltnisse bei Cheloniern, Sauropterygiern, Theromorphen und
Mammalia. Rivimeyer (1873) endlich weist auf die Batrachier
als den mutmaflichen Ausgang der Chelonier hin.
Gegeniiber den verschiedenen Anschauungen tiber die Ein-
teilung der Chelonier kann ich mich mit derjenigen, welche
den Sphargidae einen besonders primitiven und isolierten Platz
in der Reihe derselben anweist, nicht vereinigen. Eigene Unter-
suchungen an Dermochelys coriacea haben mich tiberzeugt, daf
das, was hier einfach erscheint, nur zum kleinsten Teile als wirk-
lich primitiv beurteilt werden darf, dafi das meiste nur infolge
von sekundiren Anpassungen an das Wasserleben und von Riick-
bildungen der einstmals gewili hodher entfalteten Hautpanzer-
bildungen sich vereinfacht hat. Dazu kommen zahlreiche Einzel-
merkmale, welche Sphargis ein héhere Stellung anweisen als vielen
anderen namentlich land- und sumpflebenden Cryptodira. Auch
ich befiirworte mit Srannius, Baur, ZirreL u. A. eine nahere
Verwandtschaft mit den Chelonidae, wenn ich auch nicht so weit
gehen kann wie STannivs, der beide Familien zur Subordo Euereta,
wenn ich recht verstehe seiner héchsten Abteilung der Chelonier,
zusammenfaft. Meine Auffassung kommt am nachsten mit BAaur’s
Anschauungen iiberein. Fiir mich bilden die Sphargidae und
Chelonidae Familien der Cryptodira und stehen hier nicht unter den
tiefsten Formen derselben. Auch Minani (1897) macht darauf auf-
merksam, daf} Thalassochelys — Dermochelys konnte er nicht unter-
suchen — den héchsten Typus der Chlelonierlunge reprisentiere.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 633
Daf die Pleurodira héher stehen als die Cryptodira, daf fossile
Zwischenformen beide verbinden, ist allgemein bekannt und aner-
kannt und bedarf keiner besonderen Bekraftigung. Die Triony-
choidea zeigten mir namentlich auch im Muskelsystem (p. 593 f.)
gewisse Ziige, welche denen der anderen Chelonier gegentiber als
primitiv zu beurteilen sind; damit verbinden sich aber wieder
verschiedene sekundare Differenzierungen, welche das Bild ihrer
relativ einfacheren Organisation gegeniiber den Cryptodira und
Pleurodira etwas verwischen; immerhin bin ich geneigt, ihnen
eine mehr isolierte Stellung zu geben und sie zu den tiefer stehenden
Cheloniern zu rechnen. Doch ist hier noch viel zu untersuchen.
Beziiglich der Stellungder Chelonierinder Reiheder
Reptilien ist wohl alssicher anzunehmen, dal dieselben ausgemachte
Specialisten von mittlerer Hohe reprasentieren; einzelne Ziige ihrer
Organisation (Ausbildung von Riicken- und Bauchschild und die
korrelativen Umbildungen dazu) sind selbst zu einem auferordent-
lichen Grad von einseitiger Differenzierung gelangt. Sie stehen
hoher als die bisher besprochenen Reptilien‘) und ihr morphologi-
scher Bau ist zum tiberwiegenden Teil ohne grofe Miihe auf primitiv
lacertile oder rhynchocephale Strukturen zuriickzufiihren. Manches
erscheint von ganz abweichender und besonderer Art (z. B. der
Brustschulterapparat), so daf es begreiflich und entschuldbar
erscheint, wenn hier an direkte Anschliisse an Amphibien gedacht
worden ist; doch geben auch hier die leider noch ungeniigend
bekannten und auch nicht ganz primitiven Mesosaurier wenigstens
einiges Licht.
Von allen Reptilien-Ordnungen scheinen mir die Meso-
saurier und Sauropterygier relativ die meisten Aehnlich-
keiten mit den Cheloniern zu gewahren, und ich kann — zum Teil
auf Grund eigener Untersuchung — den oben citierten Autoren von
Owen bis HuLke nur folgen, wenn sie diese Aehnlichkeiten zum
Ausdruck wirklicher Verwandtschaften machten ?). LYDEKKER hat
1) Ihre Monimostylie ist eine intensivere und friither erworbene
als die der Rhynchocephalier (cf. p. 599 Anm. 1 und p. 625 Anm. 1).
2) Von Interesse ist der in noch ungeniigenden Resten bekannte
Eunotosaurus aus dem Karroo (SrEtey 1892), dessen Pubis
dem von Mesosaurus dhnlich ist, wihrend sein Rumpfskelett nach
Sretey zu den Cheloniern tendirt. — Fir die Verwandtschaft
der Chelonier mit den Sauropterygiern zieht auch Baur (1887)
eine Beobachtung W. K. Parkur’s (1880) heran, der zufolge 61/,
—§ lines (13 %/,—19 mm) lange Embryonen von Chelone viridis
41 *
634 Max Firbringer,
dem auch darin Ausdruck verliehen, daf er diese drei Ordnungen
zu dem Synaptosaurier Zweig!) der Reptilien vereinigte. Doch
moéchte ich davor warnen, diese Verwandtschaften zu eng zu
ziehen.
Was die namentlich von Zirre, und Harcket behauptete
Verwandtschaft mit den Theromorphen angeht, so existieren,
wie wir namentlich auch durch SeeLtey (1894) und Baur (1894)
wissen, gewisse gemeinsame Ziige in der Konfiguration beider
Abteilungen, insbesondere am Schéidel; dieselben sind aber nicht
ausschlieSlich auf Theromorphen und Chelonier beschrankt, sondern
werden mit denselben auch von anderen Reptilien und selbst von
den Siugetieren geteilt. Dem steht aber eine grofe Fiille von
Charakteren gegeniiber, welche der Aufstellung speciellerer Ver-
wandtschaftsverhaltnisse nichts weniger als giinstig sind. Ich kann
daher nur recht allgemeine Relationen beider Ordnungen annehmen
und kann mit dieser Annahme héchstens so weit gehen, dai ich
die Synaptosaurier durch Vermittelung der Mesosaurier in sehr
friiher Zeit in der Nihe der Theromorphen — méglicherweise! —
entspringen lasse. Dagegen ist es mir unmoglich, auf den Schadel-
bau der Anomodontia (chelygnathe Theromora), der am héchsten
entwickelten und am meisten specialisierten Abteilung der Thero-
morpha, specicllere Verwandtschaften mit den Cheloniern zu griinden
resp. die letzteren von diesen héchsten Theromorphen abzuleiten.
Die Theromorphen enden, soweit unsere paliontologische Kenntnis
reicht, bereits in der altesten Trias”), die Chelonier treten, soweit
wir uns auf wirklich vorhandene Reste berufen kénnen, erst in der
15 cervicale Myotome zeigten, wihrend die Halswirbelsiule der
erwachsenen Chelone aus nur 8 Wirbeln besteht, und denkt hierbei
mit Parker an ein friiheres Sauropterygier-Stadium der Halslinge
der embryonalen Chelone mit sekundirer Verkiirzung derselben.
Wie schon oben (p. 544 f., Anm. 3) ausgefiihrt, erscheint die
Parxer’sche Beobachtung und seine Deutung noch nicht geniigend
gesichert.
1) Urspriinglich von Corn mit den Ordnungen der Chelonia,
Rhynchocephalia und Sauropterygia aufgestellt. Spatere Unter-
suchungen, namentlich von Baur (1887), haben gezeigt, dal die
dieser Benennung zu Grunde legenden Diagnosen eine Korrektur
verlangten.
2) Abgesehen von den noch bis zur Mitte der Trias reichenden
Placodontia, die aber wegen ganz abweichender Organisation und
ungeniigender Kenntnis nicht in Frage kommen.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 635
oberen Trias als ganz fertig ausgebildete Formen auf. Fiir den
Anhianger der Kontinuitiétstheorie liegt darum gewil} etwas Ver-
lockendes in dem Gedanken, daf die Theromorpha doch nicht
vollig ausgestorben sind, sondern daf ihre letzten mehr oder minder
zahnlos gewordenen Reste sich unter gewissen Umbildungen in
die gleichfalls durch massigen Schidelbau charakterisierten und
gewisse Schidelstrukturen mit ihnen teilenden Chelonia fort-
gesetzt haben. Ich vermag indessen in der Aehnlichkeit der im
Wesentlichen als plumpe Endformen zu _ beurteilenden Schadel-
charaktere der Anomodontia nicht viel mehr aJs eine Analogie zu
finden und erblicke in der sonstigen Organisation derselben eine
Fiille von festgelegten Specialisierungen, die weder einen naheren
Vergleich mit den entsprechenden Gebilden der Chelonier gestatten,
noch es als wahrscheinlich erscheinen lassen, da’ von solchen
Bildungen diejenigen der Chelonier sich hatten entwickeln kénnen.
Weit mehr neige ich der Anschauung zu, daf die Theromorpha
und namentlich die Anomodontia zufolge ihrer weit fortgeschrittenen
Specialisierung nicht mehr imstande waren, sich in so erheblichem
Grade Lebensbedingungen, wie sie die Chelonier-Existenz verlangt,
noch anzupassen und so tief eingreifende Umbildungen einzu-
eehen, wie hier vermutungsweise behauptet wird. Ihrer ganzen
Organisation nach waren sie wegen mangelnder Anpassungsfahig-
keit dem Untergange geweiht, und ich glaube, bis nicht weitere
Funde mich anders belehren, nicht, da’ irgend ein Theromorphe
die Trias oder das Secundir tberlebte.
Die. speciellere Phylogenese der Chelonier ist somit meines
Erachtens nach wie vor in Dunkel gehiillt und bleibt noch ein
Problem. Hoffen wir, daf gliickliche paliontologische Funde in
der friihen Trias und im Perm uns die wahren atheken Vor-
fahren der bekannten Thecophora und die Abstammung und
Wurzel derselben von dem gemeinsamen Reptilienstocke kennen
lehren mégen!
Vi. Sauroptery gia):
Aehnlich den ihnen im grofen und ganzen gleichalterigen
Ichthyopterygia sind die auf die mesozoische Zeit beschrankten
Sauropterygier an das Wasser angepalte Reptilien, unterscheiden
1) Vergleiche auch p. 321—336 und die betreffenden Aus-
fiihrungen sub § 16 A, p. 521—571.
636 Max Firbringer,
sich aber durch ihren verlingerten Hals, durch die Bildung des
Schidels und Schultergiirtels, sowie die ausgeprigte Heteromerie
der einzelnen Abschnitte ihrer flossenartigen Extremitaten auf
den ersten Blick wesentlich von ihnen. Auch die Wirbel mit ihren
mibig konkaven oder nahezu planen Verbindungsflaichen, sowie
zahlreiche andere Skeletteile sind nicht vom gleichen Typus wie
die Ichthyopterygier. Ich habe mich darum bereits bei diesen
ausgesprochen (p. 308 Anm. 1, 629), daf ich nahere Verwandt-
schaften beider Ordnungen oder ihre Vereinigung zum Superordo
(Legio) der Enaliosaurier (Halisaurier) nicht annehmen kann.
Grover sind, wie bei den Cheloniern angegeben (p. 633 f.),
die verwandtschaftlichen Beziehungen zu dieser Ordnung; doch
habe ich gewarnt, dieselben nicht zu eng zu ziehen, und dies auch
in den specielleren Ausfiihrungen dieser Abhandlung (p. 336) an
dem Beispiele des Brustschulterapparates und der vorderen Ex-
tremitat darzulegen versucht. Es ist nicht schwer, diese Gesichts-
punkte auch auf Schadel, Rumpfskelet, Beckengiirtel und hintere
Extremitat anzuwenden.
Auch zu den Theromorpha existieren, wie namentlich
SEELEY hervorgehoben hat, gewisse Beziehungen, welche zum Teil
durch die Mesosauria vermittelt werden; dieselben sind aber noch
fernere als die zu den Cheloniern.
Endlich noch die Rhynchocephalia, die in verschiedener
Hinsicht, insbesondere in der Bildung des Parasternum und ge-
wisser Merkmale der Extremitaiten, recht deutliche Beziehungen
darbieten, aber als nahe Verwandte der Sauropterygier gleichfalls
nicht anzusehen sind.
Daf die Sauropterygier von terrestren Formen abstammen,
diirfte nach den Ausfiihrungen von HArEcKEL, VoaT und nament-
lich Baur wohl allgemein angenommen sein. Den Ausgang bilden
die triassischen Nothosauria (mit den Alteren Lariosauridae
und den jiingeren Nothosauridae), deren Extremitiéten erst in be-
ginnender Umbildung zur Flosse sich befinden und, namentlich
bei den Lariosauridae, noch die Méglichkeit einer terrestren
Lebensweise gestatten; die volle Ausbildung und Anpassung an
das Wasser gewinnt die Ordnung mit den Plesiosauria (mit
den Familien der Pliosauridae, Plesiosauridae und Elasmosauridae),
bei denen die Flosse nur noch fiir Schwimmbewegungen tauglich
erscheint. Damit verbindet sich die successive Verlingerung des
Halses, die bei den Nothosauria 16—21, bei den Plesiosauria
20—72 (wovon die niedrigeren Zahlen fiir die Phosauridae, die
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 637
mittleren fiir die Plesiosauridae, die héheren fiir die Klasmosau-
ridae gelten) betragt, somit Grade erreicht, die alles, was wir
sonst in dieser Richtung bei Sauropsiden kennen, bei weitem tiber-
steigt (p. 545 u. 575). Manche Autoren, z. B. Seeney (1892) und
BouLENGER (1896), ziehen die Mesosauria noch in die gréfte
Nahe der Sauropterygia oder als tiefste Abteilung in den Bereich
derselben. Damit werden den Sauropterygia rein terrestre Formen
von maliger Halslinge (10—11 Halswirbel) aus noch alteren
Schichten (Perm und unterste Trias) zugefiigt.
Die angefiihrte Reihe — Mesosauria, Nothosauria, Plesio-
sauria resp. Mesosauridae, Lariosauridae, Nothosauridae, Plio-
sauridae, Plesiosauridae, Elasmosauridae — _ verlockt foérmlich
dazu, in ihr die wahre phylogenetische Entwickelungsreihe der
héchsten marinen Formen von den niedrigsten terrestren zu er-
blicken. Doch ist hier grofe Vorsicht geboten. Die genauere
Untersuchung ergiebt noch nicht mit zweifelloser Sicherheit, daf
die Mesosaurier wirklich zu den Sauropterygiern gehéren, und
deckt auch verschiedene Ziige (einzelne Schaidelmerkmale, nament-
lich aber Wirbelsiule, Schultergiirtel und Parasternum) auf, welche
die Nothosaurier nicht in jeder Hinsicht als die primitiveren, die
Plesiosaurier als die hochstehenden Vertreter der Sauropterygier
beurteilen lassen. Ja selbst beziiglich der gegenseitigen Organisations-
beziehungen der Notbosaurier und Plesiosaurier ist noch nicht
alles aufgehellt. Wenn Srevey beide als selbstandige Ordnungen
Nothosauria und Sauropterygia nebeneinander stellt, so ist dies
von einem so genauen Kenner dieser Verhaltnisse gewi8 nicht
ohne guten Grund geschehen.
Die ganze Organisation und paldontologische Geschichte der
Sauropterygier zeigt, daf dieselben bereits in wesentlich héherer
Organisation im Vergleich zu den Ichthyopterygiern') sich dem
Wasserleben anpaliten. Dementsprechend ist diese Anpassung bei
ihnen keine so vollkommene wie bei den Ichthyopterygiern.
Wahrend diese zu homéomeren, hyperphalangen und hyperdaktylen
Flossen gelangten, kommt es bei den Sauropterygiern nur zur
Hyperphalangie, und selbst bei den in erheblich spaterer palionto-
logischer Zeit dem Wasserleben angepaften Mosasauriern (p. 615 f.)
1) Auch die iibrigens einfach maxillodonten Zahne mit wechseln-
der Thekodontie und Holkodontie bei den Nothosauriern und Plesio-
sauriern kénnen hierfiir herangezogen werden (vergl. auch Burcx-
HARDT 1895).
638 Max Fiirbringer,
ist die Umbildung der Extremitat zur Flosse keine unvollkomme-
nere als bei den Plesiosauriern, sondern zeigt sich hinsichtlich der
homéomeren Verkiirzung des Humerus und Femur trotz der fiir
die Umbildung gegebenen kiirzeren Zeit weiter fortgeschritten als
bei diesen. Dieses Verhalten findet seine Begriindung in der
tieferen Stellung und gréBeren Bildsamkeit der den Mosasauriern
Ausgang gebenden kionokranen Lacertilier.
In einem Punkte zeigen die Sauropterygier einen Grad der
Umbildung, welcher unter den Tetrapoden unerreicht dasteht: es
ist dies die bereits oben hervorgehobene hochgradige Wan-
derung der Extremitaten nach hinten. Solche Wan-
derungen sind aber an sich keine Zeichen einer tieferen Organi-
sationsstufe, sondern finden sich, wie das Beispiel der Végel zeigt,
auch bei héheren Formen, welche neuen, machtig einwirkenden
Lebensbedingungen unterworfen wurden.
Der Anfang der terrestren Vorfahren der Sauropterygier ist
noch in Dunkel gehiillt. Daf hierbei die Mesosaurier wesentlich
mit in Frage kommen, ist gewifi berechtigt; aber auch diese sind
keine primordialen Formen mehr. Gewif wird man annehmen
diirfen, dafi die altesten Sauropterygier von rhynchocephalenartigen
Vorfahren Ausgang nahmen, aber mit diesem in seiner Allgemeinheit
nahezu trivialen Ausspruche ist wenig gesagt; derjenige Rhyncho-
cephale, von dem sich die Sauropterygier und die ihnen ver-
wandten Ordnungen direkt ableiten, ist zur Zeit unbekannt.
SchlieBlich sei noch erwihnt, daf§ ahnlich wie bei den Cheloniern
auch bei den Plesiosauriern gewisse Strukturen existieren, welche
an diejenigen der Amphibien erinnern (p. 331); aber weder Che-
lonier noch Sauropterygier méchte ich auf Grund derselben direkt
von den Amphibien ableiten.
VII. Mesosauria’).
Die Mesosauria reprasentieren eine kleine Gruppe alter Land-
tiere aus dem Perm und den subtriassischen Schichten, die man
bald (Baur 1887, Cope 1887, ZirreL 1889, Harcken 1895) den
Rhynchocephaliern, mit den Proterosauria die Subordo Progano-
sauria Baur (Progonosauria HAarckKeL) bildend, ecinreihte, bald
(BOULENGER 1896) mit den Sauropterygiern zur Ordo Plesio-
sauria verband, bald (SEELEY 1892) mit den Lariosauria (Neustico-
sauria SEELEY) zur selbstaindigen Ordo Mesosauria vereinte, bald
1) Vergl. auch p. 336—838 und die betreffenden Ausfiihrungen
sub § 16 A, p. 521—571.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 639
(SeELEY 1894) den Theromorpha niiher anschlof resp. in die
Theromorpha im weitesten Sinne des Wortes (Anomodontia SEELEY)
aufnahm, endlich (HAEcKEL 1895) als die mutmaflichen Stamm-
eltern der Halisaurier (Ichthyopterygier ++ Sauropterygier) er-
klarte. Sie haben amphicéle Wirbel und einen miafig verlingerten
(aus 10—12 Wirbeln bestehenden) Hals.
Aus diesen grofen Differenzen in den Anschauungen tiber ihre
Stellung geht zur Geniige hervor, daf entweder die Kenntnis ihrer
Organisation noch keine geniigende ist oder daf sie eine in be-
sonders ausgepragtem Grade intermediare Abteilung (Sammeltypus,
Konnektivform) reprisentieren.
Dali die Mesosaurier zu den primitiveren unter den Reptilien
gehéren, wird durch zahlreiche Ziige ihrer Organisation bezeugt.
Dies zusammen mit ihrem hohen Alter hat dazu gefiihrt, sie den
Rhynchocephaliern einzureihen. Die genauere Betrachtung ergiebt
‘aber so viel Specifisches in ihrer Organisation, daf sie, will man
den Rhynchocephalia nicht einen viel weiteren Umfang als
bisher geben, aus diesen zu entfernen sind. Mit den Ichthyopte-
rygiern besitzen sie so gut wie nichts Gemeinsames. Dagegen
finden sich zahlreiche Aehnlichkeiten mit den Sauropterygiern
(Schadelform und gewisse Schiadelstrukturen, Halslainge, Rippen,
vordere Extremitat), aber auch einzelne allgemeinere Ueberein-
stimmungen mit den Theromorphen, namentlich eine gewisse
Plumpheit in der Konfiguration, welche an diese Reptilienordnung
erinnert. Der Schultergiirtel ist von primitiver eigener Art, steht
aber dem der Sauropterygier, Chelonier und Theromorphen naher
als der entsprechenden Bildung der anderen Reptilien-Ordnungen.
Bei dem jetzigen Stande unserer Kenntnis bin ich geneigt,
den Mesosauria eine provisorische Stellung in der Nahe der An-
fange der Sauropterygia, Chelonia und Theromorpha zu geben,
wobei die Entwickelung in der Richtung nach den Sauropterygia
iiberwiegt, aber doch so viel Besonderes zeigt, dafi ich einer voll-
stiindigen Einreihung in diese nicht zustimmen, dagegen eine inter-
mediare Steilung zwischen ihnen und den Theromorphen (den
Sauropterygia hierbei am meisten gendhert) befiirworten mdéchte.
VIII. Theromorpha’).
In den Theromorpha (Theromora Cope) begegnet uns eine
sehr alte, im Perm und der unteren Trias sehr reich und mannig-
1) Vergl. auch p. 338—347, sowie die betreffenden Ausfiih-
rungen sub § 16 A, p. 521—571.
640 Max Fiirbringer,
faltig vertretene, in der mittleren Trias nur noch wenige Repriisen-
tanten darbietende und danach, wie es scheint, ausgestorbene Ab-
teilung von amphicélen, meist kurzhalsigen und mit wenigen Aus-
nahmen landlebenden Reptilien, die neben gewissen primitiven
Ziigen sich durch zahlreiche hohe und specielle Strukturen aus-
zeichnen'). Bei den primitiveren Formen (Procolophontidae,
Pareiasauridae, Diadectidae, Clepsydropidae etc.) finden sich neben
mancherlei specifischen Konfigurationen noch Anklinge an die
Rhynchocephalier und Mesosaurier, bei den héheren (viele Therio-
dontia, namentlich aber die Therochelonia) ist es zu einer ganz
einseitigen Hohe der Specialisierung gekommen, die zugleich eine
Anzahl von oft ganz tiberraschenden Aehnlichkeiten mit den Saiuge-
tieren aufweist?). Doch zeigt sich diese Aehnlichkeit mit den
Mammalia zum Teil, wenn auch minder eindringlich, auch bei
tiefer stehenden Theromorphen. Die hdheren und kérperlich
groéferen Vertreter kennzeichnet meist auch eine hochgradige
Plumpheit und Massigkeit der Kérperform und ihrer einzelnen
Komponenten. Primitivere und héhere Typen finden sich, wie es
scheint, in den gleichen Schichten vermischt.
Die systematische Einteilung der Theromorpha
ist eine Sache von groBer Schwierigkeit. Owkrn (1876), CopE
(1878—92) und Seenry (1887—96) haben vor Allen das Ver-
dienst, in sehr zahlreichen Untersuchungen dieselbe immer mehr
ausgebaut zu haben. Zirrren (1889), LypeEKKER (1890), SEELEY
(1894) und Harcken (1895) haben dem Standpunkte unserer zeit-
lichen Kenntnisse entsprechende Systeme derselben aufgestellt.
Den beiden letzteren habe ich mich in der Hauptsache ange-
schlossen (p. 339); doch bin ich nicht in der Lage, auf Grund
eigener Untersuchungen etwas Neues hinzuzufiigen. Ich enthalte
mich somit einer weiteren Besprechung dieser Frage.
1) Kin sehr hochgradiges Gemisch tiefer und hoher Merk-
male zeigt namentlich auch die bald gnathodonte, bald maxillo-
donte Bezahnung mit ihrer reichen Mannigfaltigkeit und ihrem
eroken Wechsel an Zahl und Form dieser Zahne; durch Riick-
bildung und Auslese kommt es auch zu dicynodonten und an-
odonten Formen.
2) Diese Aehnlichkeit einzelner Teile kann so grof werden,
daf daraufhin gewisse Theromorphen (Tritylodon, Theriodesmus)
frither (Tritylodon von OwrEn 1884, Theriodesmus von SEELEY 1887)
den Mammalia zugerechnet und erst spiter (Smpnuy 1894) als
Theromorpha erkannt wurden.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 641
Beziiglich der genealogischen Beziehungen der Theromorpha
zu anderen Reptilien oder Vertebraten sind, wie erwahnt, die
Rhynchocephalia, Mesosauria, Chelonia und die Mammalia in Frage
gekommen.
Ich habe mich bereits dahin entschieden, dafi die Meso-
sauria gewisse verwandtschaftliche Ziige darbieten. Auch unter-
liegt die Ankniipfung der primitivsten Theromorpha an die
Rhynchocephalia keiner allzu groken Schwierigkeit; die als
moglich zu bezeichnende Existenz eines Cleithrum bei den Pareia-
sauria (p. 345, 548), zum Teil auch die grofe dorsolaterale Aus-
dehnung der Clavicula bei gewissen niedriger stehenden Thero-
morphen bekunden selbst primitive Ziige, welche bei den bisher
bekannten Rhynchocephaliern nicht mehr erhalten geblieben resp.
bekannt geworden sind. Manches erinnert selbst an die Stego-
cephalier. Doch sind hier die reellen Grundlagen noch nicht ge-
niigend gesichert und bediirfen weiterer Funde zur Aufklarung.
Auch das Auftreten des ersten procoracoidalen Knochenkerns, der
den Streptostylia, Rhynchocephalia und Verwandten noch abgeht,
ist eine noch ungeléste Frage.
Dafi ich einer Ankniipfung der Chelonier an die hoch
specialisierten Therochelonia resp. einer Weiterentwickelung und
Umbildung der letzteren in die ersteren nicht zuzustimmen ver-
mag, habe ich bereits bei den Cheloniern (p. 634 f.) ausgefiihrt.
Daf Verwandtschaftsbeziehungen recht allgemeiner Natur zwischen
beiden Ordnungen existieren, gebe ich zu; die gemeinsame Wurzel
beider liegt aber sehr tief und beschrinkt sich nicht blos auf
diese beiden Abteilungen (p. 634).
Von besonderem Interesse ist die Frage der Beziehungen der
Theromorpha zu den Mammalia; hier liegt eines der cin-
ereifendsten Probleme der Phylogenie der héheren Wirbeltiere vor.
Die tiberraschenden und weitgehenden Aehnlichkeiten, welche dieser
oder jener Skeletteil (gewisse Schadelverhaltnisse, Sacrum, Rippen,
Schultergiirtel, Ober- und Vorderarm, Becken, Fuf etc.), sowie
die Bezahnung darbieten, sind bereits Owen (1859—76) und
Anderen aufgefallen und haben Owrn (1876), insbesondere aber
Cope (1884) dazu gefiihrt, die Theromorpha, speciell die Abteilung
der Pelycosauria, unter Zugrundelegung einer Anzahl specieller
Uebereinstimmungen im Skelettbau als die direkten Vorfahren der
Mammalia anzusprechen. Diese Anschauung wurde von Baur
(1886—97) dahin modifiziert, da8 die Theromorpha nicht eigent-
lich den Mammalia Ursprung giiben, sondern dafi beide von einem
642 Max Fiirbringer
alten gemeinsamen Stocke, den supponierten ,,Sauro-Mammalia‘,
abstammten und von da aus in paralleler Entwickelungsreihe sich
weiter ausgebildet hitten. Dieser Anschauung von Baur scheint
die Mehrzahl der Zoologen und Paliontologen, von denen ich unter
Anderen SEELEY (1887—96), OsBorn (1888—98), LypEKKER (1890),
KUKENTHAL (1892), Howes (1893), Hascken (1895), Case (1897)
erwahne, gefolgt zu sein. KiKenruHat betont, daf die Siuge-
tiere nicht von den Theromorpha, sondern von uralten palio-
zoischen Formen mit wenig specialisiertem Gebisse (von denen
die Theromorpha ebenfalls ihren Ausgang genommen haben kénnen)
Ursprung nahmen. Harcken fiihrt den gemeinsamen Ursprung
beider Abteilungen zu den Proreptilia (Tocosauria), indem er von
diesen durch die Zwischenstufe der Proterosauria die Theromorpha,
durch die -Zwischenstufe der supponierten Sauromammalia die
Siugetiere abstammen lat"). Noch tiefer ziehen Marsn (1898)
und Kinestry (1899, 1900) die Abstammungslinie, indem sie
Mammalia wie Reptilia von den altesten Formen der Amphibien
ausgehen lassen; dieser die Reptilien also gar nicht beriihrende
Ursprung der Siugetiere von alten Amphibien ist bekanntlich auch
seit langer Zeit von Huxtey (1864, 1880), Gecenspaur (1864—98),
und neuerdings namentlich von Maurer (1892—95), KLAaATscH
(1892), Husrecut (1897), GAupp (1899) u. A. vertreten oder durch
wichtige anatomische Argumente gestiitzt worden.
Kine Abstammung der Mammaliavon ausgebildeten
Theromorpha in dem Sinne, wie Corr behauptete, wird heut-
zutage wohl von Niemand mehr vertreten. Die Theromorpha
waren bereits in paliozoischer Zeit so weit specialisierte und in
ihrer Organisation festgelegte Tiere, da8 eine Umbildung derselben
in die kleinen und zierlichen Formen, wie sie uns die ersten be-
kannten Siugetiere darbieten, schwer zu denken ist. Auch stellt
sich den auffallenden Uebereinstimmungen, die sich zum Teil aber
gar nicht blof auf Theromorpha und Mammalia beschranken, eine
1) Zu besonderen Anschauungen gelangten auch Mivarr (1888)
und Sretey (1896). Ersterer nimmt fiir die Mammalia einen diphy-
letischen Ursprung an, indem er die Monotrema von sauropsiden
(sauro-mammalen), die Marsupialia und Placentalia von amphibien-
artigen Vorfahren ableitet. Letzterer hebt bei der Besprechung
von Aristodesmus hervor, daf die Monotremen mit diesem Thero-
morphen mehr Uebereinstimmung darbieten als mit anderen Mam-
malia und daf eine Gruppe Theropsida gebildet werden kénne,
welche Monotrema und Theromorpha (Anomodontia SuEtey) einschliefe.
Vergleich, Anatomie des Brustschulterapparates etc. 645
nicht geringere Zahl schwerwiegender Abweichungen gegeniiber.
Es kann demnach nur von Parallel- oder Konvergenz-Analogien
zwischen beiden Abteilungen gesprochen werden.
Dieselben sind aber immerhin bedeutsam genug, um die weit-
verbreitete Annahme einer benachbarten genealogischen Stellung
der Theromorpha und Mammalia, mit anderen Worten, einer Ab-
stammung beider von einem gemeinsamen repti-
lischen Ahnen, mag derselbe nun Sauro-Mammale oder Pro-
reptil heifben, als sehr begreiflich erscheinen zu lassen. OsBorn
(Americ. Naturalist, XXXII, 1898, p. 331—332) hat in seiner mit
Recht viel bemerkten Eréffnungsrede die wesentlichsten Aehn-
lichkeiten zwischen Theromorpha und eocinen Prommalia zu-
sammengestellt und ist zu dem Schlusse gekommen, daf kein
Amphib oder Reptil den Promammalia so nahe komme wie die
Theriodontia und dal die Ursiugetiere von primitiven Reptilien,
welche eine Anzahl primitiver Amphibien- oder Stegocephalen-
Merkmale gewahrt hatten, ausgegangen sind. Andererseits ist
KINGSLEY (1899, 1900) in lichtvollen und zahlreiche gewichtige
Argumente darbietenden Verdttentlichungen gegen die nahe Ver-
wandtschaft der Mammalia mit den 'Theromorpha und fiir ihre
Abstammung von primitiven Amphibien (primitiver als die be-
kannten Stegocephalen) eingetreten.
Ohne im Detail auf die von Osporn angefiihrten Charaktere
weiter einzugehen'!), médchte ich betonen, da8 die sub 1 (Zahn-
bildung), 2—5 (Schadelmerkmale), LO—12 (Rippen), 13 und 14
(Schulter- und Beckengiirtel), 16 (Humerus mit Foramen ente-
picondyloideum) teils recht allgemeiner Natur sind, indem sie
auch bei vielen anderen, von den Séugetieren tibrigens ganz ab-
weichenden, Reptilien vorkommen, teils keine primitiven Merk-
male, sondern weit vorgeschrittene ‘Differenzierungen darstellen.
Dieselben sind sonach mit sehr groBer Wahrscheinlichkeit nicht als
urspriingliche gemeinsame Charaktere, sondern in der Hauptsache
als sekundire Konvergenzerscheinungen zu beurteilen. Dann aber
reicht auch die Summe derselben — viele kleine Zahlen kénnen
ja an sich eine ganz stattliche Summe ergeben — doch nicht aus,
um damit einen specielleren genealogischen Zusammenhang mit
zWingender Sicherheit zu begriinden. Beziiglich der anderen
Punkte 6, 7, 8, 9 und 15 méchte ich aber folgendes hervorheben.
1) Eine ausfiihrlichere Behandlung der ganzen Frage, wenn
dann noch nétig, behalte ich mir bei der Besprechung der Sauge-
tiere (Kap. VI) vor.
644 Max Firbringer,
6 (Reduktion des Quadratum und Ueberdachung desselben
durch das Squamosum bei den Theriodonten, wahrscheinliche Ver-
wachsung von Quadratum und Squamosum bei den Promammalia)
wiirde erst dann zu Gunsten der behaupteten Verwandtschaft an-
gefiihrt werden kénnen, wenn die von verschiedenen Autoren be-
hauptete Homologie des Squamosum der Saugetiere mit dem
Squamosum + Quadratum der Reptilien und die ALBREcHT’sche
Angabe, dai beide Skelettelemente durch Riickschlag auch bei
den Siugetieren getrennt bleiben kénnen, bewiesen wiire. Dies
ist bis jetzt keineswegs der Fall und wird — wie man ohne be-
sondere Kihnheit behaupten kann — auch nie der Fall werden;
dagegen kenne ich keinen schlagenden Kinwurf, der die Homologie
des Quadratum der Reptilien mit dem Incus der Saugetiere irgend-
wie erschiittert hatte’. — 8 (Occipitale Condylen). Die
Monocondylie der Sauropsiden und die Dicondylie der Amphibien
und Siugetiere gilt seit langer Zeit als wesentlicher, meiner An-
sicht nach sehr tiberschatzter Differentialcharakter dieser Tiere 2).
1) Die Frage der Homologie des Quadratum der Sauropsida
und Anamnia mit Gebilden der Saéugetiere ist seit dem Anfang des
19. Jahrhunderts bis zur jiingsten Zeit von ungemein vielen Autoren
behandelt und dementsprechend sehr verschieden beantwortet worden:
Proc. zygomaticus des Squamosum oder der Gelenkteil desselben,
Os tympanicum, Incus, Malleus wurden als seine Homologa ange-
fiihrt, auch wurde ein besonderer, von dem Mandibularbogen unter-
schiedener Arcus palato-quadratus als Entstehungsort des Quadratum
angenommen. Es legt mir fern, auf diese ausgedehnte Frage
einzugehen, und verweise ich beztiglich der Litteratur vornehmlich
auf die genauen Arbeiten von Gapow (1883), Gaupr (1898) und
Krnestey (1900), Hier sei nur hervorgehoben, daf zur Zeit die
iiberwiegende Mehrzahl der Autoren, denen ich beistimme, sich fiir
die Homologie des Quadratum mit dem Incus entschieden hat, daf
aber im Laufe der beiden letzten Decennien die Homologie mit dem
Gelenkteil des Squamosum oder mit dem Tympanicum noch Ver-
treter fand (Squamosum: Atsrecut, Dotto, Baur, Corr, in _ be-
dingter Weise Ossporn u. A.; Tympanicum: Gapow, VERSLUYs).
2) Die Dicondylie der Amphibien steht fiir sich, indem hier
das Palaeocranium resp. vorderste (am meisten rostrale) demselben
assimilierte Wirbel die beiden lateralen Condylen bilden, wahrend
bei den Sauropsida und Mammalia mehr hintere (mehr caudale)
Wirbel das Material fir die occipitalen Condylen liefern. Auch
ist der Unterschied zwischen den beiden letzteren Abteilungen
kein absoluter, indem bei beiden in der Regel die gleichen Kom-
ponenten, das Occipitale basilare und die beiden Occipitalia lateralia
an der Bildung dieser Condylen sich beteiligen; die Difterenz besteht
darin, daf der basilare Anteil an den unpaaren Condylen bei den
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 645
Bei verschiedenen Theromorphen sind Uebergangsformen zwischen
Monocondylie und Dicondylie (nierenformig bis U-formig aus-
gezogene Monocondylen, zweiteilige [Theriodontia] und dreiteilige
[ Dicynodontia| Condylen) beschrieben worden; die genaue Ansicht
der von den Autoren beigefiigten Abbildungen beweist noch
keineswegs, dal wirklich zwei getrennte Condylen vorliegen '!) —
von entfernten Condylen wie bei der Mammalia kann keine Rede
sein —, und fernerhin wissen wir, dal} solche nierenformige oder
U-férmig ausgezogene Condylen auch bei Lacertiliern (Geckonidae,
Uroplatidae, Varanidae etc.) und Sphenodon vorkommen. Bis auf
weiteres halte ich mit MArsm und KInGsLEy an der Monocondylie
aller Reptilien inklusive die Theromorpha fest. — 7 (Transversum
und Vomer) und 15 (Carpus und Tarsus). Die hier angegebenen
Merkmale kénnen nicht als Uebereinstimmungen gelten, da es sich
im ersteren Falle um géanzlich reduzierte Knochen bei den Mam-
malia, im letzteren um ungentigend bekannte Komponenten der
Hand- und Fufwurzel handelt?). — Endlich 9 (Zusammensetzung
des Unterkiefers). Hier liegt eine Difterenz vom gré’ten Gewichte
und eine Kluft zwischen Theromorpha und Mammalia vor, iiber
die keine Briicke fiihrt. Der theromorphe Unterkiefer besteht
nach Reptilienart aus Articulare, Dentale, Angulare und dem
nicht immer vorhandenen Operculare und artikuliert durch das
Articulare mit dem Quadratum; der mammale Unterkiefer wird
allein von dem Dentale vertreten, das eine neue dem Deckknochen-
Gebiete angehérende Artikulation mit dem Squamosum gewonnen
Sauropsiden ein ansehnlicher, an den paarigen der Saugetiere ein —
bei gewissen Vertretern bis zur vélligen Unterdriickung, bei anderen ein
im maligen Grade — zuriicktretender ist. Das Condylus-Merkmal ist
somit streng genommen weder fiir die Verwandtschaft der Mammalia
mit den Amphibia noch fiir diejenige mit den Reptilia verwertbar.
1) Bei den sogenannten paarigen Condylen von Cynognathus
und Gomphognathus ist die einschneidende Medianfurche schmal
und scheidet den zu einem wesentlichen Teile von dem Occipitale
basilare gebildeten Condylus nur unvollkommen in zwei Hialiten.
Andere Species der gleichen Gattungen besitzen einen ganz ein-
heitlichen Condylus (vergl. die Abbildungen bei Srenny 1894),
woraus die geringe Bedeutung dieser Furche erhellt. Auferdem aber
sei darauf hingewiesen, daf der nierenférmige Condylus verschie-
dener Geckonidae, sowie von Uroplates und Varanus auch eine tiefe
und breite Medianfurche besitzt.
2) Mit Recht hebt Krnesnuy (1900) hervor, daf die Tarsen von
Clepsydrops (Corz 1889) und Pareiasaurus (Smrtey 1892) eine sauro-
pside, aber nicht mammale Anordnung ihrer Hauptgelenke darbieten,
646 Max Firbringer,
hat, wihrend das alte von Articulare und Quadratum gebildete
Kiefergelenk unter Reduktion, Ablisung von dem mammalen
Unterkiefer und Funktionsiinderung sich in die Hammer-Ambob-
Artikulation umegebildet hat‘). Es ist von zahlreichen Autoren
versucht worden, diese Ditferenz durch die Annahme der Homologie
des sauropsiden Quadratum mit einem Teile des mammalen Squa-
mnosum (s. p. 644) auszugleichen; diese Homologisierung entspricht
aber nicht den thatsichlichen Verhiltnissen. Diese sind unerbitt-
lich und zeigen hier eine so fundamentale Verschiedenheit, dal
— selbst wenn alle anderen Differenzen beseitigt werden kénnten
— diese eine geniigen wiirde, um die speciellere Ver-
wandtschaft der Mammalia mit den Theromorpha,
iiberhaupt mit den Reptilia, zu verbieten.
Zu diesen gegen eine direkte Verwandtschaft zwischen Thero-
inorphen und Saugetieren gerichteten Instanzen kommen aber
noch zahlreiche andere, welche unzweideutig darthun, da8 eine
Ableitung der Siugetiere von uns bekannten Reptilien nicht aus-
fiihrbar ist. Von den Knorpelstrukturen und sonstigen Weich-
teilen der Theromorpha wissen wir allerdings nichts; wir kennen
aber ziemlich genau den Bau von Reptilien, wie Lacertilia und
Rhynchocephalia, die in der Hauptsumme ihrer Merkmale tiefer
und generalisierter dastehen als die Theromorpha, die uns einen
Kinblick gestatten, wie etwa die Kérperbeschaffenheit jener schon
in friiher Sekundirzeit ausgestorbenen Reptilien gewesen sein mag,
und die uns jedenfalls den Schluf$ erlauben, da wirkliche naihere
genealogische Beziehungen zwischen Theromorpha und Mammalia
nicht angenommen werden diirfen, da die Vergleichung der Lacer-
tilier und Rhynchocephalier mit den Siiugetieren im Stiche 1aBt.
Die specielleren Relationen zwischen Stapes und Incus der Sauge-
tiere 2), ihre Integumentgebilde [Haare’), cf. GrGenBAUR 1870
—96, Maurer 1892—93; mammare Bildungen], ihr Diaphragma
und verschiedene andere Muskeln, ihre Mesenterien (KLAATSCH
1892) 2), ihre Venae abdominales und umbilicales (BEDDARD 1884) ”),
ihr Ductus thoracicus (LAMBERT, cf. KINGSLEY) ?), ihr vom Hyoid
aus gebildeter auerer Ohrknorpel (RuGE 1897)*), die speciellere
Anordnung ihrer fétalen Hiillen (HuBREcHr 1897)?) etc. bekunden
1) Auch Homologa der Deckknochen des reptilen Unterkiefers,
z. B. des Angulare, sind bekanntlich im Bereiche des Malleus noch
erhalten (Proc. Folianus etc.).
2) Alle mit dieser Zahl markierten Differenzpunkte zwischen
Mammalia und Reptilia werden besonders von Kinesiuy (1900)
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 647
eine einschneidende Differenz zwischen Mammalia und Reptilia,
gestatten aber zugleich zu einem grofen Teile eine Ableitung der
Ersteren von Bildungen, welchen diejenigen noch jetzt lebender
Amphibien nahe stehen. Alles dies weist auf eine sehr alte Des-
cendenz der Mammalia von amphibienartigen Vor-
fahren hin, wihrend die Reptilien resp. Sauropsiden eine be-
sondere Entwickelungsbahn jenseits der Saugetiere einschlugen.
Unsere Kenntnis der fossilen Reste der Saiugetiere ist eine
sehr diirftige; sie reicht nur bis zur oberen Trias zuriick'), aus
welcher Zaihne (Triglyphus, Microlestes, Microconodon) und ein
sehr kleiner bezahnter Unterkiefer (Dromatherium) uns vorliegen.
Dieser trigt bereits alle Merkmale des ausgebildeten Siugetier-
typus an sich. Zirren (1893) und Marsa (1898) heben aus-
driicklich hervor, da& bisher nicht die mindesten Uebergangs-
formen zwischen Reptilia und Mammalia gefunden worden sind.
Es ist aber klar, daf diese bereits so hoch entwickelten Sauge-
tiergebilde eine ungemein lange Vorgeschichte gehabt haben
miissen. Die Kleinheit aller dieser Formen macht wahrscheinlich,
daS auch die Vorfahren derselben von geringer oder ziemlich
geringer Kérpergré8e und Zartheit ihrer Skelettelemente und dar-
um nicht leicht erhaltungsfahig waren. Vielleicht werden Teile
von ihnen noch gefunden werden, vielleicht auch nicht.
Wo uns die Stammesgeschichte der Tiere genauer erschlossen
ist, sind es in der Regel die kleineren Formen, die den Anfang
machen und sich successive zu gréferen entwickeln. Schon an
anderer Stelle (1888 resp. 1887) und im Vorhergehenden (p. 600
Anm. 1) habe ich mich tiber diese Verhiltnisse ausgesprochen und
in der Kleinheit der sich entwickelnden Formen auch ein Schutz-
mittel fiir die Erhaltung derselben im Kampfe ums Dasein gefunden.
angefiihrt. Auf die Aehnlichkeit der Gelenkverbindung des Stapes
und Incus bei den Saugetieren mit der Gelenkverbindung der Colu-
mella mit dem Quadratum bei gewissen Urodelen und Gymnophionen
weisen namentlich auch Hasse (1873), Traurmann (1876), WixEDERs-
HEIM (1877), Kinuian (1890), GreEnpaur (1898), Kinestny (1899,
1900) und Gavrr (1899) hin (vergl. insb. Gaupp 1899). — Jede
neue anatomische Untersuchung der Mammalia deckt sozusagen
neue Differenzen gegeniiber den Sauropsiden und Aehnlichkeiten mit
den Amphibien auf.
1) Die friher zu den Mammalia gerechneten Gattungen Therio-
desmus und Tritylodon aus der unteren Trias (Karroo) haben sich
bei genauerer Untersuchung (Sretey 1894) als Theromorpha er-
geben (cf. p. 640 Anm. 2).
Bd, XXXIV, N. F. XXVIL. 42
“=
648 Max Firbringer,
Die Kleinheit ist aber auch eingreifenderen Umbildungen, wie die
hervorgehobene Umformung.des Siiugetier-Kiefers aus einem alteren,
aus mehreren Komponenten zusammengesetzten Kiefer giinstig,
wihrend massigere Skelettteile fiir solche Umwandlungen bereits
verdorben sind. So liegt in den kleinen und mittelkleinen, un-
bedeutend erscheinenden paldontologischen Formen die eigentliche
phylogenetische Aufklairung, nicht aber in den grofen, welche,
wie auffallend und dominierend sie auch auftreten mégen, meist
schon eingeschlagene Seitenwege bedeuten und fiir die wahre
Erkenntnis der Vorfahren der jetzt noch iibrig gebliebenen Tiere
kein reines und reiches Licht geben.
So nehme ich an, daf jene Umbildungen zum Siugetier-
Kiefer, die uns GEGENBAUR (1898, p. 398) in so lichtvoller und
iiberzeugender Weise dargestellt und mit vorausgegangenen ahnlichen
Umbildungen bei Fischen und Amphibien belegt hat, in sehr friiher
palaontologischer Zeit bei kleinen, versteckt lebenden amphibien-
artigen Vorfahren der Siugetiere statthatten !), und ich befinde mich
mit dieser Annahme auch mit Marsa (1898) und Kina@siey (1900)
in erfreulicher Uebereinstimmung. Ob dies erst im Karbon oder
schon im Devon stattfand, wage ich nicht zu sagen; Mars ist
der Annahme des friihesten Zeitraumes fiir die Entstehung der
Séugetiere zugeneigt ?). Fiir die direkte Abstammung aller Mam-
malia von amphibienartigen Vorfahren*) sprechen die oben an-
gefiihrten, leicht zu vermehrenden Dokumente, welche der ana-
tomische Bau der Siiugetiere uns erhalten hat; die Abstammung
von Reptilien wiirde einen phylogenetischen Umweg bedeuten, der
durch kein morphologisches Merkmal angezeigt oder unterstiitzt wird.
Welcher Gruppe diese amphibienartigen Voreltern der Sauge-
tiere angehérten, ist bei dem jetzigen Stande unserer Kenntnis
schwer zu sagen. Sicherlich — die vergleichende Anatomie und
Ontogenese der Amphibien geben uns hierfiir bemerkenswerte An-
1) Voraussichtlich begann die Umbildung des Unterkiefers mit
einer Lockerung des Dentale und des von ihm umschlossenen Ab-
schnittes des Mrcxnt’schen Knorpels gegeniiber den anderen Unter-
kieferteilen, wofiir in der Tierreihe gleichfalls Analogien existieren.
2) Bekanntlich sind von ihm auch deutlich ausgebildete Fub-
spuren von Amphibien im Devon gefunden worden.
3) Der oben (p. 642, Anm. 1) erwihnten Ansicht Mrvart’s von
einem diphyletischen Ursprunge der Mammalia, der Monotremen
von Sauropsiden, der Marsupialia und Placentalia yon amphibien-
artigen Vorfahren, kann ich nicht zustimmen. Fir mich steht der
monophyletische Anfang der Siugetiere nicht in Frage.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 649
deutungen — waren es streptostyle Formen mit freibeweg-
lichem, vorwiegend knorpeligem Quadratum‘) und wahrscheinlich
auch solche, bei denen das Panzerskelett des Kopfes eine mafigere
Entfaltung zeigte als bei der Mehrzahl der Stegocephalen. Die-
jenigen Stegocephalen, die uns genauer bekannt sind und bei
denen die Anordnung ihrer Deckknochen im temporalen Schadel-
bereiche ein monimostyles Quadratum voraussetzen laSt, kommen
hierbei nicht in Frage. Mdéglicherweise kénnen aber unter den
sogenannten microsauren Formen des unter dem Terminus Stego-
cephala vereinigten Gemisches palaéozoischer Tiere, deren zartere
Schidel grofenteils zerstért, in ihre einzelnen Komponenten auf-
gelést und daher fiir eine systematische Diagnose unbrauchbar
geworden sind, nahere Verwandte der Vorfahren der Saugetiere
vorhanden sein, médglicherweise sind sie noch zu finden.
Dies die rein theoretischen Grundziige dieser Frage. Die
reelle Lésung derselben liegt in der Zukunft.
IX. Crocodilia?).
Mit den Crocodiliern beginnt eine Reihe von Reptilien, die
wieder eine Stufe héher stehen, als die bisher behandelten Ord-
nungen, und gemeinhin als Archosauria*) verbunden werden. Die-
selben enthalten aufer den Crocodilia noch die Dinosauria und
Patagiosauria (Pterosauria); SEELEY (1891) und HArcken (1895)
haben dieselben mit den Végeln zu den Ornithomorpha SEELEY
oder Ornithocrania HAECKEL Vereinigt.
Die Crocodilier reprisentigren eine Abteilung terrestrer, aber
wasserliebender oder in miafigem Grade an das Wasserleben an-
gepalter Reptilien, meist von mittlerer bis bedeutender Grofe,
welche in ihrer allgemeinen Koérperform einen rhynchocephalier-
ihnlichen Habitus zeigen, aber durch zahlreiche tief eingreifende
Merkmale von diesen beiden Ordnungen geschieden sind. Ihr
1) Wie schon hervorgehoben (p. 599 Anm. 1), glaube ich nicht
daran, daf ein einmal fest und ausgedehnt mit dem Schiadel ver-
bundenes Quadratum wieder gelenkig mit ihm wird.
2) Vergl. auch p. 297—3806, p. 369, 396, p. 500—519, sowie
die betreffenden Ausfiihrungen sub § 16 A—C, p. 521—597.
3) Die Bezahnung ist bei ihnen eine maxillodonte und theko-
donte, zum Teil auch in holkodonte und anodonte (gewisse Patagio-
saurier) Formen iibergehendé. Bei verschiedenen Dinosauriern findet
sich augeprigte Heterodontie.
42 *
650 Max Firbringer,
Integument ist in der Regel mit mehr oder weniger entwickelten
Hautknochen versehen, die Halswirbelsiule besteht aus 9 Wirbeln,
der im Hirnteil kleine, im Gesichtsteil aber sehr ausgedehnte
Schidel zeigt ein kriaftiges und massiges Gefiige, das Quadratum
ist mit ihm besonders fest und unbeweglich verbunden und zwischen
andere Skelettelemente eingekeilt'), der sekundére Brustschulter-
apparat befindet sich in vorgeschrittener Degeneration, die Glied-
magen sind verhiltnismaBSig schlank und hoch differenziert, aber
bieten verschiedene Zeichen einer partiellen Riickbildung dar.
Die ilteren Crocodilier (Parasuchia, Pseudosuchia) finden sich
in der oberen Trias und sind, soweit bekannt, Amphicdlier oder
Platycélier; die neueren, den im Aussterben begriffenen noch
lebenden Resten in der Hauptsache gleichenden Vertreter (Kusuchia
s. Crocodilia vera) haben in ihren friiheren Formen aus dem Jura
und der unteren Kreide (Mesosuchia) amphicéle, in ihren spateren
aus der oberen Kreide bis in die Jetztzeit (Eusuchia s. str.) procéle
Wirbel. Die Amphicélie und Procdlie der Crocodilier ist somit
ein nur graduelles Merkmal; den natiirlichen Verwandtschaften
entspricht besser ihre Unterscheidung in Longirostres und Brevi-
rostres (vergl. auch ZirreL 1890). Einige Autoren, unter den
neueren insbesondere Baur (1894), haben namentlich im Schadelbau
der Parasuchia, Pseudosuchia und Eusuchia so hochgradige Dif-
ferenzen gefunden, da sie dieselben als drei getrennte Ordnungen
(Phytosauria, Aétosauria und Crocodilia) aufgefait haben.
Der Bau der Crocodilia ist ein eigenartiger, zeigt aber gewisse
Beziehungen zu den Rhynchocephalia, Lacertilia und Dinosauria.
Bepparp (1888) hat auf Grund gewisser visceraler Strukturen eine
speciellere Verwandtschaft zwischen Varanidae und Crocodilia be-
fiirwortet; Marsu (1884, 1895) ist geneigt, intimere Verhaltnisse
zwischen Aétosauria und Dinosauria anzunehmen.
Soweit ich ohne genauere Kenntnis der fossilen Originale
urteilen darf — speciellere Untersuchungen derselben konnte ich
nicht anstellen —, halte ich die verwandtschaftlichen Beziehungen
der Parasuchia, Pseudosuchia und Eusuchia im grofen
und ganzen fiir gesichert und befiirwortete ihre Vereinigung zur
gemeinsamen Ordnung der Crocodilia. Die innerhalb der Abteilung
der Lacertilier beobachteten Divergenzen sind noch gréfere. Die
1) Nach der Ontogenese zu schlieSen, scheint die Monimostylie
der Crocodilier friiher als die der Rhiynchocephalier, aber spiter
als diejenige der Chelonier erworben zu sein.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 651
genauere Kenntnis der Pseudosuchia laft indessen zu wiinschen
iibrig, so da’ man eventuell bei diesen auf eine andere Stellung,
als zur Zeit von den Meisten angenommen wird, gefaBt sein darf.
Die relativ hohe Stellung der Crocodilier wird aus
der tiberwiegenden Summe ihrer Merkmale erkannt; auch das cen-
trale Nervensystem, wie wenig voluminés es auch gegeniiber dem
Gesamtschidel und Kérper entfaltet ist, nimmt gegeniiber den
iibrigen lebenden Reptilien die héchste Stufe ein.
Von den in Frage kommenden Verwandtschaften sind die zu
den Rhynchocephalia und Lacertilia recht allgemeiner Art,
doch hindert nichts, anzunehmen, da die noch unbekannten, primi-
tiven und darum nach Art jener primitiven Reptilien gebauten
Vorfahren der Crocodilia in der Nahe der Wurzel derselben ent-
sprangen. Speciellere Beziehungen zwischen Varanidae und Croco-
dilia sind nicht haltbar; man kann héchstens sagen, daf von allen
Lacertiliern die Varanidae ihr Gesicht am meisten den Crocodiliern
zugekehrt haben (vergl. p. 574f. und p. 6135 f.). Die Rhynchocepha-
lier stehen den alten Crocodiliern etwas naher als die Lacertilier.
Auch die namentlich von Marsn (1878, 1884, 1895) an das
Licht gesetzten Beziehungen zu den hoher stehenden Dino-
sauriern') leuchten ein; die Verwandtschaft der Crocodilier mit
den Dinosauriern ist zwar keine sehr intime, aber doch eine
grébere als zu den anderen Reptilien.
X. Dinosauria?).
Hoher und mannigfaltiger als die Crocodilier erscheinen die
Dinosaurier entwickelt. Ueberwiegend durch grofe bis riesige, zum
Teil sehr massig gebaute Vertreter charakterisiert, zum Teil aber
auch kleinere und schlankere Formen aufweisend, sind uns diese
landlebenden, zum Teil aber auch wasserliebenden Reptilien in einer
grossen Fiille wohlerhaltener Reste von der oberen Trias *) bis zur
oberen Kreide bekannt geworden; weniger gute und _ gesicherte
Fragmente, namentlich aber Fufspuren lassen auch auf ein reiches
Leben gut ausgebildeter Dinosaurier in der unteren Trias schlieSen.
1) Huxnry (1882) scheint die Crocodilier (und Végel) von den
Dinosauriern abzuleiten.
2) Vergl. auch p. 347—355, sowie die betreffenden Ausfiihrungen
sub § 16 A, p. 521—571.
3) Nicht gesicherte Reste werden auch aus der unteren Trias
(Karrooformation) beschrieben. .
652 Max Firbringer,
Ob die von Marsu (1894) eventuell auch als primitive Dinosaurier-
Fahrten von Dromopus aus dem Karbon angesprochenen Fufspuren
hierher gehéren, erscheint mir sehr fraglich; ich habe sie, worauf
auch Marsu als zweite Méglichkeit hinweist, als Fahrten von
primitiven Lacertiliern angefiihrt (p. 627).
Im Bau ihres Skelettes zeigen die Dinosaurier manche An-
schliisse an die Crocodilier, aber auch viele Besonderheiten. Die
Halswirbelsiule ist in der Regel bis zu 10—11 Halswirbeln
verlingert, der bald massiger, bald graciler gestaltete Schidel in
mannigfaltiger Weise hoch entwickelt, aber wie bei den Croco-
diliern mit kleinem Hirnraum versehen, das Quadratum dem
Schadel fest eingefiigt, aber nur in maBiger Ausdehnung, mit seinem
oberen Teile, mit dem Squamosum verbunden, das Sternum in
wechselnder Ausdehnung ossifiziert, die Degeneration des secun-
daren Brustschulterapparates noch weiter als bei den Crocodiliern
fortgeschritten, die Gliedmafen zum Teil noch hoher differenziert
und specialisiert als bei den Crocodiliern. Alles weist auf eine
relativ hohe Stellung der Dinosaurier in der Reihe der
Reptilien hin. Zwei Charaktere namentlich erheben die Dino-
saurier, wenigstens in ihren héher ausgebildeten Formen, weit
iiber die Crocodilier ; einmal die bei ihnen beginnende und bis zur
héchsten Ausbildung sich steigernde Tendenz eines aufrechten
Ganges (Theropoda und namentlich Ornithopoda), womit eine
quantitative Riickbildung der vorderen Extremitaéten und eine hoch-
gradige Differenzierung und Umformung des Beckens (mit Sacrum)
und der hinteren Extremitat Hand in Hand geht, dann die bei so
vielen ihrer Vertreter mehr oder minder bedeutend entfaltete
Hohlraumbildung des Skelettes’).
Diese Besonderheiten, namentlich aber die letzterwahnte, haben
HAECKEL (1895) veranlafit, den Dinosauriern eine besondere
Stellung gegeniiber den iibrigen Reptilien (exkl. die Patagiosaurier)
zu geben. Indem er den Satz aufstellte, dafi die Hohlraumbildung
1) Stegosauria und Ceratopsia besitzen ein solides Skelett; bei
den Ornithopoda ist das Rumpfskelett massiv, aber das der Extre-
mititen hohl, bei den Sauropoda das Rumpfskelett hohl und das
der Gliedmafen solid, bei gewissen Theropoda Rumpf- und Extre-
mititen-Skelett hohl (in besonders hohem Grade bei den Coeluria,
Compsognatha und Hallopoda). Bei den quadrupeden Formen wiegt
zumeist die Soliditat, bei den bipeden, aufrecht gehenden, die Hohl-
heit des Skelettes vor; doch finden sich auch mancherlei Aus-
nahmen.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 653
des Skelettes, die bekanntlich in hohem Grade auch den Patagio-
sauriern (Pterosauriern) und Végeln zukommt, als Pneumaticitiat
desselben und zugleich als ein Zeichen von Warmbliitigkeit aufzu-
fassen sei, vereinigte er Dinosaurier und Patagiosaurier zu der
besonderen hédheren Abteilung Dracones, die er zwischen Croco-
dilier und Végel stellte und als warmbliitige, mit vierkammerigen
Herzen versehene, aber der Fliigel und Schwungfedern entbehrende
Sauropsiden von den tbrigen Reptilien und den Végeln unter-
schied.
Fiir die Einteilung der Dinosaurier sind die systematischen
Arbeiten von Marsu, die in dem letzten von diesem Autor aufge-
stellten Systeme (1895) ihren Abschlufi fanden, mafgebend. Danach
verteilt Mars die Subklasse der Dinosaurier in die 3 Ordnungen
Theropoda, Sauropoda und Praedentata (—Orthopoda Copr, mit
den 3 Subordines Stegosauria, Ceratopsia und Ornithopoda) ‘).
Tiefgehendere Einteilungen, welche die ganze Abteilung auflésen,
sind namentlich von SEELEY (1887) und Baur (1891) gegeben
worden. SEELEY stellte die Theropoda und Sauropoda als Saur-
ischia den Orthopoda, Ornithischia SreLry, gegeniiber, und ich
selbst (1888) gelangte unabhingig von ihm zu einer gleichen
Scheidung; Baur léste die Dinosaurier in die drei selbststandigen
Ordnungen der Megalosauria (Theropoda), Cetiosauria (Sauropoda)
und Iguanodontia (Orthopoda) auf.
Als fiir Verwandtschaften in Frage kommende Abteilungen
sind, soweit es sich um Anschliisse der Dinosaurier an_ tiefer
stehende Reptilien handelt, Rhynchocephalia, Theromorpha und
Crocodilia, soweit héher stehende Abteilungen in Frage kommen,
Patagiosauria und Aves angefiihrt worden.
Hinsichtlich der Einteilung der Dinosaurier bin ich
jetzt geneigt, Marsa in der Zusammengehodrigkeit aller
Dinosaurier zu folgen. Die von SEELEY und yon mir friiher
selbst vertretene Auflésung in zwei selbstaindige Abteilungen auf
Grund der Beckenbildung, wie sehr auch dieselbe als markante
Differenzierung ins Auge fallt, wird durch den iibrigen, bei allem
Wechsel im Detail der héheren Specialisierungen doch in den
Grundziigen etwas einténigen Bau der Dinosaurier nicht gestiitzt.
Dieser weist den Ornithosuchia s. Orthopoda (Praedentata) einen
1) Corr (1889) unterschied nur 2 Subordines, indem er die
Theropoda und Sauropoda zu dem SO. Saurischia vereinigte und
dem SO. Orthopoda gegeniiberstellte.
654 Max Firbringer,
Platz innerhalb der Dinosaurier an. Ebensowenig finde ich die
von Baur ausgefiihrte Zerteilung der Dinosaurier in drei vollig
selbstandige Ordnungen gerechtfertigt. Ich erkenne vollkommen
an, da in dieser grofen, hoch und reich differenzierten Abteilung
eine grofe Mannigfaltigkeit auffallender und divergenter Erschei-
nungen zur Entwickelung kommt und zu Tage tritt; die Ausgang
gebende Basis derselben ist aber eine verhaltnismafig schmale.
Fiir die Verwandtschaft zu den Rhynchocephaliern gilt
hier im wesentlichen das Gleiche wie fiir die meisten schon be-
sprochenen Ordnungen: bei der primitiven generalisierten Bildung
und centralen phylogenetischen Stellung derselben kann ein Ur-
sprung der Dinosaurier-Vorfabren in der Nahe des Stockes der
altesten Rhynchocephalier angenommen werden. Speciellere Be-
ziehungen zwischen beiden Ordnungen sind damit nicht behauptet.
Die Relationen der Dinosaurier zu den Theromorphen
erscheinen mir so lose und so allgemeiner Art zu sein, daf man
hier nur so weit von Verwandtschaften sprechen kann, als beide
Ordnungen Reptilien sind.
Dagegen handelt es sich beziiglich der Crocodilier und
Dinosaurier um eine beachtenswerte specielle Verwandtschaft.
Eine Fiille von gemeinsamen Ziigen verbindet beide und giebt der
Annahme eines Ausganges von gemeinsamen Voreltern reellen
Untergrund. Die Trennung geschah aber jedenfalls friih, und die
Dinosaurier gelangten zu einer hdheren Stufe der Entwickelung
als die Crocodilier.
Mit den Patagiosauriern bestehen mancherlei Ueberein-
stimmungen, vorwiegend gradueller Natur und zum Teil nur Zeichen
der Dinosauriern und Patagiosauriern gemeinsamen hohen Stellung.
Dieselben finden sich in den verschiedensten Abschnitten des Kopf-
und Rumpfskelettes, weniger des Extremitatenskelettes, wo die
sehr abweichende Funktionierung zum Teil ganz divergente Dif-
ferenzierungen, wie namentlich die ganz verschiedene Hand, heraus-
ziichtete. Dazu kommt die weit verbreitete Rarefizierung des mit
Hohlriumen versehenen Skelettes. Doch weisen gewisse Charaktere
(s. bei Patagiosauria, p. 663 f.) auch auf speciellere Relationen hin. Man
darf annehmen, daf die Dinosaurier mit den Patagiosauriern durch
eine gemeinsame, ziemlich tiefliegende Wurzel verbunden sind, und
dafi bei beiden schon friih die differente Entwickelungsrichtung
in Erscheinung trat, welche die Dinosaurier zum Landleben und
zu einem groBen Teile zum aufrechten Gange, die Patagiosaurier
zum Luftleben und einer ganz eigenartigen Flugentwickelung fiihrte.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 655
Die mannigfachen Uebereinstimmungen im Bau des Skelettes
der Dinosaurier und Végel sind von zahlreichen Untersuchern
(von denen hier nur Owen 1841, GeGENBAUR 1863, 1864, HuXxLEY
1868—1871, 1879, 1882, Marsa 1877—1895, Baur 1883, 1885
genannt seien) hervorgehoben worden. Viele Autoren haben sich
fiir die Abstammung der Voégel oder eines Teiles derselben
(Ratiten) von den Dinosauriern resp. fiir einen gemeinsamen Ur-
sprung beider von demselben Ahnen ausgesprochen; aufer Huxtey,
Marsa und Baur mégen noch u. A. Cope [1867'), 1884, 1885],
Mivarr (1871, 1881)4, Woopwarp (1874, 1883), WiEpERSHEIM
(1878—1886) '), Vogt (1879) 4), Dotto (1881), T. J. Parkrr (1882),
Horernes (1884), Menzpier (1887) angefiihrt werden. Auch
HArcKEL (1875) deutet in seinem Stammbaum der Dracones, jedoch
init ?, die Méglichkeit einer Abstammung der Voégel von den
ornithopoden Dinosauriern oder von Compsognathus an. Ich habe
mich 1888 ausftihrlich tiber die Frage der Verwandtschaft der
Vogel mit den verschiedenen Reptilienordnungen geaufert und bin
dabei, hinsichtlich des Dinosaurier- und Vogelbeckens in teilweiser
Uebereinstimmung mit Mennert (1888), zu dem Resultate ge-
kommen, daf die verschiedenen Aehnlichkeiten im Bau (namentlich
des Beckens und der hinteren Extremitiat) in der Hauptsache nur
Parallel- oder Konvergenz-Analogien bedeuten, daf eine direkte
Abstammuug der Végel von irgend einem bekannten Dinosaurier
oder demselben sehr nahe stehenden Typus eine Unméglichkeit
ist, da’ alle Thatsachen fiir eine monophyletische Entstehung der
Vogel sprechen, da’ gewisse Verwandtschaften, aber nur mittleren
Grades, zwischen Végeln und Dinosauriern angenommen werden
diirfen, dafi hinsichtlich der Genese der Végel auch an primitive
Lacertilier zu denken sei, da’ aber der Bau der Végel so eigen-
artig sei, dafi er eine direkte Ableitung von irgend einer deter-
minierten Reptilienabteilung nicht gestatte.
Diesen damaligen Schliissen habe ich wenig zuzufiigen. Nur
einen Punkt méchte ich noch in helleres Licht stellen: die beweg-
liche Artikulation des Quadratum der Végel mit dem Schadel.
Da ich die streptostyle Anordnung des Kieferapparates als das
primitivere, die monimostyle als das sekundaére Verhalten an-
spreche und nicht in der Lage bin, die sekundare Loésung eines
1) Corr 1867, Mivart, WiepersHerm und Voar sind fiir eine
diphyletische Entstehung der Végel eingetreten, wobei sie die
Ratiten von Dinosauriern, die Carinaten von Patagiosauriern ab-
leiteten.
656 Max Firbringer,
einmal fest und ausgedehnt dem Schadel eingefiigten (monimostylen)
Quadratum und die Neubildung eines Gelenkes zwischen Schadel
und Quadratum (Streptostylie) zu statuieren, so sind fiir mich von
vornherein alle monimostylen Reptilien, d. h. alle Reptilien aufSer
den streptostylen Squamata (Lacertilia und Ophidia)') und den
— erst noch zu findenden — streptostylen Vorfahren der Rhyncho-
cephalia') von der direkten Ahnenschaft der Végel ausgeschlossen.
Damit vertieft sich die Wurzel der Végel weit in das palaiozoische
Gebiet (wohl Karbon) hinein, ein Schluf’, den auch bereits MaArsu
gezogen hat’). Kleine reptilische, am meisten an Lacertilier er-
innernde, aber auch nicht unwesentlich von ihnen abweichende 3),
Vorfahren mégen damals den Ausgang fiir den miachtig auftretenden
und im Laufe der Zeit in zahlreich und mannigfach entwickelten
Zweigen sich veraistelnden Stamm oder Sprof der Végel gegeben
haben. Danach méchte ich die von mir zugegebene Verwandtschaft
mittleren Grades zwischen Dinosauriern und Végeln noch mehr
einschrinken und die ihr als Untergrund dienenden morphologischen
Aehnlichkeiten tiberwiegend als bloSe Analogien beurteilen.
Der Hypothese Harcker’s (1895), daf’ die Dinosaurier und
Patagiosaurier Warmbliiter gewesen seien, stehe ich von vornherein
sympathisch gegentiber, habe auch beziiglich der Patagiosaurier im
Anschlu8 an SreLry’s Annahme von der Warmbliitigkeit dieser
Flugsaurier (1870) mich 1888 ausfiihrlich tiber diese Frage ge-
iufert. Ich kam damals zu dem Schlusse, dafi man mit Wahr-
scheinlichkeit eine Pneumatisierung des Skelettes gewisser Dino-
saurier, sowie der Patagiosaurier annehmen diirfe, daf aber fiir
die Entscheidung der Homéothermie der Patagiosaurier — tiber
die der Dinosaurier aéuferte ich mich damals nicht —- unsere bis-
herigen physiologischen Grundlagen und Kenntnisse noch nicht ge-
niigten; gegen die Méglichkeit sei aber nichts einzuwenden.
Die Hohlraumbildungen im Skelett der Dinosaurier lassen an
eine Ausfiillung mit Mark oder an Luftraume denken; beide An-
1) Hierbei ist an die streptostylen dizygocrotaphen gemeinschaft-
lichen Vorfahren der Lacertilier und Rhynchocephalier zu denken.
Eine Ableitung von den anazygocrotaphen Lacertiliern wird durch die
Katazygocrotaphie der Végel verboten (vergl. auch p. 601 Anm. 1).
2) Auch die hochgradige Ausbildung der Clavicula bei den
typischen Végeln giebt gegeniiber dem Schwunde derselben bei
den Dinosauriern und Patagiosauriern ein Hindernis fiir die Ab-
leitung der ersteren von den letzteren. Die Vorfahren der Végel
miissen Sauropsiden mit gut entwickelter Clavicula gewesen sein.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 657
nahmen haben auch ihre Vertreter gefunden. Die Foramina,
welche zu diesen Hoéhlen fiihren, erinnern in ihrer Lage und Be-
schaffenheit bald an die Foramina nutritia anderer Reptilien, bald
an die Foramina pneumatica der Vogel. Namentlich da, wo grofe
Eingangséffnungen und weite, mit glatten Wandungen versehene
Hohlriume zur Beobachtung kommen, kann man sich der Auf-
fassung nicht entschlagen, daf hier eine wirkliche Pneumatisierung
des Skelettes vorliegt; andererseits darf man bei kleineren Oeff-
nungen und bei von zahlreichen spongidsen Balken durchsetzten
unregelmafigeren Lakunen im Innern der Knochen eine Myelini-
sierung derselben annehmen. Bei den einen Dinosauriern scheint
dieses, bei den anderen jenes Verhalten in den Vordergrund zu
treten. Mir scheinen also fiir die Annahme einer partiellen oder
mehr oder minder kompletten Osteopneumaticitat vieler
Dinosaurier gute Griinde zu bestehen; auch laf%t die Analogie
der in Frage kommenden Foramina pneumatica mit denen der
Vogel darauf schlieBen, da’ die Pneumatisation in der Hauptsache
eine von den Lungen ausgehende ist’).
Wie die durch die Osteopneumaticitat erzielte Leichtigkeit
des Skelettes bei den Patagiosauriern ohne weiteres erhellt, so liegt
es auch nahe, bei den Dinosauriern, diesen Gewaltigsten unter
den terrestren Reptilien, daran zu denken, daf bei solchen Massen
eine Erleichterung des Skelettes durch Lufterfiillung eine leichtere
Bewegung und giinstigere Bedingungen im Kampfe um das Dasein
gewahrte, daf damit auch die successive Aufrichtung des Koérpers
und die Ausbildung der bipeden Stellung erleichtert wurde.
Die genauere Beobachtung zeigt indessen, dali — sehr im
Gegensatze zu den in ihrer Pneumaticitét ziemlich gut erkannten
Vogeln — gerade die kleinsten Dinosaurier, wie der mit einer
Lacerta ocellata an K6érpervolumen iibereinkommende Compso-
gnathus, die gréfSeren Varaniden an Grofe gleichenden Coeluria und
der kaninchengrof8e Hallopus, die am héchsten entwickelte Pneumatici-
tat ihres Skelettes aufweisen, daf dagegen unter den riesigsten Formen
1) In den Untersuchungen yon 1888 habe ich darauf auf-
merksam gemacht, daf von den drei Pneumatisierungen des Skelettes,
welche bald von der Nasenhéhle (nasale Pneumaticitit), bald von
der Paukenhohle (tympanale Pneumaticitit), bald von den Lungen
(pulmonale Pneumaticitiéit) ausgehen, die pulmonale in der Tier-
reihe ein engeres Begrenzungsgebiet als die beiden anderen, bei
Reptilien und Mammalien in wechselnder Weise verbreiteten zeigt,
insofern sie im ausgebildeten Zustande, wie es scheint, nur den
Dinosauriern, Patagiosauriern und Vogeln zukommt.
658 Max Firbringer,
sich solche finden, welche, wie z. B. die 7—10m langen Stegosaurus
und Triceratops, ein durchaus solides Knochensystem besitzen. Auch
zeiet die Wirbelsiule bei zahlreichen aufrecht gehenden Dino-
sauriern (z. B. den meisten Ornithopoden) ebensowenig eine Pneu-
matisierung wie bei den bipeden Anthropomorphen'). Das deckt
sich somit nur zu einem kleinen Teile mit den theoretischen Vor-
aussetzungen fiir die Pneumaticitét als Ueberwinder massiger
Kérperformen und nétigt zu dem Gedanken, dafi bei den Dino-
sauriern fiir die Ausbildung ihrer Osteopneumaticitaét noch andere,
uns zur Zeit in der Hauptsache noch unbekannte Faktoren und
Instanzen thatig waren.
Eine dieser Instanzen war — méglicherweise — die Ent-
wickelung der Warmbliitigkeit bei den Dinosauriern. W arm-
blitigkeit (Homéothermie) findet sich bei den Végeln bald
mit pulmonaler Pneumaticitét des Skelettes gepaart (mittelgrofe
und grofe Végel), bald ohne dieselbe (kleine Végel); bei den
Saugetieren ist sie allenthalben mit einem pulmonal apneumatischen
Skelette verbunden. Die Osteopneumaticitat ist somit an sich
kein notwendiger, bedingender Faktor fiir die Homéothermie, aber
sie kann, wie zahlreiche Végel zeigen, Begleiterscheinung der-
selben sein.
In den Untersuchungen von 1888 wurde von mir darauf hin-
gewiesen, daf bekanntermafen die Warmeabgabe durch die Lunge
bei den daraufhin genauer untersuchten Saugetieren einen nicht
unbetrichtlichen Prozentsatz der gesamten Warmeausstrahlung
ausmache und daf darum das bei mittelgrofen und grofen Vigeln
ausgebildete Hohlraumsystem, welches, von den Lungen ausgehend,
das Skelettsystem und den iibrigen Kérper durchziehe, in noch
héherem Maie geeignet erscheine, den bei diesen Tieren produ-
zierten starken Ueberschuf an Wirme und Spannung aus dem
Kérper zu entfernen, wihrend bei den kleineren Végeln mit ihrer
im Verhaltnis zum Kérpervolumen relativ gréferen Kérperober-
flache die Warmeausstrahlung durch die Oberhaut mehr in den
Vordergrund trete und auch ohne oder bei nur geringer pul-
monaler Pneumatisation des Kérpers sich fiir die Erfiillung dieser
Aufgabe ausreichend erweise?). Damals hob ich zugleich hervor,
1) Eine gewisse Entlastung wird bei den Ornithopoden durch
die Pneumatisierung der meist nicht unerheblich reducierten vorderen
Extremitat gegeben; sehr viel bedeutet dieselbe nicht.
2) In diesen Arbeiten geiibte Untersucher diirften leicht im
Stande sein, die Warmeausstrahlung durch die Lunge bei kleinen,
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 659
da8 die homéothermen Tiere durch einen héher ausgebildeten
Hautschutz, eine vollkommenere Sonderung des K6rper- und
Lungenkreislaufes, eine einfache, einseitige Ausbildung des Aorten-
bogens, zahlreichere und feiner differenzierte Blutkérperchen und
ein gréferes Vorderhirn vor den pokilothermen ausgezeichnet
seien und dal verschiedene physiologische Untersuchungsbefunde
der Annahme eines cerebralen Warmecentrums sich giinstig er-
wiesen. Alle diese Angaben sollten keine Erklarung fiir die Aus-
bildung der héheren Homéothermie aus der tieferen Pékilothermie
geben, sondern wollten als einfache Fragestellungen angesehen
sein, deren Beantwortung der physiologischen Forschung anheim-
gegeben wurde.
Seitdem ist auf diesem Gebiete von physiologischer Seite
manche Arbeit gethan, manches bedeutsame Resultat gewonnen
worden. Diese oder jene ialtere Angabe konnte bestitigt oder
richtig gestellt werden, auch die Untersuchungen tiber das cere-
brale Wirmecentrum (wahrscheinlich im Corpus striatum) sind
weiter gefordert worden. Und die bedeutendste neuere Arbeit auf
diesem Gebiete (von KreEHL und SOETBEER 1899) hat durch ihre
zielbewubte und umsichtige Fragestellung und durch die Genauig-
keit und Zuverlassigkeit der experimentellen Untersuchung und
der durch sie erhaltenen Resultate einen grofen Schritt zur
Lésung gethan und wesentlich zur Vertiefung des Problems bei-
getragen, zugleich aber auch erkennen lassen, wie grof die Fiille
der noch zu lésenden Aufgaben der vergleichenden Warmetheorie
des Kérpers ist.
Bei den Dinosauriern zeigt die bei vielen kleinsten Formen
besonders hoch entwickelte, bei vielen gréSten Vertretern fehlende
oder nur gering ausgebildete Osteopneumaticitit, daf} sie den bei
den Végeln gewonnenen Voraussetzungen fiir die Homéothermie
wenig entsprechen. Dazu kommt noch die auffallende Kleinheit
des Hirnraumes ihres Schidels, die auch der Annahme einer dino-
sauren Homéothermie zunichst nicht giinstig ist. Es ist méglich,
daf jene bisherigen Voraussetzungen irrige sind oder auf ganz
einseitiger Basis beruhen, es kann sein, daf die Dinosaurier trotz
alledem Warmbliiter waren oder dal sich innerhalb ihrer Grenzen
mittelgrofen und grofen, d. h. bei wenig, mafig oder ausgebreitet
pneumatisierten Végeln procentualiter zu bestimmen und damit die
obigen theoretischen Angaben experimentell zu ergiinzen und zu
priifen,
660 Max Firbringer,
die Homéothermie von bescheidenen Anfangen bis zu einer groferen
Vollkommenheit entwickelte. Mit unseren bisherigen Grundlagen
stehen wir aber vor dieser Frage als vor einer noch offenen.
XI. Patagiosauria (Pterosauria) 4)?).
Noch hoéher als die Entwickelung der Dinosaurier steht die-
jenige der Patagiosaurier. Als kleine bis sehr grofe, dem Flug-
leben ungefihr nach Art der Fledermause angepate Reptilien
finden sich dieselben vom unteren Jura bis zur oberen Kreide ;
vereinzelte nicht sicher erkannte Ueberreste, sowie Abdriicke von
Fluefingergliedern aus dem Keuper (Rhamphodontia HAEcKEL)
lassen auf die bereits zu dieser Zeit erfolgte Ausbildung der
Ordnung schlieBen. Auch legt die gewonnene Hohe der specifischen
1) Zur Begriindung dieses von mir zuerst 1888 an die Stelle
der alteren Benennungen Pterosauria oder Ornithosauria gebrauchten
Terminus Patagiosauria sei das Folgende angefiihrt. Ich huldige
durchaus dem Grundsatze, daf man die historisch gegebenen Namen
nach Moéglichkeit beibehalten und nur dann durch neue ersetzen
soll, wenn die alten den thatsichlich bestehenden Verhaltnissen zu-
widerlaufen oder zu irrigen Vorstellungen Veranlassung geben.
Dieser Fall scheint mir hier gegeben zu sein. Der erstere von den
ilteren Namen ist nicht scharf pracisiert, indem die Bezeichnung
Pterosaurier auch an einen vogelihnlichen, mit Federn versehenen
Fliigel bei den vorliegenden Reptilien denken laft, der letztere aber
in jeder Hinsicht irrefiihrend, indem er die Vorstellung erweckt, als
ob die Patagiosaurier intime verwandtschaftliche Beziehungen zu
den Végeln hatten. Nichts aber kann verschiedener sein, als die
Flugwerkzeuge beider Abteilungen: bei den Patagiosauriern nackte
oder mit minimalen Schuppen bekleidete Flughaute, welche haupt-
siichlich von dem ganz exklusiv hoch ausgebildeten 5, Finger der
Hand, dem machtigsten Komplexe des ganzen Extremitatenskelettes
dieser Tiere getragen werden, wahrend die 4 ersten Finger ganz
zuriicktretende Anhange dieses Fingers bilden — bei den Végeln
dagegen mit hochentwickelten Federn ausgestattete Fliigel, welche
aus einer Umbildung der vorderen Extremitit hervorgehen, deren
distaler Bereich allein aus den 3 ersten Fingern besteht, wiahrend die
einstmalige Existenz des 4. Fingers nur noch aus bald sich riick-
bildenden embryonalen Rudimenten sich erkennen laft, der 5. (bei
den Patagiosauriern miachtigste) Finger aber spurlos verschwunden
ist. — Die Bezeichnung Patagium (ateysiov) ist iibrigens eine
schon seit alten Zeiten in die Morphologie eingefiihrte, um Haut-
siume, Flugsiume oder Flughiute zu bezeichnen.
2) Vergl. auch p. 355—364, sowie die betreffenden Ausfih-
rungen sub § 16 A, p. 521—571.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 661
Differenzierung den Schluf nahe, da die erste Entwickelung der
Patagiosausier in noch friiherer Zeit stattgefunden hat. Das Ge-
nauere dieser Vorgeschichte ist in ginzliches Dunkel gehiillt.
Die Organisation der Patagiosaurier giebt sich als die h6chste
unterden Reptilien und als cine der am meisten specialisierten
unter allen Wirbelticren zu erkennen. Die Halswirbelsiule zeigt
in ihrer Zusammensetzung aus 7—8 Wirbeln!) primitivere Ver-
hiltnisse, doch sind die gleich den Riickenwirbeln procélen Hals-
wirbel gewoéhnlich erheblich langer als die Wirbel der anderen
Regionen und geben dem Halse gegeniiber dem tibrigen kompakteren
K6rper eine relativ grofe Schlankheit und Beweglichkeit; bei den
héchsten Patagiosauriern (Ornithocheiroidea SEELEY, Ornitho-
cheiridae WiLLIston) kommt es zugleich zu sacrumartigen Anchy-
losen einiger vorderen Dorsalwirbel, mit denen das dorsale Ende
der Scapula sich nach Art eines Beckens gelenkig verbindet; das
Sacrum besteht aus 3—5 Wirbeln. Der (wie bei den héheren
Dinosauriern) im rechten Winkel gegen die Wirbelsiule abgesetzte
Schadel ist hoch entwickelt mit zu einem grofen Teil synostotisch
verschmolzenen Schidelknochen und einem Gehirnraum, welcher
denjenigen der Reptilien an Groéfe tibertrifft und dem der Végel
sich anniihert; das Quadratum ist schlank, aber mit seinem oberen
Ende fest mit dem Schiidel verbunden. Das gewoélbte und mit
langer Spina oder Cristo-spina versehene Sternum zeigt sich in aus-
gedehntem Mase verknéchert, der nur aus Scapula und Coracoid be-
stehende primaire Schultergirtel ergiebt gewisse Uebereinstimmungen
mit dem der Crocodilier und Dinosaurier und ahnelt zugleich dem-
jenigen der carinaten Végel; die sekundiren Elemente des Brust-
schulterapparates (Clavicula, Episternum) sind ganzlich verkiimmert,
das Parasternum ist zart und erheblich reduziert. Die Carpalia
sind vermindert; ganz eigenartig und mit nichts zu vergleichen
ist die michtige und hoch specialisierte Umbildung des 5. Fingers,
der sich zur Hauptstiitze der Flughaut entwickelt hat; die 3
mittleren Finger sind von gewoéhnlicher Lange?), frei und mit
Krallen verschen, der 1. gréftenteils oder vollkommen reduziert
und sein Metacarpus zu dem sogenannten Spannknochen umge-
1) Gemeinhin werden 7 Halswirbel angegeben; dies thut auch
Wiuiston, aus dessen sonstigen Mitteilungen ich aber gerade eine
Achtzahl der Halswirbel bei Ornithostoma entnehme (vergl. auch
p. 359 Anm. 3, 543 Anm. 5).
2) Bei den Fledermiusen sind bekanntlich der 2. bis 5. Finger
verlangert und Triger der Flughaut.
662 Max Firbringer,
bildet. Am Becken zeigt das Heum entsprechend dem grofen
Sacrum eine betraéchtliche sagittale Verlingerung, welche an die
Verhaltnisse bei den ornithopoden Dinosauriern erinnert und an
die Méglichkeit einer aufrechten Stellung denken laBt; der ventrale
Abschnitt des Beckens ergiebt Besonderheiten, die noch nicht tiber-
einstimmend gedeutet werden, aber auch manche Aehniichkeit
mit den Ornithopoden darbieten; die hintere Extremitat zeigt
gleichtalls eine Specialisierung fiir die aufrechte Stellung, eine
erhebliche Reduktion des Tarsus und ein allgemeines Zuriicktreten
ihrer Gréfe gegeniiber der vorderen. Das Skelett zeichnet sich
durch eine hochgradige Pneumaticitét und Leichtigkeit bei
ganz und gar dominierender Ossifikation aus und bietet darin eine
grobe graduelle Uebereinstimmung mit dem Vogelskelett dar;
auch beziiglich der bald thekodont-maxillodonten, bald (bei den
héchsten Formen) in Riickbildung getretenen Bezahnungen bestehen
Parallelen zu den Végeln.
Die systematische Einteilung der Patagiosaurier ist nament-
lich durch die speciellen Untersuchungen von H. von Meryerr
(1859—65), Owen (1863—74), SEELEY (1870—91), Marsu (1871
—84), ZirTeL (1882, 1890) und Winiiston (1892—98) geférdert
worden. Insbesondere auf Grund von SEELEY’s und WILLISTON’s
Nachweisen wird die im ganzen eng geschlossene Ordnung in die
beiden Unterordnungen Rhamphorhynchia (Pterodermata SEELEY,
Draconura HArECKEL) und Ornithocheiria s. Pterodactyla (Draco-
chira HArcKEL) verteilt; die tieferen langschwanzigen Rham-
phorhynchia beginnen im unteren Jura, wahrscheinlich aber
schon im Keuper, mit den durch eine noch miabige Ausbildung
des Flughautfingers gekennzeichneten Dimorphodontidae und ent-
falten sich zu den im ganzen Jura verbreiteten Rhamphorhyn-
chidae mit machtig entwickeltem Flughautfinger; die héheren kurz-
schwanzigen Pterodactyla s. Ornithocheiria treten mit den noch
mit freier Scapula versehenen Pterodactylidae (mit den bezahnten
Pterodactylinae und den zahnlosen Nyctodactylinae) im oberen
Jura auf und reichen bis zur mittleren Kreide, wahrend die durch
eine mit der Wirbelsiule verbundene Scapula gekennzeichneten
Ornithocheiridae (mit den bezahnten Ornithocheirinae und den
zabnlosen Ornithostomatinae) im Wealden und in der Kreide lebten.
Als speciellere Verwandte der Patagiosaurier sind Rhyncho-
cephalier, Crocodilier, Dinosaurier und Végel in Frage gekommen.
Zu der oben angefiihrten Klassifikation der Patagio-
saurier habe ich wenig zu bemerken. In derselben tritt das
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 663
friiher namentlich von Copr und LypEKKER allzusehr iiberschitzte
Differentialmoment der Bezahnung mit Recht mehr in den Hinter-
grund, wahrend neben der seit alters verwerteten Schwanzlinge
namentlich auch das Verhalten des dorsalen Endes der Scapula
zur Unterscheidung der tieferen und héheren Patagiosaurier ver-
wendet wird. Im ganzen ist der Verband der Patagiosaurier ein
relativ eng geschlossener, so daf die Abteilungen desselben kaum
die Bedeutung von Subordines besitzen.
Betrefis der verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Rhyn-
chocephaliern gilt das Gleiche wie fiir die Dinosaurier (p. 654)
und die meisten von ihnen besprochenen Ordnungen: dieselben
kénnen zufolge der generalisierten Organisation und centralen
Stellung der Rhynchocephalia angenommen werden, sind aber
nur von allgemeiner Art.
Speciellerer Natur sind die Relationen zu den Crocodiliern,
und manche Verhaltnisse am Rumpf- und Extremitiatenskelett (inkl.
Giirtel) bieten gewisse auf gemeinsame Stammeltern zuriickfiihr-
bare Aehnlichkeiten dar. Die gemeinschaftliche Wurzel liegt aber
sehr tief, die Verwandtschaft ist nur eine solche mittleren Grades.
Von gréferer Bedeutung erweisen sich die genealogischen Be-
ziehungen zwischen Dinosauriern und Patagiosauriern. Diese
verhiltnismibig nahen Relationen sind auch von zahlreichen
Autoren erkannt worden, wobei namentlich gewisse gemeinschaft-
liche Ztige in der Struktur des Beckens und der hinteren Extremi-
tit, sowie die beiden Ordnungen zukommende Osteo-Pneumaticitat
als Vergleichungspunkte dienten. SEELEY und insbesondere HAECKEL
haben dieser Verwandtschaft schairfsten Ausdruck verlichen: ersterer
vereinigte beide mit den Crocodilia und Aves zu den Ornitho-
morpha; letzterer verband beide zur Klasse der Dracones, d. h.
warmbliitiger, mit 4kammerigen Herzen versehener Sauropsiden,
und stellte sie zwischen Crocodilier und Végel, mit denen zusammen
sie die Ornithocrania (= Ornithomorpha SEELEY) bilden. — Wie
auch die Differenzen zwischen Dinosauriern und Patagiosauriern in
die Augen fallen, so bin ich doch gleichfalls geneigt, nihere Be-
ziehungen zwischen beiden anzunehmen. Doch mochte ich hierbei
nicht die beiden gemeinsame Osteo-Pneumaticitaét in den Vorder-
gerund stellen — denn diese reprasentiert nur ein graduelles
Moment, ein Endstadium der héheren funktionellen Entwickelung
beider Ordnungen, klart nichts hinsichtlich des phylogenetischen
Anfanges auf, kann Verwandtschaft bedeuten, kann aber ebenso
gut nur ein Kennzeichen blofer Parallel- oder Konvergenz-
Bd, XXXIV. N. F. XXVII. 43
664 Max Fiirbringer,
Analogie sein‘), Weitaus bedeutsamer erscheinen mir die Kon-
figuration des Schiidels, insbesondere das Verhalten der Temporal-
gegend und des blof’ mit seinem dorsalen Ende fest mit dem
Schidel verbundenen Quadratum, gewisse Bildungen des Rumpft-
skelettes, des Schulter- und Beckengiirtels und der hinteren
Extremitit. Hier ergeben sich zwischen beiden Abteilungen
specifische Beriihrungspunkte, die zugleich einiges Licht auf die
Vorgeschichte der Patagiosaurier werfen. Das lang ausgedehnte
Sacrum und Ileum und gewisse Ziige in der Struktur des Unter-
schenkels und Fufes ergeben mit hinreichender Sicherheit, dal
der erste Schritt zur Ausbildung der Patagiosaurier mit einer
Aufrichtung des Kérpers begann, in ahnlicher Weise, wie wir sie
auch bei zahlreichen Dinosauriern antreffen, bei diesen meist in
noch héherer Entwickelung als bei den Patagiosauriern. Damit
ging naturgemaf eine abweichende Differenzierung der vorderen
Extremitét Hand in Hand. Bei den bipeden, insbesondere den.
ornithopoden Dinosauriern fiihrte dieselbe zur Ausbildung der
Greifhand, wobei namentlich der 1. und 5. Finger mehrfachen,
zum Teil regressiven Umbildungen unterlagen; bei den Patagio-
sauriern entwickelte sich neben dieser Funktion der Hand noch
diejenige einer Hauptstiitze fiir die successive zu hoher Entfaltung
kommende Flughaut, wobei gleichfalls der 1. und 5. Finger —
letzterer aber in Anpassung an das Patagium hochgradig progres-
siv — weitere Differenzierungen eingingen. Zwischen den héher
ausgebildeten Formen der Dinosaurier und Patagiosaurier existiert
in dieser Beziehung eine fast diametrale Verschiedenheit: bei den
ersteren zeigt der 5. Finger eine mehr oder minder vorgeschrittene
Verdiinnung und Phalangenverminderung bis zur vollkommenen
Reduktion (so namentlich, wie es scheint, bei Compsognathus,
Ornithomimus, Claosaurus u. a.); bei den letzteren behalt er seine
4 Phalangen und entfaltet diese zur hochgradigsten Verlingerung
und Volumensvermehrung, die wir innerhalb des Tierreichs kennen.
Verschiedene Dinosaurier zeigen aber Verhaltnisse der Hand,
welche von denen bei den Patagiosauriern nicht so fundamental
differieren. Bei den Patagiosauriern ist die tibliche Phalangenzahl
der 5 Finger der Hand 0, 2, 3, 4, 4; der ornithopode Iguanodon
bietet 1 (0), 3, 3, 4 dar, somit hinsichtlich des 1. und 5. Fingers
betrachtliche Uebereinstimmungen, welche durch die besondere
1) Ich verweise auch auf meine diesbeziiglichen Ausfiihrungen
von 1888.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 665
Stellung und Differenzierung derselben') noch erhéhte Bedeutung
gewinnen, und es ist wohl méglich, da8 die fiinffingerigen Hinde
triassischer Dinosaurier (z. B. aus den Familien der Zanclodontidae
und Anchisauridae, namentlich der noch unbekannten triassischen
Ornithopoda) an ihrem 5. Finger die volle Vierzahl der Phalangen
aufwiesen, die ihnen jetzt zu einem groSen Teile auf Grund der
bisher bekannt gewordenen Erhaltung ihrer Reste abgesprochen
wird. Ich denke nicht daran, intimere Verwandtschaften zwischen
Iguanodon oder den zur Zeit bekannten triassischen Dinosauriern
mit den Patagiosauriern zu behaupten; alle diese Formen befinden
sich bereits in weit vorgeschrittener specifischer Differenzierung
und sind in ihrer Organisation so festgelegt und sozusagen er-
starrt, dafi eine Umbildung der Greithand der ersteren in die
Greifflughand der letzteren nicht mehr méglich erscheint?). Dazu
kommen gewisse Ziige, wie z. B. die Zahl der Halswirbel*), in denen
die in der tiberwiegenden Summe ihrer Merkmale hoher stehenden
1) Bei beiden (Iguanodon und den Patagiosauriern) zeigt der
1. Finger resp. bei vollkommener Reduktion desselben der 1. Meta-
carpus eine besondere Umbildung, indem er bei Iguanodon als
abstehender dolchartiger Stachel, bei vielen Patagiosauriern als
abstehender bezw. zuriickgebogener Spannknochen entwickelt ist;
bei beiden bietet auch der aus 4 Phalangen bestehende 5. Finger
eine von den iibrigen Fingern abstehende Stellung dar.
2) Seetey und Harcken sind geneigt, die Coeluria als die den
Patagiosauriern am meisten verwandten Dinosaurier anzusehen.
Das Tertium comparationis scheint hierbei die namentlich bei
diesen Dinosauriern hochgradig entwickelte Osteopneumaticitat zu
bilden. Wie bereits oben erwahnt, halte ich diesen Faktor nicht
fiir geeignet, um daraufhin speciellere Verwandtschaften zu griinden.
Im iibrigen lait unsere Kenntnis der Organisation der Coeluria noch
zu wiinschen iibrig.
3) Bei den Patagiosauriern 7—8, bei den Dinosauriern meist
10—11 und mehr. Damit stellen sich die ersteren der primitiven,
bei kionokranen Lacertiliern und Rhynchocephaliern beobachteten
Halswirbelzahl der Reptilien (8) naéher als die letzteren, bei denen
eine weiter gehende Verschiebung der vorderen Extremitat nach
hinten die Halswirbelsiule um 2—3 oder mehr Wirbel verlingerte.
Falls die Patagiosaurier zum Teil nur 7 Halswirbel besitzen, wie
allgemein behauptet wird, aber meines Erachtens erst noch zu er-
weisen ist (s. p. 661 Anm. 1), so wire eventuell anzunehmen, daf
dieselben durch eine geringgradige kranial gerichtete Wanderung
der vorderen Extremitat ihren urspriinglich aus 8 Wirbeln bestehen-
den Hals um 1 in das thorakale Gebiet iibergehenden Wirbel ver-
kiirzten (vergl. auch p. 544).
43 *
666 Max Firbringer,
Patagiosaurier doch noch primitivere Verhaltnisse gewahrt haben.
Die herangezogene Parallele soll nur demonstrieren, dal selbst da,
wo auf den ersten Blick die gré%te Divergenz zu bestehen scheint,
doch Bertihrungspunkte der sonst so verschiedenartig ausgebildeten
Abteilungen der Dinosaurier und Patagiosaurier bestehen und dab
diese auf einen wirklichen genetischen Zusammenhang, auf ge-
meinsame Vorfahren _ hinweisen. Diese Vorfahren waren
vielleicht durch folgende gemeinsame Ztige gekennzeichnet: Be-
ginnende Aufrichtung des Koérpers, beginnende Pneumaticitiit, ver-
schmolzenes Squamosum und Prosquamosum, 2 Schlafenbogen
und 2 Schlafengruben, Quadratojugale anwesend, Quadratum
nur mit dem oberen Teile fest mit dem Schiadel verbunden, 8 Hals-
wirbel, lange Schwanzwirbelsiule, verlangerter und schrag nach
vorn gerichteter primiarer Schultergiirtel, sekundirer Brustschulter-
apparat in Riickbildung begriffen, fiinffingerige Greifhand mit gut
ausgebildetem, aus 4 Phalangen bestehendem 5. Finger, in sagittaler
Richtung verlangertes, ornithopodenahnliches Neum, zur Orthopodie
tendierende Entwickelung der hinteren Extremitaét. Von da aus
begann die sehr divergierende Ausbildung der beiden Abteilungen,
die bei den aufrecht schreitenden Dinosauriern zur héchsten Ent-
faltung der hinteren Extremitaéit und der Lauffaihigkeit unter
relativem Zuriicktreten der vorderen Extremitit, bei den Pata-
giosauriern zur hoch und einseitig specialisierten Ausbildung der
vorderen Gliedmafe und des Flugvermégens unter sekundéirem
Zuriickbleiben der hinteren Gliedmafe fiihrte.
Gleich den Dinosauriern sind auch die Patagiosaurier zu den
Voégeln in nachste Beziehung gebracht worden. Wie bereits oben
(p. 655 Anm. 1) mitgeteilt, haben mehrere Autoren (Corr, Mivart,
WIEDERSHEIM, VoGtT) einen diphyletischen Ursprung der Vogel be-
hauptet und die Ratiten von den Dinosauriern, die Carinaten von
den Patagiosauriern abgeleitet. Owen (1866—78) hat sich fiir eine
Abstammung der ganzen Vogelklasse von den Patagiosauriern aus-
gesprochen, hat aber diesen Standpunkt in seinen spéteren Mit-
teilungen mit minderer Bestimmtheit vertreten. SEELEY (1866—91)
ist der Annahme intimer Verwandtschaft mit den Végeln zuge-
neigt, verbindet Végel, Patagiosaurier, Dinosaurier und Crocodilier
zu den Ornithomorpha.und erblickt in den Patagiosauriern eine
den Végeln parallele Subklasse (Saurornia), welche auf Grund
ihres relativ grofen Gehirnes und ihrer ausgedehnten Pneuma-
ticitat auf eine héher entwickelte Atmungs- und Pulsfrequenz, auf
ein mit getrennten Kammern versehenes Herz und auf Warm-
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 667
bliitigkeit schliefen lasse; die Patagiosaurier gehérten nicht mehr
zu den Reptilien, sondern stellten sich gleich den Végeln zwischen
Reptilien und Saugetiere. Aehnliche Anschauungen vertritt HAECKEL
(1895) und dehnt diese auch auf die Dinosaurier aus, die er,
wie schon erwihnt, mit den Patagiosauriern zu den Dracones ver-
bindet. Ich habe mich 1888 eingehender iiber die supponierte
Verwandtschaft der Patagiosaurier mit den Végeln geiufert und
eine Abstammung der letzteren von den ersteren abgelehnt; das
streptostyle Quadratum der Végel aft sich nicht von dem monimo-
stylen der Patagiosaurier ableiten, und zwischen der Bildung
der Vogel- und Patagiosaurier-Hand gihnt eine Kluft, tiber die
keine von den Patagiosauriern kommende Briicke fiihrt — ganz
von anderen nicht minder erheblichen Differenzen zu schweigen.
Aber auch fiir eine Abstammung der Végel und Patagiosaurier
von einem gemeinsamen Vorfahren erweisen sich die positiven
Instanzen, die daftir herangezogen werden kénnten, nicht pragnant
genug, um den negativen gegeniiber das Uebergewicht zu bilden;
meist sind die Aehnlichkeiten Parallel- oder Konvergenz-Analogien
und halten einer gescharften Beobachtung und Beurteilung nicht
stand. Entferntere Verwandtschaften sind gewif vorhanden, die
gemeinsame Wurzel liegt aber sehr tief, und nach wie vor bin ich
geneigt, die Patagiosaurier, wie hoch und einseitig und in unver-
kennbarer Analogie zu den Végeln sie entwickelt sind, doch zu
den Reptilien zu rechnen und nicht zwischen diese oder die Végel
zu stellen.
Die von SeeLey und HArcKkeL behauptete und von mir 1888
besprochene Warmblitigkeit der Patagiosaurier halte ich nach
wie vor fiir eine sehr diskutable Hypothese, finde auch bei den
Patagiosauriern mit ihrem relativ grofen Gehirn, ihrer hohen
Organisation, der recht vogelaihnlichen Anordnung und Verteilung
ihrer Osteopneumaticitét und ihren vermutlich recht kraftigen und
intensiven Flugbewegungen eine Anzahl Instanzen, welche dieser
Vermutung sich nicht ungiinstig erweisen; wie es mit dem Warme-
schutz ihrer Haut stand, ob die Schuppenbekleidung derselben
bereits zur Bildung haarahnlicher Federn tendierte, ist noch nicht
aufgeklirt. Die Annahme der Homéothermie der Patagiosaurier
verfiigt aber jedenfalls tiber bessere Faktoren als diejenige der
Homéothermie der Dinosaurier. Daf’ Harcket aber diese Hypo-
these nicht blo& auf die ersteren beschrinkte, sondern auch auf
die letzteren ausdehnte, war eine durchaus berechtigte, konsequente
Handlung. Beide Abteilungen verfiigen tiber die gleichen Momente,
668 Max Firbringer,
welche fiir die Warmbliitigkeit geltend gemacht werden kénnen,
und es ist nur der verschiedene Grad ihrer Entwickelung — ge-
ringer und beginnend bei den Dinosauriern, héher ausgebildet bei
den Patagiosauriern — welcher beide relativ unterscheidet. Aber
wie bei den Dinosauriern (cf. p. 658 f.) halte ich auch bei den Pata-
giosauriern die bis jetzt verfiigbaren Materialien nicht fiir aus-
reichend, uns eine Entscheidung fiir oder wider zu geben.
XII. Hauptgruppen der Reptilien, genealogisches
Verhalten zu den tibrigen Tetrapoden.
Die in den vorhergehenden Abschnitten II—XI besprochenen
Abteilungen der Reptilien lassen sich auf Grund ihrer naheren
oder ferneren Verwandtschaften in 4 Gruppen sondern:
1) Streptostylia s. Squamata (Lacertilia et Ophidia), Rhyncho-
cephalia, Ichthyopterygia,
2) Theromorpha,
3) Mesosauria, Sauropterygia, Chelonia,
4) Crocodilia, Dinosauria, Patagiosauria.
Diese Gruppierung entspricht, abgesehen von einigen minder
bedeutsamen Abweichungen, in den Hauptziigen der von LYDEKKER
(1888—90) gegebenen, hat auch vieles mit der von Baur 1887
proponierten Verteilung (die LypEKKER in den meisten Punkten
zum Vorbild diente) gemeinsam‘), weicht aber erheblicher von den
genealogischen und systematischen Anordnungen von Cope (1887,
1889), HarckEeL (1895) und Baur (1895) ab‘).
Die erste Gruppe oder Subklasse, von LypDEKKER nicht ganz
gliicklich als Streptostylic Branch bezeichnet ’), enthalt diejenigen
streptostylen und monimostylen Reptilien, welche in ihrer Organi-
1) Ein fundamentaler Unterschied gegeniiber den Systemen
Baur’s und Harckev’s ist in der ginzlichen Abtrennung der Vogel
und Siugetiere von den Reptilien gegeben, womit ich mich im
Einklange mit der systematischen Anordnung der meisten Zoologen
und Paliontologen, insbesondere auch yon Huxtny, GEGENBAUR,
Corr, Zirrey u. A. befinde.
2) Nur die Squamata sind Streptostylier, wahrend bei den
Rhynchocephaliern und Ichthyopterygiern Monimostylie — besteht,
wobei nicht verkannt werden soll, da die Monimostylie der
Rhynchocephalier jiingeren Datums und nicht so intensiv ausgebildet
ist als die der Synaptosaurier und Archosaurier (p. 599 Anm. 1,
625 Anm. 1).
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 669
sation die gréfte Summe yon primitiven Charakteren darbieten
und sich damit zugleich als genereller, der Stammform der Reptilien
relativ am niachsten stehender resp. von ihr mit den relativ ge-
ringsten Abanderungen fortgesetzter Zweig dokumentieren. Damit
gewadhren sie resp. ihre gemeinschaftlichen Vorfahren zugleich fiir
die anderen Reptilien-Abteilungen Ankniipfung, lassen sich aber
nicht von diesen ableiten. Unter Benutzung des von HArcKEL den
Rhynchocephaliern s. lat. gegebenen Namens, also unter erweiterter
Anwendung desselben, bezeichne ich sie als Tocosauria.
Die zweite Gruppe oder Subklasse kennzeichnet sich als
eine sehr alte, friih ausgestorbene, monimostyle Abteilung, welche
in ihrer Organisation ein Gemisch von zahlreichen primitiven Ziigen
mit teilweise ziemlich weit vorgeschrittenen Specialisationen dar-
bietet. Sie reprisentiert damit einen sehr friih von dem gemein-
samen Reptilienstocke abgegangenen Seitenzweig, der zugleich
einen isolierten Endzweig darstellt und keiner anderen Abteilung
als Ausgang dient. Ftir diese Subklasse tibernehme ich den gleichen
Namen wie fiir die in ihr enthaltene Ordnung und bezeichne sie
als Theromorpha oder Theromora!?).
Die dritte, ebenfalls monimostyle Gruppe oder Subklasse
hat sich gleichermafien sehr friih und zwar in der Nahe der
Theromorpha von dem gemeinsamen Reptilienstocke abgezweigt
und verbindet ahnlich den Theromorphen, aber in etwas anderer
Verteilung, primitivere und héher specificierte Merkmale. Auch
sie reprasentiert mit ihren Ordnungen einen Komplex von seit-
lichen Endzweigen, die, bis auf die in noch ziemlich zahlreichen
Gliedern erhalten gebliebenen Chelonier, ausgestorben sind (Meso-
saurier und Sauropterygier). Ich wahle fiir diese Gruppe die
Cope’sche Bezeichnung Synaptosauria.
Bei der vierten, gleichfalls monimostylen 2) Gruppe wiegen
die héheren Differenzierungen tiber die primitiveren Ziige bei
weitem vor. Die Vertreter derselben dokumentieren sich als
héchste, recht einseitig und divergent specialisierte Reptilien, die
1) In dieser Benennung ist der — keine nahere Verwandt-
schaft, sondern nur eine Analogie bedeutenden — Aehnlichkeit des
Skelettes mit dem der Séugetiere zu sehr Ausdruck gegeben; doch
ist der Name so eingebiirgert und verstindlich, daf fiir mich keine
Veranlassung vorlag, einen anderen neuen zu bilden.
2) Bei den primitiveren Typen dieser Gruppe ist die Moni-
mostylie des Quadratum in ausgedehnterem Mage entwickelt als
bei den héheren, aber auch bei den letzteren nirgends aufgegeben.
670 Max Fiirbringer,
sich spiter als die Theromorphen und Synaptosaurier von dem
alten Reptilienstamme resp. den Vorfahren der Tocosaurier ab-
gezweigt haben und die, mit Ausnahme spirlicher noch lebender
Reste (einige Crocodilier), durchweg ausgestorben sind. Auch
fiir diese Subklasse tibernehme ich den ihre hohe Stellung be-
kundenden Copr’schen Namen Archosauria.
1. Tocosauria.
Die Subklasse der Tocosaurier besteht aus dem streptostylen
Superordo der Streptostylia s. Squamata mit den beiden
Ordines Lacertilia und Ophidia, aus der, soweit genauer bekannt,
monimostylen Ordnung (Superordo ?) der Rhynchocephalia mit
den Unterordnungen (Ordnungen ?) der Proterosauria und Rhyncho-
cephalia vera und aus der monimostylen Ordnung der Ichthyo-
pterygia. Alle diese geben sich in verschiedenem Grade als die
primitivsten Vertreter der Reptilien zu erkennen; die ersten befinden
sich in der Jetztzeit mit tiber 3000 lebenden Species in der gréften
Bliite, von den zweiten ist nur noch eine Art (Sphenodon punctatus)
iibergeblieben, die letzten starben bereits am Ende der meso-
zoischen Zeit ganzlich aus. Daf die Vorfahren der monimostylen
Ordnungen einstmals streptostyle Tiere waren, darf ohne weiteres
behauptet werden und wird wohl auch durch die Ontogenese von
Sphenodon zu stiitzen sein.
Unter den Streptostylia (vergl. Il, p. 605—622) reprasen-
tieren die Lacertilia in ihrer Mehrheit die den urspriinglichen
Formen naher stehenden Typen, wahrend die meisten Ophidia
sich von dem lacertilen Stamme aus als einseitige Specialisten
weitergebildet haben. Aber auch die Lacertilier enthalten in
der grofen Fiille und Mannigfaltigkeit ihrer Differenzierungen nicht
ausschlieBlich tiefstehende, generelle Formen, sondern auch solche,
welche — immer innerhalb gewisser Grenzen — zu einer gewissen
einseitigen Entwickelungshéhe gelangt sind (insbesondere die Va-
rano - Dolichosauria, Mosasauria, Amphisbaenia und namentlich
Chamaeleontia). Die primitivsten Typen finden sich unter den
Lacertilia vera (Kionokrania); gewisse Vertreter derselben stellen
sich tiefer als der iibergebliebene rhynchocephale Sphenodon.
Eine so reich und mannigfaltig entwickelte und dabei zugleich so
viel primitive Ziige darbietende Abteilung hat eine grofe und
lange Vorgeschichte. Von derselben sind uns aber, wegen der
relativ zarten Organisation der meist kleinen und nur ausnahms-
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 671
weise gréferen Tiere, zur Zeit nur geringe, wenig Aufklirung
darbietende Bruchstiicke bekannt geworden. Aber andererseits
hat die relativ primitive Organisation und die geringe Kérpergréfe
diesen Tieren eine gréfere Bildsamkeit und Anpassungsfihiekeit,
sowie leichtere Bedingungen im Kampfe um das Dasein gewihrt
als den gréferen und in ihrer héheren und einseitigen Organisation
mehr festgelegten Tieren. Darin dirfte der Hauptgrund ihrer
ausgiebigen Erhaltung in der Jetztzeit liegen, die uns zugleich in
gewissem Sinne fiir die Liickenhaftigkeit unserer palaontologischen
Kenntnisse derselben zu entschadigen vermag!). — Hinsichtlich
der zahlreichen Unterabteilungen der Lacertilia verweise ich auf
die Ausfiihrungen sub II (p. 605f.).
Der lebende Vertreter der Rhynchocephalia (vergl. III,
p. 622—627), Sphenodon, dokumentiert sich in der tiberwiegenden
Summe seiner Organisationsmerkmale als ein primitives Tier, zeigt
aber verschiedene Charaktere, die ihn héher stellen als die tiefsten
unter den lebenden Lacertiliern. Die meisten der in der Tertiar-
und Sekundirzeit lebenden Rhynchocephalier nehmen keine wesent-
lich tiefere Stellung als Sphenodon ein; anders bei den _ palio-
zoischen Formen (primitive Proterosauria, insbesondere Palaeo-
hatteria), welche nicht allein das tiefe Niveau der primitivsten
lebenden Lacertilier erreichen, sondern zum Teil selbst tiefer als
diese stehen. Eine genauere Vergleichung und Abschatzung der
relativen Organisationshéhe der einzelnen Charaktere wird durch
unsere unzureichende Kenntnis jener alten Formen (namentlich
die Zerstérung der Knorpelteile) unméglich gemacht. Auch ist
nicht zu tibersehen, da eine Vergleichung paliozoischer Rhyncho-
cephalier und recenter Lacertilier von sehr verschiedenen Horizonten
ausgeht und dadurch in ihrer Giltigkeit und ihrem Werte einiger-
mafen beeintrachtigt wird. Erst die Heranziehung gut erhaltener
paliozoischer Lacertilierreste wird eine korrekte, rationelle Ver-
eleichung erméglichen; diese liegt jedoch im Schofe der Zukunft.
Die palaozoischen Vorfahren der Lacertilier werden aber ver-
mutlich keine héhere Stellung als die pal&ozoischen Rhyncho-
cephalier eingenommen haben; es besteht wenigstens meines Erachtens
1) Umgekehrt entschadigt uns fiir den Mangel der in der Jetzt-
zeit so zahlreich ausgestorbenen Reptilienordnungen ihre meistens
hohere, gréfere und massigere Organisation, welche sich der Er-
haltung ihrer fossilen Reste giinstiger erwies. Es braucht nicht
besonders betont zu werden, daf dieser Erfahrung eine weit iiber
die Reptilien hinausgehende Geltung zukommt.
672 Max Firbringer,
nicht der mindeste Grund fiir das Gegenteil. Die Ursachen fir
das Aussterben der Rhynchocephalier sind noch dunkel. Ich neige
dazu, ihre etwas mehr als bei den primitivsten Lacertiliern fest-
gelegte Organisation, insbesondere ihre Monimostylie und ihren
schweren Deckknochenapparat, der nicht rechtzeitig zur Riick-
bildung gelangte, zu einem guten Teile diifiir verantwortlich zu
machen; damit verbanden sich selbstverstindlich gewisse Organi-
sationsmingel in den Weichteilen, auf die naher einzugehen aber
zu sehr in das Reich der Hypothesen und Vermutungen fiihren wiirde.
Die uns bisher nur aus der mesozoischen Zeit bekannten
Ichthyopterygia (vergl. III. p. 627—630) sind im hiéchsten
Grade an das Wasser angepaB8te Specialisten und damit zugleich die
am vorgeschrittensten und speciellsten differenzierten Tocosaurier ;
ihre ganze Organisation weist auf eine Abstammung von terrestren
Rhynchocephaliern, vermutlich Proterosauriern, hin. Diese rhyncho-
cephalen Stammeltern sind uns noch unbekannt; wahrscheinlich
begann die Ausbildung zum ichthyopterygen Typus schon am Ende
der palaozoischen Zeit. Das friihe Aussterben der Ichthyoptery-
gier ist wohl in der Hauptsache auf die bereits bei den Rhyncho-
cephaliern angefiihrten Ursachen (s. oben), neben der schweren und
einseitig festgelegten Organisation, die keine gentigend ausgiebigen
neuen Anpassungen an die verinderten aéuferen Verhiltnisse er-
laubte, namentlich auch auf ihre nach und nach gewonnene Kéorper-
gréfe, welche ihnen den Kampf um das Dasein erheblich erschwerte,
zuriickzufiihren. Als ausgesprochener Seitenzweig der Rhyncho-
cephalier gewihren sie keinen Aufschluf8 iiber die primitiven Ver-
haltnisse derselben; was bei ihnen primitiv erscheint (insbesondere
der Bau ihrer Flossen), ist in Wirklichkeit sekundare Umbildung
und Vereinfachung. Insofern ist ihr Aussterben weniger zu beklagen
als dasjenige der friihesten Lacertilier und Rhynchocephalier.
Die Organisation der Lacertilier und Rhynchocephalier zeigt,
trotz verschiedener einschneidender Differenzen, so viel Gemein-
sames, daf eine direkte Abstammung beider von einem
gemeinsamen Ahnen nicht zweifelhaft ist. Die auffallendsten
Differenzen beruhen insbesondere in dem Verhalten des Qua-
dratum (streptostyl bei den Lacertiliern; monimostyl bei den
Rhynchocephaliern), des Schlafenbogens (oberer und unterer bei
den Rhynchocephaliern; oberer bei den Lacertiliern, der bei ge-
wissen Vertretern derselben auch in Riickbildung treten kann)
und des Parasternum (anwesend bei den Rhynchocephaliern, zuriick-
vebildet bei den Lacertiliern). Daraufhin bestehen gute Griinde
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 673
zu der Annahme, dafi diese gemeinsamen Vorfahren (Tocosaurier-
ahnen) mit zwei oberflaichlichen, die Gelenkbildung
des Quadratum mit dem Schiadel noch nicht unter-
drickenden'), Schlafenbogen und mit Parasternum
versehene Streptostylier waren.
Die gemeinsame Abstammung von solchen Vorfahren macht
zugleich die einstmalige Existenz von Zwischenformen, Kon-
nektivtypen zwischen Lacertiliern und Rhynchocephaliern wahr-
scheinlich. Als solche Zwischenformen sind auch die mesozoischen
Acrosaurier (p. 626f.) angesprochen worden; méglicherweise
reprisentieren auch die gleichfalls mesozoischen Telerpetidae
(p. 612) in anderer Richtuug gehende intermediaére Typen zwischen
Lacertiliern und Rhynchocephaliern 2),
Aber von diesen schon ziemlich spaten Formen fallt kein
reines Licht auf die einstmaligen gemeinsamen Vorfahren; wenn
auch in intermediiirer resp. konnektenter Stellung zwischen Lacer-
tiliern und Rhynchocephaliern, ist doch ihre Organisation, soweit
bekannt, in ihrer Weise bereits gerade so hoch ausgebildet und
gerade so hoch differenziert, wie diejenige der mesozoischen Lacer-
tilier oder Rhynchocephalier. Eine wirkliche Aufklarung ist nur
von alteren, palaozoischen Vertretern zu erhoffen, und hierbei
richtet sich der Blick auf jene permischen Typen, deren Reste in
Kadaliosaurus, Palaeohatteria, Petrobates und
Hylonomus’®) erhalten sind, sowie auf jene noch alteren Formen
aus dem Karbon, wie Dromopus, deren einstmalige Existenz
uns wenigstens durch Fahrtenabdriicke wahrscheinlich gemacht
wird (p. 627). Unsere jetzige Kenntnis dieser Reste ist hinsicht-
lich des Kardinalpunktes der Frage — streptostyle oder monimo-
style Verbindung des Quadratum mit dem Schidel — eine noch
ginzlich unzureichende. Von den urspriinglichen Tocosaurierahnen
ist Streptostylie zu fordern, und nur wenn diese Bedingung von
1) Gaupp (1894) nimmt an, daf bei den dizygocrotaphen Vor-
fahren der Lacertilier das Quadratum unbeweglich gewesen sel.
Meiner Ansicht nach diirfte ein maifiger Grad von Beweglichkeit des-
selben sich mit 2 lose angeordneten Temporalbogen vereinigen lassen.
2) Ich bin geneigt, die Acrosaurier den Rhynchocephaliern,
die Telerpetidae den Lacertiliern naiher zu stellen; andere Autoren
sind zum Teil anderer Ansicht. Zur Zeit verfiigen wir nicht iiber
ausreichende Kenntnisse, um diese Fragen zu entscheiden.
3) Hylonomus gehért méglicherweise nicht hierher, sondern zu
den Stegocephalen (p. 627).
674. Max Firbringer,
den angefiihrten oder von anderen noch aufzufindenden Reptilien
jener alten Schichten erfiillt wird, darf gesagt werden, daf wir
der Lésung dieser Aufgabe naher gekommen sind. Das alles bleibt
noch abzuwarten,
2. Theromorpha s. Theromora.
Die Subklasse der Theromorpha s. Theromora wird durch
die ausgeprigt monimostyle Ordnung der Theromorpha (Anomo-
dontia SEELEY) mit den vorliufigen Subordines der Therosuchia
und Therochelonia reprasentiert ‘) (verg]. VIII, p. 639—649); beide
werden von den Autoren auch zu dem héheren Range von Ordines
erhoben.
Die Theromorphen kennzeichnen sich gegeniiber den Toco-
sauriern durch ein gréferes Hervortreten specialistischer Ziige
auf iibrigens primitiver Basis. Als sehr alte, in den jiingeren
palaozoischen und den dlteren mesozoischen Schichten (Perm,
Karroo, untere und mittlere Trias) reich und in verschiedenen
Entwickelungsstufen vertretene Formen lassen sie eine sehr friihe
Abzweigung von dem primitiven Reptilienstamme, vermutlich
bereits in mittlerer paliozoischer Zeit (Karbon), voraussetzen und
haben sich von da aus kleineren, mit den primitivsten Tocosauriern
mannigfache Aehnlichkeiten darbietenden und noch ziemlich genera-
lisierten Typen successive zu meistens gréferen und massigeren
Specialisten entwickelt, welche infolge ihrer schwerfilligen und
erofenteils anpassungsunfaihigen Organisation friiher als die meisten
anderen Reptilienordnungen dem Kampfe um das Dasein unter-
lagen und bereits um die Mitte der Trias ihr Ende erreicht haben
mogen.
Mehr oder minder auffallende Parallelen im Habitus und
in der Bildung dieses oder jenes Skeletteiles haben verschiedene
Autoren dazu gefiihrt, eine Umbildung der Theromorphen, sei es
in die Chelonier, sei es in die Mammalier, oder wenigstens
speciellere genealogische Relationen zu den ersteren oder zu den
letzteren (Abstammung von gemeinsamen Stammeltern) anzunehmen.
Diese Anschauungen halten indessen einer eingehenderen kritischen
Betrachtung der gesamten Organisation dieser Tiere nicht stand,
indem eine Anzahl fundamentaler Differenzen das Bestehen wirk-
1) Die Stellung der Placodontia, sowie der Diadectidae (Cotylo-
sauria) erscheint hierbei noch zweifelhaft.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 675
licher na&herer Verwandtschaften der Theromorphen mit den
Cheloniern (p. 634 f.) oder den Séugetieren (p. 641 f.) ausschlieBt.
Die Aehnlichkeiten des Skelettes der Theromorpha mit demjenigen
der Mammalia, wie sehr sie zum Teil auch in die Augen fallen,
sind meines Erachtens doch nur als Parallel- oder Konvergenz-
Analogien aufzufassen, verwandtschaftliche Beziehungen der Thero-
morpha zu den Chelonia aber héchstens so weit anzunehmen, als
ein recht weit zuriickliegender Vorfahre Theromorphen und
Synaptosauriern (von denen die Chelonier eine specialisierte Ord-
nung bilden) Ursprung gab.
3. Synaptosauria.
Die Subklasse der Synaptosauria wird durch die ausgepriet
monimostylen Ordnungen der Mesosauria, Sauropterygia
(mit den Subordines der Nothosauria und Plesiosauria) und Che-
lonia gebildet. Die Mesosaurier stehen, wie sehr wahrscheinlich
ist, zu den Sauropterygiern und danach den Cheloniern‘) in
niheren verwandtschaftlichen Beziehungen, weshalb sie auch von
BouLENGER mit diesen zu einer héheren Ordnung vereinigt wurden ;
zugleich bieten sie auch gewisse genealogische Relationen zu
den primitiven Typen der Theromorphen dar und vermitteln
damit einen freieren Verband zwischen den Subklassen der Thero-
morpha und Synaptosauria. Man kann danach auch von einer
Subklasse Synaptosauria sensu latiori (von héherem Range)
sprechen, welche die Synaptosauria sensu strictiori (Mesosauria,
Sauropterygia, Chelonia) und die Theromorpha umfabt ?).
Aehnlich den Theromorphen erweisen sich die Synaptosaurier
(s. str.) im grofen und ganzen als Specialisten mit zahlreich er-
haltenen primitiven Ziigen. Ihr Stamm diirfte recht friih (Karbon ?)
in groBer Nahe zu den Theromorpha dem primitiven Reptilien-
stocke entsprossen sein und hat sich dann bald in seine Zweige
gesondert*). Die bisher nur in ganz sparlichen, kleinen Ver-
1) Es sei auf Eunotosaurus Sueiey hingewiesen (cf. p.653 Anm. 2).
2) Diese erweiterte Subclassis der Synaptosauria kénnte man
auch unter Benutzung eines von Howns, allerdings in anderer Aus-
dehnung, gebrauchten Namens als Bicoracoidalia bezeichnen,
da bei ihnen, soweit der Schultergiirtel genauer bekannt ist, das
Procoracoid dem Coracoid gegeniiber eine relativ grobe Selbstindig-
keit aufweist. Der Werth dieser Benennung ist kein grofer (ef. p. 524).
3) Die einstmalige Streptostylie der friihesten Vorfahren erhialt
auch hier durch die Ontogenese der Chelonier eine gewisse Grundlage.
676 Max Firbringer,
tretern aus dem Perm und Karroo bekannten Mesosaurier bilden
die altesten Synaptosaurier und waren, soweit unsere jetzige Kennt-
nis reicht, bereits am Anfange der mesozoischen Periode aus-
gestorben; die Sauropterygier erreichten in der mesozoischen Zeit
eine reiche, bis zu riesigen Formen ansteigende Entwickelung,
endeten aber vor dem Beginn der Tertiarzeit; die Chelonier sind
in sicher erkannten Resten, welche aber den Typus der Ordnung
bereits vollkommen ausgebildet zeigen und somit eine lange voraus-
gehende Entwickelungsperiode voraussetzen lassen, erst seit der
oberen Trias gefunden worden und haben sich in guter Entfaltung
bis zur Jetztzeit erhalten. Die Ursachen des Aussterbens der
Sauropterygier diirften die gleichen wie bei den Ichthyopterygiern
gewesen sein.
Die Mesosauria (vergl. VII, p. 638, 639) reprisentieren die
primitivsten Synaptosaurier und damit die fiir die genealogische
Erkenntnis wichtigste Abteilung derselben. Als kleine und sehr
alte Formen zeigen sie noch viele primitive und allgemeine Ziige,
die einerseits ihre Ankniipfung an primitive Tocosaurier (mit denen
sie auch von mehreren Autoren enger verkniipft worden sind)‘),
andererseits mit einiger Wahrscheinlichkeit eine Ableitung der
Sauropterygier und vielleicht auch der Chelonier von ihnen oder
richtiger von ihren Vorfahren gestatten. Aehnliches gilt méglicher-
weise auch fiir die Stellung der Theromorphen gegeniiber den
Mesosauriern. Doch verbietet die noch unzureichende Kenntnis
der Organisation der Mesosaurier eine wirkliche Begriindung dieser
Wahrscheinlichkeiten und Méglichkeiten.
Die Sauropterygia (vergl. VI, p. 635—638) haben sich, wie
seit langem mit guten Griinden angenommen, von urspriinglichen,
ziemlich kleinen, terrestren und vermutlich mesosaurier-ahnlichen
Vorfahren zu successive mehr und mehr dem Wasserleben an-
gepaften, an Gréfe und Halslange zunehmenden Formen ent-
wickelt. Ihre alteren Vertreter, die Nothosaurier, zeigen in ihrer
in der Hauptsache bereits recht specialisierten Organisation noch
manchen generellen Zug, ihre jiingeren Vertreter, die Plesio-
sauria, Sind ausgemachte und hochstehende, dabei in ihrer Bbliite-
zeit recht zahlreich entwickelte Specialisten. Nothosaurier und
Plesiosaurier bilden aber keine Entwickelungsreihe, sondern ziem-
lich divergente und voneinander unabhangige Zweige; eine direktere
1) Bavr’s Proganosauria (im grofen und ganzen mit den Pro-
gonosauria HancKe.’s tibereinstimmend).
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 677
Ableitung der letzteren von den ersteren wird durch die Organi-
sation beider nicht unterstiitzt. Manche Autoren haben dieser
genealoglschen Selbstindigkeit schon damit Ausdruck verliehen,
indem sie beide Subordines, mit guten Griinden, zum Range von
Ordines erhoben.
Die Chelonia (vergl. V, p. 630—635) bilden eine enger ge-
schlossene Abteilung, deren Organisation im allgemeinen auf eine
gemeinsame Wurzel mit den vorgenannten Ordnungen hinweist,
zugleich aber auch eine friihe Selbstandigkeit vor denselben tnd
einen ziemlich langen, ganz einseitig eingeschlagenen Entwickelungs-
gang wahrscheinlich macht. Ihre Halswirbelzahl entspricht, im
Gegensatz zu derjenigen der Mesosaurier und namentlich Sauropte-
rygier, derjenigen der Tocosaurier; ob damit ein primitives Ver-
halten oder eine Riickkehr zu demselben aus vorher wirbelreicherer
Cervicalregion durch eine rostralwirts gerichtete Riickwanderung
der vorderen Extremitaét gegeben ist (vergl. auch p. 633 Anm. 2),
diirfte noch zu entscheiden sein.
4, Archosauria.
Die Subklasse der Archosauria besteht aus den monimostylen
Ordnungen der Crocodilia (mit den SO. der Parasuchia, Pseudo-
suchia und Eusuchia), Dinosauria (mit den SO. der Theropoda,
Sauropoda und Orthopoda) und Patagiosauria, welche drei
Abteilungen von verschiedenen Autoren in noch mehr Ordines
gesondert werden 4).
Die Archosaurier dokumentieren sich, wie auch ihr Name be-
sagt, als die Fiirsten der Reptilien, als die am héchsten und
eréfkten entwickelten und am meisten specialisierten Typen der-
selben und weisen in ihrer Konfiguration nur noch wenige und
recht zuriicktretende urspriingliche Ziige auf. Ihre Ablésung vom
primitiven Reptilienstamme (vielleicht von alten Tocosauriern)
diirfte erst spiter als die der Theromorphen und Synaptosaurier
moglicherweise erst gegen das Ende der paliozoischen Periode
(alteres Perm?) erfolgt sein; doch handelt es sich hinsichtlich
dieser letzteren Annahme zunachst nur um Vermutungen, fiir welche
die Morphologie dieser Tiere einige Wahrscheinlichkeit giebt, welche
aber durch keine wirklichen Funde gestiitzt werden. Von den
1) Die Crocodilia in 2—3, die Dinosaurier gleichfalls in 2—3
selbstandige Ordnungen.
678 Max Firbringer,
Archosauriern ist wenig in der Jctztzeit tibrig geblieben. Die
Crocodilier, seit der oberen Trias bekannt, héchst wahrscheinlich
aber schon friiher ausgebildet, zeigen wihrend der ganzen darauf
folgenden mesozoischen Zeit eine gute und reiche Entwickelung,
um danach mehr und mehr abzunehmen, und existieren in der
Jetztzeit nur in einigen, auf dem Aussterbeetat stehenden Ver-
tretern. Dagegen sind die gleichfalls in der Sekundirzeit, nament-
lich in dem Jura und in der Kreide, in sehr zahlreichen, mannig-
faltig differenzierten und zum Teil riesigen Formen vertretenen
Dinosaurier mit dem Ende der Kreide ausgestorben, und dasselbe
gilt fiir die zur gleichen Zeit lebenden, wenn auch in geringerer
Zahl und GréfSe entwickelten Patagiosaurier. Die geringe An-
passungsfihigkeit dieser Tiere an neue Lebensbedingungen (nament-
lich bei dem Uebergange aus der Sekundarzeit in die Tertiarzeit)
infolge ihrer hohen und einseitig festgelegten Specialisation und ihre
schwere Stellung im Kampfe um das Dasein infolge ihres ansehn-
lichen, sehr exponierten und grofe Bediirfnisse erheischenden Kér-
pervolumens diirften namentlich ihr Aussterben beschleunigt haben.
Die héchsten Formen (Dinosaurier und Patagiosaurier) zeigen
in ihrem allgemeinen und speciellen Skelettbau mancherlei Aehn-
lichkeiten mit den streptostylen V6geln und mégen auch in
ihren Lebensgewohnheiten manches diesen Analoge zum Ausdruck
gebracht haben. Die daraufhin von vielen Autoren behauptete
nihere Verwandtschaft mit diesen resp. die Verbindung der Vogel
mit den Archosauriern zu der héheren Abteilung der Ornitho-
morpha oder Ornithocrania beruht aber meines Erachtens auf
einer zu grofen Wertschitzung dieser Aehnlichkeiten und einer
Unterschitzung der erheblichen Differenzen, welche die Végel und
diese Reptilien von einander scheiden. Auch hier vermag ich
nicht mehr als Parallel- oder Konvergenzanalogien der Végel mit
den Dinosauriern und Patagiosauriern anzunehmen (p. 655f., 660
Anm. 1, 666 f.)
Die Crocodilia (vergl. IX, p. 649—651) sind die tiefste
Abteilung der Archosauria und diirften sich am friihesten von dem
gemeinsamen Stamme derselben abgelést haben. Auch zeigen sie
eine recht divergente Entwickelung, die sich in der friihen Sonde-
rung ihrer 3 Subordines Parasuchia (Phytosauria), Pseudosuchia
(Aétosauria) und Eusuchia (Crocodilia vera) ausspricht. Manche
Autoren haben diese 3 Abteilungen resp. die eine oder andere
von ihnen darum auch mit guten Griinden zu mehr oder minder
selbstindigen Ordnungen erhoben. Die Monimostylie der Croco-
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 679
dilier ist eine sehr ausgedehnte, an die der Synaptosaurier er-
innernde; aber auch hier weisen die ontogenetischen Befunde mit
groBer Wahrscheinlichkeit auf eine einstmalige Streptostylie hin.
Hoéher als die Crocodilia stehen die Dinosauria (vergl. X,
p. 651— 660); gleich diesen sind sie auch in grofer Mannigfaltig-
keit und Divergenz entwickelt, so da8 sie von relativ einfacher ge-
bildeten, den Crocodiliern noch na&her kommenden bis hinauf zu
hoch organisierten und specialisierten Typen eine reiche Zahl von
Formen aufweisen. Auch sie sind von verschiedenen Untersuchern,
gleichfalls nicht ohne gute Griinde, in 2 (Saurischia und Ornithischia)
oder 3 Ordnungen (Megalosauria, Cetiosauria und Iguanodontia)
gesondert worden; doch bin ich geneigt, diese Divergenz als eine
erst spiter, mit der reichen Entfaltung der Ordnung in Erscheinung
getretene aufzufassen und eine gemeinsame Wurzel fiir alle Dino-
saurier anzunehmen, somit die 2 bis 3 genannten Abteilungen
nur als in sehr pragnantem Mage zur Entfaltung gekommene
Subordines zu unterscheiden. In den bipeden, oft eine hoch-
gradige Pneumatisierung ihres Skelettes aufweisenden, Formen ge-
langt der Dinosaurier-Typus zur héchsten Entwickelung. Auch ver-
bindet sich hiermit, gegeniiber den in vielen Stiicken massiger ge-
bauten Crocodiliern und tieferen Vertretern der Dinosaurier, eine
successive zunehmende schlankere Gestaltung des Skelettes, die
sich unter anderem auch in einer minder ausgedehnten Monimo-
stylie des nur noch in seinem proximalen Abschnitte vom Schadel
umschlossenen Quadratum ausspricht.
Die Patagiosauria (vergl. XI, p. 660—668) reprasentieren
eine weit enger als die Crocodilier oder Dinosaurier geschlossene
Ordnung der Archosaurier und zugleich die am héchsten und am
eigenartigsten entwickelten Specialisten derselben. Vermutlich von
dinosaurier-ahnlichen bipeden Vorfahren von geringem Ké6rper-
volumen mégen sich diese Formen unter hoher und ganz einseitiger
Ausbildung ihrer vorderen Extremitait zur Flugfihigkeit, ungefahr
nach Art der Fledermiuse, entwickelt haben. In dieser Bewegungs-
art liegt auch der Grund, daf ihre GréBe, wenn auch bei den
Patagiosauriern der Kreide zum Teil ein recht ansehnliches Maf
erreichend, im grofien und ganzen doch innerhalb mabiger Dimen-
sionen blieb, denn auch die héchste Pneumaticitat wiirde nicht
gentigt haben, einen sehr grofen Korper fiir das Flugleben ge-
schickt zu machen. Mit dieser Fahigkeit verband sich eine weitere
Gracilisierung und Pneumatisierung des Skelettes, die unter
Anderem auch in der Beschrankung der Monimostylie ihres Qua-
Bd, XXXIV, N, F, XXVI. 4A
680 Max Firbringer,
dratum auf dessen proximales Ende zum Ausdruck kam; wie
schlank aber auch das Quadratum und wie wenig ausgedehnt seine
Verbindungsflache mit dem Kranium sich gestaltete, so ist es doch
nicht zu einer sekundaren Ablésung von dem Schadel mit Gelenk-
bildung (Deuterostreptostylie) gelangt. Wie in diesem Punkte
zeigen die Patagiosaurier in vielen anderen noch weit pragnanteren
eine vollkommene Verschiedenheit von den Végeln.
Aus diesen und den weiter oben gegebenen Darlegungen
resultiert, daf ich die Klasse der Reptilien mit ihren 4 (resp. 3)
Subklassen von den Klassen der Végel und der Saugetiere ab-
erenzen muf und nicht in der Lage bin, speciellere Verwandt-
schaften der Archosaurier mit den Végeln oder der Theromorphen
mit den Saéugetieren anzunehmen.
Die streptostylen Aves sind meines Erachtens nicht von
den monimostylen Archosauriern abzuleiten, sondern bilden einen
selbstindigen Stamm, der sich in sehr friiher Zeit (wohl im Karbon)
mit dem den Reptilien Ursprung gebenden Stamme von der ge-
meinsamen Wurzel abzweigte und im Laufe der Zeit zu einer
noch héheren Entwickelung, als sie die héchsten Archosaurier
aufweisen, gelangte. Die gemeinsamen, realiter noch unbekannten,
aber vermutlich nach Art primitivster streptostyler Tocosaurier
organisierten Vorfahren der Reptilien mégen mit dem lingst in
der Wissenschaft eingebiirgerten Namen Proreptilia, die Vor-
fahren der Végel in entsprechender Weise als Proaves und die
gemeinsamen Stammeltern beider als Prosauropsida bezeichnet
werden '). Alle diese waren kleine, streptostyle, tocosaurier-ahnliche
Tiere, deren eventuelle (im Vorhergehenden an verschiedenen Stellen
angedeutete) sonstige Organisation mit Hilfe morphologischer Er-
wigungen als mehr oder minder wahrscheinlich konstruiert werden
kann, deren reale Existenz aber bisher noch durch keinen pali-
ontologischen Fund erwiesen worden ist.
Noch tiefer gehend (vielleicht zum untersten Karbon, wenn nicht
zum obersten Devon) gelangt die Hypothesen machende Genealogie
1) Selbstverstandlich wird mit allen diesen Namen fiir hypo-
thetische Tiere nicht das Mindeste priatendiert. Sie sollen lediglich
vorliufige Begriffe fiir eine konstruierte Organisation vorstellen, die
erst mit hinreichend erkannten, sie deckenden palaontologischen
Funden Wesenheit gewinnen werden.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 681
zu den gemeinsamen Ahnen der Vorfahren der Sauropsiden und
der Saugetiere, d. h. der Prosauropsida und Promammalia.
Diese waren ebenfalls kleine primitive Streptostylier, von einer
Organisation, die noch nicht zum reptilen Typus gelangt war;
sie kénnen darum auch nicht mit dem von anderen Autoren vor-
geschlagenen Namen Sauro-Mammalia bezeichnet werden, sondern
miissen — so verlangt es die genauere Kenntnis des morphologischen
Baues der Saugetiere — tiefer stehende streptostyle Tiere von
der Organisationsstufe der Amphibien, also streptostyle Am-
phibia, gewesen sein. Von solchen streptostylen Amphibien ist
aber bisher nicht der geringste reale Rest bekannt geworden, denn
alle Amphibien, die wir aus altester bis in die neueste Zeit genauer
kennen, besitzen monimostyle Quadrata. Diese monimostylen
Amphibia sind aber nicht die urspriinglichen Amphibien, sondern
reprasentieren nur Seitenzweige, die von streptostylen, mit einer
mafigen Panzerung resp. mit einer losen Schuppenbekleidung ver-
sehenen Amphibien abzuleiten sind. Diese Annahme ist keine
fiktive, sondern erhalt von der Anatomie und Ontogenie der
lebenden Amphibien die hinreichenden Unterlagen. Es ist sonach
mit gutem Grunde zu postulieren, da streptostyle Prosauropsida,
streptostyle Promammalia und monimostyle Amphibia von kleinen
streptostylen amphibienartigen Vorfahren entstammten, die als
die gemeinsamen Vorfahren aller dieser VierfiiBer als Pro-
amphibia oder Protetrapoda_ bezeichnet werden médgen.
Fiir diese versagt, wie bereits hervorgehoben, unsere bisherige
paliontologische Kenntnis gleichfalls vollkommen. Ob _ ihnen
aihnelnde Reste noch unter den nur fragmentarisch bekannten
lepospondylen Stegocephaliern resp. Microsauriern als Relikten
iibergeblieben sein mégen, ob wir ihre Existenz nur in friiheren
Schichten (Devon, altestes Karbon) erwarten diirfen, ob wir tiber-
haupt jemals etwas Konkretes von ihnen kennen lernen werden,
ist jetzt nicht zu sagen. Die teilweise Knorpelstruktur der
hierfiir als wichtigste Instanzen in Frage kommenden Skelettteile
giebt leider recht wenig Hoffnung, daf reelle Funde diesen
Hypothesen den kérperlichen, jedes Auge tiberzeugenden Riickhalt
geben werden.
Daf die Proamphibia s. Protetrapoda schlieSlich, durch ver-
schiedene Zwischenstadien hindurch, auf nach primitivem Se-
lachier-Typus gebaute Vorfahren (bei denen aber das primitive
Pterygium noch nicht zum Ichthyopterygium entwickelt, sondern
noch yon indifferenter, auch der Ausbildung eines Cheiropterygium
44*
682 Max Firbringer,
Moéglichkeit gebender Struktur war) zuriickzufiihren sind, ist
morphologisches Postulat, hier aber nicht im Detail zu verfolgen.
Es fallt nicht schwer, die in diesem und den vorhergehenden
Abschnitten gegebenen Ausfiihrungen in der Form eines kérper-
lichen Stammbaumes graphisch oder stereoskopisch darzustellen
und damit besonders anschaulich zur Darstellung zu bringen. Bei
dem jetzigen Stande unserer Erkenntnis verzichte ich darauf.
Die trotz grofer und erfolgreicher Arbeit hervorragender Forscher
doch noch bestehende erhebliche Liickenhaftigkeit unserer palii-
ontologischen Kenntnisse, welche neben vielen gesicherten That-
sachen noch zahlreichen Hypothesen und Vermutungen Raum
gewihrt, wiirde in das Bild des Stammbaumes noch allzu viele
Fragezeichen, unterbrochene Linien und Unklarheiten bringen. Ein
solcher Stammbaum kénnte nur ein kurzes Leben haben.
Mége es den von Jahr zu Jahr sich mehrenden paliontologi-
schen Funden im Verband mit vergleichender Anatomie und
Ontogenie gelingen, allmiahlich jene breite und gesicherte Kenntnis
herbeizufiihren, welche eine klare und genaue Ausarbeitung im
grofen und im kleinen gestattet und dem kritisierenden, eine
heilsame Auslese haltenden Einflusse der Zeit einen Bestand von
Dauer entgegenzusetzen vermag!
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 683
Genauere Nachweise zu den Textfiguren und Erklirung
der Tafeln').
Textfiguren.,
Fig. 1. Brustschulterapparat von Iguana tuberculata. Ventral-
ansicht, laterale Teile (Scapula, Suprascapulare etc.) auf die Ventral-
flache projiziert. Grdfeverhaltnis 4. Nach W. K. Parker, Mono-
graph on the Structure and Development of the Shoulder-Girdle
and Sternum. London 1868. Combination von Plate IX, Fig. 1
und 2.
Fig. 2. Brustschulterapparat von Hemidactylus sp. juv. 4.
Nach W. K. Parker, Monograph etc. Pl. XIII, Fig. 1.
Fig. 3. Brustschulterapparat von Heloderma suspectum. 3.
Nach R. W. Sxurenpt, Contributions to the Study of Heloderma
suspectum. Proc. Zool. Soc. London, 1890, Pl. XVIII, Fig. 5.
Fig. 4. Brustschulterapparat von Gerrhonotus imbricatus. Nach
Fr. Stepenrock, Zur Kenntnis des Rumpfskelettes der Scincoiden,
Anguiden und Gerrhosauriden. Annal. d. K. K. naturhist. Hof-
museums X, Wien 1895, Taf. III, Fig. 1.
Fig. 5. Brustschulterapparat von Varanus bengalensis (Monitor
dracaena) juv. 2. Nach W. K. Parxer, Monograph etc. Pl. X,
Fig. 10 und nach der Natur.
Fig. 6. Brustschulterapparat von Zonosaurus ornatus. Nach
Fr. Sresenrocr, Zur Kenntnis des Rumpfskelettes der Scincoiden etc.
Wien 1895, Taf. IIL, Fig. 7.
Fig. 7. Brustschulterapparat von Iguana tuberculata. $ =
Bioved.
Fig. 8. Brustschulterapparat von Phrynosoma cornutum. 2.
Nach der Natur.
Fig. 9. Brustschulterapparat von Gerrhonotus imbricatus =
Fig. 4.
Fig. 10. Clavicula, Sternum und Episternum von Zonurus cor-
dylus. 4+. Nach der Natur.
1) Fiir die Herstellung der Textfiguren und die Verbesserung
meiner Zeichnungen zu den Tafelfiguren bin ich Herrn Lithograph
Avotr GiurscH in Jena zum lebhaftesten Danke verptlichtet.
684 Max Fiirbringer,
Fig. 11. Brustschulterapparat von Heloderma suspectum. 3
==) Wigeeah.
Fig. 12. Clavicula, Sternum und Episternum von Agama atra.
Nach Fr. Siepenrock, Das Skelett der Agamidae. Sitzungsber. d.
K. Akad. d. Wiss. zu Wien, math.- nat. Kl]. CIV, 1. Abt. 1895,
Taf. V, Fig. 33.
Fig. 13. Brustschulterapparat von Varanus bengalensis juv.
9 — Fig. 5.
5
Fig. 14. Clavicula und Episternum von Laemanctus longipes.
Nach W. K. Parker, Monograph of the Shoulder-Girdle and
Sternum. London 1868, Pl. [X, Fig. 8.
Fig. 15. Brustschulterapparat von Tiliqua (Cyclodus) nigrolutea.
8. Nach W. K. Parker, Monograph etc. Combination von Pl. X,
Fig. 1 und 2.
Fig. 16. Clavicula und Episternum von Mabuia multifasciata.
Nach Fr. Srepenrocx, Zur Kenntnis des Rumpfskelettes der Scin-
coiden etc. Wien 1895, Taf. ITI, Fig. 11.
Fig. 17. Brustschulterapparat von Hemidactylus sp. juv.
— Fig. 2.
Fig. 18. Clavicula und Episternum von Trachysaurus rugosus.
2, Nach W. K. Parker, Monograph etc. London 1868, Pl. X,
Fig. 4.
Fig. 19. Brustschulterapparat von Zonosaurus ornatus = Fig. 6.
Fig. 20. Brustschulterapparat von Lacerta simonyi. Nach Fr.
Sispenrock, Das Skelett der Lacerta Simonyi Steind. und der
Lacertidenfamilie tiberhaupt. Sitzungsber. d. K. Akad. der Wiss.
zu Wien, math.-nat. Kl. CIII, 1. Abt., Wien 1894, Taf. IV, Fig. 24.
Fig. 21. Brustschulterapparat von Lacerta simonyi = Fig. 20.
Fig. 22. Brustschulterapparat von Zonosaurus ornatus = Fig. 6.
Fig. 23. Brustschulterapparat von Phrynosoma cornutum.
= Wig. 8.
Fig. 24. Clavicula, Sternum und Episternum von Agama stellio
(Stellio cordylinus). 4. Nach W. K. Parker, Monograph ete.,
London 1868, Taf. XI, Fig. 2.
Fig. 25. Clavicula, Sternum und Episternum von Agama atra
eamiipl ogee
Fig. 26. Brustschulterapparat von Varanus bengalensis juv.
2 = Fig. 5.
Fig. 27. Clavicula und Episternum von Mabuia multifasciata
—— Hig. io,
Fig. 28. Brustschulterapparat von Tuiliqua (Cyclodus) nigro-
lutea. & = Fig. 15.
Fig. 29. Clavicula und Episternum von Trachysaurus rugosus.
7 == Migs 18.
Fig. 30. Brustschulterapparat von Hemidactylus sp. juv. +
Lo 2,
Fig. 31. Clavicula, Sternum und Episternum von Zonurus cor-
dylus.! ==. Wig..10:
ND
Q
5
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 685
Fig. 32. Clavicula, Sternum und Episternum von Goniocephalus
kuhlii. Nach Fr. Sresenrock, Das Skelett der Agamidae. Sitzungsber.
d. K. Akad. d. Wiss. zu Wien, math.-nat. Kl. CIV, 1. Abt., Wien
1895, Taf. V, Fig.31.
Fig. 33. Clavicula, Sternum und Episternum von Lyriocephalus
scutatus. Nach Fr. Srepenrocx, Das Skelett der Agamidae, Wien
1895, Taf. V, Fig. 35.
Fig. 34. Clavicula, Sternum und Episternum von Liolepis
belli. Nach Fr. Srepenrocx, Das Skelett der Agamidae, Wien
1895, Taf. V, Fig. 36.
Fig. 35. Clavicula, Sternum und KEpisternum von Moloch
horridus. Nach Fr. Srrpenrocx, Das Skelett der Agamidae, Wien
1895)-Taf. TV, Figs 27.
Fig. 36. Clavicula, Sternum und Episternum von Agama stellio
—— Fig. 24.
Fig. 37. Brustschulterapparat von Phrynosoma cornutum. 3 =
Fig. 8.
Fig. 38. Brustschulterapparat von Heloderma suspectum. +}
== Fig. 3.
Fig. 39. Brustschulterapparat und erste Bauchrippen von Uro-
plates fimbriatus. 3. Teils nach Fr. Srmppnrocx, Das Skelett von
Uroplates fimbriatus Schneid. Annal. d. k. k. naturh. Hofmuseums
VII. Wien 1893. Kombination der Textfiguren auf p. 531 und 533,
teils nach der Natur.
Fig. 40. Linker Humerus von Varanus niloticus. Ventral-
ansicht. 2. Nach der Natur.
Fig. 41. Brustschulterapparat von Chirotes canaliculatus. 7.
Nach W. K. Parker, Monograph of the Shoulder-Girdle and Ster-
num. London 1868. Kombination von Pl. VIII, Fig. 8 und 9.
Fig. 42. Brustschulterapparat und erste Bauchrippen von
Brookesia superciliaris. 4. Teils nach Fr. Stesenrocrk, Das Skelett
von Brookesia superciliaris. Sitzungsber. d. K. Akad. d. Wiss. zu
Wien, math.-nat. Kl. CII, 1. Abt., Wien 1893, Taf. III, Fig. 19,
teils nach der Natur.
Fig. 43. Brustschulterapparat und erste Bauchrippen von Uro-
plates fimbriatus. 3 = Fig. 39.
Fig. 44. Clavicula und Episternum von Carsosaurus marche-
settii. 4. Nach A. Kornuvuser, Carsosaurus Marchesettii, ein neuer
fossiler Lacertilier aus den Kreideschichten des Karstes bei Komen.
Abh. K. K. Geolog. Reichsanst., XVII, 3. Wien 1893. Taf. IT.
Fig. 45. Brustschulterapparat von Varanus bengalensis Juv.
2 = Fig. 5.
Fig. 46. Knécherne Teile des Brustschulterapparates von Cli-
dastes dispar. Frei nach O. C. Marsu, New Characters of Mosa-
sauroid Reptiles. Amer. Journ. Sc. XIX. New Haven 1880.
Pl. I, Fig. 1. Stellung des Schultergiirtels verindert.
Fig. 47. Knécherne Teile des Schultergiirtels von Clidastes
westiil. 34. Nach S. W. Winuisron and E. C. Case, Kansas Mosa-
saurs. Kansas Univers. Quart. I. 1892/93. Lawrence 1893, Pl. IV.
686 Max Fiirbringer,
Fig. 48. Linker Humerus von Clidastes westii. Ventralansicht.
t. Nach 8S. W. Wivutsron and E. C. Casr, Kansas Mosasaurs.
Ibidem 1893, Pl. IV.
Fig. 49. Schultergiirtel von Telerpeton elginense. 4. Nach
T. H. Huxiny, On a New Specimen of Telerpeton Elginense.
Quart. Journ. Geol. Soc. XXIII, London 1866/67, p. 78, D.
Fig. 50. Brustschulterapparat von Sphenodon punctatus. 4.
Nach der Natur.
Fig. 51. Linker Humerus von Sphenodon punctatus. Ventral-
ansicht. +. Nach der Natur.
Fig. 52. Linker Humerus von Sphenodon punctatus. Lateral-
ansicht. +. Nach der Natur.
Fig. 53. Brustschulterapparat und Humerus von Palaeohatteria
longicaudata. In einer Ebene ausgebreitet. #. Nach H. Crepner,
Die Stegocephalen und Saurier aus dem Rotliegenden des Plauen-
schen Grundes bei Dresden. VII. Palaeohatteria longicaudata Cred.
Zeitschr. d. Deutsch. Geolog. Ges. XL. SBerlin 1888, p. 517
(Canalis n. mediani eingezeichnet).
Fig. 54. Clavicula und Episternum von Proterosaurus speneri,
Freiberger Exemplar. 3. Nach H. Crepner, Ibidem. Berlin 1888,
p- 520.
Fig. 55. Linker Humerus von Proterosaurus speneri (verletzt).
Ventralansicht. #3. Nach H. v. Meyer, Zur Fauna der Vorwelt.
III. Die Saurier aus dem Kupferschiefer der Zechsteinformation.
Frankfurt a. M. 1856, Taf. II, Fig. 1.
Fig. 56. Clavicula und Episternum von Champsosaurus. 1.
Nach L. Dotto, Premiére note sur le Simoedosaurien d’Erquelinnes.
Bull. Mus. Royal d’Hist. nat. de Belgique. II]. Bruxelles 1884,
Pl) Exo Hig. 219.
Fig. 57. Linker Humerus von Champsosaurus. Dorsalansicht.
2, Nach L. Dotno, Ibidem. Bruxelles 1884, Pl. IX, Fig. 3.
Fig. 58. Knochenteile des Coracoides und der Scapula von
Pleurosaurus minor Wagn. sp. #. Frei nach W. Damrs, Beitrag
zur Kenntnis der Gattung Pleurosaurus H. vy. Meyer. Sitzungsber.
d. K. Preug. Akad. d. Wiss. zu Berlin, 1896, Taf. XII, Fig. 3.
(Gegenseitige Lage von Coracoid und Scapula verandert.)
Fig. 59. Clavicula und Episternum von Pleurosaurus Gold-
fussi H. v. Mryer var. minor. (Haarlemer Exemplar.) 4. Nach
Dames, Ibidem. Berlin 1896, Taf. XII, Fig. 2.
Fig. 60. Linker Humerus von Pleurosaurus minor. Ventral-
ansicht. 3. Nach Damus, Ibidem. Berlin 1896, Taf. XII, Fig. 3.
Fig. 61. Episternum von Palaeohatteria longicaudata. 4+. Nach
H. Crepner, Die Stegocephalen etc. VII. Palaeohatteria longi-
caudata Crep. Zeitschr. d. Deutschen Geol. Ges. XL. Berlin 1888.
Aus Tafyeex Vi5Hig, 1.
Fig. 62. Episternum von Petrobates truncatus. 3. Nach H.
Crepner, Die Stegocephalen etc. IX. Hylonomus Geinitzi Crep.,
Petrobates truncatus Crep., Discosaurus permianus Crep., Ibidem
XLII. Berlin 1890. Kombination aus Taf. X, Fig. 3 und Fig. 6.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 687
Fig. 63. Episternum von Hylonomus geinitzi. 4. Nach H.
Crepner, Ibidem. Berlin 1890. Kombination Taf. IX, Fig. 3 und
Fig. 9.
Fig. 64. Linker primiarer Schultergirtel von Crocodilus ameri-
canus. lLateralansicht; Coracoid auf die Lateralflache projiziert.
4. Nach der Natur.
Fig. 65. Brustschulterapparat von Caiman sclerops. 4. Teils
nach C. B. Briurt, Das Skelett der Krokodilinen. Wien 1862,
Taf. IV, Fig. 1, teils nach der Natur.
Fig. 66. Linker Humerus von Alligator mississippiensis juv.
Ventralansicht. 3. Nach der Natur.
Fig. 67. Linker primarer Schultergiirtel von Phytosaurus
plieningeri. Lateralansicht. ~;. Kombination nach H. v. Meyer,
Reptilien aus dem Stubensandstein des oberen Keupers. I. II. Pa-
laeontographica VII. Cassel 1859—61, Taf. XXXV, Fig. 2 (Sca-
pula) und III. Palaeontogr. XIV. Cassel 1865—66, Taf. X XVII,
Fig. 10 (Coracoid).
Fig. 68. Linker Humerus und Phytosaurus plieningeri. Ven-
tralansicht. +. Nach H. v. Meyer, Ibidem. Palaeontogr. VII.
Cassel 1859—61, Taf. XL, Fig. 2.
Fig. 69. Unteres Ende des linken Humerus von Phytosaurus
plieningeri. Dorsalansicht. 4. Nach H. v. Meyer, Ibidem, Taf. XL,
Fig. 1 zum Teil.
Fig. 70. Linker Schultergiirtel von Erpetosuchus granti. Late-
ralansicht. +. Nach EK. T. Newron, Reptiles from the Elgin Sand-
stone. Phil. Trans. Vol. CLXXXV, B. London 1893/94, Pl. LIT,
Fig. 9.
Fig. 71. Episternum von Erpetosuchus granti. Dorsalansicht.
1, Nach E. T. Newton, Ibidem. London 1893/94, Pl. LITI, Fig. 14.
Fig. 72. Linker Humerus von Erpetosuchus granti. Ventral-
ansicht. 1. Nach E. T, Newton, Ibidem. London 1893/94, Pl. LIII,
Fig. 10.
Fig. 73. Episternum von Aétosaurus ferratus. +. Nach A.
Fraas, Aétosaurus ferratus Fr., die gepanzerte Vogel-Echse aus
dem Stubensandstein bei Stuttgart. Stuttgart 1877, Taf. III, Fig. 5.
Fig. 74. Brustschulterapparat von Ophthalmosaurus icenicus.
Ventralansicht (dorsale Grenze von Clavicula und Episternum mit
Punktlinie eingezeichnet). Gré8e der Originalabbildung. Kom-
bination nach H. G. Sexnny, Further Observations on the Shoulder
Girdle and Clavicular Arch. in the Ichthyosauria and Sauropterygia.
Proc. Roy. Soc. LIV, London 1893/94, p. 151.
Fig. 75. Linker Humerus von Ichthyosaurus intermedius (?).
Ventralansicht (?). Aus R. LypexKer, Catalogue of the Fossil
Reptilia and Amphibia in the British Museum (Natural History).
Part IZ. London 1889, Fig. 24 (p. 60).
Fig. 76—%78. Brustschulterapparat und vorderer Teil des
Plastron von Chelone mydas juv. Dorsalansicht. ?. Nach W. K.
Parker, Monograph of the Shoulder Girdle and Sternum. London
1868, Pl. XII, Fig: £
688 Max Firbringer,
Fig. 79. Linker Humerus von Testudo. Ventralansicht. Nach
L. Dotio, Premiére note sur les Chéloniens oligocénes et néogénes
de la Belgique. Bull. Mus. Roy. d’Hist. nat. d. Belgique V.
Bruxelles 1888, Pl. IV, Fig. 5.
Fig. 80. Linker Humerus von Trionyx. Ventralansicht. Nach
L. Dotto, Ibidem. Bruxelles 1888, Pl. IV, Fig. 4.
Fig. 81. Linker Humerus von Chelone. Ventralansicht. Nach
L. Dotto, Ibidem. Bruxelles 1888, Pl. IV, Fig. 3.
Fig. 82. Linker Humerus von Dermochelys (Sphargis). Ventral-
ansicht. Nach L. Dotto, Ibidem. Bruxelles 1888, Pl. IV, Fig. 2.
Fig. 83. Brustschulterapparat von Lariosaurus balsami. Ventral-
ansicht. 3. Nach W. Drrcxe, Ueber Lariosaurus und einige
andere Saurier der lombardischen Trias. Zeitschr. d. Deutsch.
Geolog. Ges., XXXVIII. Berlin 1886.
Fig. 84. Brustschulterapparat von Nothosaurus mirabilis.
Dorsalansicht. +. Nach H. v. Meyer, Zur Fauna der Vorwelt.
II. Die Saurier des Muschelkalkes. Frankfurt a. M. 1847—52,
Tal, XXL) igs:
Fig. 85. Desgl. Ventralansicht des vorderen mittleren Teiles.
+, Nach H. v. Meyer, Ibidem. Frankfurt a. M. 1847—52,
Daf, OX TV, Wiis. 02:
Fig. 86. Linker Humerus von Conchiosaurus clavatus (?).
Ventralansicht. Nach H. v. Mrynr, Beitrage zur Petrefactenkunde.
Museum Senckenbergianum, I, 1. Frankfurt 1833. Kopiert in R.
LyprKKer, Catalogue of the Fossil Reptilia etc. II. London 1889,
Fig. 84 (p. 296). Spiegelbild der dortigen Abbildung.
Fig. 87. Linker Humerus von Nothosaurus sp. Ventralansicht.
!| Nach H. v. Meynr, Die Saurier des Muschelkalkes. Frank-
furt a. M. 1847—52, Taf. XLV, Fig. 1b.
Fig. 88. Brustschulterapparat von Pliosaurus planus X evansi
(kombinatorische Abbildung LyprKKer’s von PI. planus [Scapula] und
Pl. evansi {[Coracoid]). Ventralansicht. Nach R. LypexKer, Catalogue
of Fossil Reptilia etc. II. London 1889, Fig. 36 (p. 122).
Fig. 89. Brustschulterapparat von Plesiosaurus hawkinsi.
Ventralansicht. Nach R. Lyprxxsr, Ibidem, II. London 1889,
Fig. 77 (p. 251).
Fig. 90. Brustschulterapparat von Cryptoclidus oxoniensis.
Ventralansicht. ,. Frei nach einer von C. W. AnprREews, On the
Development of the Shoulder Girdle of Plesiosaur (Cryptoclidus
oxoniensis) from the Oxford Clay. Ann. Mag. Nat. Hist. (6) XV,
London 1895, p. 336 gegebenen Dorsalansicht.
Fig. 91—93. Entwickelungsstadien des Brustschulterapparates
von Cryptoclidus oxoniensis. Dorsalansichten. ;4. Frei nach C.
W. Anprews, Ibidem. London 1895, p. 343 (Fig. 91), p. 341
(Fig. 92) und p. 336 (Fig. 93).
Fig. 94. Clavicula und Episternum von Plesiosaurus arcuatus.
Ventralansicht. + der Originalabbildung. Nach H. G. Sesney, The
Nature of the Shoulder Girdle and Clavicular Arch in Sauropterygia.
Proc. Roy. Soc. LI, London 1892/93, p. 129.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 689
Fig. 95. Clavicula und Episternum von Muraenosaurus platy-
clis. 4 der Originalabbildung. Nach H. G. Ser.ey, Ibidem. London
1892/93, p. 140.
Fig. 96. Brustschulterapparat von Pliosaurus planus X evansi.
Ventralansicht = Fig. 88.
Fig. 97. Brustschulterapparat von Plesiosaurus hawkinsi.
Ventralansicht = Fig. 89.
Fig. 98. Brustschulterapparat von Cryptoclidus oxoniensis.
Ventralansicht —= Fig. 90.
Fig. 99. Linker Humerus von Cimoliosaurus cf. trochantericus.
Ventralansicht. Nach Hurxe. Kopie aus R. Lypexxer, Catalogue of
Fossil Reptilia etc. II. London 1889, Fig. 62 (p. 198). Spiegelbild.
Fig. 100. Linker Humerus von Cimoliosaurus eurymerus.
Nach R. Lyprexxer, Ibidem. II. London 1889, Fig. 66 (p. 205).
Spiegelbild.
Fig. 101. Brustschulterapparat von Mesosaurus ~ tenuidens.
Ventralansicht. 4. Frei nach H. G. Serney, The Mesosauria of
South Africa. Quart. Journ. Geolog. Soc, XULVIII, Proc. London
1892. Kombination von Textfigur Fig. 5 (p. 601) und Pl. XVIII,
Bee 5,
Fig. 102. Linker Humerus von Mesosaurus tenuidens. Verletzt.
Ventralansicht. 3. Nach H. G. Sexenny, Ibidem. London 1892,
Pl. XVIII, Fig. 5. Spiegelbild.
Fig. 103. Brustschulterapparat von Procolophon trigoniceps.
Ventralansicht. 5. Frei nach H. G. Srerzy, Researches on the
Structure, Organization, and Classification of the Fossil Reptilia.
VI. On the Anomodont Reptilia and their Allies. Phil. Trans.,
Vol. CLXXX, B. London 1888/89, Pl. IX, Fig. 9.
Fig. 104 und 105. Fragment des Brustschulterapparates von
Pareiasaurus bombidens. Linke Seite. Ventralansicht (Fig. 104)
und Durchschnitt von Clavicula und Episternum (Fig. 105). Frei
nach H. G. Supney, Researches ete. II. On Pareiasaurus bombidens
(Owen) etc. Phil. Trans., Vol. CLXXIX, B. London 1887/88, Pl. XX,
Fig. 2 und Fig. 3.
Fig. 106. Restauration des Brustschulterapparates von Pareia-
saurus baini. Nach H. G. Suerey, Further Observations on the
Shoulder Girdle and Clavicular Arch in the Ichthyosauria and
Sauropterygia. Proc. Roy. Soc. LIV, London 1893/94, Fig. 2
(p. 153).
Fig. 107. Restauration des linken primiren Schultergiirtels
von Deuterosaurus. Lateralansicht. Nach H. G. Szrney, Researches
etc. VIII. Further Evidences of the Skeleton in Deuterosaurus and
Rhopalodon, from the Permian Rocks of Russia. Phil. Trans.,
Vol. CLXXXV, II. London 1893/95, p. 666.
Fig. 108. Restauration des linken primaren Schultergiirtels
von Rhopalodon. Lateralansicht. Nach H. G. Srsxrey, Ibidem,
VIII. London 1893/95, p. 703.
Fig. 109 und 110. Linker primarer Schultergiirtel von Cy-
nognathus crateronotus. Ansicht von vorn (Fig. 109) und von der
690 Max Fiirbringer,
Seite (Fig. 110). 3. Nach H. G. Smeney, Researches etc. IX, 5.
On the Skeleton in new Cynodontia from the Karroo Rocks. Phil.
Trans., Vol. CLXXXVI, I. B. London 1894/95. Textfiguren auf
p- 93.
Fig. 111. Linke Scapula von Gordonia huxleyana. Lateral-
ansicht. $. Nach E. T. Newton, Reptiles from the Elgin Sand-
stone. Phil. Trans., Vol. CLXXXV, B.I. London 1893/94, Pl. XXX,
Fig. 7. Spiegelbild.
Fig. 112. Clavicula (?) von Gordonia huxleyana. 4. Nach E.
T. Newron, Ibidem. London 1893/94, Pl. XXX, Fig. 4.
Fig. 113. Linker primarer Schultergiirtel eines Dicynodonten
(Ptychosiagum?). 4. Nach R. Lypexxer, Catalogue of Fossil
Reptilia etc. IV. London 1890, Fig. 2 (p. 16). Spiegelbild.
Fig. 114. Restauration des Brustschulterapparates von Keiro-
gnathus cordylus. Dorsalansicht. 4 der Originalabbildung. Nach
H. G. Sretey, Researches etc. V. On associated Bones of a small
Anomodont Reptile, Keirognathus cordylus (Smeiey) etc. Phil.
Trans., Vol. CLX XIX, B. London 1888. Textfigur 2 (p. 494).
Fig. 115. Linker Humerus von Gomphognathus. Ventral-
ansicht. 2. Nach H. G. Snurny, Researches etc. IX, 4. On the
Gomphodontia. Phil. Trans., Vol. CLXXXVI, I, B. London 1894/95.
Textfigur 13 (p. 29). Spiegelbild.
Fig. 116. Linker Humerus von Cynodraco. Ventralansicht.
Nach R. Owen. Aus L. Dotto, Premiére note sur le Simoedosaurien
@Erquelinnes. Bull. Mus. Royal d’Hist. nat. de Belgique. III.
Bruxelles 1884, Pl. IX, Fig. 8. Freie Nachbildung der Original-
abbildung. 4.
Fig. 117. Linker Humerus von Platypodosaurus robustus.
Nach R. Owrmn. Aus K. A. Zirrer, Handbuch der Palaontologie
I. Palaozoologie. III. Miinchen und Leipzig 1887—1890. Textfigur
512 (p. 564). 4.
Fig. 118. Linker Schultergiirtel von Thecodontosaurus platy-
odon. Lateralansicht. 1. Nach O. C. Marsu, Notes on Triassic
Dinosauria. Amer. Journ. Sc. XLITI. New Haven 1892, Pl. XVI,
Fig. 5.
Fig. 119. Linker Schultergiirtel von Anchisaurus colurus.
Lateralansicht. 4. Nach O. C. Marsu, Ibidem, Pl. XV, Fig. 2.
Fig. 120, Linker Schultergiirtel von Brontosaurus excelsus.
Lateralansicht. ,;. Nach O. C. Marsu, Principal Characters of
American Jurassic Dinosaurs. V. Amer. Journ. Sc. XXI. New
Haven 1881, Pl. XII.
Fig. 121. Linker Schultergiirtel von Stegosaurus ungulatus.
Lateralansicht. ;. Nach O. C. Marsu, Principal Characters of
American Jurassic Dinosaurs. III. Amer. Journ. Sc. XIX. New
Haven 1880, Pl. VIII, Fig. 1.
Fig. 122. Linker Schultergiirtel von ‘Triceratops prorsus.
Lateralansicht. .4. Nach O. C. Marsu, The Gigantic Ceratopsidae,
or horned Dinosaurs, of North America. Amer. Journ. Sc. XLI.
New Haven 1891, Pl. VII, Fig. 1. Spiegelbild.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 691
Fig. 123. Linker Schultergiirtel von Claosaurus annectens.
Lateralansicht. 515. Nach O. C. Marsu, Restorations of Claosaurus
and Ceratosaurus. Amer. Journ. Sc. XLIV. New Haven 1892,
BieeiisHig.: 1.
Fig. 124. Sternale Ossifikationen von Brontosaurus excelsus.
si. Nach O. C. Marsu, Principal Characters of American Jurassic
Dinosaurs. V. Amer. Journ. Sc. XXII. New Haven 1881, Pl. XIII,
Fig. 2.
Fig. 125. Sternale Ossifikationen von Claosaurus annecteus.
jiz- Nach O. C. Marsn, Notes on Mesozoic Vertebrate Fossils.
Amer. Journ. Sc. XLIV. New Haven 1892, Pl. III, Fig. 1.
Fig. 126. Linker Humerus von Stegosaurus ungulatus. Dorsal-
ansicht. ;4. Nach O. C. Marsu, Principal Characters of American
Jurassic Dinosaurs. Amer. Journ. Sc. XIV. New Haven 1880,
Phe VibL Figs :2:
Fig. 127. Linker Humerus von Triceratops prorsus. Dorsal-
ancht. 3%. Nach O. C. Marsu, The Gigantic Ceratopsidae ete.
Amer; Journ;|. Se;, XL; New . Haven. 1891, .Pl., VIL; Figt 1.
Spiegelbild.
Fig. 128. Linker Humerus von Claosaurus annectens. Lateral-
ansicht. 4. Nach O. C. Marsu, Restorations of Claosaurus and
Ceratosaurus. Amer. Journ. Sc. XLIV. New Haven 1892, Pl. I,
Hig, i:
Fig. 129. Linker Humerus von Thecodontosaurus platyodon.
Lateralansicht. #2. Nach O. C. Marsu, Notes on Triassic Dino-
sauria. Amer. Journ. Sc. XLII. New Haven 1892, Pl. XVI,
Fig. 5.
Fig. 130. Linker Humerus von Anchisaurus colurus. Lateral-
ansicht. 4. Nach O. C. Marsn, Ibidem. New Haven 1892,
PL UXY,. Fig. (2.
Fig. 131. Linker Humerus von Compsognathus longipes. Frag-
ment. Lateralansicht. +. Nach O. C. Marsn, Restoration of some
Europaean Dinosaurs, with Suggestions as to their Place among the
Reptilia. Amer. Journ. Sc. L. New Haven 1895, Pl. V.
Fig. 132. Rechter Schultergiirtel von Rhamphorhynchus phyl-
lurus. Medialansicht. $. Nach O. C. Marsu, The Wings of
Pterodactyles. Amer. Journ. Sc. XXIII. New Haven 1882, Pl. III.
Fig. 133. Linker Schultergiirtel von Pterodactylus crassirostris.
Lateralansicht. 3. Nach H. v. Meyer, Zur Fauna der Vorwelt.
IV. Reptilien aus dem lithographischen Schiefer des Jura in
Deutschland und Frankreich. Frankfurt a. M. 1860, Taf. V, Fig. 1.
Spiegelbild.
Fig. 134. Rechter Schultergiirtel von Pterodactylus longicollum.
Medialansicht. +. Nach H. v. Meyer, Ibidem. Frankfurt a. M.
1860, Taf. VII, Fig. 1.
Fig. 135. Restauration des Brustschulterapparates von Ornitho-
cheirus. Frontalansicht. 3. Nach H. G. Sextny, On the Shoulder
Girdle in Cretaceous Ornithosauria. Ann. Nat. Hist. (6) VII.
London 1891, Textfigur 2 (p. 441).
692 Max Fiirbringer,
Fig. 136. Sternum yon Pterodactylus longicollum. Ventral-
ansicht. 4. Nach H. v. Mryrer, Zur Fauna der Vorwelt. IV.
teptilien aus dem lithographischen Schiefer des Jura ete. Frank-
furt a. M. 1860, Taf. VIL, Fig. 3.
Fig. 1387. Sternum von Rhamphorhynchus phyllurus. Ventral-
ansicht. #$. Nach O. C. Marsa, The Wings of Pterodactyles.
Amer. Journ. Sc. XXIII. New Haven 1882, Pl. III.
Fig. 138. Sternum von Ornithostoma sp. Ventralansicht. 1.
Nach 8S. W. Wituisron, Restoration of Ornithostoma (Pteranodon).
Kansas Univ. Quart. VI, A. Lawrence 1897. Textfigur auf p. 42.
Fig. 139. Restauration des Brustschulterapparates nebst Hu-
merus von Ornithostoma ingens. Ventralansicht. =). Frei nach
S. W. Wixtiston, Ibidem. Lawrence 1897, Pl. II.
Fig. 140. Linker Humerus von Rhamphorhynchus gemmingi.
Dorsolateralansicht. §$. Nach H. v. Meyer, Zur Fauna der Vor-
welt. IV. Reptilien aus dem lithographischen Schiefer des Jura ete.
Frankfurt a. M. 1860, Taf. [X, Fig. 1.
Fig. 141. Linker Humerus von Pterodactylus kochi. Dorsal-
ansicht. 8. Nach H. v. Meyer, Ibidem. Frankfurt a. M. 1860,
Tafs ih. Rie. i;
Tafelerklirung.
Taf. XIII bildet Brustschulterrudimente von einigen Amphis-
baenia ab, Taf. XIV einige Plexus brachiales von Lacertiliern und
von Sphenodon punctatus, Taf. XV verschiedenes Detail der Mus-
kulatur der Lacertilier, Taf. XVI und XVII die Schultermuskeln
der rechten Seite von Sphenodon punctatus.
Auf Taf. XIII sind die Knorpelteile blau und die Knochenteile
gelblich, auf Taf. XV—XVII das Skelett durchweg ohne Unter-
schied von Knochen und Knorpel blau, die Muskeln matt rot (mit
lebhafterer Markierung des Rot an den Schnittflachen und den Ur-
sprungs- und Insertionsstellen der Muskulatur) und die Nerven gelb
wiedergegeben. Auf Taf. XIV wurden, wie bei den entsprechenden
Figuren der friiheren Abschnitte dieser Arbeit, die Nn. brachiales
inferiores und thoracici inferiores weil, die Nn. brachiales superiores
grau, die Nn. thoracici schwarz dargestellt. Ebenso sind die Plexus
brachiales der Uebersichtlichkeit wegen nicht vollkommen in ihrem
natiirlichen Verlaufe, sondern in einer Lage abgebildet, wo die
ventralen Teile des Brustgiirtels mit ihren Weichteilen eine Zerrung
lateralwarts erlitten haben. Danach sind die in Wirklichkeit
medialwarts gerichteten Nerven (z. B. N. supracoracoideus, thora-
cicus inferior u. a.) mit ihren distalen Teilen laleralwarts in eine
gréfere Entfernung von der Ursprungsstelle der Nerven gekommen,
als sonst die Horizontalprojektion ergeben wiirde. Ebenfalls der
Uebersichtlichkeit wegen sind alle Elemente sympathischer Nerven
auf den Abbildungen weggelassen worden.
Fir alle Figuren der Tafeln giiltige Bezeichnungen:
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 693
A. Knochen und Bander.
A Acromion (Processus clavicularis).
Canm, Canme Canalis nervi mediani (entepicondyloideus).
Canr Canalis nervi radialis (ectepicondyloideus).
CGl Cavitas glenoidalis des Schultergelenks.
CH Caput humeri.
Cl Clavicula.
Co Costa.
Co I—IV Costa thoracica prima—quarta (I.—IV.).
Co cv. (VILL) Costa cervicalis (VIII).
Co th. (I—IV) Costa thoracica (I.—IV.).
Cr Coracoid.
Cr’ Knorpelende des Coracoides (Taf. XIII).
ER Epicondylus radialis s. lateralis.
ES¢ Episternum.
EU Epicondylus ulnaris s. medialis.
F'Cr Foramen coracoideum (supracoracoideum).
H Humerus.
Hy Os hyoideum (in Fig. 162 und 163 bezeichnet die hintere von
Hy ausgehende Punktlinie das hintere Horn des Hyoids nebst
seiner Muskulatur.
L.pa Ligamentum patellare.
L.schlt Ligamentum scapulo-humerale laterale.
L.ste Ligamentum sterno-coracoideum (Fig. 110—112).
L.stsci Ligamentum sterno-scapulare internum.
lt Laterales Ende des Schultergiirtelrudimentes (Fig. 107—109).
lic Lateralrand des Kérpers (Fig. 103).
Ma Mandibula.
MC Myocomma, Inscriptio tendinea der Rumpfmuskulatur (Taf. X ITI).
md Mediales Ende des Schultergiirtelrudimentes (Fig. 107—109).
mdm Mediale Grenze der Rumpfmuskulatur (Fig. 103—106).
Ole Olecranon.
OZ Schultergirtel, Omozonium (Taf. XIV).
Pa Parietale.
Pa.u. Patella ulnaris (Fig. 147—160).
PL Processus lateralis humeri.
PM Processus medialis humeri.
PSt Parasternum.
Pu Processus uncinatus costae.
QJ Quadratojugale.
R Radius.
Sc Scapula.
Sc’ Knorpelende der Scapula (Suprascapulare) (Taf. XIII).
ScCr Rudiment des primiren Schultergiirtels, Scapulo - Coracoid
(Taf. XITT).
694 Max Firbringer,
Sq Squamosum.
SS Suprascapulare.
Sé Sternum, Rudiment des Sternum.
Sta Stapes.
Stco Sternocostale, Sternalteil der Rippe.
U Ulna.
Vbeo Vertebrocostale, Vertebralteil der Rippe.
Xst Xiphisternum (Metasternum).
B. Nerven.
Auf Taf. XIV sind die Nerven ohne weitere Zuthat mit ihren
Anfangsbuchstaben, auf Taf. XV—XVII mit vorgesetztem N. be-
zeichnet
a, N.a Nervus anconaeus.
acc.p, N.acc.p Nervus accessorius posterior.
ae, N.ae Nervus anconaeo-extensorius.
ax, N.ax Nervus axillaris (N. dorsalis scapulae + N. deltoides
clavicularis + N. cutaneus axillaris supraanconaeus).
bi, N.bt Nervus muse. bicipitis. Nerv fiir den M. biceps brachii.
bidi, N.bidi Nerv fir den distalen Bauch des M. biceps brachii.
bipx. N.bipx Nerv fiir den proximalen Bauch des M. biceps
brachii.
bri, N.bri Nervus muse. brachialis inferioris, Nerv fiir den M. bra-
chialis inferior.
brli, N.brli Nervus brachialis longus inferior.
N.brlilt Nervus brachialis longus inferior lateralis (N. musculo-
cutaneus et medianus e. p.).
N.brlime Nervus brachialis longus inferior medianus (N. medianus
brachii).
N.brliu Nervus brachialis longus inferior ulnaris (N. ulnaris).
N.brli(me 4+- “) Vereinigter N. brach. long. inf. medianus + ul-
naris.
brisp, N.brisp Nervus brachialis longus superior.
brr Nervus muse. brachio-radialis.
c, N.c Nervi cutanei des Rumpfes (Taf. XVI).
N.c. IV—VI Nervi cervicales IV—VI (Taf. XVI).
cabim, N.cabim, N.cut.abim Nervus cutaneus brachii et antibrachii
inferior medialis.
cablt, N.cablt Nervus cutaneus antebrachii lateralis.
cbr, N.cbr Nervi musc. coraco-brachialis.
N.cbrdi Distaler Nerv fiir den Muse. coraco-brachialis.
N.cbrpx Proximaler Nerv fiir den Muse. coraco-brachialis.
cltifa, Neltifa, N.cut.lat.ifa Nervus cutaneus brachii et antibrachii
superior lateralis infraanconaeus.
espa, N.cspa Nervus cutaneus axillaris supraanconaeus.
cspc, N.c.spe Ramus cutaneus nervi supracoracoidei.
cut Nervi cutanei trunci, Hautnerven des Rumpfes (Taf. XIV,
Fig. 113—115). |
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates etc. 695
cut.abifa, cut.latifa, N.cut.latifa Nervus cutaneus brachii et anti-
brachii superior lateralis infraanconaeus.
cv.cu, N.cv.cu Von den Cervicalnerven abgegebene Rami musc.
cucullaris.
del, N.dcl Nervus muse. deltoidis clavicularis (N. axillaris anterior).
dsc, N.dsc Nervus musc. dorsalis scapulae (N. axillaris posterior).
fac, N.fac Nervus facialis.
hr, N.hkr Nervus muse. humero-radialis.
N.hrdi Distaler Nerv fiir den Muse. humero-radialis.
N.hrpx Proximaler Nerv fiir den Muse. humero-radialis.
hyp, N.hyp Nervus hypoglossus.
ic, Nic Nervus intercostalis.
Id, Nid Nervus muse. latissimi dorsi.
Isprf, N.lsprf Nerv fiir den Muse. levator scapulae et serratus pro-
fundus.
lsspfi, N.lsspfi Nerv fiir den Musc. levator scapulae superficialis
inferior.
Isspfs, N.lsspfs Nerv fiir den Muse. levator scapulae superficialis
superior.
meam Nervus medianus (antibrachii et manus).
p, N.p Nervus muse. pectoralis.
pa, N.pa Nerv fiir die Pars abdominalis musc. pectoralis.
ple -+ st), N.p(e + st) Nerv fiir die Pars et episternalis sternalis
muse. pectoralis.
ri, N.ri Nervus muse. radialis internus.
sch, N.sch Nervus muse. scapulo-humeralis.
scha, N.scha Nervus musc. scapulo-humeralis anterioris.
N.scha;, Nerv fiir das tiefe Muskelband des M. scapulo-
humeralis anterior.
schp, N.schp Nervus muse. scapulo-humeralis posterioris.
spc, N.spe Nervus muse. supracoracoidei.
sspf, N.sspf Nervus musc. serrati superficialis.
stci, N.stei Nervus musc. sterno-coracoidei interni.
N.stciprf Nerv fiir den M. ste. int. profundus.
N.stci.spf Nerv fiir den M. ste. int. superficialis.
stesc, N.stcsc Nervus muse. sternocosto-scapularis.
thinf, N.th.inf, N.thorinf Nervus thoracicus inferior, Nervi thora-
cici inferiores.
th.sp, N.th.sup, N.thor.sup Nervus thoracicus superior, Nervi thora-
cicl superiores.
tr, N.tr Nervi trunci, Nerven fiir die Rumpfmuskulatur.
trig, N.trig Nervus trigeminus.
SL PRT ETN 603.5) 45 5s XI Nervi spinales I, If, III ..... XI.
Augerdem enthalt die Nerventafel XIV noch die Abkirzungen:
Ca.n.me Canalis nervi mediani.
Camn.r. Canalis nervi radialis.
Bd, XXXIV N, F. XXVIL. 45
696 Max Firbringer,
Co.th.I Costa thoracica I, erste Thoracalrippe.
OZ Omozonion, Stelle, wo das Rudiment des Schultergiirtels sich
befindet.
C. Muskeln und dazu gehérende Gebilde aus Stiitzgewebe.
a M. anconaeus, M. triceps brachii.
ac Caput coracoideum m. anconaei, Musculus resp. Tendo ancon.
coracoideus resp. coracoidea.
acy, Accessorischer, vom M. latissimus dorsi kommender Zipfel
des Anconaeus coracoideus (Fig. 146).
acm Muskelbauch des Anconaeus coracoideus (Fig. 145, 146).
ahl Caput humerale laterale m. anconaei, M. anconaeus humeralis
lateralis.
ahm Caput humerale mediale m. anconaei, M. anconaeus humeralis
medialis.
asc, ascl Caput scapulare (laterale) m. anconaei, M. anconaeus
scapularis (lateralis).
asc; Hauptsehne des M. anconaeus scapularis.
ascjpr 'Tiefer Kopf der Hauptsehne des M. anconaeus scapularis
(Fig. 141, 142).
ascispf Oberflachlicher Kopf der Hauptsehne des M. anconaeus
scapularis (Fig. 141, 142).
asc; Humerale Ankerung des M. anconaeus scapularis.
asc; Vom M. latissimus dorsi ausgehende Ankerung des M.
anconaeus scapularis.
bi M. biceps brachii.
bi; Proximaler Muskelbauch des M. biceps brachii.
biz, Distaler Muskelbauch des M. biceps brachii.
biti Zwischensehne des M. biceps brachii.
bit Ursprungssehne des M. biceps brachii.
bri M. brachialis inferior.
brr M. brachio-radialis (M. supinator longus).
cbrb M. coraco-brachialis brevis.
cbrl M. coraco-brachialis longus.
clesthy M. cleido-episterno-hyoideus.
clm M. cleido-mastoideus.
clm, Separat entspringendes ventrales Biindel des M. cleido-
mastoideus (Fig. 162).
clm + cu M. cleido-mastoideus + cucullaris (trapezius).
cr; Coracoidale Insertion des Lig. sterno-scapulare internum.
er; Diinne coracoidale Ankerung des Lig. sterno-scapulare internum.
cu M. cucullaris (trapezius).
cu.cl Clavicularer Insertionsteil des M. cuculiaris (Fig. 124—126).
cu.epst Episternaler und sternaler Insertionsteil des M. cucullaris
(Fig. 124—126).
cust Sternale Insertionssehne des M. cucullaris (Fig. 124—126).
dcl M. deltoides clavicularis s. M. cleido-humeralis.
Vergleich. Anatomie des Brustschulterapparates ete. 697
dpm M. depressor mandibulae.
dsc M. dorsalis scapulae.
hr M. humero-radialis.
hr; Ursprung des M. humero-radialis von dem Lig. scapulo-
humerale laterale (Fig. 164).
hr}, Ursprung des M. humero-radialis von dem M. deltoides clavi-
cularis (Fig. 164).
hr! Oberflachliches Blatt der Insertion des M. humero-radialis
(Fig. 163) 1).
hr" Tiefes Blatt der Insertion des M. humero-radialis (Fig. 164) 1),
ic M. intercostalis.
ld M. latissimus dorsi.
ld! Endsehne des M. latissimus dorsi.
L.pa Ligamentum patellae ulnaris (Endsehne des M. anconaeus).
L.schlt Ligamentum scapulo-humerale laterale.
lsprf M. levator scapulae et serratus profundus.
Isprf; Oberflachliche Schicht desselben.
Isprfi: Tiefe Schicht desselben.
Isspfi M. levator scapulae superficialis inferior.
Isspfs M. levator scapulae superficialis superior.
L.stsci Ligamentum sterno-scapulare internum (Fig. 143—146, 169,
170-179);
er; Coracoidale Anheftung desselben.
ery, Diimne coracoidale Ankerung desselben.
sc; Scapulare Anheftung desselben.
st; Sternale Anheftung desselben.
Mstest Membrana sterno-episternalis (Fig. 124—126, 163, 164,
173, 174).
oaepr M. obliquus abdominis externus profundus.
oaespf M. obliquus abdominis externus superficialis.
ohy M. omo-hyoideus.
p M. pectoralis.
p.a Pars abdominalis (parasternalis) des M. pectoralis.
p.e Pars episternalis des M. pectoralis.
p.st Pars sternalis des M. pectoralis.
Pau Patella ulnaris (Fig. 147—160). ; .
ra M. rectus abdominis.
sbese M. subcoracoscapularis.
sbe Pars coracoidea des M. subcoracoscapularis (M. subcoracoideus).
sbsc Pars scapularis des M. subcoracoscapularis (M. subscapularis).
sc; Scapulare Anheftung des Lig. sterno-scapulare internum (Fig. 143
—146).
scha M. scapulo-humeralis (profundus) anterior.
scha, Tiefes Muskelband desselben (Fig. 166) ”).
1) Durch ein Versehen ist an den betreffenden Stellen anstatt
br! und hr": hr; und hry angegeben.
2) Auf einigen Exemplaren der Tafel fehlt der Strich, so dab
nur scha an der betreffenden Stelle steht.
45 *
698 Max Firbringer,
scha.c Coracoidaler Kopf desselben (Fig. 134, 135).
scha.s Scapularer Kopf desselben (Fig. 134, 135).
schp M. scapulo-humeralis (profundus) posterior.
spe M. supracoracoideus. @
sphe M. sphincter colli.
st; Sternale Anheftung des Ligamentum sterno-scapulare internum
(Fig. 143—146).
stciprf M. sterno-coracoideus internus profundus.
stcispf M. sterno-coracoideus internus superficialis.
stese M. sternocosto-scapularis.
stesc; Insertion des M. sternocosto-scapularis am Lig. sterno-
scapulare internum (Fig. 143, 144).
tm M. temporo-masseter.
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Jenaische Zeitschritt, Bd. NVXIV. Taf, 2.
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