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1831-1872. Johann Calvin

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JOHANN CALVIN

SEINE

KIRCHE UND SEIN STAAT

IN GENF.

ZWEITER BAND.

JOHANN CALVIN

SEINE

KIRCHE UND SEIN STAAT

IN GENF

/ VON

F. W. KAMPSCHULTE

O. Ö. PROF. D. GESCH. A. D. UNIVERSITÄT BONN.

ZWEITER BAND. NACH DEM TODE DES VERFASSERS HERAUSGEGEBEN

VON

WALTER GOETZ,

PBIVATDOZEXTEN DEK GESCHICHTE AN DEB UNIVERSITÄT LEIPZIG.

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LEIPZIG

VERLAG VON DUNCKER & HUMBLOT 1899.

Alle Rechte vorbehalten.

VORWORT.

Nahe an 30 Jahre sind verflossen, seit dieses Buch geschrieben wurde. Eine fremde Hand legt es jetzt der Öffentlichkeit vor. Über die Schicksale des Manuskripts, das Kampschulte 1872 bei seinem Tode in der vorliegenden Form hinterliefs, giebt das Vor- wort Auskunft, das C. A. Cornelius seinen gleichzeitig und im gleichen Verlage erscheinenden »Historischen Arbeiten« voraus- geschickt hat.

Als ich vor einem Jahre das Manuskript zur Herausgabe an- vertraut erhielt, konnte ich die Aufgabe nur unter einer Bedingung übernehmen , die nach meiner Meinung ebenso sehr im Interesse des Buches lag als sie durch die Richtung meiner eigenen Arbeiten bedingt war. Eine nochmalige Überarbeitung des Textes , wie Kampschulte sie wohl beabsichtigt, hätte, wenn ein Fremder sie unternommen , den Charakter des Werkes zerstört. In der vor- nehmen Auffassung des Gegenstandes, in der Feinheit der Schil- derung, in der Bestimmtheit und Sachlichkeit des historischen Urteils liegt der dauernde aufserordentliche Wert des ersten wie des zweiten Bandes dieser Calvinbiographie ; eine Überarbeitung hätte im kleinen vielleicht gebessert, im grofsen sicherlich zerstört. Auch hätte eine solche Neubearbeitimg, wie sie mit Heranziehung neuen archivalischen Materials wohl denkbar gewesen wäre, jahrelange Arbeit erfordert : mit einem anderen Gegenstande aus innerster Neigung beschäftigt, hätte ich sie nicht zu unternehmen vermocht. Nun zeigte sich aber glücklicherweise . dafs die Forschungsergebnisse dieses vor drei Jahrzehnten geschriebenen Bandes die Kritik der heutigen Calvin- forschung keineswegs zu scheuen brauchen : es besteht vielmehr

VI Vorwort.

mit den besten der neuesten Arbeiten eine weitgehende Überein- stimmung in der Gesamtauffassung und an vielen Stellen findet sich eine Vorausnahme von Ergebnissen, die erst in jüngster Zeit ge- wonnen sind oder auch den neuesten Forschern noch verborgen geblieben waren. So bestimmte sich die Aufgabe, die ich als Herausgeber zu lösen hatte, von selbst : es galt, den Wert dieser Darstellung durch keine Änderung zu beeinträchtigen, wohl aber die Brauchbarkeit des Buches dadurch vielleicht um ein weniges zu erhöhen, dafs in Zusätzen zu den Anmerkungen nachgetragen werde, was die neuere Calvinforschung im Gegensatz oder als Erweiterung zu Kampschultes Anschauungen zu Tage gefördert. Durch eckige Klammern sind diese von mir beigefügten Zusätze gekennzeichnet; im übrigen ist alles, Text und Anmerkungen^ fast unverändert so geblieben , wie Kampschulte es hinterlassen. Nur in zweierlei Hinsicht habe ich geringfügige Eingriffe unter- nommen, ohne dafs sie besonders gekennzeichnet werden konnten. Das Manuskript enthielt sehr häufig nebeneinander doppelte Fassungen des Ausdrucks : die Entscheidung über diese lediglich formellen Zweifel Zeichen des Suchens nach der treffendsten Form hatte sich Kampschulle wohl für die letzte Durchsicht vorbehalten ; hier mufste ich nach meinem Empfinden die Aus- wahl treffen. Und ferner sind die in den Anmerkungen von Kampschulte zitierten älteren Ausgaben der Werke und Briefe Calvins regelmäfsig durch die Strafsburger Ausgabe ersetzt ; auch Bezas und CoUadons Lebensbeschreibungen sind nach Band XXI dieser Ausgabe angeführt worden. Das Zitat »Annales« bezieht sich auf die Genfer Rats- imd Consistorialprotokolle, die in dem gleichen Bande der Werke veröffentlicht worden sind. Bei den Genfer Geschichtsschreibern des i6. Jahrhunderts wurden jedoch die von Kampschulte im i. Bande benutzten Ausgaben bei- behalten.

Die in den Zusätzen angeführte Litteratur soll nicht ein voll- ständiges Bild von der neueren Calvinforschung bilden ; sie wurde zitiert, soweit sie für die von Kampschulte geäufserten Anschau- ungen in Betracht kam oder sobald was selten der Fall war zur Darstellung Kampschultes eine Ergänzung erwünscht schien. Sonst aber ist es schon des Raumes halber vermieden worden, blofse Zitate aus der neueren Litteratur zu häufen. Ein Re- gister ist für beide Bände beigegeben worden.

Vorwort. VII

Unvollendet ist das Werk nun leider noch immer! Es fehlt der dritte Band, der die Weltstellung Genfs in den letzten Lebens- jahren Calvins (1559 1564) uns schildern sollte. Ein Glück, dafs wenigstens dieser zweite, in sich aufs kunstvollste gegliederte Band die Genfer Thätigkeit Calvins , die Schilderung seiner Persönlich- keit zu einem gewissen Abschlufs bringt.

Leipzig, im September 1899.

Walter Goetz.

INHALT.

FÜNFTES BUCH.

CALVIN IM KAMPFE MIT DER OPPOSITIONSPARTEI 1546—1553.

Seite

Kapitel I. Elemente der Oppositionspartei 3

It. Eröffnung des Kampfes 20

III. Der Gegensatz der alten und der neuen Genfer .... 37

IV. Prozefs und Hinrichtung Jacques Gruets 57

V. Angriff auf Ami Perrin 70

VI. Übergewicht der Gegner Calvins 100

VII. Calvin und Hieronymus Bolsec 125

VIII. Verfall der Calvinischen Ordnung. Abnehmender Einflufs

des Reformators 150

SECHSTES BUCH. UNTERLIEGEN DER GEGNER 1553— 1555.

Kapitel I. Michel Servet 167

II. Der Kampf um das Exkommunikationsrecht des Con-

sistoriums 203

III. Anfeindungen von aufsen 223

IV. Zunahme und steigende Bedeutung der Refugies . . . 244 V. Vernichtung der Oppositionspartei 258

SIEBENTES BUCH. GENF UNTER CALVINS HERRSCHAFT.

Kapitel I. Befestigung und Vervollständigung des Reformations- werkes 282

II. Neue Irrungen mit Bern. Der ewige Friede .... 294

Inhalt. IX

Seite

Kapitel III. Die Gründung der Akademie 310

IV. Abschlufs der kirclilichen Gesetzgebung 342

V. Gestaltung des öffentlichen Lebens nach dem vollständigen

Siege Calvins 354

VI. Calvins persönliche Stellung 375

Register zu Band I und II 388

DRUCKFEHLER UND NACHTRÄGE.

Seite 26 Anm. 4 lies Cornelius, Hist. Arbeiten S. 469 (anstatt Die ersten

Jahre S. 469). Seite 33 Anm. 2 lies Ruchat-Vulliemin (anstatt Ruchat-Vuillemin). Seite 43 lies Troillet (anstatt Trolliet). Seite 296 Anm. i ist in der eckigen Klammer noch hinzuzufügen: Vgl.

auch ßunant, Les relations politiques S. 160 ff.

FÜNFTES BUCH.

CALVIN IM KAMPFE MIT DER OPPOSITIONSPARTEI.

1546—1553.

Kampschulte, J. Calvin II.

I.

ELEMENTE DER OPPOSITIONSPARTEI.

Die wiederholten Angriffe, welche seit der Mitte der vier- ziger Jahre gegen die von Calvin in Genf hergestellte Ordnung unternommen wurden, gingen nicht aus einer augenblicklichen Erregtheit oder vorübergehenden Mifsstimmung hervor, noch auch kehrten sie sich lediglich gegen die Träger des herrschenden Systems. Der Geist, der sich in ihnen offenbarte, kündigte deut- lich eine systematische Opposition gegen den neugeschaffenen Zu- stand selbst an, und es waren nicht etwa einzelne Mifsvergnügte, sondern eine zahlreiche, noch in stetem Wachstum begriffene Partei, die zum Kampfe sich entschlossen zeigte. Es wird nötig sein, ehe wir weiter gehen, diese Partei, die Elemente, aus denen sie sich zusammensetzte , ihre Ansichten und Absichten etwas näher ins Auge zu fassen.

Blicken wir auf den Gang der Ereignisse in Genf zurück, so läfst sich nicht verkennen , dafs das Reformationswerk Calvins in merkwürdiger Weise durch eine Reihe von Begebenheiten und glücklichen Zufällen vorbereitet und begünstigt worden war, die dasselbe gleichsam als den naturgemäfsen Abschlufs der voraus- gegangenen Entwickelung erscheinen liefsen. Durch den Unab- hängigkeitskampf gegen das Haus Savoyen und den Bruch mit der politischen Vergangenheit der Stadt war zuerst der Boden vor- bereitet und der Keim zu weiteren Neuerungen in die Gemüter gesenkt worden. Dafs Savoyen bei dem fortgesetzten Kampfe gegen Genf mehr und mehr den Schein eines Vorkämpfers der katholischen Interessen annahm , das verbündete Bern hingegen

A Fünftes Buch, Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

der Sache der Reformation das Wort redete, lenkte dann sofort die Aufmerksamkeit auf den grofsen Kirchenstreit und rief für denselben , wenn auch zunächst nur in beschränkten Kreisen, naturgemäfs Sympathien hervor, denen bald aus dem weitern Laufe der Ereignisse eine überlegene Kraft erwuchs. Genf schien zur Behauptung seiner Selbständigkeit auf Bern und den Pro- testantismus hingewiesen. Berns kräftiger Arm brachte nach einigen Jahren des Kampfes den von einem unfähigen Bischöfe geleiteten KathoHcismus zum Fall und die gleichzeitige Verfolgung der Evangelischen in Frankreich führte Genf die neuen Glaubens- boten zu , welche der deutsche Kanton nicht geben konnte. Die Notwendigkeit endlich , welche nach dem Sturze aller alten Ge- walten in Genf eintrat , das gesamte öffentliche Leben neu zu ordnen , überall neue Normen und Gesetze zu schaffen , verlieh Calvin einen Einflufs auch auf die staatliche Gesetzgebung, auf die ganze Ordnung in Staat und Kirche, der die Ver- wirklichung seines kirchenpolitischen Ideals nicht blofs möglich machte, sondern fast dazu aufforderte. So hat es geschehen können , dafs eine Stadt , die aus sich selbst der evangelischen Bewegung kaum irgend welche Empfänglichkeit entgegenbrachte, innerhalb weniger Jahre ein Hauptsitz derselben wurde und die neuen religiösen Ideen in Kirche und Staat hier in einem Grade zur Geltung gelangten , der Freund und Feind zur Bewunderung nötigte.

Aber auf der anderen Seite lag gerade in diesem Entwicke- lungsgange wieder etwas Bedenkliches , und je vollständiger der Sieg des Reformators dem Anscheine nach war , um so ernstere Gefahren barg er m sich.

Die calvinische Reform hatte gesiegt, weniger durch die Macht einer innern Überzeugung, als durch die Macht der äufseren Verhältnisse. Gründe der Politik , Rücksichten auf das äufsere Wohl, die Selbständigkeit und die notwendige äufsere Ordnung des Staates hatten in den Hauptmomenten für sie den Ausschlag gegeben. Es wäre ganz gegen den natürlichen Lauf der Dinge gewesen, wenn der politische Gedanke, der bei der Einführung der Reformation in so hervorragender Weise sich bethätigt hatte, nicht später sein Recht geltend zu machen versucht hätte, wenn die Staatsmänner dem Theologen , als dem allein berechtigten Erben der kirchlich - politischen Revolution , widerspruchslos das

Sieg der calvinischen Reform und seine Gefährdung. 5

Feld überlassen und seiner Allgewalt sich dauernd unterworfen hätten. Es liefs sich dies um so weniger erwarten , als eben in den vorausgegangenen Kämpfen der Sinn für bürgerliche und staatliche Selbständigkeit wesentlich erstarkt war und man in den evangelischen Orten der benachbarten Schweiz , insbesondere in dem verbündeten Bern, das verlockende Beispiel einer gerade umgekehrten Ordnung vor Augen hatte, einer Ordnung, die den Staat nicht nur im vollen Besitz seiner Rechte beliefs, sondern und zwar unter Hinweis auf Moses und David ' die Kirche ihm geradezu unterwarf.

Wir deuteten mit dieser Bemerkung das Hauptziel an, welches die anticalvinische Opposition verfolgte.

Schori unmittelbar nach dem Siege der Reformation, als noch Farel ihr Wortführer war, sehen wir Tendenzen der bezeichneten Art auftauchen , die indes durch Calvins Dazwischenkunft bald zurückgedrängt wurden. Noch entschiedener machte sich die gleiche Richtung bei jener Partei geltend, die nach der Katastrophe von 1538 ans Ruder gelangte, aber die moraHsche Niederlage, welche die »Artichauts« in der Berner Frage erUtten, traf auch das von ihnen vertretene Princip, und Calvins neue Gesetzgebung besiegelte, trotz kleinerer Zugeständnisse, die dem Magistrat ge- macht wurden , die Herrschaft des kirchlichen Gedankens , den theokratischen Charakter des Staates. Nichtsdestoweniger be- gegnen wir schon bald wieder Spuren einer neuen Opposition. Die alten Bedenken und Überzeugungen lebten, wenn auch durch das Gesetz verurteilt, in zahlreichen Gemütern fort und gewannen um so mehr an Stärke , je schroffer und unduldsamer das geist- liche System sich entwickelte. Jener bereits im Frühjahr 1543 im Rate der Sechzig gemachte Versuch, das Exkommunikations- recht von dem Con.sistorium auf die bürgerUche Obrigkeit zu übertragen, offenbarte zum ersten Male die eigentlichen Ziele der Opposition und zugleich die bedeutende Macht, über die sie schon gebot. Sie zählte unter ihren Mitgliedern sehr einfiufsreiche und bedeutende Männer, die noch übrigen Staatsmänner der alten Schule, die alten Führer der Nationalpartei, meist jüngere Bürger, Söhne der Väter, die an der Seite Bezansons und Bertheliers für

Vgl. die Klagen von Myconius und Calvin selbst. Opera Calvini (Strafsburger Ausgabe) XI S. 368 u. 379.

6 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

Genfs Unabhängigkeit gefochten. Selbst eifrige Guillermins, zu- rückgestofsen durch die Konsequenzen des calvinischen Systems, schlössen sich ihr an und reichten ihren ehemaligen Gegnern, des alten Haders vergessend, die Hand zum gemeinschaftlichen Kampf gegen den neuen Feind. Es galt, gegen die geistliche Macht, die alles zu verschlingen drohte, kräftige Schranken aufzurichten, die bürgerliche Gewalt wieder in ihre Rechte einzusetzen , das theo- kratische System zu stürzen.

Denn das war das Ziel, welches die Partei der Opposition mit klarem Bewufstsein verfolgte. Es handelte sich auch hier im Grunde um die beinahe überall in den reformierten Ländern wiederkehrende grofse Streitfrage über das Verhältnis der beiden Gewalten: die Ordnung dieses Verhältnisses im Sinne des höhern Rechtes der Staatsgewalt. Die Zurückweisung aller theokratischen Ansprüche bildet gleichsam den Fundaraentalartikel in dem Genfer Oppositionsprogramm ^

In Genf aber erhielt dieser Kampf sofort dadurch einen eigen- tümhchen Charakter, dafs die Opposition auch andere, ihr ur- sprünglich fremde Elemente in sich aufnahm. Es verbanden sich mit der staatsmännischen Opposition Richtungen und Bestrebungen, die zum Teil weit über jene hinausgingen, sie im weitern Verlauf des Streites zeitweilig ganz zurückdrängten, so dafs das ursprüng- liche Ziel völhg vergessen schien, und die nicht blofs nuf die Führung, sondern auch auf den Ausgang des Kampfes von vor- waltendem Einflüsse gewesen sind.

Das Nächste war, dafs der durch Calvin mehrfach verletzte altgenferische Patriotismus mit der Opposition gemeinsame Sache machte.

Calvin war in Genf ein Fremdling und ist es in gewissem Sinne bis an sein Ende gebHeben. Sein Herz schlug für Genf nicht höher wie für jeden andern Ort der Christenheit. Wie er auf seinen Wanderungen als Flüchtling nach Genf verschlagen und wider seinen Willen durch Farel hier festgehalten worden war, so behielt auch später die Stadt im Grunde nur Wert für ihn als Sammelplatz für die zerstreute Herde Christi in West- europa, als Bollwerk gegen das Papsttum, als Stütze und Mittel

' Vgl. J. Roget. Les .Suisses et Geneve II, 278, der diesen Charakter des Kampfes schon im ganzen richtig erkannt hat.

Widerstand des altgenferischen Patriotismus. n

punkt für die evangelische Propaganda in den romanischen Landen. Nur der Befehl des Herrn, hat er selbst mehr als einmal ver- sichert, und die Erwägung der hohen Wichtigkeit, »welche dieser kleine Winkel für die Verbreitung des Reiches Christi habe«, halte ihn in Genf fest. Nach einer darüber hinausgehenden Äufserung einer wirklichen Anhänglichkeit an seine neue Heimat sucht man bei ihm vergebens : öffnet er den Mund über seine Mitbürger, so geschieht es fast nur, um Klage zu führen. Seine vertrautesten Freunde, seine Gehilfen im Dienste des göttlichen Wortes waren mit einer einzigen Ausnahme nicht Genfer, sondern, wie er selber, geborene Franzosen. Was er als Gesetzgeber und Her- steller einer durchgreifenden Ordnung für Genf that, geschah ohne jedes lokalpatriotische Interesse: für ihn handelte es sich lediglich darum, dafs jener Ort, den ihm Gott angewiesen, seiner Bestim- mung, der geistlichen Welt ein Vorbild zu sein, in Wahrheit ent- spreche. Genf war ihm Mittel zum Zweck. Patriotismus und Nationalgefühl waren seinem Geist zu untergeordneten Begriffen herabgesunken , und was er davon noch besafs, galt nicht Genf, sondern seiner ersten Heimat, Frankreich \

Das war aber mit nichten die Anschauung der Mehrzahl der Genfer selbst. Waren sie auch nicht unempfänglich für die ehren- volle kirchliche Stellung und universelle Bedeutung, zu der Calvin ihre Vaterstadt erhob, so blieb für sie doch der nationalpatrio- tische Gesichtspunkt vorwaltend. Genf gehörte in ihren Augen zunächst nicht der evangelischen Christenheit überhaupt, sondern den Genfern, welche es während eines langandauernden Krieges mit schweren Opfern und unter tausend Gefahren als selbständigen Staat gerettet hatten , ehe man noch von Calvin wufste. Schon vor dem Jahre 1538 war die Unzufriedenheit über die Zurück- setzung einheimischer Geistlicher und die Unterordnung des national- patriotischen Gesichtspunktes unter den allgemein evangelischen hin und wieder zum Ausdruck gekommen. In viel höherem Grade war dies nach Calvins Rückkehr der Fall , seit sich jene universelle Grundanschauung, welche die Stätte seines Wirkens nur als Mittel und Ausgangspunkt betrachtete, mit einer nicht

' Vgl. darüber die treffenden Bemerkungen von Hundeshagen, Beitr. zur Kirchenverfassungsgesch. und Kirchenpolitik I , S. 290 und : Konflikte des Zwinglianismus, Luthertums u. Calvinismus S. t^t^.

8 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

mehr mifszudeutenden Offenheit enthüllte. Die alten Patrioten fühlten sich tief gekränkt, dafs ihre Verdienste um die Rettung Genfs verkannt, ihre heiligsten Gefühle gleichsam als Beschränkt- heit angesehen würden, und es steigerte diese Mifsstimmung noch, dafs die fremden , in einem streng monarchischen Lande auf- gewachsenen Mitarbeiter Calvins sich in die freien, republikanischen Sitten ihrer neuen Heimat schwer fanden und durch taktloses herri- sches Auftreten die Gefühle des auf seine Vaterstadt stolzen Bürgers oft auch unnötigerweise verletzten. Was war da natür- licher, als dafs das schwer beleidigte Nationalgefühl sich mit der schon vorhandenen Opposition der Staatsmänner verbündete? In- dem diese aber so das patriotisch-nationale Element in sich auf- nahm , empfing sie eine Kraft und Popularität , die sie aus sich selbst nicht besafs : sie fing damit an , eine volkstümliche zu werden.

Zu dem patriotisch- nationalen Elemente gesellte sich dann, merkwürdig genug, das bernerische.

Man erinnert sich, dafs die Vorgänge des Jahres 1539 den bisherigen Einflufs Berns in Genf für längere Zeit beseitigt hatten. An die Stelle der alten Freundschaft war ein Verhältnis feind- seliger Spannung getreten, das mehrere Jahre dauerte und das in allerlei Nergeleien und Chikanen seinen Ausdruck erhielt. Indes fiel die Erkenntnis nicht schwer , dafs das schwächere Genf dem mächtigen Nachbar gegenüber sich dabei im Nachteil befand. Auch machte sich in Genf das Gefühl geltend, dafs man bei den fortdauernden Kriegsgefahren wegen der ausgesetzten Lage der Stadt eines äufsern Rückhalts bedürfe. Das eine wie das andere stimmte die Genfer allmählich wieder friedlicher. Auch Calvin, der natürhch um Rat gefragt wurde \ war, im Gegensatz zu mehreren seiner eifrigsten Freunde , für die Wiederherstellung des Friedens und wirkte für denselben sogar mit lebhaftem Eifer ^. Die nationale EmpfindHchkeit über Berns Ansprüche teilte er nicht in dem Grade wie seine Mitbürger : ihm schienen die Opfer, mit denen der Friede für Genf notwendig verknüpft war, reichlich durch die Vorteile aufgewogen , welche daraus der evangelischen Sache erwuchsen , eine Auffassung, in der er durch den Zuspruch

' Vgl. Genf. Ratsprot. 19. Jan. 1542.

* Vgl. Calvin an Viret Sept. 1543, Opp. XI S. 615. Calvin an Bullinger 17. Febr. 1544, ebd. S. 677.

Wirkung des Friedens mit Bern. n

seiner theologischen Freunde bestärkt wurde'. So kam es nach langen mühsamen Verhandlungen unter der Vermittelung von Basel endlich zu einem neuen Vertrage über die streitigen Fragen, der zwar weder Bern, das gröfsere Zugeständnisse erwartet hatte, noch auch Genf, das schon die vereinbarten für zu grofs hielt, völlig zufriedenstellte-, aber schliefslich dennoch von beiden Teilen angenommen wurde (Februar 1544) und den äufsern Frieden zwischen den beiden Städten wiederherstellte 3.

Nicht manche Handlung seines Lebens mag Calvin mehr bereut haben als seine Teilnahme an diesem Frieden. Es zeigte sich sehr bald, dafs seine Freunde Maigret und Ami Perrin, die ihren ganzen Einflufs gegen das Zustandekommen desselben auf- geboten •* ; vom Standpunkte der Partei die Lage der Dinge rich- tiger beurteilt hatten als Calvin. Bern hatte seiner alten Ab- neigung gegen den wälschen Theokraten und seine Kirchenord- nung nicht entsagt und konnte diese nach Abschlufs des Friedens in ganz anderer Weise bethätigen als bisher. Zwar durfte es wegen des in vielen Kreisen gegen die habsüchtigen Deutschen noch fortbestehenden Mifstrauens sich nicht zu sehr hervordrängen ; allein die infolge des Friedens aus der Verbannung zurückkehren- den „Artichauts", etwa dreifsig an der Zahl 5, Männer, die den

^ Vgl. das Schreiben Bullingers an Calvin vom 14. Okt. 1543: »Tuutn sicut Bernatium ministrorum fuerit vestros hortari, ne ob fluxas isias instabiles- qu€ possessiones aut titulos dissideantt etc. Opp. XI S. 627.

^ »So haben wir Im namen Gottes« schreiben die Berner am 3. Sept. verdriefslich an Basel: »Euch zu Eeren viid gevallen den betrag gutlich inhalts angenommen doch di/s mal nüt leiiger V7ins darunder begeben noch verpflichten denn vnntz (bis) zu ufsgang des Jen/fischen burgrechtens« . Bern. Staatsarch. Teutsch Missivenb. Y p. 392. In Genf kam es bei der Vorlage des Vertrags im Generalrat im September 1543 zu einem Tumult: Koset, Chroniques Liv. IV cap. 66.

3 Vgl. Calvin an Viret im März 1544, Opp. XI S. 686. Roset, 1. IV, c. 65, wo die Bedingungen des Vertrags mitgeteilt werden; Spon-Gautier I, 282. [Über diese Angelegenheit vgl. jetzt Cornelius, Historische Arbeiten S. 398 ff. u. Dunaiit, Les relations politiques de Geneve avec Berne et les Suisses S. 65 ff.].

Vgl. Calvin an Viret Sept. 1542, Opp. XI S. 448. Calvin klagt, er sei wegen seines Eifers für den Frieden verspottet worden (vgl. Calvin an Farel 31. Mai 1544, Opp. XI S. 720 f.) ; es geschah dies von seinen eigenen Freunden, die seine Handlungsweise in diesem Falle unerklärlich fanden. [Über Calvins Stellung zu Maigret vgl. Cornelius a. a. O. S. 511.]

5 Vgl. Roset 1. IV c. 67.

lo Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

angesehensten Genfer Familien angehörten , bildeten sofort den Kern einer bernischen Partei , die rasch an Bedeutung gewann. Sie teilte mit den Patrioten die Abneigung gegen Calvin und befand sich mit den Staatsmännern in der grofsen kirchenpo- litischen Streitfrage völlig in Übereinstimmung, nur dafs sie jene nach der gewöhnlichen Art rehabilitierter Emigrantenparteien an Eifer noch übertraf. Ihr Beitritt zur Opposition verstand sich von selbst. Hatte diese durch die Patrioten einen volkstümlichen Charakter erhalten, so empfing sie durch das neue Element auch einen äufsern Rückhalt, der unter Umständen von Wichtigkeit werden konnte und es in der That geworden ist.

Indes viel wichtiger und zugleich verhängnisvoll für die Opposition ist die Hilfe geworden, die sie von den kirchlichen Gegnern des Reformators empfingen. Ihre Anzahl war bedeutend. Ein System der christlichen Glaubenslehre, wie das in der »Institution« nieder- gelegte und in dem Genfer Katechismus in mehr populärer Fassung wiederholte, mufste notwendig eine Opposition hervor- rufen. Nicht jedermann war es gegeben, in der Prädestinations- lehre den Trost und die Beruhigung zu finden , die Calvin selbst darin fand, und sich zu einem so streng abgeschlossenen, in allen Teilen fertigen System der Glaubenslehre durchzuarbeiten, wie dies seinem dogmatischen Geiste möglich gewesen. Und dennoch ver- langte er dies. Es war ihm undenkbar, dafs jemand , der an das Evangelium glaube , aus anderen Gründen als wegen Verderbtheit des Herzens oder infolge direkter Einwirkungen Satans sich der Wahrheit seines Systems verschliefsen könne. Genfs Reformator verlangte unbedingte rückhaltlose Unterwerfung unter die von ihm aufgestellte Glaubensnorm , Unterdrückung jedes Zweifels und Grübelns als vorwitziger , strafbarer Neugier , eine dogmatische Gleichförmigkeit , wie sie nach seinem eigenen Zeugnis selbst in der katholischen Kirche nicht zu finden war^. Statt der anfäng- lich verkündeten Gewissensfreiheit sah man , wie schon der ehr- liche Baiard geklagt, nur den Geist einer unduldsamen Inquisition in Genf seine Herrschaft begründen. Dergleichen ist nie un- gestraft geschehen. Die Strenge, mit der jede Abweichung von dem calvinischen System verfolgt und geahndet wurde , rief auch

Calvin macht selbst der katholischen Kirche zum Vorwurfe, dafs sie »diversas sectas(f d. i. theologische Schulen gestatte. De Scandalis, Opp. VIII 57.

Die kirchlichen Gegner. 1 1

da eine Opposition hervor , wo ursprünglich keine war , und steigerte die vorhandene bei einzelnen vorgeschrittenen Geistern zu ingrimmigem Hafs , zu einer vollständigen Verwerfung nicht blofs des Calvinismus, sondern von wesentlichen christlichen Lehren. Je ärger der religiöse Druck , um so kühner , um so verwegener die Negation. Dieser in der Geschichte der religiösen Unduld- samkeit stets bewährte Satz hat sich in der Stadt Calvins bewahr- heitet. Durch die vorausgegangenen Ereignisse war hier überdies jener verneinenden Richtung vorgearbeitet. Man hatte äufserlich das neue Bekenntnis eingeführt, aber durch das summarische Ver- fahren in manchen Gemütern Glauben und Sinn für Wahrheit überhaupt erschüttert. Während die Einen trotz äufserer Unter- werfung im Innern an ihren alten katholischen Überzeugungen festhielten \ bekannten sich zahlreiche Andere unter der calvi- nischen Hülle zu mehr oder minder radikalen Ansichten. Den Einen wie den Andern war jeder Angriff gegen Calvin, von welcher Seite er auch kommen mochte, willkommen: unbedenklich und freudigen Herzens schlössen sie sich der grofsen Oppo- sition an.

Und dazu kam dann endlich die in den weitesten Kreisen herrschende Unzufriedenheit über das calvinische System der Sittenzucht. Auf der fast allgemeinen Abneigung gegen das neue Zuchtsystem beruhte vornehmlich die Stärke der Opposition.

Calvin selbst war mit der Ahnung, ja mit dem sichern Gefühl, dafs es darüber zwischen ihm und seinen neuen Mitbürgern noch zu schweren Kämpfen kommen werde ^, nach Genf zurückgekehrt. Der Unterschied zwischen dem , was er aus Genf machen wollte, und dem, was es bisher gewesen, war zu grofs ! Heiter und lebenslustig, von leichtem, beweglichen Sinn, an freie Sitten ge- wöhnt und gegen jede Beschränkung seiner Freiheit empfindlich,

' Wie sehr katholische Ansichten und Überzeugungen noch in den vier- ziger und fünfziger Jahren in Genf verbreitet waren, ergiebt sich aus zahl- reichen Stellen der Rats- und Consistorialprotokolle und wird auch von anderer Seite als eine Merkwürdigkeit hervorgehoben : der h. Franz von Sales meinte, dafs selbst noch zu seiner Zeit blofse Erweiterung der Gewissensfreiheit Genf wieder katholisch machen werde ! Vgl. Lettres de S. Frangois de Sales I, 68. Indes war der Verlauf des Kampfes den katholisch Gesinnten wenig günstig und eine irgend bedeutende Rolle haben sie in demselben nicht gespielt.

^ Vgl. Calvin an Farel 21. Okt. 1540, Opp. XI S. 90 ff.

1 2 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

sollte der Genfer sich unter ein System beugen, das sein ganzes bisheriges Sinnen und Trachten für sündhaft erklärte und das Joch einer eisernen Zucht auf ihn legte. Die strenge Kontrolle der Ältesten, die demütigenden Zurechtweisungen vor dem Con- sistorium , die Beschränkung der Vergnügungen und Volksfeste, das Verbot selbst harmloser Spiele, die Ausrottung alter lieb- gewonnener Sitten und Gewohnheiten, dazu auf den Kanzeln eine Sprache, gegen die der zürnende Bufspredigerton alttestamentlicher Propheten milde erschien das waren zu starke Zumutungen für eine Bevölkerung, in der Bertheliers Geist noch nicht erloschen war. Nicht blofs der zuchtlose Haufen, der seinem ausgelassenen Treiben überhaupt ungern Zügel angelegt hat , auch Männer von ernstem Charakter und Wandel, auf die Calvin selbst unbedingtes Vertrauen gesetzt, die für seine Rückberufung thätig gewesen, fanden seine Forderungen zu hart und traten zu ihm in Oppo- sition, um die alte Freiheit, die von den Vätern überkommenen Sitten und Gewohnheiten zu verteidigen. Hatte man darum dreifsig Jahre lang gegen Savoyen , Bern und Frankreich für die Freiheit gekämpft , um sie schliefslich dem gebieterischen Fremden zu Füfsen zu legen?

So vereinigten sich also die verschiedenartigsten Richtungen und Interessen, politische und kirchliche, dogmatische und patrio- tische , altgenferische und bernerische zum gemeinsamen Kampf gegen Calvin und die bestehende Ordnung. Hätte ein bedeuten- der , dem Reformator ebenbürtiger Geist sie unter seine Leitung genommen , ihnen ein festes Ziel und im Kampfe ein Banner ge- geben, der Ausgang würde wohl ein anderer gewesen sein. Ein solcher aber fehlte der Oppositionspartei. Ihre besten Kräfte waren in den früheren Kämpfen verbraucht. Es war nach dem langjährigen Ringen eine gewisse Ermüdung und Erschlaffung der Geister eingetreten. Diejenigen, welche die Führung übernahmen, erschienen klein und unbedeutend gegenüber den alten Führern der Nationalpartei, obgleich sie zum Teil ihre Namen tragen. Das Schlimmste aber war, dafs die Opposition in ihrer bunten Zu- sammensetzung auch bedenkliche, ja geradezu gefährliche und un- lautere Elemente in sich barg. In solchem Lichte zeigt sich zum grofsen Teil der Zuwachs, den sie aus dem Lager der eigenthch kirchlichen Opposition erhalten. Unter denen , welche die Be- hauptung der »alten Freiheit« gegen den geisthchen Druck zu

Die sog. libertinische Opposition.

ihrer Losung machten, befanden sich nicht wenige, die überhaupt jeder Zucht und Ordnung widerstrebten. Gerade diese unlauteren Elemente waren es, die sich während der ersten Zeit des Kampfes als die kampflustigsten in den Vordergrund drängten und dadurch über die gesamte Opposition ein ungünstiges Licht verbreiteten : mit einem Schein von Recht konnte von Calvins Anhängern ver- breitet werden , dieselbe sei überhaupt gegen jede sittliche und kirchliche Schranke gerichtet ^ .

Mehr noch als bei der Mitwelt hat der Ruf der Genfer Oppo- sition dadurch bei der Nachwelt gelitten. Eben jene dunkele Seite derselben hat die geschichtliche Überlieferung vorzugsweise festgehalten und mit noch dunkleren Farben ausgemalt. Man ist noch weitergegangen. Anknüpfend an einzelne Erscheinungen des genfer Lebens hat man in der anticalvinischen Opposition einen nicht blofs thatsächlichen, sondern geradezu principiellen Kampf für völlige sitt- liche Ungebundenheit erblickt und sie mit einer damals in den Ländern französischer Zunge vielfach verbreiteten pantheistisch-anti- nomistischen Sekte in Verbindung gebracht, die in Genf ihren Haupt- sitz gehabt und den Gegnern Calvins für den Kampf das Programm geliefert haben soll. Noch heute beherrscht diese Ansicht die calvi- nische Geschichtschreibung ^. Noch heute führen die Gegner Calvins in der Litteratur von jener Sekte den Namen »Libertiner«.

Was dieser Ansicht einen Schein von Berechtigung gibt, ist der Umstand, dafs Calvin selbst in mehreren sehr leidenschaftlich gehaltenen Schriften sich mit der »schwärmerischen und rasenden Secte der Libertiner« beschäftigt, ja dafs eben diese Schriften unsere Hauptquelle für die Erkenntnis des libertinischen Systems bilden 3. Und nicht blofs dies: es liegt auch in dem libertinischen

' So namenüich Roset , Bonivard und Beza. Ihre Ansicht wiederholt Gaberei, Hist. de l'eglise de Geneve I, 402, während Galiffe (Nouv. pag. S. 88 ff., Quelq. pag. S. 74) die Opposition von aller Schuld frei spricht und bei ihr das höhere Mafs von Sittlichkeit findet,

^ Vgl. Henry II, 398, 412; Trecksei, Die protest. Antitrinitarier I, lyöff. ; Baum, Theodor Beza I, 1 10; Gaberei I, 370; Stähelin, Leben Calvins I, 383 ff. und besonders Bungener, Leben Calvins S. 249 ff. [Vgl. u. S. 19 A. 3.]

3 Vgl. Contre la secte phantastique et furieuse des Libertins qui se nomment Spirituelz par J. Calvin (1545) abgedr. Op. VIT S. 145 252 (latei- nisch in Opp. ed. Amst. T. VIII, 374 403) ; ferner Epistre contre un certain Cordelier suppost de la secte des Libertins (1547), abgedr. Opp. VII, 341 364 (lat. Opp. ed. A. T. VIII) ; auch gehört noch die spätere Response ä un

JA Fünites Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

System selbst etwas, was uns eine gröfsere Verbreitung desselben in Genf sehr natürlich erscheinen lassen würde. Wir sind deshalb genötigt, einen Augenblick bei dem Gegenstande stehen zu bleiben und zunächst die liberlinischen Lehren selbst , die angebliche Quelle der Genfer Oppositionsbestrebungen etwas näher ins Auge zu fassen.

Man darf vielleicht sagen, dafs die Libertiner oder, wie sie sich selbst nannten ,Spiritualen', für die Länder französischer Zunge eine ähnliche Bedeutung hatten , wie die Anabaptisten für die Deutschen, wie denn auch, merkwürdig genug, beide ihre ersten und tüchtigsten Vertreter zum guten Teil aus denselben Gegenden, den sprachlich gemischten Niederlanden, empfingen. Was sie vor- nehmlich unterschied war, dafs die Libertiner ihre Ansichten mehr in einer philosophischen Form entwickelten, daher sie auch mehr in den höheren Kreisen der Gesellschaft Anklang fanden, dann aber, dafs die sittengefährlichen Konsequenzen ihres Systems viel näher liegen. Ist auch Calvin , wie schon seine äufserst heftige Sprache und die mannigfaltigen Widersprüche, in die er sich ver- wickelt , zeigen , kein unverdächtiger Zeuge der mystisch reli- giöse Hintergrund, der auch dieser Sekte nicht fehlt, bleibt von ihm völlig unbegriffen und die beiden bedeutendsten Wortführer derselben , Pocquet und Quintin, werden von ihm mit offenbarer Ungerechtigkeit behandelt ^ mag er auch Konsequenzen ziehen, an welche die Gegner selbst nicht gedacht haben, so bleibt doch des Bedenklichen genug übrig, um uns die von ihm bekämpfte

certain Hollandois, Opp. IX. 5S1 628 (lateinisch Opp. ed. A. T. VIII, 485 bis 99) hierher. Auch Farel verfafste eine übrigens ziemlich unbedeutende Schrift gegen die Libertiner : Le glaive de la parolle veritable, tire contre le bouglier de defense , duquel un Cordelier Libertin s'est voulu servir pour approuver ses fausses et damnables opinions (Geneve 1550), welche er erst Calvin und Viret vorlegte. Vgl. Viret an Calvin 20. Juli 1549 (Opp. XIII S. 335)- [Vgl. ebd. S. 346 f., 363, 374, 388, 393, 397, 398> 4o8, 410, 481, 520]. Übrigens irrt Polenz, Gesch. des franz. Calv. I, 239, wenn er meint, Calvin habe den Namen Libertiner als Bezeichnung der Sekte aufgebracht : der Name ist älter als Calvins Schrift, wie ein Schreiben Virets an Walter (d. d. 5. Sept. 1544, Opp. XI S. 747) über das iiiovum genus Catabaptistarum, quos Libertinos vocant« zeigt.

' Vgl. Schmidt, Über den mystischen Quietismus zur Zeit Franz' I., Zeitschr. für Hist. Theol. Jahrg. 1850 S. 24, Polenz I, 237 ff. [Vgl. Opp. VII S. 159 ff. u. XII S. 65 ff.].

Die Anschauungen der Libertiner. I e

Richtung als eine für die Grundlagen der sittlichen, kirchlichen und staatlichen Ordnung in hohem Grade gefährliche erkennen zu lassen.

Es giebt nur einen Geist , den Geist Gottes , der in allen Kreaturen lebt und wirkt das ist nach Calvin der Ausgangs- punkt des Systems'. Die Geschöpfe sind an und für sich nichts, sie haben keine wirkliche Existenz aufser Gott. Gott ist alles, der Baumeister und das Werk. Die Begriffe Welt, Teufel, Mensch, Engel zerfallen in Nichts und sind leere Einbildungen. Ebenso- wenig ist ein Unterschied zwischen Gut und Böse vorhanden, da Gott in Allem ist und Alles wirkt : die Sünde ist ein eiteler Wahn, der wie Rauch vergeht, wenn man ihn verachtet "". Das Wähnen, die Vorstellung des Bösen , die Unterscheidung desselben vom Guten ist die einzige Sünde. Und darin eben bestand Adams Sündenfall, dafs er sich in der Vorstellung von Gott trennte, von dem Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen afs, d. i. zwischen Gutem und Bösem unterschied. So lange der Mensch noch in dieser Vorstellung befangen bleibt, Reue und Gewissens- bisse empfindet, gehört er der Welt und dem Teufel an, ist er selbst nur ein Wahn, der vorübergeht. Wie Adam die Sünde in die Welt gebracht hat, so Christus die Erlösung von dem Wahne derselben ^ In Christo sind wir alle, da wir mit ihm im Geiste eins sind, der Sünde gestorben und wiedergeboren. Diese Wieder- geburt und die Ertötung des alten Menschen besteht darin, dafs wir zur ursprünglichen Unschuld Adams , zur kindlichen Einfalt und Einheit mit Gott zurückkehren , dafs wir nach dem Worte der Bibel: »dem Reinen ist alles rein«, die Sünde nicht mehr sehen, Gewissensbisse nicht mehr fühlen, sondern mit kindlichem Gemüte dem Geiste Gottes in unsern natürhchen Neigungen und Trieben folgen und in der Freiheit des Geistes dem Gesetze ab- sterben; der, dem solches gelungen, ist der wahrhaft »geisthche« Christ^.

' Contra la secte des Libertins 1. c. Chap. Ii,

* L. c. Chap. 12 u. Chap. 13.

3 » Voila Hz co7tstituent tout le benefice de Ja redeniption faicte par Jesus Christ: c'est qu'il a destruict ce ctiider (opinatio) qtd estoit entre au monae par la coulpe d'Adami:, 1. c. eh. 18.

* Vgl. 1. c. eh. 18 ff. Epitre contre un Cordelier 1. c. VII, 356.

l6 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

So das libertinische System , wie es sich unter den Händen Calvins gestaltet. Seine sittengefährlichen Konsequenzen liegen zu Tage, Calvin zeigt sie rücksichtslos : sie sind nach ihm das wahre und eigentliche Ziel der Sektierer ^

Es hätte an sich nichts auffälliges, wenn bei der allgemeinen Aufregung der Geister diese Lehren, wie in zahlreichen gröfseren französischen Städten , so auch in Genf Anklang und Beifall ge- funden hätten. Die geheimen Glaubensboten , welche für ihre Verbreitung thätig waren , gewöhnlich ehemalige Geistliche oder erleuchtete Handwerker, scheinen in merkwürdigem Grade die Gabe besessen zu haben , die Gemüter für sich einzunehmen und sich in den verschiedensten Kreisen Eingang zu verschaffen, und einer der bedeutendsten unter ihnen , Antoine Pocquet , hielt sich , wie wir durch Calvin erfahren, 1543 einige Zeit in Genf auf^.

Dazu aber kommt noch ein anderers : die unverkennbare Verwandtschaft zwischen den libertinischen und Calvins eigenen Ansichten. Es bedurfte auf der mit der Prädestinationslehre ein- geschlagenen Bahn nur weniger Schritte weiter, um zu Sätzen zu gelangen , die von den libertinischen nicht so gar verschieden waren. Ist der Mensch von Ewigkeit her prädestiniert, so folgt, dafs alle seine Handlungen im Grunde gleichgültig sind ; geschieht das Böse, weil Gott es will und anordnet, so kann nach mensch- licher Vorstellungsweise weder von einer Schuld des Menschen, noch überhaupt von guten und schlechten Handlungen die Rede sein 3. Dafs das calvinische Lieblingsdogma in der That auf die Libertiner von Einflufs gewesen, dafs jene Schlufsfolgerung wirk- lich von ihnen gezogen worden ist, ersehen wir namentUch aus Calvins zweiter Schrift gegen die Sekte, in welcher er mit bitteren Worten darüber klagt, dafs man »unter dem Vorwande der Prä- destination den Menschen vollständig zu Nichts zu machen suche, so dafs auch der Reprobierte nichts zu seinem Verderben beitrage. Das heifse die Prädestinationslehre, welche er, wie alle Welt

' Vgl. namentlich Comment. in sec. ep. Petri, Opp. LV S. 469: i>Scopus est ut sublato boni et mali delectu quidvis liceat: ab omni legton subjectione soluti homines suae libidini obsequantuv.

* Contre la secte des Lib. 1. c. eh. 4.

3 In der berühmten von Calvin präsidierten Kongregation über die Gnaden wähl im J. 155 1 stellte auch einer der Prediger geradezu den Satz auf: »Une niesme chose sera banne et mativaise: bonne en Dieu, tnauvaise en l'homme«. Opp. VIII, 134.

Libertiner und Prädestinationslehre.

17

wisse, mit so vieler Mühe klar und verständlich gemacht habe, nach Weise der Sophisten verdunkeln« \ Selbst einem Manne wie Farel blieb jener Zusammenhang nicht verborgen und schwerer noch als der Meister selbst empfand er die dem Manne Gottes angethane Schmach. Unter Ausbrüchen des Zorns über die menschliche Bosheit und Gottlosigkeit klagt er, wie jene Schwarm- geister Lehren und Glaubenssätze , die bei Calvin ganz richtig, christlich und wahr seien , in ihrem Sinne verdrehten und ver- kehrten, auf solche Weise die ganze tröstliche Prädestinationslehre »in Verwirrung brächten« und sie auf Satans Eingebung zu einem Fallstrick für die Gläubigen machten ^. Daran, dafs die Liber- tiner wirklich aus Calvins Schriften geschöpft, zweifelt er so wenig, dafs er ihnen vielmehr , naiv genug , Unredlichkeit und Lügen- haftigkeit vorwirft, wenn sie behaupteten, von keinem Meister ge- lernt zu haben : fremde Federn seien es , mit denen sie sich schmückten. Die eigenen Worte Calvins findet er bei ihnen wieder \

Qa würde es denn nicht nur nicht auffallend sein , sondern es läge eine gewisse Konsequenz darin , wenn die Stadt Calvins, von dem der libertinische Irrtum einen so sichtbaren Impuls empfangen, auch ein Hauptsitz der neuen Doktrin geworden wäre.

Und dennoch ist dies nicht der Fall gewesen. Eben die gegen die Sekte gerichteten Schriften liefern dafür einen unwider- sprechlichen Beweis. Weder Calvin noch Farel deuten auch nur mit einem Worte an , dafs die von ihnen bekämpften Lehren be- sonders in Genf verbreitet gewesen wären, während mehrere fran- zösische Städte als namhafte Sitze der Irrlehre aufgeführt werden. Es handelt sich für sie nur um die Bekämpfung einer in der ganzen französischen Kirche verbreiteten , im Geheimen schlei-

Epistre contra un Cordelier, Opp. VII, 347 (ed. A. T. VIII, 403b bis 404 a).

* Farel, Le glaive de la parolle p. 30, 185, 186. An den Teufel, in dem er den Urheber des ganzen gottlosen Beginnens erblickt , hält er eine zehn Seiten lange (p. 191 201) heftige Strafpredigt.

3 »Ainsi ce Cordelier amenant les propres motz de Calvin qu'il a mis de la predestination ou Hz conviennent tres bien et les transferant a la creation et autres lieiix, cn confondant tout, dit navoir rien prins de luy , mais se nomme disciplc de Dieu sous aucuft moyen .... Touteffois gens de sain jiigement yoyent facileinent ou et de qid tclles corneilles out prins leurs plumes.* 1. c. p. 30, vgl. p. 34.

Kampschulte, J. Calvin IT. 2

l8 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

chenden ketzerischen Richtung , die der Ausbreitung des reinen Evangeliums grofsen Abbruch thut, nicht um einen einheimischen Gegner. Calvin schrieb sein Hauptwerk gegen die Libertiner auf den ihm wiederholt ausgedrückten Wunsch seiner theologischen Freunde und weil er in der ihm von Gott angewiesenen uni- versellen Stellung eine Aufforderung erblickte , die Welt vor dem neuen Gifte zu warnen'. Eine besondere Rücksicht auf die Genfer Verhäftnisse leitete ihn so wenig , dafs die Königin Margareta von Navarra, welche die neue Lehre in Schutz nahm, die Schrift vielmehr als gegen sich und ihren Hof gerichtet ansah ^.

Zu dem gleichen Resultate gelangen wir, wenn wir auf die einheimischen Quellen einen BHck werfen. Nirgendwo begegnen wir Spuren einer gröfsern Verbreitung libertinischer Ansichten. Den Ratsprotokollen jener Zeit ist der Ausdruck Libertiner vöUig fremd. Die Mehrzahl der Genfer hafste Calvin mit gründlichem Hafs ; aber Mysticismus und philosophische Spekulation waren ihre Sache nicht : Ideen wie die von den Libertinern entwickelten gingen über ihr Fassungsvermögen hinaus. Kein Zeitgenosse hat die Gegner Calvins als Libertiner bezeichnet. Weder Roset, der offizielle Chronist des calvinischen Staates, noch der erfindungs- reiche Bonivard, der uns alle die alten Parteinamen aufbewahrt hat 3 , weifs von einer Partei der Libertiner in Genf. Wann der

' *Fiets que nostrc Seigneur* schreibt er an die Königin von Navarra, xma appelle a ccst office, via conscience nie contrainet dy festster tant quil mest possible. II y a plus^ quavec grandes obtestations et vehementes, ie suis soUicite des pauvres fidelies qui en veoient le pays bas de Üempereur tont corroviprc, que bien tost et sans plus dylayer ie mette la niain a Iceuvre«. Opp. XII S. 66. So fafst auch der Übersetzer der Schrift, Des Gallars, dieselbe auf, indem er an Falais schreibt : » Quoniatn malum hoc lotigius serpebat in Gallia ac multa jam hojiiinum millia corrupta eraiit, ideo Gallice scripsit Calviiius« etc., Opp. VII. Proleg. p. XXVII.

» Opp. XII S. 65; Beza, Vita Calvini , ebd. XXI S. 136; Hist. eccl. des egl. ref. I, 14, 31. Pocquet u. Quintin fanden an ihrem Hofe wohl- wollende Aufnahme und aus dem Schreiben eines gewissen Michaux vom 10. Aug. 1548 (Opp. XTII S. 27) ersehen wir, dafs Pocquet noch um diese Zeit sich bei der Königin aufhielt und in Gunst stand.

3 Bonivard, Anc. et nouv. pol. p. 35 ff. Dafs Calvin selbst die Oppo- sition als eine libertinische bezeichnet habe , ist eine der vielen unerwiesenen Behauptungen Audins (Vie de Calvin II, 96) und ebenso falsch, als wenn Brunnemann (M. Servetus S. 12) meint, die Gegner hätten ihn sich selbst bei- gelegt.

Genf und Libertinismus.

19

Name zuerst aufgekommen , ist schwer zu ermitteln jedenfalls nicht vor Ende des sechzehnten Jahrhunderts, als die Erinnerung an den ursprünglichen Charakter des Kampfes sich bereits völlig verloren hatte'.

Doch wollen wir nicht zu weit gehen. Vereinzelte Anhänger mögen die libertinischen Ideen immerhin auch in Genf gefunden haben. Es wäre sogar ein halbes Wunder, wenn die Stadt des grofsen Weltverkehrs von dem neuen Geiste gänzlich unberührt gebheben wäre, wenn innerhalb einer Bevölkerung, welche die ver- schiedenartigsten Elemente enthielt und sich schon in Opposition gegen das herrschende Kirchensystem befand, der radikale Mysti- cismus Pocquets nicht wenigstens auf einzelne Vorgeschrittenere einen Reiz ausgeiibt hätte. In der That führt uns die Geschichte der Genfer Farteikämpfe mehr als eine Erscheinung vor, die eine gewisse Einwirkung hbertinischer Ansichten erkennen läfst. Wir begegnen in den Rats- und Consistorialprotokollen einigemal Äufserungen , in denen man Anklänge an das von Calvin be- kämpfte System erkennt ^. Allein bei solchen vereinzelten Er- scheinungen ist es allen Anzeichen nach geblieben und auf den Charakter und Fortgang des Kampfes der Oppositionspartei haben dieselben keinen Einflufs ausgeübt. Die hergebrachte Ansicht von dem Kampfe der »Libertinerc gegen Calvin ist historisch unhalt- bar und entbehrt trotz alles äufsern Scheins jeder wirklichen Be- rechtigung 3.

' Die erste Spur finde ich bei Bolsec, der p. 50 sagt, Calvin habe seine Gegner in Genf »tamquam qui Li' ertini vel athci fuisscnt« vertrieben , was jedenfalls zeigt, wenn Calvin auch den Ausdruck nicht gebraucht, dafs das Wort Libertiner zur Zeit, als Bolsec schrieb, schon in einzelnen Kreisen von den Genfer Gegnern Calvins gebraucht wurde. Zu seiner Verbreitung mag es beigetragen haben , dafs , wie man namentlich aus Virets spätem Schriften sieht, das Wort nach und nach eine sehr weite Bedeutung erhielt. Der von Galiffc (Quelques pag. p. 40 41, p. 75, Nouv. pag. p. 84) vermutete italie- nische Ursprung des Namens ist mir mindestens sehr zweifelhaft.

* Vgl. z. B. das Verhör der Benoite Ameaux bei Galiffc , Nouv. pag. p. 14 ff.

3 [Ein stärkerer Einflufs der libertinischen Ideen ist auch in der neueren Calvinlitteratur noch mehrfach angenommen worden , so noch zuletzt von J\. Stähelin in dem Aufsatze der Prot. Realencyklopädie III S. 669 über Calvin.]

20 Fünftes Buch. . Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

II.

ERÖFFNUNG DES KAMPFES.

Nicht die Opposition war es , welche die neuen Feindselig- keiten eröffnete : der erste Angriff ging von dem Reformator selbst aus.

Calvin handelte wie ein erfahrener Feldherr, der, wenn er die Unvermeidlichkeit eines Kampfes erkannt hat , es vorzieht, dem Feinde zuvorzukommen, und geschickt die erste günstige Ge- legenheit zum Angriffe benutzt. »Da Satan«, sagt er später von dieser Zeit, »so mancherlei in Bewegung setzte, um diese Kirche zu zerstören , so beschlofs ich endlich notgedrungen , obschon un- kriegerisch und furchtsam , mich mit meinem eigenen Leibe den mörderischen Anschlägen entgegenzustellen und sie zu vernichten« ^. Eine ruhige Prüfung der Lage mufste ihn überzeugen, dafs die Aussichten für ihn nicht so ungünstig waren, als es auf den ersten Blick schien, dafs er sich vielmehr noch entschieden im Vorteil befand. Die gegnerischen Elemente hatten sich noch nicht zu einer festen Partei verbunden, die Opposition war noch in der Bildung begriffen und ungeübt, zum grofsen Teil über das eigent- liche Ziel im unklaren und führerlos ; es waren nicht ihre besten Kräfte , die sich im Anfang hervordrängten. Die Träger der ge- setzlichen Gewalt, der kleine und selbst noch der grofse Rat standen , wenn auch durch die Kundgebungen der letzten Zeit etwas eingeschüchtert , überwiegend auf Calvins Seite. Es iiefs sich voraussehen , dafs ein kühnes entschlossenes Vorgehen ihres geistlichen Führers auch ihren Mut erhöhen und manchen Schwanken- den wieder unter die alte Fahne zurückführen werde.

In den ersten Wochen des Jahres 1546 fafste Calvin jenen kühnen Entschlufs. Ein nicht gerade hervorragendes Mitglied der Opposition , Pierre Ameaux , wurde für den ersten Angriff aus- ersehen-. Nicht ohne Geschick und Berechnung war der Gegner

' Vgl. Praep. in Psalm., Opp. XXXI S. 27.

* [Für die ganze Angelegenheit Pierre Ameaux vgl. jetzt die eingehen- deren, im wesentlichen aber mit Kampschulte übereinstimmenden Ausführungen von Cornelius, Hist. Arb. S. 462 ff. Dafs der Kampf gegen Ameaux und alle weiteren Kämpfe allein der Durchführung des theokratischen Systems und nicht etwa persönlichen Herrschergelüsten galten, betont nachdrücklichst Choisy, La Theocratie ä Geneve au temps de Calvin S. 91.]

Pierre Ameaux. 21

ausgewählt : ohne den altangesehenen und beliebten Familien der Stadt anzugehören , deren Einflufs noch zu fürchten war , nahm derselbe doch eine Stellung ein , bedeutend genug , um seine Niederlage zu einem glänzenden Siege Calvins und warnenden Exempel für die ganze Gegenpartei zu machen.

Pierre Ameaux gehörte zu jenen EmporkömmUngen, die unter den früheren Wirren durch die wiederholten Proscriptionen und Auswanderungen der nach einander überwundenen kirchlichen und politischen Parteien in Genf ihr Glück gemacht hatten. Sohn eines Kartenfabrikanten ' und selbst mit dem Gewerbe des Vaters eine Buchdruckerei verbindend , war er nach und nach zu den angesehensten bürgerlichen Ehren und Ämtern gelangt. Seit dem Jahre 1530, in welchem er zuerst einen Sitz im grofsen Rat er- hielt, finden wir ihn in rascher Folge als Mitghed der verschie- denen städtischen Ratskollegien. Im Jahre 1545 wurde er zum zweiten Mal in den kleinen Rat gewählt und mit dem wichtigen Amte eines Aufsehers des städtischen Geschützwesens betraut. Ameaux hatte sich seit dem Jahre 1540 zu den Guillermins ge- halten, die in der Rückberufung Calvins ihren Triumph feierten, und war , wie es scheint , in der ersten Zeit ein eifriges Mitglied der Partei gewesen. Indes wie so mancher andere, erkaltete auch er bald in seinem Eifer für den Reformator, der seitdem gegen diesen EmporkömmUng eine besondere Abneigung fafste. Deut- liche Spuren derselben zeigen sich in dem einige Zeit später von Ameaux gegen seine Frau, ein Weib von losen Sitten und fri- volen Grundsätzen, anhängig gemachten Ehescheidungsprozesse, in dem Calvin nicht die gewohnte Strenge gegen den schuldigen Teil an den Tag legte und der Kläger erst nach langen Ver- handlungen und wiederholten Verzögerungen zu seinem Rechte gelangen konnte^. Natürlich, dafs solche Erfahrungen das Gemüt des Mannes noch mehr verbitterten und aus dem ehemaligen be- geisterten Verehrer mehr und mehr einen entschiedenen Gegner des Reformators und des neuen geistlichen Regiments machten.

Diesen seinen Gefühlen hatte Ameaux zu Anfang des Jahres 1546, als er, von längerer Krankheit genesen, eines Abends

' Vgl. Galiffe, Not. genealog. IV, 239 ff.

* Vgl. Galiffe, Nouvelles pages d'hist. exacte ; le proces de P. Ameaux etc. p. 14 ff. Die hier gegebene aktenmäfsige Darstellung zeigt, dafs Ameaux in dieser Angelegenheit kein Vorwurf trifft.

2 2 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

(26. Januar) einige Freunde um sich versammelte, offen Ausdruck gegeben, In der Lebhaftigkeit der Unterhaltung schüttete er vor den Anwesenden den ganzen Unmut seiner Seele aus. »Calvin, äufserte er vom Weine erhitzt, sei ein schlechter Mensch und nichts als ein Pikarde , er predige eine falsche Lehre , er richte die Schule zu Grunde und gestatte nicht, die Kinder im Latei- nischen und in der Grammatik zu unterrichten, sein und seiner Gehilfen Gehalt sei viel zu hoch , der Magistrat befinde sich in völHger Abhängigkeit von ihm , in kurzem würden die Fremden vollständig Herren der Stadt sein« ' 1

Was Ameaux vor seinen Freunden geäufsert, war im Grunde nichts anderes als was die ganze Partei der Unzufriedenen dachte und auch oft genug ausgesprochen hatte. Aber für ihn wurden die gesprochenen Worte verhängnisvoll. Es sollte an seinem Bei- spiele gezeigt werden , dafs die Zeit der Nachsicht vorüber sei, dafs fortan die dem Reformator gebührende Ehrfurcht in Genf nicht mehr ungestraft verletzt werde.

Der Fall lag für Calvin aufserordentHch günstig. Da mit ihm zugleich der Magistrat selbst angegriffen war, bedurfte es von seiner Seite nicht einmal eines Klageantrages. Gleich am andern Tage verfügte die calvinische Behörde es ist auffallend , wie rasch das Geschehene zu ihrer Kunde gelangte Ameaux' Fest- nehmimg. Der an sich unerhebliche Vorfall, der nach den Edikten in drei Tagen hätte erledigt sein sollen, wurde wie ein schweres Verbrechen behandelt. Die Wohnung des Angeklagten wurde durch- sucht und versiegelt, eine Masse von Zeugen, darunter seine Diener verhört, seinen ursprünglichen Äufserungen eine immer weitere Aus- dehnung gegeben und die Haft ins Unbestimmte verlängert. Ver- gebens kamen seine Verwandten und Freunde um seine Frei- lassung ein, vergebens wandten sie sich an Calvin selbst ^ Ebenso- wenig machte es Eindruck, dafs bei den in diese Zeit fallenden öffentlichen Wahlen der Angeklagte in seinen öffentlichen Ämtern aufs neue bestätigt wurde eine Demonstration, deren Bedeutung

' Ratsprot. 27. Jan. 1546; Nouv. pag. p. 21, 22. Roset 1. V, c. 4.

^ Vgl, Calvin an Farel 13. Febr. 1546, Opp. XII S. 284. Das von Bohec citierte Schreiben Calvins an Viret ist offenbar mit diesem identisch. [Vgl. Opp. XII S. 284 n. 9 , wo dieser Punkt im gleichen Sinne eingehend erörtert wird.]

Prozefs gegen P. Ameaux. 2 1

nicht mifszu verstehen war'. Der Angeklagte blieb nichtsdesto- weniger in strenger Haft. Erst dann , hiefs es, könne von Frei- lassung die Rede sein, wenn er die ihm zur Last gelegten Äufse- rungen unumwunden eingestehe und um Gnade bitte. Wirklich liefs sich der durch die erfahrene Behandlung gebeugte Mann endlich zu einem solchen Schritte bewegen. Am 26. Februar reichte Ameaux den »Herren« eine Bittschrift ein, die demütiger kaum gehalten sein konnte : unter Hinweisung auf die eben über- standene schwere Krankheit , die auf seinen Gemütszustand einen nachteiligen Einflufs ausgeübt habe , bekennt er , Gott selbst, den Herrn Calvin, die Prediger und den Rat beleidigt zu haben, und bittet in unterwürfigen Ausdrücken, ihm in Anbetracht seiner trau- rigen Lage Gnade zu gewähren-. Eine Genugthuung wie diese war den Verteidigern des geistlichen Regiments kaum je zuteil geworden.

Was er beabsichtigt, erreichte freilich der Angeklagte auch durch diesen demütigenden Schritt nicht ; aber es nahm der Prozefs seitdem doch einen raschern Fortgang. Im kleinen Rate standen sich zwei Ansichten gegenüber : eine mildere, welche für bedingte Begnadigung war, und eine strenge, welche Verurteilung in der schroffsten Form verlangte. Man kam überein, beide An- sichten dem grofsen Rate zur Entscheidung vorzulegen. Hier trug endlich die mildere Auffassung den Sieg davon. Die Zwei- hundert beschlossen (2. März) den Angeklagten zu »begnadigen«, unter der Bedingung, dafs er vor versammeltem grofsen Rate kniefällig »die Gnade Gottes, der Gerechtigkeit und des Herrn Calvin anrufe« ^

Es war eine Begnadigung, die auf diesen Namen kaum noch Anspruch hatte. Allein anderer Ansicht war Calvin. Ihm schien die erlassene Sentenz von dem Geiste einer strafbaren Milde ein- gegeben. Nicht so leichten Kaufs wollte er sich sein Opfer ent- gehen lassen. Er bebte vor dem Gedanken nicht zurück, auch einen Beschlufs des grofsen Rates umzustofsen.

Als der Spruch am Nachmittag des 4. März •♦ vor den ver-

' Vgl. Nouv. pag. p. 24.

^ Ratsprot. 23., 26. Febr. 1546; Nouv. pag. p, 26, 27. 3 Ratsprot. I. u. 2. März 1546; Nouv. pag. p. 27 ff. + [Es wurde vielmehr am 4. März beschlossen, dafs dies am folgenden Tage geschehen solle; Cornelius a. a. O. S. 465.]

24 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

sammelten Zweihundert und im Beisein Calvins vollzogen werden sollte, lehnte dieser jede Teilnahme ab. j>Er werde nicht er- scheinen« liefs er dem Rate melden, »noch jemals die Kanzel wieder besteigen , wenn nicht eine Ehrenerklärung und öffentliche Genugthuung für die dem göttlichen Namen zugefügte Schmach erfolge; eine einfache Zurücknahme der gethanen schändlichen und gotteslästerlichen Äufserungen genüge nicht«. Eine solche Sprache war lange nicht mehr in Genf gehört worden , aber sie brachte die beabsichtigte Wirkung hervor. Der kleine Rat, zum Teil ein- geschüchtert, zum Teil auch mit Calvin einverstanden, beschlofs, die Ausführung des Beschlusses der Zweihundert auszusetzen und neue Verhandlungen über den Fall zu eröffnen ' .

Calvin verbarg sich die Tragweite und Bedeutung seines Be- ginnens nicht. Handelte es sich doch um nichts Geringeres, als ein in feierlicher Sitzung von der zuständigen Behörde gefälltes rechtsgültiges Urteil mit Verletzung aller Gesetze umzustofsen und damit die Grundlagen der öffentHchen Rechtspflege selbst zu er- schüttern. Er suchte deshalb nach einem Bundesgenossen und fand ihn in dem allzeit willfährigen Consistorium. Schon am 4, März vermochte er dasselbe zu dem Beschlüsse, Ameaux' Äufserungen auch als gegen sich gerichtet anzusehen und die Klage Calvins zugleich zu der seinigen zu machen "". So begab er sich an der Spitze der ihm ergebenen Geistlichen und Laien- ältesten am folgenden Tage vor den kleinen Rat , um in aller Form gegen die glimpfliche Behandlung des Angeklagten Protest zu erheben. Die Geistlichkeit, erklärte er, dürfe, »um die Ehre des göttlichen Wortes zu wahren« , zu dem Vorwurfe , dafs sie Falsches lehre, nicht schweigen, sondern müsse auf strenger Unter- suchung bestehen. Habe er selbst oder einer der Prediger Irr- tümer vorgetragen , so möge der Rat gegen sie einschreiten ; wo nicht, so müsse der Verleumder auf das strengste bestraft werden und öffentlich vor ganz Genf Sühne leisten.

Der kleine Rat machte, wie sich voraussehen Hefs, nicht viele Schwierigkeiten und ging auf den geistlichen Antrag ein. Auch im Rate der Sechzig drang derselbe durch, obschon hier

' Ratsprot. 4. März 1546; Nouv. pag. p. 31, 32.

* "Que toitt le Consistoire veiä participer en ses doleances«. Vgl. Con- sistorialprot. 4. März 1546, Annales Calv., Opp. XXI S. 371.

Eingreifen Calvins in den Prozefs. 25

doch das Wort fiel : man dürfe gefafste Beschlüsse nicht umstofsen. Da bHeb am Ende auch den Zweihundert nichts übrig, als nach- zugeben. Aufgefordert, zwischen Calvin und Ameaux , zwischen dem fremden und dem einheimischen Emporkömmling zu wählen, entschieden sie sich für jenen und nahmen am 6. März die be- schlossene »Begnadigung« zurück, »damit die Ehre Gottes und der Stadt Genf bewahrt bleibe«. Man überliefs es dem kleinen Rate, »Gerechtigkeit zu üben, wie es ihr Gewissen den Herren eingebe« \

Damit war Calvins vollständiger Sieg entschieden. Wohl wurde zum Schein wegen der gegen ihn erhobenen Beschul- digungen eine Untersuchung angeordnet, aber man betrieb die- selbe nur lässig. Erst am 17. März wurden die Mitglieder der ehrwürdigen Genossenschaft und des Consistoriums aufgefordert, sich über Calvins Leben und Lehren zu äufsern , und wenn er Irrtümer vorgetragen habe, dieselben »Punkt für Punkt und Artikel für Artikel« anzugeben. Natürhch, dafs Männer, die schon vor- her Calvins Sache zu der ihrigen gemacht hatten, ihrem Meister das günstigste Zeugnis ausstellten und sowohl seine Lehren, als seinen Lebenswandel durchaus dem göttlichen Worte gemäfs und christlich fanden ^ Zu sehr lag das Illusorische einer solchen Untersuchung, die in Wahrheit nur dazu diente, die Haft des An- geklagten zu verlängern, vor jedermanns Augen, als dafs eine Täuschung darüber möglich gewesen wäre.

In der That begann es jetzt in der Bürgerschaft unruhig zu werden. Gehörte Ameaux auch nicht zu den populären Persön- lichkeiten der Stadt, war er auch ein Emporkömmling und als solcher, wie es scheint, bei dem Volke wenig gelitten ein Umstand, der Calvin bisher sehr zu statten gekommen die unerhörte Behandlung, welche er erfuhr, rief doch in den weitesten Kreisen Teilnahme für ihn hervor. Und erst jetzt schien auch der Masse das Verständnis aufzugehen, dafs es sich in dem Pro- zesse noch um etwas mehr als die Person des Angeklagten handele. Die antiklerikalen Leidenschaften erwachten. Grofs war die Auf-

' Ratsprot. 5., 6. März 1546, Ann., Opp. XXI S. 372 f.

* Ratsprot. 16., 17. März 1546, [Ann., Opp, XXI S. 374: 15. und 17. März] Roset 1. V, c. 4. Die wenigen Calvin abgeneigten Prediger wurden von der Vernehmung ausgeschlossen oder schlössen sich selbst aus. Vgl. Nouv. pag. p. 50 ff.

2 0 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

regung namentlich in S. Gervais , dem Hauptquartier der Oppo- sition, das dieses Mal um so nachdrücklicher für den Angeklagten Partei nahm, als derelbe eben dieser Pfarrei angehörte : die Stimmung nahm hier bald einen für Calvin gefährlichen Charakter an.

Allein der Kampf war begonnen und mufste nun zu Ende geführt werden. Weder Calvin noch der Rat, dessen Entschlossen- heit mit der Kühnheit seines geistUchen Führers wuchs , liefsen sich wankend machen. Eine willkommene Hilfe brachten die beiden alten Genfer Prediger Farel und Viret, die, offenbar in- folge einer geheimen Weisung Calvins \ eben in diesen Tagen in Genf anlangten und mit ihrem ganzen Ansehen, welches noch immer sehr grofs war, für die Sache des Freundes eintraten. Ihre Predigten und »schönen Ermahnungen« machten Eindruck und beruhigten viele ^. In S. Gervais bestieg Calvin selbst wieder- holt die Kanzel, um die unruhige Bevölkerung zur Ordnung zurück- zuführen. Er that seinen Gefühlen keinen Zwang an , sprach von unnützem Gesindel und müfsigen Pflastertretern, von Bestien und reifsenden Wölfen. Ein Zuhörer, der ihn bei diesen Worten unterbrach, wurde sofort eingesperrt 3. Als die Unruhen trotzdem fortdauerten und ein Tumult drohte , wurde zu weitern Verhaf- tungen geschritten, hierauf, am 30. März in Gegenwart des Rates und bewaffneter Offiziere, wie Calvin einst gedroht hatte, mitten auf dem Hauptplatze von S. Gervais ein Galgen aufgerichtet, um Schrecken einzuflöfsen, und einer der rücksichtslosesten Anhänger Calvins, der Syndik Lambert, mit Hintansetzung aller Privilegien als »Kapitän« in der trotzigen Vorstadt eingesetzt"*.

Diese Strenge wirkte. Am 8. April durfte der Rat es endlich wagen , das neue Strafurteil gegen Ameaux zu verkünden. Es verurteilte den Angeklagten, aus dessen eigenen Geständnissen er- helle, dafs er von Gott, der Obrigkeit und dem Herrn Calvin schlecht geredet habe , »im Hemde , barhäuptig, eine brennende

' Ratsprot. i. u. 2. April 1546 [Ann., Opp. XXI S. 376]. Calvin an den Herrn von Falais 16. April 1546, Opp. XII S. 332 f.

^ Ratsprot. 29. März, 2. April 1546 [Ann. S. 375, 376]. Nouv. pag. p. 56.

3 [Dafs Calvin ihr Kommen veranlafst hatte , zeigen seine Schreiben an Viret vom 8. und 26. März , sowie ein zwischen beide fallendes undatiertes, Opp. XII S. 305, 318, 323.]

■* Ratsprot. 30. März, i., 2., 6. April 1546, Nouv. pag. p. 57, 58; vgl. Galiße, Gen^ve hist. et archeol. p, 90. \_Cortielius, die ersten Jahre S. 469.]

Urteil im Prozefs Ameaux.

27

Fackel in der Hand durch die Strafsen der Stadt geführt zu werden und sodann vor den Richtern, auf dem Boden knieend, die Gnade Gottes und der Gerechtigkeit anzurufen und zu bekennen , dafs er gottlos und böswillig jene schändlichen Worte ausgestofsen habe und sie bereue«. Ohne Störung wie die Verkündigung er- folgte die Vollstreckung der Sentenz : auf den drei belebtesten Plätzen der Stadt mufste der Ratsherr Pierre Ameaux im Büfser- hemd und kniefällig die ihm vorgeschriebene Bufsformel vor der versammelten Menge hersagen und in demütigen Ausdrücken Besserung geloben ^ Dafs eine solche Verurteilung den Getroffenen auch in seiner bürgerlichen Stellung vernichtete und ihn zur Be- kleidung eines öffentlichen Amtes für immer unfähig machte, ist nicht nötig, ausdrücklich noch zu erwähnen.

Der erste Angriff war also völlig gelungen. Ameaux' Fall zeigte, was sich auch jetzt noch bei rechter Energie in Genf durchsetzen Uefs. Die Haltung der bürgerlichen Behörde hatte das in sie gesetzte Vertrauen vollkommen gerechtfertigt und den Beweis geliefert , dafs Calvins Autorität noch fest stand, wenn er nur die notwendige Entschlossenheit an den Tag legte. Die Opposition hatte sich als ohnmächtig erwiesen ; sie war offenbar überrascht und über ihre Haltung noch nicht im klaren. Calvin wufste nun, welche Macht er noch besafs und trug kein Bedenken, auf der betretenen Bahn jetzt weiter zu gehen.

Das erste war, dafs er die ehrwürdige Genossenschaft selbst von den unzuverlässigen Elementen reinigte. Es hatte sich im Verlaufe des Prozesses gezeigt, dafs nicht auf alle Mitglieder der- selben zu zählen war.

Noch bevor der Prozefs Ameaux' völlig entschieden war, wurde der Prediger von Moyn, Aime Megret aus seinem Amte entfernt. Megret hatte schon früher sowohl durch Insubordination als auch durch ungeistliche Sitten Anstofs gegeben, so dafs seine Beseitigung leicht zu bewerkstelligen war. Die verdächtige Hal- tung, welche er jetzt aufs neue in dem Ameauxschen Prozesse beobachtete, insbesondere der Umstand, dafs er sich jener feier- lichen Kundgebung zu Gunsten Calvins am 17. März nicht an- schlofs, hatte denn auch seine rasche Absetzung zur Folge. Schon am 25 März erhielt er wegen »mancherlei Insolenzen« seine Ent-

Vgl. Ratsprot, 8. April 1546 [Ann. S. 377]. Nouv. pag. p. 60, 61.

2 8 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

lassung. Der Franzose Saint -Andrd, ein eifriger Jünger Calvins, trat an seine Stelle ^ .

Viel wichtiger war das zweite Mitglied der ehrwürdigen Ge- nossenschaft, gegen das Calvin sich wandte, der Prediger Henri de la Mare.

De la Mare war, wie wir uns erinnern, einer von jenen vier Geistlichen , die nach Calvins und Farels Verbannung im Jahre 1538 zum grofsen Verdrufs der Exilierten den geistlichen Dienst in Genf übernommen hatten. Er war auch nach Calvins Rück- kehr mit Einwilligung desselben in seinem Amte geblieben , aber natürUch, dafs der Reformator gegen einen Mann, der den geist- lichen Ansprüchen so viel vergeben und der weltlichen Macht so bedeutende Zugeständnisse gemacht hatte, eine bleibende Ab- neigung empfand. Die Stellung, welche de la Mare zu der neuen Ordnung einnahm, liefs diese denn auch bald als gerechtfertigt erscheinen. Ohne gerade ein Mann von scharfem Geist oder starkem Charakter zu sein , besafs de la Mare doch eine gewisse Geradheit der Gesinnung, die ihn hinderte, nach Art mancher Anderer auch da Zustimmung zu heucheln, wo er innerlich nicht einverstanden war: er verleugnete die früher bekannten Grund- sätze nicht und inachte auch kein Hehl daraus, dafs der Rigo- rismus des calvinischen Systems seinen Beifall nicht habe ^ Um ihn unschädHch zu machen, wurde er zunächst aus der Stadt auf eine Landpfarrei, nach Jussy entfernt. Aber auch in dieser neuen Stellung blieb er ein unbequemer Gegner. Der Landprediger von Jussy war unter den Geistlichen der einzige noch übrige Re- präsentant jener bernerisch - deutschen Richtung , die , wie Calvin wufste, noch in vielen Gemütern fortlebte, und auf ihn richteten sich die Blicke aller derjenigen, die sich nach den früheren Zu- ständen zurücksehnten. Seine völlige Beseitigung schien deshalb im Interesse der neuen Ordnung dringend geboten.

Ameaux' Prozefs bot dazu die erwünschte Gelegenheit. De la Mare hatte in der Unterhaltung mit einem französischen Emi- granten , der ihn scheinbar ganz harmlos um seine Ansicht über

' Ratsprot. 23. [Ann. S. 375] und 25. März 1546; Nouv. pag. p. 52 ff, Calvin an Falais 16. April 1546, Opp. XII S. 333. [Cornelius a. a. O.

S. 454, 471].

* Calvin nennt ihn deshalb einmal »St)-enuum saltationum pairo7ium«. Opp. XII S. 335.

ReioiguDg der ehrwürdigen Genossenschaft. 29

den Prozefs befragt, mit seinen Gedanken nicht zurückgehalten und ziemlich unumwunden für den Angeklagten Partei genommen. Ameaux, meinte er, sei kein so übler Mensch, er habe ihn viel- mehr stets als einen Mann von ehrenhaftem Charakter und grofsen Fähigkeiten kennen gelernt; habe er gefehlt, so sei es wohl in einem Zustande nicht völliger Zurechnungsfähigkeit geschehen. Calvin sei etwas zu heftig und leidenschaftlich ; er ertrage und vergesse nie eine ihm angethane Beleidigung, sondern ruhe nicht, bis er sich gerächt; schon in Strafsburg habe man diese Er- fahrung gemacht und von seinen Freunden sei er deshalb nach seiner Rückkehr nach Genf dringend gebeten worden, seine Heftig- keit zu mäfsigen '.

Das genügte, um den Mann zum Falle zu bringen. Obgleich de la Mare sich von dem Franzosen Verschwiegenheit namentlich Calvin gegenüber hatte geloben lassen, brachte dieser doch schon hatte das Denunziationswesen sich bis zu einem bedenk- lichen Grade ausgebildet das Gehörte sofort »im Interesse des öffentlichen Wohles« zur Anzeige ^ Am 16. März wurde gegen den Prediger von Jussy der Haftbefehl erlassen und das gerichtliche Verfahren eingeleitet. Man machte mit dem Geist- lichen nicht so viel Umstände wie mit dem Staatsrat und kümmerte sich wenig um seine Gegenvorstellungen. Am 15. April wurde das Urteil verkündet: es lautete auf Amtsentsetzung. Vergeblich, dafs der Verurteilte, der auch während der Verhöre nicht gerade durch Festigkeit sich hervorgethan zu haben scheint, jetzt durch Hinweisung auf seine hilflose Lage und die langjährigen Dienste, die er Genf geleistet, das Mitleid der »Herren« zu erwecken suchte. Nicht einmal ein amtliches Zeugnis über die Gründe seiner Verurteilung, um welches er bat, »damit ihm nicht mehr zur Last gelegt werde, als er gethan und er anderwärts Aufnahme fände«, konnte er von seinen Richtern erlangen. Auch an seine Stelle trat ein Franzose, Jean Balduin , den Calvin selbst vor- geschlagen hatte 3.

' Ratsprot. 11. [Ann. S. 373; das in der letzten Zeile dieser Seite fehlende Wort mufs heifsen: inquiete], 16. März 1546; Nouv. pag. p. 41, 42.

* Nouv. pag. p. 42, 65.

3 Ratsprot. 13., 15. April [Ann. S. 377 f.], 11., 27., 28. Mai 1546; Nouv. pag. 68, 69, 70. In wie weit die später noch nachträglich gegen de la Mare erhobenen Anklagen, z. B. dafs er zwei unreife Kinder getraut habe, auf

70 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

So räumte Calvin mit Glück einen Gegner nach dem andern aus dem Wege einen dieser widerspänstigen Geistlichen, Cham- pereau, hatte er schon kurz vorher beseitigt ^ ohne dafs auch nur ein ernstlicher Widerstand versucht worden wäre. Nachdem dies geschehen, nachdem durch Ameaux' Verurteilung der Person des Reformators das ihr gebührende Ansehen zurückgegeben, die ehr- würdige Genossenschaft von den unzuverlässigen Mitgliedern ge- reinigt war, konnte er an die Hauptaufgabe gehen. Nicht eigent- lich um die Sicherung seiner persönlichen Herrschaft und Macht- stellung handelte es sich für ihn : diese selbst sollte nur ein Mittel sein , den Willen Gottes , wie er ihn erkannt und wie er der Hauptsache nach in der kirchlichen Gesetzgebung Genfs niedergelegt war, nachdrücklicher als es bisher geschehen zur Geltung zu bringen ^. Es scheint, dafs in den ersten Jahren trotz aller Strenge und Unparteilichkeit doch in der Handhabung der »Edikte« vielfach eine gewisse Milde und Nachsicht, namentlich den Vornehmen gegenüber, obgewaltet hatte. Fortan sollte es anders werden.

Gegen dreifsig Personen , Männer und Frauen aus den an- gesehensten Familien der Stadt wurden im April 1546 plötzlich wegen Übertretung der kirchlichen Verordnungen zur Verant- wortung vorgeladen . Das Vergehen , dessen sie sich schuldig gemacht, bestand darin , dafs sie einige Wochen vorher bei Ge- legenheit einer Hochzeit sich eine kleine Tanzbelustigung erlaubt

Wahrheit beruhen, läfst sich schwer entscheiden, jedenfalls haben sie seine Verurteilung nicht herbeigeführt , wie Gaberei I, 360 anzudeuten scheint. In der kurzen Darstellung des Prozesses, die Calvin selbst (Opp. XII S. 335) gibt die sich übrigens schwer mit den Ratsprotokollen in Einklang bringen läfst wird jenes Vorfalls ebenfalls nicht gedacht. [Vgl. Cornelius a. a. O. S. 88.]

' Vgl. Ratsprot. 20. Juli 1545 [Ann. S. 357]. Calvin an Viret 26. Okt. 1545, Opp. XII S. 195; die Genfer Geistlichen an die von Bern, 27. Okt., ebd. S. 195 ff. Nouv. pag. p. 53. [^Cornelius a. a. O. S. 446 ff.]

^ Es lag deshalb auch vom Standpunkte Calvins aus eine Wahrheit darin, wenn er Ameaux der Beleidigung Gottes anklagte. Wie er überhaupt ihm zugefügte Beleidigungen auffafste, darüber spricht er sich am klarsten in einem Schreiben an die Königin von Navarra aus dem J. 1545 aus: sPuis qu'il a pleu a Dieu d'user de f/ioy comme d'un de ses instrumens ä t edification de son eglise , Je voy quelle consequence tireroyt un tel blasme, s'il estoyi en 7na personne pour diffamer l" Evangile«. Opp. XII S. 68.

Der Tanz. 31

hatten oder doch Zeugen einer solchen gewesen waren. Die Kühn- heit dieses Angriffes setzte in Erstaunen : ähnliches war bisher noch nicht vorgekommen. Die Vorgeladenen erhoben Wider- spruch ; mehrere weigerten sich zu erscheinen ; vor dem Kon- sistorium kam es zu heftigen Scenen. Eine der Angeklagten, die Frau des Generalkapitäns Perrin, erging sich in hitzigen Reden gegen Calvin: sie warf ihm Herrschsucht und Tyrannei, Hafs und Rachsucht gegen die Familie ihres Vaters und alle besseren Bürger vor. Calvin erwiderte der Erzürnten kalt, ihre Familie habe sich wie jede andere dem Gesetze zu unterwerfen. Wolle sie sich dem Joche Christi nicht beugen , so möge sie eine neue Stadt bauen : so lange sie in Genf sei, habe sie zu gehorchen'. Das Urteil lautete gegen die Meisten auf drei Tage Gefängnis und öffentliche Zurechtweisung, gegen einige wurde auf noch strengere Strafen erkannt. Es schmerzte Calvin selbst, unter den Missethätern Männer zu finden, die zu seinen ältesten und verdientesten Freunden zählten, wie der Syndik Amblard Corn und der Generalkapitän Perrin , aber der Strafe sollten auch sie sich unterwerfen wie die übrigen. »Doppeltes Mafs und Gewicht«, schrieb er an Perrin, der sich am längsten weigerte, vor dem Consistorium zu erscheinen, »dürfen wir doch nicht anwenden , am wenigsten in der Kirche Gottes. Von mir darf ich behaupten, dafs ich in dieser An- gelegenheit nur das Wohl der Kirche und Dein eigenes im Auge habe. Drohungen werden mich nicht schrecken : nicht um Ehre und Gewinnes willen bin ich nach Genf zurückgekehrt und ich werde mich nicht sehr grämen, wenn ich es wieder verlassen mufs. Wisse, dafs mich in der Erfüllung meiner Pflicht nichts irre machen wird» "". Ein so ernstes, festes Auftreten verfehlte seine Wirkung nicht. Mehrere der Verurteilten legten sogar eine grofse Reue über das Geschehene an den Tag, und auch der stolze General- kapitän verstand sich endlich, wenn auch mit widerstrebendem Herzen, zur Unterwerfung 3.

' Vgl. Calvin an Farel u. Viret, April 1546, Opp. XII S. 334.

^ Calvin an A. Perrin, Opp. XII S. 338,

3 Consistorialprot. 8., 15., 23. April, 13. Mai 1546, Ratsprot. 12., 15., 16., 22. April, 16,, 18. Mai 1546; Calvin an Farel u. Viret 1546, April, Opp. XII S. 334 f. ; Roset 1. V, c. 6; Nouv. pag. p. 61. [Diese Angelegen- heit jetzt ausführlicher bei Raget II S. 225 ff. und Cornelius a. a. O. S. 473 f.]

5 2 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

Und mit dieser unnachsichtigen Strenge wurden nun über- haupt die Ordonnanzen gehandhabt. Es sollte nachgeholt werden^ was früher versäumt worden. Sogar gegen Vergehen , die noch vor Erlafs der neuen Sittengesetze begangen waren, kamen die- selben jetzt zur Anwendung. Da wurde der alte Frangois Favre^ einer der reichsten Bürger und freilich auch einer der Haupt- gegner des Reformators, im Frühjahr 1546 wegen einiger vor vielen Jahren begangenen unsittlichen Handlungen auf Grund der kurz vorher erlassenen Strafgesetze zur Rechenschaft gezogen. Umsonst legte der Vorgeladene Verwahrung ein , die heftigen Äufserungen, zu denen er in der Aufregung sich fortreifsen liefs, verschlimmerten nur noch seine Lage. Es wurde ein Haftbefehl erlassen, dem der stolze Patrizier nur durch schleunige Flucht aus der Stadt entging. Erst als er schwer erkrankte, wurde ihm auf die Fürsprache seiner Verwandten die Rückkehr nach Genf ge- stattet, aber nur unter der Bedingung, dafs er sich sofort nach seiner Genesung der gegen ihn erkannten Strafe unterziehe. Und diese hat er dann auch über sich ergehen lassen müssen trotz aller Proteste , trotz aller Berufungen auf alte Rechte und Frei, heiten \ Unerbitthch bestand Calvin darauf, hier wie in andern Fällen , dafs der Vornehme wie der Geringe ohne Ansehen der Person die ganze Strenge der kirchlichen Gesetzgebung empfinde, wenn er gegen sie gefehlt. »Schon spricht man es öffentlich aus«, schrieb er sichthch befriedigt einem seiner Freunde, »dafs hier niemand mehr hoffen darf, der Strafe zu entrinnen, da auch die Ersten der Stadt nicht verschont werden und ich meine Freunde nicht milder behandele als meine Gegner.« ^.

Im Sommer 1546 schien Calvins Herrschaft in Genf fester zu stehen als je zuvor. Damals war es, dafs er, unterstützt von eifrigen Amtsbrüdern , jene merkwürdigen Verordnungen durch- setzte, die das alte Genfer Volksleben von Grund aus neugestalten sollt en. Im April und Mai erfolgte das Verbot des Besuches der Wirtshäuser und die Einführung der fünf »Abteien«, zwei Monate später die Aufhebung der herkömmHchen öffentlichen theatralischen Aufführungen 3. Es folgten weitere Anordnungen zur »gröfsern

' Vgl. die ausführlichen Mitteilungen und das Ratsprot.^ bei Galiffe, Nouv. pag. p. 93 ff. \Cornelius a. a. O. S. 481 f.]. ^ Calvin Farel 1546, Opp. XII S. 335/36. 3 Vgl. Band I, 445, 446,

Erfolge Calvins; selbstgewisses Auftreten der Geistlichen. ^■j

Ehre Gottes«, eine Verschärfung der Gesetze gegen Hurerei und Unzucht, ein neuer Erlafs gegen das Spiel, das Edikt über die verbotenen Taufnamen, Beschlüsse gegen die schlechte Presse, neue Verordnungen zu einer strengen Handhabung der Kontrolle; ging man doch so weit, in der Kirche von S. Gervais während des Gottesdienstes einen Syndik und zwei Offiziere als Wache aufzustellen, damit kein Andächtiger das Gotteshaus vor der be- stimmten Zeit verlasse ' 1

So drang Calvin auf allen Punkten siegreich vor. Wie so ganz grundlos schienen da seine früheren Besorgnisse gewesen zu sein ! Der Rat hätte eine gröfsere Willfährigkeit und Ergeben- heit kaum an den Tag legen können. Beunruhigende Gerüchte von neuen grofsen Kriegsgefahren und geheimen Umtrieben des Papstes zum Verderben Genfs, welche durch ungewöhnliche Natur- erscheinungen eine Bestätigung zu erhalten schienen , versetzten zum Teil auch das Volk, wenigstens vorübergehend in eine ernste, energisch evangehsche, den Bestrebungen Calvins förderliche Stimmung''. Die Geisthchen glaubten bereits, völlig die Herren der Lage zu sein, und die eifrigsten unter ihnen, die Abel Poupin, Michel Cop , Raymund Chauvet führten auf der Kanzel eine Sprache, als gebe es für den Diener des Worts keine Schranke mehr. Cop erging sich gegen diejenigen , welche bei der letzten öffentlichen theatralischen Aufführung in Genf mitgewirkt hatten. Söhne und Töchter der ehrbarsten Familien, in den gemeinsten Schmähungen , obschon das aufgeführte Stück ein geistHches ge- wesen war 3. Chauvet verstieg sich am Schlufs einer Predigt, nachdem seine leidenschaftliche Sprache schon viele aus der Kirche vertrieben hatte, sogar zu dem unchristlichen Ausrufe: »Möge denn

' Roset 1, V. c. 8 ; Ratsprot. 2 Aug., Ii. Okt. Ratsprot. 8. April. Ratsprot. 27., 31. Aug. 9., 15,, 22. Nov. (Arch. de Gen^ve, Pikees bist. 1384) Ratsprot. 14. Dez. 1546. Nouv. pag. p. 65. \Cornelius, Histor. Arbeiten S. 481.]

^ Vgl. Ratsprot. 9., 12., 17., 22., 26. Juli, 24. Aug., 14. Sept. 1546; Rosct 1. V. c. 8; Ruchat-Vuilkfnin V, 314.

3 Vgl. Ratsprot. 28. Juni 1546 [Ann. S. 384]; Calvin an Farel 6. Juli 1546, Opp. XII S. 355 f. Interessant ist, wie Calvin vor dem Freunde die Mafslosigkeit Cops zugiebt, vor dem Rate aber {j>qiu noster erati) den Satz aufstellt, dafs eine Äufserung auf der Kanzel sich der gewöhnlichen Be- urteilung entziehe ! [^Cornelius a. a. O. S. 476.]

Kampschulte, J. Calvin n. 3

^4 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

Pest , Krieg und Hunger über Euch kommen ! ' « Eine noch derbere Sprache wurde auf dem Lande geführt. Der Prediger von Cdigny , Louis Treppereaux , redete eines Tages seine Zu- hörer als Teufel an und machte ihnen die weitere Eröffnung, dafs ihr Land nicht ihnen, sondern den Geistlichen gehöre, welche fortan auch das Regiment über sie führen würden , trotz ihres Zähneknirschens ^ ! Und die gleiche heftige, herausfordernde Sprache kam mehr und mehr auch bei den Consistorialverhandlungen auf. Der geisthche Eifer kannte kein Mafs mehr. »Ihr seid un- verschämter wie ein Hund«, wurde selbst der alte Favre einmal von einem Geistlichen angefahren, als er gegen eine Behauptung der Anklage Einsprache erhob 3.

Wer indes die Lage der Dinge mit aufmerksamem Blick be- obachtete, mufste zu einer andern Auffassung derselben kommen als der kurzsichtige Eifer der Geistlichen und vielmehr mit bangen Besorgnissen für die Zukunft erfüllt werden. Der Sieg Calvins war zu leicht und rasch erfochten worden, als dafs er hätte von Bestand sein können; die Opposition war offenbar viel stärker und mächtiger, als sie bis jetzt hatte zeigen können oder wollen. Calvin selbst verbarg sich die Schwierigkeiten seiner Stellung nicht. Er wufste , dafs er in der Frage der öffentlichen Spiele bis an die Grenze dessen, was er sich gestatten durfte, gegangen war'*, dafs er in der Mafsregel gegen die Wirtshäuser schon darüber hinausgegangen war: er willigte darein, dafs sie zurück- genommen wurde 5. Er kannte die wahre Stimmung. Trotz der

' Ratsprot. 31. Mai, i. Juni 1546.

* »Vous n etes totis quc des diables ! Pensez vous quc ce pays soif votref II est a moi et a vies compagnous : et 7>oiis serez gouvcrnes par nous qui sotmnes etrattgers, et dussiez-vous bien grincer les dents«. Man möchte diese ungeheuerliche Äufserung für unecht halten , wenn sie nicht der Staats- sekretär Ruffi selbst überliefert hätte. Vgl. übrigens Nouv. pag. p. 64. [Ratsprot. 15. April 1546, Ann. S. 378.]

5 Vgl. Bonivardy Anc. et nouv. police p. 54. \Cornelius a. a. O. S. 493. Diese heftige Äufserung Abels wird bis zu gewissem Grade durch das Be- tragen Favres gerechtfertigt , der doch nicht nur gegen eine Behauptung der Anklage Einspruch erhoben hatte , sondern ausfällig genug gewesen war.]

^ ^Periculutn erat« ^ schrieb er darüber am 3. Juni 1546 an Farel, »ne elevaremus nostram autoritatem, si pertinaciter rcpugnando tandem vinceremur. Video non posse negari omnia obledamenta«. Opp. XII S. 347 48.

5 Vgl. Ratsprot. 22. Juni 1546 (Ann. S. 384); Roset 1. V. c. 5 ; Nouv. pag. p. 63, 64. yCornelius a. a. O. S, 474, 480.]

Zunehmende Gärung. ^e

Ruhe , welche scheinbar an der Oberfläche herrschte , gärte es in der ganzen Bürgerschaft gewaltig und mehr als einmal machte sich der verhaltene Unwille Luft. Für den Geist in S. Gervais war es bezeichnend, dafs der dortige Prediger schon wenige Tage nach der Verurteilung Ameaux' bei dem Rate um die Erlaubnis einkam , in der Altstadt wohnen zu dürfen , da er sich in der antiklerikalen Vorstadt nicht mehr sicher fühlte ^ Und wenig beruhigender war die Stimmung in der Altstadt selbst. Der Generalkapitän Perrin, der einflufsreichste Mann in Genf, der dem Reformator einst so grofse Dienste geleistet und noch in der Ameauxschen Angelegenheit auf seiner Seite gestanden , konnte die erlittene Demütigung nicht vergessen und brach das alte Freundschaftsverhältnis ab: vergebens suchte Calvin den lang- jährigen Freund wieder an sich zu ziehen". Die ganze Familie Favre , die ausgebreitetste der Stadt , zürnte und verlangte nach Rache. Es kamen dem Rat im Laufe des Sommers Äufserungen aus dem Schofse der Bürgerschaft zur Kenntnis , die von einem ingrimmigen Hafs gegen Calvin und das geistliche Regiment zeugten : selbst die Drohung , dafs man ihn nochmals vor die Thore schicken werde, fehlte nicht 3. Vor dem Consistorium er- folgten einzelne Auftritte, die auf die Lage ein fast unheimliches Licht warfen. Gaspard Favre, ein Sohn des alt«n Patrioten, ver- weigerte , als er wegen loser Sitten und Reden vor das Con- sistorium geladen wurde, den Mitgliedern des geistlichen Gerichts- hofs jede Auskunft : nur den Syndiken und gesetzlichen Vertretern der Bürgerschaft sei er Rede und Antwort schuldig. »Aber an dieser Stelle« entgegnete ihm Calvin heftig, »stehe ich über Euchlc »Jawohl, ich weifs es«, lautete die höhnische Antwort, »über mir und über Allen«. »Das ist Rebellion« rief der Reformator aus und verliefs in gröfster Aufreguns: den Sitzungssaal ■♦. Einige

' Ratsprot. 13. April 1546; Nouv. pag. p. 58.

* [Aus persönlichen Freundschaftsempfindungen entsprangen diese Ver- suche doch wohl nicht ; vgl. Cornelius a. a. O. S. 490 f.].

3 Ratsprot. 3., 14., 16. Mai, 30. Juli 1546; vgl. das Schreiben Calvins an Farel i. Sept. 1546. Opp. XII S. 377 f. [Ausführlicheres bei Cornelius a. a. O. S. 488 ff.]

■♦ Vgl. Consistorialprot. 4. März, 17. Juni 1546; Ratsprot. 18. Juni 1546 [Ann. S. 371, 382 f.: Conniius a. a. O. S. 4S4].

5 6 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

Monate später wurde der Buchdrucker ^ Dubois wegen angeblich ehrenkränkender Äufserungen über Calvin vor das Sittengericht geladen. Calvin empfing den Eintretenden in gewohnter Weise mit Vorwürfen und nannte ihn einen Heuchler und hartnäckigen Sünder. Der Mann glaubte eine solche Behandlung nicht verdient zu haben und verwahrte sich gegen die Ausdrücke des Zürnenden in scharfen Worten. Es folgte eine bewegte Scene, ein heftiger Wortwechsel zwischen beiden , in dem zum Entsetzen des Kolle- giums die Anschuldigungen der Heuchelei, der Rachsucht, ja selbst der Raserei hinüber und herüber flogen^.

Indes wie bedenklich solche Vorgänge auch waren, sie brachten, so lange der Rat zuverlässig blieb, keine ernste Gefahr. Gaspard Favre und Dubois büfsten für ihre Vermessenheit hinter Schlofs und Riegel. Calvin ging, statt eingeschüchtert zu sein, nach solchen Kampfesscenen mit frischem Mut ans Werk. Er hatte das Bewufstsein, für eine grofse sittliche Idee zu kämpfen, was sich von den Gegnern , die ihm in dieser ernsten Zeit ent- gegentraten, nicht sagen liefs. So lange die Opposition keine andern Streiter gegen ihn ins Feld zu stellen hatte, als Männer von so zweifelhaftem sittlichen Werte wie Gaspard Favre 3, durfte Calvin getrosten Muts der Zukunft entgegenblicken. Solchen Widersachern gegenüber hatte er, trotz aller Härten und Willkür- lichkeiten , nicht blofs den Rat , sondern auch den ernstern und bessern Teil der Zeitgenossen auf seiner Seite.

Aber schon im Laufe dieses Jahres begann die Opposition sich von einer ernstern Seite zu zeigen.

' [Der Genfer Buchdrucker Guiüaume Dubois kann nicht wohl gemeint sein, da er in den Prozessakten als »habitant« und als aus Beauvais stammend bezeichnet wird; Ann. S. 392. Roget II S. 263 und Cornelius a. a. O. (S. 486) nennen Dubois einen Lichterzieher.]

^ Consistorialprot. 21. Dez. 1546; Ratsprot. 25. Dez. 1546, 3., 6., 20., 27., 28. Jan. 1547; vgl. Nouv. pag. p. 79 81, wo eine ziemlich ausführliche Darstellung dieses Prozesses. [Vgl. Cornelius a. a. O. S. 486.J

3 Er hat indes gegen die Hauptbeschuldigung , die von Roset 1. V. 6 und dem Ratsprot. i8. Juni 1546 erwähnte Äufserung, dafs er, wenn er Syndik würde ^remettroit les Bordeaux aux quatre coins de la ville« stets entschieden protestiert und die Äufserung in Abrede gestellt.

37

III.

DER GEGENSATZ DER ALTEN UND DER NEUEN GENFER.

Bei allem Geschick und strategischem Talent, welches Calvin in dem glücklich beendigten ersten Feldzuge bewiesen hatte, mufste es dennoch auffallend erscheinen , dafs ein Kampf, an den er selbst vorher nur mit Bangigkeit gedacht hatte, alsbald eine so entschieden günstige Wendung für ihn nahm. Richtig ist allerdings , dafs seine Umsicht und Entschlossenheit an dem Er- folge einen wesentlichen Anteil hatte, dafs die Raschheit des An- griffes den noch nicht vorbereiteten und gerüsteten Gegner für den Augenblick gleichsam aus der Fassung brachte; aber schwerlich würde doch der Erfolg ein so bedeutender gewesen sein, und schwerlich Calvin selbst sich zu einem so kühnen Vor- gehen ins feindhche Heerlager entschlossen haben, wenn ihm nicht eine Macht zur Seite gestanden hätte , über die er unbedingt gebot.

Eine solche bildeten für ihn die französischen Refugids.

Einst hatten die Turiner Herzöge durch die Begünstigung savoyisch-italienischer Ansiedelungen in Genf die Stadt der savoyi- schen Herrschaft zu unterwerfen gesucht, im Reformationszeitalter ist durch das gleiche Mittel hauptsächlich die Herrschaft des fran- zösischen Reformators begründet worden. Nicht als ob die fran- zösischen Einwanderungen lediglich Calvins Werk gewesen wären : wir haben gesehen , dafs sie bereits vor seiner Ankunft begannen und in demselben Grade zunahmen , als die Verfolgungen der Neugläubigen in dem Nachbarlande heftiger wurden. Aber nicht zu leugnen ist, dafs Calvin, namenthch seit dem Jahre 1541, für dieselben eine bedeutende und erfolgreiche Thätigkeit entfaltet hat, dafs durch ihn in das Einwanderungswesen ein neuer Schwung kam. Erst mit ihm und durch ihn sind die »Fremden« in Genf zu einer wirklichen Macht geworden.

Es war nichts natürUcher , als dafs Calvin , nachdem er in Genf einen geeigneten Mittelpunkt für das grofse evangeHsche Missionswerk gefunden zu haben glaubte, von allen Seiten tüchtige evangelische Männer zur Stütze und als Gehülfen in seine Nähe zu ziehen suchte, und dabei, weil ihm die Bekehrung seines eigenen Vaterlandes persönlich wie örtlich am nächsten lag, zu-

2 8 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

nächst und vorzugsweise seine Aufmerksamkeit auf die französische Nation richtete. Schon die erste Schrift, die er nach der »In- stitution« veröfifentUchte , jenes für Duchemin bestimmte Send- schreiben »über die Notwendigkeit, die unerlaubten Opfer der Gottlosen zu vermeiden« ^, läfst hier und da eine solche Tendenz erkennen und legt es dem in der Heimat zurückgebliebenen Jugendfreunde nahe , dem Verfasser zu folgen und das Vaterland zu verlassen. Aber erst seitdem seine Herrschaft entschieden war und Genf ein sicheres Asyl eröffnete, seit seiner Rückberufung im Jahre 1541 nahm er diesen Gedanken mit Nachdruck auf. Wieder und wieder wird von da an von ihm in Flugschriften, Predigten, Briefen die Pflicht der Auswanderung verkündet. Jeder Gläubige , der die Mittel besitzt , soll das Vaterland verlassen, wenn es für ihn ein »Ägypten oder Babylon« ist, wenn es die Ausübung der wahren Religion nicht gestattet^. Noch heute gelte, schreibt er einem französischen Edelmanne, was einst der Herr dem Abraham gesagt : Ziehe hinaus aus Deinem Vaterlande, aus Deiner Verwandtschaft in ein Land , das ich Dir zeigen werde 3.

Das von Gott gezeigte Land aber ist ihm regelmäfsig Genf. Seine französische Korrespondenz zeigt uns in recht anschaulicher Weise, mit welchem Eifer er überall bemüht ist, Glaubensgenossen aus Frankreich, Männer und Frauen, einzelne und ganze Familien zur Übersiedelung nach Genf zu bewegen, wie er namentlich, wenn es sich um Personen handelt , die durch Adel , Ansehen, Bildung und Geist hervorragen, seine ganze Überredungsgabe auf- bietet , um sie zu gewinnen und die Schwankenden zu raschem Entschlüsse zu drängen. Seine Ermahnungen werden da zuweilen fast zudringlich ; er schreibt wiederholt, wenn die erste Mahnung fruchtlos gebheben ist, und benutzt geschickt jede Gelegenheit, um auf seinen Vorschlag zurückzukommen-*. Fünf Jahre lang

' Opp. V, 239 ff.

^ Opp. VI, 576; ferner VI, 629 wo er sich ähnlich ausdrückt und die vierte der Homiliae quatuor, 1. c. VIII S. 425 ff.

3 Opp. XIII S. 63; auch noch sonst z. B. Opp. VI S. 629 findet sich dieser Hinweis auf Abraham.

4 So schreibt er z. B. dreimal an die Familie Bude (Opp. XII S. 452, 541 f., 644 f.), die sich endlich im Juni 1549 in Genf niederliefs. Vgl. Not. geneal. III, 83. [Vgl. Opp. XIII S. 298. Frangois B. kam erst 1554 nach Genf: Opp. XV S. 298.]

Calvins Bemühungen um Refugies. ■5q

hat er sich bemüht, den Herrn von Falais und Breda, einen natür- lichen Spröfsling der alten burgundischen Herzöge, der am Hofe Karls V. seine Erziehung erhalten und die neue Lehre kennen gelernt hatte , zur Niederlassung in Genf zu bewegen , und nichts hat er unterla.ssen, sich dem hohen Herrn zu diesem Zwecke ge- fällig zu erzeigen. Er widmet ihm eme seiner gelehrten Arbeiten, er fafst eine Apologie seines Religionswechsels für ihn ab ; er unterzieht sich dann selbst der Mühe , ein passendes Haus nebst Garten für ihn in Genf ausfindig zu machen, er beschreibt mehrere Wohnungen und teilt ihm zugleich den Preis mit ; er zerstreut die Bedenken , die der sehnlichst Erwartete noch im letzten Augen- blicke gegen die Übersiedelung zur Sprache bringt. Wie ein Haushofmeister hatte er alles für die Bequemlichkeit des hohen Gastes vorbereitet , als dieser endlich eintraf: selbst ein Fafs des »besten« Weines fehlte nicht ^

Wenn Calvin den auswärtigen Glaubensgenossen die Leman- stadt als einen vorzugsweise geeigneten Zufluchtsort empfahl , so war dies keine leere Vorspiegelung. Sie empfingen hier nicht nur das reine Gotteswort aus dem Munde des Verfassers der In- stitution , auch die Stadt bot ihnen mancherlei Vorteile. Genf war infolge der inneren Kämpfe, namentlich der vielen er- zwungenen Auswanderungen herabgekommen und entvölkert. Die gefeierten alten Namen der Versonais , d'Orsieres, Bezanson u. a. waren aus den Bürgerlisten verschwunden. Viele Häuser standen leer , waren baufäUig geworden und drohten Einsturz. Es sei sogar schwer gewesen, meldet Bonivard, für die leer stehenden Häuser auch ohne Miete Einwohner zu erhalten". Da kamen

I Vgl, Opp. XI, 628, 631, 664; XII, 96, 128, 137, 330, 489. 494, 497> 523, 529, 551, 574, 586, 621, 681. Im ganzen enthalten die Opp. 1543 1548, in welchem Jahre Falais nach Genf kam, ungefähr 50 Briefe Cal- vins an die Familie Falais. Den Eifer, den Calvin für Falais' Übersiedelung an den Tag legte, macht das spätere Gerücht (vgl. Ad Cl. de Saintes Apol. alt., Bezae Tract. theol, II, 352) erklärlich, dafs er das Verhältnis zu Falais in eigennütziger Weise ausgebeutet habe !

* Anc. et nouv. pol. p. 72. Diese Angabe scheint doch eine der ge- wohnten Bonivardschen Übertreibungen , aber dafs die .Stadt noch um die Mitte der vierziger Jahre, zur Zeit als Balduin ankam, die Folgen des Bürger- kriegs bei weitem nicht überwunden hatte, zeigt der Ausdruck »prope deserta« , den Fabricius von dem damaligen Genf gebraucht. Vgl. Fr. Balduini Biga responsionum ad Calvinum et Bezam p. 157. Eingefallene Häuser werden in den Ratsprot. häufig erwähnt.

40 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

die französischen Refugies aber recht. Jedermann sah diese fremden , zum Teil sehr wohlhabenden Ankömmlinge zu Anfang gern : sie brachten neues Leben in die Gesellschaft und füllten allmählich die Lücken aus , die der Bürgerkrieg zurückgelassen. Auch die neue Kirchenordnung zeigte für die Fremden ein un- verkennbares Wohlwollen , indem sie in jenem Abschnitte , der über das Hospitalwesen handelt , dieselben in der fürsorglichsten Weise berücksichtigt^. Wurde doch sogar auch bei der Festsetzung des jährlichen Gehaltes Calvins insbesondere auf die grofsen Aus- gaben Rücksicht genommen , die er für die Fremden zu machen haben werde ^.

So sehen wir denn sofort mit dem Jahre 1542 die evan- gelische Einwanderung einen gewaltigen Aufschwung nehmen. Nicht blofs Franzosen , auch evangelisch Gesinnte aus andern Ländern , namentUch aus Italien , Geistliche und Laien , Männer und Frauen , einzelne und ganze Familien , machen sich auf den Weg nach Genf, um der hohen Gnaden, die Gott dieser Stadt er- wiesen, teilhaftig zu werdend Die einen liefsen sich nur für kurze Zeit nieder, um sich durch Calvins Rat und Predigten in ihrem Glauben zu stärken; die andern nahmen einen dauernden Aufenthalt, indem sie entweder Bürgerrecht erwarben oder sich mit der Stellung eines einfachen Einwohners (Habitant) begnügten-*. Schon im Jahre 1545 war die evangelische Emigrantengemeinde in Gent so grofs , dafs zu einer selbständigen Organisation der- selben geschritten werden mufste und besondere Diakonen aus den verschiedenen Ländern für sie ernannt wurden 5. Zwar brachte der Schrecken, welchen seit 1543 die »Pest« in und um Genf verbreitete, auch die Einwanderungen etwas ins Stocken. In der

' Ord. eccles. von 1541 (Opp. X, i S. 24), von 1561 (ebd. S. 102). ^ Ratsprot. 4. Okt. 1541 (Ann. S. 284).

3 »Cette annee« erzählt der Chronist Roset 1. IV c. 59 zum J. 1542 ^comniengarent Ics cstrangers sc rdirer a Geneve ; ceux, disje, qui laissoient France et Italie pour jouir des bitns spirituels que le Seigneur deployoit jour- nelleinent en ceste eglise«. Vgl. Ratsprot. 19. Mai, 23. Okt., 13. Nov. 1542, 16. Jan., 9., 19. Febr. 1543 u. s. w. Dem italienischen Geistlichen Bernadino (Ochino) wurde ein Haus eingeräumt und eine Kapelle angewiesen.

4 Vgl. Colladon, Vie de J. Calvin, Opp. XXI S. 70. Die neuen Bürger hiefsen Bourgeois im Gegensatz zu den alten Citoyens, den geborenen Genfern. Vgl, Anc. et nouv. pol. p. 20.

5 Roset 1. IV, c. 74; Colladon S. 70.

Französische Einwanderung in Genf. 41

leichtgläubigen Menge war hie und da sogar der Verdacht auf- gestiegen, die schreckliche Krankheit könnte ein Werk der Frem- den sein. Der Rat selbst hielt eine weitere Ansammlung der- selben in Genf für bedenklich und erliefs mehrere Verordnungen zur Fernhaltung wenigstens der mittellosen Einwanderer, ja im Übereifer sogar ein Verbot, noch ferner Wohnungen an Fremde zu vermieten \ Ebenso wirkten die äufsern Gefahren, welche Genf bedrohten, zeitweilig ungünstig auf die Lage der Fremden ^. Aber der Strom der Einwanderung liefs sich, nachdem er einmal den Weg nach Genf gefunden, dadurch nicht mehr aufhalten. In Calvin besafsen die Neuangekommenen jederzeit einen mächtigen Fürsprecher. Jene drückenden Verordnungen des Magistrats scheinen nicht lange in Kraft geblieben zu sein. Seit dem Ende des Jahres 1546 wurde der Fremdenandrang stärker als je. Nicht weniger als 130 Refugi^s haben im Laufes des nächsten Jahres das Genfer Bürgerrecht erlangt 3.

Mit diesen religiösen Flüchtlingen nahm aber Genf ein neues Element ganz eigentümUcher Art in sich auf. Die Einwanderer der früheren Zeit hatten sich in Genf niedergelassen, um die Vor- teile, welche die Stadt als Industrie- und Handelsort bot, sich an- zueignen und sich mit der alten Bürgerschaft zu verschmelzen, was regelmäfsig sehr rasch geschah. Diese neuen Einwanderer suchten Genf nicht auf, um Genfer zu werden, sondern um ihren Glauben zu bekennen und die evangelische Lehre aus der reinsten Quelle zu schöpfen , um an der Ausbreitung des Reiches Gottes Teil zu nehmen. Es war die Person Calvins, die sie hergeführt, wie sie denn auch am liebsten in der Nähe der Calvin sehen Wohnung ihr Quartier nahmen, nichts anderes knüpfte sie an ihren neuen Aufenthaltsort. Eifrige , zum Teil selbst exaltierte Jünger der neuen Lehre, betrachteten sie den Verfasser der christ- lichen Institution mit ganz andern Augen als der alte Genfer. Ihnen kam es vor , als werde der Mann , durch den Gott bereits

Vgl. Ratsprot. 2. April 1543, 23. Juni 1544, 28. März 1545; Nouv. pag. S, 100.

^ Vgl. Ratsprot. 22. Juli 1546.

3 Das amtliche Verzeichnis der aufgenommenen Bourgeois ist in den Stürmen der französischen Revolution untergegangen; obige Angabe, wie manche spätere entnehme ich einer Abschrift aus dem J. 1768, welche ich der freundlichen Mitteilung Galiffes verdanke.

A2 Fünftes Bach. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

SO Grofses gewirkt hatte und von dem noch Gröfseres erwartet wurde, in Genf selbst von seinen Anhängern noch nicht genug- sam gewürdigt. Sie vermifsten bei den Eingeborenen den rechten Eifer und fanden den Widerspruch, der sich zuweilen gegen Calvins Reformationsdekrete erhob , sündhaft und unverantwort- lich. Auf der anderen Seite behandelte auch Calvin diese Fremden- kolonie in richtiger Würdigung der Wichtigkeit, die sie für seine Sache hatte, von Anfang an mit sichtlicher Vorliebe. Er zog die Emigranten vorzugsweise in seine Nähe, aus ihnen ausschHefslich wählte er seine Prediger. Sie waren auch die besonderen Schütz- linge des Consistoriums , dem sie das erfahrene Wohlwollen da- durch vergalten , dafs sie dasselbe in der Ausübung der Sitten- kontrolle unterstützten lind ihm alle ihre Wahrnehmungen und Beobachtungen zur Kenntnis brachten \ Schon in dem Ameaux- schen Prozesse hatten sie solche Dienste geleistet. Ein fran- zösischer Emigrant war der Angeber des unvorsichtigen Pfarrers von Jussy. In den aufgenommenen Flüchtlingen besafs Calvin seine diensteifrigsten und zuverlässigsten Anhänger, gleichsam seine stehende Macht ; mit jedem Emigrantenzuge , der in Genf ankam, empfing seine Stellung eine neue Stütze.

Aber den Gewinn begleitete ein Verlust , der ebenfalls nicht gering anzuschlagen war. Es war die notwendige Folge , dafs in demselben Grade, als Calvins Sache vorzugsweise in den Fremden ihre Stütze fand und die Fremdenkolonie zunahm, sein Verhältnis zu den eingeborenen Genfern an Innigkeit verlor und sich trübte. Wenn schon während seiner ersten Wirksamkeit in Genf in den altgenferisch - patriotischen Kreisen über die Begünstigung der Fremden Klage geführt worden war, welche Stimmung mufste da in jenen Kreisen jetzt aufkommen? An und für sich hatte die Anwesenheit so vieler Fremden, die von dem Willen eines Mannes abhängen, für den Bürger etwas Beunruhigendes und Beengendes. Und dieses Gefühl wurde durch ihre äufsere Haltung eher ge- steigert als vermindert. Nicht nur, dafs sie als die eigentlichen Träger des calvinischen Reformgedankens angesehen sein wollten, auch gesellschaftlich setzten sie sich zu dem alten Bürgertum in

^ i> Apres qu'ils ont ?>iange leiir Dieim drückt sich ein aher Genfer ein- mal darüber ziemlich frivol aus, »ils nous viennent ici controlen Not. geneal. III, 527 ; vgl. Quelq. pag. p. 86, 87.

Unzufriedenheit der Genfer mit den Refugies. 45

Gegensatz. Sie bildeten gewissermafsen einen Staat im Staate, eine Gemeinde in der Gemeinde, die in vornehmer Abgeschlossen- heit den bürgerlichen Kreisen sich fern hielt, die ihre eigenen Ansichten und Ziele , und was das wichtigste war , infolge ihres nahen Verhältnisses zum Reformator wenigstens in kirchlichen Dingen auch wichtigen Einflufs hatte.

Schon im Laufe des Jahres 1545 begegnen wir in den Kreisen des alten Bürgertums einzelnen Äufserungen der Un- zufriedenheit über dieses widernatürliche Verhältnis. Es war ein bedeutsames Zeichen , dafs , als im Februar dieses Jahres im grofsen Rat die Ansicht aufgestellt wurde, es seien die »neuen Bürger« den »alten« rechtlich gleich zu stellen es wurde namenthch bei den Wahlen ein Unterschied zwischen beiden ge- macht — dieselbe keinen Anklang fand und vielmehr an die ver- dächtige Rolle erinnert wurde, welche die neuen Bürger in der savoyischen Zeit gespielt hätten \ Nicht viel später machte der Rat, der bisher bei geistlichen Ernennungen stets die Vorschläge Calvins sich bereitwillig angeeignet hatte, einen ersten Versuch, auch einmal einen Einheimischen zu einem geistHchen Amt zu befördern, indem er für eine eben erledigte Predigerstelle einen gewissen 'Trolliet, einen geborenen Genfer, der früher als Mönch in Burgund gelebt und vor einiger Zeit als eifriger Anhänger der Reformation in seine Vaterstadt zurückgekehrt war, in Vorschlag brachte. Calvin widersprach , er erklärte den Mann für untaug- lich ; in einem gleichzeitigen vertrauhchen Schreiben an Viret sprach er spöttisch Von der Liebe der Affen zu ihren Jungen^. Der Rat mufste nachgeben, da Calvin den Buchstaben der kirch- lichen Ordonnanzen für sich hattet Aber dieser konnte doch aus dem Vorfall entnehmen , dafs das Urteil über die Eingewan- derten ein anderes geworden war , dafs selbst seine Getreuen in dieser Frage anders dachten als er und sich der öffentlichen Meinung anschlössen. In der Menge sprach man es schon ofien aus, dafs man der neuen Invasion Schranken entgegensetzen müsse, wenn man es nicht erleben wolle , dafs die Fremden in kurzem

Ratsprot. 16. Febr. 1545, vgl. Greiius p. 11.

* Calvin an Viret, 2. Juni 1545, Opp. XII S. 88.

3 Ratsprot. 20. März, 14., 31. Aug., i. Okt. 1545; Roset 1. V, c. 2; Beza, Vita Calvini, Opp. XXI S. 137. {Cornelius, Hist. Arb. .S. 445.]

44 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

die Herrn der Stadt seien. Es war nicht Pierre Ameaux allein, der so redete. Vor dem Consistorium häuften sich die Fälle wegen feindseliger und gehässiger Äufserungen gegen die fremden Prediger und Franzosen seit 1546 in bedenklichem Grade ^. Zurecht- weisungen und Strafen brachten, wie schon die äufsere Haltung der Vorgeladenen erkennen liefs , wenig Wirkung hervor. Und warum sollte auch der einzelne Bürger mit seinen Gefühlen zurück- halten, wenn selbst die gesetzlichen Behörden es für nötig hielten, öffentlich zum Schutz der alten Bürger aufzutreten?

Was aber die Kluft zwischen den alten und den neuen Bürgern insbesondere noch erweiterte und der Abneigung jener einen bedenklichen Charakter verlieh , war , dafs man in dem steigenden Einflufs der Emigranten auch eine Gefahr für die äufsere Selbständigkeit der Stadt erblickte, dafs man geheime Beziehungen zwischen ihnen und der Krone Frankreich vermutete !

Nicht zum ersten Mal tauchte dieser Verdacht damals auf. Man erinnert sich, dafs bereits zu Anfang des Jahres 1538, als Montchenu jene verdächtigen Anerbietungen machte , die gleiche Beschuldigung gegen die calvinische Partei und die Fremden er- hoben worden und dafs sie auf die bald folgende Katastrophe nicht ohne Einflufs war^. Die massenhaften neuen Einwande- rungen riefen den alten Argwohn wieder wach. Es gab Bürger, und ihre Anzahl war nicht gering , die fest überzeugt waren , es sei nicht blofs der Eifer für das Evangelium, der diese zahlreichen Refugids alljährlich nach Genf führe, man habe es vielmehr mit einer neuen Intrigue des französischen Hofes zu thun. Der öffent- liche Hafs richtete sich deshalb auch vornehmlich gegen die französischen Einwanderer, die freilich neun Zehntel der Gesamt- zahl ausmachten 3, weniger gegen die übrigen Nationen.

Keine Frage , dafs der aufsteigende Verdacht in diesem Um- fange unbegründet war. Die schweizerischen Orte scheinen viel-

' Interessant sind zuweilen die Äufserungen, wegen welcher die Anklage erhoben wird. Da hat einer (Consistorialpr. 4. Okt. 1546) gesagt: ^Verter JDieu, esles vous icis venu pour nous gouverntr?« ein anderer (Consistorialpr. 3. März 1547, Ann. S. 399) soll gesagt haben: y>quil frapperoit plustost sur les Francoys que sur les cnitet/ns, et que M. Calvin a tous les revenus de ceste vilh et est estrangier«.

* [Vgl. Band I S. 308 f.]

3 So nach der Aufstellung Galiffes, vgl. Quelq. pag. p. 82.

Gesinnung der Refugies. ^e

mehr eine Zeitlang von der Wirksamkeit Calvins in Genf und der freundlichen Aufnahme der französischen Emigranten Verwick- lungen mit Frankreich gefürchtet zu haben ' und fast undenkbar scheint es, dafs Männer, die wegen ihrer religiösen Überzeugungen das Vaterland zu verlassen gezwungen wurden, für eben dieses in der Ferne und zwar gegen ihren gröfsten Wohlthäter sollten in- triguiert haben. Dennoch war jener Argwohn nicht so ganz ohne Grund.

Ist auch gewifs nicht anzunehmen, dafs die Masse der fran- zösischen Gläubigen gegen die Stadt, deren Gastfreundschaft sie genossen, wirklich feindselige Gesinnungen gehabt habe, so waren doch , wie ja auch ihre äufsere Haltung deutlich genug erkennen liefs, ihr politischer Standpunkt und ihre Interessen sehr ver- schieden von denen des Genfers. Es gab unter ihnen viele Calvin selbst gehörte zu diesen die ihre Heimat in der zu- versichtlichen Hoffnung verlassen hatten , in nicht zu ferner Zu- kunft ganz Frankreich für das Evangelium gewonnen zu sehen und mit Sehnsucht des Tages harrten, der ihnen die Thore des Vater- landes erschliefsen werde. Sie waren und blieben Franzosen mit ganzer Seele, verfolgten die französischen Angelegenheiten mit der lebhaftesten Teilnahme : ihre Sympathien und Segenswünsche galten nicht Genf, das sie zeitweilig beherbergte, sondern dem Vaterlande, dessen Bekehrung sie zuversichtlich erwarteten.

Aber nicht alle scheinen sich auf blofse Sympathien und stille Wünsche beschränkt zu haben.

Eine hervorragende Stellung nahm unter den Emigranten jener »prächtige« Laurent Maigret ein, den wir bereits 1535 und 1538 in einer mehr als verdächtigen Verbindung mit den Agenten der französischen Krone fanden. Einer der ältesten Refugids in Genf, über reiche Mittel verfügend , gewandt und welterfahren, hatte er sich in ein gewisses Ansehen zu setzen gewufst und war sogar für seine angeblichen Verdienste um Genf mit einer jähr- lichen Pension bedacht worden , bis mit dem Emporkommen der bernerisch gesinnten Artichauts nach der Katastrophe von 1538 seine Stellung erschüttert wurde -. Mit der Rückkehr Calvins

' Vgl. Calvin an Viret, Sept. 1545, Opp. XII S. 161. ^ Der Rat be.=chlofs im Mai 1539 »de refuser au Magnifique Maigret la per Iltis sion de recevoir des ctrangers chez lui« und drohte ihm, als er sich auf

46 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

gewann auch er seinen frühern Einflufs wieder. Maigrets Haus bildete gleichsam den Mittel- und Vereinigungspunkt für die Refugids, die er mit Rat und That unterstützte , und Calvin wandte dem Manne , der sich so grofse Verdienste um die Kirche erwarb, in steigendem Mafse seine Gunst zu. Aber war denn wirklich blofs Eifer für die »Kirche« die Triebfeder seiner Handlungen? Der Genfer vom alten Schlage liefs es sich nicht ausreden, dafs dies nicht der Fall sei ; er hatte die früheren Vorgänge noch nicht vergessen , und manches andere, was er erfuhr , bestärkte ihn in seinem Verdacht. Der grofse Aufwand, den der »Prächtige« machte, der ungewöhnhche Eifer, womit er 1543 der selbst von den evangelischen Theologen betriebenen Aussöhnung zwischen Genf und Bern entgegenarbeitete, »damit die beiden Städte in beständiger Fehde bheben ^ , die genaue Kenntnis , die er zu- v/eilen in Beziehung auf französische Verhältnisse und selbst die Intentionen des französischen Hofes verriet, der geschäftige Eifer, mit dem er bei jeder Gelegenheit dem Genfer Rat von geheimen Anschlägen des deutschen Kaisers gegen die Stadt Mitteilung machte, die ausgedehnten Verbindungen, die er insgeheim unter- hielt — alles dies verbreitete um den Mann ein verdächtiges Dunkel und machte nicht den Eindruck, dafs ihm blofs die kirch- lichen Angelegenheiten am Herzen lagen. Auch Bern , das auf die Vorgänge in Genf stets ein wachsames Auge hatte, war über- zeugt , dafs Laurent Maigret nicht ein gewöhnlicher Flüchtling sei, dafs er insgeheim im Solde Frankreichs stehe und Gefährliches im Schilde führe ^.

Mufste nicht die hervorragende Stellung , die ein solcher Mann unter den Emigranten einnahm , auf diese selbst ein un- günstiges Licht werfen , und war es dem Genfer zu verargen,

sein Bürgerrecht berief, »qu'il serait renvoye lui tneme s'il n obHssait pas«. Quelq. pag. p. 14, 15.

' Vgl. talvin an Viret (Sept. 1542): »Hoc vero totum (d. i. die Auf- lehnung gegen den Frieden mit Bern) , ut scias, ex Macrini prodiit officina^ qtii videtur mihi destinuto consilio hoc captare, ttt duac civitates perpetuo inter sc dissideant.« Opp. XI S. 448,

* ^gl- Quell- pag- P- 13 ff- Die hier über Maigret gegebenen akten- mäfsigen Mitteilungen lassen sich noch durch manche Notizen aus den Rats- protokollen und der calvinischen Korrespondenz vervollständigen. [Vgl. Cor- nelius a. a. O. S. 510 fif.]

Laurent Maigret. Fran^ois Favre. a-j

wenn er die fremde Kolonie mit steigendem Mifstrauen be- obachtete ? - Genug, der Rifs zwischen den alten und den neuen Genfern war da und wurde mit jedem Tage tiefer. Die Fremdenfrage drängte mehr und mehr jede andere in den Hintergrund. Mit dem gröfsten Eifer bemächtigten sich ihrer alle diejenigen, welche mit Calvin bereits in offenem Kampfe lagen. Die Opposition liefs ihre übrigen Forderungen für den Augenblick fallen oder legte doch weniger Gewicht auf sie, um sich zunächst hauptsächlich der neuen Angrififswaffe zu bedieijen. Befreiung Genfs von der geist- lichen Fremdherrschaft, Abwehr der von den Emigranten und Frankreich drohenden äufsern Gefahr wurde die Losung. Statt des kirchlichen Gesichtspunktes wurde der genferisch nationale hervorgekehrt. ^ Als der eigentliche Mittelpunkt dieser national genferischen Bestrebungen erscheint uns in der ersten Zeit jener Frangois Favre, den wir früher bereits mit der Consistorialgewalt im Konflikt fanden. Frangois Favre war , obschon er einer verhältnismäfsig jungen Familie angehörte', im guten wie im schlimmen Sinne der ächte Repräsentant des Genfer Bürgertums in der vorcalvinischen Zeit. In ungebrochener Kraft lebte in ihm noch der alte Frei- heitssinn, das stolze Selbstgefühl des Bürgers, die Liebe zum Vaterlande; als entschlossener, uneigennütziger Patriot hatte er in dem grofsen Unabhängigkeitskampf eine ehrenvolle Rolle gespielt, er hatte persönliche Opfer gebracht , und auch jetzt noch schien ihm zur Behauptung der Ehre und Freiheit seiner Vaterstadt kein Opfer zu grofs. Aber es fehlte ihm , wie seinem Vorbilde Bertheher, jener Ernst des Charakters, der diesen Vorzügen ihren höhern Wert verleiht. Leichten Sinnes , wie ein echtes Genfer Kind , und genufssüchtig, liebte Favre freie, ungezwungene Sitten und die Freuden des Lebens selbst bis in sein hohes Alter. Trotz seiner grauen Haare besafs er noch die ganze Lebenslust, den Leichtsinn , das freie , fröhliche , ja ausgelassene Wesen eines Jüngers Bertheliers. Zum Führer einer Partei besafs Favre nicht die nötigen Eigenschaften , aber er war ganz der Mann, die noch zerstreuten Kräfte einer in Bildung begriffenen Partei zu sammeln und ihnen einen vorläufigen Mittelpunkt zu geben. Als einer der

' Vgl. Galiffe^ Notices geneal. I, 115.

aS Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

Mitbegründer der Genfer Unabhängigkeit, Oberhaupt einer zahl- reichen FamiHe er war Vater von 1 2 Kindern , die in die ersten Familien der Stadt verheiratet waren dazu reich mit Glücksgütern gesegnet, mit denen er nach keiner Seite hin geizte, besafs er mächtigen Anhang und Einflufs. Er hatte nie mit seinen Ansichten zurückgehalten , sondern stets offen und vor jedermann bekannt , dafs er sich der geistlichen Fremdherrschaft nie unter- werfen, sondern lieber auswandern würde. Um ihn sammelte sich von selbst alles, was noch an den alten Traditionen und an den glorreichen Erinnerungen der Kriegsperiode festhielt, v/sls in den Ordonnanzen eine Verletzung der alten Freiheiten erblickte und vor allem die Stadt nicht unter die Herrschaft der Fremden kommen lassen wollte. Wie Maigret für die Emigranten, so bildete in kurzem Favre den Mittelpunkt für die Eingeborenen, die fröh- lichen Kinder des alten Genf, die bei ihm stets ein offenes Haus fanden, bei ihm ihrem Unmut über die neuen Zustände Luft- machten und von ihm in ihren Gesinnungen bestärkt wurden. Da herrschte noch ganz der alte, freie Genfer Ton : als ob eine Kirchenordnung nicht existierte. Man gedachte in Ehren der alten Helden, die Genfs Unabhängigkeit gerettet und erging sich in heftigen Reden gegen das nicht länger mehr zu ertragende Regi- ment der Geistlichen und Fremden. Unumwunden sprach der alte Patriot selbst hier im Kreise seiner jungen Freunde seine Ansichten aus. Calvin war ihm als geistlicher Despot und Fremder gleich verhafst. Er nannte ihn gewöhnlich den Bischof von Genf und behauptete , dieser Franzose habe in der kurzen Zeit seiner Herrschaft die Stadt schon mehr tyrannisiert, als die vier letzten katholischen Bischöfe die er noch persönlich kannte zu- sammengenommen. Von den französischen Mitarbeitern Calvins im geistlichen Amt sprach er, namentlich seit jener schmähUchen Behandlung, die er im Consistorium erfahren, nur in Ausdrücken der Verachtung : geradezu forderte er zum Ungehorsam gegen sie auf. Vor allem aber flöfste er seinen Freunden einen glühenden Hafs gegen die Refugies ein. Sie erklärte er für die wahre Ur- sache alles Ungemachs , das schon über die Stadt gekommen sei und das noch kommen werde. Diese Franzosen , diese Hunde (mätins), äufserte er einmal in leidenschaftUcher Aufregung, sind die Ursache , dafs wir als Sklaven dienen müssen ; sie sind das Mittel, dessen sich Calvin bedient, um uns als Sünder und Unter-

Frangois Favre als Führer der Unzufriedenen. ^n

worfene zu behandeln. Noch Schlimmeres sah er für die Zu- kunft voraus. Mit Ostentation wich er jeder persönlichen Be- gegnung mit den Fremden aus. Als er einst von seinen An- hängern zum Hauptmann einer Schützengesellschaft gewählt wurde, lehnte er die ihm angetragene Würde für den übrigens wenig wahrscheinlichen Fall ab, dafs Franzosen in den Compagnien seien: er verkehre nur mit guten Genfern \

Man darf den Kreis, der sich um Favre sammelte, vielleicht mit jener Schar vergleichen, die dreifsig Jahre früher in Berthelier ihr Oberhaupt fand. Eine gewisse Ähnlichkeit ist unverkennbar. In beiden Fällen entbehrte der Führer des rechten sittlichen Haltes, der Favre vielleicht noch in höherem Grade abging als seinem Vorgänger, aber in beider Bestrebungen lag etwas, was ihnen Berechtigung gab. Beide sprachen , wenn auch in schroffer und r vielleicht zuweilen unpassender Form, aus, was Hunderte von ihren Mitbürgern längst gefühlt und gedacht und nur nicht den Mut hatten, offen und entschlossen auszusprechen. Darum wuchs auch der Anhang Favres wie einst Bertheliers »Kinder von Genf«, trotz mancher Blöfsen, die sich der Führer gab, und die »Fabristen« bildeten in kurzem eine wirkliche Macht in Genf. Die böse Jugend , klagt der Chronist , habe ganz auf der Seite des Alten gestanden und zu allem was er vorgeschlagen vAmen« gesagt^. Aber auch gereiftere und sittlich ernste Männer traten dem Kreise Favres näher und schlössen sich ihm geradezu an oder be- günstigten doch seine Bestrebungen. Von entscheidender Wichtig- keit aber war es , dafs auch der Generalkapitän Ami Perrin, Favres Schwiegersohn , nach längerm Zaudern endlich vollständig auf die Ideen des Famihenhauptes einging. Der höchste mili-

' Vgl. die gegen ihn aufgestellten Klageartikel bei Galiffe, Not. genial. III, 536 38, einzelne Geständnisse in den Prozefsakten Gruets [vgl. u. S. 56 A. 2]. Bonivard , Anc. et nouv. pol. S. 54 ff. ; Quelq. pag. S. 5, 0. Nouv. pag. S. 92. Bonivards Darstellung ist durchaus parteilich, sie entstellt und über- treibt ; gleichwohl läfst sich aus ihr in Verbindung mit den anderen Quellen ein richtiges Bild der Stellung Favres gewinnen. Audin II, 135 behandelt in seinem Eifer gegen Calvin Favre mit einer Gunst , die mir doch unverdient scheint.

* Bonivard, Knc. et nouv. pol. S. 55; auch Calvin klagt besonders über die Jugend. Opp. XII S. 561.

Kampschulte, J. Calvin II. 4

Co Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

tärische^ Beamte der Republik ging damit öffentlich zur Oppo- sition über und übernahm bald geradezu ihre Leitung ' .

Es fehlte nur noch, dafs auch das alte Bundesverhältnis der Opposition zu Bern wieder hergestellt wurde. Und auch dies geschah.

Bei der ausgesprochen feindseligen Richtung der Oppositions- partei gegen Frankreich und ihrer Furcht vor einer von dort drohenden Gefahr ergab sich eine Annäherung an Bern, das vor zehn Jahren die französischen Pläne so glücklich durchkreuzt hatte und fortwährend einen grofsen Eifer für Genfs Unabhängig- keit an den Tag legte ^, fast von selbst. Allerdings war Bern ein eigennütziger Verbündeter , der bei aller scheinbaren Fürsorge für die Nachbarstadt doch den eigenen Vorteil nie aus den Augen verlor. Man hatte das erst eben wieder erfahren, als Bern zu Anfang des Jahres 1546 sich erbot, Genf gegen jeden Angriff mit^ Nachdruck zu verteidigen und zu diesem Zwecke eine Besatzung von 2000 Mann in der Stadt zu unterhalten, aber unter der Be- dingung, dafs die Genfer Mannschaften und Führer dem Berner Oberbefehlshaber den Eid leisteten und die gesamte Militärgerichts- barkeit durch Berner Beamten ausgeübt werde eine Zumutung, in welcher der Genfer Rat nicht mit Unrecht einen Angriff auf seine Souveränetät erblickte ^\ Natürlich, dafs durch solche Vor- gänge das alte Mifstrauen gegen den deutschen »Mitbürger« immer wieder wachgerufen wurde: die durch den Bundesbrief vor- geschriebene fünfjährige Erneuerung der Combourgeoisie , die in den März 1546 fiel, ging sogar mit ungewöhnlicher Kälte vor sich 4. Aber es war doch Bern weniger gefährlich als das mäch- tige Frankreich , und überdies wufste man sich mit ihm völlig einig in dem Urteil über Calvin und das herrschende geistliche

Ganz irrig macht Beza (Opp. XXI S. 138) den Generalkapitän schon seit dem Anfang des J. 1546 zum Führer der Opposition.

* Es ist interessant, aus den Ratsprotokollen zu ersehen, dafs während Maigret auf Gefahren aufmerksam macht, die angeblich von selten des Kaisers drohen, Bern eben so oft vor Frankreich warnt.

3 Ratsprot. 12. Jan. 1546. Roset 1. V, c. 3.

+ Vgl. Nouv. pag. S. 43; m Bern fürchtete man im Herbst 1546 allen Ernstes, dafs Genf, wo damals noch die calvinische Partei im Rate herrschte, sich zu Frankreich schlagen werde, wogegen der Rat sich durch ein von Calvin aufgesetztes Schreiben verteidigte. Ratsprot. 20. Sept. 1546. (Ann. S. 388). [Vgl. Dunant^ Les relations politiques S. 94 ff.]

Beziehungen der Opposition zu Bern. cj

System. Aus seiner Abneigung gegen das calvinische Wesen hatte Bern nie Hehl gemacht. Es nahm jederzeit für die von dem Genler Reformator Verfolgten offen Partei und gewährte den vertriebenen Predigern, den Megret, Champereau, De la Mare eine wohlwollende Aufnahme. Da setzte sich denn die Opposition endlich auch über die politischen Bedenken hinweg und nahm die dargebotene Hand an. Wenn Calvin sich auf die Franzosen stützte, warum sollte sie sich nicht auf die Deutschen stützen? Sympathien mit Bern wurden in kurzem das charakteristische Merkmal aller Gegner Calvins , und was man fühlte , trug man auch offen zur Schau. Man liebte es , sich nach schweizerischer Art zu kleiden , nahm Berner Moden an und trug den Franzosen zum Ärger das schweizerische Kreuz als äufseres Abzsichen'. Es war nicht blofs Eifer für die Einfachheit der Sitten , wenn die ^ calvinische Gesetzgebung seit der Mitte der vierziger Jahre sich gegen gewisse auffallende Kleidertrachten mit besonderer Strenge richtete : jene Trachten waren schweizerischen Ursprungs und mit ihnen sollte zugleich die dadurch bekundete politisch kirchliche Gesinnung unterdrückt werden^.

Indem aber die Opposition in solcher Weise ihre Forderungen von dem kirchlichen anf das national-politische Gebiet ausdehnte, die Emigrantenfrage zu der ihrigen machte und alle Hebel in Be- wegung setzte, nahm der Kampf überhaupt einen andern Charakter an. Ist auch nicht in Abrede zu stellen, dafs sittlicher Ernst und Sittenstrenge auch jetzt noch in weit höherem Grade auf Calvins Seite vertreten waren , dafs in Favres fröhlicher Gesellschaft sich viele fanden, die auch mit einer andern als calvinischen Kirchen- ordnung notwendig hätten in Konflikt kommen müssen, so konnte

' Daher Calvin wohl seine Gegner als Cruciaü bezeichnet; vgl. Opp. XIII S. 50 [wo aber darauf hingewiesen wird, dafs dieses Wort schon früher als Parteibezeichnung gebraucht wurde].

* Vgl. Ratsprot. 27. Juli 1545, 29. März 1546; Calvin anViret 28. Mai 1547, Opp. XII S. 531. Es handelte sich namentlich um die Chausses cha- pel^es, eine Art von luxuriösen Pludderhosen ; vgl. Geneve hist. et archeol. S. 283. Unter den Äufserungen, wegen welcher sich J. Gruet zu verant- worten hatte, befand sich auch die ^qu'il vaut mieux etre ami des Mess. de Berne avcc chausses chapelees qu ennemi mortel avec chausses entieres*. Prozefs- akten, Verhör vom 4. Juli 1547, Artikel 37. [Vgl. hierzu Cornelius a. a. O,

S. 498.]

4*

C2 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

doch nicht mehr gesagt werden, dafs der Kampf blofs für kirch- lich-sitthche Interessen geführt werde, dafs es sich um Durch- führung der Sittenzucht, um Bestrafung von »Insolenzen« handele. Der Mann, welcher seit dem Anfang des Jahres 1547 mehr und mehr als das eigentUche Haupt der Opposition hervortrat, hatte sich bis vor kurzem auch bei Calvin des besten Rufes erfreut; kein Tadel war gegen seinen Lebenswandel laut geworden. Frei- lich im Grunde handelte es sich auch jetzt noch um kirchliche Fragen , aber mit ihnen hatten sich in notwendiger Konsequenz andere verbunden, Fragen, welche die staatsbürgerliche Stellung des alten Genfers und die staatliche Zukunft Genfs betrafen, welche nach einem andern Mafsstab als dem des Consistoriums beurteilt sein wollten.

Calvin wurde den Wechsel bald genug inne. Die geistlichen Erfolge gerieten in Stillstand. Männer, die noch in dem Streite Ameaux' getreu auf des Reformators Seite gestanden , zogen sich von ihm zurück. Das Wichtigste war, dafs infolge der Neuwahlen von 1547 sogar der Kleine Rat eine andere Stellung zu ihm ein- nahm : er wurde kühler und zurückhaltend. »Kein Mitglied des Rates« meldet Calvin schon im Frühjahr 1547 klagend seinem Freunde Viret, »verkehrt mit mir noch in vertraulicher Weise, den einzigen Michael ausgenommen , der aber weder die nötige Einsicht besitzt noch auch zu den geheimen Beratungen hinzu- gezogen wird« ^ Die Folgen dieses Ereignisses, des Weichens der bisher wichtigsten Stütze Calvins, machten sich sofort in dem gesamten öffentlichen Leben fühlbar. Konnte die neue Behörde auch , schon aus Gründen der äufsern Politik , dem ungestümen Drängen der Opposition zu sofortigem Einschreiten gegen die Emigranten nicht nachgeben mit einem Schlage und sofort war hier nicht zu helfen so liefs sie doch in allem deutlich durchblicken, dafs die Tendenzen der Opposition im Grunde auch die ihrigen seien. Die Fünfundzwanzig fingen an, Calvin die bis- herigen Dienste zu versagen und in der Erfüllung der Wünsche und Beschlüsse der geistlichen Censoren lässiger zu werden ; sie fanden Frangois Favre, der sich infolge seines ersten Prozesses in

^ Calvin an Viret 27. März 1547. Opp. XII .S. 505 f. [Kampschulte hatte den Namen Michael auf M. Roset gedeutet, doch vi'ird dem von den Herausgebern der Opera widersprochen.] Dafs Calvin den neuen Rat im An- fang doch etwas zu scharf beurteilte, hat sich später gezeigt.

Veränderte Stellung des Rats zu Calvin. c ^

zahlreiche neue Händel mit dem Consistorium verwickelt hatte und es beharrlich ablehnte, »Franzosen, die er nicht kenne« ^ Rede zu stehen , bei weitem nicht so schuldig, wie die Ältesten, welche ihn vor die »Herren« verwiesen. »Man zog die Sachen von Tag zu Tag hin,« klagt Bonivard,«- vom Rat gingen sie ans Consistorium, von dem Consistorium wieder an den Rat. Die Syndike und Räte waren fast alle Perrinisten« ^. Klagen und Be- schwerden der Ältesten über die Lauheit und Lässigkeit des Rats hatten keinen Erfolg. Vielmehr fafste der Rat im Laufe der Monate März eine Reihe von Beschlüssen, die sich umgekehrt gegen das Verfahren des Consistoriums richteten. Er unterzog die kirchlichen Edikte einer nähern Prüfung und fand , dafs die Sittenbehörde mehrfach über den Inhalt derselben hinausgegangen war, dafs sie z. B. nicht das bisher geübte Recht besafs, Per- sonen, die von den bürgerlichen Richtern abgeurteilt waren, noch- mals vor ihr Tribunal zu laden. Es wurde demgemäfs den Ältesten bedeutet, sich fortan mit solchen Personen nicht mehr zu befassen , aufser in dem Falle , dafs es halsstarrige Sünder seien, die Reuigen aber »in Frieden zu lassen«. Sie empfingen ferner die Weisung, in Zukunft nur auf klare und wichtige Gründe hin Vorladungen vorzunehmen. Auch wurden sie aufgefordert, die Vorgeladenen mit mehr Liebe und Sanftmut (gracieusement) zu ermahnen. Gleichzeitig wurde dem Prediger Abel Poupin, einem der mafslosesten Eiferer im Consistorium wie auf der Kanzel, ein scharfer Verweis erteilt, weil er in einer Predigt ungebührlich von der Obrigkeit gesprochen. Selbst der von Perrin und seinen Freunden gemachte Vorschlag, die bürgerliche Obrigkeit möge die Angelegenheit Favres selbständig und ohne Mitwirkung des Con- sistoriums entscheiden und wie es sich gebühre und ihr zukomme, die ganze Disciplinargewalt kühn selbst in die Hand nehmen, fand im Rate vielfach Anklang und Zustimmung 3.

Man sieht: schon traten die Führer der Bewegung, ermutigt

' Vgl. Consistorialprot. 3. Febr. 1547 (Ann. S. 395 f.) [Cornelius a. a. O. S. 492 f.].

^ Anc. et nouv. pol. S. 55, 56. Vgl. Consistorialprot. 17. März 1547.

3 Vgl. Ratsprot. 7., 10., 21., 25,, 29. März 1547, Beza, Opp. XXI S. 139; Rosct, 1. V, c. 10. »La plus gründe voie«, meldet Roset, »tendoit

deja de retenir la cognoissance supreme touchant la discipliiiet. [Vgl. Cor- nelius a. a. O. S. 495 f.].

tA Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

durch die neue Wendung der Dinge, auch mit ihren wahren und eigentlichen Absichten mehr und mehr offen hervor.

Doch drang die Ansicht des Generalkapitäns nicht durch. Calvin erschien selbst im Rat und bot seine ganze Beredtsamkeit dagegen auf; er beteuerte, dafs das Consistorium nie daran ge- dacht habe , den Rechten der bürgerlichen Obrigkeit Abbruch zu thun ^ : er wies auf die fortdauernde Halsstarrigkeit Favres hin, der nicht einmal die Diener des göttlichen Wortes als solche an- erkenne ; es gelang ihm wirklich, da auch der Wortlaut der Edikte ihm günstig war, den Rat von dem beabsichtigten Schritte zurück- zuhalten "", Indes war der Sieg ein unvollständiger und durch mancherlei Zugeständnisse erkauft. Calvin mufste sich mit einer Art von Kompromifs begnügen , das die principielle Berechtigung der beiderseitigen Forderungen unberührt liefs und lediglich den thatsächlich vorliegenden Streitfall ins Auge fafste. Es wurde vom Rate »beschlossen«, dafs der Hafs und Streit zwischen den Geistlichen und dem Generalkapitän, seinen Anhängern und Ver- wandten friedlich beigelegt und die Eintracht zwischen ihnen wieder- hergestellt werdet. Hinsichtlich Favres wurde die Erwartung aus- gesprochen , dafs er in Zukunft Gott in der Gerechtigkeit wie jeder andere Bürger gehorchen und bestrebt sein werde , seinen Wandel zu bessern. Die Aussöhnung Favres mit allen seinen Gegnern fand , da der Rat sich mit Nachdruck der Sache an- nahm, wirklich statt vor versammeltem Consistorium, nachdem die Geistlithen nicht »harte, sondern gute und freundliche Worte« an ihn gerichtet •* .

Es mochte Calvin einige Überwindung kosten , eine Ent- scheidung anzunehmen , welche mit seinen Grundsätzen so wenig in Einklang stand und überdies der bürgerlichen Gewalt eine Rolle

' » Que jamex le consistoyre ne pensa ny veult penser fere chose que soyt au detrifuent de la sovcraiennete de Geneve, mes se offrent destre obayssans a la justice ainsin que le moiendrc de Geneve et que Ion il aye advis pour eviter tous scandalles en leglise«. Ratsprot. 29. März 1547 (Ann. S. 401).

* »Ego« schreibt Calvin selbst über sein Auftreten, gravitate qua decuit, retiidi iwpetus Mos, a quibus tantopere inetuebat Rosetus«. Calvin an Viret 6. April 1547, Opp. XII S. 508.

3 :tQue tant ledit different .... soyt paciffie ainyablement et soyent re- consilics par ensemble« (Ann. S. 401/402).

+ Vgl. Ratsprot. 29., 31. März 1547 (Ann. S. 401 f.), Roset 1. V. c. \z; Beza, Opp. XXI S. 139; Gaberei I. 387. {Cornelius a. a. O. S. 496. J

Calvins Erfolg gegenüber Favre. ^5

zuwies, die er auf das entschiedenste mifsbilligen mufste. Dennoch füc{te er sich ihr , da der thatsächliche Gewinn auf seiner Seite war. Die Gefahr, die er selbst für so bedeutend gehalten, dafs er bereits Viret um seine Herüberkunft und Hilfe gebeten hatte *, war abgewendet : die Autorität seines Lieblingsinstituts war ge- rettet und , was kaum zu erwarten gewesen , Favre hatte sich, wenn auch nur äufserlich und in einer Form , die vom streng kirchlichen Standpunkt aus nicht zu billigen war, unterworfen^. Der Lausanner Freund , welcher der erhaltenen Einladung erst einige Wochen später Folge leisten konnte, fand, dafs seine Hilfe nicht mehr nötig und Calvins Lage nicht so ungünstig sei. Dieser selbst glaubte aus mancherlei Zeichen entnehmen zu dürfen, dafs trotz aller Abneigung, welche ihm die reichen und vornehmen Familien bewiesen, doch die Mehrheit des Volkes noch auf seiner Seite stehe, und schöpfte neuen Mut 3. Und da gleichzeitig die beiden Hauptgegner, Perrin und Favre, sich für längere Zeit aus Genf entfernten dieser um sich auf das Land zurückzuziehen, jener um eine Gesandtschaftsreise nach Frankreich anzutreten ■♦ so schien die Ruhe für die nächsten Monate verbürgt.

Allein, es war Täuschung. Gerade die Abwesenheit der beiden gefürchteten Führer , namentlich des Generalkapitäns, der es verstanden hatte, die Opposition mit ihren verschiedenartigen Elementen im Zaume zu halten und vor Ausschreitungen zu be- wahren, erwies sich als verderblich, indem sie den Heifsspornen der Partei das Feld überliefs. Die Folge waren neue »Auftritte

' Vgl. Calvin an Viret 27. März 1547, Opp. XII S. 505.

^ Aus den bei Gruet nach seiner Verhaftung vorgefundenen Papieren ersieht man, dafs Favres Unterwerfung auf die Partei wirklich Eindruck machte und von den Entschiedenen durchaus mifsbilligt wurde.

5 Vgl. Calvin an Viret 28. Mai 1547. Opp. XII S. 531 f. Es scheint, dafs das Volk vielfach an den mit Ostentation zur Schau getragenen Berner Sympathien der Opposition Anstofs nahm. Vgl. Opp. XII S. 561 f. Viret war nach den Ratsprot. etwa vom 21. bis 25. April in Genf. [Vgl. Ann. S. 403. Viret schrieb am 4. Mai an Farel : nunquam hactenus animos magis alienatos a Calvine compereram, neque senatores pertinacius et diutius ab ipsius abstinere consortio et consuetudine, aliis odio distractis, aliis metu ne in delatorum venirent suspicionem. Opp. XII. S. 517].

+ Nach dem angeführten Schreiben Calvins an Viret und dem Schreiben an Falais (Opp. XII S. 529 f.) mufs Perrin am 26. Mai seine Reise an- getreten haben.

Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

und Angriffe gegen Geistliche und Franzosen«. Die Leiden- schaften stiegen, da es keinen gab, der sie zügelte, und die Pre- diger durch ihre mafslose , zuweilen rohe Sprache sie vielmehr reizten. Es kam zu Scenen, in denen der Hafs und die Er- bitterung der Gemüter in fast erschreckender Weise zu Tage trat. Perrins eigene Gattin , die wegen neuer Übertretung der kirch- lichen Gesetze vor das Consistorium geladen wurde , erging sich hier in so trotzigen und herausfordernden Reden, dafs der Rat es für geboten erachtete, ihre Verhaftung anzuordnen. Aus dem Kerker wieder entlassen , verliefs sie aufgebracht die Stadt , um ihrem Vater auf das Berner Gebiet zu folgen. Als sie vor den Thoren selbst stolz zu Rofs dem Prediger Poupin begegnete, demselben , der sie durch seine mafslos heftige Sprache in jener Sitzung des Consistorium s am meisten gereizt hatte, geriet sie in eine leidenschaftliche Autregung: sie überschüttete den Verhafsten mit Schmähungen und Drohungen. Kaum, dafs das wutentbrannte Weib sich thätlicher Mifshandlungen enthielte

In diesem Augenblicke trat ein Ereignis ein, das unerwartet dem Kampfe eine neue, Calvin günstige Wendung schien geben zu sollen.

IV.

PROZESS UND HINRICHTUNG JACQUES GRUETS ^

Es ist wahr : die Geschichte des Kampfes der anticalvinischen Opposition entrollt vor uns manch dunkles Blatt und eröffnet hier und da den BHck in ein Treiben, gegen das wohl auch ein weniger strenger Censor als Calvin sich erhoben haben würde. Sogar an widerwärtigen und abstofsenden Erscheinungen fehlt es nicht. Aber darum, wie dies geschehen, über die gesamte Partei den Stab zu brechen, wäre eine Ungerechtigkeit. Ausschreitungen dieser Art liegen, darf man vielleicht sagen, in der Natur und dem Wesen solcher, nie ohne leidenschaftliche Erregtheit geführter

' Vgl. Consistorialprot. 23. Juni 1547 (Ann. 8. 407); Calvin an Viret 2. Juli 1547, Opp. XII S. 545. Anc. et nouv. pol. S. 56; Roset 1. V, c. 11 ; Quelq. pag. S. 57. [Cornelius a. a. O. S. 501.]

^ [Vgl. über den Fall Gruet jetzt die von Fazy, Proc^s de Jacques Gruet (M6m. de l'Inst. Genevois XVI p. I 149) herausgegebenen Akten; ferner Cornelius a. a. O. S. 501 ff.].

Persönlichkeit Gniets.

57

Parteikämpfe und wurden in Genf überdies durch die besonderen Verhältnisse, unter denen, und die Elemente, aus denen die Oppo- sitionspartei sich bildete, in bedauerlicher Weise begünstigt. Nie- mand nahm vielleicht mehr Anstofs daran als die besonnenen und ernsten Mitglieder der Partei selbst, die wohl erkannten, dafs Unbesonnenheiten und Mafslosigkeiten ihrer Sache nur zum Schaden, nimmer aber zum Vorteil gereichen könnten. Der Gesamtheit aufzubürden, was einzelne gesündigt, und die Partei als solche nach den Ausschreitungen einiger Exaltierten zu beurteilen, würde in jedem Falle unstatthaft sein und auf den Kampf selbst ein durchaus falsches Licht werfen.

Dies gilt namentlich von jener merkwürdigen, in den Sommer 1547 fallenden Episode des Kampfes, die sich an den Namen Jacques Gruets knüpft und der Opposition in der öffentHchen Meinung vielleicht mehr als irgend ein anderes Ereignis ge- schadet hat.

Jacques Gruet stammte aus einer alten und angesehenen Genfer Familie, die in früherer Zeit in einem nähern Verhältnisse zu dem Hause Savoyen gestanden und demselben mehr als einen tüchtigen Beamten gehefert hatte \ Von ihm selbst wissen wir bis zu seinem Auftreten gegen Calvin wenig mehr , als dafs er sich unter den ersten befand , die nach Farels Ankunft in Genf die neue Lehre annahmen. In den folgenden Kämpfen wird sein Name nicht genannt. Das öffentliche Handeln entsprach offenbar nicht seinen Neigungen. Eine skeptische, grübelnde Natur, scheint er vielmehr durch die gewaltigen kirchlichen Ereignisse den An- stofs zu einer eingehendem Beschäftigung mit den grofsen sittlich- reUgiösen Problemen der Zeit empfangen zu haben. Er las und studierte allerlei , was darauf Bezug hatte , machte sich Excerpte und stand bei seinen Mitbürgern in dem Rufe eines viel wissenden Mannes, der um den Lärm des Tages sich wenig kümmere. Neben- bei beschäftigte er sich auch mit Dichtungen und Erzählungen in der Mundart des Volkes , die er indes so wenig wie irgend ein anderes Erzeugnis seiner Feder veröffentlichte. Von einer be- sonderen Abneigung gegen Calvins Lehren und Einrichtungen war äufserlich wenig bei ihm zu bemerken, obschon er sich zur

' Noüces geneal. III, 262.

cg Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

Opposition hielt und unter jenen dreifsig war, die im Frühjahr 1546 in auffälliger Weise wegen Übertretung der Ordonnanzen zur Strafe gezogen wurden. Er kannte Favre und seinen Kreis und blieb ihm auch nicht fern, aber gleichzeitig stand er in nahem Verkehr mit dem eifrigsten Calvinisten , dem Emigrantenhäuptling Maigret. Nichtsdestoweniger empfand Calvin gegen diesen Mann einen besonders tiefen und lebhaften Widerwillen, und die heftigen persönlichen Ausfälle , die er selbst auf der Kanzel sich gegen ihn gestattete er benannte ihn öffentlich mit den weg- werfendsten Ausdrücken verrieten, dafs er ihm die schlimmsten Dinge zutraute. Der scharfblickende Reformator vermutete, viel- leicht unterstützt durch die stillen Beobachtungen seiner Freunde, in dem scheinbar harmlosen Stubengelehrten schon längst einen von jenen »unreinen Lucianischen Geistern«, die ihm unter allen Gegnern des Evangeliums am meisten zuwider waren, einen über- aus gefährlichen Menschen, der durch das Gift seiner Grundsätze der ganzen Gemeinde Ansteckung und Verderben drohe. Im Sommer 1547 empfing er für das, was bisher blofs Vermutung gewesen, offene Beweise'.

Am 27. Juni 1547, einen Tag nach jener ärgerlichen Scene zwischen dem Prediger Abel Poupin und der Frau des Generalkapitäns, fand man an der Kanzel in St. Peter ein in der Mundart des Volkes abgefafstes Plakat, welches unter groben Schmähungen den Geistlichen den baldigen Untergang und die Rache des Volkes ankündigte. Die Geistlichkeit , hiefs es , möge sich wohl vor- sehen und zeitig ihre Thätigkeit einstellen ; geschehe dies nicht, so werde sie die Stunde zu bereuen haben, in der sie das Mönchs- gewand abgeworfen habe. Genf sei der vielen Herren und der Herrschaft der Pfaffen , die der Teufel hergeführt , um alles zu verwirren, endlich müde. Nachdem lange genug Geduld geübt worden , nahe der Tag der Rache. Man möge des Schicksals

' Mir stand für die Angelegenheit Gruets eine von dem altern Galiffe herrührende Abschrift der Akten (Belegstücke, Klageartikel, Verhörsproto- kolle etc.) seines Prozesses zu Gebote , die ich der Freundlichkeit des Jüngern Galiffe verdanke. Die Akten verbreiten natürlich hin und wieder auch über G.'s früheres Leben einiges Licht. Ein teilvk^eiser Auszug aus den Klageartikeln findet sich bei Galiffe, Not. geneal. III , 260 ff. [Vgl. o. S. 56 A. 2.]

Das Plakat in S. Peter.

59

Werlys von Freiburg eingedenk sein und sich diese Warnung zu Herzen nehmen '.

Alles geriet in Aufregung über diese unerhörte Kühnheit. Der Verdacht der That fiel bald auf Gruet, obgleich die Schrift nicht von seiner Hand zu sein schien. Der Rat ordnete un- verzüglich im Sinne Calvins -' eine strenge Untersuchung und die Verhaftung des Verdächtigen an. Sein Eifer war so grofs , dafs er sich sogar über die gesetzlichen Formen , welche die Stellung eines Bürgers verlangt hätte ^ , hinwegsetzte. Mochte auch das Verhältnis zwischen dem Magistrat und dem Reformator in «den letzten Monaten eine Trübung erfahren haben, diesem verwegenen Angriff gegenüber fanden sich die alten Bundesgenossen wieder zusammen. Man liefs die Wohnung des Verhafteten durchsuchen und nahm seine Papiere in Beschlag. Diese aber eröffneten bei näherer Einsicht den Blick in eine Thätigkeit , gegen die der nächste Gegenstand der Klage für den Augenblick ganz in den Hintergrund trat. Vollkommen erwies sich Calvins Argwohn als gerechtfertigt.

Es waren merkwürdige, zum Teil von ernstem Nachdenken und hellem Geiste, zum Teil von einer durchaus frivolen Gesinnung zeu- gende, stets aber gegen Calvin und seine Wirksamkeit gerichtete Schrift- stücke, welche man in der Wohnung des Angeklagten entdeckte. Da fand sich der Entwurf zu einer Bittschrift, die im Generalrat dem Volke von Genf vorgelegt werden sollte , ein Entwurf, der unter Hinweisung auf das Beispiel Venedigs den in der Stadt Calvins, und nicht blofs hier , damals unerhörten Grundsatz auf- stellte, es dürfe der Staat nur bürgerliche Vergehen bestrafen,

' Im Original lautet das Plakat nach Ga/iffe, Not. geneal. III, 259 [wieder abgedruckt (mit mancherlei Abweichungen) bei Roget II S. 323, Fazy S. 5; in der Fassung Calvins: Opp. XII S. 546]: j>Gro panfar te et to compagnon gagncria t/iiot de vo queysi. Se vo no fatte etifuma, i n' y a per- sonna qiie vo garde qu'on ne vo mctte en tas. Lua qiie pev, vo maiideri l'oura que jamet vos salistes de voifa moinnery. Et me zuit prou blama quin Diablo et tot SU fottiis pretres renia no vegnon ici mettre en rityna. Apres qu'on a prou endura on se revenge. Garda vo qti'i ne vo n'en pregne comme i fit a Mosieur Verle de Fribor. No ne vollin pas taut avey de metre, Nota bin mon dire« . Der Gros panfar war nach Gruets späterem Geständnis nicht Calvin, sondern Abel Poupin, vgl. Verhörsprotokoll zum 10. Juli 1547.

^ Ratsprot. 30. Juni 1547, Ann. S. 408.

3 Vgl. Mem. de l'Institut genevois X, p. 19.

6o Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

darum den Sturz der Consistorialgewalt verlangte und den gegen- wärtigen Zustand , nach welchem die Stadt dem Gehirn eines melancholischen Menschen unterworfen sei, als gefahrvoll darstellte. Man entdeckte Bruchstücke einer Korrespondenz, die den vollen- detsten sittlichen Libertinismus bekundeten, lose Blätter und Briefe an seine auswärtigen Freunde, voll von gehässigen Anspielungen oder offenen Invektiven gegen den Reformator, den er bald spöttisch als »galanten Mann« behandelt, bald als einen heuch- lerischen , stolzen , jähzornigen und herrschsüchtigen Despoten schildert, der sich rühme, dafs er Könige und Kaiser zittern machen könne. Den ungünstigsten Eindruck machten aber einige von Gruets Hand zusammengestellte lateinische Excerpte religiösen Inhalts, die sich in frivoler Weise gegen die Grundlagen der christ- lichen Religion richteten, die h. Schrift und die Person Christi verspotteten, die Welt für ewig, die Unsterblichkeit der Seele, Himmel und Hölle für leere Traumgebilde, alle göttlichen und menschlichen Gesetze für willkürliche Erfindungen der Menschen erklärten. Einem Exemplar der Schrift Calvins gegen die Ana- baptisten war an einer Stelle von Gruets Hand die Randbemerkung : >. Alles Possen« beigefügt! Manches in den aufgefundenen Papieren scheint einen libertinischen Ursprung zu verraten und auf eine Bekanntschaft des Angeklagten mit jenem System hinzudeuten, aber selbst Pocquet und Quintin sind , auch die Schilderung des Reformators als richtig zugegeben , nicht so weit gegangen , als dieser mifsratene Sohn der Stadt Calvins ^ !

Vgl. Prozefsakten im Eingang [jetzt bei Fazy S. 39 45] ; das die religiöse Frage insbesondere behandelnde Excerpt fehlt unter meinen Ab- schriften [fehlt auch bei Fazy; vgl. Opp. XII S. 547 n. i] den Inhalt desselben giebt Calvin in dem Schreiben an Viret vom 2. Juli 1547, Opp. XII S. 547. Nach dem Verhörsprotokolle vom 7. Juli scheinen überhaupt nicht alle Schrift- stücke Gruets erhalten zu sein. Einen Auszug aus denselben giebt auch Spon- Gautier I, 288. Natürlich sehen wir hier von dem erst drei Jahre später aufgefundenen und allerdings viel ärgere Dinge enthaltenden Libell Gruets ab, da es auf seine Verurteilung keinen Einflufs gehabt. Dafs das Libell so lange unentdeckt blieb , zeigt übrigens wie vorsichtig Gruet gewesen 1 Wenn die vielgenannte Schrift De tribus impostoribus mit dem Namen Gruets in Ver- bindung gebracht worden ist, so würde allerdings die z. B. von Geuthe (De impostura religionum breve compendium p. 24) versuchte Charakteristik des Autors jener anonymen Schrift auf Gruet passen und könnte der Umstand, dafs in derselben die Verdammung eines grofsen Teils der Menschen nach gött- lichem Ratschlufs und Vorherbestimmung als Hauptargument gegen das Christen-

Wirkung des Falls Gruet. 6l

Ein günstigeres Ereignis hätte für Calvin in diesem Augen- blick kaum eintreten können. Wie glänzend stand er jetzt ge- rechtfertigt da, wenn er früher seine Feinde als die Feinde Gottes und aller christlichen Zucht und Ordnung dargestellt hatte? Die Opposition wqir für den Augenblick völHg niedergeschmettert. Hatte Gruet vielleicht auch aus eigenem Antriebe gehandelt, konnte auch nicht wohl angenommen werden, dafs viele um seine geheime Thätigkeit wufsten : er gehörte doch zur Opposition, und diese trafen deshalb auch die Folgen. Nicht wenige, die in der letzten Zeit sich von Calvin zurückgezogen , kehrten angesichts des Abgrundes, der sich vor ihren Augen eröffnete, unter die ver- lassene Fahne zurück. Die entschlossensten Oppositionsmänner waren bestürzt ^ da sie die öffentliche Meinung plötzlich so über- wiegend gegen sich gerichtet sahen. Die Entrüstung war eine fast allgemeine. Niemand hätte es wagen dürfen, den Angeklagten in Schutz zu nehmen.

Einen noch tiefern Eindruck machte der Vorfall auswärts. Das Gerücht von dem Attentat und der Gottlosigkeit Gruets ver- breitete sich , von Genf aus künstlich genährt , wie ein Lauffeuer und rief nah und fern in den evangelischen Gemeinden die gröfste Teilnahme und Bestürzung hervor. Farel in Neuenburg erbot sich, sofort dem bedrängten Freund zu Hilfe zu kommen^. Je weiter das Gerücht in die Ferne drang, desto mehr wurde das Vorgefallene übertrieben. Tagtäghch liefen in Genf, wie Calvin selbst erzählt, Briefe ein, Zeichen der allgemeinen Teilnahme und der übertriebensten Sorge; in Lyon erzählte man sich bereits, er sei von den Gegnern umgebracht worden 3. Anderswo wollte man über die Pläne der Gottlosen besser unterrichtet sein als in Genf selbst und liefs den Behörden Mahnungen zur Wachsamkeit und genaue Mitteilungen über angebliche Mordanschläge zukommen.

tum geltend gemacht wird, auf Genf hinweisen. Doch fehlt es an jedem festen Anhalt und überdies herrscht in jener kleinen Schrift doch ein ganz anderer, viel ernsterer Geist als in den uns erhaltenen Produktionen Gruets.

' "LtS aultres«, meint Calvin, »baissent bien la teste, au licu de lever les cornes«. An Falais 14. Juli 1547, Opp. XII S. 552.

^ Opp. XII S. 571, 580.

3 »Quoiidie litcrae adferebantur , praesertim Lugduiio^ ex quibus intcllige- bam, ine plus decitn fuisse occisuin«. An Farel, Opp. XII S. 580. Vgl. auch die beiden Schreiben an die Gläubigen in Frankreich (24. Juli) und an Falais (16. Aug.), ebd. S. 560 ff., 576.

02 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

Bald wurde gemeldet , es bestehe eine Verschwörung , Calvin mit den sämtlichen Predigern in die Rhone zu stürzen, bald hiefs es, die Gegner hätten auf seine Ermordung einen Preis ausgesetzt \ Seit den Tagen seiner Rückkehr nach Genf hatte Calvin nicht mehr solche Beweise von Teilnahme und Hingebung , Liebe und Eifer erhalten.

Inzwischen war der Prozefs gegen Gruet in aller Form er- öffnet worden. Nachdem der Angeklagte in den ersten Verhören sich als Verfasser der ihm vorgelegten Schriftstücke, mit alleiniger Ausnahme des Plakats, bekannt hatte, legte der Lieutenant am 2. Juli 25 Klageartikel vor, deren Einleitung schon die geistliche Mitwirkung erkennen liefs ^. Dieselben enthielten teils allgemeine Rechtsgrundsätze, die bei den Verhandlungen als Norm dienen sollten, teils Anschuldigungen gegen den Angeklagten. Erst in dem zweiundzwanzigsten Artikel war von dem Plakate die Rede. Noch ehe indes hierüber eine gründliche Verhandlung hatte statt- finden können, empfing der Lieutenant 47 weitere Klageartikel % die unzweifelhaft Calvin selbst zum Verfasser hatten*. Diese gingen mehr ins Detail, rückten dem Angeklagten schärfer zu Leibe und waren viel verfängUcher gestellt. Sie enthielten Fragen, deren Verneinung ebenso bedenklich war wie ihre Bejahung. In beiden Vorlagen war der Anklage die weiteste Ausdehnung ge- geben. Nicht blofs Gotteslästerung, ReHgionsverachtung, Schmähung und Bedrohung der Geistlichen, auch Auflehnung gegen die Staats- ordnung, Komplott und Hochverrat und viele andere Verbrechen wurden dem Angeklagten zur Last gelegt.

' Vgl. Ratsprot. 29. Juli; Consistorialprot. i. Sept. 1547 (Ann. S. 411). Solche Nachrichten kamen natürlich sehr verspätet aus Nyon, Lyon, Burgund; Beza, Opp. XXI S. 140 verwechselt diese von aufsen importierten Gerüchte mit dem Inhalt des Plakats.

^ »Aßn qtie la gloire de Ner Sdgneur avec sa sainte parole soit toujours maintcinie et preferes a toutcs choses mondaines et que toutes choscs sinistres ei rcpugnantes a kelle soyent repellces et de tout pouvoir abattues votre Lieute- nant« etc. Prozefsakten, Verhörsprot. 2. Juli IS47- [Pazy S. 49.]

3 Vgl. Verhörsprot. zum 4. Juli 1547. [Fazy S. 64.]

4 Nach Gaiiffe (Quelq. pag. p. 24) hätte Calvin sie in eigener Person dem Justizbeamten überreicht ; mir ist die Quelle dieser Angabe unbekannt ; an der Autorschaft Calvins läfst sich freilich nicht zweifeln. Dafs ihm sofort das ganze Klagematerial zur Verfügung gestellt worden war, zeigt der oben angeführte Brief an Viret, Opp. XII S. 546.

Prozefs gegen Gruet. 63

Dafs der Prozefs mit der Verurteilung Gruets enden werde, war von vornherein klar. Schon die Geständnisse , welche er in den ersten Verhören gemacht, reichten dazu hin, ohne dafs es auch nur nötig gewesen wäre , die strengen Grundsätze, welche die Anklageartikel aufstellten, gegen ihn zur Anwendung zu bringen \ Hätte es sich lediglich um die Person des Angeklagten gehandelt, der Prozefs würde wohl einen rascheren Verlauf ge- nommen haben. Doch nicht dieser allein kam in Betracht. Calvin hatte für seine Person die feste Überzeugung, dafs Gruet inner- halb der Oppositionspartei er dachte zunächst an die Familie Favre geheime Verbindungen und Mitwisser habe. Es galt jetzt , diese durch die Untersuchung ans Licht zu bringen , den Angeklagten zu Geständnissen zu nötigen und wo möglich die gesamte Partei in die Katastrophe des einzelnen Mitgliedes zu verwickeln. »Der x-^ngeklagte« erklärte einfach einer der Klage- artikel, »mufs Anhänger und Mitschuldige haben, und er soll sie nennen!« Deutlicher liefs sich die Aufgabe des eingeleiteten Ver- fahrens nicht ausdrücken.

In der ersten Zeit des Prozesses behauptete Gruet eine feste, zusammengenommene Haltung. Seine Antworten , die stets den gebildeten Mann verrieten , waren klar und bestimmt , bald aus- weichend^, bald schlagend, zuweilen auch sarkastisch. Als ein Zeuge, es war Treppereau, jener allgewaltige Prediger von Celigny, gegen ihn aussagte, er habe in seiner Gegenwart gegen die kirch- lichen Disciplinargesetze gesprochen und auch gesagt , Moses sei bei der Erschaffung der Welt nicht anwesend gewesen, entgegnete er mit einer Ironie , über solche Dinge spreche er scherzend mit den Heiteren und weise mit den Weisen 3.

Doch diese Haltung war nicht von langer Dauer.

Am 9. Juli bestand der Angeklagte zum ersten Mal die Folter in der gewohnten Form der Estrapade. Er bekannte jetzt aus

^ So lautete der dritte unter den 25 Artikeln: Tous contrevenans a icelle (Ja Reformation) tan par parole que vouloir sont trouves apparens rebelles a Dicu, a la Seigneurie et cotnmunaute de Gejieve.«

* So z. B. beantwortete er die Frage, ob Blasphemie und Idololatrie etc. strafbar seien, mit einem Ja, »insofern sie die Obrigkeit verboten habe«. Ver- hörsprot. 4. Juli : später, ermüdet, antwortete er allerdings mit einem un- bedingten »Ja« .

3 Vgl. Verhörsprot. 8. Juli 1547. [Fazy S. 75.]

ÖA Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

freien Stücken« (spontanement), wie das amtliche Protokoll be- teuert , was er bisher noch geleugnet , dafs das Plakat in S. Peter von ihm verfafst und angeheftet sei. Er blieb bei diesem Ge- ständnisse auch am folgenden Tage , wie in allen späteren Ver- hören und verbreitete sich sogar in gewünschter Weise über die Einzelheiten der That. Er bekannte, gefehlt und gesündigt zu haben und verschwieg nichts , was seine Person blofs stellte. Aber darüber hinaus gingen seine Aussagen nicht. Ganz ent- . schieden stellte er das Vorhandensein von Mitwissern und Mit- schuldigen in Abrede \

Mit diesen Geständnissen war der Anklage wenig gedient. Die Gerichtsbehörde liefs sich indes durch den mifslungenen ersten Versuch in keiner Weise irre machen. Der Prozefs wurde mit erhöhtem Eifer fortgesetzt und entfaltete von nun an mehr und mehr die ganze grausame Härte und Willkürlichkeit des damaligen peinlichen Verfahrens. Man quälte den Unglücklichen Tage lang vom Morgen bis zum Abend in der unbarmherzigsten Weise, damit, wie es hiefs, »die Wahrheit aus seinem Munde hervor- gehe«.

Schon am 12. Juli, an welchem Tage der Angeklagte drei Verhöre zu bestehen hatte , wurde wieder die Folter zur Anwen- dung gebracht^. Man hatte dieses Mal die Frage nach Mit- wissern und Mitschuldigen auch auf die übrigen Teile der An- klage ausgedehnt. Allein der Erfolg war derselbe. Die wenigen Aussagen , welche der Gefolterte gegen einige gegenwärtige oder frühere Führer der anticalvinischen Partei machte , waren un- erheblich und wurden später, als er von der Tortur frei war, von ihm selbst zurückgenommen. Er wiederholte am andern Tage nochmals alle seine früheren Geständnisse, aber neue waren nicht von ihm zu erlangen -\

Am 15. JuH wurden von der Anklage neun neue »Artikel« vorgelegt. Zugleich erging an den Angeklagten die nochmalige ernste Aufforderung, seine Mitschuldigen zu nennen. Als dieser wiederholte , dafs er solche nicht kenne , wurde beschlossen, ihn

' Verhörsprot. 9. und lo. Juli 1547. [Fazy S. 76 ff.] ^ » Ordonne qu'il soit attache a la corde et torture jusques la verite soit issue de sa bauche.« Verhörsprot. 12. Juli. {Fazy S. 85.] 3 Verhörsprot. 12. und 13. Juli 1547. [Fazy S. 88.]

Verhöre Gruets. 65

in die Folterkammer bringen zu lassen ' , um zu einer stärkern Anwendung der Folter zu schreiten. Umsonst warf sich Gruet vor den Richtern auf die Knie, um ihre Gnade anzuflehen. Drei- mal wurde er an dem Stricke aufgezogen , dreimal versprach er, vom Schmerz überwältigt, die »Wahrheit << zu bekennen, aber jedes- mal wurden seine Aussagen ungenügend befunden. Er gestand, dafs er ein schlechter Mensch sei , der längst den Tod verdient habe, und ihn gern über sich ergehen lassen wolle, er gestand alles , nur nicht das , was man wollte das Vorhandensein von Mitschuldigen. Ganz besonders stellte er dies noch in Abrede in Beziehung auf den Anschlag in St. Peter: er habe durchaus nach eigener Eingebung gehandelt, es gebe keinen Mitwisser und Mit- schuldigen. Er bat endlich um den Tod, denn lieber sei es ihm zu sterben, als noch länger zu leben und solche Qualen zu erdulden ^.

Ganz dasselbe Ergebnis hatte ein nochmahges Verhör am 18. Juli. Gruet wiederholte hier die oft abgegebene Erklärung, dafs er keinen Mitschuldigen habe, mit einer Entschiedenheit, die durchaus den Eindruck der Wahrhaftigkeit macht, er nahm noch einige auf der Folter gethane Äufserungen zurück und bat schliefs- lich seine Richter nochmals , durch einen baldigen Tod seinen Leiden ein Ende zu machen 3.

Seit dem 18. Juli fand keine weitere Vernehmung mehr statt. Während mehrerer Tage ruhte der Prozefs. Es scheint, dafs die grausame Behandlung des Angeklagten doch nicht überall Beifall fand. Zu offen trat doch die Absicht der calvinischen Partei, den Prozefs zur Befestigung ihrer Herrschaft und zur vollständigen Niederwerfung der Gegner auszubeuten , zu Tage. Zwar hatte Gruet durch sein gottloses Treiben zu Anfang den allgemeinen Unwillen gegen sich hervorgerufen. Dennoch erwachte jetzt, nach- dem er so Hartes erduldet und seine eigene Schuld offen ein- gestanden, in manchen Kreisen wieder ein natürliches Mitgefühl für ihn. Selbst der Rat, namentlich die Syndike zeigten nicht mehr den anfänglichen Eifer. Calvin begann schon ungeduldig

' »Le dit Jacques inquis devoir etre remis et mene au propre Heu de l' Inquisition et torture.« \Fazy S. 88.]

^ Verhörsprot. 15. Juli 1547: »Desirant plutot la inort que la -ne et que d' endurer iatit de tourinens qu'il endure, comme il dit.t [F'azy S. ^6.]

3 Verhörsprot. 18. Juli 1547. [Fazv S. 97 f.] Kampschulte, J. Calvin II. 5

66 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

ZU werden und zu fürchten, der Angeklagte könne ganz der ver- dienten Strafe entrinnen. Er beklagte sich bei einem seiner aus- wärtigen Freunde über die Verschleppung der Angelegenheit durch die Syndike, über Mangel an Mut bei den Ratsherrn. Er meinte, es gebe in Genf nicht genug beherzte Männer ' 1

Doch seine Besorgnis war dieses Mal grundlos. Am 26. Juli vernahm Gruet aus dem Munde des Syndiks Beguin sein Urteil. Wegen neunfacher Vergehen , schuldig der Gotteslästerung und Religionsverachtung , des Versuches , die in Genf durch göttliche Eingebung eingeführte Ordnung zu stürzen, der Behörde mit Hilfe auswärtiger Freunde Verlegenheiten zu bereiten , das Volk durch eine abscheuliche Supphkation aufzuwiegeln, schuldig der An- heftung eines gottlosen Plakats , der Auflehnung gegen die Ge- rechtigkeit, der Verbreitung der Unsittlichkeit und abscheulicher Reden, wurde der Angeklagte zum Tode verurteilt. Noch an demselben Tage endete Jacques Gruet auf der gewöhnlichen Richt- stätte unter dem Beile des Henkers, nachdem er zuvor, wie Farel meldet , Gott wieder als seinen Herrn anerkannt hatte - . Sein Leib wurde an den Galgen geschlagen , wie die Strafsentenz ver- kündete : »allen anderen , die je etwas Ähnliches wieder beginnen sollten, zum warnenden Beispiel \

In der Gruetschen Angelegenheit feierte die calvinische Partei, wenn sie auch ihre eigentliche Absicht nicht erreichte, auf jeden Fall einen Triumph von entscheidender Bedeutung, Ihre bereits erschütterte Herrschaft wurde aufs neue befestigt. Nicht hoch genug war es anzuschlagen, dafs der Rat wieder auf Seite Calvins

' Calvin an Viret 24. Juli 1547: »Gructi negotium Syndici protrahunt, Senatu tnvito, nee tarnen, ut decebat , rcclatnante. Scis enini paucos esse cor- datos.« Opp. XII S. 559. Die verschiedene Haltung der Syndike und der übrigen Mitglieder des Kleinen Rates, die sich auch bei andern Gelegenheiten wahrnehmen läfst, erklärt sich dadurch, dafs nur jene, nicht aber diese aus unmittelbarer Volkswahl hervorgingen , überdies oft in dem Rat die alten Mit- glieder einfach wieder bestätigt wurden. (Anc. et nouv. pol. S. 21). Ein Umschwung in der Volksstimmung kam deshalb viel eher in den Syndiken, als in dem Rate zum Ausdruck.

^ i>Stib finem Dciun agnovit.« Farel an Calvin 22. Juni 1558, Opp." XVII S. 222. Die Notiz ist nicht unwahrscheinlich, da es schon in dem Ver- hörsprotokoU zum 15. Juli bei der wiederholten Anwendung der Folter heifst: »// s'est recommande a Dieu le priant lui vouloir assister et autres prieres«.

3 Vgl. Prozefsakten [Fazy S 1 1 1 ; auch Opp. XII 567.]

Folgen des Falls Gruet. 67

Stellung genommen. Die Opposition war verlassen und gelähmt. Hatten die gerichtlichen Verhandlungen auch nichts ergeben, was sie als Mitschuldige des Verurteilten erscheinen liefs : die ersten Eindrücke blieben doch, wie so oft, haften und die Sieger, ins- besondere Calvin selbst, hörten nicht auf öffentlich zu behaupten, dafs in Gruet nur einer der vielen Schuldigen der verdienten Strafe anheimgefallen sei. Unter diesen Umständen war von der Oppo- sition in der nächsten Zeit wenig zu fürchten. Ohnmächtige Kundgebungen, die regelmäfsig vor Rat oder Consistorium ihre rasche Erledigung fanden', waren das einzige Lebenszeichen, das sie von sich gab. »Wahr ist« , schreibt Calvin selbst um diese Zeit an den Herrn von Falais, »Satan hat hier wohl noch seine Brandgesellen , aber die Flamme verfliegt wie die des Werges. Die Todesstrafe, die man an einem ihrer Genossen hat vollstrecken lassen, hat ihnen die Hörner gründlich abgeschlagen« ^

Was allein den Sieg der calvinischen Partei einigermafsen trübte, waren jene von ihr selbst beim Beginn des Gruetschen Handels aus- wärts in Umlauf gesetzten übertriebenen Gerüchte. Man hatte im ersten Eifer des Guten zu viel gethan und erntete jetzt die Früchte. Man hatte über Gruets Attentat, seine angebhche Konspiration und die Pläne seiner Anhänger Nachrichten verbreitet, die allerdings die allgemeine Teilnahme hervorriefen, aber zugleich, was man nicht bedacht, Genfs Ruf und Ansehen im Auslande notwendig schädigen mufsten. Calvin suchte jetzt nach Kräften durch berichtigende Mitteilungen den angerichteten Schaden wieder gut zu machen. Man erzähle sich, beruhigt er einen Freund, allenthalben Wunder- dinge über Genf, während man in der Stadt selbst nichts davon wisse. Nicht der hundertste Teil von dem , was man über Genf verbreite, versichert er in mehreren Briefen, sei wahr 3. Ins- besondere liefs er es sich natürlich angelegen sein, dem nach- teiligen Einflüsse , den solche Gerüchte notwendig auch auf die französischen Einwanderungen ausüben mufsten , bei Zeiten vor-

' Vgl. z. B. Ratsprot. 15. Aug. 1547, Consistorialprot. 6., 25. [Ann. S. 410], 30. [ebd. S. 411] Aug., 8. Sept. [ebd. S. 412] 1547. Vgl. auch den von Galiffe, Not. geneal. III, 531 ff. mitgeteilten Fall, der wohl das stärkste enthält, was die Opposition leistete.

^ Calvin an Falais, 16. Aug. 1547, Opp. XII S. 576.

3 Vgl. z. B. Calvin an Viret 3. Aug. 1547, Opp. XII S. 568; Calvin an Falais 14. Juli u. 16. August 1547, ebd. S, 552, 576.

5*

68 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

zubeugen. Schon zwei Tage vor der Verurteilung Gruets richtete er ein Sendschreiben an »die Gläubigen Frankreichs«, um auf die vielen an ihn ergangenen Anfragen zu antworten und alle Be- sorgnisse zu zerstreuen. Die Gerüchte über die Unruhen in Genf, meldet er den Glaubensgenossen, seien zum gröfsten Teil erfunden. Richtig sei allerdings, dafs es in der Stadt unter Alt und Jung, namentlich aber in der Jugend noch manche Starrköpfe und Widerspenstige gebe, welche die kirchliche Ordnung durch Tu- multe zu zerstören trachteten. Jüngst sei das Gift, das »Einige« in ihrem Herzen trügen, sogar offen hervorgetreten. »Aber alles dies« verkündet er zuversichtlich »ist nichts als eitel Rauch, ihre Drohungen sind wie Schaum und der machtlose Zorn der Stolzen Moabs. Auf keinen Fall dürft Ihr Euch darüber wundern. Gröfsere Empörungen sind gegen Moses und die Propheten an- gestiftet worden, obgleich sie doch über das Volk Gottes regierten. Bittet nur den Herrn , dafs er uns die Gnade gebe , nicht zu wanken j .... den Willen, den Bösen mutig entgegenzutreten, hat mir Gott gnädig verliehen, und auch alle meine Brüder sind in gleicher Weise entschlossen , in der Erfüllung ihrer Pflicht aus- zuharren, so dafs wir alle von demselben Geiste der Standhaftig- keit beseelt sind. Es fehlt nichts , als dafs Gott uns auch zur Ausführung des begonnenen Werkes seinen Beistand leihe« \

In so zuversichtlichem Tone sprach Calvin zu einer Zeit, als sein Sieg noch nicht einmal völlig entschieden war. Man er- sieht aus den letzten Worten deutlich , dafs sein Entschlufs fest- stand, das »Werk des Herrn« nunmehr zu vollenden, den Feld- zug gegen die Gottlosen , dessen Erfolge zu Anfang des Jahres ins Stocken geraten waren, mit erneutem Eifer wieder aufzunehmen und die »rebellischen Nacken« unter das Joch des Herrn zu beugen. Nachdem sein Sieg entschieden war, fiel vollends jedes Bedenken hinweg. Weshalb sollte er auch zögern? Die Lage konnte kaum je günstiger für ihn werden. Der Rat war ihm ge- wogen ^ : Alles versprach Erfolg. Er lud Farel, dessen Anerbieten er früher abgelehnt hatte , jetzt zu sich nach Genf ein , um mit dem alten Freunde Rats zu pflegen und wohl auch , um ihn in

^ An die Gläubigen Frankreichs 24. Juli 1547, Opp. XII S. 560 ff. Bezeichnend ist, dafs der Name Gruets gar nicht genannt wird.

^ »Nunc pacatus est statiis. Senatum habcmus bonae causac faventem.a Calvin an Farel 21. Aug. 1547, Opp. XII S. 580.

>_ ' Siegeszuversicht Calvins; Angriff auf die Familie Favre. 69

manches einzuweihen, was sich brieflichen Mitteilungen nicht füglich anvertrauen liefs \

Calvins Operationsplan war wohl überlegt. Die Opposition sollte dieses Mal an der Wurzel angegriffen und darum vor allem jene Familie unterworfen und unschädlich gemacht werden , die er als den Sitz und Ausgangspunkt aller feindlichen Bestrebungen betrachtete. Es war nicht gelungen, Favre und seine Angehörigen in den Fall Gruets zu verwickeln. Nichts spricht in der That dafür, dafs zwischen dem alten Patrioten und seinem Anhang und dem radikalen Autodidakten jene innige Verbindung und jene Gemeinsamkeit der Denkart bestand, die Calvin voraussetzte: es fehlt sogar nicht an Andeutungen des Gegenteils-. Aber darin irrte der Reformator sicher nicht , dafs , so lange jene mächtige und einflufsreiche Familie mit ihren lockeren Grundsätzen ihre bisherige hervorragende Stellung behauptete und nicht gründlicher gedemütigt wurde, alles, was er erreichte, alle seine mühsam er- rungenen Erfolge von unsicherm Bestände waren. Und sollte hier wirkUch eingeschritten werden, so mufste es bald geschehen. Eben im Herbst 1547 kehrte der alte Gegner mit seiner hochfahrenden Tochter nach längerem Landaufenthalt in die Stadt zurück, trotzig und stolz , erfüllt von Groll gegen die Tyrannen im geistlichen Gewand, die es gewagt, seine Tochter öffentUch zu beschimpfen, weniger als je zur Nachgiebigkeit geneigt. Schon vor ihm war sein Schwiegersohn Perrin, der Generalkapitän, von seiner Gesandt- schaftsreise an den Pariser Hof, wo er den Festhchkeiten zu Ehren der Thronbesteigung Heinrichs II. beigewohnt, heimgekehrt. Es liefs sich nicht annehmen , dafs der diplomatische Vertreter der Republik unter dem Rausche der glänzenden französischen Hof- feste in jenen Gesinnungen bestärkt worden war, welche Calvins Ordonnanzen dem Genfer Bürger zur Pflicht machten. Auf jeden

' Audires omnia, quae literis comniitti nequeunt .... De occultis morhis sanandis inter nos consuliaremus.« A. a. O. S. 581. Übrigens hatte Farel schon kurz vorher in einem Schreiben vom 12. August (ebd. S. 570 f.) seine Ansicht ausgesprochen, indem er einfach alle Gegner Calvins, möchten sie nun auch Freiheit oder Republik vorschützen, für Werkzeuge des Teufels erklärte.

* So tadelte Gruet sehr scharf, dafs Favre sich dem Consistorium unter- warf. Vgl. Prozefsakten, loses Blatt mit der Überschrift: Ami lecteur. [Fazy S. 45.] Dafs übrigens Gruet zu keiner Zeit in den Oppositionskreisen eine wirkliche Rolle gespielt, dafür ist der schlagendste Beweis das Schweigen Bonivards.

17 O Fünftes Buch. Calvin im Kampf mit der Oppositionspartei.

Fall mufste verhütet werden , dafs die beiden alten Parteiführer ihre frühere Rolle wieder aufnahmen.

Am 20. September erliefs der Kleine Rat einen Haftbefehl gegen den Bürger Favre und seine Tocher, Perrins Gattin, .wegen fortdauernder Widersetzlichkeit gegen Gott und die Gerechtigkeit«. Der Generalkapitän war aufser sich , als er diesen Beschlufs er- fuhr. In gröfster Aufregung trat er in den Rat, dem auch er infolge seiner amthchen Stellung angehörte, wies auf die Ver- dienste hin , die sein Schwiegervater und er selber um das Ge- meinwesen sich erworben, und bat in lebhaften und eindringlichen Worten, den erlassenen Befehl zurückzunehmen: er werde dafür sorgen , dafs dem Gesetze , wenn es verletzt sei , in gebührender Weise genug geschehe. Bestehe man aber auf der Ausführung, fügte er drohend hinzu , so werde er eine solche Schmach nicht zu ertragen wissen und Gott werde ihm eines Tages beistehen, sich zu rächen ^ .

Da beschlossen die Fünfundzwanzig, auch den Generalkapitän in Haft nehmen zu lassen auf ihn, den GefährHchsten, war es eigenthch abgesehen gewesen.

V.

ANGRIFF AUF AMI PERRIN \

Es gab in Genf keinen Mann , der sich rühmen durfte , für die Einführung der Reformation und den Sieg Calvins thätiger gewesen zu sein als Ami Perrm. Seinen Namen finden wir an der Spitze jener ersten evangelisch gesinnten Bürger, die schon im Jahre 1532 Farel mit offenen Armen aufnahmen , und un- wandelbar hatte er seitdem selbst unter persönlichen Gefahren in einem der zahlreichen Tumulte wurde er verwundet als treuer Helfer dem stürmischen Apostel der neuen Lehre zur Seite gestanden. Neben Baudichon und Vandel erscheint Perrin als einer der Hauptanführer in dem allgemeinen Bildersturme, der im

» Vgl. die Mitteilungen in den Quelq. pag. S. 7; Anc. et nouv. pol. S. 56, 57. [Ausführlich jetzt bei Cornelius a. a. O. S. 507 f.].

* [Für den Prozefs Perrin vgl. Cornelius a. a. O. S. 505 ff.].

Vergangenheit Perrins. yi

Herbst 1535 nach dreijährigem Kampf den Sturz des alten Glaubens entschied'. In ihm fand auch der Organisator der neuen Kirche sofort einen eifrigen und ergebenen Anhänger, der auch dann noch treu blieb, als alles denselben verliefs, der fast allein den Mut hatte, in jenen stürmisch bewegten Volksversamm- lungen im April und Mai 1538 für den verhafsten Reformator seine Stimme zu erheben ^. Einer der unversöhnlichsten Gegner der anticalvinischen Partei, welche während der beiden folgenden Jahre in Genf am Ruder safs, empfing Perrin nach dem Sturze derselben im Herbst 1540 von den neuen Gewalthabern vor allem den ehrenvollen Auftrag, Calvin zur Rückkehr nach Genf ein- zuladen 3. In Calvins Rückkehr feierte Perrin gleichsam einen persönlichen Triumph, der ihn für die mehrjährige Zurücksetzung entschädigte. Er war seit dem Herbst 1541 eine der einflufs- reichsten Persönlichkeiten in Genf, eine der Hauptstützen der neuen Ordnung. Er wurde von den calvinischen Behörden mit wichtigen Gesandtschaften betraut, wurde Generalkapitän, im Jahre 1545 sogar erster Syndik und leistete in allen diesen Stellungen den geistlichen Tendenzen nicht unwesentliche Dienste. Calvi- nischer als der Reformator selbst, hatte er 1543 sich sogar der Aussöhnung mit Bern entgegengesetzt. In den geistlichen Kreisen war niemand lieber gesehen als Perrin ; er war der Liebling Calvins, der ihn wohl »unsern Perrin« nannte, und den er selbst nach dem Ausdrucke des Chronisten »nicht blofs verehrte, sondern vergötterte« +. Bis zum Jahre 1545 schien Perrin von den neuen Zuständen völlig entzückt, und noch zu Anfang des nächsten Jahres , während des Ameauxschen Prozesses finden wir ihn auf Seiten des Reformators : er gab den beiden zu Hilfe gerufenen geistlichen Freunden Viret und Farel bei ihrer Abreise das Ehren- geleit 5.

Dennoch war der Abfall dieses Mannes, nur wenige Wochen

' Fromvient , Actes et gestes S. 4, 145. Verwundet wurde er in dem Tumult vom 4. Mai 1533, vgl. Hertninjard, Correspondence lll, 49. Boni- vards unwahre Angabe (Anc. et nouv. pol. S. 45) wird dadurch widerlegt.

^ Ratsprot. 20. April, 26. Mai 1538 [Ann. S. 224 f., 230 f.],

3 Ratsprot. 21. Sept. 1540 [Ann. S. 265]. Er war auch während des Zwischenreiches mit den Predigern in Verbindung geblieben. Vgl. nament- lich Farel an Calvin 8. Aug. 1538, Opp. X, 2 S. 232 f.

+ Anc. et nouv. pol. S. 71.

5 Ratsprot. 2. April 1546, Ann. S. 376.

^2 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

später, kein so plötzlicher und unvermittelter, als es auf den ersten Blick scheint, sondern längst angebahnt und vorbereitet. Wer Personen und Verhältnisse näher kannte, wurde durch das, vi^as im Sommer 1546 eintrat, nicht überrascht.

Ami Perrin gehörte jener Jüngern Generation des Unabhängig- keitskampfes an , die seit dem Jahre 1530 nach der Verdrängung Bezansons zur Herrschaft gelangte und in der Einführung der Reformation das Mittel erblickte , das Werk der Väter zu vollen- den, die Errungenschaften der ersten Generation in Sicherheit zu bringen. Jung, ehrgeizig, voll Feuer, hatte er sich in den Kampf gestürzt und mit der ganzen Energie seines lebhaften Geistes die Sache des neuen Glaubens verfochten, ohne den neuen Lehren selbst eine mehr als oberflächliche Aufmerksamkeit zugewandt zu haben. Was von den meisten Genfern galt , war vielleicht bei keinem mehr der Fall als bei ihm : nicht eine evangelische Überzeugung, sondern der politische Gedanke war die Triebfeder seines refor- matorischen Eifers. Einmal in dem kirchlichen Kampfe begriffen, trug er auch und das unterscheidet ihn von der Mehrzahl seiner alten Parteigenossen kein Bedenken, sich sofort Calvin anzuschhefsen , der den Bruch mit dem alten Kirchentum am gründlichsten vollzog, dessen Wirksamkeit die sicherste Bürgschaft gegen die Rückkehr der früheren Zustände zu geben schien. Es mochte überdies seinem Ehrgeize schmeicheln, die Rolle eines Be- schützers des grofsen Theologen zu spielen und gleichsam als der Schirmherr der neuen Kirche zu erscheinen. Von einer wirk- lich religiösen Begeisterung, von dem sittlichen Ernste eines Ami Porral zeigt sich dagegen bei ihm keine Spur. Er liebte und ver- ehrte Calvin und redete seinen Ordonnanzen das Wort, aber er dachte nicht daran, sich dadurch selbst Schranken setzen zu lassen \ Ohne gerade ein anstöfsiges Leben zu führen, war Perrin doch weit entfernt, in seinem persönlichen Wandel das Bild eines evangelischen Christen nach den Forderungen des cal- vinischen Systems darzustellen. Er machte ein grofses Haus, er liebte , sagt Bonivard , obgleich nur von bürgerlicher und nicht

' »Comme d'autres«, meint Rilliet^ dem ich in seinem Urteil über die damalige Stellung Petrins im wesentlichen nur beipflichten kann, »il appuyait les rigeurs de Calvin parce qu'il s'en croyait personnellement ä l'abri«. Mem. et Docum. III, 15.

Persönlichkeit Perrins; Verhältnis zu Calvin. ys

einmal vornehmer Herkunft , den hohen Herrn zu spielen , und entwickelte einen Aufwand, der weit über seine Mittel hinaus- ging und sein Vermögen zerrüttete^. Calvin schwieg zu manchem, was er mifsbilligte. Er mufste in den ersten Jahren überhaupt es sich oft versagen, die kirchlichen Ordonnanzen schon in ihrem ganzen Umfange und in ihrer vollen Strenge zur Geltung zu bringen, und übte um so mehr Nachsicht gegen einen Mann, dem er so viel verdankte, der ihm noch fast täglich Dienste erwies. Aber ohne Sehergabe liefs sich doch voraussagen , dafs es früh oder spät zwischen dem ernsten, sittenstrengen Reformator und seinem eiteln, welthch gesinnten Freunde werde zum Bruch kommen müssen.

Äufsere Umstände kamen hinzu, ihn zu befördern.

•Zunächst wirkte es störend auf das alte Freundschaftsverhältnis, dafs Perrin zum Generalkapitän gewählt wurde. Diese Würde, deren Träger neben dem Oberbefehl über die städtischen Truppen zugleich die Leitung der öffentlichen Festlichkeiten besorgte, hatte seit den Tagen Bezansons eine steigende Bedeutung erlangt und war Calvin von Anfang an ein Dorn im Auge. Schon im Jahre 1537 einmal aufgehoben, wurde sie bald wiederhergestellt, weil das Volk nicht von ihr lassen wollte. Sie erhielt mitten in dem calvinischen Staate gleichsam noch die Traditionen der alten »Kinder von Genf« aufrecht und gewährte überdies dem welt- hchen Elemente eine Vertretung, die mit den Tendenzen des cal- vinischen Gottesstaates nicht wohl vereinbar war. Perrin, auch äufserlich ein überaus stattlicher Mann, mit ungewöhnlicher Körper- kraft , umgab sie jetzt mit neuem Glänze. Für ihn war das Generalkapitanat , welches zwar wenig Einkünfte, aber reichUche Volksgunst eintrug und ein glänzendes äufseres Auftreten nicht blofs gestattete, sondern erforderte % ein erwünschtes Amt aber zugleich ein gefährliches. Der eitele Mann merkte nicht, dafs in demselben Grade, als er in der Volksgunst stieg, er in der Gunst

' Vgl. Anc. et nouv. pol. S. 43, 44. Dafs es um seihe Vermögens- verhältnisse nicht glänzend stand, ersieht man auch aus dem Briefe Calvins an Falais vom 26. Mai 1547, Opp. XII S. 529. Aus dem Ratsprot. 9. Nov. 1546 erhellt, dafs er sich sogar gegen den Vorwurf der unrechtmäfsigen An- eig^nung von Kirchengut zu verwahren hatte.

^ Bonivard meint , es habe seinem Inhaber jährlich »cent escus de perte« eingetragen, Anc. et nouv. pol. S. 35. Vgl. im übrigen Gen^ve bist, et archeol. S. 330 ff. M^m. et Doc. IV, i ff.

>jA Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

der geistlichen Kreise sank. Noch mehr aber wurde die alte Freundschaft durch das verwandtschaftliche Verhältnis gelockert, in welches er zu Frangois Favre getreten war. Durch seine zweite Ehe Schwiegersohn dieses abgesagten Feindes alles geist- lichen Wesens, Gemahl eines Weibes, das mit den Sittenbehörden fast in beständigem Streite lag und in den geistlichen Kreisen den Namen der Genfer Penthesilea führte, mufste er selbst notwendig zu dem Reformator mehr und mehr in eine schiefe Stellung geraten. Schon zu Anfang 1546 sprach dieser in vertraulichen Briefen über den Generalkapitän in Ausdrücken, die zeigen, dafs zwischen den beiden langjährigen Freunden bereits eine bedenkUche Entfrem- dung eingetreten war\

Die Vorgänge des Jahres 1546 machten den innerlich schon längst vollzogenen Bruch zu einem offenkundigen , und charak- teristisch genug war es der erste Versuch, die unter Perrins thätiger Mitwirkung eingeführte strenge Sittenzucht gegen ihn selbst zur Anwendung zu bringen , der ihn zur offenen Opposition trieb. Wie lange Calvin diesen Ausgang auch vorausgesehen haben mochte : Perrins wirklicher Abfall machte ihn dennoch betroffen, und das ernste Mahnschreiben, welches er damals an ihn richtete, läfst deutlich durchblicken , wie schwer ihm der Gedanke wurde, den langjährigen Verbündeten fortan als Gegner behandeln zu müssen. ÄhnHche Gefühle scheinen sich auch in Perrins Brust geregt und ihn längere Zeit von entschiedenem Auftreten zurück- gehalten zu haben. Man hoffte in den geistlichen Kreisen eine Zeit lang auf seine völlige Rückkehr. Wirklich hatte er noch im Herbst 1547 mit den alten Freunden, mit Viret und Calvin selbst einige Zusammenkünfte und eine Aussöhnung schien nicht un- möglich-. Allein die Macht der Ereignisse war stärker als per- sönliche Gefühle und Stimmungen. Der Rifs war da und er- weiterte sich unter Einwirkung der Favreschen Streitigkeiten immer mehr. Der Generalkapitän wurde in kurzem der eigentliche Führer aller Gegner des geistUchen Regiments , die von ihm sogar den Namen empfingen, und erfuhr nun den ganzen Hafs derselben

' Vgl. Calvin an Viret, Januar 1546, Opp. XII S. 251 f.

^ Vgl. Viret an Calvin 29. Sept. 1546, Calvin an Farel 2. Okt. und 12. Okt. 1546, Opp. XII S. 387, 391, 395 f. Es scheint, dafs schliefslich Farels Derbheit den vollständigen Bruch beschleunigte. [Vgl. Cornelius a. a. O. S. 490 f.].

Bruch zwischen Calvin und Perrin. yj

Männer, deren Hauptstütze er Jahre lang gewesen. Man empfand gegen diesen Apostaten einen tiefern Grimm als selbst gegen die ältesten und unversöhnlichsten Gegner. Calvin suchte anfangs seinen Ärger äufserlich zu verbergen, indem er von dem »ver- zweifelten Menschen« nur in spöttischen und verächtlichen Aus- drücken sprach, die ihm freihch am allerwenigsten anstanden und seinen ohnmächtigen Zorn nur zu schlecht verdeckten \ In der That hatte die calvmische Sache kaum je einen so harten Schlag erlitten und keiner fühlte dies mehr als der Reformator selbst. Perrin war es , der mit seinen reifen Erfahrungen und dem Ein- flüsse, den ihm seine öffentliche Stellung verlieh, zuerst der Oppo- sition eine feste Haltung gab und die Folgen seines Eingreifens wurden , wie wir sahen , sofort empfunden. Wenig fehlte daran, so hätte Calvin schon im Frühjahr 1547 in der Frage über die Consistorialgewalt durch ihn eine vollständige Niederlage erlitten. Es geschah daher ganz im Sinne und vielleicht sogar nicht ohne Zuthun der Geistlichkeit-, dafs Perrin bald darauf jene Gesandt- schaft an den französischen Hof aufgetragen wurde, um bei Ge- legenheit der Thronbesteigung Heinrichs II. einige alte Anliegen Genfs in Erinnerung zu bringen. Man wurde dadurch des ge- hafsten Gegners nicht blofs für längere Zeit ledig, sondern ge- wann auch Zeit, in seiner Abwesenheit die Gemüter ihm abwendig zu machen , die mancherlei Schwächen seines Charakters aus- zubeuten, Mifstrauen gegen ihn auszustreuen und einen ernsten An- griff vorzubereiten 3.

' Er nannte Perrin regelmäfsig »Comicus Caesar» (vgl. z. B. die Briefe an Viret vom 27. März, 6. April 1547, üpp. XII S. 505, 508), wohl mit Anspielung auf das von P. so gern hervorgekehrte Generalkapitanat, und diese Bezeichnung wurde dann natürlich von den Farel , Beza angenommen ; selbst Viret, der sich gegen den alten Freund am anständigsten benahm , bedient sich wenigstens einmal des Ausdruckes.

^ Dies ist die Ansicht des Verfassers der Notices geneal. III, 379; Bolscc c. XVI, S. 82 , 83 iäfst den Reformator selbst durch gefälschte Briefe die Gesandtschaft veranlassen , um Perrin zu verderben ; Bonivard 1. c. S. 52 meint, Perrin selbst habe sich aus Eitelkeit und Habsucht dazu gedrängt. Merkwürdig übrigens, dafs Perrin vor seiner Abreise von Calvin noch Aufträge empfing , einen Brief an den Herrn von Falais , für den Calvin das Haus des geldbedürftigen Kapitäns gemietet hatte! Man schied also keineswegs in offenem Unfrieden. Vgl. Calvin an Falais 26. Mai 1547, Opp. XII S. 529.

3 Dafs Calvin schon während Petrins Abwesenheit zu entschiedenem Ein- schreiten gegen ihn entschlossen war, zeigt ein späterer Brief an Falais vom

«7 5 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

Wir haben gesehen, wie Perrin nur wenige Tage nach seiner Rückkehr unbesonnen den Gegnern selbst die Waffen gegen sich in die Hände gab. Sein Auftreten vor dem Rate am 20. Sep- tember, die drohende Sprache, die er führte, war eine Herausfor- derung , die keine Obrigkeit dulden durfte. Noch an demselben Tage überbrachte ihm der Grofswaibel unter Entschuldigungen den Befehl der »Herren«, sich zur Haft zu stellen.

Perrin sah ein, dafs er einen Fehler begangen und suchte einzulenken. Er gab dem Rat eine begütigende Erklärung der in der ersten Hitze hingeworfenen Äufserung , wies auf seine mili- tärische Stellung hin und bat um Einberufung der Zweihundert. Er zweifelte nicht, verwöhnt durch sein früheres Glück, dafs seine Erklärungen genügen würden. Zum ersten Mal täuschte er sich. Ungeachtet aller Gegenvorstellungen mufste der stolze Kapitän zugleich mit Gattin und Schwiegervater ins Gefängnis wandern'. Es war nicht möglich, sich über den Ernst der Lage noch länger Täuschungen hinzugeben. Die drei Gefangenen wurden in strenger Einzelhaft gehalten , von allem Verkehr mit der Aufsenwelt ab- geschlossen und insbesondere Perrin mit ungewohnter Härte be- handelt. Zugleich wurden mehrere seiner Anhänger und Ver- wandten aus ihren Ämtern entfernt und durch gesinnungstüchtige Calvinisten ersetzt. Zum Generalprocureur bestellte man einen Mann, der mit Perrin in bitterster Feindschaft lebte, jenen Calvin mit Leidenschaft ergebenen Jean Lambert 2. Auch das gleich- zeitige Eintreffen Farels und Virets, die in jedem kritischen

16. August (Opp. XII S. 576), in welchem Perrin, ganz anders als in dem erwähnten Begleitschreiben, unmittelbar nach den Brandgesellen Gruets er- wähnt wird mit den Worten: »II faudra, qu'il ßlle doux a son retour k.

' Galiffc , Quelques pages d'histoire exacte S. 7. Diese Abhandlung giebt eine akteumäfsige Darstellung des Prozesses gegen Perrin aus den Rats- protokollen, die gröfstenteils im Wortlaute mitgeteilt werden, so dafs ich mich darauf beziehen darf , ohne mich freilich überall den Schlufsfolgerungen des Verfassers anschliefsen zu können. Es ist zu bedauern, dafs Galiffe die cal- vinische Korrespondenz unbeachtet gelassen. Auch die parteiische Darstellung Bonivards (Anc. et nouv. pol. p. 56 ff.) ist trotz aller lügenhaften Übertrei- bungen und Entstellungen wohl nicht so ganz wertlos als Galiffe anzunehmen geneigt ist. [Vgl. Cornelius a. a. O. S. 507].

^ Quelq. pag. S. 8 ff. Die persönliche Feindschaft zwischen dem An- geklagten und dem neu ernannten Generalprocureur bestätigt auch Bonivard 1. c. V 59.

Vorgehen des Rats gegen Perrin. yj

Momente zur Unterstützung ihres Freundes in Genf erschienen, deutete nichts Gutes an'. Es war klar, dafs von den Gegnern ein Hauptschlag beabsichtigt wurde \

Was inzwischen über die anscheinend mit grofsem Eifer be- triebene Untersuchung in die Öffentlichkeit drang , liefs vollends keinen Zweifel daran übrig. Petrins Vergehen schienen mit jedem Tage zahlreicher, seine Schuld mit jedem Verhör schwerer zu werden. Der Vorfall vom 20. September trat in den Hintergrund. Man sprach von gefährlichen Umtrieben gegen die Sicherheit des Staates, von einem Plane, die Tyrannis in Genf einzuführen. Es wurden Zeugen vernommen über staatsgefährliche Äufserungen, die Perrin schon in früheren Jahren gethan haben sollte. Man wollte endlich und dies wurde am meisten betont durch Ehrenmänner sichere Kunde erhalten haben von hochverräterischen Verabredungen, die Perrin jüngst am französischen Hofe getroffen : er sollte Heinrich II. den Eid geleistet und seine Einwilligung dazu gegeben haben , dafs Genf eine französische Besatzung er- halte, die unter seinem Oberbefehl stehe ^l

Aus diesem Halbdunkel unerwiesener und die ganze Stadt beunruhigender Anschuldigungen mufsten die Urheber der Anklage heraustreten , als Bern , dessen Aufmerksamkeit , wohl auch von Genf aus, sofort auf diese Vorgänge gelenkt worden war und das, wenn auch nicht an Perrins , doch an Favres Schicksalen einen

' Sie kamen nach Quelq. pag. S. 10 am 26. Sept., womit zu vergleichen das Schreiben Calvins an Falais , Opp. XII S. 594 [vvronach der 23. Sept. als lag der Ankunft anzunehmen wäre]. Dafs Calvin hier über die Ursache des Kommens kein Wort verliert , erklärt sich aus der Natur der Korrespondenz.

* Der persönliche Anteil Calvins an diesen Dingen läfst sich der Natur der Sache nach im einzelnen nicht nachweisen. Dafs er aber ein bedeutender war , zeigen schon die Namen der handelnden Hauptpersonen und aufserdem das ausdrückliche Zeugnis Balduins, der damals mehrere Monate als Vertrauter und Sekretär Calvins in dessen Hause lebte er übersetzte damals auch (Opp. XII S. 573, 575) Calvins Apologie für Falais und im Herbst 1547 nach Lyon zog. »Nescio an memineris« , schreibt derselbe in der Responsio altera ad Calvinum , »sed profedo memini, qitaenain pridie quam abs te dis- cedcrem , domi tuae noctu agliarenmr consilia de ncce cujusdam tui (ut voca- batiir) Capitanei. Ego mystcria retegere non audco sed Bernenses qui te re- presseriint testivionium dkent«. Vgl. Fr. Balatiini responsio altera ad J. Cal- vinum (Köln. Ausg. 1567) S. 98, Biga responsionum Balduini S. 321. Vgl. Heveling, De Francisco Balduino S. 4, 5.

5 Vgl. Anc. et nouv. pol. S. 57 ff. Quelq. pag. S. 9 ff.

lyg Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionsparlei.

lebhaften Anteil nahm, zu Anfang Oktober einen Gesandten nach Genf abordnete es war der gefeierte Krieger von 1536, Hans Franz Naegeli und seine »Mitbürger« auffordern liefs, den neuen Handel, der nur von den Feinden der Stadt genährt und aus- gebeutet werde , rasch beizulegen und die Gefangenen in Freiheit zu setzen \ Auch Bern glaubte an französische Umtriebe, aber es vermutete sie an einer andern Stelle als die Anklage.

Da endlich trat die Partei mit ihrer Anklage offen hervor. Als Hauptkläger erschien jetzt, seltsam genug, ein Mann auf der Bühne, der in Bern seit Jahren als geheimer Spion Frankreichs angesehen wurde, jener Laurent Maigret, der Emigrantenhäuptling und Erzcalvinist , auf dessen verdächtige und ausgedehnte heim- liche Korrespondenz der Landvogt von Ternier erst vor kurzem noch die Genfer Behörden aufmerksam gemacht hatte -. Maigret behauptete , Schriftstücke zu besitzen , die Perrins Schuld aufser Zweifel stellten. Zum Beweise legte er das Bruchstück eines an ihn gerichteten Schreibens des französischen Präsidenten Pellisson von Chambdry vor, welches in der That die Mitteilung enthielt, der Generalkapitän habe jüngst in Frankreich mit dem Kardinal Du Bellay über ein nach Genf zu legendes französisches Reitercorps verhandelt , sowie über die Bedingungen , unter denen er bereit sei , den Oberbefehl zu übernehmen und dem Könige den Eid zu leisten -^ I

Der erste Eindruck dieser Enthüllung war ein gewaltiger. Das beigebrachte Beweisstück schien unanfechtbar. Zwar nicht in ihrem ganzen Umfange, aber in dem wesentlichsten Punkte war damit Perrins Schuld erwiesen. Aber eins hatte der Kläger nicht bedacht. Was hatte den Präsidenten von Chambery, von dem man wufste , dafs er in alle Geheimnisse der französischen

Quelq. pag. S, 12, 13. Dafs Bern von der Partei Perrins aufgemuntert, ist nicht zu bezweifeln. Vielleicht bezieht sich darauf der »von den Gegnern erdachte Plan« , dessen Balduin in einem Schreiben an Calvin (Diebus Odi- loniis d. i. wohl i. Januar 1548) gedenkt, da er unmittelbar darauf fragt ■iQuid Arctoi Dictaiores« (d. i. Bern)? vgl. Opp. XII S. 649. \Cornelius a. a. O. S. 514 scheint nicht anzunehmen, dafs vor November 1547 eine Ver- ständigung zwischen Bern und der Genfer Opposition stattgefunden habe.]

* Quelq. pag. S. 21, vgl. S. 38.

3 Das Schreiben Pellissons vom 24. Aug. 1547 ist vollständig abgedr. Quelq. pag. S. 21 22. [Vgl. Cornelius S. 509.]

Maigret als Ankläger und Angeklagter. ^n

Politik eingeweiht und einer ihrer thätigsten Beförderer war, be- wogen, an Maigret zu schreiben und ihm eine solche Mitteilung zu machen ? Diese Frage ward sofort aufgeworfen. Berns Ge- sandter drang mit aller Entschiedenheit darauf, dafs darüber Auf- klärung gegeben und darum vor allen Dingen jenes Schreiben Pellissons vollständig vorgelegt werde. Diese Forderung konnte, obwohl der Rat nicht gerade grofse Neigung verriet , nicht wohl abgeschlagen werden, und der vorgelegte vollständige Wortlaut des Schreibens rechtfertigte den Argwohn Berns in vollem Mafse. In viel bedenkhcherem Grade als Perrin , der selbst nach den Mit- teilungen Pellissons seine Zusagen von der Einwilligung der Eid- genossenschaft abhängig gemacht hatte, was indes der Denunciant verschwiegen ', erschien da Maigret in die Intriguen der französischen Politik verwickelt. Es war in dem Schreiben , das sich sofort als eine Antwort charakterisierte, die Rede von Verdiensten, die Maigret sich früher um die französische Sache erworben habe und sich noch jetzt erwerbe , von dem Plane eines Verteidigungs- bündnisses zu Gunsten Frankreichs, um das der Adressat wisse. Die Indizien, die sich aus dem Schriftstück gegen Maigret er- gaben, waren so schwer, dafs Bern auf Grund des Burgrechts sofort seine Verhaftung verlangte und sich auch durch die von dem Rate damals, offenbar in der Absicht, den Eifer des Fordernden zu mäfsigen, angeordnete Freilassung der Verwandten Perrins, in dieser Forderung nicht beirren liefs. Der »Prächtige« mufste ins Gefängnis wandern wie der Generalkapitän, um gleicherweise unter die Anklage des Hochverrats gestellt zu werden".

So war der Angriffsplan, eben als er dem Gelingen nahe schien, in der unliebsamsten Weise durchkreuzt worden ■, aber die, welche ihn entworfen , gaben den Feldzug noch keineswegs ver- loren. Sie waren im Besitze der öffentlichen Gewalt, herrschten im Senat, in welchem allein Peter Vandel für Perrin seine Stimme zu erheben wagte, sie hatten aus allen Ämtern von Bedeutung die offenen Gegner und Unzuverlässigen entfernt und hatten also, zu- mal nach dem Abgang des gestrengen Gesandten, alles weitere in

^ Er hatte die Worte »du consentement des Seigtiezirs des Ligues« , die Perrin seinen eventuellen Zusagen beigefügt, ausgelassen.

''■ Quelq. pag. S. 26 iif. Die Freilassung Favres und seiner Tochter war indes keine unbedingte , wie schon das Consistorialprotokoll vom 6. Oktober zeigt.

gr) Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

ihrer Hand. Der neue Gefangene wurde mit gröfster Schonung behandelt , die Untersuchung lässig und fast nur zum Schein be- trieben , die Prüfung der in seiner Wohnung konfiszierten Papiere seinen persönlichen Freunden übertragen und selbst den Richtern gestattet , ihn zu besuchen ' : es kam Maigret in der öffentlichen Meinung, die allerdings nicht ganz stumm blieb, einigermafsen zu statten , dafs gerade Bern , gegen welches nicht blofs unter den Franzosen , sondern auch bei einem Teile der einheimischen Be- völkerung ein fortdauerndes Mifstrauen bestand, sich so entschieden gegen ihn wandte. Dagegen wurde der Prozefs gegen Perrin gleichzeitig mit dem gröfsten Eifer geführt. Man hatte ihn früher schon des Generalkapitanats entsetzt ; jetzt wurde diese Würde vollständig aufgehoben^. Man drohte ihm während der Verhöre mit der Folter. Es ist gewifs nicht daran zu zweifeln, dafs Perrin, abgesehen, von der französischen Gesandtschaft, auch sonst manches gesagt und gethan hatte , was der in Genf eingeführten Ordnung zuwiderlief und Strafe verdiente , aber das gegen ihn eingeschlagene Verfahren offenbarte den leidenschaftlichsten Partei- geist , und die vorgelegten Klageartikel , siebenzig an der Zahl, unter denen manche von Calvin selbst herrührten -\ zeigen, dafs er auf jeden Fall schuldig erfunden werden sollte •♦. Dafs unter diesen Umständen auch ein neues , entlastendes Schreiben des Präsidenten von Chamb^ry, der den gemachten Fehler zu spät einsah er hatte offenbar Perrin und Maigret noch für Freunde und Parteigenossen gehalten auf die Richter keinen Eindruck machte, läfst sich denken s. Perrin blieb in strenger Haft, während Maigret schon nach wenigen Wochen (i8. Oktober) wieder in Freiheit gesetzt wurde , weil , wie die richterliche Behörde er- klärte, »weitere Schuldbeweise gegen ihn nicht beizubringen seien ! ^ «

' Vgl. Quelq. pag. S. 29, wo alles dies belegt wird.

* Die Bestätigung dieses Beschlusses (9. Okt.) durch die Zweihundert erfolgte erst am 19. November mit schwacher Majorität. Quelq. pag. S. 26.

3 Quelq. pag. S. 45.

+ Die 17 ersten Anklageartikel sind mitgeteilt in den Not. g6n6al. III, 386 ff. Vgl. Anc. et nouv. pol. S. 59 ff. Selbst der Bonivardsche Bericht über die angestellten Verhöre macht einen für Perrin günstigen Eindruck.

5 Das Schreiben ist mitgeteilt : Anc. et nouv. pol. S. 65 ff.

'' Quelq. pag. S. 30.

Eingreifen Berns. gl

Allein Bern , das von allen dem durch Penins Freunde ' rasche und genaue Kunde erhielt, war nicht gewohnt, sich auf solche Weise abfinden zu lassen. Nicht länger durfte es schweigen : schon hatten die seltsamen Vorgänge in Genf auch in weiteren Kreisen Aufmerksamkeit erregt''. Sechs Tage nach der Entlassung Maigrets, am 24. Oktober, traf eine neue, dieses Mal aus mehreren Personen bestehende Gesandtschaft Berns an ihrer Spitze abermals Hans Franz Naegeli in Genf ein, um dem leichtfertigen Spiel mit gerichtlichen Formen ein Ziel zu setzen. In sehr ernstem Tone erklärten die Gesandten nacheinander vor dem Kleinen und dem Grofsen Rat, es sei durch das vorgelegte Schreiben erwiesen, dafs Laurent Margret im Widerspruch mit dem Burgrecht mit Frankreich über ein geheimes Bündnis unterhandelt habe; man verlange zu wissen, ob er solches eigenmächtig oder mit Einwilligung des Rates unternommen, dieser also selbst den beschworenen Vertrag verletzt habe ; es setze überhaupt die Herren von Bern höchlich in Er- staunen , dafs ein Mann Bürger von Genf, ja sogar Mitglied des Rates der Sechzig und der Zweihundert sei, der von dem Könige von Frankreich einen Jahrgehalt beziehe; man verlange endlich volle Aufklärung über das Treiben dieses Fremden, über seine der Krone Frankreich erwiesenen Dienste und das von ihm be- triebene heimliche Bündnis. Als der Rat hierauf durch den ersten Syndik entgegnen liefs , dafs Maigret keinerlei Vollmacht ^erhalten habe und der Magistrat von dem beabsichtigten Bündnis nichts wisse, stellten die Boten die Forderung, dafs in diesem Falle Maigret wieder unverzüglich in Untersuchung genommen und mit der ganzen Strenge des Gesetzes bestraft werde. Seit dieser

' Es scheint , dafs Bern sogar auch aus dem gegnerischen Kreise durch Verräter mit Nachrichten versehen wurde. Wenigstens meldet Balduin in dem angeführten Schreiben an Calvin : ^Scripsit ad te nostcr Claudius de qtiodam, qiti isthic Coryartis agerc videtur, ut hostibtis consilia prodat. Interesset talem nebulonem cocrccri. Sed vereor ne patefacta ejus prodiiio magis augeat sus- picionem et invidiam , qua isthic laborant novi hominis (d. i. die Emigranten). Opp. XII S. 649.

* So in Lyon , wo man besonders für Calvin besorgt war. Vgl. Balduin i^Rochius) an Calvin, Lyon (ex insula Corinth.) Martinalibus [11. Nov.] 1547, Opp. XII S. 613. So in Basel, dem Aufenthaltsorte Falais', den Calvin in seiner Weise zu beruhigen sucht, indem er alle jene Gerüchte für Erfindungen erklärt. Vgl. Calvin an Falais 26. Okt. 1547, ebd. S. 603.

Kampscbulte, J. Calvin 11. 6

82 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

Mensch, fügten sie bei, sich in Genf aufhalte, habe er nur Zwie- tracht gestiftet; aus den aufgefundenen Papieren gehe klar her- vor, dafs er sich in weitreichende Intriguen eingelassen; er unter- halte gefährliche Verbindungen mit den französischen Spionen und den benachbarten Edelleuten und habe erst vor kurzem noch von dem Gesandten Frankreichs eine ansehnHche Geldsumme erhalten ; darum müsse ihm ohne Verzug der Prozefs gemacht werden ; aber Bern verlange unparteiische Richter , nicht jene »Syndike und Ratsherrn, die ihn früher im Gefängnis besucht und auf seine Kosten gezecht hätten;« man wolle wissen, ob Genf einen fremden Intriguanten höher schätze als die Freundschaft Berns ' !

Es war eine Sprache, ganz ähnlich der, welche dreizehn Jahre früher eine andere Berner Gesandtschaft geführt hatte, als sie von den Genfer Behörden die Bestrafung des fremden Mönches Furbity verlangte, und manche, die damals für eine solche Forderung nur Lob hatten, mögen jetzt nachdenklich geworden sein. Übrigens setzten die Boten ihren Willen durch. Maigret wurde schon am ersten Tage nach ihrer Ankunft aufs neue verhaftet. Zwar nahm der Magistrat die angegriffene Ehre seiner MitgHeder nicht ohne sittliche Entrüstung in Schutz, beschlofs auch gegen die geheimen Zwischenträger mit Strenge einzuschreiten und protestierte gegen die fernere Einmischung Berns in Genfer Angelegenheiten aber die Untersuchung gegen Maigret wurde wieder aufgenommen, wie Bern es verlangte. Ernste Aufforderungen dazu empfing der Rat freilich auch noch von anderer Seite: innerhalb der Bürgerschaft selbst nahmen die Anhänger des Generalkapitäns mehr und mehr eine drohende Haltung an. Schon seit einiger Zeit hatten gegen den Generalprokurator Lambert nicht unbedenkliche Demonstrationen stattgefunden. Man fand es unerhört und unerträglich, ;dafs die Kinder von Genf auf blofsen Verdacht hin mifshandelt wurden. Fremde aber, die von dem Könige Pensionen empfingen und ihm die Geheimnisse der Stadt verrieten, völlig straflos ausgingen^.« Die Oppositionspartei hatte sich allmählich von dem Schlage des Sommers erholt und fing jetzt an , durch die fortdauernde Anwesenheit der Berner Gesandten ermutigt, das Haupt wieder höher zu tragen. Alles dies machte auf die calvinischen Behörden Eindruck und

' Ratsprot. 24., 25., 26. Okt. 1547; Quelq. pag. S. 31 ff. ^ Anc. et nouv. pol. S. 62; Quelq. pag. S. 31.

Erfolg Berns, Umschlag der Stimmung in Genf. 83

nahm ihnen mehr und mehr die bisherige Sicherheit. Die vier Syndike, denen Calvin schon in dem Gruetschen Prozesse Mangel an Entschlossenheit vorgeworfen, waren die ersten, die sich über- zeugten, dafs es unvermeidlich sei, sich den Verhältnissen zu fügen und dieses Mal die gestellte Forderung ohne Hinterhalt zur Aus- führung zu bringen. Sie erklärten sich entschieden dagegen, als Lambert, der das frühere Spiel auch jetzt noch meinte fortsetzen und Maigret durch eine »Erklärung aufsein Gewissen« retten zu können , nach einiger Zeit einen neuen Antrag auf Freisprechung stellte, und verlangten eine ehrliche, wirkHche Untersuchung unter Vorlegung bestimmter Fragen. Auch in dem »gutgesinnten« Rate begann bald der Abfall , indem sich um Peter Vandel eine nicht unansehnliche andersdenkende Minorität bildete. Damit war die erste Vorbedingung für eine offenere und gerechtere Behandlung der beiden Prozesse gewonnen. Zwar wurden nicht alle Forderungen Berns bewilligt und namentlich mufste die von den Gesandten be- antragte Einberufung des Generalrats als verfassungswidrig ab- gelehnt werden % aber es konnte doch jedermann fortan dem Ausgang der schwebenden Verhandlungen mit mehr Vertrauen entgegensehen ".

Calvin nahm diese neue Wendung der Dinge mit tiefem Un- mut wahr. Er konnte dem Magistrat die bewiesene Nachgiebigkeit nicht verzeihen. »Maigret ist,« schreibt er ärgerlich an Viret »nachdem er bereits einmal von aller Schuld freigesprochen war, abermals in den Kerker geworfen worden. Wenn nicht der Herr dem Meere und dem Winde Halt gebietet, werden schwere Stürme über uns kommen und zwar durch jene, die sie hätten beilegen sollen.« Er wage nicht, ihn zu sich zu bitten, fügt er bei, da in Genf doch alles verloren sei 3. Allein das hielt ihn nicht ab, sich selbst dem Dienste seiner Partei mit allem Eifer zu widmen. Bei den in den November fallenden städtischen Justiz- wahlen hielt er vor den versammelten Wählern eine ernste und

' Vgl. Roset 1. V, c. 14.

* Quelq. pag. S. 34; Anc. et nouv. pol. S. 62.

3 Calvin an Viret (26. Okt. 1547) Opp. XII S. 609. Interessant ist zu vergleichen, wie er gleichzeitig Falais , dem er die Übersiedelung nicht ver- leiden durfte , die Genfer Zustände schildert. Am 19. Nov. giebt es i>?<« peu de /aschcries«, am 28. Nov. ist der Zustand doch schon schlimm, am 23. Dez. spricht er wieder von »assez de faschciies«. Vgl. ebd. S. 618, 623, 637.

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8 A Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

heftige Rede und hatte wirklich die Genugthuung, dafs die Wahlen im Sinne seiner Partei ausfielen ' . Indes der Gang der Ereignisse liefs sich dadurch nicht mehr aufhalten.

Denn seitdem die oberste Behörde den ernsten Willen kund gegeben , streng den gesetzlichen Weg einzuhalten , führten die wieder aufgenommenen Untersuchungen zu anderen Resultaten. Nicht zwar in Beziehung auf Perrin, dessen Schuld, soweit es sich um den äufsern Thatbestand handelte, hinlänglich festgestellt war. Er hatte offenbar seine Vollmacht überschritten , er hatte sich, vielleicht in guter Absicht, auf ein Projekt eingelassen, das für die Ehre und Selbständigkeit seiner Vaterstadt mindestens sehr bedenkhch war, und auch der gemachte Vorbehalt schützte ihn zwar gegen den Vorwurf des Hochverrats, rechtfertigte ihn aber nicht. Mag sein, dafs er selbst, von jeher an eigenmächtiges Handeln gewöhnt , die getroffenen Verabredungen nicht für un- erlaubt hielt , dafs er die Absicht hatte , dem Rate alsbald davon Mitteilung zu machen, und nur durch die argwöhnische Aufnahme, die er fand, daran gehindert wurde ^, er hatte sich auf jeden Fall einer Pflichtverletzung schuldig gemacht, und sein Schweigen nötigte eine gewissenhafte Obrigkeit , ihn zur Verantwortung zu ziehen , auch wenn nicht sein offenbar gesetzwidriges Auftreten vom 20. September hinzugekommen wäre.

Aber viel schwerer erschien daneben die Schuld Maigrets. Die fortgesetzte Untersuchung lüftete endlich den Schleier, der so lange über dem rätselhaften Treiben dieses Mannes geruht hatte. Aus den von den Bernern beigebrachten neuen Beweisstücken ergab sich , dafs Maigret zu verschiedenen Zeiten von den Agenten des französischen Hofes beträchtliche Summen empfangen und sich noch jüngst selbst an Heinrich II. um eine Unterstützung gewandt hatte, dafs er seit Jahren mit einflufsreichen französischen Staatsmännern und Persönlichkeiten aus der Umgebung des Königs in brieflichem Verkehr gestanden und i,hnen als Spion diente, um dem kaiserUchen Einflufs in der Schweiz im Interesse Frankreichs entgegenzuwirken und insbesondere auch das Verhältnis zwischen Genf und Bern zu überwachen. Man fand, dafs Maigret mit den französisch gesinnten Edelleuten der Umgegend einen lebhaften

' Quelq. pag. S. 35.

■^ Quelq. pag. S. 46 ; Anc, et nouv. pol. S. 67,

Die Schuld Maigrets und seiner Freunde. ge

Verkehr unterhalten, dafs er sogar Genfer Kaufleute, die Geld- geschäfte für den Kaiser abgeschlossen , den französischen Be- hörden heimlich angezeigt und in schweren Schaden gebracht hatte. Endlich wurde es zweifellos , dafs er in Genf selbst Mit- wisser hatte und zwar nicht blofs im Kreise der Emigranten. Es fiel im Verlaufe des Prozesses selbst auf Mitglieder des Rates ein schwerer Verdacht. Jenes verhängnisvolle Schreiben des Präsi- denten von Chambery war manchen derselben und auch Calvin Wochen lang bekannt gewesen , ohne , wie es doch die Pflicht gebot , zur Anzeige gebracht worden zu sein. Maigret selbst er- klärte , dafs seine Verhandlungen mit Pellisson über ein Bündnis mit Frankreich in Genf keineswegs Geheimnis gewesen seien, dafs vielmehr mehrere Mitglieder des Rates wie auch Calvin selber von seinen geheimen Korrespondenzen Kenntnis gehabt und dafs er nichts gethan ohne ihr Vorwissen \

Aber wie war es möglich, dafs eine Partei öffentlich hatte als Klägerin auftreten können, die sich selbst so schwerer Schuld bewufst war? Wie hatten die Vertreter des Gesetzes einen Mann so lange in Schutz nehmen können, dessen Schuld zweifellos und manchem von ihnen von Anfang an bekannt gewesen war, während gegen den viel weniger belasteten Mitschuldigen mit rück- sichtsloser Strenge verfahren wurde?

Die Geschichte Genfs mag nicht manchen Moment aufweisen, der auf den ersten Blick des Rätselhaften mehr bietet, aber, näher betrachtet, war, was im Herbst 1547 geschah, nur das natürliche Ergebnis der eigentümlichen Lage , in welcher Genf sich infolge seiner kirchlich-politischen Entwickelung befand.

Allerdings war Genf durch das Burgrecht fest an Bern ge- knüpft und die alte Bürgerschaft war auch in ganz überwiegender Mehrzahl , trotz einiger übler Erfahrungen , gewillt , bei dem be- schworenen Vertrage ehrlich auszuharren. Aber schon von Anfang an gab es unter ihr eine französisch gesinnte Partei, die mehr zu dem stammverwandten, als zu dem deutschen Nachbar sich hin- gezogen fühlte. Einen Zuwachs und eine wirkHche Macht er- langte sie seit dem Beginn der Wirksamkeit Calvins. Calvin war nie in seinem Leben ein Freund der Berner. Ihre ganze derbe Weise behagte ihm nicht. Ihre Ansichten über Staat und Kirche

Quelq. pag. S. 37—43-

86 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

liefen den seinigen schnurstracks entgegen. Die strengen, eifrigen Calvinisten konnten deshalb keine Freunde Berns sein ; sie hafsten es aus religiösen Gründen, nicht blofs weil sie in seine Uneigen- nützigkeit kein Vertrauen hatten. Und dazu kann dann seit dem Beginn der vierziger Jahre die unmittelbare Verstärkung des fran- zösischen Elements durch jene massenhaften Einwanderungen fran- zösischer Emigranten. Dafs diese eingewanderten Franzosen sich nicht für das Burgrecht des deutschen Kantons erwärmen, sondern ihre Blicke vielmehr auf das Vaterland richten würden, war natür- lich und liefs sich voraussehen, und wir haben schon angedeutet, bis zu welchem Grade es der Fall gewesen.

So finden wir bereits um die Mitte der vierziger Jahre die Bevölkerung Genfs trotz Burgrecht und Eid in zwei Hälften ge- spalten, für die das »Hie Bern, hie Frankreich«, die richtige Losung gewesen wäre, in zwei Hälften gespalten , die auch nume- risch einander nicht so fern standen, dafs nicht ein Wechsel der Herrschaft zwischen ihnen möglich gewesen \ Und etwas der- artiges trat im Jahre 1547 wirklich ein. Die anticalvinlsche Oppo- sition, der Kern der bundestreuen Bürgerschaft, war damals in- folge der Gruetschen Angelegenheit gelähmt. Von Norden her trafen die ersten Nachrichten über die Fortschritte der kaiserlichen Waffen gegen die protestantischen Fürsten und Städte Deutsch- lands ein^, welche tiefen Eindruck machten und den Gedanken einer Allianz mit Frankreich mehr als je nahe legten. Ein An- griff auf Genf gehörte bei dem Verhältnisse Karls V. zu dem ver- triebenen Herzoge von Savoyen nicht zu den Unmöglichkeiten und wurde von manchen allen Ernstes von der burgundischen Seite her gefürchtet. Da erlangte denn endlich auch im Rate, der unter seinen Mitgliedern längst schon mehrere französisch gesinnte zählte, die französische Partei völlig das Übergewicht. Es ist nicht unwahrscheinUch , dafs Perrin gerade im Hinblick auf diese fran- zosenfreundliche Strömung in Genf sich auf die Verhandlung mit dem französischen Kardinal glaubte einlassen zu dürfen : bildete doch auch bei diesen die von den Kaiserlichen drohende Gefahr

I Bezeichnend ist, dafs in Bern schon 1546 das Gerücht Glauben finden konnte, Genf habe sich zu Frankreich geschlagen. Ratspr. 20. Sept. 1546. [Ann. S. 388].

^ Vgl. z. B. Ratsprot. 23. [Ann. S. 395], 24. Jan., 5. März, 2., S., [Ann. S. 402], 28. April, 24. Juni 1547.

Genf und Frankreich.

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den Ausgangspunkt. Heinrich II., eben zur Regierung gekommen, verstand es, die Lage der Dinge geschickt zu benutzen. Eine fran- zösische Gesandtschaft, welche im Juli 1547 in Genf eintraf, bewilligte zuvorkommend ein altes Marktanliegen der Stadt und sprach viel von der Notwendigkeit, alle benachbarten Mächte, die gesamte Schweiz, auch Genf, dem der König seinen besonderen Schutz versprach, und natürlich auch Frankreich zu einem gemein- samen Bündnis gegen den Kaiser zu vereinigen, ein Gedanke, der allerdings der in diesem Augenblicke in Genf herrschenden Stim- mung völlig entsprach. Ganz für ihn eingenommen war auch Calvin , welcher meinte , jetzt oder nie sei für die Eidgenossen- schaft und Genf die Zeit gekommen , sich mit Frankreich gegen den Kaiser zu verbünden-. Da war es natürlich, dafs nun end- lich auch Laurent Maigret seine Stunde für gekommen erachtete, und nachdem er sich mit seinen Freunden und Gönnern ver- ständigt, mit dem ihm wohlbekannten Agenten des französischen Hofes in Verbindung trat und den Vorrat seiner diplomatischen Künste für die neue Allianz, wie es scheint schon lange ein Ziel seines Strebens, in Bewegung setzte. Dafs angesehene Männer, Geistliche wie Calvin, Mitglieder des Rates, wenn auch nicht der Rat als solcher ^, sein Unternehmen gekannt und gut geheifsen, ist nach seinen eigenen Aussagen und den Umständen nicht zu bezweifeln.

So wird es denn vollkommen erklärlich, wenn der Rat, oder vielmehr die jetzt herrschende calvinisch - französische Partei den Forderungen Berns gegenüber, die plötzlich alle ihre Pläne durch- kreuzten, alles versuchten, um den Mann zu retten, der eigentlich nur ausgeführt, was die gesamte Partei dachte, wünschte und ein Teil sogar wufste. Ich möchte ihr daraus, wie verwerflich auch die angewandten Mittel waren, keinen so schweren Vorwurf

' J^osef 1. V, c. 12. [Vgl. /iogci II S. 318 f.]. Er scheint freilich auch noch andere Mittel angewandt zu haben. War doch sogar gegen P, Vandel das Gerücht verbreitet, dafs er eine Pension vom König habe. Ratspr. II. Nov. 1547. Möglich, dafs dies eine Erfindung seiner Gegner war, aber man sieht doch, dafs französische Pensionen damals in Genf nichts ungewöhn- liches waren.

* So schreibt er noch im Dezember an Falais, Opp. XII S. 627.

3 Dies behauptet die France protestante [i. Aufl.] VII, 362. Doch steht dem schon die feierliche Erklärung des ersten Syndiks entgegen.

88 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

machen : andere Parteien haben in ähnUcher Lage ähnhch ge- handelt. Mit unauslöschhchem Makel aber behaftet sie das gleich- zeitige Verfahren gegen Perrin. Dafs sie im vermessenen Ver- trauen auf ihr augenblickliches Übergewicht dieselbe Handlung, die sie bei dem Parteimitgliede in Schutz nahm, bei dem Gegner zum Hochverrat stempelte im Grunde hatte der General- kapitän ganz in ihrem Sinne gehandelt um den gefürchteten Parteiführer, der ihr gezeigt, was sich bei geschickter Leitung mit den Kräften der Opposition leisten liefs', aus dem Wege zu räumen das war die grofse Schuld der calvinisch - franzö- sischen Partei und Calvins selber, für welche die Strafe nicht aus- geblieben ist^.

Man glaubt es kaum , und dennoch ist es Thatsache : auch nach solchen Enthüllungen meinte die Partei, die in dieser An- gelegenheit eine, man darf sagen, verwegene Beharrlichkeit zeigte, den Kampf noch eine Weile mit Erfolg fortsetzen zu können. Sie besafs trotz des mehr oder minder offenkundigen Abfalls der Syndike noch die Oberhand im Rat und hatte diesen auf ihrer verhängnisvollen Bahn so weit mit sich fortgerissen, dafs er kaum noch zurück konnte. Man suchte sehr geschickt die Person Petrins wieder in den Vordergrund zu rücken , um die öffentliche Auf- merksamkeit von Maigret abzulenken. Zwar an eine Verurteilung des Kapitäns , wie sie beabsichtigt worden , war jetzt nicht mehr zu denken, aber immer noch schien es möglich, ihn wenigstens

' Das war wohl auch die eigentliche Ursache , weshalb Bern , das für Perrin persönlich keine Sympathien haben konnte , so entschieden für ihn eintrat.

^ Es ist interessant , zu vergleichen , wie die zeitgenössischen Berichte den Perrinschen Prozefs auffassen. Bolsec c. XVII, S. 84 ff. weifs nur von der Anklage wegen Hochverrats wegen der Verhandlungen mit dem Kardinal und stellt Calvin als den eigentlichen Anstifter dar, der sich Maigrets nur als seines Mittels bedient habe eine Ansicht , der auch Galiffe (Quelq. pag. S. 45, 49) ziemlich nahe kommt, ßonivard (Anc. et nouv. pol. S. 51 ff.) betont daneben das angebliche Streben Perrins nach der Tyrannis, sowie den Schutz, den er den Gegnern der Kirchenzucht gewährt habe. Beza [Opp. XXI S. 139] kennt Perrin nur als Führer der Opposition gegen die Kirchenzucht, weifs nichts von Hochverrat u. dgl., Maigrets Name verschwindet. Endlich Colladon [Opp. XXI S. 69] nennt nicht einmal Perrins Namen : es handelt sich bei jenen Vorgängen lediglich um die Durchführung der calvinischen Kirchenzucht! Man sieht: die calvinischen Theologen selbst fanden nach einiger Zeit gut, der weltlichen Händel und Intriguen nicht mehr zu gedenken.

Prozefs gegen Perrin. 3q

unschädlich zu machen. Die Klage auf Hochverrat wurde, wie sich denken läfst, jetzt mit Rücksicht auf Maigret nicht weiter verfolgt, dafür aber wurden um so mehr die übrigen Klagepunkte, namentlich die Scene vom 20. September, betont. Es schien wirklich einen Augenblick, als sollte es diesen Bemühungen nicht an Erfolg fehlen ^ .

Allein auch nur einen Augenblick schien es so. Zu offen lag doch das ganze Intriguenspiel von jedermanns Augen, als dafs nicht das verletzte öffentliche Rechtsbewufstsein sich hätte da- gegen auflehnen sollen. In der That nahmen die Kundgebungen des allgemeinen Unwillens bald eine drohende Gestalt an. Aus dem Volke wurde die Äufserung vernommen, es säfsen im Rate Männer, die den Galgen verdienten. Der Generalprokurator und JustizHeutenant , die sich bis zuletzt durch ihren Eifer für Maigret und gegen Perrin hervorgethan , durften bald nicht mehr wagen, sich öffentlich zu zeigen. Alles was zu Anfang unter dem ersten Eindruck der gegen Perrin erhobenen Beschuldigungen sich von ihm abgewandt, kehrte jetzt unter seine Fahne zurück und war entrüstet über die schmähliche Intrigue, deren Opfer er gewesen. Die bei Beginn des Prozesses als Perrinisten ausgeschlossenen Mitglieder des Grofsen Rates selbst auf dieses Kollegium war das Läuterungsverfahren ausgedehnt worden erschienen wieder in den Sitzungen mit der herausfordernden Erklärung, sie möchten doch wohl eben so viel Recht haben, hier zu erscheinen, als die- jenigen, die mit Maigret während seiner Haft getafelt hätten^. Niemand wagte es, sie zurückzuweisen. In dem Kleinen Rat selbst führte die Minderheit unter Vandel eine gehobene und kühne Sprache.

Wichtiger aber als alle diese Kundgebungen innerhalb der Bürgerschaft selbst war die Festigkeit der Berner Gesandtschaft, die ihren Aufenthalt in Genf bis Ende November verlängerte ^ und,

' Vgl. Anc. et nouv. pol. S. 67, 68. Nach Galiffe 1. c. S. 47 hätte der Rat dagegen seinen Schützling Maigret Mitte November sogar noch einmal in Freiheit gesetzt natürlich dafs ihn Bern bald eines andern belehrte. [Von dieser zweiten Freilassung Maigreis wissen die Ratsprotokolle nichts; vgl. Cornelius S. 515, 516.]

* Quelq. pag. S. 47.

3 [Es ist Kampschulte entgangen , dafs die erste Berner Gesandtschaft Anfang November unverrichteter Dinge Genf verlassen hatte und dafs am 18. November eine zweite Gesandtschaft eingetroffen war, die Ende November

QO Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

ohne sich auf Einwendungen und Ausreden einzulassen, mit gröfster Beharrlichkeit auf ihrer Forderung bestand. Sie beantragte noch- mals die Einberufung des Generalrats, da es sich in der Maigret- schen Sache nicht um einen einfachen Kriminalfall, sondern um eine Verletzung des Burgrechts handele , und hielt in ungeschminkten Worten dem Rate sein ganzes Sündenregister vor ; sie drohte, wenn nicht bald ein Ende gemacht und ein unparteiisches Urteil gefällt werde , die Sache vor ein Schiedsgericht oder vor die eid- genössische Tagsatzung zu bringen ' .

Da endlich wurde zum Rückzug eingelenkt. Am 28. No- vember nahmen die Berner von Genf Abschied. Der Rat hatte ihnen bis zuletzt widerstanden. Aber gerade nachdem die derben Mahner , man kann denken , mit welchen Abschiedsgrüfsen , ab- gezogen , scheint ihm die ganze Schwere der Verantwortung, mit der er sich belud , auf die Seele gefallen zu sein. Gleich am andern Tage, am 29. November, wurde Genf durch die Nach- richt überrascht, dafs der Generalkapitän durch Ratsbeschlufs endlich seine Freiheit wieder erhalten. Zwar war die Freilassung keine Freisprechung. Perrin mufste nicht nur die üblichen »guten Ermahnungen« hinnehmen, sondern auch der Kirche und dem Staate für seine früheren Vergehen Sühne und Abbitte leisten, das Versprechen ablegen, sich jederzeit dem Gericht zu stellen, wenn Rechenschaft wegen der französischen Unterhandlung von ihm verlangt würde, und endlich blieb »er für jetzt <. auch noch von dem Rate ausgeschlossen*. Aber war es auch keine volle Frei- sprechung , so blieb Perrins Freilassung dennoch ein bedeutungs- volles Ereignis. Der Rat hatte offen das bisherige System auf- gegeben, er hatte den Rückzug angetreten.

Dank erntete er indes für diesen ersten Akt der Nachgiebig- keit wenig. Er hatte gehofft, durch Perrins Freilassung die Gegner versöhnlicher zu stimmen; aber der Erfolg war gerade der ent- gegengesetzte. Freigelassen , aber nicht freigesprochen , vielmehr durch die ihm aufgelegte demütigende Abbitte aufs neue gereizt, kehrte der Kapitän mit tiefem Groll im Herzen unter seine Mit-

noch in Genf weilte. Vgl. hierzu Cornelius a. a. O. S. 515, wo überhaupt über Berns Anteil an dieser Angelegenheit genauere Mitteilungen zu finden sind.]

' Quelq. pag. S. 48, 49, 50. Raset 1. V. c. 14.

* Das Urteil: Quelq. pag. S. 52; vgl. Roset 1. V c. 16.

Ausgang des Prozesses und seine Folgen. gi

bürger zurück'. Sein öffentliches Erscheinen wirkte aufregend auf die Menge. Die mancherlei Einzelheiten , welche erst jetzt über seine Haft , die harte Behandlung und das ganze Intriguen- spiel bekannt wurden, steigerten ihre Erbitterung. Die alten treuen Anhänger, insbesondere Peter Vandel, dann auch die beiden jüngeren Berthelier , Söhne des grofsen Berthelier, wirkten durch leidenschaftliche Reden an das Volk in gleichem Sinne. Ganz besonders richtete sich der Unwille, wie nicht ausbleiben konnte, gegen Calvin. Man betrachtete ihn als den eigentlichen, ja einzigen Anstifter des ganzen Prozesses, Maigret nur als ein von ihm ge- brauchtes Werkzeug. Es folgten lärmende Tumulte und drohende Kundgebungen gegen ihn. Mehr als je war Perrins Name die Losung geworden, die alle Gegner des Reformators vereinigte.

Hatte der Rat auf der einen Seite seine Absicht, die Gegner zu versöhnen , nicht erreicht , sondern sie nur noch kriegslustiger gemacht, so hatte er auf der andern Seite durch die geübte Nach- giebigkeit sich mit einem nicht unbedeutenden Teil der eigenen Partei vollständig überworfen. Die unversöhnlichen Gegner Perrins sahen sich in ihren Hoffnungen schmählich getäuscht und zürnten gewaltig über eine so schwächliche Nachgiebigkeit. Die Heifs- sporne der Partei , die Männer , welche sich , wie der bei den letzten Novemberwahlen von Calvin auf den Schild gehobene Justizlieutenant Amblard Corne - , öffentlich gerühmt hatten , sie würden den Kapitän noch zur Richtstätte begleiten , knirschten mit den Zähnen , dafs der gehafste Gegner frei ausgehe , ihr Schützling aber hinter Schlofs und Riegel bleibe. Die Geistlich- keit machte ihrem Unwillen in scharfen Ausdrücken Luft. Es wurde von der Kanzel sogar das frivole Wort vernommen: »Den Barnabas habe man in Freiheit gesetzt, Jesus aber bleibe im Kerker zurück«^. Das Bedenkliche lag darin, dafs diese Stimmung bis

' »Belua quae nuper ex cavca citst.'duin fraitde emersit« schreibt Calvin am 14. Dezember 1547 an Farel, rmihil spirat, nisi iniiias. Ejecto Macrino, qiiod Jarn in manu sua positum esse confidunt, sibi nihil tton pollicentur. Sic Olim statHuni: hoc fore pignt/s oppressec libertatis« ! Opp. XII S. 629. Man sieht übrigens , dafs Calvin in den Berichten an seine Freunde mit der Wahr- heit es nicht immer genau nimmt.

^ Vgl. Ratsprot. 10. Okt. 1547. '^uelq. pag. S. 35.

3 Quelq. pag. S. 52 ; auch Bonivard (Anc. et nouv. pol. S. 69) bedient sich dieses Vergleiches.

0 2 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

in den Rat selbst reichte und sogar hier noch ihre Vertreter hatte. Das Urteil zu Gunsten Perrins war offenbar in der Weise zustande gekommen, dafs der gemäfsigte Teil der calvinischen Partei sich der Minorität anschlofs ; aber es blieb eine kleine Minderzahl übrig, die, wenn sie sich auch in diesem Augenblicke ruhig verhalten, doch für die Zukunft sich volle Freiheit der Ent- schliefsungen vorbehielt und, zumal nach Perrins Befreiung, auch Maigret auf keinen Fall preiszugeben entschlossen war ' . Sie legte der auf wiederholtes schrifdiches Mahnen Berns be- schlossenen Fortsetzung des Prozesses gegen denselben alle Hinder- nisse in den Weg , konnte aber nicht hindern , dafs seine Schuld jetzt immer allgemeiner anerkannt wurde und selbst die dem Her- kommen gemäfs um ihr Gutachten angegangenen Rechtskundigen ihn für schuldig und für einen Spion erklärten". Je mehr aber ihre Ohnmacht zu Tage trat, um so mehr steigerte sich ihr In- grimm. Als der Rat am i6. Dezember Maigrets Angelegenheit vor den Zweihundert zur Verhandlung bringen wollte, führte die Erbitterung der Freunde desselben gegen die abgefallenen Mit- glieder der eigenen Partei einen förmlichen Tumult herbei. Der Ratsherr Pierre Bonna rief mit lauter Stimme, man müsse einige Mitglieder des Rates von ihren Sitzen entfernen. Einer der Syn- dike empfing von einem Emigranten einen Faustschlag. Wilder Lärm erfüllte den Versammlungssaal; wutentbrannt erhoben sich die Parteien gegen einander; ein Blutbad schien bevorzustehen.

' Vgl. Anc, et nouv. pol. S. 69, wo die Existenz dieser kleinen {com- bien quils fusscnt cn pelii novihre«) maigretistischen Partei und zwar bis zum Ausgang des Prozesses bestätigt wird. Natürlich schlössen sich ihr die Lambert, Amblard Corne etc. an.

^ Bei einer Abstimmung im Rat (Mitte Dezember) über Maigret erklärten sich neun Mitglieder für Entziehung des Bürgerrechtes, acht für Verbannung. Galiffe nimmt ohne weiteres an, dafs unter den neun, welche die mildere An- sicht vertraten, auch die bisherigen Freunde Maigrets sich befanden, aber es scheint mir doch nicht annehmbar, dafs z. B. ein Mann wie Pierre Bonna auch nur einer solchen Ansicht die auch Calvin noch hart fand zugestimmt habe. Sollten nicht vielmehr die eigentlichen Maigretisten sich der Abstimmung ganz enthalten haben und ihnen die acht fehlenden Stimmen angehören? Die unmittelbar folgenden Ereignisse scheinen eine Bestätigung zu enthalten. Wohl war der Rat bei Beginn des Prozesses »gereinigt« und nicht vollzählig, aber so gut wie die Mitglieder des Grofsen Rates, dürften auch die des kleinen ihre Plätze wieder eingenommen haben. Quelq. pag. S. 53, 63 ; vgl. Calvin an Viret 19. Jan. 1548, Opp. XII S. 653. [Vgl. Cornelius S. 519.]

Tumult vom i6. Dezember.

93

Da kam Calvin mit der ehrwürdigen Genossenschaft vor dem Stadthause an. Er mochte die Schmach fühlen, womit sich seine Partei an diesem Tage bedeckte, und stürzte sich sofort mit einem persönlichen Mut, wie er ihn sonst vielleicht nie in seinem Leben bewiesen hat', mitten unter die Tobenden. Man rief ihm zu, sich zurückzuziehen : nicht gegen ihn sei der Auflauf gerichtet, nicht ihm zürne man. Er hielt nichtsdestoweniger unter der rasenden Menge Stand , und drang so lange mit Bitten , Vor- stellungen und Beschwörungen in sie, bis es ihm, zugleich unter- stützt von den Syndiken und den Geistlichen, endlich gelang, die Streitenden zu trennen und die aufgeregten Gemüter zu beschwich- tigen -.

Allein das waren die letzten verzweifelten Anstrengungen einer rettungslos im Sinken begriffenen Partei von ihr war seit jenem Tage weniger als je zu fürchten. Die Zukunft gehörte den »Perrinisten», die unter ihrem alten Führer rasch einen gewaltigen Aufschwung nahmen und schon in diesem Augenblicke den regel- raäfsigen Gewalten in Kirche und Staat über den Kopf zu wachsen drohten. Es fehlte beiden das rechte Vertrauen zu sich selbst. Und wie hätte es anders sein können? Auf beiden lastete ihre jüngste Vergangenheit. Beide waren in dem grofsen Prozefs in einer Weise blofsgestellt worden, die es ihnen .unmöglich machte,

' [Man vergleiche damit Calvins eigene Versicherung, »que de ma nature ie suis timide et craintiftf. Opp. XXI S. 102.]

- Vgl. darüber den eigenen Bericht Calvins an Viret vom 17. Dezember (Opp. XII S. 632), seine Abschiedsrede an die Prediger (ebd. IX S. 892) und die recht anschauliche Darstellung in den Aufzeichnungen der Venerable Com- pagnie A p. 36 [Ann. S. 418]. Quelq. pag. S. 53 ft'. Der Versuch Galiffes, (1, c. S. 55) auf Grund der dürftigen Angaben der Ratsprotokolle den Anteil Calvins und der Geistlichen als wenig bedeutend hinzustellen, ist angesichts der bestimmten Erklärung , die Calvin selbst noch auf dem Totenbette über diese Scene gab, nicht haltbar. Richtig indes ist, dafs der ganze Vorfall vielfach übertrieben und romanhaft ausgeschmückt (vgl. Gabereil, 395 > Staehelbi I, 403) und schon von Beza in einem völlig verkehrten Lichte dargestellt worden ist : es handelte sich nicht um eine Auflehnung gegen die Sittenzucht, sondern um Maigret, und nicht die Gegner Calvins waren die Anstifter des Tumults, es war vielmehr ein Streit innerhalb der ursprünglichen calvinischen Partei : ein Angriff der entschlossenen Verteidiger Maigrets gegen jene, die, wie die Syndike, den alten Standpunkt aufgegeben. [Vgl. die Darstellung bei Cor- nelius a. a. O. S. 518, bes. die Beilagen!]

qA Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

gegen das überhandnehmende Parteigetriebe mit der erforderhchen Energie einzuschreiten.

Am traurigsten stand es um die kirchliche Autorität. Calvin hatte den Generalkapitän verderben wollen, er hatte einen Mann in Schutz genommen , der als Spion entlarvt worden und ihn selbst als seinen Mitschuldigen angegeben , er hatte jedenfalls zu dem gesamten Intriguenspiel in einem Verhältnisse gestanden, welches, wenn er auch persönlich, woran wohl nicht zu zweifeln, von seinem theologischen und kosmopolitischen Standpunkte aus alles für erlaubt hielt , dennoch in keiner Weise zu rechtfertigen oder auch nur zu entschuldigen war. Konnte er, nachdem alles dies vorhergegangen und offenkundig geworden , noch Vertrauen und Gehorsam beanspruchen ? ^ Aber nicht blofs sein geistliches Ansehen , das gesamte kirchliche Leben hatte durch die traurige Angelegenheit einen gewaltigen Stofs erlitten. Die Kirchengesetze wurden ungescheut, und fast wie zum Hohne, übertreten. Schon am 12. Dezember führte Calvin im Namen der gesamten Geist- lichkeit vor dem Rate Klage über die »vielen Insolenzen, Aus- schweifungen , Streitigkeiten , die zum Ruin von Kirche und Staat führen mufsten-.« Der von ihm mit so schwerer Mühe aufgeführte Bau der Genfer Kirche drohte aus seinen Fugen zu gehen. Es ist dies die Zeit, deren er selbst noch auf seinem letzten Kranken- lager in der Abschiedsrede an seine Kollegen als der schwersten während seiner Laufbahn gedenkt. Man habe die Hunde auf ihn gehetzt, klagt er da, und »Fafs, fafs!« gerufen, und sie hätten ihn gefafst bei Kleid und Bein! 3. Man machte seinen Namen zum Schimpfnamen, nannte ihn Kain, verhöhnte ihn öffentlich : wieder- holt kamen dem Rate sogar Gerüchte von thätlichen Mifshandlungen des Reformators zu 3. »Die Gottlosigkeit,« schreibt dieser seinem Freunde Viret, »hat einen solchen Grad erreicht, dafs ich nicht mehr hoffen darf, die Kirche durch meinen Dienst noch länger

' »Z« lundi 12 e Jour de decembre 1S47 fut delibere par les freres dalier devant Messieurs pour retiionstrer beaucoup d'insolences, debauchemens, disso- lutions, inimitiez qui tourneroient a la ruine de leglise et de la ville. Ce qui fut fatct led. jour. M. Calvin porta la parolle«. Ann. S. 418.

^ Opp. IX S. 892.

3 Quelq. pag. S. 56.

Lösung der Schwierigkeiten durch Versöhnung der Parteien. gc

aufrecht erhalten zu können. Ich bin gebrochen, wenn nicht Gott mir seine Hand darreichte«

Und in nicht viel besserer Lage befanden sich die Träger der Staatsgewalt. Auch auf ihnen haftete ein dunkeler Flecken. Hatten sie auch , dem Drängen Berns und der wachsenden Auf- regung des Volkes nachgebend, endlich eingelenkt, so wurde da- durch doch ihr Ansehen und das erschütterte öffentliche Vertrauen nicht wieder hergestellt. Die halbe Mafsregel, zu der man sich in Beziehung aufPcrrin entschlofs, hatte vielmehr die Lage nur noch verschlimmert. Es war mit einem Worte ein Zustand eingetreten, dessen längere Fortdauer die ernstesten Gefahren in sich barg : eine vollständige Anarchie stand in drohender Nähe. Es war die höchste Zeit, dafs Hilfe kam.

In richtiger Würdigung dieser ernsten Lage entschlossen sich die Staatslenker zu dem einzigen Mittel, welches helfen konnte, zu einer völligen Aussöhnung mit dem Generalkapitän. Schon am i6. Dezember empfingen Mitglieder des Rates, der Geistlichkeit, Verwandte Perrins und andere gutgesinnte Männer den Auftrag, auf eine Versöhnung der Parteien hinzuarbeiten. Niemand war darüber mehr erfreut als Calvin, für den in seiner peinlichen Lage diese Nachricht ein erster Hoffnungsstrahl war. Er bot dem Rate seine volle Unterstützung an ; vielleicht nie in seinem Leben hat er einen gröfseren Friedenseifer gezeigt. Am nächsten Tage trat unter dem Vorsitz Calvins eine Friedenskommission zusammen, bestehend aus Syndiken, Räten, Geistlichen u. a., »um auf Mittel und Wege zu sinnen, wie man die in Rat und Bürgerschaft zwischen Perrin und anderen herrschenden Zwistigkeiten und Feindseligkeiten beilegen und in Frieden leben könne.« Um den Friedensbemühungen von vornherein einen gewissen Nachdruck zu geben, verkündete man eine Art Gottesfrieden, indem die alten Verordnungen gegen Zusammenrottungen und nächtliche Ruhestörungen erneuert und die Einwohner Genfs durch öffentliches Ausrufen zum Besuche der Predigt aufgefordert wurden ^. Dann wurde Perrin eingeladen und zunächst gebeten , sich darüber zu erklären , ob er gegen Calvin

' Calvin an Viret 17. Dez. 1547, Opp. XII S. 632; ähnlich schreibt er am 14. Dez. an Farel: »Ea certe est rerum confusio ut diutius reiincre posse haue ecclesiam saltem mea opera despercni«. Ebd. S. 629.

* Quelq. pag. S. 56, 57. Calvin an Farel 28. Dez. 1547, Opp. XII S. 642. Es macht keinen für Calvin günstigen Eindruck, dafs er in dem-

n6 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

selbst, oder den Prediger Poupin oder sonst ein Mitglied der ehr- würdigen Genossenschaft oder den Justizleutnant Corne noch einen Groll im Herzen trage. Man erkennt aus der Frage sofort das Bestreben Calvins, der schon wieder Mut hatte, den eigentlichen Stand der Sache zu verrücken und die ganze Angelegenheit auf das geistliche Gebiet hinüberzuspielen. Allein dazu war die Lage der Dinge doch allzu wenig angethan. Perrin selbst scheint andere Eröffnungen erwartet zu haben. Er antwortete würdig, aber kühl und zurückhaltend : »er beklage sich über keinen; über seine Thaten möge das bürgerliche Gericht urteilen ; über seine Gesinnung stehe allein Gott ein Urteil zu ; er glaube keinen verletzt zu haben und wolle seinerseits seinen Gegnern verzeihend Das Ergebnis dieser ersten Unterredung erweckte wenig Hoffnung. Calvin, der bei der- selben viel gesprochen, ohne irgend etwas auszurichten, that un- tröstlich darüber. Er wisse, schrieb er seinen beiden vertrautesten Freunden, keinen Rat mehr, seine Ermahnungen seien nutzlos, er predige tauben Ohren, nur das Eine wisse er, dafs er diese Genfer Art nicht länger mehr ertrage-. Aber hatte er denn wirk- Hch Grund, sich zu beklagen?

Wahrlich nicht um kirchliche Fragen, auch nicht um Fragen der Sittenzucht handelte es sich hier an erster Stelle, sondern darum, einen bis dahin unbescholtenen Bürger, der Jahre lang die höchste militärische Würde bekleidet, für das ihm zugefügte Unrecht in irgend einer Weise Genugthuung zu gewähren. Es gehörte die ganze theologische Voreingenommenheit Calvins dazu, um über diesen einfachen Sach- verhalt hinwegzusehen. Der Rat überzeugte sich denn auch bald, dafs der erste Schritt ein verkehrter gewesen, dafs man ein anderes Verfahren einschlagen müsse, und auch die Geistlichkeit scheint sich dieser Einsicht nicht verschlossen zu haben. Die weiteren Ver- handlungen , die meistens im Rat selbst geführt wurden, trugen einen anderen Charakter. Perrin wurde, mochten sich auch seine alten Gegner anfangs dagegen sträuben, mit gröfster Aufmerksamkeit und Zuvorkommenheit behandelt. Man erstattete ihm sogar, ohne

selben Briefe , in welchem er von seinen Bemühungen für das Versöhnungs- vverk erzählt , den zu Versöhnenden mit seinem Spottnamen (Caesar) be- zeichnet !

' Quelq, pag. S. 57, 5S. [Cornelius S. 519.]

' Calvin an Viret 26. Dez. 1547, Opp. XII S, 638 f. ; Calvin an Farel 28. Dez. 1547; ebd. S. 642 f.

Beilegung der Streitigkeiten. ny

dafs er darum eingekommen, die für jene verhängnisvolle Gesandt- schaftsreise nach Frankreich gemachten Auslagen. Es wurde an- erkannt, dafs die vollständige Restitution »des Herrn Perrin'< nötig sei, um »den alten Hafs und Streit zu begraben'.« Calvin hatte an diesen Verhandlungen keinen Teil, weil er fühlen mochte, dafs es im Interesse des Friedenswerkes liege, augenblicklich mit seiner Person so wenig wie möglich hervorzutreten. Doch lud er, gleichsam zu seiner Vertretung, seine beiden alten Freunde, Viret und Farel, nach Genfein''. Beide erschienen zu Anfang des neuen Jahres 1548 mit gewohnter Bereitwilligkeit und machten auch dieses Mal durch »schöne und gute Ermahnungen« vor Rat und Bürgerschaft ihrem alten Rufe als Friedensstifter alle Ehre. Besonders wirkte das Auftreten Virets, der auch noch das Ver- trauen der Opposition genofs und keineswegs alle Schritte Calvins billigte, vorteilhaft und trug viel dazu bei , die Gemüter versöhn- lich zu stimmen ^.

So machte das Friedenswerk rasche Fortschritte. Alle zeigten den besten Willen. Nur ein Hindernis stand noch im Wege : die Person Maigrets. Ihn fallen zu lassen , sträubte sich das kleine Häuflein seiner Anhänger im Rat auch jetzt noch ; aber auch unter den übrigen Mitgliedern , die früher für seine Verurteilung gestimmt, zeigten jetzt, merkwürdig genug, manche Bedenken. Ohne eine Verurteilung Maigrets schien aber eine vollständige Versöhnung Perrins und seiner Partei unmöglich.

Dafs es bei dieser scheinbaren Unvereinbarkeit der Gegen- sätze dennoch zu einer Einigung kam, ist ohne Frage hauptsächlich der Einwirkung der auswärtigen Verhältnisse zuzuschreiben 4. Abermals warf in diesen Tagen das Schreckbild der kaiserlichen Übermacht seine Schatten bis nach Genf. Man empfing be- unruhigende Nachrichten , die den Gedanken an die französische Allianz wieder wachriefen, und damals fand derselbe auch in der

> Quelq. pag. S. 59, 61, 63.

^ Die Einladung Virets ist vom 26. Dez., die Farels vom 28. Dez. 1547, Opp. XII S. 638 f., 642 f. Sie trafen gegen den 8. Jan. 1548 ein.

3 Quelq. pag. 62, 63. Das freundlichere Verhältnis Virets zur Oppo- sition, auf das schon aufmerksam gemacht wurde, dauerte noch mehrere Jahre: noch 1551 finden wir Viret mit Perrin in nahem persönlichen Verkehr, vgl. Viret an Farel Juni 1551, Opp. XIV S. 131.

4 [So urteilt auch ^oget III S. 38 f.]

Kampschulte, J. Calvin II. 7

g8 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

Schweiz mehrfachen Anklang. Von Heinrich IL traf in der ersten Hälfte des Januar 1548 ein Gesandter mit einem vertraulichen Schreiben in Genf ein , welches das gröfste Wohlwollen für die Stadt bekundete , sie aber zugleich , unter Hinweisung auf die aufserordentlichen Kriegsrüstungen des Kaisers, zur Wachsamkeit und Einigkeit im Innern aufforderte ^ . Offenbar hätte für die Partei Maigrets nichts günstigeres eintreten können 1 Durfte man in einem solchen Augenblicke einen Mann verurteilen , dessen Hauptverbrechen darin bestand, dem Interesse des Fürsten ge- dient zu haben, der sich jetzt Genf so wohlwollend näherte?

So kam am 15. Januar 1548 ein Kompromifs zu Stande, der zwar Perrin und seine Anhänger als Sieger , die Partei Maigrets als die unterlegene erscheinen liefs , aber den besiegten Teil mit einer Nachsicht behandelte , wie sie selbst Calvin nach dem, was vorausgegangen war, nicht erwartet hatte ^. Maigret erhielt mit der Freiheit zugleich alle seine Rechte und Einkünfte zurück : nur von den beiden Ratskollegien , deren Mitghed er gewesen, blieb er ausgeschlossen, und aufserdem wurde ihm die Ver- pflichtung aufgelegt, jederzeit, wenn es verlangt werde, sich dem Gerichte zu stellen. Perrin wurde nicht blofs freigesprochen, sondern in alle seine Ehren wieder eingesetzt. Vor den Zwei- hundert hielt er eine Rede, die den Geist weiser Mäfsigung atmete und den besten Eindruck machte. Er verteidigte nochmals seine Haltung während der Gesandtschaftsreise, erklärte sich bereit, auf jeden Verdacht, der gegen ihn erhoben werden könne, zu antworten, da er ein guter Genfer sein und bleiben wolle, und bat um Verzeihung, wenn er sich in leidenschafthcher Aufregung zu heftigen Reden habe hinreifsen lassend

Am 16. Januar, an welchem Tage Maigret aus dem Kerker entlassen wurde, nahm Perrin seinen Sitz im Rate wieder ein. Bald

' Über den Inhalt der Botschaft schreibt Calvin am 15. Jan. an Viret, Opp. XII S. 651. Vielleicht hängt mit diesen auswärtigen Verhältnissen das plötzliche Wanken (Quelq. pag. S. 104) einiger Ratsherren zusammen.

^ Vgl. Calvin an Viret 19. Jan. 1548 (Opp. XII S. 653): »Berepente protulit Dctis novam et ininmie exspectata/n sententiam« . Noch am 15. anuar während der Sitzung des grofsen Rates hatte er nicht viel Hoffnung; vgl. Calvin an Viret 15. Jan. 1548 (ebd. S. 652).

3 Quelq. pag. S. 64, 65; vgl. Anc. et nouv. pol. S. 69; Roset 1. V c. 18, [Cornelius S. 520.]

Wiedereinsetzung Perrins; Ehrenerklärungen, gg

darauf übernahm er auch von neuem die Funktionen des General- kapitäns \

Der Rehabilitation Perrins folgten auf Anordnung des Rates zur Beruhigung der Menge, die allerdings mehr erwartet zu haben scheint , einige öffentUche Versöhnungsakte , die den Sieg der perrinistischen Partei gewissermafsen vervollständigten. Vandel, des Kapitäns treuester Bundesgenosse, empfing von seinen beiden Hauptgegnern eine förmliche Ehrenerklärung. Eine solche wurde in anderer Weise auch den beiden Bertheliers zu Teil, indem sie mit der Leitung des städtischen Münzwesens betraut wurden. Die glänzendste erhielt aber einige Wochen später der General- kapitän selbst, indem am 3. Februar 1548 sein unversöhnlichster Gegner, der Generalprokurator Lambert, der die Anklage gegen ihn bis zum letzten AugenbHck verfochten , vor dem Rate nicht blofs mündlich , sondern zugleich mit Brief und Siegel die feier- liche Erklärung abgeben mufste, dafs er ihn für einen Ehrenmann halte und ihn um Verzeihung bitte, und dafs er das Un- angenehme, das ihm widerfahren, von Herzen bedaure^.«

So endete dieser merkwürdige und dunkele Prozefs , der monatelang die Gemüter in Spannung und Aufregung erhalten hatte, mit dem vollständigen Triumphe des Mannes , auf dessen Verderben es abgesehen war. Und die Partei, die ihn begonnen, durfte sich zu diesem Ausgange noch Glück wünschen. Hatte doch Calvin selbst nach allem , was die Verhandlungen zu Tage gefördert, ein schlimmeres Ende gefürchtet. Allein war auch das Schlimmste abgewendet worden, so war doch für ihn nach diesem Vorfall die Lage mifslich genug. Der frühere Zustand kehrte nicht wieder. Auf Calvins Wirksamkeit war ein dunkeler Schatten gefallen , seine Autorität erschüttert. Das Volk vergafs es ihm nicht , dafs er seine Hand dazu geboten , einen Mann zu ver- nichten, den zuletzt sein grimmigster Gegner für einen «Ehren- mann» hatte erklären müssen. Man betrachtete ihn wegen seines Verhältnisses zu Maigret selbst als einen französischen Agenten und verbreitete sogar bis nach Bern, »er habe Geld von dem

' [Im Nov. 1 548 wurde das abgeschaffte Amt wieder hergestellt ; Roget III S. 76.]

^ Quelq. pag. S. 67, 6S.

7*

lOO Fünftes Buch. Calvin in:i Kampfe mit der Oppositionspartei.

französischen Könige Wohl stand der Rat, wie schwankend sich derselbe auch sonst bewiesen hatte, ihm auch jetzt noch in über- wiegender Mehrzahl treu zur Seite. Aber die Amtsgewalt der alten Behörden näherte sich ihrem Ende , und nicht ohne Bangigkeit sah Calvin den Neuwahlen entgegen. »Ich wage kaum auf einen günstigen Ausfall zu hoffen,« schrieb er einem Freunde^ und seine Besorgnis erwies sich als nicht grundlos. Zwei entschiedene »Perrinisten«, unter ihnen Vandel, und zwei gemäfsigte Calvinisten wurden am Entscheidungstage zu Syndiken gewählt. Ein Ver- wandter Petrins wurde erster Syndik 3.

VI.

ÜBERGEWICHT DER GEGNER CALVINS.

Der Prozefs gegen Ami Perrin bezeichnet in dem Kampfe um die Herrschaft in Genf einen bedeutsamen Wendepunkt. Bis dahin fanden wir den Reformator fast unaufgehalten in siegreichem Vordringen begriffen : ein Erfolg ward nach dem andern erkämpft, ein Gegner nach dem andern aus dem Wege geräumt. Schon hatte er geglaubt, zu dem Angriffe gegen den letzten und ge- fährlichsten Gegner schreiten zu dürfen, dessen Niederwerfung dem Siege die Krone aufsetzen sollte. Dieser Angriff aber war mifslungen und diese eine Niederlage wog alle früheren Siege wieder auf: mit einem Schlage vernichtete sie die ganze Frucht fast zweijähriger Anstrengungen. Moralisch und physisch geschwächt, mit geschmälertem Ansehen und Verlust eines Teiles seiner An- hänger schied Calvin aus diesem unglücklichen Kampfe, der in jeder Hinsicht eines der dunkelsten Blätter in seiner Geschichte

' Quelq. pag. S. 65.

- Calvin an Viret 19. Jan 154S, Opp. XII S. 653. »Otnnes in gratiain redierunt et tarnen fervent non minus quam antehac factiones. Quis futurtis sit anni proximi Status nondum licet colligere, donec 4 novcB aves prodierint, Vix Icztum augurium exspedo. Ut tarnen maxime satagant improbi \^sic\, dimi- dium tarnen numeriim oblinefntnus« .

3 Quelq. pag. S. 68. Der Ausfall der Wahlen zeigt, wie klar Calvin die Verhältnisse übersah.

Folgen der Niederlage Calvins. lOi

bildet. Wie vollständig war die Lage der Dinge innerhalb jener wenigen Monate umgewandelt worden 1

Calvin verbarg sich die Schwere der erlittenen Niederlage keinen Augenblick und erkannte die Notwendigkeit, in andere Bahnen einzulenken. Nicht als hätte er dem Kampfe und seinem Ideal entsagt oder auch nur zu wirklichen Zugeständnissen sich entschlossen. Der Genfer Reformator verband wie der grofse kirch- liche Reformator des ii. Jahrhunderts mit der Überzeugungs- festigkeit eines Glaubensboten den Scharfblick und den Instinkt des Staatsmannes, der, wenn die Umstände es als ratsam er- scheinen lassen , eine Weile von der Strenge seiner Forderungen abläfst, um sie zu gelegener Zeit wieder aufzunehmen. So fafste er jetzt den Entschlufs, den Kampf, wie er ihn bisher geführt, bis auf bessere Zeiten einzustellen und sich einstweilen streng innerhalb der Grenzen seines geistlichen Amtes und auf dem Boden der kirchlichen Ordonnanzen zu halten. Unmittelbar nach Beendigung der Perrinschen Wirren hatte er die Stadt auf mehrere Wochen verlassen und seinen Freund Falais in Basel besucht, bis die erste Aufregung in Genf sich gelegt haben würde. Ende Februar kehrte er wieder heim , um von neuem seine Thätigkeit zu beginnen \

Aber wie hätte in dieser Lage auch eine in bescheidenen Formen auftretende Wirksamkeit Calvins ohne Widerspruch und Anfechtung bleiben können I Es war nicht mehr dieselbe Stadt, die er nach seiner Rückkehr vorfand. Die Umtriebe und Gefahren der letzten Jahre liefsen eine energische Reaktion als notwendig erscheinen : der neue Magistrat war entschlossen, eine solche eintreten zu lassen. Hatte die vorigjährige Behörde durch ihre Willfährigkeit, Unsicherheit und Schwäche zu den entstandenen Wirren nicht wenig beigetragen, so trat darin jetzt eine gründliche Änderung ein. Die neuen Syndike und Ratsherrn führten gegen Calvin und die Diener des Worts eine andere Sprache. Die Zeit des unsichern Schwankens und Nachgebens war vorüber. Mit Festigkeit wurde das Staatsruder geführt; auch den geistUchen Würdenträgern gegenüber sollte das Recht der Staatsgewalt unerbittlich gewahrt, keinerlei Übergriff geduldet werden. Wie Bern auf das Emporkommen der neuen

' Ratsprot. 2. Febr. 1548, Ann. S. 421. Vgl. Opp. XII S. 655, 656.

J02 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

Machthaber von ersichtlichem Einflufs gewesen , so war es auch die Berner Kirchenpolitik, die sie sich zum Muster nahmen.

Calvin wurde dies sofort inne. Erst jetzt, als er zu einer ruhigen und geordneten Thätigkeit zurückkehren wollte, erkannte er den angerichteten Schaden in vollem Umfange. Wohl nahmen Predigt , Kongregation, Consistorialverhandlungen den geordneten Fortgang, aber eine bedeutende Einschränkung der »Freiheit des geistlichen Amtes« mufsten die Diener des Wortes dabei sich jetzt gefallen lassen 1 Der Rat lud sie vor sein Tribunal zur Ver- antwortung und erteilte ihnen Rügen und Vorwürfe , so oft sie ihm die Grenze ihrer Befugnisse zu überschreiten schienen. Und sehr oft war dies nach seiner Ansicht der Fall. Am 19. März untersagte er der Geistlichkeit in sehr ungnädigen Ausdrücken, in Zukunft von der Kanzel gegen Vergehen zu predigen, ohne sie vorher der Obrigkeit zur Anzeige gebracht zu haben. Im Mai wurde Calvin in derben Worten wegen »zorniger und ungebühr- licher Äufserungen über den Magistrat, dem er Lauheit und Pflichtvergessenheit vorgeworfen, öffentlich zurechtgewiesen. Einen noch schärferen Verweis empfing er mit den übrigen Geistlichen einige Wochen später, weil er sich abermals tadelnde Be- merkungen über die öffentlichen Zustände erlaubt hatte. Man er- mahnte die Vorgeladenen, »nicht mehr in solcher Weise (auf der Kanzel) zu schreien« ; es sei ihre Pflicht, wenn sie sich über Un- ordnungen zu beklagen hätten, sich vor allen Dingen an den Rat um Abhilfe zu wenden. Vergeblich berief sich Calvin auf sein Gewissen und die Freiheit des geistlichen Amtes. Die Tage waren vorüber , wo die Träger der bürgerlichen Gewalt sich eine Kritik ihrer Regierungsweise auf der Kanzel hatten gefallen lassend«

Während der Magistrat der Geistlichkeit' in solcher Weise die alte Freundschaft vollständig aufkündigte, herrschte in der Menge ein Geist, der ihr noch viel feindseliger war. Gerade auf die niederen Klassen hatten die Vorgänge der letzten Jahre den allerungünstigsten Eindruck gemacht, und die Parteigänger Perrins , die Vandel und Berthelier, sorgten dafür , dafs das Geschehene nicht so bald in Vergessenheit geriet. Die »Kinder

' Ratsprot. 19, März [Ann. S. 422], 18., 21. Mai [ebd. S. 426]; 9. [eb.1. .S. 429] u. 12. Juli 1548. Roset V c. 19. \Roget III S. 46, 58 f.]

Widerstand gegen die Geistlichkeit in der Bevölkerung. lO^

von Genf« , die während des Perrinschen Prozesses wieder öffent- lich als Partei aufgetreten waren und sich zu einer förmlichen Macht entwickelt hatten , bheben auch nach Beendigung des Kampfes zusammen , nahmen den jungen Berthelier zu ihrem Führer und erklärten dem geistlichen Regiment unversöhnlichen Krieg. Ihr Einf^ufs im Volke war im Wachsen und wurde ins- besondere dadurch gesteigert , dafs sie , als die entschlossensten Widersacher des Emigrantentums, sich insgeheim zugleich des Schutzes der Berner erfreuten , deren Abzeichen sie öffentlich trugen'. Eine wirkliche seelsorgliche Leitung war unter solchen Umständen kaum mehr möglich. Über einige besonders drückende Bestimmungen der kirchlichen Ordonnanzen glaubte man sich so- fort mit offenem Trotz hinwegsetzen zu können. Bei einer Tauf- feierlichkeit in S. Peter kam es schon im Mai 1548 zu einem ärgerlichen Tumult , da der Geistliche sich weigerte , dem Kinde nach dem Willen des Vaters den durch die Gesetze verpönten Namen Balthasar zu geben. In wildem Lärm, in Schmähungen und Drohungen machte sich der Unwille der Anwesenden Luft. »Lange genug,« erscholl es aus den Reihen der Taufzeugen, »habe man das Joch der Prediger getragen, man sei es müde, sich noch länger von ihnen am Gängelbande führen zu lassen ; Blut müsse fliefsen, dann werde es wohl anders werden! ''«

Gegen solche Vorgänge liefs der Rat zwar nach der Strenge des Gesetzes einschreiten, aber indem er dies that, machte er aus seinen Gesinnungen kein Hehl und liefs die, welche er beschützte, selbst die Schwere seiner Macht empfinden. Calvin fühlte sich vereinsamt und hilflos. Es gereichte ihm einiger mafsen zum Tröste, dafs gerade in jenen Tagen ein langersehnter Freund, der Herr von

Ratsprot. 9. und 16. Juli 1548 [Ann. S. 429]. Roset V c. 19. Schon im März wird ein Plakat gegen die Geistlichkeit erwähnt. Ratsprot. 5. März 154S. Anc. et nouv. pol, S. 79 ff., wo dies Treiben Bertheliers und der Seinigen mit den grellsten Farben und offenbaren Übertreibungen ge- schildert wird. Über Berns Verhältnis zu ihnen vgl. Roset V c. 33. Die wich- tigste Persönlichkeit neben Perrin ist Vandel , sein Connetable, wie Bonivard ihn nennt, ungestüm, entschlossen, gewaltthätig , nicht wählerisch in den Mitteln , der volkstümlichen Rede mächtig , ein ehrlicher und uneigennütziger Charakter, aber ein abgesagter Feind aller Pfaffen ; wg\. Bonivard S. 45 ff., 76. Er ist kühner als der oft vorsichtig berechnende Perrin.

* CoDsistorialprot. 31. Mai 1548. [Ann. S. 426.]

I04 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

Falais, in Genf eintraf und sich an seiner Seite niederliefs^ Aber wie demütigend wieder für ihn, dafs der Mann, dem er die Vor- züge Genfs so oft gepriesen , ihn jetzt in solcher Lage finden mufste. Er wandte seinen Blick nach aufsen und versprach sich viel von einer Zusammenkunft mit Farel und Viret, die ihm schon so oft in Verlegenheiten geholfen-. Aber Viret lehnte die vor- geschlagene Zusammenkunft ab, da sie bei dem ungünstigen Rufe, in dem das »Triumvirat« schon stehe, nur zu neuem Argwohn Anlafs gebe und nichts nützen werde 3. In bitteren Worten schilderte er im Juli dem teilnehmenden Freunde in Neuenburg seine traurige Lage , die Gottlosigkeit und Unverschämtheit der Gegner, die Mattigkeit und Trägheit der Bessergesinnten, die doch noch die Mehrzahl bildeten ; niemand rege sich für die gute Sache, gerade ihre Feigheit, meinte er, mache den Gottlosen Mut und stärke sie in ihrer Bosheit-*.

Ein geringfügiger Umstand diente dazu , die Lage in der nächsten Zeit noch mifslicher zu machen. Im Sommer 1548 fiel den Gegnern ein vertrauliches Schreiben Calvins an Viret aus dem Jahre 1545 in die Hände, in welchem er sich in beleidigender Weise über den Genfer Magistrat aussprach und demselben Heuchelei und Unredhchkeit zum Vorwurfe machte. Das Schreiben stammte aus einer Zeit, wo Rat und Geistlichkeit äufserlich noch in dem besten Einvernehmen standen und machte daher einen um so ungünstigeren Eindruck. Nichts hätte in diesem Augen- blicke den Antiklerikalen erwünschter kommen können : das verhängnisvolle Schriftstück wurde ins Französische übersetzt, in zahlreichen Exemplaren verbreitet und machte auf Männer, die dem Reformator freundlich gesinnt waren, einen peinlichen Ein-

Opp. XIII S. 8.

^ Calvin an Viret 14. Mai 1548, Opp. XII S. 703 f.

3 »Scis enim quam male iam pridcin audlat triuniviratus«. Viret an Calvin 15. Mai 1548, Opp. XII S. 704. In Genf nannte man die drei Refor- matoren le Trepied; vgl. Colladoii, Opp. XXI S. 65.

■* Calvin an Farel 10. Juli 1548, »Video adhuc ptignandutn esse ncc finis apparet , donec prorsus fracti hostcs Juerint , quorum incredibilis est tum improbitas tum impudeutia. Animos facit eorum socordia aut certe ignavia, qui boni censeri vohint. Nihil enim fere in omnibus est Cordts, Itaque nondum tentatis remediis desperant.« Opp. XIII S. 3.

Calvins Schreiben vor dem Rate. IOC

druck. Der Rat lud den Verfasser vor, sich zu verantworten '. Calvin bekannte sich zu dem Inhalte und suchte ihn zu rechtfertigen ; ent- schlossen, der Gefahr Trotz zu bieten und nicht durch furchtsames Zu- rückweichen den Gegnern Mut zu machen''. Aber die öfifentliche Meinung war durch den Vorfall so sehr aufgeregt und gegen ihn einge- nommen dafs er es bald doch geraten fand, sich abermals an seine beiden Freunde in Neuenburg und Lausanne um Hilfe zu wenden und sie nach Genf einzuladen \ Sie leisteten dieses Mal dem Rufe Folge und ihr Erscheinen hatte den gewünschten Erfolg. Mit warmem Eifer nahm sich Farel vor versammeltem Rat^ des an- gegriffenen Freundes an. Man müsse , erklärte er , Rücksicht nehmen auf die hohen Verdienste und Geistesgaben desselben ; keiner komme Meister Calvin an Gelehrsamkeit gleich, keiner habe den Antichrist so nachdrücklich bekämpft als er : wenn er selbst Männer wie Luther und Melanchthon freimütig getadelt habe, so dürfe wohl auch der Genfer Rat von dem hochbegnadigten Manne solches hinnehmen. Die nachdrücklichen Worte des alten Eroberers verfehlten ihre Wirkung nicht und da Calvin in Gegenwart seiner Freunde eine beruhigende Erklärung abgab, die eine Art Abbitte enthielt, gab sich der Rat endlich zufrieden und erklärte den ganzen Vorfall für begraben, jedoch nicht ohne hinzuzufügen, »ein ander Mal müsse Calvin besser seine Pflicht thun^l«

So ging dieser Sturm vorüber. Aber Calvins Ansehen hatte einen neuen Stofs erlitten, und dafs gleichzeitig über den sittlichen

' Calvin an Farel lo. Aug.; an Viret 20. Sept. 1548, Opp. XIII S. 26 u. 54; Hiindeshagcu^ Conflikte S. 236 f. ; Roset \. V c. 2C.

- »Ego partim dissitnulo« schreibt er in dem angeführten Schreiben an Viret »partim libere profiteor , onmes eorum conatus mihi esse ludibrio, Vicisse enim se putarent , si quod in me animadverterent sigmitti forfnidiiiis ; nee sane qtiidqiiam est quod magis frangat eoruni itnpetus et bonos afiimet ad causam sustinendum quam mea fiducia.a

3 Calvin an Farel 8. Sept. 1548 (Opp. XIII S. 50); an Viret 20. Sept. (ebd. S, 54); Ratsprot. 24. Sept. [Ann. S. 435; lies jedoch Zeile 3 devenue anst. demeure, Zeile 15 mes que cest une callonye anstatt mes come cest une calomye].

■* Ratsprot. 15. u. 18. Okt. 1548 [Ann. S. 437 u. 439 ff.]. Roset V c. 20; Not. geneal. III, 528. Calvin erklärt unter anderm, dafs er nicht in der Ab- sicht geschrieben habe »de les blapsmer, tiy jamais 7iy pensaz pour les diffamez, ainsi que Ion le prentz et seroit bien marry de lavoir faictz, et en vouldroit bien respondre et souffrir pugttytion requerant prendre la choses a la bonne partzt [Ann. S. 441 ; vgl. auch Raget III S. 63 ff.]

Io6 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

Wandel seiner nächsten Verwandten die schlimmsten Gerüchte in die Öffentlichkeit drangen die Frau seines Bruders wurde des Ehebruchs angeklagt war nicht geeignet , denselben ab- zuschwächen \ In dem benachbarten Waadtlande erzählte man bereits, Calvin sei aus seinem Amte entlassen worden oder werde doch in kurzem gestürzt werden, wenn er sich nicht vollständig unterwerfe ^. Und so schien es in der That. Noch waren bis zum Herbst 1548 wenigstens der Justizlieutenant und seine Assessoren von der Partei Calvins gewesen : die Novemberwahlen nahmen ihm auch diese Stütze und beriefen entschiedene »Perrinisten« zur Verwaltung der Rechtspflege. »Von der Strenge der Richter,« schreibt er bitter an Farel, »werden die Bösen in diesem Jahre nichts zu fürchten habend.« Die Wirkung der Novemberwahlen wurden sofort sichtbar. Die Gegner des geist- lichen Regiments, die jungen Genossen Bertheliers trugen das Haupt höher als je. Man begegnete den Predigern mit offenbarer Verachtung und liefs sie bei jeder Gelegenheit empfinden , wie wenig sie noch in Genf bedeuteten. Calvins Name wurde kaum ohne ein schmähendes Beiwort genannt, man benannte die Hunde mit seinem Namen , aber ihn selbst Kain und weigerte sich, aus seinen Händen noch ferner das Abendmahl zu empfangen. Gegen Ende des Jahres nahm dieses Treiben einen bedrohlichen Charakter an. Fast keine Woche verging ohne ernsten Konflikt. In bewegten Worten schilderte Calvin am 14. Dezember vor ver- sammeltem Rate die traurige Lage der Stadt und bat dringend um Hilfe h.

Fast noch schmerzlicher als Calvin selbst wurde Farel von diesen Vorgängen berührt. Es erfüllte ihn mit Schmerz und

» Consistorialprot. 27. Sept., 18. Okt. 154S [Ann. S. 435, 441]. ^ Viret an Calvin 24. Okt. 1548; Opp. XIII S. 90.

3 Calvin an Viret 18. Nov. 1548; an Farel 27. Nov., Opp. XIII S. 103, 109. Geradezu als Galgenvögel bezeichnet Bonivard die Justizbeamten sowohl dieses als des nächsten Jahres : Anc. et nouv. pol. S. 74; darunter der Polizei- lieutenant Jean de la Maison neuve, der doch Bolsec wegen der Prädestination verhaften liefs! Vgl. M^m. de l'Inst. Gen. X S. 6.

4 Ratsprot. 14. Dez. 1548 [Ann. S. 442]. Calvin an Farel 12. Dez. 1548, Opp. XIII S. 125 f. Er erklärt in diesem Schreiben selbst, dafs er nicht geschwiegen habe, und seine Äufserungen mögen die Aufregung be- günstigt haben. Roset V c. 21.

Feindschaft gegen Calvin, keine Feindschaft gegen die Reformation. 107

Zorn, dafs der Mann Gottes von denen, welche ihm alles ver- dankten, unaufhörlich so Unwürdiges erdulden müsse. Er fand diese neuen Gegner schlimmer und verabscheuungswürdiger als alle früheren: in den jetzt am Ruder befindlichen Anhängern Perrins erblickte er geradezu Werkzeuge des Antichrists zu völligem Umsturz des Christentums. Gottes Langmut sei zu bewundern. Aber, tröstet er den Freund, sie werden bald ihr Ende erreichen. Mit dem Ernste eines alttestamentlichen Propheten verkündete er der undankbaren Stadt das göttliche Strafgericht an, wenn sie nicht bald in sich gehe und Bufse thue, Genf werde andern zum warnenden Beispiel werden und die gottlose epikuräische Rotte erfahren, dafs es noch einen Gott gebe, der die Laster bestrafe, die sie ungeahndet lasse \

Aber der eifrige Seelenhirt von Neuenburg sah auch dieses Mal zu düster. Dem Evangelium drohte in Genf keine ernste Gefahr. Die Männer, die gegenwärtig am Ruder safsen, bekannten sich ebenso entschieden zu der »Reformation und den hl. Evangelien« als ihre poHtischen Freunde und Gesinnungsgenossen in Bern. Was aber aufhören, sollte, war die hervorragende Stellung, die Calvin für die Träger des geistlichen Amtes in Staat und Kirche in Anspruch nahm und thatsächlich schon zur Geltung gebracht hatte. Diese zu beseitigen, hatte sich die neue Behörde von An- fang als Aufgabe gesetzt ; sie hatte keine Gelegenheit vorübergehen lassen, die Diener des Worts in die ihr angemessen scheinenden Schranken zurückzuweisen, sie hatte in der letzten Zeit sogar in bedenklichem Grade man kann dies nicht leugnen den Leidenschaften der Menge die Zügel schiefsen lassen ^ , offenbar in der Absicht, den Bedrohten ihre Ohnmacht und Hilfsbedürftig- keit in fühlbarer Weise zum Bewufstsein zu bringen. Als dies gelungen, nahm sie sofort eine andere Haltung an.

Am 18. Dezember 1548 entbot der Rat die Geistlichen auf das Stadthaus. Hier vereinigte beide ein öffentliches Friedens- und Versöhnungsmahl. Eine allgemeine Amnestie wurde ver- kündet: alles was bisher gesündigt, soll vergeben und vergessen sein, aber in Zukunft soll Ruhe und Eintracht herrschen und mit

Farel an Calvin 7. Dez. 1548; Farel an Viret 2. Jan. 1549! OpP- ^m S. 118 ff., 139 ff.

* »Hacc ratio est, ut uno verbo pOtnain cffugiant, qui nobis malcdicunt« schreibt Calvin noch am 18. Dez. an Viret; Opp. XIII S. 131.

Io8 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

kräftiger Hand von der Obrigkeit beschützt werden ^ . Wenige Wochen später that diese Obrigkeit einen weiteren Schritt , der ihre Absichten deutlich offenbarte und Farels Anklagen völlig widerlegte.

In einer feierlichen Proklamation, die in sämtlichen Kirchen nach der Predigt und Katechese verlesen werden mufste, wandten sich Syndike und Rat am i8. Januar 1549 an die Bürger und Ein- wohner der Stadt Genf, um sie zu einem wahrhaft christhch- evangelischen Leben zu ermahnen. Die Obrigkeit, heifst es, sei dem höchsten Richter Rechenschaft schuldig über die Unter- thanen , die durch die göttliche Barmherzigkeit ihrer Obhut an. vertraut seien. Es sei aber von ihnen leider die Wahrnehmung gemacht worden, dafs die Verordnungen und Gesetze, die sie gemäfs der evangelischen Reformation erlassen, nicht, wie sie es gewünscht und gehofft, beobachtet , sondern vielmehr verachtet würden. Sie würden undankbar sein für die empfangenen gött- lichen Wohlthaten, und Gott würde das Blut ihrer Untergebenen aus ihren Händen zurückfordern, wenn sie durch ihre Schuld und Saumseligkeit Gott und seine heiligen Gebote mit Füfsen treten liefsen. Eingedenk des Beispiels der frommen Könige der alten Kirche und der christlichen Obrigkeiten, die sich das Wort Gottes zur Richtschnur gewählt, wolle daher auch der Genfer Magistrat nach der ihm verliehenen Kraft und Gnade dem Übel steuern und er- kläre somit allen Untergebenen sein höchstes Mifsfallen darüber, dafs die evangeHsche Predigt , die man täglich gehört , nicht besser befolgt, die Verordnungen, die der Rat erlassen, nicht nach Gebühr befolgt worden seien. Und dabei sei auch von den Dienern des götthchen Wortes gesündigt worden, indem dieselben weder durch Ermahnungen noch durch das Beispiel eines guten Wandels der Pflicht ihres Amtes Genüge geleistet^. Angesichts dieser fast allgemeinen Pflichtvergessenheit und Übertretung der göttlichen Gebote und obrigkeitUchen Verordnungen gegen papistische Cere-

I Ralsprot. 18. Dez. 1548 [Ann. S. 442 f.]; Roset 1. V c. 21 ; Beza^ Opp. XXI S. 140 f. \Roget III S. 79 bringt diese Versöhnung mit den ge- fahrdrohenden auswärtigen Verhältnissen in Zusammenhang.]

^ ^En qtcoy les ministrcs de la parolle de Dien ont este negligentz et nont pas faict leur debvoir dexcercer leur office en admonestani et reprenant les vices et monstrant bonne exemple , comme Hz y sont tenus et que leur vocation le parte m.

Proklamation des Rates.

109

monien, Aberglaube, Lästerung, Trunkenheit, Zauberei, Üppigkeit, Spiel, Unzucht, ausgelassenes Wesen, Wucher und andere Laster, die gegenwärtig in Genf im Schwange gingen und Gottes Zorn herausforderten, thue man einem jeden kund, dafs die Obrigkeit eine bessere Ordnung herstellen wolle. »Darum erklären wir,« schliefst das merkwürdige Schriftstück, »dafs es unser fester Ent- schlufs ist, allen Fleifs und Ernst daran zu wenden, alle unsere Untergebenen ohne Unterschied zu einem christlichen Lebens- wandel zurückzuführen, und befehlen wir hiermit einem jeden, wer es auch sei, nach Stand und Gelegenheit hierzu seine Hand zu bieten ; die Familienväter sollen ihre Angehörigen belehren und Kinder und Gesinde zum Besuche der Predigt und Katechese anhalten; unsere Offiziere sollen darüber eifrig wachen, dafs die erlassenen Gesetze und Verordnungen befolgt werden und ihnen überall ohne Furcht vor Empörung und Unruhe Achtung verschaffen ; diejenigen, welche ein öffentliches Amt bekleiden , sollen den übrigen mit einem guten Beispiel vorangehen; ebenso sollen auch die Geist- lichen fleifsig die Pflichten ihres Amtes erfüllen und im Belehren, Ermahnen, Verhüten der Laster sorgsamer und eifriger sich zeigen, als sie es bisher gewesen sind so dafs Pnr, alle und einzeln, die Ehre Gottes befördert und ihn zu beleidigen fürchtet, unsern Zorn aber und schwere Bestrafung zu vermeiden trachtet^.«

Man hat diese merkwürdige Proklamation als einen Triumph Calvins ansehen wollen , der damals ledighch durch den Ernst seiner Ermahnungen Syndike und Rat genötigt habe, einen Erlafs zu unterzeichnen, der mit ihrer eigenen Überzeugung im grellsten Widerspruch gestanden und ihr eigenes Thun verdammt habe ^.

Abgedruckt Opp. XIII S. 158; auch bei Gabcrel I Pieces just. S.133 ff.

^ So namentlich Stachelin I, 408, der jedoch die Worte über den Klerus gemildert wiedergiebt und den Rat sich selbst anklagen läfst, wovon in dem Erlafs keine Spur vorhanden ist. Rosct erwähnt den Erlafs gar nicht, was er gewifs gethan hätte , wenn er als ein Sieg Calvins anzusehen war. Auch die Geistlichkeit sieht ihn nicht so an: »Le dimanche 18. Janvier jJ4g«, heifst es in den Aufzeichnungen der Ven. Comp. A. p. 60, »tin ma>i dement de syn- diqtics et conseil de Gcnevc fut hi aux sermons et catechismcs par Ic comitian- dement de Mess. tonchant la re/ormation« . Dafs die Vorstellungen Calvins den Anlafs gaben, ist möglich, sogar wahrscheinlich. [Über den richtigen Ursprung der Proklamation, die sich an eine kurz vorher erlassene Kundgebung der Berner anlehnte, vgl. Rogct III S. 82. Die Bemerkung der Reg. du Conseil über den Anteil Calvins (Opp. XIII S. 158 n. i) scheint sich doch nur auf die Veröffentlichung der Proklamation zu beziehen.]

lio Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

Seltsamer Sieg, wo der Sieger von dem Überwundenen sich zu- rechtweisen läfst! In Wahrheit enthielt der geistlich- weltliche Hirtenbrief vom i8. Januar die eigensten Gedanken der weltlichen Behörde selbst, den vollendetsten Ausdruck des Programms, der ihr von Anfang an vorgeschwebt hatte. Dieser Erlafs verkündete es jedermann, dafs die weltliche Obrigkeit wie es Calvin selbst theoretisch stets, nie aber praktisch zugegeben über Staat und Kirche zu regieren habe , und dafs sie entschlossen sei , in Zu' kunft ihr Recht in vollem Umfange auszuüben.

Und demgemäfs wurde fortan wirklich in Genf regiert. Zum ersten Syndik wurde trotz aller Erinnerungen Calvins bei der nächsten Wahl im Februar kein anderer gewählt als sein verhafs- tester Gegner Ami Perrin, der Generalkapitän. Diese Wahl brachte völlige Klarheit in die Lage der Dinge und öffnete dem Refor- mator über das was ihm bevorstand, vollends die Augen. Zwar grundlos ist die Angabe eines Chronisten, der mit der Erhebung des Generalkapitäns ein Regiment Minder Leidenschaft, Parteilich- keit und Rachsucht in Genf beginnen läfst ^ , aber es war doch von einem Manne, der so herbe Erfahrungen gemacht hatte, nicht wohl zu erwarten, dafs er jetzt, wo er die Gegner zu seinen Füfsen und von sich in Abhängigkeit sah , seine persönlichen Ansichten vollständig unterdrücken werde. Doch benahm sich Perrin im Ganzen würdig und mafsvoll. Äufserlich herrschte unter seinem Syndikat eine gröfsere Ordnung und Ruhe in Genf als seit vielen Jahren, so dafs Calvins Biograph das Jahr 1549 als eins der ruhigsten und glücklichsten bezeichnet-. Die Predigten wurden nach dem eigenen Geständnis Calvins fleifsig besucht. Das Con- sistorium erliefs in gewohnter Weise und ohne gröfsere Störungen

' Vgl. Anc. et nouv. pol. S. 70: »Lc royaume de Perrm fut plus dan- gt'retix que dcvant a cause que par avant en son cueur nhavoit que ainbition et a ce vice se joignit convoitise de vengeance. Celluy qui faisoit quelque antrage a un predicant ou pour amour de luy a quelque Francois ou autre ctrauger (car ils comprenoient tous ctrangers soubs le nom de Francois) nen demeiiruit seulement intpuni , 7nais cstoit le bien venu , partie par despit du Magniffique, Partie par despit de Calvin« etc. Es charakterisiert Bonivards Glaubwürdigkeit, dafs er Perrin schon das Jahr zuvor das Syndikat erlangen läfst (S. 69) An- gaben, die Stacheliii und andere wiederholen.

"^ ^Ut etsi non extincta prorsus, altatnen ad tempus sopita furiosorum

iviprobitas videretur Annus ille felix nobis exactus est, si cum caeteris

conferatur«. Beza, Opp. XXI, S. 141, 142. Und die Angabe Bonivards!

Strenges Vorgehen des Rats in kirchlicher Hinsicht. I 1 1

Vorladungen und Sentenzen. Der Rat selbst trug für würdige und regelmäfsige Abhaltung des Gottesdienstes Sorge. Am 24. Ok- tober empfingen die Geistlichen sogar den Befehl, jeden Morgen zu predigen ' ; die alten Disciplinargesetze, die Verordnungen gegen das Spiel wurd.en erneuert ^ gegen Unordnungen mit aller Strenge eingeschritten und gegen Berthelier, als er es zu arg trieb, ein Haftbefehl erlassen 3. Sogar der Satz Calvins, dafs jede offen- bare Auflehnung gegen die göttliche Majestät als Hochverrat mit dem Tode zu bestrafen sei , blieb in seiner vollen Strenge und Geltung. Ganz im Geiste der calvinischen Gesetzgebung erlitt im Herbst 1549 Raoul Monet, ein sittlich verkommener Mensch, der eine Reihe von unzüchtigen Handlungen verübt und eine Samm- lung obscöner Bilder als sein Neues Testament bezeichnet hatte, den Tod durch Henkers Hand. Dafs der Missethäter früher zu den eifrigsten Anhängern Calvins gehört hatte, scheint von den Richtern allerdings nicht als Milderungsgrund angesehen worden zu sein ■♦.

Man sieht : sehr entschieden nahm die perrinistische Behörde in Befolgung des Edikts vom 18. Januar die religiösen Interessen in Schutz und völlig ungerechtfertigt war es , wenn Farel der Partei des Generalkapitäns sogar unchristliche Tendenzen zuschrieb. Aber nicht minder entschieden behauptete sie zu gleicher Zeit und in gleicher Übereinstimmung mit der Proklamation ihr höheres Recht über Kirche und Geistlichkeit. Das staatliche Aufsichts- recht, welches ja der Wortlaut der kirchHchen Ordonnanzen selbst anerkannte , würde von ihr in der vollen Bedeutung des Wortes durchgeführt , nicht mehr in der Weise , wie Calvin es ausgeübt wissen wollte, nicht mehr unter thatsächlicher Leitung der Geist-

^ Ratsprot. 24. Okt. 1549, Ann. S. 457. [Über den Widerstand der Geistlichen vgl. Roget III S. Iio f.]

^ Ratsprot. 17. Dez. 1549.

3 Ratsprot. 9. Aug. 1549, Calvin an Viret 21. Aug. 1549; Opp. XIII S. 366. [Vgl. Roget III S. 107 f.] Schon das Jahr zuvor war gegen Ber- thelier eingeschritten worden: Consistorialprot. 23. Aug.; Ratsprot. 30. Aug. 1548.

Roset V, 26. Anc. et nouv. pol. S. 78 ff. ; Quelq. pag. S. 10; Nouv. pag. S. 73, 75. [Vgl. Opp. XX S. 407 und Roget III S. 112 flf.] Dafs die Katastrophe Monets ein Werk der perrinistischen Partei war, zeigt die Art und Weise, wie derselben in der Schrift Contra libellum Calvini gedacht wird. [Vgl. Rüget III S. 115.]

112 Fünftes Buch, Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

lichkeit selbst, sondern wirklich und wahrhaft nach dem Vorbilde Berns. Die Form, in der es geschah, war oft geradezu verletzend. Man kontrollierte das auf der Kanzel gesprochene Wort und liefs keine geisthche Ungebührlichkeit oder was dafür galt ungerügt ^ Kirchliche Reform vorschlage von Seiten Calvins und der ehr- würdigen Genossenschaft, deren Annahme sich früher fast von selbst verstand, wurden jetzt mit umständlichem Ernst geprüft und mehr als einmal zurückgewiesen^. Man befahl den Dienern des Worts, nicht zu lange zu predigen und häufiger als bisher das Gebet des Herrn und die zehn Gebote herzusagen 3. Die Censur, deren Handhabung der Rat früher thatsächlich Calvin überlassen hatte, wurde schon seit dem Herbst des Jahres 1548 auch gegen ihn selbst angewandt : man liefs ihn längere Zeit und sehr bitter empfand er namentlich dies warten, bis ihm der Druck einer Schrift gegen das Interim gestattet wurde. Dem Verfasser einer Schrift gegen Cochläus wurde aufgegeben , vor dem Drucke die Schimpfworte aus dem Werke zu entfernen^. Es fehlte nicht an Stimmen , welche meinten , es würden überhaupt schon zu viel Bücher gedruckt.

Am 22. Oktober 1549 verkündete eine Verordnung des Rates, dafs fortan »stets einige Herrn aus dem Rate der Kon- gregation der Geistlichen beiwohnen, um zu hören, was da vor- gehe« 5. Schon seit dem vorigen Jahre hatte der Rat die höchste Entscheidung in Ehesachen für sich in Anspruch genommen, und eine Ehe , die Calvin erlaubte , für unstatthaft erklärt : es Wieb dem Zurechtgewiesenen nichts übrig, als sich dem Machtspruch der weltlichen Gewalt auch in dieser Frage zu unterwerfen^.

Was Calvins Stellung dem Rate gegenüber noch mifslicher machte, war, dafs er in seinen Amtsbrüdern keineswegs die nötige

' Vgl. z. B. Ratsprot. 12. u. 25. März 1549. Vgl. Roget III S. 89 ff.

* Ratsprot. i. Juli, 13. Sept. 1549.

3 Ratsprot. 24., 28. Okt. 1549 [Ann. S. 457]. Vgl. Roget III S. iioff.

+ Ratsprot. 29. Nov. 1548 [Ann. S. 442], 21. Febr. 1549. Calvin an Farel 27. Nov., 12. Dez. 1548; Opp. XIII S. iio, 126. Vgl. Roget III S. 78, 84, 88.

5 Ratsprot. 22. Okt. 1549; Roget, L'ßglise et l'Etat S. 50.

'' Ratsprot. 30. Aug. 1548 [Ann. S. 433]. Calvin an Farel 8. Sept. 1548; Opp. XIII S. 51. Not. genial. III, 530 ff. Eine noch weiter gehende Verordnung des Rates s. Ratsprot. 5. Nov. 1548. Vgl. Roget ^ L'Eglise S. 45 f.

Verminderte Machtstellung des Consistoriums. 1 1 ■?

allgemeine Unterstützung fand. Statt Hilfe wurden ihm vielmehr von denselben oft genug Schwierigkeiten bereitet. Es gab unter ihnen trotz der wiederholten Reinigung der ehrwürdigen Genossen- schaft immer noch Unsichere und Zweifeihafte, Männer, die ohne gerade den Standpunkt des Rates zu teilen , doch Calvin gram waren , sein Joch wider Willen ertrugen und die gegenwärtige Lage der Dinge , die Erschütterung der Autorität ihres Meisters sich zu Nutze machten. In der geistlichen Kongregation fielen Scenen vor, die nichts weniger als erbaulich waren. Als im Früh- jahr 1542 der Prediger von Vandoeuvres , Philipp de Ecclesia, »weil er einige Sätze aufgestellt, die nicht zur Erbauung dienten, und unnütze Fragen angeregt habe« , aus seinem Amte entfernt werden sollte, lehnte sich der Verurteilte gegen den Spruch seiner Kollegen auf, verlästerte sie und fand einen Rückhalt in dem Rat, welcher die Geistlichen ersuchte, ihrem Mitbruder zu verzeihen. Jene bestanden indes auf der Absetzung, der Rat auf der Ver- zeihung, und die Bitte der weltlichen Herren war schliefslich wirk- samer als der Beschlufs der geistlichen. Das Ende war, dafs Philipp, von dem Rate geschützt, in seinem Amte blieb, die Kon- gregation aber , obschon sie ihn für einen Schismatiker und Un- würdigen erklärte, ihn doch zu »dulden« sich entschlofs , »weil die Herren es wollen«, und auf diese alle »Verantwortlichkeit« wälztet Noch unangenehmer für Calvin wurden die Verhand- lungen gegen ein anderes Mitglied der Genossenschaft, den Pre- diger Ferron , der früher zu seinen bevorzugten Günstlingen ge- hört hatte. Derselbe sollte wegen unsittlicher Handlungen aus der Stadt auf eine Landpfarre entfernt werden, trat aber dieser Anordnung des geistlichen Kollegiums mit frechem Trotz ent- gegen , indem er insbesondere gegen Calvin die ärgsten Beschul- digungen erhob , ihn einen hochmütigen , rachsüchtigen , ränke- vollen Menschen nannte, der nur Schmeichler um sich dulde und schon längst auf eine Gelegenheit gesonnen, ihn zu beseitigen^. Dieses Mal trat die weltliche Behörde, nachdem die Kongregation ihrem Oberhaupte eine Ehrenerklärung ausgestellt hatte, auf Cal- vins Seite und der Angeklagte wurde aus seinem Amte entfernt.

' Vgl. die Aufzeichnungen der Venerable Compagnie zum 15. Febr., 6. u. 12. April 1549, Ann. S. 446, 431. Raset V c. 25 [Raget III S. 91 fF.]

* Vgl. Vener. Comp. 12. April 1549, Ann. S. 451. [Roget III S. 93 ff.] Kampschulte, J. Calvin II. 8

IIA Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

Dann aber brach sofort ein neuer Streit aus über die Wieder- besetzung der erledigten Stelle , für welche Calvin , als verstehe sich dies von selbst, auf der Stelle einen Refugid aus Lyon, Fabri, in Vorschlag brachte. Der Rat erhob Widerspruch. Eines Nachfolgers Perrons , erklärte er, bedürfe es nicht, die vorhan- denen sechs Prediger seien völlig ausreichend , die Stadt habe ohnehin schon zu viel Ausgaben zu machen. Es folgten längere, für die Diener des Worts recht demütigende Verhandlungen, bei denen sie nach ihrem eigenen Ausdrucke nicht dem Ansehen ihres Standes gemäfs , sondern wie »Stallknechte« behandelt wurden. Erst nach wiederholten dringlichen Vorstellungen willigte der Rat am 14. Oktober in die Einsetzung eines neuen Predigers \

Es waren trübe , sorgenvolle Tage , die Calvin damals durch- lebte und wehmütig gedachte er oft der früheren besseren Zeiten. Neben den fortwährenden Anfeindungen und Demütigungen , die er durch den Rat erfuhr, trafen ihn damals noch Schläge anderer Art. Im Frühjahr 1549 verlor er nach einer neunjährigen Ehe seine Gattin, »die treue Gehilfin im Dienste des Worts«, die in Freud und Leid ihm treulich zur Seite gestanden und, wie er ilir nachrühmt, selbst in den Tod mit ihm gegangen sein würde ^ Seine eigene schwächliche Gesundheit hatte unter den An- strengungen und Aufregungen der letzten Jahre bedenkhch ge- litten. In seiner damaligen Korrespondenz begegnen wir wieder- holt Klagen über schmerzhafte Krankheitsanfälle. Ein nervöses Kopfleiden, mit dem er schon seit jungen Jahren behaftet war, machte ihn oft Tage lang zu jeder Arbeit unfähig. Dazu kamen die unaufhörlichen Reibungen mit Bern, wo Theologen und Staats-

' Aufzeichnungen der Vener. Comp. A. p. 75, 76, 78, 79, 80. [Vgl. Ann. S. 451 ff.]. Jioset V c. 25; vgl. Roget III S. 109 f. Es ist bemerkens- wert, dafs nach dem Beschlufs der Compagnie die Heterodoxie Ecclesias strenger bestraft werden sollte als die Unsittlichkeit Perrons, während der Rat die entgegengesetzte Auffassung vertrat und durchsetzte. Über weitere Vor- ladungen von Predigern (Durand und Nynault) vgl. Opp. XIII S. 646 f.

* oPrivatiis sum opth/ia socia vitae« , schreibt er am 7. April an Viret, 'quae, si quid accidissct durius, non exsilii tantum ac inopiae voluntaria comes, sed mortis qtioquc ftitura erat, Qiioad vixit, fida quidein ministeiii mei adiutrix ftiit*. [Opp. XIII S. 230]. Viret rühmt indes die Standhaftigkeit, mit der er den Verlust ertrage [an Calvin 10. April; ebd. S. 233 f.]. Vgl. Colladon , Opp. XXI S. 71.

Persönliche und allgemeine Sorgen Calvins. X l c

männer fortfuhren, ihm heimlich und öffentlich Verlegenheiten zu bereiten , unerfreuliche Nachrichten aus Frankreich und insbeson- dere die traurige Lage der evangelischen Partei in Deutschland nach dem Unterliegen des schmalkaldischen Bundes , worüber er durch seine Freunde, die Bucer, Farel , Brenz, Bullinger die be- unruhigendsten Mitteilungen empfing '. Mit einer fast fieberhaften Aufregung verfolgte er die Fortschritte der kaiserlichen Waffen; er fand das Zurückweichen und die Nachgiebigkeit der Deutschen unentschuldbar : Gottes Strafgericht, meinte er, werde einer solchen Feigheit und Treulosigkeit nicht ausbleiben. Das Interim, dieses »Idol, das nicht blofs das Äufsere des Tempels Gottes entstelle, sondern die ganze Heiligkeit der Kirche besudele und vernichte, das die gesamte Gottesverehrung (cultus Dei) überhaupt er- schüttere und nichts in unserer Religion unbesudelt lasse« ', er- füllte ihn mit Zorn und Ingrimm : in einer eigenen Streitschrift gegen dasselbe machte er der Bitternis seines Herzens Luft. So sehr nahm er sich den Gang der Dinge in Deutschland zu Herzen, dafs er zu Zeiten den Kummer im eigenen Haus darüber voll- ständig vergafs. »Fast wie ein Kinderspiel im Schatten«; schreibt er einmal an Farel , »kommen mir meine Kämpfe vor, wenn ich bedenke, welche Anfechtungen unsere Brüder zu bestehen haben« 3. Indes die auswärtigen Verhältnisse gestalteten sich nach einiger Zeit wieder günstiger und auch die Nachrichten , welche Calvin aus Deutschland empfing , wurden beruhigender , dagegen dauerten die Bedrängnisse seiner Lage fort. In die Fufsstapfen der perrinistischen Syndike und Räte des Jahres 1549 traten ihre Nachfolger ein. Der Zustand blieb derselbe. Das Recht der Staatsgewalt auf dem geistlichen Gebiete wird mit Eifersucht ge- wahrt, der Klerus streng innerhalb der Grenzen gehalten, die man ihm angewiesen , keine Überschreitung der geistlichen Befugnisse

' Brenz an Calvin 6. Okt. 154S (Opp. XIII S. 58 f.) ; Bullinger an Calvin 15. Okt. (ebd. S. 60 f.); Calvitv an Brenz 5. Nov. i54S'(ebd. S. 97 f.); Calvin an einen Unbekannten 5. Nov. 1548 (ebd. S. 99 f.) ; Farel an Calvin 19. Nov. (ebd. S. 104 f.); Bucer an Calvin 9. Jan., 7. Febr., 20. Febr. 1549 (Opp. XIII S. 147 ff., 181, 198 f.); ein Unbekannter an Calvin il. Febr. (ebd. S. 182); Hoperus an Calvin 12. Febr. (ebd. S. 1S5); Calvin an Viret 19. Febr. (ebd. S. 197).

* Vgl. Interim adultero-germanum (1549); Opp. VII, 673.

3 Opp. XIII S. 126.

1 1 5 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

geduldet. Für Hebung des kirchlichen Lebens zeigte sich der neue Magistrat dabei nicht minder eifrig als der vorjährige : man vermied jeden Schein eines unkirchlichen Regiments und nannte sich gern eine christliche Obrigkeit. Billige Anträge des geisf liehen Kollegiums, die in angemessener Form vorgebracht wurden, wurden jederzeit in Erwägung gezogen und, wenn sie den »Herren« zweckmäfsig schienen, zur Ausführung gebracht. Mehr als eine wich- tige kirchliche Einrichtung ist gerade um diese Zeit unter der antiklerikalen Behörde ins Leben getreten. Im Jahre 1550 war es, dafs der Rat auf den Antrag der Geistlichkeit die Einführung der regelmäfsigen Hausvisitationen beschlofs, »zum grofsen Nutzen der Gläubigen«, wie die Chronisten rühmen^. Ebenso bereitwillig wurde dem Antrage auf endgültige Abschaffung der vielbestrittenen Berner Feiertage nachgegeben-. Als man im Frühjahr 1550 bei einer Haussuchung ein von der Hand des vor drei Jahren hingerich- teten Jacques Gruet geschriebenes Buch fand, in welchem derselbe sein System im Zusammenhange entwickelt hatte ^, wurde dasselbe Calvin zur Prüfung übergeben und auf seinen Antrag öffenthch durch Henkershand dem Scheiterhaufen überantwortet, »damit der göttliche Zorn nicht über Genf komme, weil man eine so entsetz- liche Gottlosigkeit geduldet«. Die Auffindung dieses Buches, welches die früher gegen Gruet erhobene Anklage wegen Reli^ions- verspottung in vollem Mafse rechtfertigte und mit erschreckender Offenheit und frechem Spott über Bibel und Christentum ein System des vollendetsten Unglaubens predigte, war gewissermafsen ein Triumph für Calvin, der jene Anklage betrieben, und erweckte bei Rat und Geistlichkeit wieder das Bewufstsein der Gemeinsam- keit ihrer Interessen gegenüber den Radikalen. Im nächsten Jahre wagte die Geistlichkeit dem Rate einen Entwurf zu einem neuen Staatsgesetze "♦ gegen leichtsinniges Schwören, Fluchen und

I Raset V 27; Beza, Opp. XXI S. 142. Vgl. Bd. I S. 436 f. [Raget III S. 1 19/120],

^ Roset V c. 30. Beza, Opp. XXI S. 142. Aufzeichnungen der Ven. Comp, zum 16. Nov. 1550 [Ann. S. 471]. Calvin an den Pfarrer von Büren, Jan. 1551; Calvin an Haller 2. Jan. 1551, Opp. XIV S. i ff. , 4 f. [Roget III S. 122 f.]

3 Die betreffenden Dokumente sind mitgeteilt Opp. XIII S. 566 ff. Vgl. ferner Mem. de l'Inst. Gen. XVI S. 116 ff.

■* Die drei Redaktionen des Gesetzes sind abgedr. Opp. X, i S. 59 ff. Das endgültige Gesetz vom 25. Dez. 1551 : S. 6t^. Diese drei Redaktionen

Entgegenkommen des Rats in geistlichen Angelegenheiten. ny

Gotteslästern vorzulegen , der an Strenge sogar alle früheren Ver- ordnungen überbot und gegen den Gotteslästerer nicht blofs die gewöhnliche Strafe, Geldbufse, Gefängnis >bei Wasser und Brot« und öffentliche Abbitte , sondern im Wiederholungsfalle Stellung an den Pranger, Brandmarkung und Verbannung angewendet wissen wollte. Der Rat fand den Entwurf »etwas zu streng«, verwarf ihn aber nicht, sondern eignete sich seine Tendenz voll- ständig an. Es wurde während mehrerer Monate darüber ver- handelt und am 25. Dezember das neue Gesetz schliefslich in einer Fassung angenomntien , welche zwar die härtesten Bestim- mungen des ursprünglichen Entwurfes milderte , aber mit Hin- weisung auf den Propheten Isaias es für die Pflicht der christ- lichen Obrigkeit erklärte, leichtsinniges Schwören, Fluchen, Läste- rung des göttlichen Namens mit allem Ernst zu unterdrücken und demgemäfs nicht blofs die Lästerer selbst mit strengen bürger- lichen Strafen, Geld- und Gefängnisstrafen, öffentlicher kniefälliger Abbitte belegte , sondern zugleich jeden Staatsbürger , der einen andern fluchen, schwören oder lästern hörte, bei Strafe von I o Sols verpflichtete , denselben freundlich zum Gehorsam gegen die göttlichen Gebote und obrigkeitlichen Verordnungen zu er- mahnen und sogar dem Magistrat Anzeige zu machen.

Es entsprach der Tendenz der gegenwärtigen Staatslenker, dafs dem Diener des Wortes überhaupt eine gröfsere Freiheit und gröfserer Einflufs gestattet wurde, so oft es sich um einen Angriff auf den Glauben handelte. Denn rechtgläubig wollten auch sie vor allen Dingen sein. Darum bHeben die alten Strafgesetze gegen Ketzer und Papisten in Kraft: auch unter dem antikleri- kalen Rate wurden Anabaptisten eingekerkert, Katholiken oder des Katholizismus Verdächtige verfolgt, papistische Bücher ver-

vom 18. Aug., 23. Nov, u. 25. Dez, 1551 verhalten sich so zu einander, dafs die zweite die Härten der ersten , die dritte die der zweiten mildert. In dem ursprünglichen Entwurf heifst es: »Que nul nayt a despitcr Ic nom de Dieu sitr poine destrc mis au colier par lespace de trois /teures et de la en prison au pain et a kau jusques a dimanche prochain et que lirs il soit amene a la parte de leglise pour demander a Dieu la torclie au poing. Quiconque y retour- nera pour la seconde fois, quil snt fletry et banny de la ville«. Der zweite Entwurfläfst die Brandmarkung und Geifselung fallen, behält aber den Pranger und die zeitweilige Verbannung bei, das Gesetz streicht beides.

Il8 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

brannt^. Gegen Ketzer und Götzendiener hatte der Prediger auch auf der Kanzel volle Redefreiheit. Durfte es Calvin doch sogar wagen, einen angesehenen Bürger, der nur im Verdachte katho- lischer Sympathien stand , als derselbe als Taufzeuge auftreten wollte, von der Kanzel und vor versammelten Gläubigen aus dem Tempel auszuweisen-. Nimmer hätte ein Prädikant in der be- nachbarten Schweiz sich solches herausnehmen dürfen. Sogar bei rein politischen Fragen zog liie Behörde wohl noch den Refor- mator, wenn sie ihm eine besondere Kenntnis der Sachlage zu- traute, zu Rate 3.

Indes bei alledem vergafs sie doch keinen Augenblick ihren Standpunkt und fast in jeder ihrer Handlungen verkündete sie, dafs das wirkliche und wahre Regiment in der Kirche wie im Staate ihr zustehe. Die Mitglieder der ehrwürdigen Genossen- schaft bekamen bei jeder Gelegenheit ihre Abhängigkeit zu fühlen. Der Verkehr zwischen ihnen und dem Rate bewegte sich in streng abgemessenen Formen: von vertraulichen Beratungen mit ihnen, wie der häufigen Konsultation des »Herrn Calvin« durch die Syndike war nicht mehr die Rede. Man nahm die geistlichen Anträge an wie andere Eingaben, prüfte sie, genehmigte oder ver- warf sie, je nachdem der hochweise Rat das Vorgeschlagene im göttlichen Worte begründet fand oder nicht: den mancherlei Be- willigungen standen ebenso viele Ablehnungen gegenüber. Ver- suche der Geistlichkeit, eigenmächtig zu handeln oder die erlangten Befugnisse zu erweitern , wurden schon iin Keime erstickt, über die Amtsführung der einzelnen Prediger und den gesamten kirch- lichen Kultus eine strenge Kontrole geübt. Man erliefs ein-

' Consistorialprot. 15. u. 22. Mai 1550 [Ann. S. 464, 465); Ratsprot. 19. Mai 1551 [ebd. S. 482], 5. Aug. 1552 [ebd. S. 515].

» Vgl. Haller an Bullinger 22. Okt. 1550 (Opp. XIII S. 646). >^De Calvino audi factum mirabile. Die Martis cum multutn de idololatria dixisset, noluit de suggestu descendere , nisi idololatra quidatyi dives , qiti veiiit de S. Claudio , deposito puero quem ad baptismum attulisset , templuin exiisset et munus alii com/nendasset. Magna id contentione est effectum^ quia ex opti/nis Gcnevensiuin civibus erat, ut hodie nominantur boni viri. Hoc factum tanquam Ambrosiana celehratur constantia, Man sieht , der Berner kann sein Er- staunen nicht verbergen.

3 Calvin an Farcl 19. Aug. 1550, (Opp. XIII S. 623 ff.). Rosct V c. 29. Ob man dabei etwa die Absicht hatte , ihn um so mehr mit Bern zu verwickeln ?

Oberherrschaft des Staates über die Kirche. ng

schränkende Verordnungen über das Verhör der Dienstboten bei Gelegenheit der Hausvisitation, da die Erfahrung zeigte, dafs des Guten hier zu viel geschah ; man nahm Kenntnis von der Vor- tragsweise der Diener des Wortes und ordnete zuweilen einen Wechsel derselben; als 1 551 in der italienischen Gemeinde ein neuer Prediger angestellt werden sollte, mufste sich derselbe einer Prüfung in Gegenwart des Rates unterziehen ; eine ungefährliche, aber ohne Erlaubnis des weisen Rates vorgenommene Änderung des kirchlichen Gesangbuches hatte Rügen und ernste Strafen zur Folge'. Selbst an kleinlichen Chikanen und Gehässigkeiten fehlte es nicht. Da wird z. B. dem gegen einen Falschmünzer gefällten Urteil von dem Sekretär die Bemerkung beigefügt, der Missethäter sei ein frommer Mann, der »des Evangeliums wegen nach Genf gekommen, er besuche alle Tage die Predigt.« Calvin beschwerte sich darüber und erhielt auch bei dem Rate Recht, aber das »Ärgernis« war geschehen^.

Hand in Hand mit diesem Verfahren gegen die Geistlichkeit gingen offene Feindseligkeiten gegen ihre Freunde und Partei- "[änger in der Laienschaft. Am meisten litten darunter die Fremden, die »Franzosen«. Auf die ungerechteste Weise, klagt Bonivard ^ , seien damals die glaubenstreuen Flüchtlinge in Genf von Rat und Volk behandelt worden und beredter noch als die Deklamationen eines wenig glaubwürdigen Chronisten sprechen für die herrschende franzosenfeindliche Richtung die gewaltigen Lücken, welche die Verzeichnisse der neu aufgenommenen Bürger in jenen Jahren zeigen •♦. Man hatte die Fremden während der Jahre 1546 und 1547 als die entschlossensten Parteigänger Calvins, als die stärksten Stützen des geistlichen Regiments kennen gelernt ; kein Wunder , wenn das neue Regiment sich vorzugsweise gegen sie kehrte und jetzt mit ihnen Abrechnung hielt. Es hatten sich nach Beendigung des Perrinschen Prozesses Stimmen erhoben.

' Vgl. die Mitleilungen aus den Ratsprotokollen bei . Rogct, L'eglise et l'etat S. 51, 52.

^ Ratsprot. 3. Nov. 1550. Roget a. a. O. S. 50.

3 Vgl. die o. S. 110 A. i wiedergegebene Stelle. [Vgl. für das folgende Roget, Hist. du peuple de Gen^ve III S. 132 ff.].

+ Von 130 im Jahre 1547 sank die Zahl der aufgenommenen Bürger 1548 auf 21, 1549 auf 9, 1550 gar auf 5, und stieg 1551 wieder auf 15. [Vgl. jedoch die etwas abweichenden Zahlen und noch stärker abweichenden Schlufsfolgerungen bei Rogel III S. 133 n. i].

120 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

welche einfach die Ausweisung sämtHcher Fremden verlangten^. Konnte die Behörde auch darauf nicht eingehen , so nahm sie doch sofort eine sehr energische Haltung gegen das Emigranten- tum an und zügelte dasselbe durch eine Reihe von neuen Mafs- regeln, die seinen bisherigen Einflufs völlig brachen. Man suchte den Fremden auf jede Weise den Eintritt in den Generalrat zu er- schweren, liefs sie bei ihrer Ankunft mit beleidigendem Mifstrauen über die Ursache ihrer Auswanderung, ihren früheren Lebens- wandel und ihren Glauben verhören , und legte auch den schon längst Angesiedelten einen neuen Eid auf, durch den sie sich zur Treue gegen die Stadt, zum Gehorsam und zur Folgsamkeit gegen den Magistrat, seine Anordnungen und die Gebote des heiligen Evangeliums verpflichten mufsten "^ . Und schwerer noch als das ungnädige Regiment des Rates lastete der unverhohlen zur Schau getragene Unwille des Volks auf ihnen, welchem die Mafsregeln der Vorgesetzten keineswegs genügten. Die erbitterte Menge trug insbesondere Maigret einen unversöhnlichen Hafs nach und fand es unverantwortlich, dafs diesem Verräter aus städtischen Mitteln noch fortwährend ein Jahrgehalt ausgezahlt werde. Sie hafste die Fremden nicht blofs wegen ihrer Anhänglichkeit an Calvin , als blinde Werkzeuge der französischen Prädikanten, als Heuchler und Denunzianten , sondern fand überhaupt, dafs die Anwesenheit so vieler Emigranten an sich ein Schaden für die Stadt sei, dafs sie den Eingeborenen das Leben verteuere und schliefslich ganz Genf in fremden Besitz bringen werde. Mehr als einmal machte sich diese Stimmung in drohenden Kundgebungen Luft. Thät- liche Mifshandlungen der verhafsten Franzosen waren keine Seltenheit: wer einen Franzosen mifshandelte, sagt der Chronist 3, war einem jeden willkommen. Der Rat schritt gegen die Übelthäter mit Vorladung und Verurteilungen ein. Aber der

' Consistorialprot. 26. Jan., [Ann. S. 420], 3. Febr. 1548.

* Ratsprot. 19. Jan., 6. Febr. 1551 [Ann. S. 472, 473]. Raset V c. 31 u- 36. Vgl. Gaber el I, 427, 428; Staehelin I, 464.

3 alls chejxhoyent«^ sagt Bonivard 1. c. S. 73, »touttes occasions de desbat contre les estrangers ; de jour et de nuid et sans occasion les battoient« . Und dann macht Bonivard geradezu Perrin und Vandel als die eigentlichen An- stifter für dieses Treiben verantwortlich. Die zuverlässigen Quellen zeigen uns doch ein etwas anderes Bild! Vgl. freilich Staehelin I, 410 : »von den liber- tinischen Syndiks fast offen ermuntert .... versuchten die Gegner« u. s. w. !

Feindseligkeit gegen die Emigranten. Die herrschende Partei. 1 2 I

Elfolg war nur ein unvollkommener. Die Obrigkeit selbst liefs hier darf man sich darüber wundern? zuweilen die nötige Entschiedenheit und Energie vermissen ' .

Und wie in dem Verhältnisse zu den Emigranten, so erwies sich auch sonst noch der Wille und die Autorität des Rates nicht stark genug, das aufgestellte Programm vollständig durchzuführen und alle Unordnungen zu verhindern. Ist auch die ungünstige Schilderung, welche der schmähsüchtige Verfasser der »alten und neuen Politik« von dem damaligen Leben in Genf giebt, über- trieben und unwahr, so läfst sich doch nicht verkennen, dafs der öffentliche Zustand dem strengen Geiste, welchen die Gesetzgebung jener Jahre ankündigt, keineswegs völlig entsprach. Es ist dies nicht zu verwundern. Ami Perrin, von dem die jetzt herrschende Partei den Namen trug, der sich als ihr Führer ansah, war nicht der Mann für die schwierige Aufgabe, die ihm zugefallen war. Überdies wurde die herrschende Partei durch die Art und Weise, wie sie emporgekommen war, gelähmt. In den Kämpfen des Jahres 1547 hatte sie sich mit Elementen von sehr zweifelhaftem Wert verbündet, deren sie sich nach gewonnenem Siege vergebens wieder zu entledigen trachtete. Männer, wie der gewaltthätige Vandel, Perrins »Connestabel», wie ihn Bonivard nennt ^, Berthelier, GentiHs behielten grofsen Einflufs und manche gesetzwidrige Handlung mufste man ihnen hingehen lassen. Insbesondere aber wurde die Aufrechterhaltung strenger Ordnung durch die wieder- erstandenen »Kinder von Genf« erschwert, die unter BertheHers Führung sich zu einem förmlichem Bunde mit der alten Losung »Einer für Alle» vereinigten. Stolz auf ihre Verdienste traten sie mit keckem Übermut auf, setzten sich ohne Scheu über die Ordonnanzen hinweg , zogen wieder, wie in der guten alten Zeit, in lärmenden Haufen durch die Stadt , verspotteten das refor- matorische > Triumvirat« und die übrigen Geistlichen und suchten Händel mit den Franzosen. Trotz einzelner Versuche, gegen den verwegenen Führer der Schar einzuschreiten % gelang es doch

Consistorialprot. 20. März, 24. April [Ann. S. 462, 463], 13. Nov. 1550; 24. März [Ann. S. 475 IT.], 22. [Ann. S. 489], 29. Okt. 1551. Not. geneal. III, 527; Rosei V c. 37; Anc. et nouv. pol. S. 70, 72, 73.

- 1. c. S. 438.

3 Ratsprot. 30. Aug. 154S, 8. u. 15. Aug. 1549 [Ann. S. 433, 454 f-I vgl. Rogei III S. 107 f.].

122 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei,

nicht, dem zügellosen Treiben Einhalt zu thun. Perrin scheint nicht gerade eifrig gewesen zu sein, Männer zu verfolgen, die ihm in den Tagen schwerer Gefahr gute Dienste geleistet hatten und ihm solche vielleicht noch einmal leisten konnten \

Überhaupt mufste der fortdauernde Gegensatz zwischen geist- licher und weltlicher Gewalt und die unaufhörlichen Reibungen störend auf das gesamte kirchliche Leben wirken. Die strenge kirchliche Ordnung hörte mehr und mehr auf. Die vorgeschriebenen Visi- tationen der Landgemeinden unterblieben sowohl 1549 als 1551^. Die Disciplin geriet in Verfall. Enthaltungen von dem Abend- mahl kamen häufiger vor. Der Gottesdienst wurde säumiger be- sucht : der gemeine Mann klagte über die zu lange Dauer des- selben und meinte wohl, er thue besser, seinen Geschäften nach- zugehen und für seine FamiHe zu sorgen, als den ganzen Vormittag in der Predigt zu sitzen. Die Ehrfurcht vor dem geistlichen Stande verschwand ; man nahm es den Dienern des Wortes übel, wenn sie sich s Herren« nennen liefsen^. Alte Gewohnheiten und Sitten , die der Reformator längst abgethan glaubte, tauchten wieder auf. Man fing wieder an, bei Trauungen das junge Paar mit Musik zur Kirche zu begleiten und bei dem Hochzeitsmahl sogar heimlich zu tanzen^. Bei Tauffeierhchkeiten

' Vgl. Anc. et nouv. pol, S. 72, 73, 74, 75, 76, 77. Bonivard kennt von der Geschichte Genfs während dieses Jahres nur das Treiben der Kinder von Genf, für das er den verhafsten Generalkapitän, den Genfer Catilina, vvie er ihn nennt, verantwortlich macht, Dafs dieser in der Verfolgung derselben lau gewesen und sich gescheut hat, mit seinen alten Freunden vollständig zu brechen, scheint auch aus einigen Äufserungen Calvins hervorzugehen; doch wurde gerade unter Perrins Syndikat gegen Berthelier eingeschritten (Ratsprot. 8. u. 15. Aug. I 549, Ann. S, 454f). Der von Colladon wiedergegebene Name le Trepied für Calvin, Farel und Viret wurde oben bereits erwähnt {S. 104); damals nannte man sie auch die drei Patriarchen oder das Triumvirat,

^ Wenigstens werden sie in den Aufzeichnungen der Ven. Comp, nicht erwähnt, während die von 1550 erwähnt sind. [Vgl. jedoch hierzu die Be- merkung zum 20. Febr, 1550 in den Ann, S. 461].

3 Ratsprot, 15, April 1549; 25, Mai 1551 ; Consistorialprot. 16, und 19. Aug. 1548; 27, Febr., 22. Mai 1550.

+ So erzählt wenigstens der pseudonyme Verfasser der Streitschrift: Passevent Parisien respondant a Pasquin Romain. De la vie de ceux qui sont allez demourer a Geneve. Paris 1556, der sich zu Anfang der 50 er Jahre zu Genf aufhielt. »Cetix qui ne ce soucient pas beaucoup de Calvin ny de ses compaignons ; .... votit et retournent a ieglise avecques on tambourin de

Machtlosigkeit der kirchlichen Behörde. 123

kam es wiederholt in der Kirche zu ärgerlichen Scenen, indem die Verwandten und Taufzeugen im Widerspruch mit dem Geist- lichen auf der Beibehaltung der altgenferischen von den Vätern geführten Namen bestanden '. Das geistliche Gericht hatte, nach- dem es den früheren Rückhalt in der weltlichen Macht verloren, auch seine Furchtbarkeit eingebüfst. Man erschien vor dem Consistorium nicht mehr mit der devoten Miene der früheren Zeit, sondern oft genug mit herausforderndem Trotz , stellte die vor- gebrachten Thatsachen (wie das Protokoll wohl bemerkt, »nach der Mode«) in Abrede und erklärte nur den Syndiken, nicht aber den Ältesten Rechenschaft schuldig zu sein^. Selbst das schwächere Geschlecht erscheint schon früh von dem neuen Geiste des Widerspruchs angesteckt. Da erklärte eine Frau, die man wegen abergläubischer Handlungen vorgeladen , den ehrwürdigen Herren, ihr Gemahl sei weise genug, um, wenn sie gefehlt habe, sie selbst zu ermahnen 3. Man verachtete, klagt ein Chronist, die Ermahnungen und Verbote des Consistoriums. Von dem Magistrat wurde wenig Hilfe geleistet ■♦.

In diesem Zustande trat auch mit dem Jahre 1551 keine Änderung ein s. Die Unordnungen dauerten fort und steigerten

Suysse ou bicn autre Instrument, et apres disner dancent ou joueiit en chamlre et bien secretement«. [Über diese Schrift und Calvins Entgegnung vgl. Opp. IX S. XXIV f. und 125 ff.]. Roset V c. 48.

" So im Febr., März, Dez. 1550. Im Jahre 155 1 kam es wegen des Namens Balthasar in der Kirche zu S. Gervais zu einem förmlichen Tumult. Vgl. Roset V c. 40. Beza, Opp. XXI S. 143; Nouv. pag. S. 78. Der Streit hatte allerdings auch eine politische Bedeutung. Vgl. Calvin an Farel, 2. Dez. 1552, Opp. XIV S. 421 f.

^ Consistorialprot. 14. April, 13. Nov. 1550.

3 Consistorialprot. 14. Juni 1548; i. u. 8. Okt. 1551 [Ann. S. 4S7, 488]. Eine Frau, über ihre Tracht verhört, erklärt, wem dieselbe nicht gefalle, der möge die Augen schliefsen.

•♦ Roset V c. ^^: »On mesprisoit les admonitions et deffences du Con- sistoire et si n'y avoit grand refuge au magistrat«.

5 [Kampschulte hatte an dieser Stelle wohl noch eine Änderung oder Er- weiterung beabsichtigt. Er hatte folgendes an den Rand des Manuskripts ge- schrieben : »Eine Besserung schien in diesem Zustand mit dem Jahre 1551 eintreten zu wollen. Der für dieses Jahr gewählte neue Magistrat war Calvin gewogener als der vorjährige : in dem Rate safsen einige sichere Anhänger des Reformators {Roset V c. 33: «mesle de deux parties« ; Mem. de l'Institut Gen. X S. 10). Auch die Einwanderung der Fremden begann wieder zuzunehmen und nament-

124 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

3ich im März dieses Jahres sogar zu ernstlichen Ruhestörungen. Als Calvin eines Tages nach einer Predigt in S. Gervais zu seiner Wohnung zurückkehren wollte, traten ihm auf der Rhonebrücke «inige von der Schar Bertheliers mutwillig in den Weg ; es ent- stand ein Auflauf; ein Refugid in der Nähe, der für Calvin Partei nahm, wurde unter dem Rufe »Tod den Fremden« mifshandelt und von den losen Gesellen bis in seine Wohnung verfolgt. Ein ähnhcher Auftritt wiederholte sich, als Calvin einige Tage später sich zur Vorlesung nach S. Peter begeben wollte. Man vergriff sich an Calvins Diener auf offener Strafse. Dem verhafsten Prediger Raymond Chauvet wurden nächtlicherweile Nach- stellungen bereitet \ Zu wiederholten Malen wandte sich Calvin an den Rat um Hilfe. In sehr ernster Rede wies er einige Tage nach dem Tumulte auf der Rhonebrücke die Staatslenker auf das Gefährliche eines solchen Zustandes hin und bat im Namen seiner Amtsbrüder um strenge Gerechtigkeit ^ Der Rat liefs die Schuldigen einige Tage einsperren. Aber der Zustand wurde nicht besser. Im Gegenteil führte die nächste Zeit unerwartet den Gegnern Calvins einen neuen Bimdesgenossen zu, dessen Angriff, anfangs wenig beachtet, ja sogar verachtet, seinem Ansehen mehr schadete, seine Stellung mehr erschütterte als alle Unbesonnen- heiten und losen Streiche der »Kinder von Genf«.

lieh erfüllte es Calvin mit lebhafter Genugthuung, dafs unter den Eingewan- derten sich Männer in hervorragender Lebensstellung befanden (an Farel 15. Juni 1551, Opp. XIV S. 134; vgl. Ratsprot. 3. Mai und 27. Juni 1549, Ann. S. 451, 453: Beza und Bude 1) Viret, der damals seine Freunde in Genf besuchte, fand den öffentlichen Zustand durchaus befriedigend, besser als er vermutet hatte (an Farel, 15. Juni 1551 , Opp. XIV S. 130 f.), und auch Calvin selbst fafste wieder mehr Hoffnung (an Bullinger 12. März 1551, Opp. XIV S. 75). Aber mochte auch die Behörde ihm gewogen sein, so lebte doch in der Masse der Bevölkeruug der alte Geist fort. Ruhestörungen blieben auch während des Jahres 1552 an der Tagesordnung«.]

' Raset V c. 33; Beza, Opp. XXI S. 143; Consistorialprot. 24. März 1551 [Ann. S. 476, 477]; Ratsprot. 27. März 1551 [ebd. S. 478]. Aus Raset ersieht man, dafs Bern für die Missethäter Fürbitte einlegt! In den Aufzeich- nungen der Ven. Comp, zum 7. März ist von einer »esf>iotifln jtisques a efftision de sang<i die Rede [Ann. S. 475. Für den Vorfall auf der Rhonebrücke vgl. <iie Zweifel Rogets III, 140 n. 2].

^ Vgl. Consistorialprot. 12. März 1551, Ann. S. 475.

I2S

VII.

CALVIN UND HIERONYMUS BOLSEC.

Bei aller Leidenschaftlichkeit, womit der Kampf gegen Calvin,' geführt und jedes aufgegriffen wurde, was als Waffe gegen ihn dienen konnte, wurde doch das eigentlich theologisch-dogmatische Gebiet während der ersten Jahre von den Streitenden nicht be- rührt. Man kämpfte gegen die theokratische Unterordnung des Staats unter die Kirche , gegen den Rigorismus der calvinischen. Sittenzucht und den geistlichen Druck, man trat überall mit Entschiedenheit den Ideen des Reformators entgegen, wo sie die Selbständigkeit der bürgerUchen Gesellschaft zu gefährden schienen^ aber eine Auflehnung gegen das calvinische Glaubenssystem an sich lag nicht in der Tendenz der Oppositionspartei. Der ver- wegene Angriff eines Jacques Gruet blieb eine vereinzelte Er- scheinung und wurde von den Feinden Calvins, wie wir sahen,, kaum minder entschieden verurteilt, als von seinen Anhängern.. Auch die Gegner wollten evangelisch sein und bleiben und er- blickten in Calvin , mochten sie auch mit ihm in Hader liegen, doch den Verkünder der wiederhergestellten evangelischen Wahr- heit, ohne über Einzelheiten seiner Lehre viel nachzugrübeln. Wohl wurden hin und wieder dogmatische Zweifel laut; schon, Pierre Ameaux hatte von »falschen Lehren« gesprochen, die der herrschsüchtige Picarde vortrage, aber über solche allgemeine An- klagen kam man nicht hinaus, und auf den Kampf selbst hat die dogmatische Opposition , wenn man jene vereinzelten Regungen so bezeichnen darf, nicht im geringsten Einflufs ausgeübt. Cal- vins Ansehen als Theologe und Gelehrter war zudem zu fest begründet und in der Opposition zu wenig theologische Bildung vorhanden, als dafs sie von einer Ausdehnung des Kampfes auf das eigentlich theologische Feld Erfolg hätte hoffen dürfen. Während in der Ferne die Lehre des Genfer Reformators auch in evangelischen Kreisen bereits Anstofs und heftigen Widerspruch erregte, blieb merkwürdig genug von den einheimischen Gegnern seine Rechtgläubigkeit völlig unangefochten \

' Selbst von der Prädestinationslehre durfte er sagen , dafs sie bis zum Jahre 1551 »placide a populo recepta fuerat». Vgl. Vorrede zu der Schrift De aeterna Dei praedestinatione. Opp. VIII, 253.

120 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

Das Jahr 155 1 brachte in diesem Zustande eine Veränderung hervor. Zum ersten Mal erfolgte in diesem Jahre ein offener und entschlossener Angriff auf das dogmatische Lehrgebäude des Refor- mators , und zwar gegen jene Lehre, die ihm vor allem die Ehre Gottes und das Heil der Menschheit zu bedingen schien. Der angefochtene Lehrsatz war kein anderer als Calvins Lieblings- dogma von der ewigen Prädestination. Derjenige aber, welcher den Angriff unternahm und der Opposition das neue Schwert der Theologie in die Hand gab , war, bezeichnend genug, kein alter Genfer, sondern ein Fremder, ein Franzose.

Hieronymus Bolsec, aus Paris gebürtig, gehörte erst seit kurzem der Genfer Flüchtlingsgemeinde an. Vor seiner Lossagung von der katholischen Kirche Karmelitermönch, hatte er durch eine freimütige Predigt sich mit seinen Ordensgenossen überworfen, war in Verfolgungen verwickelt und zur Flucht aus seinem Vaterlande genötigt worden \ Nach einem kurzen Aufenthalte an dem Hofe der gastfreundlichen Herzogin Renata von Ferrara, die so manchem ihrer mit dem alten Glauben zerfallenen Landsleute Aufnahme und Schutz gewährte, folgte er dem allgemeinen Zuge nach der Stadt Calvins und liefs sich zu Anfang 1551 in dem dicht vor Genf gelegenen, aber bereits zum Berner Gebiet gehörigen kleinen Orte Veigy häuslich nieder. Bolsec war kein gewöhnlicher Mensch : mit unverkennbaren Anlagen verband er einen grofsen Wissens- eifer , der sich auf das verschiedenartigste erstreckte. In der Medizin , die er nach Ablegung des Ordensgewandes zu seinem Lebensberuf erwählt , hatte er binnen kurzer Zeit so glückUche Fortschritte gemacht , dafs er einer der angesehensten Arzte in Genf wurde". Daneben beschäftigte ihn fortwährend die grofse kirchliche Frage. Es scheint , dafs er seinen Übertritt sehr ernst nahm und die wichtigsten Kontroversfragen einer genauen selbst- ständigen Prüfung unterzog. Bolsec fand in dem calvinistischen System seine volle Befriedigung : nur die Lehre von der götthchen Vorherbestimmung erregte ihm Bedenken, über die er nicht hinweg kam. Dafs Gott in seinem ewigen Ratschlufs einen Teil der

' Haag^ La France protest. II, 360.

^ Vgl. das Schreiben des Herrn von Falais an den Genfer Rat vom II. Nov. 1551 , Opp. VIII S. 202. Schon dadurch wird das geringschätzige und gehässige Urteil Bezas und Colladons (Opp. XXI S. 72 f., 143) hin- länglich widerlegt.

Bolsecs Anschauungen. Sein offener Angriff. 127

Menschen zur ewigen Seligkeit, den andern zum ewigen Verderben bestimmt haben sollte , widerstrebte seinem Gefühl. Eine solche Lehre, meinte er, mache den Menschen zu einem beklagenswerten Opfer der grausamen Majestät des höchsten Wesens und Gott eigentlich zum Urheber der Sünde. Calvins Einwendung, dafs der zum Bösen Vorherbestimmte zwar mit Notwendigkeit, aber nicht gezwungen, sondern mit innerer Zustimmung sündige und darum verantwortUch sei , schien ihm den Widerspruch mehr zu verdecken als zu lösen. Endlich glaubte er auch gefunden zu haben, dafs Calvin ganz mit Unrecht für seine Ansicht sich auf Bibel und Kirchenväter berufe.

Bolsec behielt seine Bedenken nicht für sich, sondern sprach sie im Verkehr mit seinen Freunden und selbst den Geistlichen gegenüber offen aus. Nicht lange ging solches in Genf ungestraft hin. Schon bald nach seiner Ankunft lud die ehrwürdige Genossenschaft den verwegenen Fremden vor und verwies ihm nachdrücklich und wiederholt seine Irrtümer, Am 15. Mai 155 1 nahm* Calvin vor dem versammelten geistlichen Kollegium eine Art Verhör mit ihm vor, bei dem scharfe Worte fielen. Aber Warnungen und Zurechtweisungen blieben fruchtlos. Bolsec fand, dafs man seine Gründe nicht widerlegt habe und hielt an seiner abweichenden Überzeugung fest ^ , ohne deshalb weiter behelligt zu werden, da er durch seinen Wohnsitz der Genfer Gerichtsbarkeit entzogen war, bis ihn der Eifer für seine Überzeugung zu einem Schritte verleitete, der verhängnisvoll für ihn werden mufste.

Als am 16. Oktober in der üblichen Kongregation einer der Geisthchen , ausgehend von dem biblischen Spruch : »Wer von Gott ist, der höret Gottes Wort ; darum höret ihr nicht, denn ihr seid nicht von Gott",« abermals die calvinische Prädestinations- lehre vorgetragen und nach ihm Farel, der damals in Genf an- wesend war, im gleichen Sinne gesprochen, erhob sich allen unerwartet Hieronimus Bolsec , um in längerer Rede seinen Ge- fühlen Luft zu machen. Mit groiser Entschiedenheit erklärte er die vorgetragene Lehre für irrig und falsch. Wer in Gott einen

Vgl. die Aufzeichnungen der Ven. Comp. (Ann. S. 481), das Schreiben der Genfer Geistlichen an die schweizerischen Kirchen (Opp. VIII, 206), die eignen Geständnisse Bolsecs während des Prozesses (Opp. VIII, 154, 1551 15^' 159) und Colladon (Opp. XXI, 73).

^ Joh. VIII 47.

128 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

ewigen Ratschlufs annehme , durch den er die einen zum ewigen Verderben, die andern zur ewigen Sehgkeit vorherbestimme, der mache aus dem höchsten Wesen einen Tyrannen, einen despotischen Zeus , wie die Alten. Eine solche Ansicht sei verderblich, Ärgernis erregend , gefährlich , sie sei eine offenbare Häresie. Ganz mit Unrecht suche man sie durch die Bibel und St. Augustin zu stützen : sie sei der alten Kirche völlig fremd und erst in neuerer Zeit durch Laurentius Valla aufgebracht worden. Nach- drücklich ermahnte der Redner zum Schlufs das gläubige Volk gegen Irrlehren dieser Art auf seiner Hut zu sein \

Man kann sich denken, mit welchen Gefühlen Calvin solche Worte vernahm. Er war bei der Eröffnung der Versammlung nicht anwesend gewesen vielleicht hatte gerade dieser Um- stand dem Redner Mut gemacht ^ erst während des Vortrags war er unbemerkt in die Versammlung getreten. Sein ganzer Zorn flammte auf bei diesem freventlichen Angriff auf sein Liebstes und Teuerstes. Bolsec hatte kaum geendet, so erhob er sich unter gespannter Erwartung der Anwesenden. Mit der ganzen Heftigkeit , die seiner Rede in solchen Fällen eigen war, mit der Überlegenheit seines reichen bibHschen und patristischen Wissens, das ihm nirgendwo in solcher Fülle zu Gebote stand als in dieser Frage, fiel er über den Armen her. Er sprach eine volle Stunde ohne Unterbrechung und unerschöpflich in immer neuen Beweisen aus Bibel und Kirchenvätern für die Richtigkeit seiner Lehren : der verwegene Eindringling sei, erzählt der Bio- graph des Reformators, durch die Fülle der beigebrachten Beweis- stellen aus der hl. Schrift und den Werken des hl. Augustin, förmlich überschüttet, erdrückt, vernichtet worden. Bolsec war dem gewaltigen Redner , der ihn zum Schlufs als einen un- wissenden Menschen bezeichnete, nicht gewachsen. Seine Fassung war hin : nicht einmal ein Versuch zu seiner Rechtfertigung wurde von ihm gewagt.

Aber er sollte für den verwegenen Angriff noch schwerer büfsen. Der in der Versammlung anwesende Pohzeibeamte Jean de la Maisonneuve, beherrscht von dem Eindruck der gewaltigen

' Vgl. Opp. VIII, 145, 147, 149, 153, 188 ff.

* Vgl. Colladon, Opp. XXI S. 73 und Beza, ebd. S. 143. Die Auf- zeichnungen der Ven. Comp, erwähnen die anfängliche Abwesenheit Calvins nicht.

Verhaftung Bolsecs. i2Q

Rede, erblickte in dem Beginnen Bolsecs eine Auflehnung gegen die kirchlichen Ordonnanzen, ja ein Attentat auf den hl. Glauben der Stadt Genf. Noch in dem Gotteshause selbst ordnete er seine Verhaftung an, um ihm den Prozefs machen zu lassen \

So seltsam es auch klingt, dennoch ist es so : Bolsecs Angriff war das günstigste Ereignis, das für die Geistlichkeit hätte ein- treten können und diente zunächst nur dazu, das stark erschütterte Ansehen derselben für den Augenblick wiederherzustellen. Dafs ein öffentlicher Angriff auf den Glauben nicht geduldet werden dürfe, verstand sich damals noch bei allen Parteien in Genf von selbst. Der Rat, der bei jeder Gelegenheit den gröfsten Eifer für die Aufrechthaltung der Rechtgläubigkeit gezeigt hatte, war mit der Handlungsweise des Polizeibeamten völlig einverstanden ; nicht einmal die Stellung eines Bürgen für die Rechtmäfsigkeit der An- klage, wie die Ordonnanzen vorschrieben, wurde für nötig gehalten. Die grofse Menge dachte ebenso oder verhielt sich überhaupt gleichgültig. Ein Glück noch dazu, dafs der Gegner ein Fremder, ein Franzose war und ihm bei dem Volke auch das nationale Vor- urteil, der allgemeine Hafs gegen die Refugi^s entgegenstand ^ So wurde, was Calvins Stellung hatte erschüttern sollen, ein Mittel sie zu befestigen , und er säumte nicht diese Lage zu benutzen. Die Gelegenheit schien ihm günstig, das geistliche Ansehen wieder

' Aufzeichnungen der Ven. Comp,, Opp. VIII S. 146. Die Akten dieses merkwürdigen Prozesses sind zuerst von //. Fazy herausgegeben worden in den Memoires de l'Institut Genevois tom. X S. i 74 (Gen^ve 1865) und nach ihm, noch um einige Aktenstücke vermehrt, in Opp. VIII, 145 248. Nach diesen Akten stellt sich uns Bolsecs Bild doch wesentlich anders dar, als es manche Geschichtsschreiber gezeichnet haben, die in ihm »ein Bild der gemeinen Natur« i^Hcnry III, 48) oder einen »durch und durch unwürdigen Mann« {Staehelin I, 413) sehen wollten, von Beza und CoUadon, deren Darstellung die gehässigsten Beschuldigungen enthält, gar nicht zu reden. \Roget urteilt viel zurückhalten- der als die eben genannten; er spricht allerdings (III, 158) die Vermutung aus, dafs Bolsec von einem der politischen Gegner Calvins zum Kampfe gegen den Reformator angetrieben worden sei. Chuisy , La Theocratie ä Gen^ve S. 113 ff. nimmt die Vermutung Rogets auf und giebt ebensowenig wie dieser ein bestimmtes Urteil über Bolsec ab.]

^ Ganz grundlos ist die Verdächtigung Colladons, Opp, XXI S. 73, als habe Bolsec auf Anstiften der Opposition den Angriff unternommen. Der Gang des Prozesses zeigt das Gegenteil, und nicht einmal Bonivard, Anc. et nouv. pol. S, 82, wagt jene Behauptung auszusprechen. [Vgl, dazu die in der vorhergehenden Anmerkung wiedergegebene Meinung Rogets und Choisvs.'\ Kampschulte, J. Calvin II. 9

l'iQ Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

fester zu begründen und das alte Band zwischen Staat und Kirche wieder herzustellen. Ohne Verzug, unmittelbar nach Be- endigung der Kongregation vereinigte er die Mitgheder der ehr. würdigen Genossenschaft zu einer Sitzung , um die anstöfsigen, gotteslästerlichen und häretischen Behauptungen Bolsecs zu einem förmlichen Anklageakt zum Gebrauche der weltlichen Behörde zusammenzustellen ^.

Noch an demselben Tage hatte Bolsec vor dem Polizei- beamten, der seine Verhaftung veranlafst, das erste Verhör zu bestehen. Der Angeklagte, der seine Fassung wiedererlangt hatte ^ zeigte jetzt eine feste und würdige Haltung. Ruhig und entschieden beantwortete er die ihm vorgelegten Fragen, räumte die Thatsachen ein und bekannte sich ohne Umschweif zu den in der Kongregation von ihm vorgetragenen Ansichten. Er er- klärte in allen übrigen Fragen mit dem Glauben der Genfer Kirche einverstanden zu sein : nur die von Calvin gelehrte Prädestination finde er im göttlichen Wort nicht gegründet". Auch das zweite Verhör, welches am 20. Oktober, nachdem Tags vorher Calvin und Farel im Namen der Geistlichen auf strenge -Bestrafung der »Gotteslästerungen und Irrlehren« des Angeklagten gedrungen, im Beisein der Syndike und einer Anzahl von Rats- herren stattfand , ergab kein anderes Resultat. Mit leidenschafts- loser Ruhe und der Festigkeit eines innerlich Überzeugten blieb er im wesentlichen bei seinen früheren Erklärungen und gab überall klar und bestimmt die gewünschte Auskunft. Er leugnete nicht, was ihm zur Last gelegt wurde , behauptete aber nur, dem göttlichen Worte gemäfs gehandelt und gesprochen zu haben. Was in den Schriften und Lehren der Genfer Reformatoren auf das Wort Gottes sich gründe und er räumte bereitwillig ein, in ihren Predigten und Kongregationen auch wahrhaft evangelische Lehren vernommen zu haben das verehre er und nehme es gerne an ^ was aber falsch sei, daran könne er nimmer glauben 3.

' Vgl. Opp. VIII S. 147. Diese erste Eingabe enthält 13 Artikel, ^ Fazy 1. c. S. 6 ff.; Opp. VIII S. 152 ff, (n. 4). Wie fest diese Über- zeugung bei Bolsec stand, ergiebt sich auch daraus , dafs er noch in der Vita Calvini (c, 23) ausführlich über die Frage handelt, während er dort den Prozefs selbst, wohl um dem katholischen Leser seinen früheren Abfall nicht mitteilen zu müssen, vollständig übergeht.

3 Fazy S. 9, 10 iif.; Opp, VIII S. 155, 156 ff. (n. 5, 6).

Neue Artikel Calvins gegen Bolsec. Verhöre. I^i

Diese feste und mafsvolle Haltung des Angeklagten scheint den Rat einen Augenblick verlegen gemacht zu haben. Nach den Darstellungen der GeistUchen mufste man sich den An- geklagten als einen Menschen von der Geistesrichtung eines Gruet denken , statt dessen fand man einen gläubigen Christen, der mit Ausnahme einer einzigen schwer zu fassenden Lehre von der Genfer Reformation sogar mit grofser Ehrfurcht sprach. Allein jetzt kam Calvin der Unentschlossenheit der Behörde zu Hilfe. Schon am Tage der verhängnisvollen Kongregation hatte er neben jener ersten eine zweite Denkschrift von 1 7 Artikeln entworfen und von sämtlichen anwesenden 13 Geistlichen unter- zeichnen lassen, die er jetzt dem Rate überreichte, um sie bei dem nächsten Verhör zu Grunde zu legen \ Die neuen Artikel ver- breiteten sich in teilweise sehr verfänglicher Fassung über die Einzelheiten der angefochtenen Lehre : man merkt dem Aktenstück auf den ersten Blick die Absicht an , den Angeklagten zu einer genauen Darlegung seines Standpunktes zu nötigen, ihn in Wider- spruch mit sich selbst zu bringen und den günstigen Eindruck, den sein erstes Auftreten doch gemacht hatte, zu zerstören ^

Der Magistrat ging auf den Antrag der Geistlichkeit ein und an zwei aufeinander folgenden Tagen (21. und 22. Oktober) wurde Bolsec vor dem Rat über die 17 Artikel vernommen. Der be- absichtigte Erfolg wurde wenigstens teilweise erreicht. Bolsecs Antworten, die er selbst niederschrieb, zeugten zwar von ernstem Nachdenken und festem Glauben, liefsen aber, wie es bei der Schwierigkeit der behandelten Materie kaum fehlen konnte , an Klarheit und Konsequenz doch manches vermissen. Auch Bolsec erklärte, das Menschengeschlecht sei in Adam so tief gesunken, dafs der Mensch aus sich selbst nichts Gutes vermöge, aber er habe doch die Freiheit nicht vollständig verloren und mit Hilfe der göttlichen Gnade sei es ihm möglich , zu glauben. Diese

' [Auch die Herausgeber der Opp. Calvini nehmen als. »sehr wahrschein- lich« an, dafs Calvin der Verfasser dieser Artikel war oder sie doch veranlafst hatte (Opp. VIII S. 149 n. i)].

^ Fazy S. 13 ff. ; Opp. VIII S. 149 ff. (n. 3). Auch Stachelin II, 288 will die Fassung der Artikel nicht billigen. \_Roget III, 162 meint, die Debatte zwischen Calvin und Bolsec hätte keine weitern Folgen zu haben gebraucht. »Mais les ministres ne l'entendaient pas ainsi, et ils jug^rent a propos de faire appel ä l'autorite civile pour reprimer l'audace dont venait de faire preuve Bolsec«.]

9*

j -J2 Fünftes Buch, Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

göttliche Gnade sei aber allen in Christo zu Teil geworden und kein besonderes Geschenk an einzelne. Einen ewigen, verborgenen Ratschlufs , durch den Gott einen Teil der Menschheit zum Un- gehorsam und Verderben vorherbestimmt habe, gebe es nicht. Allerdings habe Gott unter den Menschen diejenigen , die er wolle, in Christo erwählt, aus blofser Gnade, aber darum hänge doch der Glaube nicht von der Erwählung ab , beide seien viel- mehr zusammen zu betrachten, denn in Gott gebe es kein vorher und nachher. In das Geheimnis der wunderbaren göttlichen Ratschlüsse einzudringen mafse er sich nicht an, vielmehr beruhige er sich bei dem Worte der Schrift, dafs alle, die an den Sohn Gottes glauben , würden gerettet und die Ungläubigen verdammt werden und dafs Gott seinen Sohn in die Welt gesendet habe, auf dafs alle an ihn glauben. Im übrigen berief er sich auf die berühmtesten Lehrer, wie Melanchthon, BuUinger, Brenz als seine Gesinnungsgenossen und wiederholte am zweiten Tage, dafs er nur nach bestem Wissen und Gewissen und auf Grund der heil. Schrift seine Ansicht entwickelt habe und dafs er sich unterwerfen werde, wenn man aus dem götthchen Wort den Irrtum überführe und widerlege \

Die Widerlegung liefs nicht lange auf sich warten. Der, wie es schien , ganz calvinisch gewordene Rat liefs der Geistlichkeit Bolsecs Antwort mitteilen und in kurzer Zeit war die Gegenschrift fertig. Sie war ziemlich ausführlich, von Calvin selbst und zehn anderen Geistlichen unterzeichnet und in scharfem schneidendem Tone gehalten -. Dafs die Ansichten des Angeklagten als offenbar längst widerlegte und mit der Schrift in Widerspruch stehende Ketzerei behandelt und seine Schwächen geschickt ausgebeutet werden würden, war nicht anders zu erwarten : aber nicht einmal die Persönlichkeit des Irrenden, dessen äufsere Lage und Hilf- losigkeit doch eine gewisse Rücksicht gebot, wurde geschont. Während Bolsec in dem vorausgegangenem Verhör auf den Geist der christlichen Liebe als besonders bei solchen Verhandlungen nötig hingewiesen hatte -% ergeht Calvin sich in leidenschaftlichen Schmähungen, wirft dem Gegner bald knabenhafte Unwissenheit,

' Fazy .S. 13, 14 fr,; Opp, VIII S, 158, 159 ff. (n. 7, 8, 9); Trechsd, Die protest. Antitrinitarier I, 186,

^ Fazy S. 67 ff.; Opp. VIII 163 ff. 3 Opp. VIII, 159,

Haltung des Rats. Ergebnislose Disputation. Ißj

bald frivole Sophisterei vor, nennt ihn einen schamlosen, un- ehrlichen Menschen , einen Verleumder. Es ist wahr, Bolsec hat später eine unedle Rache genommen und durch seine Schmäh- schrift über das Leben Calvins einen Teil jener Vorwürfe wirklich verdient , aber dies darf uns nicht abhalten anzuerkennen, dafs in diesem Kampfe er und nicht Calvin die edlere, würdigere und christlichere Rolle gespielt hat.

Nichtsdestoweniger war der Rat weit entfernt für Bolsec Partei zu nehmen. Diese Haltung der Behörde, die in der Mehr- zahl ihrer Mitglieder keineswegs aus unbedingten Anhängern Calvins bestand , hat auf den ersten Blick etwas Befremdendes ; allein es zeigte sich damals nur aufs neue, wie wenig die an- geblich antiklerikalen Magistrate dieser Jahre jenen destruktiven Tendenzen gehuldigt haben, die man ihnen hat zuschreiben wollen, und dafs Rat und GeistHchkeit sich trotz aller Reibungen und Feindseligkeiten doch immer wieder zusammenfanden, wenn es sich um einen Angriff auf den Glauben handelte ^. Vergeblich dafs Bolsec jetzt in einem ernstem Schreiben an den Rat gegen seine Gefangenhaltung unter Berufung auf seine Eigenschaft als Unterthan Berns protestierte , die städtischen Rechte und Frei- heiten und die gewöhnlichen Formen der Rechtsverhandlungen auch für seine Person in Anspruch nahm und eine kurze, un- parteiische und die Ehre Gottes berücksichtigende Justiz ver- langte-. Mochten die Väter der Stadt auch selbst den Gegenstand des Streitens nicht recht begreifen die Thatsache, dafs Calvin und die ehrwürdige Genossenschaft Bolsec für einen Ketzer erklärten, reichte für sie hin, den Angeklagten noch in Haft zu behalten, bis die Angelegenheit ins klare gebracht sein würde. Dies zu bewerk- stelligen wurde nunmehr eine mündliche Disputation zwischen beiden Parteien vor versammeltem Rate angeordnet. Am 26. Ok- tober liefs man Bibeln , Werke der Kirchenväter, theologische Kontroversschriften u. s. w. auf das Stadthaus bringen, und an zwei aufeinanderfolgenden Tagen wurde über das Geheimnis der göttlichen Gnadenwahl disputiert. Allein ein Resultat wurde nicht

I Bonivard, Anc. et nouv. pol. S. 82, erzählt , die gutgesinnte Minder- heit des Rats habe die Mehrheit für ihre Ansicht gewonnen , namentlich bei dem Vorschlag, das Gutachten der Schweizer einzuholen; aber die Quellen wissen davon nichts, in der Hauptsache herrschte Übereinstimmung.

^ Fazy S. 18; Opp. VHI, 173 (n. 12),

1-74 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

erzielt. Waren sie doch nicht einmal, meinte der Ratssekretär, der das Protokoll zu führen hatte, bis zu dem »Hauptpunkte« gelangt. Der arme Mann war dieses Mal seiner Aufgabe nicht gewachsen und nicht imstande , den Verhandlungen über so un- gewohnte, subtile Fragen zu folgen , und nicht besser erging es den Mitgliedern des weisen Rates selber. Unter diesen Umständen gingen sie gern darauf ein, als Bolsec den Vorschlag machte, ein Gutachten der angesehensten schweizerischen Kirchen über die Streitfrage einzuholen, und beschlossen , nachdem auch die Geist- lichkeit sich einverstanden erklärt hatte , beide Teile ihre Be- hauptungen, Widerlegungen und Gegenbemerkungen schriftlich in lateinischer Sprache aufsetzen zu lassen und dieselben den Kirchen von Basel, Zürich und Bern zur Entscheidung vorzulegen \ Der Angeklagte blieb trotzdem nach wie vor in Haft. Wohl erklärte der Rat sich jetzt bereit , ihm vorläufig eine beschränkte Freiheit zu gewähren unter der Bedingung, dafs er eine sichere Bürgschaft leiste. Allein niemand war zu finden, der die verlangte Bürgschaft übernahm, ein Beweis , wie wenig Teilnahme der fremde Mönch damals noch in Genf fand. Umsonst stellte der Arme in einem neuen Schreiben der Behörde in beweglichen Worten seine Hilf- losigkeit und Verlassenheit vor und bat, ihm auch ohne Erfüllung jener Bedingung die Freiheit zu gewähren, weil er zur Begründung seiner Ansichten noch mehrere Bücher zu studieren habe, die ihm im Kerker nicht wohl zugänglich seien -. Die Herren blieben unerbittlich.

Indes lag in dem Beschlüsse des Rates, das Gutachten der schweizerischen Kirchen einzuholen, doch auch eine kleine De- mütigung für Calvin und die Geistlichkeit, und man begreift es, wenn dieselben ihrerseits nicht gerade Eifer zeigten , die Aus- führung des Beschlossenen zu beschleunigen. Ihr Benehmen während der nächsten Tage macht unverkennbar den Eindruck, dafs sie im stillen noch den Wunsch und die Hoffnung hegten, an dem schiedsrichterlichen Spruch der fremden Kirchen vorbei-

' Fazy S. 19 ff.; Opp. VIII, 172, 174 ff. (n. 11, 13, 14, 15). [Vgl. Roget III S. 173 ff.].

* »Aßn quil pttisse visiter ccrtains livres dcsquch il na la cominodite en prison, et potirtant quil na possibilite de trouver fiance estant estrange lointain de son pais parentz et ainys«. Fazy S. 21 ; Opp. VIII, 176. Damit stimmt Colladons Angabe, dafs ihn die Opposition angestiftet habe, schlecht.

Fortgang des Prozesses. Haltung Bolsecs. I^g

zukommen. Statt die sehr einfachen Vorbereitungen für die Ein- sendung der Akten zu treffen , sehen wir sie allerhand neue Ver- zögerungen herbeiführen und Versuche machen, den Rat zu einem energischen Verfahren zu bewegen. Sie bitten um »Gerechtigkeit«, erheben neue Anschuldigungen und scheinen jetzt sogar den durch die Edikte zur Erhärtung der Anklage geforderten Bürgen auf- gebracht zu haben \ Eine neue Eingabe Bolsecs, die in Form von Fragen die schwachen Punkte der Genfer Prädestinationslehre sehr geschickt hervorhob , beantwortete Calvin mit gesteigerter Heftigkeit und neuen Schmähungen. Dann überreichte er dem Rate aufs neue zwölf Artikel , über die der Angeklagte zu ver- nehmen sei -. Die Behörde war in der That schwach genug, darauf einzugehen und bewilligte ein Verhör nach dem andern. Es wurde jetzt nachträglich noch ein weitläufiges, mehrtägiges Zeugenverhör über die Scene des i6. Oktober angeordnet. Gegen dreifsig von den Predigern vorgeschlagene Männer, fast ohne Aus- nahme Refugies - nur drei oder vier altgenferischen Namen begegnen wir unter ihnen wurden nach den von Calvin ge- stellten Fragen über Bolsecs Auftreten und Äufserungen in der Kongregation vernommen, um Zeugnis gegen ihn abzulegen \ Die Absicht war offenbar, durch Häufung der belastenden Zeugnisse den Rat noch zu einem selbständigen Urteil zu bewegen oder, wenn dies nicht gelang, doch den Schiedsrichtern die Freisprechung des Angeklagten unmöglich zu machen.

Bolsec, der bisher an eine ernste Gefahr nicht geglaubt hatte, begann angesichts dieser aufserordentlichen Anstrengungen der Gegner schlimmes zu fürchten. Seine frühere Zuversicht verliefs ihn, die offenbare Parteinahme der Behörde für seine Ankläger erfüllte ihn mit wachsender Besorgnis. Noch- mals machte er den Versuch, den Rat milder zu stimmen. Am 2. und 6. November richtete er zwei Gesuche an denselben, worin er in flehentlichen Worten bat, »seiner Trübsal ein Ende zu machen« und ihn aus dem Kerker zu entlassen. Drei Wochen befand er sich nun schon in harter Haft, blofs aus dem Grunde,

Fazy S. 24; Opp. VIII S. 184 (n. 21).

* Fazy S. 22 ff., 25 ff.; Opp. VIII, 178, 181, 186 (n. 17, 18, 19, 23). 3 Ihre Namen und Aussagen, die grofsenteils nach Wunsch ausfielen, bei

Fazy S. 28ff.; Opp. VIII, 183, 185, 1S8 ff. (n. 20, 22, 24).

l^ö Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

weil er einer von dem Prediger aufgestellten Meinung widersprochen habe, »wofür man doch keinen Menschen so lange gefangen halten dürfe«. Er erbiete sich den Herren zu jedem schuldigen Dienst und werde gerne Widerruf leisten, wenn er auch nur durch den geringsten Diener des Wortes eines Irrtums überführt werde. Er fügte zugleich in dem zweiten Schreiben die dringende Bitte hinzu, die Übersetzung der von ihm abgegebenen und den Schiedsrichtern vorzulegenden Erklärungen keinem andern als ihm selbst zu übertragen. Nur in diesem letzten Punkte wurde seinem Wunsche entsprochen. Im übrigen hatten die neuen Gesuche ebensowenig Erfolg als die früheren ; neue Verhöre waren das Einzige, was sie ihm eintrugen \

Der ungewöhnliche Eifer, welchen die Geistlichkeit in der Angelegenheit Bolsecs an den Tag legte und der geringe Wider- stand, den ihr der Rat entgegensetzte, begannen aber jetzt nach und nach die öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen. Man hatte während der ersten Woche dem Handel des fremden Mönches innerhalb der Bürgerschaft kaum irgend welche Beachtung ge- schenkt und insbesondere hatte sich die altgenferische Opposition völlig gleichgültig verhalten. War doch der Angeklagte einer der verhafsten Franzosen und seine Lehre , wie auch von den Predigern geltend gemacht wurde , im Grunde doch papistisch I Nach den letzten Vorgängen aber fing man an, Bolsec mit andern Augen anzusehen. Es wurde den meisten klar, dafs es sich nicht nur um einen blofsen Gelehrtenstreit handelte ; je gröfsere Anstrengungen die Geistlichkeit auf der Kanzel und im Gerichts- saal machte , um Bolsecs Verurteilung herbeizuführen, umsomehr wandte die öffentliche Meinung ihm ihre Teilnahme zu. Die Schwäche und Nachgiebigkeit des Rates erfuhr in immer gröfseren Kreisen Mifsbilligung. Calvins Gegner erkannten in dem schrift- gelehrten und überzeugungsfesten Karmeliten einen willkommenen Bundesgenossen. Mehrere Bürger setzten sich insgeheim mit dem Verhafteten in Verbindung , klärten ihn über die herrschende Stimmung auf, gaben ihm mancherlei Winke und wiesen ihn auf

Fazy S. 27, 35, 36, 40; Opp. VIII S. 193 ff., 204 ff. (n. 25—32, 37). Dafs das Mistrauen, welches sich in dem Wunsche Bolsecs aussprach, selbst seine Auslassungen zu übersetzen , nicht ganz grundlos war , zeigen die ab- weichenden Übersetzungen seiner Antworten in den an die drei Kirchen ge- sandten Berichten. Vgl. Opp. VIII S. 208 ff. (n. 39).

Teilnahme für Bolsec. Herr von Falais. 1^7

den Rat der Zweihundert hin. Calvin und den Predigern kamen über den Verkehr Bolsecs mit den Antiklerikalen und die wach- sende Teilnahme des Volks für den Verhafteten beunruhigende Gerüchte zu Ohren. Sogar in öffentlichen Schmähungen gegen die Geistlichkeit machte sich die Unzufriedenheit über den Gang des Prozesses bald Luft'.

Und nicht blofs in den Reihen der Opposition , selbst unter den eigenen Anhängern Calvins wurden Stimmen des Tadels laut. Einer der angesehensten und vertrautesten Freunde des Refor- mators, jener viel umworbene Herr von Falais und Breda, den für Genf zu gewinnen Calvin sich jahrelange Bemühungen nicht hatte verdriefsen lassen, sagte sich zu seinem gröfsten Schmerz in dieser x\ngelegenheit von ihm los. Falais hatte durch näheren Umgang mit dem Angeklagten , der sein Hausarzt gewesen, die Überzeugung gewonnen , dafs derselbe es redlich meine und nur der Stimme seines Gewissens folge. Am ii. November richtete er für ihn sogar ein förmhches Gesuch an den Rat, worin er in schonenden Worten unter Beteuerung seines unbedingten Ver- trauens in die Gerechtigkeit der Behörde, doch sein Befremden darüber nicht verbarg, dafs der Prozefs nicht von der Stelle rücke, und dringend bat , dem Meister Hieronymus , der nun schon so lange in Haft sich befände, rasche und unparteiische Gerechtigkeit zu gewähren, zumal da derselbe sich nichts habe zu schulden kommen lassen, als dafs er »in der Kongregation über einen Lehrsatz freimütig seine Meinung geäufsert , was doch jedem Christen gestattet sein müsse, ohne dafür eingekerkert zu werden.« Der Rat nahm das Gesuch mit jener achtungsvollen Rücksicht auf, welche der hohe Rang des Fürsprechers forderte, gewährte es aber nicht, sondern lieh den Gegenvorstellungen der Geistlichkeit mehr Gehör. Auch eine zweite Eingabe, wo Falais die Frei- lassung seines Arztes, >^dem er nächst Gott das Leben verdanke,« sich gleichsam als eine persönUche Gunst ausbat , hatte nicht die gewünschte Wirkung ^.

Aber es konnte doch nicht fehlen, dafs Kundgebungen dieser Art auf den Magistrat einen gewissen Eindruck machten. Offenbar

' Fazy, S. 24, 40; Opp. VIII, 184, 196, 205 (n. 21, 27, 37); Con- sistorialprot. 11. u. 26. Nov. 1551.

^ Fazy S. 37 ff.; Opp. VIII, 200 ff. (n. 33, 34, 35, 36).

1^8 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

geschah es infolge der sich mehrenden Zeichen der Unzufriedenheit, dafs nun endlich die Einholung des schiedsrichterlichen Spruches mit Ernst und Eifer betrieben wurde. Umsonst stellte Calvin im letzten Augenblicke die Forderung, dafs die Ausführung des früher gefafsten Beschlusses ihm und der Geisthchkeit überlassen werde: er mochte in diesem Falle mit gröfserer Sicherheit auf ein günstiges Resultat hoffen. Der Rat konnte nicht darauf eingehen, ohne seine eigenen Grundsätze, wie er sie seit drei Jahren offen bekannt, zu verleugnen : er leistete hier zum erstenmale dem Reformator entschlossenen Widerstand. Er war keineswegs ge- sonnen, die Angelegenheit aus seiner Hand zu geben : er wollte selbst den auswärtigen Kirchen den Streitfall vortragen und nach dem Ausfall ihrer Antwort seine Entscheidung treffen. Von beiden Teilen liefs er sich die betreffenden Aktenstücke vorlegen, durch besondere Sachverständige die Richtigkeit der Übersetzung prüfen und noch einige Abkürzungen vornehmen, um den Schieds- richtern ihre Aufgabe zu vereinfachen. Am 21. November gingen endlich die Akten an die drei Städte Zürich, Bern und Basel ab mit einem offiziellen Begleitschreiben , welches den Fall kurz vor- trug, im übrigen aber dem christlichen Eifer der einheimischen Geistlichkeit Gerechtigkeit widerfahren liefs , der er keineswegs mifstraue, und nichts weniger als Sympathie für Bolsec bekundete^. Calvin hätte mit der Handlungsweise des Rates zufrieden sein dürfen, aber die Zurückweisung seines Antrages hatte ihn ge- kränkt und mifstrauisch gemacht. Während der Magistrat noch mit den Vorbereitungen und Formalitäten beschäftigt war, hatte er deshalb den Entschlufs gefafst, ihm zuvorzukommen und den- selben mit gewohnter Raschheit ausgeführt. Bereits eine volle Woche vor dem Abgange des amtlichen Berichtes, am 14. No- vember liefs er die sämtHchen Mitglieder der ehrwürdigen Ge- nossenschaft ein Schreiben an die drei Kirchen unterzeichnen, welches ihnen den Stand der Dinge in Genf nach der Auffassung der Geistlichkeit schilderte und sie von vornherein gegen den An- geklagten einnehm.en sollte. Recht deutlich zeigt dieses Schreiben, wie viel Calvin daran lag, dafs er aus diesem Kampfe als Sieger

' Fazy S. 40, 41. Vollständiger sind hierüber die Opp. VIII S. 204, 222 ff. (n. 36, 40, 41, 42). Irrtümlich nennt Roset V c. 41 neben Zürich, Bern und Basel auch Schaffhausen.

Haltung Calvins. Niedergeschlagenheit Bolsecs. 13g

hervorging, und wie er auch kleinliche, seines grofsen Charakters unwürdige, ja selbst niedrige Mittel nicht verschmähte, um zu seinem Ziele zu gelangen. Nicht nur, dafs Bolsec als ein verworfener Mensch und nichtswürdiger Schwätzer dargestellt und dem Ver- fasser der Institution, dessen Name dort unter den Unterschriften an erster Stelle stand, das gröfste Lob gespendet wird: selbst an thatsächlichen Irrtümern und Entstellungen fehlt es nicht. Der Beschlufs, das Gutachten der drei Nachbarkirchen einzuholen, wird auf die Forderung der Geistlichen zurückgeführt, während doch der Angeklagte dazu die erste Anregung gegeben. Einen geradezu widerwärtigen Eindruck macht es , wenn das Schreiben , um die Schweizer gegen Bolsec einzunehmen , mit besonderm Nachdruck darauf hinweist, dafs derselbe »vor allen andern« auch Zwingli verdammt habe, über den der Genfer Reformator selbst mehr als einmal im Verkehr mit seinen Freunden das wegwerfendste Urteil gefällt hatte. Calvin zweifelte nicht, dafs die Antwort nach seinem Wunsche ausfallen werdet

In ganz anderer Stimmung befand sich in diesen Tagen Calvins Gegner, Hieronymus Bolsec. Die lange Haft und die endlosen Verhöre hatten den Mann gebeugt, die Erfolglosigkeit aller seiner Vorstellungen und flehentlichen Gesuche ihm fast alle Hoffnung auf einen günstigen Ausgang benommen. Er erkannte den Hafs seiner Gegner und ihre Anstrengungen , ihn zu ver- derben. Er hörte von seinen Freunden, dafs die Prediger auf der Kanzel das Volk gegen ihn aufwiegelten, ihn mit den rohesten Schimpfworten und als einen totwürdigen Verbrecher bezeichneten, dafs Calvin ihn für schlimmer als den Teufel erklärt, dafs er mit nackten Worten seinen Tod verlangt habe ^. Er begann sich auf das Schlimmste gefafst zu machen : einzig auf Gott setzte er noch seine Hoffnung. Zeuge seiner Stimmung ist ein damals im Kerker von ihm niedergeschriebenes rührendes Klagegedicht es ist Zeuge von der echt christlichen Ergebenheit und Glaubenstreue eines Mannes, dessen Verdammung herbeizuführen das Haupt der

' Opp. VIII, 205 ff., wo auch die 16 Unterschriften mitgeteilt sind. Die S. 209 mitgeteilten Artikel sind wohl die von der Geistlichkeit eingesandten. Bereits am 20. Nov. war das Schreiben in den Händen der Berner Theologen; Haller an BuUinger 20. Nov. 1551 , Opp. XIV S. 203. Ein ablehnendes Urteil über Zwingli schreibt Calvin selber dann im Jan. 1552 an BuUinger: ebd. S. 253.

» Fazy S. 41, 44; Opp. VIII S. 205, 228 (n. 37, 46).

140 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

Genfer Kirche mit so beharrlichem Eifer alles in Bewegung setzte. O Gott, ruft der Hartgeprüfte aus,

O Gott, mein König, meine Kraft, mein Schützer O Du, mein einz'ger Hoit, Du meine einz'ge Hoffnung, Ach wende Deinem Diener, der Dich um Gnade anfleht, Dein mildes Auge zu und zeige ihm Dein Antlitz. Die Liebe schlummert, Grausamkeit hält mich umfangen. Um mich in ihren Netzen zu verderben.

Gleich einem Mörder sitz' ich hier in Banden, Gleich einem Bösewicht, der keine Unthat scheuet. Beraubt des Guten, getrennt von meinen Freunden, Der Ruf ertönt : hinweg, hinweg, er sterbe. Und doch ist es allein die reine Wahrheit, Für die ich ihren rauhen Zorn ertrage.

Man tobt und ruft : er ist ein Volksverführer, Der unsre heil'ge Lehre zu vernichten trachtet, In Aufruhr setzen will er unsre Stadt, Berauben will er uns des evangel'schen Friedens Hinweg, hinweg, ins Strafgericht mit ihm, Hinweg ans Kreuz, als Opfer mufs er fallen.

Sind Christen denn Tyrannen jetzt geworden? Hat Pharisäerhafs sich ihrer jetzt bemächtigt? Sind heute abgethan die guten, alten Sitten Und Christi Schaaf Verfolger nur geworden? O harter Angriff, wutentbranntes Lärmen Mein Herz, in Thränen möchte es zerfliefsen 1 etc. ^.

Nicht einmal dieser Ergufs eines bekümmerten Herzens war dem Armen gestattet. Am 30. November wurde er vor seine Richter geladen, um sich wegen dieser neuen Missethat zu ver- antworten. Es macht einen eigentümlichen Eindruck, wenn man in dem Protokoll liest , wie die gestrengen Herren Strophe für Strophe mit dem armen Dichter durchgingen , welcher hoch be- teuerte, ohne böse Absicht blofs den Eingebungen seines Herzens

^ Abgedruckt bei Fazy S. 42 ; Opp. VIII S. 226 ff. Auch bei Henry III Beil. S. 15 ff. und Bulletin XV, 372. {Roget III, 184 ff.].

Die Gutachten der Schweizer Kirchen.

141

gefolgt zu sein, »wie solches oft von Gefangenen geschehe«, und die einzelnen Strophen seines Gedichtes durch seine Lage zu ent- schuldigen sucht ^

Bolsecs Gottvertrauen sollte indes nicht unbelohnt bleiben.

Calvin hatte sich über die Stimmung der schweizerischen Kirchen sehr im Irrtum befunden. Von keiner derselben wurden seine schroffen Ansichten über Prädestination und Reprobation geteilt. Die Antworten, die seit Anfang Dezember einliefen, trafen ihn wie ein Donnerschlag.

Am frühesten langte das Gutachten von Basel an : es war an die Geistlichkeit gerichtet ; ein kurzes Begleitschreiben an den Rat war beigefügt. Die Baseler Theologen lehnten zwar mit Ent- schiedenheit jede Gemeinschaft mit dem Angeklagten ab und be- zeichneten seine Angabe , dafs sie mit ihm einverstanden seien, sogar in etwas gereiztem Tone als unwahr ; aber die dann fol- gende kurze Darlegung ihres eigenen Standpunktes kam denn doch im Grunde auf die Bolsecsche Auffassung hinaus. Nicht minder scharf als Bolsec betonten auch sie das Wort der Schrift, dafs Christus in die Welt gekommen , Alle selig zu machen und zur Erkenntnis der Wahrheit zu führen , und dafs diejenigen, die verloren gehen , dies ihrer eigenen Schuld zuzuschreiben haben. Über das Geheimnis der Gnadenwahl wollen sie nicht nachgrübeln,, sondern in »Einfalt« bei Gottes Wort verharren und Gott bitten,, dafs er sie bei dieser »Einfalt« belasse''. Schon über diese Ant- wort war Calvin in hohem Grade erbittert. Man sehe jetzt, schrieb er einem Freunde , dafs von den Baselern nichts zu er- warten sei. Er fand das Schreiben unentschieden , nichtssagend, frostig; doch hoffte er noch, dafs alles gut gehen werde, wenn Zürich und Bern »sich beherzt zeigen würden« 3.

Bald trafen auch ihre Gutachten ein. Zürichs Antwort be- stand aus zwei verschiedenen Schreiben der Theologen an Rat und Geisdichkeit, welche von einem amtlichen Schreiben des Züricher Magistrates an den zu Genf begleitet waren. Schon dies

I Fazy S. 44; Opp. VIII S. 228 (n. 46).

^ Fazy S. 45, 73; Opp. VIII S. 235 ff. (n. 50, 51).

3 Calvin an die Neuenburger Geistlichen, Anf, Dez. 1551, Opp. XIV S. 213. Schonender antwortet er einige Wochen später den Baselern selbst: ebd. S. 267. Vgl. Calvin an Farel 27. Jan. 1552, ebd. S. 272.

142 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

empfand Calvin als eine Zurücksetzung % noch mehr aber mufste ihn der Inhalt der neuen Schriftstücke verletzen. Die Züricher sind voll des Lobes für den Ruhm und die Verdienste der Genfer und beklagen sehr den ausgebrochenen Zwiespalt; sie bedauern sehr , dafs Meister Hieronymus es an der nötigen Bescheidenheit habe fehlen lassen , erklären aber mit nackten Worten , dafs man diese auch bei der Geistlichkeit vermisse und mahnen zur Mäfsi- gung. In dem an den Rat gerichteten Schreiben wird insbeson- dere Zwingli gegen den Vorwurf in Schutz genommen, als mache er Gott zur Ursache der Sünde. Der eigentliche Gegenstand des Streites aber wurde in dem einen wie in dem andern Schreiben nur mit grofser Zurückhaltung berührt und was darüber gesagt wurde, war nichts weniger als eine Zustimmung, wie Calvin sie verlangte. Am ungünstigsten lautete , wie zu erwarten war , das zuletzt ein- treffende, an Rat und Geistlichkeit gerichtete Schreiben der Theo- logen Berns ^. An höflichen Redensarten und Ausdrücken wohl- wollender Teilnahme liefsen es auch sie nicht fehlen , aber in nachdrücklichen Worten wurden damit Mahnungen zur Pflicht der christlichen Milde verknüpft. Genfs Eifer für die Reinheit der Lehre , hiefs es , verdiene alles Lob , aber man dürfe gegen Irrende nicht zu strenge sein, sondern müsse stets bedenken, wie sehr der Mensch dem Irrtume ausgesetzt sei. Christus wolle zwar die Wahrheit, aber auch das Heil der Seelen. Die angeregte Streitfrage sei eine der schwierigsten der christlichen Religion. Die heilige Schrift enthalte manche Aussprüche und mit Geschick werden diese in dem Schreiben zusammengestellt welche der Annahme einer besondern Gnadenwahl entgegenzustehen schienen

Nee digiiatus est senatus ad pastorcs i/sos scribere, scd maioris con- tumeliae causa praefectis coercendos tradidit. Calvin an Farel 8. Dez. 1551, Opp. XIV, 219. Die drei Schreiben finden sich in den Prozefsakten Opp. VIII S. 229 ff. (n. 47, 48, 49). Vgl. Fazy S, 47, 74. Das Schreiben an die Geistlichen ist vom 27. Nov. datiert, während die beiden andern das Datum des I . Dez. zeigen : wahrscheinlich ist es die Antwort auf den Bericht der Genfer Theologen , dem dann die beiden andern als die eigentlich offiziellen folgten.

^ Fazy S. 48 ff.; Opp. VIII, 238 (n. 52). Aus dem Schreiben Hallers an Bullinger vom 5. Dez. 1551, Opp. XIV S. 216, sieht man, dafs die beiden Theologen sich das Gutachten erst in Abschrift gaben. Dieses Schreiben zeigt überhaupt, wie verhafst Calvin in Bern war; die Theologen wollen nur im Einverständnis mit dem Rate handeln.

Die Antworten der Schweizer Kirchen.

U3

und schwächere Naturen, wie Bolsec , irre führen könnten. Auf jeden Fall sei eine Versöhnung anzustreben. Man kenne Bolsec nicht persönlich, höre aber, dafs er kein so übler Mann sei, und die Zugeständnisse, die er mache, seien der Art, dafs, wenn man Streitsucht fern halte , eine Einigung wohl möglich sei ! Diesen scharfen und Calvins Ohren ungewohnten Vorstellungen der Theo- logen fügte der Berner Rat, dem der Herr von Falais in einem besonderen Schreiben die Sache des Angeklagten ans Herz gelegt hatte, noch die seinigen hinzu. Er riet den Genfern dringend, in diesem Falle ein milderes Verfahren einzuschlagen und nicht durch Strenge in dieser schweren Zeit aufs neue Ärgernis und Zwiespalt anzurichten \

Das war der schiedsrichterliche Spruch , den Calvin mit so vieler Zuversicht erwartet hatte, der seine Sache in Genf stützen sollte 1 Je weniger er darauf vorbereitet war, desto härter traf ihn der Schlag. Ärger und Zorn bemächtigte sich seiner über die unbrüderliche Handlungsweise seiner deutschen Amtsbrüder und in den stärksten Ausdrücken machte er seinen Gefühlen in dem Verkehr mit seinen Freunden Luft. Er fand das Benehmen der schweizerischen Geistlichen, die ihn auf so unedle Weise im Stiche gelassen, »barbarisch«, und meinte, unter den wilden Tieren sei mehr Humanität zu finden als unter ihnen ^. Ein schwacher Trost

' Das Schreiben des Rats von gleichem Datum wie das der Theologen (7. Dez.) s. Fazy S. 74; Opp. VIII S. 241 (n. 53). Das Schreiben des Herrn von Falais: Opp. VIII S. 224 (n. 43). Merkwürdig, wie trotzdem die alten und, wenn auch etwas vorsichtiger, die neuen Biographen Calvins Bolsec durch die drei Kirchen verdammt werden lassen. "Ils condatnnereiit Hicronime iout a plat«, sagt Bonivard (Anc. et nouv, pol. S. 83). Ähnlich Colladon (Opp. XXI S. 74) : Dtellement que rlen nc demeura a cest adver saire de veritit. Gaberei II, 219 läfst wenigstens Zürich Bolsec verdammen. Staehelin I, 413 und Trechsel \, 1S7 finden die Gutachten wenigstens »im allgemeinen« oder »im ganzen« günstig für Calvin. [Raget III S. 188 ff. äufsert sich ähnlich wie Kampschulte und polemisiert ebenso gegen die Auffassung Gabereis. Choisy S. 118: »elles ne condamnaient que faiblement la rebellion de Bolsec« ... »En somme, la consultation n'etait pas tr^s d^favorable ä Bolsec«].

^ Calvin an Farel 8. Dez. 1551 (Opp. XIV S. 218): »Mi Farelle, dici non potest , quantopere me ista barbaries excruciet minusque esse inter nos hztmanitatis quam itttcr sylvestres feras«. Er sagt dies besonders im Hinblick auf das Züricher Schreiben , das ihn besonders empfindlich berührt zu haben scheint und fast die Baseler (»qui prae Tigurinis maxima laude digni sunt«) wieder zu Ehren brachte.

144 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

war es , dafs Farel , wie immer , auf der Seite des bewunderten Freundes stand und im Namen der Neuenburger Kirche ein Zu- stimmungsschreiben an ihn richtete'. Es war unleugbar: Calvin hatte in den Augen seiner Mitbürger eine Niederlage erlitten, wie sie empfindlicher kaum gedacht werden konnte.

Die Lage war durch die Entscheidung der Schweizer völlig zu Gunsten Bolsecs verändert. Hatte auch keine der drei Kirchen in der eigentlichen Streitfrage offen für ihn Partei zu nehmen gewagt, so mufste doch eine Verurteilung, wie Calvin sie gewünscht, unmöglich erscheinen. Namentlich das Schreiben Berns machte auf den Rat einen tiefen Eindruck. Am ii. Dezember kamen die drei Gutachten im Rat zur Verlesung. Man beschlofs, wie billig, sie beiden Parteien mitzuteilen. Vergebens suchte Calvin die Ausführung dieses Beschlusses zu hintertreiben und die Mit- teilung der Aktenstücke auch an den Angeklagten zu verhindern -. Seine »Ermahnungen« blieben fruchtlos: auch Bolsec erfuhr, was die Schweizer geantwortet. Was Calvin gefürchtet und hatte ver- hindern wollen, trat ein. Hoffnung und Mut kehrten dem An- geklagten zurück , als er gewahr wurde , dafs er nicht ohne Be- schützer war. Er habe, klagt das Protokoll, nicht nur keine Reue, sondern sogar eine hartnäckige Verstocktheit an den Tag gelegt. Ja er wagte jetzt sogar wieder ein neues Schreiben an den Rat zu richten, worin er in entschiedenem Tone und unter besonderer Hinweisung auf das Unterthanenverhältnis , in dem er zu Bern stehe, um »gute und kurze Justiz« bat, da nunmehr die Entschei- dung der Kirchen , denen man den Streit vorgelegt habe , an- gelangt sei. Durften die Richter noch länger zögern, die oft ver- langte Gerechtigkeit zu gewähren ^ ?

' Vgl. die Aufzeichnungen der Ven. Comp. A. S. 173, Farel genügte die einfache Thatsache, dafs Bolsec sich gegen Calvin erhoben, ihn zu ver- dammen. Bezeichnend für Farels Haltung in diesem Streite und seine Motive ist eine Äufserung, die er schon am 29. Juni 1551 in einem Schreiben an Calvin that (Opp. XIV, 143) : »vir plene improbus, quod mox ita esse iu- dicavi^ ubi illuin quae scripseras tarn sancte andere tarn improbe inipugnan accepi«. Auch Viret richtete am 24. Dez. 1551 ein Trostschreiben an Calvin (ebd. S. 225).

^ Ratsprot. 14. Dez. 1551 : "les ministres par lorgane de M. Calvin hont faict plusienrs retnonstrances , qucllcs ne doibvent estre cominunicquees aud^ Bolsec, pour ne deplaire aux ministres quhont donne leurs responses et plusienrs raisons quilz hont dicts, Fazy S. 51 ; Opp. VIII S. 242.

3 Fazy S. 51, 52; Opp. VIII S. 242, 243 (n. 54—58).

Feierliches Urteil der Kongregation. iac

Calvin, der den Rat wankend sah, versuchte jetzt das letzte Mittel , das ihm zu Gebote stand, um denselben bei seiner Sache festzuhalten.

In der auf den i8. Dezember fallenden Kongregation nahm Calvin nach Eröffnung der Sitzung das Wort zu einer feierlichen Ansprache an die versammelten Brüder und Gläubigen , deren Gegenstand das von Bolsec angegriffene Dogma bildete. In langer ernster Rede entwickelte der Reformator hier noch einmal seine Lehre, führte noch einmal die ganze Reihe von Bibelstellen aus dem Alten und Neuen Testament und insbesondere aus den pau- Hnischen Briefen vor, die von ihm für seine Auffassung geltend gemacht wurden, suchte die Einwendungen des Gegners als frivole Eingebungen menschlichen Vorwitzes oder Äufserungen eines bösen Willens darzustellen, und forderte am Schlüsse diejenigen unter seinen Mitbrüdern, denen Gott die Gnade verliehen, auf, auch ihrerseits von der heihgen Lehre Zeugnis zu geben. Es waren zwölf Mitglieder der ehrwürdigen Genossenschaft anwesend. Ge- horsam der Aufforderung des Meisters erhoben sie sich , einer nach dem andern , um ihre Zustimmung zu der vorgetragenen Lehre zu erklären und sie, so viel es ihnen gegeben , durch weitere Beweise zu stützen. Man sprach mit vielem Eifer und je länger man sprach , desto gröfser wurde der Eifer. Selbst der zweifelhafte , vor kurzem noch verfolgte Philippus de Ecclesia blieb nicht zurück und erklärte die Lehre von der Gnadenwahl und Reprobation für eine durchaus wahrhafte, an der man vor allem festhalten müsse. Nachdem alle gesprochen, ergriff Calvin selbst noch einmal das Wort, und schlofs die Sitzung mit einem feierlichen Dankgebet, Gott den Herrn lobend und preisend, dafs er sie alle, noch ehe sie ihn kannten, auserwählt und ihnen in seinem ewigen Ratschlufs einen sichern Grund ihres Heils ge- geben habe ^

' Die Verhandlungen dieser Kongregation, die wie es scheint, 1562 ge- druckt wurden, sind später in Vergessenheit geraten, bis sie jüngst in der neuen Ausgabe der Opp. VIH S. 85 140 wieder gedruckt worden sind: Congregation faicte en l'eglise de Gen^ve par J. Calvin, en laquelle la matiere de l'election eternelle de Dieu fut sommairement et clairement par luy deduite et ratifiee d'un commun accord par ses freres ministres. Vgl. ebd. Prolegomena S. 17 ff. Ferner CoHadon Opp. XXI, 75, Irregeführt durch. J?osci Y 41 verwechselt A^r/za/- VtiUiemin, Hist. de la ref. de la Suisse V, 467 diese Schrift mit der dem Rat Kampschulte, J. Calvin 11. lO

146 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

Dieses auf so feierliche Weise in Scene gesetzte öffentliche Bekenntnis blieb nicht ohne Wirkung. So viel war durch die Kongregation des 18. Dezember auf jeden Fall erreicht, dafs der Rat nicht daran denken konnte, den Angeklagten straflos ausgehen zu lassen. Ein vollständiger Buch mit der Geistlichkeit und der vor zehn Jahren gesetzlich eingefühlten Kirche würde, nachdem die gesamte ehrwürdige Genossenschaft mit ihrer Autorität für die von Bolsec angegriffene Lehre eingetreten war, die unabwend- bare Folge gewesen sein. Davor bebte die furchtsame Behörde zurück. Aber sollte sie den Willen der Geistlichkeit vollständig erfüllen, gegen den Angeklagten nach der Strenge der von C?lvin verkündeten Grundsätze einschreiten? Nach der Anschauungs- weise des Reformators hatte Bolsec als Ketzer den Tod verdient, und hatte er auch keinen förmlichen Antrag in dem Sinne ge- stellt ^ , so kann es doch kaum zweifelhaft sein, dafs, wenn der Prozefs einen ungestörten Verlauf genommen hätte, Bolsec wie Gruet und Servet durch das Beil oder auf dem Scheiterhaufen geendet haben würde ; nicht blofs der Angeklagte selbst hatte diese Überzeugung, auch unbefangene Beobachter, wie der Herr von Falais , empfingen den Eindruck , dafs es auf seinen Unter- gang abgesehen sei ~. Soweit konnte der Rat doch unmöglich

dedicierten: De aeterna Dei praedestinatione, ein Irrtum, der in die Werke von Henry III, 59; Staehclin I, 415; Trechsel I, 188; Hundeshagen S. 277 über- gegangen ist. Das hier von Calvin gegen Bolsec angewandte Mittel war das- selbe, das er früher schon gegen P. Ameaux mit Erfolg angewandt hatte.

' Im Widerspruch mit den Bolsec zugetragenen Ge. ächten {Fazy S. 44 ; Opp. Vill S. 228 n. 46) behauptet dies Calvin selbst nach Beendigung des Prozesses ganz entschieden, nicht blofs in einem Schreiben an BuUinger, sondern auch in der Zuschrift an den Rat selbst: »Qua/n maligne finxerint vii'uleiiti quidam homines, ad capitis supplicium a nuöis eum exposci, vos optimi estis estes«. Opp. VIII S. 253/54. [Roget III S. 198 meint, dafs Calvin wohl eine strengere Strafe gewünscht habe.]

^ Falais findet in dem Schreiben an den Berner Rat Bolsecs Lage der- mafsen bedenklich, »das der guti man in grosser gefar sins läbens stati. Opp. VIII S. 225 (n. 43). Die Klagen , welche Calvins Anhänger nach der Verbannung Bolsecs über die allzu n'lde Bestrafung desselben erheben [Colla- do7t, Opp. XXI S. 74: "car ce maUieureux, qiii avoit merite punition potir un acte seditieux, estant traitte par le magistrat en toute doticeur<'. Farel an Calvin 8. Sept. 1553, Opp. XIV, 613, wo über die Nachsicht der Richter geklagt wird. Bonivard 1. c. S. 83, wo die gelinde Strafe auf die Bemühungen der Gegner zurückgefüh-t wird) zeigen, da<"« sie den Tod für keine zu strenge

Urleil im Prozefs BoUec.

147

gehen. Dem standen nicht blofs die aus der Schweiz ein- gegangenen Gutachten und insbesondere die energische Sprache Berns entgegen, sondern eben so sehr die drohende Haltung der öffentlichen Meinung in Genf selbst. Die Zahl der entschiedenen Anhänger Bolsecs innerhalb der Bürgerschaft vermehrte sich trotz des geistlichen Anathemas ^ mit jedem Tage. Auch Bolsec selbst war sich nunmehr der Gunst seiner Lage vollkommen klar be- wufst und führte eine ganz andere Sprache als vordem. Er stützte sich auf das Gutachten der Schiedsrichter und liefs Aufse- rungen fallen , die wie Drohungen klangen. Er sehe voraus und bedauere es, hörte man ihn sagen, dafs seine Verurteilung schwere Unzuträglichkeiten herbeiführen werde ; er habe mehr Freunde, als man denke, das gemeine Volk werde sich für ihn erheben und der Handel nicht ohne Unruhe und öffentliches Ärgernis ver- laufen -.

Der Rat entschied sich in dieser mifslichen Lage für den ihm allein noch übrigen Ausweg : er schlug den Mittelweg ein. Nach- dem am 21. Dezember noch ein letztes Verhör stattgefunden, wurde am 22. das Urteil gefällt und am nächsten Tage dem An- geklagten mitgeteilt. Dasselbe erklärte Bolsec schuldig , in der Kongregation des 16. Oktober auf ärgerliche und verwegene Weise den Predigern widersprochen und falsche, in der heil. Schrift nicht begründete Lehren vorgetragen zu haben; es verurteilte ihn »mit Rücksicht auf die Forderung der Herrn von Bern , unserer Mit- bürger«, zu der »gnädigen« Strafe ewiger Verbannung und Tragung der Kosten. Für den Fall der Rückkehr wurde er mit dem Staupbesen bedroht 3.

Strafe hielten. Calvin selbst spricht einige Zeit später, in einem Schreiben an die Dame de Cany (Opp. XIV S. 450) von einem Gegner , dessen Entrinnen er bedauert: »Jamais je ne leusse ctiyde ung mottstre si exsccrable en totite im piele ei /nespris de Dieu, comine il sest icy declaire. Et vous asseure, madame, Sil ne fut si tost eschappe, que pour macquicter de mon debvoir, il tteust pas tenu a inoy quil ne fust passe par le feu«. Ob diese ÄuTserung sich auf Bolsec bezieht , läfst sich mit Bestimmtheit nicht feststellen , aber ich wüfste nicht , auf wen sonst sie bezogen werden könnte. Vgl. dazu die Anmerkung der Herausgeber Opp. XIV S. 450.

' Die ehrwürdige Genossenschaft beschlofs , die Anhänger Bolsecs vom Abendmahl auszuschliefsen (Aufz. der Ven. Comp, zum 11. und 18. Dez.).

» Fazy S. 52. Opp. VIII S. 244 (n. 59, 60).

3 Opp. VIII S. 245 ft. (n. 61—64).

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I48 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

Nach allem was vorausgegangen war , hatte Calvin Grund mit dem gesprochenen Urteil zufrieden zu sein. Der Angriff auf den Glauben war zurückgewiesen, die Ehre des geistlichen Amtes gewahrt , der Angeklagte , wenn auch nicht der Strenge des geist- lichen Systems , doch hart genug bestraft : er war unschädlich ge- macht und öffentlich gebrandmarkt. Hätte die traurige An- gelegenheit durch das richterliche Urteil ihren Abschlufs erhalten, Calvin hätte sich als Sieger ansehen dürfen. Aber der Sieg war um einen Preis erkauft, der ihn zu einer schweren Niederlage machte. Die Opposition war nicht beseitigt. Bolsecs Angelegenheit sollte neuen Zündstoff für dieselbe geben. Calvin hatte sich in diesem Kampfe Blöfsen gegeben wie noch in keinem früheren. Man hatte seine Anfechtbarkeit auf dem dogmatischen Gebiete kennen gelernt und hielt Bolsec wohl gar für den Sieger 1

Von der Masse des Volkes in Genf wurde der gefällte Spruch mit lautem Unwillen aufgenommen. Wenig fehlte daran, so wäre es bei der Vollstreckung zu einem Aufruhr gekommen. Als der Angeklagte vor das Rathaus geführt wurde, um von hier »in ge- wohnter Weise unter Trompetenschall: feierlich ausgewiesen zu werden , herrschte in der Stadt eine grofse Aufregung. Aus der Menge, die sich vor dem Rathause versammelt hatte, ertönten die Rufe, der Verurteilte sei ein Ehrenmann und seine Lehre im gött- lichen Wort gegründet, Calvin aber trage gottlose Lehren vor. Man konnte in diesen Tagen Bolsecs Klagelied oft auf öffent- licher Strafse singen hören ; der fremde Karmeliter war die popu- lärste Persönlichkeit in Genf geworden. Zwar schritt der Rat mit Strenge ein und es gelang ihm für den Augenblick, ernstliche Ruhestörungen zu verhindern. Aber welche Aussichten eröffneten sich für die Zukunft ^ ?

Und nicht blofs in Genf selbst, auch in der Ferne hatte Bolsecs Angelegenheit die übelsten Folgen. Sie brachte zum ersten Male den übrigen Reformatoren den Gegensatz, der zwischen ihrer und der Genfer Lehre bestand, in aller Schärfe zum Bewufstsein -. Die schweizerischen Kirchen legten ihre Unzufriedenheit über das ergangene Urteil offen an den Tag. Von Basel protestierte

^ Consistorialprot. 25. Dez. 1551 ; Ratsprot. 28. Dez. 1551, 4. u. 5. Jan. 1552; Fazy S. 55, 56. » Vgl. u. S. 224

Ungünstige Folgen des Prozesses für Calvin. 140

Myconiiis geradezu gegen die seinem Schreiben von Calvin ge- gebene Deutung ^ : eine tiefe Verstimmung blieb seit diesem Vorfall in den theologischen Kreisen Basels zurück. Noch mehr grollte Bern, das dem Verurteilten alsbald Aufnahme auf seinem Gebiete gewährte und sogar durch ein besonderes Edikt allen das Reden üNer die Prädestinationslehre streng untersagte''. Sogar bis nach Wittenberg drang die Kunde von Bolsecs Prozefs, und auch hier war der Eindruck ein ungünstiger. In Genf, schrieb Melanchthon in jenen Tagen seinen Freunden, wolle man den stoischen Irrtum wieder einführen ; man sperre Menschen ein , die mit Zeno nicht übereinstimmen 3.

Calvins Lage gewährte in diesem Augenblick ein merk- würdiges Schauspiel. Während er fast überall , wohin er seine Blicke richtete, nichts als Tadel und Mifsbilligung erfuhr, während ihn auswärts die Theologen , daheim die Bürger verurteilten und ihm selbst aus den Kreisen der Refugids offener Widerspruch entgegentrat, fand er seine einzige Stütze dort, wo er seit Jahren seine Hauptgegner zu sehen gewohnt war in dem Genfer Rat. Ihm für die der guten Sache geleisteten Dienste den gebührenden Dank abzutragen und zugleich ihn in der angenommenen Haltung zu befestigen, trug ihm der Reformator wenige Wochen nach Be- endigung des Prozesses im Namen der gesamten Geistlichkeit die Widmung eines neuen Werkes an, welches die vielbestrittene Lehre noch einmal gründlich darlegen und gegen alle Einwendungen sicherstellen sollte. Es war ein bedenkhches Zeichen für die Zu- verlässigkeit der ihm allein gebliebenen Stütze, dafs die »tapferen und mutigen« Herren sich über die ihnen zugedachte Ehre keines- wegs erfreut zeigten, sondern das Buch, wie jedes andere, erst einzusehen verlangten, und geradezu verletzend war es für Calvin, dafs die Durchsicht desselben zwei Männern übertragen wurde, von denen der eine , Troillet , zu seinen persönlichen Gegnern zählte ! Erst nach längeren, für Calvin peinlichen Verhandlungen

^ Myconius an Calvin 9. Jan. 1552; Opp. XIV S. 239 f.; Yen. Comp. A. S. 179.

^ Roset V 41; Vgl. Calvin an Farel 27. Jan. 1552; Opp. XIV S. 272.

3 Melanchthon an Camerarius i. Febr. 1552; »Vide Stculi furorcs, certa- mina Allobrogica de stoica neccssitate tanta sunt, ut carccri indusiis sit qiddam qiii a Zeno dissentit«. Corpus Ref. VII, 930. Ähnlich an Peucer, ebd. 932, [Vgl. Roget III S. 307 ff.].

ICQ Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

und nachdem die »Schmähungen«, welche die Schrift nach dem Urteil beider Sachverständigen enthielt, ausgemerzt worden, wurde der Druck gestattet und die Dedikation angenommen \ So schien nun allerdings worauf es abgesehen gewesen dem cal- vinischen Lieblingsdogma wenigstens in Genf selbst fortan die Herrschaft gesichert und die Lehre von der ewigen Prädestination unter den besonderen Schutz der höchsten Staatsgewalt gestellt ; aber niemand täuschte sich über die Unsicherheit dieses Schutzes weniger als Calvin selbst, trotz des glänzenden Lobes, welches das Widmungsschreiben in beredten Worten »den mutigen und entschlossenen Verteidigern der frommen Sache« spendete "".

VIIL

VERFALL DER CALVINISCHEN ORDNUNG. ABNEHMENDER EINFLUSS DES REFORMATORS.

Die Aufgabe und Stellung der Oppositionspartei, die seit dem Jahre 1548 in Genf sich am Ruder befand, war vornehmlich darum eine schwierige, weil sie gleichzeitig einen Kampf nach zwei Seiten erheischte. Auf der einen waren die Ansprüche und Übergriffe der Geistlichkeit zurückzuweisen und die Rechte der bürgerlichen Gewalt gegenüber der seit Jahren stillschweigend als gültig angenommenen Theorie Calvins wieder mit Entschiedenheit zur Anerkennung zu bringen; auf der andern galt es, die radikalen und zügellosen Elemente, welche die Opposition in ihrem Schofse

Ratsprot. 21., 25., 2S. Jan. 1552 [Ann. S. 500 f.]. Fazy S. 59, 60. Was Calvin mit der Schrift beabsichtigte, spricht deutlich der Satz der Vorrede aus: »Magnopere refert, quasi publicis tabulis consignatam sub oculis et inter inaniis hominuin exstare rei suinmam , qiiae falsas aiti stidtorum aut leviiiin aut improborum voces coaj'guat et siinul compescat Jrivolos vulgl su- sur)ps.« [Vgl. Rogct III S. 221 f.]

^ Vgl. De aeterna Dei praedestinatione ; Opp. VIII, 249 ff. Die Wid- mung trägt das Datum des i. Jan. 1552, obgleich die Schrift mehrere Monate später erschienen ist. Über die Entstehung der Schrift, die ursprünglich nichts als eine Privatabhandlung Calvins gegen Pighius war, nun aber den Predigern als eine communis fidei declaratio gleichsam aufgedrängt wurde und bei den Geschichtsschreibern als Consensus Genevensis ein unverdientes Ansehen er- langt hat, vgl. die Prolegomena S. 23, 24.

Die Opposition wendet sich gegen den Rat. jei

barg, im Zaume zu halten und jeder Störung der öffentlichen Ordnung mit Nachdiuck entgegenzutreten. Es läfst sich nicht leugnen, dafs die Männer, welche in jenem Jahre die Leitung des Staates hatten, trotz einzelner Mifsgriffe und Schwächen doch im allgemeinen den Ernst und die Schwierigkeit der Lage zu würdigen wufsten und mit Umsicht und nicht ohne Geschick nach rechts und l'nks ihre Stellung nahmen. Dennoch war es ihnen schwer geworden , der doppelten Aufgabe gerecht zu werden und nicht immer war es ihnen gelungen, die notwendige Autorität zu be- haupten. Mehr als der Widerstand der Geistlichen machte ihnen das Ungestüm der eigenen Parteigenossen zu schaffen. Schwer verstanden sich die Heifssporne aus dem Kreise Bertheliers zu jener Mafshaltung, welche die Vertreter der öffentlichen Ordnung ihnen aufzulegen für gut fanden. Mancher übermütige Streich mufste ihnen doch nachgesehen werden Nur die Rücksicht auf das allgemeine Interesse der Partei und die Erwägung, dafs der ihnen auferlegte Zwang in noch höherem Grade den Gegner traf, hielt sie von gröberen Auschweifungen und offener Widersetzlich- keit ab.

Bei dieser Lage der Dinge mufste Bolsecs Prozefs ver- hängnisvoll werden. Während einerseits die Hartnäckigkeit, wo- mit Calvin einen unbescholtenen Gelehrten, über den keine der an- gerufenen Kirchen das erwartete Schuldig auszusprechen wagte, bis aufs äufserste verfolgte , allen alten Hafs wieder gegen ihn wach rief, überschritt der Rat durch die Nachgiebigkeit, die er in dieser Angelegenheit dem Reformator bewiesen, die Linie, inner- halb deren er allein auf den Gehorsam der eigenen Partei rechnen durfte. So erfolgte, was vorauszusehen war. Von Calvin gereizt und herausgefordert, von einer weiteren Rücksichtnahme auf den schüchternen Rat sich entbunden erachtend , beschlofs die ent- schieden antiklerikale Opposition nunmehr offenen und rückhalt- losen Kampf gegen beide. Man war es müde , sich von der unzuverlässigen, unselbständigen Behörde noch länger am Gängel- bande führen zu lassen. Und es war nicht blofs die engere Partei Berthehers, die so dachte. Auch Männer von einer leiden- schaftsloseren Auffassung nahmen an der Haltung des Rates in dem Bolsecschen Prozesse Anstofs und hielten gröfsere Strenge den steigenden Ansprüchen des Reformators gegenüber für not- wendig. Es war erklärlich, dafs die von allen Seiten einlaufend n

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Nachrichten von dem höchst ungünstigen Eindruck, den die Bolsecsche Angelegenheit auswärts überall hervorgerufen, dieser Stimmung in den weitesten Kreisen Vorschub leisteten. Die An- sichten , welche die Gesinnungsgenossen Bertheliers längst offen verkündet hatten, fanden mehr und mehr auch bei dem ruhigeren Teile der Bürgerschaft Anklang: durch nichts hätte den Absichten jener streitlustigen Schar wirksamer vorgearbeitet werden können, als es durch Bolsecs Prozefs geschah.

Schon bei den nächsten allgemeinen Wahlversammlungen im Februar 1552 machte sich diese Stimmung in stürmischen Auf- tritten Luft. Von allen Seiten ertönte der Ruf der Unzufriedenheit über die Haltung des Rates und seine Abhängigkeit von den Geistlichen. Man lehnte sich offen gegen die in der letzten Zeit erlassenen »Edikte« auf. Die von den Fünfundzwanzig vor einigen Wochen angenommenen Verordnungen gegen das Schwören und Fluchen erregten, als sie jetzt dem Grofsen Rate vorgelegt wurden, einen wahren Sturm des Unwillens. Man sehe klar, hiefs es, dafs der Rat ganz unter der Herrschaft Calvins und der Franzosen stehe; das müsse aufhören. Die gewünschte Genehmigung wurde versagt. Von einigen wurde die Zurücknahme des Edikts über die Taufnamen verlangt. Nur mit Mühe gelang es den Machthabern, durch kluges Nachgeben und begütigende Zureden den auf- steigenden Sturm für den Augenbhck zu beschwichtigen \

Indes abgedrungene Konzessionen stellen selten die Ruhe dauernd wieder her und niemals, wenn sie als Auskunftsmittel der Schwäche und Verlegenheit erkannt werden. Die Strenge des Gehorsams war einmal unterbrochen ; das Zurückweichen der Be- hörde vor ihrem ersten entschlossenen Angriffe gab der Oppo- sition erhöhten Mut ; fast jeder Tag brachte ihr neue Verbündete. Getragen von der öffentlichen Meinung, wurden die »Kinder von Genf« mit jedem Tage kühner und übermütiger; ihre >Jnsolenzen«, klagt der Chronist ^, steigerten sich , wie unaufhörlich die Geist- lichkeit auch dagegen eiferte ; eine geradezu herausfordernde Haltung nahmen sie mehr und mehr gegen Calvin selbst an. Man hatte durch den fremden Arzt seine schwache Seite kennen gelernt und säumte nicht , sie auszubeuten. Ein neuer Triumph

' Ratsprot. 4., 6., 8. Febr. 1552; Roset V c. 42. \Roget III S. 225 f.] * Roset V c. 44.

Opposition gegen die Prädestination. Igj

war es für sie, dafs sogar einer der ehrwürdigen Brüder, die in der Kongregation vom i8. Dezember 155 1 feierlich Zeugnis für Calvin abgelegt hatten, der Pfarrer von Vandoeuvres, Philippe de Ecclesia, sich wieder von ihm zurückzog und mit dem Verurteilten ein freundschaftliches Verhältnis anknüpfte \ Dafs Calvin eine falsche, ketzerische und gottlose Lehre vortrage, die Gott selbst zum Urheber der Sünde mache , war fortan unter allen Be- schuldigungen, die gegen ihn erhoben wurden, die erste und am nachdrücklichsten betonte. Je unantastbarer sein Ruf als Theologe und Gelehrter vordem geschienen, umsomehr Genugthuung ge- währte es jetzt der Opposition, diesen Ruhm zu zerstören, umso- mehr Reiz hatte es für sie, sich im Gebrauch der ihr von Bolsec in die Hand gegebenen scharfen Waffe zu versuchen. In Schenken und auf öffentlichen Plätzen war bald von nichts liäufiger die Rede, als von der verwerflichen Lehre der göttUchen Vorher- bestim mung und den schweren Irrtümern, die der Verfasser der christlichen Institution in seinem Buche vorgetragen. Die Bösen freuten sich, klagt der Biograph, diesen Vorwand gefunden zu haben , aber auch manche Einfältige seien von ihnen verführt worden^. Es zeigte sich, wie wenig trotz aller äufseren Erfolge das eigentliche Lehrsystem Calvins noch in die Massen gedrungen war. Einfache Handwerker traten als Ankläger gegen den Reformator auf und verlangten von dem Rate, dafs er kraft seiner Gewalt gegen die Ketzerei der Prediger, die Gott zum Mit- schuldigen des Sünders machten, einschreite 3.

Calvin verhehlte sich die Gröfse der Gefahr, die er durch die Anregung der Prädestinationsfrage selbst heraufbeschworen hatte, keinen Augenblick, aber er war weit davon entfernt, den gethanen Schritt zu bereuen. Im Gegenteil: je mehr sich herausstellte, dafs seine Lieblingslehre bei der Menge der Gläubigen noch nicht durchgedrungen war, um so notwendiger war in seinen Augen das Einschreiten gegen Bolsec gewesen , um dem bisherigen Zu-

Ratsprot. 7. April 1552 (Ann. S. 505). Mem. de l'Inst. Gen. X S. 58. Vgl. Ratsprot, 6., 7., 9. Juni 1552 (Ann, S, 509 f,). [Vgl. Rogd III S. 233 f,]

^ C estoit un commenceinent de gründe dissipation : car aucuns des simples y estoyent abusez^ et les tnalins esioyent bien aises d'avoir quelqiie occasion de s'escarmouchert. Colladoti, Opp, XXI S. 74. Vgl. Roset V c. 45.

3 Vgl, z, B, Raget, L'eglise et l'etat S, 53; Hist. du peuple de Gen^ve III S. 202,

X^A Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

Stande der Halbheit und Unsicherheit in Beziehung auf die wich- tigste Frage des Glaubens ein Ende zu machen \ Und demgemäfs handelte er. Unbekümmert um die Vorstellungen des furchtsamen Rates, der ihn wiederholt vorladen und zur Mäfsigung ermahnen liefs ^, ungeschreckt durch die drohende Haltung der »Kinder von Genf« , bestand er fest und unerschütterlich auf der ganzen Strenge seiner Ansichten und Forderungen, ohne eine Milderung zuzulassen. Er verlangte von dem Rate sogar die Bestrafung des Predigers von Vandoeuvres, weil derselbe mit Bolsec sich wieder in Verkehr eingelassen 3. Es machte keinen Eindruck auf ihn, dafs Männer, die ihm einst lieb und teuer gewesen , deren evangelische Ge- sinnung er gepriesen , sich von ihm abwandten , weil sie seine Lehre zu hart fanden. Er brach vollständig mit dem edlen Herrn von Falais, an dessen Übersiedelung nach Genf er so grofse Hoff- nungen geknüpft , den er auf jede Weise ausgezeichnet hatte, »damit sein Beispiel leuchte,« und kündigte ihm in aller Form in einem Schreiben voll bitterer Vorwürfe und herber Zurecht- weisungen die Freundschaft auf'*. Auf der Kanzel führte er eine Sprache, wie sie seit dem Jahre 1538 in Genf kaum mehr gehört worden war , er erging sich gegen die Widersacher der Prädesti- nationslehre in den heftigsten Ausdrücken , erklärte die Wider- spenstigen für exkommuniziert ^ : er sprach und handelte , als befinde er sich im Vollgenufs seiner Macht. Feigheit und schmählicher Verrat am göttlichen Wort würde es in seinen Augen

' Raset V c. 41 hebt mit besonderem Wohlgefallen diesen Nutzen des Bolsecschen Streites hervor. »Icy est a noter nng conseil et bonte singuUere de Dieu , qtii par ce iiioyen rcndit ceste mauere de la predestination (auparavant obscure et comme inaccessiblc a la pluspart) fort familiere eit ceste eglise a la consolation et asseurance de ses enfaiits.«

* Ratsprot. 29. Febr., 31. März 1552 (Ann. S. 503, 505); Raset V c. /.j.

3 Vgl. o. S. 153 A. I.

+ Calvin an M. de Falais (1552) Opp. XIV S. 448. Einige Jahre später nahm er auch die an ihn gerichtete Dedikation des Kommentars zum ersten Korintherbrief zurück, »wie ein König einem pflichtvergessenen Diener d"- früher verliehene Ordensband abnimmt«. Henry III S. 67. [Vgl. Rogct III S. 203 n. I.]

5 Troillet beklagt sich bei dem Rate, Calvin habe am 12. Juni in S. Peter gepredigt: nque telz mesdisans de sa doctrhie par les tavernes nestoient que canailles, et quil ne les reputoit pour enfans de Dieu, ains les rejectoit en les excomtnuniant en tant que luy touc/ioit«. Vgl. Plaintifs de J. Troillet contre M. Calvin, Opp. XIV S. 383.

Schroffes Auftreten Calvins. Troillet gegen Calv'n. igj

gewesen sein, auch nur in einem Punkte von der Strenge seiner Forderungen abzulassen.

Gebessert wurde freilich seine Lage dadurch am allerwenigsten. Je schroffer Calvin auftrat, um so rücksichtsloser und leidenschaft- licher wurde die Opposition. Als ihr eigentlicher Wortführer trat jener Troillet auf, den wir schon seit dem Jahre 1545 bei ver- schiedenen Gelegenheiten mit dem Reformator in Konflikt fanden. Erfüllt von persönlichem Hafs gegen den Reformator, im Besitz einer in Genf nicht gewöhnhchen theologischen Bildung, gewandt und in Ränken erfahren, dazu als ein alter Genfer bei dem Volke gelitten und auch bei dem Rate nicht unangesehen, war Troillet ganz der Mann für die gegenwärtige Lage. Troillet erklärte den Reformator öffentlich für einen Häretiker, sein Buch über den christlichen Unterricht für ein ketzerisches , da es Gott zum Ur- heber der Sünde mache, und erklärte sich gegen jedermann bereit, den Beweis für seine Behauptungen zu liefern \ Dabei unterliefs er nicht, auch dem alten Hafs gegen das Emigrantentum neue Nahrung zuzuführen. Die Menge schenkte seinen aufregenden Reden um so williger Gehör , als der Rat selbst ihn noch vor kurzem zum Zensor über Calvins letzte Schrift bestellt, also gleich- sam seine Überlegenheit öffentlich anerkannt hatte. Umsonst rief Calvin die Hilfe des Rates gegen das Treiben dieses neuen ver- wegenen Parteiführers an und verlangte Bestrafung seiner Gegner. Vergeblich erinnerte er die Behörde an die vielen Dienste, die er der Stadt leiste und wie alle seine Schriften nur die gröfste Ehre Gottes bezweckten. Der Rat schwankte ratlos zwischen den Parteien. Wohl Hefs er Troillet einigemal zugleich mit Calvin vorladen , aber angesichts der sich kundgebenden Stimmung des Volkes hatte er nicht den Mut, eine Entscheidung zu treffen. Die antiklerikalen Demonstrationen , Umtriebe und Unordnungen dauerten fort. Selbst dafs Farel im Juli von Neuenburg herüber- kam und die Vorstellungen seines Freundes mit kräftigen Worten, wie er sie liebte, unterstützte, brachte dieses Mal keine Wirkung hervor^.

Calvin beschlofs endlich zu dem äufsersten Mittel zu greifen. Am 29. August erschien er abermals an der Spitze der ehr-

' Roset V c. 45.

* Ratsprot. 13., 14., 20. Juni, 29. Ji^'i 1552 (Ann. S. 510 ff., 514 f.). Rosel V c. 45; [Opp. XIV S. 334 ff. Rogct III S. 235 ff., 311 f.]

1^6 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

würdigen Genossenschaft, um in bündigen Worten die Entscheidung der von Troillet gegen ihn erhobenen Anklagen und Abstellung der bisherigen Unordnung zu verlangen. Es müsse ihm, erklärte er, Genugthuung gewährt werden, er könne in Genf das Abend- mahl nicht länger mehr austeilen und werde lieber sein Amt niederlegen, als sich noch länger eine solche Behandlung ge- fallen lassen ' .

Diese Drohung wirkte. Der Rat liefs jetzt ein regelmäfsiges Verfahren eintreten. Die beiden Gegner wurden wiederholt vor- geladen und vernommen. Aber Cahins Absicht wurde nicht er- reicht. Troillet hielt am i. September in Gegenwart des Rates einen längeren Vortrag, in welchem er unter Berufung auf mehrere Stellen der Institution seine Anklage begründete und sich auf Melanchthon als seinen Gesinnungsgenossen bezog. Seine Aus- führungen müssen auf die Anwesenden einen ihm günstigen Ein- druck gemacht haben : denn noch an demselben Tage erging der Befehl an Calvin, sich in seinen Predigten so einzurichten, dafs niemand daran Anstofs nehme, bis der Prozefs entschieden sei^. Das war das erste und vorläufig das einzige Ergebnis der neuen Verhandlungen : die in Aussicht gestellte Entscheidung scheint der Rat , obgleich Calvin zur Beschleunigung derselben die Herüber- kunft Virets veranlafst hatte, für nicht so dringlich gehalten zu haben. Er bewilligte, als Troillet wegen einer Erkrankung darauf antrug, eine neue Vertagung der Angelegenheit 3.

So wurde Calvins Lage jetzt mifslicher als vordem. Während er selbst auf der Kanzel über den Gegenstand des Streites nicht reden durfte, fuhren die Gegner fort, ungehindert die öfifentliche Meinung gegen ihn aufzuregen. Bei der urteilslosen Menge be- nutzte man das dem Reformator auferlegte Schweigen, um ihn als einen bereits überführten Ketzer, Troillet als Sieger darzu- stellen. Calvins und der Geistlichen Ansehen kam mit jedem Tage mehr in Abnahme. Die Fortsetzung des Prozesses beschränkte sich inzwischen auf den Austausch von Schriften und Gegen-

' Ratsprot. 29. Aug. 1552. [Ann. S. 516].

^ Ratsprot. 29. u. 31. Aug., i. Sept. 1552 [Ann. S. 516 f.]. Dispute que Jehan Troillet citoien de Geneve a heu contre M. Calvin par devant noz tres redoubtez seigneurs et superieurs en leur conseil ordinaire le jeudi i. Sept. 1552; Opp. XIV S. 371.

3 Vgl. Viret an Farel 28. Sept. 1552; Opp. XIV S. 365.

Zunahme der kirchlichen Unordnung. Einschreiten des Rats. j^-j

Schriften zwischen den beiden Parteien , die, in Abschriften unter das Volk verbreitet, die Aufregung und Erbitterung gegen Calvin nur noch steigerten'. Selbst die Frauen, sonst eine Hauptstütze der Geistlichkeit , mischten sich in den Streit und erklärten sich laut gegen die neue Irrlehre, die Gott zur Ursache der Sünde mache-. Und mit dem Lehr- wurde nun auch das Sittensystem Calvins in erhöhtem Mafse angefochten. Eine geordnete Seelsorge war nicht mehr möglich, wo die Grundlage des kirchlichen Systems selbst erschüttert war und jeder sich zum Richter über die Ver- künder des Heils aufwarf. Man setzte sich ohne Scheu über die kirchlichen Ordonnanzen hinweg, verspottete nicht selten die Geistlichen , sondern den Gottesdienst selbst , sang unanständige Lieder nach der Melodie der Psalmen und trug den Ladungen und Ermahnungen des Consistoriums offenen Trotz entgegen. Keine Woche verging, ohne dafs Geisthche und Älteste vor dem Rate erschienen und dringend um Schutz und Abhilfe baten 3.

Die Unordnungen erreichten allmählich einen Grad, dafs der Rat nicht länger in seiner bisherigen Unthätigkeit verharren durfte. Als in den letzten Tagen des Oktober eine energische Kundgebung von Seite der Anhänger Calvins gegen das Treiben der Gegen- partei erfolgte, ermannte er sich endlich und beschlofs, durch kräftiges Einschreiten dem Gesetze wieder die gebührende Achtung zu verschaffen. Die Hauptanstifter der Unruhen, unter ihnen auch Berthelier, wurden am i. November in Haft genommen'*. Schon vorher hatten , wie es Calvin gewünscht , Viret und Farel Ein- ladungen nach Genf empfangen, um mit ihrer Autorität zur endlichen Beilegung der gegenwärtigen Wirren beizutragen : es sollte durch eine endgültige Entscheidung des Streites zwischen Calvin und Troillet die Hauptquelle der Unruhen ein für allemal

' Vgl. Plaintifs de J. Troillet contre M. Calvin (Genfer Bibl. Cod. 145 f. 51); Response de Calvin au.K plaintifs de Troillet (eb. f. 53); Plainte de Calvin contre Troillet (ebd. f. 54), und Troillets Entgegnung (ebd. f. 55). [Vgl. jetzt Opp. XIV S. 378 ff.]. A'osei V c. 45 ; Ratsprot. 3. u. 6. Okt. 1552 [Ann. S. 519 f.].

* Ratsprot. 21., 31. Okt. 1552 [Ann. S, 522, 523 (anstatt 30 lies 31. Okt.)]. 3 Ratsprot. 19. Sept., 7., 10., 21., 31. Okt. 1552 [Ann. S. 518, 520,

521, 522, 523]. Consistorialprot. 6. Okt., 3., 6. Nov. 1552 [Ann. S. 520, 523]. Jiosei V c. 45.

* Ratsprot, l. Nov. 1552 ; /^osei 1. c.

leg Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

verstopft werden \ Beide leisteten in Anbetracht »der Bedrängnis, in der sich Calvin befand», bereitwillig dem an sie ergangenen Rufe Folge und rechtfertigten dieses Mal vollkommen das von dem Meister in sie gesetzte Vertrauen. Die eindringlichen Reden, die sie am 7. November vor dem versammelten Rate hielten, die Entschiedenheit, mit der sie in den aufgeworfenen Streitfragen sich auf die Seite ihres alten Freundes stellten, befestigten die Behörde in der angenommenen Haltung und gaben ihr den Mut, endHch ein entscheidendes Wort zu sprechen. Am 9. November wurde in einer aufserordentlichen Ratssitzung , nachdem am Tage zuvor die Parteien noch einmal vernommen worden, die lange erwartete Sentenz gefällt. Sie fiel jetzt völlig zu Gunsten Calvins aus. Die christliche Institution , verkündet der Spruch des Rates , sei ein gutes und heiliges Buch, die darin enthaltene Lehre die Lehre Gottes, den Verfasser halte man für einen guten und treuen Diener dieser Stadt und niemand solle sich in Zukunft noch unterstehen, gegen sein Buch und seine Lehre zu sprechen^. Viret und Farel glaubten mit dem Erfolge zufrieden sein zu dürfen und kehrten nach zehntägigem Aufenthalt in Genf zu ihren Gemeinden zurück. Aber nur zu bald zeigte sich , wie wenig damit gewonnen war. Hätte auch der Rat den ernsten Willen gehabt, mit seiner Autorität für die erlassenen Sentenzen einzutreten, sie würden der aufgeregten öffentlichen Memung gegenüber unausführbar gewesen sein. Aber selbst an jenem Willen fehlte es. Nach dem kühnen Anlauf, den die Behörde in einem gehobenen Momente genommen, sank sie sofort wieder in ihre frühere Halbheit und Zaghaftigkeit zurück. Statt, wie sie anfangs die Miene angenommen, kräftig gegen die Ruhestörer einzuschreiten und mit starkem Arme dem Gesetze Achtung zu verschaffen , glaubte sie vielmehr den Zorn der Opposition durch neue Konzessionen entwaffnen zu können.

' Virets Einladung war schon bei dessen jüngster Anwesenheit mit dem Rat verabredet worden ; Farels Anwesenheit hielt insbesondere Calvin selbst für wünschenswert: "Calvlims in hac est senientia, ut tu mectim venias. Sperat enim utriusque praesentiain aliquid momenti kabituram*. Viret an Farel 28. Sept. 1552 [Opp. XIV S. 366]. Vgl. auch das Schreiben Virets an Farel vom 28. Okt. 1552 [ebd. S. 401]: »Video in quibus versettir molestiis Cal- innus*. Roset V c. 45.

* Ratsprot. 7., 9. Nov. 1552 [Ann. S. 524, 525]. Ven. Comp, zum 7. u, 8. Nov. [ebd, S. 5=4 f.] ; Opp XIV S, 448,

Neue Nachgiebigkeit des Rats. Übermut der Opposition. jcg

Am II. November wurde das von den Gegnern Calvins so lange und hartnäckig bekämpfte Gesetz über die Taufnamen in aller Form aufgehoben und die Wahl der Namen freigestellt. Sechs Tage nach jener ehrenvo^'en Freisprechung Calvins wurde auch seinem Gegner Troi'let eine ähnliche Ehrenerklärung ausgestellte Was blieb da von der Sentenz des 9. November noch übrig? Nicht einmal in der Angelegenheit gegen den Prediger von Vandoeuvres , dessen Absetzung nicht blofs Calvin, sondern auch Farel und Viret für notwendig erklärten, zeigte sich der Rat dem Reformator w''lfährig : er begnügte sich damit, dem P ngeklagten für die Zukunft den Verkehr mit Bolsec zu untersagen, gewährte ihm aber wegen des Vorgefallenen Straflosigkeit und Verzeihung ^. So befand sich ?^so wenige Wochen nach Calvins Siege über Troillet alles wieder in dem alten Zustande. Nur das eine war durch die Verurteilung des Gegners erreicht, dafs die Ohnmacht und Schwäche des Rates jedermann fortan klar vor Augen lag: indem derselbe einen Beschlufs fafste, von dessen Unausführbar- keit er selbst überzeugt war, hatte er seiner Autorität selbst einen neuen Schlag versetzt. Die Führer der Opposition, die Troillet, Berthelier , Sept, Bonna, V?ndel trugen seitdem das Haupt höher als je. Die Angriffe auf das Consistorium mehrten sich und schon begann man, dasselbe an der Wurzel r nzutasten. Die Hi^fe der weltlichen Behörde wurde von Geistlichen und Ältesten ver geblich angerufen : die Richter wagten keinen Spruch mehr , der einen Teil verletzen konnte^. Wie ungern Calvin auch sonst in dem brieflichen Verkehr mit seinen auswärtigen Freunden von seinen häuslichen Verlegenheiten sprach , um nicht dem Ansehen seiner Kirche auswärts zu schaden nur vor Farel und Viret machte er stets seinen Gefühlen rückhaltlos Luft damals hat er selbst gegen Fernstehende mit dem Geständnis nicht zurück- gehalten , dafs seine Lage eine bedrängte , dafs der Zustand der Genfer Kirche ein trauriger sei''.

Ratsprot. 11., 15. Nov. 1552 (Ann. S. 526, 527); Roset V c. 45. Vgl. Calvin an Farel 2. Dez. 1552 (Opp. XIV S. 421 f.). [C/ioisy S. 125 f.].

^ Ratsprot. 14. Nov. 1552 (Ann. S. 526). M^m. de l'Inst. Gen. X S. 58.

3 y> Nihil statuerc audt'bant , qttod iion titrique parti scireut gratum fcrei. Calvin an Farel 2, Dez. 1552, Opp. XIV S. 421.

* Vgl. das Schreiben an Ambrosius Blaurer vom 19. Nov. 1552 (Opp. XIV S. 412) und an Dryander vom Dez. 1552 (ebd. S. 434): »Fuerunt hie

l6o Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

Und noch mifslicher gestaltete sich die Lage mit dem Beginn des nächsten Jahres. Wie schwach und unzuverlässig sich auch der vorigjährige Magistrat bewiesen , wie wenig Schutz er auch der Geistlichkeit gewährt hatte, er hatte doch auch den Gegnern keinen Vorschub geleistet, sondern vielmehr den Versuch gemacht, sie in die Schranken der Ordnung zurückzuweisen. Eben dies war es, was bei der nächsten Wahl seinen Sturz herbeiführte : die Opposition war über die unzuverlässige Haltung des Magistrats erbittert und wollte den Fehler, den sie bei den letzten Wahlen gemacht, jetzt wieder gut machen. Vier erklärte Antiklerikale, an ihrer Spitze Calvins verhafstester Gegner , der Generalkapitän Perrin, wurden am 5. Februar 1553 zu Syndiks gewählt. Zugleich aber wurde jetzt auch unter den übrigen Mitgliedern des Rates gründlicher aufgeräumt , als es sonst herkömmlich war. Denn obschon die Edikte alljährlich eine teilweise Erneuerung des Rates voraussetzten, machten sie dieselbe doch nicht zur Pflicht, sondern gestatteten vielmehr die Wiederwahl der alten Mitglieder und bisher war die Wiederwahl fast Regel gewesen, sodafs die Rats- stellen thatsächlich in dem dauernden Besitz einiger wenigen Fa- milien sich befanden. Dem wurde jetzt ein Ende gemacht. Auf den Antrag Bertheliers wurde trotz aller Gegenbemühungen der Anhänger Calvins der Beschlufs gefafst, dafs fortan alljährlich acht neue Kandidaten von den Zweihundert zur Wahl vorzuschlagen und von diesen wenigstens vier wirklich zu wählen seien. Die Folge dieser Neuerung war, dafs vier entschiedene Gegner des Reformators, unter ihnen drei nahe Anverwandte des General- kapitäns, für das Jahr 1553 in den Rat gewählt wurden. Damit erhielt die Partei der vorgeschrittenen Opposition auch in dem höchsten städtischen Kollegium entschieden die Majorität ^

Farelhis et Viretus decein hitegros dies, quos nosirae patientiac luculentos testes confido, Viderunt enim quam inulta tragica , quae tantiim ad nos spcctant, silenüo preinamus , quas voremus contitineUas , quam mtiltis peccatis veiiiam demus* etc. [Vgl. auch an Melanchthon 2. Dez. 1552, ebd. S. 415 u. 418]. Ratsprot. 6. Febr. 1553; Rosel V, 47; Beza, Opp. XXI S. 145 f.; Bonivard ^ Anc. et nouv. pol. S. 88 ff. schildert den Vorgang in folgender Weise: *Ct.' venerable Berthelier alla mectre en ava/tt, comme les places des conseilliers du conseil estroict devenvient presque touties hereditaires, pour ce que Ion nen ostoit point, ce que sentoit la tyraniiie, et pour tant servit bon de faire un edict , que touttes les aniiees au temps des elections les C C dussent nommer huit conseilliers du conseil estroict pour estre deposez et autres huit du leur

Steigende Rücksichtslosigkeit der anticalvinischen Partei. j 6 i

Calvins Stellung schien seitdem kaum noch zu halten ; der Ton der grofsen Glocke, welche den Magistratswechsel verkündete, klang wie das Grabgeläute der calvinischen Herrschaft. Es be- gann ein offenes Parteiregiment, in dem der Hafs, der seit Jahren in diesem Volke gewiihlt, mit der öffentlichen Gewalt umkleidet erschien. Ausges])rochene Gegner Calvins erhielten die erledigten öffentlichen Ämter. Ami Perrin , der erste Syndik und General- kapitän , der nach dem Ausdruck des Chronisten fast wie ein König über die Stadt herrschte ^ , kannte jetzt die Rücksichten nicht mehr, die er noch vor vier Jahren sich aufgelegt hatte. Und noch leidenschaftlicher , noch erbitterter zeigten sich die an- deren Führer der Partei , die Vandel, Berthelier und Troillet, die neben dem Generalkapitän den meisten Einflufs ausübten^. Eine Demütigung nach der andern mufste die Geistlichkeit von den neuen Machthabern hinnehmen. Eine der ersten war, dafs die Prediger von der Teilnahme an dem Generalrat ausgeschlossen wurden , da auch die katholischen GeistHchen sich nicht in die Volksversammlungen gemischt hätten. Umsonst stellte Calvin vor, dafs die katholische Geistlichkeit überhaupt sich der welt- lichen Gewalt entzogen habe 3. Das kirchhche Aufsichtsrecht des Magistrats wurde mit gröfserer Strenge geltend gemacht als je zuvor. Wer sich um ein kirchliches Amt bewarb, hatte vor Be-

pour leur succeder , et que de ces huit quattre pour le nioins du cojiscil estroict fussent deposcs selon les voix des CC et du general et aut7-es quattre des CC Iltis en leur place. Les gens de bien ne vouloient consenter a cela, cognoissants quils ne pretendoient fors a avancer les parens et amys de Perrin et Wandel . . Mais le conseil des ineschants, qui estoit en plus gros iiombre, conscntoit a leur demande, si que une graude partie du conseil estroict, questoit des gens de bien, en fut deinise , et inis en leur place des jouvenceaux parens ou alliez de Perrin ou Wandel«. In der That entsprach die eingeführte Neuerung völlig dem Geist der Verfassung. Die Zahl der Anhänger Perrins im Rat betrug nach Bonivard (S. So) vierzehn, [Vgl. Roget III S. 277].

' Bonivard, Anc. et nouv. pol. S. 90.

^ Anc. et nouv. pol. S. 90 ff. Calvin an Bullinger 15. Jiili 1555; Opp, XV S. 676 ff. Calvin klagt namentlich über Perrin und Vandel. Bonivard fügt als »dritten Heiligen« noch Berthelier und als ihren Helfer Troillet hinzu. Dafs beide indes übertreiben , der äufsere Anstand nicht verletzt wurde, zeigt z. B. Ratsprot. 3. Juni 1553, wo sogar noch von einem Geldgeschenk die Rede ist, das Calvin gemacht wurde. [Vgl. Roget III S. 277 ff.]

3 Ratsprot. 27. Febr., 16. März 1553; Roset V c. 47; Roget, I/eglise et l'etat S. 55.

Kampschulte, J. Calvin II. II

102 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

vollmächtigten des Rates seine Befähigung nachzuweisen : die blofse Empfehlung der ehrwürdigen Genossenschaft , bei der man sich sonst beruhigt hatte, wurde nicht mehr genügend befunden'. Schon ging man ernsthch mit dem Plane um, auch das Einkommen der Geistlichen zu beschränken. Man müsse, hiefs es, eine gröfsere Sparsamkeit in dem Staatshaushalte einführen und un- nötige Ausgaben vermeiden , um die Mittel zur Abtragung der früher von den calvinischen Behörden gemachten Schulden zu ge- winnen und endlich die Stadt aus der Abhängigkeit von Basel zu befreien. Nur durch einen klugen Einfall, erzählt der Chronist, gelang es den Guten diesen neuen Schlag von der Geisthchkeit abzuwenden, indem sie statt der beabsichtigten eine bessere Mafs- regel vorschlugen , das mangelnde Geld aufzubringen. Das von ihnen empfohlene Auskunftsmittel sie schlugen vor die Käuf- lichkeit der Ämter in Genf einzuführen fand in der That, merkwürdig genug , obschon Perrin und Vandel widersprachen, die Zustimmung der Mehrzahl des grofsen Rates und die drohende Gefahr ward, wie der Berichterstatter mit Genugthuung meldet, von der Geistlichkeit abgewendet^.

Fast noch schwerer als auf der Geistlichkeit lastete der Druck des neuen Regimentes auf ihren Parteigängern , den Fremden, die in der letzten Zeit sich wieder zahlreicher eingefunden hatten. Nicht nur, dafs die alten Vexationen und Chikanen , denen die Franzosen ausgesetzt waren , fortdauerten -"^ und die Gerichte jetzt den Mifshandelten noch weniger Schutz gewährten als früher, auch direkt wandte sich die neue Obrigkeit gegen dieselben. Die gegen sie geübte Kontrolle wurde verschärft und bei der Aufnahme von Neuankommenden mit gröfserer Strenge verfahren. Kein Bürger durfte einen Auswärtigen drei Tage bei sich beherbergen , ohne dem Quartiervorsteher Anzeige gemacht zu haben. Es wurde im Rate sogar die Frage aufgeworfen , ob überhaupt noch Fremden die Ansiedelung in Genf zu gestatten sei. Über Bern empfing man Nachrichten von neuen französischen Anschlägen gegen die Freiheit der Stadt, welche den alten Argwohn in erhöhtem Grade wieder wach riefen und in der That Vorsicht als gerechtfertigt er-

' Vgl. den von Roget a. a. O. S. 56 mitgeteilten Fall. ^ Bonivard, Anc. et nouv. pol. S. 94, 95. 3 Vgl. o. S. 119.

Rechtsbeschränkungen der Emigranten, Verfall der Kirchenzucht. 163

scheinen liefsen. Ging man auch nicht so weit, die Einwande- rungen geradezu zu verbieten , so beschlofs man doch eine Mafs- regel , welche die Emigration auf das empfindlichste traf. Am II. April erging der Befehl an alle Fremden, die nicht das Bürger- recht hatten , ihre Waffen mit Ausnahme des Degens , der aber ebenfalls fortan nicht mehr auf der Strafse getragen werden sollte, der Obrigkeit abzuliefern. Zugleich wurde beschlossen, dafs in Zukunft keinerlei öffentliche Wache einem Fremden mehr an- vertraut werden dürfe. Die alten Genfer wollten wieder selbst Herren in ihrer Stadt sein, die Fremden sollten wissen , dafs sie in Genf nur geduldet seien ^ 1

Wie es unter solchen Umständen um Calvins kirchliche und seelsorgliche Wirksamkeit bestellt war, braucht nicht erst gesagt zu werden. Es drohte völlig unterzugehen, was noch von kirch- licher Ordnung und Zucht übrig war-. Das geistliche Amt verlor alles Ansehen. Die Vorladungen und Sentenzen des Consistoriums fanden keinen Gehorsam mehr. Da empfängt Philibert Bonna trotz des Verbotes das Abendmahl und erklärt dann vor dem Consistorium , er werde in Zukunft den geistlichen Herren gar nicht mehr Rede stehen, der Rat allein habe in der Stadt zu be- fehlen, nicht die Geistlichkeit 3. Statt ihm, vvie Calvin verlangte, mit seiner Autorität zu Hilfe zu kommen, bereitete ihm vielmehr der Rat selbst oft genug Schwierigkeiten, indem er es aufforderte, schonender zu verfahren und sich mehr an die alten Ordnungen

' Ratsprot. 6. u. 11. April 1553 [Ann. S. 538, 539]; Hoset V c. 49; Bo7iivard, Anc. et nouv. pol. S. 85, 86, 87. Vgl. Gaberei I S. 427 ff. Con- sistorialprot. 10, Aug. 1553. Nachrichten über franzö.'^ische Summen, die zum Verrat der Stadt bei den Emigranten deponiert seien : Bretschneider S. 34 ff. Man sagte, Calvin lasse sich von den Refugies einen Eid schwören: Ratsprot. 31. Okt. 1552, Ann. S. 523 (wo 31. Okt. anstatt 30. zu lesen ist). [Vgl. Berns Schreiben an Genf 6. April 1553, Opp. XIV S. 513; Calvins Klagen an die Züricher Geistlichen 26. Nov. 1553, Opp. XIV S. 676. Ferner Roget III S. 284 ff.]

* Vgl. o. S. 122 f.

3 Consistorialprot. 15. Juni 1553 [Ann. S. 543; vgl. Roget III S. 281,291]. Einige Prediger, die besonders verhafst waren, durften sich kaum mehr öffentlich sehen lassen, so besonders Raimond Chauvet. Vgl. Consistorialprot. 6. Okt., 10. Nov., I. u. 24. Dez. 1552; 12. Jan. 1553. Unter denen, die dem Con- sistcrium Widerstand leisteten, befand sich auch der alte Bonivard: Con- sistorialprot. 30. März 1553 [Ann. S. 538].

II *

164 Fünftes Buch. Calvin im Kampfe mit der Oppositionspartei.

und Gewohnheiten zu halten ^ Die Bösen jubelten, klagen die calvinischen Chronisten in dieser Zeit, und gingen stets straflos aus, die Guten aber waren mutlos und wagten nicht den Mund zu öffnen. Die Dinge in Genf seien der Art, schrieb Calvin selbst im Frühjahr 1553 einem evangelisch gesinnten französischen Edelmanne, der sich mit Auswanderungsgedanken trug, dafs er sich schäme davon zu sprechen. Er wagte nicht mehr, demselben zur Übersiedelung nach Genf zu raten ^. Und nirgendwo eröffnete sich ihm eine Aussicht auf eine Änderung dieses Zustandes. Viel- mehr mit jedem Tage schien die Abneigung gegen seine Person in der Menge zu steigen. Seine Predigten brachten keinen Ein- druck mehr hervor. Die Prozesse gegen Perrin, gegen Bolsec, gegen Troillet hatten das Vertrauen in ihn vollständig untergraben. Man nahm mit Mifstrauen auf, was aus seinem Munde kam. »Dahin ist es gekommen«, schreibt er im Herbst 1553 einem Freunde, »dafs hier Verdacht einflöfst, was ich auch immer sagen möge. Wenn ich behauptete, dafs es am Mittage hell sei, man würde sofort anfangen, daran zu zweifeln ^ « .

In schlimmerer Lage hatte sich Calvin nie zuvor befunden. Nie war sein Ansehen so tief gesunken gewesen, nie schien seine Sache so hoffnungslos. Und dennoch stand er damals am Vor- abend seiner Siege.

' Ratsprot. 27. Febr., 10. April 1553 [Ann. S. 536, 539]. Roset V c. 48.

^ Calvin an den Herrn v. Marolles 12. April 1553, Opp. XIV S. 517. [Vgl. aber Calvins Schreiben an einen Unbekannten, 25. Juli 1553, ebd. S. 579; es kann sich doch nur um augenblickliche Verstimmungen Calvins gehandelt haben , wenn er von einer Übersiedelung abriet. Vgl. u. Buch IV Kap. IV.

3 Calvin an Bullinger 7. Sept. 1553, Opp. XIV S. 611.

SECHSTES BUCH.

UNTERLIEGEN DER GEGNER 1553— 1555.

I.

MICHEL SERVET.

Es wäre gegen den natürlichen Lauf der Dinge gewesen, wenn die Geister , die in der grofsen kirchlichen Revolution sich zum gemeinsamen Kampfe gegen die alte Kirche verbanden, nach Niederreifsung der alten Schranken sich wieder zu demselben positiven System vereinigt hätten. Der einmal erwachte Geist der Verneinung und Zerstörung gelangte hier früher dort später zum Stillstand. Deutschland, das am frühesten die Nötigung zum Innehalten empfand , begnügte sich mit dem noch durch starke Bande mit dem früheren kirchlichen Denken zusammenhängenden Luthertum. Die stammverwandte Schweiz führte die Bewegung weiter bis zu dem radikaleren Zwinglianismus. Über diesen noch hinaus ging Frankreichs Reformator , erbarmungslos über eine mehr als tausendjährige kirchliche Entwickelung den Stab brechend, um ausschliefsHch aus den ältesten Urkunden des christ- lichen Glaubens die wahre Kirche wiederherzustellen !

Und mit diesen drei Hauptformen , in denen der reformato- rische Geist alsbald auftrat, war der Reichtum und die Mannig- faltigkeit der Richtungen und Bestrebungen, die sich in jenem grofsen Kampfe die Hand geboten oder durch ihn angeregt wurden, noch bei weitem nicht erschöpft. Neben den Kirchen Luthers, Zwingiis , Calvins sehen wir sofort in den Ländern deutscher wie romanischer Zunge zahlreiche kleinere Sekten auftauchen , die, nicht befriedigt durch das System der grofsen kirchlichen Wort- führer, mehr oder weniger kühn auf der mit dem Sturze der alt- kirchlichen Autorität sich öffnenden abschüssigen Bahn weiter

i68 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

gingen, bald an dieser bald an jener von den Reformatoren noch festgehaltenen Lehre und Einrichtung Anstofs nahmen, mit den kirchlichen hie und da auch politisch-sociale Forderungen ver- banden und in ihren äufsersten Ausläufern zu einem Radikalismus gelangten, der mit den Grundlehren des Christentums die Grund- lage der bürgerlichen Gesellschaft erschütterte, Staat wie Kirche mit völligem Umsturz bedrohte.

Lag in dieser Zersplitterung und Verfeindung der reformato- rischen Kräfte auf der einen Seite unverkennbar ein Hemmnis für den Fortgang und Erfolg der Bewegung , so wirkte sie auf der andern Seite auch wieder vorteilhaft, insofern sie den Wortführern der Hauptrichtungen die Notwendigkeit nahe legte, auf den Zu- sammenhalt ihrer Anhänger mit äufsern Mitteln durch rasche Herstellung einer kirchlichen Organisation bei Zeiten Bedacht zu nehmen. Gerade das Auftreten jener radikalen und excentrischen Sekten hat wesentlich dazu beigetragen , den Bildungsprozefs der drei neuen Hauptkirchen , die sich auf den Trümmern der alten erhoben, zu beschleunigen und jene Einrichtungen ins Leben zu rufen, die, indem sie den ausschweifenden Richtungen eine Schranke setzten, zugleich dem Abfall von der alten Kirche Dauer und Bestand für die Zukunft verheben. Es kam hinzu, dafs der Blick in den Abgrund, in den der Radikalismus der Schwärmer, der Wiedertäufer, Chiliasten, Antitrinitarier führte, alle ruhigen und be- sonnenen Geister um so mehr unter den Gehorsam der wort- gewaltigen Männer, die das erste Signal gegeben, zurücktrieb und sie vermochte, sich Anordnungen und Einrichtungen zu fügen, die sie in der ersten Zeit als schnöden Freiheitsbruch würden zurück- gewiesen haben.

In Deutschland knüpft sich recht eigentlich an den Kampf gegen die »Schwarmgeister« die Grundlegung der neuen lutherischen Kirche ; die politisch-kirchliche Schilderhebung der radikalen Bauern führte dann jenen innigen Bund zwischen dem Wittenberger Reformator und den deutschen Fürsten herbei, welcher die Macht der lutherischen Kirche hier dauernd und fest begründete. Zwingiis Kirche in der Schweiz verdankte ebenfalls zum guten Teil dem Kampfe gegen den sich allwärts erhebenden Anabaptismus ihre festere Organisation.

Ganz dieselbe Erscheinung nehmen wir in der Geschichte des Calvinismus wahr. Wie der Verfasser der christlichen Institution

Festigung der Stellung Calvins durch Servets Angriff. l6o

sein neues Glaubenssystem im beabsichtigten Gegensatz gegen die schwärmerischen und excentrischen Sekten seines Heimatslandes niedergeschrieben hat ' , so hat das Auftreten des theologischen Radikalismus in Genf selbst hier schliefslich für ihn den Ausschlag gegeben und den langjährigen , mühevollen , schon fast verloren gehaltenen Kampf um die Herrschaft endlich zu Gunsten Calvins entschieden. Es ist eine von den vielen merkwürdigen Fügungen in dem Leben des Genfer Reformators, dafs in demselben Augen- blicke, als seine Bedrängnis den höchsten Grad erreicht hatte und er selbst bereits an der «Erhaltung der Kirche« verzweifelte, ihm gerade das Übermafs des Angriffes Hilfe brachte und das Erscheinen des verwegenen spanischen Antitrinitariers seine er- schütterte Stellung aufs neue befestigte. Zwar war der Kampf gegen Servet heifs und schwer, sein Ausgang lange Zeit ungewifs, es mufsten die äufsersten Anstrengungen gemacht werden, aber um so vollständiger und wirkungsvoller war dann auch der Sieg. Der Scheiterhaufen auf Champel, der ihn verkündete, bezeichnet in der Geschichte der Calvinischen Kämpfe den entscheidenden Wendepunkt ; er ist der erste in der Reihe jener Siege, welche die Gegenpartei allmählich vernichteten und den Urheber der Ordonnanzen dauernd und endgültig zum Herrn und Gebieter von Genf machten.

Michel Servet Serveto ist die ursprüngliche Form des Namens wurde um das Jahr 1509 zu Villa nueva im König- reich Arragonien geboren'^. Von seinem Vater, einem angesehenen Rechtsgelehrten, für den gleichen Stand bestimmt, bezog er noch jung an Jahren die Universität Toulouse, um den vorgeschriebenen juristischen Studien obzuliegen. Schon hier nahm sein Geist die vorwaltend theologische Richtung. Es war die Zeit, wo die ge- waltigen kirchlichen Ereignisse allwärts die Gemüter erregten, und gerade in Toulouse war dies in mehr als gewöhnlichem Grade der Fall -\ Der junge feurige Spanier ergriff die grofse Frage des Tages mit der ganzen Lebhaftigkeit seiner südländischen Natur.

' Praef. in Psalm.

^ [Das hat Servet im Verhör zu Genf angegeben. Im Verhör zu Vienne giebt er Zeit und Ort seiner Geburt abweichend. Vgl. TolUn^ Servets Kind- heit und Jugend , Zeiischr. f. hist. Theol. 1875. Willis, Servetus and Calvin, London 1877, S. 3.]

3 Hist. eccl. d. France I, 6.

lyo Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Mit Begier griff auch er zur Bibel , welche von allen als einziger Zeuge und Richter der Wahrheit angerufen wurde, und empfing aus ihr eine Fülle von neuen Ideen und Anregungen , die ihn fortan ausschliefslich beschäftigten und die Richtung seines Lebens entschieden. Getrieben von dem unwiderstehlichen Verlangen, dem Schauplatze des grofsen weltgeschichtlichen Kampfes näher zu sein, folgte er, nachdem er die Universität Toulouse verlassen, dem spanischen Theologen Quintana, dem Beichtvater Karls V., zu dem er in einem näheren Verhältnis gestanden zu haben scheint, nach Italien und war im Jahre 1530 Zeuge der feier- lichen Kaiserkrönung in Bologna \ Von hier wandte er sich nach Deutschland : er wollte die Urheber und wortgewaltigen Führer der grofsen Bewegung in eigener Person kennen lernen.

Er kam aber nicht mehr als Schüler, um von ihnen zu lernen, sondern um zu lehren und schöpferisch in die grofse Bewegung der Geister einzugreifen. Schon um diese Zeit hatte er seine neu- gewonnenen religiösen Ideen zu einem System verarbeitet, welches, wenn auch in einzelnen Teilen noch unklar und nicht vollständig durchgebildet, doch von ernstem Studium der religösen Fragen zeugte und durch Neuheit, Originalität und Kühnheit selbst in jener an das Ungewohnte gewöhnten Zeit Aufsehen zu erregen geeignet war. Eine feurige , reichbegabte , überschwängliche Natur , von scharfem Verstand und mächtiger Phantasie , ehrgeizig und ver- wegen und voll Kampfeslust blieb er nicht wie die andern Neuerer bei den praktischen Fragen des Christentums stehen , sondern dehnte den Angriff bis auf die Grundlehre des Christentums aus. Ihm schien vor allem die kirchhche Trinitätslehre einer Reformation bedürftig und in ihrer gegenwärtigen Gestalt eine Entstellung des wahren Christentums. Schon vor ihm hatten in Deutschland einzelne verwegene Geister sich an das Geheimnis der Dreieinig- keit gewagt , auch Calvin hatte zu Zeiten hinsichtlich dieser

' Vgl, über seine Jugendgeschichte seine Aussagen vor Gericht zu Genf und Vienne, in den Actes du proc^s de Michel Servet, Opp. VIII S. 767, 7S0, 846. Keine der beiden Aussagen enthält die volle Wahrheit, aber jede einen Teil derselben. Dafs Quintana ihn persönlich kannte, ergiebt sich auch aus Cocklaeus, Comment. de actis et scriptis M. Lutheri S. 234, 235. Auf die Kaiserkrönung bezieht sich wohl auch die Stelle in der Restitutio Christianismi S. 462. Vgl. auch Treckstl, Die prot. Antitrinitarier I, 63, 64. [Ro^et IV S. 4 ff.].

Servets Angriff auf die Trinität. I y l

christlichen Fundamentallehre Anfechtungen gehabt und in dem Streite mit Caroli sich über das athanasianische Symbolum in sehr bedenklichem Mafse ausgelassen ^ Aber der zwanzigjährige Arragonese ging über die schwachen Versuche seiner Vorgänger weit hinaus-. Die hergebrachte kirchliche Lehre von drei ewigen Hypostasen in der Gottheit ist nach ihm mit der Einheit des göttlichen Wesens durchaus unvereinbar •, sie führe zur Vielgötterei, zum Atheismus : er nennt diese Lehre geradezu ein teuflisches Blendwerk, eine Erfindung des Satans selbst. Doch verwirft er mit der Wesenstrinität nicht die Trinität überhaupt, aber sie ist ihm nur eine »ökonomische», eine Ofifenbarungstrinität. An die Stelle der drei Personen setzt er drei oder eigentlich nur üwei »wunderbare Dispositionen Gottes«, in denen das höchste Wesen, das, wie er sich später ausdrückte, nicht eine abstrakte Einheit, sondern »ein unendliches Meer von Substanz« sei, der Menschheit sich offenbare, aber erst im Laufe der Zeit und völlig frei, nicht infolge einer innern Notwendigkeit. Der Vater ist die ganze Substanz und der alleinige Gott. Der Sohn und der hl. Geist sind die Teilhaber und Werkzeuge der Substanz des Vaters. Jener ist des ewigen Vaters Sohn, aber nicht selbst ewig, nicht Gott wie dieser, sondern nur eine Erscheinungsform der göttlichen Substanz im Laufe der Zeit.

Es waren Gedanken , die in ähnlicher Gestalt schon in den ersten christlichen Jahrhunderten aufgetaucht, aber noch nie in solcher Schärfe und Keckheit ausgesprochen waren. Servet war überzeugt, mit jenen Sätzen nur die alte unverfälschte biblische Kirchenlehre wiederhergestellt zu haben , wie sie sich insbesondere bei Tertullian , Ignatius und Irenäus finden. Bis um die Zeit des Konzils von Nicäa hatte nach seiner An- sicht die alte wahre Lehre geherrscht, dann aber war sie ent- stellt worden ; als Strafe und als Zeichen des göttlichen Zorns habe um dieselbe Zeit die weltliche Herrschaft des Papsttums

' Nicht ohne Grund wird ihm dies von seinem späteren Gegner vor- gerückt; j'Calvin faict rage et use de mesme brocars que les trinitaires contre le Symbole d'Athanase et le concile de Nice, quand il est question de dis- cuter son opinion touchant la Trinite«. Vgl. F. Claude de Sawtes, Decla- ration d'aucuns atheismes de la doctrine de Calvin. Paris 1568 S. 108.

- Vgl. Trechsel , Antitrinitarier I, 64 ff. ; Servet, De trinitatis erroribus (1551) bes. S. 28, 29, 109.

1']2 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

ihren Anfang genommen. Der trinitarische Irrtum habe es ver- hindert , dafs das Christentum seine Aufgabe erfüllte und der Bekehrung der Juden und Muhamedaner im Wege gestanden. Mit der Wiederherstellung der altkirchlichen Trinitätslehre müsse deshalb ein Reformator der Kirche beginnen : was bisher von den Reformatoren geleistet , sei unzulänglich. Den lutherischen Glauben insbesondere findet er eitel und leer und nur dazu ge- eignet, die Menschen träge tmd schläfrig zu machen. Von den gegenwärtig streitenden Parteien werde nur um die Ehre gestritten. Unbekümmert um der Parteien Hader will er nur die Wahrheit, wie sie in den göttlichen Offenbarungen enthalten ist und uns not thut, der Welt verkündigen 1

Man kann sich denken, welche Aufnahme Servet mit solchen Ideen in Deutschland fand. Die oberdeutschen Theologen, die Reformatoren von Basel und Strafsburg, mit denen er sich sofort in Verbindung setzte, nahmen den reformeifrigen jungen Mann anfangs zwar mit Wohlwollen auf, machten ihn aber auf das Bedenkliche und Gefahrvolle seiner Ansichten aufmerksam und suchten ihn auf andere Wege zu bringen^. Man begriff es dies- seits der Alpen nicht, wie ein junger Mann aus sich selbst zu so verwegenen Ansichten gelangen konnte, und hat sogar gemeint, er habe sie aus dem Verkehr mit Ungläubigen auf einer Reise nach Afrika geschöpft. ZwingU ermahnte seinen Freund Oecolampad in Basel , mit dem Servet am meisten verkehrte, nachdrücklich, gegen den »bösen, frevlen Hispanier« auf seiner Hut zu sein; denn solche »falsche, böse Lehre« äufserte er, »würde unsere ganze christenliche Religion abthun^.« Vollends wandte man sich von dem unheimlichen Fremden ab, als derselbe ungeachtet der empfangenen Abmahnungen es wagte, mit seinen Ideen öffentlich hervorzutreten und im Jahre 1531 in Hagenau »sieben Bücher von den Irrtümern der Trinität<. im Druck ausgehen liefs^. Das Er- scheinen dieser Schrift, deren verwegener Inhalt durch die Keck-

' Vgl. seine Korrespondenz mit Oecolampad, und die Briefe Bucers, Blaurers und Grynaeus' über ihn, Opp. VIII, 857 ff.

^ Vgl. Älosheim, Anderweitiger Versuch einer vollständigen und unpar- teiischen Ketzergeschichte S. 17.

3 De Trinitatis erroribus libri Septem. Per Michaelem Serveto alias Reves ab Aragonia Hispanum. Anno MDXXXI. s. 1. 80. Über den Namen Reves v?l. älosheim S. 109.

Erregung der deutschen Theologen über Servets erste Schriften. i ■? -?

heit und Mafslosigkeit der Sprache fast noch überboten wurde, erregte unter den Theologen einen wahren Sturm des Unwillens. Alles war entrüstet über die Vermessenheit dieses fahrenden Spaniers, der offen die Fundamentallehren der Religion anzutasten sich erdreistete. Selbst ein Mann wie Bucer ging in seinem Zorn so weit, von der Kanzel zu erklären, der Frevler verdiene, dafs ihm die Eingeweide aus dem Leibe gerissen würden \

Es war vergebens, dafs er im nächsten Jahre seine Ansichten in einer neuen Schrift, ^in deren Eingange er sogar die früheren scheinbar freilich auch nur zum Scheine zurücknahm, in einer andern und, wie er glaubte, reicheren und vollendeteren Form entwickelte ^ In Deutschland war seines Bleibens nicht länger mehr.

Servets Hoffnung, auf den Gang der Reformation in Deutsch- land bestimmend einzuwirken, war vollständig fehlgeschlagen ! Der üble Erfolg seines ersten öffentlichen Auftretens wirkte für den Augenblick entmutigend auf ihn. Er entsagte für einige Zeit seinen theologischen Studien, nahm sogar einen andern Namen an und begab sich als Michel de Villeneuve nach Frankreich, um sich in Paris medizinischen, mathematischen und astronomischen Studien zu widmen. Damals war es, dafs er den ersten Versuch einer Annäherung an den jungen Calvin machte, welcher um diese Zeit sich ebenfalls in der französischen Hauptstadt aufhielt 3. Sein un- ruhiger Geist duldete ihn indes nicht lange an einem Orte. Von Paris wandte er sich nach Orleans, von hier nach kurzem Aufent- halt nach Lyon, dann kehrte er nochmals nach Paris zurück. In Lyon war er als Korrektor in einer Buchdruckerei beschäftigt und zugleich selbst schriftstellerisch thätig: er veröffentUchte hier 1535 eine neue verdienstliche Ausgabe des Ptolemäus, die grofsen Bei-

' So wenigstens Calvin an Sultzer 5. id. Sept. 1553, Opp. XIV S. 614.

- Dialogorum de Trinitate libri duo. De iustitia regni Christi capitula quatuor. Per Michaelem Serveto alias Reves a Aragonia Hispanuni. A. MDXXXII. s. 1. 8°- Auf der Rückseite des Titelblattes heifst es: »Quae nuper contra receptam de Trinitate sententiam septem libris scripsi , omnia nunc , candide lector , retracto. Non quia falsa sint, sed quia imperfecta et tantum a parvulo parvulis scripta, Precor tarnen, ut ex illis ea teneas, quae ad dicendorum intelligentiam te potuerunt iuvare«. Vgl. Mosheim S. 44;, Trcchsel I, 103.

3 Beza, Vita Calvini, Opp. XXI S. 123. [Vgl. Willis S. 82.]

l-jA Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

fall fand \ In Paris ergab er sich wieder ganz den mathematischen, medizinischen und naturphilosophischen Studien : er erwarb sich die akademischen Grade, hielt mit vielem Beifall Vorlesungen über Mathematik und Astronomie und griff im Jahre 1537 mit einer neuen gelehrten medizinischen Abhandlung »über die Syrupe« in den damals heftig entbrannten Streit zwischen den Galenisten und A verreisten ein ^, Was er angriff, gelang ihm. Auch in der Medizin bewährte er den scharfen Blick und die Geniahtät, die ihn auszeichnete : lange vor Harwey hat er bereits den Umlauf des Blutes beobachtet und mitten in seinen theologischen Unter- suchungen beschrieben 3. Doch überwarf er sich in kurzem ebenso- sehr mit den Medizinern wie vordem mit den Theologen. Un- besonnene verletzende Äufserungen, die er sich in Vorlesungen und Schriften gegen die Ärzte seiner Zeit erlaubte er warf ihnen Unwissenheit vor und nannte sie eine Pest der Welt brachten Fakultät und Universität gegen ihn auf. Bei dem geistlichen Ge- richte wie bei dem Parlament wurde eine Klage gegen ihn anhängig gemacht, die mit seiner Verurteilung durch das Parlament endete. Er mufste Paris abermals verlassen und begab sich von neuem auf Wanderungen , die ihn nach längeren unstäten Irrfahrten und kurzen Aufenthalten in Avignon, Lyon, Charlieu um das Jahr 1540 endlich nach Vienne führten ''.

Hier schien er Ruhe finden zu sollen. Der Erzbischof Palmier, ein Freund gelehrter Bestrebungen, der Servets Vorträgen in Paris beigewohnt und den geistvollen originellen Mann liebgewonnen hatte , nahm sich seiner wohlwollend an. Servet liefs sich in Vienne dauernd als praktischer Arzt nieder , erlangte rasch eine ausgedehnte Praxis , bedeutenden Ruf und ein reichliches Ein- kommen, so dafs er sich behaglich einrichten konnte. Seine äufsere religiöse Haltung bot während der ersten Jahre nichts Auf- fälliges. Er kam den Gebräuchen der Kirche nach und verkehrte, wie es scheint, vornehmlich in geistlichen Kreisen. Dem Erz- bischof selbst war die zweite Auflage seines Ptolemäus gewidmet,

Vgl. Moshehn S. 61. {Willis S. 87.] "^ [Vgl. Willis S. 104, 114.]

3 Die Stelle findet sich: Christianismi restitutio S. 169 und ist abgedr. bei Mosheim S. 499 und Henry III Beil. S. 58 ff. [Vgl. Willis S. 206—213.]

4 Opp. VIII, 846 u. 767. Mosheim S. 82 ff.

Servet in Vienne, Fortbildung seiner Ideen. lyc

die im Jahre 1541 nötig wurde'. Auch eine neue Ausgabe der lateinischen Bibel des Santes Pagninus, die er das Jahr darauf veranstaltete, erregte, obschon Vorrede und Anmerkungen manches Ungewöhnliche enthielten, vorerst noch keinen Anstofs ^

Indes unter allen Wanderungen und Wandlungen hatte Servet seine alten Gedanken nicht aufgegeben. Vielmehr hatte ihn die Ausbildung und weitere Durchführung seines Systems, von dem er das Heil der Kirche erwartete, alle die Jahre daher beschäftigt, und je länger je mehr war er in seinen Überzeugungen befestigt worden. Er hatte seinen Ideen mehr Klarheit und Zusammenhang gegeben , sie durch fortgesetzte biblisch - patristische und philo- sophische Studien vertieft, und unwiderleglicher zu begründen gesucht, auch manches Neue aufgenommen. Eine zunehmende Bedeutung gewann für ihn die Lehre vom Logos und vom Sohne Gottes, die jetzt vollständiger von ihm entwickelt wurde. Durch seine naturphilosophischen Studien hatte das pantheistische Element, das von Anfang an in seinem Systeme lag, eine mächtige Ver- stärkung erhalten. Daneben begann er, vielleicht durch die Be- rührung mit einzelnen Vertretern der widertäuferischen Sekte an- geregt, auch der praktischen Seite des Christentums jetzt eine gröfsere Bedeutung beizulegen. In dem Papste erblickte er den wirklichen Antichrist, in Rom das apokalyptische Babel, aber auch über Luthers Kirche wurde sein Urteil immer ungünstiger. In Vienne begann er jetzt seine Ideen aufs neue durchzuarbeiten und in einem gröfseren Werke niederzulegen. Es sollte das Heilmittel für alle Schäden der Kirche enthalten, der irregeleiteten Welt den ^^'eg zeigen , den sie zu wandeln habe , das seit dem Konzil von Nicäa verdunkelte und entstellte Christentum in seiner ur- sprünglichen Reinheit wiederherstellen.

Und mit diesen Ideen trat er jetzt vor Calvin. Sei es, dafs er immer noch in evangelischen Kreisen eine gröfsere Empfänglich- keit für seine Reforraideen voraussetzte, sei es, dafs Calvins persön- hcher Ruf ihn anzog : genug , ohne dafs seine Umgebung in Vienne eine Ahnung davon hatte, setzte er sich von Vienne aus dieses Mal unter seinem wahren Namen mit dem Genfer Reformator in Verbindung 3. Durch wiederholte Schreiben, durch

I [Vgl. Willis S. 131 ff.].

» Vgl. Mosheim S. 85 ff., 404 ff. \_Willis S. 139—156.]

3 Die in die Restitutio Christianismi aufgenommenen Epistolae triginta

iy6 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Vorlegung von Fragen, durch Einsendung des Manuskripts seines neuen Werkes suchte er ihn für seine Auffassung zu gewinnen : ja er wollte sogar, wenn es Calvin gefalle, selbst nach Genf kommen 1 Es läfst sich denken, wie der stolze Reformator diesen seltsamen Bekehrungsversuch aufnahm. SchwerHch hat er die ihm zu- gesandten Schriftstücke vollständig durchgelesen. Es war ihm sofort klar , dafs der Verfasser zu jenen zügellosen, lucianischen Geistern gehöre , gegen die er von jeher die gröfste Abneigung empfunden hatte. Seine kecke anmafsende Sprache empörte ihn. Der Mann habe, schrieb er an einen Freund desselben, vor allen Dingen offenbar eine Demütigung vonnöten^. Doch liefs er sich herbei, ihm auf einzelne Fragen zu antworten. Als aber Servet sich damit nicht zufrieden gab und die Verweisung auf die be- treffenden Abschnitte der Institution sogar mit bitteren Randglossen zu dem Hauptwerke des Reformators erwiderte, brach er jeden weiteren Verkehr mit dem unverbesserlichen Irrlehrer ab ^. Der Genfer Reformator war schon in dieser Zeit überzeugt, dafs dieser Mensch ohne Gefahr für die ganze Kirche nicht am Leben bleiben dürfe. »Sollte er selbst nach Genf kommen,« schrieb er bereits im Februar 1546 vor dem letzten Brief an seinen Freund Farel , »so werde ich nicht dulden, wenn mein Ansehen noch etwas gilt, dafs er lebendig von dannen zieht ^.« Servet gab nichtsdestoweniger seine Verbindung mit Genf noch nicht auf. Von Calvin selbst zurückgewiesen , wandte er sich an dessen Freunde. Er schrieb an Viret in Lausanne^. Drei Briefe richtete er an den Prediger Abel Pouppin. »Euer. Evangelium,« rief er diesem in seinem letzten Schreiben zu, »ist ohne Gott, ohne den wahren Glauben, ohne gute Werke. Statt des einen Gottes habt ihr einen dreiköpfigen Cerberus, statt des wahren Glaubens eine

(Opp. VIII, 649 ff.) sind übrigens in ihrer gegenwärtigen Gestalt wohl nicht als eigentliche, einzeln an den Reformator abgegangene Briefe anzusehen, vgl. Opp. VIII Prol. S. XXXIII. Calvin selbst deutet das an in der Defensio orthodoxae fidei Opp. VIII 462: »quas velut ad me scriptas in publicum edidii«. [Vgl. Willis S. 158—190; Böget IV, S. 12.]

Calvin an Frellon 13. Febr. 1546, Opp. XII S. 281.

^ Vgl. Defensio orthodoxae fidei, Opp. VIII, 481 ff. Trecksei S. 117 ff.

3 »Si vencrit, f/mdo valeat mea autoritas, vivtim cxire nunquam patiar«^ Calvin an Farel 13. Febr. 1546, Opp. XII S. 283.

* Viret an Calvin 25. Aug. 1548; die Antwort Calvins vom i. Sept., Opp. XIII S. 33, 42. Proc^s de Servet, Verhör vom 28. Aug., PVage 14, Opp. VIII, 780.

Servets Christianismi Restitutio.

177

unselige Träumerei, gute Werke nennt ihr leere Trugbilder. Wehe, wehe, wehe über euch!« Aber taub wie der Meister waren auch die Schüler und Freunde für seine Vorstellungen. Nicht einmal das Manuskript seines Werkes konnte er von Genf zurückerhalten'.

Weit entfernt, durch das Scheitern seiner auf Genf gesetzten Hoffnungen abgeschreckt zu sein, fühlte sich Servet durch seinen Mifserfolg bei dem stolzen Reformator nur noch mehr zur Ver- öffentlichung seiner Ideen und zu kühnem, selbständigen Vorgehen angespornt. Eine exaltierte Stimmung hatte sich um diese Zeit seiner bemächtigt. Nach apokalyptischen Berechnungen schien ihm der Zeitpunkt nahe zu sein , wo der Kampf Michaels wider den Drachen beginne und das Reich des Antichrists gestürzt werden mufste-. Eine wahrhaft abergläubische Vorstellung hatte er von den Wirkungen seines neuen Buches, an dessen Vollendung er fortwährend arbeitete. Ohne einem seiner Freunde seinen Plan zu verraten, traf er jetzt die Vorkehrungen zum Druck desselben : plötzlich, von keinem erwartet, sollte es erscheinen, als das ge- waltige Kriegsmanifest gegen das Antichristentum in dem Beginn der neuen christlichen Ära. Nach langem Suchen und mit Dar- bringung nicht unbedeutender Opfer gelang es ihm , in Vienne einen Verleger zu gewinnen. In einer heimlichen Presse gedruckt, trat das lange vorbereitete Werk zu Anfang des Jahres 1553 wirklich ans Licht , ohne Angabe von Druckort und Verfasser. Es führte den stolzen Titel: Des Christentums Wiederherstellung 3.

»Wir werden aufdecken,« verkündet die schwungvolle Vor- rede, »die göttliche Offenbarung von den frühesten Jahrhunderten

' Servet an Abel Pouppin, abgedr. bei Moshewi S. 414 f.

^ Vgl. Signa sexaginta regni Antichrist!, Sign, XVII, Opp. VIII S. 716; Rest. Christ. S. 666 Sign. 17; vgl, auch S. 396.

3 Christianismi Restitutio, Totius ecclesiae apostolicae est ad sua limina vocatio, in integrum restituta cognitione Dei, fidei Christi iustificationis nostrae, regenerationis baptismi et coenae Domini manducationis. Restituto denique nobis regne coelesti , Babylonis impiae captivitate soluta et Antichristo cum suis penitus destructo. MDLIII. Nur am Schlüsse wird des Verfassers Name durch die Buchstaben M. S. V. angedeutet. Verraten wird dieser auch dadurch, dafs S. 199 ff. Servet selbst in den Dialogen über die Trinität als CoUocutor auftritt. Die Originalausgabe ist bis auf wenige Exemplare namentlich auch durch Calvins Bemühungen (vgl, Opp. XIV S, 599) vernichtet worden. Ein 1791 in Nürnberg erschienener, bis auf die Seitenzahl getreuer Abdruck hat indes diesem Mangel abgeholfen.

Karapschulte, J. Calvin II. 12

1^8 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

an , das grofse Geheimnis des Glaubens , das über allem Streit erhaben ist , den Gott , der früher nicht gesehen worden , den werden wir nun sehen, da die Decke von seinem Anthtz hinweg- genommen; wir werden ihn schauen in uns selbst leuchtend. O Christe Jesus, Sohn Gottes , der Du uns vom Himmel gegeben bist, offenbare Dich selbst Deinem Diener, damit eine so grofse Offenbarung uns in Wahrheit klar werde. Es ist Deine Sache, die ich, einem inneren göttlichen Drange nachgebend, zu verteidigen aufgenommen habe, da ich für Deine Wahrheit besorgt war. Schon früher habe ich einen ersten Versuch gemacht, ; nun werde ich aufs neue dazu gezwungen, da die Zeit in Wahrheit erfüllt ist. Du hast uns gelehrt, unser Licht nicht zu verbergen; wehe mir deshalb, wenn ich die Wahrheit nicht verkündete Das Werk selbst besteht aus emer Reihe von Abhandlungen, in denen der Verfasser zunächst seine bereits früher vorgetragenen Ansichten über die göttliche Trinität in neuer Bearbeitung, reicherer und konsequenterer Durchführung und mit gröfserer Gelehrsamkeit entwickelt, dann aber auch seine Reformvorschläge auf dem Ge- biete des praktischen kirchlichen Lebens darlegt. Servet bekämpft hier nachdrücklich die lutherische Ansicht von dem rechtfertigenden Glauben; am entschiedensten aber wendet er sich gegen die Kindertaufe, die nach ihm der zweite faule Fleck des bis- herigen Christentums ist, wie die Trinitätslehre den ersten bildet ^. Die Form, in welcher er seine Ideen vorbringt, ist noch schroffer, noch verletzender, noch herausfordernder, noch excentrischer, als in seinen früheren Schriften und verschont die Reformatoren so wenig als die Papisten ^ Beigefügt ist eine Beschreibung der »Sechzig Zeichen des Reiches des Antichrists und seine Enthüllung in der Gegenwart.« »Schon bewegen sich,< ruft er aus, »Himmel und Erde gegen den Drachen und Antichrist , schon wird die Menschheit, die vordem im Staube dieser Erde schlummerte, zum ewigen Leben aufgeweckt , und das hingeschlachtete Lamm be- ginnt bereits das mit so vielen Siegeln verschlossene Buch zu öffnen *.«

' Christ, restit. S. 3, 4.

* Trechsel 1. c. S. 121 ff.

3 Christ, rest. S. 15, 43 , 393 ff., 455 ff. Der Ton wird zuweilen ge- radezu frivol.

* Christ, rest. S. 668, 670, Sign. 29, 40, 59.

Von Genf aus die Verfolgung Servets veranlafst. I«rg

Aber die gewaltige Wirkung , welche sich der Verfasser von seinem Werke versprach, trat nicht ein. Was das Signal zum Sturze des Antichristentums werden sollte, wurde das Signal zur Verfolgung seines alsbald entdeckten schwärmerischen Urhebers, und dieser selbst zeigte jetzt, in der Stunde ernster Gefahr, nicht die todesmutige Entschlossenheit, deren er sich früher wohl selbst gerühmt hatte !

In Genf wurde Servet sofort als der Verfasser des ver- wegenen Buches erkannt. Man hatte hier den zudringlichen Fremden nicht aus dem Auge verloren und ihm weiter nach- geforscht; man war hinter das Geheimnis gekommen, dafs Servet und der Vienner Arzt Villeneuve dieselbe Person seien und hatte sich sogar über die Umstände, unter denen der Druck des Werks erfolgt war , nähere Nachrichten zu verschaffen gewufst. Rasch drang die Kunde von Genf nach Frankreich. Ein Calvin nahe- stehender französischer Emigrant, ein gewisser Wilhelm Trie, meldete die Sache sofort (26. Februar) einem Anverwandten in Lyon, einem eifrigen Katholiken, der ihn wiederholt zur Rückkehr in die katholische Kirche ermahnt hatte. Man möge aufhören, meinte er, die Zucht und gute Ordnung der katholischen Kirche noch länger zu preisen, da sie einen solchen gottlosen Menschen seine Bücher drucken und seine Gotteslästerungen verbreiten lasse. In dem geschmähten Genf wisse man, gottlob, Laster und Gottes- lästerungen besser zu strafen I Er deckte dann das Spiel auf, welches Servet mit dem doppelten Namen getrieben, machte die Druckerei namhaft, aus der das Servetsche Buch hervorgegangen, und legte endlich , um keinen Zweifel an seinen Mitteilungen übrig zu lassen , den ersten Bogen des verhängnisvollen Werkes selbst bei\

Das Schreiben Tries , das alsbald zur Kenntnis der kirch- lichen Behörden in Lyon und Vienne kam , erregte in den katholischen Kreisen Aufsehen und Bestürzung. Man war nicht unempfänglich gegen den Vorwurf des abtrünnigen Emigranten. Ohne Verzug wurde eine strenge Untersuchung eingeleitet. Man liefs Servet selbst, Verleger und Drucker vorladen und verhören, Haussuchungen vornehmen, doch ohne Erfolg. Servet spielte den

' Das Schreiben des Guillaume Trie an Antoine Arneys, Genf 26, Febr. 1553, Opp. VIII, 835 fi-.

l8o Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

völlig Unwissenden : er blieb dabei, Villeneuve zu heifsen und von dem fraglichen Buche nichts zu wissen. Nichts Verdächtiges wurde in seiner Wohnung vorgefunden.

Indes Genf kam der katholischen Behörde bald aufs neue zu Hilfe. Auf die Bitte um weitere Beweismittel übersandte Trie einundzwanzig eigenhändige Briefe Servets an Calvin, sowie einige Blätter der calvinischen Institution mit Randglossen von Servets Hand, die er indes nur mit Mühe von dem Herrn Calvin erhalten zu haben versicherte. In einem dritten Schreiben gab er noch nähere Auskunft über Servets Vergangenheit, über seine Begegnung mit den deutschen Theologen vor 24 Jahren und über den Druck seines neuesten Werkes'. Diese neuen Mitteilungen schienen den Vienner Richtern zur Einleitung eines strengen Ver- fahrens hinreichend. Servet wurde in Haft genommen und einem wiederholten Verhör unterzogen ^. Den beigebrachten Über- führungsstücken gegenüber konnte er sein früheres Leugnungs- system nicht mehr aufrecht erhalten ; er verwickelte sich in Widersprüche und sah sich zu bedenklichen Zugeständnissen ge- nötigt. Die Untersuchung nahm einen für ihn immer ungünstigeren Verlauf. Da gelang es ihm mit Hilfe seiner Freunde am 7. April aus dem Kerker zu entkommen 3. Wäre er geblieben, so würden einige weitere Verhöre genügt haben, ihn in Vienne dem Scheiter- haufen zu überliefern, wie dann einige Monate später weltliche und

' Trie an Antoine Arneys, 26. und 31. März 1553, Opp. VIII, 840 ff. Der Schreiber dieser Briefe ist sichtlich bemüht, Calvin von jedem Verdacht der Teilnahme an seiner Denunziation zu reinigen, ja er selbst will nicht eine Anklage Servets beabsichtigt haben , wie er zu Anfang seines Schreibens vom 26. März erklärt, was ihn indes nicht abhält, dem Vienner Richter ein neues Beweismittel mit grofser Eile an die Hand zu geben. Ich wül nicht verhehlen, dafs die Schreiben Tries auf mich durchaus den Eindruck machen, als seien sie allerdings, wenn auch nicht gerade auf Anstiften, doch jedenfalls in vollem Einverständnis mit Calvin geschrieben, ßolsec (1. c. S. 26) und Servet selbst (Opp. VIII, 789, 805) betrachten Calvin als den eigentlichen Urheber der An- klage. Dafs Calvin seit längerer Zeit nach den Einzelheiten des Lebens Servets geforscht haben mufs, ergiebt sich auch aus den vielen detaillierten Be- schuldigungen , die er gegen ihn erhebt; vgl. z. B. Defensio fidei orthodoxae,. Opp. VIII S. 497. [Vgl. Willis S. 231—251, Roget IV, 21, 25 ff. sieht Calvin durchaus für den Urheber der Denunziation an. C/ioisy S. 131 will davon nichts wissen.]

» Opp. VIII, 844 ff.

3 [Vgl. Willis S. 252—268. Roget IV S. 32.]

Servet auf der Flucht in Genf verhaftet. igi

geistliche Richter die Strafe des Feuers über den Abwesenden und seine Bücher ausgesprochen haben \ Aber das Amt des Henkers war dem evangehschen Genf beschieden , das zu dem traurigen Prozesse die erste Anregung gegeben hatte.

Denn dahin lenkte der Geflüchtete, nachdem er einige Zeit im südlichen Frankreich umhergeirrt, in unbegreiflicher Ver- blendung- seine Schritte. Seine Absicht war, sich über die Schweiz nach Neapel zu begeben, wo er als geborener Spanier bald eine neue Lebensstellung zu erlangen hoffte, und in Genf nur einen vorübergehenden kurzen Aufenthalt zu nehmen. Es mochte einen besonderen Reiz für ihn haben, das vielgepriesene Genfer Kirchenwesen aus unmittelbarer Nähe einmal kennen zu lernen. Um die Mitte Juli langte er an , stieg in dem Gasthof zur Rose iib und lebte hier mehrere Wochen in stiller Zurückgezogenheit unerkannt und unbeachtet. Er hatte bereits die Vorkehrungen zur Abreise getroffen und eine Barke zur Überfahrt über den See ge- mietet, als er am letzten Tage der Versuchung nicht widerstehen konnte, eine Predigt Calvins zu besuchen. In der Kirche wurde er erkannt. Am 13. August kündigte ihm ein Gerichtsdiener seine Verhaftung an -\

Calvin selbst gesteht mit der gröfsten Offenheit, ja mit einer gewissen Befriedigung, dafs er es gewesen, der Servets Verhaftung veranlafst habe'*. Ohne Zaudern und sofort entschlossen, ergrift" er die Gelegenheit, zur Ausführung zu bringen, was er bereits vor

Opp. VIII, 784 ff., 851 ff. [IVÜ/is S. 269—277. Jiogei IV S. 33.]

^ » Jl/ira est Dei dispensatio in Sc'7~veto, quod istiic vcnerit, « schreibt Farel an Calvin 8. Sept. 1533, Opp. XIV S. 612. Dagegen richtiger Calvin : »Nescio quid dicam, nisi fatali vesania fuisse correptum ut se praecipitetn iaccret.« Defensio, Opp. VIII, 480.

3 Opp. VIII, 770 (n. 28), 782 (n. 38), 725. Beza, Vita Calv., Opp. XXI S. 146. In Genf durfte nach dem Gesetze niemand am Sonntag verhaftet Verden, ynisi ob capitale facinus« ; bezeichnend ist also Servets Verhaftung an einem Sonntag. [Vgl. Willis 281 286. Raget IV S. 41 f. und S. 60 A. i nimmt gleich den Herausgebern der Werke Calvins an, dafs Servet nur wenige Tage in Genf gewesen sein kann.]

Calvin an Sultzer 9. Sept. 1553, Opp. XIV S. 615. Vgl. Opp. VIII S. 461. Calvin an Farel 20. Aug. 1553, Opp. XIV S. 589 und öfter. Um so mehr mufs es befremden, dafs Sleidan, der über alles von Calvin unterrichtet wurde, lediglich den Rat als Urheber hinstellt; vgl. Commentarii, ed. am Ende III, 446. {Roget IV S. 44.]

l82 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Jahren den Freunden angekündigt hatte. Nach seiner Über- zeugung hatte Servet als offenbarer Gotteslästerer und Ketzer der schlimmsten Art längst schon den Tod verdient: er hielt sich im Gewissen für verpflichtet, nach Kräften dafür zu wirken, dafs die Welt von diesem gefährlichen Menschen befreit werde, und machte von Anfang an kein Hehl daraus, dafs er es auf den Tod des Unglücklichen abgesehen habe'. Auf der andern Seite durfte er mit Grund hoffen, in dem Kampfe gegen Servet nicht allein zu stehen. Ansichten, wie sie der verwegene spanische Abenteurer vortrug, waren in Genf selbst in den Kreisen der entschiedensten Opposition unerhört. Indem Calvin entschlossen ihre Bekämpfung übernahm , durfte er hoffen , die Sympathien eines bedeutenden Teiles der Bevölkerung wiederzufinden und sein infolge der letzten Niederlagen tief gesunkenes Ansehen aufs neue wieder zu be- festigen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dafs Erwägungen dieser Art auf ihn nicht ohne Einflufs gewesen sind. So trieben ihn innere und äufsere Gründe, Überzeugung und Be- rechnung in einen Kampf, der, wie die Dinge lagen, zu einem entscheidenden werden mufste^.

Unverzüglich , wie es die Edikte vorschrieben , wurde der Prozefs eröffnet. Da nach den gesetzlichen Bestimmungen auch

' fSpero capitah saltcm fore iudiciuni ; poenae vero atrocitatem reniitti cupio.« Calvin an Farel 29. Aug. 1553. Eine Ansicht, die Farel nocli zu milde fand. Dieser Äufserung Calvins scheint die vielbesprochene Stelle , De- fensio, Opp. VIII S. 4S0, entgegenzustehen: »Hoc tantuni in praesentia testatuiit volo, nie non ita capitaliter Juissc hifcsiuin, tjui?t licilum fuerit vel sola niodestiay nisi mente privattis forct, vitavi redimere, Sed nescio quid dica7n , nisi fatali vcsania fccisse correptum ut se praecipitem jacerd«. Noch deutlicher lautet der Text bei Mosheini S. 302. Diese Stelle ist sehr gegen Calvin ausgebeutet worden , als habe nur Mangel an Bescheidenheit gegenüber Calvin den Tod Servets herbeigeführt {ßloshdm S. 302 ff.) ; doch war sie wohl nur eine un- bedachte Übereilung von selten Calvins.

^ Rilliet , Relation du proc^s criminel intente ä Geneve en 1553 contre Michel Servet. Mem. et doc. III, 22. Brunneviann , Michel Servetus, Berlin 1853, S. 7: »Calvin dachte aus Servets Verurteilung politisches Kapital zu machen«. Der weiteren Reflexion Rilliets, als habe Calvin nur^ die Wahl gehabt, Servet anzuklagen oder sich selbst zu exilieren, kann ich nicht bei- stimmen: sie würde nur in dem Fall zutreffend sein, wenn Servet in der Ab- sicht, sich dort niederzulassen, nach Genf gekommen wäre und ihm dadurch gleichsam selbst den Fehdehandschuh hingeworfen hätte. Dies hat nicht ein- mal Calvin behauptet.

Eröffnung des Prozesses. jS^

der Ankläger bis zum Erweis seiner Angaben sich zur Haft stellen mufste , so veranlafste Calvin , um freie Hand zu haben, seinen Famulus Nicolaus de la Fontaine die Rolle des Klägers zu über- nehmen. Fontaine reichte eine von seinem Meister aufgesetzte weitläufige Anklageschrift ein, über die der Angeklagte gleich am Tage nach seiner Verhaftung (14. August) durch den Lieutenant vernommen wurde'. Dieselbe verbreitete sich in 38 Artikeln über Servets Vergangenheit, seine falschen Meinungen und Lästerungen gegen die Trinität , die Gottheit Christi , die Kindertaufe , ins- besondere gegen die Person des Genfer Reformators selbst und nahm nicht blofs auf das letzte Buch, sondern auch auf die früheren Schriften Servets, sowie die Ausgabe des Ptolemäus Bezug. Die Fassung der einzelnen Artikel liefs seine Irrtümer im schlimmsten Lichte erscheinen : in einem derselben wurde ihm sogar Leugnung der Unsterblichkeit der Seele vorgeworfen. Der Angeklagte ant- wortete nicht würdevoll, aber klug; er gab einiges zu und stellte anderes in Abrede, suchte einige der ihm zugeschriebenen An- sichten zu erläutern und ging in Bezug auf andere einer be- stimmten Erklärung aus dem Wege; dem Genfer Reformator endlich, erklärte er, nur gleiches mit gleichem vergolten zu haben : derselbe habe ihn zuerst beleidigt und irre offenbar in vielen Punkten ".

Nach den Ordonnanzen gelangte nunmehr die Angelegenheit, da der Lieutenant auf Grund des stattgehabten Verhörs die Ein- leitung des förmlichen Klageverfahrens beantragte , an den Rat. Fontaine reichte am andern Tage einen allem Anscheine nach abermals von Calvin ausgearbeiteten Strafantrag ein und bat, ihn, nachdem er seine Anklage bewiesen haben werde , aus der Haft zu entlassen 3. Das neue Verhör vor Syndiks und Rat begann noch am Nachmittag des 15. August im Beisein Fontaines im grofsen Saale des bischöflichen Palastes , der seit dem Sturze des Bischofs als Gefängnis diente. Der Angeklagte blieb in den rein theologischen Fragen wesentlich bei seinen früheren Aussagen, wandte sich aber jetzt, vielleicht durch die Wahrnehmung er- mutigt, dafs sich auch unter den Richtern manche Gegner des

' Opp. VIII, 726 ff. (n. 2, 3) und Calvins eigne Äufserungen in der De- fensio 1. c. S. 479.

^ Opp. VIII, 731 ff. (n. 4). [Vgl. Willis S. 304—311.] 3 Opp. VIII, 735 (n. 5).

I $4 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Reformators befanden , entschieden feindlich gegen Calvin selbst, den er als seinen beständigen Verfolger bezeichnete : »nicht an Calvin habe es gelegen, dafs er nicht schon lebendig verbrannt worden sei.« Zugleich erklärte er sich bereit, seine Ansichten gegen Calvin in öffentlicher Versammlung zu verteidigen und aus der Schrift zu beweisen. Auf diesen Vorschlag ging indes der auf seine Prärogative eifersüchtige Magistrat nicht ein. Überhaupt war der Eindruck, den das Verhör auf die Mehrzahl der Richter machte , kein für den Angeklagten günstiger : namentlich scheinen seine Auslassungen über die Kindertaufe verletzt zu haben. Man beschlofs einfach die Fortsetzung der Untersuchung und liefs dagegen den Ankläger Fontaine gegen Leistung einer Bürgschaft , welche der Bruder Calvins übernahm , in Freiheit setzen ^ .

Der Anfang liefs sich für Calvin günstig an. Die Ver- urteilung des Angeklagten war bei gleichem Fortgang nur zu sicher. Aber schon zeigte sich die erste Spur einer Opposition. Nahm auch die grofse Mehrzahl in der Bürgerschaft wie im Rate an der unerhörten Lehre Servets gerechten Anstofs, fanden auch manche alten Gegner Calvins sein Auftreten gegen diesen über- mütigen Ketzer vollkommen gerechtfertigt, so fehlte es doch auch nicht an solchen, welche den neuen Kampf mit andern Augen ansahen. Es war dies die Partei der UnversöhnHchen. Sie er- kannten sofort , dafs Servets Verurteilung ein neuer Triumph Calvins sein und sein gesunkenes Ansehen wieder befestigen werde ; sie erblickten in dem verwegenen spanischen Arzte, -ohne sich für seine theologischen Ansichten besonders zu interessieren, in jedem Fall einen Bundesgenossen gegen Calvin und beschlossen , ihm ihre Unterstützung angedeihen zu lassen. Calvins Sieg sollte ver- eitelt werden '.

Schon bei der Fortsetzung des Verhörs am folgenden Tage wurde dies offenkundig. An der Stelle des Lieutenants Tissot fand sich Philibert Berthelier in der Sitzung ein, der verwegene

' Opp. VIII, 737 ff, (n. 7). Rilliet 1. c. S. 36, 37. Brunnemann S. 10.

* [Jiamp schnitt' nimmt also nicht an , dafs schon frühere Beziehungen

zwischen Servet und der Opposition bestanden hätten. Vgl. dazu Raget IV

s. 41, 337.]

Calvin als Ankläger. ige

Führer der Kinder von Genf\ Was sein Erscheinen zu bedeuten hatte, war klar. Aber auch die Partei Calvins , die von den Ab- sichten der Gegner offenbar Kunde erhalten, hatte sich vorgesehen und dem unfähigen Fontaine, der seiner Aufgabe nicht gewachsen war, in dem jungen französischen Rechtsgelehrten Germain Colladon, einem Calvin unbedingt ergebenen Refugid, einen tüch- tigen Anwalt zur Seite gegeben. Es kam zwischen Colladon und Bertheiier zu einem heftigen Wortwechsel. Der alte Genfer nahm sich des Angeklagten in warmen Worten an. Die Sitzung mufste aufgehoben werden^.

Unter diesen Umständen entschlofs sich Calvin, seine bisherige Zurückhaltung aufzugeben und sich nicht länger hinter Fontaine und Colladon zu verbergen. Am 17. August erschien er in eigener Person vor dem Rate, bekannte sich unumwunden als der eigent- liche Ankläger Servets und führte Beschwerde über Bertheliers Einmischung. Seine Vorstellungen fanden Gehör ; es wurde ihm gestattet, nicht blofs selbst zu dem nächsten Verhör zu erscheinen, sondern auch andere ihm geeignet scheinende Personen mitzu- bringen, »damit dem Angeklagten seine Irrtümer besser gezeigt werden könnten 3.«

Das noch an demselben Tage im Beisein Calvins und Col- ladons vorgenommene neue Verhör verbreitete sich abermals über die von Fontaine eingereichten Klageartikel und nahm einen äufserst stürmischen Verlauf. Heftiger als je platzten die Geister aufeinander. Durch das Auftreten Bertheliers am vorigen Tage ermutigt und wohl auch insgeheim von der Partei desselben aufgemuntert ■», überdies durch Calvins Anwesenheit ge- reizt, entwickelte der Angeklagte seine Ansichten mit der gröfsten Schärfe. Er behauptete, dafs der Ausdruck Trinität vor dem Konzil von Nicäa nicht vorkomme, dafs die alten Kirchenväter die von ihm vorgetragene Ansicht teilten, und gab im weiteren

' Bertheiier bekleidete das Amt eines Assistenten des Lieutenants ; Boni- vard^ Anc. et nouv. pol. S. 95.

^ Opp. VIII, 741, 742 (n. 8, 9). Vgl. Rillid 1. c. 40, 41. {Willis S. 314—321.]

3 Opp. VIII, 742, 743 (n. 9). {Roget IV S. 49.]

* Nach Bonivard^ Anc. et nouv. pol. S. 83 hätte der Kerkermeister, nach Beza, Opp. XXI S. 146, Bertheiier selbst dem Gefangenen insgeheim Mitteilungen gemacht. Vgl. u. S. 192 A. 2.

l86 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Verlaufe der Debatte seiner pantheistischen Grundanschauung in einer Weise Ausdruck, die Calvins höchsten Zorn erregtet Auch auf die grofse Mehrzahl der Anwesenden machte Servets Auftreten einen überaus ungünstigen Eindruck. Es safsen in dem Magistrat aufser einigen unbedingten Anhängern Calvins und den entschlossenen Gegnern desselben , deren Führer der erste Syndik selbst war, nicht wenige Mitglieder, die eine Art vermittelnder Stellung ein- nahmen, Männer, die zwar früher zu der Opposition gezählt hatten, in dem gegenwärtigen Streite aber ihre Sympathien Calvin zu- wandten , ohne jedoch wieder ihre Bedenken vollständig über- winden zu können. Die verwegene Sprache, welche der Angeklagte nunmehr führte, machte ihrer vermittelnden Stellung ein Ende und trieb alle Schwankenden auf die Seite Calvins : man erschrak vor dem theologischen Radikalismus, den der Fremde mit nackten Worten lehrte. Mit überwiegender Majorität erklärte der Rat die Anklage für vollkommen gerechtfertigt , setzte den Ankläger Fon- taine ganz aufser Verfolgung und entband auch Calvins Bruder von der geleisteten Bürgschaft. Zugleich wurde beschlossen, sich nach Vienne um Mitteilung der Akten des dort geführten Prozesses zu wenden und den angesehensten schweizerischen Kirchen (Bern, Basel, Zürich, Schaffhausen) Mitteilung zu machen^. Ein noch- maliges Verhör, welches wenige Tage später in Calvins Gegen- wart vorgenommen wurde und bei dem es wieder zu heftigen Erörterungen zwischen den beiden Gegnern kam , machte einen noch schlimmeren Eindruck und befestigte den Magistrat in der angenommenen Haltung 3. Calvin durfte mit dem Erfolg seines Auftretens zufrieden sein : er zweifelte nach solchen Beschlüssen nicht mehr daran , dafs die verdiente Strafe den Missethäter bald erreichen werde'*.

So diente, was dem Angeklagten hatte Hilfe bringen sollen, nur dazu, seine Lage zu verschlimmern. Die Zuversicht, die er aus der Haltung Bertheliers geschöpft, war sein Verderben geworden.

' Vgl. Defensio, Opp. VIII, 496. RilUd 1. c. S. 42 ff. Calvin an Farel 20. Aug. 1553, Opp. XIV S. 589.

» Opp. VIII, 743 ff., 751 ff., 761 (n. 10, 12, 15). [Vgl. Roget IV S. 54.]

3 Opp. VIII, 758 fr. Vgl. Defensio, ebd. 498 (bezieht sich offenbar auf dieses Verhör).

4 »Propediem, ut sfero , daturus est poenas«. Calvin an die Prediger in Frankfurt 27. Aug. 1553, Opp. XIV S. 599. [Vgl. Willis S. 317—332.]

Die offizielle Anklage. igiy

Sogar seine eigenen Anhänger verzichteten unter dem Eindruck, den die letzten Verhöre gemacht hatten, für den Augenblick darauf, den gefährlichen Irrlehrer in Schutz zu nehmen.

Die weitere Führung des Prozesses ging nunmehr in die Hände des Generalprokurators über, dem es zunächst oblag, die eigentliche Anklage zu formulierend Calvins Glück wollte es, dafs Claude Rigot, der damals das Amt des öffentlichen An- klägers bekleidete, zu der klerikalen Partei gehörte. Schon am 23. August legte derselbe die aus 30 Artikeln bestehende Anklage- akte vor. Sie verrät deutlich die Spuren der Mitwirkung Calvins, trägt aber einen von der früheren Eingabe Fontaines verschiedenen Charakter. Statt wie diese auf die einzelnen theologischen Streit- fragen sich einzulassen, beschäftigt sich die offizielle Vorlage mehr mit dem gefährlichen und unchristlichen Leben und Treiben des Angeklagten im allgemeinen: sie sucht denselben als einen un- sittlichen, der christlichen Religion feindseligen, vielleicht gar von jüdischen Eltern abstammenden Menschen darzustellen, der von dem Reformator oftmals vergebens gewarnt sei , hebt hierauf ins- besondere die verwerfliche Tendenz seines letzten Buches hervor, das alle alten Ketzereien erneuere, Juden und Türken begünstige und das Christentum vernichte, und deutet schliefslich an, dafs er nicht zufällig, sondern im geheimen Einverständnis mit seinen Freunden nach Genf gekommen sei, um das Gift seiner Lehre auszubreiten und die Kirche zu beunruhigen. Dagegen war von den Angriffen Servets auf die Person Calvins nicht mehr die Rede : die Lage der Dinge richtiger würdigend, als der übereifrige erste Ankläger, erkannte der Staatsbeamte, dafs die Beleidigung des Reformators für die Mehrzahl der Richter nichts weniger als ein Motiv zur Verurteilung des Angeklagten bilden würde, und liefs deshalb diesen Teil der Anklage wohlweislich fallen ^.

' Vgl, Riliiet 1. c. S. 48.

* Opp. VIII, 763 66 (n. 17). Der Unterschied zwischen dem vor- läufigen und dem offiziellen Klageantrag ist bereits von Riliiet S. 52 ff. hervor- gehoben worden; aber Riliiet geht offenbar viel zu weit, wenn er behauptet, durch das Eingreifen des Generalprokurators habe der Prozefs seinen theo- logischen Charakter verloren und sei zu einem politischen geworden , Servet sei verurteilt worden »nuUement comme adversaire de Calvin, ä peine comnie her^tique, mais essentiellement comme seditieux. La politique joua, dans la terminaison de son proc^s une beaucoup plus grande role que la theologie. Elle y intervint avec le procureur general«. Diese Ansicht wird durch die

igg Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Die eigentlichen Gerichtsverhandlungen begannen am 23. August. Servet hatte mittlerweile sich überzeugt , dafs er in dem früheren Verhör sich von der Leidenschaft zu sehr hatte hinreifsen lassen, dafs er zu weit gegangen; er lenkte in die Bahn des Gegners ein und trat jetzt in dem neuen Verhör selbst ganz verändert auf. Er antwortete auf die an ihn gerichteten Fragen mit grofser Ruhe, anscheinend offen und unumwunden, ohne sich durch die Heftig- keit des Prokurators aus seiner Fassung bringen zu lassen. Er suchte sich von dem Verdachte zu reinigen, als klebe seinem Leben irgend ein Makel an , und machte Mitteilungen über sein Ver- hältnis zu den deutschen Theologen ; er bekannte sich zu dem Inhalte seines Hauptwerkes, sprach aber von der Bedeutung des- selben in sehr bescheidenem Tone : er habe durch dasselbe die Christenheit nicht verunreinigen, sondern ihr nur nützen wollen und geglaubt, in die Fufsstapfen der alten Kirchenlehrer einzu- treten. Habe er zuweilen heftig gesprochen, so sei es geschehen, um seine Gegner um so leichter zu überzeugen; er habe nicht Türken und Juden begünstigen wollen, und wenn er den Koran gelesen , so werde dies wohl erlaubt sein. Er beteuert endlich unter Berufung auf glaubwürdige Zeugen, nur auf der Durchreise nach Italien und ohne irgend eine geheime Absicht nach Genf gekommen zu sein \

Es konnte nicht fehlen , dafs das mafsvoUe und klug be- rechnete Auftreten des Angeklagten wieder einen für ihn günstigen

Akten widerlegt, wie schon Henry III Beil. S. 52 bemerkt. Der Prozefs bleibt durchaus ein Ketzerprozefs, nur dafs der Staatsbeamte dem Klageantrag eine für die Richter verständliche Fassung gab und die theologischen Einzel- heiten nicht weiter betonte ; das Schlufsurteil spricht nur von einer theologi- schen, nirgends von einer politischen Schuld. Roset (V c. 50), Calvin selbst betrachten den Prozefs einfach als einen Ketzerprozefs und wissen nichts von politischen Motiven. Auch die andere Ansicht, welche zwar den theologischen Charakter des Prozesses festhält, aber ihn nur deshalb ein so trauriges Ende nehmen läfst , weil die Opposition sich des Angeklagten angenommen , ist durchaus unhistorisch. Servet würde auch ohne die Teilnahme der Opposition und wahrscheinlich in diesem Fall noch rascher verurteilt worden sein. Vgl. Henry III. Beil. S. 54. Servet war ein theologischer Schwärmer, kein po- litischer Parteimann. [Auch Roget IV S. 58 hält an dem theologischen Charakter des Prozesses fest. Choisy S. 148 ff. sieht in der Verurteilung Servets die notwendige Folge des theokralischen Prinzips.] Opp. VIII, 766 ff. (n. 18).

Forlgang des Prozesses; Thätigkeit Calvins. l8o

Eindruck machte, und dieser wurde noch erhöht durch ein an den Rat gerichtetes Bittgesuch desselben, welches am nächsten Tage zur Verlesung kam. Der Bittsteller führte aus, dafs die gegen ihn erhobene peinliche Anklage mit den Gewohnheiten der alten Kirche und der ersten christlichen Kirche in Widerspruch stehe und umsoweniger zu rechtfertigen sei, als er niemals Unruhe an- gestiftet, sondern nur über einzelne schwierige theologische Fragen mit einigen gelehrten Männern in gelehrter Weise verhandelt habe. Er bat deshalb, entweder die gegen ihn erhobene Anklage fallen zu lassen oder ihm, dem Fremden, einen Verteidiger zu gestatten, der die Gesetze und Gewohnheiten des Landes kenne'. Der Rat konnte, nachdem der Prozefs einmal beschlossen und dem General- prokurator übertragen war, auf das Gesuch nicht eingehen, aber er beschlofs doch, dasselbe den Prozefsakten beizulegen und zur Kenntnis des öffentlichen Anklägers zu bringen ^.

Calvin begann zu fürchten , der gefährliche Ketzer könne dennoch bei diesen Schwankungen der öffentlichen Meinung am Ende der verdienten Strafe entrinnen, und bot alles auf, um dies zu verhindern. Am nächsten Sonntage brachte er Servet auf die Kanzel und schilderte in grellen Farben die gottlosen Irrtümer des eingekerkerten Ketzers , um das Volk mit Abscheu gegen ihn zu erfüllend Um auf die Richter einzuwirken, mufste sein Freund Rigot gleichzeitig eine Beantwortung der letzten Servetschen Ein- gabe abfassen , welche das Gesuch des Angeklagten in leiden- schaftlichem Tone zurückwies und die Behauptung desselben, es sei in der ersten christlichen Zeit gegen Ketzer nicht peinlich verfahren worden, als eine »der ganzen christlichen Kirche und Constantin dem Grofsen zugefügte unerträgliche Schmach«, als eine wissentliche Verleumdung, als eine Untergrabung des Ansehens der Obrigkeit bezeichnete. Namentlich gegen solche, die verkehrt über die Trinität dachten, hiefs es, sei die Todesstrafe angewandt worden. Die Bitte um einen Verteidiger erklärte der Prokurator oder vielmehr der seine Feder führende Reformator für unzulässig, da niemand einem offenbaren Lügner und Gotteslästerer seinen

I Opp. VIII, 762 ff. (n. 16).

^ Opp. VIII, 771 (n. 19).

3 Jiilliet 1. c. S. 61. Contra libellum Calvini A. 76: »Suos collegas in euin iuceiidit ; ipse cum in carcere absentein quotiJianis concionibus ad populum in- vidiosissime tradtixii. «

jgo Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Beistand leihen könne und dürfe. Zum Schlufs waren 38 neue Fragen beigefügt, über die noch nachträglicli Servets Vernehmung beantragt wurde ^ .

Dem Antrage des Staatsanwaltes mufste entsprochen werden und am 28. August wurde der Angeklagte von neuem es war das letzte Mal einem mehrstündigen scharfen Verhör durch den Lieutenant unterzogen. Servet blieb der Haltung getreu, die er in den letzten Tagen angenommen. Er antwortete auf die neuen Artikel ruhig und mit Würde und wich den verfänglich gestellten Fragen mit vielem Geschick aus. Er hielt seine Ansicht von der Unzulässigkeit des peinlichen Verfahrens gegen Ketzer aufrecht und erklärte, als der Gegner sich auf Justinian berief, dieser Kaiser gehöre nicht mehr zur alten Kirche; er verteidigte die Reinheit seiner Lehre und seiner Absichten und beteuerte, niemals im geheimen intriguiert zu haben ; er erklärte , dafs er den Re- formatoren ihre Verdienste nicht absprechen wolle , aber noch sei es nicht vollständig Licht geworden. Er wisse nicht, ob seine Lehre Eingang und Aufnahme finden werde, er halte sie aber für wahr, bis man ihn vom Gegenteil überführe. Oft werde eine Lehre im .\nfang verworfen und später dennoch angenommen. Er wieder- holte endlich das Anerbieten , seine Ansichten vor gelehrten Männern weiter zu erläutern und durch Aussprüche des Heilandes, der hl. Schrift und der alten Kirchenlehrer zu belegen-.

Eine öffentliche Disputation war längst auch schon von Calvin, wie wir durch diesen selbst erfahren^, herbeigewünscht worden: der Reformator hoffte nicht ohne Grund in einem regelrechten Wortgefecht über den ungeschulten phantastischen Gegner mit leichter Mühe Herr zu werden und auf solche Weise den Ver- handlungen ein rasches Etide zu machen. Auch der Rat, der lang dauernden theologischen Verhandlungen müde, zeigte sich jetzt endlich geneigt, auf den von beiden Seiten geäufserten Wunsch einzugehen, um ein Ende zu machen. Die Vorkehrungen zu dem theologischen Zweikampf wurden getroffen und der An-

' Opp. VIII, 771 ff. (n. 20). Dafs das Schriftstück von Calvin herrührt, wie auch Servet sofort erkannte und offen aussprach (vgl. a. a. O. S. 797), zeigt ein nur oberflächlicher Blick auf den Inhalt.

» Opp. VIII, 778 ff. (n. 21). Trechsd a. a. O. S. 238 ff.

3 RUH et S. 36.

Die öffentliche Disputation wird abgebrochen. igi

geklagte von Calvin selbst mit den notwendigen Büchern versehend Einen Aufschub von einigen Tagen führte die in diese Zeit fallende Ankunft eines königlichen Beamten aus Vienne herbei , welcher die Antwort des Yienner Gerichtshofes auf das Schreiben des Genfer Magistrates nebst einer Abschrift des bereits am 17. Juni gegen Servet in Vienne gefällten Todesurteils überbrachte. Der Abgeordnete verlangte die Auslieferung des Geflüchteten , damit das schon gesprochene Urteil in Vienne vollstreckt werde. Das Gesuch wurde, wie vorauszusehen, abgelehnt. Servet bat flehent- lich, ihn nicht nach Vienne zurückzuschicken. Der Rat wachte mit einer gewissen Eifersucht über seinen Fang : er betrachtete es als eine Ehrensache in diesem Falle zu zeigen, dafs das protestantische Genf gegen Ketzer ebensogut Justiz zu üben wisse, wie das katholische Vienne -.

Am I. September nahm endlich das verabredete Gespräch zwischen Calvin und Servet seinen Anfang. Allein kaum eröffnet, wurde es wieder abgebrochen. Der Angeklagte legte ganz un- erwartet gegen die Disputation die gröfste Unlust an den Tag : er befände sich, erklärte er, in einer zu traurigen Gemütsverfassung, überdies scheine ihm der Kerker nicht der passende Ort für eine Disputation. Wider Erwarten trat der Rat auf seine Seite: auch er fand es zweckmäfsig, von der beabsichtigten Disputation Ab- stand zu nehmen, da sie »zu langwierig und dunkel« sein werde, und beschlofs, an die Stelle des mündlichen einen schriftlichen Austausch treten zu lassen. Calvin wurde aufgegeben, die in den Schriften Servets enthaltenen Irrtümer in lateinischer Sprache zusammenzustellen. Servet sollte darauf ebenfalls schriftlich antworten und seine Ent- gegnung dann nochmals dem Reformator vorgelegt werden 3,

Diese plötzliche Änderung in der Haltung des Rates wie des An- geklagten, die Calvins Plan vollständig durchkreuzte, war das Werk der Partei Perrins und Bertheliers. Hatte diese seit dem Verhör _vom 17. August sich auch entschieden von dem Angeklagten zurück-

' Defensio a. a. O. S. 480.

^ Opp. VIII, 783—90 (n. 22—26). Rilliet S. 68, 69. Die Freunde Calvins äul'sern noch später ihren Stolz über die Exekution Servets und machen den Katholiken einen Vorwurf daraus , dafs sie Servet so lange straflos ge- duldet hatten ; vgl. Apol. ad Cl. de Saintes , Bezae Opp. theol. II, 344, 353. [Willis S. 333-385.]

3 Opp. VIII, 792, 793 (n. 28); vgl. Defensio 1. c. 480, 500.

JQ2 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

gezogen und ihn nicht mehr offen in Schutz zu nehmen gewagt, so hatte sie doch ihre geheimen Bemühungen für ihn nicht auf- gegeben. Ein neuer Streit, in den sich Calvin gerade in diesen Tagen mit dem Magistrat über das fortwährend von ihm be- anspruchte Exkommunikationsrecht verw^ickelte , kam ihnen in willkommener Weise zu Hilfe. Die grofse Mehrzahl des Rates trat für Philibert Berthelier eben dieser war es, gegen den Calvin das Recht des Bannes geltend machen wollte in die Schranken , indem sie dem Reformator das beanspruchte Recht absprach \ Offenbar unter dem Einflufs der durch diesen neuen Streit erzeugten bittern Stimmung geschah es, dafs die Partei Perrins im Rat die Beseitigung des bereits zugestandenen Collo- quiums durchsetzte. Perrin und seine Freunde sahen ein, dafs der unerfahrene excentrische Autodidakt in einem regelrechten Colloquium der strengen Dialektik des Reformators nicht ge- wachsen sein werde. Servet selbst, der von seinen Gönnern offen- bar einen Wink empfangen ^, ging auf den veränderten Plan ein und stellte den weiteren Antrag , die zwischen ihm und Calvin gewechselten Schriften den schweizerischen Kirchen zur Ent- scheidung vorzulegen. Auch dies wurde , obgleich sich Calvin dagegen sträubte, angenommen 3. Von den Theologen, die in dem Prozefs Bolsecs in so warmen Worten ein milderes Verfahren empfohlen, schien zu erwarten, dafs sie auch jetzt den früher ver- kündeten Grundsätzen gemäfs antworten würden !

Die Angelegenheit hatte für den Augenblick eine für den Angeklagten höchst günstige Wendung genommen und Servets beweglicher Geist erhob sich rasch wieder zu den überschwäng- lichsten Hoffnungen. Schon glaubte er alle Gefahr beseitigt und nahm nun eine völlig veränderte Haltung an. In dem alsbald

/iilliei S. 71 ff.

2 »Probabilis suspicio est^ alkundc vana ßducia inßatum fuisse*., drückt sich Calvin selbst darüber bescheiden genug aus. Defensio 1. c. 480. Vgl. o. S. 185 A, 4. Trechsel S. 245.

3 Calvin an Bullinger 7. Sept. 1553, Opp. XIV S. 611: »Nobis quidciit redainantlbus vobis faccssunt haue molesüam« . Dafs der Antrag von Servet ausgegangen ist, sagt nicht blofs Roset V c. 50, sondern auch Calvin selbst, Defensio 1. c. S. 500. Nur Bonivard^ Anc. et nouv. pol. S, 83 behauptet, die »Guten« hätten den Vorschlag gemacht. Die Prozefsakten selbst enthalten an der betreffenden Stelle (S. 793) den Beschlufs nicht ausdrücklich , doch liegt er indirekt in der Vorschrift, die Vorlage in lateinischer Sprache zumachen.

Anmafsende Sprache Servets. Verzögerung des Prozesses. jg?

beginnenden Schriftenwechsel mit dem Reformator führte er eine Sprache, als sei Calvin der Angeklagte. Auf die neuen Artikel, in denen Calvin der empfangenen Weisung gemäfs seine Irrtümer zusammengestellt, antwortete er mit leidenschaftlicher Heftigkeit ; er stellte den Reformator gleich im Eingang den verdammungs- süchtigen Theologen der Sorbonne an die Seite, nannte ihn einen Elenden, einen Schüler Simons des Magiers, einen unverschämten Menschen, der nicht wisse, was er sage, einen verbrecherischen Denunzianten und Meuchelmörder. Kein Wunder, wenn die von allen Predigern unterzeichnete Entgegnung Calvins nun auch den gleichen Ton anschlug, die erhobene Anklage im vollsten Umfange aufrecht erhielt und den Gegner als einen Menschen darstellte, der alle Religion und das gesamte Christentum vernichten wolle 1 ^

Am 5. September wurden die gewechselten Schriftstücke dem Rate vorgelegt^. Calvin beeilte sich, die schweizerischen Theologen, wie vor zwei Jahren, von der bevorstehenden Einsendung der Akten in Kenntnis zu setzen. Er schrieb an seinen alten Freund Bullinger in Zürich , an Sulzer in Basel , um dem Vorwurfe der Verfolgungssucht zu begegnen und insbesondere den letzteren, dem er am wenigsten traute , von der Notwendigkeit zu über- zeugen, gegen das gottlose Treiben eines so verstockten und ver- worfenen Menschen mit aller Strenge einzuschreiten -\

Indes zur Einsendung der Akten selbst kam es sobald noch nicht. Der noch fortdauernde Streit über das Recht der Ex- kommunikation schien der Behörde wichtiger als die Servetsche Angelegenheit und drängte diese für die nächste Zeit wieder voll- ständig in den Hintergrund'*. Servet selbst ertrug diese neue Verzögerung mit um so gröfserer Ungeduld , je sicherer er seine baldige Befreiung erwartet hatte. Am 15. September richtete er aus dem Kerker ein neues Schreiben an den Rat, worin er die Leiden seiner Haft und seine Entbehrungen mit grellen Farben schildert und um ein rasches Verfahren bittet. Es sei Calvin, der ihn im Kerker verfaulen lassen wolle, gelungen, seine früher über-

' Die gewechselten Schriften sind zusammengestellt in der Defensio S. 501 ff.

^ Opp. VIII, 796 (n. 33).

3 Calvin an Bullinger 7. Sept.; an Sulzer 9. Sept. 1553, Opp. XIV" S. 611, 614.

+ J?ä/ii-i S. 88

K ampschulte; 4^^^^° n* I3

.^

I g^ Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

gebene Beschwerde durch Hinweisung auf Gesetze , an deren Gültigkeit er selber nicht glaube , zu entkräften ; man habe ihm, dem Fremden und Unerfahrenen, den gerichtlichen Beistand ver- sagt und doch dem Ankläger, den man in Freiheit gesetzt, einen solchen bewilHgt: er verlange nunmehr, dafs seine Angelegenheit, wenn es geschehen könne, den Zweihundert zur Entscheidung vorgelegt werde, indem er sich alle seine Rechte vorbehalte \

Es unterliegt kaum einem Zweifel, dafs Servet diesen kühnen Schritt auf geheime Zuflüsterungen seiner Gönner gethan hat. Allein dieses Mal war ihr Rat ein verkehrter. Stets eifersüchtig auf ihre Macht hörten die Fünfundzwanzig den Namen der Zwei- hundert äufserst ungern , und es konnte deshalb in ihren Augen nicht zur Empfehlung des Angeklagten gereichen, dafs er geradezu an den Grofsen Rat appellierte. Die Berufung selbst blieb voll- ständig erfolglos. Nur soviel erreichte der Antragsteller, dafs nun endhch doch mit der längst beschlossenen Einholung der schweizerischen Gutachten Ernst gemacht wurde "". Am 21. Sep- tember gingen die gewechselten Schriften, nachdem sie noch ein- mal beiden Parteien vorgelegt worden und von Servet noch mit einigen Randglossen versehen worden waren, nebst den nötigen Beweisstücken an die vier Städte Zürich, Bern, Basel und Schaffhausen ab. Es war immerhin ein Erfolg, aber wieder ver- darb ihn Servet selbst in thörichter Verblendung, indem die von ihm der letzten Entgegnung beigefügten Randglossen an Mafs- losigkeit alles übertrafen, was er bisher geschrieben, und ohne eine Berichtigung zu bringen nur sinnlose Schmähungen und Zorn- ausbrüche gegen den Gegner enthielten, die auf jeden den un- günstigsten Eindruck machen mufsten^. Kein Wunder, wenn das zugleich mit den gewechselten Schriften an Rat und Geistlichkeit gerichtete Begleitschreiben des Genfer Rates in einem kühlen und nichts weniger als dem Angeklagten günstigen Geiste abgefafst war. Er nahm geradezu gegen ihn Partei und verbarg nicht, dafs man in Genf Servets Ansichten für »unannehmbar« halte'*.

' Opp. VIII, 797 (n. 34).

* Opp. VIII, 79S (n. 35).

3 Opp. VIII, 799 ff. (n. 37, 38, 39).

Die beiden Begleitschreiben; Opp. VIII, 802 ff. (n. 40, 41). Die an- geführte Wendung ist in dem Schreiben an die Geistlichkeit enthalten.

Hoffnungen und Enttäuschung Servets. ige

Servet war trotzdem nach dem Abgang der Schreiben voll zuversichtlicher Hoffnung. Der Arme befand sich während dieser ganzen Zeit in einem Zustande fieberhafter Aufregung. Sein Hafs gegen Calvin wuchs mit jedem Tage und steigerte sich ins krank- hafte. Die vornehme Kälte, mit welcher Calvin ihn abfertigte, die Art und Weise, wie derselbe seine Äufserungen zuweilen entstellte und ihn als einen Feind aller Religion darstellte, brachte den heifs- blütigen Südländer fast aufser sich und trieb ihn zu den unsinnigsten Ausfällen. Der überreizte Hafs gegen seinen Verfolger machte ihn völlig blind für die Erkenntnis seiner wirklichen Lage. Die mancherlei Beweise von Sympathien , die er in der letzten Zeit empfangen , die ihm zugetragenen Nachrichten von der in der Bürgerschaft verbreiteten tiefen Abneigung gegen das herrschende geistliche Regiment liefsen seiner lebhaften Phantasie seinen Sieg als unzweifelhaft erscheinen. Schon sah er im Geiste den Refor- mator gedemütigt zu seinen Füfsen. Am 22. September wagte er es sogar, einen förmlichen Antrag auf Calvins Verhaftung und Ver- setzung in den Anklagezustand bei dem Rate einzureichen. Er machte die Artikel namhaft, über die er verhört werden sollte, und zählte die Gründe auf, aus denen er notwendig verurteilt werden müsse. »Darum soll er, Magier, der er ist,« schlofs das hoch- trabende Schriftstück, »nicht nur schuldig befunden, sondern auch aus dieser Stadt verjagt und vertrieben werden. Und sein Vermögen soll mir zugesprochen werden als Ersatz für das meinige, das ich durch ihn verloren habe. Das ist mein Antrag ^«'

Die bittere Enttäuschung liefs nicht lange auf sich warten. Die Hoffnungen , welche Servet auf die in Genf vorhandene Ab- neigung gegen Calvin setzte , erwiesen sich als nichtig. Wohl wagten es einzelne für den Eingekerkerten ihre Stimmen zu er- heben, aber es waren fast nur Italiener und auch diese verstummten bald. Die eigentliche Bürgerschaft verhielt sich kühl, ganz anders wie bei dem Prozesse Bolsecs, und legte keinerlei Teilnahme für den Angeklagten an den Tag. Servets Angelegenheit war in Genf nicht populär^. Selbst seine Gönner Perrin und Berthelier

' Opp. VIII, 804 S06 (n. 43). Die Annahme Henrys III S. 181, dafs Calvins Feinde ihn zu diesem »sonderbaren« Schritt verleitet hätten, entbehrt jedes Grundes.

^ Rillict S. 104, 105. Dieses von Riliiet selbst gemachte Zugeständnis

13*

ig6 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

schienen sich für den Augenblick von ihrem Schützhng zurück- gezogen zu haben , dessen Unbesonnenheit sie kompromittierte. Der Klageantrag gegen Calvin wurde von dem Rate nicht einmal einer Antwort gewürdigt. Servet sah ein , dafs er sich zu weit vorgewagt, und wandte sich am lo. Oktober in einem neuen, ganz demütig gehaltenen Schreiben an den Rat, worin er in flehentlichem Tone »bei der Liebe zu Jesus Christus« um Linderung seiner schweren Haft und um ein neues Verhör bat. Nur die ge- wünschten Erleichterungen wurden ihm bewilligt : die Verhand- lungen selbst blieben ruhen bis zur Ankunft der aus der Schweiz erwarteten gutachtlichen Äufserungen \

Wie diese ausfallen würden , war aber um diese Zeit nicht mehr zvveifelhaft. Schon seit mehreren Wochen hatte Calvin von der Gesinnung seiner schweizerischen Freunde sichere Beweise in Händen. Servets Fall war ein anderer als der ihnen vor zwei Jahren vorgelegte. Nicht blofs der allzeit hilfreiche Farel, der die göttliche Vorsehung pries, die den gottlosen Ketzer zu seiner Be- strafung nach Genf geführt und Calvin sogar wegen seiner über- grofsen Milde tadelte, weil er sich mit der einfachen Todesstrafe begnügen wolle', sondern auch BuUinger in Zürich hatte ihm seine volle Zustimmung und die Hoffnung ausgesprochen , die Genfer Obrigkeit werde den hartnäckigen Häretiker und Gottes- lästerer mit dem Schwerte der Gerechtigkeit zu strafen wissen^. Sogar der bedächtige und sonst gegen Genf äufserst mifstrauische Haller in Bern hatte sich in mehreren Schreiben in den stärksten Ausdrücken über die neue Häresie des verwegenen Spaniers, »von dem die Kirche befreit werden müsse«, ausgesprochen und wie auch Bullinger sein Befremden darüber ausgedrückt, dafs ein solcher Mensch in Genf noch Verteidiger finde-*.

spricht gegen seinen Versuch, den Prozefs zu einem politischen zu machen; eine Gefahr war bei dieser Stimmung des Volkes nicht vorhanden. Vgl. Henry III Beil. 8. 53.

' Opp. VIII, 806, S07 (n. 44, 45). Dafs Servet in sehr harter Haft gehalten wurde, ersieht man nicht blofs aus seinen wiederholten Klagen über den Mangel an den nötigsten Kleidungsstücken, sondern auch aus der Historia de morte Serveti, abgedr. bei Mosheiin S. 448 ff. Vgl. Trcchscl S. 227 n. 2.

* Farel an Calvin 8. Sept. 1553, Opp. XIV S. 612 ff.

3 Bullinger an Calvin 14. Sept. 1553, Opp. XIV S. 621,

Vgl. die beiden Schreiben Hallers an Bullinger vom 18. u. 26. Sept. und das Schreiben Bullingers an Haller vom 18. Sept. 1553, Opp. XIV

Antworten der schweizerischen Kirchen.

197

Und in diesem Sinne fielen auch die offiziellen Antworten aus. Sie trafen am 18. Oktober in Genf ein und machten allen Hoffnungen und Illusionen des Angeklagten ein Ende. Die vier Kirchen waren einstimmig in der Verurteilung der Servetschen Lehre wie in dem Lobe der Haltung, welche die Genfer Geist- lichen und insbesondere Calvin ihr gegeniiber eingenommen. Das Gutachten der Züricher, welches wegen des Ansehens ihrer Kirche als das wichtigste angesehen wurde und auch der Abfassungszeit nach das erste war , erklärte sich durchaus für die altkirchliche symbolische Lehre von der Trinität und verwarf Servets Ansichten in den stärksten Ausdrücken als schriftwidrige Irrtümer und off'en- bare Lästerungen. »Welche Strafe,« fährt es fort, »über diesen Menschen, der längst verurteilte Häresien erneuert und die Grund- lehre unseres Glaubens angreift, zu verhängen ist, überlassen wir euerer Weisheit.« Doch gaben Bullinger und seine Amtsbrüder mehrmals der Hoff"nung Ausdruck, Genf werde diese ihm von Gott gebotene Gelegenheit benutzen, die schweizerische und genferische Kirche von dem üblen Rufe der Ketzerei zu reinigen , und die weitere Verbreitung des häretischen Giftes unmöglich machen. Dazu soll Gott Weisheit und Stärke verleihen! Schaffhausen pflichtete in einem kurzen Bedenken den Zürichern völlig bei. Selbst die Baseler zeigten sich dieses Mal »beherzt« und gaben den Rat, den gefangenen Ketzer entweder zu bekehren oder ihm die fernere Beunruhigung der Kirche unmöglich zu machen. Noch entschiedener antwortete endlich Bern , das vor zwei Jahren so energisch zu einem milden Verfahren geraten hatte. Rat und Geistlichkeit, jener fast noch eifriger als diese, drangen mit Nach- druck auf die Bestrafung dieses unbescheidenen , anmafsenden Menschen, der die wichtigsten Lehren der Religion in Frage stelle und alles mit seinen neuen Erklärungen über den Haufen zu stürzen trachte. »Wir flehen zu dem Herrn,« heifst es in dem Schreiben der Geistlichkeit, »er wolle euch den Geist der Weisheit, des Rates und der Stärke verleihen , damit ihr eure und andre Kirchen von dieser Pest befreit ! ^ «

S. 624, 625, 627. »Audio« schreibt Bullinger «illos ficlndoui profanissimo patrocmari vel odio Calvini«. Ähnlich auch Musculus an Bullinger 28. Sept. *553i ^^' S. 628. Selbst Vergerius erklärt sich in einem Schreiben an Bullinger vom 8. Okt. 1553 (ebd. S. 635) für die Todesstrafe gegen Servet. ' Diese Schreiben sind abgedr. Opp. VIII, 80S S23 und 555 58. Unter

jq8 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Damit war der Ausgang des Prozesses entschieden. Die ein- stimmige Verurteilung des Angeklagten durch Männer , deren Milde man vor zwei Jahren erprobt , brachte die noch vorhan- denen Skrupel der Mittelpartei im Ratskollegium zum Schweigen. Calvin verbarg nicht die Freude, die ihm diese ;; rechtschaffene und heilige Antwort« machtet Er durfte dem weitern Verlauf der Verhandlungen ruhig entgegensehen : das Opfer konnte nicht mehr entrinnen. Zwar verlangte keins der schweizerischen Gut- achten mit nackten Worten die Todesstrafe , aber sie legten die- selbe doch nahe ; die Gesetze des calvinischen Staates machten sie, nachdem die Schuld festgestellt war, zur Pflicht. Das katho- lische Vienne hatte dem gefährlichen Ketzer das Recht zum Leben bereits abgesprochen, sollte das evangelische , auf die Strenge seiner Disciplin stolze Genf nachstehen?

Am 20. Oktober wurden die Verhandlungen vor dem Rate wieder aufgenommen. Perrin und seine Freunde suchten ihren Schützhng auch jetzt noch zu retten. Mehrere Tage hielten sie sich den Sitzungen fern , um das Zustandekommen eines Be- schlusses zu verhindern. Eitele Bemühungen! Nach einigen Tagen wurden sämtliche Mitglieder unter Hinweisung auf ihren Eid zu einer neuen Sitzung auf den 26. Oktober einberufen-. Zwanzig von 25 Ratsherrn fanden sich an dem bestimmten Tage ein. Perrin selbst führte als erster Syndik den Vorsitz ^ Ver- geblich bot er im letzten Augenblicke alles auf, die Todesstrafe von dem Unglücklichen abzuvvenden , vergeblich machte er den Vorschlag , die Angelegenheit vor die Zweihundert zu bringen. Die Majorität war unerbittlich. Calvin wäre mit der einfachen Hinrichtung durch das Schwert zufrieden gewesen und durch ihn

den weltlichen Schreiben ist das des Berner Magistrats das entschiedenste. Das Schreiben der Züricher Theologen , welches offenbar von Bullinger ab- gefafst ist, lag den Bernern vor; vgl. die beiden Schreibtn Hallers an Bul- linger vom 26. Sept. u. 19. Okt. 1553, Opp. XIV S. 627, 647.

' Calvin an Farel 26. Okt., und an Bullinger 26. Nov. 1553; Opp. XIV S. 656 f., 673 f. [Vgl. IViilts S. 428—440, 455—461.]

^ Opp. VIII, 823, 824 (n. 55); Calvin an Farel 26. Okt. 1553, Opp. XIV S. 656 f.

3 Am Schlufs der Schrift Contra lib. Calvini wird irrtümlich angenommen, dafs Perrin und seine Anhänger auch bei der Schlufssitzung nicht anwesend gewesen.

Verurteilung Servets, Calvins Unterredung mit ihm. igg

selbst erfahren wir , dafs er in diesem Sinne zu wirken gesucht hat'. Doch von der Schuld des Angeklagten überzeugt, waren jetzt die Richter unnachsichtiger und konsequenter als der An- kläger: ohne Erbarmen verurteilten sie den Angeklagten zu der strengen Strafe der Ketzer: bei lebendigem Leibe solle er ver- brannt und das Urteil schon am nächsten Tage auf dem Champel- platz vollstreckt werden ''.

Als der Unglückliche diesen furchtbaren Spruch vernahm, brachen seine Kräfte zusammen. Längere Zeit verharrte er lautlos in einem Zustande starren Entsetzens, dann begann er zu seufzen und zu klagen und mit durchdringender erschütternder Stimme ein über das andere Mal in spanischer Sprache das Wort Barm- herzigkeit auszurufen ^ ! Farel , der eben an diesem Tage auf Calvins Wunsch in Genf eingetroffen war und es übernommen hatte, den Verurteilten auf seinen letzten Gang vorzubereiten , forderte ihn in seiner derben Weise auf, vielmehr in sich zu gehen und seine Schuld zu bekennen. Doch wie wenig Servet auch von der männlichen Entschlossenheit eines Märtyrers besafs , diese Zu- mutung wies er mit aller Entschiedenheit zurück. In dem Be- wufstsein , eine rechte Sache zu verfechten , fand er seine Kraft wieder. Er verlangte von dem zudringlichen Bekehrer Beweise aus der heiligen Schrift: der Gedanke eines Widerrufes lag ihm ferner als je '*. Dagegen willigte er auf Zureden Farels ein, noch einmal Calvin zu sehen und sich mit ihm auszusöhnen. In Be- gleitung von zwei Ratsherrn begab sich Calvin in den Kerker und fragte nach seinem Begehren. Der Gefangene bat um Ver- zeihung. Calvin entgegnete, er habe ihn nie aus persönlicher Feindschaft verfolgt, hob dann hervor, wie viel Mühe er sich seit

' Calvin an Farel 26. Okt. 1553, Opp. XIV S. 657: »genus mortis conati sumus muta7-c, scd frustra«. Die späteren Ausgaben der Vita Calvini von Beza, nicht die erste, lassen sogar das gesamte geistliche Kollegium an diesem Versuche Teil nehmen. Das Ratsprotokoll meldet nichts davon; sowohl Galiffe, Nouv. pages S. 108, als auch die Herausgeber deir Opp. Calv. (XIV S. 657 n. 3) ziehen diese Angabe in Zweifel. Die Aufserung Calvins in der Defensio, Opp. VIII S. 461 scheint entgegenzustehen.

* Opp. VIII, 825 (n. 57). Calvin an Farel 26. Okt. 1553. Bonivard, Anc. et nouv. pol. S. 34. Rilliet S. 106, 107. [Über Perrins Haltung vgl. auch Roget IV S. 95.]

3 Defensio, Opp. VIII, 498 ff.

4 Farel an Ambr. Blaurer 10. Dez. 1553, Opp. XIV S. 692 f.

2 00 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Jahren gegeben habe, ihn auf den richtigen Weg zu leiten, und ermahnte ihn, vielmehr Gott und Christus wegen seiner vielen Lästerungen um Verzeihung zu bitten. Es war nicht die Sprache, die auf den Verurteilten hätte Eindruck machen können. »Da ich durch Zureden und Warnungen nichts ausrichtete«, schliefst der Reformator selbst seinen kurzen Bericht über diese merk- würdige Zusammenkunft, »so habe ich nicht weiser sein wollen als der Meister. Ich zog mich von dem ketzerischen Menschen, der sich selbst das Urteil sprach, gemäfs der Vorschrift des Apostels zurück«. So schieden beide von einander \

Wenige Stunden später erschien der Lieutenant im Kerker, um den Gefangenen vor das Rathaus zu führen, wo ihm nach altem Brauch von den Stufen herab durch den Syndik das Todes- urteil vor versammeltem Volke verkündet wurde ^. Nachdem dies geschehen, warf sich der Verurteilte nochmals vor seinen Richtern auf die Kniee und bat flehentlich um die Gnade, durch das Schwert gerichtet zu werden, damit die Gröfse des Schmerzes ihn nicht zur Verzweiflung treibe. Habe er gesündigt, so sei es in Un- wissenheit geschehen, nichts als die Beförderung der göttlichen Ehre sei seine Absicht gewesen 3, Umsonst. Schweigend und ernst setzte sich der Zug nach dem Richtplatze in Bewegung. Farel wiederholte auf dem Wege seine Bekehrungsversuche: Servet würdigte ihn zuletzt keiner Antwort mehr. Er schien endlich gefafst und ergeben , öffnete den Mund nur noch zum Gebete, bat um Verzeihung für alles, was er aus Unwissenheit gesündigt habe, und forderte die Anwesenden wiederholt auf, sich mit ihm im Gebete zu vereinigen'*. Auf der Richtstätte angelangt warf

' Defensio, Opp. VIII, 460. Vgl. die Schrift Contra lib. Calv. A. 76 ff.

^ Opp. VIII, 827 30. Rilliet S. 115 ff. Das Urteil nimmt nur auf die theologischen Vergehen des Angeklagten Bezug; es findet sich keine Spur von politischen Klagepunkten darin.

3 Farel an Blaurer, 10. Dez. 1553, Opp. VIII S. 693 f. Hist. de morte Serveti bei Moshei?u S. 449.

4 Farel an Blaurer Opp. VIII S. 694. Hist. de morte Serveti a, a. O. S . 44S. Defensio, Opp. VIII, 499. Calvin macht sich hier in unedler Weise darüber lustig, dafs Servet, der gelehrt habe, dafs es in Genf keine wahre Kirche , keinen Gott , keine Taufe gebe , nun doch mit dem Volk sich zum Gebet vereinigt habe : » Quomodo igitur se in precibus socium pofulo ad'nmxk^ cuius fugienda erat cotntnunio. Annan profanatio est sacrae zmitatis commitnem Deu/n et fideni cum impio et profano coetu proßteri

Vollziehung des Urteils. 201

er sich zu einem letzten stillen Gebete auf sein Antlitz nieder. Farel benutzte diesen Augenblick zu einer kurzen Ermahnung an die Anwesenden, indem er auf den Betenden als ein warnendes Beispiel der Macht des Satans hinwies. »Da seht Ihr«, rief er aus, »welche Macht Satan besitzt, wenn er einen Menschen in seiner Gewalt hat. Dieser Mann ist ein Gelehrter von Ruf, und er glaubte vielleicht recht zu handeln. Nun aber besitzt ihn Satan, und Euch könnte dasselbe widerfahren«'. Der Henker begann seine Arbeit. »O Gott, O Gott« lispelte mit bebender Stimme der Verurteilte. »Hast Du nichts anders zu sagen ?< fuhr ihn Farel an. »Was könnte ich anderes thun , als von Gott sprechen?« lautete Servets Antwort. In dem nächsten Augen- blicke wurde er auf den Holzstofs gehoben, sein Leib mit einer eisernen Kette an den Pfahl gebunden, an seiner Seite sein Buch, der Bringer bitterer Schmerzen, befestigt, auf sein Haupt ein Schwefelkranz gelegt. Beim Anblick der mörderischen Fackel entfuhr ihm ein Schrei des Entsetzens. Eine halbe Stunde dauerte bei langsam brennendem Feuer der fürchterliche Todeskampf. j- Jesus, du Sohn des ewigen Gottes, erbarme Dich meiner« waren die letzten Worte, die man aus den Flammen vernahm. Sie ent- hielten das unveränderte Bekenntnis des Servetschen Glaubens \ Das Opfer war gefallen, der Frevel gesühnt. Die angegriffene Ehre Gottes und seines Dieners gerächt. Es war ein Triumph der calvinischen Theokratie , wie er noch vor wenigen Monaten unmöglich geschienen. Einen solchen Sieg hatte Calvin in Genf noch nicht gefeiert. Und was ihm seine eigentUche Bedeutung verlieh , war die fast ausnahmslose Zustimmung , die er in der evangelischen Kirche fand. War der vor zwei Jahren über Bolsec erfochtene Sieg durch den Widerspruch der öffentlichen Meinung in eine Niederlage umgewandelt worden, so wurde der Sieg über Servet durch den Beitritt derselben gleichsam bestätigt und be- festigt. In weiter Ferne, sagt der Chronist, priesen viele Gott und dankten ihm, dafs durch Genfs Schwert die Welt von einem solchen Lästerer befreit sei 3. Wie die vier um ihr Gutachten an-

' Hist. de morte Serveti S. 449.

^ Hist. de morte Serveti S. 450. Boset V c. 50; Opp. VIII, S30 Cn. 49); Defensio, ebd. S. 499. [Vgl. Willis S. 474—487.] 3 Koset V c. 50.

202 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

gegangenen schweizerischen Kirchen , urteilten die angesehensten Theologen der evangelischen Länder. Der erste deutsche Theo- loge drückte dem Genfer Reformator seinen Dank aus. »Die Kirche ist Dir«, schrieb Melanchthon 1554 an Calvin^, »jetzt und in Zukunft zum Dank verpflichtet. Ganz und gar stimme ich Deinem Urteile bei. Euer Magistrat hat Recht gethan, indem er einen Gotteslästerer der Ordnung gemäfs verurteilen und hinrichten liefs«. Selbst Männer wie Peter Paul Vergerius und Johannes Sleidan drückten laut ihre Zustimmung aus oder fanden doch an der Handlungsweise Calvins nichts zu tadeln^. Man feierte Servets Hinrichtung in Versen und hob es als ein bedeutsames Zusammen- treffen hervor, dafs der spanische Gotteslästerer und der lang- jährige Verräter des Evangeliums in Deutschland , der Sachse Moritz, in demselben Jahre gefallen^.

Aber es war ein Sieg nicht allein über den unglücklichen Spanier. Der Schlag traf die ganze Oppositionspartei , deren Führer sich des Angeklagten angenommen. Kläglich waren alle ihre Bemühungen und Machinationen gescheitert. Die öffenthche Meinung, welche bei allen früheren Kämpfen überwiegend auf ihrer Seite gewesen, kehrte sich jetzt auch gegen sie. Man konnte es ihr in Zürich und Bern nicht verzeihen, dafs sie sich aus Hafs gegen Calvin so weit vergessen hatte , einen offenbaren Gottes- lästerer und Gegner der christlichen Ordnung in Schutz zu nehmen, und die BuUinger, Haller, Musculus machten ihrer Mifs- bilHgung in starken Ausdrücken Luft ^ , während Calvins er- schütterte Autorität durch das beredte Lob , welches die aus- wärtigen Kirchen seiner Haltung spendeten , nicht blofs für den Augenblick, sondern auch für die Zukunft eine kräftige Stütze er-

Corpus Ref. VIII S. 362; vgl. S. 523. Opp. Calv. XIV S. 268, 488, 734-

* Vgl. die beiden Schreiben des Vergerius an BuUinger vom 3. und 8. Okt. 1553, Opp. XIV S. 633, 635. Sleidan an Calvin 2. April 1554, Opp. XV S. III. Jener spricht seine Zustimmung aus, dieser hat für das ihm zugesandte Buch Calvins kein Wort des Tadels.

3 Vgl. das Gedicht des Musculus (an Blaurer, 22. Dez. 1553), Opp. XIV S. 709. Vgl. Mosheiin S. 276 ff. [Über tadelnde Stimmen vgl. Rogct IV S. 115 ff.; Buisson, Seb. CastelHon I S. 344 ff., 351 f., 354- Vgl. übrigens auch u. S. 226 ff.]

4 BuUinger an Haller 18. Sept., Haller an BuUinger 18. Sept., Musculus an BuUinger 28. Sept. 1553, Opp. XIV S. 624 f., 628.

Folgen des Prozesses für die anticalvinische Opposition. 203

hielt ^ Zu spät wurden Perrin und seine Freunde des gethanen Mifsgrififs inne. Servets Prozefs versetzte ihnen einen Schlag, von dem sie sich vollständig nie wieder erholt haben, und der 27. Oktober 1553 bezeichnet in der Geschichte Genfs einen be- deutsamen Wendepunkt. Die Brandstätte auf Champel verkündete, dafs Calvins schon vernichtet geglaubtes Ansehen fortan wieder etwas zu bedeuten habe , und war ein Warnungszeichen ! Ein schwärmerischer Italiener, wird erzählt, der am Tage nach Servets Hinrichtung in Genf eintraf, kehrte sofort der Stadt den Rücken, als er vernommen, was geschehen ^.

IL

DER KAMPF UM DAS EXKOMMUNIKATIONSRECHT DES CONSISTORIUMS.

Während noch Servets Prozefs unentschieden vor den Ge- richten schwebte, brach zwischen Calvin und seinen Gegnern ein zweiter Kampf aus, der die öfifentHche Meinung fast in noch höherem Grade erregte und durch Verlauf und Ausgang für die Befestigung der calvinischen Ordnung von nicht geringerer Bedeutung wurde, als die Katastrophe Servets. Handelte es sich diesem gegenüber um eine Grundlehre des christlichen Glaubens, so betraf der neue Streit die Fundamentaleinrichtung der calvinischen Sittenzucht, und nicht ein unbekannter Fremder, sondern ein alter, ächter Genfer, ein Nachkomme des Mannes , den die Stadt vorzugsweise als ihren Befreier verehrte, war es, der dem Reformator dieses Mal entgegenstand und ihm unterlag.

Unter allen von Calvin geschaffenen Einrichtungen nahm das Sittengericht unstreitig die erste Stelle ein. In ihm erblickte Calvin selbst jederzeit die sicherste Gewähr für seinen endlichen Sieg, das einzige Mittel zur Begründung eines wahrhaft kirchlichen

' Calvin selbst erkennt dies dankend an. »Praeclara illa commcndatio«, schreibt er am 26. Nov. an Bullinger, s>qua nos ornastis, apud bonos summutn habuit pondus«. Opp. XIV S. 674; vgl. S. 656.

^ Vgl. Moshei7)i S. 292. In der Schrift Contra lib. Calv. H. 6 a wird Ber- nardin Ochinus genannt: er sei am Tage nach der Hinrichtung angekommen, habe sein Mifsfallen geäufsert und sich dadurch allgemein verhafst gemacht 1

204 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Lebens; die Errichtung des Consistoriums war 1541 die Haupt- bedingung, von der er seine Rückkehr nach Genf abhängig machte. Man hatte die Bedingung angenommen, weil der Reformator nur um diesen Preis zu haben war, aber schon als man an die Ein- richtung des neuen Institutes ging, wurden Bedenken laut: man fürchtete selbst die alten Geistlichen teilten diese Besorgnis von demselben eine Beeinträchtigung der bürgerlichen Gewalt und setzte bei den Verhandlungen über die Ordonnanzen noch nach- träglich einige einschränkende Zusätze durch, um Übergriffen auf das weltliche Gebiet vorzubeugen und das höhere Recht der Staatsgewalt zu wahren'. Dafs solche Besorgnisse nicht grundlos waren, zeigte sich sofort, als das neue Gericht seine Wirksamkeit eröffnete. Die Beschränkung der consistorialen Gerichtsbarkeit auf die Verhängung rein geistlicher Strafen war mehr eine schein- bare als eine wirkliche. Nicht nur, dafs das Consistorium zahl- reiche Vorgeladene den bürgerlichen Gerichten zur Bestrafung liberwies, was die Ordonnanzen zuliefsen, auch die von ihm selbst erkannten geistlichen Strafen nahmen bei dem innigen Verhältnis von Staat und Kirche in den meisten Fällen auch einen politischen Charakter an und insbesondere gestaltete sich das vornehmste geistliche Zuchtmittel, die Exkommunikation, worin die Jurisdiktion des Consistoriums gipfelte , in der Wirklichkeit zu einer schweren bürgerlichen Strafe ^. Es lag in dem Wesen der neuen Institution, dafs sie , einmal zugestanden , nach einer Erweiterung des geist- lichen Wirkungskreises trachtete und mehr und mehr die gesamte welthche Gerichtsbarkeit unter ihren Einflufs zu bringen suchte.

' »Ainsi que k Jernier jugcniait de la correcüoii soit tousjours reserve a la seigncurie«. Ord. eccl. von 1561 , Opp. X, i S. 97. Die ursprüngliche Vorlage der Geistlichkeit enthielt diesen Zusatz nicht und die betr. Artikel überhaupt in anderer P'assung, ebd. S. 20. Vgl. aufserdem den Schlufsartikel der Ordonnanzen, s. o. Bd. I S. 432.

* Die Ord. eccl. von 1561 setzen dies ausdrücklich fest: »Que sil (der Exkommunizierte) pasiste jusques au bout de lan sans se corriger pour les ad- monilions a lui faictes , qtiil soit baniii aussi pour un an coinine incorrigible, sinon quil previen?ze en demandaiit pardon a Messieurs et recog7ioissant sa faulte eil conslstoire, pour estre admis a la coinmunion« . Opp. X, I S. I19. Dafs aber auch schon vorher die Exkommunikation bürgerliche Strafe nach sich zog, ergiebt sich aus der Weisung der ursprünglichen Ordonnanzen: tquon le denonce a la seigtieurie« , ebd. S. 20. Bonivard, Anc. et nouv. pol. S. 96 bestätigt das ausdrücklich.

Angriffe auf das Consistoriuni. 205

Die durch die Ordonnanzen gezogenen Grenzen wurden bald über- schritten und HandUingen, die zweifellos vor den weltlichen Richter gehörten , wie z. B. die häufig wiederkehrenden Anfein- dungen der Franzosen , von den Ältesten abgeurteilt. In dem Consistorium besafs Calvin jederzeit ein wirksames Mittel , nicht blofs der kirchlichen Disciplin Achtung zu verschaffen , sondern auch imbequeme Gegner ohne langen Prozefs unschädlich zu machen. Es geschah nicht mit Unrecht, wenn auswärts der Rat der Ältesten als die Hauptstütze der calvinischen Herrschaft an- gesehen wurde.

Es kann uns deshalb nicht Wunder nehmen, wenn die Oppo- sition schon früh ihre Angriffe vornehmlich gegen das Consistorium und seine Wirksamkeit richtete. Nicht blofs die Unversöhnlichen» die Perrin, Favre, Vandel, auch Männer der gemäfsigten Richtung, ja den Magistrat selbst sehen wir dagegen ankämpfen. Bald war es die Schroffheit des consistorialen Verfahrens , bald waren es willkürliche Auslegungen der Ordonnanzen, bald endlich wirkliche Eingriffe in das Recht der bürgerlichen Obrigkeit, worüber Klage geführt wurde. Man begann mehr und mehr die frühere Nach- giebigkeit zu bereuen und das Institut der Ältesten an seiner Wurzel anzugreifen. Wenn in andern evangelischen Kirchen die Handhabung der Kirchenzucht und insbesondere das Recht des Bannes wenn derselbe überhaupt noch für nötig gehalten wurde dem Magistrat zustand , warum sollte dasselbe nicht auch in Genf der Fall sein? Wenigstens eine Mitwirkung wurde für den Rat, als christliche Obrigkeit, bei der Verhängung des Bannes in Anspruch genommen. Bereits im Frühjahr 1543 machte der Rat der Sechzig den ernsthchen Versuch , das Exkommuni- kationsrecht dem Consistorium geradezu zu entreifsen und auf den Magistrat zu übertragen. Calvin erhob sich sofort mit der gröfsten Entschiedenheit dagegen und es gelang ihm , den Kleinen Rat von seinem Rechte zu überzeugen ^ Einige Jahre später aber wurde derselbe Versuch von dem Generalkapitän gemacht, welcher während der Favreschen Streitigkeit mit dem Consistorium sein

' Vgl. Calvin an Virel 24. März 1543, Opp. XI S. 521. Die Sechzig^ hatten beschlossen , »que le consistoire nait ni Jurisdiction ni ptdssance de dcfeitdre la cene sinon seulenient dadmonester et puis faire relation en conseih afin que la seignctirie avise de juger sur les deliiiquants stiivant Icurs detnerites«. Ratsprot. 19. März 1543. Vgl, Raget, L'J^glise et l'Etat S. 37.

2o6 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Bestreben dahin richtete, die bürgerhche Obrigkeit zur höchsten Instanz in Sachen der Sittenzucht zu machen. Auch dieses Mal gelang es Calvin durch sein kräftiges Auftreten die drohende Gefahr von seinem Lieblingsinstitut abzuwenden', aber die Ab- neigung gegen dasselbe blieb , die Feindseligkeiten dauerten fort und das Übergewicht, welches die antiklerikale Opposition seit dem Jahre 1548 erlangte, verlieh ihnen einen bedenklichen Cha- rakter. Fälle von offener WidersetzHchkeit , die schon in den ersten Jahren hin und wieder vorgekommen, wurden häufiger. Die Vorgeladenen erschienen nicht oder sie widersprachen den Ältesten mit zunehmender Kühnheit offen ins Angesicht und er- klärten, nur Syndiks und Rat hätten ein Recht über sie. Eine tumultuarische Scene folgte auf die andere. Der Magistrat duldete dieses Treiben , wie oft er auch um Abhilfe gebeten wurde ; er ermahnte vielmehr das Consistorium zur »Mäfsigung« oder er ergriff offen für die Widerspenstigen Partei und nahm das Ex- kommunikationsrecht für sich in Anspruch ^.

Aber es war in allen diesen Angriffen und Widerstands- versuchen weder Plan noch Konsequenz. Der Magistrat folgte mehr den Eingebungen und Aufregungen des Augenblicks als einem festen Plane. Er ermutigte Widerspenstige und fafste kühne Beschlüsse, aber er wich zurück, sobald der Kampf einen ernsten Charakter anzunehmen drohte. Die Einzelnen, welche Widerstand leisteten, blieben schliefslich ohne Unterstützung und mufsten sich, da das Consistorium fest und unerbittUch auf seinen Forderungen beharrte, unterwerfen , oder sie wurden von der Kirchengemein- schaft ausgeschlossen. Selbst ein Mann wie Philibert Bonna, einer der angesehensten Bürger der Stadt, erklärte, nachdem er Jahre

Roset V c. 10; Beza, Opp. Calv. XXI S. 139. Calvin an Viret 6. April 1547, Opp. XII S. 508. Über den gleichen Versuch des Rates von 1548 vgl. Roget, L'Eglise S. 46.

^ Vgl. z. B. Ratsprot. 13. April 1551; 31. März, 19. Sept., 7. und 10. Okt., 23. Dez. 1552; 27. Febr. 1553. Consistorialprot. 24. März, 18. Juni, 2. Juli, 25. und 31. Dez. 1551; 30. Juni, 7. u. 14. Juli, 6. Okt., 10. Nov., I. und 24. Dez. 1552; 12. Jan., 28. März 1553. Zum mindesten wollte der Rat eine Art Begnadigungsrecht haben, das Recht nämlich, solche, die das Consistorium exkommuniziert, wieder zum Abendmahl zuzulassen. Vgl. Colladon, Opp. XXI S. 77; Raget, L'Eglise S. 52.

Philibert Bcilhelier.

207

lang beharrlichen Widerstand geleistet hatte , der unbeugsamen Behörde zuletzt seine Unterwerfung \

Da unternahm es im Sommer 1553 Philibert Berthelier, den lange geführten Kampf zur Entscheidung und die verhafste Macht des Rates der Alten durch Beseitigung seiner Hauptbefugnisse endlich zu Falle zu bringen.

Schon oft haben wir dieses unversöhnlichen Gegners des geistlichen Systems gedacht. Unterstützt von seinem gleich- gesinnten jüngeren Bruder Daniel, hatte Philibert Berthelier in allen Kämpfen seit dem Jahre 1546 eine hervorragende Rolle gespielt und namentlich in dem Perrinschen Streite als uner- schrockener Verteidiger des Generalkapitäns sich hervorgethan. Mit öffentlichen Ämtern für seine guten Dienste von der siegreichen Partei belohnt, war er seitdem eine der einflufsreichsten Persönlich- keiten Genfs. Kein Ereignis von Wichtigkeit, an welchem er nicht Teil nahm. 'Stets kämpfte er in der ersten Reihe, wo es die Sache der Freiheit galt. Philibert besafs etwas von dem Geiste seines Vaters. Ein feuriger Patriot und Feind alles Fremden, glühend für die Freiheit und den Ruhm seiner Vaterstadt, kühn und entschlossen, dazu von einnehmenden Umgangsformen, offen, lebenslustig und jedermann zugänglich, war er der geborene Führer und Liebling der Kinder von Genf wie vor dreifsig Jahren der Vater, dessen populärer Name dem Sohne zu gute kam. Mit des Vaters Vorzügen verband er auch dessen Schwächen: seine Sitten waren locker, sein Mut ermangelte der Umsicht, ruhiges Überlegen war seine Sache nicht , er liebte den Kampf und suchte ihn, un- bekümmert um die Folgen. Zum Führer einer politischen Partei war er deshalb nicht geschaffen, noch auch besafs er den Ehr- geiz, die Rolle eines solchen spielen zu wollen, aber unter der umsichtigen Leitung geistig überlegener Männer, die es verstanden, sein Ungestüm innerhalb der nötigen Schranken zu halten, konnte er der Partei , welcher er diente , wichtige Dienste leisten. Früh schon hatten Perrin und Vandel, die Häupter der Opposition, den Wert des Mannes für ihre Sache erkannt und ihn an sich gezogen. Bertheher war das Werkzeug, dessen sie sich zur Durchführung ihrer wichtigsten Pläne bedienten, und manchen Erfolg hatten sie seiner entschlossenen Hingabe zu danken, obwohl ihnen sein Un-

' Consislorialprot. iS. Juni 1551 ; 15. Juni, 31. Aug. 1553.

2o8 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

gestüm auch zuweilen unbequem fiel. Offenbar auf Weisung seiner geistigen Führer geschah es auch, dafs er jetzt den Kampf gegen, das Consistorium unternahm^.

Die Wahl BertheHers zur Ausführung dieses neuen Planes war keine glückliche. Der verwegene , nichts weniger als sittenreine Führer des jungen Genf war nicht der Mann, in einem so ernstere Kampfe die erste Rolle zu spielen. Es war ein entschiedener Vorteil für Calvin, dafs ihm als Hauptgegner ein Mann entgegen- trat, dessen persönlicher Wandel die stärksten Blöfsen bot und der , indem er sich gegen die Autorität des Sittengerichts erhob,, es nur auf Beseitigung der nötigen sittlichen Schranken überhaupt abgesehen zu haben schien. Bertheliers Name gehört zu denen,, welchen wir in den Protokollen des Consistoriums am häufigsten begegnen, und die Handlungen, die ihm zur Last gelegt wurden, waren zum Teil derart , dafs auch der Rat ihn nicht in Schutz, nehmen mochte, sondern mehr als einmal sich veranlafst sah, geger» ihn einzuschreiten. Bereits das Jahr zuvor war er mit dem Kirchenbanne belegt worden , und der von ihm um Hilfe an- gerufene Magistrat hatte selbst nicht umhin gekonnt , nach An- hörung des Consistoriums , die von demselben über Berthelier verhängte Ausschliefsung als gerechtfertigt anzuerkennen^.

Nichtsdestoweniger schien Berthelier seiner Partei am ge- eignetsten, den längst geplanten Angriff zu eröffnen. Besafs er doch diejenigen Eigenschaften , auf die es vor allem ankam : Mut und Entschlossenheit ; von ihm war nicht zu fürchten , dafs er sich einschüchtern lasse und schliefslich doch nachgeben werde. In den Kindern von Genf besafs er eine Macht, die ihm nötigen- falls mit Gewalt zu Hilfe kam 3. Zur Ausführung des Vorhabens wählte man mit kluger Berechnung den Zeitpunkt, wo Calvin, durch Servets Angelegenheit vollauf beschäftigt war. Vielleicht.

' Über Berthelier vgl. Bimivard , Anc. eL nouv. pol. S. 50 ff., 75, 78. 95. RilUet 1. c. S. 38. Galiffc, Quelq. pages S. 100 ff. Bonivards Charakte- ristik verbindet Wahres und Falsches; am grundlosesten ist wohl der Vorwurf der Feigheit, den er ihm macht.

* Calvin an Viret 4. Sept. 1553 , Opp. XIV S. 605 f. Consistorialprot. 19. Febr., 24. März 1551; 30. Juni, 7. Juli, 6. Okt., 10. Nov., i. u. 24. Dez. 1552; 12. Jan. 1553. Ratsprot. i. u. 15. Nov., 23. Dez. 1552.

3 Ferreum os hominis mihi notum erat et data opera eum improbi mihi opposucraiit , ut vel sua protervia me vinceret vel tumultiwi concitaret*. Calvin, an BuUinger 26. Okt. 1553, Opp. XIV S. 654 f. Dafs Berthelier von seiner

Der Rat spricht Berthelier vom Kirchenbanne frei. 20Q

gelang es auch damit zugleich, dem bedrängten Spanier Hilfe zu bringen. Die Hoffnung war jedenfalls keine übertriebene, dafs der Reformator , von zwei Seiten angegriffen , nicht gleichzeitig über beide Gegner werde triumphieren können.

Am I. September 1553, demselben Tage, an welchem die Disputation zwischen Calvin und Servet beginnen sollte, erschien Philibert Bertheher vor den Fünfundzwanzig als Kläger gegen das Consistorium : er verlangte Aufhebung des noch immer auf ihm lastenden Kirchenbannes und Zulassung zu der bevorstehenden Herbstkommunion gegen den Beschlufs der Ältesten. Die Klage wurde angenommen und beschlossen , zunächst Calvin über den Streitfall zu hören. Wie unerwartet der ganze Vorfall Calvin in diesem Augenblicke auch kam , er verlor doch seine Fassung nicht. In langer Rede trat er dem Kläger entgegen, erklärte die Bewilligung seines Gesuches für den Ruin der Kirchenzucht und bestritt dem Rate auf das entschiedenste das Recht zu einem solchen Schritte. Doch dieses Mal predigte er tauben Ohren. Der erste Syndik hatte seine Vorkehrungen zu gut getroffen. Nicht um sich von ihm belehren zu lassen , sondern um dem Vor- wurfe, ohne Vorvvissen der Geistlichkeit gehandelt zu haben, zu entgehen, hatte man den Reformator kommen lassen : nachdem er sich entfernt, wurde als Recht erkannt, dafs dem Antrage zu ent- sprechen sei. Die ganze Mittelpartei , die vor kurzem in der Servetschen Angelegenheit für Calvin den Ausschlag gegeben hatte, stand in dieser Frage entschieden zu Perrin. Bertheher wurde ermächtigt, das Abendmahl zu empfangen, wenn er sich für rein und würdig halte, und es ihm selbst überlassen, von dieser Erlaubnis Gebrauch zu machen^.

Calvin war über dieses unerhört kühne und rasche Vorgehen der Staatsgewalt auf das höchste betroffen. Erst jetzt erkannte er, dafs es sich um einen lange überlegten ernsten Angriff auf sein Lieblingsinstitut handele. Die Servetsche Angelegenheit trat einen Augenblick vor dieser plötzlich auftauchenden neuen Gefahr voU-

Partei förmlich aufgestellt ist, sagt Calvin wiederholt, so in dem Schreiben an die Züricher Geistlichen vom 26. Nov. 1553: ^ab i?npioru?>i /actione ad hatte Jabulam agendam delectus«. Ebd. S. 675.

' Ratsprot. I. Sept. 1553. Rilliet S. 73. Calvin an Viret 4. Sept. 1553; Calvin an Bullinger 26. Okt. 1553; Opp. XIV S. 605 f., 654 f. [Vgl. Rogct IV S. 64 ff.]

Kampschulte, J. Calvin II I4

2 1 o Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Ständig zurück. Bereits auf den 3. September war die allgemeine Abendmahlsfeier angesetzt : es lag deshalb Gefahr im Verzug. In grofser Aufregung eilte Calvin sofort auf die Kunde von dem gefafsten Beschlufs zu den Syndiks, um eine neue Ratssitzung zu verlangen. Seinem Wunsche gemäfs traten die Fünfundzwanzig am andern Tage nochmals zusammen. Calvin bot seine ganze Beredsamkeit auf, um sie zur Zurücknahme dieses verhängnisvollen Beschlusses zu bev.'egen. Er bat und beschwor, er ermahnte und drohte, er berief sich auf dem klaren Wortlaut der Ordonnanzen und erklärte, es werde die Zerstörung der Kirche zur Folge haben, wenn ein Gottloser , wie Berthelier, an dem Tisch des Herrn er- scheinen dürfe ; er rief endlich Gott zu Zeugen, dafs er lieber in den Tod gehen würde, als das hl. Mahl entweihen. Es waren fruchtlose Anstrengungen. Perrin hatte seine Vorkehrungen zu gut getroffen. Die Majorität des Rates blieb fest und erklärte, dafs sie von dem gefafsten Beschlüsse nicht abgehen könne '^.

Aber es war doch den Fünfundzwanzigen bei dem gefafsten Beschlüsse keineswegs ganz wohl. Man wufste , dafs Calvins Worte keine leere Drohung waren, und fürchtete , dafs wenn Berthelier sich am nächsten Tage wirklich zum Abendmahl ein- fände , es in der Kirche zu einem Tumulte kommen werde. Perrins Entschlossenheit , der einen ernsten Konflikt nicht nur nicht scheute, sondern ihn sogar wünschte "", wurde doch nicht von allen, die mit ihm gestimmt hatten , geteilt. Man kam deshalb überein, Berthelier vertraulich anzudeuten, es werde gut sein, wenn er dieses Mal von seinem Rechte noch keinen Gebrauch mache -\ Ein schlimmes Zeichen für die Entschlossenheit und die Ausdauer der Partei , die schon so bald ihrem eigenen Beschlüsse selbst die Spitze abbrach. Aber die Mehrzahl war für den Augenblick zu- frieden, das Recht der Staatsgewalt durch einen feieriichen Be- schlufs grundsätzlich gewahrt zu haben : es wirklich geltend zu machen, sollte einer günstigem Gelegenheit vorbehalten werden.

Indes die Herausforderung war ergangen , sie war öffentlich nicht zurückgenommen, und Calvin nahm sie an. Fest entschlossen, das Recht der geistlichen Gewalt in seinem vollsten Umfange

' Ratsprol. 2. Sept. 1553, Ann. S. 551. Rilliet S, 76, 77. Vgl. die in den vorigen Anmerkungen genannten Schreiben Calvins.

» Beza, Opp. Calv. XXI S. 147. Cüladon ebd. S. 77 f. 3 Ratsprot. 2. Sept. 1553. Rilliet S. 77.

Predigt Calvins gegen den Ral. 2JI

gegen das neue Attentat zu verteidigen, begab er sich am andern Morgen zur festgesetzten Stunde nach St. Peter , wo eine dicht gedrängte Menschenmenge der Dinge harrte, die da kommen sollten. Die Kunde von dem Ratsbeschlusse des vorigen Tages und der Drohung Calvins hatte sich wie ein Lauffeuer durch die Stadt verbreitet. Unter gespannter Erwartung bestieg der Refor- mator die Kanzel und hielt eine jener tiefernsten und zündenden Reden, durch die er so oft in schwierigen Momenten die Gemüter erschütterte und sich dienstbar machte. »Was mich angeht, so wisset,« rief er am Schlufs der Rede aus, »dafs Gott mir die Gabe eines standhaften Mutes verliehen hat, um die ich ihn ge- beten habe, und so lange ich mich an dieser Stelle befinde, werde ich mich ihrer bedienen, wie auch immer die Dinge stehen mögen. Ich werde mich lediglich an die Vorschrift meines Meisters halten ; was dieser aber vorschreibt , ist mir klar und offenkundig. Wir feiern heute Cias Abendmahl; sollte jemand sich unterstehen, sich zum Tische des Herrn zu drängen , dem dies durch das Con- sistorium untersagt ist, so bezeuge ich hiermit bei meinem Leben, ich werde mich zeigen, wie es meine Pflicht erfordert Die Drohung war, soweit sie Berthelier betraf, unnötig, der em- pfangenen Weisung gemäfs hielt dieser sich an jenem Tage fern ^ und es ist nicht unwahrscheinlich , dafs Calvin selbst schon vorher davon Kunde hatte: aber er wollte jetzt einmal in feierlicher Weise dem Rate und der gesamten Gemeinde ver- künden , dafs auf Nachgiebigkeit von seiner Seite überhaupt nie zu rechnen sei , dafs er ein Recht des Rates hinsichtlich der Zu- lassung der Gläubigen zum Abendmahl nun und nimmer aner- kennen werde.

Es schien, als müsse der Magistrat nach diesem Auftritte zur Wahrung seiner Würde unverzüglich gegen den Reformator ein- schreiten. Calvin selbst erwartete dies und begann sich auf das Äufserste gefafst zu machen. Am Nachmittag desselben Tages bestieg er abermals die Kanzel und hielt eine Art Abschiedsrede.

' Rilliet S. 78.

^ Die pathetische Schilderung dieser Scene durch Beza a. a. O. S. 147, ColladoJi S. 78 fällt damit in sich zusammen. Berthelier blieb infolge der er- haltenen Weisung zurück, nicht weil die Rede Calvins ihn erschüttert hatte. [Vgl. die der obigen Darstellung entsprechende Schilderung bei Raget IV S. 66 ff.]

14*

212 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Er erinnerte die Anwesenden , wie er seit Jahren Tag und Nacht oft unter Thränen für ihr Seelenheil gearbeitet habe, und ermahnte sie, der Lehre treu zu bleiben, die er ihnen verkündet. Es sei vielleicht das letzte Mal, dafs er zu ihnen spreche. Er sehe, dafs man sich seiner zu entledigen suche. Man wolle ihn zwingen, wider sein Gevvissen und das göttliche Gebot zu handeln. Nimmer aber werde er sich solche unerträgliche Bedingungen gefallen lassen, sondern lieber mit dem hl. Ambrosius der Gewalt weichen und seine Stelle niederlegen, als sein Gewissen beflecken. Sa bleibe ihm nichts übrig, als mit dem Apostel (Acta XX. 32) zu sagen; »Ich empfehle euch Gott und dem Worte seiner Gnade '.« In demselben Sinne schrieb er des andern Tags seinem Freunde Viret: sein Entschlufs sei gefafst, um die Freiheit des geistlichen Amtes sei es geschehen : lieber werde er hundertmal in den Tod gehen als sich beugen. Man möge für die bedrängte Kirche beten ^.

Indes war seine Lage in Wahrheit keineswegs so gefährdet. Im Rate herrschte nach dem unerwartet kühnen Auftreten Calvins Unentschlossenheit und Zerfahrenheit. Der Sinn für Ehre und Würde schien der ersten städtischen Körperschaft unter dem jahrelangen klerikalen Regiment und den unaufhörlichen Partei- kämpfen abhanden gekommen zu sein. Es war Perrin wohl gelungen, in dem ersten Augenblicke die Mehrzahl seiner Amts- genossen von der Notwendigkeit eines energischen Vorgehens zu überzeugen und sie zu mutigen Beschlüssen zu bestimmen ; als es aber galt, für diese einzutreten und die Lage eine ernste wurde, fehlte den meisten der Mut. Calvins klug berechnetes Auftreten hatte überdies seinen Eindruck nicht verfehlt. Man trug Bedenken,

Beza S. 147; Colladon S. 78; Rillict S. 79. Diese Rede, die Calvin selbst für eine seiner gelungensten gehalten zu haben scheint, wurde, wie man aus dem angeführten Schreiben an Bullinger vom 26. Okt. sieht, in Ab- schriften und Übersetzungen auch nach auswärts verbreitet.

^ »Nwic igitiir habeant improbi et perditi homines quod captarunt. Me, ut par est , angit ecclcsiae calamitas. Verum si tantum Ucentiae Deus Satanae concedit, ut vioientis impcriis opprimatttr ministcrii inei libertas, defunctus sum . . . Orate ut Dominus miseram suaiii ecdesiam respiciatt, Calvin an Viret 4. Sept. 1553, Opp. XIV S. 606. Während Calvin so klagte, safs Servet im Kerker! Dafs solche Klagen auswärts Eindruck machten, ersieht man z. B. aus dem Briefe Hallers an Bullinger vom 18. Sept. 1553, ebd. S. 624 f.

Unschlüssigkeit des Rats. Vorgehen der Geistlichkeit. 213

die Sache bis auf das äufserste zu treiben und die Scenen von 1538 zu erneuern'.

So geschah das gerade Gegenteil von dem, was erwartet werden mufste. Statt dafs von seiten des Rates zur Aufrechterhaltung eines in ordentlicher Sitzung gefafsten Beschlusses Schritte ge- schahen, war es vielmehr die Geistlichkeit, die zum Angriffe gegen den Rat schritt. Die unsichere zaghafte Haltung des Rates gab ihr den Mut , aus der Verteidigung zum Angriff über- zugehen und um eine gründliche und zweifellose Lösung der auf- geworfenen Streitfrage in ihrem Sinne zu ersuchen. Am 7. Sep- tember erschien Calvin an der Spitze seiner Amtsbrüder vor dem Rat, um gegen die Lossprechung Bertheliers, als einen ungerechten Eingriff in die verbrieften Rechte der Kirche, feierlichen Protest einzulegen und die Zurücknahme derselben zu verlangen^.

Diese unerwartete Kühnheit rief in dem Rate doch eine all- gemeine Entrüstung hervor und führte selbst die Schwankenden auf Peirins Seite zurück. Es kam zu lebhaften und heftigen Er- örterungen. Der Rat verwies den Geistlichen in strengen Worten ihre anmafsende Sprache, indem er behauptete, ihnen keinerlei Grund zu einer Klage gegeben, sondern nur ein ihm unzweifelhaft gebührendes Recht ausgeübt zu haben , und forderte sie auf, ihre Ansprüche aus den Gesetzen der Stadt zu beweisen. Calvin blieb die Antwort nicht lange schuldig. Schon am andern Tage legte er die Stellen der Ordonnanzen vor, die nach ihm das Recht der Exkommunikation ganz ausschliefsHch dem Consistorium zusprachen. Der Rat bestritt die von ihm gegebene Auslegung, aber es war schwer, etwas Gegründetes dagegen einzuwenden, und das Kollegium selbst fühlte das. Man liefs die GeistÜchen längere Zeit ohne Antwort. Diese aber drängten auf eine Entscheidung und ordneten am 15. September eine neue Deputation an den Rat ab, um in bündigen Worten Auskunft darüber zu verlangen, ob das Bannrecht des Consistoriums anerkannt werde oder nicht. Es wurde sogar mit der Einstellung der geistlichen Funktionen gedroht. Endlich am 18. September erfolgte die lang ersehnte

[Vgl. J?oget IV S. 69.]

* Ratsprot. 7. Sept. 1553, Ann. S. 552 f. [lies S. 552 vorletzte Zeile V. u. anstatt reciter etc. : reiterez.]

214 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Antwort: der Magistrat erklärte, »man werde sich an die Edikte halten wie bisher

Diese Antwort entschied eigentlich nichts : eben um die Aus- legung der Edikte handelte es sich vor allen Dingen. Doch be- zeichnete sie jedenfalls ein Zurückweichen von dem Standpunkt, den die Behörde durch die schroffen Beschlüsse vom i. und 2. September eingenommen hatte, und Calvin selbst betrachtete sie als einen Sieg der »guten Sache ^«. Die für Calvin so ent- schieden günstige Wendung, welche der noch schwebende Servetsche Prozefs aber in diesen Tagen für den Reformator nahm, mag dazu beigetragen haben, die Antiklerikalen für den Augenblick nachgiebiger zu stimmen. Bertheliers Angelegenheit ruhte mehrere Wochen vollständig.

Aber die Ruhe war eine trügerische. Perrin, Vandel, Ber- thelier ruhten nicht, sondern suchten, während Calvins Aufmerksam- keit der Servetschen Angelegenheit zugewendet war , in der Stille die schwankenden Ratsmitglieder wieder zu gewinnen und in weiten Kreisen die Gemüter in ihrem Sinne zu bearbeiten. Man studierte eifriger in den Ordonnanzen und fand jetzt, dafs auch aus diesen die Grundlosigkeit der Ansprüche des Consistoriums unzweifelhaft hervorgehe. Dieselben enthielten nämlich an mehreren Stellen die Bestimmung, dafs der Exkommunizierte der welthchen Obrigkeit anzuzeigen sei ^ : daraus wurde geschlossen, dafs auch nach den kirchlichen Edikten der weltlichen Gewalt bei der Ausübung des Bannrechtes das letzte Urteil zustehe ■". Die Bemühungen blieben nicht ohne Erfolg. Bald waren die schwankenden und abge- fallenen Mitglieder des Rates nicht nur wieder zurückgeführt, sondern auch neue hinzugewonnen. Im grofsen Rate besafs die antiklerikale Partei ohnehin entschieden das Übergewicht. Die herausfordernde Heftigkeit , mit der die Geistlichkeit auf ihren

Ratsprot. 7., 8., 12., 15., 18. Sept. 1553, Ann. S. 552 ff. Rilliet S. 88, 89. Roset V c. 51. {^Rogct IV S. 70 ff.]

^ »Res in setiatu agitata fuit tibi qtcum superior esset bona causa, des- titerunt paulisper qui res tiirbatas cttpiunt«. Calvin an Bullinger 26. Okt. I55i> Opp. XIV S. 655.

3 Vgl. Ord. eccl. von 1561, Opp. X, l S. 117: Quon lui inierdise la comiHitnion de la Cene , le faisant savoir au Magistrat« , und einige Zeilen weiter: »Quon le separe de l' Eglise et quon le denonce a la Seigneurle.«

+ Vgl. die Vorstellung der Prediger vom 8. Nov. 1553: Gaberei I, Pikees justificatives S. 140 ff. Vgl. Opp. XIV S. 663, 678.

Vorladung Farels. 2 1t;

Forderungen bestanden, erregte hier den gröfsten Unwillen, Man harrte auf eine günstige Gelegenheit, um den Kampf wieder auf- zunehmen, und hoffte ihn dieses Mal zu einem glücklichen Ende zu führen. Bereits um Mitte Oktober vernahm Calvin , dafs in der ersten Hälfte des November ein Hauptschlag gegen ihn be- absichtigt werde '.

Der neue Kampf wurde eröffnet mit einem Angriffe auf Farel. Dieser alte Mitstreiter Calvins , der bei jedem neu aus- brechendem Streite sofort kampfbereit an des Freundes Seite stand und in rauhen Worten den unverbesserlichen Genfern ihre Gott- losigkeit und Undankbarkeit vorhielt, war den Perrinisten fast noch mehr verhafst als Calvin selbst. Erst eben hatte er \vieder in seiner gewohnten derben Weise seinem Zorne auf der Kanzel Luft gemacht und die Genfer Jugend eine Bande von Räubern, Mördern, Wüsthngen und Gottesleugnern gescholten. Die Geduld war erschöpft : man wollte endlich seiner derben Beredsamkeit, die noch immer auf einen Teil des Volkes von grofsem Einflufs war, Emhalt thun und damit zugleich Calvin einer wichtigen Stütze berauben. Gegen dreifsig Bürger reichten am 3. November wegen Schmähungen und Herabsetzung der Ehre der Stadt eine Klage gegen Farel ein. Der Rat nahm dieselbe an. Es erging an den alten Eroberer eine Vorladung, sich in Genf zur Ver- antwortung zu stellen. Vergebens erklärte Calvin, ein solches Ver- fahren gegen einen Mann , dem Genf alles verdanke , für eine Schmach ! Farel mufste sich fügen, und noch ehe er in Genf ein- getroffen, empfing Calvin die Weisung, den Angeklagten in keinem Falle zur Kanzel zuzulassen I Wenigstens Farel stand bei dem neuen Kampfe der Partei des Generalkapitäns nicht mehr im Wege I ^

Unmittelbar darauf erfolgte der Angriff auf das Consistorium. Noch an demselben Tage, an welchem die Dreifsig gegen Farel klagbar geworden , hatte auch Berthelier im Einverständnis mit

' Calvin an Farel 14. Okt. 1553, Opp, XIV S. 640: »Omnino Jmc intenti sunt hostes, ut humdtuose aliquid circa idus Novembris in niaiore scnatu decernatur«. Calvin an Bullinger 26. Okt.. ebd, S. 655 : »Instat autem so- leinnis comitiorum dies, tibi aliquid procul dubio tentabunt«.

* Ratsprot. 3. Nov. 1553, Ann. S. 55S f. Roset V c. 52. Calvin an die Züricher Geistlichen 26. Nov. 1553, Opp. XIV S. 675 ff. {Roget \N

s. 133 ff-]

2i6 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

seinen Freunden seine Angelegenheit wieder vor den Rat ge- bracht und seine Forderung erneuert. Alles war vorbereitet und rasch folgte die Entscheidung. Die Fünfundzwanzig führten eine sehr mutige Sprache. In feierlicher Sitzung erklärten sie am 7. November der ehrwürdigen Genossenschaft, der Rat nehme überall das letzte Urteil für sich in Anspruch, und wenn der Rat für Recht erkannt habe, irgend einer Person das Abendmahl dar- zureichen , so sei diesem Beschlufs Folge zu leisten , ohne dafs sich das Consistorium noch weiter in die Sache zu mischen habe. Und dieser Beschlufs des Kleinen Rates wurde dann am folgenden Tage , wie man offenbar vorher übereingekommen , durch den Grofsen bestätigt. Auch die Zweihundert erklärten sich mit grofser Einmütigkeit für das höhere Recht der Staatsgewalt und wiesen die Ansprüche des Consistoriums zurück \

In aller Form war damit über das Exkommunikationsrecht der Ältesten der Stab gebrochen. Calvins Lage schien hoffnungs- loser als je. Allein das Ratskollegium hatte bereits zu viele Be- weise von seiner Schwäche gegeben , als dafs er so bald hätte verzweifeln sollen. Er kannte seine Gegner, er wufste, dafs die Zahl der entschlossenen und zuverlässigen Anhänger Perrins nicht so sehr grofs war und dafs die letzten Beschlüsse doch nur mit grofser Anstrengung durchgesetzt waren ^. Mit entschlossenem Mute erklärte er sofort, dafs er sich der getroffenen Entscheidung nicht werde unterwerfen können, und reichte im Namen der Geist lichkeit eine Denkschrift ein , welche die Gründe ihrer Weigerung ausführlich entwickelte. Das Schriftstück war mit vielem Geschick abgefafst und namentlich auf die unsichere Mittelpartei berechnet, die nur durch politische Motive, durch die Sorge für die Aufrecht- haltung der Rechte der bürgerlichen Gewalt geleitet wurde und durch ihren Beitritt den Ausschlag zu Gunsten Perrins gegeben hatte. Es begann mit der Beteuerung, dafs die Geistlichkeit nicht in die Rechte der bürgerlichen Gewalt eingreifen , sondern der- selben durchaus den gebührenden Gehorsam leisten wolle. In dem vorliegenden Streite aber handele es sich lediglich um ein geist-

' Ratsprot. 3., 7,, 8. Nov. 1553 [z. T. Ann. S. 558 ff., doch mit vielen kleinen Lesefehlern]. Jiosct V c. 51, [Raget IV S. 142 ff.]

* Calvin an die Züricher Geistlichen 26. Nov. 1553: iSumma coiitcutione adeoqjie ifitemperie ab Ulis cffechtm est, ut maior senatus receptutn et hactenus servatuin ecclesiae ordinem repente convelleret. Opp. XIV S. 675,

Calvins Widerstand gegenüber dem Rat, Ankunft Farels. 217

liches Recht, welches durch den klaren Wortlaut der Ordonnanzen dem Consistorium gewährt werde: die demselben in einzelnen Fällen auferlegte Verpflichtung, dem Rat von der verhängten Ex- kommunikation Mitteilung zu machen , worauf man sich jetzt be- rufe, beschränke die Freiheit des Consistorium s in keiner Weise, sondern enthalte nur die Aufforderung an den Magistrat, gegen den Ausgeschlossenen auch mit bürgerhchen Strafen einzuschreiten. Dem Consistorium das Recht der Exkommunikation nehmen, heifse alle kirchliche Ordnung und Zucht untergraben und sei um so weniger gerechtfertigt , als die Ältesten bisher von ihrem Recht den mafsvollsten Gebrauch gemacht. Eine schreckliche Verwirrung werde die Folge sein, wenn dieses Recht falle. Der Rat möge deshalb der Geistlichkeit, die stets ihre Gebete für ihn verrichte, vielmehr kräftig unter die Arme greifen, statt ihr Hinder- nisse zu bereiten. Dies verlange man von ihm. Nichts liege mehr im eigenen Interesse der bürgerlichen Gewalt, als dafs der Name Gottes in Ehren stehe \ Mündlich aber wandte Calvin noch ein anderes Mittel an : er verlangte , ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, auch von dem Volke, im Generalrat gehört zu werden , da es sich um eine offenbare Verletzung der im Generalrat von dem ganzen Volke angenommenen Ordonnanzen handele ^. Es war nicht unwahrscheinHch , dafs in einer all- gemeinen Volksversammlung, wo auch die zahlreichen Refugids ihr Gewicht in die Wagschale warfen , das Resultat der Abstimmung ein anderes sein werde.

Calvin hatte die Lage der Dinge richtig beurteilt. Es zeigte sich bald , dafs seinem entschlossenen, unbeugsamen Auftreten gegenüber die Opposition des Rates auch dieses Mal nicht stand- halten werde. Schon der Ausgang, welchen der gegen Farel an- gestrengte Prozefs nahm , liefs dies deutHch erkennen. Wenige Tage nach jenen entscheidenden Sitzungen kam der alte Prediger von Neuenburg in Genf an, um sich zu verantworten. Die Schar Bertheliers begrüfste ihn mit dem Rufe: In die Rhone mit ihm! aber sofort erfolgten auch Kundgebungen zu seinen Gunsten und diese nahmen zu. Es regte sich bei der Mehrzahl wieder ein

' Vgl. Opp. XIV S. 678 ff. : Summa quaedam capita disciplinae eccle- siasticae Genevensis«.

» Beza S. 147 f. Rosct V c. 51.

2i8 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Mitgefühl für den derben Alten , der in schwerer Zeit treu bei seinen Genfern ausgehalten. Am 13. November kam die An- gelegenheit vor dem Rate unter Perrins Vorsitz zur Verhandlung. Mehrere Bürger bezeugten, in der Predigt Farels nichts Anstöfsiges gefunden zu haben. Calvin verteidigte den angegriffenen Freund, der ihn so oft verteidigt, in sehr energischen Worten und nannte die Anklage eine Schmach für die Kirche. Farel selbst beteuerte, dafs er Genf in keiner Weise habe schmähen wollen, sondern der Stadt noch in alter Liebe zugethan sei. Die Mehrzahl des Rates wagte unter diesen Umständen nicht mehr die Anklage aufrecht zu halten , sondern nahm offen für den Angegriffenen Partei. Farel wurde glänzend freigesprochen. Perrin war aufser sich vor Zorn über diese Unbeständigkeit ; er habe am ganzen Körper ge- zittert, berichtet der Chronist, als er das Urteil des Rates ver- künden mufste, welches die Predigt Farels für »heilig«, den Widerspruch dagegen für unerlaubt erklärte und beiden Parteien auf- gab, sich zu versöhnen und dem göttlichen Worte gemäfs zu leben!'

Bald machte der erste Syndik dieselbe Erfahrung in dem grofsen Streite mit dem Consistorium. Abermals gewann nach jenem kühnen Anlauf im Rate Unentschlossenheit und Furcht die Oberhand. Calvins entschlossene Weigerung und der Inhalt der Denkschrift machten Eindruck. Nur die engeren Parteigenossen Perrins blieben standhaft. Die Mittelpartei scheute sich, die Ver- antwortung für einen Schritt zu übernehmen, der eine kirchliche Anarchie herbeizuführen drohte, und suchte einzulenken. Sie richtete ihre Blicke wieder auf die Schweiz. Auf ihren Antrag wurde beschlossen , nochmals das Gutachten der schweizerischen Kirchen über den Gegenstand des Streites einzuholen. Bereits am 30. November ging das Gesuch des Magistrates an die vier Städte ab '.

Calvin sah diese Wendung der Dinge nicht gerade gern ; er empfand dieses fortwährende Anrufen schweizerischer Weisheit als

I Ratsprot. 13. Nov. 1553, Ann. S. 561 f. J\oset V c. 52. Beza S. 148. Kirchhof er, W. Farel II, 119. {Roget IV S. 137 ff.]

^ Der Rat zu Genf an den zu Zürich 30. Nov. 1553, Opp. XIV S. 6S5. »Defshalhen bittend wir üch nachmals, dafs ir uns . . . ütueren rat und meimtng offnen zuellind , nämlich welcher gstalt das Consistorium oder Eegricht mit Gott und nach lut der heiligen gschrifft und heiliger christenlicher Religion solle ^wall haben, die, so in offnen Faeleren und Sünden erfunden sind, von der Kilchen uszeschlüfscn und innen das heilig Nachtmal abzeschlahen« . Vgl.

Befragung der Schweizer Kirchen. 2 T Q

eine Demütigung, nahm aber doch das beschlossene Auskunfts- mittel an , weil er sich Erfolg davon versprach, und beeilte sich, noch vor Abgang des offiziellen Schreibens, die schweizerischen Theologen von dem neuen Streite in Kenntnis zu setzen und sie für seine Auffassung zu gewinnen. Da sich in dem Servetschen Streite das Gutachten Zürichs als das entscheidende erwiesen hatte, so schickte er sofort einen treuen Boten mit ver- traulichem Schreiben an Bullinger und die Züricher Geistlichen dahin ab. Er schämte sich fast, heifst es in dem Briefe an die Geistlichen, dafs er ihnen schon wieder lästig werden müsse, aber die Lage sei der Art , dafs sie ihn entschuldige. Es handele sich um nichts Geringeres, als um den Bestand der Kirche selbst, um die gesetzmäfsige und heilige Kirchenzucht. Wohl wisse er, dafs in betreff der Exkommunikation in der Kirche nicht volle Übereinstimmung herrsche. Manche hielten sie für unnötig unter einer frommen Obrigkeit, nicht überall habe sie durchgesetzt werden können ; wenn sie aber, wie in Genf auf Grund göttlicher Vorschrift eingeführt sei , würde es eine Schmach, ein Verrat am göttlichen Wort sein, sie fallen zu lassen. Er werde nimmer dazu seine Einwilligung geben. Die Partei, die ihm entgegenstehe^ sei dieselbe, die auch Servet beschützt, die ihm seit Jahren nach- gestellt habe und, nachdem sie bereits manchen kleinen Vorteil errungen, nun ihrem gottlosen Treiben die Krone aufsetzen und die Kirche Gottes zerstören wolle. Die Aufgabe der Züricher Geistlichkeit sei es deshalb , ihren ganzen Einflufs dafür aufzu- bieten, dafs der Rat zu Gunsten der Consistorialgewalt entscheidet Die gleiche Bitte enthielt das Schreiben an Bullinger, dem er die Angelegenheit auf das eindringlichste ans Herz legte''. Ein Aus- zug aus den Consistorialsatzungen sowie eine Abschrift der am 8. November dem Genfer Rate eingereichten Denkschrift war den beiden Schreiben zur weiteren Orientierung beigefügt.

damit auch das Schreiben Bullingers an Calvin vom 12. Dez. 1553, ebd.

S. 696 f. Dafs der Antrag von der Mittelpartei ausgegangen war, ersieht man

aus dem Schreiben Calvins an die Züricher vom 26. Nov.: »Qui errorc lapsi

fuerani, deceruunt pctendum esse ab Hclveiicis eccksiis coiisiliuin«. Ebd. S. 675

' Calvin an die Züricher Geistlichen 26. Nov. 1553, Opp. XIV S. 675 ff.

* Calvin an Bullinger 26. Nov. 1553, Opp. XIV S. 674: iiBrevis ta?iien summa est, ut senatus vestcr verbo Dei consentatieiiin esse resfondeat^ quam hactcnus sequuü sumus formam, deindc novitatem improbct«.

2 20 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Trotzdem fielen die Antworten der vier Städte dieses Mal nicht so günstig aus, wie Calvin erwartet hatte. Zwar in Zürich gelang es den eifrigen Bemühungen der Geistlichkeit, den Rat zu einer den geistlichen Ansprüchen ziemlich günstigen Antwort zu bewegen. Die bisherigen Consistorialgesetze der Genfer , erklärte derselbe unter Ausdrücken des Bedauerns über den neuen Streit, seien gut und näherten sich der Vorschrift des göttlichen Worts ; man halte es deshalb für zweckmäfsig, obgleich Zürich selbst ein anderes Verfahren befolge , dieselben beizubehalten und nichts zu ändern, »zumal in diesem Zeitalter, wo die Menschheit sich immer mehr verschlimmere.« Dem Wunsche der Bittsteller gemäfs wurde eine Abschrift der Züricher Sittengesetzgebung beigelegt^. Von den übrigen drei Städten dagegen, welchen Bullinger das Züricher Gutachten mitteilte , antwortete nur Schaffhausen den Wünschen Calvins vollkommen entsprechend. Basels Antwort lautete kühl und unbefriedigend, und noch mehr hüteten sich die Berner, eine Billigung des ihnen verhafsten Systems auszusprechen^. Sogar Bullinger selbst, dessen Bemühungen die günstige Haltung von Zürich und Schaffhausen hauptsächlich zu danken war, hielt es für notwendig, Calvin zur Mäfsigung zu ermahnen, »damit er nicht durch eine zu harte Strenge diejenigen verliere, welche der Herr gerettet wissen wolle 3.«

Aber war es auch nicht gelungen , die Zustimmung der aus- wärtigen Kirchen in der gewünschten Weise zu erlangen, so kam der Erfolg doch Calvin zu gute. Nicht nur, dafs wenigstens ein Teil der Schiedsrichter sich für ihn erklärt hatte , schon an sich war die durch die Einholung der Gutachten herbeigeführte Ver-

' Bullinger an Calvin 12. u. 13. Dez. 1553, Opp. XIV .S. 696 ff., 699 ft".

^ Hundeshagen ^ Conflikte S. 33S. Vgl. die Schreiben Calvins .in Farel und Bullinger vom 31. Dez., Opp. XIV S. 722, 723. Hefs, Lehen Bullingers II, 100. Sulzer drückt am 23. Dez. dem Genfer Reformator seine ganze Teil- nahme aus, Opp. XIV S. 712: iSed quid effccerimtis declarat evenius, hoc est qtiod sola nostra disciplinae forma ad vos mittitur a senatu nostro , quae ea parte vel maxime suffragatura vestris hostibiis videtur, quod noster magistratus sibi a tertia »lonitione voluit refractarios sisti , quo eos vel poenis corporalibus exsilio captivitate facultatumve midctis coerceat, si videantur ecdesiae disciplinam 7iegL'cturi , vel ut ecdesiae re?nittant excotnmu/iicandos«. Berns Antwort vom 8. Dez.: ebd.. S. 691. Über die Antwort Schaffhausens vgl. ebd. S. 709 f. [Rogct IV S. 148 f.]

3 Bullinger an Calvin 12. Dez. 1553, Opp. XIV S. 698.

Zerfall der Opposition. 22 1

zögerung ein Vorteil für ihn ^ Perrins Plan war auf einen raschen, kühnen Schlag berechnet gewesen, jeder Aufschub verminderte seine Aussichten. Die bereits begonnene Zersetzung seiner Partei machte Fortschritte. Einer nach dem andern zog sich von dem Kampfplatze zurück, während die Gegenpartei mit jedem Tage auch im Rate ihr Haupt kühner erhob. Als Berthelier beim Herannahen des Weihnachtsfestes nochmals um Erledigung seiner Angelegenheit und seine Zulassung zum Abendmahl bat, hatte der Rat nicht mehr den Mut, einseitig seine Zulassung zu beschliefsen. Man wollte nur im Einklang mit der Geistlichkeit handeln und liefs deshalb das Consistorium zu einer gemeinsamen Sitzung ein- laden. Dieses aber lehnte ab, und die Folge war, dafs Berthelier trotz aller Bemühungen und Klagen ausgeschlossen bHeb. Schon fühlten sich die Herren vom Consistorium wieder so stark, dafs sie sogar Bertheliers Bestrafung wegen seiner unehrerbietigen Äufserungen über das geistliche Gericht von dem Rate ver- langten -.

Der Generalkapitän erkannte mit jedem Tage deutlicher, dafs er gegen einen überlegenen Feind kämpfe. Calvins Ideen hatten trotz der Kämpfe und Anfeindungen der letzten Jahre in den Gemütern der Mehrzahl zu tiefe Wurzeln geschlagen und selbst diejenigen, die ihn bekämpft, waren zum Teil in ihnen befangen ^. Zudem war Berthelier in keiner Weise ein ebenbürtiger Gegner Calvins. Auch ohne seine Forderung vollkommen zu billigen, nahmen doch viele lieber für ihn Partei, als für den Führer der mutwilligen Kinder von Genf. Im Rate selbst nahm die streng calvinische Minorität, ermutigt durch den unverkennbaren Um- schwung der öffentlichen Meinung, mehr und mehr eine drohende Haltung an-*.

' Noch am 31. Dez. 1553 war die amtliche Publikation der Antworten nicht erfolgt, ^(jztia adhiic litterae sunt penes interprctem«, Calvin an Bullinger 31. Dez. 1553, Opp. XIV S. 722. [Am i. Jan. 1574 wurden sie im Rate verlesen : Ann. S. 565.]

^ Ratsprot. 19., 21,, 22., 26. Dez. 1553; 2. Jan. 1554. Consistorialprot. 19., 21. Dez, 1553. [Rüget IV S. 149 ff.]

3 [Vgl. dazu o. S. 153, wo allerdings von dem aeigentlichen Lehrsystem« Calvins, das noch nicht in die Massen gedrungen war, die Rede ist.]

+ Calvin an Bullinger 23. Febr. 1554, Opp. XV S. 39: »Senatus palam in factiones divisus erat, sicque palam eruperant odia, ut improbi suis cervicibus

2 22 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Unter diesen Umständen entschlofs sich Perrin, den Rückzug anzutreten. Es bestärkte ihn in dem Entschlüsse der Umstand, dafs die Tage seines Syndikats sich dem Ende näherten und die Fortdauer des Streits auf die bevorstehenden Neuwahlen einen nachteiligen Einflufs ausüben mufsten. Niemand war froher als die Mittelpartei, die sofort alles aufbot, um den Frieden zustande zu bringen, und nicht eher ruhte, als bis es ihr gelungen. Bereits am II. Januar wurde eine Kommission ernannt, die Differenzen zwischen den Streitenden auszugleichen. Am 30. Januar fand die förmhche Aussöhnung statt. Entgegenkommend reichten Perrin und Vandel dem lange bekämpften Gegner die Hand zum Frieden, und Calvin nahm sie an. Man versprach, fortan in Eintracht zu leben, und schwur, »dafs niemand in Zukunft wieder eme schlechte Sache in Schutz nehmen werde.« Berthelier wurde preisgegeben. Ein feierliches Mahl, an dem die sämtlichen Mitglieder des Kleinen Rates , die Justizbeamten , Calvin und sämtliche hervorragende Persönlichkeiten der Stadt teilnahmen, besiegelte am folgenden Tage den geschlossenen Frieden. Zwei Tage später trat auch der Grofse Rat in feierlicher Versammlung dem abgeschlossenen Frieden bei. Mit aufgehobener Rechten legten die Zweihundert am 2. Februar das eidliche Versprechen ab, in Zukunft getreuUch nach der Reformation zu leben, allen Hafs und Streit zu ver- gessen und gute Eintracht zu halten. Gottes Gericht wurde auf die Häupter derjenigen herabgerufen, die es wagen würden, diesem Schwur entgegenzuhandeln. Von BertheHer war nicht mehr die Rede^

So endete auch dieser Kampf trotz aller Anstrengungen der Gegner mit dem Siege Calvins. Wohl war das Recht des Con- sistoriums immer noch nicht förmlich und grundsätzlich anerkannt worden, und Calvin selbst war deshalb mit dem Ausgang noch keineswegs vollkommen zufrieden. Fast grollte er den friedens- bedürftigen Vermittlern, durch deren »Kunstgriffe« der Friede zu-

sentirent instare Dei tdtionem*. Schon seit der Freisprechung Farels , sagt RosetV c. 52: »les debordez heurent le peuple flus suspect et disoieiit, qtie hiirs adversaires se faisoient fortz des estrangiers«.

' Ratsprot. 11., 30., 31. Jan. 1554. [Was in den Ann. S. 567 zum 27. Jan. gesetzt ist, gehört vielmehr zum 30.]. Roget IV S. 153 ff. Calvin an Viret 6. Febr. 1554; an Bullinger 23. Febr. 1554, Opp. XV S. 18, 39; Rosei V c. 53.

unnötige Unzufriedenheit Calvins. 223

Stande gekommen; in Briefen an vertrautere Freunde klagte er, dafs unter dem scheinbaren Vorvvande des Friedens die gesetz- liche Ordnung, der einzige Hüter des Friedens, vernachlässigt worden, und erklärte den Wiederausbruch des Kampfes für un- vermeidlich, da »in der Sache nichts entschieden sei'.«. Aber er durfte mit dem Ausgange dennoch zufrieden sein : thatsächlich war der Kampf entschieden -. Die Ohnmacht und Zerfahrenheit der Oppositionspartei, welche in dem Verlaufe des Berthelierschen Prozesses offenbar geworden, war so grofs, dafs Calvin bei einer AViedererneuerung des Kampfes um den Sieg unbesorgt sein durfte, auch vvenn die neuen Ratswahlen ein weniger günstiges Resultat für ihn gehabt hätten, als es der Fall war.

III. ANFEINDUNGEN VON AUSSEN.

Es konnte nicht fehlen, dafs die ungewöhnlichen Fortschritte, welche Calvins Herrschaft seit dem Herbst 1553 in Genf machte, auch auswärts einen bedeutenden Eindruck hervorbrachten. Die Freunde und Gesinnungsgenossen in der Ferne jubelten und er- blickten in den Erfolgen des Genfer Reformators die sichere Bürg- schaft eines baldigen vollständigen Sieges. In Frankreich richteten die evangelisch Gesinnten mit steigender Zuversicht ihre Blicke auf Genf: die Zeit schien ihnen nahe, wo die Stadt Calvins die seit 1541 auf sie gesetzten Hoffnungen endlich erfüllen würde.

Aber diese Stimmung war doch keineswegs die allgemeine. Vielmehr hatten die Ereignisse der letzten Jahre den eigenartigen

' Calvin an Blaurer 11. Febr. 1554, Opp. XV S. 24: »Quorundam artt- ficio factum est ut reconciliaremur ^ de re tarnen nihil decretUm. Perendie vel traiisigetur vel exorietur nova fugna«. Calvin an BuUinger 23. Febr. 1554, ebd. S. 40: "Plausibili facis colo7-e factum est ut legitimus ordo, tinicus pacis custos, ncglectus fiierit vel saltem posthabitus«. Vgl. u, S. 254.

* Vgl. darüber auch die Äufserungen Sulzers an Blaurer 9. März 1554, Opp. XV S. 74: er habe Nachrichten von Viret und anderen erhalten, »qui ptitant Calvinum cum suis rem factam in inanibtis habere«. Vgl. Farel an Calvin 20. Jan. 1554, ebd. S. 12.

2 24 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Charakter des calvinischen Kirchenwesens und seinen Gegensatz gegen die übrigen evangehschen Kirchen in so greller Weise ans Licht gestellt, dafs in manchen Kreisen, die Calvins Bestrebungen bisher mit Wohlwollen verfolgt hatten, die Sympathien für ihn in bedenklicher Weise erkalteten, während in anderen sogar ein ent- schieden feindseliger Geist sich kundgab. Zwei Vorgänge ins- besondere machten auswärts einen üblen Eindruck und wurden. die Quelle von Reibungen und Anfeindungen , die eine Zeit lang^ Calvins eben befestigte Stellung ernstlich zu gefährden drohten.

Es war zunächst der Prozefs Bolsecs und der durch ihn an- geregte Prädestinationsstreit.

Wir haben bereits gesehen ^, wie wenig dem Siege, den Calvin 1551 über seinen Gegner durch richterhchen Spruch davontrug,. die öffentliche Meinung zur Seite stand. Während in Genf die Opposition gegen das calvinische Lieblingsdogma noch un- geschwächt fortdauerte und bei jedem neuen Kampfe sich offen wieder Luft machte^, nahmen auswärts Theologen und Laien fast einstimmig in der offenkundigsten Weise in Wort und Schrift für den Verurteilten Partei! Es sei nicht zu sagen, klagt Beza^, welche Flamme jener gottlose Mensch angezündet : überall, rechts und links seien Kampf und Streit an der Tagesordnung gewesen,, »nicht anders, als habe Satan selbst zum Angriff geblasen.« In der Schweiz war der Abfall von Calvin ein allgemeiner. Von Thonon bis nach Basel erscholl der Ruf; in Genf werde Gott zum Urheber der Sünde gemacht und bis aufs Blut verfolgt, wer dieser Irrlehre sich zu widersetzen wage. Alte treue Freunde des Reformators, wie Christoph Libertet in Neuchatel, wurden irre an ihm und äufserten ihm unverhohlen ihr Mifsfallen ■*. In dem nahen Waadtlande und in Thonon, wo Bolsec nach seiner Verbannung sich gewöhnlich aufhielt und die Gemüter gegen seinen Verfolger bearbeitete, hallten die Kanzeln von den lästigsten Invektiven gegen die abscheuliche neue Lehre wieder, die das Böse selbst für ein Werk Gottes erkläre. Man nannte ihren Urheber einen

Vgl. o, S. 148 f.

^ Auch noch nach dem Troilletschen Streite, vgl. z. B. Ratsprot. 2. Juli 1554; Consistorialprot. 19. Dez. 1553, 15. Febr., 23. u. 28. Juni 1555. 3 Beza, Opp. Calv. XXI S. 144, 145.

Vgl. Calvins Antwort an Christoph Fabri (Libertet), Jan. 1552, Opp_ XIV S. 278.

Angriffe auf die Prädestinationslehre. 22 5

Ketzer, einen Antichrist und sagte , er sei schlimmer als die Papisten \ Ernstere Anfeindungen erfuhr Calvin von Basel, wo überhaupt im Gegensatz gegen den Genfer Dogmatismus unter Geistlichen und Laien ein freierer Geist in kirchlichen Dingen herrschte und namentlich durch Lehrer der Universität genährt ward ; unter ihnen befand sich auch jener Sebastian Castellio, der im Jahre 1544 Calvin in Genf hatte weichen müssen und seit kurzem die Professur des Griechischen bekleidete. Es war eine nicht mifszuverstehende Antwort auf das neue calvinische Dogma, welches die eine Hälfte der Menschheit durch den ewigen Ratschlufs Gottes verdammt werden liefs , wenn ein Baseler Gelehrter 1554 eine Schrift »über die Gröfse des Reiches Gottes« veröffentlichte, welche vor allem die göttliche Barmherzigkeit betonte und diese für das »festeste und ewige Fundament des Himmelreiches« er- klärte ^. Aber auch direkt wurde der Verfolger Bolsecs von Basel her angegriffen. Es gingen von hier, wie es scheint unter nament- licher Mitwirkung Castellios, mehrere heftige Flugschriften aus, welche nicht nur das calvinische Lieblingsdogma schonungslos verurteilten, sondern auch die Person des Reformators nicht un- angetastet liefsen. Eine derselben wurde sogar an den Genfer Rat eingesandt, um auch in Genf die öffentliche Meinung zu er- regen ^. Eine andere, welche die Form eines Sendschreibens an die französischen Protestanten hatte und eine Zusammenstellung der schroffsten Äufserungen Calvins über die Prädestination nebst scharfen Gegenbemerkungen enthielt, war zur Verbreitung in Frankreich bestimmt "♦. »Calvins Name,« schrieb um jene Zeit ein Freund desselben (Hotoman) aus Basel an BuUinger, »steht hier in keinem besseren Rufe als in Paris; will man einen Menschen beschimpfen, so nennt man ihn einen Anhänger Calvins. Mit der gröfsten Leidenschaftlichkeit fällt alles über ihn her.«

Calvin war über diese Angriffe auf seine Rechtgläubigkeit, die sein Stolz, seine Ehre , sein teuerstes Eigentum war , ganz aufser sich. Er klagte den treuen Freunden die unerträgliche Schmach^

' Vgl. Trcchsel^ Die prot. Antilrinitarier I, 194 ff.

* Trechsel I, 215, 216.

3 Ratsprot. 7. u. 14. Juni 1554, Ann. S. 575 f. Calvin an Sulzer 7. Aug. 1554; Viret an Farel 14. Juni 1554, Opp. XV S. 209 u. 164. [Vgl. Roget IV S. 167 ff.]

+ Beza S. 150. Trechsel I S. 210. Kampschulte, J. Calvin II. Ij

2 20 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

die ihm angethan werde, und bat um Unterstützung , er rief in Basel die Hilfe der weltlichen Gewalt gegen das gottlose Treiben der Akademiker an ; er richtete gegen Castellio , in dem er den Hauptschuldigen erblickte, eine Streitschrift, die zu dem Heftigsten gehört, was je aus seiner Feder geflossen: er nennt ihn einen Schurken, einen schmutzigen Hund, eine giftige Bestie, seine Entgegnungen elendes Geschwätz und HundegebelP. Indes alles Klagen , Drohen , Schmähen brachte die Widersacher nicht zum Schweigen, steigerte vielmehr ihre Leidenschaft und Erbitterung.

Noch heftigere Anfeindungen als der Bolsecsche Streit hatte Servets Angelegenheit für ihn zur Folge.

Wohl war das Verfahren gegen Servet von den stimm- führenden Theologen der verschiedenen Parteien mit seltener Ein- stimmigkeit gebilHgt worden, aber anders als von den Theologen wurde in dem vorliegenden Fall in den Kreisen der Gebildeten und von der überwiegenden Masse des Volkes geurteilt. Die näheren Berichte über die letzten Stunden des unglücklichen Mannes liefsen die über ihn verfügte Strafe in dem furchtbarsten Lichte erscheinen und riefen weit und breit eine natürliche Teil- nahme wach. »Die Asche des Unglücklichen,« erzählt der Bio- graph des Reformators, »war kaum kalt geworden, als der Streit über die Bestrafung der Ketzer begann. Einige meinten, man dürfe sie wohl unterdrücken, aber nicht mit dem Tode bestrafen ; andere hielten dafür, dafs man sie, da der Wortlaut der hl. Schrift selbst nicht klar genug sei , ganz dem Gerichte Gottes überlasse. Selbst manche Guten teilten diese Ansicht-.« Nicht wenige fürchteten auch, dafs man durch den Scheiterhaufen an Champel den Papisten eine neue Waffe zur Verfolgung der Evangelischen in die Hand gegeben habe \ Im Namen der Freiheit war dem Papsttum der Krieg erklärt worden, Calvin selbst hatte in zornigen Worten so oft die päpstliche Tyrannei und Grausamkeit gebrand-

' Brevis responsio ad diluendas nebulonis cuiusdam calumnias , quibus doctrinam de aeterna Dei praedestinatione foedare conatus est. Opp. IX S. 253 266. Vgl. Trechsel I, 267.

^ Beza S. 149; Roset V c. 50.

3 kVos vero, vos quinam estis'<, ruft Balduiu den Anhängern Calvins zu, »qtii in consistoriis iudicia de haereticis orbis arrogatis et de aliorutn immani- taie quiritanies nova interpretatioiw nostrarum legnm vultis aiigere acerbitatem szippliciorum?« Biga resp. 325, 326.

Teilnahme für Servet.

227

markt : nun, selbst im Besitze der Gewalt, hatte er den päpstlichen Ketzergerichten in nichts nachgestanden. Die Inkonsequenz lag klar vor jedermanns Augen. Nachteilig für Calvin wirkte auch der Umstand, dafs er das Hauptwerks Servets so eifrig hatte ver- nichten lassen, um das Bekanntwerden seiner Ansichten zu ver- hindern: die Folge war, dafs manche jetzt für den Verurteilten Partei ergriffen, die, wenn sie seinen theologischen Radikalismus vollständig gekannt, an seinem Schicksal vielleicht weniger Anstofs genommen haben würden ! So erhoben sich alsbald von den ver- schiedensten Seiten Stimmen scharfen Tadels und ernster Mifs- billigung gegen die blutige That des 27. Oktober! Servet wurde als ein Märtyrer gefeiert und sein Tod in rührenden Klageliedern besungen , während Spott- und Schmachgedichte, durch fliegende Blätter verbreitet, den Tyrannen von Genf dem Hafs der Menge preisgaben. Waadtländische Prediger verkündeten laut, das neue gallische Feuer sei schlimmer als das spanische \ In Basel em- pfing der alte Hafs durch Servets Scheiterhaufen neue Nahrung. Die in Genf so verhafsten »Akademiker« , insbesondere Castellio, der an sich selbst die Folge calvinischer Unduldsamkeit erfahren und erst vor kurzem (1551) dem englischen Könige in einem Widmungsschreiben die Einführung der Gewissensfreiheit in be- redten Worten empfohlen, war auf das heftigste erregt. »Wer Calvins Freund sei,« heifst es in dem Schreiben eines Baselers an den Züricher Reformator, »der findet hier fast niemanden, mit dem er umgehen könne ^.« Am schmerzlichsten mufste es für Calvin sein, dafs gerade seine eigenen Landsleute und Standes- genossen vielfach für den verurteilten Irrlehrer dje lebhaftesten Sym]')athien an den Tag legten 3. Namentlich war dies bei den Italienern der Fall. Sie hatten bisher aus der Ferne Genf als ein Asyl und Bollwerk der religiösen Freiheit betrachtet ; statt dessen klagten sie jetzt , dort eine neue Inquisition, ein neues Papsttum gefunden zu haben 1 Es traten Männer auf, welche mit heraus- forderndem Trotz sich für Schüler und Gesinnungsgenossen Servets

' Tgnis Gallicus vidi ignein Hispanicum« . Vgl. Haller an Bullinger 15. April 1555, Opp. XV S. 565.

* Vgl. S. 228, Anm. 1 (Hotoman an Bullinger).

3 Schon in dem Schreiben des Gualtherus an Haller 26. Nov. 1553, Opp. XIV S. 683, wird der Teilnahme der Italiener und Franzosen für Servet gedacht. Beza S. 151.

15*

2 28 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

erklärten ! Einen Servet habe Calvin ermordet , verkündigten fliegende Blätter aus Graubünden , einem Hochsitz italienischer Emigranten , aber unzählige neue seien aus seiner Asche wieder hervorgegangen !^

Die Aufregung über Servets Schicksal war so allgemein, dafs Calvin , der Aufmunterung seines Freundes BuUinger folgend ^, sich entschlofs, seine Handlungsweise zu rechtfertigen. Er that dies in einer ziemlich umfangreichen Streitschrift, welche unter dem Titel »Verteidigung der rechtgläubigen Lehre von der heihgen Dreieinigkeit, worin zugleich gezeigt wird, dafs die Ketzer mit dem Schwerte gerichtet werden müssen,« zu Anfang 1554 in lateinischer und bald darauf auch in französischer Sprache erschien 3. Calvin entwickelt in dieser Schrift, die, wie er selbst sagt, »im Sturme» (tumultuarie) niedergeschrieben wurde ■*, seine uns bereits bekannten Grundsätze in ihrer ganzen Schroffheit. Er erklärt das peinliche Verfahren gegen hartnäckige Ketzer nach der hl. Schrift und dem göttlichen Gesetz nicht blofs für erlaubt, sondern für geboten und pflichtmäfsig und sucht dann den Nachweis zu liefern , dafs in dem vorliegenden Falle nur jene göttliche Vorschrift streng befolgt sei. Mit einer Offenheit, die nichts verhüllt und vor keiner Kon- sequenz zurückbebt , schildert er sein persönliches Verhältnis zu dem Irrlehrer, legt den Gang des Prozesses dar und schliefst mit einer scharfen Zurückweisung der eben so gotteslästerlichen

^ Trechsel I S. 263, 264; Heiny III S. 232. Contra lib. Calv. A 6 a: »Venertmi a Rhaeticis fratribus quaedam carmina , in qtiibtis dkebatur unum Servetitm a Calvino exstincium, sed revixissc innumerabiles ; corpus eins crema- tum, sed animam intactam remansisse; si Christus ipse Genevam vcuiret fore ut crucifigcretur ; non esse iam eundum Genevam ad Christianatn libertatem , ibi enim esse alterum Papam, sed qui vivos torrerct, cum Romanus prius suffocaret nam fere ttniversi Itali, ctiam qui Calvini doctrinam approbabant, tum ea cru- delitate offcnsi sunt gravissime , quod et in Gallia magna ex parte accidit«. Ein gewisser Gadius meldet am 29. Nov. 1554 aus Teglio im Veltlin an Calvin, dafs er in Italien viele Servetaner gefunden habe. Opp. XV S. 323 f. Hotomanus an Bullinger 29. Sept. 1555: »Castalionis ita sunt studiosi et amantes plerique , ut hoc quasi atlante coelum fulciri religio et pietas existime- tur . . . Calvinus autem nihilo tuelius hie audit quam Lutetiae. Quod si quis aut dcierantem atit lascivientem coarguat, Calvinista contumeliae causa >iovn- natur«.

"■ Opp. XIV S. 621,

3 Opp. VIII, 453 ff; Ratsprot. 11. Dez. 1553, Ann. S. 563. Calvin an Bullinger 22. Febr. 1554, Opp. XV S. 40.

Calvins Recht fertigungsschrift und ihre Folgen. 229

als verderblichen Irrtümer des Verurteilten. Damit die Schrift nicht blofs als der persönliche Meinungsausdruck ihres Verfassers, sondern gleichsam als der feierliche Spruch der gesamten Genfer Kirche angesehen werde, mufsten sämtliche Mitglieder der ehr- würdigen Genossenschaft sie unterzeichnen.

Calvins Lage wurde durch diese Schrift nur noch ver- schlimmert. Was bisher noch als die Frucht einer vorüber- gehenden leidenschaftlichen Aufregung angesehen und entschuldigt oder den weltlichen Gerichten Genfs zur Last gelegt werden konnte, erschien nunmehr als eine wohlüberlegte, vorher bedachte That des Reformators selbst. »Ich hätte gewünscht,« schrieb ihm sofort der Berner Stadtschreiber Zurkinden , einer der wenigen wirklichen Freunde, die er in Bern besafs, »der erste Teil des Buches , nach welchem die Obrigkeit das Recht hat , die Ketzer zu strafen, wäre nicht in Deinem , sondern des Rates Namen er- schienen, der die Pflicht hatte , für seine That einzustehen. Ich fürchte sehr, dafs Du bei Männern von gemäfsigter Denkart wenig Gunst geerntet hast , indem Du vor allen, als sei es Dein Beruf, einen so gehässigen Gegenstand zu behandeln unternahmst'.« Entgegnungen liefsen nicht lange auf sich warten. Unter dem erdichteten Namen Martinus Bellius erschien bereits im März 1554 angeblich in Magdeburg, in Wirklichkeit aber in Basel und offenbar unter der Mitwirkung des Castellio, ein Wort zum Schutze der Gewissensfreiheit und gegen die peinliche Verfolgung der Ketzer, welches in den weitesten Kreisen Aufsehen und durch Inhalt wie Ton einen für Calvin höchst ungünstigen Eindruck machte ^ Ohne sich in eine direkte Polemik gegen Calvin einzulassen, beschränkt sich der Verfasser in dem Hauptteile der Schrift darauf, mit

Zurkinden an Calvin 10. Febr. 1554, Opp. XV S. 22. Balduin gab in der Responsio altera ad Calvinum die öffentliche Meinung besser wieder, wenn er behauptete, nicht de viagistratuum in cocrcendis haereticis officio handle €s sich, sed fotitts de tuo. Vgl. Biga resp. S. 325. Vgl. Zurkinden an Calvin 7. April 1554, Opp. XV S. 115. Dagegen Farel an Calvin 9. Nov. 1554, ■ebd. S. 302: »multo enim laetius tibi est et bonis omnibus male audirc a ?nalis quam ab eis probari« etc.

^ De haereticis an sint persequendi et omnino quomodo sit cum eis agendum , doctorum virorum tum veterum tum recentiorum sententiae. Liber hoc tarn turbulente tempore pernecessarius. Magdeb. per G. Rauch 1554 mense Martio. Eine französische Übersetzung erschien noch in demselben Jahr. Vgl. Bulletin XVI, 539. [Vgl. Buisson, Seb. Castellion I S. 358 ff., II S. i ft'.]

2 2o Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

ebenso grofser Belesenheit als wohlberechneter Klugheit, aus alten und neuen kirchlichen Schriftstellern , aus Kirchenvätern und Reformatoren und selbst aus Calvins eigenen früheren Schriften Äufserungen zusammenzustellen , welche die Verfolgung Anders- denkender durch die bürgerliche Obrigkeit verdammten. Beigefügt sind eine Vor- und Nachrede , welche in warmen, ergreifenden Worten die Freiheit der Gewissen verteidigen und die aus der Bibel für den Glaubenszwang angeführten Gründe widerlegten. Ein gerechter Unwille ergreift den Verfasser, dafs solches noch nötig ist. Aber, klagt er, man sammle jetzt mit grofser Sorgfalt alles , was seit der Erschaffung der Welt gesagt und gethan worden, um zu dem Blutvergiefsen zu berechtigen und zu reizen, dem man auf jegliche Weise steuern sollte. »O Christus,« ruft er am Schlufs der dem Herzog Christoph von Württemberg ge- widmeten Vorrede aus, »Schöpfer und Herr der Welt, siebest und duldest Du alles, was hier geschieht? Bist Du Dir selber so ganz unähnlich geworden? Als Du auf Erden wandeltest, warst Du der Sanfteste, Barmherzigste, Langmütigste, wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, und als Du voller Striemen warst, ver- spieen und verspottet, mit Dornen gekrönt und schmählich mitten zwischen den Räubern gekreuzigt wurdest, da betetest Du für Deine Henker 1 Bist Du jetzt wirklich so ganz ein anderer? Ich be- schwöre Dich bei dem allerheiHgsten Namen Deines Vaters, be- fiehlst Du, dafs diejenigen, welche Deine Lehren und Gebote nicht so verstehen, wie unsere Oberen es verlangen, durchs Wasser, durchs Feuer , durch das Schwert vertilgt und durch alle erdenklichen Qualen so lange als möglich gemartert werden? O mein Herr Christus, befiehlst Du, billigst Du das? Sind die, welche solche Schlachtopfer darbringen, Deine Diener? O, der entsetzlichen Gotteslästerung , o , der frechen Bosheit der Menschen , die es wagen, Christo das zuzuschreiben , was nur auf Befehl und An- stiften des Satans geschehen kann ! ' «

»Seit dem Beginn des Christentums,« meinte ein Freund Calvins, »seien solche Lästerungen nicht gehört worden Und

^ Auszüge bei Bannig Th. Beza I, 207 ff. und Bonnet, Bulletin XVI, 540 ff. ; vgl. Bulletin XVII, 4. [Jetzt eingehendste Behandlung aller ein- schlägigen Fragen bei Btnsson, Castellion I S. 360 ff., II S. i ff.]

^ Beza an Bullinger 14. Juni 1554, Opp. XV S. 166; Baum 1. c. I, 206.

Gegenschriften. 23 1

in diesen Ton stimmten bald zahlreiche Gesinnungsgenossen mit ein I Noch in demselben Jahre erschien eine zweite Gegenschrift, welche sich unmittelbar mit den heftigsten Invektiven gegen Calvin richtete. Der Verfasser verwahrt sich gegen die Annahme, als sei er ein Schüler Servets ; er will seine Ansichten nicht in Schutz nehmen, obgleich er sie entschuldbar findet, aber nur um so heftiger wendet er sich gegen seinen Verfolger , den er als einen harten und blutdürstigen Menschen , erfüllt von grenzenloser Ehr- und Herrschsucht darstellt und in zürnenden Worten zur Rechen- schaft über sein Thun auffordert'. »Siehst Du nicht,« ruft ihm Camillus Renatus , Verfasser eines rührenden Klagegedichtes auf den Scheiterhaufen Servets zu , »siehst Du nicht, Calvin, ein wie schmachvolles Verbrechen Du den kommenden Jahrhunderten hinterlassen, ein wie trauriges Beispiel Du ihnen gegeben hast? Welcher Geist trieb Dich an , einen Verfolgten, der sich zu Dir flüchtete, einen um des Namens Christi willen Vertriebenen und Umherirrenden in Kerker und Banden zu werfen und, ohne Dich durch Klagen und Angstrufe erweichen zu lassen, dem qualvollen Flammentod zu überantworten ? O furchtbare, nimmer zu sühnende Missethat ! Vergeblich suchst Du gottlose Anschläge durch ge- druckte Bücher zu rechtfertigen! Ja, Du wagst es noch, solche Greuel den Jüngern Christi zu empfehlen , die Gemüter der Frommen dazu aufzustacheln und mit grausamen Worten zum Morde des Bruders anzutreiben 1 O, ihr Jünger Christi, ihr himmlischen Seelen, die ihr angehaucht seid von dem hl. Geiste, dem Geiste der Milde , Euch rufe ich an 1 Wie könnt Ihr ein solches Schauspiel ertragen!-«.

Und nicht blofs erklärte Gegner, auch alte Freunde und Mit- arbeiter des Reformators , auf deren Beifall er sicher gerechnet hatte, legten laut ihre Unzufriedenheit an den Tag. Die Schroff- heit, mit der er seine Theorie entwickelte , die gefühllose Härte, mit der er sich über die letzten Lebensstunden des unglücklichen Opfers verbreitete, wirkten auch in den ihm befreundeten Kreisen abstofsend. Nicht ohne Bitterkeit und fast in vorwurfsvollem

' Contra libellum Calvini , in quo ostendere conatur haereticos iure gladii coercendos esse. Vgl. darüber Mosheim S. 285 ff. \_Buisson II S. 32 ff.]

* In Je. Calvinum de iniusto Michaelis Serveti incendio, abgedruckt bei Trcchsel I, 321 [und Opp. XV S. 239 ff. Über den Verfasser vgl. Buisson II S. 296 f.]

2'J2 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Tone klagt er dem Züricher Reformator , der ihn zu der Schrift aufgemuntert, dafs der P>folg seines Buches, trotz der Mühen, die er darauf verwendet, nicht der erwartete sei. Man schmähe und verfolge ihn, als ob er ein Lehrer der entsetzlichsten Grausamkeit sei und einen Toten, der durch seine Hand umgekommen, noch im Grabe zu zerfleischen suche. Andere drückten offen ihr Be- dauern darüber aus, dafs er eine solche Schrift veröffentlicht habe^. Von nah und fern, mündlich und schriftlich wurden ihm Vorhaltungen und Vorwürfe gemacht. Männer, die er zu seinen zuverlässigsten Verbündeten gezählt hatte , wandten sich von ihm ab und nahmen für Servet Partei. Ausgewiesene Genfer, mifs- vergnügte Emigranten, die in Genf Zurücksetzungen erfahren, wie der junge Herr de la Vau, benützten hier und da den Vorfall als ein willkommenes Agitationsmittel und steigerten durch gehässige Schilderungen von Calvins Herrschsucht , Unduldsamkeit und Grausamkeit in Genf, den öffentlichen Unwillen"^. »Kenntest Du nur zum zehnten Teile die herben Schmähungen und Angriffe, denen ich ausgesetzt bin,« klagt er einem alten Freunde, der sich ebenfalls den Verteidigern Servets angeschlossen, »Du würdest, mild wie Du bist, Mitleid mit meiner traurigen Lage haben. Von allen Seiten bellen mich die Hunde an. Hier und da werde ich Ketzer gescholten. Alle erdenklichen Schmähungen werden auf mich gehäuft. Grimmiger als die offenen Gegner aus dem päpst- lichen Heerlager greifen mich jetzt die Neider und Hasser aus dem eigenen Lager an!

Das Schlimmste aber war , dafs diese Umtriebe und An- feindungen auch dieses Mal wieder in dem benachbarten Bern einen Rückhalt und Unterstützung fanden.

Es hatte zwar im Verlauf des Servetschen Streites einen Augenblick geschienen, als werde die gemeinsame Abneigung gegen den Radikalismns des spanischen Flüchtlings die beiden alten Gegner wenigstens auf dem kirchlichen Gebiete einander näher bringen. Allein die Annäherung war eine vorübergehende. Der Gegensatz zwischen Bern und Genf lag zu sehr in der ganzen

' Calvin an Bullinger 29. April 1554, Opp. XV S. 124.

* Vgl. Calvins Schreiben an die Kirche von Poitiers 20. Febr. 1555 i Opp. XV S. 436 ff., das ganz der Widerlegung der von de la Vau in Umlauf gesetzten Gerüchte gewidmet ist.

3 Calvin an Tossanus 15. Okt. 1554, Opp. XV S. 271.

Der alte Gegensatz zwischen Genf und Bern. 233

vorausgegangenen Entwickelung , in der Verschiedenheit der religiösen Anschauungen, der poUtischen Interessen und des Volks- charakters begründet, als dafs eine wirkliche Aussöhnung möglich gewesen wäre. Bern war und bHeb seit dem Jahre 1536 unter allen Wandelungen seiner Politik der undankbaren Nachbarstadt abgeneigt und legte seinen Groll bei jeder Gelegenheit an den Tag. Die Versuche, den ewigen Frieden jener Jahre, welcher den Vergröfserungsbestrebungen Berns eine Schranke aufrichtete, zu lockern oder zu durchbrechen, hatten von bernerischer Seite, trotz aller Übeln Erfahrungen, die man machte, alle die Jahre daher fortgedauert. Bei jeder Erneuerung des Burgrechts wurden von Bern Schwierigkeiten bereitet. Als Genf die Aufnahme in die Eid- genossenschaft nachsuchte, da waren es die »Mitbürger« von Bern, welche diesem Verlangen entgegentraten \ Grenzstreitigkeiten, Streitigkeiten über Zehnten, Zölle, Steuern, über die Besetzung geistlicher Stellen waren zwischen den beiden Städten an der Tagesordnung und hatten eben zu Anfang der fünfziger Jahre wieder einen bedenklichen Charakter angenommen ^ Mit diesen fortdauernden politischen Reibungen und Vexationen gingen die kirchhchen Hand in Hand. Bern beobachtete das aufsteigende Gestirn Genfs mit zunehmender Eifersucht. Es wurde den Genfern bei jeder Gelegenheit in Erinnerung gebracht, dafs sie zwar vor allem durch die Gnade Gottes, dann aber durch die Hilfe Berns zur Erkenntnis des Evangeliums gelangt seien. Man nahm für Bern als die Mutterkirche immer noch eine Art von Vormund- schaft in Anspruch und stellte ein über das andere Mal For- derungen, die das Selbstgefühl der Genfer beleidigten. Schon im Jahre 1548 hatte Calvin von einer »bernischen und römischen Knechtschaft« gesprochen und unmutig die Worte fallen lassen, ob es nicht ehrenvoller gewesen wäre, die geistliche Herrschaft von Rom zu dulden als die von Bern3.<' Und seitdem war die

Ratsprot. 7., 9. Mai, 27. Aug. 1549. Raset V c. 23, Genfs Absicht war allerdings, auf diese Weise in das französische Bündnis aufgenommen zu werden, was Bern um jeden Preis verhindern wollte. [Über Berns Widerstand vgl. Dunant, Les Relations politiques de Geneve S. 11 1 ff.]

* Ratsprot. 21., 24. Juni, 5., 29. Aug. 1550. Rosd V c. 28, 38, 39. Haller an BuUinger 24. Aug. 1550, Opp. XIII S. 630: ^Dissidium inter nostros et Genevenses me valde torquet. Audio enim Gemvates indignissime ferre constittctiofiem et exactionem nostrortiin«. \Roget III S. 125 ff.]

3 Hundeshagen, Conflikte S. 242, 228. [Opp. XII S. 727 ff., 735 f.]

2 54 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Spannung noch gestiegen. Immer schärfer entwickelte sich der Gegensatz zwischen den kirchlichen Anschauungen von Bern und Genf. Blofs aus Abneigung gegen Genf lehnte Bern 1549 den Beitritt zu der von Calvin so eifrig betriebenen Züricher Überein- kunft ab ' ! Mochte auch der jüngere Haller, der seit dem Jahre 1548 an der Spitze der Berner Stadtgeisthchkeit stand, persönlich friedfertig gesinnt sein, er konnte doch den Gang der Entwicklung nicht aufhalten. Die Berner Staatsmänner empfanden gegen den streit- und herrschsüchtigen »wälschen Prädikanten« eine unüber- windliche Abneigung ^ und auch die Theologen , selbst der milde Haller, fühlten sich je länger je mehr durch das Auftreten ihres genferischen Amtsbruders zurückgestofsen und verletzt-"^. Man er- blickte in den neugeschaffenen Einrichtungen der calvinischen Kirche eine Wiederherstellung des papistischen Glaubenszwanges •♦. Genfs Abneigung gegen Bern war nicht minder grofs. Calvin fand die Lage der Berner Kirche, ihre Abhängigkeit von der weltlichen Gewalt unwürdig, er nannte die Berner Prediger «matt- herzig und feig 5.« Statt entgegenzukommen und die bis zu einem gewissen Grade berechtigte Empfindlichkeit der mächtigen Nachbar- stadt zu schonen, verschärfte man vielmehr den kirchlichen Gegen- satz unnötiger Weise. Es sah geradezu wie eine beabsichtigte Kränkung und Herausforderung Berns aus und wurde auch so von Bern aufgefafst, als im Jahre 1550, als schon die Spannung eine bedenkliche Höhe erreicht hatte, die vier bis dahin noch ge- duldeten Berner Feiertage in aller Form abgeschafft wurden^.

Was diese fortdauernde Feindschaft der beiden Städte ins-

' Hu/ideskagen , Conflikte S. 251 f.

* Die Berner Geistlichen an die Züricher 27. Juni 1549, Opp. XIII S. 312 ff.

3 Haller an Bullinger 2. Jan,, 7. März 1549; Viret an Calvin 11. Dez. 1549; Haller an Bullinger 31. Aug. 1551; Opp. XIII S. 143, 213 f., 493 f.; XIV S. 171.

+ Haller an Bullinger 24. Aug. 1550, Opp. XIII S. 631 : »Non con- fessionem modo habebhnus iterum privatatii sacerdotalcin et auricularem , sed ei njvae haereticae fravitatis inqtiisitores. Vide quid ab his hominibus exspecian- dum, nisi coerceantur. Jam Genevae instituta est illa inquisitio« .

5 »Nosti quam timidi sint ac malles«. Calvin an Farel 27. Jan. 1552, Opp. XIV S. 273.

^ Calvin an den Pfarrer zu Büren, Opp. XIV S. i ; an Haller 4. Non. Januar. 1551, ebd. S. 4 ff.; an den Rat von Bern, ebd. S. 284 ff.

Konflikte im Waadtlande. 235

besondere heftig machte und sie keinen Augenblick ruhen Hefs, war der Umstand, dafs die beiden Gegensätze in dem benachbarten Waadtlande und den überseeischen Landvogteien Berns fortwährend miteinander in Berührung kamen. Politisch von Bern, kirchlich und national von Genf abhängig, waren diese ehemals savoyischen Landschaften der regelmäfsige Tummelplatz der beiden feindlichen Mächte. Es war natürlich, dafs Bern hier auf dem eigenen Ge- biete auch seine kirchlichen Anschauungen und Gebräuche zur Geltung zu bringen und fremde Einflüsse zurückzuweisen suchte ! Es war ebenso natürlich , dafs der Genfer Reformator , dessen Freunde und Gesinnungsgenossen zuerst jenem Lande die evan- gehsche Lehre verkündet hatten, dem die überwiegende Mehrzahl der Geistlichen und insbesondere der erste Geistliche Pierre Viret unbedingt zugethan war, gleichsam als ihren Oberhirten verehrten, die hier herrschenden romanischen Formen der Kirchen- verfassung und das innige Verhältnis zu Genf aufrecht zu erhalten und zu stärken suchte. So war hier der Kampf zwischen Staat und Kirche, zwischen Landvögten und Geistlichen, zwischen Freunden Berns und Genfs der regelmäfsige Zustand. Hier auf dem eigenen Gebiete trug der Berner Rat kein Bedenken, auch in kirchlichen Dingen von der Gewalt, die er besafs, Gebrauch zu machen, nicht blofs zu Gunsten der Berner Gebräuche. Den calvinischen Theorien von der Selbständigkeit der geistlichen Gewalt, welche die Geistlichen im Munde führten , setzten die Landvögte die derben Grundsätze des Berner Kirchenregiments entgegen. Viret sah sich bei jedem Schritt und Tritt überwacht, seit man in Erfahrung gebracht, dafs er von Calvin ganz »verdorben« sei ^ : er mufste auf die Durchführung seiner liebsten Entwürfe verzichten wie manche Demütigung mufste er hinnehmen, wie manches Projekt aufgeben 1 Jede seiner Zusammenkünfte mit Calvin und Farel erregte Arg- wohn. Schon im Jahre 1549 wurden die im romanischen Berner- land üblichen wöchentlichen Kolloquien, eine Nachahmung der Genfer Kongregation, in denen Bern nicht mit Unrecht eine Hauptpflanzschule echt calvinischer Gesinnung erblickte, durch Ratsbeschlufs aller Gegenvorstellungen ungeachtet aufgehoben^.

' Christoph Fabri (Libertet) an Farel 18. Aug. 1548, Opp. XIII S. 29 f. Vgl. auch Calvin an Haller, 26. Nov. 1549, ebd. S. 459.

^ Hunaeshagen , Conflikte S. 257 ff. Viret an Calvin 18. Nov. 1549; Haller an BuUinger 24. Aug. 1550, Opp. XIII S. 451 f., 631.

2^6 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Man suchte unter der Geistlichkeit eine eigentlich bernische Partei zu begründen und berief, so viel es anging, Männer von der deutschen Richtung zu den geistlichen Ämtern : jede von Genf ausgehende Empfehlung wurde mit Mifstrauen aufgenommen. Um jeder Einwirkung Genfs auf die Unterthanen Berns nachdrücklich zu begegnen, wurde gegen Genf sogar eine Art geistlicher Grenz- sperre eingeführt. Mehr als einmal ist es geschehen, dafs Genfer Geistliche, die in den benachbarten Bernei Grenzgemeinden predigten und sich nicht enthalten konnten , ihren calvinischen Überzeugungen Luft zu machen, von den Landvögten ohne viele Umstände eingesperrt oder des Landes verwiesen wurden \ Als Calvin einmal bei einer Dienstreise nach Zürich in Lausanne eine anstöfsige Predigt gehalten, dachte man sogar daran, dem Refor- mator selbst das Betreten des Berner Gebietes zu verbieten ^ 1 Willkommen war dagegen, wer mit Calvin in Streit lag. Die von Genf vertriebenen Widersacher des Reformators , alle die Un- zufriedenen, die Genf verliefsen oder verlassen mufsten, fanden in dem nahen Waadtlande jederzeit eine gastliche Aufnahme; gerade sie trugen dann durch die Mafslosigkeit ihres Auftretens nach Art exaltierter Emigranten nicht wenig dazu bei, die Gegensätze zu verschärfen und hüben wie drüben die Gemüter noch mehr zu verbittern 1

Der Bolsecsche Streit schleuderte in diesen Zustand neuen Zündstoff. Es entsprach ganz der bisherigen Politik Berns, dafs es nach Beendigung des Prozesses für den Verurteilten , den es vorher so nachdrücklich der Milde seiner Richter empfohlen, offen Partei nahm. Calvins schroffe Prädestinationslehre fand in Bern kaum einen Verteidiger und stiefs auch solche zurück , die den Genfer Reformator früher in Schutz genommen. Bolsec fand so- fort auf dem Berner Gebiete bereitwiUige Aufnahme und durfte ungestört, ja unter dem offenen Schutze Berns, das sogar seine Wiederaufnahme in Genf beantragte ^, in Thonon und Vevey, wo er sich meistens aufhielt, seinem Groll gegen Calvin, den grofsen Ketzer und Wüterich von Genf, Luft machen. Die antiviretische Partei jubelte seinen Ausfällen Beifall zu und machte die Sache

' /?osei V c. 42, 56. Vgl. Consistorialprot. 14. Juni 1554.

^ Hundeshagen S. 224.

3 Ratsprot. iS. Juli 1553, Ann. S. 545. {Roget III S. 205.]

Einseitige Stellungnahme der Berner Regierung. 237

des erbitterten Flüchtlings zu der ihrigen. Von Genf fanden sich Mitglieder der unterdrückten Partei ein, um das Feuer zu schüren '. Nirgendwo wurde Calvins Name weniger geschont als in diesen oppositionellen waadtländischen Kreisen.

Kundgebungen im entgegengesetzten Sinne, welche die An- hänger Virets dem gegenüber veranlafsten, machten die Stimmung noch gereizter. Endlich erliefs die Berner Regierung selbst, um den Wirren ein Ziel zu setzen , ein Mandat , welches alles Dis- putieren über »neue Lehren« und insbesondere über die Prä- destinationslehre untersagte ^ Doch wurde der Zustand dadurch wenig gebessert. Die indirekte Mifsbilligung der calvinischen Lehre, welche in jenem Verbote lag, ermutigte vielmehr die Gegner derselben, während nur den Verteidigern Stillschweigen auferlegt wurde. Die Angriffe gegen Calvin dauerten fort und wurden noch heftiger, seit der Scheiterhaufen Servets die Flammen des Hasses aller Orten noch höher auflodern liefs. Dem Vor- wurfe der Ketzerei wurde jetzt auch jener des Blutdurstes und der Grausamkeit hinzugefügt. Es nützte nichts , dafs Calvin in Bern vorstellte, durch solche Beschuldigungen werde die Ehre des Berner Magistrats selbst angetastet, da auch dieser zur Verurteilung Servets geraten 3. Bolsec fuhr fort, seinem Zorn freien Lauf zu lassen und von Calvin in den beleidigendsten Ausdrücken zu reden , und seine waadtländischen Freunde machten es ähnlich. Der Prediger von Bursin, Johann Lange, erging sich in einer geist- lichen Versammlung zu Rolle in den heftigsten Ausfällen gegen Calvin, indem er ihn mit den alten Ketzern zusammenstellte, welche die Gottheit Christi geleugnet. Andreas Zebedaeus, Prediger zu Nyon, erklärte in einer Predigt die calvinische Lehre von der direkten Regierung des Bösen durch den göttlichen Willen für einen fluchwürdigen Irrtum, der schlimmer sei als selbst die Messe und alle Abscheulichkeiten des Papsttums , und erhob schwere Anklagen gegen die weltliche Gewalt, die solchen Irrtümern Schutz gewähre. Andere richteten ihre Angriffe geradezu gegen den Genfer Rat. Ein Pierre Desplans erklärte öffentlich , es gebe bei

' Consistorialprot. 19, Dez. 1553, Ann. S. 563.

* Vgl. Ruchat-Vulliemin V, 496.

3 Die Genfer Prediger an die von Bern, 29. Dez. 1554, Opp. XV S. 363: sN'on privatim laesus est Calvinus neque etiaiii tota haec ecdesia, sed senatus vestcr aperte perscinditur, cuius hortatu de impio illo siiinptwn fuit supplicium.^

238 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

der Genfer Behörde nicht Recht, nach Gerechtigkeit mehr, Calvin lasse sich wie ein Gott verehren. Sebastian Foncelet ein aus- gewiesener Genfer, nannte in einem Schmähgedicht Genf ein leib- liches und geistiges Sodom , wo der blutdürstige Ketzer Calvin die Gesetze der christlichen Liebe mit Füfsen tretet »Auf das grausamste« , klagt der Angegriffene seinem Freunde Bullinger, »werde ich von unsern Nachbarn zerfleischt. Ihre Prediger lästern mich öffentlich als einen Häretiker , der schlimmer sei als alle Papisten Und je frecher und ausgelassener einer gegen mich tobt, um so beliebter und angesehener wird er^l«

Im Herbst 1554 beschlossen Calvin und die Genfer endlich im Einverständnis mit dem Rat, gegen dieses Treiben die Hilfe des Berner Magistrates selbst anzurufen. Eine zu Anfang Oktober nach Bern abgeordnete Gesandtschaft überreichte hier eine von Calvin und den angesehensten Geistlichen unterzeichnete Klage- schrift, welche in ernsten Worten Abstellung der nicht länger mehr zu duldenden Umtriebe und Bestrafung der Verleumder verlangte. Gleichzeitig wurde auch die Berner Geistlichkeit um ihre Unter- stützung angegangen 3.

Das Gesuch fand in Bern eine kühle Aufnahme. Die städtische Geisthchkeit , obgleich sie die stattgehabten Umtriebe mifsbilligte, schwieg. Der Rat beschränkte sich darauf, sein Bedauern über das Vorgefallene auszudrücken und den Predigern im Waadtland nochmals alles Schmähen und Streiten zu verbieten. Zugleich aber wurde in dem Antwortschreiben die Hoffnung ausgedrückt,

' Die Genfer Prediger an den Rat von Bern 4. Okt. 1554; Genfer Prediger an die von Bern 6. Okt. 1554; Haller an den Berner Rat 24. Jan. 1555; Bern an Genf 26. Jan. 1555; Calvins Klagschrift gegen Zebedaeus und Genossen; Opp. XV S. 250 ff., 256 ff., 397 ff., 400 f., 53of.; Rosei V c. 64. Trechsel I, 195. Ein Schmähgedicht Foncelets Contre la Sodome abominable findet sich ina Genfer Archiv, Pieces hist. 1503. [Vgl. Opp. XV S. 182.] Eine Zusammenstellung der von Zebedaeus und Lange gegen Calvin erhobenen Anklagen nebst beigefügten Belegstellen giebt die Responsio F. Claudii de Saintes ad apologiam Th. Bezae, Paris 1567 S. 45. [Über Foncelet vgl. Opp. XV S. 176 ff.]

* Calvin an Bullinger 18. Sept. 1554, Opp. XV S. 233. 3 Die Genfer Prediger an den Ral von Bern 4. Okt. 1554; Haller an Bullinger 13. Okt. 1554, Opp. XV S. 250 ff. 268; Trechsel I, 196.

Verhandlung in Bern. 230

auch Genf werde fortan in ähnlichem Geiste handeln und keine Schmähung der bernischen Kirche n.ehr dulden'.

So leicht liefsen indes die Kläger sich nicht abweisen. Sie glaubten ein Recht auf eine strenge Untersuchung zu haben und verlangten diese in einer neuen Eingabe in ernsten Worten. In der That wurde jetzt ihrem Wunsche nach einigem Zögern in- soweit entsprochen , dafs die Hauptangeklagten Bolsec, Zebedäus, Lange und Foncelet im Januar 1555 zur Verantwortung vor- geladen und einem Verhör unterworfen wurden. Allein der Erfolg war nicht der beabsichtigte. Die Vorgeladenen stellten teilweise die ihnen zur Last gelegten Äufserungen in Abrede, teilweise ant- worteten sie mit einer langen Reihe von Gegenbeschuldigungen, welche die Genfer als die Schuldigen hinstellten und diese für alles gegebene Ärgernis verantwortlich machten^. Die inzwischen nochmals um ihre Unterstützung von Genf her gebetene Berner Geistlichkeit berichtete , als der Rat sie zu einem Gutachten auf- forderte, zwar in einem Calvin nicht ungünstigen Sinne, that aber, vorsichtig und unentschieden, keineswegs den Wünschen desselben genug. Das Ende war, dafs der Rat über den Friedensstörer Bolsec weitere Erkundigungen einzuziehen versprach und das früher wiederholt erlassene Verbot des Schmähens , Scheltens, unnützen Disputierens über Lehren und kirchliche Ordnungen er- neuerte ; aber es wurde mit diesem Verbote zugleich ein scharfer Tadel ausgesprochen gegen die calvinische Prädestinationslehre, als eine »von den hochfliegenden, feinen Doktrinen, Meinungen und Menschensatzungen, die mehr dazu dienten. Streit, Hafs, Irr- tümer und Sittenlosigkeit zu erzeugen , als die Seelen zu erbauen und aufzurichten«, und in dem Antwortschreiben an Genf (26. Jan.) die bestimmte Erwartung ausgedrückt, auch Genf werde seinen Predigern alles Schmähen und Lästern verbieten und sie bei strenger Strafe zu Friede und Eintracht mit den Berner Amts- brüdern anhalten 3. Wie wenig es von Seiten Berns auf eine Ver-

^ Bern an Genf 17. Nov. 1554, Opp. XV S. 313. Rtichat-Viillicniin VI, 121, 122.

^ Huiideshagcn, Conflikte S. 2S4 ff. [Vgl. Opp. XV S. 319, 322, 347, 362, 363.]

3 Ruchat-Vulliemi» VI, 123. Gutachten Hallers 24. Jan. 1555. Der Rat von Bern an den Rat von Genf 26. Jan. 1555, Opp. XV S. 397 ff., 400 ff. Trcchsd I, 198.

2A.O Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

söhnung und Befriedigung der Genfer abgesehen war, zeigt nicht nur der Umstand, dafs dem Schreiben des Rates die Gegen- beschuldigungen der Angeklagten beigefügt waren , sondern mehr noch die Thatsache , dafs an demselben Tage ein Mandat erging, welches allen italienischen und französischen Refugies sowie den eigenen Unterthanen in den Grenzdistrikten bei strengen Strafen untersagte, noch ferner in Genf das Abendmahl zu empfangen: ein Mandat, dessen kränkender Inhalt noch überboten wurde durch die verletzende Art und Weise, wie dasselbe von übereifrigen Land- vögten zur öffentlichen Kenntnis und Ausführung gebracht wurde'.

Man kann sich denken , welchen Eindruck diese wiederholte Zurücksetzung und offenbare Kränkung auf Calvin machte. ^Sage mir nur nichts von der Rohheit der Sachsen«, schrieb er damals im höchsten Unmut dem Züricher Reformator ''. Die ehrwürdige Genossenschaft antwortete sofort mit einer neuen bittern Be- schwerdeschrift ; ärger als unter den Papisten , klagte dieselbe, werde Calvins Lehre im Bernerland geschmäht 3. Aber auch der Genfer Rat , in welchem die in diese Zeit fallenden Neuwahlen der calvinischen Partei vollends das Übergewicht verschafften, war über die Berner Handlungsweise aufgebracht und glaubte , sich jetzt mit Nachdruck der Ehre seines Reformators und der eigenen annehmen zu müssen. In den ersten Tagen des März begab sich eine Gesandtschaft, bestehend aus zwei Mitgliedern des Rates und zwei Geistlichen, deren einer Calvin selbst war, mit einer sehr energischen, von dem Reformator selbst diktierten Instruktion nach Bern, um nochmals strenge Untersuchung und Bestrafung der Schuldigen zu verlangen, die erhobene Gegenklage zurückzuweisen und insbesondere über die der Genfer Kirche durch das Abend- mahlsverbot angethane Schmach Beschwerde zu führen '*.

Dieses energische Auftreten machte in Bern wohl einigen Eindruck, aber die gehoffte Wirkung brachte es nicht hervor. Man räumte ein, dafs das Mandat gegen die Genfer Abendmahls-

' Vgl. Opp. XV S. 406, 434, 459, 470; Hundeshagen S. 287.

^ Calvin an Bullinger 24. Febr. 1555, Opp. XV S. 449.

3 Die Genfer Geistlichen an den Rat von Bern, 15. Febr. 1555, Opp. XV S. 430.

+ Ratsprot. 28. Febr., I. u. 5. März 1555, Ann. S. 595 ff. Instruktion der Gesandtschaft nach Bern, 5. März 1555, Opp. XV S. 478 ff. Hundes- /tagen S. 288.

Entscheidung des Berner Rats; Protest Calvins. 24 1

feier von den Landvögten mehrfach falsch aufgefafst und zu rück- sichtslos durchgeführt worden sei, und mahnte die einheimische Geistlichkeit aufs neue von allen Zänkereien ab. Die Erörterung der übrigen Streitpunkte wurde vertagt, da auch die Gegenpartei gehört werden müsse. Als endlich nach mehrwöchentlicher Ver- zögerung am 2. April die Verhandlungen in Gegenwart beider Parteien begannen und die Genfer einen neuen ausführlichen Klagebericht vorlegten', machte der Berner Rat aus seiner Ab- neigung gegen Calvin nicht im geringsten Hehl. Ohne sich auf die theologischen Gründe weiter einzulassen, erklärte er, nachdem die Streitenden sich ausgesprochen , es sei von beiden Teilen ge- fehlt worden : man möge auf beiden Seiten das Geschehene ver- gessen und vergeben und in Zukunft dergleichen Hader vermeiden I Calvin war über diese Entscheidung, die ihn, den grofsen Theologen, auf gleiche Linie mit den waadtländischen VVinkel- predigern stellte, im höchsten Grade entrüstet. Er erhob sofort Widerspruch , er verlangte den Ausspruch einer geistlichen Ver- sammlung, da es sich nicht um seine Persönlichkeit, sondern eine Glaubenslehre handle. In höchster Erregung begab er sich am andern Tage nochmals vor den Rat , um in feierlicher Weise Protest zu erheben. Aber seine Heftigkeit und Mafslosigkeit machte die Sache nur noch schlimmer. Es folgten höchst leiden- schaftliche Auftritte. Die Gegner, die sich ebenfalls wieder ein- gefunden , liefsen sich auch ihrerseits zu den heftigsten Angriffen fortreifsen; sie warfen ihm Herrschsucht und Unverträglichkeit vor, sie erinnerten an das verletzende Urteil, das er auch über Zwingli gefällt, und führten Stellen aus der christlichen Institution an, die dem klaren Wortlaut der Bibel widersprächen. Calvin behauptete, dafs an der vorzugsweise angegriffenen Stelle ein Druckfehler vor- liege. Es war eine peinliche Scene. Der Rat beharrte bei der früheren Sentenz. Man erklärte nochmals, dafs in dem Streite Calvins mit den beiden Predigern von Bursin und Nyon auf beiden Seiten gefehlt worden , verurteilte aber , um dem Refor- mator einige Genugthuung zu gewähren, die ärgsten Ruhestörer

' Die Verhandlungen im März und April 1555: Opp. XV S. 482 ff., 498, 500, 502, 514, 515 ff., 523, 525—532, 537 ff., 542 ff., 547 ff. Die Genfer Gesandten waren in der Zwischenzeit wieder in Genf gewesen : Ratsprot. 18, März 1555, Ann. S. 598.

Kampschult e, J. Calvin n. I6

24.2 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Foncelet und Pierrechon zur Abbitte, beschlofs auch, dafs der un- ruhige Bolsec binnen drei Monaten das Berner Gebiet zu verlassen habe, und empfahl der waadtländischen Geistlichkeit wiederholt Mäfsigung und Bescheidenheit. Aber diese Zugeständnisse wurden in einer Weise gemacht , dafs sie vielmehr zu Demütigungen wurden. Der Mahnung an die einheimische Geistlichkeit ging zur Seite eine Mahnung an die Genfer Prediger, auch ihrerseits sich des Friedens mehr zu befleifsigen und des unerbaulichen Bücher- schreibens über die hohen Geheimnisse Gottes sich für die Zu- kunft zu enthalten. Sollten gleichwohl noch, hiefs es, dergleichen Bücher, die mit der landesüblichen Lehre und Gebrauch in Widerspruch ständen, auf dem Berner Gebiet gefunden werden, so werde man sie verbrennen , und sollte sich noch jemand über solchen Reden betreten lassen , so werde man ihn nach Gebühr und streng bestrafen ! Umsonst erhoben die Genfer gegen diese Entscheidung lauten Protest. Man wolle sie, lautete die fast höhnische Antwort, nicht zur Annahme zwingen. In gröfster Er- bitterung kehrte die Gesandtschaft nach Genf zurück, wo sie über das vollständige Scheitern ihrer Mission Bericht erstattete^.

Eine Demütigung wie diese hatte Calvin seit dem Unglücks- jahre 1538 nicht mehr erfahren. Schlimmeres, meint ein Augen- zeuge, sei dem Genfer Reformator noch nie begegnet "". Auswärts wurde die erlittene Niederlage durch das Gerücht noch übertrieben. Calvin sei , hiefs es allgemein , in Bern öfifentHch und durch richterlichen Spruch verurteilt worden. Als überwiesener Ketzer, verkündeten waadtländische Geistliche von der Kanzel, habe er sich aus der Stadt flüchten müssen 3. Die Schmähungen auf Calvin wurden im romanischen Bernerland mafsloser als je, mufsten sie doch nach der letzten Entscheidung als vollkommen

' Urteil Berns in der Sache Zebedaeus und Konsorten 3. April; der Rat von Bern an seine Geistlichen 3. April; Calvin an den Rat von Bern, 3. April; Haller an Bullinger 15. April 1555, Opp. XV S. 542 ff., 547 ff., 550 f., 564 ff. ; Roset V c. 64. Ratsprot. 11. April 1555, Ann. S. 601.; Trechsel I, 20 1 ff. ; Hundeshagen S. 290 ff.

* Haller an Bullinger 15. April 1555, Opp. XV S. 567: tAlso stat die sack übel , und ist Calvinus je uszbuizt, so ist er hie tiszgfäget. Metuo ego peiora nunc sequutura«. [Vgl. Calvin an Bullinger, 20. April 1555, ebd. S. 572.]

3 Bonnet, Lettres frang. II, 55.

Die Freunde Calvins.

243

berechtigt erscheinen \ Alle weitem Versuche, von Bern Genug- thuung zu erlangen, blieben erfolglos. . Vergeblich liefsen Refor- mator, Syndiks und Räte von Genf neue eindringliche Schreiben, Vorstellungen und selbst noch Gesandtschaften an die »teuren Mitbürger« abgehen : das grollende Bern blieb unerbittlich. »Ich sehe,s schrieb Calvin selbst einem seiner treu gebliebenen Freunde, »die Gegner sind in einem solchen Hafs gegen mich entbrannt, dafs nur mein vollständiger Sturz sie zufrieden stellen kann. Vielleicht werde ich ihrer Wut weichen müssen''.«

Allein so sprach er doch nur in Augenblicken des gröfsten Unmuts. In Wirklichkeit hegte er jene Besorgnis damals nicht mehr, noch war dieselbe überhaupt begründet.

Denn wie viele und wie herbe Anfechtungen er auch erfuhr, wie manche sich auch von ihm abwandten, es fehlte doch auch nicht an Beweisen warmer Teilnahme und an wirksamer Unter- stützung. Treu und unwandelbar standen seine allen Freunde, die Viret, Farel, BuUinger ihm zur Seite Farel und Viret fanden sich sogar mit ihm persönlich zu seiner Verteidigung in Bern ein und zu den alten erhielt er um diese Zeit noch einen neuen Freund, der an Eifer, Entschlossenheit und Gelehrsamkeit jene noch übertraf, und eben in jenen Kämpfen Calvin die ersten wichtigen Dienste leistete. Es war sein jüngerer Landsmann Theodor Beza, seit 1549 Lehrer des Griechischen an der theolo- gischen Schule zu Lausanne, der damals durch eine energische Streitschrift gegen jenen Pseudonymen Martin Bellius sich den ersten Anspruch auf den Dank des Reformators verdiente und als ebenso strenger wie gewandter Jünger der calvinischen Richtung zu den bedeutendsten Hoffnungen für die Zukunft berechtigte 3.

Calvin an Farel 15. Mai 1555, Opp. XV S. 617: »Tota vicinia in nos acccnsa est, et nova quotidie fovunta igni augendo ingeruntur : Quasi improbi in mc laccrando partim insaniant, eorum petulantia acnitur, dum se potentibtts gratlficari videntt.

* Ratsprot. 23., 26. April, 2., 9. Mai 1555; Ann. S. 603 f. Calvin an den Rat von Bern 4. Mai; an die Geistlichen von Bern 4. Mai. Der Rat von Genf an den Rat von Bern 6. Mai; Antwort Berns 3. Juni ; Calvin an Bullinger 6. Juni 1555; Opp. XV S. 600 ff., 605 ff., 608 ff., 630 f., 640 ff. [Vgl. Böget IV S. 219 ff. ; Buisson, Castellion 11; 67 f.]

3 De haereticis a civili magisttatü püniendis adversus Martini Bellii farra- ginetn. 1554. Abgedr. in Th. Beza, Tractat, theo!. T, S. 85 fr., vgl.- Bulletin XVII, 7 ff. [Vgl. Ä«.yjö;;,: Castellion II S. 18 ff.] Ratsprot. 17. Juli 15.54. Selbst

16*

2 44 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Keiner unter den Freunden sprach ihm mit kräftigern Worten zu und beteuerte ihm herzlicher seine Liebe als der alte ehrliche Farel. »Ich miifste von Holz oder Stein sein,« schrieb er ihm in jenen Tagen , als die demütigenden Verhandlungen mit Bern ge- führt wurden, »wenn ich nicht mit der zärtUchsten Liebe an Dir hinge. Christus hat bisher über alle Hoffnung gewirkt und wird noch gröfseres wirken. Unerschrocken wollen wir stehn. Der Herr verläfst seine Sache nicht. Mächtig stand er dem Moses bei gegen die Zauberer und richtete Pharao mit seinem Heere zu Grunde. Da er nun den Diener des Gesetzes verherrlichte, kannst Du da besorgen, er werde Dir seine Hilfe gegen diese Gaukler entziehen? Der Antichrist und die Seinen müssen ganz von ihrem Throne gestürzt und vernichtet werden, und das Dir von Christus anvertraute evangelische Amt soll hell leuchten'.« Solche Worte, solche Beweise treuer Anhänglichkeit verfehlten auf Calvin ihren Eindruck nicht und stärkten in ihm die Zuversicht auf einen nicht mehr fernen vollständigen Sieg.

Wichtiger aber als der Zuspruch und die Unterstützung der Freunde in der Ferne war es, dafs um diese Zeit in Genf selbst Calvins Macht sich mehr und mehr befestigte und hier die Dinge eine Entwicklung nahmen, die die Lage der Gegner immer mehr als hoffnungslos erscheinen liefs.

IV.

ZUNAHME UND STEIGENDE BEDEUTUNG DER REFUGIES.

Während Calvin von aufsen die schwersten Kränkungen und Anfeindungen erfuhr , stieg in Genf selbst mit jedem Tage sein Ansehen und die Zahl seiner Anhänger. Die Freude, welche

der später von Calvin abfallende Balduin stand damals und in der Frage der Ketzerbestrafung noch wesentlich auf Calvins Seite. Vgl. Fr. Balduini Constantinus Magnus, sive de Constantini imperatoris legibus eccles. et civilibus. Basel 1556. Abgedr. in Jurisprudentia Romana et Attica , Lug- duni Bat. 1738 I, 574 ff. Auch der Italiener Zanchi schrieb 1554 eine Schrift für ihn De coercendis haereticis. Henry III S. 239.

Vgl. Kirchhofer, W. Farel II, 122, 123. [Opp. XV S. 522, 368, 421].

Verstärkung der calvinischen Partei durch die Refugies. 245

die perrinistische Opposition über die Berner Vorgänge an den Tag legte, rief bei der grofsen Mehrzahl der Einwohner Ver- achtung und Unwillen hervor. Es entsprach durchaus der vor- herrschenden Stimmung, wenn Syndiks und Rat die Ehre ihres Reformators gegen die Machthaber in Bern mit Energie und Nachdruck in Schutz nahmen. Seit den beiden verhängnisvollen Prozessen des Jahres 1553 hatte die antiklerikale Partei mehr und mehr an Boden verloren. Mehr als ein alter Streitgenosse Perrins wandte in der nächsten Zeit dem erbleichenden Gestirn des General- kapitäns den Rücken, um mit dem künftigen Gebieter Genfs seinen Frieden zu machen.

Doch nicht dieser Zuwachs aus dem altgenferischen Lager war es, worauf Calvins neue Machtsteilung beruhte. Seine Haupt- stütze bildete das »neue Genf« der Emigranten und religiösen Flüchtlinge, das eben um diese Zeit einen gewaltigen Aufschwung nahm und wichtigen Einflufs auf die Leitung der öffentlichen An- gelegenheiten gewann.

Trotz der Ungunst der Verhältnisse, die sie in Genf seit dem Macht- und Systemwechsel im Jahre 1548 vorfanden, hatte die Einwanderung evangelischer Flüchtlinge nie vollständig aufgehört, und auch die Abnahme derselben , die infolge der nationalen Reaktion des altgenferischen Geistes eintrat, war nicht von sehr langer Dauer gewesen. Calvins Stadt übte schon bald wieder ihre gewohnte Anziehungskraft aus. Jedes Jahr, ja fast jeder Monat führte neue Scharen glaubenseifriger Jünger des Reformators nach Genf, die sich hier häuslich niederliefsen und das fremde Element verstärkten. Sogar in protestantischen Kreisen wurde auswärts bereits der Spott laut über diese neuen calvinischen Pilgrime, die keinen für einen rechtschaffenen Christen hielten, der nicht nach Genf laufe und Calvins Predigt höre ^ Wir lesen von Männern, die Familie, Hab und Gut verliefsen, um in der Nähe des grofsen Reformators zu leben, von Frauen, die auf dem Wege nach Genf von ihren andersdenkenden Verwandten eingeholt nur auf neue Fluchtversuche sinnen. Mit sichtHcher Befriedigung meldet Calvin selbst im Sommer 155 1 dem treuen Freunde in Neuenburg den

' »C'est bien a propos , disent-ils, qu'on ne soit point Chrestien, si ort ne trotte a Geneve pour avoir les orciUes confictes de sermons et user des cere- monies qii on observe la«. Vgl. Quatre sermons de J. Calvin. Opp. VIII S. 412.

246 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

aufs neue zunehmenden Fremdenandrang: Farel werde, wenn er wieder nach Genf komme, die Einwohnerschaft infolge der neuen Ansiedelung erheblich vergröfsert finden. »Ein angenehmes Schauspiel für mich,« fügt er hinzu, »nur macht mir dieser An- drang gewaltig viel Arbeit Auch in einem Briefe an Melanch- thon aus dieser Zeit weist er, wohl auch um die schwächliche Haltung der deutschen Protestanten gegenüber den Forderungen Karls V. in ein um so grelleres Licht zu stellen, mit Wohlgefallen auf die zahlreich in Genf anwesenden Landsleute hin, die ein freiwilliges Exil vorgezogen, um sich mit dem Götzendienst nicht zu beflecken^. Doch waren die Neuankommenden nicht alle Franzosen. Immer zahlreicher wurden neben den engeren Lands- leuten Calvins seit dem Beginne der fünziger Jahre die italienischen Emigranten. Die Lemanstadt bot sich ihnen als nächste Zufluchts- stätte dar, und der »ausgezeichnete Bischof von Genf,« wie sie Calvin in ihren Zuschriften wohl nannten , der so scharf und schneidend gegen den römischen Papst zu schreiben verstand, scheint auch für sie in jener frühen Zeit einen besonderen Reiz gehabt zu haben 3. Schon im Jahre 155 1 wurde eine selbständige italienische Gemeinde mit einem eigenen Geistlichen gegründet und ihr zur Abhaltung des Gottesdienstes der Mitgebrauch der Kirche S. Madeleine von dem Magistrat eingeräumt "•. Und schon fanden sich auch aus anderen Nationen einzelne Flüchtlinge ein. Was aber dieser neuen Genfer Bevölkerung insbesondere ihre Bedeutung verlieh, war nicht sowohl ihre grofse Menge als viel- mehr der Charakter und der gesellschafthche Rang der meisten Emigranten. Es waren durchgehends Männer aus den gebildeten und höheren Ständen, da nur diese die Mittel zur Auswanderung besafsen und der Reformator selbst vorzugsweise solche an sich zog. Gerade für jene Jahre weisen die uns erhaltenen Nachrichten über die Neuaufgenommenen eine verhältnismäfsig grofse Anzahl von hervorragenden und bedeutenden Namen auf. Wir finden unter

' Calvin an Farel 15. Juni 1551, Opp. XIV -S. 134. [Vgl. Raget III

S. 218 ff.]

* Calvin an Melanchthon, c. Sommer 1550, Opp. XIII S. 596.

3 Socinus an Calvin i. Febr. 1550, Opp. XIII S. 518.

+ Ratsprot. 26. Nov. 1551. Roset V c. 39. Ein Verzeichnis der Mit- glieder der ital. Gemeinde seit 1550 giebt Gaberei I, Pikees justif. S. 206 ff. [Roget III S. 220.]

Vornehme Abkunft der Refugies. 247

ihnen gebildete Edelleute, wie die Herrn von Candolle und Trembley, namhafte Gelehrte wie die Budds und Colladons, einen Robert Stephanus , hochgestellte Beamte wie den königlichen Lieutenant und Maire von Noyon Laurent de Normendie, der sich bereits 1549 in Genf niederliefs und von Calvin durch die Widmung der Schrift »über die Ärgernisse« ausgezeichnet worden ist, Männer , die den höchsten Kreisen der Gesellschaft an- gehörten \ Wohl der bedeutendste unter ihnen war jener neapoli- tanische Marquis de Vico, Galeazzo Caracciolo, Spröfsling einer altangesehenen italienischen Familie und durch seine Mutter ein Grofsneffe des nachmaligen Papstes Paul IV., der aller Bitten und Gegenvorstellungen der Seinigen ungeachtet im Jahre 1551 mit Zurücklassung von Weib und Kind sich nach Genf begab, um sich an Calvins Seite niederzulassen, dessen vertrautester Freund und Helfer er seitdem war ^. Calvin fand in ihm gleichsam einen Ersatz für den Herrn von Falais, der eben um diese Zeit das in ihn gesetzte Vertrauen so vollständig täuschte. Ihm, dem durch Tugenden und Geburt gleich erlauchten Manne widmete er auch einige Jahre später die zweite Auflage seines Kommentars zum ersten Korintherbriefe, dessen erste Auflage den Namen jenes ab- gefallenen Freundes an der Spitze trug 3. Es gab vielleicht in der protestantischen Welt keine zweite Gemeinde, die so viele adelige, vornehme, aristokratische Namen aufzuweisen hatte , wie Calvins Flüchtlingsgemeinde in Genf-*.

Dieser äufsere Glanz , welchen die Emigration um sich ver- breitete , und der mehr als gewöhnliche Wohlstand der meisten Neuangesiedelten machte doch auch auf die alte Bürgerschaft allmählich Eindruck und stimmte manche zu einem günstigem

Mem. et doc. XVI, 399 ff., Opp. VIII, 5 ff. Vgl. Ga/tfe Not. geneal. II, 407, 286, 566, III, 83, 198 ff. Einmal kommen an einem Tag 8 franz. Edelleute um die Erlaubnis ein, in Genf wohnen zu dürfen. Ratsprot. 3. Mai 1549, Ann. S. 451.

^ Ratsprot. 15. Juni 1551, Ann. S. 483 [Ausführlicher bei /?oge( III S. 220.] J^ose^ V c. 35. Man nannte ihn gewöhnlich einfach Monsieur le Marquis; vgl. Opp. VIII S. 185; Bulletin XVIII, 173 ff.

3 Das Widmungsschreiben vom 24. Jan. 1556, Opp. XVI S. 11 ff.

+ Ihre Wohnung nahmen die Herren gern in der Nähe der Wohnung Calvins in der Rue des Chanoines. Da wohnten z. B. die Brüder Bude, Charles de Jonvillers, Guil. de Trie, der S'. de S. Laurent; auch Caracciolo wohnte in dieser Gegend. Mem. et doc. XVI, 406.

248 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner,

Urteil über die anfangs bekämpfte Einwanderung. Die Stadt empfing durch die Menge vornehmer Refugids einen erhöhten Glanz , das öffenthche Leben eine gewisse Mannigfaltigkeit, die man lange nicht mehr in Genf gekannt hatte. Die Fremden brachten Geld, Verdienst, gesteigerten Verkehr; man konnte die Wohnungen, die Jahrelang leer gestanden, gegen guten Zins an sie vermieten \ Mehr als ein alter Genfer liefs in Anbetracht dieser äufseren Vorteile seinen patriotischen Groll fahren und fing an, sich mit Calvins »Franzosen« auszusöhnen. Dies war nament- lich auch bei nicht wenigen Mitgliedern des Rates der Fall. Die Stadt hatte sich von den Schlägen , welche der Unabhängigkeits- kampf und die Religionswirren dem öffentlichen Wohlstande ge- schlagen, noch immer nicht erholt. Basel machte aus jener Zeit her noch eine bedeutende Schuldforderung geltend, die neuen Festungswerke, welche Genf bei den fortwährend drohenden äufsern Angriffen doch nicht entbehren konnte, waren noch nicht vollendet, die öffentUche Kasse in der Regel leer. Da kamen die reichen , vornehmen Emigrantenfamilien eben recht. Sie halfen dem heruntergekommenen öffentlichen Wohlstande wieder auf. Die nicht unbeträchtliche Summe, um die manche von ihnen im Jahre 1553 nicht weniger als 26 das städtische Bürgerrecht erkauften, bildete eine der wesentlichen Einnahmen des städtischen Ärars. »Lafst sie herein,« ertönte es einmal aus der Menge, als wieder ein neuer Fremdenzug ankam, »da kommt Geld und Bau- material für unsre Festungswerke^.«

Die echten altgenferischen Kreise, in denen die Perrin, Vandel und Berthelier den Ton angaben , liefsen sich freilich dadurch nicht bestechen. Mit wachsendem Ingrimme sahen sie die Zahl der verhafsten Fremdlinge sich mehren, und aus den grimmigen Blicken, die ihnen oft schon beim Eintritt in die Stadt begegneten, konnten die Neuankommenden abnehmen , dafs es ihnen auch in der neuen Heimat nicht an Gegnern fehlen werde. Das Lob, welches Calvin fortwährend seinen SchützHngen spendete, machte sie jenen nur noch verhafster. Die übertriebene Art, wie sie ihre Verehrung für den Reformator an den Tag legten , ihre gesuchte

' Vgl. A. Froment, Deux Epistres preparatives. Gen^ve 1554. Anc. et nouv. pol. S. 73.

^ Gaberei I, 426.

Hafs der Altgenfer gegen die Refugies. 249

äufsere Frömmigkeit, das Herumgehen mit der Bibel unter dem Arm und der sittenrichterliche fromme Ton , den sie im Verkehr mit den Einheimischen anzuschlagen liebten, war dem Genfer vom alten Schlage widerwärtig und er verbarg auch seinerseits seine Gefühle nicht, wie die Rats- und Consistorialprotokolle bezeugen \ Die alten Vexationen und Chikanen im alltäglichen Leben dauerten fort und selbst an Mifshandlungen fehlte es nicht. Man sprach in verächtlichem Tone von Calvins Pensionären und unterwürfigen Dienern, die ihrem Meister einen Eid ablegen müfsten, von den frommen Brüdern und heiHgen Märtyrern, die, um des Evangeliums willen dem Feuer entlaufen, nun in Genf dem armen Bürger das Leben verteuerten und ehrHche Menschen denunzierten^. Die Hauptsache aber war , dafs sie in den Fremdlingen eine fort- währende Gefahr für ihre Stadt erbhckten und geradezu den Ver- rat Genfs an Frankreich durch »diese französische Cavallerie« fürchteten. Mit jedem neuen Zuzug sahen sie die Gefahr sich vergröfsern. Von Bern , das den Einwanderern ebenfalls nicht hold war , empfing man wiederholt und neuerdings wieder im Sommer 1554 Nachrichten über französische Anschläge gegen Genf und über geheime Verbindungen der neuen Einwohner mit den Feinden der Städte »Armes Genf,« rief eines Tages der jüngere Bertheher aus, »wie Dich verteidigen, wenn es dem fran- zösischen Könige gefällt, sich dieser Garnison seiner Unterthanen gegen uns zu bedienen. Es wird am Ende nichts übrig bleiben, als ihn selbst zum Bürger zu machen und unsern heimischen Herd diesen Eindringhngen zu überlassen*.«

Indes verlor diese Partei der unversöhnlichen Patrioten in der öff"entHchen Meinung mehr und mehr an Boden. Der natür- liche Gang der Dinge, wie er in Genf selbst schon vor zwölf

' Ratsprot. 31. Okt. 1552. Consistorialprot. 24. März, 29. Okt. 1551 ; 12. Mai 1552; 24. Jan., 26. April, 7., 22. Juni, 12., 19. Juli, 22. Nov. 1554. jRosei V c. 58; Gaberei I, 427.

^ Den Klagen über das Denunziationswesen der Refugies begegnen wir schon früh. 0 Apres qu'ils ont mange Icur Dieu, ils nous viennait ici coiitroler« klagt Bandi^re 1550; Not. geneal. III, 527. In dem Bolsecschen Prozefs be- standen Calvins Zeugen überwiegend aus Refugies, »Monsieur le marquis« an der .Spitze. Opp. VIII, 185.

3 Ratsprot. 24., 26. Juli 1554. Rosei V c. 57, 58.

Nach Armorial historique Genevois par Galiffc et Mandrot I S. 27. Not. geneal. III, 546 f.

250 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Jahren vorhergesehen worden, war gegen sie : die extremen Mittel, die sie anwandten, waren nicht die rechten, sie schadeten nur der eigenen Partei und verschafften dem Gegner Sympathie, wo er sie früher nicht besafs. Calvin, der seine ganze Hoffnung für die Zu- kunft auf seine fremden Schützlinge setzte und, wie er selbst sagt, ihre Leiden sich mehr zu Herzen nahm als die eigenen \ unter- liefs nichts, ihr Los zu verbessern und durch Wort und Schrift in immer weiteren Kreisen die gegen sie noch vorhandenen Vorurteile zu zerstören. Eine Sammlung von Predigten, die er im Jahre 1552 veröffenthchte , hatte recht eigentlich diesen Zweck '^. Indem er nochmals nachdrücklich die den evangelischen Gläubigen in papistischen Ländern in vielen Fällen durch das EvangeHum vor- geschriebene Pflicht der Auswanderung betont und das Glück derer preist, die in ihrer Heimat Gott frei verehren dürfen, legt er es seinen Mitbürgern nahe, die armen, geflüchteten Glaubensgenossen mit christlicher Liebe und wohlwollend aufzunehmen. Deutlicher noch drückt er sich darüber aus in jenem Widmungsschreiben, womit er zu Anfang des Jahres 1553 dem Genfer Magistrat semen Kommentar zum Johannesevangelium überreichte '. »Euch hat der Herr,« ruft er Syndiks und Ratsherrn zu, »in diesen stürmischen und schweren Zeiten als diejenigen hingestellt, in deren Schutz und Schirm sich alle die Schuldlosen und Frommen begeben sollen, welche die grausame und gottlose Tyrannei des Antichrists aus ihren heimatlichen Sitzen vertrieben hat. Bei Euch hat der Herr seinem Namen ein Haus geweiht, auf dafs er in demselben rein verehrt werde.« Es sei Genfs heiHgste und vornehmste Pflicht, diesen doppelten Vorzug und Ruhm zu bewahren. Möge auch die Schar der Gottlosen über diese den zerstreuten Gliedern Christi erwiesenen Liebesdienste ihr höllisches Geschrei erheben, die Engel im Himmel und alle Frommen dieser Erde würden mit Segens- sprüchen antworten. Gottes Hilfe und Beistand würde der Stadt nicht fehlen, wenn sie treu ihre Aufgabe erfülle.

Solche Vorstellungen bheben nicht ohne Eindruck. Das materielle Interesse kam dem religiösen Motive zu Hilfe. Es

Calvin an Sulzer 7. Aug. 1554, Opp. XV S. 209. [Vgl. o. S. 183, 228.]

^ Quatre sermons de j\I. J. Calvin traictans des matieres fort utiles pour nostre temps. Opp. VIII S. 369 ff.

3 Ratsprot. 5. Jan, 1553, Ann. S. 532, Opp. XLVII S. IV f.

Festere Stellung und steigende Zahl der Refugies. 251

schmeichelte überdies der Eitelkeit des Magistrates, zu einer so hervorragenden Rolle berufen zu sein. Dazu kam. dafs die be- deutenden Erfolge, welche Calvin im Laufe des Jahres 1553 über seine einheimischen Widersacher erfocht, auch seinen Schützlingen zu gute kamen : hatten sie doch auch redHch zum Siege beigetragen. So besserte sich ihre Lage mehr und mehr und in gleichem Grade wuchs ihre Zahl. Calvin fuhr fort, auswärtige Freunde und Gesinnungsgenossen zur Übersiedelung zu ermahnen ^ mochten auch seine Gegner darüber spotten und ihm vorwerfen, dafs er die ganze Welt nach Genf zu ziehen suche-. Bereits bildeten die Refugies um diese Zeit einen bedeutenden Bruchteil der Bevölkerung. Nach einem Verzeichnis, das nicht einmal auf Vollständigkeit An- spruch machen darf, wurde blofs während der Jahre 1549 1554 an nicht weniger als 1376 Fremde das Aufenthaltsrecht verliehen eine Zahl, welche die Anzahl der gewöhnlich in einem Generalrat anwesenden Bürger um das Vierfache überstieg ^ ungerechnet die zahlreichen, alltäglich ankommenden Pilger und Durchreisenden, die nur kurze Zeit in der Stadt sich aufhielten "*. Die neu- gewählten Syndiks des Jahres 1554, »auserlesene und heiligmäfsige Männer 5,« wie ein Geistlicher sie nennt, standen ganz auf Calvins Seite : von ihnen hatten die neuen Einwohner nichts zu befürchten. Als der Generalkapitän auf Grund der von Bern eingelaufenen, besorgniserregenden Nachrichten eine Verschärfung der das Jahr zuvor gegen die Fremden getroffenen Mafsregeln beantragte und verlangte, dafs ihnen auch der Degen genommen werde, traf der Rat zwar alle nötigen Vorkehrungen , um einer etwaigen Gefahr

' Vgl. z. B. die eindringliche Einladung an einen Ungenannten 25. Juli 1553, Opp. XIV S. 579.

^ Opp. XV S. 443-

^ Gaberei I. 426 ; Galiffc, Quelques pages S. 77, 78 ; Bonivard, Anc. et nouv. pol. S. 99 meint, dafs schon um die Mitte der 50er Jahre die Zahl der Fremden gröfser gewesen als die der Eingeborenen. Vgl. a. ä. O. S. 86.

+ aliiterea«, schreibt Calvin schon 1 551, » hospitibus ^ qui multi quotidie hac transennt vel qui ad nos habitandi causa äemigrant, me itnpendo«. Opp. XIV S. 134-

5 aVii'i lectissimi et sa)ictissinü«. Sulzer an Blaurer 9. März I554! Opp. XV S. 75. Dafs sie das Lob verdienten, zeigt schon die Thatsache, dafs sie eine ihnen zugegangene anonyme Flugschrift gegen Calvin sofort diesem selbst übergaben. Calvin an Sulzer 7. Aug. 1554, Opp. XV S. 209.

252 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

ZU begegnen, ging aber auf den gestellten Antrag nicht ein \ Man hielt die Gefahr für übertrieben. Die Zeit war vorüber, wo eine einfache Anzeige Berns genügte , Syndiks und Rat gegen die »Franzosen« in Bewegung zu setzen. Das Osterfest von 1554 war •durch die grofse Masse der Fremden das glänzendste , das in Genf noch gefeiert worden. »Unsere Lage ist ziemHch ruhig,« schrieb Calvin in jenen Tagen seinem Freunde Bullinger, »der Herr hat endlich gnädig herabgesehen auf seine Herde , die er sich hier aus verschiedenen Gegenden gesammelt hat''.«

Schon sah Froment, der alte Molardprediger, der damals mit der Aufzeichnung seiner Erlebnisse beschäftigt war, in Genf ein neues Jerusalem entstehen, wohin »aus allen Nationen der Christenheit« die wahren Gläubigen zusammenströmten, um Gott im Geist und in der Wahrheit anzubeten. In einer höchst merk- würdigen Ansprache an das »ganze Volk von Genf,« die er im Herbst 1554 veröffentlichte, lieh er dieser Stimmung einen be- redten Ausdruck und suchte zugleich die Vorurteile , die den Fremden noch bei einem Teile der Bürgerschaft entgegenstanden, zu beseitigen 3. Mit warmen Worten schildert er die Vorteile, die Genf seinen neuen Einwohnern verdanke, wie sie Wohlstand und Verdienst , RechtschafFenheit und Gewerbthätigkeit in die Stadt gebracht hätten, in der früher Pfafifen und Mönche ein träges und ausgelassenes Leben geführt hätten, wie selbst die alte Plage Genfs, die Pest, aufgehört habe , seitdem man den verfolgten Gläubigen eine Zufluchtsstätte gewährt. Aber nicht blofs der äufsere Vorteil, mehr noch als dieser fordere eine religiöse Pflicht , die Pflicht des Dankes für die von Gott empfangene höhere Gnade Genf auf, die um des Evangeliums willen Geflüchteten liebevoll auf- zunehmen, die »wie verirrte Schäflein« zur Herde kämen! Denn

' Ratsprot, 24., 26. Juli 1554. Roset ^ V c. 57 (freilich mit Über- treibungen).

^ Calvin an Bullinger 28. März 1554, Opp. XV 8. 94.

3 Deux Epistres preparalives aux histoires et Actes de Gen^ve , com- posees par A. Froment. A Gen^ve 1554. Das erste Schreiben ist an den Rat, das zweite wichtigere, welches die oben angeführten Gedanken entwickelt, •»au tout le peuple de Genfeve tant Citoyens Bourgeois qu'habitans« gerichtet. Der Druck des gröfseren Werks, auf welches die Epistres vorbereiten sollten, wurde übrigens durch den Rat untersagt; vgl. Ratsprot. 17. Dez. 1554. Aus der wohlwollenden Art , wie Perrin und Vandel erwähnt werden, ersieht man, dafs er auch noch diese für den neuen Zustand zu gewinnen hoffte.

Eintreten Fronients für die Refugies. 253

Genfs Bekehrung sei allein Gottes That. Ohne eigenes Verdienst, ja gegen den offenbaren Willen der Mehrzahl seiner Bürger habe Gott Genf zu einem Sitze der reinen evangelischen Lehre ge- macht und noch jetzt, wo der Glaube Christi rings umher verfolgt werde, dürfe er hier frei und offen bekannt werden. Man müsse mit Blindheit geschlagen sein, um die Absicht der göttlichen Vor- sehung hier zu verkennen : Genf sei unter allen Städten von dem Herrn zu seinem besonderen Eigentum erkoren, es solle in dieser Zeit der Drangsal eine Zufluchtsstätte sein für alle Bedrängten und um ihres Glaubens willen verfolgte Christen, der Hort des wahren Glaubens, das Jerusalem des neuen Bundes, ein neues Sion. Selbst in der Lage Genfs , />in der Mitte der Länder der Christenheit, in der Nähe eines Berges, den man Sion nenne,« findet der Ver- fasser die providentielle Bestimmung Genfs angedeutet.

Es war das erste Mal und ein bedeutsames Zeichen, dafs solche Worte aus einem andern Munde als dem Calvins kamen. Zwar hatte Froments Stimme nicht mehr das Gewicht wie ehe- dem ; durch ein unstätes und wenig erbauliches Leben war er tief von seiner ehemaligen Höhe herabgesunken, aber es mufste doch immer einen mächtigen Eindruck machen, dafs der Mann, welcher vor 22 Jahren zuerst öffentlich in Genf das reine Evangelium ge- predigt, nun so entschieden und mit einer wirklichen Begeistenmg, wie man sie seit jenen Tagen bei ihm nicht mehr gefunden, sich zum Verteidiger der »Fremden« aufwarf.

So erschienen die eingewanderten Neugenfer schon nicht mehr als die armen geduldeten Flüchtlinge, sondern als vollberechtigte, von Gott selbst hergesandte Einwohner der Stadt , die vor allem die Pflicht hatte, ihnen eine wohnliche Stätte zu bereiten. Ihre äufsere Haltung liefs die Wirkung solcher Kundgebungen bald erkennen.

In demselben Grade aber, in welchem die Refugids an Zahl, Geltung und Ansehen stiegen, wuchs die Macht ihres Schutzherrn und Oberhauptes. Gestützt auf das tagtäglich wachsende, ihm treu ergebene neue Genf der Emigranten konnte Calvin dem noch widerstrebenden Teile des alten kühn die Stirn bieten und seinem Willen Geltung verschaffen. Schon jene energische Haltung Genfs gegen Bern in den waadtländischen Streitigkeiten war zum guten Teil dem steigenden Einflufs der Emigrantenkreise zuzuschreiben» Unmöglich konnte der Magistrat sich auf die Dauer dem Einflufs

2c,A Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

von Männern entziehen, die ihm an Bildung wie an äufserem Rang weit überlegen waren, und der Gegensatz, in dem er seit dem Anfang 1554 gegen die streng altgenferische Partei stand, brachte ihn von selbst dahin , in den neuen Genfern eine Stütze zu suchen. So wurde Calvin mehr und mehr Herr der Lage. Von Calvin selbst wurden die Instruktionen und Beschwerden ab- gefafst, die nach Bern gingen. Mochten auch die Freunde des Generalkapitäns mit den Zähnen knirschen und von Zeit zu Zeit in tumultuarischen Auftritten noch ihrem Unwillen Luft machen ' , den Gang der Ereignisse schienen sie nicht mehr auf- halten zu können. Das Consistorium schritt gegen Unordnungen mit zunehmender Strenge ein und wenn die Autorität der Ältesten nicht ausreichte, kam in den meisten Fällen der weltliche Arm des Magistrats zu Hilfe. Es begann sich ein engeres und freund- schaftliches Verhältnis zwischen Rat und Consistorium zu bilden.

Wie sehr Calvins Macht bereits zu Anfang des Jahres 1555 gestiegen war, zeigt mehr als alles andere der Umstand , dafs es ihm damals gelang, die förmliche Anerkennung eines Rechtes durchzusetzen, um das er so manches Jahr vergeblich gestritten : die Anerkennung des geistlichen Exkommunikationsrechts.

Durch die das Jahr zuvor darüber gefafsten Beschlüsse war der Streit mehr beigelegt als entschieden worden. Berthelier hatte sich bei den Anordnungen des Kleinen und Grofsen Rates nicht beruhigt, sondern seine Opposition fortgesetzt. Er weigerte sich nach wie vor, dem Consistorium Gehorsam zu leisten, und fuhr fort, das höhere Recht des Rates zu behaupten. Als der Rat in- folge davon auf Bericht des Consistoriums zu wiederholten Malen sogar mit Gefängnisstrafen gegen ihn einschritt und ihn zuletzt in Gegenwart der gleichfalls vorgeladenen Ältesten feierlich zur Rede stellte, warf der halsstarrige Mann den Herren der Stadt offen Vernachlässigung ihrer eigenen Rechte vor: unter dem Vorwande der Exkommunikation suche das Consistorium nur seine Gegner aus dem Wege zu räumen und die Herrschaft an sich zu reifsen; der Rat möge auf seiner Hut sein und sich das Schwert, das ihm gebühre, nicht aus den Händen winden lassen ^. Calvin fand die

' Ratsprot. 10. Jan. 1555. /^osei V c. 58, 60. Vgl. Henry III, 370. \Rogct IV S. 194.] . "

* Ratsprot; 30. April, 6. Juli, 6., 13. Sept. 1554. Consistorialpfot. 22. Febr., 9, Aug. 1554. Raset V c. 58. \y^. Raget IV S. 162 ff.].

Entscheidung in der Frage des Exkommunikalionsrechtes. 255

Fortdauer eines solchen Zustandes unerträglich; er war es müde, sein gutes Recht , das auch von zwei der um ihre Ansicht be- fragten Kirchen gebilligt worden war, noch länger in Frage gestellt zu sehen, und drang darauf, dafs nunmehr eine klare und bündige Entscheidung getroffen werde. So wurde endlich im Oktober 1554 eine Kommission niedergesetzt, um die Frage nochmals ernstlich zu prüfen und endhch zum Austrage zu bringen'.

Längere Zeit kamen die gewählten Vertrauensmänner mit ihren Beratungen nicht recht von der Stelle. Es zeigte sich, dafs selbst in calvinischen Kreisen noch Bedenken gegen das un- bedingte Exkommunikationsrecht des Consistoriums herrschten. Zwei Ansichten, erzählt der Chronist, standen einander gegenüber. Die Einen meinten, es sei doch bedenklich, dafs es in der Republik einen Gerichtshof gebe , dessen Beschlüsse der Rat nicht prüfen dürfe; es sei nötig, dafs der Staat überall die höchste Gewalt und Aufsicht behalte, um die so teuer erkaufte Freiheit bewahren zu können. Sie erinnerten an das Beispiel des Papsttums, welches unter dem Vorwande der geistlichen Gerichtsbarkeit alle Freiheit unterdrückt habe. Die Andern dagegen wiesen auf den Befehl des Heilandes hin, der den Aposteln die Gewalt gegeben habe, zu binden und zu lösen , das Wort Gottes und die Sakramente zu verwalten. Die bürgerliche Obrigkeit dürfe so wenig in dieses Gebiet eingreifen, wie die Diener der Kirche in die weltliche Ver- waltung und Gerichtsbarkeit. Wie die GeistUchkeit selbst der bürgerlichen Gewalt unterworfen sei, so hätten auch die Grofsen der Welt unter das Wort und die Herrschaft Jesu Christi sich zu beugen. Der Unterschied der beiden Ämter sei von jeher in der Kirche festgehalten worden ; so habe im alten Bunde Aaron ge- opfert, nicht David, und diejenigen , welche diese Ordnung umzu- stofsen gesucht hätten, seien mit schweren Strafen von dem Herrn gezüchtigt worden. Gegen Mifsbrauch sei man durch die städtische Gesetzgebung hinlänglich geschützt : jede Freiheit aufserhalb Christus sei nur Sklaverei^.

' »Qmt/n iiobis molcsttim esset«, sagt er selbst, nassidue fltictuari, (andern ausi suinus eos lacessere , ut certi aliquid deccrnerentt. Calvin an Bullinger 15. Juni 1555, Opp. XV S. 678. Ratsprot. 25. Okt. 1554, Ann. S. 588. IRogtt IV S. 186 ff.]

'^- Rosci \ c. 61. Dafs übrigens bei diesen Ausführungen, die offenbar von Calvin selbst herrühren, der Gedanke der Trennung und Selbständigkeit

256 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Den Sieg trug letztere Ansicht davon. Nachdem beide Meinungen noch einmal öffentlich gehört worden , entschieden Kleiner und Grofser Rat im Januar 1555 mit Stimmenmehrheit, dafs die Ordonnanzen, wie sie bisher gehandhabt worden, ihre Giltigkeit behalten und alle Angriffe auf dieselben in Zukunft auf- hören sollten \ Ein bedeutender Erfolg lag in dieser Entscheidung. »Endlich,« schrieb der Sieger frohlockend nach Zürich, »nach langen Kämpfen ist uns das Exkommunikationsrecht bestätigt worden^.« Er hatte endlich das Ziel erreicht, auf das er so lange losgesteuert, in dem allein er eine sichere Bürgschaft erblickte füi die vollständige Durchführung und den Bestand der von ihm in Genf hergestellten neuen Ordnung. Die Autorität seines Lieblings- instituts war fest gegründet.

Und einen noch glänzenderen Triumph feierte Calvin einige Tage später bei den allgemeinen Wahlen. Vier entschiedene Calvinisten wurden zu Syndiks gewählt: Jean Lambert, einer der Vertrauten des Reformators und als eifriger Beschützer der Refugids längst bekannt, erhielt den Vorsitz 3. In gleichem Sinne wurde dann auch der Rat umgebildet: gerade das von Berthelier vor zwei Jahren vorgeschlagene Gesetz über das Ausscheiden eines Teiles seiner Mitglieder kam jetzt der calvinischen Partei trefflich zu statten. Sogar auch auf den Grofsen Rat wurde dieses Läuterungsverfahren ausgedehnt. Mehr als dreifsig Mitglieder, die zu Perrins Partei zählten, wurden ausgestofsen und durch Anhänger

beider Gewalten scharf betont wird, die weder in dem thatsächlichen Zustande, noch auch in dem eigentlichen System Calvins, nach dem vielmehr der Staat ganz die Ideen der Kirche in sich aufnehmen soll, eine Rechtfertigung fand, wird durch den hier zu erreichenden praktischen Zweck erklärlich.

' Ratsprot. 22., 24. Jan. 1555, Ann. S. 593. Roset V c. 61 Opp. XV S. 678: »Suffragiis fuimus superiores«. \^Roget IV S. 1S7 ff.]

* »Tandem post longa ceriatnina ius excommunicationis nobis coußrmaiufm. Calvin an Bullinger 24. Febr. 1555, OpP- -^^ S- 449-

3 Ratsprot. 3. Febr. 1555. Die Neugewählten waren J. Lambert, H. Aubert, P. Bonna, P. J. Jesse. »Syndici ex voto nostro« nennt sie Calvin in dem Schreiben an Bullinger vom 24. Febr. 1555, Opp. XV S. 449. Wenn er in einem andern Schreiben (ebd. S. 678) das Resultat auf eine inopinata conversio zurückführt , so scheint doch, dafs die Bemühungen seiner Partei darauf nicht ohne Einflufs gewesen sind und dafs die Wahl nicht ganz in den gehörigen Formen vor sich ging. Vgl. Quelques pages S. 103. Über die un- günstigen Gerüchte , die über die Motive Lamberts in Umlauf waren , vgl» Bolsec S. 90. Not. geneal. III, 546.

}Ierrschaft der calvinischen Partei.

257

der Gegenpartei, > rechtschaffene und gottesfürchtige Männer«, er- setzt. Man habe, erzählt der calvinische Chronist, vornehmlich junge Männer gewählt, die aber den Mangel des Alters durch Reife des Verstandes ersetzt hätten, nämlich solche, die nicht mehr in der gottlosen alten Zeit geboren und erzogen seien, sondern kurz vor der Ankunft des Evangeliums das Licht der Welt erblickt und von Jugend auf eine gute Bildung empfangen hätten'. Calvin und seine Freunde hatten sich längst überzeugt, dafs die »Altena, deren Jugendzeit dem Kampfe für Genfs Un- abhängigkeit angehörte , nie eine sichere Stütze für das neue cal- vinische Staatswesen abgeben würden. Die Niederlage der alt- genferisch-perrinistischen Partei war so vollständig, dafs der Generalkapitän es ablehnte, in den Ratsversammlungen, in denen er keinen seiner alten Freunde mehr fand, noch fernerhin zu er- scheinen. Die Summe der Gewalt lag seitdem in Calvins Händen^. Die Folgen dieses Wechsels machten sich schon in der nächsten Zeit fühlbar. Die neuen Machthaber entfalteten einen ungewöhnlichen Eifer und machten emen rücksichtslosen Gebrauch von der Macht, die sie in Händen hatten. Unzuverlässige Unter- beamte wurden aus ihren Stellen entfernt , gegen die Aus- schweifungen und Widersetzlichkeiten der Gesinnungsgenossen Bertheliers, die der neuen Ordnung trotzen zu können meinten, mit unerbittlicher Strenge, mit Gefängnis und öffentlicher Kirchen- bufse eingeschritten, dagegen die Emigranten mit noch gröfserem Nachdruck in Schutz genommen , Beleidigungen derselben sogar mit der Exkommunikation gestraft und selbst Handlungen, für die durch die vorigjährige Am.nestie Vergessenheit angekündigt worden, jetzt vielfach hervorgesucht und geahndet 3. Es war bald offenbar, dafs die Partei mit allen Mitteln darauf hinarbeitete, dieses Mal ihre Herrschaft dauernd und fest zu begründen.

' Bonivard, Anc. et nouv. pol. S. 97, 9S. Es geschah also nicht mit Recht, wenn Calvin in dem erwähnten Schreiben an Bullinger (Opp. XV S. 678) dem früheren Rat vorwirft , er habe aus clamosl iuveiies bestanden. Er selbst zog im allgemeinen ältere Männer vor, »gtii experieniia et gravitafe plus valeiii«, hielt aber auch unter Umständen die Wahl von jüngeren für ge- rechtfertigt. Vgl. Conciones in librum Jobi Opp. XXXV S. 20 f.

* Bonivard, Anc. et nouv. pol. S. 9S. Bolsec S. 90, 91.

3 Ratsprot. 12., 14., 18., 19. Febr., 3., 6. Mai 1555. Consistorialprot. 21. März, II. April 1555. Koset V c. 66. Quelques page-; S. IC4. Ka mpschul t e, J. Calvin II. \n

2c8 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Um dieses Ziel aber ztt erreichen , mufste sie noch weiter gehen; und sie entschlofs sich dazu. Die Zeit schien gekommen, auch das Gröfste zu wagen.

V.

VERNICHTUNG DER OPPOSITIONSPARTEI.

Es lag in der Natur der Sache selbst, dafs die siegreiche Partei sich bei den letzten Erfolgen nicht beruhigen konnte.

Befanden sich Calvin und seine Freunde nach den letzten Erfolgen auch vollständig im Besitze der öffentlichen Gewalt , so fehlte es doch an jeder Bürgschaft dafür , dafs ihnen dieselbe für die Zukunft verbleiben würde. Schon die nächsten öffentlichen Wahlen konnten die Majorität in eine Minorität umwandeln und die gestürzten Gegner in die Ratskollegien zurückführen , wie die jetzt herrschende Partei dies bereits im Laufe der vierziger Jahre erfahren. Der Sinn der alten Genfer war leicht und wandelbar. Zwar im Augenblicke hatten sie in der Mehrzahl für Calvin Partei ergriffen, aber niemand wufste besser als dieser selbst, wie wenig er auf ihre dauernde Zuneigung rechnen durfte. »Sie sind mir und ich bin ihnen unerträglich,« hatte er 1540 einem Freunde geschrieben, der ihn dringend zur Rückkehr nach Genf ermahnte^ ; die Erfahrungen der seitdem verflossenen 15 Jahre hatte ihn in dieser Überzeugung noch befestigt. In dem »alten Genf« fand das calvinische System niemals eine feste zuverlässige Stütze ^.

Eine solche konnte nur das »neue Genf«, die französische Emigration bieten, und die Machthaber entschlossen sich, um ihrem Siege Dauer und Bestand für die Zukunft zu geben , den Schwerpunkt des öffentlichen Lebens nunmehr dauernd in diese zu verlegen.

Schon bildeten die »Fremden« um diese Zeit beinahe die Hälfte der Bevölkerung von Genf, aber in der Bürgerschaft waren sie

Calvin an Farel 21. Okt. 1540, Opp. XI S. 91.

* Es ist bezeichnend , dafs die aufrichtigen Anhänger, die Calvin in der Bürgerschaft besafs, durchweg in der Zeit der Freiheitskämpfe gar nicht hervor- jjetreten waren oder gar der mameluckischen Partei angehört hatten. Vgl. Quelque- pages S. 114.

Bürgerrechtsverleihung an Refugies. 250

bis dahin nur in verhältnismäfsig geringer Zahl vertreten. Weitaus die meisten begnügten sich, wie Calvin selbst, mit der Stellung eines einfachen Einwohners (Habitant) : sie genossen keine poli- tischen Rechte , waren von dem Generalrat und der Teilnahme an den öffentlichen Wahlen ausgeschlossen und sogar gesetzlich des Rechtes, Waffen zu tragen, beraubt, obschon die 1553 erlassene Verordnung in der letzten Zeit nicht mehr mit dem früheren Nach- druck gehandhabt wurde. Die Zeiten des vorwaltenden Einflusses Perrins waren der Aufnahme neuer Bürger nicht günstig gewesen, und ihrerseits scheinen die Emigranten selbst auf den Besitz des Genfer Bürgerrechts , dessen Erwerbung überdies mit Kosten ver- knüpft war, kein so grofses Gewicht gelegt zu haben. Nur etwa fünfhundert mögen seit dem Siege der Reformation in Genf als Bürger aufgenommen sein^, ycine im Verhältnis zur Gröfse der Stadt freilich nicht unerhebliche Anzahl , aber nicht hinreichend, um auch im Verein mit den zuverlässigen Elementen aus der alten Bürgerschaft eine feste calvinische Majorität herzustellen. Ihre Zahl mufste also vermehrt werden, und die gegenwärtigen Machthaber trugen kein Bedenken, ihre Freunde und Schützlinge von der Emigration selbst zu veranlassen, bei dem Rate um Ver- leihung des Bürgerrechtes einzukommen. Bald liefen zahlreiche Gesuche ein, und schon im Laufe des April empfing Genf einen stattlichen Zuwachs an stimmberechtigten neuen Bürgern^.

Der Plan^ war so fein angelegt und wurde so geschickt zur Ausführung gebracht , dafs selbst Perrin und Vandel ihn nicht sofort durchschauten. Sie erklärten sich mit den ersten Bürger- rechtsverleihungen einverstanden und meinten , man gewinne da- durch Geld zur Abtragung der städtischen Schuldend Erst als die Gesuche und Bewilligungen sich auffallend häuften, ging ihnen

' Quelq. pages S. 78.

* Dafs das Ganze von dem Rat selbst ausgegangen und lediglich den Zweck hatte , gegen die altgenferische Partei eine bleibende Stimmenmehrheit zu gewinnen, sagen nicht nur Calvin {»Setiatus Optimum remedmm eoruni libi- dini opponere statuit. Ex hospiübus Gallis . . . qitosdam adoptavit«. Opp. XV S. 678, 679) und Bonivard S. 98, 99, sondern auch der Rat selbst ge- steht es zu im offiziellen Bericht an Zürich und Basel. Vgl. Gaberei I Piöces just. S. 136.

3 Ratsprot. 2. Mai 1555. Man wollte das Geld zusammenlegen »pour se debasler^a d. h. um die Baseler Schulden abzutragen. Anc. et nouv. pol.

s. 99.

200 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

ein Licht auf. Sie erkannten , sagt der Chronist , dafs es auf die feste Begründung des Reiches Gottes und die Vernichtung des ihrigen abgesehen war, und suchten nun den Plan des Rates zu durchkreuzen, indem sie den Antrag stellten, die neuen Bürger von dem Rechte, Waffen zu tragen, auszuschliefsen und sie erst nach zehn Jahren zur Teilnahme am Generalrat zuzulassen^. Doch umsonst : in gewandter Rede nahm der erste Syndik, Lambert , das Recht der neuen Bürger in Schutz und wies mit scharfen , nicht ganz grundlosen Bemerkungen über die eigene Vergangenheit der Bittsteller auch des Hochverratsprozesses von 1547 wurde wieder gedacht den Antrag zurück^. Die Ge- suche um Aufnahme in das Bürgerrecht dauerten fort und wurden fast ausnahmslos einige sogar unentgeltlich bewilligt. Fast jede Ratssitzung vermehrte das Verzeichnis der Bürger um einige neue Namen -\ Innerhalb weniger Wochen erhielt Genf mehr als fünfzig neue stimmberechtigte Bürger, alle ohne Ausnahme von französischer Abkunft und feurige Anhänger des Reformators.

Das ungewöhnliche und rücksichtslose Verfahren des Rates erregte indes bald auch in weiteren Kreisen Anstofs. Während Perrin und Vandel schon von offenbarem Verrat der Stadt an die Franzosen sprachen , fanden Männer von ruhigerem und un- befangenerem Urteil den Weg , welchen die Behörde wandelte, wenigstens bedenklich , und insbesondere rief der Umstand , dafs die Neuaufgenommenen alle Unterthanen der Krone Frankreich waren, Besorgnis hervor. Sogar im Kleinen Rat selbst liefsen sich am 6. Mai Stimmen vernehmen, welche die weitern Gesuche auch dem Grofsen Rat vorgelegt wissen wollten , zumal da noch ein früherer Beschlufs desselben existierte , wonach der weitern Auf- nahme neuer Bürger vorläufig Einhalt gethan wurde. Je deutlicher die Absicht des Rates hervortrat, um so gröfser wurde die Auf- regung. Der greise Justizlieutenant Hudriot du Molard, einer der geflüchteten Patrioten des Jahres 1526, die das Burgrecht mit Bern und Freiburg zustande gebracht , ein Mann , der nicht den extremen Parteien angehörte, machte sich endHch zum Organ der

^ lonivarJ, Anc. et nouv. pol. S. 99, loo; Roset V c. 67. ^ Anc. et nouv. pol. S. 100 f., wo die Rede mitgeteilt wird. 3 Am 19. April wurden 3, 8 am 21, 13 am 25, 7 .Tm 2. Mai, 15 am 9. Mai aufgenommen. \Roget IV S. 231, 233.]

Vergebliche \'orstellungen du Molards vur dem Rat, Erregung. 261

Unzufriedenen. Am 13. Mai erschien er in Begleitung seiner Assistenten vor dem Rat, um demselben Vorstellungen zu machen. Eine bedenkliche Gärung und Unruhe , erklärte er , herrsche in einem grofsen Teile der Stadt, man klage, dafs so viele Fremde \ on einer und derselben Nation zu Bürgern gemacht würden ; der Rat möge Rücksicht darauf nehmen und die Angelegenheit vor den Grofsen Rat bringen, wo nicht, so werde nötigenfalls der Generalrat zusanruiientreten. Die Vorstellung machte keinen Ein- druck. Man werde trotzdem fortfahren, neue Bürger zu machen, lautete die Antwort der Fünfundzwanzig, und die gleichzeitig be- schlossenen Rüstungen zeigten, dafs es mit dieser Drohung Ernst war. Am andern Tage suchte der Lieutenant, dieses Mal von zahlreichen Bürgern vor das Rathaus geleitet, eine zweite Audienz nach und bat noch eindringlicher, man möge von weiteren Auf- nahmen französischer Emigranten in die Bürgerschaft ohne Ein- wiUigung des Grofsen Rates abstehen. Eine neue Ablehnung in scharfen Worten war die Antwort. Auch eine dritte Vorstellung, welche Hudriot du Molard zwei Tage später versuchte , blieb fruchtlos ; man sprach von Empörern und Aufwieglern und drohte mit Untersuchung ; nur die Einberufung des Grofsen Rates wurde jetzt beschlossen, aber offenbar mehr in der Absicht, ihn gegen die empörerischen Bittsteller einschreiten zu lassen, als um ihre Bitte zu erfüllen \

Das war mehr, als sich das »alte Genf« bieten liefs ! Wie schwere Verluste und Niederlagen die Partei in der letzten Zeit auch erlitten haben mochte, so tief glaubten die Söhne der Levrier, Berthelier , Bezanson doch noch nicht gesunken zu sein, dafs sie eine Sprache und Behandlung wie diese widerspruchslos hin- zunehmen hätten. Der republikanische Stolz war auf das tiefste verletzt. Schon nach dem ersten abschlägigen trotzigen Bescheid machte sich der Unwille in lauten Zornesausbrüchen Luft. Die nächsten Tage steigerten die Aufregung und Erbitterung. Man hörte überdies von bedeutenden Waffenvorräten, welche die Macht- haber von aufsen hätten kommen lassen, um sie an die Fremden zu verteilen. Es erfolgten Zusammenrottungen und lärmende Kundgebungen. Die Brüder Berthelier mischten sich unter die

' Ratsprot. 13., 14,, 16. Mai 1555; Roset V c. 67. Anc, et nouv. pol. S. 102, 103. Quelques pages S, 102, 103, [A'',ir'' 1^' ^. 23S ff.]

202 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Menge nnd regten sie durch hitzige Reden auf. Der General- kapitän und sein Freund Vandel sprachen von der Notwendigkeit, die alte Freiheit und die göttHche Ehre gegen die fremden Ein- dringlinge und deren Gönner zu verteidigen. Sogar in der alten Schützengesellschaft, die in den letzten Zeiten kaum noch ein Lebenszeichen von sich gegeben , regte sich ein unruhiger Geist. Es wäre ein Wunder gewesen , wenn es bei dieser heftigen Be- wegung der Gemüter nicht noch einmal zu einem Zusammenstofs der beiden Parteien gekommen wäre. Nicht ohne bange Besorg- nis sah Calvin dem bevorstehenden neuen Kampfe entgegen , er traute dem Rate doch nicht die ganze Entschiedenheit zu, die er für nötig hielt. Dringend bat er am 15. Mai seinen Freund Farel, seiner im Gebete in diesen Tagen zu gedenkend Allein des Ge- betes bedurfte es dieses Mal nicht. Der Rat, fest und entschieden, hatte in voller Würdigung des Ernstes der Lage nichts unterlassen, um für alle Fälle gerüstet zu sein. Er gebot über Waffen und zuverlässige Mannschaften. Er verdoppelte die Wachtposten. So harrte er ruhig, ja, wie es scheint, fast sehnsüchtig der Dinge, die da kommen sollten, überzeugt, dafs sie den Gegnern selbst ver- derblich werden würden.

Schon am andern Tage stiefsen die Parteien feindlich zu- sammen. Durch die nochmalige stolze Zurückweisung, welche der Lieutenant an diesem Tage von dem versammelten Rate erfuhr, hatte die Aufregung den höchsten Grad erreicht. Ein Streit, welcher zwischen zwei eifrig patriotischen Bürgern , zwei Brüdern mit Namen Comparet, und einigen bewaffneten Franzosen nach eingetretener Dunkelheit auf der Strafse ausbrach , wurde das Signal. Beide Teile erhielten alsbald Verstärkungen. Die Strafsen füllten sich mit wildem Lärm. Man sah gezückte Schwerter, Steine flogen hinüber und herüber. Mit dem Rufe »Verrat«, »die Franzosen wollen die Stadt plündern«, eilten die Patrioten, als sie der umfassenden Gegenvorkehrungen des Rates inne wurden , zu den Wohnungen der ihrigen , um weitere Hilfe zu holen. Einige setzten sich gegen das Stadthaus in Bewegung, wo bereits der

' Calvin an Farel 15. Mai 1555, Opp. XV S. 617. Ratsprot. 13., 16. Mai 1555. Anc. et nouv. pol. S. 103. Raset V c. 68; Bolsec S. 91, 92 Quelques pages S. 105. Nur aus dtr Vergleichung der einander wider- sprechenden Berichte läfst sich ein annähernd richtiges Bild jener Vorgänge gewinnen. [Rogft IV S. 234 ff., 245 ff.]

Aufruhr vom i6. Mai. 263

Rat zu einer nächtlichen Sitzung versammelt war'. Andere zogen unter dem Rufe »Für Gott und Genf«, »Tod den Franzosen« vor die Wohnung des verhafstesten Emigrantenfreundes, des jüngeren Baudichon, bei dem einige fünfzig bewaffnete Franzosen versammelt waren ^. Allein die Vorkehrungen des Rates erwiesen sich als genügend. Es war ein trostloses Beginnen , ohne Plan und Ziel, ohne Vorbereitung und Überlegung, sogar ohne Führer, blofs von der augenblicklichen Erregung eingegeben. Nicht einmal bei der eigenen Partei fand man allgemeine Unterstützung. Den Führern selbst, wie sehr sie auch durch bedachtlose, hitzige Reden die Aufregung gefördert zu haben scheinen , kam das Ereignis offen- bar in diesem Augenblick unerwartet, ja ungelegen. Perrin leistete sogar dem zur Herstellung der Ordnung mit dem Stabe herbei- eilenden Syndik Aubert wirksame Hilfe, ohne freilich die tiefe Abneigung und Verachtung, welche er selbst gegen den Friedens- stifter empfand, ganz unterdrücken zu können, und auch Vandel, der Bezirksvorsteher des oberen Stadtteiles war, erfüllte in dieser Eigenschaft in loyaler Weise seine Pflicht und gab sich Mühe, die Gemüter zu beruhigen 3. So nahm der Tumult ein rasches Ende; zwei Verwundungen, je eine auf jeder Seite, bildeten den ganzen Schaden , der angerichtet worden *. Die beiden Comparet , die ersten Unruhstifter, wurden eingekerkert es waren sogar zwei Parteigenossen Perrins , die ihre Verhaftung vornahmen und nach wenigen Stunden gewährte Genf wieder das Bild einer voll- kommen friedlichen Stadt. Beide Teile begaben sich zur Ruhe : niemand ahnte , dafs in dieser Nacht in den Geschicken Genfs eine entscheidende Wendung eingetreten sei 5. Und dennoch war dies der Fall.

I [Vgl. Roget IV S. 255.] ^ [Vgl. Rogct IV S. 259.]

3 [Vgl. Roget IV S. 256.]

4 [Vgl. Roget IV S. 249 n. i.]

5 Die Darstellungen dieser Vorfälle von Roscl V c. 68, 69 (vgl. über ihn Quelq. pages S. iii), Bonivard 1. c. S. 105 ff. und Calvin in den drei Briefen an Bullinger vom 5. Juni, 15. Juli und Mitte Oktober (Opp. XV S. 640 f., 676 ff., 829 fF.), sowie auch die spätere offizielle Darstellung des Rates (Gaberei I, Pikees just. S. 135 ff.), die alle in dem Tumult eine lange vorbereitete Ver- schwörung Perrins und Vandels sehen, lassen sich, wie schon Galiße, Quelques pages S. 104 ff. nachgewiesen hat, mit der einzigen zuverlässigen Quelle, den Ratsprotokollen , nicht in Einklang bringen. Nicht einmal das Datum wird

264 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Für die Machthaber hätte nichts Erwünschteres eintreten können, als es durch den Vorgang des 16. Mai geschah. Die Opposition hatte sich zu offenbar ungesetzHchen Handlungen fort- reifsen lassen, sie hatte auf gewaltsame Weise die öffentliche Ord- nung gestört : es war ein Vorwand gegeben , mit aller Strenge gegen sie einzuschreiten. Eine Untersuchung wurde sofort an- geordnet und nahm sogleich am andern Tage ihren Anfang. Doch überstürzte man sich nicht. Vielmehr lassen die ersten Mafsnahmen noch ein Schwanken und Zögern , eine gewisse Un- schlüssigkeit und Scheu erkennen : man war sichtlich noch nicht im klaren darüber , wie weit man gehen dürfe , und scheute die Verantwortung. Der Tumult war doch an sich unerheblich und ohne jegliche Folgen geblieben ^ : ähnliche Vorgänge hatte man in Genf zu häufig erlebt und bald wieder vergessen. So beschränkte man sich zunächst darauf, umfassende Zeugenverhöre vorzunehmen und drei Tage später ein Verbot aller öffentlichen Versammlungen zu erlassen, und endlich am 23. Mai zwei weitere Verhaftungen vorzunehmen. Die Führer der Opposition , Perrin und Vandel, blieben unbehelligt in ihren Ämtern , und so wenig glaubten ihre Freunde in den ersten Tagen an eine ernste Gefahr für sich, dafs

von Bonivard richtig angegeben ! Wäre es richtig , was jene über die Offen- heit, womit die Vorbereitungen zum Aufstand betrieben worden seien, über das Auftreten und die Reden Perrins und Vandels mitteilen , so wäre das Be- nehmen des Rats, der notorische Hochverräter Wochen lang frei umhergehen liefs und später, um für ihre Schuld Beweise zu erhallen, zu peinlichem Verhör seine"IZufiucht nahm , völlig unbegreiflich , noch unbegreiflicher als dafs die Schuldigen nicht sofort nach dem Mifslingen der Bewegung sich flüchteten. Dagegen kann ich mich auch der Ansicht Galiß'es (S. 104), der in dem Ganzen einen Coup d'etat der calvinischen Partei erblickt ähnlich äufsert sich schon Bolsec S. 91 nicht anschliefsen. Der Tumult war, wenn auch vom Magistrat vorgesehen, doch von der Oppositionspartei ausgegangen ; wie schon die widerspruchslose Verhaftung der beiden Comparets zeigt. Die horrenda coniuratio, die Beza, Opp. Calv. XXI S. 150 (vgl, CoUadon S. 79) aus dem Vorgang macht, oder gar der ungeheuerliche Plan, alle Refugi^s und ihre Gönner zu ermorden, den spätere entdeckt haben (vgl. Ruchat-Vullicinin VI, 137) gehören allerdings in den Bereich der calvinischen Dichtung. [Vgl. Rjget IV S. 245, 247, 263 ff.; Choisy S. 174 ff., bes. S. 183.]

' Calvin und Roset erklären den leichten Verlauf und die völlige Erfolg- losigkeit der nach ihnen so gefährlichen und so lange vorbereiteten Verschwö- rung durch Annahme eines göttlichen Wunders.

Einschreiten gegen die Opposition. 265

sie bei dem Rate sogar mit Beschuldigungen gegen die gegnerische Partei auftraten und die Verhafteten ihre Freilassung verlangten ^

Erst nachdem acht Tage verstrichen , gab der Rat diese zögernde Haltung auf und ging zum offenen Angriff über. Die Unentschlossenheit war geschwunden, die Bedenken überwunden, die Vorbereitungen getroffen , die Anklage hatte eine bestimmte Gestalt angenommen. Der Gegner sollte vernichtet und dadurch in Genf für immer Ruhe hergestellt werden. Nicht um die Be- strafung eines nächtlichen Tumultes handelte es sich : aus den Vorgängen des 16. Mai war in jenen acht Tagen ein hoch- verräterisches Komplott geworden , eine schon seit längerer Zeit von den Häuptern der Partei selbst angezettelte »schreckliche Verschwörung«, die nur mit besonderer Hilfe der göttlichen Gnade durch den wachsamen Rat vereitelt worden war^.

Nachdem bereits am 23. Mai gegen zwei namhafte Mitglieder der perinistischen Partei, Sept und Ferna, ein Haftbefehl erlassen worden war, richtete sich am folgenden Tage in einer Sitzung des Kleinen Rates der Angriff gegen den Generalkapitän selbst. Man warf ihm vor, er habe in jener verhängnisvollen Nacht bei seinen angeblichen Friedensbemühungen den Stab des Syndiks Aubert unehrerbietig angetastet, ja sich dieses Zeichens der höchsten Würde geradezu zu bemächtigen gesucht, also eine unzweifelhaft hochverräterische Absicht an den Tag gelegt 3, Perrin, der noch selbst im Rat anwesend war , widersprach mit Lebhaftigkeit und nannte die Ankläger falsche, gewissenlose, verräterische Leute. In der Sitzung des Grofsen Rates, welcher noch an demselben Tage zusammentrat, um in der Sache zu erkennen , suchte er vielmehr die Aufmerksamkeit auf den Grund und die Ursache aller Un- zufriedenheit in den letzten Tagen auf die Emigrantenfrage zurück- zulenken. Perrin verstand zu sprechen. Die ernsten Worte, mit denen er den Rat auf das Gefährliche und Bedenkliche seiner Handlungsweise in der Emigrantenfrage hinwies und ihn im Namen Gottes und des Vaterlandes beschwor, die Verfolgung von Männern

' Ratsprot. 16., 17., 19., 21. Mai 1555. Anc. et nouv. pol. S. 109. Calvin an BuUinger 15. Juli 1555, Opp. XV S. 6S2. Quelq. pag. S. 106.

i Vgl. Beza S. 150.

3 Über die Thatsache vgl. Bonivard 1. c. S. 107 , loS. Quelq. pages S. 106. Calvin (Opp. XV S. 641) macht daraus eine solche Gewaltthat, »«/ ab tiltima memoria tale edittiin exempliim noii fiterit«.

256 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

aufzugeben, die sich um das Vaterland verdient gemacht und bei ihrer Opposition gegen die Aufnahme so vieler neuen Bürger von »einer Nation« nur die Aufrechthaltung früher erlassener Verord- nungen im Auge gehabt hätten, machte auf einzelne noch Eindruck. Allein die Mehrzahl war für seine Vorstellungen taub. Nachdem er geendet, erhob sich der erste Syndik und trug eine seltsamer- weise niedergeschriebene lange und citatenreiche Rede vor schwerlich war sie aus seiner Feder geflossen welche den förm- lichen Klageantrag enthielt. Perrin, der nun plötzhch die Gefahr erkannte, entfernte sich, ohne den Schlufs der Beratungen, während welcher er abtreten mufste, abzuwarten, die dann wirklich damit endete, dafs er in den Anklagestand versetzt und seine Verhaftung beschlossen wurde. Noch an demselben Tage verliefs er die Stadt und das Genfer Gebiet. Vier seiner Parteigenossen , die sein Schicksal teilen sollten, folgten seinem Beispiel und flüchteten sich gleichfalls auf das benachbarte bernische Gebiet ' .

Damit aber erhielt die Partei des Rates vollkommen ge- wonnenes Spiel. Perrins und der übrigen Angeklagten Flucht schien ihre Schuld zu beweisen und schlug ihre ganze Partei zu Boden. Die Zweihundert traten jetzt vollständig auf die Seite der Fünfundzwanzig : sie sprachen ihnen in einer neuen Sitzung das Recht zu, »Bürger zu machen nach eigenem Ermessen«, und er- klärten sich mit grofser Entschiedenheit für ein strenges Verfahren ^ Nach aufsen , nach Lausanne , Bern , Zürich wurden gleichzeitig durch Calvin und seine Freunde die übertriebensten Nachrichten über den Vorgang des i6. Mai und die schreckliche Verschwörung, die man entdeckt habe, verbreitet. »Wenig fehlte,« heifst es in einem Schreiben Calvins nach Zürich, »so hätte eine einzige Nacht uns alle und die ganze Stadt dem Verderben überliefert. Aber durch Gottes wunderbaren Ratschlufs geschah es, dafs die Rettung eher erschien als die äufserste Gefahr, in der wir uns, ohne dafs wir es wufsten, befanden.« Der Plan der Gottlosen sei gewesen, die Syndiks , die angesehensten Mitglieder des Rates und alle

' Ratsprot. 24., 25. Mai. Anc. et nouv. pol. S. iio. Calvin an Bul- linger 5. Juni, Opp. XV S. 641. Haller an BuUinger 31. Mai 1555, ebd. S. 627; Quelques pages S. 108. [^Roget IV S. 269 ff.J

2 Ratsprot. 27. Mai 1555. Calvin an BuUinger 15. Juli 1555, Opp. XV S. 682 f.

Urleil gegen Perrin und Genossen. 207

Franzosen , die man antreffen würde , niederzumetzeln ' ! Die Untersuchung nahm mit jedem Tage eine gröfsere Ausdehnung an; neue Verhaftungen wurden angeordnet, neue Zeugenverhöre vorgenommen. Perrins Parteigenossen waren keine Muster von Bürgertugend. Leichtsinnig und unbesonnen hatten sie im Laufe der Jahre manches gesagt und gethan , was sich mit der Strenge der Gesetze nicht in Einklang bringen liefs , sie hatten in der Hitze des Parteikampfes bedachtlos Drohungen ausgestofsen , die der Anklage einen Schein von Berechtigung gaben. Die Zeit war gekommen, wo die Patrioten für die Sünden früherer Jahre büfsen sollten.

Zunächst aber wandte sich die Hauptaufmerksamkeit den Ge- flüchteten zu. Am 28. Mai wurden sie beim Schall der Trompeten auf allen öffentlichen Plätzen vorgeladen, wie einst die Mamelucken, sagt der Chronist, um sich zu verantworten. Vergebens baten sie um sicheres Geleit,- um ohne persönliche Gefahr sich verteidigen zu können. Vergebens schlofs sich Bern dieser Bitte an. Wozu auch Rücksicht auf Bern nehmen, das sich in der letzten Zeit so unempfindlich für Genfs und seiner Geistlichen Bitten gezeigt. Ehrenmänner, lautete die Antwort, könnten jederzeit in Genf frei ein- und ausgehen : seien die Flüchtlinge solche , so möchten sie nur bedingungslos sich einfinden, man werde sie nach Recht und Billigkeit behandeln. Kein Wunder, wenn die Vorgeladenen dieser Billigkeit nicht trauten ''. Bereits am 3. Juni wurde, nachdem die Vorladung in rascher Folge dreimal ergangen, das Urteil gesprochen. Es lautete für Perrin auf Tod durch Henkerbeil, verschärft durch vorausgegangenen Verlust der rechten Hand, »mit der er sich an dem Syndiksstabe vergriffen«, für die übrigen Flüchtlinge auf ein-

' Calvin an Bullinger 5. Juni 1555, Opp. XV S. 641. Ähnlich schreibt er um dieselbe Zeit an Volmar, ebd. S. 645: »Interea urbem hanc intestina scditio propemodum exitio dedit* . Haller an Bullinger 31. Mai, ebd. S. 627; Viret an Calvin 5. Juni, ebd. S. 645 f.; Sechelles an Bullinger 5. Juni, ebd. S. 647 f.

* »Mais je vous demancte« schrieb J. B. Sept. am i. Aug. 1555 aus dem Exil an den Syndik Bonna , »qui seroit si kardi de sc presenter devatit vous, daiitant qnil est sorti de la bouche d'tin syndic, que Ion feroit taut de Jemmes veuves et orphtlins de Gcneie que les gibets et chemins en pueroient. Qu est une chose fort cruel'e et rage plus qtiinkumaine a gens qui se veulent estimer chrestieiis et estre tenus potir tels«. Quelques pages S. 114.

2 08 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

fache Enthauptung und Verlust ihrer Güter. Selten ist in Genf so rasche Justiz geübt worden \

Dieser hastige und grausame Spruch liefs keinen Zweifel daran übrig, dafs der Rat zu dem Äufsersten entschlossen war und der Gegenpartei in der That das Schicksal der »Mamelucken und Peneysaner« zu bereiten gedachte. Nach der Verurteilung der Flüchtlinge wurde der Prozefs gegen die Eingekerkerten mit er- neutem Eifer aufgenommen. Man behandelte sie als überwiesene Verbrecher mit umbarmherziger Härte. Man schlug ihre Bitte um Gewährung eines Rechtsbeistandes ab , weil derselbe , wie die französischen Advokaten erklärten, für Majestätsverbrechen nicht zulässig sei^. Man unterwarf die Unglücklichen, um Geständnisse von ihnen zu erpressen , wiederholt peinlichen Verhören ; man quälte sie so lange , liefs sie vermittelst eines Strickes an beiden Armen aufgehangen so lange in der Luft schweben 3 die ge- wöhnliche Art der Folter , bis sie , vom Schmerz überwältigt, gestanden, was man wollte, das Vorhandensein einer »Verschwörung« einräumten und neue Mitschuldige nannten. Die Folter begann wieder ihre traurige Rolle zu spielen , wie in den Tagen der Pro- zesse gegen die Zauberer und Pestbereiter. »Man foltere den einen, um von ihm Geständnisse gegen die andern zu erpressen,«

' Ratsprot. 28,, 30. Mai, i., 3. Juni 1555. Raset V c. 70. Anc. et nouv. pol. S. III, 112. Sechelles an Bullinger 5. Juni. Quelques pages S. 109, 112.

* Ratsprot. 5. Juni 1555: »Qu'il ne doit avcir en cc cas point de defense en ce qui concertie le cas de leze tnajestS". Vgl. Quelques pages S. 109.

3 Diese Art der Folter wurde gegen die beiden Comparets wiederholt und später auch gegen F. D. Berthelier und Claude de Geneve zur Anwen- dung gebracht; vgl. Ratsprot. 29. Mai, 5. Juni, 23. Juli. Auch Bonivard 1. c. S. 112 erwähnt die erfolgreiche Anwendung der Tortur. Trotzdem rühmt Calvin noch in dem Schreiben an Bullinger vom 15. Juli (Opp. XV S. 682) die Milde des Rats, der "Ctiain a mediocri castigatione ahstiniiit, tit ne virgis quidem caesi ftierint«. Allerdings nicht die virga, aber der funis ist angewandt worden. In dem späteren Schreiben an Bullinger, Okt. 1555, räumt er dann zwar die Anwendung der Folter vermittelst des Stricks ein, sucht sie aber als möglichst harmlos darzustellen , nur etwas habe man sie mit dem Strick in die Höhe gezogen ; und in dem mindestens nicht ohne seine Mitwirkung ab- gefafsten Bericht des Rates an Zürich und Basel vom November 1555 {Gaierell, Pikees jusl. S. 139) wird dann nichtsdestominder jene Phrase von der Milde des Rats gegen die Verschworenen , »qtt'ils n'ont pas heu setdcment le fouel*, wiederholt.

Strenges Verfahren gegen die Verhafteten. 269

lautete der gewöhnliche Ausspruch des französischen Juristen Colladon, der unter den eingewanderten französischen Advokaten damals den gröfsten Einflufs ausübte, ^und erkläre, dafs man nicht eher aufhören werde, sie zu quälen, als bis sie gestanden'.« Jedes Mittel, Geständnisse zu erpressen, war willkommen. Wo Gewalt nicht ausreichte, wurde List, wo Drohungen ihren Zweck verfehlten, wurden Versprechungen zu Hilfe genommen. Man versprach den Angeklagten für Enthüllungen, die sie machen würden, Straflosig- keit, und selbst die Diener des Wortes, die den Prozefs gleichsam als ihre persönliche Angelegenheit betrachteten , scheinen dieses Mittel nicht verschmäht zu haben ^ Calvin nahm an dem Gange der Verhandlungen den lebhaftesten x\nteil, er besuchte wiederholt die Angeklagten im Kerker, um sich von ihnen die auf der Folter abgelegten Geständnisse wiederholen zu lassen, und war mit dem grausamen Verfahren der Gerichte, insbesondere mit der Anwendung der Tortur völlig einverstanden 3. Treulich zur Seite standen ihm seine alten Freunde , Farel und Viret , die , wie in allen schweren Krisen , so auch dieses Mal wieder in Genf sich einfanden und durch ihre Anwesenheit und entschiedene Parteinahme gegen die

' Quelques pages S. 109. Bolsec S. 98. Selbst der Calvin wohlwollende Haller in Bern , der anfangs durch die Darstellung seines Freundes gewonnen war, macht bald aus seiner völlig veränderten Gesinnung kein Hehl, er schreibt am 26. Sept. an Bullinger, Opp. XV S. 796: »De tortiiris quoque affirmant i'iri graves plus qtiam phalaricis ^ quibus confessiones a reis exigunt« .

^ Wenigstens machte einer der später Hingerichteten, Claude de Geneve, noch auf dem Blutgerüst Calvin und Viret diesen Vorwurf. Quelques pages S. HO. Über die Art, wie Geständnisse erlangt wurden, vgl. auch das an- geführte Schreiben Septs, ebd. S. 114 und Bolsec S. 99.

3 sVidebiinus tarnen ante biduum , ut spcro, quid Ulis quaestio extor- qucat", schreibt er am 24. Juli an Farel über Claude de Geneve und Ber- thelier, die »ptterilibtis cavillis fucare omnia« gesucht hätten, nachdem der Rat Tags zuvor die Anwendung der Folter gegen sie beschlossen. (Opp. XV S. 693). Vgl. Ratsprot. 23. Juli 1555. Dafs er die Gefangenen besucht und sich ihre auf der Folter gemachten Geständnisse habe wiederholen lassen, gesteht er selbst im dritten Schreiben an Bullinger, Opp. XV S. 830, 831. Wenn er dabei zugleich beteuert , dafs er im übrigen den Prozessen ganz fern gestanden habe , so ist darauf gerade so viel zu geben als auf die nicht viel spätere Behauptung , er sei in Genf ohne alle Macht , während in Wahrheit nichts ohne ihn geschah ! Vom Rat wurde ihm w ahrend der Prozesse, weil er zu sehr beschäftigt sei, ein Hilfsprediger an die Seite gestellt. Vgl. Ratsprot. 24. Juni 1555.

270 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Angeklagten nicht wenig dazu beitrugen , den Rat auf der ein- geschlagenen Bahn festzuhalten und seinen Eifer anzuspornen^.

Wohl liefsen sich von aufsen mehr und mehr Stimmen ver- nehmen, welche die calvinische Partei zur Schonung und Mäfsigung aufforderten. Nicht blofs in Bern, das wiederholt und nachdrück- lich sich für die auf sein Gebiet Geflüchteten verwandte und Calvin für alles Unheil verantwortlich machte ^, sondern auch in den übrigen Städten der Eidgenossenschaft 3, namentlich in Zürich, auf dessen Beifall sonst das meiste Gewicht gelegt wurde, erfuhr das, was in Genf geschah, laute und entschiedene Mifsbilligung. Allein in Genf machte dies wenig Eindruck. Bern schien nach der An- sicht der gegenwärtigen Machthaber seinen Anspruch auf Berück- sichtigung verloren zu haben , seine Vorstellungen blieben ohne jeden Erfolg. Um die öffentliche Meinung in den andern Städten umzustimmen, richtete Calvin ein zu weiterer Verbreitung bestimmtes ausführliches Schreiben an Bullinger in Zürich, eine Art von Apo- logie, welche den Tumult vom 16. Mai als eine ernsthafte und wirkliche Verschwörung , das Verfahren des Rates die An- wendung der Folter wird geschickt umgangen als ein ver- hältnismäfsig mildes und schonendes , und den gegenwärtig in Genf herrschenden Zustand als einen ganz vortrefflichen darzu- stellen sucht'*. Ihn unterstützte sein junger Freund Beza in Lausanne , der gleichfalls in einem Schreiben an Bullinger Gottes Barmherzigkeit pries, der vorsorglich über Israel gewacht habe, und die »unglaubliche Ruhe« und »Eintracht unter allen Guten«, die gegenwärtig in Genf herrsche, nicht genug zu rühmen wufste^.

' Harte und besorgte Äufserungen darüber in dem Schreiben Hallers an Bullinger vom 6. Aug. 1555, Opp. XV S. 718 f. Über Virets Anwesenheit und Thätigkeit vgl. auch Viret an Farel 18. Juli, ebd. S. 68S. Auch er be- sucht die Gefangenen im Kerker. Vgl. auch Quelq. pages S, iio.

* Ratsprot. I., 18., 19., 20. Juni, 30. Juli, 3., 4., 15. Aug. 1555. Haller an Bullinger 19. Juni, 27. Juli und 6. Aug. ; Sulzer an Bullinger 3. Sept., Opp. XV S. 664, 699, 718, 746.

3 Ratsprot. 7. Juli 1555.

'^ Calvin an Bullinger 15. Juli 1555, Opp. XV S. 676 ff. Vgl. dazu o. S. 268 A. 3. Die mancherlei Unrichtigkeiten dieses Schreibens machen einen für Calvin sehr ungünstigen Eindruck. Das Schreiben kam dann in verschiedenen Exemplaren an Viret, Farel, Blaurer, Sulzer, Beza, Sleidan. Der letztere legte diesen Bericht seiner Darstellung in den Commentarien (ed. am Ende III, 504) zu Grunde.

5 Beza an Bullinger, 21. Juli 1555; Opp. XV S. 692.

Beschwichtigungen nach Aufsen. Fortgang des Prozesses. 27 1

Hatten diese Bemühungen auch nicht den gewünschten Erfolg ' die von Calvin versuchte Darstellung stand doch in zu grellem Widerspruch mit offenkundigen Thatsachen und trug zu sehr den Charakter eines Parteimanifestes so hatten jene Kundgebungen der Unzufriedenheit doch keine weiteren Folgen. Zu einer wirk- lichen Einmischung in die verwickelten Händel der stets unruhigen Stadt fühlte aufser Bern niemand Lust. Bei den evangelischen Orten überwog am Ende doch die Erwägung, dafs ein Sieg der calvinischen Partei in Genf der evangelischen Sache im allgemeinen zu gute kommen werde, und von den katholischen war nicht zu erwarten, dafs sie Anstrengungen machen würden, um Männer zu retten, die vor 20 Jahren selbst den Sturz des alten Glaubens in Genf herbeigeführt hatten ^.

So nahm der Prozefs ungestört seinen Fortgang. Mit der Zahl der Verhöre aber stieg die Zahl der Schuldigen und die Schwere der Anklage. Unter denjenigen , die durch die Aussagen der peinlich Verhörten belastet wurden , befand sich endlich auch Vandel, der in den ersten Wochen völlig unangefochten geblieben, nächst Perrin der Führer der Opposition 3, zugleich mit mehreren andern hervorragenden Namen der patriotischen Partei , der Brüder Berthelier, Sept u. a. Die meisten dieser neuen Schuldigen, auch Vandel, folgten dem Beispiel Perrins und entzogen sich der Verhaftung durch rechtzeitige Flucht auf das bernische Gebiet. Sogar solche, gegen die keine Aussagen vorlagen, ergriffen, sagt der Chronist, die Flucht, »da sie sahen, dafs die Bösen in Genf nicht mehr würden geduldet werden'*.« So gab es bald wieder eine stattliche Anzahl von neuen Flüchtlingen aus den ver- schiedensten Ständen, hoch und niedrig Gestellte, ehemalige Rats-

Bullinger an Calvin 28. Sept. 1555, Opp. XV S. 797 ff. In Bern scheint der Bericht lebhaften Unwillen hervorgerufen zu haben ; vgl. Haller an Bullinger 27. Juli 1555, ebd. S. 699.

* Katholische Schriftsteller erblickten in diesem Ende Perrins eine ge- rechte Strafe des Himmels für den Anteil, den Perrin an dem Sturz der alten Kirche und an dem Bildersturm in S. Peter genommen hatten. Vgl. Alaim- I'OJirg, Hist. du Calvinisme I, 77.

3 Anc. et nouv. pol. S. 112. Wären die hier erwähnten Geständnisse gegründet oder hätte der Rat selbst wirklich daran geglaubt, so wäre es un- begreiflich, wenn der Rat nicht auf der Stelle den Mann verhaften liefs, statt ihn noch zwei Wochen frei umhergehn zu lassen. Vgl. Opp. XV S. 684.

* Anc. et nouv. pol. S. 113.

217 2 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

herrn, höhere und niedere Beamten , einfache Bürger , im ganzen gegen dreifsig, gegen die nun das früher eingeschlagene Verfahren wiederholt wurde ^ In gleicher Weise wie Perrin wurde Vandel nebst seinen Schicksalsgefährten durch den öffentlichen Ausrufer vorgeladen, »damit,« bemerkt Calvin spöttisch in einem Briefe an Farel, »die Stadt durch die Abwesenheit so vieler Bürger nicht veröde 2 1«. Schon wurde den Geflüchteten nicht blofs die »Ver- schwörung« vom i6. Mai, sondern auch die Absicht, die Stadt geradezu an die Feinde zu verraten, zur Last gelegt. Hatten früher die Patrioten bei jeder Gelegenheit immer wieder von neuem gegen die calvinische Partei die Beschuldigung erhoben, sie suche Genf dem Könige von Frankreich in die Hände zu spielen, so stellte jetzt die Partei Calvins plötzlich die schwere Anklage auf, es bestehe unter den Gegnern der Plan, die Stadt Genf und benachbarte Gebiete in den Besitz der habsburgisch- spanischen Macht zu bringen. Schon sei von dem flüchtigen Haupt der Partei in diesem Sinne mit dem spanischen Statthalter Alba in Mailand angeknüpft worden , eine Anklage, die nebenbei auch ganz dazu angethan und vielleicht gerade darauf berechnet war, das benachbarte Bern gegen seine bisherigen Schützlinge einzunehmen. Doch dieser neue Anschlag mifslang gänzlich. Mochten auch die Habsburger Absichten auf Genf haben , wie sie Frankreich hatte; diese neue perrinistische »Verschwörung« zerrann in nichts. Der dafür aufgestellte Zeuge, ein junger Italiener, Scipio del Castro, wurde in Bern alsbald als Verleumder entlarvt. Diese neue Anklage zerrann in nichts ; sie wirft auf das Treiben der gegenwärtigen Machthaber in Genf und die Mittel, die sie anwandten, das allerungünstigste Licht ^. Aber die Anklage hatte

' Äosei V c. 70. Nach dem Schreiben Virets an Farel vom 28. Juli (Opp. XV S. 700) betrug die Zahl der vorgeladenen profugi 27, nach dem Ratsprot. vom 22. Juli die Zahl der geflüchteten 24. Ursprünglich waren mehr geflohen, einige kehrten jedoch zurück.

* »Porro ne urbem tot civium absentia, qtiod per ludibrium iactabant ftigi- tivi, vastitate deformct, revocatus est a praecone Vendelius cum magna caterva« Calvin an Farel 24. Juli 1555, Opp. XV S. 693.

3 Quelques pages S. 114 ff. Bolsec S. 104 ff. Haller an Bullinger 26. Sept. 1555, Opp. XV S. 796. Ich möchte die ganze Intrigue nicht mit Galiffe auf Calvin zurückführen. Haller drückt sich allgemeiner aus: »Quod totian quutn apparcrct ab Ulis fictumi. [Vgl. Roget IV S. 295 ff.]

Die Verurteilungen. 273

doch ihre Dienste gethan und den Angeklagten in der öffent- lichen Meinung zu einer Zeit, wo diese allein ihre Verteidigung übernehmen konnte, sehr geschadet. Vandel und seine Gefährten wurden , nachdem die wiederholte Vorladung vergeblich gewesen, am 6. August verurteilt wie zwei Monate früher Perrin und seine Gefährten, > wegen schrecklicher und verabscheuungswürdiger Verschwörung gegen die heilige Institution und christliche Refor- mation und gegen diese Stadt, ihr öffentliches Wohl und ihre Ruhe.« Gegen Philibert Berthelier, Vandel und J. B. Sept als die an- geblichen Hauptschuldigen lautete der Spruch auf Tod durch das Beil des Henkers und Vierteilung. Die übrigen wurden gröfsten- teils zu ewiger Verbannung und Verlust ihrer Güter verurteilt, derselben Strafe, zu der einst sie selbst und ihre Väter die ge- flüchteten Anhänger des Herzogs und Bischofs, »die Mamelucken und Peneysaner«, verurteilt hatten^.

Zum Teil schon vorher waren die in Haft Genommenen verurteilt worden. Einer nach dem andern, so wie sie durch ihre Geständnisse die wünschenswerten Dienste geleistet, vernahmen sie das strenge Urteil. Straflos ging keiner aus. Auch gegen diejenigen, gegen welche kaum ein Schatten wirklicher Schuld vor- lag , wenn nicht schon der blofse Umgang mit Mitgliedern der gestürzten Partei ein Vergehen war, wurde auf Gefängnisstrafe, anhaltende polizeiliche Überwachung, öffentliche Abbitte und Kirchenbufsen erkannt. Andere wurden auf ewige Zeiten aus- gewiesen -. Gegen vier lautete der Spruch auf Todesstrafe. Es waren aufser den beiden Comparets der auf ihre, durch die Folter erprefsten Aussagen hin verhaftete Claude de Geneve, mit dem Beinamen Bastard, ein naher Freund und Gesinnungsgenosse des Generalkapitäns, der während seiner Haft durch die ihm in Aus- sicht gestellte Straflosigkeit und die Qualen der Folter bestimmt die am weitesten gehenden Geständnisse machte 3, und Franz

' Ratsprot. 6. Aug. 1555. Quelques pag. S. in, 112. Anc. et nouv. pol. S. 113. Das Todesurteil, unter verkehrtem Datum, bei ITciny III, Beil. S. 122. [Vgl. Roget IV S. 299.]

^ Ratsprot. 21., 27. Juni, i., 5. Juli 1555. Quelq. pag. S. ii2. Auch einige der Geflüchteten, die zurückgekehrt waren, wurden in solcher Weise »gracieusement« bestraft. Roscl V c. 70.

3 ^Praecipitwn capiit apcruii« , schreibt Calvin an Farel 16. Juli 1555, Opp. XV S. 686, »coiisulto motiiin esse twnulttimt. Und nochmals einige Kampschulte, J. Calvin U. 18

2'JA Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Daniel Berthelier, der jüngere Bruder des geflüchteten Philibert, welcher, obschon er an dem verhängnisvollen Tumulte thätigen Anteil genommen, dennoch merkwürdiger Weise am längsten von allen in Freiheit blieb und sogar noch in den letzten Tagen des Monats Juni in seiner Eigenschaft als städtischer Münzmeister vom Rate mit einer Gesandtschaft nach Salins beauftragt wurde vielleicht um auf solche Weise den altern, viel verhafsteren Bruder in Sicherheit einzuwiegen und zur Rückkehr zu veranlassen dann aber gleich den Übrigen die ganze grausame Strenge des Genfer Gerichtsverfahrens erfuhr und so lange verhört wurde (wo- bei man auch auf seine Vergangenheit, insbesondere auf seine Streitigkeiten mit dem Consistorium, Calvin und Farel zurückgriff) bis er vollständig gebrochen sich in einer demütigen Supplik an seine Richter schuldig bekannte \ Alle Vorstellungen und Fürbitten für die vier Unglücklichen, unter welchen insbesondere der letztere grofse Teilnahme erregt zu haben scheint, blieben fruchtlos, und selbst das kniefällige Gnadengesuch , welches Bertheliers greise Mutter, die Gattin des Märtyrers von 1 5 1 9 , für ihren Sohn ein- reichte, machte keinen Eindruck^. Es braucht kaum gesagt zu

Tage später (24. Juli, ebd. S. 693): »Claudius nothus quem sds intiimim fuisse Perrino^ scelestmn et nefariam conspirationem retexit , qtiae nonduin coinperta fuerat«. Und dennoch sprachen, schrieben und handelten Calvin und der Rat schon seit Monaten, als sei die Konspiration eine ausgemachte Sache, und waren die Brüder Comparet schon wegen derselben hingerichtet!

' Seine Verhaftung fand in der ersten Hälfte Juli statt. Ratsprot. 23. Juli, 27. Aug., 9. Sept. 1555. Calvin an Farel 16. Juli, an Viret 9. Sept. 1555, Opp. XV S. 686 f., 754. Nach Bolsec S. 98 wäre gegen ihn die Folter in furchtbarstem Grade angewandt worden : einmal sei er vermittelst Stricke in die Höhe gezogen und, um die Qual za vermehren, Steine an seinen Beinen befestigt worden; Amblard Corne habe ihm, als er dennoch standhaft geblieben, zugerufen, man werde ihm Arme und Beine abreifsen , wenn er nicht bekenne. Obgleich Bolsec (S. 97) sagt, nur die gröfste Unverschämtheit würde diese Thatsache leugnen können , und obwohl Calvin gegen die Brüder Berthelier einen persönlichen Groll hatte, möchte ich doch nicht unbedingt für diesen Bericht eintreten. Einen sehr ungünstigen Eindruck machte es , dafs man in dem Prozefs gegen Berthelier auch auf seine Vergangenheit, den Streit mit dem Consistoriam, seine Anklage gegen Farel, seine Opposition gegen die Prädestinationslehre zurückging. Der Angriff gegen ihn wurde sogar durch das Consistorium eröffnet mit der Anklage, dafs er nicht an die Prädestination glaube. Consistorialprot. 23. und 28. Juni 1555. Not. geneal. III 545 ff.

^ Ratsprot. 25., 30. Juli, 27. Aug. 1555.

Die Verurteilten beteuern ihre Unschuld. 275

werden, dafs alle angesichts des Todes die ihnen abgezwungenen Geständnisse widerriefen: auf dem Blutgerüste noch wiesen sie wie aus einem Munde die Anklage, Verschwörer und Hochverräter zu sein, mit aller Entschiedenheit zurück \ Die beiden zuerst verur- teilten Brüder, die von Perrin das Signal zur Empörung empfangen haben sollten, stellten die »Verschwörung« in Abrede und erklärten, ohne Vorbedacht, ohne Verabredung den verhängnisvollen Tumult begonnen zu haben -'. Claude de Geneve erklärte feierlich und vor Gott auf dem Blutgerüste alle ihm abgedrungenen Geständnisse für falsch und nichtig und erhob gegen die drei Reformatoren Calvin, Viret und Farel die schwere Anklage, nur deshalb ihn im Kerker besucht zu haben, um ihn durch Vorspiegelung eigener Straflosig- keit zu falschem Zeugnis gegen andere zu verleiten 3. Ebenso widerrief Franz Daniel Berthelier, der angesichts des Todes seinen Mut wiedergewann, alle ihm durch Gewalt und Vorspiegelungen abgelockten Geständnisse und protestierte laut und feierlich gegen den Vorwurf der Verschwörung : er habe sich vielfach und schwer gegen Gott versündigt, aber nichts habe er gegen das Wohl seiner Vaterstadt unternommen"*. Die Vollstreckung der Todesurteile er- folgte in der barbarischen Weise, die wir bereits kennen. Die beiden Comparets wurden von einem ungeschickten Scharfrichter langsam enthauptet, ihre Körper gevierteilt und die einzelnen Teile an vier Galgen an der Grenze des Genfer Weichbildes aufgehängt s.

' »Hoc siiiml Omnibus propositiiin erat, proditionis et laesac maiestatis crimen a se depellcre«. Calvin an BuUinger Okt. 1555, Opp. XV S. 832.

' So Calvin selbst an Bullinger am 15. Juli {»Quum ad supplicium tra- herentur negarunt signo dato se tumultum inovisse«), und an Farel am 16. Juli; Opp. XV S. 680, 686. In der spätem Schilderung an Bullinger im Oktober sucht Calvin das früher Gesagte wieder abzuschwächen: »iiescio quae rahics cos impulit ad quacdam ncganda : sie tarnen ut in praecipuis capitibus constantes starent«, ebd. S. 831. Vgl, dazu das offizielle Schreiben des Rats an Zürich; Gaberei I Pikees just. S. 135,

3 Calvin an Bullinger Okt. 1555, Opp. XV S. 831. Quelques pag. S. 110. Nouv. pag. S. 59. Gegen Viret wird diese Anklage wiederholt er- hoben; vgl. Beza an Bullinger 20. März 1556, Opp. XV S. 78.

+ Calvin an Bullinger, Okt. 1555, Opp. XV S. 832; Haller an Bullinger 26. Sept. 1555, ebd. S. 796,

5 Ratsprot. 27., 28. Juni, 3. Juli 1555. Anc. et nouv. pol. S. 113. Quelq, pag. S. iio. Der Scharfrichter verlängerte durch seine Ungeschicklich- keit die Todesqual des jüngsten der Brüder derart , dafs er abgesetzt wurde. Ratsprot. 4., 5., 26. Juli, 13. Aug. Calvin erblickt darin nur die göttliche

2^6 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

Claude de Geneve und Berthelier wurden einfach enthauptet, ihre Leiber aber an den Galgen geschlagen und Claudes Haupt an einer Stange befestigt, öffentlich auf dem Molardplatze ausgestellt, zur Warnung allen denjenigen , die es wagen würden, den neuen Machthabern in Genf zu widersprechend

So gründlich und so furchtbar wurde dieses Mal mit der be- siegten Partei aufgeräumt. Ihre Widerstandskraft sollte vollständig gebrochen, eine Wiederkehr ihrer Herrschaft für immer unmöglich gemacht werden. ¥Än eisernes Regiment wurde eingeführt, um alle Regungen der Opposition im Keime niederzuhalten. Kein Widerspruch wurde mehr geduldet. Die Verurteilungen dauerten auch während der nächsten Monate noch fort. Jede Kundgebung von Unzufriedenheit , jede Klage über die zu lange Dauer der Prozesse, jede Äufserung von Sympathie für die Verurteilten wurde bestraft. Nicht einmal den Frauen der Hingerichteten war eine Klage gestattet^. Wer von der Rückberufung der Verbannten auch nur sprach, hatte nach einer Erklärung des Rates das Leben verwirkt 3. Die in Genf zurückgebliebenen Freunde der Ver- urteilten beugten sich in stummer Ergebung unter das neue Regiment und suchten ihre Vergangenheit in Vergessenheit zu bringen, oder sie schlichen sich heimlich aus der Stadt und folgten ihren Parteigenossen ins Exil ; auf mehrere Hunderte werden die Familien geschätzt , die in der nächsten Zeit das Los freiwilliger Verbannung wählten ■♦. Die Hoffnung auf baldige Rückkehr als Sieger, mit der sie ausgezogen, erwies sich nur zu bald als eitel, Calvins und seiner Freunde Sieg war dieses Mal vollständig. Mochten die Geflüchteten auch sich selbst als die wahren und allein berechtigten Vertreter der Stadt Genf ansehen, für die sie und ihre Väter einst Gut und Blut geopfert, mochten sie auch in Plakaten und zornigen Briefen Calvin als einen Kain, als einen

Strafe für ihr hartnäckiges Leugnen : »ceyte mihi perstiasum est, 7ion absquc certo Dei iudicio sub manu carnificis praeter iudicttm sententiatn ambos longu?n cruciatum pertulisse«. Calvin an Farel 24. Juli, Opp. XV S. 693.

^ Ratsprot. 27. Aug., 9., 11. Sept. Bonivard, Ana. et nouv. pol, S. 113 f. fügt hinzu: ^Et lettr fit Dien plus grande grace que a cetix qui sont apres deineurez, car ils sont hors de painc et de soucy et hont passe tont danger».

* Ratsprot. 15., 27. Aug. 1555. Vgl. Quelq. pages S. 112.

3 Ratsprot. 16., 30. Aug. 1555.

+ Quelques pages S. 118. Gaberei I S. 435 nimmt 150 an.

Vorwürfe gegen die Sieger. Gesetzliche Ordnung des neuen Zustands. 277

Blutmenschen und Wüterich ' , die calvinischen Ratsherrn als Lügner, Verräter, Räuber und Mörder- und alle die gegenwärtigen Machthaber als Neulinge und Eindringlinge bezeichnen, die einst in den Tagen harter Not, als es galt, die Stadt gegen die Feinde ihrer Freiheit mit schweren Opfern zu verteidigen, niemandem in Genf bekannt oder gar mit seinen Feinden verbündet waren % diese Neulinge und Eindringlinge waren jetzt die Herren der Stadt und im festen Besitz der öffentlichen Gewalt, aus dem sie weder der Zorns Berns, noch die ohnmächtigen Anstrengungen der Exilierten zu verdrängen vermochten.

Ein auf den 8. September einberufener, mit feierlichem Gebete eröffneter Generalrat bestätigte und billigte die von dem Kleinen und Grofsen Rat getroffenen Anordnungen und Mafsregeln und machte dadurch den neugeschaffenen Zustand in aller Form zu einem gesetzlichen. Die zu allem willige Versammlung genehmigte den Erlafs eines neuen Edikts (»Edikt über die Flüchtlinge«), welches in frommen Worten und unter Hinweisung auf die grofse Barmherzigkeit Gottes, der Genf ohne Verdienst aus der leiblichen und geistigen Sklaverei zu der Freiheit des Evangeliums geführt und es dadurch sich ewig verpflichtet habe , das Beginnen der altgenferischen Partei als eine undankbare, gottlose und frevelhafte Empörung gegen Gott und die rechtmäfsige Obrigkeit brand- markte, die gegen die »Empörer und Flüchtlinge« ergangenen Strafurteile wiederholte und alle diejenigen mit Todesstrafe be- drohte, welche es wagen würden, durch Wort, That oder Rat für die Zurückberufung derselben zu wirken und zwar, wie der Erlafs erklärt, »um der Ansteckung und Gotteslosigkeit vorzubeugen, welche die Rückkehr jener Verdammten und Aufrührer wieder in

' Ratsprot. 22. Juli 1555. Ein Plakat gegen Calvin: Quelques pages S. 113. Andere: Opp. XV S. 790.

* Äufserungen Bertheliers bei Henry III Beil. S. 121 f.

3 Vgl. das Schreiben des J. B. Sept in Quelques pages Sw 113: »Lequel est-ce de vous qui se vantera avoir Jamals employi un denier pour Geneve ni Jamals avoir sue une goutte d'eau ? Ou lequel dira, de vous, man pere a fait pour moi? Je n'en sais point^ car leitr devotioii n'y etait pas, mals itait plutot au coeur d'un duc. Et voilä ce qul vous a fall dcchasser les gens de bien et ceux dont les peres et ancetres ont mls Geneve en V etat qt^elle etalt, devant que l'eussiez alnsl vllainement usurpee par pratiques et mechancetes en sulvant votre veneradle eveque« (Calvin!) [Vgl. Rogef IV S. 313 ff.]

278 Sechstes Buch. Unterliegen der Gegner.

diese Stadt bringen würde'.« Wichtiger noch war ein zweiter Beschlufs, welcher die Abschafifung des Generalkapitanats in Genf für ewige Zeiten genehmigte''. Damit fiel die letzte selbständige Gewalt, welche einer ungehinderten Entfaltung des geistlichen Systems noch im Wege gestanden.

Der Kämpf zwischen dem alten und dem neuen Genf war entschieden. Das alte Genf mit seinen Untugenden und Fehlern, aber auch mit seinen Vorzügen und rühmlichen Eigenschaften, das Genf der Berthelier und Favre , der Levrier und Bezanson, das alte Genf* im guten wie im schlimmen Sinne bestand nicht mehr. Es brach eine neue Zeit an.

Katsprot. S. Sept. 1555. ^dit sur les fugitifs, Opp. XV S. 751 f.

* Ratsprot. 8. Sept. 1555: »Qtte pey-pettiellement nul n ayt a parier ni avancer de faire capitaine general ni abbe a peilte que celuy qui en parkra oti avancera aura la teste coupee«. Roset VI c. 4: »Pou7-ce que l' experience leur avoit desia plusiturs fois movstre que teile autorite n'y estoit convenablc«. Die Zweihundert hatten den Beschlufs schon am 24. Aug. gefafst.

SIEBENTES BUCH.

GENF UNTER CALVINS HERRSCHAFT.

I.

BEFESTIGUNG UND VERVOLLSTÄNDIGUNG DES REFORMATIONSWERKES.

Indem der alte Chronist, dem wir den anschaulichsten Bericht über die in dem Vorhergehenden geschilderten Parteikämpfe bis zu ihrer Entscheidung im Jahre 1555 verdanken, am Schlüsse seines Werkes auf den Inhalt seiner Erzählung zurückblickt, kann er sich nicht verhehlen, dafs das Bild, welches er vor dem Leser aufgerollt hat, ein stellenweise sehr dunkeles, ja abstofsendes sei und der Stadt Calvins nicht gerade zum Ruhme gereiche. Allein ihn tröstet der Gedanke, dafs es mit dem auserwählten Volke des alten Bundes nicht anders gewesen sei. Auch Israel , meint Bonivard, habe die VVohlthaten des Herrn mit Undank vergolten, es habe seine Propheten verfolgt und getödtet und in innerem Parteihader seine Kräfte verzehrt : die Geschichte des heidnischen Rom mache einen ernsteren und würdigeren Eindruck als die jüdische. Dennoch sei Israel das bevorzugte, auserwählte Volk Gottes gewesen und der Träger der einzig wahren Religion. Und dies gelte auch von Genf, trotz aller seiner Sünden und Misselhaten. Eins habe aber das neue Israel vor dem alten voraus : während dieses aller göttlichen Mahnungen ungeachtet in seiner Bosheit verharrte, habe sich Genf endlich vollkommen zum Herrn bekehrt und eben jene inneren Kämpfe hätten dazu gedient , es von den unheiligen Elementen zu reinigen, es in Wahrheit zu einer Stätte des Herrn , zum ausschliefslichen Eigen seiner Gläubigen zu machen ^

' Vgl. Bvnivard Anc. et nouv. pol. S. 115 ff. Der Vergleich zwischen Israel und Genf spielt auch bei den andern Chronisten wie Roset und Froment eine grofse Rolle.

282 Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

Am 16. Mai 1555 hatte nach dem Chronisten das »wahre Volk Gottes« über des Herrn Widersacher endgiltig den Sieg davongetragen. Die Zeit des Kampfes und der Prüfung war vor- über; die Auserwählten hatten den Kampfplatz behauptet. Genf gehörte fortan nur den »Guten« und ihrem Führer. Es galt nun, die Herrschaft Gottes dauernd zu befestigen, dem Allerhöchsten an der von ihm gewählten Stätte ein wohnliches Haus zu bereiten, die Grundsätze der einen wahren Religion in unverfälschter Reinheit, entschiedener noch als bisher hatte geschehen können, in Staat und Kirche zur Anerkennung und Geltung zu bringen.

Ungesäumt ward Hand ans Werk gelegt. Während noch der Prozefs gegen die unterlegene Partei schwebte und Perrins An- hänger in dem Kerker schmachteten, begann die ehrwürdige Genossenschaft ihre neue fruchtbare Thätigkeit. Feierliche Lob- und Dankgesänge wurden für Genfs glückliche »Befreiung« an- geordnet , und auf die Dankeslieder folgten Predigten , welche allen Bürgern und Einwohnern der Stadt die Notwendigkeit ver- kündeten, ein neues Leben zu beginnen und so grofser Gnaden sich würdig zu erweisen. Die für den Gottesdienst bestimmten Stunden wurden vermehrt. Ganz in derselben Richtung, wie die Geistlich- keit finden wir auch sofort die Staatsgewalt thätig. Auch sie führt dieselbe ernste Sprache. Unter Trompetenschall wird bereits im Juli allem ausgelassenen Wesen der früheren Zeit der Krieg erklärt'. Die alten Disziplinargesetze, die Verordnungen gegen Spiel , Wirtshausbesuch , unpassende Kleidertrachten werden er- neuert , die Anfertigung von Karten gänzlich untersagt , die auf geschlechtliche Verirrungen gesetzten Strafen verschärft , den Forderungen des Consistoriums Achtung verschafft , überall eine strenge Aufsicht eingeführt "". Die geistliche und weUliche Gewalt reichten sich die Hand, um gemeinsam an dem Aufbau des neuen Genf zu arbeiten.

Und den Arbeitern ward ihr Lohn. In der noch unter dem frischen Eindruck der zahlreichen Verhaftungen und blutigen Exekutionen stehenden Bürgerschaft fand die neue reformatorische

' Roset VI c. I.

* Ratsprot. 5., II. Juli, 5., 30. Sept., 2. Dez. 1555. Roset VI c. 4. Heiligung des Sonntags : Ratsprot. 10. Juni 1555; baufällig gewordene Kirchen in Stadt und Land wurden repariert.

Veränderter Zustand der Stadt. 283

Thätigkeit der geistlichen und weltlichen Machthaber einen frucht- baren Boden. Jeder Widerstand mufste aussichtslos erscheinen, seit alle namhaften Häupter der Opposition sich im Exil oder im Kerker befanden. Auch solche, die im Herzen der unterlegenen Partei angehörten, stimmten mit ein in den von oben angegebenen Ton, um Unannehmlichkeiten aus dem Wege zu gehen. Andere waren des langen Kampfes müde und fügten sich der neuen Ordnung mit einer gewissen Resignation. Der Einflufs, welchen zu allen Zeiten der äufsere Erfolg auf die grofse Masse ausgeübt hat, bewährte sich auch in Genf. Nie sei, schreibt Beza bereits im Juli an den Züricher Reformator, in Genf die Eintracht gröfser gewesen als gegenwärtig, eine wunderbare Ruhe herrsche in der Stadt. Voller Freude konnte Farel seinen Freunden melden, wie sehr sich Genf zu seinem Vorteil geändert. Der Gottesdienst werde fleifsig besucht, noch nie seien in Genf so viele Predigten gehalten worden \ Schon im Herbst erschien, angelockt durch den neuen Ruhm Genfs, der Prinz von Conde mit mehreren andern hohen französischen Herrn in der Stadt Calvins , um, wie er erklärte, die neuen kirchlichen Zustände in unmittelbarer Nähe kennen zu lernen '^.

In der That: wer im Herbst 1555 nach Genf kam, fand die Stadt vollständig verändert. Auf die getümmelvollen Zeiten, die vorausgegangen waren, war eine Ruhe eingetreten, die fast etwas Unheimliches hatte. »Alles widmete sich dem Dienste des Herrn bis herab auf die Heuchler,« meldet der offizielle Chronist, »die Bösen waren vertrieben 3.« Kein Mifston störte die allgemeine Eintracht. Kein Widerspruch wurde vernommen. Alle schienen des stattgehabten Wechsels froh zu sein. In Liedern wurde die glorreiche Befreiung der Stadt und der Sieg über die Partei der Gottlosen gefeiert ■♦. Es fehlte nicht an solchen, die ihre frühere Haltung jetzt durch um so gröfseren Eifer für die gegenwärtigen Machthaber in Vergessenheit zu bringen suchten. Selbst ein Mann wie Marcourt, der 1538 nach Calvins Vertreibung kein Bedenken

» Beza an BuUinger 21. Juli; Farel an Blaurer 4. Aug.; Blaurer an Bullinger 9. Aug. 1555; Opp. XV S. 692, 714.

^ Ratsprot. 20. Okt. 1555. [Roget IV S. 330]. Roset VI c. 5. Quelq. pages S. 117 n. i.

3 Roset VI c. I.

4 Ratsprot. 4. Okt. 1555. Quelques pag. S. 118 n. 2.

284 Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

getragen , des Vertriebenen Amt zu übernehmen , pries jetzt den Reformator in überschwängb'chen Versen als den Überwinder von Löwen und Drachen \ Der alte Bonivard, der nach so manchen Wandlungen mit gewohnter Geschmeidigkeit sich auch in diesen neuen Wechsel rasch fand, bat den Rat um Mitteilung der amtlichen Akten , um den Sieg der guten Sache in Genf auch in einem geschichtlichen Werke zu verherrlichen^.

Calvin täuschte sich indes über den wahren Wert solcher Kundgebungen keinen Augenblick : er spottete sogar vor seinen Freunden über die ihm jetzt von alten Gegnern so reichlich ge- spendeten Huldigungen. Zu oft hatte er die Wandelbarkeit des Genfer Charakters erfahren , als dafs er jetzt an eine dauernde Sinnesänderung hätte glauben können. Nicht auf die ihm jetzt zu Füfsen liegende Menge des Volkes , sondern auf die ein- gewanderten Fremden setzte er seine ganze Hoffnung für die Zu- kunft.

In ihnen lag in der That die sichere Bürgschaft für den dauernden Bestand der neuen Ordnung.

Es verstand sich von selbst, dafs infolge des Sieges vom 16. Mai alle Schranken fielen, welche bis dahin der Aufnahme der Fremden noch entgegengestanden. Auch die mancherlei Be- schränkungen, welche von den Behörden der letzten Jahre über die fremden Habitants verhängt worden waren, wurden nach einiger Zeit beseitigt. Das gegen sie erlassene Verbot, Waffen zu tragen, wurde zurückgenommen, und schon im September 1555 erhielt ein Teil derselben die Waffen durch förmlichen Beschlufs des Grofsen Rates zurück , um fortan gemeinsam mit den Bürgern den öffentlichen Sicherheitsdienst zu übernehmen 3. Die Aufnahme als Bürger wurde durch besondere Verordnungen erleichtert 'f. So nahm jetzt die Einwanderung einen gewaltigen Aufschwung. Während der letzten Monate des Jahres 1555 und der ersten des folgenden

' Calvin schreibt darüber spottend an Farel 23. Nov. 1555. Unter dem Löwen und Drachen verstand er Perrin und Servet.

* Ratsprot. 27. Juli 1556. Nouv. pag. S. 82 n. 2. Schon vorher scheint Froment eine Darstellung der Ereignisse von 1555 versucht zu haben; vgl. Ratsprot. 26. Juni 1556. Der Druck wurde indes nicht gestattet.

3 Ratsprot. 5., 10,, 23. Sept. 1555. Roset VI c. 4. Vgl. Quelques l>ng. S. 99.

■* Zum Beispiel in Beziehung auf die Italiener: Ratsprot. 5. Dez. 1555*

Aufnahme neuer Refugies. 285

Jahres bildete die Verleihung des Bürgerrechts an Eingewanderte in den Ratsversammlungen einen stehenden Artikel : fast keine Sitzung , in der nicht Gesuche um das Bürgerrecht vorlagen und bewilligt wurden'. Die Zahl der aufgenommenen neuen Bürger betrug allein im J. 1555 zum mindesten 127; fast eben so viele wurden in jedem der beiden nächsten Jahre aufgenommen^. Und in gleichem Verhältnisse stieg die Zahl der einfachen fremden Habitants. Der Rathaussaal konnte die Menge der neuangekommenen Fremden, die bei dem Magistrat das Aufenthaltsrecht nachsuchten, oft nicht fassen. Neben den Franzosen und Italienern wurden um diese Zeit infolge der streng katholischen Politik der Königin Maria auch die englischen Refugies immer zahlreicher: schon im Sommer 1555 mufste für die englische Flüchtlingsgemeinde ein besonderer Gottesdienst eingeführt werden 3. Im Oktober 1557 wurden an zwei aufeinander folgenden Tagen zwischen zwei- und dreihundert Fremde als Habitants aufgenommen : Franzosen, Italiener, Engländer, Spanier. Im folgenden Jahre wurde an einem einzigen Tage sogar über 360 die Aufnahme bewilligt '*. Die Lemanstadt wurde und hiefs schon im Sommer 1555 die »all- gemeine Zufluchtsstätte der Exilierten s«, und in immer weiteren Kreisen richteten sich die Blicke aller derer , die in der Heimat um ihres Glaubens willen Drangsal und Verfolgung erlitten, nach Genf.

Eist durch diese massenhaften Ansiedelungen von Fremden erhielt der durch die letzten Vorgänge geschaffene Zustand eine feste Grundlage und einen sichern Halt. Die Zahl der Eingewanderten war im J. 1557 bereits erheblich gröfser als die der Eingeborenen. Erhielten die neuen Bürger auch noch nicht so bald Zutritt zu den höheren Ratskollegien, so waren sie es doch, welche der Stadt Charakter und Farbe gaben, welche die öffentliche Meinung bildeten.

' Ratsprot. 17., 21., 24., 25. Okt., 8., 11., 21., 28. Nov., 6., 10., 19. Dez. 1555, 3., 9., 13., 14., 21., 23., 24., 30. Jan. 1556.

^ Eine mir vorliegende alte Aufzeichnung giebt 127 neue Bürger für 1555, 108 für 1556 und iio für 1557. Galiffe, Quelq. pag. 78 hat 134 für 1555 und fast ebensoviel für die nächsten Jahre. [Vgl. Roget IV S. 326 f., V S. 48.]

3 Ratsprot. 10. Juni, 24. Okt. 1555. Roset V c. 71. \Rogtt IV S. 328.]

•t Ratspr. 14. Okt. 1557. Rosel VI c. 29, Quelques pages S. 78.

5 Blaurer an BuUinger 9. Aug. 1555; Genf, Siml, Bd. 85.

2 86 Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

Eine erfolgreiche Auflehnung aus dem Schofse der alten Bürger- schaft war nicht mehr zu befürchten , eine Rückkehr zu dem früheren Zustande war unmöglich. Die Herrschaft der kirchlichen Ordonnanzen war in Genf nach fünfzehnjährigem Kampfe dauernd und fest begründet und gegen jeden Angriff sicher gestellt.

Aber dabei blieb der Sieger jetzt nicht stehen. Es genügte ihm nicht, dafs das Werk der Genfer Reformation in solcher Weise sichergestellt war: es sollte nun auch geläutert und ver- vollkommnet werden.

Denn manche Mängel und Unvollkommenheiten klebten nach Calvins fester Überzeugung der Genfer Reformation noch an. Der Zustand, den die Ordonnanzen begründet und für den Calvin so manches Jahr gekämpft, war weit entfernt, seinem Ideal voll- ständig zu entsprechen. Manches hatte er bei den Verhandlungen von 1541 »mit Rücksicht auf die Schwäche der Menschen« zu- gestehen müssen , was er im Herzen mifsbilligte. Manches hatte er eingeräumt mit dem stillen Vorbehalte , es zu gelegenerer Zeit mit den Forderungen des wahren Christentums mehr in Einklang zu bringen ; in andern Punkten waren bisher nicht einmal die Be- stimmungen der Ordonnanzen ganz zur Ausführung gekommen, oder doch in der Praxis in einer Weise gemildert worden , dafs das ideelle Verhältnis dadurch vollständig verdunkelt wurde. Die Zeit war gekommen , das Werk seines Lebens von den noch an demselben haftenden Mängeln zu reinigen und das wahre Christen- tum, wie er es verstand, nunmehr in reiner, unverfälschter Gestalt ins Leben treten zu lassen.

Schon die ersten, im Sommer 1556 erlassenen Verordnungen liefsen erkennen, dafs fortan ein strengerer Geist in Genf herrschen werde. Die Kirchenzucht wurde alsbald mit gröfserer Energie und Strenge gehandhabt, jede Übertretung der Ordonnanzen be- straft, die Kontrolle geschärft, der Grundsatz, dafs die Staatsgewalt mit allen Mitteln für die Befolgung der kirchlichen Gebote ein- zutreten habe , jetzt mit gröfster Entschiedenheit zur Geltung ge- bracht. Das Consistorium erlangte ein erhöhtes Ansehen und entwickelte eine gesteigerte Thätigkeit: es fand jetzt bei der welt- lichen Gewalt jederzeit die gewünschte Unterstützung: von dem jetzt nicht mehr bestrittenen Exkommunikationsrecht wurde der umfassendste Gebrauch gemacht. Während in den vier Jahren von Ende 1550 bis Ende 1554 die Strafe der kirchlichen Exkommuni-

Verschärfung der Sittenzucht. 287

kation nur in etwa 80 Fällen zur Anwendung gekommen war, stieg die Zahl der Exkommunizierten allein im Jahre 1555 beinahe auf 100, um im folgenden Jahre ungefähr auf die Höhe von 140 zu steigen ^ Auch solche, die nur für kurze Zeit in Genf ihren Aufenthalt nahmen , wie die zu den Genfer Messen koinmenden fremden Kaufleute, hatten sich der strengen Kirchenzucht zu fügen. Im Jahre 1557 liefs der Rat die Edikte gegen das Schwören und Fluchen öffentlich an der Markthalle anschlagen, »damit niemand sich mit Unwissenheit entschuldigen könne-«. Um die allgemeine geistliche Überwachung zu erleichtern , sollten , wie die Ältesten, so nun auch die Geistlichen durch die ganze Stadt verteilt wohnen 3. Die schon im J. 1550 angeordneten allgemeinen jährlichen Haus- visitationen (vgl. Bd. I S. 437) wurden erst jetzt vollkommen zur Wahrheit und mit strenger Gewissenhaftigkeit vorgenommen. Es nahmen an ihnen nicht blofs Geistliche und Älteste, sondern auch Mitglieder des Rates Anteil. Im Ratsprotokoll zum 4. März 1557 lesen wir, dafs zwei Syndiks beauftragt wurden, eine General- visitation durch die ganze Stadt vorzunehmen , um Knechte und Mägde zum Besuch der Predigt zu ermahnen, sie über ihren Glauben zu examinieren , Eltern zu ermahnen , ihre Kinder zur Schule zu schicken, Taugenichtse und Müssiggänger aus der Stadt zu entfernen ; sogar von dem Verhalten von Ammen und Säug- lingen sollten sie Kenntnis nehmen'*.

Während in solcher Weise die alten Gesetze über Sittenzucht mit einer früher nicht gekannten Strenge durchgeführt wurden, kamen zugleich zu den alten noch neue, welche namentlich das Band zwischen Kirche und Staat noch inniger knüpften, und ins- besondere die Aufgabe der Staatsgewalt, gegen kirchliche Vergehen auch mit bürgerlichen Strafen einzuschreiten, noch nachdrücklicher zur Geltung brachten. Im Juni 1556 stellte Calvin im Namen der Geistlichkeit und des Consistoriums dem Rate vor, »es sei eine Schmach , dafs man solche , denen das Abendmahl untersagt sei, ohne Strafe lasse, da sie sich um jenes Verbot nicht viel kümmerten und das Sakrament verachteten;« er knüpfte daran den dringenden

' Vgl. die Liste der Excommunies im Nachtrag zu Cramers Extraits des registres du consistoire. » Raset VI c. 32. 3 Ratsprot. 7. Dez. 1557. ■» Ratsprot. 4. März 1557; vgl. Heury 11 S. 212.

a88 Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

Antrag, ^fdafs solche Mitglieder, die sich von der Kirche trennten und sie befleckten, auch bestraft und für einige Zeit aus der Stadt gewiesen würden«. Es scheint, dafs viele ein solches Verfahren anfangs doch zu hart fanden ; als aber der Reformator einige Zeit später auf seinen Vorschlag zurückkam , drang derselbe dennoch durch. Es wurde ein Edikt erlassen und in die Ordonnanzen auf- genommen, welches jeden Bürger und Einwohner von Genf, der sich während eines Jahres des Abendmahls enthielt, und jeden Ex- kommunizierten, der nicht innerhalb Jahresfrist seine Wiederaufnahme in die Kirche bewirkt hatte, zu einjähriger Verbannung verurteilte ; nur sollten den Schuldigen vor Ablauf jener Frist von dem Con- sistorium oder Rat eindringliche Vorstellungen gemacht werden'. Ein von Calvin lange gehegter Wunsch war damit in Erfüllung gegangen. Nicht ganz so glücklich war er mit einem Antrage auf eine Revision und nochmalige Verschärfung der ohnehin schon so strengen und wiederholt verschärften Edikte über Gotteslästerungen, Schwören, Fluchen, sittliche Ausschweifungen und Ehebruch. Die von ihm diktierten und von dem Kleinen und Grofsen Rat bereits angenommenen neuen Edikte lauteten so streng auf Ehebruch war Todesstrafe gesetzt , dafs, als sie am 15. November 1556 dem Generalrat zur Annahme vorgelegt wurden, selbst aufrichtige Anhänger des Reformators Bedenken gegen die Zweckmäfsigkeit und Ausführbarkeit derselben äufserten und trotz der Gegen- vorstellungen der Syndiks die Mehrzahl beschlofs , die neuen Ge- setze als »zu hart« in der vorliegenden Gestalt nicht anzunehmen, sondern sie zunächst nochmals »durchsehen und mildern« zu lassen. Es wurde die Äufserung vernommen, »man stehe doch unter dem Gesetze der Gnade und nicht mehr unter dem alten Gesetze.« Andere meinten, die halbe Stadt werde auswandern müssen, wenn die vorgeschlagenen Gesetze eingeführt würden. Über die Männer, die ihre Annahme befürworteten, fielen sehr bittere Bemerkungen ^,

' Ratsprot. 8. Juni 1556, 21. Juni 1557, Ann. S. 639, 667. Ord. eccl., Ausg. von 1561 , Opp. X, I S. 118. Dafs, wenn die Hartnäckigkeit noch weiter getrieben wurde, auch noch schärfere Strafen eintraten , liegt in der Natur der Sache und wird von Calvin ausdrücklich bestätigt: »Si qtiis etiam protervius se geret , senatus causam suscipit et animadvertit« . Calvin an Ole- vian 5. Nov. 1560, Opp. XVIIl S. 236.

* Ratsprot. 12., 13., 15. Nov. 1556; Consistorialprot. 3. Dez. 1556, Roset VI c. 14. Roget^ L'Eglise et l'Etat S. 69 f. Quelques pag. S. 120.

Die Censuren des Rat?. 280

Ein Zeichen, dafs die Menge der Bevölkerung damals noch nicht auf der Höhe der calvinischen Ideen stand I Man beschlofs mit Stimmenmehrheit, die vorgelegten neuen Edikte, »weil einige sie zu hart fänden, nochmals durchsehen und mildern, dann nochmals dem Generalrat vorlegen zu lassen.« Allein das waren fruchtlose Anstrengungen gegen eine Entwickelung, die wohl noch für einen Augenblick, aber nicht mehr auf die Dauer gehemmt werden konnte. Thatsächlich erlangten die strengen Grundsätze des Reformators dennoch in kurzem Geltung. Diejenigen, auf welche es ankam, die Syndiks, der Rat und selbst die Zweihundert standen auf seiner Seite und unter seinem Einflufs. Und um den übrigen Einwohnern mit einem guten Beispiele voranzugehen, traf der Rat, wohl auf Anregung Calvins, eine Einrichtung, die nicht verfehlen konnte, auf die Menge einen tiefen Eindruck zu machen. Im Dezember 1557 wurde von gotte? fürchtigen Männern im Rat der Antrag gestellt, dafs nach dem Vorbild der Mitglieder der ehr- würdigen Kongregation auch die Mitglieder des Rates an be- stimmten Tagen des Jahres zu vertraulichen Konferenzen zu- sammentreten möchten , um einander wechselseitig ihre Fehler nachzusehen , ihr Verhalten zu prüfen und gegen vorgekommene Nachlässigkeiten und pflichtwidrige Handlungen Vorstellungen zu machen. Der Vorschlag wurde angenommen und nur die Bedingung gemacht, dafs erteilte Ermahnungen und Zurechtweisungen der Öffentlichkeit vorenthalten würden. Viermal im Jahre, wie die allgemeine Abendmahlsfeier, sollten auch diese »Censuren des Kleinen Rates« stattfinden. Zu Anfang des nächsten Jahres (2. März) trat die neue Einrichtung ins Leben \ Fürwahr, wo die Väter und Führer der Stadt einen solchen Eifer zeigten, das geistliche Vorbild nachzuahmen, konnte das Volk nicht lange zurückbleiben. Dafs mit der strengen Durchführung und Verschärfung der Sittenzucht zugleich eine gröfsere Strenge in der Überwachung der Reinheit des Glaubens eintrat, bedarf kaum einer ausdrück- lichen Erwähnung. Kein Widerspruch durfte gegen die bis in den Sommer 1555 immer noch heimlich und offen angegriffene Prä- destinationslehre mehr laut werden. Insbesondere liefs Calvin es sich angelegen sein , alle noch vorhandenen Reste des Papismus, für den es selbst in dieser Zeit noch Sympathien gab , gründlich

' Ratsprot. 7., 15. Dez. 1557, 2. März 1558. Roset VI c. 2,2). Kampschulte, J. Calvin II. I9

2QO Siebentes Buch. Genf unter Calvins Hcrrschafi.

aus den Gemütern auszurotten. Der Gegensatz gegen den Katho- lizismus wurde verschärft. Es war nicht mehr gestattet, irgend ein kathoUsches Buch zu besitzen. Ein Einwohner , von dem hinterbracht wurde , dafs er die Legenda aurea besitze , wurde vorgeladen, zurechtgewiesen und mufste das Buch ausHefern. Nicht einmal über den Privatcharakter des Papstes und seine weltliche Regierungsweise durfte der Genfer sich günstig äufsern ^ Als im J. 1556 ein Bhtzstrahl das grofse Kreuz auf dem Glockenturm von S. Peter traf, wurde dies als ein Wink des Himmels angesehen und der Befehl erlassen , alle Kreuze auf Kirchen und andern öffentlichen Gebäuden in Stadt und Land zu beseitigen^. Auf die ehemaligen Feiertage wurden mit Absicht die geräuschvollsten und profansten Arbeiten verlegt. Am Weihnachtstage 1556 empfing ein Verurteilter öffentlich durch Henkershand die Strafe des Staup- besens, und der Geistliche, der an diesem Tage die Predigt hatte, geriet auf der Kanzel in heftigen Zorn , als er wahrnahm , dafs dennoch die Andächtigen sich zahlreicher eingefunden hatten als an gewöhnlichen Wochentagen 3. Alles sollte in Genf Rom un- versöhnliche Feindschaft ankündigen.

Und nicht blofs auf die kirchlichen, auch auf die bürgerlichen Verhältnisse erstreckten sich die Folgen des Sieges. Während der Wirren und Parteikämpfe der letzten Jahre war manches in der Verwaltung und Regierung des kleinen Gemeinwesens in Unord- nung geraten. Calvins ordnungsliebender Geist und sein organi- satorisches Talent machte sich bald auch hier geltend. Hatte er auch früher, solange er mit einer mächtigen feindlichen Partei im Kampfe um die Herrschaft lag, selbst nicht immer den Weg des strengen Gesetzes inne gehalten, so trat doch jetzt, da er sich im Besitz der Gewalt , die Gegner gestürzt sah , der ihm angeborene Sinn für ein streng geordnetes und geregeltes Staatswesen wieder in seine Rechte. Mehrere Mifsstände wurden unter seiner unmittel-

' Consistorialprot. 12. Nov. 1556, 15. Juli 1557.

^ Roset VI c. 9.

3 Vgl. Haller an BuUinger S. Jan. 1557, Opp. XVI S. 380. Vgl. Ratsprot. 26. Dez. 1555: »Hier quelques uns de la ville oiit fait la Jcste de Noel et mesme quelques pauvres de t hospital. Arreste que cculx qui seront trouves lavoir faicte seront 2^ /teures en prison , et /es pauvres auxquels est faicte auiHosne en Vospita/ en seront pHves pour un mois sils ont celebre la feste«.

Strengere Ordnung des bürgerlichen Lebens und des Staatshaushalts. 291

baren Mitwirkung beseitigt. Es wurde eine bessere Ordnung in den Staatshaushalt gebracht und ein Gesetz erlassen , welches untersagte, in Zukunft solche, die noch von ihrer früheren Amts- führung her der Stadt Rechenschaft schuldig seien , zu neuen Ämtern zu wählen^. Ein anderes Edikt beseitigte die alte weit- läufige bürgerliche Prozefsordnung und führte ein kürzeres und bündigeres Verfahren ein ^. Es wurde auch im bürgerlichen Leben eine strengere Kontrolle um so mehr eingeführt , als auch die äufsere Sicherheit dies zu erfordern schien : kein Einwohner durfte ohne besondere Erlaubnis sich auf längere Zeit aus der Stadt ent- fernen , und dieses Verbot wurde selbst gegen die angesehensten Refugiös zur Geltung gebracht 3. Keine Art von Müfsiggang ward mehr geduldet. Junge Leute, die sich ohne Beschäftigung herum- trieben und den Gottesdienst versäumten, wurden, auch wenn sie den angesehensten Familien angehörten, ohne viel Umstände vor- geladen und aufgefordert sich zu bessern, widrigenfalls man sie zu den Erdarbeiten an den Festungswerken verwenden werde "♦. Der Rat entwickelte in allen diesen Richtungen die rührigste Thätigkeit, und war auf jede Weise bemüht, Calvins Lob zu ver- dienen. Um eine Wiederkehr der früheren Zustände unmöglich zu machen, hatte er schon im J. 1555 die über die Flüchtlinge ver- hängten Strafen bis aufs vierte Glied ausgedehnt 5, und im J. 1558 fafste er sogar den Beschlufs, dafs »zum künftigen Andenken an die Befreiung der Stadt« vor drei Jahren eine Gedenktafel an dem Rathause aufgestellt werde*'.

So entwickelten sich jetzt in Genf mehr und mehr Zustände, die dem Ideale Calvins, wenn auch nicht vollkommen entsprachen, doch sich näherten. Die Biographen sind voll des Lobes für diese Zeit. »Die Kirche Gottes,« sagt CoUadon , »machte gewaltige Fortschritte. Das Volk wurde dem göttlichen Worte gehorsamer.

' Übrigens hat diesen Übelständen auch schon die Obrigkeit von 1554 ihre Aufmerksamkeit zugewandt, vgl. Roset V c. 55.

* Ratsprot. 12., 13., 15. Nov. 1556. Roset VI c. 14. Manche der uns erhaltenen handschriftlichen Aufzeichnungen und Entwürfe von Calvins Hand gehören wohl dieser Zeit an; vgl. Bd. I S. 416 ff.

3 Quelques pag. S. 118 n. 3. Vgl. auch Ratsprot. I. April 1561.

4 Vgl. z. B. Ratsprot. 7. Juni 1558.

5 Ratsprot. 27. Dez. 1555.

'' Ratsprot. 23. Mai, 13. Sept. 1558.

19*

292

Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

Die heilige Reformation wurde besser beobachtet, und die Vergehen nach Gebühr bestraft und unterdrückt. Darüber herrschte Freude im Herrn unter allen Frommen Congregation und Consistorium, Visitationen und Konferenzen gingen in schönster, ungestörter Ordnung vor sich. Die Predigten wurden von Jung und Alt, Hoch und Niedrig, von Einheimischen und Fremden mit einem früher nicht gekannten Eifer besucht. Die alten drei Pfarrkirchen reichten bald nicht mehr aus. Schon im J. 1557 wurde auf Calvins Vor- schlag die bei der Einführung der Reformation geschlossene Kirche von St. Germain »wegen des gesteigerten Kirchenbesuches« wieder für den Gottesdienst geöffnet und auch die Anzahl der Geistlichen um zwei vermehrt^. Ein religiöser Ernst durchdrang mehr und mehr auch das bürgerliche Leben. Die öffentlichen Wahlen ge- schahen nur noch unter Assistenz der Geistlichen mit Gebet und Predigt. Bei der Wahl der Syndiks für das Jahr 1558 ermahnte Calvin in ernsten Worten die Versammelten , Gott die Ehre zu geben und in Demut zu wählen ; »man möge daran denken , in welcher Gefahr die Republik in den letzten Jahren geschwebt, weil die regierenden Bürger unwürdig gewesen, und auch die Klein- heit des Staates bedenken, damit die Seelen nicht stolz würden« 3. Zwischen Rat und Geistlichkeit bestand ungetrübte Eintracht. Willig ordneten sich die unter geistlichem Einflufs gewählten welt- Hchen Machthaber dem Reformator unter, mit dem des Herrn Hand so sichtlich war. Man trat jederzeit für seine Reform- vorschläge ein , hörte auch in rein politischen Fragen auf seinen Rat, übertrug ihm politische Verhandlungen, liefs wichtige Staats- schreiben durch ihn abfassen. Man erwies ihm Ehre und Auf- merksamkeit, wo sich Gelegenheit dazu bot, stellte ihm mit Rück- sicht auf seine gesteigerten Arbeiten einen Hilfsgeistlichen an die Seite, liefs ihn auf Reisen durch einen öffentlichen Herold feierlich geleiten. Ein Fremder wurde unentgeltlich als Bürger aufgenommen,

' Colladon, Opp. XXI S. 79.

* Ratsprot. 12. Juli 1557. Roset VI c. 33.

3 Ratsprot. 4. Febr. 1558, Ann. S. 685 [das obige Citat nach Hairy 11 S, 52]^ Vgl. Ratsprot. 17. Nov. 1555, wo von der Wahl des Lieu- tenants die Rede ist. [Über die Beschränkung der Thätigkeit des Grofsen Rats vgl. Staehelin in der Prot. Realencyklopädie III S. 681.]

Unbeschränktes Ansehen der Geistlichkeit. John Knox über Genf. 293

weil er acht Predigten Calvins aufgezeichnet und in einem Buche schön zusammengestellt habe^.

Und an dieser bevorzugten Stellung nahm nun auch die übrige Geistlichkeit teil. Als der Prediger Abel Poupin , der so oft durch sein herausforderndes Reden und seinen geistlichen Hochmut das alte Genf gegen sich aufgebracht hatte, im Herbst 1555 erkrankte, erregte dies in solchem Grade die öiTentliche Teilnahme, dafs darüber selbst im Rate verhandelt und dem Diener Gottes zum Tröste auf städtische Kosten ein ansehnliches Geschenk gemacht wurde -. Viret und Farel, die im nächsten Fl ühjahr die Stadt wieder besuchten , wurden von dem Magistrat mit einer fast kindischen Zärtlichkeit behandelt und mit den kost- barsten Speisen bewirtete Es war die ehrwürdige Genossenschaft, die fortan in Genf den Mittelpunkt des öffentlichen Lebens bildete und dasselbe nach allen Richtungen beherrschte. Nach zwanzig- jährigem beharrlichem Kampf war es dem Reformator endlich gelungen, dem geistlichen Amt diejenige Stellung zu sichern, ohne die er ein wahrhaft gedeihliches, dem Geiste des Christentums völlig entsprechendes Wirken für unmöglich hielt.

Glaubens- und reformeifrige Fremde, die in jenen Jahren nach Genf kamen, blieben staunend vor dem Schauspiel stehen, das sich ihren Augen darbot, und konnten niclit Worte genug finden, den Gesinnungsgenossen in der Heimat zu schildern, was sie ge- sehen. Nach Genf müsse man ziehen , meinte John Knox, der derbe schottische Reformator, der 1556 sich längere Zeit in der Stadt Calvins aufhielt, um das wahre Christentum kennen zu lernen. »Seit der Apostel Zeiten,« schrieb er damals von Genf seinem Freunde Locke, »hat es, wie ich ohne Scheu zu behaupten wage, keine voUkommnere Schule Christi gegeben als hier. Auch andern Orts wird wohl Christus wahrhaftig gepredigt, aber noch nirgendwo habe ich gesehen, dafs Sitten und Glauben so gründlich (sincerly) reformiert worden seien wie hier"*.« »Ich habe viele

' Ratsprot. 24. Juni, 7. Nov. 1555, 17., 21. Jan., 12. Okt. 1556. Colladon S. 70. Vgl. Opp. XV S. 706; XVI S. 270 f., 316 ff., 559 ff. ^ Ratsprot. 5. Sept. 1555. Er starb 1556.

3 Ratsprot. 28. April 1556: »0;/ leur faict un frescnt de confitiircs et des drageest. Grenus, Extr. S. 23. Vgl. Ratsprot. 31. Aug. 1556, Ann. S. 647 (der in Genf erkrankte Viret wird auf städtische Kosten verpflegt 1)

4 T/winas M'Crie, The life of John Knox. Edinb. 1S18. I, 197.

294

Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

Kirchen besucht,« schrieb in demselben Jahre Vergerius den Freunden in der itaUenischen Heimat, »die sich reformiert haben, aber ich habe keine gefunden, die es so weit gebracht wie Genf.« Und dann geht er die kirchhchen Einrichtungen Genfs einzeln durch, Predigt und Katechese, Consistorium, Psalmengesang, ge- meinsame Abendmahlsfeier, Hausvisitation, Einsetzung der Geist- lichen, Schul- und Armenwesen, um von der kirchlichen Ordnung, die Calvin hier geschaffen , ein Bild zu entwerfen , das in der That Genf als die evangelische Musterkirche erscheinen läfst und noch heute den Stolz der Genfer Reformationshistoriker ausmacht ^ Ganz entzückt von der neuen Ordnung der Dinge in Genf war der alte Farel, der selbst zu dem glänzenden Erfolge des Meisters redlich sein Teil beigetragen. Es wurde ihm schwer , sich von der Stadt zu trennen, als er sie 1557 wieder besuchte. »Neulich war ich in Genf,« schrieb er im Frühjahr 1557 seinem Freunde Blaurer, »und noch nie hat es mir dort so wohl gefallen, so dafs ich mich kaum losreifsen konnte. Nicht dafs ich wünschte, eine so grofse, nach dem Worte Gottes begierige Gemeinde zu belehren, sondern nur zu hören und zu lernen wie der Geringste im Volk. In Genf wollte ich lieber der letzte sein als an einem anderen Orte der erste ^.«

II;

NEUE IRRUNGEN MIT BERN. DER EWIGE FRIEDE.

In nicht so günstigem Lichte wie den reformeifrigen Emi- granten und Freunden Calvins erschien der neue Zustand in Genf den Glaubensgenossen in der benachbarten deutschen Schweiz.

' Vergerius' Schreiben bei Gaberei I S. 512 520; auch bei Staehelin I, 481 ff. Dafs indes Vergerius die Dinge in allzu günstigem Lichte sieht, ergiebt sich aus dem auch dem Schulwesen gespendeten Lob, mit dem es 1556 keineswegs schon so günstig stand. Eine ähnliche panegyrische Schilderung in den Memoires de Conde (A la Haye 1743) I, 604 ff.

■>■ Kirchhofer, Farel II, 125. Farel an Blaurer 13. April 1557, Opp. XVI S. 446. Sulzer an Bullinger 22. Aug. 1556 bezeichnet Genf als »insigne religionis veraeque pietatis domiciliuin« ; ebd. S. 266.

Stimmung in der Schweiz gegen Calvin. 2QiJ

Hier war der erste Eindruck , den die Vorgänge des Jahres 1555 machten, vielmehr ein höchst peinhcher. Die massenhaften Verurteilungen, Einkerkerungen, Verbannungen, Gütereinziehungen und insbesondere die wiederholten Hinrichtungen wurden von der öffentlichen Meinung in sehr entschiedener Weise mifsbilligt, und die leidenschaftlichen Schilderungen der dem Kerker oder Blut- gerüst Entkommenen gaben dieser Stimmung neue Nahrung. Vor allem richtete sich die allgemeine Ungunst gegen Calvin , in dem alle Welt den eigentlichen Urheber der beklagten Vorgänge er- blickte. Man fand seine Handlungsweise zu hart und meinte, aus so blutiger Saat könne nimmer Gutes hervorgehen. Die Theologen in den gröfsten schweizerischen Städten blickten mit banger Sorge in die Zukunft. In beweglichen Worten bat BuUinger seinen Genfer Freund , sich doch der Mäfsigung zu be- fleifsen und auf das zu sinnen, »was zum Frieden und zur Er- bauung dienet« Auch an andern, für den Ruf Calvins nachteiligen Gerüchten fehlte es nicht". Zwar brachten die verschiedenen von ihm selbst oder von seinen Freunden verbreiteten Rechtfertigungs- schreiben — nach Zürich und Basel liefs der Rat zur Widerlegung der schlimmen Gerüchte sogar einen besonderen Boten mit einer ausführlichen , offenbar von Calvin aufgesetzten offiziellen Denk- schrift abgehen ^ doch einige Wirkung hervor : die Stimmung wurde nach und nach milder ; aber es blieb doch unter Geisthchen wie Laien gegen die neue Ordnung in Genf und den alles be- herrschenden geistlichen Diktator ein tiefes Mifstrauen zurück, welches dieser selbst sich am wenigsten verbarg und, zu Zeiten wenigstens, sehr bitter empfand. »Ich weifs es,« schreibt er ein- mal einem seiner Freunde, »fast die ganze Welt ist von Hafs gegen mich entbrannt, und viele lassen sich dadurch von dem freundschaftlichen Umgang mit mir abschrecken'*.«

Am gewaltigsten aber zürnte das benachbarte Bern, und von

Bullinger an Cal/in 28. Sept. 1555, Opp. XV S. 797 ff.

^ Piperinus an Blaurer 19. Sept. 1555; an Calvin selbst 15. Okt. und Calvins Antwort 18. Okt., Opp. XV S. 770, 820, 825.

3 IMemoire port6 par M. Roset 19. Nov. 1555 bei Gaberei I Pikees just. S. 135 ff. Vgl. Ratsprot. 4. Nov. 1555.

+ Calvin an Faber 13. April 1556, Opp. XVI S. 106; vgl. auch seine Briefe an Viret, Farel , Piperinus aus dem Sept. und Okt. 1555, Opp. XV S. 754, 812, 825.

2q6 Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

hier drohte dem kaum aufgerichteten Gebäude Calvins ernste Gefahr.

Bern wurde durch die kirchUch-poHtische Umwälzung in Genf in der unmittelbarsten und empfindlichsten Weise getroffen. Mit Ami Perrin und seinen Freunden fiel zugleich der letzte Rest des Einflusses , den Bern aus den Tagen des genferischen Un- abhängigkeitskampfes durch alle Wechselfälle hindurch in diese Zeit hinübergerettet hatte. Die Partei, die am i6. Mai 1555 voll- ständig ans Ruder gelangte, war dieselbe, die seit Jahren systematisch den bernischen Einflufs bekämpft hatte und offen oder heimlich auf eine Allianz mit Frankreich lossteuerte , während sich unter den Anhängern des Generalkapitäns fast alles befand , was in Genf noch an der Tradition des Jahres 1526 und den damals begründeten innigen Beziehungen zwischen den beiden Städten aus was für Gründen auch immer festhielt. Hatte Bern auch in den letzten Jahren schon Einbufse auf Einbufse erlitten, war sein ehemaliger Einflufs in der letzten Zeit nur mehr geringfügig gewesen: die kirchlich -politische Umwälzung von 1555 traf die Berner Nachbarn dennoch sehr hart. Vollständig sollte jetzt die Frucht aller Anstrengungen, Opfer, Bemühungen der letzten dreifsig Jahre dahin sein ! Man versuchte anfangs die Mittel der Güte, um den drohenden Schlag abzuwenden. Man bat für die An- geklagten um ein freies Geleit, um ein ordentliches Verhör, man sandte Schreiben auf Schreiben , Botschaften auf Botschaften, um die Partei der Freunde und den eigenen Einflufs zu rettend Als alle friedlichen Versuche und Vorstellungen nutzlos blieben, be- mächtigte sich der Gemüter eine Erbitterung der leidenschaftlichsten Art. Der Hafs gegen die undankbare Bruderstadt und ihr wälsches Oberhaupt dafs Calvin alles angezettelt, galt in Bern als zweifellos kannte bald keine Grenzen mehr und rifs auch die Besonnenen mit sich fort. Vergebens predigten die Geistlichen Mäfsigung ^. Die Berner Regierung machte die Sache der exilierten Perrinisten jetzt vollständig zu der ihrigen ; die gegen sie gefällten Urteile wurden, weil sie lediglich von Parteileidenschaft eingegeben

' [Vgl. Roget IV S. 277 ff., 282 ff., 293 ff.]

* Vgl. Haller an Bullinger 27. Juli, 6. Aug. 1555; Musculus an Bul- linger 15. Okt. 1555, Opp. XV S. 699, 718, 822. Bohcc S. loi legt den Bernern gar die Äufserung in den Mund : »digiitc/n mfelicem hanc urbem esse, qiiae ftinditus eversa in lacum Lemanutn tota imincrgeretttr«.

Schutz der Genfer N'erbaniiten durch Bern. Das Burgrecht. 207

seien, als rechtsgültig nicht anerkannt. Man nahm die Verurteilten mit offenen Armen auf und liefs sie auf Berner Gebiet in Lau- sanne, wo sie Virets Tage verbitterten ^, und anderswo, namentlich aber in den Grenzorten sich ansiedeln. Sofort wurde eine Art Grenzkrieg organisiert. Bald führten die von den Schützlingen Berns ausgeführten Überfälle und Angriffe gegen Genfer Bürger den calvinischen Machthabern zu Gemüte, was der Zorn von Bern zu bedeuten habe^.

Aber Bern glaubte noch ein anderes Mittel in Händen zu haben, den neuen Herrn in Genf seinen Zorn fühlbar zu machen und dieselben in der Erkenntnis ihrer Pflichten zu fördern.

Im Februar des nächsten Jahres ging der in der Zeit des vorwaltenden Einflusses der perrinistischen Partei um weitere fünf Jahre verlängerte Burgrechtsvertrag zwischen den beiden Städten zu Ende. Hatte Bern schon vor dem letzten Ereignisse die auf eine Verlängerung des bisherigen Bundesverhältnisses gerichteten Anfragen und Anträge Genfs, welches sogar einen ewigen Bund(< wollte , sehr kühl aufgenommen und wenig Lust zu einer Fort- setzung des alten Verhältnisses an den Tag gelegt , so war es jetzt noch viel weniger dazu geneigt 3. Sollte es durch Erneuerung des alten Schutzbündnisses eine Partei in der Herrschaft befestigen helfen, die fortfuhr, Berns Gefühle und Interessen in der kränkendsten Weise zu mifsachten und zu verletzen, die jeden Tag neue Beweise ihrer Undankbarkeit und ihres Hasses gab? Zudem glaubte sich Bern, wie wir wissen , durch mehrere Bestimmungen der früheren Verträge, namentlich über die schiedsrichterlichen Entscheidungen, sowie über die Güter des ehemaligen Domkapitels und der Abtei von S. Victor benachteiUgt. Es lag nahe, den gegenwärtigen Moment zu benutzen , sich von der nachteiligen Stipulation loszusagen und auszuführen, was 1539 mifslungen war. Und Berns Staatsmänner entschlossen sich dazu. Auf erneuerte Anträge erklärten sie den bisherigen Verbündeten , dafs Bern zu einer Erneuerung des Bundesvertrages bereit sei, jedoch nur unter der Bedingung einer Revision desselben. Im August 1555 ging eine

' Viret an Calvin 26. Uez. 1555. Opp. XV S. 899 f. »l'os pulsis vestris imnnmdis spii-ttibus tjtiiescitis, nos vero ab Ulis divexamur« .

* Ratsprot. 19. Aug., 8. Sept. 1555. ßoiiivard , Anc. et nouv. pol. S. 114. Roset VI c. 3. Quelques pag. S. 112 ff.

3 Ruchat-Vulliemin VI, 131. \Roget V S. 5 ff.]

2q8 Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

Gesandtschaft, an deren Spitze der bekannte Hans Franz Naegeli stand , nach Genf ab , um hier die gewünschten Veränderungen mitzuteilen ^

Aber wie hätten die gegenwärtigen Machthaber, die Genf ja gerade von dem Einflüsse Berns emanzipieren und diesem nur die ehrenvolle Pflicht, Calvins Stadt in der Stunde der Gefahr zu ver- teidigen, gewahrt wissen wollten , zu einem solchen Beginnen die Hand bieten können ? Man war in Genf durch das bisher in den politischen Verwicklungen mit dem deutschen Nachbar erfahrene Glück so sehr verwöhnt, dafs die neuen Forderungen Berns, wie sehr sie auch in der Natur der Verhältnisse begründet waren, hier völlig unerwartet kamen und eine allgemeine Entrüstung hervor- riefen. Solle einmal, meinte man, der Vertrag verändert werden, so müfse dies vielmehr zum Vorteil Genfs und nicht des schon mehr, als sich gebühre, bevorzugten Berns geschehen^. In der That scheint man in der Stille die Hoffnung genährt zu haben, bei dieser Gelegenheit namentlich jener drückenden Bestimmung ledig zu werden, welche es Genf untersagte, ohne Wissen und Willens Berns mit irgend einer Stadt ein Bündnis zu schliefsen; schon früher war zu verschiedenen Malen der Versuch gemacht worden , Genfs Aufnahme in den allgemeinen Bund der eid- genössischen Städte durchzusetzen , um damit mittelbar auch zu Frankreich in ein näheres Verhältnis zu kommen. Gerade jene Bestimmung aber wurde von Bern in den neuen Vorschlägen mit besonderem Nachdruck betont 3.

An Annahme war da nicht zu denken. Die Gesandten wurden fast mit Verachtung behandelt. Das Volk würdigte sie nicht einmal eines Grusses'*. Alles war erbittert über die An- mafsung Berns , das Genf entehren wolle ! Zwar trat dann bei

^ Euchat-Vullieiniti VI, 182. Calvin an Bullinger Okt. 1555, wo auch die von Bern gestellten Bedingungen angegeben werden. Opp. XV .S. 833.

* Calvin an Zurkinden (Zerkintes) 21. Febr. 1556, Opp. XVI S. 43 f. [Roget V S. 7 f.]

3 Calvin an Bullinger Okt. 1555, Opp. XV S. 833 f. Diese BestimmuD;j steht bereits in dem Vertrag von 1536, aber allerdings nicht im Burgrechts- vertrag. Ist Galiffes Urteil über Berns Haltung (Quelques pag. S. 119) auch zu günstig, so ist es der Stadt doch wahrlich nicht zu verargen, wenn sie den neuen Gebietern in Genf gegenüber auf die Rolle des Edelmütigen verzichtete. Vgl. o. S. 233 ff.

4 Sulzer an Bullinger 3. Sept. 1555, Opp. XV S. 746.

Lösung des Biindesvertrags zwischen Bern und Genf. 290

ruhigerer Erwägung der Sachlage naturgemäfs wieder eine Er- nüchterung der Gemüter ein. Man liefs sich doch, da man nicht ohne Bundesgenossen bleiben konnte und wollte, mit dem begehr- lichen, mächtigen Nachbar in Unterhandlungen ein. Man brachte nochmals Genfs Aufnahme in die eidgenössische Allianz in An- regung, für die Bern selbst früher (1549) wirken zu wollen erklärt hatte. Natürlich , dafs Bern nichts davon wissen wollte ' . Man machte dann wirklich Bern nicht unerhebliche Zugeständnisse^. Aber Bern fand dieselben ungenügend. Es fafste sein Antwort- schreiben jetzt zum erstenmal in deutscher Sprache ab, zum grofsen Verdrufs der calvinischen französischen Machthaber 3. Die Ge- müter waren zu erregt, die Interessen einander zu sehr entgegen- gesetzt, als dafs eine wirkliche Ausgleichung möglich gewesen. Ende Januar 1556 setzte Genf den bisherigen Verbündeten noch- mals ni einem ausführlichen Schreiben auseinander, dafs es auf die vorgeschlagenen Bedingungen nicht eingehen könne : man werde sich , wenn der Bund nicht wieder erneuert werden sollte, unter den Schutz Gottes stellen. Die Folge war, dafs Bern am 7. Februar 1556, einen Tag vor dem Ablauf des Vertrages, den- selben nunmehr für erloschen erklärte und sich von allen früheren Vereinbarungen und Abmachungen in aller Form lossagte ■♦.

Zum ersten Mal seit dreifsig Jahren stand Genf ohne Bundes- genossen da.

In den protestantischen Orten der Eidgenossenschaft erregte dieser Ausgang eine gewisse Bestürzung. Allgemein herrschte hier das Gefühl , dafs es ein Unrecht sei , eine Stadt , die für die all- gemeinen Interessen des Evangeliums eine Wichtigkeit habe wie Genf, in dieser Zeit der Gefahr hilflos und ohne Bundesgenossen

' Ralsprot. 3., 23. Dez. 1555. Vgl. ?/,7« II. 204.

^ Calvin an Buliinger 23. Jan. 1556, Opp. XVI S. lO, [J?ogei V S. lO f.]

^ Calvin an Zurkinden 21. Febr. 1556, Opp. XVI S. 44: »Denique qitiim oblatam mitigationein recusaslis gerinan'tce scriheitdo , quad antehac nun- quam factum fiierat, visi estis quasi data opera apcrtitni prae vobis coutemptum ferre«. Der Ärger war allerdings um so mehr begründet, als infolge des steigenden Einflusses der Franzosen die Zahl der das Deutsche Verstehenden sehr zusammengesclimolzen war. Ratsprot. 23. Dez. 1555. Im Jahre 1560 mufste der Rat sogar vier junge Leute nach Deutschland schicken, um das Deutsche zu erlernen; Ratsprot. 30. Juli 1560; vgl. 20. Jan. 1559.

•* JRoset VI c. 6; Rtichat-Vullieinin VI, 183. [Genfs Schreiben war von Calvin redigiert: Roget V S. 11 f.]

300

Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

ZU lassen. Man erinnerte an den Fall von Constanz und fürchtete, dafs , was im Osten geschehen, auch im Westen sich ereignen könne \ Man mifsbilligte die Haltung Berns, aber noch schärferer Tadel richtete sich gegen Calvin, der hauptsächlich für das Scheitern der Verhandlungen und den Eigensinn Genfs verantwortlich ge- macht wurde. Seine tiefe Abneigung gegen Bern war allbekannt er selbst hatte nie Hehl daraus gemacht , nicht minder der grofse Einflufs , den er in diesem AugenbHcke in Genf ausübte : der Schlufs lag also nahe , das Auftreten des Genfer Magistrats auf ihn zurückzuführen. Von vielen Seiten vernehme er Klagen über Calvins unversöhnlichen Hafs gegen Bern , schrieb ihm tief- bekümmert sein Freund BuUinger schon im Herbst 1555; man sage , er suche absichtlich das Bündnis mit Bern zu hintertreiben und mit seinen Franzosen allein und nach eigenem Gutdünken zu herrschen. Er möge doch bedenken, dafs Bern vordem um Genf sich grofse Verdienste erworben und dafs das Bündnis mit dem- selben sowohl Genf als der Sache Christi gute Früchte getragen^. Wie allgemein jene Ansicht herrschend war, zeigt auch der Um- stand , dafs der einzige Mann in Bern , der bei der allgemeinen Erbitterung sich die nötige Ruhe des Gemütes erhielt und auch nach dem definitiven Bruch an der Wiederherstellung des Bundes zu arbeiten fortfuhr, der Staatssekretär Zurkinden, sich an keinen andern als an Calvin wandte und ihn von der Billigkeit der Berner Forderungen zu überzeugen suchte'. Von ihm allein, schrieb derselbe noch zu Anfang des nächsten Jahres an Calvin, hänge es nach dem festen Glauben der Berner ab, dafs der Friede zwischen den beiden Städten wiederhergestellt werde 4.

Calvin trat dieser Ansicht, wo er konnte, entgegen. Er suchte nach aufsen vielmehr die Meinung zu verbreiten, als mische er sich gar nicht in Staatsangelegenheiten, es sei denn was indes nur selten geschehe dafs ihn der Rat ausdrücklich darum bitte 5. Indes ein Blick in die Ratsprotokolle und die in der Berner An- gelegenheit ergangenen Staatsschriften, die gröfstenteils Calvin zum Verfasser haben, genügt, um sich zu überzeugen, dafs die öffent-

I Rosd VI c. 6.

^ Bullinger an Calvin 28. Sept. 1555, Opp. XV S. 798 f. 3 Zurkinden an Calvin 14. Febr. 1556, Opp. XVI S. 29 ff. + Zurkinden an Calvin 20. Jan. 1557, Opp. XVI S. 390. 5 Calvin an Zurkinden 21. Febr. 1556, Opp. XVI S. 43.

Calvins Haltung indem Streit mit Bern. Vermittlung der Eidgenossen, -jci

liehe Meinung sich nicht im Irrtum befand, dafs er auch hier Genfs bestimmender Genius war. Er machte auch selbst einem Zurkinden gegenüber kein Hehl daraus , dafs er die Weigerung seiner Mitbürger , auf Berns Forderungen einzugehen , durchaus billige , ja Genfs Haltung sogar äufserst mafsvoll finde. Es läfst sich nicht bezweifeln, dafs er in der That das Bundesverhältnis zu Bern am liebsten völlig und für immer beseitigt gesehen, wenn sich nur ein Ersatz dafür hätte beschaffen lassen'.

Allein dazu war in diesem Augenblicke wenig Aussicht vor- handen und jedenfalls hatte Bern auch dabei ein Wort zu reden. Ohne Bundesgenossen aber, das war auch Calvins feste Über- zeugung , konnte und durfte Genf in dieser Zeit der plötzlichen Gefahren nicht lange gelassen werden. So blieb nichts übrig, als sich in das Harte zu finden und neue Verhandlungen mit Bern zu versuchen.

Genf rief in dieser Lage die Vermittlung der drei deutschen Orte Zürich , Basel und Schaff hausen an , die ihm schon so oft gute Dienste geleistet hatten. Es gelang diesen wirklich durch eindringliche Vorstellungen , Bern insoweit zur Nachgiebigkeit zu stimmen , dafs es in eine Wiederaufnahme der Verhandlungen einwilligte und den Genfer Gesandten eine gute Aufnahme ver- sprach. Allein die neuen Verhandlungen blieben völlig erfolglos; Genf beharrte im wesentlichen auf seinem alten Standpunkte, Bern aber fügte seinen früheren Forderungen jetzt noch neue hinzu ^. Die Combourgeoisie schien im Sommer 1556 weiter in die Ferne gerückt als je. Es wurde von Bern gegen den ehemaligen Ver- bündeten jetzt sogar eine förmliche Grenzsperre angeordnet ^. Und

' Dafs Calvin es geradezu auf eine Auflösung des Bundes der beiden Städte abgesehen und diese systematisch betrieben , ist eine zu weitgehende Ansicht Galiffes (Quelques pages S. 50, 76). Dafs er aber schon längst dahin strebte, sich von Bern zu emanzipieren, zeigen in Verbindung mit den wiederholten Anträgen auf Genfs Aufnahme in die Eidgenossenschaft ins- besondere seine Bemühungen , die Eidgenossenschaft und auch Bern in ein näheres Verhältnis zu Frankreich zu bringen, an dem dann Genf einen festen Rückhalt gehabt hätte. Vgl. Ratsprot. 20, Mai, 5. Juni 1549. Vgl. Opp. XII S, 627. \Rogct V S. 12 nimmt an, dafs Calvin die Notwendigkeit des fort- dauernden Bundes mit Bern doch empfunden habe.]

* [Ausführlicheres darüber bei Roget V S. 15 ff.]

3 Roset VI c. 6, 7, 8. Haller an BuUinger 13. Juni und 24. Juli 1556, Opp. XVI S. 190 u. 237.

302

Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

gleichzeitig wurden auch von den Genfer Exilierten die gröfsten Anstrengungen gemacht. Im JuH 1556 erschienen dieselben unter Anführung Ami Perrins vor der schweizerischen Tagsatzung in Baden und schilderten in beweglichen Worten ihre bedrängte Lage, die überstandenen Leiden, die Grausamkeit der gegenwärtigen Machthaber in Genf und beteuerten nochmals ihre Unschuld. Ihr ganzes Verbrechen bestehe darin , dafs sie gegen die massenhafte Aufnahme der Fremden sich ausgesprochen hätten , hinter denen sie zurückgesetzt worden seien und in denen sie eine Gefahr für den Staat und die alten Bürger erbUckt hätten. Dadurch hätten sie den Hafs der Franzosen und »insbesondere Calvins« gegen sich erregt. Sie hätten sich geflüchtet und seien der Gewalt ge- wichen, aber sie seien gern bereit, vor einem ordentlichen Gerichte Rede und Antwort zu stehen , und richteten an die Schweiz , die seit vielen Jahren für eine Zufluchtsstätte der Verlassenen und die Herberge der Gerechtigkeit gehalten worden sei , die demütige Bitte , ihnen dazu ihren Beistand leihen zu wollen. Diese Vor- stellung machte auf die eidgenössischen Boten Eindruck. Einige Zeit später erging in der That von der Eidgenossenschaft ein Schreiben an Genf, welches bei den dortigen Machthabern für die Verstofsenen in freundlichen Worten sich verwandte , ihnen ein freies Geleit zu geben und sie nochmals zu hören bat \

Die Lage Genfs wurde mehr und mehr bedenklich^. Zwar gelang es dem Magistrat durch ein geschicktes, von Calvin ab- gefafstes Schreiben die Herren von der Eidgenossenschaft wieder umzustimmen, so dafs sie nicht länger auf ihrer Bitte bestanden 3, aber in der Burgrechtsfrage kam man nicht von der Stelle. Neue Konferenzen, welche im Herbst 1556 stattfanden, blieben ohne Resultat'*. Auch ein nochmaliges Gesuch um Vermittlung, welches Calvin und ein Teil des Rates im November 1556 nach Zürich richtete, da man nach der in der letzten Zeit erfahrenen Behand-

' Bullinger an Calvin 26. Juli, 5. Aug. 1556; Calvin an BuUinger 30. Juli, Opp. XVI S. 23S f., 250 flF., 240 ff. Roset VI c. 10.

* [Über von auswärts drohende Gefahren und damit zusammenhängende Alarmgerüchte vgl. Roget V S. 24 f. ; Opp. XVI S. 190, 200, 266.]

3 Opp. XVI S. 316 ff.; Roset VI c. 10. \Roget V S. 29 f. (wo jedoch Bullingers Schreiben vom 5. Aug. irrtümlich auf 5. Juli gesetzt ist), 34 f.]

Roset VI c. 12. Sulzer an BuHinger 26. Sept.; Haller an Bullinger 10. Okt. 1556; Genf, Simler, Bd. 88.

Einfälle der Verbannten in das Genfer Gebiet.

303

lung unmittelbar mit Bern nicht mehr anknüpfen mochte ^, Wieb einstweilen ohne Wirkung. Vielmehr gestaltete sich die Lage der Stadt seit dem Beginn des nächsten Jahres 1557 noch mifslicher. Die Flüchtlinge, aller Hoffnung beraubt, durch eine Wiederaufnahme ihres Prozesses in Genf zu ihrem Rechte zu gelangen, liefsen jetzt jede Rücksicht fallen und schritten zu offenem Kampfe gegen ihre Vaterstadt. Genf konnte sich in die Lage der Löffelritter, Mame- lucken und Peneysaner zurückversetzt glauben : wie früher Savoyen, so war es jetzt der alte Bundesgenosse , der den Feinden einen Rückhalt lieh. Von ihren sichern Aufenthaltsorten an der Berner Grenze aus beunruhigten Perrin und seine Gefährten Stadt und Umgebung in fortwährenden Angriffen und Überfällen , wie einst die Anhänger Pierre de la Baumes und Karls IIL , und drangen von der Arvebrücke aus oft in die unmittelbare Nähe der Thore vor. Der freie Verkehr wurde völlig gehemmt. Kein Bürger konnte sich in einige Entfernung von der Stadt wagen ohne Ge- fahr , von den Perrinisten ergriffen und mifshandelt zu werden. Vorstellungen und Beschwerden , die man nach Bern richtete, blieben ohne jeden Erfolg : Rat und Landvögte nahmen das Treiben der Flüchtlinge in der offenbarsten Weise in Schutz. Man möge den verstofsenen Bürgern zunächst »Gerechtigkeit« gewähren, lautete die gewöhnliche Antwort auf Genfer Beschwerden ^. Man ging zuletzt so weit, das Urteil über die Schuld der Verstofsenen von einer neuen, von den Berner Behörden selbst vorzunehmenden gerichtlichen Prozedur abhängig zu machen. Der Landvogt von Ternier leitete in der That auf neue Klagen Genfs in aller Form ein gerichtliches Verfahren ein, forderte mit Gutheifsung seiner Vorgesetzten in Bern den Generalprokurator und den Rat yon Genf zur Verantwortung und zur Vorlegung der Akten der ge- führten Prozesse auf und erliefs am 5. August 1557, aller Protestationen ungeachtet , eine Sentenz , welche die Flüchtlinge völlig freisprach und Genf zur Wiedereinsetzung derselben in alle ihre Rechte und Güter, sowie zur Tragung der auf 11 69 Gulden und 7 Sols berechneten Kosten verurteilte 3.

Aber ein schwerer Irrtum war es , wenn Bern durch solche Mittel seine Absichten durchzusetzen hoffte. Ähnlich wie vor

' Opp. XVI S. 328. Vgl. Himdeshagen S. 305. \Roget V S. 37 f.] * Ratsprot. 12. Juli 1557; Roset VI c. 15, 17. 3 Roset VI c. 18, 22, 23, 25. {R^gct V S. 62 ff.]

304

Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft,

zwanzig Jahren , trat auch dieses Mal das gerade Gegenteil von dem ein, was erreicht werden sollte.

In Genf stieg infolge jener Mafsregel die Erbitterung gegen Bern auf das höchste. Jeder Gedanke an Nachgiebigkeit wurde verbannt. Gegen die äufsern Angriffe traf man die nötigen militärischen Mafsregeln. Um gegen geheime Intriguen der Exi lierten innerhalb der Stadt sicher zu sein , wurde die strengste Kontrolle eingeführt. Es kam der Durchführung der Ideen Calvins wesentlich zu statten, dafs die strenge Ordnung und Beaufsichtigung des ganzen Lebens, die er für nötig hielt, nun auch durch Gründe der öffentlichen Sicherheit geboten erschien. Den Frauen der Ge flohenen wurde bei Strafe des Staupbesens untersagt, die Stadt zu verlassend Zwei Bürger, die mit den Perrinisten Umgang ge- pflogen , wurden zum Tode verurteilt ^. Als ein Verwandter des Generalkapitäns, der in Genf zurückgebheben, in seinem Testamente für die Flüchtlinge eine kleine Summe zur Deckung der Prozefs- kosten aussetzte, wurde nicht nur diese Bestimmung für ungültig erklärt, sondern das gesamte Vermögen konfisziert 3. Jede Kund- gebung von Teilnahme für die Schützhnge Berns, jede Äufserung von Nachgiebigkeit gegen dieses selbst war untersagt. Die Stimmung nahm mehr und mehr einen ernst religiösen Charakter an. Man liefs öffentliche Gebete halten und vertraute auf Jehova, der seine Stadt auch aus dieser letzten Prüfung glücklich hervorgehen lassen werde. Als die Nachricht von der Sentenz des Vogtes von Ternier in Genf eintraf, beschlofs der Rat sofort, »ihr nicht zu gehorchen, vertrauend, dafs Hilfe von Gott kommen werde«. Am andern Tage erschien Calvin im Grofsen Rate und führte in ernster Rede aus, dafs Genf für seine Sünden diese Prüfung verdient habe, es möge sie mit Würde, nicht mit Kleinmut ertragen und wie David in ähnlicher Bedrängnis sich vor dem Herrn beugen und seine Hilfe erwarten''. Gleichzeitig ging eine Gesandtschaft nach Bern ab mit einem von Calvin aufgesetzten Schreiben, welches mit aller Ehrfurcht, wie es die äufsere Lage erheischte, aber mit ebenso grofser Entschiedenheit gegen das Verfahren des Vogtes von

' Ratsprot. 3. Juli, 20. Aug. 1557.

» Ratsprot. 23. April, 12. Aug. 1557. [Opp. XVI S. 548.]

3 Roset VI c. II; Opp. XVI S. 400; Quelques pag. S. I2I.

4 Roset VI c. 26. Vgl. Haller an Bullinger 13. Juni 1556, Opp. XVI 190.

Steigende Sympathie für Genf in der Schweiz. ^015

Ternier als einen unerhörten Eingriff in Genfs Rechte und einen Angriff auf seine staatliche Selbständigkeit protestierte'. Und als Bern darauf mit einem ausweichenden und unbestimmt gehaltenen Schreiben antwortete, welches einer Vermittlung das Wort zu reden schien , erging sofort ein zweites Schreiben an Bern , worin eine klare und bündige Antwort erbeten , jeder Kompromifs mit den Schützlingen Berns für unzulässig und die einfache Annullierung der Sentenz von Ternier für die einzig mögliche Lösung erklärt wurde ^.

Aber auch auf die Eidgenossenschaft machte das form- und rücksichtslose Verfahren Berns einen ihm nachteiligen Eindruck. Ohnehin erfreuten sich die begehrlichen Herrn von Bern bei den übrigen Kantonen keiner besonderen Beliebtheit. So wandten sich die Sympathien der Schweiz, im Widerspruch mit der anfänglichen Stimmung, mehr und mehr dem schwächeren Teile in jenem un- gleichen Kampfe zu. Es war dies um so mehr der Fall, als Genf nicht unterliefs, durch mündliche und schriftliche Vorstellungen, durch Rechtfertigungsschreiben, Denkschriften, wiederholte Gesandt- schaften nach Basel , Zürich , Schaff hausen , auf öffentlichem und privatem Wege, auch durch kleine Dienstleistungen die Gemüter für sich zu gewinnen 3, und es in Calvin, der fast die ganze poli- tische Korrespondenz führte , einen Diplomaten besafs , dem Bern keinen ebenbürtigen entgegenzustellen hatte. Seine Berichte und Denkschriften sind mit einer Umsicht und Formgewandtheit , mit einer Feinheit der Berechnung und Höflichkeit, und dabei zugleich mit einer Wärme der Gesinnung abgefafst, die selten ihre Wirkung verfehlten und die derben Männer Berns um so abstofsender er- scheinen liefsen. Gerade die immer deutlicher sich offenbarenden Sympathien der Schweiz haben viel dazu mitgewirkt, Genf in der Hoffnung auf den endliclien Sieg seiner Sache zu bestärken , und in der That haben sie auch zu diesem selbst das Wesentlichste beigetragen, denn das Mitgefühl äufserte sich bald in Thaten.

' Hosei VI c. 27; Ratsprot. 5. u. 6. Aug. 1557; Opp. XVI S. 543;

559 ff-

* Opp. XVI S. 569 ff. Auch dies Schreiben ist von Calvin.

3 Vgl. dafür Opp. XVI S. 270 f., 316 ff. Sulzer an BuUinger 25. Aug. 1556, ebd. S. 268. Haller an Bullinger 9. Juni 1557, Genf, Simler Bd. 89. BuUinger an Calvin 7., 20. Aug. 1557, Opp. XVI S. 566, 571 ; vgl. S. 563. Jioset VI c. 27, 28.

Kampschulte, J. Calvin II. 20

3o6

Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

Schon seit dem Beginne des Jahres 1557 hatte die Eid- genossenschaft die Beilegung des Streites zwischen den beiden Städten und die Wiederherstellung des alten Bundesverhältnisses mit allem Ernste sich angelegen sein lassen. Nachdem Zürich zugleich im Namen von Basel und Schaff hausen im Februar 1557 Bern nochmals ernste Vorstellungen gemacht hatte', wurde die Angelegenheit im April auf einer Tagsatzung in Baden , wo Ab- geordnete beider Parteien sich einfanden, unter den Augen der ganzen Versammlung verhandelt. Man kam hier indes über gegen- seitige Beschuldigungen nicht hinaus. Kein Teil wollte schuldig, jeder durch den andern benachteiUgt sein. Die Ermahnungen und weiteren Diensterbietungen der Versammlung , die freilich ihre Sympathie für den schwächern Teil sehr deutlich durchblicken liefs, blieben einstweilen fruchtlos ^. Ebensov^enig hatte eine neue Konferenz in Bern, welche im Mai stattfand, Erfolg. Und dieses Mal lag die Schuld nicht mehr an Bern. Durch das in Baden erfahrene Wohlwollen kühner gemacht, begann hier Genf, im Widerspruch mit seinen früheren Zusagen, schon an den wesent- lichsten Bestimmungen des alten Vertrages zu rütteln : seine Ab- geordneten erklärten es für eine Verletzung der Gleichheit, dafs nur Genf für die ihm gewährte Hilfe zum Kostenersatz verpflichtet sei, nicht aber im umgekehrten Falle Bern, und verlangten die Beseitigung dieses Artikels 3. Bern war über diese Zumutung ent- rüstet und meinte , man sehe jetzt deutlich , dafs Genf überhaupt keinen Frieden wolle. Aber auf der nächsten Tagsatzung in Baden im Monat Juli gelang es den Genfern , die schweizerischen Boten von der Billigkeit ihrer Forderung zu überzeugen und ihnen ein- leuchtend zu machen, dafs der Bund der beiden Städte bisher ein un- billiger und ungleicher gewesen sei. »Man hörte Genf mit Wohl- gefallen an,« erzählt der genferische Chronist, »und ermahnte Bern wie zuvor"*.« Noch entschiedener nahm die folgende Versammlung der eidgenössischen Boten im September für Genf Partei. Das Gebahren des bernischen Vogtes in Ternier, worüber Genf sofort den Kantonen Bericht gegeben ^, hatte alles gegen Bern ein-

I Bullinger an Calvin 25. Febr. 1557, Opp. XVI S. 418. » J?osei VI c. 19. [J^ogc't V S. 72.]

3 J?osc-^ VI c. 20. Vgl. Bd. I, 65.

4 J?osef VI c. 24. [Äoge/ V S. 75 f.]

5 /^osei VI c. 27.

Günstiger Stand der Sache Genfs. 207

genommen. Man ernannte hier sogar eine Kommission aus den Abgeordneten von Zürich , Luzern , Schwyz und Basel , um die Artikel der Combourgeoisie zu »mäfsigen« , und ermahnte beide Städte, vornehmlich jedoch Bern, auf das eindringlichste zum Frieden \ Die katholischen Orte legten für das bedrängte Genf eine nicht geringere Teilnahme an den Tag als die reformierten. Freiburg, in dem die alte Liebe wieder erwacht zu sein schien, und Solothurn leuchteten sogar allen übrigen durch ihren Eifer vor. Mehrfach wurde der Vorschlag gemacht, Genf einfach wie Rottweil und Mühlhausen in den allgemeinen schweizerischen Bund aufzunehmen. Glarus gab am 19. September 1557 den Genfern sogar mit Brief und Siegel die Erklärung, dafs, wenn fünf Orte für ein solches Bündnis sich erklären würden , Glarus selbst der sechste sein werde ^.

Zu spät erkannte Bern, dafs es ein Mifsgriff gewesen, der Er- neuerung des alten Bundesverhältnisses Hindernisse zu bereiten : war vordem Genfs Lage mifslich gewesen, so wurde es jetzt seine eigene. Noch von anderer Seite kamen den Leitern der Berner Politik ernste Mahnungen zur Nachgiebigkeit zu.

Eine solche lag zunächst in der Haltung der schweizerischen Theologen, die immer lauter ihre Stimme gegen den fortdauernden Kampf erhoben. Hatten sie auch zu Anfang nicht auf Calvins Seite gestanden , so wurden sie doch durch das theologisch-kirch- liche Interesse im Verlaufe des Streites mehr und mehr zu seinen Verbündeten. Sie erblickten in einer Schwächung Genfs eine schwere Schädigung der evangelischen Kirche , und hielten jetzt selbst die neue kirchlich-politische Ordnung und die gegenwärtige Machtstellung Calvins in Genf für notwendig, wenn nicht schweres Ungemach über die Stadt kommen sollet. Es geht durch ihre ganze Korrespondenz während dieser Jahre ein Ton der Klage über den bejammernswerten Zwist, dessen Ende von allen sehn- lichst herbeigewünscht wurde*, und wagte man auch nicht, Bern

I Roset VI c. 28. \Roget V S. 78 ff.]

» Roset VI c. 31.

3 Vgl. die merkwürdige Stelle in dem Schreiben Blaurers an BuUinger vom 8. Febr. 1557, Opp. XVI S. 410.

t Vgl. z. B. Bullinger an Calvin 26. Juli 1556, Opp. XVI S. 238!.; Sulzer an Bullinger 22. und 25. August 1556; ebd. S. 266, 268 f. u. s. w. Nur

5o8 Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

offen anzuschuldigen, so waren doch thatsächUch gegen dieses ihre Klagen gerichtet. Sogar die eigenen Prediger Berns , nicht blofs in den welschen Gebietsteilen , sondern in der Hauptstadt selbst, Männer wie Haller, sonst ein guter Patriot, äufserten sich unglücklich, dafs der Krieg kein Ende nehme, und wollten Frieden mit Genf^

Eine noch nachdrücklichere Mahnung kam von der savoyischen Seite. Im Herbst 1557 setzte sich der savoyische Herzog Emanuel Philibert, der Sohn Karls III., der mit Ruhm bedeckte Sieger von S. Quentin, an der Spitze eines Heeres in Bewegung, um das seit 20 Jahren von den Franzosen besetzte Erbe seines Vaters wieder einzunehmen. Vor ihm her ging eine Proklamation, welche das Land zur Abschüttelung des uneiträglichen Joches der Franzosen aufforderte ^. Eine ernste Gefahr trat damit auch für Bern ein. Was lag näher, als dafs der sieggewohnte Feldherr auch die an Bern verloren gegangenen Provinzen wiederzugewinnen suchen werde? Und durfte Bern unter diesen Umständen bei seiner bis- herigen Politik, die es von allen Freunden mehr und mehr isolierte, noch länger verharren?

Da gab Bern endlich nach : der Druck , der von so ver- schiedenen Seiten auf seine Staatsmänner ausgeübt wurde, war zu stark , als dafs es hätte widerstehen können. Ende Oktober er- klärte es Genf seine Bereitwilligkeit, die Unterhandlungen zur Er- neuerung des Burgrechts wiederaufzunehmen , und bereits am 25. November konnte Haller dem Züricher Reformator triumphierend melden, das Bündnis sei gesichert 3. Die Bedingungen konnten für Bern nicht anders als ungünstig sein. Hatte es früher die einfache Verlängerung des alten Bundesverhältnisses als zu wenig günstig abgelehnt, so wurde es jetzt weit hinter die bereits erreichte Linie zurückgeworfen, und zwar für immer, denn die neue Allianz sollte, wie es Genf von Anfang an verlangt, »für ewige Zeiten«

Farel behält stets frohen Mut: »Ego Genevani* schreibt er am 13. April 1557, »prorsus deplorarein , nisl scirem Dominum in ea regnare et huius pro- tectorem esse, pro qua pugnat«. Ebd. .'^. 446.

I Vgl. z. B. Haller an Bullinger 27. April, 13. Juni 1556, 28. Jan. 1557, Opp. XVI S. 120, 190, 395. Zuweilen, wenn Genf es zu arg treibt, macht sich doch der patriotische Standpunkt wieder geltend , vgl. das Schreiben an Bullinger vom 8. Jnn. 1557, ebd. S. 380.

» Raset VI c. 29. \Roget V S. 81.]

3 Raset VI c. 31. Haller an Bullinger 25. Nov. 1557, Opp. XVI S. 711.

Friedensschlufs zwischen Genf und Bern.

309

Gültigkeit haben. Der neue Bundesvertrag beseitigte in der That die von Genf beklagte »Ungleichheit« und behandelte die beiden Vertragschliefsenden in der Hauptsache als zwei ebenbürtige Mächte, die sich zu gegenseitigem Schutz verpflichten. Jede der beiden Städte soll bei Land und Leuten, Rechten, Freiheiten, Hoheiten, Privilegien , Schlössern u. s. w. verbleiben ; jede wird der andern in Kriegszeiten freien Durchzug gewähren. Streitigkeiten sollen durch Schiedsrichter entschieden werden. Die Artikel des alten Vertrags , welche Genf als den untergeordneten Teil erscheinen liefsen , wurden gemildert oder ganz beseitigt. Die Kriegskosten bei Hilfeleislungen sollen fortan von beiden Teilen getragen werden. Die Bestimmung von 1536, dafs Genf ohne Erlaubnis Berns mit keiner andern Stadt ein Bündnis schUefsen dürfe, wurde zwar nicht ausdrücklich zurückgenommen , aber Bern gab jetzt seine Einwilligung dazu, ja es versprach sogar selbst dafür zu wirken wie es früher schon in Aussicht gestellt , dafs Genf, wie Rottweil und Mühlhausen, in den allgemeinen Bund der Eidgenossen- schaft oder »in den Frieden mit der Krone Frankreich« auf- genommen werde'.

Das gewohnte Glück hatte Genf auch dieses Mal nicht ver- lassen 1 Sein Ausharren hatte ihm, wie vor zwanzig Jahren, reichen Lohn eingetragen. Nachdem im Dezember die letzten Ver- einbarungen zwischen den beiden Städten getroffen und der Eid- genossenschaft für ihre wirksame Unterstützung Genfs herzlichster Dank ausgesprochen worden^, erfolgte am 9. Januar 1558 in An- wesenheit der jetzt mit grofsen Ehren empfangenen Berner Gesandten in Genf die feierliche Beschwörung der »ewigen Allianz . Ein endloser Jubel herrschte unter der Bevölkerung. Man feierte den Frieden in geistlichen Lobliedern und Festgedichten, man pflanzte Friedensbäume, Linden, Ulmen, Nufsbäume rings um die Stadt herum. Alles schwelgte in Freuden über den vorteilhaften Vertrag, der Genf nach langer Prüfung die Wohlthat. des Friedens

' Roset VI c. 35. \_Koget V S. 84 ff.] Der Vertrag vom 9, Jan. 155S französisch bei Spon II, 194 ff. Das Gesuch um Aufnahme in die Eid- genossenschaft wurde übrigeos im Ok;. 155S abgelehnt, weil die Artikel des Burgrechts , wonach Bern und Genf sich namentlich in Sachen der Religion gegen jedermann beistehen wollten, entgegenstanden. Roset VI c. 44. Ob Bern das vorausgesehen ?

» Roset VI c. 31. Ratsprot. 17. Dez. 1557.

3IO

Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

wiedergab und es im vollen und wahren Sinne zu einer freien und unabhängigen Stadt machte^.

Über Perrin und seine Schicksalsgenossen war durch den neuen Bund der Stab gebrochen. In der Vertragsurkunde war mit keinem Worte von ihnen die Rede. Wohl machte Bern vor wie nach Abschlufs des Friedens noch wiederholt Versuche, seinen Schützlingen die Rückkehr in die Vaterstadt zu ermögHchen oder doch ihr Los zu mildern '^ ; allein Genf blieb unerbittlich und Bern mufste auch dies hinnehmen wie so manches andere. Die krampf- haften Anstrengungen, welche die jetzt von allen Preisgegebenen selbst noch machten, ein unabänderliches Geschick abzuwenden, die verzweifelten Gewaltthaten, durch die sie ihrem Ingrimme Luft machten 3, verschlimmerten nur noch ihre Lage und beraubten sie mehr und mehr jedes Rückhaltes in der öffentlichen Meinung*. Rettungslos dem Untergange verfallen, wandelten sie den gewöhn- lichen Weg unterlegener Parteien , deren Ohnmacht vom Kampf zum Verbrechen führt. Mehrere endeten als gemeine Wegelagerer. Keiner von ihnen ist je wieder nach Genf zurückgekehrt. Genf war und blieb Calvin und seinen Auserwählten, und auch Bern, wie bitter es dies empfinden mochte, konnte daran nichts mehr ändern.

III. DIE GRÜNDUNG DER AKADEMIE.

Durch die Aussöhnung mit Bern, durch die Wiederherstellung des äufseren Friedens wurde Calvin endlich in den Stand gesetzt.

' Roset "VI c. 34 36. Musculus an Blaurer 4. Jan. 1558, Opp. XVII S. 4. Nur Calvin bewahrte auch jetzt noch seine kühle Haltung: "Post multas disceptationcs« schreibt er an Hotoman am 10. Jan., *heri tandem perpetuum foedus cum Bernatibus iuratum fuit, quo tarnen Utes non puto abolitas«. Ebtl. S. 15. Dafs er freilich nicht so ganz Unrecht hatte, zeigen die späteren Verwicklungen und Reibungen; es fiel Bern schwer, sich in die neuen Ver- hältnisse zu finden. Vgl. Roset VI c. 50 52, 61, 68. Ratsprot. 4., 5. März 155s; 27. Okt., 30. Nov. 1562, 12. März 1563.

* Ratsprot. 6., 8., 31. Jan., 10. Febr., 4., 5. März 1558, 25. Nov. 1560. Roset VI c. 34, 39, 46.

3 Roset VI c. 40, 45. Ratsprot. i., 16. Dez. 1558. Consistorialprot. 4. Dez. 1561.

+ Ratsprot. 18. Aug. 1559; 4. Jan. 1564.

Das Schulwesen Genfs.

311

einer Angelegenheit seine volle Aufmerksamkeit zuzuwenden, die ihm schon seit Jahren am Herzen gelegen, und einen Plan zur Ausführung zu bringen, mit dem das Werk von 1555 in Wahrheit erst zum Abschlufs gelangte.

Wir haben früher gesehen, dafs der Zustand des Schul- und Unterrichtswesens die schwächste Seite der von Calvin 1541 in Genf hergestellten neuen Ordnung blieb ' , und seitdem war es eher schlimmer als besser geworden. Die Bestimmungen der kirch- lichen Ordonnanzen gelangten in diesem Punkte entweder gar nicht oder nur in höchst unvollkommener Weise zur Ausführung. Von der Gründung einer höheren theologischen Lehranstalt, wie sie in Aussicht genommen , war in der nächsten Zeit gar nicht mehr die Rede. Das Einzige, was für den höheren theologischen Unterricht geschah , waren die gelehrten exegetischen Vorträge Calvins, die zwar, von Einheimischen und Fremden stark besucht, von eifrigen Zuhörern nachgeschrieben und bald auch durch den Druck verbreitet , eine mächtige Anregung gaben ^ , doch nach Calvins eigener Ansicht bei weitem nicht das leisteten, was zur Förderung des theologischen Studiums nötig war. Das Rivekolleg fristete ein kümmerliches Dasein und konnte der grofsen Schule gegenüber, welche Genf in der katholischen Zeit gehabt hatte, keineswegs als ein Fortschritt angesehen werdend Das Rektorat war oft längere Zeit unbesetzt. Die Disciphn lag infolge davon darnieder , zwischen dem Rektor und den zwei, später drei Unterlehrern herrschten ärgerliche Streitigkeiten , die wohl gar in Thätlichkeiten ausarteten •* , das Schullokal war ungenügend und ungesund 5, die Behandlung der Schüler eine roh barbarische^, der Unterricht selbst endlich genügte, obgleich zu Anfang der fünfziger Jahre eine Besserung eintrat und 1554 sogar das Hebräische als Unterrichtsgegenstand eingeführt wurde, nur sehr

' Vgl. Bd. I S. 467.

^ Vgl. die Vorrede zu den Vorlesungen über die kleineren Propheten von Joh. Budaeus (Genevae postrid. Id. Febr. 1557) und Joh. Crispinus (Genevae Cal. Febr. 1557); Opp. XLII. Colladon, Opp. XXI S. 70.

3 Vgl. y. Vuy, Notes hist. sur le College de Versonnex, Geneve 1867, S. 15 ff.

4 Beiant, Notice sur le College de Rive S. 18 ff.; Galiffe, Not. g^neal. IV S. 194 ff. Über die Vakanz des Rektorats vgl. Nouv. pages S. 22 n. i.

5 Betant S. 22. Ratsprot. 7. Aug. 1544. * Quelques pages S. 59.

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Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

mäfsigen Ansprüchen'. Wer seinen Kindern die Wohlthat eines tüchtigen Unterrichts zuwenden wolUe , mufste sie an auswärtige Anstalten schicken, und nicht selten wurden dazu bei den immer noch vorhandenen katholischen Sympathien katholische ge- wählt ^. Die Unzufriedenheit über diesen Zustand machte sich wiederholt in scharfem Tadel gegen den Reformator Luft. Eine der Hauptbeschuldigungen , die Pierre Ameaux gegen Calvin er- hoben hatte, war, »dafs er die Jugend nicht im Lateinischen und in der Grammatik unterrichten lassen wolle , aus Furcht , seine falsche Lehre möge dadurch ans Licht gebracht werden.« Diese Beschuldigung war grundlos und ungerecht. Vielmehr machte er selbst gerade daraus dem Papsttum den schwersten Vorwurf, dafs es den Unterricht vernachlässige, das Volk in Unwissenheit lasse, um es dadurch um so leichter in Abhängigkeit zu erhalten 3, und ebenso scharf sprach er sich gegen die wissensfeindliche Richtung der späteren deutschen Lutheraner von der Partei Amsdorfs aus, die mit besonderer Vorliebe hervorhoben, dafs der Heiland un- wissende Fischer zu seinen Jüngern gewählt habe'*. Und mit diesen Worten standen seine Thaten im Einklang. Mit Ernst und Eifer liefs er sich alle die Jahre daher unter allen Verhältnissen die Hebung de.s Schulwesens angelegen sein. Allein der Eigen- sinn, womit er nur Männer seiner strengen Richtung zur Leitung desselben zulassen wollte , und der Antagonismus der Gegner machten jeden dauernden Erfolg unmöglich. Die Schule, schrieb er einmal an Viret, bringe ihn fast zur Verzweiflung 5.

Mit dem vollständigen Sturz der Oppositionspartei und der Befestigung der Herrschaft Calvins im Jahre 1555 schien auch für das Schulwesen eine bessere Zeit anbrechen zu müssen. Schon im Herbst desselben Jahres wurde eine strenge Visitation des

' Betaut S. 18, 20. Für den Stand der wissenschaftlichen Leistungen der Anstalt ist es bezeichnend, dafs nach der Reorganisation des Unterrichts der bisherige Rektor Lehrer der dritten Klasse wurde; 1. c. S. 7, 8.

* Ralsprot. 13. Dez. 1546.

3 »Quia enitn Papa et cornuti cpiscopi popuhim noji sperabant fore nnquam satis niorigcrum, donec in crassam inscitiani reductus esset: hoc fiiixerunt Optimum esse fidei compendium , nihil seiende pendere ex eorum pla- citis«. Comment, in Acta apost., Opp. XLVIII S. 364.

Vgl. z. B. Defensio orlhodoxae fidei, Opp. VIU, 469.

5 13. Okt. 1545, Opp. XII S. 18S, [Vgl. auch Roget V S. 226.]

Calvins Absichten zunächst verhindert.

313

Rivekollegs vorgenommen, welche den trostlosen Zustand desselben vollends offenkundig machte'. Es mufste jedermann als ein un- würdiges Verhältnis erscheinen, dafs Genf, wie der Ratssekretär Roset sich ausdrückte, »genötigt sei, seine eigenen Kinder von Städten und Völkern in den Wissenschaften unterrichten zu lassen, die ihm selbst die Kenntnis der reinen Religion verdankten« ^. Calvin selbst konnte sein Werk noch nicht für vollendet halten, so lange der Stand der »Doktoren«, denen die Ordonnanzen eine so hervorragende Stellung anwiesen , noch eine so unzulängliche Vertretung hatte. Zudem mufste auch der eben in diesen Jahren zunehmende Andrang von Refugids, von denen viele in der er- klärten Absicht kamen , sich in der Schule Calvins zu Streitern für die evangelische Wahrheit heranzubilden , ein Sporn für ihn sein , endlich den Plan der Errichtung einer theologischen Aka- demie in Ausführung zu bringen , um Genf wirklich zu dem zu machen, was es sein sollte, zu einer Leuchte und Lehrmeisterin der christlichen Völker \ So ergriff er jetzt den Gedanken einer Reorganisation und Vervollständigung des gesamten Unterrichts- wesens im Sinne der Ordonnanzen mit der ganzen Energie seines Geistes. Allein abermals machten die neuen Irrungen mit Bern einen Aufschub notwendig und brachten die ganze Angelegenheit ins Stocken. So lange der Zwist mit Bern die Gemüter in An- spruch nahm, dachten die Bürger nicht an Kollegien und Akademie. Erst als jener Kampf sein Ende erreichte, war die Zeit der Verwirklichung auch dieses Wunsches Calvins gekommen, und nun

' Ratsprot. 5. Sept. 1555 (»l'ecole est malpropre«). Galiffe, Not. geneal. IV S. 195.

* Vgl. die Vorrede Rosets zu den 1559 erschienenen, 1859 wieder neu aufgelegten Leges academiae Genevensis. [Jetzt sind die Leges von neuem gedruckt in den Opp. X, I S. 65 ff. Die Vorrede ist hier allerdings unvoll- ständig, nämlich ohne die Eröffnungsrede Bezas ; vollständig dann Opp. XVII

s. 542 fr.]

3 Gerade diesen Gesichtspunkt bezeichnet die offizielle Chronik als mafs- gebend, vgl. Roset VI c. 42 : >^car le conseil .... trouva fort nccessaire ceste instauratioji d'escoUe, principalement au regard de la theologie, vett que de totts costez arrivoient gens desirans aprendre, et aussi plusieurs (a et la parmy le royauhne de Francs' attiroient desia gens pour instruire leurs enfans, les autres pour instruire quelques assembUes qu'ils faisoient a cachettes". Auch in der Vorrede zu den Leges hebt derselbe die universelle Bedeutung der neuen Schule hervor. Von einer patriotisch - genferischen Auffassung, wie sie neue Genfer Historiker zu entdecken geneigt sind, zeigt sich bei Calvin keine Spur.

■yjA Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

hatten seine Bemühungen raschen Erfolg. Der Rat kam seinen Wünschen und Vorschlägen mit aller Bereitwilligkeit entgegen. Es wurde der Bau eines würdigen und grofsartigen Schulgebäudes für das Kollegium in einer bessern und gesunden Lage beschlossen ^ und bald in Angriff genommen. Um die Mittel aufzubringen nahmen die Behörden bei der Erschöpfung der öffentlichen Kassen ihre Zuflucht zu dem Patriotismus und der Privatwohlthätigkeit der Bürger und Einwohner. An alle öffentlichen Notare erging die Aufforderung, bei Aufnahme von Testamenten dafür zu wirken, dafs auch die Schule bedacht werde ^ Einer der ersten, die dem Winke folgten, war der alte Bonivard, welcher, nachdem er früher schon seine Bibliothek der Stadt vermacht hatte, jetzt das College zu seinem Erben einsetzte 3. Calvin selbst unterzog sich der Mühe, Beiträge zu sammeln, und brachte innerhalb sechs Monaten die sehr erhebliche Summe von 10024 Gulden zusammen, wozu sein Freund Caraccioli, »der Marquis«, allein 2954 Gulden beigesteuert hatte '^. So war das Unternehmen gesichert. Der Bau wurde mit Eifer betrieben unter fortwährender Teilnahme Calvins, der, obwohl damals leidend und krank, alles beaufsichtigte und prüfte und sich wohl gar auf den Bauplatz tragen liefs, um sich von dem Fortschritte der Arbeiten zu überzeugen und die Bauleute aufzumuntern 5. Zum Hörsaal für die Vorlesungen der neuen Akademie wurde von dem Rat der Saal im Domkloster bestimmt^.

Inzwischen wurde von Calvin im Auftrage des Rates auch der Unterrichtsplan ausgearbeitet. Bereits im Herbst 1558 stand

' Ratsprot. 29. Dez. 1557, 10. Jan. 1558. Vorher war Calvin mit der Vergröfserung des alten Kollegs zufrieden gewesen: Ratsprot. 17. März 1556, Ann. S. 631. [Jiogei V S. 227.]

^ Ratsprot. 9. Sept. 1558. Früher hatte Calvin die Legate als einen papistischen Mifsbrauch mifsbilligt: Ratsprot. 22. März 1555, Ann. S. 599.

3 Senebier, Hist. lit. de Gen^ve I S. 48, 49, 137. Allerdings ein Ver- mächtnis von zweifelhaftem Wert: aus dem Ratsprot. vom 31. Okt. 1558 er- sieht man, dafs Bonivard dem Rate für das Kolleg 400 fl. vermachen wollte unter der Bedingung , dafs man ihm seine Schulden bezahle, wovon indes der Rat nichts wissen wollte.

4 Gaberei I, 500. [^Roget V S. 232.]

5 Gaberei I, 500. Es ging übrigens bei dem Bau ziemlich hastig zu, vgl. He}iry III, 389. {Roget V S 227.]

^ Gaberei I, 507.

Einrichtung d. Kollegiums u. d. Akademie. Berufungen v. Professoren. 715

derselbe in seinen Grundzügen fest. Das neue Kollegium sollte aus sieben Klassen bestehen und sieben Lehrer oder Regenten erhalten; für die Akademie wurde, abgesehen von dem Lehramte der Theologie, die Errichtung von drei Professuren der alten Sprachen vorgeschlagen. Der Rat ging auf alles ein. Die Vor- schläge wurden genehmigt , die Gehälter für Professoren und Lehrer festgeset2t und Calvin selbst beauftragt , zur Besetzung der neuen Lehrstühle mit auswärtigen Gelehrten in Verbindung zu treten'.

Aber hier stiefs er auf ernste Schwierigkeiten. Es galt, nicht nur für die Akademie , sondern auch für die oberen Klassen des Kollegiums neue Lehrkräfte zu gewinnen, da die vorhandenen sich nur für die mittleren und unteren als brauchbar erwiesen. Woher aber solche nehmen? Die ersten Versuche, welche Calvin bei namhaften Gelehrten des Auslandes machte, mifslangen vollständig. Weder der französische Gelehrte Mercier noch Tremellius in Heidelberg, die er nacheinander für das Hebräische zu gewinnen suchte, leisteten seiner Einladung Folge ^. Genf hatte für Männer von gelehrtem Ruf und wissenschaftlichen Neigungen keinen Reiz, sei es , dafs sie vor Calvins Nähe eine Scheu empfanden, sei es, dafs sie das Lehramt daselbst überhaupt nicht für lohnend genug hielten. Calvin würde wohl noch für längere Zeit auf die Ver- wirklichung seines Lieblingsplanes haben verzichten müssen, wenn ihm nicht durch eine besondere Gnade Gottes, wie der Chronist meint 3, in dieser Lage die Ereignisse in dem benachbarten Waadt- land zu Hilfe gekommen wären.

Hier führte der Gegensatz der bernisch-deutschen und der calvinisch-romanischen Richtung in den Jahren 1558 und 1559 endlich zu einer gewaltsamen Katastrophe , in die auch die Lausanner Akademie verwickelt wurde. Die äufsere Wieder- herstellung des Friedens zwischen den beiden Städten hatte die kirchlichen Gegensätze in keiner Weise gemildert. Schon im Jahre 1557 waren vier bernische Prediger, die gegen das Verbot über die Prädestinationslehre gepredigt, ausgewiesen und das Jahr

Ratsprot. 10., 24., 27. Okt. 1558, Ann. S. 706 f. Opp. XVII S. 310.

^ Opp. XVII S. 94, 98, 116, 135, 163, 210, 213, 310, 477 ; XIX S. 561 ; XX S. 4, 170 f., 176, 463, 558. Merkwürdig ist, dafs aufser Beza alle nur kurze Zeit in Genf aushielten.

3 Anc. et nouv. pol. S. 120.

•jxö Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

darauf von Genf als Bekenner des wahren Glaubens aufgenommen worden \ Zum eigendichen Kampfe aber kam es über das Bann- recht und die Prüfung der im Glauben unwissenden oder der Heterodoxie verdächtigen Kommunikanten, welche Viret nach dem Vorbilde Genfs im Jahre 1558 nach manchen früheren ähnlichen Versuchen abermals in Anspruch nahm. Der Streit würde viel- leicht auch dieses Mal eine glimpflichere Wendung genommen und auf gütliche Weise beigelegt sein , da Viret , eine mehr friedliche Natur, zögernd und unentschlossen , das Äufserste zu vermeiden suchte und auch Bern selbst den hochangesehenen Geistlichen nur ungern verlor ^ , wenn nicht Genf das Feuer geschürt und ins- besondere Calvin selbst den zaghaften Lausanner Freund in einem kräftigen Schreiben gedrängt und zu entschlossenem Auftreten und männlicher Festigkeit gegen die trunkenen »Cyklopen« in Bern aufgefordert hätte , selbst auf die Gefahr hin , dafs er seine Stelle verliere. Müsse er weichen, beruhigt er ihn, so möge er mit seinen Freunden nach Genf kommen , seiner alten Heimat : Genf werde sie aufnehmen und seien ihrer auch so viele, dafs man die Stadtmauer erweitern müsse 3. So erfolgte, was erfolgen mufste. Am Weihnachtsfeste 1558 erlebte Lausanne ähnliche Scenen wie Genf am Osterfeste 1538. Die allgemeine Weihnachts- kommunion fand an dem festgesetzten Tage nicht statt, da Viret die Gemeinde noch nicht für würdig und hinlänglich vorbereitet erklärte. Jetzt endlich liefs Bern jede Rücksicht fahren. Viret wurde im Anfang des nächsten Jahres wegen Ungehorsams und ungebührlichen Neuerungen seines Amtes entsetzt und ausgewiesen. Genf nahm ihn, wie Calvin versprochen, sofort wieder als

' Hundeshagen , Conflikte S. 340 [vgl. Opp. XVII S. 119]. Roset VI c. 38. Calvin selbst wurde im Frühjahr 1558 noch von einem Berner Geist- lichen in Nyon schimpflich behandelt: Opp. XVII S. 155.

* Htmdeshagen a. a, O. S. 344. Bern zeigte wirklich eine gröfsere Nach- giebigkeit, als sich unter den Umständen erwarten liefs.

3 «Urbs tan tum nuinerum non capiet: potius, tit confido, dilatabitur cir- cuitus murorum, quam ut filii Dei exclndantur«. Calvin an Viret 16. März 1558, Opp. XVII S. 93. [Über die ganze Angelegenheit vgl. Hundeshagen S. 341 ff., Roget V S. 207 ff.] Schon Ruchat VI S. 280, 281 hat auf den auffallenden Unterschied hingewiesen , der sich in dem Verhalten Calvins gegenüber Bern und Zürich wahrnehmen läfst: beide Kirchen hatten die Ex- kommunikation nicht, und doch stand er zu Zürich in freundlichstem Ver- hältnis.

Übersiedelung der verbannten waadtländischen Prediger nach Genf. -j i t

Prediger an % und in seinen Fall wurde die ganze Partei der wälsch gesinnten Prediger verwickelt. Die einen wurden wie Viret durch förmlichen Spruch ihrer Stelle verlustig erklärt und exiliert, die andern nahmen selbst ihre Entlassung, indem sie sich mit Viret einverstanden erklärten. Das eine oder das andere Schick- sal teilten auch fast alle Lehrer der Lausanner Akademie, die, von Viret abgesehen, alle geborene Franzosen waren und die stets für die streng calvinischen Bestrebungen einen Mittelpunkt ab- gegeben hatten. Es mochten etwa vierzig Geistliche sein, die das Land verliefsen ^ Sie alle lenkten ihre Schritte zunächst nach Genf. Hier wurden sie mit offenen Armen aufgenommen, wie vordem die Genfer Flüchtlinge in Bern. Genf aber empfing von den Gefährten Virets bessere Dienste als Bern von den Schicksals« genossen des Generalkapitäns.

Calvins Verlegenheit war mit einem Mal beseitigt. In den waadtländischen Flüchtlingen erhielt er, was er suchte: Männer, denen er die neuen Lehranstalten anvertrauen konnte und vielleicht ist dieser Gedanke auf die Stellung , die er zu dem Streite nahm , und jenes schroffe Schreiben an Viret , das den Bruch unvermeidlich machte, nicht ohne Einflufs gewesen 3. Es befanden sich unter den Neuangekommenen namhafte Gelehrte, erprobte Schulmänner, welche der bisher von ihnen geleiteten Lausanner Akademie mit Auszeichnung und bestem Erfolg vor- gestanden. Was noch wichtiger war: es befand sich unter ihnen ein Mann, den ebenso sehr seine Gesinnungstüchtigkeit und strenge Rechtgläubigkeit, wie seine umfassende klassische Bildung und sein gelehrter Ruf als das geeignetste Oberhaupt der neuen Lehr- anstalt erscheinen liefsen : Theodor Beza, dem in dem neuen Genf nächst Calvin die hervorragendste Rolle vorbehalten war.

Unter den jüngeren Freunden und Anhängern des Genfer

I Ratsprol. 28. Jan., 2., 3. März 1559; Colladon, Opp. XXI S. 88.

^ So hoch i\\mvai Huna'ts/iagin S. 361 die Zahl der Ausgewanderten an; Raset VI c. 47 spricht von einigen zwanzig: natürlich, dafs alle Fremden aus- wanderten. Schon vorher hatte der alte Cordier , ohne Zusammenhang mit diesen Ereignissen, seine Entlassung genommen; vgl. Beza an Bullinger 16. Febr. 1558, Opp. XVII S. 38. Auch er wandte sich bald nach Genf.

3 Haller an Bullinger 10. April 1559, Opp. XVII S. 496, behauptet dies geradezu: »Quis iioit vidct haec pritis ftiisse coinposita?«

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Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

Reformators war Theodor Beza unstreitig der tüchtigste und geistig hervorragendste. Im Jahre 1519 zu Vegelay im alten Herzogtum Burgund als vornehmer Eltern Kind geboren , hatte er an den berühmtesten Schulen Frankreichs in Orleans , Bourges, Paris zum Teil unter denselben Lehrern wie Calvin seine Studien gemacht und sich schon früh als kenntnisreicher Humanist und formgewandter, witziger Epigrammatiker in den humanistisch reformatorischen Kreisen , denen er sich angeschlossen auch sein einflufsreichster Lehrer war jener Melchior Volmar gewesen einen gewissen Namen erworben ; er hatte, reich mit Glücksgütern gesegnet, von feinen, eleganten Formen, sich mit Glück in der höheren Gesellschaft der französischen Hauptstadt bewegt , ein ziemlich freies und nicht fleckenloses Leben geführt und auch in seinen Gedichten einen Ton angeschlagen, der keineswegs sittlichen Rigorismus atmete ' , bis er im neunundzwanzigsten Jahre seines Lebens in sich ging, mit seiner Vergangenheit brach und, wie es bei Naturen dieser Art nicht ungewöhnlich ist , nun sich der strengsten reformatorischen Richtung ergab. Im Herbst 1548 be- gab er sich nach Genf zu Calvin, der ihn ehrenvoll aufnahm und durch dessen Bemühungen er im Laufe des nächsten Jahres die Professur des Griechischen zu Lausanne erhielt''. Hier finden wir ihn seitdem in ununterbrochenem Verkehr mit dem Genfer Refor- mator, in derselben ernsten, strengen Richtung thätig, als das eigentliche geisthche Haupt jener romanisch calvinischen Partei, die Bern im Waadtlande so viel Ungelegenheiten bereitete. Sein dichterisches Talent war fortan ausschliefslich der religiösen Poesie 3, seine Gelehrsamkeit der Bekämpfung der Feinde der Reformation gewidmet. Sein Verhältnis zu Calvin wurde mit jedem Jahre inniger, der Verkehr lebhafter: der ältere Viret sank in des Meisters Gunst, seit ihm ein solcher Rivale den Vorrang streitig machte. Calvin erkannte , ein wie wichtiger Bundesgenosse und Gehilfe ihm in diesem mit reichem Wissen ausgestatteten, scharf- blickenden und entschlossenen Manne , bei dem er wie bei keinem andern einen klaren ÜberWick über die Weltlage und die all-

I Vgl. Baum, Theodor Beza I S. 60 ff., 72 ff.

* Calvin an Viret 6. Sept. 1549, Opp. XIII S. 376. Bau7n I, 132.

3 Baum I, 139 ff., 182 ff.

Theodor Beza.

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gemeinen Aufgaben der evangelischen Bewegung wahrnahm % erstanden war, und schenkte ihm das gröfste Vertrauen. Beza fand in Calvin alles, was er gesucht: er nennt ihn, obgleich nur zehn Jahre jünger, fast nicht anders als seinen Vater. Eine mehr zur Aufnahme und Verarbeitung der Gedanken anderer geeignete, als selbst an Ideen reiche Natur, erblickt er in dem Systeme Calvins den Inbegriff aller christlichen Weisheit und Wahrheit, seine Regel und Richtschnur : er hat es sich noch in späterer Zeit zum Ruhme angerechnet, nie in seinem Leben auch nur im geringsten von Calvin, »als dem zuverlässigen Ausleger der prophetischen und apostolischen Lehre«, abgewichen zu sein ^ Und •wohl keiner unter den Schülern hat des Meisters System schärfer aufgefafst, seine Gedanken richtiger verstanden. Beza bebte nicht, wie andere schwächliche Naturen , vor den bedenklichen Kon- sequenzen und schroffen Seiten des Systems zurück. Vielmehr hat €s fast den Anschein , als hätten diese für ihn einen besonderen Reiz gehabt. Es war in dem Prädestinationsstreite gegen Bolsec, dafs er Calvin die ersten bedeutenden Dienste leistete 3, In dem Kampfe gegen Castellio über die Notwendigkeit der Todesstrafe gegen Ketzer trat er zum erstenmal mit einer öffentlichen Streit- schrift für den Meister in die Schranken. Während der blutigen Vorgänge des Jahres 1555 war es Beza, der, unbeirrt durch die um- laufenden Gerüchte, keinen AugenbUck wankte, der unter allen Freunden Calvins dem System des Siegers am entschiedensten das Wort redete, das Vorgefallene auswärts als eine That Gottes pries, der über »Israel« gewacht habe, und den Reformator in kräftigen Worten zur Ausdauer ermahnte^. So hatte Beza auch in den jüngsten waadtländischen Streitigkeiten die entschlossene und un- nachgiebige Opposition vertreten. Er war der erste, der dem bernischen »Epikuräismus« den Rücken wandte. Während noch der friedlichere Viret von Unterhandlungen mit Bern Erfolg er- wartete, gab Beza, nicht im Einvernehmen mit jenem, aber im

' Charakteristisch ist der von ihm schon 1552 gemachte Vorschlag eines allgemeinen europäischen Bündnisses gegen das Papsttum; Bnum I, 164 ff.

^ Ad T. Claudii de Saintes resp. Apologia altera. Tract. theol. II, 358.

3 Baum I, 160 ff.

* »Mi pater«, schreibt er am 24. Sept. 1555 an Calvin, »vide ut valeas, 21t diabolus ringatiir et ipshis emissarii omnes crepent«. Opp. XV S. 793.

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vollen Einverständnis mit Calvin , dessen Geist er besser erfafst hatte, seine Stelle in Lausanne auf und liefs sich bereits im Herbst 1558 in Genf nieder ^

In die Hände dieses Mannes legte Calvin zunächst die oberste Leitung der neuen Anstalt. Beza wurde erster Rektor, Mitglied der ehrwürdigen Genossenschaft und neben Calvin Professor der Theologie. Der anfängliche Plan, ihm die Professur des Griechischen zu übertragen ^, wurde aufgegeben und diese einem andern der waadtländischen FlüchtHnge, Beraud, anvertraut. Ebenso empfing die Professur der Philosophie oder der freien Künste, welche nach dem neuen Plane an die Stelle des Lateinischen« trat, einer der Neu- angekommenen , J. Tagaut , der dieses Lehramt schon in Lau- sanne bekleidet hatte. Auch der für den Lehrstuhl des Hebräischen ernannte Chevalier war durch jene Lausanner Wirren nach Genf geführt worden 3. Mit der Ernennung dieser Männer waren die neuen akademischen Lehrstühle sämtlich besetzt, und auch für das Kollegium, wo man in den mittleren und unteren Klassen die vor- handenen älteren Lehrer verwenden konnte, waren jetzt bald die erforderlichen Lehrkräfte gefunden : die besten lieferte auch hier Lausanne '•. So waren alle Schwierigkeiten aus dem Wege ge- räumt. Am 22. Mai legte Calvin im Namen der Geistlichkeit dem Rate die von ihm inzwischen aufgestellten »akademischen Gesetze« vor, w-elche die Unterrichtsmethode, den Studiengang und die ganze Schulordnung im einzelnen festsetzten. Der Rat fand, nachdem er den in der lateinischen Sprache abgefafsten Entwurf in die Landessprache hatte übersetzen lassen, dafs alles »gut sei«. Am 5. Juni 1559 wurde die neue Anstalt eröffnet 5.

' Vgl. Hundeshagen, Conflikte S. 352, 398. Haller an BuUinger 16. Dez. 1558, Opp. XVII S. 407.

* Ratsprot. 24. Okt., 24. Nov. 1558, Ann. S. 707, 70S.

3 Wenigstens finden wir seinen Namen in den Lausanner Wirren ge- nannt bei Hu7ideshagen s. 356. [Vgl. den weiteren Beleg dafür: Opp. XVII S. 477.J Vgl. Le livre du Recteur, Gen^ve 1860.

* Die Namen sämtlicher Lehrer in der Vorrede zu den Leges Acad. Genev., Opp. X, i S. 68.

5 Ratsprot. 22., 29. Mai, 5. Juni 1559, Ann. S. 716, 717. Es verdient bemerkt zu werden, dafs hier als das festordnende Komitee, als die wirkliche Inhaberin der neuen Anstalt durchaus die Venerable Compagnie erscheint, welche den Rat einladet, »(/c sy vouloir troiiver pour plusieurs causes qtiilz oni icy recitces«.

Die Eröffnungsfeier. ^2 1

Die Eröifnungsceremonie ^ fand in S. Peter statt, in einfacher ernster, aber dennoch feierlicher Weise, wie sie die hohe Bedeutung des Tages, der, wie der Festbericht sagt, längst von allen Frommen und Gelehrten ersehnt worden , erheischte. Syndiks , Ratsherrn, Geistliche, Professoren, Lehrer, etwa 600 Schüler viele Lausanner Zöglinge waren ihren Lehrern gefolgt zahlreiche Bürger und Einwohner der Stadt hatten sich in den Hallen des alten Domes eingefunden, um der denkwürdigen Feier beizuwohnen. Mit feier- lichem Ernste und nicht ohne innere Bewegung erhob sich Calvin, um die Versammlung vor allem zur Erflehung des göttlichen Segens aufzufordern. Nachdem dies geschehen, trat der Ratssekretär Roset hervor und verlas mit lauter, vernehmlicher Stimme die »akademischen Gesetze«, die Eides- und Glaubensformeln, welche Lehrer und Studierende zu beschwören und zu unterschreiben hatten, und die Namen des Rektors und der übrigen Lehrer. Dann bestieg der neue Rektor die Kanzel und hielt in lateinischer Sprache die feierliche Eröffnungsrede. Er sprach über Ursprung und Würde, Notwendigkeit und Zweck der Schule. Es waren nicht gerade neue Gedanken, die der Redner in seinem klar durch- dachten, wohlgesetzten Vortrage entwickelte, aber vielleicht nie ist in gleichartigen Fällen der streng theologisch-kirchliche Stand- punkt mit solcher Schärfe und mit solchem Nachdruck geltend gemacht worden. Das Schulwesen , erklärt Beza , ist so alt wie die Menschheit , es ist eine der göttlichen Wohl- thaten, die auch nach dem Sündenfall dem Menschen ver- blieben sind, um das göttliche Ebenbild mehr und mehr wieder- herzustellen. Darum hat auch vor allem das auserwählte Volk Gottes, das jüdische, durch sorgsame Pflege des Unterrichtswesens sich hervorgethan. Beza erkennt, indem er einen kurzen Über- blick über die Entwicklung des Schulwesens versucht, schon in den Familien der alttestamentlichen Patriarchen wahre und wirk- liche Schulen, er preiset Moses, Salomon, Daniel als leuchtende Vorbilder wahrhafter Gelehrsamkeit. Auch die Prophetenkollegien sind ihm ebenso viele Schulen, in denen neben der heiligen Weis- heit auch die andern Wissenschaften und Künste gelehrt wurden. Nur kurz wird des Unterrichtswesens bei den Griechen und übrigen

' Die Beschreibung in der Vorrede zu den Leges Acad. Genev., Opp. XVII S. 542 ff.

Ka mpschulte, J. Calvin II. 21

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heidnischen Völkern gedacht , die ebenfalls , wenn auch nur in verkümmerter Gestalt, an dieser göttlichen Wohlthat Teil gehabt und durch ihre Schulen bis zur Erscheinung des Christentums nützlich gewirkt haben. Als dann aber »jene nordische Barbaren den ganzen Occident überflutet« , habe Gott wieder gewaltige Männer erweckt, wie Karl den Grofsen und einige andere Kaiser, die die Gründer der neuen Akademien geworden seien. Ihrem glorreichen Beispiele sei nun auch , noch dazu durch besondere Gründe bewogen, der hochweise Rat von Genf gefolgt, indem er zu den übrigen zahlreichen und grofsen Zierden der Stadt diese neue, die Akademie, hinzufüge. Nach diesen Ausführungen wandte sich der Redner in einer kräftigen Ansprache an die an- wesenden Studierenden. »Ich beschwöre euch im Namen Gottes,« ruft er ihnen zu, »lasset es nur an euch nicht fehlen. Bekannt ist jenes auch von Cicero wiederholte Wort: Wissenschaft ohne Rechtschafifenheit und Tugend ist nicht Weisheit, sondern Schalk- heit zu nennen. Schon jene blinden Philosophen haben also er- kannt, dafs aller guten Künste Ziel und Endzweck ist, zu einem guten Wandel anzuleiten. Welche Schande würde es deshalb für uns sein , dies nicht einzusehen und thatsächlich zu beweisen. Dafs jene das Ziel verfehlt haben, darf uns nicht wundern, da sie statt der wahren Gerechtigkeit, die Gott giebt, was Gottes ist, nur einen abergläubischen Wahn , statt der wahren Tugend nur die Trugbilder derselben kannten. Welche Entschuldigung aber werdet Ihr haben , die Ihr Euch nun von Kindheit an mit der wahren Frömmigkeit und der wahren Gelehrsamkeit nähren könnt, wenn Ihr Eure Studien nur nach den gehörten Gesetzen und Normen ein- richten wollt. Die Hilfe des Allmächtigen, welcher Ihr dazu bedürft, wird Euch nicht fehlen: die Weisheit, Grofsmut und Bereitwilligkeit des hohen Rates, die Gelehrsamkeit, Emsigkeit und Berufstreue der Lehrer werden Euch , wie Ihr schon heute seht , zur Seite stehen. An Euch allein also liegt es, dafs Ihr Euch durch treuen Fleifs so hoher Gnaden würdig zeigt. Ihr seid hier zusammen- gekommen, nicht wie ehemals die Griechen zu gymnastischen Spielen und eiteln Kämpfen, sondern um einzudringen in die Er- kenntnis der wahren Religion und aller guten Künste, damit Ihr dereinst den Ruhm des götthchen Namens befördern und ver- mehren , Eurem Vaterlande und den Eurigen eine Zierde und Stütze sein könnt. Vergesset es nie, dafs Ihr von diesem heiligen

Die akademischen Gesetze.

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Kriegsdienst vor dem höchsten Kriegsherrn dereinst werdet Rechenschaft ablegen müssen. WahrHch, ewige Schande würde Euch treffen, wenn was indes, wie ich vertraue, Gott verhüten wird bei diesen Euch so reichlich von allen Seiten dargebotenen Mitteln Ihr allein Eure Schuldigkeit unterliefset zu Eurem eigenen Verderben.« Nachdem Beza seine Rede beendet, nahm noch- mals Calvin das Wort, forderte zum Danke gegen den Allmächtigen auf, richtete auch von seiner Seite eindringliche Ermahnungen an die Studierenden sowie an die anwesenden Lehrer , dankte den Syndiks und Ratsherrn für ihren Eifer, den übrigen Bürgern für ihre Teilnahme und schlofs die Versammlung mit nochmaligem Gebet.

Einfach und ernst , getragen und beherrscht von dem religiösen Gedanken wie die Eröffnungsfeier vom 5. Juni, war die neue Anstalt selbst, ihre Einrichtung, ihre Ordnung, ihre Aufgabe, ihr Studienplan, Was Bezas Rede in allgemeinen Umrissen an- gedeutet , brachte sie zur Ausführung. Fassen wir die neuen »akademischen Gesetze«, von denen der Festredner verkündete, dafs »heiligere, bessere, geeignetere« nicht hätten aufgestellt werden können, an dieser Stelle etwas näher ins Auge^.

Es sind zwei Anstalten, die durch den calvinischen Lehrplan gleichsam zu einer einzigen verbunden werden ; das Kollegium und die Akademie-. Jenes hat die allgemeine wissenschaftliche humanistische, diese die höhere theologische Bildung als Aufgabe. Jenes ist die Vorschule zu dieser, diese bringt jenes zum Abschlufs : obwohl nicht alle , ja nicht einmal die Mehrzahl der Zög- linge des Kollegiums zu den theologischen Studien übergehen, ist doch die Vorbereitung zu diesen für das Kollegium der vornehmste Gesichtspunkt, Beide Anstalten stehen unter einer einheitlichen

' Das Folgende ist wesentlich ein Auszug aus den Schulgesetzen (Opp, X. I S. 69 ff,); nur hinsichtlich der Reihenfolge habe ich mir im Interesse der sachlichen Ordnung hier und da kleine Abweichungen erlaubt. Die franzö- sische Übersetzung (L' Ordre du College de Gen^ve) drückt einzelnes deut- licher aus als das lateinische Original und enthält auch kleine Zusätze, z. B. die ausdrückliche Wahrung des Rechts des Rats bei bürgerlichen Vergehen von Seiten der Angehörigen der Schule , wogegen anderes ausgefallen ist, z. B. das Datum der Rektorwahl.

^ Das Kollegium heifst Schola privata, die Akademie Schola publica, die Studierenden der Akademie sind scholastici public! , die Professoren Pro- fessores publici.

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Leitung. Der Rektor der Akademie ist auch für das Kollegium die höchste Behörde; der besondere Vorgesetzte des letzteren ist jenem untergeordnet. Was am 5. Juni 1559 ins Leben trat, war die genaue Ausfiihrung dessen , was dem Reformator schon im Jahre 1541 bei der Abfassung der Ordonnanzen vorgeschwebt hatte.

Die Anzahl der Lehrer oder Regenten des Kollegiums (Praeceptores, Regens du College), mit deren Stellung und Pflichten sich die Statuten zunächst beschäftigen, beträgt sieben, die eben so vielen Klassen vorstehend Sie werden von der ehrwürdigen Genossenschaft nach bestem Wissen und Gewissen gewählt, dem Rate vorgeschlagen und von diesem ernannt. Durch einen feier- lichen Eid verpflichten sie sich zu gewissenhafter Erfüllung ihrer Pflichten. Mit Pünktlichkeit, Ordnungsliebe und Fleifs sollen sie ihr Lehramt wahrnehmen, sich stets zur festgesetzten Zeit in dem Schullokal einfinden, um es nicht vor dem Glockenschlag zu ver- lassen. Bei dem Unterricht selbst sollen sie einen gemäfsigten Ernst zeigen , sich unnützer Ausfälle gegen den gelesenen Autor enthalten, vielmehr seinen Sinn getreu erklären und auf etwaige Schwierigkeiten und Mängel des Textes die Schüler in bescheidener Weise aufmerksam machen. Sie haben ihre Zöglinge stets in Ruhe und Ordnung zu halten, die schuldigen und nachlässigen zu strafen, vor allem aber ihnen Liebe zu Gott und Hafs gegen das Laster einzuflöfsen. Untereinander sollen die Lehrer sich einer brüderlichen, wahrhaft christlichen Eintracht befleifsigen. Kommen Streitigkeiten vor, so ist der Rektor in Kenntnis zu setzen. Ge- lingt diesem die Beilegung derselben nicht, so wird die ehrwürdige Genossenschaft Abhilfe schaffen.

Der nächste Vorgesetzte der Lehrer ist der Obere (Ludi- magister, Principal du College) , der zugleich Lehrer in einer der höheren Klassen ist. Er wird gewählt und vereidet wie die übrigen Lehrer und soll ein Mann von bewährter Frömmigkeit und wenigstens mittelmäfsiger Gelehrsamkeit sein, friedfertig, nicht aufbrausend und rauh, so dafs er den Schülern ein Vorbild sein kann. Seine Aufgabe ist, die Sitten und den Fleifs seiner Amts- brüder zu überwachen, die Säumigen zu mahnen, alle an ihre

^ Wenn Beza, Opp. XXI S. 157, acht nennt, so wird der Gesanglehrer mitgezählt.

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Pflicht zu erinnern , bei öffentlichen Bestrafungen der Schüler an- wesend zu sein, überhaupt für Ordnung und äufseren Anstand zu sorgen. Die Unterlehrer dürfen ohne ihn keine Neuerung ein- führen, er selbst aber soll über alles dem Rektor Bericht erstatten.

Die Schüler stehen unter dem Gesetz einer streng militärischen Ordnung. Nach der Lage ihrer Wohnungen in den verschiedenen Stadtquartieren zerfallen sie in Rotten (bandes), deren jede einen Klassenlehrer zum Aufseher hat. Dieser führt ein genaues Ver- zeichnis der ihm Untergebenen und hat namentlich dafür zu sorgen , dafs sie zur festgesetzten Zeit in der Kirche ihres Quar- tiers zum Gottesdienst sich einfinden, wo ihnen bestimmte Plätze angewiesen sind. Jede Klasse wird in Dekurien eingeteilt (Dizaine, Decuria), innerhalb welcher jeder einzelne seinen Platz nach den Fortschritten in der Wissenschaft erhält, ohne Rücksicht auf Alter und Abkunft, Den ersten Platz nimmt jedesmal der Decurio oder Dizenier ein, der die übrigen zu beaufsichtigen und zu überwachen hat. Verspätetes Erscheinen in Kirche oder Schule ohne hin- reichende Entschuldigung zieht öffentliche Strafe nach sich ; noch schärfer aber wird bestraft, wer zu seiner Entschuldigung Lügen vorbringt.

Der Unterricht beginnt an den vier gewöhnlichen Unterrichts- tagen (Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag) im Sommer um sechs, im Winter um sieben Uhr morgens. Der Anfang wird gemacht mit dem Schulgebet, welches jeder, wenn die Reihe ihn trifft, herzusagen hat, und mit der Verlesung der Namen. Es folgt dann ein anderthalbstündiger Unterricht, hierauf im Sommer eine kleine Pause, während welcher das Frühstück genommen wird, »still und mit Gebet«, im Winter jedoch wird dasselbe während des Unterrichts selbst genommen, ohne dafs dieser unter- brochen wird. Um neun Uhr werden die Lektionen für den Morgen mit Gebet und frommen Ermahnungen geschlossen und hierauf die Zöglinge durch zwei Lehrer der unteren Klassen in angewiesener Ordnung in ihre Wohnungen zurückgeleitet.

Um elf Uhr haben sie sich wieder einzufinden. Die erste Stunde ist der Übung im Psalmengesang gewidmet, wofür ein besonderer Lehrer angestellt ist; von zwölf bis ein Uhr findet in den verschiedenen Klassen Unterricht statt. Hierauf folgt eine Stunde zum Essen und zu freier Beschäftigung, an die sich von

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zwei Uhr ab zwei weitere Unterrichtsstunden anschUefsen, Sobald die Glocke vier geschlagen , begeben sich sämtliche Schüler und Klassen in den gemeinsamen Versammlungssaal (Aula). Hier werden in Gegenwart des Oberen , der sämtlichen Lehrer und Schüler die öffentlichen Strafen vollzogen , welche im Laufe des Tages verhängt worden sind, s>mit mafs voller Strenge und ge- bührenden Ermahnungen.« Drei Schüler sprechen mit lauter Stimme das Vaterunser, das Glaubensbekenntnis und die zehn Gebote Gottes. Hierauf erteilt der Obere den Versammelten den kirchlichen Segen und entläfst sie.

Am Mittwoch ruht der eigentliche Unterricht. Die ersten Stunden werden durch Predigt und Gottesdienst in Anspruch ge- nommen. Später folgt eine Stunde zur Besprechung der von den Schülern »decurienweise« an die Lehrer zu richtenden Fragen. Nachmittags finden während einer Stunde Deklamationen von Schülern der oberen Klassen in der Aula statt, oder es werden in der Klasse unter der Aufsicht der Lehrer schriftliche Arbeiten an- gefertigt, die am nächsten Tage besprochen und censiert werden.

Der Samstag ist der Tag der Repetition, Disputation und der Vorbereitung auf den Sonntag. Vormittags wird wiederholt, was die Woche über vorgekommen ist. Der Nachmittag ist der Dispu- tation und dem Katechismus gewidmet : von letzterem wird das Stück vorgenommen, das am Sonntag in der Katechese behandelt werden wird. In den beiden oberen Klassen tritt an die Stelle des Katechismus die Erklärung des griechischen Textes des Evan- geliums Lucae oder eines der apostolischen Briefe. Findet am nächsten Sonntage die allgemeine Abendmahlsfeier statt, so wird in der Aula für sämtliche Schüler durch einen Geisthchen eine besondere Vorbereitung gehalten.

Der Sonntag ist ganz der Tag des Herrn. Jeder Schüler hat zwei Predigten und überdies der Katechese beizuwohnen, und zwar jeder »an seinem Platze mit Aufmerksamkeit und in ehr- erbietiger Haltung«. Wer dagegen fehlt, wird bestraft. Der übrige Teil des Tags soll dazu benutzt werden, über die gehörten Predigten nachzudenken und sich ihren Inhalt anzueignen.

Die Dauer der allgemeinen Ferien , welche in die Zeit der Weinlese fallen, ist auf drei Wochen festgesetzt.

So verkündet alles den Geist einer strengen Ordnung, einer

Gang des Unterrichts. -7 2 7

militärischen Zucht und Disziplin ^ Genau sind die Pflichten und Obliegenheiten jedes Einzelnen festgesetzt. Alle stehen unter dem gleichen Gesetz ohne Rücksicht auf Alter und Abkunft. Die Be- aufsichtigung ist eine fast ununterbrochene. Sollten körperliche Züchtigungen auch nur in schweren Fällen zur Anwendung kommen , so läfst sich doch aus manchem entnehmen, dafs das Strafverfahren ein strenges, die ganze Behandlung der Zöglinge eine nichts weniger als zarte , vielmehr von spartanischen Grund- sätzen geleitet war. Die Schulräume selbst waren auf das ein- fachste eingerichtet, ohne Rücksicht auf Bequemlichkeit, ja selbst auf Gesundheit- Von Spiel war nicht viel die Rede. Drama- tische Aufführungen , die in fast allen höheren Bildungsanstalten des 16. Jahrhunderts und auch in dem alten Rivekolleg üblich waren 3, fielen hier weg. Es sollte ein an strenge Ordnung und Pflichterfüllung gewöhntes . ein ernstes , abgehärtetes , kirchhch- frommes und streitbares Geschlecht herangebildet werden.

Mit derselben Genauigkeit und ins einzelne gehenden Schärfe wie über die äufsere Ordnung und Zucht verbreiten sich die Statuten über den Lehr- und Untenichtsplan. Jeder Klasse sind ihre Aufgaben genau vorgeschrieben •♦.

Der Unterricht beginnt mit den ersten Anfangsgründen. Lesen und Schreiben, dazu die Aussprache des Lateinischen bilden den Unterrichtsgegenstand der untersten Klasse.

In der nächsten folgen die ersten Elemente der lateinischen Formenlehre und Syntax, Deklination, Konjugation, die Anfänge des Satzbaues, so dafs mit dem Lateinischen immer das Französische verglichen wird.

Die fünfte Klasse setzt den grammatischen Unterricht fort. Die Lehre von der Satzbildung wird ausführlicher behandelt. Virgils Hirtengedichte dienen als Muster. Es beginnen stilistische Übungen.

Die vierte Klasse beschäftigt sich eingehender mit der lateinischen Syntax und der Bildung des Stils ; es werden Ciceros

Bezeichnend dafür sind auch die in den Statuten vorkommenden Aus- drücke Bande, Troupe, Dizaine, Decurio, Militia.

2 Vgl. Henry II, 73; Gaberei I, 505, 506.

3 Betont S. 20, 21.

* [Vgl. hierzu die Ausführungen von Heiz, Calvins Thätigkeit für die Schule, Zeitschr. f. prakt. Theol. XI S. 23 f.]

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Briefe gelesen und kleinere Aufsätze angefertigt, wofür jene als Muster dienen. Aufserdem wird die Lehre von der Quantität der Silben unter Zugrundelegung der Elegien Ovids behandelt und mit dem Griechischen ein Anfang gemacht.

Vorzugsweise dem Unterricht in der griechischen Grammatik und ihrer Vergleichung mit der lateinischen ist die folgende, die dritte Abteilung gewidmet. Zur Lektüre sind bestimmt Ciceros Briefe, seine Bücher über die Freundschaft, über das Alter, Virgils Aeneide, Caesars Kommentare und die Reden des Isocrates, »je nach den Umständen« , so dafs die lateinischen Schriftsteller teilweise ins Griechische zu übersetzen sind.

In der zweiten Klasse werden zur Beförderung geschichtlicher Kenntnisse die alten griechischen und römischen Historiker ge- lesen : Livius , Xenophon , Polybius , Herodian , daneben die homerischen Gedichte. Zugleich werden die Anfangsgründe der Dialektik gelehrt mit besonderer Berücksichtigung der Paradoxen Ciceros.

Li der obersten Klasse endlich kommen zu der Dialektik, für die ein Handbuch zu Grunde gelegt werden soll, die Elemente der Rhetorik. Die Schüler sollen zu einer wohlgesetzten, zierlichen Redeweise angeleitet und die allgemeinen Vorschriften durch Bei- spiele aus den alten Schriftstellern erläutert werden , damit die Regeln sich besser einprägen. Als Vorbilder sind anzusehen und insbesondere zu benutzen die kunstvolleren Reden von Cicero und Demosthenes, sodann auch Homer und Virgil. Schriftliche Stil- übungen und öffentliche Deklamationen stehen den theoretischen Anleitungen ergänzend zur Seiten

Nur wer sich den vollen Grad der Reife erworben, rückt in eine höhere Klasse auf. Das Aufrücken selbst aber war mit einer besonderen Feierhchkeit verknüpft, welche den jugendlichen Ehr- geiz anspornte.

Drei Wochen nämlich vor dem i. Mai werden sämtliche Schüler des Kollegiums in der grofsen Aula versammelt. In ihrer Mitte erscheint einer der Professoren der Akademie und giebt

' Das von Gabercl II, Piöces just. S. 156 ff. im Auszug mitgeteilte Tage- buch des Predigers Jacques Merlin zeigt , dafs dieser Studienplan in den 70er und 80er Jahren in seinen wesentlichen Bestimmungen noch durchaus befolgt wurde; nur hinsichtlich der in den oberen Klassen gelesenen Autoren zeigen sich Abwfeichungen.

Prüfungen. 320

ihnen ein Thema auf, welches sie sofort unter seinen Augen nach Klassen geordnet , jeder nach seiner Fassungsgabe zu bearbeiten haben. Ist dies geschehen, so haben sich dieselben in ihre Klassenzimmer zu verfügen, wo sie mit Ausnahme jedoch der beiden untern Abteilungen , die in anderer Weise beschäftigt werden ^ ohne jede Beihilfe und unter strenger Kontrolle keinem Lehrer wird die Aufsicht über seine eigene Klasse an- vertraut — inneihalb fünf Stunden eine lateinische Abhandlung über denselben Gegenstand anzufertigen haben. Die Abhandlungen werden decurienweise eingesammelt, von den Lehrern dem Prinzipal, von diesem den Rektor eingeliefert. Der Rektor hat dieselben im Laufe der nächsten drei Wochen mit Hinzuziehung der übrigen akademischen Lehrer durchzusehen. Auch zu einem mündlichen Examen müssen sich die Schüler decurienweise im Beisein ihrer Lehrer vor dem Rektor und seinen Beisitzern während dieser Zeit einfinden. Nach dem Ausfall beider Prüfungen wird über den »Grad« entschieden.

Am I. Mai oder an einem der nächsten Tage findet in St. Peter, wo sich das ganze Kollegium zu versammeln hat, die öffentliche Verkündigung des Resultates statt. Geistlichkeit, Syn- diks, Ratsherren, Professoren werden zu der Feier eingeladen. Der Rektor verliest die akademischen Gesetze und schärft ihre Beobachtung ein. Die beiden tüchtigsten Schüler aus jeder Klasse werden aufgerufen, um aus den Händen der Syndiks oder der an- wesenden Ratsherrn einen Preis zu empfangen. Der Rektor spendet ihnen öffentliches Lob. Auch Vorträge in gebundener und ungebundener Rede werden da von Zöglingen der höheren Klassen gehalten. Mit Gebet und Danksagung wird der feierliche Akt geschlossen ^.

Das war der »Tag der Promotionen«, ein Feiertag nicht blofs für das Kollegium, sondern in kurzem für die ganze Stadt.

W^eniger eingehend verbreiten die akademischen Gesetze sich über die mit dem Kollegium enge verbundene Akademie. Der

' Dies wird zwar an der betreffenden Stelle der Statuten nicht ausdrück- lich gesagt, ergiebt sich aber aus einer andern Stelle, wo von der schriftlichen Komposition die Rede ist, vgl. Leges, Opp. X, i S. 76 ; Gaberei I, 503.

* Aufserordentliche »Promotionen« fanden aufserdem noch statt, wenn ein Bedürfnis vorhanden war, namentlich am i. Okt. Leges 1. c. S. 86.

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äufsere Repräsentant der engen Verbindung zwischen beiden An- stalten ist der Rektor.

Der Rektor soll ebensosehr durch Frömmigkeit als Gelehrsam- keit ausgezeichnet sein. Er wird gewählt aus dem Kollegium der Geistlichen und Professoren durch einstimmiges Votum der Mit- glieder desselben und durch einen besonderen Eid verpflichtet. Die regelmäfsige Amtsdauer beträgt zwei Jahre ; doch ist auch Wiederwahl gestattet. Des Rektors Aufgabe ist, die gesamte Schule, Akademie und Kollegium, zu überwachen, die Verwaltung zu leiten, die säumigen Professoren und Lehrer, auch den Prinzipal mit eingeschlossen, zu ermahnen, Streitigkeiten beizulegen. Er nimmt die Anmeldungen der Studierenden an, trägt sie, nachdem ihnen der Rat das Aufenthaltsrecht verliehen, in das Album ein und läfst sie die eingeführte Glaubensformel unterschreiben. Er hat das Recht, Zeugnisse auszustellen.

Die Professoren, fünf an der Zahl, werden in gleicher Weise wie die Lehrer am Kolleg von der Geistlichkeit gewählt und legen bei ihrem Amtsantritt denselben Eid ab. Sie haben zu der fest- gesetzten Zeit die ihnen obliegenden Vorlesungen zu halten. Am Samstag finden indes Vorträge nicht statt und auch am Freitag Nachmittag fallen dieselben von Zeit zu Zeit aus , damit die Dozenten an der Kongregation der ehrwürdigen Genossenschaft teil nehmen können, der sie als Mitglieder angehören.

Die Vorlesungen werden eröffnet durch den Professor des Hebräischen , welcher in der ersten Morgenstunde »unmittelbar nach der Predigt« ein alttestamentliches Buch unter Hinzuziehung der alten Kommentare erklärt. Li einer späteren Stunde wird von demselben hebräische Grammatik gelehrt.

Dem Hebräer folgt der Grieche, welcher irgend ein moral- philosophisches Stück des Aristoteles, Plato, Plutarch oder von einem christlichen Philosophen interpretiert. Nachmittags liest derselbe in einer zweiten Stunde über einen der besseren griechischen Dichter, Redner oder Historiker.

Der Professor der freien Künste liest vormittags eine halbe Stunde über »Etwas aus der Physik« ; nachmittags erklärt er während einer Stunde Aristoteles' Rhetorik oder einige der aus- gezeichneteren Reden Ciceros oder seine Bücher »über den Redner«.

Rein theologische Vorlesungen endlich über einzelne Bücher der hl. Schrift werden an den drei ersten Wochentagen von den

Unterrichtsgang der Akademie. '?'?I

beiden Professoren der Theologie abwechselnd gehalten. Die Gesamtzahl der in jeder Woche stattfindenden Vorlesungen be- trägt siebenundzwanzig.

Die Thätigkeit der Akademie beschränkt sich indes nicht auf die Vorlesungen. Eine Art theologisches Seminar vereinigt die- jenigen unter den Studierenden , welche sich in den heiligen Wissenschaften üben wollen, jeden Samstag Nachinittag unter dem Vorsitze eines Geistlichen zu exegetischen Vorträgen über irgend eine Bibelstelle, die dann von dem Vorsitzenden censiert werden. Auch die Studierenden dürfen Aufstellungen und Einwendungen machen, doch mufs dies »bescheiden und in der Furcht des Herrn« geschehen. Ebenso findet allmonatlich unter dem Vorsitze eines der Professoren der Theologie eine öffentliche Disputation statt über Thesen , welche die Studierenden selbst aufzustellen haben. Doch sollen dieselben nicht von »Neugierde eingegeben , nicht sophistisch, nicht heterodox« sein und vorher dem Vorsitzenden vorgelegt werden. Jeder darf das Wort ergreifen. »Aber,« fügt das Statut vorsichtig hinzu, »es soll alle Spitzfindigkeit, alle un- nütze Neugierde, jede dem Wort Gottes gefährliche Vermessenheit, jede Leidenschaft und Halsstarrigkeit vermieden , vielmehr alles mit heiligem Ernst erörtert werden. Der Vorsitzende Theologe hat nach seiner Weisheit den Gang der Disputation stets in dem richtigen Geleise zu erhalten und auftauchende Schwierigkeiten zu lösen nach dem Worte Gottes.«

Den Schlufs »der Gesetze« bilden die verschiedenen Eides- formeln für Lehrer und Schüler : der Eid, welchen der Rektor bei der Übernahme seiner Würde zu leisten hat , der Amtseid der Professoren und Lehrer und die Formel des Glaubensbekenntnisses, welches die Studierenden bei ihrer Aufnahme vor dem Rektor ab- zulegen und zu unterschreiben haben unter allen das merk- würdigste Dokument und gleichsam die geistige Grundlage, auf der das ganze Institut aufgebaut war \ Die calvinische Bekenntnis- formel für Studierende füllt einen ganzen Bogen, sie ist gleichsam eine kleine Dogmatik, ein Auszug aus der christlichen Institution, deren Ideengange sie im wesentlichen folgt. Sie beginnt mit der allgemeinen Erklärung des sich Verpflichtenden, die Glaubenslehre,,

I Leges 1. c. S. 87 ff. und Opp. IX S. 721 ff. Gaberei I, 275, Pikees just. S. 120.

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wie sie in dem Genfer Katechismus enthalten ist, annehmen, der Kirchenzucht , wie sie in Genf festgesetzt worden , sich unter- werfen und keiner Sekte sich anschliefsen zu wollen. »Aber da- mit die Sache deutlicher ausgedrückt und zu Ausflüchten kein Raum gelassen werde,« folgt dann eine genau ins einzelne gehende Aufzählung der Lehren des calvinischen Systems in strenger Fassung, zu deren rückhaltloser Annahme der Schwörende sich versteht unter Verfluchung aller entgegengesetzten Irrtümer der Papisten und der Ketzer alter und neuer Zeit, von Marcion bis herab auf die Wiedertäufer und Servet, über welchen sogar ein zweimaliger Fluch ergeht. Die Konfession verbreitet sich zu- nächst über die Einheit und Dreipersönlichkeit Gottes, die Er- schaffung der Welt, den Fall der bösen und das Ausharren der guten Engel, welche der freiwilligen, göttlichen Gnadenwahl zu- geschrieben wird, die unbegreifliche und geheimnisvolle, aber an- betungswürdige Regierung der menschHchen Geschicke durch Gottes Hand, über den Urzustand des Menschen, Erbsünde, Un- freiheit des Willens und völlige Verderbtheit des Menschen infolge der Sünde, ferner über Erlösung und Rechtfertigung und Heihgung, über die Bedeutung des Glaubens für die Rechtfertigung , das Mittleramt Christi , die Verwerflichkeit des papistischen Heiligen- kultus und Ceremonienwesens und die dadurch herbeigeführte Tyrannisierung der Gewissen, über die Regierung der Kirche und das Amt des Geistlichen im Gegensatz zu der papistischen Hierarchie, die als eine »teuflische Konfusion«, als ein Hohn auf das Christentum gebrandmarkt wird, über die Sakramente, Taufe und Abendmahl hier auch im scharfen Gegensatz gegen das Luthertum die Notwendigkeit der Kindertaufe, die verab- scheuungswürdigen Gräuel der Messe , und endlich über das An- sehen und die Bedeutung der bürgerlichen Obrigkeit, um hier, ganz wie die christliche Institution , mit der Bemerkung zu schliefsen, dafs der Gläubige der Obrigkeit Gehorsam schuldet, aber unter der Bedingung, »dafs dadurch Gottes, des höchsten Königs Herrscherrecht nicht angetastet und verkümmert werde. <; Wohl nur selten ist dem jungen Manne bei dem Beginne seiner wissenschaftlichen Laufbahn ein solches Bekenntnis abver- langt worden ^.

' Zwölf Jahre nach Calvins Tod, 1576, wurde dieser Eid abgeschafft, um nicht Papisten und Lutheraner von dem Besuch der Akademie auszuschliefsen.

Charakter der Schulordnung Calvins. "^XX

Calvins Schulordnung nimmt in der Geschichte des Unter- richtswesens unstreitig eine bedeutende Stelle ein. Nicht als wenn die in ihr entwickelten und ihr zu Grunde liegenden Gedanken alle neu oder Calvin eigentümlich wären : manches erinnert an Valentin Trotzendorfs , manches noch mehr an des verdienten Strafsburgers Johannes Sturms Schulordnung ^, mit der Calvin in Strafsburg genau bekannt geworden war. Doch der Grundzug in dem Charakter des Genfer Reformators verleugnet sich auch hier nicht und verleiht seinen Schuleinrichtungen ein eigentümliches Gepräge und eine selbständige Bedeutung. Es tritt uns aus ihnen überall ein klar durchdachter, wohlüberlegter Plan entgegen, dessen einzelne Teile ineinander greifen, sich gegenseitig ergänzen, der das gesamte Unterrichtswesen nach bestimmten , klar erkannten Gesichtspunkten ordnet und regelt. Die calvinische Schule soll den ganzen Menschen bilden, nicht blofs seinen Verstand, sondern auch seinen Charakter, seinen Willen, sie soll ihm für das ganze Leben einen sichern Halt geben : neben der didaktischen betont sie entschiedener als irgend eine andere die pädagogische Auf- gabe der Schule. Sie ist, wie schon Bezas Eröffnungrede an- kündigte, nicht blofs Unterrichts- , sie ist auch Erziehungsanstalt, ja sie ist vorzugsweise dieses und sucht, dem Charakter ihres Stifters gemäfs , mit spartanischer Strenge dieser ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Der eigentliche Studienplan zeigt dieselbe vorherrschende Richtung auf das Studium der klassischen Sprachen, die wir in den meisten höheren Bildungsanstalten jener Zeit und namentlich auch in dem Sturmschen Lehrplane wiederfinden ; doch ist dieselbe kaum irgendwo mit solcher Ausschliefslichkeit geltend gemacht worden wie in Genf. Calvin war von der Not- wendigkeit und Nützlichkeit des Studiums der alten Sprachen auf das lebhafteste durchdrungen, er nahm dasselbe mit kräftigen Worten gegen alle Widersacher in Schutz und pries es, ähnlich wie Luther, als eine besondere Gnade Gottes , dafs die Kenntnis der alten Sprachen gerade in diesen Zeiten wieder erweckt worden

Vgl. Cellerier, L'Academie de Gen^ve. Bull, de la Soc. de l'hist. du prot. frang. IV, 22. Doch wurde in anderer Richtung damals die Kontrolle noch ver- schärft. So erging 1578 an die Buchhändler ein Verbot, an Studierende Bücher zu verkaufen, es sei denn, dafs sie eine schriftliche Erlaubnis ihrer Eltern oder eines Professors vorzeigten; Gaberei W, 176.

' Vgl. K, V. Raumer, Gesch. der Pädagogik I, 216 ff., 234 ff.

fl^4 Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft,

sei \ Es wird von ihm erzählt, er habe jährlich einmal die sämt- lichen Werke Ciceros durchgelesen^. So gründete er auch sein ganzes System der Studien auf den »Felsen des griechisch- römischen Altertums -\« Der Unterricht in dem Kollegium be- schränkte sich auf das Lateinische und Griechische; nur in den höheren Klassen kamen einige Stunden Dialektik und Rhetorik hinzu auch diese nach der Anleitung der Alten und wesentlich dieselbe Richtung lag den Vorträgen an der Akademie zu Grunde. Die alten Sprachen waren durchaus die Hauptsache und wurden mit einer Beharrlichkeit und einem Eifer betrieben, die ihres Erfolges nicht verfehlen konnten -*. Von einer selb- ständigen Behandlung der Geschichte , Astronomie, Mathematik, Naturwissenschaften u. s. w. ist in dem Kollegium gar nicht die Rede : nur an der Akademie wird von einem Lehrer während einer halben Stunde »Etwas aus der Physik«, d. i. des Aristoteles gelehrt! Es ist wahr, diese Disciplinen nahmen in keiner der damaligen Schulen die Stelle ein , die ihnen eine spätere Zeit an- gewiesen hat , aber die calvinische Studienordnung ist in ihrer Ausschliefsung strenger als irgend eine andere 5, obgleich gerade unter den westeuropäischen Völkern damals der Sinn für die Naturwissenschaften zu erwachen begann und selbst unter den Freunden des Reformators Stimmen für eine Berücksichtigung der- selben laut geworden sind^. Calvin hatte eine ausgesprochene

Vgl. z. B. Com. in I. epist. ad Corinth. c. XIV, 5. »Hodic quum phis qttain neccssaria sit linguaruin cognitio et Dens hoc tempore mirabili beneficio eas ex tenehris in htcem eruerit : sunt nunc magni theologi , qtii furiose adver sus eas declamitent. Quum certum sit spiritum sanctum aeterno clogio hie ornasse linguas etc.« Opp. XLIX, 518.

* Papirius Massen bei Drelincourt (d. Ausg.) S. 281.

3 Amiel, L'Acad, de Gen&ve S. 21,

4 Contra libellum Calv. D 7 b: »Itaque ad docendi aut concionandi munus neminem admittunt nisi scientiarum et liftguarum periium et praesertim latinae. Ipse Christus si veniret, nisi latine loqueretiir, ab istis non admitteretur.« i\.hn- liche Stellen ebd. E 5 b, E 6a.

5 So finden diese Disziplinen z. B. in der Sturmschen Anstalt, wie auch das von Raumer I, 255 ff. mitgeteilte »Examen« zeigt, eine gröfsere Berück- sichtigung.

^ So z. B. befürwortet Farel in seinem Sommaire S. 1 10 die naturwissen- schaftlichen Studien, auch Länder- und Völkerkunde sei notwendig. Von der Verbreitung und Bedeutung der naturwissenschaftlichen Studien legen auch manche Schriften Virets Zeugnis ab.

Lehrplan der Akademie. 235

Abneigung gegen die Naturwissenschaften und insbesondere gegen die Naturphilosophie : er erklärt sie für eine gottlose und diabolische Wissenschaft , da sie Gott glaube von der Natur trennen zu müssen und den Menschen , indem sie seinen Blick in der Be- trachtung der Natur festhalte, Gott entfremde'. Daher natürlich, dafs er sie von seinem Studienplan ausschlofs.

Aber auch sein Eifer für das Studium der klassischen Sprachen ging nicht aus wirklicher Vorliebe für dieselben hervor, wie das bei dem Strafsburger Sturm der Fall war. An sich ist ihm das ganze klassische Altertum höchst gleichgültig. Er spottet über das kleinliche Treiben der Philologen, die über Ajax und Achilles und die Söhne des Priamus nachgrübeln', er spricht in wegwerfenden Ausdrücken von Cicero und Cato, von dem römischen Senat, den er eine Räuberbande nennt, und dem ganzen römischen Reicht. Das Studium der alten Sprachen ist Calvin lediglich Mittel und zwar das Mittel, die Bücher der hl. Schrift in ihrer Ursprache lesen und verstehen zu lernen und somit die Wissenschaft der Religion zu begründen.

Denn auf diese ist der ganze Unterrichtsplan berechnet. Darum heifst die Schule »ein heiliger Kriegsdienst vor dem höchsten Kriegsherrn.« Sie soll ihre Angehörigen in der wahren Gottes- erkenntnis fördern und zur gröfseren Ehre Gottes dienen, sie soll Streiter für den Herrn heranbilden und vor allem eine Pflanzschule von Dienern und Verkündern des göttlichen Wortes sein ^ Gerade dieser ausgesprochen kirchliche Charakter des Genfer Schulwesens war es , der später der Duldung der Calvinisten in Frankreich vielfach hindernd im Wege stand , indem von kathoHscher Seite in der Einführung des calvinischen Schulwesens die gröfste Gefahr für den alten Glauben und die Ursache fortwährender Reibungen erblickt ward 5. Calvins Schule gipfelt in dem Lehramt der

' y>Dialmlica autem haec scieiitia esi , qiiae in ttattirae coiiteinplaiione nos retinens a Dco avcrtit.« Com. in Psalm. Opp, XXXI S. 289 ; Praelect. in Jeremiam Opp, XXXVIII S. 77 f., 699. Man kann Calvin wegen seiner Ver- nachlässigung der Naturwissenschaften nicht einzig mit der Zeit entschuldigen, wie z. B. Gaberei I, 505 thut.

^ Vgl. Com. in ep. Pauli ad Timotheum I, Opp. LH S. 252.

3 Die stärksten Ausdrücke Calvins hat Baldiiin zusammengestellt in seiner Biga resp. S. 33, 34.

+ Ainiel S. 14 sagt, der Staat, die Kirche, die Wissenschaft hätten bei Gründung der Schule zusammengewirkt ; aber das lag Calvin ganz fern.

5 So erklärten sich die burgundischen Stände 1563 besonders deshalb

336

Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

Theologie und diese ist es, die dem ganzen Bau Charakter, Farbe und Halt giebt, die mit ihren Strahlen alles durchdringt, in deren Dienste alle übrigen Disziplinen stehen. Ihr hat sich jede andere, insbesondere die philosophische Wissenschaft, völlig unterzuordnen, da sie aus sich selbst nichts zur Erkenntnis der göttUchen Wahr- heit beizutragen vermag, sondern von der göttlichen Offenbarung verlassen notwendig irre gehen mufs , und darum nur im An- schlufs an die Theologie ihre Aufgabe erfüllen kann \ Daher auch die Besetzung sämtlicher Lehrstellen durch die ehrwürdige Genossenschaft. Die Professur der christhchen Dogmatik ist die höchste, die wichtigste, das Ziel des Ehrgeizes aller strebsamen Kräfte an der Schule^.

Und diesem Charakter der calvinischen Schulordnung ent- spricht es auch, dafs die neugegründete Akademie der juristischen und medizinischen Fakultät entbehrte, obgleich auch hierfür zumal von dem Standpunkte Calvins , der jeden Besuch einer aus- wärtigen und insbesondere papistischen Schule für höchst gefähr- lich hielt 3, ein Bedürfnis vorlag. Zwar nahm der schwunghafte Festbericht über die Eröffnungsfeier auch die Gründung eines juristischen und medizinischen Studiums in Aussicht ■♦ und in der That sind schon in den nächsten Jahren von einzelnen Gelehrten über Arzneikunde und Rechtsgelehrsamkeit Vorträge gehalten worden. Aber in den Organismus der Anstalten pafste eine selbständige Stellung dieser beiden Wissenschaften nicht; und so lange der Gedanke, aus dem ihre Gründung hervorgegangen, in Kraft

gegen das Pazifikationsedikt, weil im Fall der Annahme desselben die Calvinisten in allen Städten würden Schulen haben wollen »a la modc de Geneve, dont l'escole n'est que le catcchisine de leur dodrvie.«- Mem. de Conde (1743) IV, 389.

' In den verschiedensten Wendungen kehrt dieser Gedanke in den Schriften Calvins wieder. » Verum qtiidem es(, philosophos prorsiis desipcre qmcm disputant vel de essentia vel culiu Dei. Nam quia sequuntur proprium sensum, necesse est ipsos evatiescere. Deus enim non potest apprehendi humano sensu« etc. Prael. in Daniel, Opp. XXXX S. 621 f. Sermons sur le livre de Job. Opp. XXXIIl S. 528 ff. Com. in Evang. Joann. Opp. XLVII S. 6. Es ist be- zeichnend, wenn die Vignette auf dem Titelblatt der Leges die Inschrift hat: »Noli alium sapere.«

^ Amiel S. 17.

3 Com. in epist. Johannis, Opp. LV S. 369.

4 Vorrede zu den Leges. Cellerier (Bullet. IV, 16) und Amiel S. 12 legen die Stelle mit Unrecht Calvin in den Mund.

Verwandtschaft zwischen Calvins Schulplan und dem der Jesuiten, ■j-?^

blieb, konnte das juristische und medizinische Studium als ein selbständiges und ebenbürtiges nicht anerkannt werden und ist es auch als solches nicht anerkannt worden.

Merkwürdig, wie gerade die Gesellschaft, welche der »ehr- würdigen Compagnie« in Genf am feindlichsten gegenüberstand, sich ihr in der Auffassung und Behandlung des Unterrichtswesens am meisten genähert, ja hier im wesentlichen sich zu denselben Grundsätzen bekannt hat. Unter den Schulordnungen des sech- zehnten Jahrhunderts giebt es keine, die mit der calvinischen eine so grofse äufserliche Ähnlichkeit und innere Verwandtschaft zeigt, als der einige Jahrzehnte jüngere , unter dem Ordensgeneral Aquaviva entworfene Studienplan der Gesellschaft Jesu.

Wohl ist der »Plan und die Einrichtung der Studien der Ge- sellschaft Jesu^« bei weitem ausführlicher als die »akademischen Gesetze« Calvins. Manches, was in diesen erst im Keime vor- handen ist, zeigt jene ausgebildet und entwickelt ^ manches ist reicher gegliedert und in grofsartigerem Stile angelegt und mit einem gewissen Glanz umgeben. Einiges ist auch neu hinzu- gekommen , da die inzwischen gemachten Erfahrungen benutzt worden sind ; die rauhe , repubhkanische Strenge des calvinischen Plans ist hier und da gemildert 3, ganz abgesehen von jenen Ab- weichungen, welche die Verschiedenheit des Kultus notwendig mit sich führen mufste. Aber in dem Wesentlichen der Organisation und in der Grundrichtung stimmen beide Institutionen völlig überein, so dafs sie zu einander in dem Verhältnis von Grundrifs und Ausführung stehen. Hier wie da finden wir die Vereinigung von Kollegium und Akademie, von niederem und höherem theo- logisch-philosophischen Unterricht unter einheitlicher Leitung, unter einem geistlichen Rektor. Hier wie da tritt uns die gleiche Vereinigung und Durchdringung des pädagogischen und didaktischen

' Ratio atque institutio studiorum societatis Jesu. Die erste Ausgabe ist nach Zirngiebl , Studien über das Institut der Gesellschaft Jesu , Leipz. 1870 S. 110 im Jahr 1591 zu Rom erschienen. Ich benutzte die Antwerpener Aus- gabe von 1635.

^ So die seminaristischen Übungen (Ratio S. 24, 28 ff., 161 ff.), die Dis- putation (S. 30 ff., 33, 40, 41); auch das Prämienwesen ist weiter ausgebildet.

3 Während die calvinischen Leges die Decurien und Sitze der Zöglinge ohne Rücksicht auf Alter und Abkunft ordnen , weist die Ratio S. 93 den Vornehmen bequemere Sitze an. Auch das jesuitische Strafverfahren ist milder, S. 116.

Kampschulte, J. Calvin II. 22

338

Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

Gesichtspunktes entgegen: auch die jesuitische Schule ist vor allem Erziehungsanstalt, sie will nicht blofs den Verstand, sondern den ganzen Menschen bilden, sie will obgleich in ihrem Lehr- plane, ganz ähnhch wie in dem calvinischen, von eigentlichem Religionsunterricht wenig die Rede ist ein religiöses, der Kirche treu ergebenes Geschlecht erziehen und dadurch zur Vermehrung des göttlichen Ruhmes, zur gröfseren Ehre Gottes beitragend Und auch hinsichtlich der Zucht- und Lehrmittel besteht zwischen beiden Anstalten völlige Übereinstimmung: wir finden in beiden dieselbe strenge, fast militärische Ordnung, die genaue Festsetzung der Pflichten und Obliegenheiten des einzelnen Zöglings, die gleiche, sorgfältige Beaufsichtigung der Schüler durch aus ihnen selbst ge- nommene »Decurionen« (Klassenaufseher)-, die wiederholten öffent- lichen Ermahnungen , wir finden in beiden freie Befragungen der Schüler neben den regelmäfsigen Lehrstunden 3, Disputationen, die aber mit Vorsicht zu leiten sind 4, öffentHche Deklamationen s, Kompositionen und Prüfungen, feierUche Promotionen, öffentliche Belobung und Auszeichnung der vorzüglicheren Schüler zur Weckung des Wetteifers ^ ; nur dafs dies alles von dem Jesuitenorden in einen gewissen, kunstreichen Mechanismus gebracht und mit grofsem äufseren Glanz umgeben worden ist. Die Übereinstimmung er- streckt sich bis auf Äufserlichkeiten. So bestimmt z. B. der Studienplan des Ordens in derselben Weise und fast mit den nämlichen Worten wie der calvinische den Samstag für die all- gemeine Repetition des in der Woche Vorgetragenen und für den Unterricht im Katechismus '' . Und auch der Studiengang und die Unterrichtsgegenstände selbst sind die nämlichen. Wir finden die-

' Ratio S. 5, 37, 74, 82, 104. Fast jeder Abschnitt der Ratio beginnt mit der Hervorhebung dieser Aufgabe.

2 Ratio S. 95, 108, 115.

3 Ratio S. 27, 40.

+ Vgl. Ratio S. 30 ff. mit Leges 1. c. S. 76.

5 Vgl. Ratio S. 93 mit Leges S. 84.

6 Vgl. Ratio S. 92 mit Leges S. 84.

7 Vgl. Ratio S. 110, 120, 131, 137, 142, 147. ''Die Sabbathi maue prima hora publice reciientur memoriter toiius hebdomadae praelectiones, secunda hora recolantur, ultima hora concertetur. Idem fiat a prandio, nisi quod prima hora simul cum grammatica recitatur etiam Catechisinus . Ultima semihora in explicatione Catechismi vel pia exhortatione ponetur.« 7>Diebus Sabhatii, sagen die Leges , 1. c. S. 76 , »mane totius hebdoniadis praelectiones repettmto. A

Calvinischer und jesuitischer Schulplan. 33Q

selbe ausschliefsliche Betonung der sprachlich-klassischen Studien mit Hintansetzung aller übrigen. Die fünf Klassen des jesuitischen Kollegs entsprechen im wesentlichen durchaus den fünf obern Klassen des calvinischen : die drei grammatischen der fünften, vierten und dritten, die Humanität und Rhetorik der zweiten und ersten Abteilung Calvins. Die gelesenen Autoren sind zum gröfsten Teil dieselben. Mit der Rhetorik, mit der Kunst des lateinischen Stils und der lateinischen Beredsamkeit schliefsen beide Kollegien ab ^ Dafs in den »höheren Fakultäten«, welche gleich der calvinischen Akademie das philosophisch-theologische Studium um- fassen, trotz der gemeinsamen Verehrung des Aristoteles die Ab- weichungen stärker hervortreten, dafs hier der Gegensatz zwischen jesuitischer und calvinischer Anschauungsweise in höherem Grade sich geltend macht, liegt in der Natur der Sache, und überdies ist gerade hier der Plan des Ordens viel entwickelter und reicher ge- gliedert. Vollkommene Übereinstimmung herrscht aber in der hervorragenden, alles beherrschenden Stellung, welche beide Studien- ordnungen der Theologie überhaupt anweisen. Wie der ehrwürdigen Gesellschaft in Genf, so ist auch der Gesellschaft Jesu die Theo- logie die Wissenschaft der geoffenbarten göttlichen Religion , die höchste , die wichtigste und erste Wissenschaft , der alle übrigen dienen sollen, und nicht blofs dies : sie ist die einzig sichere und zuverlässige, die allen übrigen Norm und Richtschnur ist, von der diese Ziel und Aufgabe empfangen. Das eine wie das andere System steht vollständig unter dem Einflüsse der Theologie. In dieser findet die jesuitische wie die calvinische Schule Abschlufs und Ziel, und vorzugsweise auf sie soll der Unterricht in dem Kollegium vorbereiten. Die weltlichen Wissenschaften, Rechtskunde und Medizin haben in dem jesuitischen Studienplane so wenig wie in dem calvinischen eine Stelle gefunden^.

prandio, ab undecima ad duodecimam, ut dictum est, disputanto .... A tcrtia ad quartam pueri .... quae postridie ex Catechisino explicabwitiir^ recitaiito et fainiliariter pro captus ratione docentor«.

' Eine Abweichung von dem Calvinischen so wie auch von dem Sturm- schen Studienplan zeigt die Ratio darin, dafs sie S. 119 die Logik von den oberen Klassen ferngehalten wissen will und diese den »höheren Studien« reserviert.

* Vgl. Zirngiebl S. 137. >Jurisprudenz und Medicin wurden auf den Universitäten der Gesellschaft entweder gar nicht oder doch aufserhalb des Kreises ihrer Fürsorge gelehrt« ganz wie in Genf.

22*

34°

Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

Diese Billigung und Anerkennung , welche dem Studienplane des Genfer Reformators selbst bei seinen erklärten Gegnern ge- worden, ist zugleich das beste Zeugnis für seine Zweckmäfsigkeit und Zeitgemäfsheit.

Und auch durch den Erfolg wird dieses bestätigt. Wie es vorzugsweise das Schulwesen war , wodurch die Jünger Loyolas ihren Einflufs begründeten, so hat dasselbe nicht minder auch zu der Machtstellung Genfs in den nächsten Jahrzehnten beigetragen. Calvins Schöpfung blühte rasch auf, und Bern, das sie anfangs mit geringschätzigen Augen ansah und ihr keine glänzende Zukunft prophezeite % sah sich auch dieses Mal wieder in seinen Voraus- setzungen getäuscht. Nicht nur das Kollegium , dessen unterste Klasse im Sommer 1559 bereits 280 Schüler zählte^, sondern auch die Akademie übte in kurzem eine ungewöhnliche Anziehungskraft aus , so dafs der Hörsaal im Domkloster sich als zu klein erwies und gegen einen gröfseren vertauscht werden mufste^. Während das Kollegium in der ersten Zeit seine Zöglinge aus der Stadt selbst empfing, während es jene ernste, gestählte, strenge, fest im Glauben gegründete Einwohnerschaft heranbildete, die mit freudigem Gehorsam sich dem Joch der Kirchenzucht unterwarf, in der, wie der Chronist sagt, jedes Kind von seinem Glauben Rechenschaft zu geben wufste »wie ein Doktor der Sorbonne"*«, und Genf in solcher Weise zu einer festen Burg des neuen Glaubens machte, lockte die theologische Akademie aus nah und fern an und erzog jene Schar von glaubensstarken, opferwilligen, von glühendem Eifer beseelten Jünger und Streiter für das neue Gotteswort, die den offenen Kampf um die Weltherrschaft mit dem Papsttum auf- zunehmen in sich die Kraft fühlten und während der nächsten Jahrzehnte der westeuropäischen Geschichte ihr eigentümliches Ge- präge verliehen. Das erste Verzeichnis der Immatrikulierten, welches bis zum Jahre 1562 reicht, weiset 162 Namen auf, zu denen im folgenden Jahre 97 neue kamen. Man findet schon

' Vgl. Haller an BuUinger 8. Okt. 1559, Opp. XVII S. 659.

* Ratsprot. 31. Juli 1559. Für den eigentlichen Elementarunterricht wurden später noch weitere Klassen errichtet; vgl. Gaberei II, 115.

3 Die Vorlesungen wurden in die Kapelle Notre Dame la Neuve ver- legt, welche seitdem das Auditorium hiefs: Gaberei I, 508.

Ana. et nouv. pol. S. 121 ; vgl. von der Goltz, Die reform. Kirche Genfs im 19. Jahrh. S. 21.

Die Schüler der Akademie.

341

unter den Eingeschriebenen der ersten Zeit die verschiedensten Nationen vertreten : Franzosen, Italiener, Deutsche insbesondere vom Niederrhein , Engländer, Spanier, selbst Russen', doch giebt das Matrikelbuch auch nicht annähernd ein Bild von der wirklichen Frequenz der Anstalt , denn bei weitem zahlreicher als die regelmäfsig eingeschriebenen Studierenden waren die Hospitanten, die von allen Seiten zusammenströmten, zum Teil Männer von angesehenen Lebensstellungen und vorgerücktem Alter , älteren Geistlichen , Juristen , die um Calvins Lehrstuhl sich sammelten, um sich durch ihn tiefer in den Geist der neuen Lehre , in die heilige Wissenschaft einführen zu lassen , um dann als gestählte Streiter unter seiner Fahne in der Heimat an dem Kampfe für die Ausbreitung des Gotteswortes Teil zu nehmen. Von einem Zeitgenossen wird die regelmäfsige Zahl der wirklichen Zuhörer Calvins auf ungefähr 1000 geschätzt". So wurde Calvins Akademie in der That, was sie nach der Absicht ihres Gründers werden sollte, ein geistliches Seminar, eine Pflanzschule von Predigern und Streitern vor dem Herrn , nicht blofs für das enge Weichbild der Stadt, sondern für alle umliegenden Länder und Völker, eine wahrhaft internationale Institution , das grofse Missionshaus für Westeuropa 3. Es war deshalb nur die Abtragung eines schuldigen Tributes , dafs in den Tagen schwerer Not und Bedrängnis , als Genf selbst die Lasten für die Unterhaltung seiner Schule nicht mehr aufbringen konnte, die protestantischen Staaten England und Holland öffentliche Sammlungen veranstalteten und der in ihrer

' Vgl. Le livre du Recteur. Catalogue des Etudiants de rAcademie de Gen^ve 1559 1S59. Gen^ve 1860. Vgl. auch Gaberei II, 120. Dafs übrigens in der nächsten bewegten Zeit mit dem Matrikelbuch ziemlich nachlässig und zwar in einer Weise umgegangen worden ist , die Zweifel an seiner Voll- ständigkeit aufkommen läfst , zeigt das Schreiben Bezas an Calvin vom 22. Dez. 1561, Opp. XIX S. 188.

^ Sayous I, 96; vgl. Gaberei I, 508, der 800 annimmt, [Beaulieu an Farel 3. Okt. 1561, Opp. XIX S. 10.]

3 »Certe schola nostra hodie seminarium est eorum pastorum qui se in solidum ac ingemie Deo consecrant. Quanti aestimas discipulos formare qui niox in totam Galliam spargantur? Calvin an Mercier 17. Okt. 1563, Opp. XX S. 170. Vgl. auch Gaberei II, 131. Die 1562 gegründete Akademie der Jesuiten in Douay hatte hauptsächlich den Zweck , der Genfer entgegen- zuwirken und die Schüler von ihr abzuhalten; vgl. Nicolai Burgiindi Historia Belgica (Ingoist. 1629) I, 59.

342 Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

Existenz bedrohten Anstalt zu Hilfe kamen. Die Genfer Akademie blieb auch nach des Meisters Tode der Mittel- und Ausgangspunkt der evangelischen Propaganda im westlichen Europa, sie blieb die »Mutter« aller neu gegründeten evangelischen Schulen in den Nachbarlanden. Höher als die von »den berühmtesten Universi- täten Europas« erworbenen Grade wurden die von ihr verliehenen Auszeichnungen in den Kreisen der Gläubigen geschätzt. »Denn sie,« heifst es in einem Schreiben der holländischen Universitäten aus dem Jahre 1594, »hat die christliche Welt erleuchtet, sie ist die feste Stütze des Glaubens, die Säule der Kirche, die Zuflucht und Pflegstätte der Wissenschaften und Künste

IV.

ABSCHLUSS DER KIRCHLICHEN GESETZGEBUNG.

Es versteht sich von selbst, dafs die gröfsere Machtfülle, welche die Entwicklung der letzten Jahre Calvin in die Hände gab , der weiteren Ausbildung und strengeren Durchführung der »kirchlichen Ordonnanzen« vor allem zu gute kam.

Mit der Reorganisation des Unterrichtswesens und der Gründung der geistlichen Akademie war die am schmerzlichsten empfundene Lücke, welche die kirchliche Gesetzgebung von 1541 gelassen, beseitigt: andern UnvoUkommenheiten und Mängeln derselben war durch eine Reihe nachträglicher Verordnungen und Zusätze abgeholfen worden. Aber immer noch liefs der Zustand in den Augen Calvins viel zu wünschen übrig. Der Wortlaut der Ordon- nanzen war nicht überall so klar und unzweideutig, dafs er nicht verschiedenen Auffassungen Raum gelassen , und Calvin hatte in der Wirklichkeit manches hingehen lassen , das mit der Strenge seines Systems in Widerspruch stand. Insbesondere fand er den Einflufs, welchen die Vertreter der Staatsgewalt immer noch in rein kirchlichen Angelegenheiten ausübten , mit einer wahrhaft evangeHschen Ordnung unvereinbar. Dem mufste anders werden. Die Zeit der Nachgiebigkeit war vorüber : ein ernstlicher Wider- stand war nicht mehr zu besorgen , sobald die geistliche Gewalt einmal entschlossen ihren Willen kundgab.

I Gaberei II, 136 if. und Pikees just. S. 131.

Verschärfung der Kirchenzucht. 343

Am 30, Januar 1560 erschienen Calvin und Viret namens der ehrwürdigen Genossenschaft vor dem Rate , um denselben ver- schiedene Vorschläge zu machen, welche, wie sie sagten, dazu dienen sollten, »dafs in Zukunft die Kirchenpolizei von der bürger- lichen Gerichtsbarkeit besser getrennt sei wie zur Zeit der alten Kirche«. Der Rat hörte sie mit gewohnter Ehrerbietung, beschlofs sofort die geistliche Vorlage in Beratung zu nehmen und erklärte sich schon am i. Februar in allem wesentlichen mit ihrem Inhalt einverstanden. Acht Tage später gab auch der Grofse Rat seine Zustimmung ' .

So erfolgte im Februar 1560 im Namen »der Syndiks , des Kleinen und Grofsen Rates der Stadt Genf« eine Reihe von Ver- ordnungen, welche unter dem Scheine einer /Erklärung« der alten Bestimmungen über die Wahl der Ältesten und der Ex- kommunikation dem geistlichen Prinzip neue, wichtige Zugeständ- nisse machten.

Die erste beseitigte jenen alten , von Calvin selbst bisher ge- duldeten Brauch, demzufolge der in das Consistorium gewählte Syndik bei den Verhandlungen desselben mit dem Syndikusstabe erschien und den Vorsitz führte , und setzte fest , dafs fortan der Syndik , wenn überhaupt ein solcher gewählt werde , an den Sitzungen des Kollegiums nur in seiner Eigenschaft als Ältester und ohne ein äufseres Zeichen seiner Würde Teil zu nehmen habe.

Die zweite rügt in scharfen Worten, dafs im Widerspruch mit dem Wortlaut der kirchlichen Edikte bei der Wahl der Ältesten »durch eine tadelnswerte Anmafsung« (vicieuse Usurpation) es ist der Rat selbst , der in solchen Ausdrücken von sich redet die Geistlichen ausgeschlossen und nicht gehört worden seien, was zur Folge gehabt, dafs das Ansehen des Consistoriums durch un- geschickte Wahlen zuweilen in Mifsachtung geraten. Es wird darum angeordnet, »dafs in Zukunft die Diener des Wortes ein- geladen werden sollen , um ihren Rat und ihre Ansicht darüber zu vernehmen, welche Männer zu wählen gut sein möge ^.«

' Ratsprot. 30. Jan., i. Febr. 1560, Opp. X, i S. 120; 9. Febr. 1560. Roget V S. 286 ff. Nicht genehmigt wurde Calvins Vorschlag, zu besserer Kontrolle an die zur Kommunion Berechtigten Marken auszuteilen.

^ Dieselbe Zusicherung war schon früher vom Rate gegeben, aber wohl nicht ausgeführt worden; Ratsprot. 12. Febr. 1546.

344

Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

Der dritte Artikel beschäftigt sich mit dem Unterschiede der Alt- und Neubürger und findet es tadelnswert , dafs man bisher »aus Ehrgeiz oder aus andern Gründen« sich bei den Wahlen für das Consistorium auf den Kreis der Altbürger (citoyens) beschränkt habe, da es doch vielmehr darauf ankomme, dafs »die Besten aus der ganzen Gemeinde^ gewählt würden. Es soll deshalb in Zu- kunft auf den Unterschied von Alt- und Neubürgern keinerlei Rücksicht mehr genommen werden ^

Eine weitere Verordnung führt unter Berufung auf die heilige Schrift und insbesondere den Apostel Paulus , der verbiete , mit den Verstockten Umgang zu haben, sondern wolle, dafs sie be- schämt würden, die öffentliche und namentliche Exkommunikation ein. Schon früher, läfst sich der fromme Rat vernehmen, habe man in dieser Frage Edikte erlassen, welche man für die zur Er- bauung der Kirche förderlichsten gehalten habe und welche auch von den ehrwürdigen GeistHchen gelobt und gepriesen seien, »aber,« heifst es weiter, »um uns noch mehr der wahren Regel des Wortes Gottes anzunähern und uns ihr so viel als möglich anzuschliefsen , haben wir nun verordnet , dafs diejenigen , welche von nun an von dem Consistorium exkommunziert werden, wenn sie, gehörig ermahnt, sich nicht fügen, sondern in ihrer Wider- setzlichkeit verharren, in ihren Kirchen als ausgeschlossen von der Herde verkündet werden sollen^«.

Auch sollen diejenigen, welche, um ihr Leben zu retten, den reinen Glauben des Evangeliums verleugnet oder gar sich wieder förmlich zu den Gräueln des Papsttums bekannt haben, bei ihrer Rückkehr zur Wahrheit fortan nicht mehr wie früher blofs mit einer Geldstrafe belegt werden , sondern »zur Genugthuung und Warnung der ganzen Gemeinde« sollen sie öffentlich in der Kirche

I

' Es ist der Unterschied zwischen Citoyen und Bourgeois. Dazu kommt noch der Habitant, der aber überhaupt nicht wahlfähig ist. Calvin an Olevian 7. Nov. 1560, Opp. XVIII S. 236: y>Deliguntur qtiotannis duodecim scniores, nempe ex minore scnatu duo, reliqui ex Ducenüs, sive sint indigenae, sive ascriptitii cives«.

^ Eine sehr scharf lautende , lange Zeit in Genf und Frankreich übliche Exkommunikationsformel teilt Aiidin II, 31 f. mit; ob sie indes schon auf Calvin zurückzuführen ist, erscheint zweifelhaft. Wie Calvin über den Um- gang mit Exkommunizierten dachte s. Opp. XIX S. 369.

Neuordnung der kirchlichen Gesetze. jac

ihr Vergehen erkennen und bekennen und Gott und seine Ge- meinde um Verzeihung bitten \

Endhch wird in einem besondern Artikel auch das Bestätigungs- recht wieder in Erinnerung gebracht, welches nach dem ursprüng- lichen Wortlaute der Ordonnanzen dem gesamten Volk in Bezug auf die Wahl der Geistlichen zustand. Es soll fortan die blofse Bestätigung durch den Rat nicht mehr genügen , sondern vor der förmlichen Einführung der Gewählten durch öffentliche Bekannt- machung jedem Mitgliede der Gemeinde Gelegenheit gegeben werden, etwaige Einwendungen gegen die getroffene Wahl zu machen -.

Wohl nicht oft mögen Vertreter der Staatsgewalt den geist- lichen Machthabern Konzessionen von solchem Umfange mit gleicher Willfährigkeit gemacht haben.

Nachdem in solcher Weise allen Wünschen Calvins entsprochen worden war , trat ein anderer Übelstand der kirchlichen Gesetz- gebung um so mehr in den Vordergrund. Durch die Masse nach- träglicher Verordnungen und Ergänzungen waren die Ordonnanzen zu einer weitschichtigen , jeder Ordnung entbehrenden Sammlung kirchlicher Gesetze geworden, in welchen das ursprüngliche Edikt von 1541 fast verschwand und die, sollte sie überhaupt ihren Zweck erfüllen, eine neue Ordnung, Durchsicht und Publikation zur Notwendigkeit machte. Was diese Angelegenheit noch dringender machte , war , dafs selbst die Rechtsgültigkeit der späteren Ver- ordnungen, wie die Dinge bis jetzt noch lagen, mehr als zweifel- haft war, da dieselben nicht wie die ersten Ordonnanzen von dem Generalrat, sondern blofs von dem Kleinen und Grofsen Rate be- stätigt worden waren.

' Ord. eccl. 1561 , Opp. X, i S. 123. Richter 1. c. I, 352 f. Vgl. übrigens Consistorialprot. 20. Nov. 1561, Ann. S. 767.

^ Ord. eccl., Opp. X, i S. 94. Richter S. 343. Bei dieser scheinbar sehr demokratischen Bestimmung war es vielleicht auf Begünstigung der Ein- gewanderten abgesehen, die in den Ratskollegien noch lange Zeit nur äufserst spärlich vertreten waren und nun ein Recht erhielten, ihr Gewicht in die Wagschale zu werfen. [Es sei an dieser Stelle eingefügt , dafs gegen die K.'sche Auffassung von der demokratischen Grundlage der Calvinischen Kirchenverfassung (vgl. bes. Bd. I S. 268 f.) jüngst Ricker, Grundsätze refor- mierter Kirchenverfassung (Leipzig 1899) S. 137 ff. Einspruch erhoben hat: die Ältesten seien nach Calvins Meinung nicht Vertreter des Willens der Ge- meinde, sondern »Träger eines selbständigen, von Gott geordneten Amtes, Funktionäre Christi».]

^46 Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

Der Rat säumte nicht lange, auch in diesem Punkte Calvins Wunsch zu erfüllen. Offenbar auf seine Anregung fafste er im Herbst 1561 den Beschlufs, die Ordonnanzen durchsehen und neu ordnen zu lassen und sodann die revidierte Sammlung als Ganzes nicht blofs dem Grofsen, sondern auch dem Allgemeinen Rat zur Bestätigung vorzulegen. Es verstand sich von selbst, dafs die Revision Calvin überlassen wurde. In wenigen Tagen war die Arbeit vollendet. Alle die kleineren Zusätze und Ergänzungen, die verschiedenen Eidesformeln , ferner die im Laufe der Zeit nachträglich erlassenen Edikte über die Beaufsichtigung und Visi- tation der Geistlichen, die verbotenen Taufnamen, die jährliche Hausvisitation , über Exkommunikation und Consistorium , sowie endlich auch die schon 1545 von Calvin entworfenen, sehr weit- läufigen Ehegesetze ^ wurden in den Text der ursprünglichen Ordonnanzen eingefügt, so dafs der äufsere Umfang auf mehr als das Doppelte stieg. Hie und da erfuhr auch der ursprünghche Text , wie es bei dem Ineinanderfügen so mannigfaltiger Bestim- mungen nicht anders sein konnte, kleinere Veränderungen, Inter- polationen. Auslassungen, Umstellungen der Abschnitte, sachliche und rein formelle Korrekturen. Doch könnte man nicht sagen, dafs Calvin in formeller Hinsicht auf seine Arbeit grofsen Fleifs verwandt habe , vielmehr zeigt sie an mehr als einer Stelle nicht undeutliche Spuren der Eile, mit der sie vorgenommen worden ^. Wohl die bedeutsamste und für den Geist der Revision am meisten charakteristische Änderung ist die , welche Calvin in dem Schlufspassus der ursprünglichen Ordonnanzen vornahm , wo das Recht der bürgerlichen Obrigkeit mit besonderem Nachdruck gewahrt war : in der neuen Ausgabe ist jener bedeutsame Zusatz, welcher die GeistHchen ausdrücklich »auf das geistliche Schwert des Wortes Gottes, wie ihnen der heilige Paulus vorschreibt«, be- schränkt, verschwunden 3.

Gleichwohl fand Calvins Arbeit allgemeinen Beifall. Am

' Vgl. Opp. X, I S. i^ n. I.

* In dieser Hinsicht zeigt die Redaktion von 1576 einen bedeutenden Fortschritt.

3 Vgl. Opp. X, I S. 30 Anm. 1 mit S. 119. Bezeichnend ist übrigens auch manche scheinbar formelle Redaktionsverbesserung, wie z. B. S. 117 an die Stelle von »quon le denonce au Magistrat« gesetzt ist »en le faisant savoir au magistrat«.

Abschlufs der kirchlichen Gesetzgebung. 54^

II. November erteilte der Rat der Fünfundzwanzig der revidierten Gesetzsammlung ohne Widerspruch seine Genehmigung und be- schlofs , dieselbe drucken zu lassen, damit sie auch fremden Völkern zugänglich werde. Gleich am nächsten Tage erfolgte die Zustimmung der Zweihundert. Auf den 13. November war der Generalrat einberufen. Vor der versammelten Menge wurden hier noch einmal sämtliche Edikte, »die alten wie die neuen«, verlesen und dann nach einer Ansprache Calvins einstimmig angenommen, und zwar, wie es in dem Protokoll heifst , »auf dafs sie nicht blofs uns dienen, sondern allen reformierten Kirchen eine Leuchte seien, nach der sie sich richteten.» Um aber das Ansehen des nunmehr allseitig approbierten , revidierten kirchlichen Gesetz- buches auch dauernd für die Zukunft zu begründen , wurde in Übereinstimmung mit dem Kleinen Rate beschlossen, dafs dasselbe fortan alle drei Jahre den ersten Sonntag im Juni in S. Peter öffentlich vorgelesen und vor dem versammelten Volke in Gegen- wart der Syndiks aufs neue beschworen werden solle, und diese Bestimmung dann selbst in den Text der Ordonnanzen auf- genommen \

Das Werk der kirchlichen Gesetzgebung war damit ab- geschlossen. Calvin selbst hat demselben nichts mehr hinzu- zusetzen gefunden. Die Aufgabe und der Wirkungskreis der einzelnen kirchlichen Institutionen war genau festgesetzt, dem geistlichen Amte diejenige Stellung gesetzlich gesichert, die Calvin für notwendig erachtete, die Befolgung und gewissenhafte Beobachtung der Lehren und Vorschriften der Reformation durch das Staatsgesetz gewährleistet und jedem Staatsbürger zur Pflicht gemacht. Die Ordonnanzen bildeten das kirchliche Staatsgrund- gesetz der Republik : wer gegen sie sich auflehnte , griff die Grundlage des Staates an. Calvins Ideal war nach zwanzig- jährigem Kampfe erreicht.

Indes beschränkte sich Calvins legislatorische Thätigkeit während dieser Jahre nicht auf das Gebiet der kirchlichen Gesetz- gebung im engeren Sinne. Ordnung und Verfassung der Kirche waren leere Worte, wenn sie nicht durch den reinen Glauben und

' Ratsprot. 7., II., 12., 13. Nov. 1561 ; vgl. Opp. X, i S. 92 n. i. Vgl. ferner den Schlufspassus der Ordonnanzen selbst: »De l'observation de cette police« ; ebd. S. 124.

248 Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

reine Sitten den rechten Inhalt erhielten. Die Sittenzucht ins- besondere machte nach Calvin das eigentliche Wesen der »geist- lichen Politik« aus (Bd. I, 267), ihr diente die vornehmste unter den von ihm neugeschaffenen kirchlichen Institutionen und ihr wandte er deshalb mit verdoppeltem Eifer seine Sorge zu, nach- dem er durch das Unterhegen der feindhchen Elemente und den eingetretenen ruhigeren Zustand auch nach dieser Seite hin freiere Hand erhielt. Wir haben gesehen , wie durch eine Reihe von disziplinarischen Verordnungen, die zu verschiedenen Zeiten erlassen waren, gegen Spielen, Tanzen, Singen unanständiger Lieder, Hurerei, gegen Schwören, Fluchen und Gotteslästerungen, und diese Vergehen mit bürgerlichen Strafen belegten, die Sittengesetzgebung einen an- sehnlichen Umfang erreicht hatte. Aber in einem Punkte , auf den der strenge Censor gerade das gröfste Gewicht legte ^, waren alle seine früheren Vorstellungen bei dem Magistrate fruchtlos ge- blieben. Er betraf den altgenferischen Hang zum Luxus in der Kleidung, wie in der ganzen Lebenseinrichtung ^. Wohl waren einzelne Trachten verboten worden , aber als eigentliche sitten- polizeiliche Verordnungen konnten solche Verbote kaum an- gesehen werden, da die angefeindeten Trachten vornehmlich um ihres bernerischen Ursprungs willen es handelte sich um die Chausses chapeldes und als politische Demonstration verurteilt wurden. Ein Antrag auf Erlafs einer »allgemeinen Ordonnanz« gegen die überhandnehmende Mode und Vergnügungssucht, den das Consistorium schon im Jahre 1550 an den Rat richtete, war ohne Erfolg geblieben 3. Das Übel blieb, ja es nahm infolge der französischen Einwanderungen noch zu. Die vornehmen fran- zösischen Emigranten setzten den Luxus, an den sie daheim ge- wöhnt waren , in Genf fort und entwickelten in Trachten , bei Gastmählern und Familienfesten einen Aufwand, der auf die Einwohnerschaft den schlimmsten Einflufs ausübte. Wie grofs Calvins Vorliebe für den vornehmen Stand auch war und wie

' In der Genfer Bibl. 145 f. 125 findet sich der von Calvins Hand ge- schriebene Entwurf einer Abhandlung »De Luxu«, die unter Berufung auf die Alten den Luxus als die allgemeine Weltplage darstellt und schonungslos ver- dammt ; in welche Zeit das Schriftstück gehört , ist schwer zu sagen. [Jetzt gedruckt Opp. X, i S. 203 ff.]

* Vgl. über die damaligen Trachten Galiffe, Gen^ve hist. et arch. S. 281.

3 Consistorialprot, 21. Aug. 1550.

Verordnungen gegen den Luxus. ^4Q

ungern er auch seinen eingewanderten Landsleuten wehe thun mochte : dieser Übelstand durfte nicht länger fortdauern. Die Wendung der Dinge, die in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre eingetreten war, brachte auch hier Hilfe.

Am 27. September 1558 begab sich der Prediger Nicolas Gallasius, der Vertraute und treue Schüler Calvins, vor den Rat und schilderte diesem im Namen des Consistoriums in düstern Farben den alles Mafs überschreitenden Luxus , der in Genf, namentlich in den Kreisen der französischen Emigranten, zumal der Frauen, eingerissen sei. Selbst bei den Heiden , erklärte er , würden solche Ausschweifungen nicht geduldet worden sein, um wieviel weniger dürfe da eine christliche Gemeinde schweigen. Nur eines solchen entschiedenen Auftretens bedurfte es. Der Rat erkannte die Berechtigung der Klage in seiner Antwort vollkommen an : er fand überdies, dafs der Luxus die Lebensmittel verteuere und den Ruin vieler Familien herbeiführe : aber das Hauptgewicht legte er auch von seiner Seite auf die grobe Beleidigung Gottes und das schlechte Beispiel, das gegeben werde ' . Schon in der nächsten Zeit finden wir ihn mit Verhandlungen über eine zu erlassende neue Verordnung beschäftigt, welche in Übereinstimmung mit der Vorstellung des Consistoriums sich vornehmlich gegen den Luxus »in Kleidern und bei Gastmählern« richtete^. Am 13. Oktober wurde der fertige Entwurf im Kleinen Rate verlesen und ge- nehmigt und am nächsten Morgen das neue Luxusgesetz öffentlich auf den Strafsen von Genf unter dem Schall der Trompete ausgerufen ^

Wohl nicht häufig mögen Gesetze erlassen sein, so scharf und einschneidend, so tief selbst in das Privat- und Familienleben eingreifend wie diese Luxusgesetze.

' Ratsprot. 27. Sept. 1558, Ann. S. 705.

^ Ratsprot, 11. Okt. 1558, Ann. S. 706.

3 Ratsprot. 13. Okt. 1558: »Suyvant l'arrcst de mardy denüer a este icy /aide lecture des cries cochees tochant cez deux pointz (habitz et banquetz) lesqueUes so?it trovees bonnes et arreste qu'elles soient criees demain et affin que chascim en ayt meilleur notice, soyeiit imprimees et que le secretaire de la bauche alle avec la crie«. Von den in Aussicht genommenen Drucken ist mir keiner zu Gesicht gekommen. Gaberei giebt einen Abdruck I, 339 ff., ohne sich über seine Quelle auszusprechen , was um so mehr zu wünschen gewesen wäre, als das vorliegende Gesetz nicht ganz den Andeutungen des Ratsprotokolls ent- spricht, indem es die vertugales (sie!) nicht verbietet.

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Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

Sie beginnen mit der Festsetzung der Kleiderordnung. Ver- boten ist allen Bürgern, Einwohnern und Unterthanen der Stadt Genf Kleider mit goldener oder silberner Stickerei, Borten, Tressen, Besätzen und Verzierungen zu tragen. Verboten sind alle goldenen Ketten, Armbänder, Halsketten, Knöpfe und Gehänge, Gürtel und Schnüre von Gold oder Silber gewirkt, überhaupt jeder Gebrauch von Gold, Perlen, Edelsteinen zum Schmucke der Kleider.

Verboten ist insbesondere den Personen, die dem Handwerker- stande oder überhaupt den unteren Klassen angehören, das Tragen von seidenen Kleidern, Sammetbesätzen und Stickereien , sowie jeder unnötige Aufwand von Kragen, Wämmsern, Hüten, Mützen, Hosen und Mänteln.

Verboten ist den Männern, langes, gescheiteltes Haar und Ohrringe zu tragen , den Frauen jede Frisur , jedes Aufkämmen und Kräuseln der Haare, jede Verwendung von Edelsteinen zum Kopfputz.

Verboten sind überhaupt alle überschwänglichen, exzentrischen Moden , zumal wenn sie anstöfsig sind , wie ausgeschnittene Kleider , verboten ist jeder Luxus in Spitzen , Kragen , Hals- krausen, Handschuhen, Rüschen, verboten jeder übertriebene über- flüssige Aufwand in der Verzierung und Einfassung der Kleider nur den Damen von Stand wird hier ein bestimmtes Mafs er- laubt. Nur diesen ist es auch gestattet, goldene Fingerringe zu tragen, deren Zahl jedoch vier nicht übersteigen soll, nicht aber den Frauen von Handwerkern , auch nicht den noch nicht ver- lobten jungen Mädchen, »bei Strafe von 60 Sols und Konfiskation •der Ringe.«

Handwerker, die von ihrer Hände Arbeit leben, ihre Frauen, Kinder , Gehilfen dürfen keine kostbaren , feinen , ausländischen Stoffe, kein Pelzwerk, keine Besätze von Sammet oder Seide an ihren Kleidern tragen ; die Hauben der Frauen und Jungfrauen sollen einen bestimmten Preis nicht übersteigen, und ebenso sind den Männern Hüte und Kragen von Sammet und Seide untersagt.

Die Dienstboten insbesondere sollen sich mit einer Kleidung begnügen, wie sie der alten Gewohnheit entspricht; der Stoff ihrer Kleider sei einfach und billig, die Farbe bescheiden, vor allem nicht rot; ihre Hauben dürfen höchstens 18 Sols kosten; Spitzen, gefältelte Kragen und dergleichen sind ihnen unbedingt untersagt.

»Überhaupt,« fügt das Edikt nach diesen Bestimmungen hin-

Inhalt der Luxusgesetze. 251

ZU , »hat ein jeder sich anständig und einfach zu halten nach seinem Stande und Range und seinen Mitmenschen ein Beispiel christlicher Bescheidenheit zu geben und insbesondere sollen auch die Eltern ihre Kinder streng nach vorstehenden Vorschriften kleiden. Wer zuwiderhandelt, zahlt das erstemal 5, im Wieder- holungsfalle 10, das drittemal 25 Gulden, aufserdem werden die verbotenen Kleider und Schmucksachen konfisziert und weitere Strafe vorbehalten.«

Und um die Beobachtung dieser Verbote noch mehr zu sichern, wird dann unter Androhung noch schwererer Strafen den Schneidern untersagt, irgend eine neue Kleidertracht ohne Er- laubnis der Obrigkeit einzuführen oder für irgend einen Bürger, Einwohner und Unterthanen der Stadt Genf einen Anzug oder ein Kleidungsstück anzufertigen , welches mit gegenwärtigen Ordon- nanzen im Widerspruche stehe.

Eben so scharfe Grenzen zieht der zweite Teil der Ver- ordnung dem Luxus bei Gastmählern und Familienfesten. Genau wird da die Zahl der Gänge festgesetzt, welche bei einer Hoch- zeit oder sonst bei einem Bankett gestattet ist, die Haupt- und Nebengerichte, die Schüsseln für den Nachtisch, wobei insbesondere die Dehkatessen aufgeführt werden, die in Zukunft verboten sind, wie z. B. eingemachte Früchte, endlich auch die Anzahl der Personen, die bei der Bedienung zur Verwendung kommen dürfen. Übertretungen dieser Gesetze sollen mit 60 Sols Strafe von dem Gastgeber gesühnt werden. Die Zahl der Geladenen soll nicht grofs sein und in gewöhnHchen Fällen, z. B. bei Tauf- und Ver- lobungsessen, die indes nur Familien von Rang gestattet und in geräuschloser Stille zu begehen sind, zehn nicht übersteigen. Bei Hochzeiten sind indes nur die Ärmeren an diese Zahl gebunden. Wohlhabende dürfen zwanzig. Vornehme bis zu dreifsig Personen einladen ; doch nie darf das Fest länger als einen Tag dauern. Zutrinken ist in keinem Fall gestattet. Überdies ist bei den Gastmählern der weniger bemittelten Klassen jede Art von Wild- bret, Geflügel, alles Backwerk und dergl. untersagt bei Strafe von 25 Gulden. Derselben Strafe verfällt auch der Koch, der ein der gegenwärtigen Bestimmung widersprechendes Mahl herrichtet. Es werden ferner die üblichen Hochzeitsgeschenke beschränkt. Braut und Bräutigam dürfen nur sich gegenseitig beschenken und auch dies nur in bescheidenem Mafse und ohne übertriebenen Kosten-

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Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

aufwand bei Strafe von 25 Gulden für jeden Teil. Auch das bei Hochzeiten, Verlobungs- und Tauffesten übliche Zusenden und Über- reichen von kostbaren Blumensträufsen mit Goldfäden und Perlen ist verboten. Selbst über das Verhalten der Wöchnerinnen enthält das neue Gesetz Vorschriften. Bei einer Strafe von 60 Sols wird es verboten, dieselben namentlich am Tauftage selbst zu besuchen : nur die Gevatterin und die allernächsten Verwandten erhalten Zutritt. Sie selbst soll sich im Bett nicht ungebührlich aufputzen, nicht die neuerfundenen Überwürfe und Mäntel tragen, sondern sich durchaus bescheiden und eingezogen halten alles bei Strafe von 60 Sols.

»Und damit,« schliefst das merkwürdige Dokument, »diese Verordnung um so besser beobachtet und befolgt werde, haben wir beschlossen , dafs dieselbe alle fünf Jahre in einer General- versammlung sämtlicher Bürger , welche auf den ersten Sonntag im Juni einzuberufen ist, publiziert und verlesen werde, ohne dafs es jemand gestattet wäre, ihr entgegenzuhandeln oder etwas daran zu ändern, es sei denn, dafs der Kleine, Grofse und Allgemeine Rat dieser Stadt es beschlossen^.«

So war denn auch in dieser Beziehung Calvins Wille endlich durchgedrungen. Der städtische Chronist erzählt nicht ohne Be- friedigung, die ersten, welche von dem neuen Gesetz getroffen, seien die Herren von der Justiz gewesen, indem dieselben bei einem Mahle, welches sie einige Tage später dem Kleinen Rate gegeben, die gesetzlichen Bestimmungen um »eine Schüssel« übertreten

' Diese Edikte gedr. bei Gaberei I, 339 342; Roset VI c. 43. Der Schlufssatz findet sich wörtlich wieder am Schlufs der revidierten kirchlichen Ordonnanzen von 1576 und gehört wohl auch späterer Zeit an, da die Or- donnanzen von 1561 noch eine dreijährige Publikation festsetzen. Selbst der Text scheint , obgleich er sich in der Hauptsache an das Ratsprotokoll vom II. Okt. 1558 durchaus anschliefst , doch einzelne Änderungen erfahren zu haben, wie z. B. was die Zahl der Schüsseln und Vertugales angeht. Doch betreffen die Abweichungen kleine Äufserlichkeiten , nicht den Geist des Ge- setzes. — In formeller Hinsicht ist auch diese Verordnung wie fast alle Or- donnanzen der calvinischen Behörden kein Muster: es fehlt nicht an Un- genauigkeiten , Wiederholungen , selbst nicht an kleinen Widersprüchen. Es scheint, dafs Calvin zufrieden war, wenn die Sache durchgedrungen war, ohne um die Form sich viel zu kümmern.

Revision des bürgerlichen Gesetzbuchs. 3S3

hätten und zwei dafür streng nach dem Wortlaute des Ediktes, »andern zum Beispiel«, bestraft worden seien ^.

Nachdem dergestalt die kirchliche Gesetzgebung vervoll- ständigt und zum Abschlufs gebracht war, blieb als letzte Aufgabe übrig, auch das bürgerliche Gesetzbuch, welches sich seit 1543 in einem ähnlichen Zustande befand wie das kirchliche, in gleicher Weise zu revidieren und abzuschliefsen. Und auch dies sollte geschehen. Einer der ergebensten Anhänger Calvins, Germain CoUadon , ein Jurist von Namen , wurde nebst einem anderen Rechtsgelehrten Dorsieres von dem Rate dazu ausersehen und schon im Jahre 1560 beauftragt, zunächst das Kriminalverfahren, das noch immer der nötigen Klarheit und Ordnung entbehrte, neu zu ordnen und zu revidieren^. Calvin nahm an dieser Arbeit, wie seine eigenhändigen Aufzeichnungen beweisen ^ , den leb- haftesten Anteil: er begab sich wohl in eigener Person vor den Rat, um diesem die Angelegenheit zu empfehlen 4, Allein wie vor zwanzig Jahren rückte auch dieses Mal die Revision und Ordnung der bürgerlichen Gesetze nur langsam von der Stelle. Calvin hat den Abschlufs nicht mehr erlebt. Erst vier Jahre nach seinem Tode war Colladons Arbeit vollendet, erst im Januar 1568 traten den revidierten kirchlichen Edikten die revidierten bürgerlichen zur Seite 5. Doch durfte sich Calvin beruhigen. Colladons Name

' üosei VI c. 43. Vgl. übrigens die von Galiffc^ Nouv. pages S. 46 ff. mitgeteilten Speisezettel, die ergeben, dafs überhaupt der Rat zu opulenten Diners neigte!

* Ratsprot. 13. Juni 1561. CoUadon war, obgleich Fremder aus Chatre en Berry und erst seit 1557 in Genf, schon 1559 im Rat der Sechzig. Es wird in seinem Revisionswerk eine Ähnlichkeit mit den Coutumes de Berry gefunden. Vgl. Ratsprot. 7. Febr. 1559. Scnebier I, 343.

3 So gehören, wie mir scheint, die Aufzeichnungen Calvins Opp. X, i S. 145, 146 dieser Zeit an. Bemerkenswert ist, dafs er hier offen das pein- liche Verhör empfiehlt.

+ Ratsprot. 9. Nov. 1562.

5 Vgl. Spon-Gautier I, 319; Scnebier I, 343. Gleichsam einen Bestand- teil dieser abschliefsenden Arbeiten bildet auch die Chronik Rosets , welche derselbe am 2. Juni 1562 dem Rat vorlegte. Sie sollte, wie der Verfasser selbst erklärte, »Gott den Dank bezeugen für so viele Gnade, die er unserer Stadt erwiesen hat^s und zugleich im Gegensatz zu den vielfachen Irrtümern Bonivards und Froments den Nachkommen ein richtiges Bild der Genfer Ge- schichte übermitteln. Der Rat liefs das Buch während mehrerer Sitzungen Kampschulte, J. Calvin 11. 23

-iCA Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

bürgte dafür , dafs das Revisionswerk in seinem Geiste aus- fallen werde.

GESTALTUNG DES ÖFFENTLICHEN LEBENS NACH DEM VOLLSTÄNDIGEN SIEGE CALVINS.

Die organisatorische und legislatorische Thätigkeit Calvins war mit den Edikten der Jahre 1558 1561 abgeschlossen. In Verfassung und Gesetz war ein Reformationsideal durchgedrungen. Wie erscheint nun dieses Ideal in der thatsächlichen Ausführung? Wie gestaltete sich das öffentliche Leben in Kirche und Staat nach dem vollständigen Siege der neuen Ordnung, während der letzten Lebensjahre des Reformators?

Wir würden unsre Aufgabe nur unvollkommen zu lösen glauben, wenn wir nicht wenigstens versuchten, auch diese Frage zu beantworten.

Wenn Calvin bei den verschiedensten Gelegenheiten und selbst noch in der letzten Ausgabe der Ordonnanzen es als ein Haupt- ziel seines Strebens bezeichnet, zwischen der geistlichen und welt- lichen Gewalt die richtige Scheidelinie zu ziehen und eine jede auf das ihr zustehende Gebiet zu beschränken, so mufsten wir demgegenüber schon früher bemerken, dafs seine »Scheidung« mehr eine scheinbare als eine wirkliche ist, dafs vielmehr der theokratische Grundgedanke des calvinischen Systems eine wahr- hafte Selbständigkeit der Staatsgewalt und der bürgerlichen Ge- sellschaft nicht erträgt trotz des Scheines einer äufseren Ober- herrschaft , womit die Kirchenverfassung den Magistrat umgab (Bd. I, 47 1 ff.). Je freier und vollständiger das calvinische System zur Entfaltung gelangte, um so kräftiger und durchgreifender mufste naturgemäfs auch jener theokratische Grundgedanke ins Leben treten, um zuletzt mit Beseitigung des Scheines die Träger der weltlichen Gewalt als Werkzeuge, die berufenen Verkünder des göttlichen Willens als die wahrhaft Herrschenden erscheinen zu lassen.

vorlesen und genehmigte es , indem er dem Verfasser ein ansehnliches Geld- geschenk zuerkannte. Ratsprot. 2., 8. Juni, 8. Juli 1562. Damit war auch die offizielle Auffassung der Genfer Geschichte festgesetzt.

Vollständige Unterordnung des Rats unter den Klerus. 355

Und SO zeigt sich uns denn als erste und wahrnehmbarste Folge des calvinischen Sieges eine unaufhaltsame fortschreitende Steigerung des priesterlichen Einflusses in allen Richtungen des Staatslebens, eine von Jahr zu Jahr wachsende Klerokratie in des Wortes vollster Bedeutung. Der Staat gerät in vollständige Ab- hängigkeit von der Kirche. Es ist die ehrwürdige Genossenschaft, welche die öffentliche Meinung beherrscht, welche zu allem wich- tigen, was geschieht, den Impuls giebt, welche die eigentliche Regierung in Händen hat. Es ist der geistliche Gesichtspunkt, das religiöse Interesse , die allgemeine evangelische Propaganda, was für die Politik des Staates mafsgebend wirkt. Die Kanzel ist die Tribüne , wo alle wichtigen Fragen , mögen sie nun staathche oder kirchliche Verhältnisse betreffen, abgehandelt werden, Wahlen und Steuern, Unterricht, Finanzen, Krieg und Frieden. Recht eigentlich wird der Schwerpunkt des öflfenthchen Lebens aus dem Rathaussaal auf die Kanzel von S. Peter verlegt! Mehr und mehr sehen wir den Magistrat seit dem Siege von 1555 sich auch äufserlich den geistlichen Machthabern unterordnen. Jenes Selbst- gefühl, von dem die Ordonnanzen von 1541 doch noch an mehr als einer Stelle Zeugnis ablegen', ist verschwunden. Kaum konnte eine bürgerliche Obrigkeit weiter gehen, als der Genfer Magistrat in den Konzessionen, die er 1560 dem geistlichen Prinzip machte ; und fast noch bedeutsamer als ihr Inhalt ist die Form, in der sie gemacht wurden. Von dem Reformator läfst sich der Magistrat Worte in den Mund legen , durch die er selbst seine bisherige Handlungsweise als »tadelnswerte Usurpation« bezeichnet, und nimmt dann diese Selbstanklage sogar in das in seinem Namen publizierte Gesetz aufl Einen noch gröfseren Beweis von seiner Demut und Bescheidenheit gab der Rat 1562, als er durch einen förmlichen Beschlufs auf die übliche Anrede »Sehr gestrenge Herren« verzichtete, um sich mit dem einfachen »Sehr geeehrt« zu begnügen ^. Die ganze Verwaltung und Regierung, die öffent- lichen Ratsverhandlungen und Wahlen nahmen allmählich eine geistliche Form an. Drohen äufsere Gefahren, so werden nach Anhörung der Geistlichen von Syndiks und Rat öffentliche Gebete

' In den Veränderungen nämlich, die der Rat an dem Entwürfe der ehrw. Genossenschaft vornahm; vgl. Opp. X, i S. 15 ff. * Ratsprot. 13. Juli 1562. (Grenus.)

23*

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Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

ausgeschrieben und die Einwohner unter Trompetenschall zur Besserung, zum fleifsigen Besuch der Predigt, Emkehr in sich selbst und Demut vor Gott aufgefordert'. Das Ratsprotokoll zum 3. Februar 1559 beginnt mit einem inbrünstigen Gebet: Gott möge die Stadt Genf gegen die boshaften Anschläge des Teufels und seiner Mitverschworenen gnädig beschützen und behüten und die Träger der Staatsgewalt dergestalt durch seinen heiligen Geist leiten und lenken, dafs sie sich aufführen, wie es v/ahren Dienern und Sachwaltern der götthchen Majestät anstehe''. Man glaubt beim Durchlesen der amtlichen Aufzeichnungen zuweilen, die Akten einer geistlichen Behörde vor sich zu haben. In der Thät ist das weltliche Amt des Magistrats in gewissem Sinne zu einem geist- lichen geworden : Vermehrung des Ruhmes der göttlichen Majestät nach Anleitung der berufenen Verkünder des göttlichen Willens ist überall und in allem seine erste Aufgabe. Geradezu wird des- halb der Genfer Rat von Auswärtigen als eine geistliche Behörde betrachtet und in geistlichen Fragen um seine Ansicht gebeten 3. Am meisten aber tritt naturgemäfs der geistUche Einflufs her- vor bei der wichtigsten Staatshandlung bei den öffentlichen Wahlen. In einem republikanischen Gemeinwesen wie Genf kam alles darauf an , ja die ganze Herrschaft des geistlichen Systems hing davon ab, wie die Wahlen ausfielen. Schon im Herbst 1559 hatte der Rat den Einflufs der Geistlichen gleichsam als einen gesetzlichen begründet und verordnet, dafs in Zukunft vor allen öffendichen Wahlen einer der Geistlichen das Volk in einer Rede belehre und ermahne, dafs »sie in heihger Gesinnung zur Wahl schreiten, damit wir, wie in den übrigen, so auch in diesem Punkte uns von dem göttlichen Geiste leiten lassen und unsere Handlungen dem göttlichen Worte gemäfs sind"*.« Seitdem wurden die öffent- lichen Wahlen . die schon immer ein Hauptobjekt der klerikalen Fürsorge gebildet hatten, fast geradezu zu einer geistlichen Hand- lung. Gewöhnlich war es Calvin selbst, der in der Wahlversamm-

' Vgl. Colladon, Opp. XXI S. 93; Roset VI c. 26, 29. * Ratsprot. 3. Febr. 1559 (Grenus).

3 So legte ihm schon 1554 ein gewisser Joh. de Leonard eine Reihe von Fragen über kirchliche Disziplin vor in einem Schreiben mit der Anrede : jiPrmces du fctiple de Dieu et nostre Seigneur yesus Christ en la noble die de Geiieve«. Opp. XV S. 6.

4 Ratsprot. 7. Nov. 1559. Roset VI c. 53. \_Roget V S. 283.]

Leitung der Wahlen durch den Klerus. Das Consistorium. ^57

lung erschien und unter Hinweisung bald auf die grofsen Ereignisse der Zeit, bald auf die Bibel mit dem Ernste eines alttestament. liehen Propheten den Wählern ihre Pflichten ans Herz legte. Er ermahnt sie, die Wahl so vorzunehmen, dafs »Gott der Vorsitzende und Leiter derselben sei, zu wählen mit reinem Gewissen und auf nichts Rücksicht zu nehmen , als auf die Ehre und den Ruhm Gottes, zum Wohle und zur Sicherheit dieser Stadt«, oder (wie er sich ein anderes Mal ausdrückt) »zu bedenken , dafs Gott ihr einziger Hort und Rückhalt sei und dafs er über sie alle die höchste souveräne Gewalt habe : darum sei es Pflicht , ihm auch seine volle ungeschmälerte Autorität zu lassen geschehe dies, so würde die Fülle der himmlischen Segnungen der Lohn sein'.« Kein Wunder, wenn aus so geleiteten Wahlversammlungen Magistrate hervorgingen, die an Fügsamkeit nichts zu wünschen übrig liefsen. Gewählt durch den Einflufs des Klerus , blieben sie von diesem abhängig. Es war nur eine naturgemäfse Ausbildung dieses Ver- hältnisses , wenn mifsvergnügte Bürger bald anfingen , ihre Be- schwerden gegen die Verwaltung bei den jährlichen geistlichen Visitationen den Predigern vorzutragen, und diese dann durch Deputationen auf dem Stadthause den Vätern der Stadt ernste Vorhaltungen machen liefsen^.

Indem so das gesamte Staatsleben ganz und gar eine geist- liche Richtung nahm , war es natürlich , dafs das Consistorium immer mehr in den Vordergrund trat. Umfafste doch seine Thätig- keit genau das, was nach der Auffassung Calvins die vornehmste Aufgabe des Staates bildete: »die Überwachung der Gemeinde des Herrn, auf dafs Gott rein verehrt werde«. Was der Älteste in dem Eide bei seinem Amtsantritt feierlich gelobte , hatte im Grunde jeder Staatsbeamte als seine vornehmste Aufgabe anzusehen. So gestaltete sich seit dem Jahre 1555 das Consistorium mehr und mehr zu der Centralinstitution, von der das Staatsleben gleich- sam seine Direktion empfing , und auch auf den Fremden , der nach Genf kam , machte nichts einen tiefern Eindruck als dieser

' Ratsprot. 12. Nov. 1559; 4. Febr. 1560; 15. Nov. 1562; 9. Nov. 1563; 6, Febr. 1564. Reget, L'Eglise et l'Etat S. 76 ff. Als einmal bei der Herbst- wahl ein wenig geistlich Gesinnter auf die Kandidatenliste gesetzt war, erhob die Geistlichkeit förmlichen Protest und drohte mit der Kanzel , worauf der Name gestrichen wurde. Roget a. a. O. S. 79.

* Gaberei II, 44.

9cS Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

allgewaltige Rat der Alten. Das Consistorium erhielt, was sehr wichtig war, das Recht, die vorgeladenen Zeugen eidlich zu ver- nehmen ^, es erhielt infolge der fortwährenden Zunahme der Geist- lichen auch in seinem Personalbestand bedeutenden Zuwachs : im Jahre 1557 zählte es zwölf geistliche Beisitzer, also ebensoviel geistliche als weltliche ^ ; seine Sprache wurde selbstbewufster und gebieterischer, seine Kompetenz schien sich mit jedem Jahre zu erweitern , seine Thätigkeit hielt sich keineswegs innerhalb der Schranken, die durch das Gesetz von 1541 gezogen waren. Wir begegnen in den ConsistorialprotokoUen Verhandlungen über den Eintritt in auswärtige Kriegsdienste ^, über Führung eines falschen Namens '^, über Betrug und Wucher s, man beschäftigt sich mit der Dienstbotenfrage , mit den Taxüberschreitungen der Leichen- träger, mit der ungleichen Verteilung der Schulsteuer auf dem Lande , mit Buckdruckerprivilegien ^. Es dauerte nicht lange und man begann die Anordnungen des Rates und die Entscheidungen des Justizlieutenants einer Kritik zu unterziehen 7. So rückte das Consistorium immer mehr in den Mittelpunkt des öffentlichen Lebens , und kaum gab es eine strafbare Handlung , hinsichtlich welcher es nicht wenigstens das Recht der Voruntersuchung für sich in Anspruch nahm*^.

Aber allerdings blieb die Hauptsorge der Ältesten auf strenge Beobachtung der kirchlichen Ordnung sowohl in Ansehung der Sittenzucht als der Lehre gerichtet. Und hier war der Erfolg am entschiedensten. Mit dem Sturz der Partei des Generalkapitäns im Jahre 1555 war das Haupthindernis, welches der Durchführung der kirchlichen Gesetzgebung noch entgegenstand, aus dem Wege geräumt. Die Zeit, wo die Unsicherheit des öffentlichen Zustandes

* Vgl. Anc. et nouv. pol. S. 120. » Consistorialprot. 18. Febr. 1557.

3 Consistorialprot. 7. Okt. 1557, 10., 17. März 1558.

* Consistorialprot. 16. Dez. 1557. 5 Consistorialprot. 25. Jan. 1560.

^ Consistorialprot, 11. Juli 1560, 20. März 1561 , 14, Mai, 8. Juni, 9. Juli 1562.

7 Consistorialprot. il. März 1557, 12., 19. März 1562. Der Lieutenant hat blofs die um Geld spielenden Spieler verurteilt; das Consistorium pro- testiert und verlangt die Bestrafung aller.

* Auch Samtes (Defensio S. 39 b) betrachtet das Consistorium als das Hauptmittel, wodurch Calvin die Genfer Verfassung umgestürzt habe.

Sorge für Sitlenzucht und Glaubenseinheit. 359

Nachsicht gebot, war vorüber : die Bestimmungen der Ordonnanzen und der später erlassenen Edikte gegen Fluchen, Unmäfsigkeit u. s. w. konnten jetzt in vollstem Umfange zur Geltung gebracht werden. Und keine Übertretung derselben blieb ungeahndet. Da wird ein Bauer bestraft, der hinter seinem Ochsengespann geflucht, ein Lustwandler, der in der Unterhaltung sich einer Schwurformel bedient hatte'. Jede Äufserung, in der auch nur mittelbar eine Geringschätzung des göttlichen Namens gefunden werden konnte, zieht Strafe nach sich. Bestraft wird jedes Vergehen gegen die gottesdienstliche Ordnung, Versäumnis der Predigt, des Abend- mahls, unehrerbietige Haltung während des Gottesdienstes. Mehrere Bürger, welche während einer Predigt gelacht, werden zu drei- tägigem Gefängnis und öffentlicher Abbitte verurteilt. Die gleiche Gefängnisstrafe »bei Wasser und Brot« erhalten einige Lohgerber, weil sie sich einmal zum Frühstück Pasteten zugelegt. Eine Vor- ladung und strenge Verwarnung ist die Folge, als zwei junge Leute eine Wette darüber eingingen , welche Frau in Genf die schönste sei"". Selbst unerwachsene Kinder werden, wenn sie sich pflicht- widriger Handlungen schuldig gemacht , vorgeladen und erfahren die ganze Strenge des Gesetzes. Im Jahre 1563 wird ein Mädchen, das auf seine Mutter geschimpft, zu dreitägiger Einsperrung bei Wasser und Brot und öffentlicher Abbitte verurteilt 3.

Und mit gleicher Strenge wie die Reinheit der Sitten wird die Reinheit des Glaubens überwacht. Keine Abweichung von dem öffentlich angenommenen Bekenntnis auch in den gering- fügigsten Fragen, keine Verschiedenheit der theologischen Meinungen, aus deren Gestaltung Calvin dem Papsttum sehr scharfe Vorwürfe einmal macht •♦, wird geduldet, jeder Irrtum soll im Keime erstickt, alle »Neugier« , alle Spitzfindigkeit in theologischen Fragen unter- drückt werden. Darum sind auch alle Bücher, die dem Glauben Gefahr bringen können, selbst katholische Bibeln und Kalender

' Consistorialprot. 17. Juni 1563. Notices geneal. III S. XXV, XXVI.

* Consistorialprot. 19. Aug. 1557. Ratsprot. 13. FeDr. 1559. Henry II, 217.

3 Consistorialprot. 14. Mai 1562. Vgl. Henry II, 72 ff., wo mehrere grausame Bestrafungen unmündiger Kinder, unter anderen sogar eine Hin- richtung, mitgeteilt werden; doch gehören diese Vorfälle nicht mehr der Zeit Calvins an. [Beispiele auch bei R^get V S. 290 ff.].

+ De scandalis, Opp. VIII, 57.

26o Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

Streng untersagt, und ebenso theologische Disputationen, die einst den Sieg der neuen Lehre entschieden, nicht mehr gestattet'. Widerspruch gar gegen das Prädestinationsdogma zieht die strengsten Strafen (Verbannung !) nach sich ^. Mit besonderem Nachdruck werden natürUch auch alle jene Handlungen oder Äufserungen geahndet, die wie Hinneigung zum Katholizismus gedeutet werden konnten. Ein sonst gut evangelischer Bürger, der in einem un- bewachten Augenblick die heilige Maria als »Unsere Frau« an- gerufen, wird wegen dieser »fluchwürdigen und in dieser Stadt unerträglichen Blasphemie« mit der Exkommunikation belegt 3. Ein deutscher Lutheraner, der auf der Rückreise aus Frankreich sich einige Tage in Genf aufhielt, sah sich plötzlich vor das Consistorium geladen, weil man in Erfahrung gebracht, er sei heimlich im Be- sitze eines kunstreich gearbeiteten Kruzifixes. Vergeblich stellte der über die Allwissenheit der Genfer Behörde erstaunte Fremde vor, dafs er den Gegenstand in dem benachbarten S. Claude ge- kauft, nicht aus abergläubischer Verehrung, sondern um seines Kunstwertes willen, und dafs auch Luther und Melanchtbon solche Bilder hochhielten er empfing, indem man ihn als Fremden glimpflicher behandelte, eine scharfe öffentliche Rüge und die Weisung, in Zukunft besser die Bibel zu studieren, um sich von der Verwerflichkeit seiner Handlungsweise zu überzeugen '^.

Der Kenntnis des Consistoriums entging nichts. Seine Mit- glieder wufsten und kannten alles, was im kirchlichen und bürger- lichen Leben vorging. Was sie nicht selber wahrnahmen, erfuhren sie durch zahlreiche Zwischenträger und Spione, ein Dienst, der namentlich von den französischen Refugids versehen wurde. Man führte gleichsam Buch über jeden einzelnen Bürger. Man erfährt jede häretisch klingende Äufserung, auch wenn sie in einer Privat- unterhaltung gefallen, jede tadelnde Bemerkung über die Franzosen,

' So bat 1560 der bekannte Villegagnon vergeblich um eine solche, Ratsprot. 29. Juli 1560, Ann. S. 734. Ähnlich wurden auch die späteren Er- bietungen des Franz von Sales zu einer Disputation von den Genfern zurück- gewiesen, weil »leur religion navoit point besoing de dispute«. Vgl. Hist. du bienheureux Frang. de Sales par son neveu Ch. A. de Sales (Paris 1857) I, 359, 386.

* Ratsprot. 21. Juli 1558; Consistorialprot. 20. Nov. 1561, Ann. S. 767.

3 Consistorialprot. 27. April 1559, Ann. S. 714.

4 Ebd. 19. Nov. 1562, Ann. S. 793.

Das Consistorium und seine Aufsicht über alles. -261

man weifs, wie oft jemand zur Predigt geht, welcher Lektüre er sich ergiebt, ob er mehr ausgiebt, als seine Mittel gestatten, wie teuer der Wein ist, den er trinkt, man kennt jedes fröhliche Gelage, man hat Kunde davon, wenn ein Genfer auswärts, sei es in Lyon, Strafsburg oder Bordeaux , lose ordonnanzwidrige Reden geführt oder geflucht, oder wenn ein Genfer Kaufmann auf fremden Märkten Waren zum Verkauf ausgesetzt hat , deren Vertrieb das einheimische Gesetz untersagt^. Wenn der Rat einmal die Namen sämtlicher Faulenzer und Schlemmer der Stadt Genf kennen lernen will, so wendet er sich an das Consistorium und erhält von ihm die gewünschte Liste in tadelloser Vollständigkeit^. Nicht ohne eine gewisse Selbstgefälligkeit und nicht ganz mit Unrecht macht Beza einmal den Papisten den Mangel einer wahren ordentlichen Inquisition und Sittenkontrolle zum Vorwurfe : eine Aufsichts- behörde, wie die calvinische Kirche in Genf, besafs die katholische nicht, trotz ihrer Inquisition. Eine bessere, mehr ins einzelne ein- dringende Kontrolle ist kaum je geführt worden. »Da fällt«, heifst es in dem Berichte eines französischen Grofsen an die Königin Mutter aus dem Jahre 1560 von Genf, »kein Schwur, keine Gottes- lästerung , keine Unsittlichkeit oder Ausgelassenheit , kein Streit oder Zank, überhaupt nichts derart vor, was nicht auf der Stelle gestraft und gesühnt wird-*.«

Die gewöhnlichste Strafe war die Exkommunikation , deren Anwendung so häufig wurde, dafs die Anzahl der jährlichen Ex- kommunizierten seit dem Ende der 50er Jahre sich auf einige Hundert, im Jahre 1559 sogar auf mehr als 300 belief 5. Selbst bei geringfügigen Vergehen wird auf diese Strafe erkannt und den

' Consistorialprot. 30. Aug. 155S, 12., 19. Okt. 1560, 27. Febr. 1561,

16. April, 7., 12., 14., 21. Mai 1562, 25. Febr. 1563 u. s. w.

^ Consistorialprot. 17. Okt. 1560, Ann. S. 736.

3 Ad Cl. de Saintes Altera Apologia in den Tractat. theol. II S. 350. An einer andern Stelle, S. 342, macht er ihnen zum Vorwurf, dafs sie den Servet so lang geduldet. Ähnliche Anklagen von Calvin in der Schrift De scandalis, Opp. VIII, 62.

+ Memoires de Conde (a la Ilaye 1743) I, 605.

5 Nach der in Cramcrs Extraits mitgeteilten »Liste des excommunies« •wurden exkommuniziert: vom iS. Febr. 1557 bis 17. Febr. 1558 279; vom

17. Febr. r558 bis 16. Febr. 1559 274; vom 23. Febr. 1559 bis 28. Febr. 1560 304; vom 28. Febr. 1560 bis 27. Febr. 1561 235; vom l. März 1561 bis 25. Febr. 1562 94. Bei dieser Ausdehnung des Exkommunikationswesens

202 Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

Gläubigen der Verkehr mit dem Ausgeschlossenen untersagt. In allen wichtigeren Fällen erfolgt die Verweisung vor die »Herren«, um mit dem Schuldigen »nach Erfordernis des Falles zu ver- fahren«. Die Herren verstanden die Bedeutung dieser Formel und entsprachen der von ihnen gehegten Erwartung. Zuweilen ent- wickelte der Rat sogar gröfseren Eifer und strengere Grundsätze als selbst das Consistorium \ Die von ihm verhängte Strafe war regelmäfsig sehr streng, und ein der Bibelübersetzung Castellios gespendetes Lob genügte zur Verbannung^. Und diese Strenge steigerte sich unter dem Einflüsse CoUadons von Jahr zu Jahr. Im Jahre 1558 schien Widerspruch gegen die Prädestinationslehre noch mit öffentlicher Abbitte und Verbannung hinlänglich bestraft : fünf Jahre später wird dasselbe Vergehen mit öffentlicher Geifselung »bis aufs Blut«, Brandmarkung und ewiger Verbannung geahndet 3. Der Buchdrucker Antoine Narbert wird »aus Gnade« (15 61) auf ewige Zeiten verbannt, nachdem ihm zuvor die Zunge durchstochen, weil er im Zustande der Trunkenheit seine Kameraden im Gebete gestört , sie , als sie ihm mit Anzeige drohten , Heuchler genannt und auf Calvin gescholten hatte ; der Spötter Villard, der über ein Gewitter gespottet und auch durch seinen sittlichen Wandel An- stofs gegeben, wird öffentlich von dem Henker gestäupt eigent- lich habe er, meinte Colladon, den Tod verdient 't. Eine Frau, welche des Ehebruches beschuldigt war, wurde 1561 verurteilt, gefesselt, mit schimpflicher Kopfbedeckung, unter Rutenhieben bis zum Blutvergiefsen »nach gewohnter Weise« durch alle Strafsen der Stadt und um die Stadt geführt zu werden, dann binnen 24 Stunden Genf und sein Gebiet zu verlassen unter Androhung der Strafe des Ersäufens »nach gewohnter Weise« für den Fall der Rückkehr, und dabei hebt die Strafsentenz ausdrückHch her- vor , dafs man statt der Strenge habe Barmherzigkeit obwalten lassen 5.

erklärt sich der freilich von dem Rat abgelehnte Vorschlag Calvins zur besseren Kontrolle für die Nicht-Exkommunizierten Marken einzuführen; vgl. Ratsprot. 30. Jan., I. Febr. 1560. {Roget V S. 288 f.]

Z. B. hinsichtlich der Bestrafung der Kindsmörderin : Consistorialprot. 8. März 1561.

* Notices gdneal. IV, 206.

3 Vgl. Ratsprot. 21. Juli 1558; Not. geneal. IV, 206.

4 Vgl. Henry III S. 568; Not. geneal. IV, 207.

5 Die Sentenz mitgeteilt Nouv. pag. S. 19. Übrigens stand unter Calvin

Unterdrückung jedes Widerspruchs. 363

Es war ein strenges Regiment, zu dem Staat und Kirche sich hier die Hand reichten. Nicht wenige, namentlich solche, deren Orthodoxie anrüchig war, standen unter einer andauernden be- sonderen polizeilichen Kontrolle und mufsten jeden Augenblick gewärtig sein, von Consistoriuni oder Rat vorgefordert zu werden. Eines Tages, als Calvin in gewohnter Weise seine Vorlesung hielt, trat in das Auditorium plötzlich ein Gerichtsdiener. Einer der Zuhörer , der sich in einer theologischen Frage mit Calvin nicht in Übereinstimmung wufste , erblafste und entfernte sich unter irgend einem Vorwande schleunigst aus dem Saal und aus der Stadt. Der Mann hatte sich getäuscht: dieses Mal war es nicht auf ihn abgesehen , aber die Szene ist doch bezeichnend für die Lage der Dinge, für den Geist der Furcht, der alle beherrschte ^ Und dabei durfte kein Wort des Tadels, keine Äufserung der Un- zufriedenheit laut werden. Wer eine , sei es in bürgerlichen oder kirchlichen Fragen ergangene Sentenz zu kritisieren wagte, verfiel schweren Strafen. Das erfuhr die Frau des jüngeren Favre, welche, weil sie sich der Ehre ihres verurteilten Gatten angenommen und seine Richter getadelt, zu kniefälliger öffentlicher Abbitte vor dem Rat und schwerer Geldbufse verurteilt wurde -. Die gleiche Strafe der kniefälligen öffentlichen Abbitte und die Suspension vom Amte trifft den Ratsherrn Chautemps, weil er eine ihn selbst betreffende Sentenz getadelt 3. Der Schlofsherr von Peney, ein um das Ge- meinwesen verdienter Mann , wird abgesetzt und bestraft , weil er sich über das Exkommunikationswesen mifsbilligend geäufsert*. Selbst wohlgemeinte, keineswegs aus Oppositionssucht hervor- gegangene Vorstellungen in kirchlichen Fragen waren nicht ge- stattet und zogen Vorladung vor den Rat und strenge Verweise nach sich, wie dies der sonst hochangesehene Antoine de Lautrec erfuhr, als er einmal gegen eine der von Calvin entworfenen Ge-

auf einfachen Ehebruch keine Todesstrafe erst mit Beza kam dieselbe auch für den einfachen Ehebruch auf. Wie übrigens die Ven. Compagnie über diese Gesetze dachte, zeigt Colladon, OpP- XXI S. 116.

' CoUadon S. 87; Henry III, 281 sucht die Sache ins Lächerliche zu ziehen. [Vgl. Opp. IX S. XXXIII.]

* Ratsprot. 4. Jan. 1558,

3 Katsprot. 28. Sept. 1562.

4 Ratsprot. 19. Mai 1558.

364

Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

betsformeln Bedenken äufserte \ Als Jean Morelli 1563 gar die Einrichtung des Consistoriums in einer kleinen Schrift anzutasten wagte und dasselbe auf demokratischere Grundlagen gestellt wissen wollte , gerieten Rat und Consistorium in Aufregung. Der sofort exkommunizierte Verfasser mufste flüchten , das Buch wurde ver- brannt und allen Bürgern und Einwohnern der Stadt das Lesen und der Besitz desselben bei der strengsten Strafe untersagt - ! Unbedingter, widerspruchsloser Gehorsam gegen die Anordnungen der Obrigkeit ist überall und in allem die Losung. Schon galt es als Auflehnung, ja als eine Art von Konspiration, wenn Bürger bei den öffentlichen Wahlen den Mut hatten, gegen die offizielle, von dem Klerus entworfene Kandidatenliste zu stimmen. Wurde doch sogar im Jahre 1560 allen Bürgern und Einwohnern unter Trompetenschall verboten, anders als in Gegenwart des Rates über öffentliche Angelegenheiten zu reden , da das viele Reden falsche Gerüchte erzeuge und für die bedrohte äufsere Sicherheit der Stadt gefahrbringend sei 3.

Die anhaltende, sich auf das kleinste und unbedeutendste erstreckende Überwachung des öffentlichen Lebens, die unerbitt- liche Strenge des Strafverfahrens auch bei geringfügigen Ver- gehen trugen ihre Früchte. Mehr und mehr durchdrang der Geist, welcher ehrwürdige Genossenschaft, Consistorium und Rat beherrschte, auch die Masse. Das alte Genf starb aus, die neue Generation, in der die Nachkommen der alten Familien überdies nur eine Minderheit bildeten , wurde eifrig calvinisch. Jener ernste , streng puritanische Geist , der schon in den vierziger Jahren einmal sein Haupt erhoben, dann aber durch die siegreiche Reaktion des »alten Genf« zurückgedrängt worden war, gewinnt jetzt dauernd die Herrschaft und erstarkt von Jahr zu Jahr. Man ordnet sich willig, ja mit einem gewissen, auch äufserlich zur Schau getragenen Eifer den Forderungen des neuen kirchlich- politischen Systems unter. Man söhnt sich mit Consistorialpolizei und Exkommunikation, selbst mit den Härten des Strafsystems

I Ratsprot. 17. Mai 1558; vgl. Consistorialprot. 10. u. 19. Mai 1558. Ann. S. 692 ff.

^ Vgl. L'extrait des procedures faits et tenus contre Jean Morelli. Gen^ve 1563. Vgl. Consistorialprot. 31. Aug. 1563, Ann. S. 807. [Vgl. Opp. XIX S. 652.]

3 Roset VI c. 64.

Umwandlung des öffentlichen Geistes. ^65

aus. Als 1560 ein Bürger, der wegen Ehebruchs zur öffentlichen Auspeitschung verurteilt worden war, an den Rat der Zwei- hundert appellierte, um Nachlafs der Strafe zu erlangen, ver- urteilten ihn diese , weil er sich im Rückfalle befand, zum Tode, indem man erwog, fügt der Chronist hinzu, dafs Gerechtigkeit vor Gott ein angenehmes Opfer sei. Ein anderer, der ebenfalls wegen Ehebruch zum Tode verurteilt worden , war sogar selbst von der Gerechtigkeit dieser Strafe so durchdrungen, dafs er, zum Tode geführt, laut Gott und die ihm widerfahrene Gerechtigkeit pries und mit dem Zeichen der gröfsten Reue starb'. Auch gegen die calvinische Dogmatik verstummt d^r Widerspruch aus dem Schofse der Gemeinde mehr und mehr, und trat noch ein solcher vor, so ist es regelmäfsig in den Kreisen der jüngst Ein- gewanderten, insbesondere der Italiener. Auch die widerstrebenden Elemente durchdringen sich mit den calvinischen Überzeugungen. Die Prädestinationslehre erlangte in Genf sogar eine gewisse Popularität-: man war stolz darauf, dem Volke Gottes anzu- gehören, und freute sich in dem unwandelbaren Ratschlüsse eine Bürgschaft des ewigen Heils zu besitzen. Selbst in Versen wird das Geheimnis der göttlichen Gnaden wähl gefeiert 3. Der Kirchen- besuch nahm mit jedem Jahre zu. Neue Gotteshäuser mufsten eröffnet werden, da die vorhandenen nicht mehr genügten. Un- geheuer war der Andrang namentlich zu den Predigten Calvins und Virets"*. Calvins theologische Vorlesungen wurden auch von

' Rosct VI c. 60; Spon-Gantier I, 305. Beispiele, dafs zum Tode Ver- urteilte Calvin auf ihrem letzten Gange gepriesen hätten, erwähnt auch CollaJoii, Opp. XXI S. 116. Einen Gnadenspruch der Zweihundert erwähnt Henry II, 70: »yean Roset (der sich auf der Tortur des Ehebruchs angeklagt) a inerite la mort, la cordc au col, les CC lui fait grace: il sera fottette par la ville, euchaine an pied a une chaine de fer, en prison par dix ans, apres arrets per- petuels de la ville sons pehie de 200 fl. oii ecus d' amande, doiit il doiinera caittion«.

» Roset V c. 41 ; Beza, Opp. XXI S. 144. Es fehlte Calvin zwar nicht an theologischen Kämpfen, doch gingen diese, wie wir später sehen werden, hauptsächlich nur von den eingewanderten Italienern aus und diese wurden allmählig zur Ruhe gebracht.

■^ Ein Epigramma de Praedestinatione a quodam pio viro conscriptum in recht zierlichen Versen findet sich Goth. Bibl, Cod. 104 f,, 605 o. Bei welcher Gelegenheit die Articuli de Praedestinatione, Opp. IX S. 713, veröffentlicht worden sind, ist mir nicht klar.

4 Ratsprot. 19. Juni, 7. Aug. 1559; Ann. S. 718, 719.

366

Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

Bürgern, von Syndiks und Ratsherrn besucht^. Immer mehr findet das öfifentliche Leben seinen Mittelpunkt in der theologischen Frage. Eine zündende Predigt war das Ereignis des Tages. Durch die gehäuften Katechesen, Predigten, Congregationen, so- wie auch wohl durch die wiederholten Ketzerprozesse, war die theologische Bildung eine so allgemeine und tiefe geworden, dafs nicht nur, wie der ruhmredige Chronist sagt, jeder von seinem Glauben Rechenschaft geben konnte wie ein Doktor der Sorbonne, sondern dafs selbst für die subtilsten theologischen Fragen In- teresse und Verständnis vorhanden war ein Umstand, der auf der andern Seite die Aufgabe der Prediger wieder erschwerte, indem, wie Beza sagt, jeder Verstofs, den er sich zu Schulden kommen liefs , jede nicht ganz korrekte Aufserung sofort von jedermann bemerkt wurde ^. Aus dem trotzigen, freiheitsstolzen alten Genf war eine Stadt der Theologen geworden, in der alles die Herrschaft des Geistes der »christlichen Institution« ver. kündete. In der Theologie, in der Dogmatik fand der unruhige altgenferische Geist seine Befriedigung, die Kanzel vertrat gewissermafsen die Presse, der Ausfall der Predigt bildete den Inhalt des Tagesgespräches. Geistliche waren die Helden des Tages. Man verehrte sie, man trug sie auf Händen. Als der alte Farel um diese Zeit nach Genf kam, wurde er festlich auf- genommen und bewirtet , man wollte ihn nicht ziehen lassen : ernstlich wurde im Rate die Frage eiörtert, ob man nicht auch ihn noch fest anstellen und ihm eine Pension aussetzen solle 3. Da ist es nicht zu verwundern , wenn Geistliche , die durch die Ereignisse für längere Zeit aus Genf entfernt wurden, mit Wehmut der verlassenen Gemeinde gedachten und sich zu ihr zurücksehnten. »Glaube mir,« schreibt Beza 1561 von S. Germain aus seinem Meister, »hier wird mir alles zum Ekel, wenn ich einen Vergleich mit meinem Heben Genf anstelle : die Erinnerung an dieses ist meine einzige Erquickung "*.« Nie habe es eine

' Colladon, Opp. XXI S. 87.

* Vgl. Sayous, Etudes lit. I, 297.

3 Ratsprot. 20. Mai 1560. Ein Festessen, welches der Rat Viret zu Ehren veranstaltete allerdings vor dem Erlafs der Lois somptuaires hätte nach dem von Galiffe , Nouv. pag. S. 46 ff., mitgeteilten Menü die für die damalige Zeit aufserordentliche Summe von 398 fl. 6 sols gekostet !

■^ Beza an Calvin 27. Sept. 1561 , Opp. XVIII S. 746. Ähnlich auch Viret in seiner von Lyon aus datierten (7. Dez. 1563) Dedikation seiner In-

Schattenseiten des Genfer Lebens. 3^7

besser reformierte Kirche gegeben als die von Genf, meint Bonivard ^ , und auch sein Jünger Froment stimmt mit ein in dieses Lob, indem er Genf preist als die glückliche Stadt, die allein unsern Herrn und Erlöser Jesum Christum zu ihrem wahren und eigentlichen Kapitän habe^.

Es lag in diesen Worten genau das ausgesprochen, was Calvin als Ideal vorschwebte. Hatte er 1553 dem Rate ver- kündigt, es gezieme sich, dafs Genf, von wo die wahre christliche Lehre sich in alle Welt verbreite , dieselbe auch vor allem im Leben wirksam zeige, so konnte diese Forderung nunmehr erfüllt scheinen.

Indes weiset das Bild der calvinischen Gemeinde auch manche dunkle Stellen auf, die wir nicht übergehen dürfen. Zu- nächst sind auch in Genf jene Überschwänglichkeiten und Ver- irrungen nicht ausgeblieben, welche zu allen Zeiten eine Über- spannung des religiösen Gefühles in ihrem Gefolge gehabt haben. Religiöse Schwärmerei, Visionen und Offenbarungen waren keine Seltenheit. Schon zu Anfang der fünfziger Jahre begegnen wir einem piemontesischen Emigranten , der den Reformator mit der vom Herrn erhaltenen Offenbarung belästigte. Calvin sei Aaron, er selbst aber Moses 3. Besonders häufig und früh kamen der- gleichen Verirrungen bei dem weiblichen Geschlechte vor. Eine Frau kündigt den bevorstehenden Untergang Genfs an, eine andere behauptet Calvins Gattin zu sein, einer dritten ist die hl. Jungfrau in männlicher Gestalt erschienen , v^'ieder eine andere hat eine Erscheinung des Teufels gehabt ■♦. Teufelserscheinungen spielten

struction Chrestienne en la doctrine de la loy et de l'evangile, Gen^ve 1564: y>Nota)ne7it en la ville de Geneve laquelle je ne fuis 7iot>i>m'r qu' €77 g7-and ho7t7!eur et reverence et sa7ts nie ressentir tousjours du fruict de la joie et consolatio7i que j'ay des longte7nps receu de cette eglise tant die coste de tous les honorables et l>o7?s Seig7ieurs lesquels Dieu y a constituez e7i goiivernemciit de la chose ftibliqiie que de rnes freres et co7>ipag7ions Ministres ett mesme nii7iistere avec f!ioy et generale/ne77t tont le peuple lequel s'est tousjours ' t/ionstre fori bien affcctio77ne envers moy conune je l'ay aussi este e7ivers luy de la premiere con- naissancei etc.

' Anc. et nouv. pol. S. 122.

* Actes et Gestes S. 225. Diese Äufserung bezieht sich offenbar wie so manche andere auf die spätere Zeit.

3 Calvin an Farel 6. Jan. 1551, Opp. XIV S. 8.

■t Vgl. Nouv. pag. S. 19 n. 2. Consistorialprot. 13. Aug. 1550; 19. Nov. 1553 u. s. w.

■JOS Siebentes Buch, Genf unter Calvins Herrschaft,

in der neuen religiösen Vorstellungsweise überhaupt eine bedeutende Rolle. Calvin selbst macht aus seinem Glauben an die Möghch- keit eines unmittelbaren Eingreifens des Teufels in die Kreise des irdischen Lebens kein Hehl. Im Jahre 1546 berichtete er in eigener Person dem Rate über den Fall, dafs ein Mann, welcher einen schlechten Lebenswandel geführt, während einer Krankheit von Satan bei lebendigem Leibe durch die Luft entführt worden und verschwunden sei, und er sprach laut seine Entrüstung darüber aus, dafs einige Ratsherrn, die meinten, der Kranke habe sich im Fieberwahne in die Rhone gestürzt, »in einer so klaren Sache« zweifelten ^ In jedem Hindernis, das sich der Ausbreitung seiner Lehre entgegenstellt, sieht er ein Werk des Satans, in jedem un- günstigen Gerüchte über die Geistlichkeit insbesondere eine teuf- lische Versuchung '^. Diese seine scharf betonte Grundanschauung und der häufige Gebrauch des gefürchteten Namens auf den Kanzeln 3 konnten nicht verfehlen, die Vorstellung der Gewalt und Nähe des Teufels den Gemütern geläufiger zu machen, und schufen im weitern Verlaufe jene zahlreichen Fälle von Hexerei, Teufels- bündnissen , Besessenheit von bösen Geistern , die schon unter Calvin , mehr aber noch unter seinem Nachfolger Beza die Ge- richte beschäftigten und auf die Genfer Geschichte der nächsten Jahrzehnte bis in die Mitte des 1 7 . Jahrhunderts hinein ihre dunkeln Schatten warfen.

Bedenklicher noch als die religiösen sind die sittlichen Ver- irrungen, die wir daneben wahrnehmen. Es ist die harte Äufserung gefallen, Calvins System habe entweder Rigoristen und Fanatiker oder Heuchler geschaffen , und es liegt etwas Wahres in diesen Worten. Nicht jeder, der die Bibel in prächtigem Einband und mit Goldschnitt unter dem Arme regelmäfsig zur Predigt und Bet- stunde ging und die Geistlichen im langen Talar ehrfürchtig

I Ratsprot. 15. Okt. 1546; Calvin an Viret, 14. Nov. 1546, Opp, XII S, 413 ff. [Vgl. Cornelius, Hist. Arbeiten S. 478,]

* Vgl. namentlich die charakteristische Stelle in dem Schreiben an die Herzogin von Ferrara vom S.Jan, 1564, Opp. XX S. 232: »Mesmes il est bon que vous soiez advertie dune chose , cest que de tout teinps le Diable sest efforce de rendre par rappors sinistres et detractioits les ministres de levangile con~ temptiblese.

3 Consistorialprot. 12. Aug. 1557, Ann, S. 672: Bertholet wird verhört, weil er gesagt, Calvin predige nur vom Teufel.

Unlautere Elemente unter Calvins Anhängern. 360

grüfste, war darum vom Geiste des Stifters der Genfer Kirche durchdrungen. Das Denunziationswesen insbesondere, das offiziell begünstigt wurde, mufste auf die Dauer demoraUsierend wirken und einem heuchlerischen Treiben den weitesten Vorschub leisten. Überdies hatte die calvinische Gemeinde trotz der wiederholten Proskriptionen aus dem alten Genf manche zweifel- hafte Persönlichkeiten mit herübergenommen. Man darf vielleicht sagen , dafs es die besten Elemente gewesen , die man aus- gestofsen : nur wer hinlängliche Biegsamkeit des Charakters und der Grundsätze besafs , um alle die neuen Wandlungen mit durchzumachen, war geblieben. In manchem seiner genferischen Parteigänger fand sich Calvin bitter getäuscht. Der eigentliche Repräsentant dieser Leute war der alte Bonivard, der nicht müde wurde, mit seiner Feder in Prosa und Versen das Werk Calvins, das neue Genf zu preisen, aber in seinen Sitten dem calvinischen S3'stem geradezu Hohn sprach. Es giebt nichts widerlicheres als das Privatleben dieses Mannes, der bis in sein hohes Greisenalter das Consistorium durch seine schmutzigen Liebeshändel und rohen Ehestandsszenen beschäftigte und sofort nach Calvins Tode durch Schmäh\erse das Andenken des Mannes befleckte, den er bei Lebzeiten gepriesen^. In ähnlichem Lichte erscheint uns sein Amanuensis Antoine Froment, zwar nicht seiner Abkunft, wohl aber seiner Wirksamkeit nach gleichfalls dem vorcalvinischen Genf angehörig, den wir 1559 als Mitglied des Grofsen Rats, drei Jahre später wegen Hurerei im Gefängnis finden , der dann auf zehn Jahre in die Verbannung wanderte und viele Jahre nach Cal- vins Tode die Erlaubnis zur Rückkehr nach Genf erhielt, um hier als Notar in unrühmlicher Zurückgezogenheit seine wechsel- volle Laufbahn zu beschliefsen ^. Selbst die Männer, die sich aus dem Kreise der alten Bürger zu den vornehmsten Wortführern der Sache Calvins aufwarfen und seine Hauptstützen bildeten, die Amblard Corne, Jean Lambert, J. A. Gurtet, P. J. Jesse waren.

' Vgl. Consistorialprot. 2. Juni 1547, 16. Aug. 1548, 30. März 1553, 27. Aug. 1562, 15. April, 25. Mai 1563, 30. März, 6. April, 29. Aug., 21. Sept. 1564. Not. geneal. III, 67, 68.

* Ratsprot. i. April 1561 ; 12. Febr. 1562, 14. April 1572, 3. Dez. 1574. Z. J. H. Dupont, Antoine Froment S. 38 ff. [Vgl. A. Rogei, Antoine Froment. Etrennes genevoises IV (1880).]

Kamp schul te, J. Calvin II. 24

370

Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

wie die öffentlichen Register aufweisen , in sittlicher Hinsicht keineswegs tadellos.

Kaum besser stand es um die von dem Reformator mit so vieler Liebe und Aufmerksamkeit behandelten Fremden. Nicht nur, dafs sich unter ihnen von vornherein manche unheimliche Gestalten befanden, Mönche, an deren Vergangenheit ein dunkler Flecken haftete, Menschen, die sich daheim der strafenden Gerechtigkeit entzogen hatten, gemeine Schwindler, wie jener Eng- länder, der in seinem Vaterlande zum Tode verurteilt, in den evangelischen französischen Kreisen als eifriger Förderer der evangelischen Sache auftrat, grofse Summen zusammenbrachte, die er dann mit schlechten Dirnen vergeudete^: auch diejenigen, die aus wirklich religiösem Eifer Vaterland und Familie verlassen hatten, entsprachen nicht immer den Erwartungen, die man nach einem solchen Entschlüsse hegen durfte. Es zeigte sich auch hier wieder , dafs Exaltation , Heroismus in grofsen Momenten oft leichter sind als das bewufste Ablegen kleinerer Gewohnheits Sünden und ein bescheidener christlicher Wandel. Wohl gab es unter den Refugies manche und sie werden gewifs einen sehr beträchtlichen Bruchteil gebildet haben welche es mit dem Beginne des neuen Lebens wirklich ernst nahmen, die durch ihren Wandel alle erbauten und den Glanz ihres adeligen Namens nicht zu verdunkeln glaubten , wenn sie wie Laurent de Normandie ein bürgerliches Gewerbe ergriffen. Daneben aber war die Anzahl jener nicht gering, welche, wie Calvin selbst klagt ^, schon durch ihre Übersiedelung nach Genf Gott sich zum Schuldner gemacht zu haben glaubten und ein Leben führten, wie es religiösen Flüchtlingen wenig anstand. Dafs es eben der übermäfsige Auf- wand und Luxus der französischen Emigranten war, der die übrigens gegen sie immer noch nachsichtigen Luxusgesetze veranlafste, haben wir bereits gesehen. Doch war dies nicht das schlimmste. Die Leichtfertigkeit der damaligen höheren französischen Gesellschaft, der ja die meisten Refugies angehörten , blieb auch den Genfer Emigrantenkreisen nicht fremd , wenn sie auch hier mehr in geisthchem Gewände auftrat. Sittliche Ausschweifungen, unzüchtige, ehebrecherische Handlungen waren durchaus keine

' Consistorialprot. 3. Nov. 1552, Ann. S. 524. Ein ähnlicher Fall: Opp. XX S. 554 ff.

^ Vgl. Quatre Sermons de M. Jehan Calvin. Opp. VIII S. 422.

Unlautere Elemente unter den Refugi^s. -jyi

Seltenheit'. Mufste doch Calvin sogar den Schmerz erleben, dafs in seinem eigenen Hause seine Schwägerin , die Frau seines Bruders Anton, wiederholten ehebrecherischen Verkehrs angeklagt und überführt wurde-. Fälle von Ehebruch, Bigamie und Kon- kubinat kamen sehr häufig vor. Manclier Neuankommende liefs sich die Frau eines andern antrauen ; machten die Ordonnanzen auch sowohl für Eheschliefsungen als für Scheidungen die Be- obachtung gewisser Bedingungen zur Pflicht, so scheint doch hier die Praxis im Interesse des evangelischen Teils eine gewisse Milde entwickelt zu habend Sogar Männer, die Jahrelang im Rufe her\orragender Frömmigkeit gestanden und als Muster ge- golten, wurden schliefslich als Heuchler und Verbrecher erkannt. Einer der angesehensten Männer in Genf war lange Zeit Jacques Paul Spifame , Herr von Passy. Abstammend aus einer vor- nehmen französischen Familie , früher Mitglied des Pariser Parla- ments, Staatsrat , dann Kanonikus , Bischof von Nevers, kam er 1559 mit einem Frauenzimmer, das er für seine Frau ausgab, nach Genf, nahm ein geistliches Amt an, wurde Mitglied des Rates der Sechzig, erlangte Calvins volle Gunst, dessen Predigten er nachschrieb ■♦, wurde während der französischen Wirren von den evangelischen Häuptern mit wichtigen Missionen betraut und galt für eine Hauptstütze des calvinischen Genf, ja für unent- behrlich, bis er nicht lange nach dem Tode des Reformators als

' Einmal, am 22. Okt. 1555, werden acht Fälle dieser Art in einer Sitzung erwähnt; Quelq. pag. S. 115. Ein merkwürdiges Beispiel der Ver- einigung von Heroismus und sittlicher Verkommenheit ist Simon Moreau, der den Mut hatte ins Pesthospital zu gehen und bald darauf wegen Hurerei in Untersuchung kam: Ratsprot. 6. Juni 1543; ferner 6., 7., 11. April 1545, Ann. S. 350. Vgl. Nouv. pag. S. 70 n. i; Quelq. pag. S, 114 n. I.

* Consistorialprot. 27. Sept., 18. Okt. 154S, 7. Jan. 1557. Ratsprot.

15. u. 16. Febr. 1557. [Ann. S. 435, 441 , 658, 661.] »Plura non sinit

.animi aegritudo« schreibt darüber Calvin selbst am 7. Jan. 1557 an Viret.

r>Nam qutim domi meae haintaret lupa illa, quae tunc fratris' erat uxor, depre-

hendimus cum Pctro giblwso scortaiam esse«.

3 Vgl. die Vorstellung der burgundischen Stände in dem Pazifikations- edikt, Mem. de Conde IV, 408, 409. Schon der Verfasser der Schrift Contra libellum Calvini H 26 meint , Calvin solle sich vielmehr gegen die »adiilteri quoruin vtagmttn habet mimerttm Geneva« wenden als gegen die Häretiker. Die Schilderungen Galiffcs (vgl. insbes. Quelq. pag. S. göff. , 115 n. ; Nouv. pag. S. 84 ff.) sind doch zu grell und treffen überdies nicht blofs die Refiigies.

4 Sene/'ier I, 259.

24*

3^2 Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

ehrgeiziger Ränkeschmied , Urkundenfälscher und Ehebrecher ent- larvt wurde und zu Anfang 1566 auf dem Schaffet endete \

Und wenn schon auf dem kirchlichen Gebiete solche Er- scheinungen zu Tage traten , wie hätte da auf dem bürgerlichen alles gut sein können? Es ist gewifs die Übertreibung eines ver- bitterten Mönches , dafs in Genf Übertretungen der kirchlichen Ordonnanzen auch in dem geringfügigsten Punkte strenger bestraft worden seien als grobe Vergehen gegen die bürgerliche Ordnung, wie z. B. Diebstahl ^, aber richtig ist allerdings, dafs ein System, welches die Kanzel in den Mittelpunkt des gesamten Lebens rückte und überall den geistlichen Gesichtspunkt als mafsgebend annahm , den Bedürfnissen der bürgerlichen Gesellschaft nicht genügen, ihnen nicht jene Aufmerksamkeit und Pflege angedeihen lassen konnte, die notwendig war. Eine Hintansetzung und Ver- nachlässigung der Fragen der bürgerlichen Wohlfahrt und Ordnung ist da die unvermeidliche Folge und läfst sich auch in Genf nicht verkennen.

Wohl gewann die Stadt in natürlicher Folge ihrer reforma- torischen Bedeutung zugleich mit ihrer Weltstellung wieder einen gewissen Wohlstand, den sie in den letzten Jahrzehnten nicht mehr gekannt. Die zahlreichen Fremden brachten , wie Froment rühmt 3, viel Geld, lebhafteren Verkehr und eine gewisse Steigerung der Industrie. Ein Zweig der Industrie gelangte in Genf sogar zu gröfserer Blüte als in irgend einer anderen Stadt von gleichem Umfang. Es war dies die Buchdruckerkunst, die gleichsam einen Bestandteil der grofsen evangelischen Propaganda bildete. Schon in der Mitte der fünfziger Jahre werden 6 Buchdruckereien er- wähnt*. Ein Jahr vor Calvins Tode ist ihre Zahl auf 23 gestiegen, und an ihrer Spitze finden wir Namen wie Jean Crespin , Henry EstienneS. Auch legte der Rat, vorübergehend wenigstens, guten

^ Ratsprot. 17. April, 27. Juli, 31. Okt. 1559, 31. Jan., i. u. 3. Febr. 1564 [Annales S. 714, 718, 722, 811]; 9. Febr. 1563; 19, Juni 1564 (Grenus) \ Spon-Gautier I, 314 ff. [Üpp. XIX S. 26S, 556, 599, 602; XX S. 249].

* Vgl. Passevent Parisien respondant a Pasquin Romain. De la vie de ceux qui sont allez demourer a Gen^ve. Paris 1556, S. 41 a.

3 Deux epistres C 46 ff.

+ Passevent Parisien S. 12 a.

5 Ratsprot, 25. Juni 1563. Mem. et doc. XVI S. 411. Eigentlich betrug die Zahl der Drucker 25, doch wurde zweien die Konzession ge- pommen. Gegen Ende des Jahrhunderts hatte Genf 32 Drucker; Gaberei W, 138.

Die Buchdruckerei in Genf. 373

Willen an den Tag, diese Industrie zu fördern, namentlich in An- sehung der äufsern Ausstattung und Korrektheit der Drucke , die allerdings viel zu wünschen übrig liefsen ^ Wiederholt finden wir den Rat mit Entwürfen zu einer Buchdruckerordnung beschäftigt, wiederholt wird eine solche angenommen und selbst über das Druckpapier eine »Ordonnanz« erlassen*. Allein der Druck des herrschenden Systems traf selbst diesen Industriezweig und hemmte seine volle Entwicklung. Vielleicht kam keine Zunft mehr mit dem Consistorium in Konflikt als die Drucker 1 Calvin selbst fühlte sich inmitten der zahlreichen Druckerzunft, die allerdings sich nicht gerade durch Eifer für die kirchlichen Ordonnanzen auszeichnete 3, nicht heimisch, er liebte sie nicht, er fand, dafs die Zahl der Pressen schon zu grofs sei, und verlangte gröfsere Strenge bei Erteilung von Konzessionen*. Die Censur wurde mit unnachsichtiger Strenge gehandhabt. Nicht blofs für Erzeugnisse der theologischen Litteratur, auch für Werke rein profanen Inhaltes, selbst für Autoren des klassischen Altertums wird die geistliche Approbation verlangt. Was diese nicht hatte, war verbotene Ware, durfte nicht verkauft und gelesen werden 5. Bücherkonfiskationen waren keine Seltenheit. Der Rat erfüllte jeden darauf gerichteten Antrag der Geistlichkeit mit gröfstem Eifer. Als 1559 bei einigen Bürgern Teile des Ritterromans Amadis entdeckt wurden , erliefs er auf den Bericht des Consistoriums, dafs jenes Werk ein gefähr- liches sei, Lügen enthalte und nicht geduldet werden dürfe, sofort die Verordnung, dafs es »vernichtet und zerrissen« werden sollte, indem er zugleich in scharfen Ausdrücken überhaupt das Lesen von so »ausgelassenen und schlechten« Büchern verurteilte''. Es ist ganz bezeichnend, wenn ein Genfer Prediger einmal den

' Vgl. Baum, Beza II, 143. Ratsprot. 17. Mai 1563 [Ann. S. 802.]

* Ratsprot. 28. Aug. 1559, 12., 27. Dez. 1560, 17. Mai 1563 [Ann. S. 720, 793 f., 802], 25.. 28. Mai 1563.

3 Vgl. Consistorialprot. 25. Mai 1559, 12., 14. Mai 15.62 [Ann. S. 716, 779] u. s. w. Quelq. pag. S. 78.

Ratsprot. 12. Jan. 1562, 17. Mai 1563 [Ann. S. 772, 802].

5 Consistorialprot. 13. Mai 1567, 6. Febr. 1570. Gaberei II, 92; Henry II, 259. Kalender ohne Erlaubnis zu drucken, war schon in den 40er Jahren verboten: Consistorialprot. 6. Jan. 1547; Ratsprot. 17. Jan. 1547.

^ Consistorialprot. 9. März 1559 [Ann. S. 712]; Ratsprot. 13. März 1559, bei Henry II, 260. Unter Beza wurde ein gewisser Copin exkommuniziert, weil er Rabelais und Catull gelesen: Consistorialprot. 6. Juni 1570.

374

Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

Katholiken eine zu grofse Toleranz gegenüber den schlechten Er- zeugnissen der Presse zum Vorwurfe machte Der rechte, echte calvinische Staatsbürger soll sich mit frommer, christlicher Lektüre, mit Bibel, Katechismus und Erbauungsbüchern begnügen. Dieser geistige Druck , der auf allen Lebensverhältnissen lastete , liefs nirgend ein frisches fröhhches Schaffen aufkommen und hemmte auf allen Punkten die Freiheit der Bewegung und somit auch die materielle Entwicklung. Manche Eingewanderte , insbesondere Italiener, die in der Hoffnung, in Genf ein Asyl der Freiheit zu finden, sich dorthin aufgemacht hatten, wandten deshalb, bitter ent- täuscht, der Stadt sehr bald wieder den Rücken. Daher auch die Erscheinung, dafs die Einwohnerzahl Genfs trotz der vielen Ein- wanderungen nie wesentlich stieg. Über die Zahl von 13000 Ein- wohnern, die Genf 1543 zählte, ist sie nie erheblich hinausgegangen ;^ die Einwanderungen wurden eben durch die Auswanderungen wieder aufgewogen -.

Während so die Verwaltung überall, wo geistliche Gesichts- punkte in Betracht kamen, einen löblichen Eifer und konsequente Strenge offenbart, ist dies in den rein bürgerlichen Fragen keines- wegs der Fall. Herrschte dort der Geist einer alles erdrückenden Strenge, so hier vielfach Fahrlässigkeit. Die Männer, die in dem Rathaussaale regelmäfsige Sitzungen zur würdigen Vorbereitung auf die Kommunion hielten 3, die alle geistlichen Vorlagen mit Eifer sich aneigneten und mit Energie ins Werk richteten, zeigten nicht den gleichen Eifer, dieselbe Energie, wenn es sich um Fragen rein bürgerlicher Natur, um Abstellung administrativer Mifsstände handelte. Die städtische Verwaltung liefs viel zu wünschen übrig und ging vielfach von völlig verkehrten Grundsätzen aus. Wird es doch von dem Chronisten als ein grofses Verdienst der »Guten«, d. i. der herrschenden Calvinisten gepriesen , dafs sie die Käuf- lichkeit der Ämter durchgesetzt haben''. Während man auf der

' Vgl. Virei , De origine veteris et novae idolatriae. Genevae ISS^, S. 127: »Vos scilicet fraeclari doctores, sacras Uteras plebi et mttlieri/ms com- municari non sttstinetis: perviittitis tarnen, ut alios omnis gcneris libros etiant imptirissimos impune quisque pro arbiirio legat.«

* So auch E. Maltet, Recherches hist. et statistiques sur la population de Gen^ve. Paris 1837 S. 8, 9.

3 Vgl. Ratsprot. 2. März 1558, 5. Juni 1560, 20. Mai 1562 u. s. w.

* Vgl. Anc. et nouv. pol, S. 94, 95.

Mängel der bürgerlichen Verwaltung. 375

einen Seite durch einen Machtspruch den Lohn für eine Reihe von Handwerkern festzustellen unternimmt', herrscht in andern Richtungen die gröfste Fahrlässigkeit und ein völliger Mangel an Kontrolle. Die zur Zeit des liberalen Regiments eingeführten Civilstandsregister werden höchst nachlässig und unordentlich ge- führt: die Totenlisten z.B. fehlen für die Jahre 1556, 1557, 1559, 1564 gänzlich, bei andern zeigen sie bedeutende Lücken-. Der Rechtspflege fehlte es zwar nicht an Strenge, wohl aber an Rrsch- heit, Bündigkeit und, was das schlimmste war, wegen des fort- währenden Hineinspielens theologischer Fragen, auch an Unbefangen- heit und LTnparteilichkeit. Wenn sonst Seltenheit der Prozesse nicht mit Unrecht als ein Beweis für den geordneten und glück- lichen Zustand eines Gemeinwesens angesehen wird , so erscheint uns Genf auch in dieser Hinsicht nicht in einem beneidenswerten Lichte: 1559 betrug die Zahl der geführten Prozesse 205, im folgenden Jahre 2093. Und in allen diesen Übelständen tritt auch während der letzten Lebensjahr^ Calvins keine Besserung ein, eher das Gegenteil, indem seit dem Ausgange der fünfziger Jahre die Tendenzen der grofsen evangelischen Propaganda mehr und mehr in den Vordergrund des gesamten öffentlichen Lebens treten und dem Magistrate vollends die Wahrnehmung seiner bürgerlichen Obliegenheiten und Pflichten erschweren.

So bestätigt, dürfen wir vielleicht sagen, auch Calvins Schöpfung in Genf, dafs das theokratische System, mag es nun im mittel- alterlichen oder modernen Gewand auftreten, etwas Unerreichbares erstrebt und in Wahrheit weder der Kirche noch dem Staate frommt.

VI.

CALVINS PERSÖNLICHE STELLUNG.

Noch erübrigt es uns, die Stellung schärfer ins Auge zu fassen,

welche Calvin persönlich innerhalb der neuen Ordnung einnahm.

Von Zeitgenossen wie von der spätem Geschichtsschreibung

' Ratsprot. 13. März 1559.

* Mallet a. a. O. S. 29. Bis zum Jahre 1555 sind sie ganz vollständig.

3 Not. geneal. III, 543.

376

Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

ist dieselbe vielfach falsch aufgefafst worden. Man hat Calvin ohne weiteres zum Diktator, zum unumschränkten Herrn von Genf gemacht und ihn auch äufserlich als solchen auftreten lassen. Als Papst, König, Chalif von Genf ist er von Zeitgenossen und spätem, von KathoHken und Protestanten bezeichnet worden : sogar die Thorschlüssel der Stadt soll er in Verwahrung gehabt haben \ In Wirklichkeit zeigt sich uns sein Bild nicht so glänzend. Wie die aristokratisch-republikanische Genfer Kirchen- und Staatsverfassung eine monarchische Spitze nicht kannte, so hat auch Calvin nach errungenem Siege wie vorher jeden Schein einer äufseren Ober- herrschaft konsequent, ja mit einer gewissen Ängstlichkeit gemieden. Er liebte es möglichst einfach und prunklos aufzutreten , er hatte es äufserst ungern, ja er zeigte sich verletzt, wenn jemand sich auf seinen Einflufs berief.

Es ist deshalb sogar jüngst die Ansicht durchzuführen ver- sucht worden , Calvins Macht sei wirklich nur eine geringe , er selbst thatsächlich immer von den Organen der bürgerlichen Ge- walt abhängig gewesen^.

Allein auch diese Ansicht widerspricht offenbaren Thatsachen, mehr noch als jene erste. Fast auf jedem Blatt der Ratsprotokolle findet sie ihre Widerlegung und schon die bisherige Darstellung lieferte uns zahlreiche Beweise des Gegenteils.

Es ist freilich wahr: seiner äufsern Stellung nach war Calvin der einfache, schhchte Geistliche, den er bei jeder Gelegenheit hervorzukehren liebte. Darin brachten auch die grofsen Erfolge der letzten Zeit keine Änderung hervor. Calvin blieb auch nach den grofsen Erfolgen durchaus, was er früher gewesen: Prediger von S. Peter und Lehrer der Theologie und entwickelte in beiden Eigenschaften trotz der zunehmenden Last der Jahre und der körperlichen Leiden eine Thätigkeit, die zeigt, wie ernst er es mit seinem geistlichen Berufe nahm. Erstaunlich ist die Menge der von ihm gehaltenen öffentlichen Vorträge. Auf Kanzel und Katheder fühlte er sich jederzeit am meisten heimisch ! Beza giebt die Zahl seiner regelmäfsigen jährlichen Predigten auf 286, die der Vor- lesungen auf 186 an -\ Seine Predigten waren stets die besuchtesten.

' So der Engländer Stapleton, vgl. Drelincourt S. 72.

* A. ^ö^^/, L'Eglise et rßtat ä Geneve du vivant de Calvin. Gen^ve 1867.

3 Ad Claudii de Saintes responsionem altera apologia , Tract. theol.

n, 353.

Calvins Predigten. 277

Fehlte es seiner Rede auch an Volkstümlichkeit und Feuer, besafs er auch nicht die schlagende, treffende Art Luthers und anderer Reformatoren , so wirkte er doch durch seine Persönlichkeit , den Ernst seiner Überzeugung , die Schärfe seiner Argumente und die Fülle der Gedanken. Er sprach langsam und mit Nachdruck, einfach und mit Vermeidung alles überflüssigen Redeschmucks'. Zur Vorbereitung hatte er nicht viel Zeit : fast nie schrieb er eine Rede auf und nur wenige hat er veröffentlicht. Die Art seines Vortrags machte es indes möglich, seine Predigten in der Kirche selbst ohne Mühe nachzuschreiben, was im Kreise der Emigranten schon früh geschah; mehrere Tausende derselben sind uns auf solche Weise erhalten worden ^. Ein Mann , meldet ein gleich- zeitiger Bericht, habe blofs durch Nachschreiben calvinischer Predigten seinen Lebensunterhalt gewonnen. Ähnlich war es mit seinen Vorlesungen, denen er mit solchem Eifer oblag, dafs er in den letzten Lebensjahren bei Abnahme seiner Kräfte sich lieber in das Auditorium führen oder tragen liefs , als dafs er sie aus- setzte oder sich auch nur entschlofs , sie in seiner Wohnung zu halten 3. Zu langen Vorbereitungen blieb ihm auch hier nicht die Zeit. Nie habe er, erzählen Zuhörer und Freunde, etwas anderes

' »Fateor«, sagt David Claudus über Calvins Stil in der Widmung der Homiliae in primum librum Samuelis an den Landgrafen Moriz von Hessen 1604, »ipstiDi neqtie docentein neque scribentem in ornatu verborum et humana eloqut'fiiia quac inaiiibus figrnentis^et flosculis magis quam rebus ipsis deleciatur, exi?>num , sed in rerum ac scntcniiarum ttumero et pondere admirandum ftdsse.* Opp. XXIX S. 238. Vgl. ßeza, Vita Calvini, ebd. XXI S. 132, 169.

^ Aus den Jahren 1549 1560 mehr als 2ocx> (2025), welche die Genfer Bibliothek aufbewahrt; vgl. Senebier, Hist. lit. I, 257 ff., wo dieselben auf- gezählt werden. [Jetzt gedruckt in den Opp. XXIII ff.] Der eifrigste Nach- schreiber war Denys Raguenier, der 1556 zur Anerkennung seiner Dienste vom Rate sogar gratis das Bürgerrecht erhielt; Ratsprot. 21. Jan. 1556. Auf ihn bezieht sich die oben nach Henry II, 197 aus der Scaligerana secunda mit- geteilte Thatsache und die beiden Stellen bei Colladon , Opp. XXI S. 70, wonach die Franzosen einen geschickten Mann für das Nachschreiben in Sold genommen. [Die Predigten wurden gedruckt und zum Besten der »Bourse des pauvres estrangers« verkauft ; vgl. Bull, de la Soc. de l'hist. du Prot, frang. 1891 S. 497.]

3 Vgl. die Vorrede des Charles de Jonvilliers zu den Vorlesungen über Ezechiel, Opp. XXXX , Prolegomena. Colladon S. 87, 88. Colladon widmet <ien Homilien und Vorlesungen Calvins eine besondere Aufmerksamkeit und notiert zu den einzelnen Jahren die biblischen Bücher, die Calvin interpretiert hat.

5^8 Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

auf das Katheder mitgebracht als den einfachen Text der heiligen Schrift, nicht einmal für den Daniel habe er sich Notizen gemacht, niemals habe er diktiert »wie die meisten«, sondern stets frei ge- sprochen nach den Eingebungen und Bedurfnissen des Augenblicks \. dennoch sei sein Vortrag stets klar und wohlgeordnet gewesen % so dafs der Stil des Redenden sich nicht viel unterschieden habe von dem des Schriftstellers ^. Schon zu Anfang der fünfziger Jahre fingen eifrige Zuhörer an , die Vorträge wortgetreu nach- zuschreiben : den ersten Versuch machten J. Bud^ und Charles de Jonvilliers bei den Vorlesungen über die Psalmen (1552). Ihr Beispiel fand bald Nachahmung 3. Calvin war über die Genauig- keit dieser Aufzeichnungen höchst erstaunt , fast betroffen und willigte, wenn auch nicht ohne einiges Widerstreben, im allgemeinen Interesse und um den Eifer der Abschreiber, »die diese Arbeit für die Kirche unternommen,« nicht unbelohnt zu lassen, in ihre Veröffentlichung, ein Umstand, dem wir eine Reihe von biblischen Kommentaren verdanken , zu deren Herausgabe er sich sonst schwerlich entschlossen haben würde"*;

Aber schon ein etwas aufmerksamer Blick auf diese Predigten, Homilien, Vorlesungen dürfte genügen, um sich zu überzeugen, dafs der Redner , welcher hier spricht , doch nicht der einfache , ein- flufslose Geistliche war, als welcher er öffentlich angesehen werden wollte. Wir begegnen da Stellen, die ebensowohl politischen Reden angehören könnten, in denen Zeitgenossen sogar etwas Perikleisches haben entdecken wollen ^, Ausführungen über die Stellung von- Obrigkeit und Unterthanen, über öffentliche Wahlen und dgl., die erkennen lassen, wie sehr, wie innig er mit dem gesamten öfFent- hchen Leben verwachsen , wie wenig er dem Staate fremd war. Und je weiter wir diesen Spuren nachgehen, um so mehr bestärkt

' Vgl. die Vorrede von J. Bude und J. Crespin zu den Praelectiones in- XII Prophetas minores, Opp. XXXXII Prolegomena. Colladon S. 108 ff.

^ Vgl. Beza in der an den Admiral Coligny gerichteten Dedikation der Vorlesungen über Ezechiel, Opp. XXXX Proleg.

3 Näheres darüber in der Vorrede Bezas zum Ezechiel (1. c.) und in der Vorrede Budes und Crespins zu den kleinen Propheten (1. c.) Colladon S. 70- nennt aufser den Angeführten noch Nicolas de Gallars, Fr. Bourgoing, J. Cousin; Senebier I, 259 auch Spifame.

'^ Vgl. Calvins Vorrede zum Hoseas d. d. Genevae Idibus Febr. 1557, Opp. XXXXII, Proleg.

'> Biga responsionum S. 244.

Calvin der thatsiichliche Oberherr von Genf.

379

uns alles in der Überzeugung, dafs der kleine unscheinbare Mann in der Rue des Chanoines, der sich so empfindsam zeigte, wenn von seiner Macht die Rede, im Grunde dennoch der Meister und Gebieter der Geschicke Genfs war.

War die Herrschaft, welche Calvin dem Staate über die Kirche zuwies, mehr eine scheinbare als wirkliche, so war es mit ihm selbst gerade umgekehrt. Unter dem bescheidenen Titel eines Dieners des göttlichen Wortes und bis Ende 1559 nicht einmal Bürger von Genf übte er und zwar er allein dennoch die wahre und volle Herrschaft über Kirche und Staat aus.

Unbedingt herrschte sein Wille in allen kirchlichen Fragen. Die ehrwürdige Genossenschaft, deren Mitglieder ohne Ausnahme ihm ihre Stellung verdankten , war von seinem Winke abhängig. Die Anreden, förmliche Allokutionen, welche er in allen wichtigen Momenten in der Kongregation hielt, wurden wie Orakelsprüche verehrt. In den Sitzungen des Consistoriums führte er die ent- scheidende Stimme : er erteilte jederzeit die vom Gericht erkannten Rügen, Zurechtweisungen, Verwarnimgen \ Nicht selten lud er auch Schuldige oder solche, welche er dafür hielt, ohne viele Umstände zu sich zum Privatverhör. In seinen Händen ruhte fast ausschliefslich das kirchliche Almosenwesen , was allerdings unter seinen Feinden zu manchen ungünstigen Gerüchten über ihn Anlafs gab^, aber jedenfalls, da oft sehr bedeutende Summen insbesondere zur Unterstützung »gottesfürchtiger Flüchtlinge« bei ihm niedergelegt wurden, ein wichtiges Beförderungsmittel seiner Macht und seines Einflusses bildete. Mit einem Worte : Calvin war es, der das gesamte kirchliche Leben beherrschte, der es mit seinem Lebensatem durchdrang, ihm Charakter und Richtung gab, ohne den die kirchliche Verfassung selbst ein toter Buchstabe ge- bheben wäre.

Nicht geringer war seine Bedeutung in den Angelegenheiten des Staates. Calvins bescheidenes Studierzimmer war der Schau- platz der wichtigsten politischen Beratungen. Keine städtische

' Colladon S. 66.

^ Vgl. Piperinus an Blaurer 19. Sept. 1555 und an Calvin selbst 15. Okt. 1555 und Calvins Antwort vom 18. Okt. 1555; Opp. XV S. 770, 821, 825. Bolsec S. 49 ff. Charakteristisch ist die Bemerkung eines kath. Mönchs, Calvin habe für schweres Geld die Leute von Messe, Beichte, Fasten dispensiert! Vgl. Passevent Parisien S. 14a.

38o

Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

Angelegenheit, keine irgendwie wichtige Frage des bürgerlichen Lebens , die nicht ihm vorgelegt und in seinem Sinne erledigt ward. Er organisierte und leitete die öffentlichen Wahlen. In Justiz- und Verwaltungssachen, selbst in finanziellen Fragen wendet man sich an ihn. Den Prätor und Quästor von Genf nennt ihn einer seiner Zeitgenossen ^. Wie sehr hier sein Einfiufs ins ein- zelne ging, zeigt allein hinlänglich die Thatsache, dafs der Rat ihn 1557 bat, die Prüfung eines neuen, von einem Deutschen er- fundenen, »um die Hälfte billigeren« Heizungssystems vorzu- nehmen^. Der Rat, in welchem der staatsmännische Geist der alten Zeit völlig erloschen schien , befand sich in vollständiger Abhängigkeit von ihm 3. Zuweilen wurde Calvin selbst, der nichts mehr hafste, als das Lächerliche, die fast kindische Art und Weise, wie die Väter der Stadt ihm ihre Ergebenheit bezeigten, lästig und mehr als eine Auszeichnung, die man ihm zugedacht, hat er zurückgewiesen.

Am wichtigsten und folgenreichsten aber war sein Einfiufs in den Fragen der auswärtigen Politik, die gerade in den letzten Jahren eine so bedeutende Rolle spielten. Sie ruhten durchaus in seinen Händen : der Rat wagte aus sich selbst hier keinen wich- tigen Schritt zu thun. Calvin führte fast die gesamte poHtische Korrespondenz und gab stets den Ausschlag. Er weist die An- sprüche Berns zurück, beantwortet das Drohschreiben des franzö- sischen Königs nach der Verschwörung von Amboise , er ent- scheidet, ob man eine schweizerische Tagsatzung beschicken, wie man sich savoyischen Anerbietungen gegenüber verhalten, ob man die Glaubensgenossen in Frankreich materiell unterstützen, ob man eine französische Garnison in Genf aufnehmen solH. Calvin ver- band wie der grofse kirchliche Reformator des 1 1 . Jahrhunderts mit dem Eifer und der Überzeugungsfestigkeit eines alttestament- lichen Propheten den scharfen Blick und den berechnenden Geist des Staatsmannes, der, wenn die Umstände es erheischen, für den

' Vgl. F. Balduini Biga responsionum S. 324.

^ Ratsprot. 7. Jan. 1557. Vgl. Raget, L'Eglise et l'Etat S. 89.

3 Balduin meint , Syndik und Rat seien eigentlich nur dazu vorhanden gewesen, um, wenn Calvin wegen seiner Handlungen auswärts getadelt würde, die Verantwortung auf sich zu nehmen. Vgl. Biga S. 320.

4 Vgl. Ratsprot. 8. Jan. 1561 [Ann. S. 741], Opp. XVIII S. 343. Ratsprot. 5., 6. Juli 1562, 17., 18. Juni, 4. Juli, 11. Nov. 1563, 3. Jan. 1564.

Calvin als Politiker; seine Persönlichkeit. 38 1

Augenblick auch Nachgiebigkeit zu üben und seine Ansprüche ein- zuschränken weifs. Seine Staatsschreiben natürHch von »Syn- dyks und Rat« unterzeichnet sind stets mit umsichtiger Erwägung der jedesmaUgen Verhältnisse abgefafst und auch durch den feinen Ton, der in ihnen herrscht, teilweise wirkliche Muster- arbeiten \ Mit allen kirchlichen und politischen Parteihäuptern des europäischen Protestantismus stand er persönlich in Ver- bindung und Korrespondenz. Den auswärtigen Mächten ist diese seine Bedeutung nicht lange verborgen geblieben. Wie die Berner schon früh, so haben dann auch die savoyischen, spanischen, römischen und französischen Diplomaten in dem Reformator die eigentliche Seele und Triebfeder der Genfer Politik erkannt. Man nannte ihn den ^> Protektor« oder einfach »den Mann von Genf«, »So lange,« meint der Bischof Alardet von Mondovi, einer der thätigsten savoyischen Agenten, »so lange dieser Calvin das Re- giment in der Republik führt, ist jeder Versuch, sie zu über- raschen, vergeblich, denn er besitzt teuflische Mittel, um unsere Pläne scheitern zu machen-.«

»Ich weifs nicht,« sagt Calvins Biograph, »ob irgend ein Mensch zu unserer Zeit mehr zu hören, zu beantworten und zu schreiben hatte, und zwar in den allerwichtigsten Angelegenheiten 3.« Man begreift es in der That kaum , wie em Mann , der fort- während mit empfindlichen körperlichen Leiden zu kämpfen hatte, eine so vielgestaltige und anstrengende Thätigkeit entfalten konnte. Zeitgenossen verglichen ihn wohl, nicht unpassend, mit einem immer angespannten Bogen. Er entzog die Zeit dem Schlafe, um sie der Arbeit zu widmen, und ermüdete durch unaufhörliches Diktieren selbst seine Abschreiber. Hilfe und Rat Suchenden war seine Wohnung jederzeit geöffnet'*. Sehr kam ihm bei dem allem sein wunderbares Gedächtnis zu statten. Bis herab auf die kleinsten Kleinigkeiten , sagt Colladon , seien seinem Geiste alle Angelegenheiten in Kirche und Staat jeden Augenblick gegen- wärtig gewesen. Obgleich er mit der Aufsenwelt wenig verkehrte,

- Vgl. 2. B. Opp. XVI S. 316, 399, 559, 569; XVIII S. 251. 343-

» Gaberei I, 527, 528. Über die Verhandlungen Alardets vgl. Ratsprot. 26. Dez. 1559.

3 Colladon, Opp. XXI S. 107.

Ad Cl. de Saintes resp. Apologia altera 1. c. II, 353. Colladon S. 71, 107, 109.

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Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

kannte er fast jeden einzelnen Bürger. Oft setzte er das ganze Consistorium in Erstaunen , indem er einen Vorgeladenen als Rückfälligen bezeichnete, während niemand sich einer früheren Bestrafung erinnerte , bis beim Nachschlagen der Protokollbücher sich ergab, dafs der Erschienene vor zehn oder zwölf Jahren wirklich einmal eine Rüge erhalten hatte ^.

Man sieht: Beza hat nicht ganz Unrecht, wenn er einem katholischen Polemiker gegenüber die Herrschaft und den Vor- rang Calvins als lediglich in seiner gröfseren Arbeit bestehend darzustellen sucht ^. Aber war denn Calvin wirklich , wie sein Freund behauptet , so ganz ohne allen Ehrgeiz, dafs er sich mit dem wenig beneidenswerten Prinzipat der Arbeit begnügte? In einem Punkte war dies nicht der Fall, da, wo es sich um seine geistliche Autorität handelte.

Wohl nahm Calvin niemals irgend eine Art von äufserm Vorrang ausdrücklich für sich in Anspruch \ er behandelte seine Kollegen , beinahe möchte man sagen , in gesuchter Weise als gleichberechtigt ; er liebte es , wenn er dem Rate Vorschläge machte, einen von ihnen zur Seite zu haben ^ ; er erwies ihnen die Aufmerksamkeit, sie bei seinen Vorlesungen zu Rate zu ziehen ■♦ ; er beantragte im Jahre 1558 sogar völlige Gleichstellung der geistlichen Gehälter, um aller Eifersucht ein Ende zu machen 5; nicht auf solche äufsere Auszeichnungen und Vorteile war sein Ehrgeiz gerichtet. Indem er aber so sich seinen Amts- brüdern gleichzustellen schien und eine demokratische Gleichheit verkündete , machte er stets stillschweigend eine Bedingung : die Anerkennung seines höheren geistigen Ranges und seiner besondern Bedeutung für das heilige Werk der Reformation. Wohl nur selten ist ein Mensch so von der Bedeutung seiner Person durch- drungen gewesen wie Calvin , und schon die Zeitgenossen haben Anstofs genommen an der Art und Weise, wie er sich öfter mit

' Colladon S. io8.

^ Ad CI. de Saintes Apologia altera 1. c. II, 358.

3 Ratsprot. 3. Jan. 1558, 30. Jan. 1560 [Ann. S. 683, 726]. Einmal liefs er Des Gallars für sich eintreten: 27. Sept. 1558 [Ann. S. 705].

+ Colladon S. 112.

5 Ratsprot. 3. Jan. 1558 [Ann. S. 683]. Das endliche Ergebnis war indes, dafs die Prediger und Professoren 400, Calvin 600 fl. erhielt; Ratsprot. 23. April, 21. Mai 1562 [Ann. S. 778, 780].

Calvins Meinung von seiner Person. 283

David zusammenslellte '. Es ist bezeichnend , wenn er in dem Dankschreiben an einen Arzt, der ihn von einer Krankheit geheilt, ausdrücklich hervorhebt , derselbe habe sich wohl nicht so sehr aus persönlichem Interesse als mit Rücksicht auf das allgemeine Wohl der Kirche so sehr für ihn bemüht^. Die Vorstellung, dafs er das auserwählte Werkzeug des Herrn sei , verläfst ihn keinen Augenblick ; jede ihm angethane Beschimpfung trifft Gott selbst, an seinem Namen darf kein Makel haften bleiben , da er das Evangelium schädigen würde \ Der Gedanke, dafs auch seine Gegner von einer ehrlichen Überzeugung geleitet sein könnten, oder gar, dafs er selbst Unrecht haben könne, lag ihm voll- ständig fern ■» : ihm sind alle diejenigen, welche ihm widersprechen, welche sich gegen seine Autorität auflehnen, einfach Bösewichter, gegen die er unversöhnlich bleibt , die er mit herben, lieblosen Worten verdammt, die er verfolgt, auch wenn er zu Umwegen seine Zuflucht nehmen mufs^.

Dieser Forderung einer unbedingten Unterwerfung hatten sich auch seine Amtsbrüder in Genf trotz aller scheinbaren Gleich- berechtigung zu fügen und zwar mehr als die übrigen, schon »des Beispiels« wegen. Calvin duldete keinen Widerspruch, überhaupt keinen wahrhaft selbständigen Kollegen. Selbst Beza, der wohl den meisten Einflufs besafs , war doch nur sein erster Diener, gleichsam sein erster Minister: der Einflufsreichste war er nur des- halb, weil er der Gehorsamste war. Nur in der Weise wie Caesar den Bibulus habe auch Calvin, meint Balduin, einen Kollegen er- tragen^. Die Initiative mufs immer und überall von ihm aus-

' Vgl. Beza^ Ad Cl. de Saintes Apol. alt. 1. c. II, 352.

i Calvin an Textor i. Juli 1550, Opp. XIII S. 598.

3 Vgl. Opp. XU S. 68; XV S. 600 ff. Vgl. auch o. S, 30.

'^ Vgl. die trefflichen Bemerkungen Balduins, Biga resp. 259, 296 und die Schrift Contra libellum Calvini M 56: »Qui eum offendit is iiiipitis, is athetis, is Epian-cus appellatiirt.

5 Vgl. Calvin an Viret 5. Id. Aug. 1551, Opp, XIV S. 162: »Cu> cui/n« heifst es da über einen derartigen Gegner, »scarabaeuni in sna falude j're- mentan securc conteiimere non liccat. Sed me cxempltim movetf. Darum soll er verfolgt werden. Colladon weifs diesen Zug in dem Charakter seines Helden nicht anders zu entschuldigen als mit der Bemerkung, dafs Satan keinem Menschen so viele Nachstellungen bereitet habe als Calvin. Opp. XXI S. 115.

^ Vgl. Biga resp. S. 340. Die Nichtrückberufung des etwas eigen mäch-

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Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

gehen: kein Vorschlag eines andern findet Gnade. Als 1558 einer seiner Freunde, Antoine de Lautrec , die Einführung der öffentlichen Exkommunikation in Anregung brachte, liefs er den- selben sofort vor den Rat zitieren und zeigte sich im höchsten Grade aufgebracht ^ ; und dennoch stand der Vorschlag mit seinen eigenen Ideen so wenig in Widerspruch , dafs er ihn zwei Jahre später selbst gemacht hat 1 Aber es sollte jeder Angriff auf sein Privilegium oder das, was er dafür hielt, zurückgewiesen werden. Und auch sonst noch mufste seine Umgebung manches von ihm hinnehmen. Hatte auch das Ungestüm der frühern Zeit sich ge- mildert, so hatte doch die Empfindsamkeit und Reizbarkeit seines Gemütes unter dem Druck der körperlichen Leiden und der fort- dauernden Angriffe mit den Jahren noch zugenommen ^. Der Verkehr mit ihm selbst hatte etwas peinliches und beengendes. Manche fühlten sich deshalb trotz der scheinbaren Gleichstellung und trotz des Zeugnisses, das Calvin selbst wohl seiner Mäfsigung und Anspruchslosigkeit ausstellte 3, in seiner Nähe doch gedrückt und machten in vertraulichen Mitteilungen ihren Gefühlen Luff^. Mehr als einer hat Genf wieder den Rücken gewandt, weil er sich nicht entschliefsen konnte, »Calvin den Pantoffel zu küssen s«, und sich nicht dem Unwillen eines Mannes aussetzen mochte, den, wie seine Feinde sagten , zu beleidigen viel gefährlicher sei als eine Beleidigung des Königs von Frankreich in seiner Königsburg ^. Indes mit jener thatsächlichen Anerkennung seines höheren Ranges war Calvin zufrieden. Im übrigen war sein Leben das einfachste, wie es das thätigste war. Er trug ein Gewand von

tigen Farel wurde von den Zeitgenossen vielfach mit diesem Umstände in Ver- bindung gebracht; vgl. Responsio Cl. de Saintes ad Apol. Bezae S. 160 a.

' Ratsprot. 17. Mai 1558, Ann. S. 692. Vgl. dazu Roget, L'J^glise S. 68.

^ Colladon, Opp. XXI S. 117.

3 Responsio ad Balduini convicia, Opp. IX S. 579, 580 ; Praef. in Psalmos, Opp. XXXI S. 25, 31, 33.

4 Biga resp. S. 341.

5 Der Ausdruck kommt häufiger vor zur Bezeichnung des Abhängigkeits- verhältnisses, vgl. Opp. XV S. 442; Consistorialprot. 26. Nov. 1562, 27. Mai, 3. Juni 1563 [Ann. S. 794, 803].

*• »Sic dominatur Genevae Calvinus tct euni offendere sit lange periculosius quam rege/n Galliae in ipsa regia. Sciunt haec innumerabiles ab eo eiecti et vexati^. Contra lib. Calv. A 5 a.

Calvins einfache Lebensweise; seine Zurückhaltung. 385

geringem Stoff, ais einfach und wenig, während der letzten sechs Jahre nahm er regelmäfsig täghch nur eine Mahlzeit'. Seine häusliche Einrichtung war bescheiden, ja fast ärmlich zu nennen^. Es wird erzählt , dafs der Kardinal Sadolet, als er einmal den berühmten Reformator besuchte, erstaunt darüber gewesen sei, denselben in so bescheidenen Verhältnissen zu finden 3. Calvin war arm trotz seines bedeutenden Einkommens : nicht ohne Bitter- keit bemerkt er einmal seinen Gegnern, die sich den Glauben nicht nehmen liefsen, dafs er grofse Reichtümer besitze : sein Tod werde sie dereinst wohl ans Licht bringen "♦. Seine reichen Ein- künfte verwandte er, wie es scheint, meistens für kirchliche Zwecke, insbesondere für die kirchliche Emigration. Geschenke oder be- sondere Zulagen, durch welche der Rat ihn persönlich auszeichnen und belohnen wollte, lehnte er in vielen Fällen ab und selbst von seinem Gehalte bewilligte er wohl einen Abzugs, in der Öffentlich- keit zeigte er sich selten und fast nur, wenn seine Berufsarbeiten, Kanzel oder Katheder, eine Ratssitzung oder Volksversammlung ihn riefen. Im gewöhnlichen Umgang war er wenig gesprächig, ja wortkarg und einsilbig; lange Reden liebte er auch bei andern nicht und verhafst war ihm jede offenkundige Schmeichelei ^. Einen nähern Verkehr unterhielt er nur mit wenigen. Der Masse des Volkes blieb er schon durch sein äufserlich wenig ge- winnendes, ernstes, schweigsames Wesen, sowie auch durch seine aristokratische Denkart fremd : nur unter den vornehmeren, namentlich eingewanderten Familien erfreuten sich einige seines vertrauten Umgangs 7. Aber auch diesen gegenüber scheint er

I Vgl. Praef. in Psalmos, Opp. XXXI S. 31. Beza, Opp. XXI S. 160, 169. Ad. Cl. de Saintes Apol. alt. 1. c. II, 353. ^ Colladon 1. c. S. I13.

3 Vgl. Drelincourt S. 159.

4 Praef. in Psalmos, Opp. XXXI S. 31.

5 Letzleres sagt er selbst in der Responsio ad Balduinum, Opp. IX S. 579 '■ "De stipendio aliquid remisia. Über abgelehnte Geschenke vgl. Ratsprot. 4. März 1546, 5. Juni 1553, 28. Dez. 1556, 13. März 1564 [Ann. S. 371, 542, 656, 813]; 19. Mai 1559.

^ Beza, Ad Cl. de Saintes Apol. alt. 1. c. II, 350; Vita Calvini, Opp. XXI S. 170.

7 Wie sehr dies gegen ihn ausgebeutet wurde, ersieht man nicht nur aus Bolsec 1. c. S. 68 ff., der von den feinen Gastmählern, welche ihm die Reichen gegeben, zu erzählen weifs, sondern auch bei dem im ganzen ehrlichen Ver- Kampschult e, J. Calvin 11. 25

«86 . Siebentes Buch. Genf unter Calvins Herrschaft.

später zurückhaltender geworden zu sein. Calvin hatte während seines Lebens , in Genf und auswärts , mit den Menschen üble Erfahrungen gemacht. Männer, denen er Jahre lang sein Wohl- wollen bewiesen, die er in sein Vertrauen gezogen, die er auf be- sondere Empfehlungen hin in sein Haus aufgenommen, hatten ihn verlassen, sein Vertrauen mifsbraucht , ihn getäuscht. Seine Be- urteilung der Menschen hatte etwas von Menschenverachtung an- genommen; er war scheu und mifstrauisch geworden. Inmitten des beschäftigten Lebens, inmitten der täglichen Reden und Kon- sultationen führte Calvin, darf man vielleicht sagen, dennoch ein etwas vereinsamtes Dasein. Die einzigen, mit denen er einen wirklich vertraulichen Verkehr unterhielt, waren die ihm unbedingt er- gebenen Geistlichen Beza, Viret, H. CoUadon, N. des Gallars und andere , die aber während der letzten Zeit durch die Ereignisse gröfstenteils von Genf abwesend waren, und einige Auserwählte aus den Kreisen des Magistrates und der Emigration. In dem engen Kreise dieser Männer atmete er zuweilen von seinen Arbeiten auf, da führte er eine zwanglose Unterhaltung und sprach das Herz zum Herzen , da gestattete er sich auch wohl ein kleines Spiel, doch immer nur ein solches, fügt der Biograph vorsichtig hinzu, das durch die Gesetze nicht verboten war^.

So herrschte dieser aufserordentliche Mensch von seinem Studierzimmer aus ohne einen obrigkeitlichen Titel, ja eigentlich im Widerspruch mit dem geschriebenen Recht, das er selbst ge- schaffen, über Kirche und Staat. Der Eremde, der den kleinen, kränklichen Mann mit dem blassen, krankhaften Gesicht schweig- sam über die Strafse einhergehen sah, ahnte nicht, eine wie ge- waltige Stellung er einnahm , wenn nicht vielleicht die ehrfürch- tigen Begrüfsungen der demselben Begegnenden ihn aufmerksam machten. Die Verehrung für Calvin innerhalb der Bürgerschaft war während der letzten Zeit eine fast ungeteilte: nur selten noch wurde sie durch einen Mifston gestört. Freilich war dem Gefühl der Verehrung immer etwas wie Eurcht beigemischt. Als einst eine Erau ihren Nachbarn während der Predigt schlafen sah, hielt sie es für genügend, ihm blofs den Namen des Reformators zu-

fasser der Schrift Contra libellum Calv., der ihm M 56 diesen Umgang mit den Reichen und Vornehm.eü in scharfen Worten zum Vorwurf macht und bei- fügt : cum patiperibics non multuin ei est negotii«. " Vgl. CoUadon S. II 3, 117.

Verehrung für Calvin in Genf. ^87

zuflüstern \ Allein erfreute er sich auch nicht einer eigentlichen Popularität in dem Sinne, wie sie dem deutschen und schweizerischen Reformator in so reichem Mafse zu teil geworden, so hatte doch jedermann ein lebhaftes Gefühl von dem, was er für Staat und Kirche, für ganz Genf war, und an Beweisen von Anhänglichkeit und Liebe, selbst aus der Menge, fehlte es auch ihm nicht. Unter den Katholiken fielen spöttische Bemerkungen darüber, dafs Genf, welches die kirchliche Bilderverehrung abgeschafft, nun mit den Bildern Calvins einen Kult treibe "". Als einst, wird erzählt, ein einfacher Fremder sich in Genf nach dem »Bruder Calvin« er- kundigte, wurde er rauh angefahren und ihm bedeutet, dafs der Gesuchte nicht »Bruder«, sondern »Herr« anzureden sei 3.

Und so war es in der That. Der unscheinbare , ernste Geistliche in der dunkeln Rue des Chanoines war »der Herr« und seine Herrschaft erstreckte sich nicht blofs über Genf und sein Gebiet.

' Consistorialprot. 21. März 1566.

^ Vgl. Cl. de Saintes, Responsio ad Apol. Bezae S. 46 ; Bolsec 1. c. S. 54.

3 Contra libellum A 5 a.

25^

REGISTER

zu BAND I UND II.

Die Kaiser stehen unter ihrem Namen, die Fürsten unter ihren Ländern, die Bischöfe unter ihren Diöcesen.

A-lba, Herzog, span. Statthalter in

Mailand II 272. Alciati, Andreas , franz. Jurist I 226.

229. Allobroger I 3.

Amboise, Verschwörung von II 380. Ambrosnis, der hl., Bischof von Mai- land I 272. 404; II 212. Ameaux, Pierie, Genfer Ratsherr II

20 ff. 35.42.44.52 71. 125. 146.312. seine Frau Benoite II 19. 21. Amsdorf, Nik. von, Mitarbeiter Luthers

II 312. Anabaptisten s. Wiedertäufer. Anshelm, Valerius I 97. 191. 195.

Als Quelle noch oft zitiert ! Antitrinitarier II 168. 169. Aosta, Bischof (Petrus Gazone 1528

bis 1556) I 100. Aquaviva, General der Jesuiten II 337. Aquila, Bischof (Alvarus della Quadra)

I 338.

Arius, Gegner der Trinität I 295. Arneys, Antoine, Lyoner Katholik II

179. 180. Artichauds (Articulanten) , Genfer

Parteinaroe I 360 ff. ; II 5. 9. 45. Athanasius II 171. Aubert, H., Genfer Ratsherr (Syndik)

II 256. 263. 265.

Aubeterre, Herr von I 276. 476.

Aubigne, Theodor Agrippa d'A., fran- zösischer Dichter I, xiv.

Augustinus , der heilige I 260. 264. 265; II 128.

Badolet, Chronist I 119.

Baiard, Jean, Genfer Syndik u. Chro- nist I 18. 60. 69. 73. 80. 81. 84.

85. loi. 102. 181. 209. 210. 213.

216. 300. 356 f. 392. 394. 415. 440;

II 18. Balayson, savoyischer Beamter I 63. Balduin (Baudouin) Franc, zeitweise

Sekretär Calvins I 225. 237. 403 ;

II 39. 77. 78. 82. 226. 229. 244. 335.

380. 383. 384. Balduin, Jean, Genfer Geistlicher II 29. Baithesard, Michel, Genfer Ratsherr I

191. Bandiere, Ami, Genfer Bürger I 61.

191. 348; II 249. Basel, Stadt I 190. 195. 283. 364.

372. 377- 3S1. 490; II 9- 162. 172.

224. 225. 227. 248. 259. 26S, 295.

301. 305. 306 f.

der Rat II 220. 226.

Geistlichkeit (Theologen) II 134. 138. 139. 141. 143. 144. 147. 148 f. 186. 192 194. 197 f. 202. 218 220. 225.

Universität II 225 227.

Baud, Claude, Genfer Patriot I 79.

141.

Baudichon s. Maison neuve. Beaulieu, evang, Geistlicher II 341. Bedrotus, Strafsburger Professor I 325.

341- Beguin , Genfer Ratsherr (Syndik) II

66. Bellay, du, Kardinal II 78. 86. 88. Bellegarde, savoyischer Gesandter I 84. Bellius, Martinus , Pseudonym II 229.

243.

Register.

389

Benoit, Andre, Wiedertäufer I 294.

Beraud, waadtländischer Geistlicher, dann Professor an der Genfer Alta- demie II 320.

Bern I 32. 46. 47. 66. 89. 94. 97 105, 114. 115. 116. 117. 153 f. 155 190. 205. 282. 296. 300. 307. 343 344. 348. 350. 351. 353. 372. 387 426. 463. 465. 490; II 46. 107 109. 116. 124. 126. 132. 144. 149 162. 232 ff. 266. 305. 340. 315 ff. Vgl. auch unter Genf, Calvin, Waadtland.

der Kleine Rat I 64. 68. 76. 81. 212. 283. 295. 298. 303. 315. 316. 375. 376; II 142, 143. 146. 197 f. 234. 235. 237—243. 296. 303.

der Grofse Rat I 64. 68. 76. 97. 297.

Geistlichkeit (Consistorium) I 191.

298. 305. 316. 322; II 30. 114. 134.

138. 139. 141. 142 f. 144. 147. 148.

186. 192 194. 197 f. 202. 218

220. 234.237—239. 241. 242.243.

296. 308. Staat und Kirche I 211 f. 215.

471 ; II 85. 112. 235.^

Buchdruckereien I 18.

Bernard, Claude, Genfer Patriot I lOl. 117. 135. 158. 159. 163.

Jacques, Guardian des Genfer Fran- ziskanerklosters, Bruder des vorigen

I 151. r6i. 162. 163. 175. 207. 320. 344. 345. 350. 351. 353. 357. 361. 367. 368. 372. 374. 378. 389. 390. 392. 394. 411. 448; II 204.

Louis, Genfer Domherr I 151. Bertault, Augustinermönch I 243. Berthelier, Philibert d. ä. I 37 ff. 40

—46. 51. 52. 59. 67. 79. 292;

II 5. 12. 47. 49. 203. 207. 261. 274. 278.

Frangois Daniel, Sohn des vorigen II 91. >^;9. 102. 207. 261. 268. 269. 271. 274 276. 277.

Philibert d. j. Bruder des vorigen II 91.99. 102. 103. 106. III. 121. 122. 124. 151. 152. 157. 159. 160. 161. 184. 185. 186. 191. 192. 195. 203. 207 217. 248. 249. 254. 256. 257. 261. 271. 273 f. 277.

Mutter der beiden vorigen II 274. Bertholet, ein Genfer II 368.

Beza, Theodor I 221 f. 223. 224. 225. 226. 227. 228. 229. 230. 231. 232. 233- 235 240. 243. 244. 245. 247. 248. 249. 250. 257. 279. 280. 281. 285. 292. 295. 321. 325. 338. 344.

381. 389. 394. 422. 434. 455. 458.

473- 474- 485; II 13- 39- 5°- 53»

54. 62. 75. 88. 93. 124. 126. 129.

185. 199. 211. 224. 226. 230. 238.

243. 264. 270. 275. 283. 313. 3i7ff.

321 ff. 324. 333. 341. 361. 363.

366. 368. 373. 376. 378. 382. 383.

386. (Als Quelle noch öfters zitiert!)

Vgl. auch unter Calvin. Bezanson s. Hugues. Bigottier, Cl., Vorsteher der Genfer

Schule I 105. 109. 208. Blaisine, Nonne im Genfer Clarissen-

kloster I 177 f. 179. 180. Blanchet, Genfer Bürger I 42. 44.

Pierre, Genfer Geistlicher I 411. 484—486.

Blaurer , Ambrosius , Reformator II

159. 172. 199. 200. 202. 223. 251.

270. 283. 294. 295. 307. 310. 379. Bolsec, Hieronymus I 224. 291. 292.

308. 310. 311. 312. 313. 465; II

19. 22. 75. 88. 106. 124. 125 150.

151. 152. 153. 154. 159. 164. 180.

192. 195. 201. 224 226. 236. 237,

239. 242. 245. 249. 256. 264. 274,

296. 3I9- 385- Bonivard, Frangois de I 37. 39 f. 41.

43.49.51. 53. 55. 76. 80. 99. 197.

202. 204. 206, 291. 305. 364. 403,

434- 467; II n- 18. 39- 49- 53« 69. 71. 72. 73. 75. 76. 80. 88. 91. 103. 106. HO. 119. 120. 121. 122. ^29. 133. 143. 146. 160. 161 163. 185. 192. 204. 208. 257. 260. 263. 264. 268. 271. 281. 284. 314. 315. 340. 353- 367- 369- 374- Als Quelle noch oft zitiert 1 Bonna, Pierre, Genfer Ratsherr II 92. 159. 256. 267.

Philibert II 163. 206. Bossuet I 275.

Boucquet , Christoph, Franziskaner in

Genf I 123. 124. Bourgoing, Fr., Refugie II 378. Braun, Dr. Conrad I 335. Brenz, Joh., prot. Theolog II 116. 132. Brigonnet, Bischof von Meaux I iio.

112. Bucer, Martin I 116. 135. 230. 231.

242. 277. 305. 318. 320—323. 326.

327. 328. 337. 341. 373—375- 380 f.

391. 459; II 115. 172. 173. Bude , französ. Emigrantenfamilie II

38. X24. 247.

Frangois II 38.

Jean II 311. 378.

Bullinger, Züricher Reformator I 151,

390

Register,

207.

250. 293.

294.

307-

316.

317

318.

323- 324-

326.

346.

427.

465;

11 8

9. 115.

118.

124.

132.

139

142.

146. 161

164,

192.

193.

196

197.

198. 202.

203.

208.

209.

212

214.

215. 219.

220.

221.

222.

223

225.

227. 228.

230.

232.

233-

234

235-

240. 242.

243-

252.

255-

256

257-

263. 265.

266.

267.

268.

269.

270.

271, 275.

283.

290.

295.

296

298.

300. 301.

302.

304-

-308.

317-

320.

340.

Burgur

d, Königtum I

4. 22

Buren,

Idelelte von, s

unter Ca

vin.

Calvin, Johann I xii ff. 13. 19. 30. 52. 68. 99. 110. 161. 162. 163, 182. 203. 205. 206. 207. 218. 221 ; II 3 ff.

Abstammung und Jugend I 221 ff.

Übergang zum Protestantismus I 229 ff.

Reise nach Italien 1536 I 279.

erster Aufenthalt in Genf 1536 38

I 278— 319. 343. 410.

in Strafsburg 1538 1541 I 322 ff. 370. 375- 380 f- 386. 455- 460. 465.

II 29. 3Z?,.

Rückkehr nach Genf 1541 I 342 381. 432. 480. 481; II 7. 204.

in Genf seit 15^1 I 385 ff.; II 3 ff.

Heirat mit Idelette von Buren I 321.

seine Frau und Familie I 381 ; II 114 (Tod Idelettes).

Charakter und Persönlichkeit I 236. 276. 290. 302. 313. 319. 338. 355 370. 386. 389 f. 418. 421. 427. 448 482. 484 455. 486. 489. 490. 493 II 10, 20. 29. 32. 93. 94. 95. 139 182. 231. 232. 241. 268. 269. 270 272. 275. 276. 295. 333. 375—387

zu Ameaux II 20 ff.

zu Beza II 243. 318 f.

zu Bolsec II 125 150. 151. 224.

zu Bullinger II 9. 115. 132. 142. 193. 196. 219. 220. 228. 243. 252. 270 f. 295. 300. 307.

zu Caroli I 295 ff. 479.

zu Falais II 39, 101. 103 f. 137. 154. 247.

zu Farel I 281 ff. 292. 31 1. 320 ff. 329 ff. 336 ff.; II 104. 105. 121. 122. 155. 157 f. 215. 218. 243 f. 269. 384.

zu Gruet II 56 ff.

zu Luther I 257 261. 266. 268. 326 f. 355; II 105. 332.

Calvin zu Maigret II 9. 46. 87. 91, 92. 99.

zu Margarethe , Königin von Na- varra I 331 f.; II 18.

zu Melanchthon I 327. 329. 332. 333- 337- 338. 339- 39i- 481 ; II 105. 132. 149. 156. 202. 246.

zu Perrin II 35. 52. 70 100. 160.

zu Renata, Herzogin von Ferrara

I 279.

zu Sadolet I 352 ff.

zu Servet II 167 203. 226 228. 332.

zu Sleidan I 331. 332. 335; II 181.

zu Viret I 292; II 104. 121. 122. 156. 157 f. 235. 243. 269. 318.

zu Zwingli I 326 f.; II 139. 241.

zu Bern I 298. 303 ff. 314 ff. 375. 387. 420; II 8f 46. 51. 85 f. 114.

118. 142. 229. 233—244. 270. 295 ff. 300. 301. 316. 380 381.

zu Frankreich I 331. 490; II 38. 45- 87. 99-

zu Genf (persönliches Verhältnis)

II 6 f. 45. 258. 259. 313. 386 f.

zu den Refugies in Genf II 37 ff.

119. 120. 163. 245 ff. 258 ff. 300, 348 f. 370.

zur Gewissensfreiheit I 473 ff.

zum Humanismus I 225. 229. 234. 235- 237 ff. 242. 468; II 327 ff. 333 ff.

zum Katholizismus I, XIV. 255. 258. 278. 282. 287. 289. 290. 333.

335- 355. 398- 399- 403. 404- 407. 424. 430. 441. 453. 455. 456. 460. 462. 463. 480; II 10. 118. 226. 289 f. 312. 314. 332. 336. 359. 361.

zur Kunst I 463. 464.

zu den Libertinern II 13 ff.

zu den Naturwissenschaften II 334f.

zum Schulwesen I 468 f. ; II 310 ff.

zu den Wiedertäufern I 248. 294 f. 298. 325. 478; II 332.

Abendmahlslehre I 260. 263. 287. 310 ff. 324. 326. 337. 460 f. 478.

Anschauung vom geistlichen Amt I 396 ff. 473. 476; II 293.

Gemeinde und Kirche I 399. 475. 476; II 345.

Gottesdienstordnung I 453 ff.

Lehre von der Kirche I 265 ff. 396,

Kirchenverfassung 1 259. 268 f. 287. 391. 392. 419. 431. 470.

politische Anschauungen I 416 ff. 430. 434 f.

politischer Einflufs in Genf I 412 ff.

Register.

391

428. 478 f.; II 8. 269. 290 ff. 299. 300. 302, 304. 305. 356. 378. 379 ff, Calvin, Prädestinalionslehre I, Xiv. 261 ff. 266. 268. 275. 276. 386. 430; II 10. 16 f. 125 150. 153, I54- 155' 224 f. 236 ff. 274, 289. 332. 360. 362. 365.

Teufelsglaube II 368.

Staat und Kirche (Theokratie) I 270 ff. 289. 316. 391 ff. 400. 401. 420. 428. 434. 470 ff. 482. 487 ; II 20. 54. 85. 107. HO. III. 125. 150. 161. 188.201.203 223. 254 ff, 342—347. 354 ff. 372. 375. Vgl. Genf, Staat und Kirche.

Sittenzucht (einschl. Exkommuni- kation) I 266 f. 269. 285. 287. 288. 289. 290. 302, 307, 324. 339. 377. 391 ff, 424 f. 431 ff. 439 ff; II 9. II. 125. 192. 203 223. 254 ff. 286 ff. 342 ff 358 f.

volkswirtschaftliche Anschauungen I 429 f. 489.

Vorlesungen I 293. 324 f. 421 ; II 311. 363. 365. 376. 377. 3S2.

Einkünfte I 388. 402 ; II 40. 44. 161. 382. 385.

Gesundheit II 114. 314.

Institutio religionis christianae I, XIV. 247. 251 ff. 280.1 284. 285. 286. 289. 327. 386. 397. 399, 418. 419. 420. 423. 447. 455. 458. 464. 470; II 10. 38. 153. 155. 156. 158. 168. 176. 180. 241. 331. 332. 366.

Katechismus von 1538 I 205. 286 bis 290. 325. 458; II 10.

Katechismus von 1541 I 395. 398. 458. 459; II IG. 332.

Schrift gegen das Interim II 112. Calvin d. ä., Vater des Reformators

I 221 226. 228. 230. 235. 237. 240.

Carl , älterer Bruder des Refor- mators I 237. 240.

Anton, jüngerer Bruder des Refor- mators I 235. 237. 2S0. 299 ; II 106. 184. 186. 171.

dessen Frau II 106. 371. Canierarius, prot. Theolog II 149. Candolle, Herr von, Refugie II 247. Cany, Frau de, Anhängerin Calvins

II 147.

Capito, Wolfg. Fabritius I I16. 231.

248. 249. 295. 321. 324. 431. Caracciolo , Galeazzo , Marquis von

Vico, ital. Protestant II 247. 249.

314-

Caroli, Pierre, Gegner Calvins I 162.

286. 295 ff. 303. 305. 314. 479;

11 171. Cartelier, Führer der savoyischen Partei

in Genf I 49. 69. 71. 76. Castellio, Seb., Humanist I 401. 468.

469. 483—485. 490; II 225—229.

319. 362. Castro, Scipio del, Italiener II 272. Catabaptisten s. Anabaptisten. Chamot, Genfer Bürger I 130. Champereau, Genfer Geistlicher I 411.

464; II 30. 51. Chapeaurouge, Ami de. Genfer Rats- herr (Syndik) I 306. 359 t. Chapuis, Jean , Dominikaner I 162.

163. Chautemps, Jean, Genfer Ratsherr I

105. 117. 122. 125. 126. 135. 311;

II 363. Chauvet, Raymund, Genfer Geistlicher

II ^s. 124. 163. Chevalier, Prof. an der Genfer Aka- demie II 320. Chiliasten II 168. Claudius s. Monier. Claudus, David II 377. Clemens (VII), Gegenpapst I 24. 27. Clemens VII., Papst I loo. 107. Cleve, Herzog Wilhelm I 329. Cochlaeus, kath. Theolog I 333; II

112. 170. Cogneus, Genfer Geistlicher I 411. Coligny, Admiral II 378. Colladon, Nicolas, Refugie, Biograph

Calvins I 222. 223. 226. 227. 229. 230.

231. 232. 233. 235. 240. 243. 244.

245. 247. 248. 249. 250. 279. 280.

281. 285. 289. 291. 295. 325. 326.

333. 381. 455. 458; II 88. 122.

126. 129. 134. 143. 146. 211. 247,

264,291. 377, 381. 383. 386, (Als

Quelle noch öfter zitiert.)

Germain, Rechtsgelehrter, Refugie II 185, 247. 269. 353. 362.

Comparet , die Brüder, junge Genfer

II 262 264. 268. 273 ff. Conde, Prinz von II 283. Connan, Fr. de, Jugendfreund Calvins

I 228. Constantin der Grofse II 189. Constanz, Stadt I 190. 195; II 300.

Konzil (1414 1418) I, XIII. Contarini, Cardinal- Legat I 334. 335.

336. 338- 341. Cop, Guill., Leibarzt Franz' I. I 236,

Nikolaus, Sohn des vorigen I 236. 244 f. 250.

392

Register.

Cop, Michel , Genfer Geistlicher

n 33-

Copin, Genfer Einwohner II 373. Cordier, Mathurin , Lehrer Calvins I

223. 225. 292. 299. 349. 377. 468.

469; II 317. Corne, Amblard , Genfer Ratsherr

(Justizlieutnant) I 491 ; II 31. 89.

91. 96. 106. 274. 369. Courault, Elie, Augustinermönch, dann

Predikant in Genf I 243. 250. 292.

296. 299. 303. 308. 310. 311. 315.

318. 319. 320. 3S7. Cousin, J., Refugie II 378. Coutelier, Genfer Franziskaner I 146.

150. Crespin (Crispinus) Jean, Genfer Buch- drucker II 311. 372. 378. Cruciger, Caspar, Theolog I 331. Curtet, Jean, Genfer Ratsherr I 311.

358. 369-

Dada, Genfer Bürger I 122. 130. 135. Damont, Charles, 1544 Schulrektor in

Genf I 469. Dan^s, franz. Humanist I 235. Daniel , Fran^ois, Freund Calvins I

227. 228. 234. 235. 236. 237. 239.

244. 246. 247. 248. 281. 299.

Schwester des vorigen I 236. Desplans, Pierre II 237. Deutschland

protestantische Fürsten I 252. 329; II 86. 168.

Protestanten I 328 ff.; 11 246. Diaz, ein Spanier I 30.

Diesbach, Berner Ratsherr I 190. 191.

312. Divonne, Genfer Domherr I 91. Dorsi^res , Genfer Rechtsgelehrter II

353. Douay, Jesuitenakademie II 341. Dryander (Franc, de Enzinas) , aus

Spanien gebürtiger Protestant II

159- Dubois, Michael, Genfer Buchhändler

I 371-

Guillaume , Genfer Buchdrucker

II 36.

Lichterzieher in Genf II 36. Duchemin, Nie, Jugendfreund Calvins

I 228. 229. 230. 234. 237. 248 279;

II 38.

Dufour, Louis , Genfer Bürger I 372. Dumoulin, Alexander (Canus), französ.

Protestant I 134, 137. 138. Durand, Genfer Geistlicher II I14.

Ecclesia, Philipp de, Genfer Geist- licher I 411; II 113. 114. 145.153.

154- 159- Eck, Johann, kath. Theolog I 332.

333. 338. Egmont, Graf I 38. Eidgenossenschaft, Schweizer I 62. 66.

68. 70. 77. 84. 85. 86. 153. 154.

183 187. 190. 195. 196. 201 ; II

79. 87. 90. 98. 270. 299. 302. 305.

306 f. 309. Vgl. Genf. Eidgenossen, Name einer Genfer Partei

I 48 f. 50. 51. 52. 55. 58. 60. 97.

130. 158. St. Eloy, Abt von I 222. 237. 23S. England, König Heinrich VIII. I 271.

König Eduard VI. I 338; II 227.

Königin Maria II 285. Erasmus, Desiderius I 39. 113. I14.

234. 235. 248. Erlach, Berner Ratsherr I 191. Espeville, Charles d' , Pseudonym für

Calvin. Estienne, Henry, Genfer Buchdrucker

n 372.

Etoile, Pierre de 1', französ. Jurist I 226. 229.

Faber, Peter II 295.

Fabri (Liberlet), Christoph, Geistlicher

I 143. 217. 218. 281. 305. 322. 478;

II 114. 224. 235. Fabricius (?) II 39.

Falais, Herr de, Refugie II 26. 28.

39. 55. 61. 67. 73. 75. 77. 81. 83.

87. loi. 104. 126. 137. 143. 146.

154. 247. Farel, Wilhelm I 99. 102. 105. 107.

HO ff. 123. 124. 125. 126. 127,

135. 136. 137. 138. 139. 141. 142.

143. 145 -14S. 150. 151. 152. 154.

156—168. 173. 175. 176. 184. 185.

203. 205. 206. 208. 209. 211. 212.

214. 215. 216. 217. 230. 231. 232.

250. 252. 274. 281 283. 285. 287.

289. 291 296. 298. 299 319. 320.

321—325.327.329—334. 336—340.

343—350. 353- 354- 356- 360. 366.

367. 369—380. 3S6— 389. 401. 403.

431. 445. 447. 455. 460. 464. 468.

469. 474, 479. 483. 490. 492.493;

II 5. 6. 9. II. 14. 17. 22. 26. 28.

31. 32. 34. 55. 57. 61. 66. 68. 69.

70. 71. 74. 75. 76. 91. 95. 96. 97.

104 108. III. 112. 115. 118. 121.

122. 123. 124. 127. 130. 141. 142.

143. 144. 146. 149- 155- 156. 157 ff- 160. 176. 181. 182. 186. 196. 198.

Register.

393

20I. 215. 217 f. 220. 222. 223.

225. 229. 234. 235. 243 f. 245 f.

258. 262. 269. 270. 272 276. 283.

284. 293. 294. 295. 30S. 334. 341.

366. 367. 384.

Farel, Wilhelm.

seine Brüder I 299 306. Farnese, päpstlicher Legat I 335. Favre, Genfer Familie II 31. 35. 63.

Franijiiis I 130. 211; II 31. 32. 47—49- 51—55- 58. 69. 70. 74. 76. 77. 205. 278.

Gaspard , Sohn des vorigen I 35. 36; II 363.

dessen Frau II 363. Felix V., Papst I 35. Ferna, Genfer Bürger II 265. Fernex, de, Genfer Familie I 48.

Pierre de I 73.

Ferrara, Herzogin Renata I 279. 454;

II 126. 368. Vgl. auch unter

Calvin. Ferron, Genfer Geistlicher I 404. 412 ;

II 113. 114. Foncelet , Sebastian , Gegner Calvins

II 238 ff. Fontaine, Nicolaus de la, Famulus

Calvins II 183. 184. 185. 186. 187. Forge , de la , Kaufmann m Paris I

235. 241, 250. Fournerat, Frangois, Genfer Patriot

I 73-

Frankfurt, prot. Prediger II 186.

Reichstag von 1539 I 328 ff. 340. Frankreich.

König Ludwig XI. I 29.

Ludwig XII. I 279.

Franz I. 1 xil. 62. 84. 192 ff. 198. 199. 243. 252. 253. 254. 309.

331- 332- 335- 358; 11 14.

Heinrich II. II 69. 75. 77. 81. 82. 84. 87. 98. 100. 260.

Franz 11. II 380.

Katharina , Witwe Franz" II. II 361.

Protestantismus, Protestanten I 116. 229 ff. 252 ff. 277. 282. 283. 329. 341. 479. 490; II 4. 17. 37. 45. 61. 68. 223. 225. 227. 335. 344. 380.

Parlament I 245; II 174. 371.

Vgl. auch unter Genf. Freiburg i. Schw. I 33. 34. 42. 43. 44.

45 ff. 51. 52. 153 f. 195. 198. 200;

II 307. Vgl. auch unter Genf. Frellon , Buchdrucker in Lyon II

176.

Fresneville, Herr von, Genfer Bürger

I 380. Friedrich Barbarossa, Kaiser I 5. Friedrich III., Kaiser I 12. Fronient, Antoine, Genfer Geschichts- schreiber I 90. 107. 108. 117. 119.

120 ff. 124. 126. 128. 129. 131.

134. 135. 136. 137. 138. 1^,9. 141.

144. 145. 148. 149. 150. 151. 152.

154. 155. 156. 159. 160, 162. 163.

164. 165. 171. 176. 177. 178. 179.

185. 186. 189. 191. 193. 195. 196.

197. 198. 202. 205. 206. 207. 208.

209. 214. 215. 217. 299. 346. 367.

422. 489; II 71, 252 f. 281. 353.

367. 369. 372. Als Quelle noch

öfters zitiert ! Furbity, Guy, Dominikaner I 136 ff.

144. 145. 148. 162. 171; II 82.

Cradius, ital. prot. Geistlicher II 228. Galeot, Noel, Freund Farels I iii. Gallars, Nicolaus des (Gallasius) I 326.

411; 11 18. 378. 382. Geneston, M. de. Genfer Geistlicher

I 411. 412. 4S6. 487. Geneve , Claude de (Bastard), Genfer

Bürger II 268. 269. 273 276. Genf, Bistum I 4, 25. 28. 29. 36.

201.

Domkapitel I 8. 9. 13. 14. 19. 26. 27. 28. 30. 36. 37. 66. 69. 71, 79. 91. 102. 141. 154, 157. 159. 171. 172. 205. 359; II 297.

Bischof Ardutius (11 31; 1185) I 5.

Bf. Wilhelm de Conflans (1287 bis 1295) I 6. 22.

Bf. Ademar Fabry (1385 1387) I 8. 93.

Bf. Jean des Bertrands (1408 141 9) I 26.

Bf. Jean de Pierre eise (141 8 1422) I 25.

Bf. Amadeus von Savoyen (1444 bis 1451) I 27.

Bf. Peter von Savoyen (145 1 1459) I 27.

Bf. Johann Ludwig von Savoyen (1460—1483) I 27. 29.

Bf. Franz von Savoyen (1484 1490) I 28.

Bf. Anton Champion (1491 1495) I 28. 90. 92.

Bf. Philipp von Savoyen (1495 15 10) I 28. 35; II 48.

Bf. Charles I. de Seifsei (15 10 15 13) I 35 f.; II 48.

394

Register.

Genf, Bistum.

Bf. Johann Franz (Bastard) von Sa- voyen (1513-1522) I 36. 40 ff. 45. 51. 52. 54. 55. 56. 57. 58. 69. 90. 425 ; II 48.

Bf. Pierre de la Baume (1523 1544), I 54. 55—60. 62 f. 65 76. 78. 79. 61. 82. 84. 86. 89. 90. 99. 105. 106. 108 f. 118. 126. 132 136. 141. 145- 153—158- 159- 162. 164, 16S. 170. i83f. i86. 191. 199.200. 201. 209. 351 ff. 357 ; II 4. 48. 273.

303- Genf, Grafen von I 4. 5. 6. 7. 24. Genf, Stadt.

der Kleine Rat I 11. 2>3- 37- 43- 44. 47. 52. 59. 60. 62, 67. 68. 72. 94. 95. 100. loi. 102. 104. 105. 106. 107. 108. 109. 113. 118. 121 ff. 126. 127. 128. 130 141. 143. 145 bis 148. 150. 152. 154. 157 165, 167. 16S. 171. 172. 173. 177. 178.

180. 185. 188. 192. 194. 202. 203. 204. 206. 209. 212. 213. 214. 215. 216. 282. 285—^295. 300 303. 308. 310—313. 317. 318. 343. 346—354- 356—35^-360—368. 371—374-376. 377- 378. 380. 385. 3S8. 3S9. 392 1^'s 394. 399—401. 403. 40S. 409. 411. 412. 414 416. 421. 425 429.

432-435- 437—439- 443—449-451- 456. 459. 467. 468. 469. 470. 472.

477-479- 483—489- 491—493; II 9. 20—27. 33. 35. 36. 41. 43. 46. 50. 52—54. 56. 59. 65—68. 70. 76. 79. 81—92. 94 100. loi. 103. 106—121. 123. 124. 126. 131 138. 141. 142. 144. 145—149. 151 163.

181. 183 186. 189. 191. 192 196.

198. 205. 206. 20S 223. 225. 229. 237 240. 243. 244. 246. 248. 250. 251. 252. 253-257. 259 266. 268 bis 271. 274 277. 282. 2S4 289. 291—293- 295. 299. 300. 302—304. 314. 320. 321. 322. 323. 324.329. 330- 343—349- 352—358. 361—368. 372. 373- 375- 380—382. 384 bis 386.

Rat der Sechzig I 11. 165. 414. 421. 433- 434- 487; II 5- 24. 81. 205- 353- 371-

der Grofse Rat (Rat der 200) I 47. 68. 102. 105, 109. 122. 138. 140. 141. 142. 148. 161. 165. 167. 188.

199. 210. 289. 290. 294. 302. 313. 317- 349- 357- 361. 362. 372. 392. 393- 394- 414- 421. 433- 434- 435- 449. 470; II 20. 21. 23 25. 43.

76. 80. 81. 89. 92. 9S. 137. 152. 160. 162. 194. 198. 214. 216. 222. 254. 256. 260. 261. 265. 266. 277. 278. 284. 288. 2S9. 292. 304. 343. 345—347- 352. 365. 369. Genf, Stadt.

Conseil general (Generalrat) I 10.

II. 13. 28. 35. 53. 61. 66. 68. 132. 148. 189. 203. 212. 301. 313. 317. 346. 361. 362. 365. 367. 372. 377- 392- 393- 394- 4i4- 4i5- 42of. 446. 449- 478; II 9- 59- ^3- 90. 120. 217. 251. 259. 260. 261. 277. 288. 289. 345—347- 352-

Consistorium I 289. 377. 391 394. 395. 406. 431 ff. 444-452. 459. 461. 465. 466. 471. 477. 487. 493; II 5. 12. 24. 25. 31. 34. 35. 36. 42, 44. 47. 48. 52 56. 60. 67. 69. 75. 102. HO. 123. 157. 159. 163. 203 223. 254 ff. 274. 282. 286 bis 288. 292. 294. 343. 344. 346. 348. 349- 357 ff- 369- 373- 379- 382.

Geistlichkeit (Venerable Compagnie = Gesamtheit der Genfer Geistlichen) I 205. 207. 210. 211. 212. 213. 214. 396 ff. 402. 408. 409. 410» 412. 433. 435. 444. 445. 449. 457. 467. 478. 483—487. 489. 492; II 25- 27. 30. 34. 58. 93. 94. 96. 108. 109. 112. 113. 114. 116. 118. 127. I2y. 130. 133. 134. 136—138. 141. 145. 146. 147. 149. 150. 156. 160—163. 193. 194. 197. 199. 204. 213. 216. 217. 229. 237 240. 242. 282. 287—289. 292. 293. 320. 324.

329- 330- 336- 337- 339- 343- 355 ff- 363. 364. 379.

Congregatioii (== regelmäfsige Ver- sammlung der Genfer Geistlichkeit)

I 409 ff. 483. 492; II 102. 112. 113. 127. 130. 131. 137. 145. 146. 147. 235. 366. 379.

Staat und Kirche (Theokratie) I 104. 211. 2i4f. 306. 316. 345.385. 391 ff. 400. 401. 420 f. 432 ff. 470 ff. ;

II 4f. 10. 53 ff. loi. 102. 107. HO.

III. 115. 118. 122. 125. 138. 150. 161. 188. 192. 193. 201. 203 223. 254 ff. 282. 286. 287. 292. 342 bis 347. 354 ff.^372. 375. Vgl. Calvin, Staat und Kirche.

Geschichte vor der Reformation I

3 ff.

Verfall des Katholizismus vor der Reformation I 90 ff. 1 70 ; II 4,

Einführung der Reformation I 39.

Register.

395

89 ff. 299. 343; II 4. 5. II. 70. 72. 233. 253.

Genf, Stadt.

Bildersturm von 1535 I 166 ff. 177. 192. 202. 206. 208. 209; II 70. 271.

Reste des Katholizismus nach Ein- führung der Reformation I 205. 20iS ff. 212. 216. 284. 290. 291. 299. 300. 314. 350 f. 352. 353. 356 f. 367. 440. 447. 448. 451. 480; II II. 117. 118. 289 f. 312. 344. 360.

eingewanderte Refugies I 192. 345. 366. 3S9. 435. 480. 482. 490. 493; II 4. 8. 22. 37 56. 67. 80. 81. 85. 86. 103. 114. 119 121. 124. 126. 129. 135. 149. 152. 155. 162. 163. 164. 185. 205. 217. 232. 244—257. 258 267. 277. 284 f. 291. 294. 302. 313. 344. 348 f. 360. 370. 372. 377- 385- 386.

englische Protestanten I 293 ; II 44. 285.

italienische Protestanten I 481 ; II 36. 40. 44. 119. 195. 227. 246 f. 284 f. 365. 367. 374.

spanische Protestanten II 285.

Libertiner II 16.

zu Bern I 29. 45. 46. 47. 61. 62. 64. 65. 67. 68. 69. 70. 72. 75. 76 ff. 79. 81 86. 89. 97—99. loi 104. 109. 1x8. 125. 126 ff. 129. 131.

133- 134- 137—142. 144—149- 152. 154. 156. 157. 158. 165. 167. 168. 170. 173. 178. 179. 180. 182.

183 204. 2X1. 299. 303 ff. 308 ff.

3X4 ff. 343. 346. 351. 355. 358 ff. 361—368. 372. 379. 414. 420; II

3 5. 8 xo. 12. 28. 45. 46. 50. 51- 55- 71- n—ioo. xoi f. X03. X09. 112. 147. 163. 232—243. 244. 249. 251 f. 253. 254. 260. 267. 270. 271. 272. 277. 294—310. 313. 315. 34S. 380.

zum Bischof I 5 ff . 25. 26. 35. 40. 64. 7X. 93. 99. loS f. 132. X33. 146. 148. 194. 199. 215. 343. 385. 414. 448; II X83.

zur Eidgenossenschaft I 29. 41. 45. 47. 50. 52. 63; II 233. 298 f. 301. 302. 305. 306 f. 309. 380.

zu Frankreich I X44. 299. 30S f. 343- 358. 366. 378 f.; 11 12. 44 bis 47. 50. 55. 69. 75. 77— xoo. 162. 233. 249. 272. 296. 298. 30X. 309. 380.

zu Freiburg I 29. 34. 37. 45 ff. 49. 50. 51. 61. e^. 64. 65. 67. 69.

70. 72. 75. 76. 79. 81 86. 99. XOI. 102. 104. 105. 106. X08. 109. X23. 124. 128. 130. 131. 132. 133. X34. 140. X44. 145. 148 f. 150. 151. 183. x86. 195. 343; 11 260. 307.

Genf, .Stadt.

zu Italien (in religiöser Beziehung)

I 378f.

zum Reiche I 201. 364.

zu Savoyen I 5 ff. 18. 21 ff. 32 bis 86. 90. 96. 98. 100 ff. 105. 107. 1x7. X27. 134. 158. 183. 194. 207. 299- 343- 359- 363- 385; II 3- 12. 37. 43. 47- 86. 303. 380.

zu Solothurn I 45. 47. 61. 64. 65. 83; n 307.

Freiheilsbrief von 1387 I 8. 34. 93.

Stadtverfassung I 68. 414 ff. ; II i6x. 358.

Theokratie s. Staat und Kirche.

Generalkapitanat I xx. 55. 66; It 73. 80. 99. 278.

Kirchenordnung (Ordonnanzen) u. dergl. I 205. 790. 391 ff. 397 ff. 400. 40X. 402. 406. 409. 41 X. 4x5 bis 417. 421. 429. 431. 433. 435.

436. 439- 443- 444- 447- 449 ^^ 454. 456—462. 464—469. 470. 47 X. 483. 487. 492; II 9. II. 30, 32 f. 40. 42, 43. 48. 51- 54- 69. 72. 73. loi. 103. III. ii6f. 121. 125. 129. I57' 163. 169. 204. 205. 210. 213. 214. 217. 255. 256. 2S2. 286 289. 311. 313. 324. 342 ff. 352. 353 bis 355- 358. 359- 371- 372. 373.

Ordonnanzen (kirchliche) s. Kirchen- ordiiung.

Ordonnanzen (bürgerliche) I 415 ff.;

II 182. 183. 255. 353.

Luxusgesetze von 1558 II 349 ff,

370.

Gerichtsbarkeit, Gerichtswesen I 67.

71. 79. loi. 104. 133. 157. 4x4. 416. 417. 422 fif. 432. 437 ff. 472, 478. 479. 489; II 62 ff. 1S2 ff. 268 ff. 274. 291. 375.

Armenpflege I 465 f.; II 294.

Finanzen I 479. 491 ; II 162. 248. 291. 314.

Münzwesen II 99.

Schulwesen (einschl. Kollegium und Akademie) I 18. 20. 105. 176. 208. 2x3 f. 292. 293. 348. 349. 366. 377. 380. 395. 436. 465—469. 490; II 21. 294. 310 ff.

Brüderschaften I 66 f. 80.

Collegium der Maccabäer I 13. 94. 171.

396

Register.

Genf, Stadt.

Klöster I 14. 41. 73. 83. 92. 95. 171 ; II 314.

Nonnenkloster S. Clara I 94. 103. 104. 159. 160. 169 ff. 202.

Abtei S. Victor I 14. 38. 39. 171. 359; II 296.

Pfarrbezirke I 387.

Buchdruckereien I 18. 125. 358. 453; II 21. 358. 372 f.

Buchhändler II 333.

feste I 17. 443. 444 f.; II 32. 34- 73-

Handel I 15. 203. 429. 430. 443; II 41. 87. 361.

Handwerkerstand I 15. 443; II 575.

Industrie I 15. 203. 429. 430; II 41. 372 f.

Messen I 16. 29 f. 35. 309; II 287.

Einwohnerzahl II 374. Genod, Thomas, Geistlicher I 178. Gentilis , Val. , theol. Gegner Calvins

II 121. Gesner, Conrad, Humanist I 250. Gewissensfreiheit II 226 ff. Gingins, Aymon (Aime) de, General- vikar des Genfer Bistums I 79. 102.

109. 118. 119. 122. 139. 168. 171. Girard, Ami, Genfer Bürger I 18. 60.

70. 76. 79. 80. 81. 100. lOI, Giron, Pierre, Berner Staatssekretär I

114. 116. Glarus II 307. Goulaz, Jean, Syndik I loi. 130. 132.

150. 166. 204. 207. 309. 392. Graffenried, Berner Ratsherr I 191. Grandson, de, Genfer Adelsfamilie

I 14. Gregor VII., Papst (Hildebrand) II

loi. 272. 380. Gropper, Joh., kathol. Theolog I 337.

338; Grossi, bischöflicher Beamter in Genf

I 42. Gruet, Jacques, Genfer Bürger II 49.

51. 55. 56 ff. 68. 69. 76. 85. 86.

116. 125. 131. 146.

Grynaeus , Simon , Baseler Geistlicher

I 251, 295. 297. 307. 320. 326. 341;

II 172.

Gualtherus s. Walter, Rud.

Guerin, Mu^te, Genfer Strumpfwirker,

Freund Farels I 117. 120. 124. Guillermins, Genfer Parteiname für die

Anhänger Farels und Calvins I 345.

347- 349- 351- 354- 355- 356- 358-

360—365. 367. 368. 369. 371. 389. 392; II 5. 6. 21.

Hagenau, Religionsgespräch von 1540

I 330 ff- Haller , Berthold , Berner Reformator

I 97. 151. 191.

Johann , Berner Geistlicher I 294. 298; II 116. 118. 139. 142. 196. 198. 202. 212. 227. 233. 234. 235. 238. 239. 242. 266. 267. 269. 270. 272. 275. 290. 296. 301. 302. 304. 305. 308. 317. 320. 340.

Harwey, Entdecker des Blutumlaufs

H 174. Heinrich IV., deutscher Kaiser I 272. Held, Reichsvizekanzler I 328. 335. Helena, Kaiserin I iil. Helvetier I 3. Heremite, Hudriot , Genfer Bürger

I 25. Hessen, Landgraf Philipp I 338. 340,

Landgraf Moriz II 377. Hildebrand s. Gregor VII.

Höfen, Thomas von. Berner Gesandter

I 97 f. Hoffischer, Genfer Bürger I 211. Hofman , Melchior , Wiedertäufer I

325- Hoperus , englischer Protestant und

Märtyrer II 115. Hotoman, französ. Rechtsgelehrter und

Protestant II 225. 227. 228. 310. Hugues, Bezanson I 18. 37. 38 f. 42.

45 ff- 48. 49- 50- 51- 53- 54 f- 56. 60. 63. 64. 65. 68 72. 75. 76. 78. 79. 80. 82. 96, 97. loi. 103. 106. 123. 204. 343; II 5. 39. 72. 73. 261. 278.

Conrad, Sohn des vorigen I 106. Hus, Johann I xi ff.

Hütten, Ulrich von I 335.

Ignatius, Kirchenvater II 171. Innocenz VIII., Papst I 28. Interim von 1548 I 256 ; II 112. I15. Irenaeus, Kirchenvater II 171. Italien, Protestanten II 227. 228. 240. 294.

Vgl. auch unter Genf.

JTesse, P. J., Genfer Ratsherr II 256.

369- Jesuiten I 480.

Unterrichtswesen II 337 340.

Akademie in Douay II 341. Joinvilles, de. Genfer Adelsfamilie I 14.

Register.

397

Jonvilliers, Charles de, Refugie II 247.

377- 378- Jussie, Johanna von, Genfer Chronistin,

I 18. 69. 81. 83. 91. 93. 103. 105, 108. 109. 117. 119. 121. 122. 124. 128—133. 135- 136. 137. 138. 139- 144. 146. 150. 151. 156. 157. 158. 159, 160. 162 166, 172 flf.

Juslinian, Kaiser II 191.

Karl der Grofse I 4; II 322.

Karl IV., Kaiser I 12. 23.

Karl V., Kaiser I 12. 57. 62. 66. 77.

82. 84. 100. 103. 189, 190. 192.

195. 269. 276. 329. 331. 333—336.

340. 341. 364 f. 398; II 39. 46. 50.

84 87. 97. 98. 115. 170. 246. Klein , Katharina , Quartiergeberin

Calvins in Basel I 250. Klotilde, Franken fUrstin I 14. Knox, John, schottischer Reformator

II 293.

Konrad III., deutscher König I 4. Kunz, Peter, Berner Geistlicher I 316.

Iiambert von Avignon, französ. Mönch

I 96.

Lambert, Jean, Genfer Ratsherr (Ge- neralprokurator, Syndik) I 392; II 26. 76. 82. 83. 89. 92. 99. 256. 260. 266. 369.

Landrinus, Professor in Orleans I 239.

Lange (Angelus), Freund Farels l II2.

Johann, Prediger im Waadtlande

II 237—242,

Laurent de Normendie , Refugie II

247. 370. Lausanne, Rat von.

Geistlichkeit I 469 ; II 316 f.

theologische Schule (Akademie) II 243. 315 ff. 318. 321.

Lautrec, Antoine de, Genfer Bürger

11 363- 383. Lecoq, Jacques (JacobusGallus), Refugie

I 121. Lef^vre, französ. Humanist I iio. 234.

235. 240. 248. Leman, sagenhafter Gründer von Genf

I 3-

Leo X., Papst I 54. Leonard, Joh. de II 356. Level, Genfer Protestant I 150. Levrier , Pierre , Genfer Patriot I 33 ;

II 261. 278.

Ami I 54. 59. 60. 74. 96; II 261. 278.

Libertet s. Fabri. Libertiner II 13 flF. 60.

Liser, Caspar, Pfarrer in Nürtingen

I 270. Locke, Freund von John Knox II 293. Löffelritter , Gesellschaft savoyischer

Adliger I 70. 71. 73. 80—83. 86.

184; II 303. Loyola, Ignaz von I 223 ; II 340. Lucanius, Martianus , Pseudonym für

Calvin. Lüneburg, Herzog (Ernst) von I 332. Lullin, Jean, Genfer Bürger I 59. 60.

306. 359 f. Pierre, Genfer Bürger I 209. 210. Luther, Martin I XI ff. 89. 96. 97.

100. loi. 102. 103. 113. 114. 130.

221. 222. 229. 235. 239. 257 261.

266. 268. 277. 326. 355. 422. 454.

463. 464; II 105. 167. 168, 172.

175- 178. 333- 360. 387. Vgl. auch

unter Calvin. Lüttich, Hermann von, Wiedertäufer

I 294. 325. Luzern II 307

Lyon, prot. Gemeinde in I 401 ; II 81. Le Macon, (Genfer?) Sekretär I 314.

Maigret, Laurent, gen. Le Magnifique

I 166. 192 f. 309; II 9. 45 f. 48.

50. 58. 78 100. 120. Maison neuve, Baudichon de la. Genfer

Bürger, 1535 Generalkapitän I 76.

78. 79. 80. 98. 99. loi, 103. 106.

107. 117. 118. 120. 123. 124. 126 f.

128. 130. 132. 135. 137. 139. 146.

150. 166. 168. 172. 177. 180. 181.

185. 191. 204. 207. 343; II 70.

Jean de la. Genfer Polizeilieute- nant II 106. 128. 129. 130. 263.

Malbuison , Petremand de, Genfer Patriot I 33. 79. 96. 209.

Jacques, Genfer Bürger I 164. Mallet, Fran(jois, Genfer Priester I 94. Mamelucken, Name einer Genfer Partei

I 48 f. 51—55. 58. 60. 65. 66. 68

73. 75. 76. 80. loi. 130. 155. 158.

184. II 258. 267. 268. 273. 303. Mar, de la , Genfer Bürger I 46. 79. Marcion, altchristliche Irrlehrer II 332. Marcourt, Genfer Prediger I 344. 345.

348. 350. 351. 353. 357. 361. 367.

368. 378. 389. 392. 394; II 204.

283. Marc, Henri de la, Genfer Geistlicher,

später in Jussy I 311. 313. 344.

350. 351- 353- 357- 361. 367- 368.

389- 390. 392. 394- 411; II 28. 29.

42. 51. 204.

398

Register,

Marolles, Herr von, franz. Edelmann

II 164. Marot, Clement, französ. Dichter I

455- 456.

Martellus, päpstlicher Nuntius I 105. 108 f.

Martin V,, Papst I 25.

Masson, Papirius, franz. Schriftsteller I 240. 245. 325; II 334.

Maximilian L, Kaiser 1 31.

Meaux s. Brigonnet.

Megander, Berner Geistlicher I 298.

Megret, Aime (Edmund) Genfer Geist- licher I 41 1 ; II 27. 51.

Melanchthon, Reformator I 252. 274. 326. 331- 332. 333- 337- 33^- 339- 355- 391- 399. 431- 481. 4S4; n 105. 132. 149. 156. 160, 202. 246. 360.

Mercier, französ. Humanist II 315

341. Merlin, Jacques, Genfer Prediger II

328. Messiez I 18.

Michael. Genfer Ratsherr II 52. Michaux, Ägidius, Geistlicher in Albon

(Dauphine) II 18. Michel, ein Genfer I 178. Moine, Thomas, Genfer Bürger I 127. Molard, Hudriot du, Genfer Justiz-

lieulenant II 260 262. Monathon , Gabriel, Genfer Ratsherr

I 359 f. 491. Mondovi, Bischof Alardet von II 381. Monet, Raoul, Genfer Bürger II 11 1. Monier, Claudius, evang. Geistlicher in

Lyon II 81. Montchenu , Herr von, franz. Haupt- mann I 309. 359; II 44. Montfalcon , Jchan de. Genfer Patriot

I 73. Montluel, Pernette de, stellvertretende

Oberin des Genfer Clarissenklosters

I 174 f. 176. 179. 181. Montrevel, Grafen von I 56. Montyon, Genfer Familie I 48. Louis de, Genfer Patriot I 33. Morand, Genfer Prediger I 344. 348.

350. 351- 353- 357- 361. 367- 368.

3»9- 390- 392. 394; n 204. Moreau, Simon, Genfer Geistlicher II

371- Morelli , Jean , französ. Gelehrter I

4J5; IJ 364. Morone, päpstl. Legat I 334. 341. Mühlhausen, Stadt I 195. Musculus, prot. Theolog II 197. 202.

296. 310.

Myconius, Oswald, Geistlicher in Basel I 325- 388. 390. 394. 395. 427. 432, 442; II 5. 149.

Wägeli, Hans Franz, Berner Ratsherr

I 190. 191. 195—197; II 78 f. Si. 298.

Narbert Antoine, Genfer Buchdrucker

II 362.

Nausea, kath. Theolog I 333. Navarra, Königin Margaretha von I

243. 245. 248. 276. 331. 332; II

18. 30 Navis, Genfer Bürger I 42. 44. Nettesheim, Agrippa von I 96. Neuenburg (Neuchatel) , Kirche von

I 319. 411 ; II 141. 144. Nicaea, Konzil von II 171. 175. 185. Nicolaus V., Papst I 27. Normendie s. Laurent. Nynandt, Pierre, Genfer Geistlicher I

411 ; II 114.

Ochino, Bernardino II 40. 203. Odilo von Cluny, Gründer der Genfer

Abtei von S. Victor I 14. Oecolampadius, Reformator von Basel

I 114. 116. 431 ; II 172. Olevian, Caspar, prot. Theolog I 399 ;

II 288. 344.

Olivetan , Robert , Vetter Calvins I 110. 118. 124. 125. 230. 231. 240. 247. 251. 299.

Orsi^res, Pierre d'. Genfer Patriot I 33. 160; II 39.

Hugonin, Sohn des vorigen I 160.

Pagninus , Santes , Bibelübersetzer II

Pamphilus, Eusebius, Pseudonym für

Calvin I 335. Pantheismus II 175. 186. Parens, Freund Calvins I 376. Pascal I 275. Passau, Decan von I 333. Passelius , Carolus , Pseudonym für

Calvin. Paste, Cl., Genfer Bürger I 135. Paul III., Papst I 256. 334. 335, 341.

352. 357; II 33. Paul IV., Papst II 247. Pecolat, Etienne, Genfer Bürger I 181.

Jean, Genfer Patriot I 42. 44. 73.

75- Pelargus, kath. Theolog I 333. Pellican, Züricher Professor (Hebraist)

I 307-

Register.

399

Pellison, Präsident von Chanibery II

78 fr. 85. 87.

Peney, der Schlofsherr von II 363.

Pernette s. Montluel.

Perrin , Ami, Generalkapitän I loi.

117. 130. 132. 146. 150. 166. 192.

204. 318. 348. 371. 372. 392; II

9. 31. 35. 49. 50. 52—56. 58. 69.

70—100. 101. 102. 103. 106. 107.

110. III. 115. 118. 120. 121. 122.

160. 161. 162. 164. 186. 191. 192.

195. 198 200. 203. 205. 207 bis

210. 212 216. 218. 221. 222. 245.

24S. 251. 252. 254. 256. 257. 259.

260. 262 267. 271 275. 282. 284.

296 f. 302—303. 310. 317. 358. seine Frau Frangoise gen. Franche-

qiiine, Tochter des Frangois Favre

II 31. 56. 58. 69. 70. 74. 76. Perrot, Emil, Schüler Farels I 116.

X19.

Pcrtemps , Claude , Genfer Ratsherr I

34S. 350. 358. 392. Pesmes, de, Genfer Familie I 48. Petit, Genfer Geistlicher I 412. Peucer, C., Arzt, Schwiegersohn Me-

lanchthons II 149. Pflug, Bischof Julius, von Naumburg

I 338.

Philippe , Jean , Generalkapitän I 60.

63. 106. 133. 191. 2X1. 306. 310.

354. 361—365. 367. Pierrechon, Gegner Calvins II 242. Pighius , Albertus, kath. Schriftsteller

des 16. Jahrhunderts I 275. 276.

277; II 150. Pignaeus, Ant. I 349. Piperinus, Pfarrer in Büren II 295.

379- Pius IL, Papst I 27. Pocquet, Antoine, Libertiner II 14.

16. 18. 19. 60. Poitiers, prot. Gemeinde II 232. Polen, König Sigmund I 398. Pontverre , Herr von Ternier, Haupt

der »Löffelrilter« I 80. Porral, Ami, Genfer Syndik I 63. 185.

204. 211. 289. 290. 301. 309. 348.

350. 368. 392. 415. 4S8; II 72. Poupin , Abel , Genfer Geistlicher I

411; II 33. 34. 53. 56. 58. 59. 96.

176. 177. 293.

Quintana, Beichtvater Karls V. II

170. Quintin, Führer der Libertiner I 249 ;

II 14. 18. 60.

Raemond, Florimond de, Verfasser der Histoire de le naissance et des progr^s de l'h^r^sie I 224. 227. 229. 230. 231. 232. 234. 246. 247. 248. 278. 322 324. 326.

Raguenier, Denys, Refugie II 377.

Ramel, Genfer Bürger 1 209.

Ramus, Petrus, Humanist I 250.

Refugies s. Genf.

im Waadtlande II 240.

Regalis, Genfer Geistlicher I 411.

Regensburg, Reichstag und Religions- gespräch zu, 1541, I 328. 333fr. 373- 374- 391-

Renata s. Ferrara.

Renatus, Camillus II 231.

Reuchlin, Humanist I 235.

Reves s. Servet.

Richardet , Claude, Genfer Ratsherr und Syndik I 67. 209. 210. 306. 314. 362. 363. 441.

Rigot, Claude, Genfer Generalprokurator II 187 189.

Rive, Girardin de la, Genfer Bürger I 152. 209. 213.

Rom, Herrschaft über Genf im Alter- tum I 3.

Roset, Claude, Genfer Ratsherr I 392. 492.

Jean, Genfer Bürger II 365.

Michel , Genfer Ratssekretär und Chronist I 206. 210. 364. 415. 437. 485; II 13. 18. 40. 52. 53. 54. 56. 109. 124. 138. 152. 154. 188. 192. 201. 218. 222. 252. 255. 263. 264. 281. 282. 283. 295. 306. 313. 317. 321. 352. 353- 365. (Als Quelle noch oft zitiert !)

Roussel, Gerard, Freund Calvins I 243.

279- Ruffi, Genfer Staatssekretär II 34. 134. Rytter, Erasmus, Berner Gesandter I

317.

Sachsen , Kurfürst Johann Friedrich der Grofsmütige I 329.

Herzog, später Kurfürst Moritz, I 329; II 202.

Herzog Georg I 329.

Herzog Heinrich I 329. Sadolet , Cardinal I 240. 352 355.

357. 385- Sainte-Andre, Genfer Geistlicher II 28. Saint Joire, de, Genfer Adelsfamilie

I 14. Sainte - Marlhe , Charles de , französ.

Rechtsgelehrter I 277. Saintes (Xaintes), Claude de, kalh. Ge-

400

Register.

Iehrterl434; II 39. 171. 191. 238.

319. 358. 361. 376. 382. 383. 384. Saleneuve, savoyischer Beamter I 63. Sales, Franz von I 170; II 11. 360. Salomon , Claude, Genfer Bürger I

126 f. 130. 204. Saunier, Antoine, Schulrektor I iio.

117. 118. 125. 213. 214. 282. 292.

293- 299. 348. 349. 366. 377. 410.

468. Savoye, Claude, Genfer Ratsherr und

Syndik I 212. 309. 311. 314. 354. Savoyen, Grafen, später Herzöge von

I 5. 7. 14. 21 ff. 32. 74. 90. 201;

II 37. 57. 235. Vgl, auch unter Genf, Bischöfe.

Graf Peter IL, I 6.

Graf Amadeus V., I, 6. 22.

Graf Amadeus VI., I 23.

Herzog Amadeus VIII., I 24 f. 27. 28. 31.

Hg. Ludwig I 27. 29.

seine Gemahlin Anna von Lu-

signan, Königin von Cypern I 27. 29.

Herzogin Bianca I 28.

Hg. Amadeus IX., I 30.

Hg. Karl IL, I 30.

Hg. Philipp IL, I 30.

Hg. Philibert IL, I 31. 32.

seine Gemahlin Margare tha I 31.

Hg. Karl III., I 32 ff. 41. 42. 43. 45. 47. 49 L 51. 52. 57 ff. 66. 69 bis 72. 74. 76. 77. 79. 80. 81. 82. 84. 85. 86. 96. 97. 100. loi. 116. 154. 155. 183 191. 193. 195. 197 bis 201 ; II 86. 273. 303. 308.

seine Gemahlin Beatrix von Portugal I 57 L

Hg. Emanuel Philibert, Sohn des vorigen I 58. 59; II 308.

Bastard Rene 1 31. Schaffhausen II 138. 186. 192 194.

197 f. 202. 218 220. 301. 305.

306. Schmalkaldischer Bund I 328. 329.

330; II 115. Schwyz II 307. Sechelles, französ. Protestant II 267.

268. Seluzanus, P., Genfer Geistlicher I 412. Sept, Michel, Genfer Patriot I 60. 144.

211.

J. B. , Sohn des vorigen I 309. 348; II 159. 265. 267. 269. 271. 273. 277.

Servet, Michael (Reves, Villeneuve) I 249. 474; II 146. 167 203. 208.

209. 212. 214. 219. 226 228. 231, 232. 237. 245. 284. 332. 361. Servet, Michael.

sein Vater II 169. Sigismund, deutscher Kaiser I 24. Simon Magus II 193.

Sixtus IV., Papst I 27.

Sleidan, Joh. I 331. 332. 335; II 181.

202. 270. Vgl. auch unter Calvin. Socinus Laelius I 462 ; II 246. Solothurn II 307. Vgl. auch unter

Genf. Somerset, Herzog von I 261. 286. 424.

459- Sorbonne in Paris I 114. 136. 162,

243. 244 f.; II 193. 340. 366. Sorell, Jac, Genfer Geistlicher I 411. Spifame, Jacques Paul, Herr von Passy,

Refugie II 371. 378. Spiritualen s. Libertiner. Stapleton , englischer Schriftsteller II

376. Stephanus, Robert, Refugi^ II 247. Strafsburg I 283. 322. 332. 333. 372.

373- 377- 379-

Rat I 321. 323. 325. 374. 375. 380.

Geistlichkeit I 320. 371. 373. 374. 375. 381; II 172.

fran/ös. Gemeinde I 322 ff.

Schule I 324. 325. Stürler, Berner Ratsherr I 191. Sturm , Joh. , Rektor in Strafsburg I

^ 325- 332. 333; II 333- 334- 339- Sultzer, Geistlicher in Basel, Bern und

wieder in Basel II 173. 181. 193.

220. 223. 225. 250. 251. 270. 294.

298. 302. 305. 307.

Tagaut , J. , Professor an der Genfer

Akademie II 320. TertuUian, Kirchenvater II 171. Textor, Arzt II 383. Theodosius, Kaiser I 272. Thorens, Genfer Protestant I 145. Tillet, Louis du, Freund Calvins I

246. 247. 250. 279. 280. 302. 318. Tissol, Genfer Justizlieutenant II 183.

184. 190. 200. Tosianus, Petrus, prot. Theolog, Freund

Calvins I 468; II 232. Trembley, Herr von, Refugie II 247. Tremellius, Hebraist in Heidelberg II

315- Treppereau, Louis, Genfer Geistlicher

I 411; II 34. 63. Treviso, Protestanten in I 481. Triboulet, Berner Ratsherr I 157. »91.

Register.

401

Trie, Wilhelm, Refugie II 179. 180.

247. Troillet , ehemaliger Mönch, Gegner

Calvins I 401; II 43. 149. 154.

155. 156. 157. 159. 161. 164. 224. TroUiet, savoyischer Vicedom in Genf

I 34-

Trotzendorf, Valentin, Schulmann des 16. Jahrhunderts II ^^2-

Valentinian, Kaiser I 404. Valla, Laurentius II 12S. Vandel, Claude I 40.

Hugues I 78. 102. 304. 305.

Peter I 166. 177. 299. 305. 317;

II 79. 83. 87. 89. 91. 99. 100. 102. 103. 120. 121. 159. 161. 162. 205. 207. 214. 222. 248. 252. 259. 260. 262 264. 271 273.

Robert I 70. 72. 75. 78. 79. 80. 82. loi. 102. 106. 132. 204. 305.

343; II 70.

Thomas I 61. 151.

Vatel, Matth., Geistlicher in Mömpel-

gard I 401. Vau, de la, französ. Refugi6 II 232. Vax, Antonia, angebliche Giftmischerin

I 159 f. 164. Veltwick, Gerhard, kais. Rat I 337. Venedig II 59.

Protestanten in I 480 481. Verey, Herr von, französ. Hauptmann

I 192 f. 194.

Vergerius, Peter Paul, ital. Protestant

II 197. 202. 294.

Versonay, Genfer Familie I 48 ; II 39.

Frangois , Stifter der «Grofsen Schule» zu Genf I 18. 20. 214.

Vicenza, Protestanten in I 481. Vienne, Erzbischof (Alexander de Saint Severin) I 43. 73. loi.

Ebf. Palmier (1528 1554) U 174. •Villard, ein Genfer II 362.

Villegagnon, theo!. Gegner Calvins II

360. Villeneuve s. Servet. Vingle, Pierre, Genfer Buchdrucker I

125. 127. Viret, Pierre I 89. 139. 141. 143. 145.

152. 158. 159. 160. 162. 175. 179.

217. 292. 295. 296. 317. 318. 319.

369- 373- 374. 376. 377- 378. 387- 401. 403. 404. 407. 411. 422. 432. 442. 464. 469. 477. 479. 484. 485. 488. 490. 493; II S. 9. 14. 19. 22.

26. 30. 31. 43. 45. 46. 51. 52. 54.

55. 56. 60. 62. 66. 67. 71. 74. 75.

76. 83. 92. 93. 94. 95. 96. 97. 98.

100. 104 107. III. 114. 121. 122.

124. 144. 156. 157 ff. 160. 176.

205. 206. 208. 209. 212. 222. 223.

225. 234. 235—237. 243. 267. 269.

270. 272. 274. 275. 293. 295. 297.

312. 316 f. 319. 334. 341. 365. 366.

368. 371. 383. 386. Vgl. auch unter

Calvin. Viry, Genfer Adelsfamilie I 14. Volmar, Melchior, Humanist, Lehrer

Calvins I 229. 230. 231. 232. 235.

240; II 267. 318.

IW^aadtland, das bernische II 235 ff.

Geistliche II 235 ff. 315 ff. 320. Waldenser I 322.

Walter, Rud., Professor in Zürich II

14. 227. Werly, Pierre, Genfer Domherr I 131 ff. ;

n 59-

Wiedertäufer (Anabaptisten , Catabap- tisten) I 248. 294 f. 299. 325. 353. 478; II 14. 60. 117. 168. 175.332.

Wildermuth, Bürger von Neuenbuig I iSö.

Worms, Religionsgespräch von 1540

I 332 f. 334- 337- 342. 432. Württemberg, Herzog Christoph I 340;

II 230.

Xainles s. Saintes.

Zanchi, ital. Protestant II 244. Zebedaeus, Andreas, Prediger zu Nyon

I 378; II 237—242. Zerkintes s. Zurkinden. Zürich I 184. 195. 377. 465. 490; II

134. 138. 139. 141. 259. 266. 26S.

270. 275. 295. 301. 302. 305. 306 f.

Rat II 141. 218. 219. 220.

Geistlichkeit I 322. 346. 374. 376.

379; II 134- 138. 139- 141 f. 143- 144. 147. 148. 163. 186. 192 194. 197 f. 202. 209. 215, 216. 218 220. 234. 316. Zwick, Job., Consta'nzer Geistlicher I

323- 324- Zurkinden, Nik., Berner Stadtschreiber

I 359; II 229. 298. 299. 300. Zwingli , Ulrich I 98. 105. 109. III,

112. 113. 235. 252. 257. 274.326;

II 139. 142. 167. 168. 172. 387.

Karapschulte, J. Calvin II.

26

Pierer'sche Hofbuchdruckerei Stt-yban Geibel & Co. in Altenburg.

Date Due

BW6366.K15V.2 ^ .

Johann Calvin : seine Kirche und sein

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