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Beiträge zur alten Geschichte.

In Verbindung mit

J. Beloch, Rom, C. G. Brandis, Berlin, G. Busolt, Göttingen, R. Cagnat, Paris, A. v. Domaszewski, Heidelberg, F. K. Ginzel, Berlin, F. Hiller v. Gaertringen, Berlin, F. Haverfield, Oxford, Chr. Hülsen, Rom, E. Kornemann, Giessen, J. Kromayer, Czernowitz, P. M. Meyer, Berlin, B. Niese, Marburg, E. Pais, Neapel, R. Pöhlmann, München, M. Rostowzew, St. Petersburg, R. v. Scala, Innsbruck, O. Seeck, Greifswald, K. Sethe, Göttingen, G. Steindorff, Leipzig, H. Swoboda, Prag, C. Wachsmuth, Leipzig und Anderen

herausgegeben von

C. F. Lehmann,

a. o. Professor der alten Gebchiclite an der Universität Berlin.

Erster Band.

Leipzig

D i e t e r i c h ' s c h e Ve r I a g s b u c h li a n d 1 u n £

Tlieodor Weicher

190 1.

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BEITRÄGE ZUR ALTEN GESCHICHTE.

In Verbindung mit

J. Beloch, Rom, C. G. Brandis, Berlin, G. Busolt, Göttingen, R. Cagnat, Paris. A. v. Domaszewski, Heidelberg, F. K. Ginzel, Berlin, F. Hiller v. Gaertringen, Berlin, F. Haverfield, Oxford, Chr. Hülsen, Rom, E. Kornemann, Giessen, J. Kromayer, Czernowitz, P. M. Meyer, Berlin. B. Niese , Marburg , E. Pais , Neai)el , R. Pöhlmann , München, M. Rostowzew, St. Petersburg, R. v. Scala, Innsbruck, O. Seeck, Greifswald, K. Sethe, Göttingen, G. SteindorfF, Leipzig, H. Swoboda, Prag, C. Wachsmuth, Leipzig und Anderen

herausgegeben von

C. F. Lehmann,

a. o. Professor der alten Geschichte an der Universität Berlin.

Erster Band.

Leipzig

Dieterich'sche Verlagsbuchhandlun«

Theodor Weicher 1902.

INHALT.

Seite

BELOCB, J.. Zur Geschichte des pyrrhischeu Krieges 282—288

Die Schlacht bei Kos 28'J— 2it4

Die attischen Archonten im III. Jahrhundert 401 423

(»IXZEL. F. K., Die astronomischen Kenntnisse der Babylonier und ihre kulturhistorisclie Bedeutung.

I. Der gestirnte Himmel bei den Babyloniern und der baby- lonische Ursprung der Mondstationen. (Mit einer Karte.) . . 1 25

II. Sonnen- und Mondlauf und Gang der Gestirne nach baby- lonischer Kenntnis und deren Einfluss auf die griechische Astronomie 189—211

III. Der mutmassliehe Entwicklungsgang der liabylonischen Astronomie 349—380

HILLER VON GAERTKINGEN, F., Die Götterkulte von Thera .... 212-227

HOLZAPFEL, L., Die drei ältesten römischen Tribus 228—25.5

KORNEMANN, E., Zur Geschichte der antiken Herrscherkulte 61—146

Die Zahl der gallischen civitates in der römischen Kaiserzeit 331 34>^

LEHMANN, C. F., Die historische Semiramis und Herodot 256 281

Übel die Beziehungen zwischen Zeit- und Raummessung im

babylonischen Sexagesimalsystem 381 400

MEYER. P. M., Zum Ursprung des Colonats 424—426

MÜNZER, F., Die Entstehung der Historien des Tacitus 300—330

PRASEK, J. V., Die ersten Jahre Dareios' des Hystaspiden und der alt- persische Kalender 26 50

RAPPAPORT, B., Hat Zosimus I. c. 1—46 die Chronik des Dexippus

benutzt V 427—442

REGLING, K., Zur historischen Geographie des mesopotamischen Parallelo- gramms. (Mit einer Karte.) 443 476

KOSTOVVZEW, M., Der Ursprung des Colonats 295—299

SEECK, O., Deeemprimat und Dekaprotie 147-188

MITTEILUNGEN l'ND NACHEK HTEX.

GAROFALO, F. 1'., Quaestiunculae 479—481

LEHMANN, C;. F., Nachträgliches zur historischen Semiramis 481

Zur Entstehung des Sexagesimalsystems und des sexagesimalen

babylonischen Längenmaasses 481 489

.MEYER, P. M., Praefecti Aegypti unter Commodus 477 478

Sonstiges 489

Namen- und Sachverzeichnis (K. KEGLIXG) 490—508

Die astronomischen Kenntnisse der Babylonier und ihre kulturhistorische Bedeutung. .

(3Iit einer Karte.)

Von F. K. Ginzel.

Über die astrononiisclien Kenntnisse der Babylonier war in älterer Zeit nur das AVenige bekannt, was sich auf die zienüicli dürftigen Nach- ricliten der griecliischen und lateinisclien Scliriftsteller stützte. Ideler hat das Verdienst, diese Nacliricliten in seiner, in manclier Hinsiclit auch lieute noch lesenswerten Abhandlung „Über die Sternkunde der Chaldäer'") zusamraengefasst zu haben. Namentlich sind seine über die Methoden der Zeitbestimmung der babylonischen Astronomen gegebenen Notizen be- merkenswert; der Hauptzweck seiner Abhandlung war aber die Ver- gleichung der ersten 7 von den 19 Mondfinsternissen des Almagest mit der Rechnung auf (Trund der ZAcn'schen Sonnen- und MAYER'schen Mond- tafeln. Die Ideler'sche Arbeit blieb bis nach 1870 die Quelle für das Kapitel der babylonischen Astronomie in den Werken über die CTeschichte der Astronomie. Bei Mädler (1873) ■-) ist das astronomische AVissen der Babylonier wenigstens noch in einem besonderen Kapitel untergebracht, und in den folgenden Worten dieses Autors liegt eine Vorahnung von der Möglichkeit einer Unterschätzung der babylonischen Astronomie: ..AVenn wir gewahren, dass (-rriechenlands Philosophen, um sich zu unter- richten, sich fast immer nach Ägypten, nie nach Babylon wandten, so ist daraus allein noch kein Schluss auf die Inferiorität der chaldäischeu Himmelsforschung gegenüber der ägyptischen zu ziehen. Das ferne dem AA^eltverkehr entrückte Babylon aufzusuchen, war mit Mühen und Ge- fahren verbunden." Bei AA'olf (1877)-') dagegen werden die Babylonier nicht einmal eines besonderen Kapitels gewürdigt, obwohl damals schon einige bedeutsame Forschungsergebnisse von Opfert und S.\yce vorlagen, sondern mit einigen wenigen in das erste Buch eingestreuten Bemerkungen

1) Abhandl. d. Berlin. Akad. d. W. Hist. phil. Klasse 1814—15.

2) Geschichte d. Himmelskuude. I. Bd. 20—26.

3) Geschichte der Astronomie.

Beiträge z. alten Geschichte I. 1

2 F. K. ainzd,

abgefunden. "Weim wir dort den Satz lesen'), dass die Babj-lonier. Cliinesen und Ägypter sich damit begnügt hätten „einzelne Erfahrungen zu sammeln , gewisse Perioden festzustellen" , sich bei ihnen aber kaum Spuren von ii-gend welchem wissenschaftlichen Systeme fänden (\\'()lf meint Ansichten über das Weltsystem), so sind wii- heute den Babyloniern sehr dankbar, dass sie uns keine Schriften über das Weltsystem wie die Griechen, wohl aber ein durchdachtes System astronomischer Berechnung und wertvolle Beobachtungen hinterlassen haben. Von den Mathematikern hat namentlich M. Cantoe das hohe Alter der babylonischen Astronomie klar erkannt , da er schon aus den bis 1880 bekannt gewordenen Forschungen auf die Thatsache schloss. „dass wahrscheinlich mehi-ere Tausend Jahre vor Alexander eine babylonische Astronomie bestand, und dass es unter allen Umständen schon zur Zeit des König Sargon (1700 v. Chi-.) eine beobachtende Sternkunde der Babylonier gab."-) Die ersten Übersetzungen von Keilsclii-ifttafeln astronomischen Inhalts gaben 1874 Bosanquet und A. H. Satce.^) Von denselben wui'de der keilsclu-iftlich auf sehr alten Tafeln vermerkte Stern Ashkar (auch Dilgan [sumer.] = Ihi [assjT.]) 1879 mit Capeila (a Aurigae), 1880 der auf einer babylonischen Planisphäre (welche melu-ere Sternbilder zeigt) aus der Bibliothek Sardanapals vermerkte Stern Siöziana mit Arktur identifiziert^); ausserdem wiesen sie das Vorhandensein von Venusbeobachtungen (Auf- tauchen und Verschwinden in den Sonnenstrahlen) in sehr alter Zeit, V 0 r Sargon zurückreichend, nach. =) 1886 erregte die Frage der Identi- fizierung des Sternes Kakkab misri lebhafte Diskussion (hierüber später), und seither war die Litteratur über die Astronomie der Babylonier im steten "\\'achsen begi-iö'en. Besonders haben sich Jensex, Epping, Homslel, letzterer namentlich durch die Untersuchung der sogenannten „Grenz- steine", mit der babylonischen Kenntnis des Sternhimmels und des Tier- kreises beschäftigt; 1889 hat Epping mittelst seines Buches „Astronomisches aus Babylon" der Aufklärung der bab3ionischen Rechnungsschemata über den Mondlauf die Bahn gebrochen, und Kugler hat neuest ens diese Forschungen ganz wesentlich erweitert.

Die gewonnenen Ergebnisse haben bisher nui* teilweise eine zu- sammenfassende Darstellimg erfahren. Wenn ich an eine solche astro- nomisch-historische Arbeit herangetreten bin, so hat mich dazu besonders die Erwägung geleitet, dass der grössere Teil der hier zu behandelnden Forschungsergebnisse sowohl den HLstoi-ikern wie meinen astronomischen

1) S. 23.

2) Vorlesungen über Geschichte d. Mathem. I. Bd. (1880) S. 81.

3) The Astron. aud Astrology of the Babylonians. (Transact. of the Society of Biblic. Archaeology vol. III part. 1.

4) Monthly Notices of the Roy. Astr. Soc. XXXIX 454. XL 119.

5) A. a. O. XL 5(i5 578.

Die astro>iomisr]trn KoDitnift.tfl der liahiflonier. I. 3

Facligenossen weniger bekannt sein wird, und also diese Abhandlung dax.u beitragen kann, der babylonischen Astronomie zu dem Platze zu verhelfen, welcher ihr jetzt in der Geschichte der Astronomie gebührt. Ich habe mich ausserdem nicht blos auf die Darstellung des rein Astronomischen beschränkt, sondern auch die historischen Beziehungen berührt, welche z^^^schen der Astronomie der Babylonier und jener der Griechen, Araber und Inder sichtbar sind; freilich sind die Thatsachen, welche hier den Boden bilden, gegenwärtig erst lückenhaft bekannt, aber ein Versuch, den Gegenstand zu skizzieren und aus dem (-fanzen den ver- mutlichen Eut wickelungsgang der babylonischen Astronomie abzuleiten, wird den Historikern wie Astronomen nelleicht nicht unwillkommen sein. Den verschiedenen Streitfragen, die dabei auftauchen, namentlich den sprachlichen Erörterungen über die Deutung der Namen der Sterne und Tierkreiszeichen u. dgl. stehe ich als Astronom .selbstverständlich voll- kommen unparteiisch gegenüber, ich habe deshalb an einzelnen Stellen verschiedenerlei :Meinungen angeführt. Die Abhandlung, welche also wie gesagt, die Forschungsergebnisse möglichst kiu'z zusammenfassen soll, zer- fällt den gemachten Bemerkungen zufolge in 3 Teile:

I. Der gestirnte Himmel bei den Babyloniern und der babylonische Ursprung der Mondstationen.

II. Sonnen- und Mondlauf und Gang der Gestirne nach babylonischer Kenntnis und deren Einfluss auf die gi-iechische Astronomie.

III. Der mutmassliche Entwickelungsgang der babylonischen Astro- nomie.

I. Der gestirnte Himmel bei den Babyloniern nnd der babylonische Ursprung der Moudstationen. Nach Jensen, Hommel u. A. hat man folgende, aus astrologischen und religiösen Argumenten entsprungene Teilung des Himmels bei den Baby- loniern anzunehmen : Musir-sadda {Musir-kMn) ist der Nordpol (Joch des Himmels) der Ekliptik (geweiht dem Gotte Ann = Himmel); als Gegenpunkt. Südpol, ist nach Jensex der £a-Stern (= r, Ai'gus) zu betrachten»), womit sich Hommel-) nicht einverstanden erklärt. Die drei Regionen des Himmels, welche vom Nordpol ausgehen, sind nach Homjiels Darstellung: die Region des Anu (Beherrscher des Himmels), etwa den Stier, die Zwillinge, Krebs und Löwe umfassend, und beginnend mit Aldebaran; die Region des Bei (Sohn des Anu) [neileicht auch im gr. und kl. Bären lokalisiert ?], begi-eifend Löwe, Jungfrau, ^^'age und Skorpion ; die Region

1) Die Kosmologie der Babylonier. 1890. 25—28.

2) .Ausland' Jahrg. 1892 (Die Astron. der alten Chaldäer.) Der Stern r\ Argiis stand 2000 v. Chr. um fast 20" nördlicher als gegenwärtig und konnte für die Breite von Babvlon eine MaximalhOhe über dem Horizonte von etwa 18" erreichen.

1*

4 F. K. Ginzcl,

des Ea (Gottes der (Tewässer) vom Schützen bis Widder (Wasserregioii). Die Milchstrasse mit ilireii beiden Verzweigungen wird als Euphrat und Tigris aufgefasst. ')

Die Sterne (Stern = assyr. kal-hihu = sumerisch mul) erscheinen in den babjionischen Inschi'iften unter melireren zusammenfassenden Bezeicli- nungen, als ZM-j«(w<-Sterne, tikpiSi*^r\\e. Die ersteren sind sieben an der Zahl und werden oft in den Inschriften, selbst schon im babjionischen Schüiifungsberichte genannt. Bisher haben die Identitizierungsversuche der 7 J/oÄi-Sterne folgendes ergeben: 1. ÄM^j-Stern {= „der Greis, der Alte, der Scheich"), nach Hommkl und Jensen'-) der Orion. 2. L-ü oder i'a-oÄ?t-Stern. (Der £"0- Vogel, Adler = Atair \at-tdir\ = der fliegende.) 3. Sib- 2«a«o-Stern (= „Treuer Hüter des Himmels"), nach Jensen der Eegulus'*), nach HoMMKL und Epping entweder ;• Gemin. oder a Orionis. 4. Kak^idi = Kukkab nuh-'i („Lanzenstern, nördliche Waffe"). Erwähnt in einem Be- richte Tiglatpilesers I (1100 v. Chr., resp. nach C. F. Lehmann, „Zwei Hauptprobleme der altorientalischen Chronologie und ihre Lösung" um 1000 V. Chr.) und auf Grund verschiedener von einander abweichender Übersetzungen und Deutungen identifiziert von Jensen mit dem Antares, Opfert mit dem „Nordstern" {a Dracon.), Halevt mit dem Sü'ius, Mahler ebenfalls mit diesem, von Abchenhold mit y Crucis, und von Hommel mit dem Procj'on.*) 5. Kakkah in-tinunna-bar-Sigga (..Schwanzstern"), auch Haba- siranu genannt, nach Hommel wahrscheinlich « Cygni (Deneb = Schwanz). 6. Ud-ka-gab-a („Die den Rachen üftiiende Bestie"). Ort unbestimmt; nach Hommel südlich vom Orion im Hasen oder im Einhorn. 7. Stern Pa-bü-sag (?). Nach Hommel in der -ßa-Region zu suchen (Mira Ceti oder zwischen n Sagittarü und & Ophiuchi ?). Diese 7 x¥ai«-Sterne hat man nach Jensen^) als Ekliptikalsterne zu betrachten, sie müssen sämtlich in der Nähe der Ekliptik stehen, da es in verschiedenen Inschriften heisst, dass Merkur, Venus oder Mars sich denselben nähern und an ihnen vorbei gehen; diese Sterne hatten wahrscheinlich für die babylonische Astrologie eine besondere Bedeutung. Die ^'Äy^Sterne hat bisher Hommel allein zu identifizieren versucht. Es sind folgende : Gam oder zuL („Waffe des Merodach") = ß und s Taui'i; der „Stern des Königs" = a Leonis; „Vogel Strinnu^' = Rabe, südlich der Jungfi-au ; der Stern „ka-cir-m'-nafi"

1) Überhaupt bildet der Himmel ein zweites chaldäisches Land. Der Polstern ist das Joch des Himmels und Jupiter der Planet des „Lichtstiers" (= Sonne). Die Sonne zieht auf ihrer Bahn die „Furche des Himmels' (^ Ekliptik). Die Milchstrasse erscheint auch unter dem Begriff , Hirtenzelt' (daher der Begriff „Himmelszelt").

2) Ausland 1892 [b) die himashi- und ijÄ^t-SterneJ, Kosniolüg. 47.

3) Kosmol. 36; Zeitschr. f. Assyr. I 266.

4) Kosmol. 49—54. Zeitschr. f. Assyr. I 244; I 435; Journ. asiatique VIII ser. t. Vni; Sitzuugsber. d. Wien. Akad. d. W. Bd. 95 p. 299 und Zeitschr. f. Assyr. II 219, U 439; .Ausland« a. a. 0.

5) Kosmol. 55.

Dir (isIrnnoiinscJiiii Kniuitnisso der BahifJonicr. T. h

(l'llanzeiiiiaiiu' : Alirr ?) = ■.( \ir;;inis; der .,8t('ni des /i-rnstniiiicntcs" (Wage ?); der „Stern der Sclilange" = a Serpeiitis; der „Stern n(-dar-^ (Stern des Gottes Ni-dar) = /:?, ö Scorpii ; „Stern der erhabenen Herrin" = im Schützen ; der „Stern des Köni<rs" (zu untersclieiden von a Leonis) im Scliützen; der „Stern Zalbudänu'' (sonst der Name für Saturn) eben- falls im Schützen ; der „Stern Allul' (Netz, Schildkröte ?) = Delphin (?) ; „Fuchsstern" {lul-d) = AVassernuinn oder Fische ; die „Schwalbe"', zwischen dem Schwänze des Skorpions und dem Adler an der Teilungsstelle der Milclistrasse.

Von den übrigen helleren Sternen abgesehen von den sogleich zur Erwähnung kommenden Sternen der Tierkreiszeichen sind bis jetzt auf bab5'lonischeu Insduüften etwa folgende erkannt worden: Der „Stern der Grundlage" = Plejaden ; der nfflcÄ-ate-Stern = Wagen (grosser Bär); der mar-ijidda-^i^rw = ..Lastwagenstern" (kleiner Bär) [Hommel]; kak-ban = Sirius [Epping')]. Merkwürdiger Weise haben zwei der hellsten Sterne noch nicht identifiziert werden können : Arktm- (vermutet wird (jish-a-ru) und Wega („Stern der schwangeren Frau"??).

Der Gebrauch der zwölf Tierkreiszeichen in der babylonischen Astro- nomie ist nahezu gleichzeitig von Epping-) für die Arsacidenzeit (3. Jahrh. V. Chr.) und von Jensen^) für die alte Zeit nachgewiesen worden u. z. von Epping auf rechnerischem Wege durch Untersuchung der auf mehreren babylonischen Tafeln angegebenen Planetenstände in den Stern- gruppen, und von Jensen mittelst sprachlicher Analyse der in vielen In- schriften und Cylindern gleichniässig wiederkehrenden Namen von Sternen, allerdings hinsichtlich einiger Zodiakalzeichen weniger erfolgreich. Ich gebe hier die Namen der Zeichen nach Epping, mit der verbesserten Lesung von Jensen, die Ausdehnung der Zeichen in der Ekliptik nach Epping, sowie die Zusätze für die Bedeutung der Namen, welche EoB. Brown*) angegeben hat:

1. ku = Widder, ku = Abkürzung von I-ku = „der Vordere", oder „Leitstern des Jahres" ; hiermit übereinstimmend .Jensens Lesung Mim = „Vorderschaf" = „Leitschaf". 3.58» bis 18" der Ekliptik.

2. te-ie = Stier (te sumerische Bezeichnung.) = G UD-an-na (..Himmels- stier") nacli .Jensen. Der Hauptstern Aldebaran heisst bei Epping GIS-Da = pidnu (= „Stier oder Krieger des Himmels"). 26"— 47<*.

3. mas-moMi = Zwülinge. Sumer. mas-tab-ba [.Jensen], assjT. = Tuämu (rabüti) = die grossen Zwillinge. Von 61 85".

4. natigaru = Krebs. Eichtige Bezeichnung nach Jensen Pulukka

1) Astron. a. Babyl. 150, 151.

2) Daselbst, 148, 170.

3) Kosmol. 59—82, 310.

4) Remarks on the Euphratean astron. names of the signs of the Zodiac (Proceed. of the Soc. of Biblic. Archaeol. vol. XIII 246—271).

6 F. K. Ginzcl,

(Krelis?) Das Wort für Krebs im Sumerischen resp. AssjTiscben ist nicht bekannt; aber auf babylonischen Grenzsteinen findet man öfters über einem Altar eine Schildkröte abgebildet. Brown liest has = „Teilung" (Colm-kreis der Solstitien?) Von 89—113".

5. o = Löwe, a := Abkürzung von arü = „Löwe". Von 111 148".

(5. Ui = Jungfi'au. Nach Jensen absfnu und sir'u (ii-gend eine Be- ziehung zu „Korn" , „Halm" , „Älu-e"). Ohne Zweifel gehen diese Namen auf die (griechische) Darstellung der Ähre in der Hand der .Tungfi-au ziu-ück. Brown setzt ki = asru. einer Bezeichnung für ..ilondstation" , der ersten chinesischen Mondstation kio = a Virgin. (Spica) entsprechend. Von 152 174".

7. 7itini (?) = Wage = Zi'bänitu, gleichwertig der arabischen Be- zeichnung „Scheere des Skorjjions". Hiermit deckt sich die Bezeichmmg z'/^"' = Scheereu des Skorpions, bei Aratus. Von 177—203».

8. akrabu = Skorpion = sum. Gir-tab (der Angreifer, der Stechende). Von 213—216".

9. pa (oder hvt) = Schütze, pa eine Abkürzung für den oben schon luiter den ^!w«a6«-Sternen augeführten Stern „pa-bä-soß" = ..der ge- flügelte Feuerbringer" ; hut = ..der Bringer des Tages , Tagesan- fanges." Von 232—262".

10. ialm = Steinbock. Eigentliche Bedeutimg ist „Ziegenlisch" (SuMru- Fisch mit Enzu = Ziege als Kopf), nämlich eine (auf Siegel- Cylindern bisweilen abgebildete) Ziegengestalt mit Fischschwanz. Von 270—294».

11. gu = '\^■assermanu. Die Bedeutung von ffu (assyr. kd) ist imbe- kanut, vermutlich = „Gefäss (oder Urne)" des Wassermanns (Amphora). Von 298—314».

12. zib = Fische (zib = ..Himmelsmarke, Ordnung, Endezeiclien"), oder nünu := „Fisch (des Ea)". Auch das „Fischband" (dur nünu) lässt sich in Inschriften nachweisen. Von 314 0».

Diese Bevölkerung des Tierkreises uüt Gestalten hat sich bei den Babyloniern allmählich, luiter dem Einflüsse der Astrologie, religiöser und kosmogonischer Legenden, ausgebildet. Die Namen lassen hierüber keinen Zweifel. So sind Skorpion, Ziegenfisch, Fische und Widder in der „Wasserregion" (Za-Eegiou) personifiziert, weil in der Tea»n<rf-Legende (tiäinat = das Meer) ein Skorpionmensch, Fischmensch, Ziegenfisch und ^^'idder zu den Helfern des Meeres gehören. Manche Zeichen sollen Be- ziehungen zu den Jahi-eszeiten ausdrücken. So der „Löwe" die Hitze des Sommers, die „Amphora" die wasserreiche Zeit des Winters, „Jung- ft-au" die ^eit des in Ent\rickelung (in Ähren) stehenden Korns be- zeichnen. Diese Beziehungen lassen auch einen Schluss darüber zu , um welche Zeit einzelne Zodiakalzeichen eingeführt worden sein können.

Die ustrnmmüschen Kcnufimstt der Babi/lonicr. I. 7

Für „Juiifjfniu" iiiiimit Jknskn 'MHH) lOOU v. Chr. an ; Liiwc, Skor|iioii und Stier sind an den Himmel verj)tianzt worden zu einer Zeit, wo der Frülilingsininkt im Stier lag (8000 v. Chr.). Mit den Zodiakalzeicheu und überhaupt mit den Sternbildern sind im Laufe der Zeit mancherlei Änderungen vorgenommeu worden. So haben Stier und Pagasus ursprüng- lich ein Sternbild gebildet uiul zwischen beide ist später der Widder eingeschoben') worden. Eben.so stellten einst Wage, Skorpion und Schütze ein Sternbild dar, und die Scheereu des Skorpions reichten bis in das Gebiet der Wage hinein. (Näheres über Jensens Vernmtungen s. dessen „Kosmologie" S. 88 9;^, 815 320, 498 502.) Wegen dieser mit der Zeit in den Inschriften wechselnden Darstelhuigen lassen sich die Angaben über die Sternbilder aus der älteren Zeit nur schwierig mit denen jüngeren Datums, z. B. Eppings aus der Arsacidenzeit, vergleichen. Aus Jensens und Eppings Untersuchungen lässt sich im (Tanzen schliessen, dass von den bei den Griechen beschriebenen Tierkreisbildern, wie die keilschriftlich vermerkten Namen zeigen, in der älteren Zeit mindestens die Hälfte vorhanden waren und Spuren der später eingeführten vor- kommen, imd dass die sämtlichen Zodiakalzeichen in der bab^ylonischen Astrologie (und Astronomie) ihren Ursprung haben. Diese Annahme eines hohen Alters des Tierkreises erhält aber noch eine ganz wesentliche Stütze durch die Untersuchungen HojrMET.s an altbab\ionischen Grenz- steinen, welche wir jetzt erwähnen müssen.

Schon 1891 fand Hommel*) aus der Vergleicliung der Sternbilder, die auf acht dem 12. Jalirh. v. Chr. angehörenden (Trenzsteinen sichtbar sind, dass auf diesen Steinen gemeinsam folgende Darstellungen vor- kommen: der Stier (mit einem Sj'mbol), die Zwillinge (zwei auf einem Hals sitzende Drachenköpfe , oder auch nur e i n solcher Kopf), zwischen letzteren die Spindel (Streitkolben), der Hund (späterer Löwe), die Alu-e, mit oder ohne einer darunter liegenden Kuh (später das Tierkreiszeichen Jungfrau), das Joch (bezw. Wage), der Skorpion, der Skorpioumensch mit dem Bogen (Schütze) [oder statt dessen nur der Pfeü, oder die die Milch- strasse symbolisierende grosse Schlange], der Ziegentisch (bezw. Schild- kröte) (der spätere Steinbock), ein Kohlenbecken oder Schmelztiegel (Amphora), der schreitende Vogel (manchmal ein Pferdekopf), der "Widder mit Zelt und Symbol. "\"or Kurzen hat Hommel '■*) eine nochmalige Unter- suchung seines gegen früher er\\-eiterten Materials, nämlich von 14 (rrenz-

1) Der Name , Vorderschaf' , .Leithammel" für den Widder deutet darauf hin, dass die Einführung zu einer Zeit ge'schah, wo die Sonne zur Zeit der Frühjahrs-Tag- und Nachtgleiche in den Widder trat, also von da ab der Widder das vorderste Zodia- kalzeichen bilden konnte.

2) „Ausland" 1891 (I. Der Tierkreis), 1892 (U. Die Planeten und Nachträgliches zum Tierkreis).

3) Aufsätze u. Abhandlungen II 1900 (No. 7: Der Ursprung des Tierkreises).

8 F. K. Ginzcl,

steinen aus der Zeit zwischen etwa 1170 bis 700 v. Chr. und des „black stone" aus den Ruinen von Susa (Loftus: Travels and researches in Chaldaea and Susiana, 1857) vorgenommen. Das Zeitalter dieser Steine ist aus dem Umstände bekannt , dass auf denselben meist das Jahr des betreffenden Königs angegeben ist '). Die Wage ist auf ö dieser Steine angebracht, auf No. 3, 4, 1 (?) auch in älterer an das Stierjoch erinnern- der Form; den Skorpion und die Lampe (Amphora) haben lU Steine; den Schützen 3 als Skorpionmenschen, 4 als Pfeil, bei No. 3, 9, 18 fehlt er; die Fisch z lege erscheint auf No. 3, 6, 7, 9, 13, auf No. 3 mit Schildkröte, dagegen in No. 1, 4, 5, 8 die Schildkröte allein; der schreitende Vogel tii\det sich auf 7 Steinen , in No. 1 statt dessen ein Fuchs, in No. 4 ein Pferdekopf; die grosse Schlange als Emblem der Milchstrasse fehlt auf keinem der vorgenannten Steine. Die Ähre haben 12 Steine, zweimal mit darimter liegender Kuh; den Hund 10 Steine; die Zwillinge (Zwillingsdi-achen , Löwen- und Geierköpfe) und den Streitkolben die meisten, in verschiedenen Varianten ; ferner die aus Gehäusen schauenden Stier- und W i d d e r d ä m o n e mit darüber angebrachten variierenden Symbolen auf 11 Steinen. Endlich bisweilen ein auf einer Stange sitzender E a b e , von Hommel schon früher als Symbol des 13. oder Schaltmonats gedeutet. Demnach hatte um 1150 V. Chr. bei den Babyloniern der Tierkreis schon die folgenden 12 Zeichen: Widder, Stier, Zwillinge, Streitkolben, Hund, Ähre, Joch ( W a g e) , S k o r p i o n , S c h ü t z e , F i s c h z i e g e (S t e i n - bock), Öllampe (Amphora), W a s s e r h u h n. Da uns die Bilder nahezu vollständig schon auf den ältesten der 14 Steine entgegentreten, so ist die Annahme berechtigt, dass ihre Entstehung in der babylonischen Astrologie und Mythologie noch weit vor das 12. Jahrh. v. Chr. zurück- reicht. Dies ist in der That der Fall, denn bei der Nennung der Bilder, die der König Ayu-kak-rimi (1600 v. Chr.) im Merodachtenipel Esagilla aufstellen liess, begegnen wii- schon mindestens 9 der obigen auf den Zodiakus Beziehung nehmenden Namen, und im dritten Gesänge des baby-

1) Diese Grenzsteine mögen in Kürze hier angeführt werden: 1. Brit. Mus. 103, aus der Zeit der Kassitenkönige Adud-Sum-idina , Ädad-nädin-achi und Mcli-Sipak (1190-1140 V. Chr.). 2. Brit. Mus. 101, aus der Zeit MeU-iipa¥s (c. 1155-1140 v. Chr.). 3. Brit. Mus. 99. Zeit Marduk-ahaUdlna's I. (e. 1140—1127 v. Chr.). 4. Brit. Mus. 100. Zeit Ncbukadneznr's I. (e. 1100 v. Chr.). 5. Brit. Mus. 106, Zeit c. 1100 v. Chr. 6. Caillou Michaux Paris, Zeit c. 1100 v. Chr. 7. Brit. Mus. 105, Zeit 10. Jahr Mar- duk-nädin-achi's (c. 1050 v. Chr.). 8. Brit. Mus. 102, Zeit Nabü-ukin-abli's (c. 910 V. Chr.). 9. Beri. Mus. Zeit 8. Jahr Nabü-siima-iikuu's I. (c. 900 v. Chr.). 10. Brit. Mus. 12051. Zeit 20. Jahr Nabü-bal-idina's (e. 860 v. Chr.). 11. Berl. Mus. V A 208. Zeit 28. Jahr Nabü-bal-idina's und 11. Jahr 3Iarduk-iim-idina's (c. 850—835 v. Chr.). 12. Beri. Mus. V A 202. Zeit 1. Jahr Sargons (721 v. Chr.). 13. Beri. Mus. Der Merodach-baladan-Stein. 7. Jahr Marduk-bal-idina's II (715 v. Chr.). 14. Berl. Mus. VA 211, Fragment.

Dil' (istronomi.tcheu Kviuitm'ssc der Bahi/Joninr. T. 9

Idiiisclifii Wt'ltscliöiifmifrsi'iKis tivteii i^liciifalls ciin' Anzalil soIcIut Naiin'ii für mytliisclie ^^'esen auf.') Abjreselieu von der Darstt'llmiff der Tier- kreiszeiflieii auf den Grenzsteinen'), lassen auch altbabylonische Sie<rel- cylinder einzelne (\vy Tierkreisembleme als religiöse Synibtile erkennen ; nicht zu gedenken verscliiedeuer mythologischer Beziehungen zwischen den Göttern und manchen Tieren des Zodiakus, woriibcr bei IIummi,!, und Jensen Vieles bemerkt ist, was auseinanderzusetzen uns hier zu weil führen würde.

Die Ergebnisse Jensens, Hommels und Eppings betreffs des hohen Alters des Tierkreises und der Sternbilder bei den Babyloniern . stellen uns gleich vor die namentlich früher und selbst bis in neuere Zeit dis- kutierte Streitfrage, ob etwa nicht die Babylonier, sondern die (-iriechen die Erfinder dieser Art der Himmelsdarstellung sein könnten. Bei Homer werden die Plejaden. Hyaden, der grosse Bär, Orion, Bootes und Sirius erwälmt, von denen die drei erstgenannten jedenfalls zu den ältesten Sternbildern zu zählen sind. Der Name Arktur kommt bei Hbsiod (8. Jahrh. V. Chr.) zuerst vor und bezeichnet, was später das ganze Sternbild aus- drückte, den Bärenhüter (Arktophylax). Den Stier kennen Homer und Hesiod noch lücht. Den Sirius verbindet schon Homer mit dem Orion und nennt ihn Orions Hund. Die Jungfrau soll nach Eratosthenes , (termanicüs und Hyginus schon bei Hesiod unter dem Namen Dike angeführt sein. '*) Etwa Anfang des 6. Jahrh. v. Chr. wird der kleine Bär genannt (zuerst bei Thales?). Pindar (um 560 v. Clu-.) kennt den Pegasus und Wassermann, Pherectdes den Drachen und die Krone. Um die Zeit AxAKREttNs (540 v. Chr.) scheint Bootes ziemlich allgemein gekannt worden zu sein, und etwa um dieselbe Zeit auch Widder, Schütze und Ziege (wahrscheinlich von Kleostkatus aus Tenedos benannt). Euripides (um 480 V. Chr.) nennt die Zwillinge, den Hasen, Adler, Cephens, die Cassio- peja, Andromeda, den Perseus(?), Euktemon und Demokrit (460 429

1) Nach HoMMF.i. die 11 Namen der Helfer (Ungeheuer, welche Tiämat , der grossen Urwasserschlange, beim Kampfe gegen Gott Merodach halfen) , die nach ihrer Begnadigung als Sternbilder an den Himmel versetzt wurden (a. a. O. 265, 266).

2) Da die Grenzsteine Urkunden vorstellen, welche den Abschluss eines Rechts- gesehäftes enthalten, so hat C. F. Lehmann die Vermutung ausgesprochen (Zeitschr. f. Assyr. X 383), dass die auf den Steinen vermerkten Sternbilder vielleicht bestimmte Konstellationen darstellen, wie sie zur Zeit der Abfassung der Urkunde wirklich am Himmel beobachtet wurden , und so gewissermassen das Datum der Urkunde angeben sollen. Diese Vermutung miisste durch rechnerische Rekonstruktion des Himmels der damaligen Zeit und Einführung mehrerer Hypothesen geprüft werden. Betreff des In- haltes der auf den Grenzsteinen vermerkten Käufe, Besitzzusprechungen u. s. w. findet man zahlreiche Beispiele in F. E. P. iskr, , Keilschriftliche Aktenstücke aus babyl. Städten' 1889 und .Texte Jurist, u. geschäftl. Inhalts* (Keilschr. Biblioth. IV) 1896.

3) J. K. ScHAUiiACH, Geschichte d. griech. Astronomie 1802. p. 23.

10 F. K. (rinzrl

V. Clir.) ci'walnieii die Leyer und den Pfeil.') Die bekannte (iestirn- Itesclireibung: von Aratus (278 v. Chr.) fusst hauptsächlich auf den Über- lieferungen des EuDoxus (409 356 v. Chr.) und nennt bereits folgende Sternbilder: Grosser und kleiner Bär, Drache, Cepheus, Engonasin (der auf den Knien Liegende, der spätere Herkules), Krone, Schlangenträger, Skorpion, Bootes, Jungfi'au, Zwillinge, Krebs, Löwe, Fuhrmann, Stier, Cassiopeja, Andi-omeda, Pegasus, AMdäer, Triangel, Fische. Perseus, Leyer, Schwan, Wassermann, Steinbock, Schütze, Pfeil, Adler, Delphin, Orion, gr. Hund, Hase, Schiff, Walfisch, Eridanus, südliche Krone und Fische, Altar, Centam-, Wolf, Wasserschlange mit Becher, Eabe luid kl. Hund. Zu Hipp.vRCHs Zeiten war nicht viel mehr, 12 Zodiakalzeichen, 21 nörd- liche und 15 südliche Sternbilder bekannt.

Einzebie der griechischen Sternbilder waren betreffs ihrer Herkunft schon fi-üheren Forschern verdächtig. So war ScHAtJBACH '') bezüglich des Cepheus der Meinung, dass sowohl dieses Sternbild wie der darauf be- zügliche Mythus orientalischen Ursprungs sein könnte: auch den Krebs hielt er für kein altes Sternbild, auffällig fand er den Umstand, dass der Fuhrmann vor Abatus nicht erwähnt \\'ii'd, und dass die Einfülmmg des Stiers auf den Orient (Ägji)ten?) hinzuweisen scheine, sowie, dass Fische, Steinbock und Wassermann orientalischer Herkunft sein dürften. Abgesehen von seiner Abneigung gegen den Gedanken, einem anderen Volke als den Griechen die Begründung der Astronomie zuschreiben zu sollen, war er auch damals (1802) noch sachlich in seinen Ausführungen (die sich besonders gegen Baillvs phantastische Histoii'e de Fastronomie ancieune richten) sein- berechtigt, namentlich was die um seine Zeit auf- gekommene Überschätzung des Alters des Tierkreises anbelangt. ■') Einiges Recht auf den Tierkreis liess den Babyloniern später wenigstens Ideler*), indem er zwar die Griechen für die Erfinder der Bilder hielt, die Xamen der letzteren aber den Babyloniern zuschi-ieb. Alle diese Versuche , die Urheber der >>"amen der Sternbilder und der Gestaltung ihrer Konturen diuTh Betrachtungen festzustellen, haben vor dem Jahre 1874 keinen (4ruud und Boden, einfach weil es vor diesem Zeitpunkte noch kein von den Babyloniern selbst herrülu-endes Material gab, welches über ihre Astronomie hätte unterrichten können, und weü andererseits das Wenige, was die griechischen Autoren über diese Astronomie berichten, ganz und

1) A. a. 0. 109—115.

2) A. a. O. 113, 114.

3) Dupuis (Origine de tous les cultes 1806) hatte für den Tierkreis von Den- derah ein Alter von 15000 Jahren aufgestellt. Erst nachdem Letrox.ne (^Recherches pour servir a l'hist. de l'Egypte 1823 u. mehreren andern Publikationen 1834 37) den Ursprung dieses Tierkreises auf die römische Kaiserzeit zurückgeführt hatte, kam man von dem ägyptischen Ursprünge wieder ab.

4) Über den Ursprung d. Tierkreises (Abhandig. d. Berl. Akad. d. Wissensch. Phil. bist. Kl. 1838).

10

Die asfrononmchrii Konifuinfie der Hahi/hniicr. T. 1 1

jrar iiii-lit zur IMldimo: eines l rteils hiiireiclit. Seit der Krsclilie.ssiiiitr der keilscliriftliciien Tafeln erst liaben eingehende Si)raclitors(',liuno:en die p^xistenz einer reich verzweigten Mytliologie bei den Babyloniern dargethan nnd nachgewiesen, dass die meisten Namen für die Sternbihler in der ilmen von den (Triechen nnd von uns heute noch beigelegten Bedentung schon bei ilen Babyloniern vorkoninien , und zum Überfluss haben die Grenzsteine jene graphischen Darstellungen der 'IMerkreiszeichen gezeigt, die wir heute noch in unseren Sternatlanten anwenden. Da die keil- schriftlichen Dokumente bis ins 9. Jahrh., die Grenzsteine bis ins 12. Jahrh. V. Chr. zurückreichen wobei noch gar nicht abzusehen ist, ob nicht noch viel älteres Material gefunden wird und wir andererseits bei den (Trieclien eine halbwegs vollständige Kenntnis des Sternhimmels kaum vor Ei-Doxus (5.— 4. Jahrh.) finden, so sind wir wohl berechtigt mit Jessen nnd HoMMEL anzunehmen, dass den Babyloniern die Sternbenennung nnd die bildliche Darstellung des Hinnnels auf C^rund religiöser und kosmogo- nischer uralter Mythen zuzuschi-eiben ist. Von Babylonien aus mögen jene Sternfiguren und Mythen nach dem Westen und Osten gedrungen sein und die Völker daselbst haben ihre eigenen Mythen damit verwoben. Vielfach aber haben die überlieferten Sternbüder diesen Völkern erst den Anlass zur Erfindung von Fabeln gegeben, oder sie legten sich, wie sicher die Griechen, den Mythus gemäss ihrer Volksanschauung zurecht. So kam schon Scha.ub.'s.chI) betreffs der griechischen Sternbilder der späteren Zeit zu der Ansicht, „dass von da ab (d. h. von Eudoxus) ein auffallendes Bestreben der Grammatiker in der astronomischen Fabel zu bemerken sei, den Sternbildern die vorhandenen Mythen anzupassen oder auch neue aus der Gestalt selbst hergenommene zu erfinden-'. So ist Engonasin bei Ecuox und Aratus noch ein auf den Knien flehender Mann, bei Eratos- THEXEs aber in den mit der Keule gegen die Schlange streitenden „Her- kules'' umgeschaffen. Ziemlich deutlich scheint die Wage ihren babylo- nischen Ursprung zu verraten : Bei Aratus nimmt der Skorpion noch zwei Tierkreiszeichen ein, wie finiher bei den Babyloniern (s. oben). A\'ährend aber bei den letzteren die Zeit der Scheidung dieses Sternbildes in Wdgt und Skorpion schon ziemlich zurücklag, erhielt sich der Skorpion bei den Griechen bis ins 3. Jahrh. v. Chr. Auf diese Weise, das heisst allmälig, je mehr die babylonische Astronomie sich von der Astrologie getrennt hat, mögen die babylonischen Ideen über die topographische Znsammen- fassung der Sterne (auf direktem Wege oder über Syrien und Ägj^ten?) nach Griechenland gedrungen sein; zum Teil erhielten sie sich dort in der babylonischen Urgestalt, zum Teil wurden sie im griechischen Geiste umgebildet, auch neues wurde daselbst hinzugethan. Im 6. Jahrh. v. Chr. waren jedenfalls abgesehen von den oben aufgeführten für das 12. Jahrh.

1) A. o. a. 0. 303, 322— 3-2-1, 113.

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12 F- K. (iinzcl,

V. Clii'. lieweisciidcii (4reiizsteiiieii in diT babyloiiisclieii AstrniKinüe säiiitlidie 12 Ticrkreiszeiclien und eine erliehliclie Zahl von Sternen be- nannt, demi nicht um- eine von Epping') untersuchte Tafel aus dem 7. Jahr des Kambyses (521 v. Chr.) sondern auch eine von Fisches be- merkte Tafel von etwa 500 v. V\ü: enthält sämtliche 12 Zodiakalbezeich- nungen. In der Arsacidenzeit müssen die astrognostischen Kenntnisse der Babylonier schon sehi- vollständig gewesen sein, wie die beiden von Epping untersuchten Tafeln-) aus den Jahi-eu 122 und 110 v. Chr. er- kennen lassen, denn dort werden für den Güi-tel des Tierki'eises allein etwa 40 hellere und schwächere Sterne namentlich aufgeführt. Die bis- herigen Mitteilungen über die Zodiakalzeichen und Sternbüder, so kurz sie notwendiger Weise hier sein müssen (Interessenten verweisen wir auf die unten angeführten Quellen), beweisen jedenfalls das hohe Alter und die iirimäre Stellung der babylonischen Astronomie, und daran zweifelnde Bemerkungen, die früher einen Sinn hatten, sollten gegen- wärtig — in astronomischen Werken wenigstens nicht mehr ge- macht werden.-')

Die im Vorhergehenden schon hervortretende Folgerung, dass die babylonische Astronomie einen ganz bedeutenden Einfluss auf jene der übrigen asiatischen Völker gehabt haben muss, findet ihre Bestätigung in dem Umstände, dass man jetzt auch die Planeten- und Mond- statiouen. welche wir bei den Ai-abern, Indern und Chinesen vorfinden und deren Existenz deshalb bei den Babyloniern ebenfalls vermutet worden ist. auf Grund babylonischer Thontafeln konstatiert hat. Aus der Unter- suchung der schon oben erwähnten beiden Tafeln von 122 und 110 v. Chi'., welche von den babylonischen Astronomen berechnete Ephemeriden für die Abstände der Planeten von gewissen Sternen der Tierkreisbilder vor- stellen, fand Epping, dass die Zählung der Abstände überall von einzelnen Sternen, Normalst erneu, ausgeht, so dass der ganze Tierkreis in eine Anzahl von Stationen zerlegt gedacht wü-d, in welchen sich die betreffen- den Planeten aufhalten. Und zwar glaubte Epping folgende 28 Konstel- lationen^) rechnerisch nachweisen zu können:

1) Zeitschr. f. Assyr. V281.

2) Astronomisches aus Babylon. S. 152 167.

3) So heisst es in dem 1899 erschienenen VALEsxisER'schen Handwörterbuche der Astronomie (III. Bd. 112), dass über das Alter der Sternbilder sich nichts Sicheres angeben lasse , dass die Tierkreisbilder aus der Zeit des alten Testamentes stammen lind dass Beweise für ein höheres Alter derselben nicht zu erbringen seien. Die Ein- wendungen gegen den babylonischen Ursprung des Tierkreises, die 1898 von G. Thiele (Antike Himmelsbilder, Berlin) gemacht worden sind, hat H mmel (in seiner Abhand- lung über den Ursprung des Tierkreises) widerlegt.

4) Über die verbesserte Transskription der Namen und Bedeutung derselben s. weiter unten.

12

Bic astronomischen Kenntnisse der JBaht/lonier. I. 13

1. kullat nnnu = t] Pisc. 15. Sarru = a Leoilis.

2. iHCihru sa risu ku = ß Arietis. 10. mdru Sa, arlcat sarru == p Leonis. ;i. arkü Sa riSu ku = a Arietis. 17. zibbat (?) a = ß Leonis.

4. tetnennu = >/ Plejad. 18. Sepu arkü Sa a = ß Virgin.

U.pidnu ^= u Tauri. 19. Sur mahru Sirü = y Virtrin.

0. Sur narkahti Sa iltunu = ß Tauri. 20. sa Sa Si'rü = a Vil'gili.

7. ,. «a .v(2<M = J Tauri. 21. »imj-m sa .vwftt = « Librae.

8. mahru Sa puumaS-inaSu=r]Gemm. 22. niiru Sa ätänu =: ß Librae. 'd.arku Sa ,. .. =^(Teniiii. 23. qdbu Sa riSu aqrabi^ S, ß Scorp.

10. maS-maSu Sa ri'u = y Gemin. 24. hurru = a Scorpii.

ll.maS-maSii viahrü = a Geniin. 25. IcaSSud Sa Ica-tar pa = i9'0pliiu(li.

12. maS-iiiaSu arkü = ß Geniin. 2G. qarnu Sahit = a (ß) Capric.

13. arküSanangaruSaSi(tu^ö('i\.m'r\. 27. makar Sa hi-na Sahü = y Capric. 14. 9-wit a = « Leonis. 28. arkat Sa hina Sahä = S Capric.

In der Zusammenfassung dieser Planetenstationen war Eppino nicht ganz siciier; so glaubte er bei der 10. und 25. Konstellation noch zwischen- liegende (Truppen vermuten zu dürfen. Nun fand Hommel*). dass in einer viel älteren babylonischen Thontafel (V Rawl. 46) sich die sämtlichen Epping'schen Planetenstationen vorfinden, ausserdem aber eine Anzahl mehr angegeben sind, so dass 36 herauskommen. Dieser Unterschied stellt sich nach Hommel dadurch ein, dass zufällig in den von E^pping benützten babylonischen Ephemeriden zwischen der 28. und 1. Konstel- lation keine Planetenstation angegeben war, so dass 4 bis 5 Stationen fehlen ; ferner ^vird wahi-scheinlich die 25. von Epping angeführte Station in mehrere zu zerlegen sein. Somit würden auch die Ephemeriden der Arsacidenzeit 36 Planetenstationen enthalten. Hommel macht über die- selben — mit Eücksicht auf Verbesserung der Transskriptionen Eppings folgende Aufstellung: 1. Mul (Konstellation IV Epping) = Plejaden; 2. pidnu (Ei)ping Konst. V) = ,.Furclie" = « Tauri; 3. u. 4. „Stier des Wagens" (Epp. Konst. VI u. VII) = /? u. c Tauri; 5. u. 6. „Mund (oder Anfang) der Zwillinge" (Epp. Konst. Wll u. IX) = i; u. Geniin.; 7. „Zwillinge des Hiiten" (des Ä«6-2«'-on«a-Sterns) (Epp. Konst. X) = ;' Gemin. ; 8. u. 0. „Die Zwillinge", vorderer und hinterer (Epp. Konst, XI u. XU) = aw. ß Gemin. ; 10. u. 11. pulukku = „Spindel" (Epp. Konst. XIII) = y u. cf Cancri; 12. „Kopf des Löwen" (Epp. Konst. XIV) = « Leonis; 13. „König" (Epp. Konst. XV) = « Leonis ; 14. „Vierter Sohn hinter dem König" (Epp. Konst. XVI) = p Leonis ; 15. „Schwanz des Löwen" (Epp. Konst. XVII) = ß Leonis; 16. „Hinterer Fuss des Löwen" (Epp. Konst. XVIII) = ß Virginis ; 17. „Eind der Vorderseite der Jungfrau" -) (Epp. Konst. XIX)

1) Ausland 1892. S. 102.

2) Auf den Greuzsteineu entspricht, wie schon oben erwähnt, dem Tierkreiszeichen der Jungfrau eine liegende Kuh, auf welcher das Symbol der Kornähre (einer Stimm- gabel ähnlich, deren beide Aste geschlängelt sind) steht.

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14 F. K. Ginzd,

= y Virsiii. ; 18. „Herold (?) der Jungfrau" (Epii. Konst. XX) = « Virf^in. ; 19. u. 20. „Wage" (Epp. Konst. XXI u. XXll) = a u. ß Librae; 21. u. 22. „Kopf de.s Skorpions", oben und Mitte (Epp. Konst. XXIIl) ^ d u. ß Scorpii; 2:5. chalrud (?) (Epp. Konst. XXIV) = « Scorpii; 24. bis 26. ..(iegend der Mündung der Strasse des Si(jga" ') (Epp. Konst. XXV) = th Opliiuchi; 27. „Hörn der Ziege" (Epp. Konst. XXVI) = « oder ß Capric; 28. u. 20. „Fisclischwanz der Ziege" (Epp. Konst. XXVII u. XXVIII) == y und Ö Capric; 30. (? Zwei Namen); 31. „Hinterer Fuss des 5^" = X Aquarii; 32. u. 33. (? Zwei Namen); 34. „Band des Fisches" (Epp. Konst. I) = tj Pisc; 35 u. 36. „Kopf des Widders" (Epp. Konst. II u. III) = ß u. a Arietis.

Die Tafel V Rawl. 46 enthält ferner eine Liste von Mondstationen u. z. von 16 Sternen (ursprünglich wahrscheinlich 24). Hommel-) zählt folgende auf: 1. kahkab ussi „Stern der (Trundlage" = Plejaden. 2. /.:. %- ban-a („Schakalstern") = a 'l^auri. 3. gam (oder zuh) = „Waffe Mero- dachs" = /? u. fe Tauri. 4. k. mai-tabba galgalla = „Die grossen Zwillinge" = a u. /? Gemin. 5. k. mai-iabba turhirra = „Die kleinen Zwillinge" ^ y \\. d Oancri [Vgl. dazu vorherige 10. 11 „Spindel"]. 6. k. sarri = „Königstern" = a Leonis. 7. k. higallai = „Fruchtbarkeitsstern?" Leonis?). 8. k. bal-ur-a („Wachstumstern" ?) v oder y Virginis ? 9. „Glanz- stern" (Su-pa) = n Vii'ginis, unter der Bezeichnung „Stern Dar-lugalln^^ (Mondgott, als Vater der Istar) wiederholt. 10. /.*. gullu-badda ^= „Toten- stern" = y. Mrginis. 11. k. sin' „Schlangenstern" ^ /t oder « Serpentis. 12. k. 'akrabi = „Skorpion" = d U. ß, n Scorpii. 13. k. lig-badda = „Schakal" = « Scorpii. 14. k. Änunit (Istar) und k. sinunutu = „Schwalbe" V u. l Scorp. (?). 15. k. mu-sir-a-baba („Diadem des Meeres") oder „Stern von Eridu^ bei tc Sagittarii. 16. k. mag'ur = „Ziege" oder „Kopf der Fischziege" = « Capric. Mit diesem letzten Sterne bricht die Liste ab.

Da diese Ergebnisse für die babylonischen I\I 0 n d - und Planeten- stationen bisher nur auf der Erforschung einiger Tafeln beruhen, sind sie noch unsicher und müssen durch die rntersuchung umfangreicheren Materials befestigt und erweitert werden, indessen lassen sie doch schon einige bemerkenswerte Schlüsse zu. Vor allem ist auffällig, dass sich das Resultat von 36 Planetenstationen nahe mit der Angabe Diodoe-s deckt, dass die Chaldäer 30 (36 ?) solcher Himmelstationen gehabt haben sollen,*)

1) Ka-sil-Sigga eigentlich „Anfang der Strasse der unteren Himmelswölbung". Gemeint ist „das Gebiet des Ka-sil"' und entspricht dem Kesil des Alten Testamentes.

2) A. o. a. 0. und ausführlicher in der „Zeitschr. d. Deutsch. Morgenländischen Gesellsch.' Bd. 45 (1891). p. 617 fiP.

3) Diodor II 30: ,Dem Laufe der Planeten seien 30 Sterne untergeordnet, welche beratende Götter heissen; die eine Hälfte derselben führe die Aufsicht in dem Raum über der Erde, die andere unter der Erde, so überschauen sie, was unter den Menschen und was am Himmel vorgehe ; je nach 10 Tagen werde von den oberen zu den unteren einer der Sterne als Bote gesandt und ebenso wieder einer von den unter-

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Die astronomischen Kcnninissc der Bnhi/Inyiin: I. 15

und ferner, dass wir von den alten Ägfri-tern, aus der Zeit Setis I (14. Jalirh. V Chr) Verzeichnisse von 3(5 Dekanen besitzen. Es liat aucli, wie oben bemerkt wurde, manche Wahrscheinliclikeit, dass die 28 Planetenstationen der Arsacidenzeit (Kpping) auf 36 ergänzt werden müssen. Allerdings kann man mit Sicherheit auf diese Annahme erst dann bauen, wenn durch die Untersuchungen weiteren Materials die Zahl der Stationen ausser Zweifel gestellt sein wird. Auch mochte zur Zeit noch sehr die Frage aufgeworfen werden, ob die 30 resp. 30 Dekaue ohne weiteres mit den 28 Stationen der Arsacidenzeit verglichen werden dürfen. Wir wollen dies einstweilen hier annehmen und kommen in unserer III. Abhdlg. auf diesen Punkt wieder zurück. Da die von Hommel untersuchte Liste V Rawl 40 aus ziemlich alter Zeit stammt, so ergiebt sich, dass die Idee der 86 Dekane weit in die altbabylunische Zeit zurückreicht. Der babylonischen ]\Ioiidstationen gab es nach Hummel vermutlich 24. Hommel glaubt auch, dass jene 36 Dekane aus dem 24 teiligen Tierkreise (den Mondstationen) entsprungen sind und letzterer wiederum aus dem 12 teiligen ursprung- lichen Tierkreise entstanden ist. Für die chinesischen und arabischen (und indischen) Mondstationen ist die Zahl von 24 ursprünglichen sehr wahr- scheinlich, dieselben sind erst im Laufe der Zeit auf 28 erhöht worden. Schon Albrecht Wkber') schloss auf die Existenz ein und desselben Mondstationenkreises bei den westasiatischen Vi3lkern. Er führte dreierlei Vermutungen dafür an : Einer Angabe aus dem Fihrist des Ennedim zu- folge hatten die Harraniter eine Feier des Neumondes, (bis ins 11.12 Jahrh.) indrai sie an dem 27. Tage des Mondraonats in einem Tempel Opfer für den Mond brachten und sich auch sonst festlich verlüelten; desgleichen werden Fasten von 27 Tagen zu Ehren des Mondmonats bezeugt. Durch den Mondmonat (siderisclien ilonat = 27" 7" 43-) und jenen 27 tägigen Kultus scheint die Existenz von 27 Mondstationen bei den Harranitern, den Trägern des alten Heidentums, angedeutet zu sein. Die zweite Be- ziehung fand AVeber in der alttestamentlicheu Stelle, wo bei den Königen (II 23, 5) von Josias gesagt wird, dieser habe „die Räucherer des Baal, der Sonne und des Mondes und der mazzahth und alles Heeres am

Himmel " abgethan. Unter den vmzzahth kann nur eine bestimmte

Klasse von Sternen gemeint sein; diese Bezeichnung finden wir aber bei

irdischen zu den oberen. [Hommel Icorrigiert aus diesem Umstände, dass alle 10 Tage ein anderer Dekan aufgehen soll, die Zahl 30 bei Diodor auf 36 Dekane]. Diese Be- wegung derselben sei fest bestimmt und gehe regelmässig fort im ewigen Kreislauf." _ Baillv (Hist. d. l'astr. anc. p. 364) weiss aus der Diodor-Stelle nichts zu machen und vermutet in den von den Oberen zu den Unteren gesendeten Sternen .Meteore, welche mau gewöhnlich fallende Sterne nennt' und ,dass die Götter, welche diese 80 Sterne regieren, dieselben 30 intelligenten Wesen sind, die bei den Persern die Tage des Monats vorstellen.' ,, i i

1) Die vedischen Nachrichten von den wixatra I. (Abhandig. d. Berlin. Akad. ü.

W. 1860) p. 318 ff.

15

16 F. K. Ginzel,

den Arabern mit dem derselben Wurzel entsprungenen Worte mamil (Plural mendzil) = Mondstationen, wieder. Die von Josias verfolgte Ab- götterei des Mondes und der mazzaloth hat also eiu Analogen zu den Grundfesten der Harrauiter '). Das dritte Moment, die Verbreitung der Mondstationen bei den Arabern, findet sich schon im Karän betont {Sura 10, 5 u. 36, 39): „Den Mond liat Gott nach Stationen angeordnet . . ." In der That waren bei den Arabern die Mondstationen bei Zeiten Muhammeds etwas allgemein Bekanntes. Jedoch blieb für Weber, als er .seine beiden Abhandlungen über die naxatra schrieb (1860) , noch fraglich , ob die Araber die Mondstationen unabhängig von Indien besassen oder sie von letzterem Lande erhalten haben. Sicher erschien ihm nur. dass jene An- ordnung der 28 menäzU. welche sich zuerst bei Alfeiykäni (9. Jahrh.) vor- findet, bestimmt aus Indien herrührt. Die indischen naxatra haben näm- lich eine Ent^^^ckelung durchgemacht, von welcher sich deutlich zwei Stufen erkennen lassen : in der alten Zeit , der Periode der Brähmana. bildet die spätere 3. Station hätikä (Plejadeu) der Spitze und den Früh- ling.spunkt der waa:afo-a-Eeihe, und in der \iel späteren Zeit ist die 28. revati {l, PLsces) resp. 1. dtyini {ß, y Arietis) die oberste, ausserdem gab es in der alten Zeit niu' 27 Stationen, welche, wahrscheinlich dem Überschusse von 7,7 Stunden über den 27 tägigen siderischen ]\Iondmonat entsprechend, später auf 28 erhöht wm-den. Die Reihe bei Alferghäni beginnt nun mit der Station sharatän, welche adequat der obersten Station der zweiten späteren »laa-ofra-Eeihe der Inder ist. Webek nahm deswegen an, dass die 28 menäzil auf Indien hinweisen. Dass die Inder die 28 Stationen von den Arabern entlelmt, oder von China herbekommen haben können, welch letzteres Biot und Whitney -) behauptet haben . was aber von ^^'EBEB {naxatra I) widerlegt wurde, ist ausgeschlossen. Auf Indien als l'rsprungsort der 28 mendzil weist auch nach M'eber ein der hebräischen Litteratur angehörendes ^^'erk von Majariti (gest. 1004 n. Chr.). in welchem die 28 Stationen mit ihi-en arabischen Namen und ihi-er Lage im Zodiakus aufgeführt werden, wobei der Autor sich vielfach auf die Inder beruft. AMruni (973 1048 n. Chi'.), ein Zeitgenosse des Majariß, bezieht sich bei der Erklärung der arabischen Mondstationen in seinem Werke über die Chronologie der alten Völker-') auf verschiedene arabische Schrift- steller des 9. und 8. .Takrh. . ein Beweis, dass damals schon in Arabien

1) Auch im Buch Job (38. 31^ werden die mazzaloth genannt: , Kannst du die Baude der Kimah [Plejadeu] oder die Fesseln des Kesil [Orion ?) lösen , kannst du herausführen die mazzaröth [ursprünglich innnzaztK, maitzartu, manzaltu, von letzterem das arabische manzil] zu seiner Zeit und die Bärin samt ihren Jungen [e J t] Urs. maj.j leiten ?•

2) Etudes sür l'Astron. indienne et sur 1' Astron. chinoise 1862; Journ. Amer. Orient. Soc. VI.

3) Ed. Sachau, The chronology of ancient nations, an english version of the arabic text of the Athär-ul-Bäkiya of Albirüui. 1879 p. 335 f.

16

T)io astnvtoiiiisclicu Kciniiiiissc der Bahißotmr. T. 17

eine reicliliiilti^c l,itteratnr iilirr die Mnudhäuser exislierle. Audi die Parseil selieiiien nach eiiuT Stelle im Hundehesch (welclies di'iii s. oder 9. ■lalirli. 11. dir. aiia'eliört) [„Oniiuz s(dinf .... die Sterne des 'l'ierkreises, deren Namen sind . . . Diese sind von Anlaiii;' in 28 Haufen /u zäiiien, deren Namen sind . . . "] die jüng'ere indisclie A<;vini-\{v\\w iiliernommen zu Iniben.') Später nälierte sicli Weber nielir der "WniTNEY'sclieii Auf- fassung- eines gemeinsamen Ursprungs der Mondstationen Arabiens und Indiens (und Chinas) aus einer altsemitisclien Quelle, als welche er geradezu Ba1)ylon angesehen wissen wollte.-) „Die mazzaloth lass«'n sich nicht leicht anders erklären, und die mehrfachen Beziehungen der indischen Sternmythen zu den clialdäischeii in Gemeinschaft mit der (Weichheit in den Angaben über die Dauer des längsten Tages weisen unleugbar auf direkte derartige, Verbindungen Indiens mit Babylon hin uiul halten ilie P^rwartung, dass auf l)abylonischen Denkmälern ilie naxatra wieder- gefunden werden dürften, aufrecht."^) Letztere ^"oranssicIlt hat sich, wie Avir ans Eppings und Hommels Konstatiernng der Planeten- und Mondstationen gesehen haben, vollauf bestätigt. Ohne weiteren Rückhalt konnte sich deshalb '\^'EBEu 1894*) über Babylonien als Quelle der arabischen, indischen und chinesischen Mondstationen wie folgt aussprechen: „Wenn wir bedenken, dass sich die ilondstationen mit geringen Ver- schiedenheiten ganz identis(di aucli in China und Arabien vorfinden, und dass die Annahme einer Entlehnung aus Indien grossen vSchwierigkeiten begegnet, dass ferner für eine solche, in ihren Einzelheiten doch zum Teil willkürliche Himnielsteilung nicht anzunehmen ist, dass sie selbst- ständig in drei verschiedenen Ländern so identisch hergestellt sein sollte, dass somit eine gemeinsame Quelle für die betreffenden di'ei Länder sich fast als eine Notwendigkeit ergiebt , so drängt sich (Ue Annahme . dass wii' "diese gemeinsame Quelle in Babylon zu suchen haben, von selbst anf, zumal hierzu auch noch anderweitige Umstände liiuzutreten, die ich schon in meinen beiden Abhandlungen über die naxatra, und in Band 9 und 10 der Indischen Studien nachzuweisen gesucht habe." Betreif der nahezu A'ölligen Identität des chinesischen Zodiakus mit dem nnsrigen hat Albr. Weber {naxatra I 302) aus der Vergleichnng von ■1 Verzeichnissen der 12 kung (Zodiakalzeichen) aus \'erschiedenen Zeiten nach chinesischen Quellen nachgewiesen, dass ein gemeinsamer Ursprung für die kung und unsere Zodikalteilung anzunehmen ist „wobei nur an eine Entlehnung der chinesischen aus Babylon, nicht etwa an Enthdmuug aus China, gedacht werden könne."' Sowohl die Idee der Zwölfteilung. wie die 12 Zodiakalabteilungen in fertiger Ausbildung sei den Chinesen

1) Weher, naxatra I 326 fi.

2) Webek, Indisoho Studien IX 1865 p. 425, 433.

3) Weber, Indische Studien X 1868 p. 240.

4) Vedische Beiträge. (Sitzber. d. Berl. Akad. d. W. 1894, XXXV) p. 35. Beiträge z. alten Geschichte I. 2

17

18 F. K. (iitizvl

von den Babyloiiieru überliefert worden. \\'as das; von Biot behauptete hohe Alter der chinesischen Monds tationen {Siu) betrifft [Biot wollte dieselben bis in die Zeit Yao's (2357 v. Chr.) zurücksetzen ; üire Zahl sei ursprünglich 24 gewesen und um 1100 v. Chr. unter Tscheou-hmg auf 28 erhöht Avorden]. so zeigte Wbbek, dass die am sicli nicht über 250 v. Chr. zurückverfolgeu lassen und wahrscheinlich aus der Zeit der Äin-Dynastie (20(3 v. Chr. bis 220 n. Clir.) herrühren. Biot war der Erste, der die chüiesischen 28 &m mit den indischen 28 naxatra verglichen hat ') ; er kam zu dem Schlüsse (den Weber Axider- legt hat), dass die Chinesen die Erfinder der Stationen seien und dass die Inder ihre naxatra von China übeniomnieu hiitten.-) ^'or der Kou-

1) Biot's Ausführuugen finden sich in verschiedenen Publikationen; die ursprüng- liche Vergleicliung steht wohl im Jouru. des Savants 1840 p. 274.

2) Während des Druckes dieses Aufsatzes lernte ich eine noch ungedruckte Ab- handlung von Prof. KiuxEiiT (Astronom und Sinologe) kennen, welche die bisherigen Meinungen über die Verwandtschaft der Mondhäuser bei den Arabern , Indern imd Chinesen zu erschüttern sucht und für eine Entlehnung der indischen Mondstationen aus China eintritt. Mit Erlaubnis des Autors zitiere ich die wesentlichsten Punkte der Abhandlung: 1. Auf eine Entlehnung der Mondstationen der Araber, Inder und Chinesen untereinander darf nur dann geschlossen werden, wenn alle Sterne der mcnäzil, naxatra und sin identisch und in gleicher Anzahl angegeben werden und wenn die Namen absolut gleich bedeutend sind. 2. Die drei Formen der Mond- stationen fallen fast niemals gleichzeitig in die Ekliptik oder in die Mondbahn. Bei den chinesischen ergeben sich gegen die menäzil und naxatra besonders bei den Stationen 23. Kui, 24. Lieit, 26. Sing, 26. Tachang, 27. Yi, 28. Tsehin, ferner 2. Kung [13. smtl ganz abweichend], 8. Tcu, 9. Niu [20. ahliijit ganz abweichend], 10. Nu und 11. Hill erhebliche Differenzen. Nur -/^ aller Stationen seien den 3 Reihen gemein- sam. Die von A. Webkb, Hojimel u. A. ausgeführte Vergleichung der drei Formen sei darum zu verwerfen. 3. Die chinesischen siu sind keine Mondstationen , sondern dienen entweder a) in gleichen Intervallen zu chronologischen Zwecken (Bezeich- nung der Tage des Cyklus , Berechnung der Schaltmonate) , oder b^ in ungleichen Intervallen der Ekliptik zur Angabe der Positionen von Sternen und Planeten.

4. Die naxatra knüpfen sich nicht an den siderischen Monat (da dieser durch Beobachtungen nur schwierig bestimmbar sei), sondern an den synodischen, von den Mondphasen abhängenden Monat. Es existiert ein aus Naxatra-Namen gebil- deter Cj'klus, der ,C>/klusnaxatra'' , welcher nichts mit den Sternbildern der Na- xatra gemein hat. Ein Cyklusnaxatra ist der 28. Teil des Sonnenjahres oder 13,045 Tage, daher die Dauer des synodisehen Mondmonats = 2,2638 Cyklusnaxatra. Dieser Cyklus erscheint in zweifacher Form: a) in der vedischen Zeit und jener der Brahmana zur Bestimmung des Kalenders (Lunisolarjahr) und beginnt mit dem Na- xatra „C7)rtm' [12. Station], entsprechend dem Monate Chaitra als Frühlingsmonat; b) an Stelle des Gradmasses zur Einteilung des Kreisumfanges (bei Värahamihira). Von Weber sind die Cyklusnaxatra mit den Naxatra- Sternbildern verwechselt.

5. Hierdurch verfällt der Schluss, dass die Krittika-B.eihe schon sehr frühe bewiesen sei, es fallen ferner die Berechnungen von Colebkooke, D.ivis und die Schlüsse über das Alter der Veden. 6. Die verschiedenen Widersprüche lösen sich nur unter der Annahme, dass die Inder den Naxatracyklus, ohne ihn zu verstehen, sammt dessen ursprünglicher Bedeutung von einem Volke übernommen und mit ihren eigenen astro-

18

Die (t^lro)i(i>iiis(li).)t Kriintiiisfic der liiihifli)ui< r. I. 19

stalit^niiii;' der I'lanetcii- und Moiiilstatidncu hri (lt:'ii l5al)yloiii(M-ii war nur der /iisainiiiciiliaii^' zw isclifu den iiidisidicii naxalra, den arabisclieu

logischen BegrifVcii venin'iigt IkiIxmi. 7. Aus verscliicdoncii Gründon (kio 1. als Frühlings- rcsp. Ostzeichen, hin 11. als Winter- resp. Nordzeichen, aus den ungleichen Intervallen der shi u. a."i schliesst der Verfasser, dass der indische Naxatraeyklus von China entlehnt und von clor! aus zwischen 200 v. Chr. u. 1)36 n. Chr. in Indien eingeführt worden ist.

Wie man sieht, widers])richt die Ki n.vKiti'sche Ahhandlung den hauptsächlichsten gegenwärtig dominierenden Ansichten. Ehen deswegen, und weil der Verfasser seine Gründe in durchaus sachlicher Weise vorbringt, halte ich es für sehr wünschenswert, dass diese Abhandlung bald gedruckt werden möchte. Obwohl ich in dem IIJ. Auf- sätze auf Ki'nxKHT's Ansicht über die Nichtvergicichbarkeit der drei Formen der Mond- statienen zurückkommen werde (die übrigen der oben angeführten Sätze interessieren mehr die Chronologen), möchte ich Einiges dagegen schon hier bemerken. .Jedenfalls geht K. zu weit, wenn er aindmmt , nur die Stationen mit derselben Sternzahl und derselben Niunenbedeutung dürften mit einander verglichen werden. Flächenräume, welche Mondstationen darstellen sollen, mussten, da der Mond bis zu 28 (5rad nördlich und südlich vom Äquator stehen und erheblich nördlicher und südlicher als die Ekliptik gelangen kann (also einen ziemlichen Spielraum für seinen Weg innerhalb seiner Deklinationsgrenzen hat), von den Erfindern der Stationen ziemlich gross gewählt werden, wenn der Mond auf seiner scheinbaren Bahn in jene „Häuser" gelangen sollte. Wenn daher einzelne Mondhäuser [wie z. B. Dirä'u (7) = punarvasii (.5)j nur aus wenigen Sternen bestehen (hier nur Castor und Pollux) oder gar nur durch einen einzigen Stern signiert sind (wie Simäk (14' = citrä (12) = Kio (1) durch k Virginis], so sollen diese engen Häuser wohl überhaupt den Weg des Mondes nur andeuten , in Wirklichkeit sind aber deren Grenzen weiter zu denken ; es waren eben oft keine helleren Sterne in der Nähe zu finden , die zu einer Absteckung der Grenzen gepasst haben. Bei den durch sehr helle Sterne ausgezeichneten Stationen genügte deren Markierung durch eben diese Sterne; bei den Stationen mit schwächeren Sternen musste man viel mehrere auswählen, um die Grenzen zu definieren. Deswegen haben solche Stationen [wie z. B. (d-'mcirä (13), KV (6), die chinesischen 26, 27, 28 in der Hydra , im Becher und Raben] eine viel grössere Ausdehnung. Da man sich alle Stationen etwa gleich gross gedacht haben wird, glaube ich , dürfen die Grenzen der- selben nicht zu engherzig aufgefasst werden. Man kann deshalb gewiss die Stationen vergleichen, auch wenn sie gegenseitig an Sternenzahl ungleich sind. Viele chinesische sind offenbar nur Erweiterungen der andern beiden Formen und umgekehrt. Während sich ol-HakMi (5) = mriya^iras (3) = Tsiä (20) nur auf den Kopf des Orion beziehen, suchen ärdrü (4) und Tsan (21) das Mondhaus durch weitere Teile des Orionstern- bildes zu ergänzen; Ki (7) und an-Na'äjim (20) ergänzen piirväshädhäs (18) zum voll- ständigen Mondhause u. s. w. Mittelst dieser, wie mir scheint, notwendigen Liberalität gegen die Mondstationen wird man finden, dass der grösste Teil der Mondstationformen und ihrer Erweiterungen durch die entsprechenden andern beiden längs oder nahe der Ekliptik liegt, wenigstens ungefähr auf dem sehr variablen Wege des Mondes. (Man vgl. die beigegebene Karte). Freilich, merkwürdig bleibt die Lage einiger Stationen: so von den indischen sväti Bootis), abhyit (bei der Wega), <;ravana (um Atnir im Adler) und i'ravishthä (Delphin) ; und von den chinesischen die auffällig südlichen Lieii, Sinij, Tscliang, Yi und Tschin. Allein auf die vermutlichen Ursachen des Abweichens dieser Mondstationen gegen die als parallel angenommenen anderen Formen hat Ho.m.mkl schon hingewiesen (Zeitschr. d. deutschen morgenl. Ges. 4.5. Bd. 614/5), ausserdem ist wahr- scheinlich, dass einzelne das Resultat späterer Eiiischiebungen sind. Denn es ist schwer

2* 19

20

F. K. Ginsei,

Katli. ß u. ;' Arietis

2. ul-bufain „Bäucll-

lein(des^^'i(lders)" a, b, c Miiscae.

3. at-turaijä (Pleja-

(len) r, Taiiri.

4. al-daban'tn

tt & y S e Taiiri.

5. al-hah'a

A (fi (f2 Orioui:<

»lanzil und den c hinesisclien siu diskutierbar ') ; erst Hummel hat des- halb diese Vergleicliuiig ^ervollstäudlgeu mul auf ihre letzten Kou- secjuenzen zurückführen können.-) A\'ir geben zuerst die Yergleichung der arabischen, indischen und chinesischen llondstationen nach ^^'KI!EK und HuMMi;i, , ■woraus die Identität der Stationen aus den beigefügten Sternen sofort erkennbar sein Avii'd:

M a u z 11. I N a X a t r a.

1. cLi-saratdni oA&c al- \ 27. äcvi'ni ..Eosseleu- keriii ß u. y Ai-ietis.

28. hharani ..die Weg- führende" a, b, c Muscae.

1. kfitükä (Plejaden) ..die Vertiochte- neu"

»/ Tauri.

2. rohiiii ..die rote" ..aufsteigende"

a {)■ y ö e Tauri.

8. j)ui(/a<jiras ..Haujit des Kehs'' /. cfi 'p, Orionis.

Siu.-)

1(3. leu „Schnitterin"

«, ß u. y Arietis.

17. wei „Korubeliälter

(Bauch, Magen)" a, b, c Muscae.

18. mao „untergehende

Sonne"' (auch „Himmelsweg") 11 Tauri

19.

pi

..Jagdnetz" r Ö t Tauri.

20. fsiü ..Mund" (Kopf

des Kriegers)

l cpi cf2 Orionis.

glaublich, dass Araber, Inder und Chinesen die Mondstationen unverändert von einander übernommen haben; die Verschiedenheit der mythologischen Anschauungen dieser Völker (die Mythologie spielt sicher eine grosse Kolle bei der Bildung der Stationen) hat dies schon verhindern müssen , und um ihr gerecht zu werden , sind wesentliche Änderungen bei manchen Mondhäusern von einzelnen Völkern vorgenommen worden. Nicht am wenigsten mag auch noch die Verschiedenheit der Astrologie ins Gewicht fallen , welche einzelne Sterngegeuden bevorzugte. Die Verschiedenheit der Bedeutung der Namen der Mondstationeu endlich erklärt sich ebenfalls aus der Ver- schiedenheit der mythologischen oder anderweitiger Prinzipien. Im Ganzen glaube ich, kann man deshalb auch vom astronomischen Standpunkte aus die von Hojjmel und Weber vorgenommene Parallelisierung der drei Mondstationformen zugeben. Hat doch Al. V. Humboldt, neben seiner Eigenschaft als Universalgelehrter auch ein guter Astronom, unbedenklich jene Vergleichung selbst auf den Mondzodiakus der Tibetaner, Mexikaner u. s. w. ausgedehnt (Vues des Cordilleres), obwohl der Boden dort noch viel unsicherer ist als bei den ncuxatras, meii&zH und sm.

1) Eine solche vergleichende Tabelle der 28 indischen, arabischen und chinesischen Mondstationen gibt Webek, naxatra l 331.

2) Über den Ursprung und das Alter der arabischen Sterunamen und insbesondere der Mondstationen. (Zeitschr. d. Deutscheu Morgeul. Gesellsch. Bd. 45, 1891 p. 613 ff.)-

3) Die chinesischen Namen und Sterne nach G. Schlegel, Uranograpbie chi- noise. 1875.

20

Dir. (i.tirnnoDii.trlirii Konitiilssr. der Jinhi/lnnirr. I.

21

:\ranzil. G. nl-han'a '-)

7. ad-dirä'u

a ß Gern in.

8. an-natra

y t) E Caiicri.

9. af-farf „Aus'c (des

Löwen)" § ('ancri, l Leonis.

10. (d-(i<ihh'i ,.Stirn (des

L<i\venj" c< Jj y ^ Leonis.

11. (tz-ziibra „Mähne".

()' {) Leonis.

12. (is-sarfa ..\\Cll(ie" ß Leunis (l)eiiel)ola).

1?>. al'awwu „die kläf- fende (Hündin)"*) ß )j y d s Vir.ü'inis.

14. as-.sitiidk „Höhe des Himmels" K Virs'inis.

i:

<d-(jhnfr „Decke" t X ). Yiro'in.

Naxatra. , Sin.')

4. «rdr« „die feuchte" | 21. tsan „iler i\riia-

(Arm, Vcn'derbein ; l)ene"

des Kelis) a ß y d s ^ tj x Oi'ion.

(. Oi'iiinis.

5. 2>unarv(tsu „wieder i 22. tsin<) „Brunnen".

gut" «)

a ß ricniin.

iM j' § / 4' « Gemin.

G. puslij/a ..Hi^lg'e- I 2;l kui „die Alanen"

Stirn" <)' y »V- ('ancri.

7. (hdesJid „die Um- schlingende" s Ö a t] (j Hydrae.

S. vKKjhä ..die mäcli-

tig-e" " '/ 7 £ n « J^eonis.

0. j)urva-2>hdl(juni „Vordere ph." <)' iV Leonis.

1(1. utfara - jyhdlguni •'äusserer ph." ß, lt8 Leonis.

11. hasta „Hand"

ö y e cc ß Cor\i.

12. ce'fiu „die wunder-

same"

a Virg'inis.

13. srdti

a Iiootis.

(„Gespenster") y ä t] & Cancri.

24. lieu „Weide oder

Bambus" d e ^ & () a Ol Jiydrac.

25. m'iKj. „Stern"

« r Hydrae.

2(5. fschtmj. „I^'ang-

netz" V V (p u X X H3-drae.

27. yi. „Flügel."

« Crater. (u. 21 Sterne des Bechers u. der Hy- dra).

28. (schin „"\^'ag•eu" y s ö ß 1] Corvi.

1. k/'o „Huru" (des

blauen Drachen) ci Vii'ginis.

2. ka7ig „Hals" (des

blauen Drachen). i y. k fi Virgin.

1) Siehe AnmcTkung iiuf S. 20 A;,in. :!.

2) Station .5 u. fi biliU'ti-ii liei ilm Anilx al-GausiVu.

3) Vom Wetter (meteorologisch resj). astrologisch, w iiax(itra).

4) Hier folgt auf deu Löwen licr llund: die Uabylonier lialien an Stelle des Lüweu einen Hnnd.

rspriiiiglieh eine einzige Station midirere andere der

21

Mauz iL

16. az-zuhCmiui (Skur-

pionsclieereii) ■') cc ß Librae.

17. al-ildil ..Ki'oiie" S n ß iSctirpü.

18. al-lyalh ,.Herz (des

Skori)ions)". « Scorp.

19. aü-shaiäa

„ydiwanz" (des Skorpions) X V Scorp.

20. an - na'äjim „die

Straiisse" y ö i r/ ff T C Sagitt.

21. al-hcddäh „Land,

Gegend" (Stern- leere Stelle bei n Sagitt).

22. sa'd ad-ddbih

„(Tlückstern des Schafsclilächters" « ß Capric.

23. sa'd bula' „Glück-

stern des Yer- sclilingers" 6 /< V Aquarii.

2-1. sa'd. as su'iid „Glückstern der Glücksterne". ß I Aquarü.

F. K. (iinzrl

N a X a t r a.

14. vi(-äkhd „die zwei-

zinkige, gabelför- mige" v y ß a Librae.

15. anurddhd „die heil-

bringende , gün- stige" S ß n Scorpii.

IG. jyeshfhd (?) cc a T Scorp.

17. mülam „Wnrzel" el/xtj&ixv Scorp.

18. pürva-shd(}hds „die

vorderen nnbe- siegten" 8 s Sagittarii.

19. uUard-shddhds „die

äusseren unbe- siegten" a C Sagitt.

20. abhijit „siegreich"

cc t L, Lyi-ae.

21. cravana ..lalniie

Kuh" « ß y Aquilae.

22. QravisJifhd „die

ruhmreichste" ß a y § Delphini.

Siii.'i ;>. fi „Grund" (Ürust des bl. Drachenj a ß y V Librae.

■1. fawj. ..Tlaus" ß Ö 71 (j Scorp.

"). sin „Herz (des bl. Drachen)" cc ö T Scorp.

G. v:i' „Schwanz (des

bl. Drachen)"

e ?. fi jj & i X V Scorp.

7. kl „Mistgefäss" y ö t Sagitt. ß Telesc.

8. ieu „Scheft'el" fi k (p a T L. Sagitt.

9. niu „Ochs" (Och- senschlächter) « ß i Capric.

1(1. na „Jungfrau" (Hochzeit) £ u V Aquarii.

11. /liii „(Trabhügel" ß Aquar. n Ecinul.

1) Siehe Anmerkung auf S. 20 Anm. 3.

2) Der arabische Name hängt mit dem babylonischen ~ihihiitii „Wage" zusammen; letzteres erlangte die Bedeutung „Scheeren des Skorpions' erst, als die Araber der Abbasidenzeit mit dem Almage.Nt bekannt wurden.

22

Dir. a.ifrovowiitclirn Kouiifnissr der Bnhiilnnicr. I.

23

jr a n z i 1.

25. sa'ad al - ahhija „rilückstem der Zelte" (verbor- g-eiieu Orte) « j' £ »; Aquarii.

"20. al-farg al-awieal „erster Henkel (des Schöpf- eimers)" « ß Pegasi.

27. al - fargh - altdni „zweiter Henkel" y Pegas. « Aiulnini.

28.

>j a X a t r a. catahhishaj X A(|uarii.

28. hiUn al-fiüt „Baucli des frisches" ß Andrem.

Die Las.

2-t. pürva-bhadra-jiadus „heilbringende Füsse habend" (vorderer) « ß Pegasi.

25. Vitara - hhddra -pa-

dds „heilbr. F. h." (hinterer) y Pegas. « Androm.

26. 7-evat/. „die reiche"

y Piscium.

S i u.') 12. wei „Giebel" « Aquar. i9' Pegasi.

1?.. tscM „Feneraltar" et ß Pegasi.

U. j>i „flauer" y Pegas. a Andrum.

15. kiü „Sandale"

{tien-tschi Him- melsschwein)

r, Qi «^5Ti'H/5 Androm. 1 \ a T V q) X ip Piscium.

diosor diTi M,)ndstationfo.moi. a.n Himu...! um ungefähr 2000 v. Chr. ist aus der beigegebeiion Karte ersichtlich.

Für die indischen naxatra hat Weber ein hohes Alter nachgewiesen (naxatra II), indem er zeigte, dass die :\rondhäaser durclians volkstüniUch. mit den Opferritnalen, Namengebungen, Todtenfeiern n. s. w. eng ver- bunden in den Schriften auftreten. Dass auch den arabischen :\Iond- stationen ein höheres Alter zukommt, als man vielleicht sonst vorauszu- setzen o-eneigt ist. und dass diese bei den Beduinen vor der Zeit des [Slam schon bekannt waren, hat Hommel aus verschiedenen Belegstellen der altarabischen Poesie nachgewiesen.-) In dieser alten Litteratur finden sich die Mondstationen 1. {al-cßarät), ?,. (Plejaden). 4. (al-Debarcm), 6. {al- Gauz,t). 7. al-dirä). 8. {natra). 10. (<;aM«), 11. {al-hardi), 1?.. {al-'awwa) 14. (simah), 18. {al-'ah-ab), 20. (an-na'äm), 24. (is-sii'üd), 2(3/7. (ad-cMwu), also die Hälfte von den 28 manzä; ferner für 27 Stationen Kegezverse namentlicli bei KazwM, die wahrscheinlich noch vor der Abbasi.lenzeit entstanden sind.

Die früher (S. 13) aufgeführten Planetenstationen FrpiNcs aus der Arsacidenzeit hat Hommel unmittelbar mit den 28 arabis.-hen verglichen, indem er diejenigen, die bei EmsG zwei Sterne ein und desselben Bildes haben, also G'7, S/i», 1112. 21 22. 27 2s. 2 3 in eine Station zusammenzog

1) Siehe Anmerkung auf S. 20 Anm. 3.

2) A. 0. a. O. 601—607.

23

V^-i 'iP ^ ^ '*

24

F. a: g/hM

Bl* >*•

und aiiiialim. dass bei Epping zwischen 28 und 1 einige Stationen telilen und liinter der 20. wahrsclieinlicli eine einzuscliieben ist. "Wir kommen dann auf 24 babj-lonisehe Stationen. Die Vergleichung stellt sich dann nacli HoMMEL (wenn avü- gleichzeitig dessen verbesserte Transskriiitimi der babylonischen Xamen berücksichtigen) wie folgt, indem wir mit den Plejaden beginnen :

Babj-lonische Stationen.

1. timinnu = i] Tauri (Plejad.)

2. pidnu = a Tauri

;i. .v«j- narkabti ^ ß l. Tauri ■1. ]}ü tuumi = j; {.i CTcmin. \ 5. fu'dmi ia r&'i = y Geniiu. ' 0. tit'umi z= a ß Gemin.

7. pulukku ^ y ö Cancri

8. rti ari = 6 Leonis

9. san-u = a Leonis

10. mui-u IVark. sarri = Q Leonis

11. zibbat ari = ß Leonis

12. sipu arlcü sa ari = ß Virg. ) 18. iiur ardati = y VÜ"g. ^ 14. niihCL ardati = « Yii'gin.

15. zibänitu = « /? Librae IG. m- alrabi = ö ß Scorpü

17. habntd = « Scorp.

18. mahl sa Kasä = i^ (3phiuclii

Arabische manzil.

3. a/-(ura/ja = >/ Tauri.

4. al-thbardn = « Tauri.

5. al-hal'a = X cf^ (f.- Orionis.

t). al-han'a = >/ u v y % (Temin.

7. ad-drra = a ß Geniin.

8. an-natra = y S Cancri.

9. at-farf = X Leonis.

10. al-cjabha = « Leonis.

11. az-zubra = ö & Leonis.

12. as-sarfa = ß Leonis.

18. al-'awicd = ß ij y Yirgill.

19. k(

SlUJl

et ß Capric.

14. as-simäh = « Virgin.

15. al-ghafr ^ i y. X Virgin.

16. az-zubdnaij ^ a ß Librae.

17. al-iklÜ ^ Ö n ß Scorpü.

18. al-kalb = n Scorp.

19. as-üaula = X v Scorp.

20. an-na'd/iin ^ydsJjcfßrC Sagitt.

21. al-balda = bei n Sagitt.

22. ad-däbik = a ß Capric.

23. bula' = s fi V Aquarii.

24. as-su'üd ^ /? I Aquarii.

25. al-ahbija = a y C V Aquarii.

26. 27. ad-dalwu ^ ceßy Peg. « Andr. 28. al-hui = ß Andr.

1. an-nath = ß y Arietis.

i 2. al-butain ^ a b c Muscae.

Es ist nun zwar, der früher gemachten Bemerkung zufolge, fraglich, ob sich die Zahl von 24 Planetenstationen bei späteren Untersuchungen von Listen babylonischer Planetenstationen bewähren wiixl. aber man muss zugeben, dass ein Zusammenhang zwischen diesen 24 Stationen und den arabLsclieu entschieden hervortritt. Die Übereinstimmung ist, mit Eücksicht auf die Unsicherheit des Gegenstandes, eine vorzügliche, und demnach kein Zweifel, dass die arabischen ^londstationen (und gemäss der Vergleichung

2(1. suijur = y ö Capric.

21. [

22. [

23. rikis nnni ^= ij Pisc. .

24. riS kmardcki = a ß Arietis

it

24

T>ie atfronnmis'rhr» Keinifinsxc der Uahi/hinicr. I. 2")

der Ict/.trreii mit den iiiilisilit-ii imd iliiiiesisclien auch diese) ir<jen(hvi(' auf die babylonischen zuriickjjehen. Ferner liält Hommkl einige arabisclie Sta- tionen für später eingescliobene, so die 12. as-mrfa (aucli die indisclien 0. 10. bihleten urspr. eine Station), die 17. al-tkltl (14. w. 1'). der Inder waren ursjir. eine) nnd die 21. al-balda, so dass man auf die Zusammenfassung der 21 I)ali,\iiinis(lien Stationen zurückkommt, und also anzunehmen wäre, dass auch die Araber einstens 2\ von den Babyloniern übernommene Stationen gehabt hätten uiul dass die Einfügung der 3 resp. 4 späteren erst um die Zeit Mulianimeds erfcdgt wäre. Zu der frülier aufgefiilirten Vergleichung der manzil, naxaira und siu ist noch bemerkenswert, dass die indisclien Stationen 7 u. 11 sich mehr an die chinesischen 24. 2S. in die Hydra und den Raben hinabgehenden Stationen anlehnen als an die ]iai-allelen arabischen 9 1?>. Diese Abschwenkung nach Süden klimmt auch auf den Zodiakalbildern der Grenzsteine vor (vgl. vorher S. 8), wo die Keihenfolge der Bilder ist: Zwillinge, Spindel (Streit- kolben, resp. Krebs). Kopf und Hals der Hydra, Hund (die 18. arabische heisst „die Hündin-). Rabe, Ähre (Jungfrau) n. s. w. Demnach lehnen .sich hier die Inder und Chinesen, wie Hiuuiel hervuihflit . deutlich an das uralte babylonische Vorbild an.

"\Mr begnügen uns einstweilen damit . das Notwendigste über die bisher möglich gewesenen Sternidentiftzierungen , über den Tierkreis und die Mondstationen der Babylonier, und den Zusammenhang der letzteren mit den arabischen, indischen und rliini-sisdien. aufgeführt zu haben, lu den beiden folgenden Aufsätzen werden wir (Gelegenheit nehmen, an das (be- sagte anzuknüpfen und die Rezension über die astronomischen Kenntnisse J^ Babylonier weiter zu führen. Hier sollen zuletzt nur noch kurz die bis jetzt dargestellten Hauptergebnisse in einige Sätze zusammengefasst werden :

1. Die helleren Sterne waren den Babyloniern bereits in sehr alter Zeit bekannt ; in der Arsacidenzeit findet sich bei ihnen bereits eine sehr vollständige Kenntnis und N'amengebung des Sternhimmels vor.

2. Der Zodiakus und dessen Zwölfteilung ist babylonischen Ursprungs und reicht wahrscheinlich über 30(»() v.Chr. zurück; bildliche Dar- stellungen sämtlicher 12 Tierkrei.sbilder finden sich schon auf (Trenz- steinen des 12. .lalnh. V(ir Christi.

3. Die Existenz einer Anzahl von Planeten- und ^londstationen bei den Babyloniern schon in sehr alter Zeit ist sicher. Die Zahl der- selben bedarf weiterer Untersuchungen, sie liegt aber jedenfalls zwischen 24 bis 36 Stationen : die Art und Weise der Entwickelung der Planeten- und Jlondstationen aus dem Zodiakus ist noch aufzuklären.

4. Die babylonischen Jlondstationen sind astrologi.schen Ursprungs und haben sich nach China, Indien und Arabien verbreitet und ddrt mit verschiedenen Varianten erhalten.

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25

3 V-^S«»

24

F. K. Ginzcl,

und aiiualim. dass bei Eppi\g zwischen 28 und 1 einige Stationen fehlen und hinter der 25. wahrscheüilicli eine einzuschieben ist. "Wir kommen dann auf 24 babylonische Stationen. Die Yergleichung- stellt sich dann nach HoMMEL (wenn wir gleichzeitig des.sen verbesserte Transskriiition der babylonischen Namen berücksichtigen) wie folgt, indem wir mit den Plejaden beginnen:

Babylonische Stationen.

1. timinnu = r, Taiiri (Plejad.)

2. pidnu = a Tanri

3. ä'm>- narkahti ^= ß 'Q Tauri

4. tu'umi = >/ u Uemin. \

5. tu'dini SU ro'i = y (iemin. '

6. tu'dmi ^ a ß Gemin.

7. puluklcu ^ y d Caueri

8. rU- ari = e Leonis 0. sarru = a LeOüis

10. 7ndru IVark. sarri = p Leoni;

11. zibbat ari = ß Leouis

12. iipu arlcil sa ari = ß VÜ'g.

13. ,vMj- ardati = y Vii'g.

14. ndbu ardati = or Tii-gin.

15. zibumtu ^ u ß Librae IG. m ahrabi = ö ß Scorpii

17. hahrud = « Scorp.

18. mdht ia Kasi'l = «^ Ophiuchi

10. karall sucjxir = a ß Capric. ö ( 'apric.

20. suijur = y

21. ['. . . .

22. [ . . . .

23. rikis mini =

24. r?i' ku^arikki

r, Pisc. . . . = a ß Arieti-s

Arabische manzil.

3. nt-tiiraijd := rj Tauri.

4. al-debardn = k Tauri.

ö. al-hak'a = k cf^ (f- Orionis.

G. al-han'a = r, u v y i (Temiu.

7. ad-diru ^ u ß Gemin.

8. an-natra = y S Cancri.

9. at-tarf z= X Leonis.

10. al-gablia = « Leouis.

11. az-zubra = ö & Leouis.

12. as-sarfa = ß Leouis.

13. al-'awxd = ß i] y Yirgiu.

14. as-simdh = a Virgin.

15. al-ghafr = t x X Virgin. IG. az-zubdnaj/ ^ a ß Librae.

17. al-iklil ^ 8 n ß Scorpii.

18. al-kalb = n Scorp.

19. as-saula = A i' Scorp.

20. an-na'djim = y § f.i] (f a T i Sagitt.

21. al-balda = bei n Sagitt.

22. ad-däbih ^ a ß Capric.

23. bula' = s u V Aquarü.

24. as-su'dd = ß ^ Aquarü.

25. al-ahbija ^= a y t, }] Aquarü. 2G. 27. ad-dalwu =:ußy Peg. n Andr. 28. al-Mit = ß Andi-.

1. an-nath = ß y Arietis.

2. al-biitain = a b c Muscae.

Es ist mm zwar, der fi-üher gemachten Bemerkung zufolge, fi-agiich. ob sich die Zahl von 24 Plauetenstationen bei .späteren Untersuchungen von Listen babyloiüscher Planetenstationen bewähren AVÜ-d. aber man muss zugeben, dass eiu Zusammenhang zwischen diesen 24 Stationen und den arabischen entschieden hervortritt. Die Übereinstimmung ist, mit Eücksicht auf die Unsicherheit des Gegenstandes, eine vorzügliche, und demnach kein Zweifel, dass die arabischen Mondstationen (und gemäss der Vergleichung

24

Dir. nMrnvomhrlir)) l\envf)iisftr. (Jcr ]]nl>i/lom'rr. I. 25

(ItT letzteren mit den indisclieti uml cliinesisclien luuli iliese) irj^endwie auf die hal)yl<inisclien zuriickselicii. I-'iTiu'r liiilt HoMiMw, einige arahisclie Sta- tionen für sjjüter eing'escii()l)ene. so die 12. ax-.mrfa (aiuli die indisclien (•. Kl. bildeten nrspr. eine Station), die 17. al-iklil (U. u. ]•"). der Iniler waren urspr. eine) und die 21. al-halda, dass man auf die Zusammenfassuno- der 24 babylonisclien Stationen zurückkommt . und al.-<o anzunehmen wäre, dass auch die Araber einstens 24 von den Babyloniern übernommene Stationen gehabt hätten und dass die Kinfiio-uns' der :5 re.sp. 4 si)ilteren erst um die Zeit Muliammeds erfolj^t wäre. Zu der früher aufg-efülirten Vergleichung" der momil, naxatra und siu ist noch bemerkenswert, dass die indischen Stationen 7 u. 11 sich mehr an die chinesischen 24. 28. in die Hydra und den Kabeu hinabgehenden Stationen anlehnen als an die parallelen arabischen 9 1:1 Diese Abschwenkung nach Süden kommt aucli auf den Zodiakalbildern der Grenzsteine voi' (vgl. \'ui'her S. 8) , wo die Reilienfolge der Bikler ist : Zwillinge , Spindel (Streit- kolben, resp. Krebs), Kopf und Hals der Hydra. Hund (die l:!. arabische heisst ,,die Hündin"). Eabe, Ähre (Jungfrau) u. s. w. Denniach lehnen sich hier die Inder und Chinesen, wie Hommkl hervorhebt, deutlich an das uralte babylonische Vorbild an.

^\'ir begnügen uns einstweilen damit, das Notwendigste über die bisher mögiich gewesenen Sternidentifizierungen, über den Tierkreis und die Mondstationen der Habylonier, und den Zusannnenhang der letzteren mit den arabischen, indischen und chinesischen, aufgeführt zu haben. In den beiden folgenden Aufsätzen werden wir Gelegenheit nehmen, an das(Te- sagte anzuknüpfen und die Rezension über die astronomischen Kenntnisse dp' Babylonier weiter zu führen. Hier sollen zuletzt nur noch kurz die~bis jetzt dargestellten Hauptergebnisse in einige Sätze zusammengefasst werden:

1. Die helleren Stenie waren den Babyloniern bereits in sehr alter Zeit bekannt ; in der Arsacidenzeit findet sich bei ihnen bereits eine sehr vollständige Kenntnis und Namengebung des Sternliimmels vor.

2. Der Zodiakus und dessen Zwölfteilung ist babylonischen Ursprungs und reiclit ^^■ahrscheinlich über 3000 v. Chr. zurück ; bildliclie Dar- stellungen sämtlicher 12 Tierkreisbilder finden sich schon auf (Grenz- steinen des 12. Jalirli. vor Christi.

3. Die Existenz einer Anzahl von Planeten- und Mondstationen bei den Babyloniern sclion in sehr alter Zeit ist sicher. Die Zahl der- selben bedarf weiterer Untersuchungen, sie liegt aber jedenfalls zwischen 24 bis 3(5 Stationen : die Art und Weise der Entwickelung der Planeten- und Mondstationen aus dem Zodiakus ist nocli aufzuklären.

4. Die babylonischen ]\rondstationen sind astrologischen Ursiirungs und haben sich nacli China, Indien und Arabien verlneitet und dort mit verscliiedenen Varianten erluilten.

25

Die ersten Jahre Dareios' des Hystaspiden und der altpersisehe Kalender.

Von J. y. Präsek.

Neuesteiif* wurden gegen die Glaubwiü'digkeit der bedeutendsten unter den monumentalen Inscln'ifteu, die uns Dareios der Erste hinterlassen hat, Einwendungen sehr ernster Katur vorgebracht, die nicht uner^\ideit bleiben dürfen. Ich habe in einem früheren Aufsatze („Zu der Behistun- inschrift'') ^) den Versuch unternommen, die besagten Einwendungen in- soweit zu entkräften als sie bestrebt waren, die Verwandtschaft des Dareios mit dem Kyroshause in Abrede zu stellen und daraus für das 'riironfolgerecht des Hj'staspideu ungünstige Schlüsse zu ziehen. Es ist aber noch eine andere, mit der Glaubwürdigkeit der Inschrift von Behistün eng zusammenhängende Frage zu lösen, nämlich: AVie steht es mit der Chronologie der Inschrift und mit dem uns durch sie, in Trümmern wenigstens, erhaltenen altpersischen Kalender? Dieser Frage sind die folgenden Ausführungen ge^^•idmet. Ohne die definitive Lösung der schwierigen Frage anstreben zu wollen, glaube ich doch neue Anhalts- punkte für deren Erledigung finden zu können.

Die chronologischen Angaben der Inschrift lassen sich einordnen wie folgt:

14. Vijachna: Der Magier Gaumäta giebt sich auf dt-m Berge Ara- kadrii nächst Pm'sijduvädd für Soliu des Kjtos aus (I, 11 des Persischen Textes, dem Wir auch fernerhin folgen werden). *

9. Garmapada: Gaumäta ergi'eift als Bard/ja die Herrschaft. Nach- her starb Kamhtfses (I, 13).

10. Bdgajddis: Gaumäta im medischen Sikajauvati'i von Dareios und dessen Genossen erschlagen (I, 13).

Nach dem Tode des Gaumäta Aufstand des Airirui in Susiana und des Nidintubel in Babylmi (I, 16).

27. Atrijddija: Niederlage des Aidintitiel-Nebuhiduesar 111 am Tigris. Dareios zieht gegen Bahjlon (I, 18).

\j J. V. Pr.(sek, Forscliuugeu zur Geschichte des Altertums III, S. 24 38.

J. V. PnixcJi, Die ersten Jahre Dnreioft' den Ili/ntaftpule». 27

2. An^malm: Niederlage des Nidintuhel-Nehuliadnezar TT f. liei Zaziina am T:ui.lirat (T, 19).

ßa/n/ltm eins:t'liomm(Mi, ^^idintuhel-NchuTcadnezar III. liinii^erichtet (IT, 1).

Wiilirt'iul des Aufeiitlialtes dt*s Dareios in Bnhiilmi: .\ufstand in I'ersien, Susiana, ^iedien, Assyrien, Armenien. Partliien. .Afargiana. di^r Sattagyden und der Saken (IT, 2).

Martija, der Anfülirer der Aufständischen in Susiana, von seinen Leuten ermordet, als Dareios in das Land gekommen war (II, 3 4).

Ein nieder, Namens Fravartü-Plu-aortcs , erklärt sich für ("h.sathrita aus dem Hause des Uvachsalara-Kyaxares und l^eniächtist sich der Herr- schaft in Medien, Armenien und Assyrien, d. ii. in dem einstigen Macht- gebiete des Tvyaxares (II, 5).

C). Andmaka: der Perser Vidarna, nach 3Iedien gesendet, liefert dem Phraortes bei Ma(rus) eine Schlacht. Dareios, wohl aus Susiana kommend, wartet die Entscheidung in der Landschaft Kampada-Kaußaärjvt'} ab (IT, 6).

Der Ai'menier Dädarsis gegen Phramtes naih Armenien gesendet.

G(?). Thuravdhara: die Schlacht bei Zusa (11. 7j.

18. Ihuravähara: die Schlacht bei Tigra in Ai-menien.

9. Thäigarcis: die Schlacht bei Uhjdma in .\imenien.

Der Perser Vaumisa nach Armenien gesendet.

15. Jndinaka: die Schlacht mit den Aufständischen bei {Izz)i\tu) in Assyrien (IT, 10).

Am letzten Thuravdhara. wörtlich ..an des ^lonats ThuravAliara Ende" : Vaumisa liefert den Aufständischen die Schlacht bei Autijdra in Armenien (IT, 11).

Dareios zieht von Babylon nach Medien.

26. Aduhanis: Dareios liefert Phraortes die Schlacht l)fi Kmlunti in Medien (H, 12).

Phraortes flüchtet sich nach Ragd in Medien, wird ereilt und in Agbatana hingerichtet (IT, 13).

Unter den Sagartiern trat Citraidachma hervor, giebt sicli für einen Sprossen aus dem Hause des Kyaa-ares aus und erklärte sich zum König. Der Meder Tachnaspdda ward gegen ihn gesendet. CitmTitackma \Aird besiegt, gefangen genonnnen und in Arbela hingerichtet (TT, 14).

22. Vijaclma: Viitdspa-IIysta^pes liefert den parthischen und hyrka- nischen Anhängern des Phraortes eine Schlacht bei VispauzatH im Parthien (II, l.i).

1. Garmapada: Hvstaspes' Kampf mit den Aufständischen l)ei Pati- (jraiand in Parthien (III, 1).

Der Perser DddarSii, Satra[p vnn P)aktrien. wird gegen den Anführer der Aufständischen Frdda nach ^largiana gesendet.

23. Atrijddija: Dädarsis' Kampf mit Fräda (III. 3j.

Ein gewisser Vahjazddta giebt sich in Tdravd, in dem Gebiete der

28 '/• r. Prilscl;

persisclien Utier-Jutija, für Bardes. Solni des Kyms. aus uiiil cikliirt sicli zum Jvönig von Persieii (III, 5).

Dareios zieht mit seinem Heere nach ^Medien und Ijeoi'dert (Uni Perser Artavardija gegen Vahjazd/ita.

12. Thuravdhara : Artavardija liefert dem Vahjnzd<ifa eine Schhicht bei Bachd in Persien (III. ti).

Valijuzduta Hüchtet sich nacli Paisijuuvudä und zielit zu wieder- liulten Fialen gegen Artavardija.

0. Garmapada: Vahjazddta gesclilagen und gefangen genommen (III. 7).

Vahjazdäta mit seinen Parteigängern zu Uvudaidaja in Persien ge- kreuzigt (HI, 8).

13. Andmaka: der Perser Vtvdna schlägt das Heer des Vahjazddta bei Kd/iisaJcdnis in Arachosien (III, 0).

7. Vijachna: Vtvdna schlägt das Heer des VaJiJazdata in der Land- scliaft Gandutava (EH, 10).

Der Befehlshaber des Heeres des Vahjazddta -«-ird in der Festung Arsddd in Arachosien durch Vivdna ertappt und hingerichtet (III, 11).

"Während des Aufenthalts des Dareios in Persien luid Medien zweiter Aufstand der Babj'lonier, A^on dem Armenier Aracha, Sohn des JJaUita. angestiftet. In Diibdla erklärt sich Aracha für Nebnkadnezar, Sohn des Nabonned. und greift nach der Herrschaft, worauf er die Stadt Babylon einnimmt (III, 13).

2. (Markazana) : der Glieder Vindafrä nimmt Babylon ein. Ararha ge- fangen genommen und mit seinen Parteigängern gekreuzigt (III, 14).

Als Teilnehmer an der Verschwörung gegen Bardes werden ge- nannt: Vindafrand, Sohn des Vajaspdra; Utdna, Sohn des Thuchra; Gauharuva. Sohn des Mardunija; Vidama, Sohn des Bagdbigna; Baga- buchsa. Sohn des Ddduchja; Ardumanii; Sohn des Vahauka (1\, 18), alles „Perser-'.

-imai-ma stiftet einen Aufstand in Susiana an. Gauharuva- Gobryas, zum Landpfleger ernannt, zieht nach Susiana. Niederlage der Aufstän- disL-hen (V, 1).

Des Dareios Feldzug gegen die Saken [ den Tigris .... gegen

jenes Meer ich überschritt .... Sakwhka .... den einen tödtete

ich, den andern ergriff ich ....]. Der hier erwähnte Sakulika mit der Bezeichnung hja Saka kommt auch unter den von Dareios besiegten Feinden in der Kleinen Behistüninschrift K vor, es wird, aber von ihm, im Gegensatz zu den übrigen, nicht behauptet, dass er sich zum Könige auf- warf; er trägt die wohlbekannte skythische Ti-acht.

All diese Ereignisse fanden im Verlaufe der ersten Jahre des Dareios statt, aber in der ganzen Insclu-ift giebt es keine einzige Jahresangabe: nur der Tod des Kavibyses und des Pseudobardes, sowie die gleichzeitige Thronbesteigung des Dareios, sind auf Grund anderer Angaben, im

Die ersten Jahrv Ddrcias' des lliistasiiidcn. 20

\'II1. .lalirr des Kaiulnses := Ul-l v. t'lir. itiizusi'tzcii. Dagegen ?-iiiil zalilri'iclM' Kreignisse genau narli Monaten luid Tauen des persischen Kalenders, der gnindsätzlieli mit dem haliylonischen übereinstimmt, datiert. l)ie ^[onatsnamen >ind Wdlil jiersisi li. da aber die Imbyloniselien Äqniva- leute nur teilweise auf uns gekomn\en sind, die susisclien al)er lediglich eine Mo<lifikatiiin der persischen Jienennungen darstellen, ist die Zeit- bestimmung einzelner Ereignisse selir scliwierig und hat erklärli(dierweise zu manchen weit auseinandergehenden Ijösinigsversiudien Anlass gegeben.

Im ganzen kommen im persisclien und susischen Text der grossen Ätrt'WÄ'-Inschrift von Beliistün neun persisclie Monatsnamen vor: Atrijadija, Adukimii, Anumaka, Garmapada, Tkäüjarcis , Thuravähara , Bdfja/dditi, V/'/achna und der blos im susischen Texte erhaltene Marhazana. Leider sind nur von deren fünf babjdonische Äiiuivalente bekannt, die die Ein- i-eihung entsprechender persisclier Jilonate in das Sj'stem des babylonisclien Kalenderjahres gestatten: Vijaclma gleiclit dem Adar^ Thuravähara dem Ijjar, Thüigarcis ist Sivon, Atrijädija Kislev, Anämaka Tehet (vgl. die treffliche Zusammenstellung Opperts , ZDMG LH, 2(50 fgd.). Die ül)rigen vier Monatsnamen entbehren der Äquivalente und es erscheint deshalb nötig deren Reihenfolge im ^' erlaufe des babylonischen Kalenderjahres auf Grund von Erwägungen aufzustellen, die von der natürlichen An- einanderfolge der in der Inschrift erwähnten Ereignisse ausgehen müssen.

Bereits der glückliche Entdecker der grossen Inschrift von Behistfm und, gleich Gkotefexd , Entzifferer des Altpemschen , Sir H. Rawlixson, hat die Bestinnnung einzelner persischer Monate versucht und hielt unter anderem Bdgajädis für I^iisan, Aduhanis für lammuz. Garmapada für Ab. "\\'eiter ging Opfert,*) indem er bei seiner Deutung der einzelnen Monats- namen deren auf et^vmologischem Wege erschlossenen Inhalt zu Hilfe nahm. Auf diese A\'eise kam er in die Lage, Garmapada für den ..Hitze- monat" Ab und Bägqj'ädii für den ..Göttermonat" N/sa7i zu erklären. Ihm ist Spiegel-) gefolgt. Solcherweise entstand das ursprüngliche Oppertsche Kaleudersystem , wobei behufs besserer t'bersicht die nach dem babylonischen Texte bestinnnt erkannten Monate mit gesperrten Lettern gedruckt sind:

J. Bägcyddis = Nisan

II. Thuravähara = Ijjar 111. Th d t(j a r c is = Siran

IV. ^= Tainmuz

V. Üartnaiiada = Ab

VI. = Elul

VII. Adukanis = Tih-i

VIII. ^ Jilurchestan

1) Le peu)))!' et la langiic des Medcs, 188 ff.

2) Eräuischo Altertiimslvuriili" III, 665 ff.

4

:-}0 J. V. Präicl,

JX. Atr ijddija = Ki'slev

X. Anämaka = Tebet

XL Markazana = Sebat

XII. Vij achna = Adar.

Dieses System fand allgeiiieiiie Aiinalnne. Floigl'sO Versuch per- sische !\Ionate mit eleu Monaten des franzüsisclien Eevolutionskaleuders in Vergleich zu ziehen, fand keine Beachtung. Ebensowenig hat Unger-) Iieifall gefunden, als er im Gegensatz zu den ausdrücklichen Aussagen des lialivlonischen Textes Tlmravdhara für Nisan „seiner Bedeutung .holder l''riihling' gemäss ent.spriclit er dem Monate, welcher au die Frühlings- gleiche anknüpfen soll, dem Nisau" und Thäüiarcii für Jjjaf hat erklären wollen.

Den babylonischen Kontrakttäfelchen, insbesondere denjenigen, welche aus der Zeit des Pseudobardes stammen, verdanken wir einige neue An- haltspunkte ziu- Lösung der altpersischen Kalenderfrage, die auch Opi>ebt zu einer Revision seines ursprünglichen Systems Anlass geboten haben. In seiner Abhandlung ,,Les insa-iptions du Pseudo-Smei-dis et de Vusurpa- teuf Nidintabel fixant le Galendrier perse"'') prüft der greise Altmeister der Keilschriftforschung die Daten der von Strassmaier herausgegebenen Täfelclien des Pseudobardes und ändert seine früheren Aufstellungen wesentlich, indem er die Identität des Garmapada mit dem Ni'san und des Bdgajädis mit den Türi annimmt. Diese seine Meinung wiederholt Opfert in Zeitschrift für Assyr. VI, 123, woselbst noch die Gleichstellung des Adiikanis mit dem Marcliesvan hinzutritt. In einem polemischen, gegen F. Justi gerichteten Aufsatz ZDMG LII, 260 fgd. reassumiert Opfert seine bereits vorgebrachte Ansicht und sucht die Gleichstellung Garmapada- Nisan, Bägajädis-Tisri, Adukanis-Marchesvan und Maikazana- Sebat mit neuen Gründen zu stützen. Dieses revidierte System Oppekts hat auch Marquart*) angenommen und anbei geistvoll nachgewiesen, dass unter Bdgajädis auch die Zeit des Bagaopfers, die uayoifovia des Herodot, zu verstehen sei.

.lüngstens haben zu dem altpersischen Kalender auch Justi, F. A. Weiss- bach und E. Meyer Stelliuig genommen. Justi ^) geht ganz richtig von der ^'oraussetzung aus, dass die in der Behistüninschrift verzeichneten Ereignisse einander ununterbrochen bis zur Zeit von Arachas Auf- stand in Babylon gefolgt sind, worauf er die einzelnen Ereignisse und die einschlägigen ]\Ionatsnameu zusammenstellt. In einem Punkte be-

1) Cyrus und Herodot, S. 159.

2) Abhandlungen der Bayr. Akad. der ^Visse^scll. Phil. hist. Cl. 1883, 292.

3) Actes du huitieme congres infernational des Orientalistes. Deuxieme partie. Section Semitique, 253 264.

4) Untersuchungen zur Geschichte von Eran, 63 = Philologus LIV. 13111".

5) ZDMG. LI, 233.

Die crsirti Jahre Darrios des llijstasitidcii. .'il

tiiiili'i siili aber Jisii im Iniiiiii. wenn er nämlich das am 27. Schaf des Vlll. Kambysesjalires datierte Täfelcheu .Stuassmaikk No. I1"J als das letzte aus der Kesierungszeit des Ivamhysks ansieht, da ja nui- die un- unterbrochene l\eihe der Täfelchen, die mit dem am 2:1 Nisan des VJII. Kambysesjalires zu Sakrmu ausp:estellten Täfelcheu abschliesst (vgl. Forschungen I, 10), zu berücksichtigen ist. Ebenso war Justi das Ver- hältnis der sarrnl Bdbili, der babj'lonischen Königsherrschaft des Kambi/ses, welche er im Gegensatz zu den 1'äfelchen in das IX. Jahr des Ki/ros ansetzt, nicht ganz klai". Da der Vijachna dem Adar gleich ist und die Herrschaft des Pseudobardes bis iu den YIII. Monat, in gegebenem Falle in den Ihhjajäd/.s hinein augedauert hat, so folgert Justi, dass als achter Monat nach den Yijaclma-Adar der Tisn in Frage komme und dass der- selbe dem Bihjqjddis deshalb gleicli sei. Gegen diese Argumentation JusTis lassen sich ^Einwendungen geltend macheu, die ich bereits in meinen Forschungen zur Geschichte des Altertums I, 22 fgd. des näheren er- örtert habe. Das Ergebnis entspricht auch meinen auf anderem Wege erzielten Eesultaten, denn Bägqjüdii, worauf ich noch zurückkommen werde, ist thatsäclilich dem TiÄc* gleich, wie die Bardestäf eichen über jeden Zweifel klar erweisen lassen. Nach der Behistuniuschrift ist Bdgajddis der Sterber.iouat des Bardes, den Täfelchen gemäss wxu'de am 1. Tih-i noch nach des Letzteren Regierung, aber am 20. desselben Monats bereits nach Nidintubel-Nebiikadnezar III. datiert aus dieser Zusammenstellung muss doch die Identität des Bägajddis mit dem TiSri jedem Unbefangenen einleuchten. Justi geht von dem Pronunciamento des Pseudobardes auf dem Berge Arakadris aus, unterscheidet aber zwischen dem Pronunciamento selbst imd der formellen Thronbesteigung am 9. Garmapada, welche letztere er gleichzeitig mit dem Tode des Kambyses ansetzt. Da aber Kambyses nach Herodot im Verlaufe des V. Mouates seines VIII. Jahres gestorben war, stellt Jlsti den Garmapada dem babylonischen Ab gleich. Nachdem er noch die Einordnung der in der Insclu-ift skizzierten Ereig- nisse und den etymologisch ermittelten Inhalt der einzelnen Monatsnamen in Vergleich gezogen hat, gelangt Justi zu dem Ergebnis, das Thura- vdhara dem Nisan, Thdüjarcis dem Ijjar, Adukanis dem Sican und Marka- zana dem Sebat gleichzustellen seien. Da aber für den Thuravdhara und 'J'/idi(jarcts die babylonischen Äquivalente IJJar und Sican bekannt sind, so sind JusTis Ausführungen für diese zwei Jlouate a priori al)zu- lehnen.

^'ou einem anderen Standpunkt aus war Weissbach i) bestrebt das Problem des altpersischen Kalenders zu lösen. Ihm zufolge ist der 14. Adar des VIII. Kambysesjahi-es als Tag des Pronunciamento des Gaumdta auf dem Berge Arakadris anzusehen, dagegen soll die formelle

1 ZD.MG. LI, .509—23.

32 J. V. rrascl;

Tlironl)esteigiing des Gaumuta und des Kamdi/sss Tod auf den 9. (Jar- mapada des IX. Kambj'sesjalires fallen. Nach Weissbach soll Garmapada zwischen Adar und Ijjar anzusetzen sein, weil ein Kontrakt täf eichen aus dem Ijjar des „Anfangsjahres" des Bardes erhalten ist. Den überein- stinunenden Zeugnissen der Griechen gemäss regierte Bardes sieben ]\Ionate lang, wurde aber nach der Behistüninschrift am 10. Bdgajddi'.i erschlagen, welch letzterer Tag als Tag der Thronbesteigung von Dareios zu be- trachten ist. Bdgqjädis ist demnach der achte Monat nach dem Nisan, also wohl der MarcheSvan. Nun haben sich für Weissbach aus den Datie- rungen der Täfelchen, die das Anfangs- und das I. Jahr der Bardes unterscheiden, nicht unerhebliche Schwierigkeiten ergeben, Wkissbach sucht aber diesen Schwierigkeiten aus dem AVege zu gehen, indem er nach Ofperts und Marqcakts Vorgang das Anfaugsjahr des Bardrs mit seinem I. Jahi-e identifiziert. Für solche Annahme liegt aber in den Täfelchen absolut keine Berechtigung vor, da bei den unmittelbaren Vor- gängern und Nachfolgern des Bardes die Datierung nach dem Anfangs- luid dem I. Jahre konsequent beibehalten wird. Bekanntlich gilt als „König von Babylon" d. h. als legitimer König von Babj-lonien. nur, wer am Feste des Jahranfangs, in Esaggil, dem Haui)ttemi)el von Bab.vlon. die Hände des Gottes Bel-Marduk erfasst hat. Daraus ergiebt sich die Postdatierung: das ..erste" volle Kegierungsjahr eines bab.vlo- nischen Königs und die Achämeuiden vereinigten mit ihrer Herrschaft das babylonische Königtum in Pei'sonahmion bis Xer.\es diesem Verhältnis ein Ende machte') beginnt mit dem auf seinen faktischen Regierungs- antritt folgenden „Neujahr". Was vorher geht, wird als „Antritts- jahr" gerechnet. Es ist für die Frage der postdatierenden Methode von grösster AVichtigkeit , dass mm auch Oppkrt'-) und E. Meyer-') ihren prinzipiellen AMderstand gegen dieselbe aufgegeben haben. Gegen Weiss- bachs Behauptung, es hätte die Herrschaft des Bardes nicht den 1. JSlisan überdauert, sie hätte demnach in demselben babylonischen Jahre ihren Anfang und ihr Ende genommen, da sie sonst in den ptolemäischen Canon hätte aufgenommen werden müssen, ist einzuwenden:

1. dass Dareios das Andenken des Bardes offiziell ausgetilgt hat, in- dem er sich selbst seit dem Sterbetage des Kambyses als legitimen Herrscher ansah, und folglich war es den Urhebern des Canons, denen die offizielle Königsliste vorgelegen hatte, unmöglich eine nicht anerkannte Herrschaft zu berücksichtigen, ein Vorgang, der bereits aus der Zeit des Sanherib sein Präcedeus hat, indem das zweifache äßaaiXevTog 704 703 und

1) S. darüber C. F. Leuman.v, Xerxes und die Babyloiiier; Wocheusehrift für classische Philologie 1900, Sp. 959—65.

2) ZD,\IG LH, 263.

.3) Forschuiigea zur alten Uesehiehte II, 448.

Die crMrn Jahre Dardos' des Hystaspiden. 33

688 681 Aufiialinie in den Canon «fefunden hat, ungeachtet in IJahvlini der Assyrerkönig zur Zeit tliatsiichlich die Herrschaft fivhrte;

2. dass aucll Nidintubd-JSehukadneziir III. und Aracha-Nebukadnezar i\ ., wie wir nocli zeigen werden, und was aucli Weissbach 1. c. 514 zugesteht, als Könige den 1. Nison eilelit, d()(;li aber keine Aufnahme in den Canon gefunden haben. somU-rn deivu Intermezzi in die 36 Jahre des Dareio.i liineinbezogen worden sind. Der Umstand, dass bisher kein aus einem von den fünf letzten babylonischen Monaten datiertes Kontrakttäfelchen des Bardes gefunden wurde, ist wohl auf blossen Zufall zurückzuführen. A'on diesem Standpunkte aus sind folglich auch AVeisshachs weitere Aus- führungen zu beurteilen, insbesondere diejenigen, welche die chronologische Einordnung der Ereignisse aus den ersten Jahren des Dareio.t zum (^egen- stande haben; mit ihnen hängt die Gleichstellung des MarkazaiKi mit dem Türi zusammen.

Unabhängig von Weissbachs Ausführungen, die bekanutermassen auch später publiziert w^orden sind, war auch ich ') bestrebt den chronologisclieu Problemen der Behistuninsclirift näher zu treten. Für mich standen wohl in erster Reihe die letzten Ereignisse aus dem Lebensgang des Kambyses in Frage, einstweilen sah ich mich aber genötigt auch die ersten Zeiten des Dareios in den Kreis meiner Erörterungen zu ziehen. Mit den letzten Ereignissen der Kambyseischen Herrschaft stehen die Monate F»7«eÄ9ia-Adar , Garmapada und Bägajddii in engem Zusammen- hang und zu deren Bestimmung bietet nach meinem Dafürhalten Herouht den einzigen Ausgangspunkt. Entnehmen wir doch Herooot III, 68, dass 1. Kambyses nach einer Eegieming von 7 Jahren und 5 Monaten ge- storben ist; 2. das Gaumdtas Betrug im 8. Monate seiner Herrschaft ent- hüllt Avurde und 8. dass Gaumdtas Herrschaft mit den letzten 7 ]\[ouaten des letzten oder 8. Eegierungsjahres des Kambyses ein ganzes Jahr aus- macht, wobei die Monate des ersteren ausdrücklich vom Tode des Kam- byses gezählt wurden. "Wir erfahren solcherweise aus Hekouot, dass Kainbyses im Verlaufe, oder noch bestimmter, am Ende des fünften baby- lonisch-persischen Monats seines YIII. Jahres gestorben ist und da si(;h Gaumäta nicht lange vorher, nach der Aussage der Behistuninsclirift am 0. Garmapada, öftentlich zum Könige ausrufen Hess, ist folgerichtig der Monat Garmapada dem Monate Ab als dem Sterbemonate des Kambyses voranzustellen. Nun ist von den vier dem Ab im babylonischen Kaleiuler vorangehenden Monaten der Tkuravdhara dem Ijj'ar gleich, es bleiben deshalb bloss Nisan, Sivan und l'ammuz für den Garmapada Übrig. IMan sieht, dass die WeissbachVcIib Gleichst ellung des Garmapada. mit dem Nisan nicht zwingend ist, da ebenso gut wie Nisan auch der Tamnmz in Betracht kommen kann. Der Ab ist von vornherein aus Gründen, die

1) Forschuugen zur (iescliiolite des Altortums I, 20. Beiträge z. alten Geschichte I.

34 J. V. JWiM;

ich Forschimgen I, 21 angeführt habe, auszuschliessen. Die A\';ilil kann (leiiiiiach nur den Nisan oder den Tammuz treffen.

Nun haben Weissbacu, Oppekt und auch ilARQüART') ausscliliessliili den Xi'san für den Garmapada in Anspruch genommen und Oppekt ist neuerdings (ZDMG. LIT, 283) bemüht für diese Gleichsetzung neue Beweise ins Feld zu bringen, die ich nicht unerwidert lassen darf. Znni Aus- gangspnnkt nimmt auch Oppekt den Herodot und die einschlägigen Bardes- täfelchen. Die sieben ilouate des Bardes sind bei Herodot nach der chronologisch - historLschen Methode gezählt. Die Quelle Hekodots will damit sagen, dass das erste Jahr des Bardes, dessen Jlonate ohnehin dem Dareios offiziell zugezählt wurden, -kein A'olles Jalu* war und dass der Betrüger Avährend dieses ersten Jahres und zwar im 8. iFonate gestürzt imd getötet wmxle. Die Stelle Hdt. in, 67 bestätigt meine Ansicht voll- inhaltlich, indem sie sagt: ö Sh dfj (läyog rsUvri^aavTog Kufißvoeu aästZg

ißaaiXevaa ftijvag iTird rovg iTiiXoinovg Kaußvat] ig tu öxtüu hta

Tijg nh]Oiäawg, wobei noch der Umstand zu berücksichtigen ist, dass Herodot seine Nachrichten über Bardes zwar bei einem persischen Ge- währsmann aber zweifellos iu Babylon eingezogen hat, in Babylon aber für jedermann die offizielle Herrschaftszeit eines jeden Königs erst mit dem dessen Thronbesteigung unmittelbar folgenden 1. Nt'san, als dem Tage, an welchem die Hände des Gottes ergriffen wui'den, eingesetzt hat.

Anders urteilt Opfert. Geistreich wie immer, sucht der Pariser Ge- lehrte das Verhältnis zwischen dem 14. Vijachna. 9. Gammpada und 10. Bägajüdis in Verbindung mit den Kontrakttäfelchen herzustellen, wobei auch die fi'ülier A'on ihm so hart mitgenommene Postdatieruugs- methode herhalten muss. Nun hat Opfert seine neueste Theorie auf einigen schwer und schwerlich erweislichen Voraussetzungen aufgebaut. So wii'd meines Wissens das IX. Jahr des Kambyses nirgends namhaft ge- macht und in dem Ptolemäischen Ivanon folgt das I. \Tahi- des Dareios unmittelbar dem VIII. Jahi"e des Kambyses. Folgerichtig muss das An- tritsjahr des Dareios mit dem VIII. Jahre des Kambyses zusammen fallen und in dasselbe Jalu- ist demnach auch der Todestag des Bardes an- zusetzen. Das Vin. Jahr des Kambyses ist aber dem 226. Jahi'e der Naionnassaraei-a = 522 vor t"hr. gleich, mit mchten aber, Avie Oppert will, dem J. 521. Es besteht weiter keine ..stringenteste mathematische Not- wendigkeit", aus dem Vorkommen der aus dem Ijjar und Sivan des An- trittsjalu-es des Bardes datierten Täfelchen zu folgern, dass der Anfang der Regierung des Bardes iu den Ijjar falle; derselbe kann ja ebensogut in den Nisan fallen, weU in diesem Falle das argumentum ex silentio nicht am Platze ist. Opfert scheint es selbst eingesehen zu haben, dass trotz der angel)lich ..stringentesten Notwendigkeit" der Ijjav dem Gar-

1) Die Fuiidameuti» der isruelitischeii uud jüdischen Geschichte, S. 50.

9

Die ersten Jahre Dnreios' des IlyntaRinden. ;'>:')

wajHida niclit o-leiiiikomuu'n kann, deswegen nimmt er seine ZiiHuciit zu einer nicht leiclit IjesVeiflichen Ariiumentation. Der „Ijjar", führt Oppert I.e. aus, „ist aber der zweite Monat, also ist Smerdis Herrschaftsantritt, von seinem Krönunijstage an gezählt, in den Nisan zu setzen. Hat nun l)arius Reclit. dass der Magier am 9. Garmapadii zum König erklärt wurde, su kann dieser Monat nur der Nisan gewesen sein, da urkundlich der Ijiar dem Thuravähara gleich ist". Bereits der Wortlaut dieser Argumentation muss es Einem eiuleuchtend machen, dass die von Oppkrt postutierte ausschliessliche Gleichstellung des Garmapada mit dem Nisan nicht'so nagelfest ist, wie es den Ansclieiu hat. Es sei hier beiläufig bemerkt, dass auch Opperts weitere Ausführungen dem tliat- sächlichen Stand der Dinge nicht entsprechen, ^^'enn Oppert behauptet, dass die Inschi-iften des Kamby.ies bis in den >iebat. gehen, so kam für ihn dabei lediglich das Täfelcheu 412 Kamb. in Betracht. Nun ist aber dem Umstände Reclmung zu tragen, dass das besagte Täfelcheu ganz isoliert dasteht, indem die ununterbrochene und chronologisch abschliessende Reihe der Kambysestäfelchen mit dem am 23. Nisan des VIII. Xamhyses- jahres ausgestellten Täfelchen zu Ende geht (Vgl. meine Forschungen I, 20 und Weissbachs Bemerkungen ZDMG. LI, 664).') Wenn aber die nach Kamhyses datierten Täfelchen bis in den Nisan seines VIII. Jahres hin- aufreichen, dann ist es absolut unmöglich den Garmapada dem Nisan gleichzustellen und folgerichtig kann für den Garmapada nur der Tammuz in Betracht kommen. Dagegen stimme ich Oppert bedingungslos zu, wenn er den BMjqjädis für den 'lUri erklärt. Die noch am 1. Tih-i nach Bardes, aber am 17. Tisri bereits nach Nidintubel datierten Täf eichen, mit dem Todestage des Bardes am 10. Bwjajädii verglichen, lassen keine andere Deutung zu.-)

Meine Ausführungen und jene Peiseus hat AVeissbach, ZDMG. LI, 661 bis 665 einer kritischen Prüfung unterworfen und seine diesbezüglichen früheren Aufstellungeu, insbesondere die Annahme, es wäre Kyros Udch am 27. Dezember 529 = 25. Kislev des Jahres I des Kambyses am Leben gewesen, den meinigen gemäss modifiziert, iiulem er zusammen für Kam- byses und Bardes statt der früher angenommenen 8 Jahre und 5 Monate (iiach meinem \'orgaug) die durch Herodot, den Kanon und die Apisstelen überlieferten 8 Jahre in Anspruch nahm. Weissbach billigt auch meinen Standpunkt inbezug auf die nach dem 23. Nisan des VIII. Jahres noch vorkommenden spärlichen Kambysestäfelchen. Sonst beharrt aber der

1) Oppkkt S. 263 beruft sich auf ciiu' angebliche Bemerkung von Stuassmaiku und von mir, die Regierungszeit des Kambyses betreffend. Für meine Person muss ich dagegen einwenden, dass ich dergh^ichen nirgends behauptet habe. Ks muss in diesem Falle ein Missverständnis vorliegen, da ich Forschungen I, 2i< das betretl'ende Tiifelehen No. 81 Camb. in das I Jahr des K\ ros angesetzt habe.

2) ZDMG. LH, 266.

3*

11 1

36 J. V. Prdsek,

Leipziger Gelehrte auf seinen früheren Aufstellungen, indem er den Gar- majiada dem Nisan gleichstellt. Seinen Ausführungen ZDilG. LI, ölO fgd. gemäss sind folgende Daten aus der letzten Zeit des Kambyses lier\ür- zulieben und nacheinander einzureihen:

L das angeblich spätest datierte Kontrakt täfeichen am 27. s<'1,(if des VIII. Jahres;

2. das Datum des Pronunciamento auf dem Bei-ge Arakadri'i;

3. die offizielle Ergreifung der Herrschaft durch Bardes am !'. Gar- mapada.

Die zwei ersteren Ereignisse setzt Weissb.wu in einem, die formelle Thronbesteigung des Bardes aber in dem nächstfolgenden Jahr an. Da wir aber ein aus dem Ijjar des Eegierungsanfauges des Bardes datiertes Täfelcheu besitzen, so muss nach Weissbachs Argumentation der Gamui- pada zwischen den XII. luid II. Monat fallen, mit anderen Worten, der Garmapada muss dem ersten Monat, dem Nisan, entsprechen. Nun hat Weissh.vch selbst eingesehen, dass das Täfelchen vom 27. Sebat des VIII. Kambysesjahres nicht die volle Beweiskraft besitzt (ZDMG. LI, 064), es bleiljen. demnach zur Erörtei-nng bloss die zwei Angaben, der 14. Vi- jaclina-Adar und der 9. Garmapada übrig, woraus lediglich zu folgern ist, dass der Garmapada nach dem Vijachna-Adar, in der bereits bezeichneten Lücke, anzusetzen ist. Da aber das Täfelchen vom 2■^. N^isan des VIII. Kam- bysesjahres die Identität des letzteren mit dem Nisan ansschliesst , so kann für den Garmapada bloss der Tammus in Betracht kommen. Be- treffs des BCujajädii giebt jetzt auch Weissbach zu, dass uns bloss die Wahl zwischen Tisri und Marchesvan erübrigt.

Zwei für die Erörterung der aufgeworfenen Frage besonders wich- tige Momente haben von Seiten aller Forscher, die sich mit der Chronologie der Beliistüninschrift abgegeben haben, eine ihrer Bedeutung entsprechende Beachtung gefunden, denn alle Forscher stimmen in der Erkenntnis überein, dass die Eeihe der von Dareios erwähnten Ereignisse ununter- brochen nacheinander folgt und dass der König lediglich aus diesem Grunde es ^'ersäumt hat einzelne Ereignisse nach Jahren einzuordnen. Wenngleich Dareios die Datierung nach bestimmten Jahren unterlässt, so verknüpft er doch einzelne Ereignisse mit bestimmten Zeitangaben. \;ie paruvam, Uta, pasdva, „früher", „und", „nachher", untereinander, mit deren Hilfe mau einzelne Geschehnisse nach scharf unterschied- lichen Gesichtspunkten in festen zeitlichen Zusammenhang einfügen kann. In natürlicher Folge werden zuerst die Schicksale des Kam- byses, das Prouunciamento sowie der jähe Fall des Bardes. der Auf- stand Martinas in Susiana und die demselben gleichzeitige Empörung des Nidintubel in Babylon erwähnt; nach dem Falle Babylons sodann der Aufruhr in den Satrapien, insbesondere der Aufstand des Phraortes in Medien, Armenien, Hyrkanien und Parthien, sowie der Aufstand des

11

Die ersten Jahre Durcios' des Jlifsfaspiden. ü7

Öärantachna in Sargatieu , und der des Fräda in Margiana, endlich das rronuncianiento des Vahjazddta in dem Gebiete der persisclien Utier und in Aracliosien. Im Verlaufe des Aufstandes des Phmortcs sind die Er- eignisse wieder in vier Gruppen zu sclieiden: Die Siege des Phraortes über den königlichen Heerführer Vidama in Armenien, die Siege derselben über Dädarsis in Armenien, die Siege des Vaumisa über Phram-tes in Assyrien und Armenien und zuletzt der ents(;heidende Sieg des Dareios. Mit dem Aufstande des Phram-tes ist aber auch der Kampf des Hystaspes in Hyrkauien und Parthien gleichzeitig.

Auch der Aufstand des Vahjazddta zerfällt in zwei Abschnitte: in die Thateu des Vahjazddta selbst bis zu dessen Hinrichtung und in die Kämpfe des königlichen Heerführers Viväna mit den Parteigängern des Vahjazddta in Arachosien. Erst nach Bewältigung all dieser Aufstände erhob der Armenier Aracha in Babylon von neuem die Fahne der Em- pörung und nahm als angeblicher Sohn des Nabonned den Namen Nebu- kadnezar an.

Nun sind im Verlaufe einzelner Abschnitte wichtige Ereignisse auf Monat und Tag bestimmt, woraus die Möglichkeit ersteht, die kalendarische Stellung einzelner Monate, deren babylonische Äquivalente verloren ge- gangen sind, wenn auch nicht mit mathematischer Gewisslieit, zu be- stinnnen. Es ist aber von vornherein geboten, zu der neuestens durch Oppkrt vorgetragenen Ansiclit über das Wesen des altpersisclien Kalenders Stellung zu nehmen.

Bisher galt es ja als Axiom, dass der altpersische Kalender aus Babylon entlehnt sei: eine Ansicht, die auch in den Monatsangaben der Behistüninschrift ihre Stütze fand, die in den di-ei Versionen im gi-ossen Ganzen übereinstimmen. Die ganz geringfügigen Ausnahmen, die unten erörtert werden sollen, werden nicht etwa auf die Unterschiede in der Sclialtung sondern auf Versehen des Steinmetzen zurückzuführen sein.

Nun ist neuerdings Oppkrt mit der Lehre aufgetreten, dass die Perser zur Zeit der Hystaspiden die Zeit nach wirklichen Sonnenjahren abteilten. Oppkrts These stützt sich auf die bekannte Beschaffenheit des avestischen Kalenders und auch auf die Tradition. Opfert giebt wohl zu, dass liier, um mit ihm selbst zu reden, sehr vieles dunkel ist, führt aber dennoch au.s, dass sich die Sässäniden, bekanntlich in jeder Beziehung Nachahmer der Achaemeniden, nach der Sonne richteten, dass sie ein Jahr von 365 oder 366 Tagen besassen, und sich nach ägyptischen Muster der 12 Monate zu 30 Tagen und 5 oder 6 Epagomenen bedienten. In weiterer Folge (S. 2(i7) urteilt Oppekt über den Kalender des Dareios, der lediglich aus der Behistüninschrift bekannt ist, wörtlich: „Der Kalender des Darius hatte vor allem eine streng klimatische und keineswegs religiöse Färbung. Mit dem assyrisch-chaldäischen es wäre meines Erachtens in diesem Falle angezeigt, die Bezeichnung „babylonisch-assyrisch" vorzuziehen

12

38

J. r. Präick.,

System, mit seinen ans einer uns voUkinnmen unbekannten Sprache stammenden Namen liatte derselbe niciits gemein, als eine ungefähre Gleichzeitigkeit. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass die^leiclisetznng der babylonischen und altpersischeu Primate nui- annähernd ricditig war, und dass mau beispielsweise den 14. Vijanhna durch den 14. Adar wieder- gab, ohne nachzurechnen, ob dieses sj'uchronistisch stinnnte".

Abgesehen davon, dass bereits vonGurscHMin *) und nach ihm Makqit.xkt-), auf die spätere, etwa nm das Jahr 411 v. Chr. stattgehabte Einführung des unter ägyptischem Einflüsse entstandenen avestischen Waudeljahres hingewiesen haben, dass demnach dessen Grundsätze für den altpersischen Kalender des Dareios nicht anwendbar sein können, erscheint es mir noch nötig, bevor ic-li zu der hier vorgetragenen Ansicht Oppekts Stellung nehme, die einzelnen Monatsangaben der Inschrift untereinander zu vergleichen.

Bekanntermassen enthält die Inschrift 20 Monats- nnd Tagesdaten, die ich, da deren einige ausgefallen sind, auf grund der C'ollation des durch H. K.\wlinson in W. A. I. publizierten Kopie des persischen und babylonischen und des von Weissbach edierten susischeu Textes tabellen- artig zusammenzureihen mir gestatte.

1) Gaumätas erstes Auftreten auf

dem Berge Arakadris

2) Gaumäta ergreift die Herrechaft

3) (xaumätas Tod

4) Die .Schlacht am Tigris

5) Die Schlacht bei Zazäiia G) Die Sclilaclit bei Marus

7) Die Öcblacbt bei Zuza

8) Die Schlacht bei Tigra

9) Die Schlacht bei Uhjäma

Kalenderdatum

Persisch

Susisch Babylonisch

14 Vijachna

9 Garmapa- da 10 Bdgajd-

dis 27 Atryddija

2 Anämaka

26 Kidev

Mi-kan- \ 14 Adar

na-{i)s-na -

9 Kar-mi- pat-tas-na

10 Pa-gi-ja- iiis-na

26 A-s-Si-Ja-

ti-Ja-s-na A-{na-ma- a)k-kas-na 6 Anämaka i 27 A-na-ma- \ 27 Tebet

ak-ka-s-7ia 6 Thuravä- , 8 Sic-{i)r-ma- - - - - -

hara (i)r-na

18 Tkuravä- j 18 Su-{i)r- Tiara \ ina {i)r-na

9 Thäigarcis 9 Sa-ü-kur- ri-zi-{i)s-7ia

9 ISivan-')

1) Kleine Schriften III, MS.

2) Philologus" LIV, 232.

3) Vgl. OiTERT, ZDMG. LH, 201.

13

f)ie ersten Jahre Darcios' dt:n Hi/stuspiihn.

39

\

Calenderdatum

l'ersisch

Susisch 1

Babylonisch

10)

Die Schlacht bei Izzitu

15 Anämaka

15 ^l-»irt-»/ift- ak-kaS-nn

11)

Die. Sclilaclil bei Aulij;'ira

Tliuraväliara

Sxi-{i)r-ina- {i)r-im-{i)n- kiti-ina

3(1 lijar

12)

Die Schlecht bei Kmlunis

1 Aduka] vis

"25 A-tu-kan- na-{i)i-na

13)

Die Sfhiuciit bei N^ispauzuti^

22 Mi-ia-kan- na-{t)5-na

•>2 - -

14)

Die Schlucht bei Pati;_'raba!ia

1 (iLirmapa- da

1 Kar-ma- pat-tas-na

15)

Dädarsis Kampf uiil Frada

2o Atrijddi-

.h

23 A-{i)s-si- ia-ti-ia-{i)s- na

1<\)

Die Schlacht bei Rachä

12 Thuravä- hara

17)

Vahja/.ilätas Gefangeniialiiiie

(i Garmapa- da

Kar-ma- pat-tas-na

18)

Die Schlacht bei Käpisakäuis

13 Anämaka

13 A-na-ma-

- -

19) Die Schlacht in Gaüdutava

ak-kai-na 7 Mi-ia-kan-

20) Eiunahme von Babylon durch,, \22Mar-ka-za-\

Viüdafra II 1 na-{i)s-na \

Es erscheint angebracht die in der vorhergehenden Tafel zusammen- gereihten Monats- und Tagesdaten eingehend untereinander zu prüfen, und zwar zuerst die altpersischen mit den susischen, nachher die alt- persischen und susischen mit den babylonischen zusammenzustellen.

Bei der Vergleichung der altpersischen Monatsnamen und Tagesdaten mit den susischen werden wir sogleich gewahr-, dass die Monatsnamen in allen Fällen übereinstimmen und da die persischen Monatsnamen aus der alti)ei'sischen Sprache und überhaupt aus dem Indoeuropäischen leicht er- klärlich sind und sich in der Formbildung eng an die altpersische Sprache anpassen, so müssen die altpersischen Namen ursprünglich, die susischeu dagegen als aus dem Altpersischen entlehnt betrachtet werden. Die Tages- daten betreffend ist in fünf Fällen (1, 5, 13, Iti, 17 unserer Keihe) der Ver- gleich unmöglich, da je eins aus den zu untereinander vergleichenden Daten ausgefallen ist. es bleiben demnach bloss«15 Fälle übrig, von denen 10 (2, 3. 8. 9. 10. 11, 14, 15, IS und 19 unserer Keihei übereinstimmen, 4 da- gegen sich mehr oder weniger unterscheiden; in einem Falle (20 unserer

14

40 J- V. PräSck,

Reihe) ist in dem persischen Texte der Monatsname ausgefallen, dagegen aber das Tagesdatum erhalten.

Betrachten wir näher die di^'ergiereuden Fälle. In -i) steht dem persischen 27. Atrijädija der susische 2(3. Tag desselben Monates entgegen, ebenso in 12) der 26 persische Adukanis dem 25 susischen Tage desselben Monates. Die Differenz um einen Tag wäre sonst geringfügig, einiges Befremden dürfte aber der Umstand erregen, dass der susisclie Kalender bei denselben Monaten die Tage um einen Tag später zählt als der persische. Es könnte daraus der Schluss gezogen werden, dass der susische Monatsanfang um einen Tag später ansetzte als der persische. Dem widerstreiten aber die Fälle 6) und 7), -nie wir gleich sehen werden.

Im Falle 6) steht nämlich der 6. altpersische Anumaka dem 27. (wobei aber hervorzuheben ist, dass die Zeile 18 mit der Ziffer 20 abschliesst und die Zeile 19 mit der Ziffer 7 beginnt) Tage desselben susischeu ilonates, im Falle 7) der 6 altpersische Thuravdhara dem 8 Tage des- selben susischen Monates entgegen, eine Discrepanz, die eingehende Er- örterung fordert. Weissbach und Bang, die allerdings Gelegenheit gehabt haben, im British Museum die Originale der EAWLixsos'schen Kopien der Inschrift einzusehen, ergänzen im Falle 6) die altpersische Ziffer 6 in 27.*) ]ileines Erachtens giebt der Eawlinson'sche Text in W. A. I. selbst zu einer derartigen Ergänzung keinen Anhaltspunkt, aber sie gewinnt an Berechtigung, Aveun ynr die Fälle 10) und 18) zu Hilfe nehmen. Im Falle 10) findet sich ja deutlich im altpersischen Texte die Angabe „15 Andmaka" und im susischen dieselbe, das Gleiche kommt im Falle 18) vor, wo dem 13. altpersischen Andmaka der 13. Tag desselben susischen Monates gegenübersteht. Wenn in zwei Fällen die Zählung der einzelnen Tage desselben Monates übereinstimmt, so muss auch im dritten Falle derselbe Vorfall erwartet werden, umsomehr als im Falle 6) der 27 susische Andmaka dem 27. babylonischen Tebet gleichgesetzt wii'd. Die Weissbach- BAx<;"sche Ergänzung ist demnach gerechtfertigt und A\-ii- finden uns diu-ch die vorhergegangene Erörterimg zu dem Schlüsse berechtigt, dass die Zählnngsweise der Tage des altpersischen und susischen Monates Andmaka in derselben Weise vor sich ging wie es im Ijabylonischeu Tcbet der Fall gewesen.

Zu derselben Erkenntnis gelangen wir- bei der Prüfung des Falles 7), wo der 6. altpersische Thuravdhara dem 8. 'J'age desselben susisclieu Monates entsprechen soll. Das babylonische Ä(iuiva]ent fehlt wohl, aber wir befinden uns im glücklichen Besitz von zwei Thuraväharadaten. die den Schluss, dass auch im Falle 7) die Korrektur der altpersischeu Ziffer 6 in 8 •-) angezeigt ist, rechtfertigen. Im Falle 8) nämlich, wo der Monat

1) Durch Hiuzufdgung zweier AVinkelhakoii = 2 x 10 uud eines senkrechten Keils = 1.

2) Durch Einfügung zweier senkrechter Keile.

15

Die ersten Jahre Dardos' des Hystaspidcn. 41

Thuravdhara desselben Jalires in Rede steht, entsi)rielit der 1^. altpersisclie Tilg dem 18. susischen Tage desselben Monates und noch stringenter lauten die Angaben im Falle 11), wo der alti)ersische wie der susische Text den „letzten" 'i'ag desselben Monates, der babylonische Text den :{0 Tag des Ijjai' ansetzen, ^\'ir müssen deshalb die altpersische Ziffer ti) im Falle 7) zu 8 ergänzen und auf dieselbe Zälüungsweise der Tage wie im altiiersischen und susisclien Thuravdhara so auch im babylonischen Ijjar schliessen. Ist bei zwei Monaten dieselbe Zäliiungsweise erwiesen, so ergiebt sich daraus mit Notwendigkeit der 8chluss. dass auch die Tage der übrigen Monate in kongruenter Weise gezählt wurden und dann müssen wir die divergierenden Fälle 4) und 12) als blossen Fehler des Steinmetzen ansehen.

Es erscheint der Versuch lohnend, diejenigen persischen Monate, deren andersprachiges Äquivalent verloren gegangen ist, in das feste Gefüge des babylonischen Kalenders einzureihen. In erster Eeihe ist es der Monat Garmapada, welcher in der Insckrift dreimal vorkommt, in der Zeit des Pronuciamento des Oaumäta zA\isclien Vijachna-Adar und Bägajddis, während des Aufstandes des Phraortes nach dem Vi'jachna-Adar und während des Aufstandes des Vahjazduta zwischen Thuravdhara-Ijjar und Andmaka- Tebet. Der letztere Fall wurde bereits von Ju^sti a. a. 0. nach Gebühr erörtert. In allen drei Fällen ist der ununterbrochene Zeitverlauf zweifellos. Da der Garmapada inmitten der Eeihe zwischen Thuravdhara- Ijjar und Andmaka-Tebet genannt wird und in der Zwischenzeit die Identität von Thdi<jarcis-Sivan und Atrijddija- Kislev feststeht , SO bleiben für Ganna- jiada bloss die Monate Tammuz, Ab, Elul, Tih-i und Marchesvan übrig, gehen wii- aber von dem Inhalt des Wortes Gamuqjoda als ..Hitzemonat" aus (Ue diesbezügliche Deutung Opperts ist bisher keiner ernsten Ein- wendung begegnet so kommen lediglich Tammus, Ab und Elul in Be- tracht. Nun sagt Dareios, Gaumdta hätte am 9. Garmapada die Herr- schaft an sich gerissen, worauf des Kambyses Tod gefolgt ist. Der Monat Garmapada ging also dem Todesmouate des Kambyses voran, da sich ervdesenermassen das I. Jahr des Gaumdta- Bar des mit dem VIII. Kamb\'ses- jahre deckt. Der Todesmonat des Kambyses war auch Herodot bekannt. Der Yater der Geschichte rechnet ja die Jahre der älteren Achaemeniden historisch, da er bei Kyros und Dareios die volle Kegierungszeit in Jahren angiebt, des Kambyses letztes Jahr aber aus dessen fünf Monaten und aus sieben Monaten des Bardes zu.sammensetzt. Diese Angabe erweist sich aber als Eesnltat seiner Berechnung, wenn -wir vor Augen haben, dass den Kontrakttäfelchen zufolge das ^'erllängnis den Usurpator nicht im letzten Monate des YIII. Kambysesjahres , wie man sonst aus dem Herodoteischen Texte zu folgern gezwungen wäre, sondern bereits im \'erlaufe des Tii-ri ereilt hat. Von zwei Angaben muss demnach Herodot eine falsch überliefert erhalten haben; wir ersehen, dass er wohl des

16

42 J. r. TräscJc,

Bardcs Toi falsch in den letzten Monat des .laln-es auKesetzt hat. (laduich aber wird die Glaubwürdigkeit der beiden, ursiiriinslicli voneinandei- un- abliängijjen Angalien noch nicht erschüttert, und wir gelangen somit zur Erkenntnis, dass Herodot zwei selbständige Angaben, über den Tod des l\amh;ises in dem fünften Monate seines Till. Jahres und über die sieben- monatliche Herrschaft des Barcles, zu Gebote gestanden haben. Die Monate des Anfangsjalires blieben nach den (Grundsätzen der babylonisclien Chronologie in der Summierung der Königsjahre unberücksichtigt.

Im (Tegensatz zur babylonischen Gepflogenheit, aber im Einklang mit der offlziellen persischen Zählungsweise, die das Andenken des Bardcs vertilgt hat. rechnet Heeodot das I. Jahr des Bardes dem Kambi/ses an, mit dem auf diese Weise gewonnenen YIII. Jahre des Kambyses fällt aber auch der, allerdings niu' theoretisch aufzufassende „Anfang" des Dareios zusammen, da sich thatsächlich nach Gaumätas Ableben Nidin- hbbel-Xebukadnezar in Babylon der Regierung bemächtigte und auch so- gleich nach dessen „Anfang" datiert Avurde. Diesen „Anfang" des Dareios liat Herodot nicht berücksichtigt, was übrigens nicht befremdend ist. da die Bestimmungen der postdatierenden Methode ihm schwerlich bekannt sein konnten. Er erfuhr aber von seinem persischen Gewährsmann in Babylon, dass die Regierung des Kambyses im Verlaufe des fünften Monates des YIII. .Jahres zu Ende ging, und wusste auch sonst, dass sich dieses YIII. Kambysesjahr mit dem -Jahre des Bardes deckte, und deshalb hat er kombiniert, dass Gaumdta bloss während des YIII. Kambysesjahres und zwar sieben Monate lang die Herrschaft geführt hat und im Ver- laufe des achten Monates getötet wurde. Bei dieser, bereits „Forschungen" I, 23 fgd. vorgetragenen und begründeten ^Meinung beharre ich noch jetzt, ja ich fühle mich noch mehr in dieser Meinung befestigt, da sich aus dem Vergleiche des Herodoteischen Textes mit den Kontrakttäfelchen herausstellt, dass Herodot der richtige Zeitpunkt der Ermordung des Gaumdta nicht bekannt war.

Nun besagt die Inschrift, dass sich Gaumnta am 0. Garmapadci. knapp vor dem Tode des Kambyses. zum Könige, wohl zum „König von Babylon, König der Länder" . erklärt hat. Dass diese Zeitauffassnng richtig ist, erhellt besser aus dem babylonischen Texte, avo das dem verbum linitum isabat unmittelbar folgende und die persische Zeitbestimmung pasäva er- setzende Wort arki „danach", bestimmt aussagt, dass zAvischen der Aus- rufung Gaumätas zum Könige und dem Tode des Kambyses ein ganz kurzer Zeitabschnitt anzunehmen sei. Danach bleibt für den Garmapada bloss der Tammuz oder der Ab übrig, und es liegt auf der Hand, sich für den Tammuz als den dem fünften nächst vorangehenden Monat zu entscheiden. Es erübrigt infolgedessen ein verhältnismässig kurzer Zeitraum von höchstens einigen Wochen ZAvisclien den beiden bereits bezeichneten Ereignissen, und dies Avird bestätigt durch Herodot, der berichtet, dass Kambyses

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Dir, crstrii Jahre Darcins' dcf! Hi/.ifa.ipidr.n. 43

"20 Ta.CVll liarll seiner ^'e^\\Ul:(llllli;■ Uiul iler der lelzte|-eli i^leirli/Ceiti^-ell Kunde von der rsuriiatiim des (Idinmifii dem 'l'nde erlai;'.

Der zweite ^fouat, dessen bahylimisdies Äciuivalent niclit erlialten ist. ist Buijajadii-, an dessen zehntem Tage Gaumdta dnnli Dareio.i und dessen (lenossen ersclilafjfen wurde. Bis zum Bekanntwerden der K'dutrakt- läfelclien bot nur die Bedeutung des "\^'ortes einen gewissen Auhaltsiiunkt, indem man nacli Oppkrts Vorgang aus dem Namen auf einen Monat, in dessen Verlauf den Göttern die üblichen Jahresopfer dargebracht zu werden pflegten, zu soliliessen geneigt war. IVshall) stellte auch ur- sprünglich Oppert den Biujqjädis dem Nlsan gleich. Diese Erklärung fa'nd auscheiueud ihre .Stütze au Hkrodots Angabe, dass Gaumdta währc^ud der letzten sieben Jlonate des VIII. Kamb.ysesjahres die Herrschaft führte und im achten Monate gefallen ist. Jetzt gestatten die babylonischen Kontrakttäfelchen mit sozusagen mathematischer Sicherheit die Identität des Bdijnjädii mit dem Twri aufzustellen. Das letzte Barziatäfelchen ist am 1. Tisri ausgestellt worden, Gaumdta erlebte demnach noch den 1. Ti'sri seines I. Jahres, am 17. Tisri wurde aber bereits nach einem Nebukadnezar, „König von Bab.vlon" (sar Bdhili) datiert, und in dem in Eede stehenden Täfelchen fungiert als Zeuge der zur Zeit des Kyros, Kambyses und Dareios. aber nicht etwa zur Zeit Nebukadnezars des Grossen erwähnte Itti-Marduk-baldtu aus dem Bank-Hause Egibi, woraus zu folgern ist. dass das Täfelchen der Regierungszeit eines anderen, den ersten drei Achaemeniden zeitlich nahestehenden Nebukadnezar . in dem gegebenen Falle des Nidintubel-Nebukadnezar, zuzurechnen ist. Hat mau am 1. Tisri noch nach Barzia, am 17. d. M. aber nach dessen Nachfolger Nidintubel- Nebukadnezar datiert, SO muss es einleuchten, dass Barzia im Tisri gefallen ist und sonach Tii-ri dem persischen Monate Bdgajädis gleichkommt. Bei der bekannten Schnelligkeit der persischen Königs- boten darf es nicht befremden, dass bereits am 17. Tisri, acht Tage nach dem Tode des Gaumäta. in Babylon nach dessen Nachfolger datiert werden konnte.

Es bleiben noch die Monate Adukanii und Markazana übrig, die beide nur einmal in der Inschrift namhaft gemacht werden. Da man triftige Gründe hat, im Garmapada den Tammuz und im Bdgajädis den Tisri zu erkennen, so sind hinsichtlieh der zwei noch zu einreihenden Monate bloss Nisan. Ab, Elul, Mnrchesvan und Sebat in Betracht zu ziehen. Adu- kanis, nach Jfstis (1. c. 245) Deutung der „]\ronat der Kanalgrabenden", würde in die Zeit der Bewässerungsbauten und -verbessei'ungen. wohl in den Herbst, einzureihen sein. In der Inschrift erscheint er gelegentlich des Phraorteischen Aufstandes in Medien, unbestimmt genug, nach dem Thuravdhara. An dem letzten Tage des Monates Thuravdhara lieferte der königliche Heeriülu-er Vaumisa dem Gegenkönig Phraortes bei Autijäi'a in Armenien eine Schlacht, die Dareios zwar für einen Sieg erklärt.

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44 J.. V. Frdiel;

trotzdem aber selbst bemerkt, da:^s der ,.siegreiche"' Vaumisa solau<re in Arnieiiieii warten musste, bis Dareios mit Verstärkungen in Jledien ankam. Alsdann lieferte der König selbst am 26. Adukanü dem Pliraortes liei Kndurus in Medien eine zweite Sclilaclit, die mit der Niederlage und der Fluclit des Gegenköuigs endete. Wenn wir bedenken, dass der letzte Kampf des Dädarsis bei Uhjäma am 9. TMigarcis-Sivan, die erste Sclilaclit des Vaumisa bei Izzitu erst am 7. Anämaka-Tebet, also nach der Zwischen- zeit von niebr als sieben Monaten, stattgefunden bat, so müssen wü- einen annähernd langen Zeitraum auch für den Abstand zwischen der letzten Schlacht des Vaumisa und jener bei Kudnrus voraussetzen, infolgedessen fallen aber Ab und EM als in der Eeilie nächste Monate weg. Aber auch Sebat bleibt ausser Betracht, wenn wir mit MÄsgrART, Philologus LIV. 282 = Untersuchungen zur Geschichte vou Eran I, 64 erwägen, dass der armenische Monat Margas mit dem bloss susisch überlieferten Markazana identisch ist. Dann kann aber Adukanis bloss dem Marche&van, d. h. der regenlosen, den Bewässerungsbauteu in Persien günstigen Herbst- zeit gleichgestellt werden ; vgl. Spiegel, Eränische Altertumskunde I, 248. Es liegt kein Hindernis vor. den Markazana mit dem wohl auch auf iranischen Ursprung zurückzuführenden armenischen Margas, der dem liabylmiischen Seoat entspricht, gleichzustellen.

Auf dieser Grundlage erscheint es möglich, die einzelnen Angaben der Behistüninschrift kalendermässig zu bestimmen und in ein chrono- logisches System einzufügen. Ich gehe dabei von der Erkenntnis aus, dass das in den babylonischen Kontrakttäfelchen erwähnte I. Jalu" des Barzia wie dem YIII. Kambysesjalu-e so auch dem ,.Anfangsjahre" des Dareios, beziehungsweise des Nidivtubel-Nebukadnezar III.. gleichkommt. Da nun ein Täfelchen aus dem IJj'ar des Anfangsjahres des Barzia be- kannt ist, so ist der Eückschluss berechtigt, dass Gaumdta in einigen Ost- ländern und insbesondere auch in Babylon bereits im Ijjar = AprilMai 523 V. Chr., also vor seiner amtlich erfolgten Proklamation, als König anerkannt worden ist. Die Inschrift besagt, dass sich Gaumdta am 14. Vijachna-Adar auf dem Berge Arakadris für Bardes ausgegeben hat, es hat demnach dieses Ereignis in dem dem IJJar 528 vorangehenden Adar, Februar/März 523 v. Chr., stattgefunden, worauf am 9. Garmapadu- Tammnz des nachfolgenden Jahres, vielleicht auf Grund von ungünstigen Xachricliten über den Verlauf des Kambyseischen Zuges nach Aethiopien, die Pi-oklamation zum ..König der Länder" {sar mätdti) und die allgemeine Anerkennung als König erfolgt ist, die angemasste Herrlichkeit aber bereits am 10. Bdgajddis-Tisri zu Ende ging.

Der Tod des Gaumäta hat zu zahlreichen Aufständen Anlass gegeben, zuerst in Susiana, wo ein ge^visser Atrina nach dem Diadem griff. Dieser Versuch wiu'de aber sehr bald, jedenfalls noch im Verlaufe des Jahres 522 V. Chr., diu-ch die Truppen des Dareios unterdrückt und Atrina selbst hin-

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Die ersten Jahre Dareios' des Hrjstaspklcn. 45

gerichtet. Gleielizeitig, und zwai- gemäss den Kontrakttäfelchen gleicli nacli dem Tode des Oauimtta, wurde Nfdintxihel zum Könige von Babylon unter dem Namen Nebul-adneznr ausgei'ufen. Dareios sagt I, 18 der iiersisclien 'S'ersion, dass er sicli „naclilier" pasäva gegen Ntdiiituhd-Nehu- kadnezar in Vormarscli gesetzt liat und dem Zusammenhang ist zu ent- nelimen. dass er den ersten Schritt nacli dem Falle Atr/nus, also wdlil nucli im Jahre 522 v. Chr., unternommen hat. Am 27. Atrijudija-Kislev des Jahres 522 stiess demnach Dareios zum ersten ^fal mit Nidin- fuI'C'I-Neljuhuhiezdr in einer Schlacht am Tigi'is zusammen und am 2. And- maka-Tebef, bereits anfangs des Jahres 521 v. Chr., erlitt Nidinltibd bei Zazäna am Euphrat eine zweite Niederlage, worauf er in Babylon von Dareios belagert ^\urile. Es folgten dann die Einnahme von Babylon, die Bestrafung des JSidintubel und ein längerer Aufenthalt des Königs in der eroberten Stadt; leider ist aber in II, 2 die Zeit dieses Aufent- halts nicht genau bestimmt. Das erste uns erhaltene von den nach Dareios datierten Täfelchen ist am 20. >Sebat seines „Anfangs" ausgestellt (Stkassmaiek, Dareios Nr. 1), also nach der Schlacht bei Zazäna, die Da- reios zur thatsächlichen Heii'schaft über Babylonien, die zum weiteren Kampf entschlossene Hauptstadt ausgenommen, verholten hat. BosoawknI) hat erwiesen, dass die am 17/VII., 20/VII., 10; VIII., 21/IX. und 27,XI. des „Anfangs" und am IV und 15;I. des I. Jahres des Nebukadnezar sar Bäbili datierten Täfelchen nach den in denselben auftretenden Zeugen dem Gegenkihiig Nidintubel-Nebukadiiezar zuzuzählen sind und folgert daraus ganz richtig im Gegensatz zu Opfert-), dass sich die Kegierung Nidiittubels über den Zeitraum bis zum EM 521 v. Chr. erstreckt hat. ..AVähi-end" Dareios ,.in Babylon" weilte dieser Aufenthalt wiitl nach meinem sich auf die Worte jätd adavi Bubirauv stützenden Dafürhalten bis über den Hochsommer 521 v. Chr. gedauert haben ergriff ein allgemeiner Aufruhr Pei'sien, Su.siana zum zweiten Male, Medien, As.syrien, Armenien, Parthien, Margiana, Sattagyden und die Saken, also ausser Baktrien und Sogdiana das gesamte östlich vom Tigris belegene Reichs- gebiet. In all den genannten Ländern ist dieser Aufruhr gleichzeitig ausgebrochen und zwar, gemäss den Angaben des Königs, die sich auf des letzteren Aufenthalt und auf seine Abreise aus Babylon beziehen, sowie angesichts der Thatsache, dass sich Susiana bereit.s zum zweiten Jfal empört hat, während des Jahres 521 v. Chi'. Am gefährlichsten wai' der Aufstand in Medien unter Führung des Fravariis-Phraortes, der sich füi- Chkährita aus dem Hause des Uvachsatara-Kyaxares ausgab und in allen einst zu Medien angehörenden Landein Anerkennung gefunden hat. Dareios sah sich gezwungen, zuerst gegen diesen nicht zu unterschätzenden (Gegner

1) Transactions of the Soeiotv of Biblical Archeology W, 31.

2) Ebenda VI, 271.

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J. V. Vrdielc,

aufzutreten, verfügte aber zur Zeit über ein verliältnisniässig nicht zaiil- reiclies Heer, welches er zudem noch zu teilen genötigt war. Der Perser Vükmia-Hydarnes führte mithin bloss eine Heeresabteihing gegen die auf- ständischen ]\leder und lieferte denselben am 0. Anämaka-Tehet , Ende December 521 v. Chr., bei Marus in Medien eine Schlacht, die mehr einer Niederlage als einem Siege glich, da sich Vidnma nach der süd- metlischen Landschaft Kanipada mit dem Best seiner Truppen zurück- ziehen und dortselbst die Ankunft der unter Dareios eigenem Befehl stehenden ^'erstärkungen abwarten musste. Hiernach betraute Dareios mit dem Oberbefehl in Metüen den Armenier Dädarsis ^deder ein Beweis, dass Vidama bei Marus den Kürzeren gezogen und weiterhin zum Oberbefehl nicht geeignet erschien und sendete denselben nach Armenien, um den Angriff nach Medien von Westen her zu versuchen. Am G. Thuravdhara-JJj'ar, (April 520 v. Chr.) kämpfte Dädarsis mit den Aufständischen bei Zuza, am 18. Thuravdhara, Anfang Mai, bei Tigrä und am 9. Thuüjarcis. Ende Mai, bei l^hjäma in Armenien, aber diese Sclüachten hatten für Dareios die Bedeutung von Niederlagen, da sieh Dädarsii ge- nötigt sah, den König um Verstärkungen anzugehen und sich mit dem Best seiner Truppen nach Ass3'rien zurückzuziehen. Jetzt sendete Dareios gegen die ]\Ieder den Perser Vaumisa, der endlich am 15. Anäinaka, also erst Anfang Januar 519 v. Chi'., einen kleinen Vorteil bei Izzitu in AssjTien errang uml dadurch in die Lage kam, einen neuen Angriff auf Armenien zu wagen ; seine zweite Sclüacht, die von Autijäi'a am letzten Thirarahara, Mitte Mai 519 v. Chr., wiu'de auch bereits in Armenien geschlagen. Trotz dieses Vorteils fühlte sich dennoch Vaumisa nicht stark genug, den Phraortes nach Medien zu verfolgen, sondern wartete in Armenien die Ankunft des Grosskönigs ab.

Erst jetzt verliess Dareios Babylon und fiel in Medien ein. Am 26. Adukanis-Marchesvan, erste Novemberhälfte 519 v. Chr., wurde Fhra- ortes bei Kudurus aufs Haupt geschlagen, in Eagä auf der Flucht ereilt und in Agbatana gekreuzigt. Mit seiner Hinrichtung hörte aber der Aufruhr noch nicht auf, da noch die Parther und Hyrkanier unter Waffen standen. Dareios Vater Vistdspa hat anfangs in Parthieu einen schweren Stand gehabt und erlitt am 22. Vijachna-Adar bei Mspauzatis eine scln\ere Niederlage. Aus dem Umstände, dass Dareios in die Lage kam, seinem geschlagenen Vater Verstäi'kuugen zu senden und dass Phraortes auf der Flucht nach Parthien in Bagä ertappt wxuxle, ist zu schliessen, dass die zweite Schlacht in Parthien jener von Kudurus gefolgt war, und demnach in die erste Maihälfte 518 v. Chr. anzusetzen ist. Am 1. Garmapada, Mitte Juli 518 v. Chi-., gewann Vistdspa thatsächlich einen Sieg über die Aufständischen bei Patigrabanä, wohl kurz vor der Gefangennahme des Phraortes, da der letztere sonst von Parthien aus Hilfe erlangt hätte. Des Phracn-tes Gefangeinuiliiiie nuiss deshalb im Sunnuer 518 v. Chr. statt-

21

Die ersten Jahre Dareios' des Hystaspiden. 47

g:et'iin(Ien ]ial)eii . weil erst nach der Schlarlit bei Kudurus dem ViittdspH persische 'JYuppeii nachgesandt wurden und Phraorhs selbst es «rewiss nicht an ^'('rsuchen fehlen Hess, entweder seinen Vert'oljrern zu entkommen imIci- sicli in der ringeg-end von Kaö^ä verborgen zu halten, was allerdinirs eine geraume Zeit wird beansprucht haben. Es hat demnach die Schlacht bei Patigrabanä ]\Iitte Juli, die bei Yispauzatis Anfang' ^lärz als v. Chr. stattgefunden.

Die Aufstände von Sagastien und Margiana waren nicht von l!e- traclit und im allgemeinen fallen sie mit dem grossen medischen .\uf- stande zeitlich zusammen. ^lit dem letzteren ist aber auch der .\ufstand in Ostpersien gleichzeitig, woselbst, in der Stadt Täravä, ein zweiter Pseudobardes, N'ameiis Vahjazddta, aufgetreten ist, sich für Batdes, Kyros' Sühn, ausgegeben und zum Könige von Persien aufgeworfen hat. Gegen ihn wurde der Perser Artavardija entsendet. Bei dieser Gelegenheit sagt Dareios: hja anija kdra Pärsa pa^d mand asijava Madam, „das Übrige persische Heer zog mir nach, nach Medien" (III, 6 Pers.), was im babj-- lonischen Texte folgendermassen ^wiedergegeben wird: „die Leute von Persien gingen mit mir nach Medien" , nisu sa Par.iü ittüa italkü Mddd. Nun wohnt dem altpersisclien M'ort j'ja«« die Bedeutung „liinter" inne, aber das babylonische ittCa hat ganz bestimmt ilie Bedeutung „mit mir" und dadurch wird uns eine wichtige Zeitbestimmung geboten : Ardavardija wurde gleichzeitig mit dem Aufbruch des Dareios aus Babj-lon im Jahre 519 V, Chr. nach Persien beordert. Nun stiessen am 12. TJmravdhara- Ijjar. Ende April, bei Eachä Vahjazddta und Artavardija aneinander. Da Dareios bei Kudurus in der ersten Novemberhälfte 519 v. Chr. gekämpft hat und die letzte Schlacht Vaumisas im Mai desselben Jahres geschlagen wiu-de, so stellt sich heraus, dass Dareios erst im Hochsommer oder Herbst nach Medien zog und gleichzeitig Artavardija mit dem Oberbefehl in Persien betraute. Die Schlacht bei Eachä hat somit Ende AprU 518 v. Chr. stattgefiuiden und erst nachher am 6. Garmapada (= zweite Junihälfte) desselben Jahres, wwnnle Vahjazddta auf dem Berge Paraga geschlagen, gefangen genommen nml in der persischen Stadt Uvädaidaja gekreuzigt.

Vahjazddta hat aber vorher eine HeeresabteUung nach Arachosien gesendet, wodurch Dareios genötigt ward, dem Satrapen von Arachosien Vivdna einige Verstärkungen zu senden. Dem "Wortlaute 1 martijam mathistam akunaiis avathasdm athaha paraitd Vivdnam zatd (ITI, 9 Pers.) ..er machte einen Menschen zum Obersten derselben, also spracli er zu ihnen: Ziehet hin, schlaget den Yiväna", ist zu entnehmen, dass Vivdnn noch zur Lebenszeit Vahjazdätas, also vor dem Juni 518, gegen die Ge- sinnungsgenossen des Vahjazddta ZU operieren anfing. Nun liat am 13. Andmaka-Tehet, Ende Dezember, Vivdna den Aufständischen die Schlacht bei Kdpisal-dnis, am 7. Vijachna-Adar . zweite Hälfte des Februar, eine zweite in (Tafulutawa geliefert, worauf sich der Führer der .Aufständischen

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48 'T. F. Vrmel,

in die aracliotisclie Festung Arsäda geflüchtet liat und bald aueli mit der letzteren in Vivänas Hände fiel. Demnach ist die Schlacht in Ganduta^a im Februar 518 und jene bei Kapisakänis in die letzten Dezembertage 51!' V. Ohr. anzusetzen.

Die Pazifikation y(m Medien und J'ersien nahm den Aufenthalt des Dareios Wühl für längere Zeit in Ansitruch. Meines Erachtens stehen mit den Kämpfen in Medien. Pavthien. Persien und Arachusien die persischen Eroberungen im Indosthale und der Fall des hinterlistigen Satrajien in Lj'dien Oroites in zeitlichem Zusammenhang. Oroitcs, ein gewalttliätiger Mann und herrschsüchtiger Ränkeschmied, beutete die iranischen Wirren rücksichtslos zu seinen Gunsten aus, beseitigte arg- listig und in offenem Gegensatz zu des Dareios Absichten den Tyrann \iin Sanuis Polyhrates, schlug Dareios die Hilfe gegen die Aufständischen ab und tütete sogar den Satrapen von Phrygien Mitrobates und dessen Sohn Kranaspes, die die Ermordung des Polykrates nicht billigen wollten. Infolgedessen hat ihn Dareios A'om Amte abberufen, Oroites bot aber auch dem Befehle des Königs Trotz, legte durch diese Widerspenstigkeit seine walu'en Bestrebungen an den Tag und wurde von Baejaios, dem Sohne des Artontes, auf des Königs Geheiss getötet (Hdt. III, 126 128). Hkroi)(it sagt, dass diese Ereignisse olSiövraiv röiv ngriy^aTuv, also wohl inmitten der iranischen Wirren oder unmittelbar nach deren Erledigung, stattgefunden haben.

Durch diese P^reignisse, die doch geeignet waren, die Aufmerksamkeit des Dareios vollauf zu beschäftigen, erklärt sich die grosse Lücke in der Inschrift zwischen dem Ausgang des pevsisch-arachotischen Aufstandes und dem zweiten von dem Armenier Aracha angestifteten Aufstande in Babylon. Auch Aracha, obzwar er notorisch ein Fremder war der Name seines Vaters Haldita weist ja auf chaldisclien Ursprung hin . hat sicli für Nebukaclnezar, den Sohn des Nabonned, erklärt und griff als angeblicher Erbe des letzten einheimischen Königs nach der Krone. Auch für die Chronologie dieses Gegenkönigs bietet Heeodot einen nicht zu unterschätzenden Anhaltspunkt, indem er sagt, dass sich die Babylonier während der persischen Expedition gegen Samos empört haben. Nun war Otanes, der Nachfolger des Oroites auf dem Ij'dischen Satrapensitze, mit der Führung der samischen Expedition betrant. Da Oroites während oder unmittelbar nach der Beilegung der iranischen Wirren gestürzt wurde und erst sein Nachfolger die Expedition gegen Samos unternommen hat. so darf keinesfalls der dieser Expedition gleichzeitige Aufstand von Habylon dem Aufstande Nidintubels im Jahre 522 521 gleichgestellt werden, sondern ist derselbe erst in der Zeit nach der Beilegung von iranischen Wirren, etwa im Jahre 516 515 v. Chr., anzusetzen.')

1) C. F. Lehmann, Xerxes und die Rabyloiiier, Wochenschrift für klassische Philologie 1900, Sp. 963 Aum. 1, sucht nachzuweisen, dass Herodot, hier wie mehrfach iu

23

Die er.tfen Jahre Dareios' des Hystaspidcn. 49

Eben diese .Talire. das VI. und YII. .Talir des Dareios, sind es, in denen die Kontnikttäfelchen zwar nicht ganz versagen, aber grosse Lücken und Unregelmässigkeiten an den Tag legen, die auf Unruhen in Babylon schliessen lassen. Es seien liier die Lücken zwischen dem Sivan die Tageszahl ist in dem betreffenden Täfelchen ausgefallen und dem 16. Ab des VL Jahres (Stkassmaiek, Dareios-Inscluiften Nr. 201 u. 202), zwischen dem 19. Tisri und 3. Kislev desselben Jalires (Nr. 208 u. 209), zwischen dem 11. Tammuz und 5. EM des YIL Jalires (Nr. 223 u. 224), zwischen dem 13. Tisri und 6. Sebat desselben Jalires (Nr. 228 u. 229), zwischen dem 11. Nisan und 28. Ab des VIIL Jalires (Nr. 234 u. 235) hervorzuheben, die die Annahme von grossen während des VI. bis VIII. Jahi-es des Dareios in Babylon eingerissenen Um-uhen rechtfertigen. Noch bedeutsamer ist lUe Sprache der Egibitäf eichen. Buscawen^) und Opfert"-) haben mit richtigem Blicke auf die grosse Lücke z^\ischen dem 25. Adur des VI. und 28. Ab des VIII. Dareiosjahres in den besagten Täfelchen hingewiesen, die es klar ersichtlich macht, dass mehr als zwei Jahre lang in dem grossen babylonischen Bankhause kein Geschäft abgeschlossen \\urde oder ■vielmehr abgeschlossen werden konnte. Man kann deshalb annehmen, dass damals in der Stadt Babylon, dem Sitze des Bankhauses Egibi Söhne, die Geschäfte überhaupt in Stocken geraten sind und dass es damals grössere, raonatelange Zeiträume gegeben hat, in denen auch auf dem Lande aller Handel und Wandel aufhören musste. Ausserdem muss man mit AVeissbach erwägen, dass Sthassmaiek in seine Sammlung der Dareios- inschi'iften überhaupt alle Kontrakttäfelchen aufgenoftinien hat, die nach Dareios als ..König von Babjlon, König der Länder", iar Bübili sar mätuti, datiert sind, abgesehen von der Möglichkeit, dass mau einige von ilinen auf Grund spezieller Untersuchung auch Dareios IL zueignen könnte. Ich schlage deswegen vor, die Einnahme von Babylon dvuxh Vindafi-ä im 2. Markazana, Oktober, des VIII. Dareiosjahres = 514 v. Chi-, anzu- setzen, vorausgesetzt, dass sich Markazaua nicht als Schaltmonat herausstellt.

Fassen wir die Ergebnisse der vorstehenden Untersuchung zusammen, so gelangen wir zu folgenden Resultaten:

1. Dareios bestieg den Thron des persischen Weltreichs im 'J'iSri (Sept.-Okt.) 522 v. Chr. Die Zeit von ^Vm bis zum 1. J^'isan Aas nach-

der auf mündliche legendarische Tradition zurückgehenden „Mär vom Falle Babels' Er- eignisse aus Xerxes Zeit auf Dareios überträgt und dass Herodots Berichte III, 153 sich auf den von Lehmann erkannten und gewürdigten zweiten babylonischen Aufstand unter Tar{Haz) z i - i a (479/8 v. Chr.) beziehen. Auf die Möglichkeit, dass hierbei auch Züge , die für die Aufstände unter Dareios zutreffen , sich erhalten haben , so dass nicht eine einfache Übertragung sondern eine, in der Legende ja ganz gewöhn- liche Vermischung von Nachrichten aus verschiedener Zeit vorläge, wird aber aueli von Lehmann hingewiesen (a. a. 0. Sp. 96-t Anm. 2;.

1) TSBA. VI, 32.

2) Ebenda VI, 27.

Beitrüge z. alten Gesoliu-lite I. *

24

50 J. V. Prdsek, Die ersten Jahre Dareios des Hystaspiden.

folgenden Jalu-es bildet sein durch die Kontrakttäfelchen Dareios 1 10 Strassni. bezeugtes, A^on seinem I. Jahre zu unterscheidendes „Antrittsjahr".

2. Des Kamhyses Tod, die Köiiigserkläruiig' und der Sturz des Bardes gehören in das Jahr 522 v. Chr.

3. Für die Aufstände einzelner Provinzen gegen Dareios sind, aller- dings mit fi'iedlichen Unterbrechungen, die Jahre 522 514 v. Chr. in Anspruch zu nehmen.

4. Der altpersische Kalendei- ist in folgender Weise zu restituit-ivn :

Nisan =

Ijjar

=

Thuravähara

Sivan

=

Thäigarcis

Tammuz

=

Garmapadfi

Ab

=

EM

=

Tisri

=

Bäyajädis

Marchesvan

=

Adukanis

Kislev

=

Atrijädtja

Tebet

=

Anämaha

äebat

=

Mat'kazaua

Adar

=

Vijachna.

25

51

Zur Geschichte der antiken Herrseherkulte.

Von Ernst Koniemann.

Die folgenden Blätter sind der Betrachtung der antiken Herrselier- kulte, soweit sie von den Regierenden selbst gesclialten wurden, in erster Linie gewidmet, während auf die aus der freien Initiative der Regierten hervorgegangenen Schöpfungen nur zu dem Zweck eingegangen wii'd, um den Hintergrund zu zeichnen , auf dem sich jene .Staatsknlte abliehen.i) Die Untersuchung des Verfassers hat den umgekehrten Weg dui-chlaufeu, wie diese Darstellung. Sie ist ausgegangen von der letzten Form, in der die antiken Staatsherrscherkulte auftreten, den Provinzial- kulteii der römischen Kaiserzeit. Die Spuren der Institution aber führen in den verschiedensten Phasen der letzten Epoche immer wieder nach dem hellenistischen Orient. Wenn irgend eine, so ist diese Institution imstande, uns die ('ontinuität der Entwicklung von Alexander dem Grossen bis zum Ende der antiken ^^'elt, d. h. dem vollen Siege des Christentums im Staate, vor Augen zu führen.-) P]s geht daher heute nicht mehr an,

1) In den meisten modernen Darstellungen wird diese Scheidung, die für die römische Zeit gleichbedeutend ist mit dem Gegensatz provinzialer und municipaler Kulte, immer noch nicht genügend berücksichtigt. Vor allem für die Alexander- und Diadochen-Zeit liegt in der scharfen Betonung dieser Scheidung der Schlüssel für das richtige Verständnis der Entwickelung auf diesem Gebiete. Es ist ein grosser Unter- schied , ob devote Unterthancn Kulte für die Regierenden ersinnen und der Herrscher sie nur duldet, oder ob er sie selber ins Leben ruft. Das erstere geht dem letzteren regelmässig voraus. Von unten, nicht von oben hat die Herrscher- Vergötterung ihren Anfang genommen. Es handelt sich darum, möglichst genau festzustellen, wann und wie die Entwicklung von oben neben der älteren eingesetzt hat.

2) O. Hirschfeld sagt, die in der nächsten Anm. genannte Arbeit einleitend (S. 833): „Unter den Institutionen des römischen Kaiserreichs, die weder als originale Schöpfungen dieser neuen und in vieler Hinsicht modernen Welt, noch als Fortbildung römischer Sitten und Satzungen ins Leben getreten sind, sondern auf das deutlichste ihre orientalische Herkunft und die Anlehnung an hellenische Muster verraten, nimmt der Kultus der römischen Kaiser und des Kaiserhauses eine hervorragende Stelle ein : eine durchaus unrömische , auf griechisch-orientalischem Boden gewachsene Ptlanze. die aber gleichzeitig mit der neuen Monarchie nach dem Westen übertragen, dort auf- fallend rasch sich akklimatisiert, tiefe Wurzeln geschlagen und eigenartige Blüten ge- trieben hat".

4* 1

52 E. Kornemann,

dass der Forscher über römische Kaisergeschiclite sich um die Entwicklung- der liellenistischen Eeiche gar nicht kümmert, viehnehr ist zu verlangen, dass diese, wie jede andere Kenschöpfung der römischen Imperatoren auf ihr Verliältuis zu den Einrichtungen der Diadoclienstaaten geprüft werde '). So liegt der Schwerpunkt der nachfolgenden Darstellung- auf der ^'or- führung des römischen Kaiserkults und zwar seiner Ausbreitung in den Provinzen des Westens,'-) während die orientalischen Staatskulte der römischen wie der hellenistischen Zeit •') nur zui- Einführung in das Ver- ständnis und als Analogie für die Entwicklung- und Ausljreitung- des Kaiserkultes im '\\'esten herangezogen werden. Ton dem mächtigen Baum, dessen Ki-oue schliesslich eingehend gezeichnet werden soll, müssen auch ^^'urzeln, Stamm und Untergeäst bekannt sein.-»)

1. Zum Ursprung der Herrscherkulte.

Das Gottkönigtum ist im Orient uralt. In (Triechenland dagegen war die Vergötterung lebender Menschen unbekannt, wohl aber war in einzelnen Teilen des Landes die Erhebung hervorragender Toten, wenn auch nicht zu Göttern, so doch zu Heroen oder Halbgöttern in Anlehnung an die Vergöttlichung der grossen Helden der Vergangenheit noch in geschichtlicher Zeit im Schwünge. Heroisierungeu verdienter Männer, vor allem der Stadt- und Staatsgründer, lernen wir zuerst in Nordgi-iechenlaud kennen. =) Der Begründer von Abdera, Tiraesios von Kla- zomenai. wurde von den Teiern, welche im siebenten Jahrhundert die

1) Die Berechtigung dieser Forderung wird immer allgemeiner anerkannt ; jüngere Forscher wie Rostowzew, P. M. Meyer haben dadurch bei andern Stoffen schöne Resultate erzielt.

2) Nach der grundlegenden Arbeit von Otto Hirschfeld, Zur Geschichte des römischen Kaisercultus , SBer. der Berl. Akad. 1888, S. 833-86'2 hat vor allem Kkaschesinxikoff in seiner feinsinnigen Studie „Über die Einführung des provinzialen Kaisercultus im römischen Westen' im Pbilologus LIII. N. F. VII (1894) S. 147—189 das meiste zum Verständnis der Materie beigetragen. Beiden Arbeiten verdanke ich mannig- fache Anregung.

3) Für die hellenistischen Herrscherkulte besitzen wir bis jetzt noch keine grössere, zusammenfassende Darstellung. Die Dissertation von Aemiliis Bkurlier, De divinis honoribus quos acceperunt Alesander et suecessores eins, Paris 1890, giebt eine brauch- bare Zusammenstellung des Materials, aber oft ohne die nötige Kritik.

4) Für die hellenistische Zeit erhebe ich nicht den Anspruch , das Material voll- ständig gegeben zu haben. Es kam mir hier nur darauf an, zunächst einmal die grossen Richtlinien zu gewinnen. Ein grösseres Werk über die antiken Herrscherkulte soll später einmal folgen. Was vorliegt, ist ein erster Wurf, eine Vorarbeit. Den Specialforsehern auf dem Gebiet der hellenistischen Geschichte bin ich für Winke und Verbesserungen meiner Aufstellungen besonders dankbar.

5) Das folgende entnehme ich dem sehr umsichtig und mit guter Kenntnis des gewaltigen in Betracht kommenden Materials gearbeiteten Artikel Heros von Desekes bei Röscher, Lexikon der gr. u. röm. Mythologie I 2 Sp. 2517 ff. , vgl. auch RouDE Psyche U'- S. 348 ff.

Zur Geschichte der anfikcn Herrscherkulte. 53

Stadt aufs neue besiedelten, wie ein Heros verehrt;') Miltiades, dem :Solin des Kypselds, wurden auf <ler tlirakiselien C'hersones nacii seinem Tode Opfer dartrebracht und ein lüpiiischer und gymnischer Ajrou {gestiftet.-) Dem Artaciiaies, einem vornehmen TVrser aus der Familie der Achaime- uideu. welcher die Durclistechung der Athoshalbinsel frf't'itet hatte und in Akanthos |2:estorben war, opferten die Akanthier gleich einem Heros, wobei sie ihn mit Namen anriefen.-') Brasidas wurde, als er 422 bei Amphipolis gefallen war. von .Staatswegen mit militärischen Ehren an dem Marktplatz der Stadt begraben. Die C4rabstätte wurde ein- gefi-iedigt; die Einwohner erteilten ihm die Würde eines oixtaTrs und setzten ilim jährliche Heroenopfer mit Wettspielen ein.*) Der bis dahin gepflegte Kxüt des einstigen athenischen Stadtgründers Hagnon wurde eingestellt und die Gebäude, welche seinen Namen trugen, wurden nieder- gerissen, vor allen ohne Zweifel das Heroon des Hagnon. ]\Iit Eecht er- kennt man in diesen häufigen Heroisierungen in Nordgriechenland eine Anlehnung an die in Thrakien altheimische Sitte, ..die Gestorbenen als selige Bewohner des Lichtlandes, als himmlische Jäger und als segnende Hausgeister zu verehren".^) Neben Thrakien ist Sizilien ein Gebiet, in dem frühzeitig Heroisierungen geschichtlich bekannter Mäuner vorkommen, so des PhiHppos von Kroton (von Seiten der Egestaier '■) , des Gelon von SjTakus"), Theron von Akragas''), Hieron I.-'). Diokles'»), Timoleoni')- Deneken denkt hier mit Uni-eclit an phoenikischen Einfluss'-); Aielmehi- sind neben den Thrakern gerade die dorischen Stämme als Träger des Heroenkultes in Griechenland anzusehen: darauf deuten die heroischen Ehi-en, die den spartanischen Königen nach ihrem Tode zu teil wiu'den»^), die heroische Yerehi-img der Oresthasier in Phigaleia"). des Aristomenes diu-ch die Messenier'^), die Heroisieruug des Euphron von Sikyon, letztere

1) Herouot I 168 Tifiäs .... WS TjQiag fjjtt.

2) Derselbe VI 38 xai oi TeXsvzijaavTi XsQaovrfitrui 9vov(Jt räg vouog oi-Aiarij. xcd ccyäva initixov rt xcd yvjiviKÖv imat&ei.

3) Derselbe VII 117 ^i'Oi'Ci . . . äg ij^aC.

4) Thlkvdides V 11. Scholion veröfFentllicht von Useseh, Jahrbb. für class. Phil, cm, 1871, S. 311 ff.

5) UsENER a. a. 0. S. 316, Götternameu S. 251, De.neken a. a. 0. Sp. 2518.

6) Herodot V 47.

7) DioDOR XI 38.

8) Ebenda XI 53.

9) Ebenda XI 66.

10) Ebenda XIII 35.

11) Plutarch, Timoleou 39

12) a. a. 0. Sp. 2520.

13) Herodot VI 58, Xenoimio.n, Resp. Lac Ende, dazu Deseken Sp. 2521f.; vgl. Uskser, Götternamen S. 249f.

14) Paüsanias VIII 41. 1.

15) Ebenda IV 14. 5.

54 E. Korncmann,

allenlhif^s erst in der ersten Hälfte des vierten Jalirhunderts'). Nelien Tlirakien und den dorisdien (Tebieten war dann scliliesslich noch Boiotien ein Land mit uralter Heroenverelirung. Daher erklärt sich wohl das für die bei Plataiai Gefalleneu eing-eriehtete jährliche Totenfest an den Gräbern der Helden.'-) Ungleich seltener ist der staatliche Heroenkult in den jonischeu Gebieten'-). lu Athen scheint die heroische Verehrung der Marathonkänipfer und der Tyrannenniörder von Staatswegen erst im \ierten Jahrhundert aufgekommen zu sein*), dagegen hat die Verehrung der verstorbenen Schulhäupter, Philosophen wie Dichter, durch religiöse (jenossenseliaften gerade in dieser Stadt der Musen besondere Ausbreitung gefunden.

Waren somit die Thi-aker, äolisch-böotisclie und dorische Volks- elemente vor allen die Träger imd Verbreiter des Heroenglaubens, so hat , wie es scheint , das Joniertum zuerst , und zAvar im vierten .Tahr- hundert, der ..vorhellenistischen" Zeit, den grossen Schritt vorwärts gethan. ]^Ienschen schon bei ihren Lebzeiten mit Elu-en, die eigentlich nur den (TÖttern zukamen, zu überhäufen. Lud zwar sind die ersten die jonischen Griechenstädte auf den Inseln und an der Küste Kleinasiens, die die Brücke bilden z^vischen dem ^Mutterland und den alten Kulturländern des Ostens, die bei äusserst günstiger Veranlagung der Bewohner, unter Ein- flüssen von Ost und West stehend, das am schnellsten fortschreitende Element in der Griechenwelt darstellen. Neben anderen kleinasiatischeu Griechengemeinden sollen die Samier dem Spartaner Lysander bei Leb- zeiten zum ersten Mal „wie einem Gott" Altäre errichtet, Opfer dar- gebracht, Päaue gesvuigen und iln- Fest der 'Hgaia in Aveavögsia um- getauft haben.*) Die neue Sitte, die hiermit aufkommt, ist niu- ein Zeichen

1) Xenophon. Hell. VII 3. 12.

2) Thdkxdides Vn 58 ; Plutäbch, Arist. 21 .

3) Deneken Sp. 2447 erklärt das Zurückstehen der Joiiier in dieser Beziebuiig dadureli, dass hier die olympischen Götter selbst frühzeitig in die Menschenwelt herab- gezogen wurden, und verweist auf die Rolle, die die Götter in den homerischen Ge- dichten spielen.

4) Deneken a. a. 0. Sp. 2523 ff.

5) DüBis bei Plütarch, Lysander 18. üuRis ist ein Schriftsteller des dritten Jahrhunderts, also der hellenistischen Zeit; es ist immerhin auch möglich, dass er mit den Farben seiner Zeit gemalt hat. Ausserdem ist seine Zuverlässigkeit nicht über alle Zweifel erhaben. , Umfang und Bedeutung jener Verehrung" kann sehr wohl überschätzt sein, worauf auch Kaeust, Rhein. Mus. LH, 1897, S. 62 A. 3 aufmerksam macht. Da Düris von Samos stammt, wird die Nachricht, so weit sie sich auf diese Insel bezieht, am meisten Glauben verdienen, das übrige kann sehr wohl rhetorische Verallgemeinerung der Einzelthatsache sein. Für die Umtaufung des Festes der 'Hgaia in Avadii'dQiiK giebt Useser {Götternamen S. 361) eine neue Erklärung. Lysandros ist nach ihm eine Anschauuugsform des Hades ; der Heraios aber ist in Blthynien, Byzantion und Delphi der Monat der Totenfeier: deshalb konnten die Samier das diesem Monat zu Grunde liegende Fest Lysandria nennen.

Zur Geschichte der antilccn HerrscherhiUe. 55

von der Zersetziniii- der alten Religion der Väter in dieser glaubenslü.sen, aufgeklärten "Welt des Joniertums, dem die C4ötter so tief gesunken waren, dass ihnen Sterbliche, die auf der Menschheit Höhen wandelten, schon bei Lebzeiten gleichgesetzt werden konnten. Das Neue bestand einfach darin, dass das, was seither hervorragenden Toten zu teil geworden war, schon hervorragende Lebende empfingen ')■ ^'iel^ Heroen waren nägtögoi, »tot, d. h. sie waren im Kulte mit bestimmten Clötteni verbunden.^ Dasselbe geschah nun mit hervorragenden Lel)euden : sie wurden nicht eigentlich selbst Götter, sondern avvvaoi oder avv&govoi der Götter. Der technische Aus- di-uck füi- solche Ehi-en war ia6-9-so(' rtuaU^) Aber noch nicht waren alle, die derartiger Ehren für wiü-dig erachtet wm-den, Leute der neuen Zeit, wie Lysander. Agesilaos antwortete den Thasiern, die mit dem gleichen Anerbieten an ihn herantraten, sie sollten sich doch erst selbst zu Göttern machen , dann werde er glauben, dass sie ihn zum Gott machen könnten.") So sprach der letzte Spartaner vom alten Schlag im Gegensatz zu Lysander, der im Grunde schon ein hellenistischer Fürst war,») Aveü seme Macht nicht auf Sparta, sondern auf der Verbindung mit dem Pei-sertum in Kleinasien beruhte. Auf kiemasiatischem Boden, nicht im Mutterland ist der Hellenismus geboren. Dort fand auch Lysander in der ihm bei Lebzeiten zu teil gewordeneu Vergötterung die ersten Nachfolger. Die Erythi-äer beschlossen für Mmisollos die Aufstellung eines ehernen Stand- bildes auf dem Markt, dagegen für seine Schwester-Gemahlin Artemisia ein Marmorbild Iv twc 'A&ijvalmt, dazu Bekränzimg der beiden.") Ver- einzelt tritt dann im 4. .Talu-huudert die jonische Sitte auch in anderen griechischen Gebieten auf. Diodor') spricht von ..heroischen p:hren-' für den Syi-akusaner Dim schon bei Lebzeiten, und von PhiUppos von Make- donien hören wii-, dass er am Ende seines Lebens mit sonst niu" Göttern zukommenden Ehi-en überhäuft^ wiu-de. Auch soll bei dem grossen Fest- zug gelegentlich der Hochzeitsfeier von Alexanders Schwester Kleopatra mit ihrem Oheim Alexander von Epirus in Aegae, wobei Philipp bekannt-

1) So auch RoHDK, Psyche 11^ S. 356.

2) Deseke-n Sp. 2.513 f.

3) Diodor XVI 20 gebraucht in diesem Sinue auch riucä rjQiatyicei ; falsch urteilt über diese Stelle Desekkn Sp. 2519 Anm. Schliesslich wird sogar ein Lebender als »Jdms bezeichnet: so Nikias von Kos. wohl der Tyrann gleichen Namens aus Strabos Zeit (Strabo XIV p. 658\ Pato.n and Hicks Inscr. of Cos n. 76—80 p. 124:f.

4) Plutarch, Apophtheg. Laced. Agesil. 25.

5) luDEicH, Kleinasiatische Studien S. 7 u. 9.

6) Le Bas 40 = Dittbsberger, Sylloge F 84 = Michei, Kecueil des inscr. grecq. 501. Die Inschrift von Mylasa CJGr. 2693 b, welche Plchsteix (Hcmasn und Puchsteix, Reisen in Kleinasien und Nordsyrien 339 Anm. 1) vermutungsweise auf MausoUos bezieht, ist wohl eher einem persischen (so Clmot, Mysteres de Mithra I 285 Anm. 2) oder einem hellenistischen Fürsten zuzuweisen.

7) Diodor XVI 20.

56 -K. Konicmaiui,

Hell iluich .Mönlcrliaiul tiel. des Königs Bild an ilreizelniter Stelli^ liiiiter den IMldern der zwölf olympischen Götter einliergetragen worden sein.') Selbst diese Nachricht beweist, falls sie richtig ist, weiter nichts, als dass das Königsbild, wie dasjenige der Artemisia, in einem Tempel Platz ge- funden hatte, dass Philipp noch nicht Gott, sondern wie Diodhk selbst sagt '-), avv&govog roig &eoii geworden war.

Wie in so vielem anderen, war es aber auch auf diesem (Gebiet die ge- waltige Persönlichkeit Alexanders des Grossen, welche die neue Zeit wirklich heraufführte. Die unglaublichen Erfolge, die dieser Übermensch in einer kurzen Spanne Zeit durch ilie Erobermig des gesamten Perser- reiches zu verzeichnen hatte, trugen ihm sofort auch übermensch- liche Ehren seitens seiner Unterthanen ein. Nicht er selbst hat be- w usst auf die Vergötterung seiner Person hingearbeitet , sondern diese ist ilnn \ou unten dank der Macht seiner Persönlichkeit entgegengebracht worden, seine Rolle ist in dieser Beziehung mehr passiv als aktiv. •^) Aber trotzdem ist sein Dasein für die Einbürgerung des Herrscherkultes in der damaligen Welt von der allergrössten Bedeutung. Man kann es wohl aussprechen : Wenn der geniale Alexander in all seiner Grösse nicht auf Erden gewandelt wäre, wäre wohl die Institution der Herrscherkulte in der Folgezeit nie zu solcher Bedeutung emporgewachsen. Was er selbst in dieser Beziehung gethan hat, und was ihm von manchen Forschern heute als Äusserungen der Selbstvergötterung ausgelegt Anrd, die "\\'an- deruug zum Ammon-Ea , die Bezeichnung als Sohn dieses Gottes durch die ägyptischen Priester, die Einführung der persischen Sitte der Pros- kATiese, sind weiter nichts als Konzessionen an die Denkweise und Sitten

1) DioDOK XVI 92.

2) DioDOR ebenda am Ende.

3) In der gänzlich verschiedenen Auffassung der Persönlichkeit Alexanders seitens der modernen Historiographie entweder als eines phantastischen, in orientalischen An- schauungen sofort sich bewegenden Gewaltherrschers und Gott-Königs (Nikhuhr-Grote- Kaerst) oder als eines nüchtern und klar denkenden occidentalischen Staatsmannnes und Volkskönigs (Drotsen - O. Jager - NrESE) spielt die Frage nach der Selbstver- götterung des Makedoniers eine grosse Rolle. Meiner Ansicht nach ist diese .Streitfrage schon durch die Ausführungen des Engländers D. G. Hogarth (The Deification of Alexander the Great, English Historical Keview II, 1887, S. 317— 329i endgültig ent- schieden und XiESE hat recht daran gethan (gegen Kaerst, Syhels Hist. Zeitsehr. LXXIV N. F. XXXVIII, 1895, S. Iff. u. 193 ff.; vgl. Rhein. Mus. N.F. LH, 1896, S. 42 ff.; auch Art. Alexander bei Pai ly-Wissowa I Sp. 1412/34) sich auf die Seite Hogarths zu schlagen (Sybels Hist. Zeitsehr. LXXIX N. F. XLIII, 1897, S. 1 ff., vgl. bes. S. 6 Anm. 3). Dem gegenüber tritt neben Beurlier (in der S. 2 Anm. 3 genannten Dissertation) ein zweiter französischer Gelehrter , G. Radet (La deification d' Alexandre, Revue des uni- versites du midi I, 1895, 129ft'.) für das reine Gottkönigtum Alexanders ein, und auf deutscher Seite kämpft Kaerst unausgesetzt für die NiEHViiR-GKOTEsehe Ansieht, gegen Niese polemisierend (neuerdings in den Studien zur Entwickelung und theoret. Be- gründung der Monarchie im Altertum; Hist. Bibl. Bd. VI S. 38ff.).

Zh>- Clfxchiihtc der anfikcn Ilerrschrrlultc. 57

der von ilmi iiiitenvorfencii NDlkcr.'') Kr blieb (larimi derselbe, der er g:e\veseu war, und er hat siihcr nicht (ianiii gedacht einen neuen Staats- kult für seine l'ersou als relio-iiise Lesitiniation seiner Herrschaft in Va-- niauReluns- der nationalen zu schaffen.-) Aber nicht zu verkennen ist die l\iickwirkun<;-. die vor allem die Krliebunjr zum Sohne des Amnion bei seineu s"i"i"'''lii>«ht"ii I'ntert hauen aufzuweisen hatte. A\'ieder war es das kleinasiatische jonisclie. den orientalischen Anschauunfreii am nächsten stehende <Triechentum , welches auf die Kunde aus der libyschen \\'üste zuerst reagierte, ^^'ellig■stens berichtet Kallisthexes '=), dass das milesisclie Branchiden-Orakel , das lange geschwiegen hatte, nach dem Zuge Ale- xanders zum Ammon dem Köuige nach Memphis von seiner Abstammung von Zeus Kunde gegeben habe, um also zunächst zum Sohne eines Gottes, nicht zum CTOtte selbst erklärte. Dabei blieb mau aber nicht stehen. Die Spiele, die das xoivöv rwv 'Iwviav in einem Alexander geweihten Haine bei Teos alljälu-lieh, offenbar am (reburtstage des Geehrten, feierte {tu '^Xsiävdgeta),*) waren vermutlich schon bei Lebzeiten des Königs ein- gerichtet und sind. ^\ie einst die Lysanderspiele der Samier. das Zeichen der Erhebung des Makedoniers zu den Göttern selbst.'') Denn da.ss diese auf dem Boden Kleinasiens ihren Anfang genommen hat, ist von vorn- herein anzunehmen. Das Mutterland, das nicht wie die jonischen Städte Asiens in den Makedouieni die Befreier, sondern die Räuber der bis dahin bestehenden Freiheit erblickte, hielt sich mit ähnlichen Ehren zunächst zurück. Aber so gut wie gegenüber Philipp am Ende seines Lebens'') sind die nuitterländischen Hellenen (darunter die Athener) sclüiesslich auch gegenüber Alexander, vermutlich infolge des Erstarkens der make- donischen Partei in den einzelnen Städten, aus der Eeserve heraus- getreten. Iin Frühjahr 323 kamen zu Alexander nach Babylon kurz vor

r AiintAs Vn 29. 4

•2) Das ist die Ansicht Kaeosts, z. B. Histor. Zeitschr. LXXIV S. 27 : „der göttliche Character seines Königtums bildete die Grundlage für seine Legitimität", vgl. Studien zur Entwickelung, S. 43 u. 54.

3) Bei STRAno, Geogr. XVII 1. 43. p. 814 C. Auch die erythräische Seherin Athenais habe die göttliche Abkunft des Herrschers ausgesprochen.

4) Stbabu XIV I. 31 p. 644 C. Vgl. auch das in der nächsten Anm. genannte Dekret der jonischen Städte Z. 4f. 24; dazu H. Gaeblkr, Ervthrä, Leipz. Diss. 1892, S. 16.

.5) Dazu kam später offenbar an derselben Stätte ein Kult des Antiochos I.. seines Sohnes und seiner Gemahlin Stratonike, wie das inschriftlich erhaltene Dekret der jonischen Städte aus Klazomenai aus der Zeit um 275— '265, P. Foicaut, Bull. Corr. Hell. IX, 1885, 38711". vgl. Tu. Lenschal, De rebus Prienensium, Leipziger Studien für klass. Phil. XII, 1890, S. 193 ff., bezeugt. Da aus demselben hervorgeht, dass dieser Kult in der Hauptsache nach dem des Alexander eingerichtet worden ist, können wir darnach ein Bild von dem älteren Kult uns machen: darnach war die eigentliche Kult- stätte ein Altar (Z. 41) in einem Tfufvog (Z. 21; ; zu dem Kult gehörten eine Panegyris (Z. 22), Opfer (Z. 24 u. 28, und ein Agon (Z. 28 u. 30).

6) DioDOR XVI 92. 1 u. 2.

58 E. Korneinann,

seinem Tude oriecliisclie Gesandte mit goldenen Kränzen auf dem Haupte, wie Theoren, d. li. Fest.oesandte au einen Gott und überbrachten ilim wie einst seinem Vater Philipi) gohlene Kränze.') Eine minderwertiofe Quelle stellt die Sache so dar. als ob Alexander selbst die Vergötterung von den Griechen verlaugt habe.-) aber dafür haben wii- in den Aussprüchen, ■welche aus den Debatten gelegentlich der Beschlussfassung über die P^hruugen Alexanders in den einzelnen Städten uns überliefert werden''), gar keinen Anhalt.*) Auch der rmstand, dass die Verehrung des grossen Makedouiers in den griechischen Städten in ganz verschiedenen Formen vor sich gegangen ist,=) spricht dafür- , dass es sich nicht um eiueu von

1) Arbias VII 23 ms ^föpol Si'i^ev ig tiiujv 0eov &(pi-/u.tvoi.

2) Aeijax, Var. bist. II 19 mit der ganz vagen Zeitangabe: .nach dem Tode des Darius und der Eroberung des Perserreiehes".

3) Für Athen: Deisakch I 94. Hyiereid^;s I frg. 8. 30f. S. 14 Blass. Valeriüs Maxi-mcs VII 2 ext. 13. TiiiAios bei Poltbios XII 12 b. Vita X orat. VII 22 p. 842 D. Athesäcs VI 2.51b; fiir Sparta: Aelias, Var. bist. II 19. Plutarch. Apophthegm. Laeed. 219E. (I, 269 Didot.)

4) Man könnte höchstens aus dem Vorwurf des Hypereides, Deniosthenes habe in der Volksversammlung dem Alexander zugestanden, Sohn des Zeus und des Poseidon zu sein, wenn er wolle (ti ßovloiro), das Gegenteil folgern wollen (hierauf legt Kaerst, Studien zur Entwickelung S. 44 besonderes Gewicht). Aber man beachte doch, dass es sich um die göttliche Abkunft Alexanders, nicht um die Göttlichkeit seiner Person hier handelt, und auf jenes scheint Alexander in den letzten Jahren Wert gelegt , ja die Anerkennung gewünscht zu haben: das war auch etwas, womit selbst die Griechen sich abfinden konnten, da bei den eignen Königen der Heroeuzeit göttliche Abstammung angenommen wurde : man lese die interessante Verteidigung Alexanders in dieser Hin- sicht bei Akrias VII 29. 3. Dann ist aber auch nicht aus dem Auge zu lassen . dass wie alle erwähnten dicta auch dieses aus dem Zusammenhang, in dem es stand, heraus- gerissen ist, und was bei einem solchen Verfahren einem Eedner alles untergeschoben werden kann , ist wohl sattsam bekannt. Das lakedämonische Dictum aber , das bei Af.liax, V. h. II 19 steht ,.f"5riKJi'j 'AXt^ccvSQog ßovlstai &ibs ilvai. fcrw 9s6s', lautet bei Plutarch (s. Anm. 3) hypothetisch : av/x'i^QOvu.sv 'AXs^äväQm, iav 9iXri ■S'sög KaXüa^ai. d. h. falls Alexander ein Gott genannt zu werden wünscht, dann fügen wir uns. Damit ist doch keineswegs ausgesprochen, dass der König wirklich den Wunsch geäussert hat. Uns scheint es, als ob die ganze Einkleidung des Dictum bei Aelian erst aus dem missver- standenen Ausspruch herausgesponnen ist. Niese (Hist. Zeitschr. LXXIX S. 14 f.) ver- mutet, dass die gleichzeitigen Anträge über die an Alexander zu verleihenden Ehren in verschiedenen Städten vielleicht durch einen gemeinsamen Beschiuss des hellenischen Synedrions veranlasst seien. Dass der Antrag in Athen gestellt wurde, ist als feststehend zu erachten. Dass aber der in Athen gestellte ebenso wie die übrigen Anträge nicht auf Alexanders Gebot zurückgehen, dafür ist schliesslich entscheidend, dass ein solches königliches Gebot vinter den Aufträgen, die Nikauor zu den Olympien 324 vom König mitbrachte, von keiner besseren Quelle erwähnt wird (über die Sendung des Nikanor und seine Aufträge vgl. Niese, Gesch. d. griech. u. mak. Staaten I 176 fF.); anderer Ansicht ist neuerdings Strack, Khcin. Mus. LV, 1900, S. 161, ohne aber eine Be- gründung zu geben.

5) Nach Diogenes Laeetes VI 63 verehrten die Athener Alexander als Dionysos, in Megalopolis gab es ein Alesanderbeiligtum mit einer Herme Ammons vor der Thür,

Zur G euch! cht t; dr.r anfiJ:cn HerrsclierhiUe. 59

(iboii. siMidcni t'inen ans der Tnitiative der Unterthaneii liervorp;ep:au<i:i'iU'ii Kult liaiiilt'lt. Ist alles dies riclitis', so waren die (4rie(;lien und um sie handelt es sich jetzt und in der Folg-ezeit einzig und allein in diesen TMniien im Jahre 323 gerade so weit wie 80 .Talire vorher, als die ersten Altäre dem Lysander errichtet wurden. >'>inzelne oder auch mehrere in xoti'« geeinigte (Jemeinden beschlossen göttliche Ehren aus eignem Entschluss: Alexander nlier nahm an. Avas ihm in dieser Beziehung angeboten wurde, einmal nni nicht durcli Ablehnung zu beleidigen.') dann aber auch deshalb, weil ihm daran gelegen sein musste, für Orientalen und (iriechen das gleiche Verhältnis zu seiner Person zu schaffen.

2. Die Staatskulte der Diadoclienreiche.

Ein einziges Mal ist Alexander am Sclihisse seines T.ebens auch aktiv auf diesem Gebiete aufgetreten, und zwar handelt es sich dabei nicht um seine eigne Person, sondern um seinen entschlafenen besten Freund und ersten Eatgeber Hephaistim. Der grosse König knüpfte also nicht an die von dem fortschrittlichen .Toniertum aufgebrachten Sitten an. sondern er hielt sich an den altgriechischen Brauch der Heroi- sierung ^'erstorbener. Er verliess auch im einzelnen bei der Ausführung keinen Augenblick den Boden allgemein-hellenischer Sitte. Erst nach Einholung der göttlichen Antorisation wurde Hephaistion zum Heros er- klärt und ihm heroisclie Ehren erwiesen;^) dass sclimeichelnde Freunde gleich wieder weitergingen und ans dem Heros einen (xott machten.-) ist sicher nicht dem König zur Last zu legen.'') Dem Statthalter von Ägypten. Kleomenes, befahl Alexander ein Heroou des neuen Halb- gottes in Alexandreia selbst und ein zweites auf der Insel Pharos zu er- richten, s) Er selbst Hess den Leichnam nacli Babylon bringen und hier mit dem grössten Pomp die Leichenfeierlichkeiten veranstalten.'') Un- bewusst hat Alexander in dieser Heroisierung des Hephaistion das direkte Vorbild für seine eigne Erhebung in den Himmel ge- schaffen. Schon die Wahl Alexandreias als .Stätte für die Heroa des Hephaistion hat die Bedeutimg dieser Stadt für die (leschichte der

Pausanias VTII32. 1; das Braiichidenorakfl nannte, wie wir salien , Alexander einen Sohn des Zeus. Der jonische Städtebund verehrte ihn allgemein als Gott.

1) Niese, Histor. Zeitschr. LXXIX N. F. XLIII S. 15.

2) Abbian VII 14. 7. Plutarch, Alexander 72. Die Sendung nach dem Orakel um Autorisation zur Heroisierung des H. entspricht vollkommen dem griechischen Brauch, Deneken bei Rosciieu, Lexikon I 2 Sp. 2489: ,Kin ölVentlieher Heroencult wurde nicht leicht eingesetzt, ohne dass man durch göttliche Autorisation dazu er- mächtigt war".

3) LuciAN, Äiet i^oö (tij Quäiiag Ttianiuv äiaßolfj c. 17.

4) Allerdings Lucian a. a. 0. ist anderer Ansicht.

5) Arhian VIT 23. 6—8.

6) DioDOR XVII 115.

60 E. Kornemann,

Hen^clierknltp luiaehaliut. Wichtiger aber ist. dass Alexaiiiter wohl in Aiilrlniiiiiu- an den srieeliischen Heroeukult für die Klinuifr des neuen }iall)gottes siiezielle Bestinimuiigeu erlassen hat. Davon ist nur einzehies auf uns gekommen: neheu der Erwälmung' des Schwurs bei Hephaistion.') entsprechend der allgemein griechischen Sitte, bei den Heroen zu schwören,"-) vor allem die seltsame Bestimmung, die Arrian') uns überliefert hat in den ^^'orten : xai öno)g knr/.oari'iaij xakeind-ai ano 'UffaifSTtwvog, xal ToJg avfißo?.aioig xa&' oaa ol 'itmoooi (i}>.Xi,)Mtg ivußäl- Xovciiv i)'yQU(f£fTd-ai ro ovoua'HffaißTioivog. Einer ähnlichen Bestimmung werden wir sowohl in den Dekreten von Kauopos und Eosette als auch in einem Erlass des Seleukiden Autiochos Theos begegnen*), und der Schwur bei den Vergötterten findet sich noch im römischen Kaiser- kult. =)

Die Brücke vom Hephaistionkult zum Ptolemäer-. Seleukiden- und römischen Kaiserkult bildet aber der Alexanderkult, der nach dem Tode des grossen Königs geschaffen wurde. Denn jetzt be- fanden sich die Nachfolger Alexanders in derselben Situation, -wie später Augustus gegenüber den orientalischen Gebieten seines Reiches, Tiberius nach dem Tode des ersten Princeps gegenüber den romani- sierten Provinzen des Westens. Schon bei Lebzeiten hatten dem ge- waltigen, alles überragenden Herrscher "säele Uuterthanen ans eigner Initiative göttliche Ehren erwiesen, au fielen Orten brannten Opfer- feuer auf den Altären des Vergötterten, wiu-den Spiele nuter seinem Namen und zu seinen Elu-en gefeiert. Was lag näher, als dass der Ge- waltige nun auch von selten der Machthaber, die ihn beerbten und seiner zur Legitimation ihrer Herrschaft bediu-ften, offiziell consekriert wiu-de, zumal er selbst diu-ch die Heroisierung des Hephaistion gezeigt hatte, dass die Erhebung eines Toten in den Himmel seinen Intentionen ent- spreche ? '') Von vornherein ^vil•d an der Fiktion festgehalten, dass Ale- xander nicht gestorben sei, sondern dass er das Leben auf Erden ein- tauscht habe gegen ein höheres Leben. Das Verbum fiSTaXlccTTUv (sc. Tov ßiov), bezw. das Substantivum (.uTallayt] A\ird das technische Wort für das Hinscheiden des grossen Königs schon bald nach dem Todes-

1) LiciAN a. a. 0. 17 u. 18.

2) Darüber Rohde, Psyche U- S. 353 in. Anm. 1.

3) Akriäx VII 23. 7.

4) Siehe unten S. 23, 26 u. 30.

5) Siehe unten.

6) Auch betreffs seiner Mutter Olympias soll Alesander ähnliches beabsichtigt haben, Cirtius Rufds IX 6. 26; X 5. 30. Da sie ihn aber überlebte, kam der Plan nicht zur Ausführung. Der Politik und Person seines Vaters war er zu abgeneigt, um eine solche Ehre ihm zuzuerkennen, vgl. Köhler, SBer. der Berl. Akad. 1892, 613 f., vos Protx, Rhein. Mus. LUI, 1898, S. 467.

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Zur Gcschichie der antihcn Herrsch crhtJte. fil

jähr 323.') Kineu grossen VorspruuK vor allen übrigen Diaiindifn lirkani aber Ptolemaios I. dadurch, dass beschlossen worden wai-, die sterb- lichen Überreste Alexaiulers in Ägypten und zwar in iler (Jase des Amnion zu begraben.-) Der schlaue Lagide setzte sich daraufhin mög- lichst schnell in den Besitz der Leiche, selbst auf die Gefahr eines Zer- würfnisses mit dem Eeichsverweser l'erdikkas, aber er führte, nachdem er die Leiche an tler (4renze Syriens von Arrhidaios in Kmiifang ge- nommen hatte, den erwähnten Beschlnss insofein nicht aus, als er Ale- xander zunächst interimistisch in ilemphis beisetzte, dann, und zwar sehr bald, nach der glücklichen Beendigung des Kampfes mit Perdikkas, ihn nach Alexaudi-eia überfühi-te.'') ffier liess er einen (IrabtemiH'l an (-Jrösse

1) In dem Edikt des Polyperchon vom Jahre 319 bei Diodob XVIII 56. 2: '.^Xilai-dpou iLtridlcii,avTOi t| äv&Qmitav xat Ti)g ßaadtiag k's iiii&s v.a&rjKOvarig ; in dem Psephlsma der Bewohner von Ncsos für Thersippos, um 318 beschlossen, (Drovsen, Hellenismus II. 2 S. 374fF., CJGr. 2166c, 0. Huffmann, Griech. Dialekte 11 S. 92 = Hick.s, Manual 138, SwoiiODA, Gr. Volksbeschl. p. 120, Micuel, Kecueil des inscr. gr. 363), Z. Sf. [üru di] 'Ai.ik<^vöeog diccX[Xcc^t röfi äk?' cev9Qdnt](ov fiiox'. Das Substantivum ntudXayr'j steht ebenfalls vom Tode Alexanders: Marmor Parium , Mitteilungen des athenischen In- stituts XXII, 1897, S. 187. 8; dann in dem Bruchstück des Eratusthenes, abgedruckt in Flachs Ausgabe des Marmor Parium 8.39. Über den Titel von Ephu'Pos' Werk: ntgl ti'lS 'Jli^üvÖQOv kbI 'H(puiaricovog rslsvTrjS oder fttTKUK)'))? vgl. Kaerst, Khein. Mus. Xill, 1897, S. 55, Anm. 2. Dasselbe Verbum, höchstens wechselnd mit in^ioTua&ai (^| ccv- »Qwaciv oder nlg 9tovg), ist dann stehend geblieben für das Ableben der vergötterten Herrscher in der Diadochenzeit ; vgl. die Zusammenstellung des Materials durch Krispi, Mitteilungen des ath. Instituts a. a. 0. S. 186 f. (es fehlt 2. Makk. XI 23, im Brief des Antiochos V Eupator: rov ■jrazQijg ijiiöjv tig Q-tovg utTccatclvrog, dazu Niese, Hermes XXXV, 1900, S. 298 Anm. 4, S. 476 ft'.; Anc. Greek. inscr. in the Brit. Mus. IV. 787), wo auch auf die ähnliche spätere Verwendung des Ausdrucks utrciarccaig vom Tode der Heiligen hingewiesen wird; vgl. dazu Rohue, Psyche IP, S. 375.

2) D.ODOR XVIII 3. 5.

8) Die Beisetzung der Leiche in Memphis darf nicht, wie Kaeust (Khein. Mus. LH, 1897, S. 56 ff.) noch thut, bestritten werden, da das neu aufgefundene Bruchstuck der parischen Marmorchronik zum Jahre 321/0 .Mitteilungen des ath. Inst. a. a. 0. S. 187. 12i die Angabe des Pausaxias (I 7. 1, und des Pskudo-Kallistheses illl 33) bestätigt. Die Nachrichten der antiken Autoren sind so zu vereinigen, dass Palsaxias den Fehler begangen hat, Ptolemaios II. an Stelle des ersten als den, der die Alexanderleiche von Memphis nach Alexandreia verbracht hat, zu bezeichnen, während Diodor (XVIII 28. 3) und Strabo (XVII 1. 8 p. 794 C) die wohl nur vorübergehende, so auch Kaerst, Rhein. Mus. LH, S. 58, Anm. 2 am Ende Beisetzung in Memphis in ihren verkürzten Berichten als nebensächlich übergangen haben. Pausaxias hat offenbar die Verbringung der Leiche in das von Philadelphos neuerbaute grossartige Sema verwechselt mit der Überführung nach Alexandreia überhaupt. Alexander ist in Ägypten dreimal beigesetzt worden : durch Ptolemaios I. zuerst in Memphis, dann in Alexandreia, schliesslich durch Ptolemaios II. ebenda, aber in der neuen grossartigen, zugleich als Mausoleum des ptolemäischen Hauses gedachten Grabstätte (über die Lage dieses in der königl. Residenz gelegenen Mausoleums handelt neuerdings A. Ausfeld, Rhein. Mus. LV [1900] S. 375|77). Auf die beiden Beisetzungen in Alexandreia spielt Sthaiio a. a. O. an, wenn er sagt: öl: aäaa rov 'AXt^dvitQOV xotilaug !> UroXtucdog Miätvatv ir ri) 'AXt^uväQtiu uttov vvv hl xttTßt, ov (lijv iv rjj avty ^veXa.

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62 JS. Kornemann,

und Pracht der Ausstattimg- Alexanders Thaten würdig erbauen,') wo sowolil die Leiche beigesetzt wurde, als auch der grosse Tote geehrt wurde: &vaiaiq iJQwiy.alg xal ccywai. ueyaKonganeai.-) ^\'ir haben also hier, wie schon diese Worte Diodoks deutlich zeigeu, Avieder eineu Heroeu- kult vor uns. Die Einholung der (4ebeine Alexanders, die Überführung derselben nach der Alexanderstadt, die Beisetzung daselbst mit gleich- zeitiger Errichtung einer Knltstätte neben oder über dem (^rabe,-') die Einsetzung von Opfern und Agoneu zu seineu Elu-en, die Beibehaltung des blossen Namens Alexander auch für den Vergötterten:*) alles das sind deutliche Zeichen, dass wir es hier, ebenso gut wie bei Hephaistion, mit einer Heroisiermig zu tliun haben. ■■) Alexander A\urde zunächst weiter nichts als iJQiog xTißTijg von Alexanikeia. Wie aber schon Diodor'') betont, erwiesen sich die ilassnahmeu des Ptolemaios als ein eminent kluger politischer Schachzug. Denn es fand ein grosses Zusannnenströmen von Jlenschen in Alexandreia , daduix-h ein mächtiges Anwachsen und Emporblühen der Stadt, endlich ein grossartiger Zuzug auswärtiger offenbar nuikedonischer und griechischer Söldner zum ptolemäischeu Heere statt. Für Ptolemaios T. bekam so der heroisierte Alexander die- selbe Bedeutung, wie später für Augustus der Divus Julius: es war eine höhere göttliche Legitimation seiner Herrschaft'), und speziell die Bei-

1) Diodor XVIII 28, wie Kiekst, Eboiu Mus, LH, S. 54f. wohl richtig vermutet, Dach HitROKYMOs von Kardia, vgl. auch Tiieokrit XVII 18 f., Psetdo-Kallisthenes III 34 C, dazu G. LujtBRoso, L'Egitto'^ S. 177.

2) DiuuoR a. a. 0.

3) Dass an der Stelle des Grabes auch die Kultstätte sich erhebt, ist d.is wesent- lichste, wodurch sich die Heroenverehrung von der Uötterverehrung unterscheidet ; vgl. Deseken bei Röscher 12 Sp. 2491 u. 2495, Reisch bei Paclt-Wissowa 12 Sp. 16.52.

4) Niemals ■9'tös 'AXi^uräQog, sondern einfach 'Ali^aväQog, wie im Leben, wird der Vergötterte genannt; Alexander selbst wird Gottesname, darüber Lepsius, Abhand- lungen der Berliner Akademie 1852 S. 463; Wii.ckex, Gott. gel. Anzeigen 1895 S. 141 A. 1, Kakrst, Rhein. Mus. LH, S. 44.

5) Auch Kaerst, Rhein. Mus. LH, S. 61 f. hat diese Beobachtung gemacht; da sie aber in sein System von der Selbstvergötterung Alexanders und der allgemeinen Forderung von göttlichen Ehren durch denselben nicht recht passen will, kann er nichts damit anfangen. So bringt er es S. 62 A. 3 nur zu dem Satze, ,.dass wir nicht etwa die göttliche Verehrung Alexanders aus dem griechischen Heroenkulte ab- leiten können, wenn wir auch immerhin jene Heroenverehruug als dasjenige Moment in den religiösen Anschauungen und Sitten der Hellenen betrachten dürfen , das noch am meisten als eine Brücke zum Kulte Alexanders zu dienen vermöchte." Aber selbst mit diesem Satze ist Kaeest schon in AViderspruch mit sich selbst gekommen. Wenn der Heroenkult die Brücke zum Alexanderkult bildet , dann kann sich dieser letztere nicht an dem lebenden, sondern an dem toten Alexander ausgebildet haben.

6) DioDOB XVin 28. 5.

7) Ptolemaios hat zu diesem Zweck auch Orakelsprüche (Aelian, Var. Hist. XII 64, Pseui)o-Kai.listhe.\'es III 34 und Jdeiüs Valerius III 57), die vielleicht, wie Kaekst, Rhein. Mus. LH, S. 50 vermutet, nicht ohne seine Mitwirkung entstanden sind, verwendet.

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Zur Geschichte der antiken Ilcrrschrrknlte. (ilJ

Setzung in Alfxandreia bedeutete für den Besitzer nur eim^s kleinen Teilreichs aus der Erbschaft des grossen Makedoniers die Anwartscliaft auf das ganze Kelch, wenn aucii nur in Gestalt einer Hegemonie. So siirengte materiell sehr bald der Alexanderkult die engen Bande eines lokalen Heroenkultes und wurde universal, ebenso gut wie Alexanders \\'eltreicli die lokal beschränkt eu Stadtstaaten (Griechenlands überwunden hatte. Al)i'r in seinen äusseren Formen blieb auch der Alexanderkult stets in den liahnen des griechischen Heroeukultes. Im Mittelpunkt des jähr- lichen Erinnerungstestes, das am Todestage Alexanders, dem (Geburts- tage des neuen Halbgottes, gefeiert wurde,') stehen die Opfer und daran anschliessenil glänzende Agone, die vielleicht luujh dem Muster der A'on Alexander selbst für Hephaistion geplanten Spiele von Ptolemaios eingerichtet wurden.-) Der Leiter des Kultes wie des Festes ist ein jährlich wechselnder eponymer Priester des Alexander, der als Abzeichen seiner M'ürde einen goldenen Kranz uiul ein PurpurgeA\-aud trägt, persönlich un- verletzlich sowie frei von jeglicher Leistung ist und durch das Amt eine dauernde un<l erbliche hidiere Rangstellung erhält. •') (iebeu diese An- gaben, die wir allerdings zumeist dem Alexanderroman entnehmen müssen,'') den anfänglichen Zustand des ägyptischen Alexanderkultes wieder, so ist durch diesen, der sich seinerseits wieder an den Hephaistion- kult anlehnt, der in Jahrhunderte langer Entwicklung herausgebildete Apparat des griechischen Heroenkultes in die antiken Herrscherkulte übergegangen.

Aber neben Ptolemaios haben auch die anderen Diadochen die offizielle Verehi-ung des Heros Alexander proklamiert. (Genaueres wissen wir nur von Eumenes in. dieser Beziehung. Er soll im Jahre 319 in Kilikien. um sich als Fremder der Unterstützung der makedonischen Führer und Truppen im Kampfe gegen Autigonos zu versichern, von folgendem Traume

1) Julius Valerius III 9S: obitus eins diem etiam nunc Alexaiiilriai- sacratis- simum habeut; vgl. Historia Augusta, vita Alex. Sev. 5: die festo Alexaudri; richtig: K.xF.uöT, Rhein. Mus. LU, S. 58.

2) DiODOR a. a. O., Athenäls XIV 620; G. Lumbroso, L'Egitto- S. 177 führt als Gegenstück die von Alexander für Dareios gefeierten Spiele musischer, gymuiseher und ritterlicher Art an (Pseido-Käli.istueses II 21) und die angeblichen Worte des sterben- den Alexander: Arria.n- VII 26: oT^ fit'-/«'' inizäifiov &-/Coru Üq& fV uirn fffdjifj'or, die so auch dem Wortsinn nach wahr gemacht wurden.

3) So Pseüdo-Kallisthenes III S-S ed. Müller p. 149; dazu Letronne, Recueil I 259. Fra.nz CIGr. III, Einleitung zu den ägypt Inschriften, Lepsids, Abhandlungen der Berliner Akademie 1852, S. 461 u. 501; Weschkr, Kevue Archeol. XIV (1866) S. 157; Lumbroso, L'Egitto^ S. 178 ff.

4) Dass Pseudo-Kalusthenes bei den unmittelbar au Alexandreia anknüpfenden Überliefernngen unstreitig einen historischen Wert hat und nicht ohne \\'eiteres bei Seite geschoben werden darf, hat Kaerst, Rhein. Mus. LH, S. 57 ausgesprochen und neuerdings Auspeld, ebenda LV (1900) S. 348ff. für das Topographische erwiesen.

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64 E. Kornemann,

den er gehabt, erzählt haben:') Alexander sei ihm in voller königlicher Ausrüstung erschienen und habe ihm angedeutet, dass er unter den Lebenden als Führer anwesend sein wolle. Es wurde daraufhin nach Eumenes' Angaben ein prächtiges Zelt, in demselben ein Tlu'on mit den königlichen Abzeichen und Waffen, davor ein Altar zu Brandopfei-n {taycxQtt bei Diodoe)-) errichtet. Diese .Stätte diente von da ab als ^'er- sammlungsort für die Führer:^) nach gemeinsamem Opfer für Alexander fand die Beratung und Befelüsausgabe statt. Nach Eumenes" Einmarscli in Persepolis im Jahre 317 waren bei dem grossen Opferfeste, welches Peukestas daselbst gab. in der Mitte des Heeres sowolü die Altäre der (Tötter wie die des Alexander und des Philipp aufgestellt.*) Der von Eumenes eingerichtete Herrscherkult hat also in der Zwischenzeit Fort- schritte gemacht : Alexander hat wie die olympischeu Götter einen Altar (ßufiög) und neben ihm erscheint hier allerdings das einzige Mal. offenbar eine Konzession an das makedonische Heer sein vergötterter Vater Philipp. Aber beide stehen gleichsam noch in der Mitte zwischen den (Töttern und Menschen.

Von den anderen Diadochen wissen wü- nicht, wann und unter welchen Formen sie Alexander vergöttert haben. Dass keiner von denen wenigstens, welche eigne Reiche auf orientalischem Boden begründet Jiaben. in dieser Beziehung zimickgeblieben ist, zeigen vor allem die Münzen. Während Alexander selbst noch nach griechischem Brauch die Bilder vou Gottheiten (Zeus, Herakles, Athene, Nike) auf die Münzen setzte,*) erscheinen nach seinem Tode Münzen, auf denen der Herakleskopf oder Alexanders eigner Kopf mit göttlichen Attributen, besonders den Hörnern Amnions, bezw. solche, auf denen Amnion oder Alexander selbst sich finden, '') alles deutliche Anzeichen, dass der grosse Makedonier, der

1) DioDOR XVIII 60. 5; Plütakch, Eumeu. 13; Polyäx IV. 8. 2, mit anderem Schauplatz; Nepos, Eumen. 7. Vgl. Nifse, Geschichte der griech. und mak. Staaten I S. 240.

2) Nach PoLVÄx ein goldener Tisch mit einer Räucherpfanne darauf. Es handelt sich offenbar um einen tragbaren Räucheraltar, worüber Reisch bei Fault- Wissowa 12 Sp. 1685 zu vergleichen ist. Derselbe (ebda. Sp. 1663 ff.) bestreitet, dass der Be- zeichnung ia^aou anstatt (JmuÖc ein allzu grosser Wert beigelegt werden dürfe; anderer Ansicht sind E. Clrtius, Altäre von Olympia, Ges. Abbandlungen II S. 59, von Fkitze, De libatioue vet. Graec. S. 82, De.sekex a. a. 0. Sp. 2497 ft'.

3) Thatsächlich kamen sie, wie Poi.taen sagt, zu Eumenes. tj dt niu) jrpü«- 'AXt^aväiioi'.

4) DioDOB XIX 22; vgl. Niese a. a. O. I S. 263 f.

,1) Über die Annäherung des Heraklestypus an die Gesichtszüge Alexanders schon bei Lebzeiten des Königs hat L. Müller, Numismatique d'Alexandre le Grand S. 15 vollkommen richtig geurteilt , nämlich dass man diese Erscheinung nicht auf einen Erlass Alexanders zurückführen dürfe , sondern vielmehr dem Enthusiasmus oder der Schmeichelei der Künstler oder Magistrate zu gute halten müsse.

6) Über solche mit den Emblemen des Ptolemaios, des Lysimachos oder Seleukos. L. Mi'LLER a. a. O. S. 29ff. , über die seleukidischen speziell E. Babelox, Les rois de

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Zur Gcxchirlitr. (Irr (iiitikrii Ihrrnchnrhnhr. (;.")

auf Krdfu nur <lcr Sohn des Auiiuun inul Niiclikniiiiiif des Ilfiaklfs g^eweseu war, selbst den Eingang- zum olyiiiii iictundcu liallc W'w dem Ptolemaios und Eumeues, sdieint aber aucli den iibrigen Diadoclu'u Alexander zu- niiclist nur als Heros g-egolten zu lial)cn: doch niuss daneben eine Strömung hergeoangen sein. die. wie bei Hepliaislii.u. au Stelle des Halbgottes gleich den (iiitt setzen wollte, und dieser Richtung haben sich offenbar die meisten niadiiclien uiclil widci-selzl. Nur von Antipatcr wird ausdriicklicli be- riclitcl.'i (lass IT allein die liezeiciinung Alexanders als (ioti für eine (iuttlosigkeit erklärt habe.

In diesem Schwanken zwischen llalbgutt und (idtt zeigt sich das Janusgesicht des Alexanderknltes. Die Regierenden schufen ihn als grie- chischen Heroenkult, aber durch ihr Festhalten au dem (iesamtreich Alexanders verlor der Kult des Schöpfers dieses Reiclies tliatsächlicli eine ganz wesentliche Eigenschaft des Heroenkultes, die hikale üe- schriinkung. wenn er auch formell an eine bestimmte Stadt, niimlicli Alexaudreia, dui-ch die kluge Politik der Ptolemaier gebunden war, und weiter waren die Regierten sclioü lange gewöhnt, Alexander nicht nur \\ie einen Halbgott, sondern wie einen üott zu verehren. So bedeutet der AIexande)-kuU einen grossen Schritt vorwärts über den HephaiMon- hdt hinaus: war dieser noch ein reiner griechischer Heroenkult, so ist der Alexanderkult der erste antike staatliche Herrscherkult. Soviel höher wie im Diesseits, stand Alexander auch im Jenseits über Hephaistion : wai- und blieb dieser nach seinem Ableben nur ein Heros, so bildete für Alexander das Heroentnm nur ein Durchgangsstadium zur Krhebung zum &s6s. Damit aber war der Hemenkult vorbei und der HeiTscherkult war da. Jener war hellenisch, dieser ist hellenistisch. Die Brücke haben somit Alexawlet-, sowohl der lebende wie der tote, jener dun-h die Heroi- sierung des Hephaistiou, dieser durch die Macht seim-r gewaltigen Persön- lichkeit und danelien Alexandrcia. das zur ersten Stadt der hellenistischen Welt emporschnellte und zur universalen (ieltung des Alexanderkultes mächtig Iteitnig, geschlagen.

Die erste Generation der Diadoclien liat neben dem vergiitterten Alexander für sich keine göttliche \'erehrung beansprucht. Das hindert aber nicht, dass sie, gerade so wie einst Alexander, die von selten der Unterthauen für sie freiwillig errichteten Kulte duldeten. So viel wir

Syrie, d'Armenio, et de Commagc''iiL' )>. \\\ 1. ii. p. XIX. Der letztere maelit auf die interessante Tliatsache aufmerksam, dass das Bild Ale.xanders mit den Aminonshörnern so populär wurde, dass der Koran ihn noch heute nennt: Iskander dhoul caruain d.h. , Alexander mit den zwei Hörnern' ; Niese, Hist. Zeitschr. LXXIX, S. 15 ff. Kaerst sucht mit Gewalt den Beweis der Münzen ins Gegenteil zu verkehren, d. h. aus diesem numismatischen Thatbestand eine offizielle Vergötterung Alexanders bei dessen Leb- zeiten zu erschliessen ! Hist. Zeitschr. LXXIV S. 31 ff., .Studien zur Entwickelung S. 46 ff. 1) SoiDÄS s. V. 'Avxi-:tdri]Q: Moros di t&v äia.d6%(ov 9t6v y-cdteai 'AXt^avägov oii-f^ siXtTO, äaeßig rovro XQii'ag.

Beiträge z. alten Geschichte I. 5

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66 -E. Korncmanu,

bis jetzt seilen könueu, niarsdiiereii nunmehr sogar die Athener in der Bethittig-ung dieses Ser^^lismns au der Spitze. Die ersten, welche nach Alexander von den Athenern mit göttlichen P^hren überhäuft wurden, waren Autigouos und sein Sohn Demetrios Poliorketes zum Dank für die Befi-eiung Athens von der Herrschaft Kassanders im Jahre 307. ') Sie wm-den als &wi Gtorr/gsg, Götter des Heus oder Eettungsgötter, gefeiert, ein jährlich wechselnder Priester wurde für den neuen Kult bestellt, ein Altar und Feste zu ihren Ehren gestiftet. Um dieselbe Zeit haben die Inselbewohner der Kykladen nach der Flottendemonstration des Ptole- maios in dem aegaeischen Meer (308) und nach der Begründung des Bundes der Nesioten dem Herrscher von Ägypten zuerst göttliche Elu'eu zu teü werden lassen und zwar diu'ch Errichtung eines Altars in Delos.-) Diesem Beispiel folgten im Jalu-e 304 die Ehodier, indem sie in ihrer Stadt ein Heiligtum und ein jähi"liches Fest zu Ehren des nun- mehr mit der Königswürde ausgestatteten Ptolemaios begründeten.") Als Demetrios 303 Sikyon erobert und umgebaut hatte, ^\•idmeten üim die Bürger der nun „Demetrias" genannten Stadt Opfer, Feste und alljähr- liche Agoue.^) Die Bewohner von Samothrake und Priene errichteten dem König Lysiinachos Altäre und beschlossen ihm sonstige göttliche Elu'en.5) Auch in Kassandi-eia gab es in der Zeit, da Lysimachos zugleich über Makedonien herrschte (286 281) einen Kult dieses Herrschers, de«eu Priester epomiu war.**) Die Bewohner von Xeu-llion besclüossen fiü- Seleukos 1. die Errichtung ebies Altars, die Feier eines yv^ivixog ayaiv und anderes mehr, indem sie ihn als Tempelgeuossen

1) Plctarch, Demetr. 10. Diodor XX 46. 2. Droitsek, Gesch. des He-Ilcnismus II 2 S. 119ff. Niese, Gesch. d. mak. u. griech. Staaten I S. 315f.

2) Vgl. die 1893 gefundene Inschrift von Amorgos aus dem Anfang der Regierung des Philadelphos: Bull. d. Corr. Hell. XYII, 1893, S. 20.5 und J. Delamarkk, Revue de Philologie XX, 1896, S. 103ff. = DiTTE.NBERiitR, Sylloge I- 202, = Micuel, Recueil 373 Z. 27, 48 f., vgl. Del.4marre S. 108 f.

3) Diodor XX 100. Palsaxias I 8. 6. Nach letzterem sollen damals auch die Rhodier zuerst den Ptolemaios mit dem Beinaiuen Soter begriisst haben. Über diesen Titel vgl. Niese, Gesch. d. griech. und mak. Staaten 1332 f., II 113 Anm. 3. J. P. Mahaffv, The Empire of the Ptolemies S. 110 f.

4) Diodor XX 102. 3.

5) DiTTESBERGER, Svlloge I " 190. Ancicnt Greek inscr. TU 401.

6) Revue archeol. XXXI, 1876, S. 106. = Dittenbebceb, Sylloge I^ 196: i(p' hgiiag Tov Avaiiiä)^ov. Strack vermutet neuerdings (Rhein. Mus. LV, 1900, S. 163 Anm. 5, vgl. Deutsche Litt. Zeitg. vom 6. Oktober 1900 Sp. 2664), dass vielleicht die Verehrung des L. offizieller Art, d. h. von ihm selbst eingerichtet war. Durch sein eigenes Zu- geständnis aber: ,Die Weihung eines Altars seitens irgend einer Stadt beweist auch freilich nur eine den athenischen und rhodischen Beschlüssen gleichwertige Schmeichelei", wird der Hypothese der Boden entzogen. Auch die brauchbare Dissertation von W. HcxEKWADEL, Forschungen zur Geschichte des Königs Lysimachos, Zürich 1900, bringt kein anderes Resultat.

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Zur Gc^cliirhti- der antihm Hcrrschcrlniltc. 07

{avvvuoi^). ot't('iil)iu- der Atliena. l)etrachteten.') Jii Krvtlirai jjali es im ;?. JaiirlniiKlcrt ein Fest der Seleukeia, -) wie es sclieint, aucli zu l'Hacii Seleiikos' I. und walii'sclieinlicli sclioii aus seineu Lebzeiten.") Die Athener auf Lenmos erricliteten demselben mitsamt seinem Solme Antioclios für die I^efieiuns' von der streno-en Herrscliaft des J^ysimaclios Temiiel.-')

Haben die ersten Diadoclien sich nicht selbst vergöttert, so liabiMi sie docli zum Teil ihr (ieschleclit au einen Gott ano'e]<nii|iti. Wie Alexander ein Soiiu des Amnion oder Zeus genannt wnrdr. stammte Ptolemaios angeblich ausser von Herakles *) vor allem von Dionysos/') 8eleukos vou Apollou ab.") Die von (TÖtteru entlehnten ehrenden Hei- nameu Avie Soter (des Ptolemaios) oder Nikator (des Seleukos) haben aber bei Lebzeiten der Herrscher keine offizielle Geltung gehabt und beweisen gar nichts für staatlich eingesetzte Herrscherkulte für die er.steu Diadochen bei ihren T^ebzeiten.'')

Anders wird es, als die erste Generation der hellenistischen Hei-rscher aus dem Lebeu geschieden \\m\ Nun ist ilmen, gerade so wie Alexander dem

1) Gr. HiRSciiFELD, Arcbaeol. Zeitung XXXII N. F. VII, 1875, S. iri5f.; dazu P. Haudoi-d, De rebus Ilieusium S. 20.

2) MicuEL, Recueil 506, 507. = Dittenbergek, Sylloge I- 250, 251; dazu h. Gaeblek, Erythrae S. 22.

3) Anders Usener, Rhein. Mus. XXTX, 1874:, S. 50, der an Seleukos Kalliiiikos als Gefeierten denkt. Auf alle Fälle geht er zu weit, wenn er sagt, „dies Seleukosfest konnte nur dem Kalliuikos gelten.'

4) Piivi.ARCH, Fr. 28 bei Athe.\.\us VI 255a. Zu dem Kapitel, wie die Seleu- kideu solche Ehrungen hervorriefen , liefert einen interessanten Beitrag die Inschrift bei DiTTENBERGER , Sylloge 1' 170. = Mkiiel, Recueil 89, welche die von den Königen Seleukos und Antiochos (offenbar dem ersten und zweiten Seleukiden zur Zeit ihrer Samtherrschaft, so richtig Wilcken bei Pauly-Wissowa I 2 Sp. 2451) an den didymaeischeu ApoUon gesandten Weihgeschenke aufzählt. Im Brief des Seleukos an Rat und Volk der Milesier heisst es von diesen Weihgeschenken: «jrödorf dg t6 ItQov 7va f'j;jjTf eztivdtiv y.ai •n>&a9ai. vyiaivovTav fjUibv xkI i: vtvj^ovvtou' xai ri'is JT d 1 £ w s (3 ( « (t t »' o r o ?; i; iog iym ßoi'Xo fiui.

5) Die Abstammung von Herakles (TuEuKrax XVII 2(jf., Inschrift von Adule, vgl. die folgende Anm.) wurde erlangt durch die künstliche Anknüpfung der ptolemiiischen Dynastie au die makedonische, Pausanias 16, 2; sie wurde daher auch nur von den ersten Ptolemäern besonders betont, nachher durch die diony.sisehe Herkunft voll- kommen in den Hintergrund gedrängt.

6) Sattros, Fragm. 21 = Müller, FHG. III 164, Inschrift von Adule, ClGr. 5127 = Strack, Dynastie der Ptolemäer S. 232; vgl. von Prott, Übein. Mus. LIII, 1898, S. 462 mit Anm. 2. Über die Bedeutung des Dionysoskultes in Alexandrcia: G. Lu.MBRoso, L'Egitto - S. 141 f.

7) Babelon, Rois de Syrie p. Vll.

8) Das richtige bei Babelon a. a. 0. p. IX; vgl. auch von Gutschmid, Über die Beinamen der hellenistischen Könige , Kleine Schriften herausgeg. von F. Rüul IV S. 106 ff., Kaerst, Rhein. Mus. LH, S. 46 ff., Strack, Dynastie der Ptol. S. 110 ff.; U. Köhler, SBer. Berl. Akad. 1894, S. 449 bemerkt njit Recht, dass die Überlieferung über den Ursprung der Beinamen der hellenistischen Herrscher durchweg unzuver- lässig ist, etwas, das von Gutschmid in der genannten Abhandlung verkannt habe.

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68 E. Korncmann,

Grossen, seitens ihrer Nachfolger officielle göttlidie Verehrung zu teil ge- worden. Es wird jetzt Avolil nicht mehr bestritten, dass Philadeli)hos seineu Vater unmittelbar nach dessen Tode im Jahre 283 2 v. Chr. consekrierte uud ihm göttliche Ehren er\Aies. „Von Anfang an wird ein jährliclies Fest am l^destage des Königs als dem Geburtstage des neuen Gottes existiert haben."'). Geheissen hat der neue Gott nToXei.iacog ^oüt>iq (also ebenso wie Alexander noch ohne den Zusatz &e6g),-) sein Heiligtum daher riToKs/näuov. Vermutlich ist auch dieser Kult zunächst in Ptole- mais entstanden'') und Ptolemaios hat für Ptoleviuis dieselbe Bedeutung wie Alexander anfänglich für Alexandreia.*) Ebenso hat Antiochos I. im Jahre 280 seinen Vater consekriert, ilim in Seleid-eia, also wohl- gemerkt auch wieder in der Stadt, die seinen Namen trägt, ein rifisvog mit Tempel, genannt Nixaiöguov, gestiftet,^) und ihm als Gott den stolzeren Titel eines ^iltvxog Zsig Nixarwg^) beigelegt, von Prutt') nimmt nun in seiner schon melrrfach citierten Abhandlung mit Kecht an, ilass der weitere Ausbau des ptolemäischen Kultes dann durch Fhüadelplws stattgefunden habe, um dem rivalisierenden vSeleukiden den Eaug abzulaufen uud um Alexandreia zum Mittelpunkt der helle- nischen Welt zu machen. Er hat nachgewiesen, dass der zweite Ptole- mäer im Jahre 279 8 zum erstenmal ein penteterisches panhellenisches Fest in Alexandreia mit einem Agon laolv^niog ebenfalls für seinen

1) Von Pkott, Rheiu. Mus. LIII, S. 46i;; vgl. Theokrit XV 47; Schol. zu Tueu- KRiT XVII V. 16ff. : y.a9o i^tQ-t6iQ-r\ (Ptolemaios Sofcr) h^o toü v'iov , K.iEnsr, Rhein. Mus. LH, S. 60.

2) Inschrift von Aniorgos , Revue de philol. XX, .S. 104f. Z. 11. 28. 44. 48 f. 66; CIGr. 2273 = DiTTENUERGER, Syllogc I' 153: IlToXs^alov nroXtjiaiov ^onfjQOs oi vr^aiüTat üvid'rixav. Mahaffv, The Flindcrs Petrie Papyri II No. VIII 1 col B aus dein 11. (275/4) oder 14. (272/1) Regierungsjahre des Philadelphos , ebenda I No. XXII, 2, vermutlich aus dem 28. Jahr (258/7) desselben Königs, vgl. Kaekst, Rhein. Mus. LH, S. 47 Anm. 2; auch XXII, 1 aus dem 36. Regierungsjahr (250/49). Es hat sieh also in griechischen Urkunden die ganze Regierungszeit des Philadelphos hindurch diese Bezeichnungsweise erhalten. Dagegen geht in demotischen Urkunden nebenher die Bezeichnung des Philadelphos als Sohn des 9ibg Zioti'jq, so in einem demotischen Kontrakt aus dem 29. Jahre (257/6): Revillout, Rev. Egypt. I S. 13; aus dem 33 J. (253/2): Derselbe, Chrestom. demot. S. 241; aus dem 36. J. (250/49): ebenda S. 246. Dazwischen steht die halikarnassische Inschrift, Anc. Greek inscr. in the Brit. Mus. IV 906: 'Ayu9fji rv^rji [trji oder V7ih(>] iJroitjiai'oy toC .SajTTJpog v.cei &£ov ^a^üni "lai 'Aqgivöti itQOv iägiaato x. t. ).. Da Arsiuoe noch ohne den Königstitel auftritt, so ist es wahrscheinlich, dass sie den Sarapis-Isis-Tempel von Halikarnass vor ihrer Vcrmälilung mit Philadelphos, also etwa vor dem Jahre 275, errichtet hat, im übrigen vgl. WiLCKE.N-, Gott. gel. Anzeigen 1895, S. 139 f.

3) Lepsics, Abhandlungen der Berl. Ak. 1852, S. 496 ff., Kaerst, Rhein, Mus. LH, S. 49 f.

4) Kaerst, ebenda S. 51.

5) Appian, Syr. 63, von Phott a. a. 0. S. 467.

6) CIGr. 4458.

7) A. a 0. S. 467.

18

Zur GexchicJitr der nnlil-rn Ilr.rr.irhrrJ.uJtr. 69

Vater Ptoleniaios 8oter, vermutlich in A'erbindung mit dem verg-ötterten Alexander,') ins Leben gerufen hat;-) es ist das Fest und der Agon, zu welchem nach der Inschrift von Amoroos^'-) riiiladcliihos die Nesioten und die übrigen Hellenen einlud. „Die ägyiitische Hauptstadt sollte ein Welt- markt und zugleich das Olympia der neuen AW-lt werden, das Fest ver- kündete die (Grösse des ersten Königs, den Ruhm und di(! Frömmigkeit des zweiten-'.'') Der so geschaffene Kult aber war kein Stadtkult von Alexandreia mehr, sondern ein ägyptischer Reicliskult. ja er sollte ein allgemeiner Kult für das gesamte Griechentum der A\'elt werden.

Damit ist die erste Phase der Entwicklung der antiken Staatsherrscher- kulte zu Ende, schon beginnt die zweite. Fragen wii- rückblickend, was charakteristisch ist für die erste Etappe, so ist es deutlich die Verehrung nur toter Machthaber, nicht lebender, und zwar nach dem Vorbild, das der grosse König selbst durch die Einrichtung des Hephaistionkultes gegeben hatte, in den Formen des gi-iechischen Heroenkultes. W\e Alexander für Alexandreia, war Ptolemaios 1. für Ptolemais, Seleukos I. für Seleukeia, wahrscheinlich auch Antiochos, des Seleukos Vater, für Antiocheia, die Hauptstadt des Seleukidenreichs,^) nichts als der rjgwg xTiarrig. Aber naturgemäss wiu'de der Kult von Alexandreia bei der überragenden Stellung der Stadt in Ägypten als Haupt- und Residenz- stadt zum ägyptischen Reicliskult, ja durch das Eiligreifen des Pliila- delphos und die Errichtung des Agon isolympios zu Ehren des Alexander und seines ^'aters zum Kult für die gesamte griechische Kulturwelt ; der Kult \m Seleukeia dagegen trat schon durch die Benennung des neuen (jottes als ^üevxog Zsvg Nixärtog aus den Bahnen des lokal gebundenen Heroenkultes heraus. Die Seleukiden treiben die Entwicklung weiter durch die pomphaften Göttertitel, die sie ihi-en apotheosierten Ahnen geben, die Ptolemäer diuxh Ausnutzung der Bedeutung Alexandreias in der damaligen griechischen Welt. Aber wenn auch so sehr bald äusser- lich die Bedingungen des Heroenkultes zu fehlen scheinen, so bleibt noch lange die Anschauung, dass die consekrierten Herrscher nicht Götter, sondern Halbgiitter waren,') ja sie geht eigentlich innner neben der weiter-

1) Dass Ptolemaios neben Alexander im Tempel des Zeus vereint wurde, betont ausdrücklich Theokbit XVII v. 16 ff.

2) Von Pkott S. 461 ff.; dass Alexander auch schon bei dem Fest von 279 mit ge- feiert wurde, ergiebt sich wohl aus seiner Beteiligung an dem Festzug von 274. Man sieht nicht recht ein, warum der Kult des Alexander, wie v.j.n Pu.itt S. 462 meint, erst jetzt dazu gekommen sein soll.

3) Revue de philologie XX, 1896, S. 102 ff.

4) Vo.N Pbott a. a. O. S. 467. Damit hat derselbe die Verse des Theokiiit XVII 121—125 erst in das rechte Licht gesetzt.

5) Nach Appiax, Syr. 57 ist die Stadt nach dem Namen von Sel.Hikos' Vater be- nannt, WiLCKEN bei Pauly-W^issowa I 2 Sp. 2443.

6) Das zeigt sich schon darin, dass die hellenistischen Herrseher zum Teil, in der besseren Zeit fast durchgängig, vermieden haben, den Titel »tag zu dem eigentlichen

19

70 E. Korncmann,

«reheiulen einher und liat ihren letzten Nieilerschlag bei den Eömern in der Benennung des cousekrierteu Kaisers durcli Divus, nicht durch Deus gefunden.

Von der zweiten Generation der liellenistisclii^n HeiTsclier ist Ptolemai OS Philadclphos der bedeutendste. Seiue Eegienmg wiu'de noch weiter epochemachend für die l'>nt\vickhing der Herrsclier- kulte. Er liat zunäclist. ebenso wie seinen Vater, auch seine Mutter Berenike unmitTelbar nach ihrem nach 279 erfolgten Tode consekriert und ihren Kult mit dem des Gatten verbunden unter dem Titel der &eoi 2.'wT>/Qsg, hat also ziuu erstenmal unter der Bezeichnung &£oi Verstorbene von Staatswegen verehi-eu lassen, offenbar in Nachaluniuig der schon vorhandenen städtischen Kulte von &sol ^wrijosg, insbesondere des atlienischeu für Autigonos und Demetrios. "Wie schon der Kult des Vaters allein, ist dann auch der erweiterte Kult der d^sol JSioTtjgsg an den Alexanders angeschlossen worden.') Dies ist der Zustand des Ägyji- tischen Eeichskultes bei dem zweiten penteterischen Fest von 275 4, dessen grossartige Pompe K^llixenos -) beschrieben hat. Bemerkenswert ist noch, dass jetzt Dionysos als der Stammvater der ägyptischen Dynastie und als derjenige, ..dem Alexander sich wesensverwandt gefühlt hatte"-'), über dem ganzen thront. ■*)

Aber selbst hierbei ist der zweite Ptolemäer noch nicht stehen ge- blieben. Er ist vielmehr der erste, der die offizielle Verelirmig des lebend e n Herrschers in den Staatskult eingeführt hat eine Neuerung, die in der zweiten Generation fiii- keines der übrigen Diadoclienreiche sich nachweisen lässt. Wodmxh der Ägj'pter - König so finih zu diesem so wichtigen und folgenreichen Sclu'itt veranlasst worden ist, hat neuer- dings wiederum vox Pbott^) erwiesen. Arsinoe, die Schwester-Gemahlin des Philadelphos, ist bekanntlich lauge vor ün-em Bruder-Gemahl ge- stoi-ben. nach von Püott im Anschluss an F. von Bissing im 15. Eegie- rungsjahr des Philadelphos = 271 0 v. Chr. Sie ist sofort nach ihrem

Regentennamen zu setzen ifur die Ptolemäer vgl. die guten Ausführungen von Strack, Dynastie der Ptolemäer S. 110 ff. und weiter unten S. 28). üseskb macht weiter neuer- dings ^Rhein. Mus. LV, 1900, S. 292) auf das Ende der oben (S. 19 Aum. 4} ange- zogenen TnKoKunverse aufmerksam, wonach die &iol .Swrijptj als Xothelfor für alle Menschen gefeiert werden, sowie es die Heroen ihren Nachkommen und Verehrern sind. Vgl. auch die Bezeichnung äaiuovtg und ilgati für die apotheosierten riQuyoroi noch auf dem Uenkmal vom Xemroud-Dagh (s. luiten).

1) Von Prott S. 462.

2) K.\i.LiXEKOs bei Atbesäus V 196 ff. = Müller FHG. III 58, dazu vo.v Piiott S. 461 ff. Niese, Gesch. der griech. und mak. Staaten II, S. 108.

3) VON Prott S. 462.

4) Man lese die mit unerhörter Pracht ausgestattete dionysische irojcri/' bei Kallixkxos a. a. O. 197eff.

5) vox Prott S. 463 ff.

•20

Zur GescMchtfi der fintikcn Ilrrrs-chcrl.nlfr. 71

Tode, gerade so wie ilire Eltei-ii l'toleniaios Soter und Herenike, apotlieo- siert,') onrnhur a.]sjlcfQoöiTii'A(iaiv6t} (Ihläöihfog, und es ist ilir, vielleicht in Arsiiioe, sicher aber in Alexaudreia, ein oriechiscdier Staatskult neben einer Anzahl privater Kulte anderswo eingerichtet worden.-) Dadurch entstand nun das Missverhältnis, dass, während nacli ägyiitischcni üraudi als Pharaonen beide, sowolil der U'bende Rruder-Oemalil wie die ver- storbene Schwester -(Gemahlin, vergöttliclit waren, in den griechischen Kulten der lebende König hinter der toten apotheosierteu Königin zurück- stand. So ist. um dieses Missverliältnis zu beseitigen, und zwar, wie VON Pkott wohl richtig vermutet,-') unter dem Eintluss der Priesterschaft *) der griecliische Staatskult der &ioi '^öelcpoi entstanden, d. h. der gemein- same Kult des lebenden Königs und der toten Königin. Damit war aber durch Annäherung an das ägyptisch-orientalische (i Ottkönigtum der vndi- tigste Fortscliritt im griechischen Staatskult gemaclit, nämlicli der von der Vergötterung des toten zur Vergötterung des lebenden Herrschers."^)

1) Darüber Strack, Rhein. Mus. LV, 1900, S. 166 Aiim. 1.

2) In Arsiiioe-Krokodilopolis wird oiii ItQov BtQtvIxrjg xcd 'ArpQoälTr^g 'AQaiv6r]g im J. 238/7 erwiiluit: Maiiaffv, Tbe Fliiidors Pefrie Pap. I No. XXI Col. II Z. 7; viel, leicht ist das der erste griechische Kult der Aphrodite-Arsiiioe, zumal sie hier mit ihrer Mutter verbunden erscheint. Wir bekommen damit eine Reihe von griechischen Staals- Stadtkulten, die sich über das ganze Land verteilen: Alexandreia mit dem Alexander- kult in Unterägypten , Ptolemais mit dem Ptolemaios-Soter-Kult in Oberägypten, da- zwischen Arsinoe-Krokodilopolis mit dem Arsinoekult. Nach Revillout, Melanges 424 war das arsinoitische Heiligtum allerdings ein privates, vgl. SriiACK, Dynastie der Ptoleniäer S. 1.3 Aum. 8. In Ale.fandreia war ein Arsinoeion (Plinius N. II. XXXIV 148. XXXVI 68. XXXVII 108, Schol. Theokrit. XVII 121 = Müller FHG. II 374, 15), das auch sicher erst nach dem Tode der Schwester-Gemahlin von Philadelphos erbaut worden ist (so Dkovse.v, KI. Schriften II 298, Wiedemans, Rhein. Mus. XXXVIII 387, von Prott a. a. O. S. 465, falsch : WiLCKE.N- bei Paui.v-Wissowa II Sp. 1285). Das eponyme Priestertum der v.av7j(p6(ios 'AQaivöng ^dciä&tpov für den Staatskult in Alexandreia ist belegt für das 19. Jahr des Königs = 267/6 (Revillout, Rev. Egvpt. I 15) und fehlt noch im Jahre 16 = 270/69, vgl. Mahaffv, Flinders Petrie Pap. I No. XXIV 2. Wjlcken bei Pauly-Wissowa II Sp. 1284. Ausserdem machte Philadelphos seine tote Schwester-Gemahlin zur avvvuog »ta in allen ägyptischen Tempeln, was Strack, Rhein. Mus. LV, 1900, S. 164f. einen .Finanzsfreich feinster Art» nennt.

3) VON Prott S. 466.

4) Die Erhebung des dritten Ptolemäers und seiner Gemahlin in den Keiehskult geschah ebenfalls durch die Priesterschaft, wie das Dekret von Kanopus zeigt.

5) In dem Ptolemäerreich sind daher auch die Formen fiir die Verehrung des lebenden Herrschers geschaffen worden. Wenn z. B., worauf FK.ixcKEL (Inscbr. von Pergamon I S. 158) mit Recht aufmerksam gemacht hat, das Gebet um das Heil des regierenden Königs, wie es die Inschrift von Rosette Z. 35 (ähnlich Leemass, Papyri graeci musei Lugduni Batavi G. Z. 13 [I p. 42]) zeigt, in dem Dekret von Elaia im Attalidenreich (Fräskel, ebenda I No. 246 = Michel, Recueil des inscr. gr. 515 . aus der Zeit um 135 v. Chr.; vgl. auch in der Urkunde aus Neu-Ilion zu Ehren des Antiochos Soter, CIGr. 3595 Z. 24) in ungemein ähnlicher Weise wiederkehrt, so dass er an eine „Formel gewiss offiziellen Ursprungs" denkt, so ist der Ausgangspunkt sicher im Ptolemäerreich, wahrscheinlich schon unter Philadelphos, zu suclien. Wie

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72 E. Knrncmnnn,

Was die Weiterentwicklung- speziell des äg^i)tisclien Kultes betrifft, so Aviu'de, gerade so Mie der Kult der &eol ^(azij^iEg, auch der der ^sol '^deXqoi an den Alexanderkult angeschlossen. „So hatte- man denn in der zweiten Hälfte der Eegierung des Philadelphos zwei Keichskulte nebeneinander: den 'AlsiüvSgov xai &s(Jüv ^iuTr,Qwv und den 'AliidvSQov y.cü &SWV 'Ads).(fwv^' .^) zwei Kulte, in denen neben vier Abgeschiedenen zum erstenmal ein Lebender in die überinlische Sphäre erhoben war.

Durch das Priest er dekret von Kanopos-) sind ^\•il• dann für die Regie- rung des Ptoleinaios HI. Über den ägyptischen Herrscherkult, wie ilm Philadelphos ins Leben gerufen hatte, eingehend unterrichtet. Nachdem Philadelphos das Beispiel gegeben hatte, war es natürlich, dass der gerade im Anfang seinei- Eegierung eminent glückliche dritte Ptolemäei-. der sehr bald mit Recht den Reinamen eines P^uergetes sich verdient hat . zu- sammen mit seiner Schwester- Gemahlin Berenike schon bei Lebzeiten consekriei't und der Kult der &toi Eveg^irai an denjenigen der d^eol 'Adshfoi angeschlossen wurde. Wann das geschehen ist. wissen wir nicht, auf alle Fälle schon vor dem 0. Jahre seiner Regierung, d. h. dem J. 238. aus welchem das Dekret von Kanopos stannnt.-') Dieses nimmt nämlich Bezug auf ein älteres Dekret der ägyptischen Priesterschaft, wonach in jedem ]\[(inat in den Tempeln des Landes als Feste der Götter P^uergeten der 5.. 9. und 25. 'J'ag gefeiert werden sollten; von diesen waren zwei, der ."). und 2.">. Dios des makedonischen Kalenders.^) der Geburts- luid der

Alexaiulor und P(olemaios I. die Foiuit'ii für den Kult Yorsfoibener, so bat wohl Philadelphos diejenigen für den Kult des leheiideu Königs geschaffen, bezw. aus den Kulten griechischer Städte entlehnt.

1) vo.\ Prott a. a. 0. S. 466.

2) Grundlegend R. Lepsius, Das bilingue Dekret von Kanopus 1. (1S6G mit Über- setzung des griechischen und des hieroglyphischen Textes, sowie einer orientierenden Einführung in das Verständnis der Inschrift, vor .allem in die chronologischen und kalendarischen Probleme (dazu vox GLisciiMin. Kl. Schriften I S. 37.") ft".); wieder ab- gedruckt ist die Inschrift bei Sthatk, Dynastie der Ptolemäer S. 227 ff., Mahaffy, The Empire of Ptolemies S. 229 ff. , Hicks, Manual 179, Michel, Rccueil des inscr. gr. 551.

3) Denn hier werden Ptolemaios und seine Gemahlin Rerenike schon in der Ein- gangsformcl als 9hoi EvtQytTcti bezeichnet; allerdings im Datum selbst heisst der regierende König nur Ptolemaios ohne jeglichen Zusatz: BueiXivovToi IlroXtuaiov tov TlToXty.uiov xal 'AQßir6i]i, ■O'fMi' 'AStXtfCov , l'rovg u. s. w. Aber ähidich, wenn auch schwülstiger, ist der Anfang der Inschrift von Rosette , woraus man eiuen Schluss auf noch nicht stattgehabte Vergötterung des Ptolemaios V. Epiphanes nicht ziehen darf; vgl. unten S. 28. Zudem bezieht sich, wie oben im Test ausgeführt wird, das Dekret von Kanopos auf ein früheres Dekret (Z. 33) für dieselben Götter und sagt von sich selbst, dass es die früheren Ehren für die Götter Euergcten und ihre Ahnen nur mehren wolle (Z. 21 f.).

4) Der seltsame Zwiesjialt zwischen Makedonisch-Griechischem und Ägyptischem, der die ganze Inschrift durchzieht, zeigt sich auch in der Anberaumung dieses Festes,

22

Zur flrscliicJifr der (iiitikni Ilrrrxrhirlniltr. 73

Reofipruiiüsaiitritts-Tag des Könios, der 9., der walirsclieinlich auch auf ein ursiiiüuiiiicli iiiakedonisclies Datum zurückgeht, war vielleiclit der Geburtstag der Königin.') Man darf wohl vermuten, dass dieses erste Dekret, welclies die genannten ^Fonats-Festtage einsetzte, die Apotlieose der neuen Herrsclier, vielleicht l)ald nacli ilirem Kegierungsanti'itt. aus- gesproclien liatte.') Dann halien die am 7. Apellaioss, d.i. dem 17. 'i'yhi der Ägypter, im .Jahres J.is v. Chi', im Heiligtum der Götter Euergeten zu Kanopos versammelten , schon vorher zur Feier des Geburtstags- und Thronbesteigungsfestes des Königs in Alexandreia zusammengekonnnenen Priester Ägyptens den i7«oi EviQyinu und ihren A'ort'aliren tnlgende Khren hinzugefügt :■')

1. die Priester in allen Heiligtümern des Landes sdllten zugleich ..Priester der Götter Euergeten" genannt werden,

2. auch das Priestertinn der i'/eoi Ei'soyirai sollte in allen öffent- lichen Irkiinden eingeschrieben^) und auf den Fingerringen der Priester eingeschnitten werden,

3. zu den vier schon vorhandenen Phylen der Priesterschaft sollte in jedem 'i'eiiipel noch eine neue, ..die fünfte I'liyle der (iötter Euergeten" genannt, hinzugefügt und dementsiirechend der ans 20 Priestern be- stehende Hat auf 2.") durch Hinzutritt von fünf Buleuten aus der neuen Phyle erhöht werden.

-lt. zu den drei uiiiuatliili in den 'rempeln des Landes gefeierten Festen der Götter Euergeten soll a) nach dem Vorlnld der jährlich ge- feierten öffentlichen Feste und l'anegyrien für die übi'igen hö( listen

wie Lepsius a. a. (). S. 9 f. cinlciU'litiMiil crwii'spii hat. Diir in Alrxniidrcia iiml am llofo nach dem maliedoiiisclien Kalcudci- jiilirlicli fj;ofeirrten Festt.-ific ^/C. ."itV.i hat man nicht bei der Umwandhiiig in Monatsfestc auf den ägyptischen Kali'nder reduziert, was eigent- lich l)ei den im Laufe der Jahre oft sehr bedeutenden Abweichungen der beiden Kalender unumgänglich notwendig gewesen wäre. Mau hielt sich vielmehr ,an die gegebenen nackten Zahlen der makedonischen Monatstage, den 5. und 25. und feierte diese Tage eines jeden ägyptischen Monats, unbekümmert darum, ob die auch fernerhin bei Hofe und von den in Alexandreia erscheinenden Deputationen der ägyp- tischen Priesterschaften des Landes n.ach makedonischem Kalender gefeierten Jah res - tage auch mit den ägyptischen Monatsfesten zusammenfielen oder nicht." In der In- schrift von Rosette sind die beiden Jahrestage wenigstens ägyptisch ausgedrückt: es sind unter Ptolcmaios V. der .30. Mesore und der 17. Paophi (Z. 46), also zwei Tage in verschiedenen Monaten; aber trotzdem ist im griechischen Text die ungenaue An- gabe, die beiden Tage sollten monatlich (kutü (ii'/i'K, Z. 48) gefeiert werden, .stehen geblieben, während der hieroglyphische Text genauer ist.

1) Dies vermutet Lepsils a. a. 0. S. 10.

2) Lepsius a. a. 0. S. fi. S-niAeK, Dynastie der Ptolemäer S. 125 f.

3) Dekret Z. 20 tT.

4) Vgl. was oben S. 10 iiber die ähnliehc Bestimmung naeli drv Hernisierung Hephaistions gesagt ist.

23

74 E- Korucmniui,

fiöTter {rolg alloig ntyiaroni &Eo7g)^) auch jährlich eine sok-he öffent- liche Panegyrie sowohl in den Tempeln wie im ganzen Lande dem K(inig Pttilemaios und der Königin Berenike, den Göttern Euergeten. gefeiert werden an dem Tage, da der Stern der Isis, der Sii'ius. aufgeht, dem ;igy])tischen Neujahr nach den heiligen Schriften.-) und zwar soll das öffentliche Fest fünf Tage lang abgehalten werden mit einer Steplian- ephorie. Opfern. Spenden und was sonst dazu gehört ;■') b) soll weiter alle vier Jahi'e hinter den fünf Epagomenen vor dem neuen Jahi-e ein sechster Schalttag hinzugefügt werden und dieser alle "vier Jahre wiederkehi-eiide Schalttag als Festtag füi" die Götter Euergeten gelten zur Erinnerung an die glückliche Berichtigung und Ergänzung des Kalenders duich dieselben.

Den zweiten Teil des Dekrets bildet der Beschluss der Apo- theose der jüngsten, während des Aufenthalts der Priesterschaft in Ale- xandreia in jugendlichem Alter verstorbenen Tochter des Herrscherpaares, der ..Königin" Berenike. Dieser Teil ist von ungemeiner ^'ichtigkeit, weil er das erste authentische Zeugnis ist für die Form der Con- sekration, vne sie seit Philadelphos gebräuchlich war; denn man darf v^ wohl annehmen, dass die Apothese der Aj'sinoe, im allgemeinen wenigstens, das Vorbild für die hier zu besprechend* abgegeben hat. Die Priester- schaft beschliesst der von den iteol Eisgyärai abstammenden Königin Berenike ewige Ehren in allen Tempeln des Landes zu erweisen, und zwar soll ihr, da sie in demselben Moüat vde Tafiie, die von ilirem Vater zärtlich geliebte Tochter des Helios (Ra), zu den Göttern ein- ging, ebenso wie dieser in allen Tempeln des Landes im Monat Tybi ein Fest und ein Periplus vier Tage lang vom 17. an gefeiert werden. Weiter soll ibr goldene«, mit Edelsteinen besetztes Bild, mit einem für sie charakteristischen, von dem der Mutter Berenike ver- schiedenen Diadem in den Tempeln erster und zweiter Ordnung aufgestellt und l)ei ilen Auszügen und Panegyrien der übrigen Götter mitgeführt werden unter der Bezeiehuuug: „der Berenike, der Fürstin der Jung- frauen". AVenn die lükellien gefeiert werden im Monat (/hoiach vor dem Periplus des Osiris, sollen ihr die .Tnngfrauen der Priester ein anderes Bild zurichten, dem sie gleichfalls ein Opfer und alles übrige an _ diesem Feste übliche darbringen, und das gleiche soll den übrigen Jungfrauen, die es wünschen, freistehen. Dann sollen täglich von den Hierogrammaten

1) Hiermit sind meiner Ansiebt uacb die vergöttorten Vorfahieu der Euergeten und die grossen griechischen Staatsfeste für dieselben gemeint, die wir für die Zeit des l'biladelpbos schon kennen gelernt habend vgl. auch Anm. 3.

2) Über den Nebenzweck der Kalenderreform des bis dahin gebräuchlichen Volks- kalenders, der mit diesen neuen Festen verfolgt wurde, vgl. Lepsius S. lOfiF.

3) Dadurch wird das Fest als ein griechisches gekennzeichnet, folglich waren es auch die in Anm. 1 erwähnten Vorbilder des festes.

Zur Goxchiclitc der mifikcn TTcrrnflierhiltr. 75

verfasste Lieder von den lieiligen Juiififrauen nnd den mit der f^ediennno- der Götter Betrauten gesungen werden , von denen Abschriften in die heiligen l^iicher eingetragen werden müssen, und wenn die Frühsaat nalit, suih'U die lieiligen .Inngfraueu die dem Bilde der (-röttin aufzusetzenden Ähren beschaffen. Endlich soll den 'röchtern der Priester ihr Unterhalt aus den Teniijeleinkünften gereicht und das ihren h'rauen gegebene Brut ein besonderes Priigezciclicii crlialtim und „Unit der Hereuike" genannt werden.

Das ist die Frucht dei- dem Ägyptischen so stark zuneigenden Eichtung des Philadelphos : in der dritten Generation schon ist der ganze Kult vollkommen im äg.yptischen Fahrwasser, und von der allmächtigen Priesterschaft geht die Consekration , die Schaffung der für die Con- sekrierten zu feiernden Feste und die Anordnung der verschiedenen Kult- handlungen aus. Bezeiclinend für den Wandel der Zeiten ist, tlass die seltene Auszeichnung der Apotheose für die königliche Prinzessin Berenike mit dem Hinweis auf die Apotheose der 'i'afne im gleichen Jlonat motiWert wird. Niclit mehr griechische, sondern ägyptische Gott- heiten geben das Vorbild für die neuen Königsgötter. A"or allem aber ist nun und bleibt das Spezifische des ägyptischen Herrscherkults, dass die Priesterschaft die jeweils regierenden Herrscher consekriert. Das ist, wie VON Prott ') richtig gesagt hat, „ein sonderbarer Kompromiss zwischen Ägyptischem uiul Griechischem-'. „Denn die Vorstellung, dass der Pliarao erst durch eine Priestersynode zum (Tott gemacht \\erden müsse, ist durchaus so uuägyptisch , wie die Verstellung, dass ein lebender Mensch Gott sein könne, (im Grunde) uuhellenisch ist". Der Kult der lebenden Könige wird an den der toten angeschlossen und zwar an den der ifsol 'AÖElffoi und des Alexander, so dass zunächst der alte Reichskult des Alexander und der &ioi ^'airrjosg olme Fortsetzung blieb.-)

Diesem Zustand hat Ptohmaios IV. Phüopator ein Ende bereitet. Er. „der die Pflege des Andenkens des ersten Ptoleniäers sich besonders an- gelegen sein liess'VO hat die Soteren zwischen dem 3. und 8. Jahre seiner Regierung (220 215 v. Chr.) in den jüngeren Kult aufgenommen'') und so das (Tcbäude des ptolemäischen Reichskultes mit Alexander an der Spitze und dem jeweils regierenden Herrscher, bezw. Herrscherpaar am S<'hluss fertig gestellt. In dieser Vollendung begegnet er uns auf dem Stein \iin

1) VON Prott a. a. O. S. 466.

2) üntergogaiigen ist or deslialb iiiolit, nur hat er gosinKlcrt von dcni Kult des Alexander, der &tol 'ÄätXtfol und &iul EvtQyirui bestanden; erwähnt werden näm- lich die &i-o\ XarfiQfq im Beginn des eigentlichen Beschlusses des Priesterdckretcs von Kanopos, Z. 20ff. : öiäüji^&ia rofs v-ara tIjv x'oQ'iv itQtvBiv tk;,- Tf nQOVTtuQj^ovaug Tiuug iv xois ItQOti ßaailtt IlruXtfLuicp xkI ßaaiXieay BsqivIkij ■9'tori," EvsQyttaie xkI to/'s '/ovtveiv uixäiv &toli 'A&tkqioii xal ToTg TtQoyopoig 9toTg l!(OTi)Q0tv aü^itv.

3) Kaerst, Eheiu. Mus. LH, S. 50.

4) Lepsiüs a. a. O. S. 7.

25

7() E. Kornoiinnn,

Rosette,') wo der zur Datieruno- im Eiiio:auo: aeuainite Könissjn-iester be- zeidniet wird als 'uQiv^^jäXiiccvdQov -/.cd &ewv ScüD/Ouv xai (fiwv'AdiXcfiöv xctl &eüv EiiQyiTiov y.al &ewv 'litlonarogwi' xal &eov 'Enitfctvoii Evy/xgi- arov.-) Das auf diesem Stein ebenfalls dreispracliig einoehauene Dekret von ^Memphis, bekanntlich erlassen im 9. Jahre der Reoierung des Ptolc- maios V. E/njJianes. d. i. im Jahre 196 v. Clir.. bildet das Gegenstück zum Dekret von Kanopos. Audi liier ist wieder die Rede von einer Mehrung der Ehren für den König und seine "\'orfahren/^) so dass die Apotheose schon als vollzogen angenommen werden muss. Die einzelnen Bestimmungen decken sich nur zum Teil mit denen im Deki'et von Kanopos. So kehren wieder die Verordnungen für die Priester, vor allen ilie Bestimmung der Einzeichnung des Priestertums in alle Urkunden.") Was dag-egen die Feste betrifft, so hatte die im neuen Dekret erwähnte Einrichtung monatlicher Feier des königlichen Geburt-stags und Regierungsantritts'^) unter Euergetes I. schon das ältere Dekret verordnet, während die jährlichen fünf- tägigen Feste in den beiden uns erhaltenen Dekreten fast in gleicher Weise eingesetzt werden, nur mit dem Unterscliied, dass in dem Dekret von Kanopos deutlich ein öffentliches Fest angedeutet wird, in dem von ]\Iemphis hingegen eine Feier in den Tempeln,'') an dem allerdings Laien teilzunehmen gestattet sein soll.') Alles in allem genommen über- wiegen docli die Unterschiede die tlbereinstimmungen, sowohl in der Form wie im Inhalt. Während im Dekret von Kanopos das Griechis(,'he das Original, die ägyptischen Texte nur Übersetzungen sind, ist es beim Stein von Rosette umgekelirt.'>) Die Ehren-Titulatur des Königs bewegt sich liier vollkommen in ägyptischen Epitheta. Er ist xa&änEO ö j'ihog, der fiiycci ßaaif.svg twv re ävw xai twv xcctio jfwgüJv,''') weiter itxwv L,(üai] roxi Jiög, viov Tov r,Uov, endlich iiyaTDjuivog vno tov (l>&ä,'^') er trägt die Dojipel- krone Pschent*') u. s. w. Den Priestern ist die Reise nach Alexandreia

1) CIGr. 4697 = Mlxler, FUG. I. Aiihuncr mit UbiTsc-tziing und KoinniLMitiir vou LETRo.\^E) = SrisACK, Dynastie der Ptidcmäcr S. '2K)tV.

2) Z. 4f.

3) Strack a. a. O. S. 126.

4) Z. 51 f. ^

5) Z. 46S'.

6) Z. 49 f.

7) Z. 52f. Dass trotzdom damit keine eigentliche Volksfeier angeordnet war, liat Lepsius, Dekret von Kanopus S. 12 f. erwiesen.

8) Mahaki-y, The Empire of Ptolemies S. .301 tt., V. M. Mever, Das Heerwesen der Ptolemäer und Römer S. 60.

9) Über diesen Ausdruck vgl. Revillout, Rev. Arcli. XXXIV (1877) S. 341 Aiim. 2.

10) Vgl. darüber Letrosxe im Commentar bei Müller, FHG. I. Anhang S. 8.

11) Z. 44; dazu Revillout a. a. O. S. 341 Anm. 1. Le pschent ou psent ou plutöt encore le seut (car p est l'article) ctait Li double couronne de la Haute et de la Basse Egypte. II se composait d'une mitre rentrant dans une autre couronne, ii forme clrange, ouverte du haut.

26

Zur (lesrliirhfo der (iiitiiccn Uirt-xchrrhulfr. 11

erlassen,') dafür koiiimt der König nacli Memphis, wo sicli die Priester versammelt haben „zur Feier der tjbernahnie (h-r ?[errscliaft durch Ptiilemaios den e\vij>]el)eudeii , welchen l'htha liebt, den (Tott Kiiiiihanes Kucharistos".-) Daher fasst man (bis Dekret allgemein als Krönungs- dekret auf,'') das vielleicht mit seiner starken Betonung der ägyiitischen Form des Königtums in dem Kanii)fe gegen die aus der einheimischen Bevölkerung hervorgegangenen Throniträtendenten eine \\'affe der für den jungen König eintreteiulen Priesterschaft darstellt.'') Die sehr genauen Bestimmungen über Aufstellung von Bildern des Königs in allen Temiieln des Landes, über deren Verehrung, die Herstellung von Bildern für die Prozessionen u. s. w.^) zeigen, dass der Einfluss der l'riesterkaste auch in Sachen des Königskultes allein bestimmend geworden ist. Nehmen wir noch hinzu-, dass in dem Dekret vnn Philae,'') welches im 21. Jahre der Regierung des Epiphanes, d. i. im Jahre 184 v. Chr., die Bestinnnungen des Dekrets von Memphis auch auf die Gemahlin des Königs, Kleopati'a, ausdehnte, der griechische Te.xt überhaupt fehlt, so haben wir damit einen weiteren Beweis für die L'ichtigkeit dieses Satzes. Man muss be- denken, dass das Dekret von Kanopos aus der Zeit der höchsten Blüte der Lagidenherrscliaft, diejenigen von Memphis und Philae aus der Epoche des grössten Tiefstandes stammen. Mächtig w&v der Einfluss des ein- heimischen Elements schon unter der traurigen Regierung des vierten Ptolemäers gestiegen ; unter seinem Nachfolger handelt es sich nicht mehr darum, die Ägj'pter au griechische, sondern umgekehrt (üe Griechen an ägj'ptische Sitte zu gewöhnen.'^) Durch die Sclinld der Herrscher war die Apotheose der Könige, die ganze Einrichtung des Kultes in die Hände der ägyptischen Priesterschaft gelaugt, die seit Epi])haues all- mächtig war und den ursprünglich der Form nach griechischen Kult mit ägyptischen Riten durchsetzte.") A\'ie die ganze ägyptische Religion, wurde auch der ägyptische Königskult ein Priesterkult und ist es bis zu seinem Ende geblieben.

Der Bau im grossen war seit Epiplianes fertig. Die spätere Zeit zeigt nm- noch ein schärferes Hervortreten der Gottköuigsidee bei den

1) Z. 16 f.

2) t. 7 f., vgl. Strack S. 126.

3) Vgl. Strack S. 127.

4) Kkvilloui 11. a. 0. S. 343. 6) Z. 38 ff.

6) Veröffentlicht von R. Lepsius, Zeitschrift der Deut-sehcii morgenlaudischou Gesellschaft Bd. I, Heft 3 (1847).

7) DaiUber Revillout a. a. 0. S. 339.

8) Richtig Kaerst, Rhein. Mus. LH, S. 64: ,Wir finden insbesondere in Bezug auf die Ptolemäer eine fortschreitende Agyptisierung des Königskultes, so dass zuletzt das lagidische Königshaus als ein verjüngtes Abbild der alten Pharaonenherrschaft erscheint.'

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78 E. lüiniriiKni»,

lebeixleu Herrscliern in traurigem Kontrast zu der Olmmaclit des Keidies vom 2. Jalirlumdert ab. Wie Stkack am besten darg:elegt liat,') kann man diese P^ntwicklnng am deutlielisten an den Aktpräskripten verfolgen. Unter Eufn-getes 11. ist man zuerst von der einfachen Sitte der bes.sereu Zeit, dass im Datum der regierende König der Bei- namen und damit aucli de.s Gottestitels sich enthielt, abgewichen. Seit dem Jahre 134 v. Chr. füliren unter ilim die Protokolle im Datum den König als ..(Tott Euergetes" auf, und der Zusatz des Ellternnameus fällt fort. Auch die Nachfolger des Euergetes haben stets ihre Beinamen dem ßnadevg IlTo?.e/AaJog in den Aktdaten hinzufügen lassen, meist mit dem Zusatz d^eög. Dagegen in den wenigen Königserlasseu, die ^^■ir halben, redet der Herrscher auch fernerhin von sich nur mit ßaaiksvg ÜToXmalog ohne Beinamen und Gottestitel, so dass man annehmen muss, dass die Könige selbst sich ihres Gottestitels nicht bedient haben, abgesehen von den In- schriften, welche Weihungen der Könige an die Landesgötter enthalten. Diesen gegenüber haben die späteren Ptolemäer ihre Ebenbürtigkeit dokumentiert; „den Menschen gegenüber sind sie Menschen geblieben und haben von sich als Menschen geredet". Auf den Münzen halten sie die Mittelstrasse inne. Während nämlich den Porträts häufig die Embleme einer Gottheit zugefügt sind, Aveist die Schrift nur die dynastischen Namen, verbunden mit den Beinamen, auf. Nur eiinnal begegnet ÜToh- uaiog ßuaü.Evg flhkoi.u]Two ß-tcq und von der letzten Kleopatra der Titel: ßaßihaaa KlmnäTga &su veiorigct.

Bei den Seleukiden war zunächst, wie Avir oben sahen, die Vergötte- rung auch allein auf die verstorbenen Herrscher beschränkt: der lebende König wiu'de noch in der zweiten Generation nur von schmeichelnden grie- chischen rnterthanengeraeiuden verelu't, und zwar offenbar ebenfalls zu- nächst unter dem Titel einer ^wt/jo, ähnlich Avie der erste Ptolemäer.-) Nach

1) A. a. O. S. 120 ff. Strack entiielime ich das folgende.

2) Die kleinasiatischen Griechenstädte überbieten sich gegenseitig in der Ver- ehrung des Antioehos I. Das Dekret von Tlion (CIGr. 3595 = Hicks, Manual 165 = DiTTENBERGER, SvllogB I', 156 ^ MicuEL , Eecucil 525) erwähnt einen UQtvg toü ßaailicog 'Avrioxoi^; das Dekret von Bargylia (Le Bäs III 87 = Dittesberger, Syll. I-, 216 = Michel, Recueil 457 Z. 22 f.) spricht von einem yviivixbg icymv zu Ehren des ßuGtUvg 'AvTioyog Swri'iQ. Der ionische Städtebund richtet demselben , seiner Gattin Stratonike und seinem Sohne, dem später Theos genannten Antioehos, einen Kult ein, offenbar im Anschluss an den schon vorhandenen Alexanderkult, Fouc.\rt, Bull. Corr. Hell. IX (1885) S. 387 ff. = Lexschau, Lcipz. Studien XII, S. 194 f. = Michel, Recueil 486, aus dem zweiten Teil der Regierung des Antioehos, auf alle Fälle nach 269; vgl. WiLCKEX bei Padlv-Wissowa I 2 Sp. 2452. So^^rien zu Ehren des Antioehos Soter wurden in Mylasa (über die Bezeichnung der Bewohner *= 'Arrtox^ig h. tov XQvaccoQiav i'&vovg vgl. Beszixgeb bei Pauly-Wissowa 12 Sp. 2447) gefeiert, Cowe, Bull. Corr. Hell. XVIII (1894) S. 285 fl'. = Michel, Recueil 252 (vgl. auch S. 944) Z. 31. Auf die Tempel des Seleukos und Antioehos in Lemnos (Athesäls VI 255 a) ist oben S. 17 schon aufmerksam gemacht worden. Die Gemahlin des Antioehos,

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Zur Gcschiclitc der nnfila'n HrrrscIicrhuJtc. 75t

seinem Tode ist ilaun Ant/ochoa I., so gut wie sein Vater, und zwar unter dem Titel 'Avxioy^og 'AtiüXKwv ^wrj;p'), apotheosiert worden.-) Der grosse Fortschritt zur offiziellen Verehrung des lebenden Herrschers von Staatswegeii sclu^nt erst unter dem 3. Seleukiden. Antiochos II. Theos, gethan worden zu sein. Von ihm wohl ist ein uns inschriftlieh erhaltenes, für die Geschiclite des Seleukidenkultes sehr wichtiges Dekret er- lassen.ä) Es ist gerichtet an Anaximbrotos , den Statthalter einer klein- asiatischen Satrapie,^) und bestellt eine Oberpriesteriii für seine erste Gemalilin und zugleich seine Halbschwester 5) Laodike, welche, etwa 248 V. Chr. von ihm Verstössen wurde. Die Kultgründung erfolgt für den Bereich einer Satrapie'') uiul schliesst sich au einen schon bestellenden Kult des Königs sowie seiner Vorfalu^eu imter einem apxugevg an.') Die ueueu Oberpriesterinnen werden neben den seither bestehenden Ober- priesteru an den nämlichen Orten""), offenbar den Hauptstädten der Satra-

Stratonike, wurde auch in Sinyriia verehrt, CIGr. 3137 = Hicks, Manual 176 = DiTTExuEKGEii, Syllogc 1' 171 = MioiiEL, Eccueil 19 Z. 83 u. 70. Vgl. dagegen Z. 61, wo vielleicht 7j rov ßaaiXiag I^tXivxov rv^i] zu lesen ist. Antiochos I. wird in der- selben Inschrift Z. 100 genannt: ö &ioq v.al Scori-jQ 'Avrio^og.

1) Den Beinamen Sot(^r führte er schon bei Lebzeiten seit der Besiegung der Gallier in der Mitte der siebziger Jahre des 3. Jahrhunderts, Appian, Syriaka 65, dazu Niese, Gesch. der griech. und mak. Staaten II, S. 80 Anm. 5, a«ch DiTTENBERGEn, Sylloge I^ 216 Z. 21 f. mit Note 1, Babelon, Les rois de Syric p. LIII sq., WiLCKEN bei Pauly-Wissowa I 2 Sp. 2453. Den vollen Namen als Gott nacfi seinem Tode giebt die Inschrift CIGr. 4458.

2) Darüber Babelon a. a. 0. p. LIV.

3) Gefunden im November 1884 in dem Dorfe Durdurkar in Südphrygieu zwischen Karajuk-Bazar und Khorzum, jetzt in der Ecole fran^aise d' Äthanes, herausgegeben von Paris und Holleau.\ , Bull. Corr. Hell. IX (1885) S. 324—330, ein zweites Mal von Holleaux ebd. XIII (1889) S. 523—529 = Michel, Recueil 40; das Edikt stammt aus der Zeit 261/48 v. Chr., Bull. Corr. Hell. IX, S. 328.

4) So richtig Holleaux, Bull. Corr. Hell. XIII, S. 526 mit Rücksicht auf Z. 4 iv rij oaTQaTfsiat und Z. 29 iv rols vnö as rö'^toig. Es ist die Satrapie mit dem Ilaupt- ort Eriza, die wir durch die Inschrift Bull. Corr. Hell. XV (1891) S. 556 kennen. Anaximbrotos giebt die Abschrift weiter an Dionytas, einen ihm unterstellten Beamten, offenbar einen Strategen oder Unterstrategen für einen kleineren Bezirk, vgl. Niese, Gesch. der griech. und mak. Staaten II, S. 95 Anm. 4.

5) Über die Verwandtschaft vgl. Polyäx VllI 50 und dazu KOuler, SBer. Ak. Berlin 1894, S. 448, Niese a. a. 0. II, 139 Anm. 3; Wilckex bei Paulv-Wissowa I 2 Sp. 2455.

6) Z. 4: cc]QxifQiiav rcbv fr rj/t ßccTQCiTTtlui. In der Erklärung dieser Worte gehen HoLLEALX und Köhler auseinander. Ersterer (S. 526) denkt sich zu räv noch ein TOTtav oder hgiäv hinzu, während Kuulek (a. a. 0. S. 449 Anm. 2) die Bestellung der Oberpriesterin aus den Bewohnern der Satrapie darin angedeutet sieht. Die S. 30 Anm. 4 angeführten Inschriften von Kypros entscheiden zu Gunsten von Holieaux.

7) Z. 22ff. : zK&aÄfp [nQ6tfQOvy.a9saTijy.aai, y,]atä ziiv ßaai!.i[ila[v ijfiäiv äQx\iCQtls undZ. 27f. : iniyQaqiijaovrai äi v.ui iv \toig G\vvaXXay^Laat (t[s]Ta riöv \xs 9s1\ätv (besser als [TCQOy6v\cov) y.ul ijuAv c'cQptQiis; vgl. Holleaux S. 528.

8) Z. 24.

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80 J^- Konic.iiKüiii,

pieeii, eingesetzt. Sie tragen auch goldene Kränze als Abzeichen ihrer ^\■iir(le') und sollen ebenso wie die aQ-/isgm an die Spitze der Kontrakts- urkundeu gesetzt werden.''') Die Inschrift lehrt, wie Kaerst") mit Eecht betiint. dass ,,der Kult der I'tolemäer in Ägypten, das ept>nyme Priester- tuni derselben zu Alexandreia durchaus nicht etwas dem ägyptischen Reiche besonders Eigentümliches sind." Aber im Gegensatz zu der ptole- mäischen Zentralisation*) begegnet uns im Seleukidenreich zum erstenmal jenes System der Dezentralisation in Gestalt der provinzialen Kulte, ■"') das später im römischen Kaiserreich fortgesetzt worden ist. ^\'er der Schöpfer dieses Systems ist, wissen wir nicht: auf alle Fälle nicht An- tiochos II, dessen Kult sich vielmehr an einen in der gleichen Dezentra- lisation schon bestehenden Kult seiner verstorbenen Vorfahren angelehnt zu haben scheint. Von den beiden ersten Seleukiden, die demnach übrig bleiben, liegt es am nächsten an Antiochos I. zu denken, der auf dem von seinem Vater gelegten Grund die ProAÖuzialvei-waltnng weiter aus- gebaut ") und vielleicht nach der Konsekrierung seines Vaters diesen provinzialen Kult zunächst für denselben, ähnlich wie Tiberius später den provinzialen Divus-Angustuskult, geschaffen hat. Ist das richtig, so hallen für den Herrscherkult im Seleukidenreich die beiden ersten Antiochi dieselbe Bedeutung, wie im Ägypterreich die beiden ersten Ptolemäer, d. h. vor dem .Tahre 24(5 ist auf alle Fälle in beiden Reichen der offizielle Herrscherkult und zwar nicht nur für die toten, sondern auch den lebenden König (und die Königin) voUkonnnen ausgebaut gewesen. Der Beiname

1) Z. 24/5.

2) Z. 26 fF. Schon Köhler macht auf die von uns oben S. 10 besprochene analoge, nach Hephaistlons Tod von Alexander getroffene Bestimmung aufmerksam.

3) Khein. Mus. LH, S. 6.5 Anm. 2.

4) Das Vorhandensein von besonderen 01)erj)riesteru in dem von den PlolemJiern beherrschten Kypros (Brandis bei P,\ui.y-Wissiiwa II 1 Sp. 471 f. hält mit Kecht den äQ%ii()ivq Ti'is vr'jaov, Jouru. of Hell. SUid. IX, S. 225 ff. No. 20. 23. 107 a. 109, und den seiner Ansicht nach damit identischen c'cQxtiQtvs räv x«rä rijv rifiov hQür. Le Bas 2787. 2781 = abgekürzt ccQxitQtvg tAv xcezä rip' vijaov, Journ. of Hell. Stud. IX, No. 24, vgl. ClGr. 2622. 2624, auch blos tCQpsgivg, für provinziale Oberpriester des kyprischen Königskultes) beweist nichts gegen die Zentralisation im eigent- lichen Ägypten, da die auswärtigen Besitzungen der Ptolemäer nicht mit dem Hauptlaud vereinigt waren. Weiter stammen die uns erhaltenen Inschriften der kvprischeu aQx'tQslg erst aus der späteren Ptolemäerzeit (die frühesten aus dem 2. Jahr- hundert, vgl. Strack, Gott. gel. .\nzeigen, August 1900, S. 647), so dass wohl die Ein- richtung der provinzialen Kulte in Kypros immerhin der kurzen Zeit der Seleukideu- herrschaft auf der Insel (unter Antiochos IV j vgl. E.ngei. , Kypros I S. 40Ö ff.) zu- gewiesen werden darf.

5) Vgl. Köhler, SBer. Berl. Ak. 1894, S. 448 f. Bekannt ist ausserdem noch ein CTpKTjjj'os xcl ccQX'^Qivs ^vQiKg KoiXccg Kai 0oiviy.cig aus der Zeit Antiochos' des Grossen; Bull. Corr. Hell. XIV (1890) S. 587 ff.; vgl. Niese a. a. O. II, S. 378 Anm. 4.

6) Niese a. a. O. II, S. 93 ff.

30

Zur Gcschiclitc der indihcn HcrrschcrJcnltc. Hl

Theos, den der zweite Aiitiuchos trägt , eiitsjiriclit dann selir wohl dem liistoiischen Thatbestand, wenn auch nidit zu erweisen ist, dass sich der Träger desselben selbst bei Lebzeiten bedient hat.') Denn auf Münzen aus seiner Kegierung erscheint der Beiname noch nicht , dagegen tinden wir auf denselben zum erstenmal die Strahlenkrone. was dafür ein ebenso sicheres Zeichen der Vergötterung ist.-')

Von Antiockos Theos ab ist also der seleukidische Reichskult fertig: es Averden stets zusammenverehrt die verstorbenen und apotheosierten Könige und am Schluss der Reihe der jeweils regierende Basileus. Durch die Insclirift CIGr. 4458 (aus Seleukeia am Orontes)^) kennen wir die Liste der Divi bis auf SeleuJcos IV. Philopatm- (187 175). Es sind: Seleukos Zeus Nicator, Antiochos Apollon Soter, Antiochos Theos, Seleukos Kallinikos, Seleukos Soter, Antiochos,^) Antiochos der (Trosse. Diese haben zusammen einen Priester, daneben hat dann der regierende König Seleu- kos IV. seinen eignen. So ist es geblieben, bis das Seleukidenreich zu Ende ging. Antiochos IV. (175 4 165 4)^) heisst auf seinen Münzen i9-«6g 'EnKfttvriq.*') In dem Makkabäer-Aufstande unter ihm spielt au(;h der Herrscherkult als Stein des Anstosses für die Juden eine Rolle.') Die Sama- ritaner dagegen, die sich von den Juden lossagten, adressieren als getreue Untertlianen ihren Brief an den König: Baailü Avnö^u) Qacp 'Emfpavii.^) Entsprechend heisst Demetrios II. Nikator auf seinen Jlünzen i^eög

1) Über diesen Beinamen vgl. Niese a. a. O. II, S. 134 Anm. 1. Köm eh, SBer. Berl. Ak. 1894, S. 449 nimmt an, dass Antiochos den Beinamen geführt habe, weil er sich in den Provinzen seines Reiches als Gott hat verehren lassen.

2) B.4BEL0N a. a. O. p. LVI, vgl. Eckhkl, D. N. III p. 214 u. 217. Bei RLlEl^ De diviuis honoribus S. 89 ff.

3) Über die Inschrift Babelon p. LXXIVff. Dazu vgl. man die Datierung in dem Psephisma von Antiocheia in Persis bei Kek.n , Inschriften von Magnesia am Mäander 61 Z. 1 5: inl ItQlas SuXtvxov Niv.dTogoi v.cil 'Avtiöj^ov 2^(OTi'i^os xai 'AvTiöxo» 0tov xal SsXevxov Kai,Xivmov kuI ßaeiXiioe 'Avrtö'^üv v.ai roü i;iof» «uroü ßaciXtais 'Avtioj^ov.

4) Es ist der Sohn Antiochos des Grossen, der mit seinem Vater längere Zeit zu- sammen den Königstitel führte, aber vor demselben, schon 193 v.Chr., starb; so richtig schon VON GiTscHMii), Geschichte Irans, S. 34 Anm. 3; Wilckex bei P.\ui.v-Wis50wa I 2 Sp. 2470, Keux a. a. 0. zu 61 (diese Inschrift lehrt auch, dass Vater und Sohn bereits zu ihren Lebzeiten Priester hatten), Niese a. a. O. II, S. 679 Anm. 3; falsch derselbe ebda. S. 172 (vgl. S. 777) und Babelos a. a. O., p. LXXIVff., S. 43 ff.

5) Diese Regierungszahlen nach Niese, Hermes XXXV (1900) S. 494.

6) Babei.on S. 67 ff., auch Wilckex bei Paui.v-Wissowa I 2, Sp. 2475 f.

7) 2 Makk. VI 7 ist die Rede von der erzwungenen Teilnahme der Juden an dem monatlichen Opfer zur Feier von Königsgeburtstag. Über Statuen des Antiochos Epiphanes, die im Tempel von Jerusalem aufgestellt waren, spricht HiERoxiMis zu Daniel XI 31 p. 716 Vall.; vgl. Beurlier a. a. O. S. 96.

8) JosEPHus Ant. lud. XII 2.'>Sff.; darüber Niese, Hermes XXXV (1900) S. 519 f; für eine Fälschung erklärt den Brief Willkicu, ludaica S. 140 Aum. 3.

Beiträge z. alten Geschichte I. 6

31

82 -E. Korncmann,

^Dt).ä(>iX(fog oder &e.6g Nixärwo,'') Antioclos VI.-. ' Eni(fa)'>)g Jiövvaog,-) Demetrios 111. Euhairos: &e6g <l>t7i07iäT(uo 2iotr,Q ,"•) Anti'ochos Xll.: Jiövvaog 'EfiKfavijs 'Pif.oTiceTwg Ka?.?.tviy.og.*) Aber iiiclit nur diese ge- uanuten. sondern alle Seleukiden dieser Zeit haben die Göttlichkeit bei Lebzeiten besessen, wenn sie sich auch nicht so wie jene direkt ßiög oder liövvaog nennen. Jeder hat wenigstens „einen offiziellen, saeraleu. seine Göttlichkeit illustrierenden Beinamen" gehabt. ä)

Vergleichen wir zum Schluss die Königskulte der beiden grössten Diadochenstaaten . so tritt uns, neben der grossen Masse von Ähn- lichkeiten in den äusseren Formen, in der Grundidee ein scharfer Gegen- satz, wenigstens im 1. Jahi-hundert des Bestehens beider Eeiche. ent- gegen, den schon von Prott beleuchtet hat:") Der Ptolemäer, zu- nächst nur der abgeschiedene, dann seit Philadelphos auch der lebende, wurde nicht eigentlich ein Gott, sondern mit strengem Festhalten an den altgriechischen Ideen diu- der Tempelgenosse {avvvaog) eines Gottes, Ptolemaios I. speziell des Zeus (und des Herakles),') Berenike der Aphrodite,^) -\i-sinoe bei allen Göttern des Landes, de.sgleichen wold Philadelphos. Die Fiktion ist, solange es sich um abgeschiedene Herrscher handelt, dass der oder die betreifenden Götter den ver- storbeuen König zu sich heraufziehen;-') als auch lebende zu dieser Ehre gelangen soUen, treten für die Götter ihre Vertieter auf Erden, die in Ägypten allmächtige Priesterschaft, ein und besorgen die Ver- götterung. Damit hängt es zusammen, dass der neue Göttergenosse seinen irdischen Namen behält, und dass, als der Titel &i6g beigegeben wird, derselbe stets nur mit dem Epitheton ornans des Herrschers verbunden wird. Der Seleukide dagegen wh-d zunächst mit seinem Hiuscheiden. dann in der diitten Generation schon bei Lebzeiten wirklich ein Gott, im Anfang ein ganz bestimmter, mit Namen bezeichneter: Seleukos wird nach seinem Ableben Zeus Nikator. Antiochos I. Apollon Soter, dagegen Antiochos IL allgemein \lwg. Seitdem der lebende Herrscher direkt als Gott bezeichnet wii-d, ist Ider offenbar im Anschluss an die orientalische Anschauungsweise die Vorstellung lebendig gewesen, dass die Gottheit in dem jeweUigen König Menschengestalt gewonnen habe und auf Erden

1) Babkloü S. 119fi". UDd 15:3 ff.

2) Vgl. DioDOR XXXIlI4a; Josephls XIII 218; Babelox S. 128ff.; Wilcken bei Fallt- WissowA I 2 Sp. 2478.

3) Babelok S. 206 ff.

4) Derselbe S. 208 ff.

5) Vgl. WiLCKEx bei Pauly-Wissowa 1 2 Sp. 2487. Der göttliebe Beiname des letzten Seleukiden war wabrscheiulicb Eiisebes (Wilcken ebenda).

6) VON PsoTT a. a. O. S. 467 f.

7) Theokrit XVU 16 ff.

8) Ebenda XVn45ff., XV 106 ff.

9) Theokrit an den angeführten Stellen.

32

Zur ClfurJn'rhfr. der nntjiccn TTcrntrhrrlndfr. ^?>

erschienen sei, was in dem I5einanicn ' EmffavriQ y.mii Aiisdnick kommt.') Die Idee der Epiplmnie in dieser Anwendung' ani die Vergötterung der Herrscher sclieint mir ein echtes i^lrzeugnis des Zusammentreffens vcm gTiediischem und orientalisclieni Denken in der liellenistisclien Epoche zu sein; ilir müsste einmal genauer nachgegangen werden.'-) l»a di-r Titel Epiphanes nicht allein bei den Seleukiden auftritt, sondern auch in Kappadukien (hier sogar, wie es scheint, zuerst)-') und, wie wii' sclmu sahen, auch in Ägypten, so folgt daraus, dass im 2. Jahrhundert in allen genannten Herrscherkulten die orientalische Gottkönigsidee durchgedrungen war, mit anderen Worten, dass der ägyptische Kult auf dieselbe Stufe, auf der der Seleukidenkult von vornherein gestanden hatte, herabgeglitten war.*) Ein Unterschied aber bleibt zwischen dem Ptolemäerkult und dem seleukidischen immer bestehen. Während nämlich der alexandri- nische Staatskult der verstorbenen wie der lebenden Herrscher von eine m Priester besorgt wii'd, ist in Syrien der Kult des lebenden Herrschers von dem der Divi dauernd getrennt. Dadurch wird unserer Ansicht nach die hohe Bedeutung des Kultes des lebenden Herrschers gegenüber

1) Die Erklärung des Beinamens 'EirKpoirrys als von Anfang an gleichbedeutend mit dem farblosen nobilis, mit dem es später die Römer übersetzen, die noch Lktkonnk bei MüLLEK PHG. a. oben a. 0., S. 35 verteidigt, ist unhaltbar, das richtige hat schon Visconti, Iconographie grecque, Ausg. v. Mailand 1824 ff. llt p. 331, II p. 425 ff. ; man vgl. auch die folgende Anm.

2) PucHSTEiN in Humann und P, , lleiscn in Kleinasion und Nordsyricn S. 342. nennt den Begriff der Epiphanic „zweifellos altgriechisch' , hält aber für das Ver- ständnis der Bedeutung eine weitgreifende Untersuchung für erforderlich. Für Ägypten genügt vielleicht die Anknüpfung der Ptolemäer an Dionysos, um den Titel ■S'ios ' V.Ttiffavr\i zu erklären; der König war ein i't'og Jiovvaog (über diesen Titel LCdehs, die dionys. Kunstler S. 74 Anm. 135) und dadurch, wie der Gott selbst, ein 'EitKpavi'is. Es scheint, dass von Ägypten ausgehend der Dionysoskult auf die Ausge.staltung der Herrscherkulte einen gewissen Einfluss ausgeübt hat; denn wir sehen auch die Vereine der dionysischen Künstler im Dienste der Herrscher und ihrer Vergötterungsbestrebungen stehen ; man vgl. unten S. 88 die Ausführungen über den pergamenischen Kult. In Syrien dagegen und in den von ihm abhängigen Kleinstaaten, wie Kappadokien, scheinen mir auch einheimisch-orientalische Anschauungen von dem Erscheinen der Gottheit auf Erden in dem Königs-Titel 'ETiicpavi^g zum Ausdruck zu kommen, vgl. Marti, Gesch. der Israelit. Religion ^ S. 66; Derselbe, Das Buch Jesaja, Tübingen 1900, S. 11. Ob das, was wir hier orientalisch nennen, babylonisch ist, verdiente einmal eine Unter- suchung eines Orientalisten, die dann den Anteil des Orientes bezw. Babylons an der Weiterbildung der hellenistischen Herrscherkulte im Seleukidenreieh und seinen Dependenzen vielleicht deutlicher uns zum Bewusstsein brächte.

3) Hier führte ihn Äriarathcs IV. (220—162) wiihn'iid seiner Minderjährigkeit, vgl. Strack, Dynastie S. 114 f.

4) Die Regierung des Ptolemaios V. Epiphanes bedeutet den Beginn einer neuen Richtung in Ägypten, ein Verlassen der griechisch-makedonischen Basis auf allen Ge- bieten; darüber P. M. Mkver, das Heerwesen der Ptolemäer u. Römer in Ägypten S. 58 ff. und M. L. Strack, Rhein. Mus. LV (1900) S. 167 ff.; der letztere ist auch der Ansicht, dass unter diesem Herrscher seleukidische Einflüsse sich geltend gemacht haben, ebenda S. 174 f

6* 33

84 E. Kornemami,

(lern der Toten im Seleukidenreich voizüolich illustriert, wälireiul die Ftoleniäer nichts besseres glaubten tlum zu künnen , als sich direkt an die Ahnenreihe anzuschliessen. an deren Spitze der in Alexandreia ruhende Alexander sich befand.

Im scharfen Gegensatz zu den Herrschern der beiden bis jetzt be- trachteten grossen Diadochenreiclie stellen die Könige der dritten helle- nistischen Grossmacht, Makedoniens. "Während Demctrios, ebenso wie Lysimachos, göttliche Verehrung seiner Person von Seiten seiner Unter- thanen zugelassen hatte, wahrscheinlich auch, so gut wie Lysimachos. selbst den Kult der Divi , vor allem den Alexanders , betrieben hat , scheint Antigonos Gonatas andere Bahnen gewandelt zu sein. Wohl haben auch unter ihm und seinen Nachfolgern schmeichelnde (Triechen heroische und göttliche Ehren ^-erschiedener Art dem Heri'scherhaus entgegengebracht,') aber von seiner .Seite aus scheint weder ein Kult seiner verstorbenen Vorfahren noch seiner eignen Person eingerichtet worden zu sein,-) wo- mit er vielleicht bewusst au Antipater angeknüpft hat, der, wie wir sahen, die Vergötterung selbst des Alexander abgewiesen hatte. Kaerst-*)

1) In Knidos waren ein rtfitcoc und aiixos zu Ehren des Antigonos Gonatas und seiner Gemahlin nebst Einrichtungen für gymnische und musische Wettkämpfe. Be- zeichnend aber ist, dass Antigonos nur als der „freundliche Heros' {cpilios i',Qa>s) gefeiert wird, UsEXEB, Rhein. Mus. XXIX (1874) S. 25 fl".; Kaibel, Epigr. graeca 781. Für Niese (Gesch. d. gr. und mak. St. II, S. 76 Aum. 2, S. 131 Anm. 3) ist allerdings die Beziehung des Epigramms auf Antigonos Gonatas nicht über allen Zweifel erhaben. In Delos wurden, ebenso wie für andere Diadochenfürsten , auch für Antigonos Spiele (Afriyövtia) gefeiert, Bull. Corr. Hell. VI (1882) S. 143, desgleichen in Histiäa auf Euböa, ebenda X (1886; S. 102 ff. = Michel, Recueil 346, wo eine TiOjiTti] xäv 'Avxiyovfiiov erwähnt wird, vgl. Niese a. a. O. II, S. 338 Anm. 1. Bei Pi.ütakch, Arat. 45 ist die Rede von Opfern und Festen in griechi.sehen Städten zu Ehren des Antigonos Dosen, vor allem in Sikyon, wo A. als Gastfreund des Arat besondere Ehren genoss. Niese II, S. 337 f. In Athen erhielt sogar der makedonische fhrurarch Diogenes nach seinem Tode als ti'tQytTr^i heroische Verehrung durch Einsetzung eines Priesters (CJA. III 299), Einrichtung eines riiitvos, des Diogeneion, und die Begründung eines jähr- lichen Festes, der Jtoyirna; Koehler, Hermes VII (1873) S. 3ff. ; Mitt. des ath. In- stituts IX (1884) S. 298; CIA. II 467 = Dittenberger, Sylloge II252I Z. 24. Dexkkex bei RoscBER, Lexikon I 2 Sp. 2545.

2) Das machen schon die Münzen wahrscheinlich, auf denen iiieht das Bild der Könige geprägt ist, dann aber das Fehlen irgend eines litterarischen oder inschrift- lichen Zeugnisses dieser Art.

3) Hist. Zeitschr. LXXIV N. F. XXXVllI, S. 221 ; vgl. Studien zur Entwicklung S. 61. An letzterer Stelle weist er (S. .55) zur Erklärung auch auf die Thatsache hin, dass das makedonische Königtum allein noch eine nationale Basis hatte, und dass die Anti- goniden in der Beschränkung auf diese nationale Grundlage die Stärke ihres Regiments erkannten , während die übrigen Diadochenmonarchieen durchaus und ausschliesslich dynastischen Charakter gehabt hätten, das dynastische Prinzip also über das nationale hier völlig gesiegt habe. Man darf aber diese Gegensätze nicht übersehätzen, wie Kaerst thut; vgl. Wacbsmuth, Das Königtum der hellenistischen Zeit, insbesondere das von Pergamou, Hist. Vierteljalirschrift II (1899) S. 297 ff.

34

Zki- dcscliichtc der antil;cn IlcrrscJurJaiUc. 85

ist (Inr Ansicht, da Zeiion, der Begriiiuler der Stoa, in nalien Bezielinne:en 7.11 Antiffonos (ionatas stand,') so sei wohl das makedonisclie Könistinii niclit unbeeinflusst von dessen Pliilosophie gehliehen; er weist amh auf das hekaiinte A\'ort dieses Herrsdiers hin, dass seine Herrschaft niclits anderes als ein elncnvdllcr Kiiechtsdienst sei.-) Ein solcher Aussin-iich dürfte wohl nicht gerade zu der Annahme reizen, dass Antigonos sich oder andere unter die Götter versetzt habe. Ist das aber richtig, dann scheidet Makedonien aus der Eeihe der Monarchieen mit staatlich ein- gerichteten Herrscherkvüten aus, und es blieb Rom vorbehalten den staat- lichen Herrscherkult auf europäischem Boden heimisch zu machen.')

In der Mitte zwischen dem Verhalten der makedonischen und ileni- jenigen der seleukidischen Herrscher liegt dasjeiüge der A 1 1 a 1 i d e n \()u Pergamou. Sie haben offenbar auf die Selbstvergötteruiig verzichtet und haben nur für ihre Ahnen einen göttlichen Kult zugelassen. Dies lässt sich erscliliessen aus den städtischen Kulten in den griechischen Politien, die naturgemäss bei der Beliebtheit dieser Herrscher, der Vor- kämpfer des Hellenentums in Asien, der treuen Freunde und A\'olilthäter der sinkenden Griechenstädte im Mutterland, vor allem Athens, der Schöpfer man möchte sagen eines kleinasiatischen Neu-Athens') sehr zahlreich waren. '^l Trotz der grossen Zahl nämlich geht durch die-

1) Vgl. auch Niese, Gesch. flcr gr. ii. iiiak. Staaten II, S. 223.

2) Aelian, Var. Hist. II 20.

3) In den Klein.staaten des griechischen Mntterlandes ist man auch nicht vii-l weiter gegangen als in Makedonien. Aratos hat in Sikyon erst nach seinem Tode durch Volksbeschluss heroische Ehren erhalten, Poi.ybios VIII, 14, 7, indem ihm als nlxieTi^g und ffwrrje rfjg jtdifo)? an einem hervorragenden Platz innerhalb der Stadt Grabstätte und Heroon errichtet wurden, Plutauch, Arat. 53, Paüsamas II 8. 2; 9. 4. Man opferte ihm hinfort zweimal j.ährlich: die Wiederkehr des Tages, an welchem er die Stadt von der Tyrannis befreit hatte, wurde durch das Fest der Eiori'jQia gefeiert und an seinem Geburtstag wurden ihm durch einen eigens dazu eingesetzten Priester Opfer dar- gebracht. Die dionysischen Techniten trugen dabei Lieder unter Kitharabegleitung vor und eine Ttoa-jti] wurde veranstaltet, an der unter Vorantritt der Knaben und Epheben Rat und Bürgerschaft teilnahmen, Pi.utarcu a. a. 0., Dexekex a. a. 0. Sp. 2.546. Die Legende von der halbgöttlichen Abstammung des Aratos steht bei Pausaxtas IV 14. 5. Der Volksbeschluss, durch den im Jahre 183 die Megalopolitaner dem Philopoimen nach seinem Tode riiiai iaö&hoi dekretierten, ist, wenn auch verstümmelt, erhalten, DiTTEXBERf;ER, Sylloge I* 289. Auch ihm wurden ein Altar und ein Tf'f'f J'os errichtet und jährliche Feste mit Rindsopfern , gymnischen und hippischen Agonen eingesetzt, Inschr. Z. Stf., Dioi>or XXIX 21 , vgl. Livu s IXL 50. Das Fest hiess wohl auch ^toTjy'piK und der Kult des neuen Heros stand mit dem des Zeus Soter in Verbindung, Inschr. Z. 10 u. 40, vgl. Desekex a. a. 0. Sp. 2546.

4) So Wachsmuth, Hist. Vierteljahrschr. II (1899) S. 310 flf.

5) In Pergamon selbst bestanden, schon ehe die Dynasten Könige waren, Uvufrtia, begründet zu Ehren des Eumenes I. und gefeiert am Geburtstag dieses Fürsten, Fräxkel, Inschriften von Pergamon I 18 Z. 35 f. (aus dem späteren Teil der Herr- schaft des Eumenes, etwa der Zeit zwischen 268 241); das Eumcneion in Philetaircia

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S(i E. Koriirniaiiu,

sellien in einem Punkt eine pe^visse Einlieitliclikeit der Einrichtnnp:, die wohl auf einen höheren "Wunsch zuriiekzufiiliren ist. A\'irkliche Götter {&ioi) sind nur die »estorbeuen Fürsten und Fürstinnen, ilinen allein werden auch Teniiiel errichtet.'') Dajreffen hei Lebzeiten wird dem Herrscher und selbst unter dem Irizten Attnlideu war das noch so-) wohl eine Statue oder ein 13iltl geweiht, ') aber im TempeP) oder zur Seite des Altars eines olympischeu Gottes:^) der König- ■wird nicht selbst li-sög. s(nidern höchstens ..m'vi'aog tw i9-«fö".''l Von Opfern werden auf den Altären der betreffenden Götter nur .Siieuden und Eauchoi)fer für die ai'vvaoi ßaailäg unter dem letzten Attali<leu allerdings täglich

(TrXxkei. I 240) ist demselben Eunienos. alier erst iiaeb seinem Tode, geweiht worden ; \e\. W.\ensMLTH a. a. O. S. 306 und die Zusammenstellung aller städtischen Kulte innerhalb und ausserhalb des pergamenischen Reiches bei Beublier, S. 99 ff.

1) Attalos I. heisst nach seinem Tode Qhhg EmrrjQ, Peänkel I 59, Qhos v.cu Et'fpytrjis ebenda 171 \ in dem Dekret von Elaia zu Ehren des Attalos III. (Ccrtius und CoNZE, Abhandlungen der Berl. Akad. , 1872, 8. 68 f. = Präskel I 246, Usexer, Rhein. Mus. XLVII [1892] S. 154ff., Michel, Recueil 515) heisst die Aufschrift auf der Statue und dem goldenen Reiterbild des Königs, Z. 21ff. : o Sfifiog ßuailia''ATxaXov rpilo^riTOQa y.cd sv^gyetT^v &eov ßaailicog Ev^livov BcorfjQOS xtl., vgl. Z. 44f.; ebenda Z. 27ff. ein CTfqpcrjjcpöpoc r&v ämdexa &£(bv x«l 9i^ov ßaadnog Evubrov; CIGr. 3070 (unter Attalos II.) ein hgtvs &£ov Evjifvov , dagegen 3068 = Michel, Recueil 1016 aus seinen Lebzeiten ein Uquvs ßaaiXicog Ei'idvov; in dem Dekret von Hierapolis für die Königin 'Apollonis (Iudeich , Altertümer von Hierapolis S. 78 nr. 30 = Michel, Recueil 541 heisst die Geehrte yvvri uiv 9eov ßaadtag 'Arrälov, ((TjTrie Sl ßaednag Evfitvoi' 2^(i)rj/()0s, in dem von Teos für dieselbe (Le Bas 88 = Dittenberger, Sylloge 1' 234 = MrcHEL, Recueil 499) steht (Z. 5) xbv ifQia ['AträXov Evei-ß]ovg (d. i. Attalos II.) XKp] 9iäg 'A-!ro/.'/.oiridog Eva&ßovg xal tijv ItQHCiV avTiig y.a\i ßu]mXleBrig 2T(>ccT0vly.rig. Von drei In.schriften von Bisanthe (Mommsen, Hermes IX, 1874, S. 117, Dittexberoer, Syll. I^ 223—225, Michel, Rec. 1288) ist die erste vttiq ßciadicog Evutrov ^iXadiXffov ^tov y.al H'fgyfTOv, die beiden anderen dagegen sind vniQ ßaaiXHog 'ATTciXov (fiXciäiXrfOv ycä ßaai7.iaßr,g XTQccTorixrig gesetzt. CIGr. 3069 erwähnt ein Atta- leion, in Pergamon oder in Teos, der Genossenschaft der Attalisten gehörig; ebenda II Add. 2139b Z. 46 ein Attaleion in Aegina; Fränkel, Inschr. v. Perg. I 240 ein Eumeneion in Philataireia für Eumenes I. als xti'st?;? des Ortes, alle erst nach dem Tode des betreffenden Herrschers errichtet. MrcriEL, Rec. 499 Z. 14f. ist die Rede von der Errichtung eines Tempels für die Göttin Apollonis; nach Anthol. Palat. c. 8 hatte dieselbe nach ihrem Tode auch einen Tempel in ihrer Heimatstadt Kyzikos.

2) Michel, Rec. 515.

3'! Die Statue wird als aycdua bezeichnet, Michel ebenda Z. 7ff. , über die Auf- schrift auf derselben vgl. oben Aum. 1.

4^ Michel, Rec. 515 im Tempel des Asklepios, dessen Heiligtum daher auch Z. 15 genannt wird: THisvog xov 'Aeydr,7riov kuI toC ßaatXfag. Von den drei kleinen Altären für den ßaed^vg "ArTaXog ZarriQ , d. i. Attalos I., Präxkel I 42—45 ist der dritte (45) im Heiligtum der Demeter Karpophoros gefunden. Auch die Sikyonier stellen eine überlebensgrosse goldene Statue des Attalos I. im Jahre 197 neben dem Standbild des Apollo auf dem Markte auf, Polybios XVIII 16.

5) MicuEL, Rec. 515 Z. lOf. -jTctQu riiv toi" Jiög ror l^oiTf/QOg ßoiuuy.

6) Ebenda Z. 9.

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Zur Geschichte der an/ihcn Ilcrrschcdidtc. 87

(largebra<-lit.') l)afiir ist ein lajerg rov ßaffiUbjg vorliiinfl(Mi:-) rlesseii Hauptsoi-ffe ist aliei- die Ansriclituns: eines Festziiffs'"-) und der Spiele.'') die jälirlicli oder iiinnatiicli an einem Klirentajre des Herrschers.'^) vor allem dem (ieburtstaire''). statttinden. Dalier verbindet der Köuigspriester manchmal mit seinem aeistlichen Amt dasjenige eines ayojvod-hvs-'') Znr crottesdienstliclieu Feier oehören ausser Gebet, Opfer und Pro- zession auch noch musikalische Auffiilunngen: Chöre von freien .Tiins- liugeu singen das nnpcißioutor,^) Jungfrauen einen vuvog.'") Alles in allem ist das docli ein dem occidentaliseheni Empfinden in kluger Weise an- gepasster Herrscherkult: mehr eine Klirung als eine Yerelirung. Wie Avenig überschreitet das unsere Sitte, an Kaisers Geliurtstag Festgottes- dienst mit musikali.scher Begleitung des (lemeindegesangs. Festziige nnd Galavorstellungen abzuhalten.»") Zudem sind das Ehrenbezeugungen, zu denen im pergameuischen Reich und den angrenzenden (Tebieten auch Mcht-Köuige gelangt sind") etwas, was nicht scharf genug liervor-

1) Ebenda Z. lOff. : fxaßTijc te ijUfQccg ö ßrKjrKi'/jqpöpOs- xai ö hnivg rov ßcai/.Hog xß« Kj'rarod'f'TJi? iTti&i-trotaav lißui'oiTnv fVi rof ßaunv Tof' Jiög tov Z^tori'iQOf tmi ßccailii. vgl. Z. 29. 40; MirnEi. lOlfi B Z. Gf.. rüg xt 9vaiag uvrträtBtv mceccg, öaicog (liv apög Tovg Q^to'vg v.cd Toi'j ßaadtig- Dittksiieugeh. Syll. 1' 234 = Mkhel 499 Z. 4 ff.; vgl. Fränkel II S. 511.

2) CIA II 1670, III 300 ein hnfvg 'AttcIIov i^oirriiov in .\then (des zum Heros eponymos einer Phj'Ie gemachten Attalos I., vgl. Poi ybios XVI 2h'- ; CIGr. .3068 = Miciiel 1016 Z. 17f. : iiQsi'g ßccaiXtiog KrufVou; im Dekret von Sestos, Cuktius, Hermes VII (1872) S. 11.3 f., Jerusalem, Wien. Stud. I (1879) S. 32 ff., Dittesberger, Syll. 1' 246, MicBEL, Rec. 327 Z. 26 f.: UQSvg ts cc7Co3ttx9'elg toO ßciaiXiag 'ArTdlov.

3) Michel 525 Z. 14f.

4) Michel .327 Z. 35 ff.; Eumeneia: Fräskel I 18 Z. 35 f.; Bucllma auf der In- schrift von Nakrasa v. J. 240: CIGr. 3521 = MtcnEt. 509, oft'enhar eine Feier wegen der Annahme der Königswürde durch Attalos I.

.5) CIGr. 3068 = Michel 1016 Z. 18 ist die Rede von i] ßaaiUwg Ei-ufvoi- ijUtQcc; nach Michel 515 Z. 13 f. ist i'j öyäöi] (v i] -jtKQiyhviTO lig lHoyaiiov der Festtag, vgl. darüber Gelzer, Abhandlungen der Berl. Akad., 1872, S. 71 ; Dittexbebgeb, Syll. I' 234 = Michel 499 Z. 4: xai yM9ii:Qovad'ca TavTr,v t/jv fju^ouv uvTfii.

6) Michel 827 Z. 35 (v ab roTg •/^vi9XLoig rov ßaßiXfiog xu9'(xaeTov ufiva ■S't'ffia'Jfoi' VTC^Q ToP S^iwv. Der 16. jeden Monats, um den es sich handelt, ist zugleich dem Mithras geweiht, Cimont, Myst. d. Mithra I S. 238.

7) Michel 1016 A. Z. 1. 16 f. 25 f.; beide Amter mussten aber nicht von vorn- herein in einer Hand vereinigt sein, vgl. B. Z. 5ff.; CIGr. .3070; Michei. 515 Z. 11 f.

8) Über diesen Ausdruck Fräxkel II S. 269.

9) Dittexhergeh, Syll. I' 234 = Michel 499 Z. 7 ff.

10) Ich bin also gerade entgegengesetzter Ansicht wie Fräxkel, welcher meint (I S. 39): ,die dem letzten Könige bei Lebzeiten vom Volke von Elaia erwiesenen Ehren hätten nach seinem Tode kaum noch gesteigert werden können', befinde mich aber in Übereinstimmung mit C. Ccbtids, Hermes VII, S. 125 und M. L. Str.\ck, Rhein. Mus. LV (1900) S. 180, der ,von seltner Bescheidenheit' der Attaüden im Gebrauch des Königstitels spricht.

11) Vgl. die Ehrendekrete der Schauspielergesellschaft von Teos für den Flöten- spieler iCrato» aus Chalkedon, verfasst unter Eumenes U. (197—158): CIGr. 3067. 3068

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88 E. Korncmann,

g-eli(iI)L'ii wi-rdcn kann, da es zeigt, wie wenit;- sich die iiergamenisehen Könige iilier ilire l'uterthanen erhoben. Und dabei ist alles, was wir bis jetzt an Material beigebracht haben, den Kulten schmeichelnder üuter- tlianen entnommen. Wir sahen aber, dass überall die städtischen Kulte den staatlichen in der Eegel ein gutes Stück voraus sind. Es scheint, dass die Schauspielergesellschaft von Teos. oder wenigstens ein aus dem grösseren Verbände gebildeter Thiasos der 'ATTaharal, der in Pergamon seinen Sitz hatte, in Beziehung zu dem offiziellen Kult von Pergamon gestamlen hat.') Ist das richtig, so erhalten wir aus mehreren Dekreten dieser Gesellschaft, aus der Zeit des Eumenes IL und Attalos II., den Beweis, dass wenigstens noch unter dem ersten der beiden genannten Könige im Staatskult die Bezeichnung „Gott" für die Könige, und zwar selbst für die verstorbenen, vermieden wurde,-) dass

= Michel, Rec. 101-5. lOlfi, an letzterer Stelle lautet A. Z. 22 tt". der Beschluss: n'KpKr^•^'f5^3■al dh v.ai ir rccig ^fcitg: xcu tv tcüs ^nouaciig ircipci röi' AvdQiävra tÖj' KqÜ- Tiovog rhv iv röi &fäT(>m rgiTtodd rs xal 9vuiaT'^Qiov xal T/yff fVc9't\i(iKßfws ttji' ini- tiünar y.ci9' fxaerov fVoc (if! TToifTe&cii rnv äybivo^tTi^v xal hgia ßaaiXiois Ei'iifvoi' yivö- iif vor. Nach der Inschrift Le Bas III 1.572 hi.i, G. Hirsciifeld, Greek inscr. in the Brit. Mus. IV 787, Cater, Delectus 16(5 werden dem lebensliinglielien Artemispriester Artcmidorof: in Knidos (allerdings erst am Ende des 1. Jahrh. v.Chr.) schon bei Lebzeiten beschlossen: öffentliche Bestattung und Anlage eines Grabes an einem ausgezeichneten Punkte des Gymnasiums, Errichtung einer goldnen Statue im Tempel der Artemis (ilxora jjpuofKi' evvvciov T& 'ÄQTaiiiTi) und für alle Zukunft laod'toi riuul: Altar und Opfer mit Pro- zession, dazu peuteterische gymnische Spiele, die den Namen 'A()Zfu.i6ö)Qttci führen .«oHen, vgl. FrXnkei. II S. 511, Denekex bei Roschek, Lexikon 12 Sp. 2.547. Nach dem Tode ist die Vergötterung oder richtiger gesagt die Heroisierung von Nichtkönigen in der späteren hellenistischen Zeit sehr häufig. Das dafür technisch gewordene äcfrjQoil^ftv begegnet zum ersten Mal auf einer Inschrift der Dionysiasten aus den Peiraieus, Köhler, Mitt. des ath. Inst. IX 1884, S. 291, wo es heisst (III Z. 46ff.): (fnovTiaat öh Toüs oQys&VKg, ojtöjs tcrpr]Qma9tt A\i]ovvaLos xcu alvjarsQ'tt iv tcJj itQö) Ttagci TÖv 9fov onov y.cd ö äkt/jp KtVor. Damit wurde allerdings dem Dioiij/sios nichts anderes zu Teil, als was schon die Schulhäupter der Philosophenschulen, z. B. Plalon, im Musenheiligtum ihrer Genossenschaften erfahren hatten, Dexeken bei Röscher, Lexikon 12 Sp. 2540f., üsener, Götternamen S. 249 f. Eine Heroisierung von Staats- wegen hat dagegen in Athen der makedonische Phrurarch Diogenes erfahren, worüber schon S. 84 Anm. 1 gesprochen ist. Von Theophanes von Mitylene, dem Freunde u. Schützling des Pompejus, berichtet Tacitcs, Annal. VI 18: defuncto Theophani caelestes honoros Graeca adulatio tribuerat, eine Nachricht, die von mitylenäischen Münzen mit •9'fötr ©toqpti'rjs MiTvX-i]vcäog bestätigt wird. Deseken a. a. O. Sp. 2549. Auf jeden Fall beweist dies alles, dass in der Interessensphäre der Attaliden göttliche A'erehrung nicht allein gekrönten Häuptern zu teil geworden ist.

L Darauf weist abgesehen von dem Namen 'ATTcdiarcä der Umstand hin, dass diese Gesellschaft als sakralen Mittelpunkt ein Attaleion, weiter in der Nähe des königliehen Palastes von Pergamon eine gemeinsame Wohnung besass, und dass Attalos II. selbst sich um die Statuten der Vereinigung kümmert: C'IGr. 3069, dazu Luders, die dionys. Künstler S. 22.

2^ CIGr. 3067 = Michel 1015 Z. 12 f: Totg a^oig »tois y-ai roig rs ßaai- Xivßn' xal Tulg ßaoüiaaaig xal rotg &dtXq)otg ßaaiXiiog Eifiivov (die Stelle ist falsch

38

Zur Geschichte der anNJcen Herrschcrkultc. 89

vielmehr erst nacli dem Tode Eummes IL ß-eög für den cdusekrierten Herrsclier sich findet,') mithin offiziell nnr in der Zeit der beiden letzten Attaliden an<>'e\vandt wurde. Erwähnenswert ist endlich noch, dass die Ausdrücke, die wir schon bei der Apotheose Alexanders als technisch zur Bezeichnuno: seines t'bertretens aus dem irdischen, menschlichen in das ülierirdische Dasein erkannten, nirg'ends häufip:er sich finden als bei den dahinovschiedenen Attaliden-), denen also auch offiziell der Tod erst den Eintritt in den Himmel eröffnete.

Dieses Eesultat bestätigen die Münzen des Attaliden. Die ein- gehende Untersuchung- A'on Imhooi-Blumer-') hat erwiesen, dass auf keiner ]\ninze der Pergamener eine Persönlichkeit dargestellt ist, zu deren Lebzeiten die betreffende Münze geprägt wurde.'') Neben Münzen mit den Porträts des vergötterten Alexander, des L}-siniachos und Seleukos I. finden sich nur solche, die das Bildnis des Pluletairos. des eigentlichen Begründers der Dj^nastie , tragen . und zwar vielleicht schon unter Eumenes I., seinem ersten Nachfolger, sicher aber unter Attalos I.'^) Dieses Bild mit der Beischrift (Pdnaigov blieb der stehende Münzt,vpus der Attaliden. Den Grund, waruui AKalos I., seitdem er das Diadem genommen hatte, und ebenso seine Nachfolger nicht, wie andere Diadochen, das eigne Porträt und den eignen Namen auf ihi-e ]\rünzen gesetzt haben, sucht Imhoof-Blumku '') in finanz-politischen Rücksichten: es sei den Per- gamenern darauf angekommen, die Philetairosmünzen. ähnlich wie die Alexandermünzen , zu einer weithin akkreditierten Verkehrsmünze zu stempeln, was nnr möglich gewesen ;\'äre bei konsequentem Festhalten der einmal angenommenen Typen und Aufschriften. Daneben wii-d man aber auch die Stellung der Attaliden zur Vergötterung der Herrscher in Betracht ziehen dürfen. Der Stifter der D,ynastie, der nach dem Tode die Apotheose erhalten hatte, wurde so noch besonders aus der Eeihe

von BoECKH, dagegen richtig von O. Hirschfeld, RBer. Ak. BitI. 1888, S. 834 Anm. 7 erklärt^, Z. 16: &toi xcd ßccaiXtis xca jrcä'Ttj "ElXrjvti. Z. 32 f.: iig roiig ßaadus y.ui ßciaiXlaaag y.cd rovs ääelcpovs ßaaiinos Ei'jifror; CIGr. 8068 = Michel 1016 B. Z. 17: :rp6j Totig d-tovg xal roiig ßaeiXttg. dazu A. Z. 17 f. u. Z. 26: iiQirVs ßuai>.io]g Evuivov. n CIGr. 3070: hgibs &£ov Einfror.

2) Michel 541 heisst es Z. 4 von der ßußu.iaaa 'Atioj.'/.coiüs Eviitßi'jg: ,,uf0^f- errjxti' f/s fl'fot'j''; in der Inschrift bei Fbänkel 1 249 = Michel 518 Z. 4 von König Attalos III.: iii^tOTuuivos ii, äv&QÖiTtiov; Dittenbekger, Syll. I' 246 = Michel 327 Z. 16: ßaBtlfiov tig 9'iiovg ^trueTcivTcor.

3) Die Münzen der Dynastie von Pergamon. AhlKunilungeu der Berl. Akad. 1884. III.

4) Die einzige scheinbare Au.siiahine , ein der Insel Syros zugeschriebenes Tetra- draehmon des Eumenes II., bestätigt nur die Regel, dass innerhalb des perga- menischen Reiches nicht mit dem Bild des regierenden Königs geprägt zu werden pflegte, Imhoof-Blcmer S. 36 f und S. 39.

5) Unter Attalos I. setzt die Neuerung H. Gaebler, Erythrae, Leipz. Diss. 1892, S. 51 f.

6) S. 37 f.

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90 E. Kornemann,

der übrig'en vergötterten Almen heransgelioben und scliwebte als Scliutz- ]iatron über der neuen Eeichsgriinduno:. wie später zunächst der Divus Julius, dann der Divus Augustus lange Zeit allein über dem imperinm Einnanum. Ich meine also: der numismatische Thatbestand lehrt uns auch, dass die Attaliden als kluge Geschäftsleute auf die Hebung ihres irdischen Daseins und die Erweiterung ihres ]\rachtbereiches in dieser A\'elt, niclit abei' auf himmlische Ehren ausgegangen sind.

Aus der Eeilie der Kleinstaaten an der Teripherie des Seleukiden- reiches haben wir nur noch für Kommagene über den im Lande gebränch- lichen Staatsherrscherkult genauere Kunde durch das bekannte grossartige Denkmal vom Nemrud-Dagh. ') Der Erbauer des Denkmals nennt sich selbst: BaaiXsvg ^iyag 'Atnloxog, Of.og Jixatog ' Eiiirfttvi]g 'lUloowuaiog xal <lhUXXnv\ es ist höchstwahrscheinlich Antiochos I. von Kommagene (ca. 69 bis Glitte der dreissiger Jahre v. Chr.), der väterlicherseits persischer, von der Mutter her seleukidischer Abkunft war.-) Der Staatskult, dessen Nöuog der König auf dem Denkmal hat mit abdrucken lassen,') ist, wie man auf den ersten Blick sieht, der hellenistische, naturgemäss mit den Besonderheiten des Seleukidenkultes.

Gemein mit den hellenistischen Kulten der lieiden führenden »Staaten des Orients, Äg,vpten uud Syrien, hat er die Vergötterung nicht nur der verstorbenen, sondern auch des lebenden Herrschers,'') der ersteren aller- dings nur unter der Bezeichnung von i'ioioig oder Snifwvsg ^). die Ernennung

1) Humann und Piciisteix , Ri'ison in Klein-Asu'ii und Nordsyrien, Berlin ISdO, S. 262 ff., Beurlieb Text S. 138ff, Cbersctzunp S. llOff., Te.xt auch bei M-chei, K(-eneil 735, vgl. CuMoxT, Textes et nionunients figures rel. aux Mysteres de Mitlirn 11. S. 89ff. (auch S. 187 ff.), Norden, Antike Kunstprosa I, S. 141 ff.

2) Über ihn Mommsex, Mitt. des athen. Instituts I. S. 25ff. Beurmer S. 108 ff. Th. Reinach, La dynastie de Commagene, Rev. Et. gr. III, 1890, S. 363ff. Puchstein a. a. O. S. 278ff. B\belon, Rois de Syrie p. CCXIIft". Wilcken bei Paiily-Wissowa I 2 Sp. 2487ff. Eine ephesische Inschrift, die ihn feiert: Le Bas-Waddington III 2, 136d, Beokmer S. 108.

3) Michel Z. 124—237.

4) Neben dem Titel am Eingang vgl. Z. 44 ft'., 51 ff., 59 ff., 74 (ich zitiere nach dem Abdruck der Inschrift bei MicnEi.).

5) Die vergötterten Vorfahren heissen Z. 47: f'jiür :Tpo)'dj'wi' . . . jjpo)(o'; iö/«^, Z. 118 Ka9ioai(atitvoi i'jQiotg, nebeneinander stehen 9sol r.al rjQioig Z. 124 f., 190; vgl. auch Z. 141 (jpi'ffig jjewi'xT), 206f. Tiftrji' jjpralzrj)'. Der Ausdruck öalfiovis bezeichnet sowohl die Götter wie die vergötterten Ahnen : es ist der weitere Begriff. Steht er aber für ■S'fOi'. so hat er in der Regel noch ein Epitheton ornans zur Seite: so Z. 50 datuöriov t' ir i (jp k r c5 r 9tTog Ti'rrof, Z. 59 äaliioeiv iTrriv.öoig, Z. 85f. jityccicov datnovojv iTtttpaviicag. In der Verbindung dccluovi-g Kcd &tol Z. 210 und 233 sind duluortg die vergötterten Ahnen; Z. 212 steht dafür 9-tot «cd itQÖyovoi. Beide Kate- gorien umfasst äßüiorfs Z. 139. 193. 199. 235; in dieser umfitssenderen Bedeutung steht auch 9toi an Stellen, wo die Person des Königs den Himmlischen zur Seite gestellt ist: Z. 79f., 144f., 174f. Über den Begriff Sidiuov vgl. Usexer, Götternamen S. 248, über das Ineinanderlaufen der Begriffe Dämonen und Heroen ebda. S. 253.

40

Zur Geschichte der nntilrn Hcrrschcrhdtc. 91

eines Priesters für den Staatskult .seitens des Königs.') die .\usstattnng: desselben mit hohen Piivilesien -), die Aufstellun<r von Statuen der Ter- trötterten. sowohl der verstorbenen wie des lebenden Herrschers-'), die Abhaltung von Festversaninilungen*). die dabei stattfindende Rekränzung der Festteilnelimer und des Priesters selbst mit goldenen Kränzen,^) die Darbringung von Eaucliopfern für die vergötterten Ahnen, von ff^vaiai nokvTÜsJg fiii- die himmlischen (4ötter und den regierenden König/') die Bestellnnc;' eint-r (tvvoSog uovaixüv,'') und zwar alles dies an bestimmten, jährlich und monatlich wiederkehi-enden Festtagen, dem (Geburtstage des Herrschers.*') weiter an dem Tage seiner Thronbesteigung.") Speziell die Anlehnung an den Seleukidenkult zeigt sich darin , dass „der grosse König Antiochos" auch ein System der Dezentralisation befolgt und sein Land in eine Anzahl Kultbezirke, deren Bevölkerung ihre Fest- versamnilnng an einem bestimmten, inmitten des Bezirks gelegenen Temenos abhält, eingeteilt hat'") wobei natürlich das, was in dem Grossstaat eine Notwendigkeit war, in dem Duodezstaat als eine lächerliche Nach- äfferei des kleinen Potentaten sich darstellt. Auch die Art der Ver- götterung seiner eignen Person ist im Grunde die seleukidische. Die Bezeichnung seines Bildes als dnifwaiv inr/xootg avv&govog^^) erinnert zwar an nvvvaog, aber durch den Beinamen '£"7117«^/?^-) giebt Antiochos deutlich kund, dass er als auf Erden erscliienener Gott Geraeinschaft mit den alten Göttern hat.'*) Doch seine Epiphanie führt uns auch schon in den Bereich der Singularitäten dieses Kultes, die durch die An- knüpfung an die altpersische Monarchie und durch den besonders starken Einfluss des Orientes in diesem Grenzland des Hellenismus bedingt süid. So bezeichnet sich der kommagenische Epiphanes auch als „die neue Tyche'VO ^1- i- ^^^ persische ffvareno,^^) welches als 1'i'z'i ßaatlkog auch im

1) Z. 124 ff. im Beginn des Gesetzes, auch 70 ff.

2) Ebenda Z. 128 ff.

3^ Z. 28 ff., 59 ff., 1.32 itQ&v ir/cducluoy. vgl. die Inschriften der um das Denkmal aufgestellten Königsbilder.

4) Z. 32. 145ft".

5) Z. 138 f.

6) Z. 32 f., 76 f., über die Betonung des fJp;{Kfo; y.cci xoiroj rouoi an beiden Stellen s. unten S. 93 Anm. 7; vor allem Z. 142 ff'.

7) Z. 161 ft'.

8) Z. 132ff. im Gesetz; nach 82f. u. 102 war es der 16. Tag im Monat Audnaios (= Dezember-Januar).

9) Z. 85f., 104, der 10. im Monat Loios ■= Juli).

10) Z. 95 ff.

11) Z. 59 f.

12) Z. 2.

13) Z. 85 f.; dazu Püchstein S. 338.

14) Z. 61, PlCHSTElN S. 339.

15) Spiegel, Eran. Altertumskunde II, S. 42ff. . Cümost. Textes et monuments rel. aux myst. de Mithra I, S. 284 ff.

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92 E. KornrnKinn,

Seleiikideiireicli und anderen lielleiiistisclien Eeichen, .später im Römerreich als Fortuna Auousti wiederkehrt,') und weiter bezeichnet sich Antioclios als (-)E6i JixcitoQ, wodurch er vielleicht als Inkarnation des ]\Iithras, bezw. des Apollon-Helios erscheinen will,'-) endlich in seinem Horoskop als unter den Planeten der Götter Herakles. Zeus und Apollon-Helios geboren,-') womit er „oleichsam der Inbegriff des konnnagenischen Pantheon" oder „die einzige epiphane Gottheit für sein Königreich" wird/) Damit ist die alte Theokratie des Orientes fertig, in der das Wort des Königs „mehr ist als Priesterdekret", nämlich „direkte göttliche Offenbarung, von der yvwfu] r)£ü)v^), oder dem vovg &mv'^). bezw. der ä&ävaTog xpi'aig'') sanktioniert".*') Den Ausgangspunkt für dieses ganze theologische Sj'stem bildet die seleu- kidische Auffassung von dem göttlichen Charakter des Herrschers, die nicht durch Beschluss eines Priesterkollegiums, sondern durch direkte Epiphanie zu Stande konnnt; sie ist allei'dings bei dem Kommagener noch weiter orientalisiert durch den Aufputz mit persischen Gottesbegriften und durch die astrologische Bestimmung der Epiphanie, wofür Chaldaea, das Nachbar- land von Konnuagene, das Rüstzeug geliefert hat.'') Puchstein hat ganz das richtige getroffen, wenn er seine vorzügliche Interpretation des Denk- mals mit den Worten sclüiesst i") ; „Nach alledem sind Avir zu der An- sicht genötigt, das Antiochos, erst nachdem er auf Grund des Begriffes der astrologischen Epiphanie Herakles, Apollon-Helios und Zens als die königlichen Götter erkannt hatte, seinen altpersischen Prätensionen zu Liebe die jenen griechischen Gottheiten entsprechenden persischen Artagnes, Mithras und Oromasdes hervorgesncht hat, und dass folglich in der wich- tigen Frage der Apotheose die persische Religion nicht etwa der mi'kliche Ausgangspunkt für das theologische System des Kommageners, sondern nur äusserlich zu prunkliaftem Aufputz griechisch-chaldäischer Ideen ver-

1^ Zusamniongestellt von Pichstkis S. 339 Amn. 1 , Cumoxt a. a. O. S. 285 Anm. 4—6: CIGr. 3137, 61 = Dittenberoer, Syll. I' 171 == MirHEL, Eecueil 19: Schwur bei der Tt'^jj des Königs Seleukos II. Kallinikos. SrRAuo XII p. .5."i7C: Schwiir- formel: Tvj^-qv ßaaiXnos xcd MfjVa 'PaQvdxov, CIGr. 2693c, Insclirift von iMyl;is:i: n dfijios Ti'pfj initpavH ßaaikfoig, E. Roiide, Griech. Roman S. 278 f.

2) Vgl. CiMOKT a. a. 0. II, S. 91 No. 3 0f« äiy.cdo) Mi»Qa, dazu II, S. 308; das übrige Material, das Pixhstein S. 341 f. gicbt, bezieht sich wahrscheinlich nicht auf Mithras, darüber Comont II, S. 172 Nu. 548 und S. 475.

3 LJber das Horoskop des Antiochos auf einem kolossalen, in hohem Relief aus- gearbeiteten Löwen neben den vier ReliefdarstcUungen der Westterrasse, die Antiochos mit seinen Landesgöttern darstellen, hat ausführlieh Pl'chsteis S. 329 336 gehandelt.

4) So Pl'CIISTEIN S. 339.

5) Z. 110.

6) Z. 122.

7) Z. 207.

8) PUCHSTEI.N S. 339.

9) Pdchstein S. 343. 10) A. a. 0.

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Znr Geschichte der nntilccn Hcrr.fcherhilfe. 93

wendet ■worden ist". Das zeigt sich in allem: Die Standliilder der ge- nannten (TÖtter, die neben den griechischen mit persischwi Namen belegt sind, sowie die ebenfalls bildlich verewigte Landesgöttin Kommagene auf der Ost- und Westterrasse ') des Denkmals , sowie die vier Reliefs der ^\'estterrasse, auf denen der König mit je einem der vier Landesgötter erscheint.-) sind vollständig in griechischem Stile und mit griechischen Attributen hergestellt") und der Anteil des Persischen besteht abge- sehen von einer sogar reingriechisch dargestellten Herakiesfigur*) haupt- sächlich in der Tracht, vor allem in dem persischen Kopfschmuck der Tiara.'') Und wie bei den (TÖttern, ist es bei ihrem Vertreter auf Erden, dem Königspriester, dem das persische Magierkleid und die Tiara zu tragen verordnet ist.**) So ist, wie den hellenischen (TÖttern und dem hellenischen Priester, dem ganzen Königskult von Kommagene, ich möchte sagen, ein persisch-orientalisches Gewand übergeworfen, aber trotz allen Wortschwalls des Königs') ist der äussere Aufputz so notdürftig, dass darunter überall der hellenistische Herrscherkult mit all seinen eigen- tümlichen griechischen Formen zu Tage tritt.")

Doch in den Tagen, da Antiochos von Konunagene so stolz auf seine lange Ahnenreilie. die zugleich auf Alexander den (irossen und Darius L

1) Die weuigen Reste der Kolossalstatueii der Götter sowie des Kiinigs auf der Ostterrasse behandelt Puchstein S. 282, die, wenn auch in Tnimmern. erhaltenen der Westterrasse S. 294—298.

2) Sie sind beschrieben v(in Piciistein S. 317 329: das erste stellt Antiochos und die Landesgüttin Kommagene, letztere mit dem Füllhorn im linken Arm, das zweite Antiochos und Apollon-Mithras-Helios-Hermes, das dritte den König und Zeus-Oro- masdes, dem höchsten Gott zu Ehren in hervorragendem Masstab, das vierte endlieh den König und Artagnes Herakles- Ares dar: auf den drei zuletzt genannten reicht jedes- mal der Gott dem Antiochos die Hand.

3) Die Kommagene ist als Tyehe dargestellt, Artagnes-Herakles hat seine Keule. Zeus Oromasdes seine Blitze, Mitliras-Aiiollon-Helios trägt auf dem Haupte den Strahlenkranz.

4) Es ist der Herakles auf dem vierten (Tiitterrelief der \Vesttcrr:usse , I'hchstei.n S. 327.

5) PccHSTEis ZU den einzelnen Statuen und Heliefs.

6) Z. 71 f., 135 f.

7) Z. 29ft". spricht er davon, dass er die Götterbilder h:ibe fertigen lassen nach dem nu}.aitii löyog ritQaöii' tt xiä'KlXj^vioy, iiiov yii'ois tizv^taTUTi) qi^u; vgl. dagegen 32ff. : ÜQ/(alog Tt roiios xal xoivöv üv9QÜ)Xiott f'fl'oj, 76f. : i'iQj^awi xal xoivög vöuoi, was die allgemeine Sitte der damaligen hellenistischen Welt bezeichnet, wonach im Grund auch .sein Herrseherkult eingerichtet war; C'umh.nt, Textes et monuments (ig. aux mysteres de Mitbra I, S. 11 Anm. G.

8) Man köiuite am ehesten noch die Inschrift vom Nemrud-Dagh mit der von Rosette vergleichen, insofern sie uns zwei hellenistische Staatsherrseherkulte. den des Seleukiden- und den des Ptolemäerreiehes , in ihrer späteren Ausgestaltung durch persisch-chaldaeische, bezw. durch einheimisch-ägyptische Anschauungen , dort unter dem Einfluss der halbpersischen kommagenischen Dynastie, hier der allmächtigen ägyp- tischen Priesterschaft weiter entwickelt, vor Augen führen.

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94 E. Kornemami,

zuriK'kgreht , seine Epiphauie auf Erden als Qeog Jlxmog der Welt ver- kündete lind das letzte gewaltige hellenistische Grabdenkmal hoch droben auf dem Nemrud-Dagh schuf, lag schon die Macht im Orient nicht mehr in den Händen dieser armseligen Epigonen, die sich, wie es scheint, iim- somehr mit himmlischem Schimmer umgaben, je geringer ihre irdische ;\Iacht wurde. Schon beherrschte teils direkt teils indirekt Rom alle ehemaligen Länder Alexanders am Mittelmeer und gab ihnen, nachdem sie Jahrhunderte lang von Krieg und Kriegsgeschrei erfüllt waren, gestützt auf seine Legionen den Frieden wieder. Kein "Wunder, dass die mit dem Herrscherkult nun schon Generationen lang vertrauten Griechen sofort auch die neue I\Iacht, welche so gewaltig imponierend in die Händel des Ostens eingriff, mit göttlichen Ehren überschütteten. Aber dort diniben im fernen Abendland gebot noch kein einzelner, sondern die Gesamtheit der Männer von Eom : die cives. Romani traten zusammen als die herrschenden auf. Ihnen schuf schmeichelnder Griechensinn wiederum zuerst in den Städten Jonieus, allen voran in Smynia, 'j eine Dea Roma, der nun an Stelle der hellenistischen Herrscher, zunächst auch wieder fi-ei aus der Initiative der Unterthanen und Schütz- linge Eoms heraus, im Osten die Tempel erstanden. Aber wie voraus- zusehen war, blieb man dabei nicht stehen : der hellenistische Herrscherkult, der gerade in dem zweiten Jahrhundert immer mehr in der Ausgestaltung der Verehrung des lebenden Königs, selbst in dem zunächst den Griechenstädteu gelegenen pergamenischeu Reich, sich weiter entwickelte, musste auch in den römischen Gebieten seine Rückwirkung ausüben; dazu kam, dass die von Rom gesandten Vögte und Feldherren mit gleicher Machtvollkommenheit, wie ilire mit dem Diadem geschmückten hellenistischen Vorgänger, in den Provinzen schalteten, der Unterschied zwischen beiden also für die Unterthanen mit der Zeit gänzlich verschwand, während die Kunst des Kriechens und Sclnneichelns bei den Griechen mit jeder Gene- ration zunahm. So kam es, dass neben der Göttin Roma sehr bald auch hervorragende Romani, allen voran Flamininus, „(Ti-iechenlands Befi-eier'"-), göttlicher Ehren teilhaftig wurden. L'nd was im zweiten Jahrhundert noch Ausnahme war, und da, wo es ausnahmsweise als höchste Ehre verliehen wurde, niu" den Vorzug, ein aiwaog ifaög, und zwar nicht nur der Göttin Roma, sondern auch griechischer Götter zu werden, dem Betreffenden brachte,^) das scheint im ersten Jahrhundert Regel geworden

1) Bereits im Jahre 195 v. Chr., ,als Karthago noch stand und mächtige Könige in Asien herrschten', errichteten die Smyniäer den ersten Tempel der Roma, Tacitcs, Annal. IV 56, vgl. im übrigen Hibschfeld, SBer. der Berl. Ak. 1888, S. 835 f.

2) Pluiabch, Flamininus c. 16.

3) Plutäech a. a. 0. führt aus, dass Flamininus von den Chalkidiern in Opfern und Päanen zusammen mit Zeus, Roma und der Fides Romaua gefeiert, und dass öffent- liche Gebäude ihm in Gemeinschaft mit Apollo und Herakles geweiht wurden , dass ihm auch ein eigner Priester bestellt worden sei; man vergleiche damit die Kulte für pergamenische Könige aus derselben Zeit.

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Zur Gcftehiclite (Irr onfikrn HcrrficlierhiJfe. 95

zu sein.') scliliesslic'h in der weitorgelieiiden Fnriii. dass cisne Teiniicl und Spirlc dem Statthalter liöchstens imcli ziisaiiimen mit der Koma-) delvretiert wurden,'') bis scliliesslieli Caesar und wer weiss, ob er wirklich der erste war") so gut wie ehemals die Seleu- kideu als Öeög ' Enirfttvyfi verelirt wurde. ^) Im Osten war also der i-iimische Herrseherkult, soweit er der freien Initiative einzelner Städte seinen ürsiirnng verdankt, hundei-t Jahre vor der Entstehung des Kaiser- reichs schon vorhanden. Es fragte sich nun . wie die neuen Herrscher von lioni. deren Reihe Caesar eröünete. zu der alten Institution des Ostens sich stellten, vor allem ob unil wie sie das seltsame (Tewächs des grierhisch-iirientalischen Hodens in das Abendland verpflanzen würden.

3. Die röniisclien Staatskulte der Kaiserzeit, soweit sie datierbar sind.

Der Dictator C. Julius Caesar liat nicht mehr und nicht weniger erstrebt, als eine griechisch-römische ßaaileia, wenn auch vielleicht nicht unter dem verfehmten Titel eines rex, im Westen einzurichten''); er knüpft eigentlich in allem dii-ekt au die Institutionen des hellenistischen Ostens an, da er als hochgebildeter Mann die Überlegenheit der griechischen Kultur vielleicht nicht nur instinktiv gefühlt, sondern ihren Sieg bereits klar erkannt hatte. Sein ehemaliger magister equitum Antonius, der sich, wie einst nach dem Tode des grossen Makedoniers die Diadocheu im allgemeinen und speziell Ptolenmios I., in Alexandreia ein hellenistisches Teilreich begründete, wandelte unstreitig mehr in den Bahnen seines Herrn, als sein jugendlicher Gegner, der sich dank der Uini zu teil ge- wordenen Adoption den Sohn des Gewaltigen nennen durfte, ('aesar und Antonius sind \on höherer Warte gesehen wohl die ersten Alleinherrscher

1) Cicero, ad Quintum fr. I. 1. 26, ad Atticum V. 21, Süktus, Aug. 52: Templa quainvis sciret cfiam proconsulibus deceriii soleic; über Pompejus soll nach seinem Tode das Wort gefallen sein: toi rciofi- ß(>i9-orrt rroff/j e.Tcä'it- t'jrxj-To rvußov.

HiHSCnFELD S 836.

2) HiBSciiFELu, a. a. 0. Anin. IT, benutzt mit Keclit hierfür als Beleg die ange- führte Stelle aus Cicekh, ad. Quint. fr. I. 1. 26.

3) Für die Errichtung von Tempeln vgl. man die in den vnrhergeiienden An- merkungen angeführten Stellen; von Spielen zu Ehren eines Statthalters kennen wir die ursprünglich Marcellea genannten Verrea von Syrakus.

4) Vermuten darf man, dass Pompejus, der ein so gewaltiges Ansehen im Osten besessen hat , wohl hierin Caesar vorausgegangen ist , zumal wenn man die oben in Anm. 1 zitierten Worte in Betracht zieht.

5) CIGr. 2957: In.schrift von Ephesos, in der Rat und Volk der Ephesier sowie die übrigen Städte Asiens ehren: toi' i;nt> "iptwj x«i 'A(pQoätiTrig ^tüv iviifavii y.cd KOLvbi' Tov &vd'Q(07iivov ßtov eatijQci. Vgl. 2369 töc 9ibv y.al ai'tov.QiiTOQcc xal cwrfjpa Tjjj o/xoi'fifV7j9, die mit Hibschfeld gegen Boeckh wohl in die Lebenszeit Caesars zu setzen ist. Es giebt allerdings auch Inschriften für Caesar, anf denen die Bezeichnung Gott noch fehlt: CIGr. 2214g., 2215, CIA. III. 428.

6) So Edcabd Schwartz in dem trefflichen Aufsatz „Berichte über die cati- liuarische Verschwörung", Hermes XXXII (1897) S. 573.

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90 E. Korncmann,

von Rom, zugleich aber auch die letzten hellenistischen Könio:e. Die Mordthat an den Iden des März 710/44 und der Prinzipat des Augustus bedeuten eine Eeaktion des Eömertums gegen den Hellenismus, wenigstens auf politischem Gebiet, eine Eeaktion, die bei Aktium ihre Bluttaufe erhielt. Nichts bestätigt mehr die Eichtigkeit dieser Sätze als die Geschichte des römischen Kaiserkultes. Die göttliche Verehrung Caesars in Eom bei seinen Lebzeiten, die derselbe, so wenig wie einst Alexander, selbst hervorgerufen, sondern vielmehr nur geduldet hat,') entspricht genau den hellenistischen Kulten, etwa dem im pergamenischen Eeicli der letzten Zeit, der, wie wir sahen,-) im Kult der römischen Pro- konsuln sich fortgesetzt hatte. Seine Statue wird in sämtlichen Tempeln Eoms und des Eeiches neben denen der Götter aufgestellt,'-) alle fünf Jahre zu feiernde Spiele werden zu seinen Ehi-en beschlossen,*) die jährliche festliche Begehiuig seines Geburtstages und seiner Siegestage wh-d angeordnet,^) die Priesterschaft der Luperci, die aus zwei Collegien bestand, den Fabiern und Quintiliern. Avii-d durch ein drittes, das julische, verstärkt.'*) Ja es heisst sogar, man habe um Jupiter Julius genannt und wegen seiner Milde ihm und dementia einen gemeinschaftlichen Tempel bestinnut, in welchem die beiden Gottheiten einander die Hände reichten.^) Aber dies letztere kam durch seine frühzeitige Ermordung nicht zm* Ausführung, ebensowenig wie der zum Flamen des neuen Jupiter designierte M. Anti)nius sein Amt antrat.^) Als dann aus den Wü'ren nach dem Tode des Diktators die schliessUche Einigung seiner Anhänger und in der Herr.-^chaft der Dreimänner von 711 43 v. (In-. der Sieg des caesarischen Prinzips in Eom erlangt war. ist etwa im Jahre 712 42 v. Chr.'') dem toten Cäsar das zu teil geworden, was

1) Das sagt deutlieh Sdetox, Caesar 76: sed et ampliora etiam humauo fastigio decerni sibi passus est.

2) Siehe oben S. 91 Anm. 3.

3) SüETON, Caes. 76. Dio Ctssius, XLIV 4. ArpiAs, bell. civ. II. 106; vgl. hierzu und zu dem folgenden Drlmann, Gesch. Roms III, S. 665f.

4 Dio C.tssiis XLIV 4.

5) Dio a. a. O. u. XL VII 18. Appias, bell. civ. II. 106.

6) Dio XLIV 6. Sceton a. a. O.

7) Dio a. a. 0. Appian, bell. civ. II. 106.

8) Dio a.a.O. Cicero, Phil. II, 43. 110. Suetox, Caes. 76. Antouius Hess sogar nach Caesars Tod das Amt zunächst fallen (Cicero a. a. O. u. XIII l'.t. 41 1 und wurde erst nach der inzwischen eingetretenen offiziellen Consekration des Divus Julius von Octavian im Jahre 714/40 veranlasst, es anzutreten; Plutarch, Antonius 33, Drumasx-Groebe, Gesch. Roms I- S. 310, MAH<iUARDT, Staatsverw. I- S. 465 Anm. 5.

9) Vgl. MoMMSEX, Staalsr. 11" S. 756 Anm. 1, der nachgewiesen hat, dass die Conse- kration erst nach dem 27. November 715 43 erfolgt ist. Da aber Dio (XL VII 18) unter dem Jahre 712,42 den Beschluss der Erbauung eines Tempels berichtet, und Conse- kration und dieser Beschluss wohl zusammengehören . so ist zunächst an dem zuletzt genannten Jahr als demjenigen, in dem der erste Römer durch offiziellen Beschluss des

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Zur (rrsrhichtc (Irr antiken llcrrschcrkultc. 97

er Irlicnd nicht mehr erreichte, die offizielle Coiisekration durch Seiiats- luid \'()lksl)escliluss') und ein eigner Tempel an der Stelle, wo einst sein Leichnam nach des Antonius berühmter Leicliem-ede von dem fanatisierten ^'olke auf schnell improvisiertem Sclieiterliaufen den Flammen üliergeben worden war.'-) Das Zurückweichen von der einmal betretenen Bahn verrät sich am deutlichsten in der Creierung des Di vus Julius und nicht des De US Julius. Der Divus ist im Gegensatz zum wirklichen Dens ein früher Mensch gewesener Gott,-') es ist also ein zwischen Menschen und Göttern stehendes Wesen, etwa dasselbe, was dem Griechen der Heros war. "\^^eiter ist bezeiclinend für die eingetretene Reaktion der Um- stand, da.ss die Erhebung zum Divus nominell durch Senats- und Volks- beschluss geschah. Damit ist eine weitere Eigentümlichkeit des römischen Herrscherkults gegeben: Während der seleukidische König durch die Übernahme der Herrschaft eo ipso ein Qeoi ' Enicpaviig auf Erden war, während alle Ptolemäer durch Priesterdekret . und zwar schon bei Lel)zeiten, zu Göttern erhoben wurden, schuf sieh der römische Senat und das rönüsche Volk oder später der römische Senat allein als Ver- treter des Volkes aus den Kaisern, die sich bewährt hatten, nach dem Tode derselben seine Divi. Die Apotheose erst nach erfolgtem Ab- leben,*) die Erhebung zum Divus und nicht zum Dens, endlich die Vollziehung dieses Aktes durch den Senat und das Volk: das smd die drei Konzessionen an das römische und occidentalische Empfinden, wodurch die julisch gesinnten Triumvü-n, offenbar schon unter dem Ein- tluss des vorsichtigen Octavian stehend, die im Orient entartete griechische Institution auf den Boden des Westens verpflanzt haben. Es war dies weiter eine Art des Herrscherkultes, die dem büi'gerlichen, die nationalen Traditionen ehrenden Prinzipate des Augustus angepasst war. Aber mit dem Verfall dieser künstlichen Verfassung bietet sich zum zweiten Mal das Schauspiel, das wir schon in den hellenistischen Eeichen beobachtet haben: die Entwickelung von dieser weniger anstössigen Form zu den vorgescluntteueren. Zunächst behält al)er die Reaktion unter Octavian die Oberhand. Das Pendant zu der Benennung Divus Julius für den conse-

Volkes in den Himmel eingegangen ist, festzuhalten. Die älteste Urkunde, in der die Bezeichnung Divus auftritt, sind die capitolinischen Triuraphalfasten vom Jahre 714/40 V. Chr.

1) CIL. IX 2628: genio deivi Juli parentis patriae, quem senatus populusque Romanus in deorum numerum rettulit; vgl. CIL. I 626 mit Commentar; auch Skrvius zu Vebgil, Ecl. V. 56.

2) Beschluss des Tempels auf dem Forum: Dio Cässids XLVII 18, ÄpriA.v II 148. Die Dedikation erfolgte erst 725,29 v. Chr., Diu LI 22.

3) MosiMSEX (Staatsr. 11^ S. 756 Aum. li meint, dass erst damals diese specifische Bedeutung von divus eben infolge des Beschlusses sich festgestellt hat.

4) Das steht deutlich bei Tacitus, Annal. XV 74 : Nam deum honor priucipi uon ante habetur, quam agere inter homines desierit.

Beiträge z. alten Geschichte I. 7

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98 J^j. Korncniann,

krierteii Vater ist die Annahme des Titels Augustus {'Saßaarog) durch den Sohn, den Di\i filius, im Anfang des Jahres 277 27 v. Chr., wo- durch der neue Herrscher, der nur der jn-inceps ci\num sein wollte, wohl eine höhere religiöse Weihe erhielt, aber doch von der Gottheit in weitem Abstand fern blieb. Hiermit sind die beiden Termini gefunden, die am klarsten dem römischen Kaiserkult seine Spezialfarbe verliehen haben. Augustus hält sich bewusstermassen von dem dii-ekten Copieren helle- nistischer Eim-ichtungen fern, er sucht auf nationalem Boden den Neubau der Monarchie aufzuführen. In Alexandreia lässt er sich, als er seine letzten Gegner, Antonius und Cleopatra, niedergeworfen hatte, den Leich- nam des gi'ossen Alexander aus der Gruft hervorholen, setzt ihm eine goldne Ki'one auf und betet bei ihm; dann aber soll er auf die Frage, ob er auch die Ptolemäerleichen sehen wolle, geantwortet haben: regem se voluisse "videre, non mortuos.') Das ist sein- bezeichnend für die Haltung, die Octa'S'ian einzunehmen gedachte : Die hellenistischen Dniastien sind tot , nur Alexander lebt ; ihn erkennt der römische Imperator an, an ilm knüpft er an, -nicht an die elende hellenistische D.vnastie von Ägypten, deren letzte Vertreterin an der Seite des Antonius den Kampf gegen den römischen Staat gefühi-t hatte. Nui- der Alexanderkult bleibt von den hellenistischen Kulten, alle anderen verschwinden vor Eoms Grösse. Das Römerreich soll alle ersetzen, soll erfüllen, was Alexander zu ver- wii-klichen schon bestrebt war, ein ■\^'eltreich des Friedens am ilittelmeer zu schaffen.

Aber kurz naclulem Octavian in Alexandreia seine Stellung zur Vergangenheit in jenem Ausspruch formuliert hatte, A\urde ihm schon die Frage gestellt, wie er es in dem an den Herrscherkult nun einmal ge- wöhnten Osten mit der Vereluning seiner Person gehalten wissen wolle. Offenbar auf eine Eingabe der Bewohner der Provinzen Asien und Bithynien hin setzte er, wahrscheinlich in einem Bericht an den Senat,-) fest, dass die Römer der beiden Provinzen in Ephesos, bezw. in Nikaia der Roma und dem Divus Julius einen Tempel errichten, die Eingeborenen dagegen in Pergamon. bezw. in Nicomedeia der Roma und ihm selbst zu Ehren dasselbe thun dürften.'') Diese Entscheidung bildet, wie Dio Cassius richtig

1) Sl'eton, Augustus 18.

2) Später wenigstens wuifle das Recht, dem lebenden Kaiser einen Tempel für den Bereich einer Provinz zu gründen, stets vom Senat verliehen, Tacitcs, Aiinal. IV .56, Dio Cässius LXXII 12. 2, CIGr. 3148, FkXxkel, Inschriften von Pergamon II 269; vgl. ebda. S. 205 f.

3) Dio Cassics LI 20. Dass hier die Angabe, die Tempel von Pergamon und Nicomedeia seien nur dem Augustus geweiht worden, falsch ist, beweist die klare An- gabe bei Tacitüs, Ann. IV 37: cum divus Augustus sibi atque urbi Romae templum apud Pergamum sisti non prohibuisset und die ebenso deutliche des Suetox, Augustus .'i2 : templa quamvis sciret etiam procousulibus decerni solere, in nulla tarnen provincia

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Zur Geschichte der antilcen Hcrrschcrkulte. 09

bemerkt, den Aiis<raiif;'simnkt für den proviiizialen römischen Kaiserknlt. Wie in so vielem, »-eht Octaviau über die GepHogfenheiteu der letzten republikanischen Zeit hinweg zurück auf die bessere Zeit: er Avill nicht, wie so mancher l'rnkdnsul der Republik, für seine Person allein gött- liche Ehren haben, sundeni nur im Verein mit der Göttin Roma, der Repräsentantin des i-ömischen Volkes.') Die Dj'archie auf Erden wird auch in den llinniiel übertragen. Daneben ist wichtig die ver- schiedene Behandlung von Provinzialen und Römeni. Als dann noch nicht zwei Jahre nach die.ser Entscheidung, am 1:^. Januar 727 27 v. Chr., zu einer Zeit, da der Bau des pergamemschen Tempels für die Roma und den Kaiser noch nicht vollendet war.-) die Verleihung des Titels Augustns an den neuen Herrscher stattgefunden hatte, wiu'de dieser die Bezeichnung des vergötterten Herrschers auch im Proxinzialkult : Romae et Augusto, oder richtiger, da es sich zunächst nur um Kultgründungen im griechischen Sprachgebiet handelt. Puifiy xal ^eßaar m lauteten die Aufschriften auf den mit staatlicher Erlaubnis erbauten Proräzialtempeln des Ostens. Im übrigen sind die formen dieser Kulte von den helle- nistischen entlehnt, wie wir vor allem an dem pergameuischen Kult der Provinz Asia sehen können. An der Spitze steht ein ag^t^Q^vs, mit dem vollen Titel in Pergamon a^xiegevs 'Aaiag, während der Zusatz vaov rov (bezw. vttüv rüv) iv üsgycefia wohl erst in nachaugustischer Zeit auf- gekommen ist, als auch andere Städte in Asia, zuerst unter Tiberius Sm\Tna, Provinzialtempel bekamen.'') Gefeiert värä auch hier vor allem das Geburtstagsfest des Kaisers und zwar das jährliche Fest an zwei Tagen, indem dem eigentlichen Festtag am 23. September noch eine Vor- feier vorausging, daneben eintägig auch monatlich durch Gebet, Opfer und musikalische Aufführungen.*) also genau wie einst dasjenige der ]>ergamenischen Könige. Für den musikalischen Teil bestand eine Ge- nossenschaft, deren Titel in hadrianischer Zeit lautete: 'YfivcpÖo'i if^sov ^eßaarov xal d-eäg 'Puiiujgf) sie verfügten über ein eignes (-iebäude,

nisi communi suo Romaeque nomine recepit; vgl. Mo.m.\ise.n , Kes gestae Divi Augusti- p. X.

1) SüETON a. a. 0.

2) Das ergiebt sich aus den Worten iv tm vaoi xöt i<.axaB\x,i:Vctto^iva> ccvtco vnb Ti'jg 'Aaias iv Tligyaiitp des Psephismas von Mytilene bei CicnoRius, Rom und Mytilene 1888, S. 32ff. , das sehr bald nach dem 13. Januar 727 beschlossen worden ist (S. 38). MoMMSEN a. a. 0. p. X. Anm. 1.

3) Vgl. die sehr übersichtliche Zusammonstellung des Materials bei Brasdis, Pallv- WissowA II. 1 Sp. 474.

4) FuÄNKEL, Inschriften von Pergamon II 374; dem Kommentar des Herausgebers zu der Inschr. habe ich auch das im Text folgende entnommen.

5) Fränkel a. a. O.; ebda. 523 Z. 10 aus der Zeit nach 176 n. Chr. ein v(ivcado? 9hov Avyovarov. Über diesen Titel und die Umstellung von Zt^aarog und 'Ptofiij in der im Text angeführten Bezeichnung wird weiter unten (S. 106) gehandelt werden.

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100 E. Korne.mnnn,

das H^^l^lO(leion. M hestaiideii aus einer fest begrenzten Zahl von ordent- lichen ^Mitgliedern , vermutlich 35,=^) daneben einer unbegrenzten Zahl von ausserordentlichen Mitgliedern, nämlich den Söhnen und Enkeln der ordentlichen Thiasiöten ;•') jeder Hyinnode hatte sich, um Eintritt zu er- halten, einen HjTnnos zu verschaffen, der auf seinen Sohn, falls dieser an Stelle des Vaters ordentliches Mitglied wiu'de, überging und ihm eine Ermässigung der Eintrittskosten auswirkte.'') Die drei jährigen Beamten der H3iunoden, der Vorsitzende = Eukosmos, der Priester und der Schrift- führer, waren zu erheblichen Leistungen bei den Kultfesten verpflichtet. Denn neben dem, bezw. später den Gebm-tstagsfesten der 2tßtt(7Toi feierten die Hynmoden noch das römische Neujahr am 1. Januar, =) je drei- tägig ein Eosenfest im Mai'') und ein M.ysterienfest im Juni.') Zu all diesen Festtagen musste von den Beamten nebeu baren Leistungen Brot und Wein geliefert werden, woraus hervorgeht, dass „eine Schmauserei den gewöhnlichen Bestandteil dieser Feierlichkeiten bildete",^) während die kaiserliche Geburtstagsfeier eine rein gottesdieustliche war.") Die H_vninoden trugen dabei Ivi'änze, welche der Vorsitzende zu liefern hatte,'") und die Opfer für die Roma und den Augustus'^) bestanden in Kucheu und Weihrauch,'-) wähi'end Lampen zur Beleuchtung des Kultbüdes des Augustus aufgestellt waren.'-') Ausserdem fand in Pergamon ein pen- teterischer ayo^v hgö? statt,") dessen offizielle Benennung' Pw/( «7« ^^Eßaötd^^) lautete.

In mehr oder weniger getreuer Nachahmung dieses Vorbildes erbaute sich nach emgeholter Erlaubnis jede Provinz des hellenistischen Ostens schon zu Lebzeiten des Augustus mindestens einen Tempel, der in gleicher Weise der Eonia und dem Augustus decliciert wurde. Der von Galatien in AnkjTa hat für uns heute ein besonderes Interesse, weil uns durch ihn der Rechenschaftsbericht des Augustus erhalten ist. Auch bei diesem Kult hören

1) Fränkel II 374 B. 17.

2) B. 21 f.

3) A. 9. 12, 26; 12. 13. D. 19 f.

4) D. 17 ff.

5) B. 6. C. 4. D. 6.

6) B. 8. C. 6. D. 8.

7) B. 10. C. 8. D. 10.

8) Fbänkel a. a. 0. S. 264.

9) Ebenda S. 265.

10) B. 13 ff'.

11) D. 14.

12) B. 19. 1.3) Ebenda.

14) Dio Cassids LI 20, Fränkel, luschriftou von Pergamon II 269; dazu Kom- mentar des Herausgebers S. 205 ff.

15) CIGr. 3902 b zwischen 744/9 = 10/5 v. Chr. gesetzt. Später heissen sie AvyovaTiia, z. B. bei Kaibel, ISI. 738, CIA. III. 129 (nach 248 n. Chr.).

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Zur Geschichte, der antiken IlerrscherkuUe. 101

wir von alle fünf Jahre wiederkelireiuleii Festlichkeiten, wobei grosse öltentliche Festschniäuse, Hekatomben, o-ymnische Wettspiele, (lladiatoren- känipfe aller Art, Verteiluni^en von (letreide, in Ankyra suwulil wie in Pessinus, stattfanden.')

Die Jahre 7_14 42 nnd 725,29 sind somit die beiden ersten Epochen- jalu-e des römischen staatlichen Kaiserkultes; dazu gesellt sich als drittes 742/12 v. Chr.: in diesem Jalu' wurde der Kaiserkult der Tres Galliae in Lugudunum eingesetzt,-) der erste von Staatswegen be- gründete Kult auf dem Boden des Westens. Der Stifter des neuen Kultes war der kaiserliche Stiefsohn Drusus. Die Kultstätte war hier kein Tempel, sondern nur ein Altar, der aber, ebenso -wie die Tempel des Ostens, der Eoma und dem Augustus geweiht war.'') Zwischen den Jahren 745/0 V. Chi', und 9 n. Chr. ist ein ebensolcher Altar im oppidum Ubi- orum erbaut worden, doch wohl für die beabsichtigte Provinz Germanien, das Gegenstück des Lyoner Altars, daher wie dieser sicher auch der Ruma und dem Augustus geweiht.")

Das sind die Fixpunkte für die (Teschichte des staatlichen Kaiser- kults in iler augustischen Zeit. Halten wir uns zunächst ferner nur an die litterarische Überlieferung, so bekommen wir noch zwei weitere Daten, von denen aus die Geschichte der nun folgenden Ausbreitung der In- stitution im Westen rekonstruiert werden muss:

Unter dem Jahre 15 n. Chr. berichtet Tacitus:^) templum ut in colonia Tarraconensi strueretur A u g u s t o petentibus Hispanis permissum datumque in omnes provincias exemplum. Der Ton ruht, wie der Schrift- steller schon diu'ch die Stellung angedeutet hat, auf den gesperrt ge- druckten Worten. Es ist der erste Provinzialtempel n u r für Augustus oder besser gesagt den Divus Augustus. mit staatlicher Genehmigung auf

1) CIGr. 4039 (vgl. zu der Lesung der Inschrift Perbot, Expl. arch. p. 261) zählt für fünf solche Feste (wahrscheinlich die der Jahre 10. 15. 20. 25. 30 n. Chr.) die einzelnen Veranstaltungen und die dafür geleisteten freiwilligen Zuschüsse auf. Das Kultheiligtum heisst auch schon in dieser Inschrift Z. 21 Zißaßtiiov und ist ge- weiht nach Z. 1 f. ■9-tM Ztßaerm kiu ^tä 'Pcoii-tj. Es scheint also, dass gleich nach dem Tode des Augustus die Umstellung der beiden im Kult vereinten Götter stattfand. Warum die neuesten Herausgeber des Josephus (Niese und Nabeb) in den Worten des augustischen Dekrets, Ant. lud. XVI 6. 2 (165) iv iaiarjuordra xönm yi:Vi}9tvTi uoi vno Tov Koii'ov rf/g 'AeLag iv ÜQyvQtj die Emendation von Skaligeb iv 'Ayxvgrj in den Text gesetzt haben, weiss ich nicht; vgl. Mommsen, Res gestae- p. X Anm. 1.

2) LiviDS, Epitome 139, Stkabo IV 3. 2 p. 192, Soeton, Claudius 2.

3) Unrichtig ist die Angabe der genannten Schriftsteller, dass der Altar von Lyon dem Augustus allein geweiht worden sei; es ist das dieselbe Ungenauigkeit der Bericht erstattung, die wir für den pergamenischen Kult bei Dui Cissius konstatiert haben. Das Richtige lehren die Inschriften und Münzen , die wir unten betrachten werden ; vgl. auch SuETON, Aug. 52.

4) Tacitds, Annalen I. 57, vgl. 39; dazu wiederum Sueto.n, Aug. 52.

5) Tacitüs, Annalen I. 78.

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102 E. Kornrniann,

die Eingabe der Proviuzialen der Tarracoiiensis erbaut.') ein Beispiel, dem alle übrigen Pro\inzeu, soweit sie noch keinen offiziellen Kult hatten, nach und nach gefolgt sind.

Ausser dieser Nachricht haben wir nur noch die. dass nach der Er- oberung Britanniens in der claudischen Colonie Caniulodunum , und zwar wohl zwischen 50 und .">4 n. ('hr.. ehi temjdum Claudii tür die neue Provinz errichtet ■niirde.-)

Aus dem Zusannneugestellten ergiebt sich schon im allgemeinen die Eeligionspolitik der Kaiser des julisch-claudischen Hausest in Sachen des staatlichen Kaiserkults. Für die cives Eomani, sowohl die in Eom A\ie in den Provinzen, giebt es vom Staate aus unter Avgustus nur einen Kult, den des Begründers der Dj-nastie und des Kaiserreichs, des Divus Julius, geradeso vn& einst in den Diadocheureichen zunächst niu' den des apotheosierten Alexander. Für- cUe Nichtrömer hat derselbe Kaiser im Osten des Eeiches sofort den staatlichen Proviazialkult , und zwar für die Eoma und den Augustus. mit Festen und feierlichen Spielen ge- stattet unter deutlicher Anlehnung an tue Formen der Diadochenkulte. Im Westen des Eeiches ist zunächst von einer Einbürgerung der In- stitution gänzlich abgesehen worden. Erst im Jahre 742 12 v. Chr., und zwar nach dem Tode des Agi-ippa. der im März dieses Jahres starb, hat Augustus neue Bahnen eingeselüagen und hat durch die Errichtung des Lj'oner Altars, dem wahrscheinlich bald der ubische gefolgt ist, die in den alten Kulturländern des Ostens schon lange heimische Pflanze unvermittelt gleich in den jungfräulichen Boden des nordischen Neulandes seines Eeiches eingesenkt. Kraschesixxikoff hat also mit Eecht die These aufgestellt, „dass das Alter des Kaiserkultus der einzelnen Avestlichen Provinzen und dasjenige der daselbst von den Eömern eingepflanzten Kultur im umgekehrten Verhältnis zu einander stehen".-') Man sieht es auf den erstt?u Blick, der Kaiserkult der Eoma und des Augustus sollte im A^'esten der C'i\-ilisatiou und der Eomanisiernng dienen und er sollte wohl dadurch nach Ansicht des Herrschers das Anstössige, was für die Eömer an ihm haftete, von sich abstreifen.'')

1) Der Tempel mit 8 Säulen erscheint auf einer Münze : Deo Augusto bei Eikhel D. N. I. 57 f.

2) Apokol. 8, Parum est quod templura in Britannia habet? quod hunc barbari colunt et ut deum orant, dazu Tacitus, Annal. XIV 31 z. J. 61 : templum divo Claudio constitutum, woraus man aber nicht schliessen muss, dass der Tempel erst nach dem Tode des Claudius geweiht worden sei. Der Tempel des Claudius war naturgemäss nach dessen Tode ein templum divi Claudii. Die Erbauung gehört wahrscheinlich in die Zeit bald nach Gründung der Kolonie, d. h. nach dem Jahre 50, Taciti s, Annal. XU 32, und vor den Tod des Claudius i. J. .54; Hirscufeld S. 841.

3) PhUologus LUX. 1894, S. 169.

4) Kraschesixxikoff ebenda, S. 170 f. Dass sich die römische Opposition sogut wie die Eingeborenen der Provinzen dadurch aber nicht haben Sand in die Augen

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Zur Grsehiclitc <lrr antikni Hr.rrftchrrlulU;. W^

Mit Ttderius' Keoieruii^santritt liel)t eine neue Ki)Oflie des staatlichen Kaiserkultes an, indem unter Voran<,aing' der l'arraconensis die westlichen Provinzen ohne Kaiserkult mit der Errichtung von Tempeln für den Divus Angustns begannen. Die Grundsätze des Tiberius auf diesem (4e- biete verrät am deutlichsten seine berühmte Rede, die er ini Senat auf die Bitten der Abgesandten der Provinz Baetica. dem regierenden Kaiser und seiner Mutter Livia einen Tempel errichten zu dürfen, im Jahre 25 Y. CliL gehalten hat,') eine Rede, die Tauitus sicher, wenn auch nicht dem ^ Wortlaut, so doch dem (Tedankengehalt nach richtig wiedergegeben hat.'-) Aus derselben ergiebt sich, wenn man aus der gewundenen .Sprache der Rede die leitenden Gedanken herausschält, dass der zweite Prinzeps das Sj^stem des ersten im Osten hat fortführen wollen, allerdings, wie sich ebenfalls aus Tacitcs'') ergiebt, mit der kleinen Veränderung, dass der konstitutionellste aller Kaiser an Stelle der Göttin Roma den „Gott Senat" {Ugd avyxh/Tog oder äeog avyxh^Tog) neben sich und seiner Mutter Livia verehren liess, dass er dagegen im Westen bei den Menschen, die seinem eignen Denken und Fühlen näher standen, die Vergötterung seiner Person, selbst in Verbindung mit dem Senat, ein für allemal ab- lehnte.*) Der zweite Prinzeps von Rom war in diesen Dingen genau das Gegenteil des zweiten Ptolemäers. Für die Provinzen des Westens gab es nur eine Erlaubnis aus dem Munde des verständigen Mannes, die Erlaubnis zur Verehrung des Divus Angustns. Davon haben nach Tacitos^) alle Provinzen, die noch keinen Kaiserkult hatten, Gebrauch gemacht, d. h. es erhoben sich nun überall Tempel des Divus Angustns als Mittelpunkte des proviuzialeu Kults. Eine Ausnahme davon macht Britannien, das nach den oben angeführten Zeugnissen einen Tempel seines Eroberers Claudius in der zur Hauptstadt erhobenen römischen Colonie Camulodunum bekam. Das bedeutet eine weitere Etappe in der Geschichte des staatlichen Kaiserkultes. Von den templa (im Osten) und

streuen lassen, zeigen die Worte des Tacitus, Anual. XIV. 31: Ad liue templum divo Claudio constitutum quasi arx aeternae dominat ionis aspiciebatur ; delectique sacerdotes specie religionis omnis fortunas effundebant.

1) Tacitus, Annal. IV 37—38.

2) HmscHFELD S. 842 Anm. 3.

3) Annal. IV 15: deerevere Asiae urbes templum Tiberio nintrique eins ac snnatui; ebenda 55 f.

4) Das sei ein Zeichen von Anmassung und Stolz; die göttliche Verehrung sei gewissermasseu ein Vorrecht des Begründers der Dynastie. Dann folgen die bekannten herrlichen Worte , die so recht zeigen , wie abhold der nüchterne Tiberius dem Ver- götterungsschwindel war: Ego me, patres conscripti, mortalem esse et hominum officia fungi satisque habere, si locum principem impleam et vos testor et meminisse posteros volo u. s. w. ; dazu Süeton, Tiberius 26: Templa, flamines, sacerdotes decerni sibi prohibuit, etiam statuas atque imagines nisi permittente se poni: permisitque ea sola condicione, ne inter simulacra deorum sed inter ornamenta aedium ponerentur.

5) Annal. I 78.

104 E. Kornemann,

den arae (in den Greuzprovinzen des Westens) zu Eliren der Roma und des Augustus zu den templa Divi Augusti, endlich einem templum Claudii: das sind in allgemeinen Umi-issen nach unserer litte- raristlien Überlieferung die di-ei Entwicklungsstadien des Kaiserkultes in der julisch-claudisclien Epoclie, jedes charakteristisch für den betreffenden Kaiser, der dafür verantwortlich ist, das erste füi- den stets Kompromisse schliesseudeu Augustus, das zweite für den nüchternen, überstreng in den Bahnen des Augustus wandelnden Tiberius, das dritte für den von Augustus und Tiberius in so \ielen Dingen abweichenden, dagegen auf die helle- nistische Monarchie des Caesar zurückgehenden Claudius.')

Bis zu einem gewissen Grade ist aber die Ent-fticklung in den romani- sierten Provinzen des AVestens auch ein Abglanz derjenigen in der Haupt- stadt Rom selbst. Auch hier fand unter Augustus keine offizielle Ver- ehrung des lebenden Herrschers statt, sondern alles war konzentriert auf den Kult des vergötterten Caesar : der einzige Kaisertempel war (Ue aedes divi Julii auf dem Forum.'-) Nach dem Tode des Augustus erfolgte am 17. Sep- tember 14 n. Chi-, seine Konsekration ä), und es wiu-de üim von Li^da und Tiberius am Palatino) das templumDivi Augusti gebaut, aber erst von Gajus

1) Den Beweis hierfür hoffe ich bei anderer Gelegenheit später zu erbringen.

2) Ausserdem fand der Di\T]s Julius neben den himmlischen Göttern Aufnahme im Pantheon des Agrippa. Als dieser auch den Augustus hier aufnehmen wollte, gab der kaiserliche Freund seine Zustimmung nicht. Vielmehr erhielten Augustus und Agrippa nur Statuen im Pronaos des Pantheon, Dio Cassiüs LIII 27. 3, Gildert, Ge- schichte und Topographie der Stadt Rom III 116 Anm. 3. Nach der Terminologie der hellenistischen Zeit wurde also nur der Divus Julius ein Bvvvaog der Götter; hier zeigt sich am deutlichsten die offizielle Stellungnahme des ersten Prinzeps zum stadtrömischen Herrscherkult.

3) Fast. Amit. zum 17. Sept., CIL. I- p. 244, vgl. Fast. Antiates ebenda p. 248, auch Notizie 1893, S. 248: Quod eo die honorcs caelestes Divo Auguste a senatu decreti sunt Pompeio et Apuleio cos.

4) Die Bezeichnung templum Divi Augusti in Palatio will nur sagen ,)n der palätinischen Eegion." Die Topographen verlegen das Heiligtum an den Fuss des Nordabhangs des Palatin hinter den Castortempel des Forums in die Nähe der durch die neuesten Ausgrabungen beseitigten Kirche S. Maria Liberatrice vgl. Mommses, Bull, dell' instituto 1845, S. 126 f.). Die hier gefundene frühmittelalterliche Kirche befindet sich in einem auf älteren Fundamenten errichteten Ziegelbau des zweiten Jahrhunderts n. Chr. , der seine Front nach dem Forum hatte. Wir wissen durch Münzen (Aüst, Stadtröm. Tempelgründungen der Kaiserzeit, Frankfurter Progr. 1898, S. VI), dass Antoninus Pius das Augusteum, das jetzt eine aedes Divorum geworden war (darüber unten S. 116), restauriert hat. Über diesen Bau des Antoninus Pius werden hoffentlich die Ausgrabungen noch weiter Licht verbreiten. Die noch von Gilueut (Gesch. und Topogr. der St. Rom III 120 ff.) verteidigte Ansicht, dass dem Divus Augustus zwei Tempel auf dem Palatin errichtet wurden, ist naturlich unhaltbar; das richtige bei Hexzes, Acta fr. Arv. S. 65, Jobdas in L. Prellee, Rom. Mj'th. II * S. 481 m. Anm. 2 und Marqüardt-Wissowa, Staatsverw. 111= S. 468. Nur eine Kapelle (sacrarium) für Augustus befand sich ausserdem auf oder am Palatin, und zwar in dem Geburtshaus des ersten Prinzeps, vgl. Adst a. a. 0. S. IV.

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Zur Geschichte der antihcn Herrsehcrkulfe. 105

hu Jahre 37 geweiht/) sowie ein Fhuiieii mit dem Titel Flamen Augustalis (als erster Gennanicus, als zweiter dessen Sohn Nero)-) bestellt. Für seine eigne Person duldete Tiberius auch in Rom keinerlei göttliche Verehrung, auch Livia Hess er nicht nach ihrem Tode konsekrieren, was deutlich zeigt, dass er die Vergötterung auf die beiden ersten Kaiser, den Divus Julius und Divus Augustus, beschränkt wissen wollte. Die Konsekration der Livia erfolgte aber sofort diu-ch Claudius, der ihi- Bild in dem Augustustempel neben dem ihres Gemahls aufstellte.-) Im übrigen hielt Claudius sowohl wie Nero an dem Kult des Augustus als des Familienoberhaai)tes fest.") Dagegen Hess Nero den von Agrippina für den Divus ClautHus auf der Nordwestspitze des Caelius begonnenen Tempel unvollendet,^) so dass dessen Heiligtum in Britannien zunächst der einzige offiziell errichtete Claudius- tempel bHel). Wie nahe man aber selbst in Rom der Verehrung des leben- den Herrschers am Ende der neronischen Regierung schon war, beweist der Antrag, der im Senat im Jahre 65 von CeriaHs Anicius gestellt wurde, nämlich dem lebenden Nero als Divus Nero einen Tempel zu errichten, ein Antrag, der aber des bösen Omens wegen als allzu bedenklich abge- lehnt wm-de.") So ist thatsächlich der Kaiserkult der julisch-claudischen Epoche in der Hauptstadt neben dem Divus Julius auf den ersten Prinzeps und seit Claudius auf dessen Gemahlin Livia beschi-änkt geblieben: ein Resultat, welches vorzüglich zu dem stimmt, was wii- über die Kulte der romanisierten Provinzen des Westens in dieser Zeit erfahi-en haben.

Drei der behandelten provinzialen Kultgründungen sind, wie wir sahen, vorbildlich geworden: unter Aiujustus diejenige von Pergamon im Osten, diejenige von L u g d u n u m im ^^■esten, unter Tiberim diejenige von T a r r a c o. Es gilt jetzt zu verfolgen, was mis über die spätere Entwicklung dieser drei Gründungen die Inschriften genaueres lehren, um dann von hier aus die bis jetzt nicjit (Irttierltaren Provinzialkulte wenig,stens an- nähernd festzulegen.

Für den perganienischen Kult haben wir, was die In.schriften für (üe Zeit des Augustus ergeben, schon vorweggenommen. Hier sei nur noch einiges für die nachaugustische Zeit nachgetragen. Die Gemahlin des Augustus, Livia, ist nach ihrer Konsekration durch Claudius an den Kult des Gatten als ^sßaarri angeschlossen worden; die Ijeiden ^'ergötterten heissen zusammen ol ^eßaaroi oder Osot HeßaGvoi:-) Amh der (iehurr

1) Vgl. die Sammlung der antiken liucllcnstiaien bei Hi;lskx, Nonicnel. topogr. S. 75 und bei Aust a. a. O. S. IV fi'.

2) CIL. III 2808.

3) SuETON, Claudius 11, Dio Cassius LX 5, Marqdardt-Wissowa a. a. O. III- S. 468 Anm. 7, Gilbert a. a. O. S. 121 Anm. 3, Adst a. a. O. S. VII f.

4) Plinius, Eist. Nat. XXXV 91. Suetox. Nero 12.

5) SüETON, Vespas. 9.

6) Tacitus, Annal. XV 74.

7) Fbänkel, Inschriften von Pergamon II ;j74, C. 13; vgl. S. 26'J.

106 E. Koriirmnmi,

der Livia ist ein eigner Festtag gewidmet, freilich nicht an dem mrkliclien Tag ihrer Geburt, sondern an dem dem zweitägigen Geburtstagsjalires- fest des Gemahls vorhergehenden Tag, d. h. am 21. September.') Auch die Geburtsfeste späterer Kaiser, der konsekrierten und des jeweils regierenden, werden gefeiert,-) aber offenbar mit geringerem Glanz. ') Nur Trajan liat von allen späteren Kaisern in Pergamon ebenfalls einen eignen Tempel, in Gemeinschaft mit Zbiiq cfiktog (Jupiter amicalis), hoch droben auf der Burg erhalten,^) dazu einen penteterischen äywv dsiregog iegög^), offiziell der Benennung des augustischen analog genannt Tga'idviia zlucfiXiia iv UEQ-yä^a),'') kürzer nur TgaCavuaJ) Pergamon hatte somit zwei Tempel des Kaiserkultes, und der Oberpriester der Provinz für diese pergainenischen Heiligtümer lüess seitdem uo^iiQ^vs Aaiag vccwv rüv iv /Isgyceftcp.^) Zu dem aus der Bezeichnung Tgaiävaia JiKfiXua sich ergebenden Zurücktreten der mit dem Kaiser zusammen verehrten Gottheit bieten auch eine Illustration die ö-vaiai tov ^eßaarov y.al Tifi 'P(6fi7]g^) oder die vuva^ol &iov ^eßaarov xa'c ßscig 'Ptouiig^") in der schon oben (S. 99) verwerteten Inschrift aus hadrianischer Zeit. Hier ist die Eonui von der ersten an die zweite Stelle getreten, wie der Zev< (fiXiog später liinter Trajan; dann kommt die Zeit, da die dem Kaiser attachierten Gottheiten ganz verschwinden, wie der Vf.ivn86g deov AlyovGTov aus dem P.nde des 2. .Jahrhunderts"), die Bezeichumig ,^i'7oi'ffrf<«^-) oder Tgaiäi'eia für die mit dem Kult verl)undeuen Agone beweisen. Der Kult des einen ^sßaarög aber erweitert sich zunächst, wie oben schon erwähnt, durch den der SsßaaTri , d. h. der livia . dann durch Hinzutreten auch der übrigen ^aßaaxoi oder &io'i —sßaaroi, d. h. der Divi und bald auch des jeweils regierenden Kaisers'-'), zu einem solchen der ganzen Kaiser-

1) Ebenda U. 4f.. dazu Frankei., S. 2R3 u. 26Sf.

2) B. 14 f. Die Bezeichnung uvToxQccTOQts an dieser Stelle ist wohl gewählt, weil der regierende Kaiser miteinbegriffen war.

3) Fkänkei. II S. 263 f.

4) Fkäxkel a. a. 0. II 209.

5) Ebenda Z. 6.

6) Greek inscr. in the Brit. Museum III 2 No. 605 Z. 9; bemerkenswert ist auch hier, dass die Benennung nach dem Gott hinter derjenigen nach dem Kaiser steht.

7) Fränkel a. a. 0. II S. 206.

8) Fraskel II S. 207, Bka.ndis bei Pali.v-Wissowa II 1 Sp. 474.

9) Fkankel II 374 D. 14.

10) Ebenda Anm. 3f.; vgl. auch oben S. 101 Anm. 1.

11) Fhäkkel II 523 Z. 10.

12) S. oben S. 100 Anm. 5.

13) Ditte.sberger hat schon lange den Nachweis erbracht, dass unter ^tßaeroi die Divi mit Einschluss des jeweils regierenden Kaisers zu verstehen sind: Hermes XIII S. 72, zu CIA. UI664. 665, Syll. 1- No. 363 Anm. 2. Brasdis (bei Pauly-Wissowa II 1 Sp. 481) bemerkt mit Recht, dass das gleiche von 9toi Ztßaavoi zu gelten hat, dass also «e;i;ifpti)s räv Sißaaräiv und £:Q}^iiQtvi 9i&v I^ißaaräv ganz gleichwertig sind.

56

Zur Gfistchirlitr, der nntikr.» Ifr.rrftchcrliilfr. 107

Dynastie, inul das zeigt sicli, wenn auch bis jetzt iiiclit in J'ergamon, so doch in amh-ren provinzialen und munizipalen Kulten des Ostens, deut- lich in der Titulatur des Obei^priesters. Unter Eenutzung- von Brandis- Zusammenstelluno:') »-ebe ich folofendes Material zur lllustiation des Ge- sagten:-)

1) üg;(iegivg toHv &ewv xctl leoiV'i Öiu ßiuv tiov ^eßaaröir. d. h. Ober- priester der Divi und Priester der regierenden Kaiser, zuerst des Claudius, dann des Nero-'), -war Claudius Stertinius Xenophon, auch Leibarzt der beiden genannten Kaiser («p;^mrpoe rwi» &tüv ^lißaarüv) auf der Insel Kos: Paton and Hicks, Inscr. of Kos 845 = Dittejtbeeger, S.yll. 1- 368.

*2) UQiiq TiZv ^eßaoTÜv xai i7TifiiXr/T7]g roüv 'AficfixTVÖvojv auf einer delphischeu Inschrift aus dem Jahre 54 n. Chr. : Bull. Corr. Hell XX. 1896, S. 710.

3) aQ^itgtig tüv nargiuv &swv y.ai tüv Sißctatwv aus Magnesia am Maeander aus claudisch-neronischer Zeit : Kkrx, Inschriften von Magnesia 113 Z. 5.

4) ag^iioi^'i TMV ^sßaOTiöv Siä ßioi' y.ai 3'fpwi'os K?.civöiov Kaioctgog 2ißaaTov aus Akraiphia vom Jahre 67/8 n. Clm: Dittenberger , Sjlloge 13 :57(3 = Ders., Inscr. Or. Sept. I 2713. III Z. 27 ff. (wo Nero für die Frei- lieitserklärung- der (Ti-iechen zum Zd'g iXtv&igiog iSigiov eig alüvct er- hoben mrd).

'^b) üg-^isgsvg i^-swv ^eßcedTÖJv xal yivovg ^eßaariZv i/. tov y.oivov T)'g /iyttiag ötü ßiov aus Athen, ebenfalls der neronisciien oder höchstens der vespasianischen Zeit angehörig: CIA. III 805 = Dittexberger, Syll. I- MVA.

ü) aQ-^ugevg tov ^ißaarov xcd twv &si(ov ngoyövwv avtov kommt vor: CIGr. 1375. 1405. 1363. 1364b, alle aus Sparta, Avohl erst ans dem 2. Jahrhundert, Wcähreud der Sohn des hier genannten (CIG. 1364a) ein- fach ägyisgiig tov ^ißaaroii heisst.

* 1) ügyugivg twv ^ißaarwv iv vivy.iiov 'i&vH oder ägyugsvg twv ^eßaariüv steht sehr häufig auf Inschriften statt cigyngdg twv ytvxiuv, und zwar haben wir für diese Bezeichuungsweise schon aus dem Ende des 1. Jakrh. Belege.*)

"'S) agyieg^vg twv ^eßaaTwv ist weiter üblich beim y.oirüv der Makedonier.=)

■''9) dgyugivg twv ^ißaOTwv xal ijituehjTt'jg tov y.oivov rwr 'Aucfixrvovwv auf einer deljjhischen Inschrift (s. o. No. 2): Dittenbkrgeb, Sylloge I- 372.

1) Bei P.iüLv-WissowA II 1 Sp. 474 f. u. 480 f.

2) Die mit einem * versehenen sind Provinzialoberpriester, bezw. Oberpriester eines koivöv.

3) Das ist die Erklärung von Ditte.nbebger, die derjenigen von Bkaxuis vorzu- ziehen ist.

4) Bbaxdis Sp. 47:3 u. 481. Kalixka, Eranos Viudobouensis S. 8:5 ö'.

5) Brasdis Sp. 473.

67

108 E. Kornemann,

Hieraus ergiebt sich, dass im Osten überhaupt an Stelle des Kultes des Ssßaarög, des Dims Augustus, der Kult der Divi und des jeweils regieren- den Kaisers getreten ist, was sich im Titel des Priesters oder Oberpriesters entweder diu-ch eingehendere Angaben, wie die unter 1^ 3. 4. 5 aufgeführten Insclu-ifteu zeigen, oder kürzer diu-ch den Zusatz twv ^ißacTwv kennt- licli macht. Die Priesteriuschriften geben als terminus post quem für diese Erscheinung das Jahi* 54 n. Chr., d. h. das Anfaugsjahr Aon Xeros Eegierimg (s. o. No. 2), in dem als zweiter Divus zu dem Divus Augustus der verstorbene Claudius hinzutrat. Im proviuzialeu Kult werden wir daher wohl aus der Zeit vor diesem Jahi- keinen Oberpriester der ^eßaatoi annehmen dürfen. Dagegen für den munizipalen Kiüt. wo ja sofort auch der regierende Kaiser als Gott, dii-ekt unter der Bezeichnung &E6g, ver- ehi't wurde, gilt dieser Terminus nicht. Eine im Jahre 52 für den &e6s ^eßaaros Claudius in Kys in Karien gesetzte Inschrift^) sagt von dem Ugeig tov dsoi ^tßaarov xai ao^tjyeTov rj;s Tickemg Jtog ' Elwö-egiov in der Z. llf.: inixiMaag de xal d-vaiag rolg te &eolg xa'i tolg ^eßaaroig vnig tijg tov o'ixov avTwveig cinccVTa tov alöiva diauovijg xal vyEiag. Dieselbe Erscheinung werden wir im Occident . zu dessen datierliai-en Kulten wir übergehen, wiederfinden.

Wenn man die Inschriften von Priestern des Lj'oner Kaiserkultes so weit möglicli chronologisch ordnet, so ergeben sich drei zeitlicli auf ein- ander folgende Gruppen:

1) Der proAinziale Kaiserpriester in Lyon lieisst zunächst sacerdos Eomae et Augusti ad aram, quae est ad coufluentem (so auf dem Triumphbogen von Saintes aus der Zeit des Tiberius und zwar nach dem Jahi-e 10: CIL. XIII 1036), abgekürzt mit "Weglassuug von ad aram niu- ad confluentem (ebda. 1042/5 aus tiberischer oder claudischer Zeit), bezw. ad aram ad confluentes Ai-aris et Ehodani (1074, küi'zer 1675, aus vespasianischer Zeit-) oder sacerdos arae inter confluentes Arai'is et Ehodani (2940, ebenso 1719) wofüi- 1541 steht: sacerdos arae Aug(usti) inter confluentes Araris et Ehodani oder 939 (vgl. 1704) sacerdos arensis. alle aus dem ersten Jahi-hundert.

2) Die älteste Inschi-ift der zweiten (rruppe ist wahrscheinlich CIL. XIII 1706 (Ende des 1. oder Anfang des 2. Jahrh.) mit sacerdos ad tem- pluni Eomae et Augustorum; dem 2. Jalu-hundert gehören an: 1691 (geradeso, mit dem Zusatz: III prov. Gall(iarum), 1714 und 1716: sacerdos ad templum Eonu\e et A u g u s t i ad confluentes Araris et Ehodani, 1718 (\ielleicht auch so: 1694. 1722): sacerdos ad aram Eomae et Augus- torum, 1710: sacerdos ad [aram oder templ(um) Eomae] et Augustorum [inter confluenjtes Ai-ar[(is) et Ehod.]; dazu 1699. 1700 mit sacerdotium apud aram, vgl. auch 3144.

1) Bull. Corr. Hell. XI, 1887, S. 305 ff.

2) Dessau, Prosopographie 11 S. 144 No. 129.

58

Xiir (IrsrhirJifc (Irr uHtiJ:ri) IlrrrxchrfktiUc: lOü

0 Aus (li'iii Ende des zweiten .Tahrhunderts stammen ('11^. XIII liiMi mit sacenliis ad aram Caesfavis) u(osti'i) und 17(i2: sacenlos ad aram ('aes(ans) n(ostri) |ai)ud tenijplnm Romae et [Aug(usti oder ustorum) injter (■onf1uen[tes ArarisJ et Rlioda[ni], weiter aus severischer Zeit 1712 (vjjl. XII 1851) mit sacerdos [ad aram] Caess. n[u apud templ.] Komae [et Aug. interj conÜu[entes Araris] et Rliod[aui] und 1680: ad aram Oaesarum; vg:l. auch 1717 u. :Ul52. Kndlicli sei noch erwähnt Okkixi I 184 '5 = CIL. XIII 5:358 die abgekiü-zte Form: sacerdostriumprovinciarumGalliarum.

Diese Siclituug des vorliegenden epigraphischen Materials zeigt, dass es sich zunächst in Lyon um eine ara Romae et Augusti') gehandelt hat mit einem Einzelpriester, der den Titel sacerdos führt, und zwar in der ersten Epoche s a c e r d o s R o m a e e t A u g u s t i ad a r a m, abgekürzt sacerdos arae, bezw. einmal sacerdos arensis.-) Dieser Zustand erstreckt sich bis in die zweite Hälfte des ersten Jahrhunders , wie es scheint noch über Vespasian hinaus. Frühestens gegen Ende des ersten Jahrhunderts ist neben dem Altar ein Tempel erstanden,-') und der in Lyon verrichtete Kult bezieht sich nicht mehr auf die Roma und den Augustus, sondern auf die Roma et Augusti.") Sowohl die ara wie das templum stehen in gleicher Weise im Dienste dieses Kultes, weshalb der Kaiserpriester jetzt sowohl sacerdos ad aram wie ad templum Romae et Augustorum genannt wird, aber immer sacerdos ad ... In der zweiten Hälfte des zweiten Jalu'hundert ist noch einmal insofern eine Änderung eingetreten, als der Altar der Verehi-ung des oder der jeweils regierenden Kaiser (Caesaris nostri oder Caesar um nos- trorum) geweiht worden ist, während der Tempel dem Kult der Roma und der Augusti, d. li. der gewesenen Kaiser, gewidmet blieb; daher der

1) Ein Rest der luschrift des Altars ist erhalten: CIL. Xlll 1664; über Münzen mit dem Bild des Altars, geschlagen unter Augustus, Claudius u. Nero Hibscufeld, CIL. XIII p. 227; Reste der riesigen Säulen von grauem ägyptischem Granit, welche die vergoldeten Statuen der Victorien trugen, werden heute im Chore der Kirche von Ainay gezeigt, nahe dem Ufer der Saöne, Gaedthai ses, Augustus II 2, S. 36.5 Anm. 13.

2) Arensis zeigt, dass der Altar sein eignes Territorium hatte, und das ist der pagus Condatensis: über diese Stätte der ara vgl. man die Schilderung bei HiRSfiiFEi.n, Lyon in der Kaiserzeit S. 8, CIL. XIII. p. 227 f., Gakdthauses, Augustus I 2, S. 672 ft'.; Plan bei Des.taedins, Descriptiou de la Gaule III S. 74;'.5 pl. II.

3) Hiermit wird auch der alte Streit wegen des Tempels von Lyon aus der Welt geschatft. Der Text des Straho erwähnt nichts davon, erst Conjektur hat rao? hier herein- gebracht. Altar und Tempel sind nicht gleichzeitig entstanden, wie Krascuesinnikoff a. a. O. S. 151 Anm. 19 will, eine Ansieht, die jene Conjektur vaoi bei Straro nötig macht (an Stelle der alten von Toüp üloog (iiya für die verderbten Worte aXXoi utyas), gebilligt von Hirschfeid CIL. XIII p. 227; das templum ist auch nicht nur ein heiliger Bezirk, wie Büchner, Philol. L, 1S91, S. 758 Anm. 27 will. Die Sache verhält sich so, wie Hirscufeld, SBer. S. 840 sie schildert: ,In unmittelbarer Nähe des Altars hat sich dann ein Tempel [des Augustus] und [vielleicht] ein Amphitheater erhoben", wenn man unter „dann" einen Zeitraum von etwa rund 100 Jahren versteht.

4) Über diesen Plural Augusti vgl. oben S. 106 Anm. 13.

59

110 E. Koniemann,

Titel lies Kaiserpriesters : sacerdos ad aram Caes. n. (Caess. nn.) a 1) u d t e m p 1 u m R o m a e et A u g u s t o r ü m i n t e r c o n f 1 u e n t e s Araris et Ehodani. Aus diesem Ergebnis erhalten -nir für die erste Epoche eine willkommene Bestätigung und Ergänzung der litterarisehen Überlief ei-ung, ferner sehen wir-, dass dieser Lyoner Kaiserkultus und damit aucli die Titulatur des Kaiserpriesters gewisse Wandlungen durch- gemacht haben, die wir- weiterhin auch anderswo wiederänden werdeu.

Sichten wir in gleicher Weise, wie für den Lyoner Kult der Tres Galliae. das epigraphische Material für den Kult der provincia Hispania citerior in Tarraco, so ergeben sich hier vier Gruppen von In- schriften der Kaiserpriester, die sich allerdings zeitlich nicht so scharf von einander sondern lassen, d. h. Inschriften, auf denen der provinziale Kaiserpriester betitelt -n-ii-d:

1) Flamen Augustalis p. H. c. : CIL. II 4234, bezw. Flam. Aug. prov. Hisp. citer. 422(5. in welch' letzterem Fall aber auch die Auflösung Flamien) Aug(ustornm) nicht unmöglich ist, zumal derselbe Mann auf der Inschrift 4225 : Flamen Eomae et Ang(ustorum) pro^inc. Hispan. citer. genannt wird. Die Inschriften gehören etwa dem Anfang des zweiten Jahrhunderts an.

2) Flamen Divornm Aug(ustorum) provinc. Hisp. citer.: 4239, Flamen Divor(um) et Augustorum provinciae Hispan. citerioris: 4190, Flamfen] Augns[to]rum provinc, His[paniae cit.]: 3329, dazu \aeUeicht noch 4226, siehe unter 1.: alle aus dem 1. Jahrhundert, da die in 3329 und 4239 erwähnten Legionen noch des Beinamens entbehren^) und alle die breite, ausgeschriebene Form aufweisen (vgl. auch für 4199 die Er- wähnung des Flamen Di^■i Claudi offenbar im Muuizipalkult von Tarraco).

3) Flamen Eomae et Aug(ustorum) provinc. Hisp. citer.: 4225 Flamen Eomae Divornm et August(orum) provinciae His- pania e citerioris ^die letzeren Worte mehr oder weniger ausge- schrieben, aber nie ganz abgekürzt, wie im folgenden) : 4235. 4228. 4222. 4243. 4250. ä)

Flamfen) Eomae Divori^um) et Aug(ustorum) p. H. c: 4205. 4247. 4249. Flam(en) Eomae et Divor(um) Aug(ustoruni) p. H. c: 419L

Von diesen Inscliriften sind genauer datierbar 4225 (s. o.) und 4249. die einem Manne gesetzt ist, der ,.a divo Hadi-iano atUectus est in coloniam Caesaraugustanam". Es zeigt sich aber, dass sich tue ersten sechs durch die breite ausgeschriebene Form sehr schön an die Inscliriften der zweiten Gruppe anscliliesseu , und dass die Gesamtheit, wenn wir von der mehr oder Aveniger ausgesclu'iebenen Form absehen, sich nur da-

1) Vgl. E. Keil, De Thrac. auxiliis 1885. 27, Cichohids bei Pauly-Wissowa I 1263.

2) Zu 4250, vgl. aber 3584. 3585 für denselben Mann gesetzt in seiner Heimat- gemeinde Dianium, wo er nur flamen p. H. c. betitelt ist.

60

Zur Gcschiclitr, der antilccn Hcrrxchrrl-uJtr,. 111

iliinli von der vorhergeliciulcii iintcrsclieidet , dass iiocli Romae in den 'l'itel aufgenimimen ist.

4) die abgekürzte Bezeiclmuug, znnäclistin der volleren Form: Flamen provinciae Hispaniae citerioris: 4229. 4210. 42()t). 4i;»3. 419.^. 4210. 2637. 2638. 3711. 5124 )). XIV, dann iu der abgekürzten: Flam(en) p. H. c: 4207. 4209. 4213. 4216. 4227. 4231. 4232. 4211. 4202. 4212. 4256. 4245. 4188. 4218. 4240. 4194. 3584. 3585. 4197. 4200. 4230. 4255. 4237. 4238. 4253. 4254. 4257. 4244. 4251. 4189. 4236. 4242. 4515. 4214. 4234. 4215. 4220. 4252. 4204. 4203. 4221. Suppl. 6093. 6094. 6095. 6096. 6150. Bull, de la Soc. des antiqu. 1897. 131 = Rev. Arch. XXXI, 1897, 441 nr. 100 (nach Commodiis). Audi liier zeigt sich, dass die breitere Form die ältere, die abgekürzte die spätere ist: im allgemeinen kann man sagen, dass die Inschriften mit ausgeschriebenem Provinznamen dem ersten, diejenigen mit p. H. c. dem zweiten Jahrhundert (vielleicht auch schon dem Ende des ersten Jahrhunderts) angehören; denn in den In- schriften dieser Gruppe scheint auf alle Fälle die Formel p. H. c. früher eingetreten zu sein, als in den langen Titeln unter Nr. 2 und 3; man vgl. 4250 mit 3584 und 3585, weiter 4251. 4212. Suppl. 6095. 6096.

Dazu kommen hier auch flaminicae in dieser abgekürzten Be- zeichnungsweise :

a) flaminica provinciae Hisp. citerior.: 2427, dazu auf der Inschrift des flamen Augustorum provini-. His[paniae cit.]: 3329 eine tlanüiüca eiusdem provinciae.

b) flaminica p. H. c: 4241. 4233. 4236. 4242. 4198. 4246. 4252.

c) flaminica perpetua p. H. c: 4190.

Das gesamte vorgeführte Material lehrt uns zunächst, dass dieser erste nachaugnstische Kult nicht wie der Lyoner durch einen sacerdos, sondern durch einen flamen besorgt wurde, und zwar durch einen flamen Augustalis ; denn nur die Insclmft CIL. 11 4223 (vielleicht auch 4226 s. oben) hat den ursprünglichen Titel des Priesters erhalten. Flamen Angustalis aber ist soviel \de flamen Di vi Augusti, wie der pro- vinziale Kaiserpriester anderswo heisst.i) Auch in dieser Beziehung ist der Kult von Tarraco die Kopie des hauptstädtischen. Die unter 2 und 3 zusammengestellten Inschinften zeigen, dass aber auch der Kult der Hispania citerior "Wandlungen durchgemacht hat. Auch liier sehen wir etwa von flavischer Zeit ab an Stelle des Divus Augustus die Divi Augusti, resp. die Divi et Augusti oder Augusti allgemein treten. Dazu kommt dann im Anfang des zweiten Jahrhunderts der Kult der Roma : entweder unter Trajau oder Hach-ian. Krascheninnikoff-) hat aber schon nachgewiesen, dass alle "Wahrscheinlichkeit dafür spricht.

1) CIL. II 473 fl(amen) divi Aug(usti) prov(inciac) Lusitaniae; vgl Krasche-

NINNIKOFF S. 155 S.

2) S. 175 Anm. 132.

61

nni/iiian».

in Hailriau den Neubegrihuler tles siiauisclieu Kultes von Tarraco zu sehen, da unter ihm der Eomakult einen neuen Aufschwung nahm '). und da er den Augustustempel von Tarraco auf eigne Kosten Aviederhergestellt hat.-) Solange wir- keine Insdirift mit einem flanien E o m a e Divorum et Augustorum etc. haben, die bestimmt der vorhadi'ianischen Zeit zuzuweisen ist, werden wir uns bei dieser Annahme beruhigen müssen. Die flaminica, die wir nach obiger Zusammenstellung fi-ühestens für die flavische Zeit nachweisen können, ist Avie schon Maequaedt') gesehen hat. wohl nach der Apotheose der Livia dm-ch Claudius dem Flamen für den Kult der Diva Augusta zur Seite getreten ; in der Eegel war es die Frau des Flamen*) und sie bekam sjiäter die Besorgung des Kultes aller Divae, sogut wie der Flamen für den Kult aller Divl et Augusti bestellt war. Ehe wh- aus dem hier Gegebenen die Nutzanwendung für die bis jetzt nicht datierbaren Proräizialkulte machen, betrachten wir- zunächst noch zwei nach dem vorliegenden inschi-iftlichen Material datierbare Provinzial- kulte: den der pro^incia Afi-ica proconsularis und den von Dakien. Für Afrika haben wii- folgende Inschriften mit Kaiserpriestern:

sacerdos provinciae Afric(ae) anni XXXVIIII: CIL. YIII Suppl.

14iill (aus Simitthus),

sac(erdos) p(rovinciae) A(fricae) a(niii) ('XIII: ebda 12030 (aus Funii

et Liuiisa, heute Hr. Budja),

sacerdos provinciae Africae: ebda 14 731 (aus Ghardiniau).

Apuleius als sacerdos provinciae gegen Ende des 2. .Tahrh.: Augustin,

ep. 138. 4. 19,

Das sacerdotium provinciae wird erwähnt ( IL. VI 1736 (a. d. .1. 3(38 u. Chr.). 2) Dazu kommen folgende Inschriften von gewesenen Kaiserpriestern = sacerdotales:

sacerdotal(is) prov(iuciae) Afric(ae): CIL. VIII Suppl. I(i472

= 1827 (aus Althiburus),

sacerdotalis provinciae Afi'icae : CUj. VIII 4252 (aus Verecriuda)

sacerdot[a]lis p(rovinciae) A(fi'icae): ebda. 2343 (aus Thaniugadi)^)

sacerdotalis p(rovüiciae) A(fi"icae) v(eteris): ebda. Suppl. 11546 (aus

Amraaedara)

sacerdotalis p(rovinciae) A(fricae): ebda 53:!8 (etwa 370 n. Chr.) Nicht hierher gehört der:

sac(erdotalis) prov(inciae) : CIL. VIII Suppl. 11025 = 27 (aus Crigthi

aus dem J. 383/8), wo wohl die pro\'incia Tripolitana gemeint ist

Sehr unsicher sind die Ergänzungen CIL. VIII 908 u. Suppl. 11 032 = 31.

1) Pbeller-Jurdan, Rom. Myth. II' 3.57.

2) Hist. Aug., vita Hadriani 12. 3.

3) Eph. epigr. I. S. 200; falsch Hirschfeld, SBer. Berl. Ak. 1888, S. 850.

4) Vgl. CIL. U4233, dazu Suppl. 6093; 4236. 4242. 4198. 4252. 3329.

5) Über diese Inschriften von dem Boden Numidiens vgl. unten S. läSf.

62

Zur Geschichte der antihcn HerrscherkuUe.

113

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Die aufgeführten Priester gehören alle dem zweiten Jahrluuidert an. Der Unistand, dass die beiden ersten ihr Amtsjahr, doch wohl gerechnet von der Begründung des iCultes in Afrika, angeben, ermöglicht ziemlich genau die Zeit der Einsetzung dieses Kultes zu ermitteln. Durch Heran- ziehung der Inschriften CIL. VIII Suppl. 12 028. 12 029 und besonders 12:!(i lässt sich die Inschrift des zweiten oben angegebenen sacerdos auf eines der Jahre 183 185 n. Chr. festlegen, wodurch wir- auf die Zeit 70 72 n. Chr. als die Gründungsjahre des afrikanischen Kultes kommen.^) Der demnach von Vespasian eingerichtete Kaiserkult zeigt aber einen grossen Unterschied gegenüber demjenigen von Tarraco. Nicht mehr f 1 a m e n , sondern wieder, Avie unter Augustus, sacerdos ist der Kaiserpriester betitelt und zwar einfach sacerdos proviuciae Africae, höchstens mit Angabe des Priest er jähr es.-)

Wie kommt es, dass in Afi-ika allein unter allen rouiauisierten I'roviuzeu des Westens der Kaiser kult so spät eingeführt worden ist, in demselben Land, in dem, vde wir sehen werden, dieser Kult oder besser gesagt das mit ihm eingeführte Provinzialpriestertum eine so lange Nachblüte gehabt hat? Gakdthausen-') hat schon auf die Angabe Suetoks *) aufmerksam gemacht, dass Augustus neben Sardinien nur die afrikanischen Provinzen auf seinen grossen Eeisen nie besucht hat, und weiter darauf, dass die Zahl afrikanischer Inschriften aus der Zeit des Augustus auffallenil kleiu sei. Fa- vermutet, dass der erste Prinzeps die Schwierigkeit der Komanisierung hier über- schätzt, und daher sich weniger für diese Provinzen interessiert habe. Umgekehrt scheinen aber auch die Bewohner hier nicht, wie in den andern Provinzen, dem Kaiserhaus ihre Verelu'ung zugewandt zu haben. Das beweist ein Blick auf die afi-ikauischen munizipalen Kaiserkulte in der ersten Zeit des Prinzipats. Wähi-end die caesarische Kolonie Cü-ta üi Numidien frühzeitig einen Kult des Divus Julius gehabt bat, 5) fehlt bis jetzt im übrigen Afrika jegliche Spur von munizipalen Kaiser- kulten aus der augustischen Zeit: keine einzige Inschrift auf einen munizipalen Roma et Augustus-Kult bezüglich hat bis jetzt der Boden von Afrika geliefert, dagegen ist eine Inschrift'') „Eomae et imp.

1) Vgl. JoH. Schmidt zu der Insebrift.

2) Die Beifügung der Jabre, die seit der Begründung des Priestertums verflossen sind, ist offenbar spezifisch afrikanische Sitte; vgl. CIL. VIII 805 aus Avitta Bibba : sacerdos Cereris c(olonia) Jfulia) K(a"rthagiiie) auui CLXXXXVII. Wahrscheinlich war dieser karthagische Kult der Ceres älter als unser Provinzialkult, und daher das System der Jahreszählung aus jenem herübergenommen.

3) Augustus und seine Zeit I 2 S. 701.

4) Augustus 47.

5) CIL. VIII 7986: flamen Divi Juli, über die Inschrift unten S. 128f.; vgl. eine flaminica di|vae Augustae]: CIL. VIII 6987 = Suppl. 19492 aus d. Jahre 42 n. Chr., dem Jahre ihrer Consekration.

6) CIL. VIII Suppl. 11912 aus Mograwa, nordwestlich von Mactaris. alteo Geschichte I. ^

63

«i._.^

112 E. Kornnmnin,

in Hiulrian den Neubegrihuler des si)aiiisc]ieii Kultes vou Tarraco zu sehen, da unter ihm der Eomakult einen neuen Aufschwung: nahm '), und da er den Augustustempel von Tarraco auf eigne Kosten Aviederhergestellt liat.-) Solange wii- keine Inschrift mit einem flamen E o m a e Divorum et Augustorum etc. haben, die bestimmt der \orhadrianischen Zeit zuzuweisen ist. werdeu wir ims bei dieser Annahme beruhigen müssen. Die f laminica. die wir nacli obiger Zusammenstellung fi'ühesteus für die flavische Zeit nachweisen können, ist wie schon Maequardt'') gesehen hat, wohl nach der Apotheose der Livia diu'ch Claudius dem Flamen für den Kult der Diva Augusta ziu- Seite getreten; in der Eegel war es die Frau des Flameu^) und sie bekam später die Besorgung des Kultes aller Divae, sogut wie der Flamen für den' Kult aller Divi et Augusti bestellt war. Ehe wü" aus dem hier Gegebenen die Nutzanwendung für die bis jetzt nicht datierbaren Pro^inzialkulte machen, betrachten T\'ir zunächst noch zwei nach dem vorliegenden inschi'iftlichen Jlaterial datierbare Provinzial- kulte: deu der pro^iucia Afi-ica proconsularis und den von Dakien. Für Afrika haben wü- folgende Inschriften mit Kaiserpriesteru :

s a c e r d 0 s p r 0 V i n c i a e A f r i c (a e) a n n i XXXVIIII : CIL. ^'11 1 Supid.

14tjll (aus Simitthus),

sac(erdos) p(rovinciae) A(fricae) a(nni) CXIII: ebda 12(i30 (aus Furni

et Limisa, heute Hr. Budja),

sacerdos provinciae Africae: ebda 14 731 (aus Ghardimau),

Apuleius als sacerdos provinciae gegen Ende des 2. Jahrh. : Augustin,

ep. 138. 4. 19,

Das sacerdotium provinciae wü'd erwähnt CIL. VI 173G (a. d. J. 368 u. Chr.). 2) Dazu kommen folgende Inschi-iften von gewesenen Kaiserpriestern = sacerdotales:

sacerdotal(is) prov(iuciae) Afric(ae): CIL. VIII Snppl. I(i472

= 1827 (aus Altliiburus),

sacerdotalis provinciae Africae: CIL. VIII 4252 (aus Verecuuda)

sacerdot[a]lis p(roviaciae) A(fi-icae): ebda. 2343 (aus Thamugadi)^)

sacerdotalis p(i'ovinciae) A(fi"icae) v(eteris): ebda. Suppl. 11546 (aus

Ammaedara)

sacerdotalis p(roviuciae) A(fricae): ebda 5338 (etwa 37o n. Chr.) Nicht hierher gehört der:

sac(erdotalis) prov(inciaeJ : CIL. VIU Suppl. 11(125 ^ 27 (aus Gigtlii

aus dem J. 383/8), wo wohl die pronncia Tripolitana gemeint ist

Selu" unsicher sind die Ergänzungen CIL. VIII 908 u. Suppl. 11 032 = 31.

1) Preller- Jobdan, Rom. Myth. II' 357.

2) Hist. Aug.. vita Hadriani 12. 3.

3) Eph. epigr. I. S. 200; falsch Hikschfeld, SBer. Berl. Ak. 1888, S. 850.

4) Vgl. CIL. II 4233, dazu Suppl. 6093; 4236. 4242. 4198. 4252. 3329.

5) Über diese Inschriften von dem Boden Numidiens vgl. unten S. 128f.

62

Zur Geschichte der aiifikcn HerrscherhuUc. 113

Die auffrefi'ilirten Priester geliören alle dem zweiten Jahrhundert an. Der Umstand, dass die beiden ersten ihr Amtsjahr, doch wohl pferechnet von der l^egründung des Kultes in Afrika, angeben, ermöglicht ziemlich genau die Zeit der Einsetzung" dieses Kultes zu ermitteln. Durch Heran- ziehung der luscliriften CIL. YIII Suppl. 12 028. 12 029 und besonders 1280 lässt sich die Inschrift des zweiten oben angegebenen sacerdos auf eines der Jahi'e 183 185 n. Chr. festlegen, w-odurch wir- auf die Zeit 70 72 n. Chr. als die Gründungsjahre des afrikanischen Kultes kommen. •) Der demnach von Yespasian eingerichtete Kaiserkult zeigt aber einen grossen Unterschied gegenüber demjenigen von Tarraco. Nicht mehr flamen, sondern wieder, wie unter Augustus, sacerdos ist der Kaiserpriester betitelt und zwar einfach sacerdos provinciae Africae, höchstens mit Angabe des Priesterjahres.-)

Wie kommt es, dass in Afrika allein unter allen romanisierten Provinzen des Westens der Kaiserkult so spät eingeführt worden ist, in demselben Land, in dem, wie wir sehen werden, cUeser Kult oder besser gesagt das mit ihm eingefütrte Provinzialpriestertum eine so lange Nacdiblüte gehabt hat? GA.HDTHAUSEN-') hat schou auf die Angabe .Suetons*) aufmerksam gemacht, dass Augustus neben Sardinien nur die afrikanischen Provinzen auf seinen grossen Keisen nie besucht hat, und weiter darauf, dass die Zahl afrikanischer luschi-iften aus der Zeit des Augustus auffallend klein sei. Er vermutet, dass der erste Prinzeps die Schwierigkeit der Eomanisierung hier über- schätzt, und daher sich weniger für- diese Provinzen interessiert habe. Umgekehi-t scheinen aber auch die Bewohner hier nicht, wie in den andern Provinzen, dem Kaiserhaus üire Yerelu-ung zugewandt zu haben. Das beweist ein Blick auf die afrikanischen munizipalen Kaiserkulte in der ersten Zeit des Prinzipats. Wähi-end die caesarische Kolonie Cu'ta in Numidien frühzeitig einen Kult des Divus Julius gehabt hat,^) fehlt bis jetzt im übrigen Afrika jegliche Spur von munizipalen Kaiser- kulteu ans der augustischen Zeit: keine einzige Inschrift auf einen munizipalen Eoma et Augustus-Kult bezüglich hat bis jetzt der Boden von Afrika geliefert, dagegen ist eine Inschi-ift") „Eomae et imp.

1) Vgl. JoH. Schmidt zu der Inschrift.

2) Die Beifügung der Jabre, die seit der Begründung des Priestertums verflossen sind, ist offenbar spezifisch afrikanische Sitte; vgl. CIL. VIII 805 aus Avitta Bibba: sacerdos Cereris c(olonia) J(ulia) K(a"rthagine) anui CLXXXXVII. Wahrscheinlich war dieser karthagische Kult der Ceres älter als unser Provinzialkult, und daher das System der Jahreszäblung aus jenem herübergenommen.

3) Augustus und seine Zeit 1 2 S. 701.

4) Augustus 47.

5) CIL. VIII 7986: flamen Divi Juli, über die Inschrift unten S. 128f.; vgl. eine flaminica di|vae Augustae]: CIL. VIII 6987 = Suppl. 19492 aus d. Jahre 42 n. Chr., dem Jahre ihrer Consekration.

6) CIL. VIII Suppl. 11912 aus Mograwa, nordwestlich von Mactaris. Beiträge z. alten Geschichte I. °

63

114 E. Kornemann,

Ti. Caesari Augusto" gewidmet, eine Verbindung, die wir sonst nirgends finden. Die in den übrigen Provinzen für die augustische Zeit cliarakteristisclie Form des Kaiserkultes traf also in Afrika erst unter Tiberius ein. Wenn wir aber von diesem sijigulären Fall absehen, so hat otfenbar von der Verehrung des Divus Augustus der Kaiserkult der afri- kanischen ]\Iumzipien seinen Ausgang genommen, und zwar scheint mii- der Munizipalkult des Divus Augustus in Karthago der älteste und vielleicht eine Zeit lang der einzige gewesen zu seiu.^) Ja ich möchte soweit gehen zu behaupten, dass bei der grossen Ausdehnung des Territoriums von Kar- thago in der ersten Kaiserzeit der munizipale Divus Augustus-Kult der Hauptstadt in der anfangs so städtearmen Provinz den Pro\anzialkult bis zu einem (^rad ersetzt hat-), bezw. dass, wie wir das später für Ch'ta und Numidien wahrscheinlich zu machen gedenken, der karthagische Munizipalkult ein quasiproviuzialer war, bis endlich Vespasian die Provinz wirklich mit einem eignen Kult ausstattete. Wer diese Hj'-pothese nicht für genügend begründet hält, niuss sich bei dem jetzigen Stand des Materials mit dem allgemeinen Hinweis darauf begnügen, dass Afrika,

1) Flamen Divi Augusti ciolonia) I(ulia) [Kfarthagine)]: CIL. VIII 1494, 2. Jahrh. (nach d. Jahr 138), aus Thugga, Suppl. 15 529; vgl. die Inschrift für den flamen Divi Vespasiani C. I. K., unter Antoninus Pius gesetzt vom pagus et civitas Thugg(ensis) : Bull. trim. de la Soc. d'Oran 1893, S. 173 = Rev. Arch. XXII, 1893, S. 392 No. 101 ; weiter den augur C. I. K.: CIL. VIII 1497. Daher gehört auch der flamen Divi Augusti auf der neu gefundenen Inschrift von Thugga: Revue Arch. XXXV, 1899, S. 489 No. 124, aus dem Jahre 48 n. Chr. schon, trotz des Fehlens des Zusatzes C. I. K., sicher nach Kar- thago. Der Zusatz C. I. K. im zweiten Jahrhundert erklärt sich einfach dadurch, dass die unterdessen vom pagus zum , pagus et civitas' avancierte Ortschaft Thugga nun- mehr auch einen eignen flamen perpetuus hat (CIL. VIII 1494: pajtrono pagi [et] [civitjatis flami[ni perpejtuo flamiu|i Di]vi Aug. C. I. [K.]).

2) Die ältesten Zeugnisse für den Divus Augustus-Kult in der prov. proconsularis sind bis jetzt: CIL. VIII 15775: Divo Augusto sacrum, gesetzt vom conventus civium Romanorum et Numidarum in Masculula, frühestens aus tiberischer Zeit; der erwähnte flamen Divi Augusti von Thugga aus d. J. 48 n. Chr. (s. Anm. 1); CIL. VIII 14727 ein flamen Augu[stalis] aus Ghardimaou v. J. 51 2, vgl. 14731 ebendaher; flamen Aug. p. p. sacerdos provinciae Africae, also nach Vespasian; CIL. VIII 15268 eine ara Divi Aug(usti) in Thubursicum Bure. Von diesen Ortlichkeiten gehören die drei zuletzt genannten sicher zur tribus Arnensis, d. h. derjenigen, in die Karthago eingeschrieben war (Kubitschek, Imp. Rom. tributim discr. p. 147 f.), sind daher, wie ich im nächsten Heft des Philologus nachzuweisen gedenke, dem Territorium von Karthago zum mindestens attribuiert gewesen (so auch schon vermutungsweise Kubitschek a. a. 0. S. 148). Im Laufe des ersten Jahrh. haben dann aber diese abhängigen Ortschaften, wie die ara Divi Augusti von Thubursicum, der flamen perpetuus von Thugga (s. Anm. 1) und der flamen Aug. perp. utriusque partis civitatis Thignicensis (CIL. VIII 1419, etwa aus dem Anfang des 2. Jahrh.), vielleicht auch 14731 aus Ghardimaou zeigen , ihren eignen Kult eingerichtet. Ausserhalb des ursprünglich karthagischen Gebiets begegnet in Nordafrika allein in der civitas libera Leptis minor auf einer Inschrift des 2. Jahr- hunderts (CIL. VIII. Suppl. 11114) ein ausdrücklich flamen perp. Divi Aug. ge- nannter Munizipalpriester; vgl. auch G.\uckleb, Bull. d. Antiqu. de France 1898, S. 114: Divo Augusto conditori Siccenses (Veneria Sicca).

64

Zur Geschichte der ftnUhcn Hcrrschcrhiltc. Il5

wii' in dt T cliristlichen, so aucli in der lifiduisclieii ]{eli?ionsofeschichte stets eine von der sonstigen Entwickehuio: etwas abweichende Kurve zeigt,') offenbar eine Folg:e davon, dass es die einzige grössere senütisclie Oase im Abendland war.

Für Dakieu, dessen Ivult man bis zum Beweis des Gegenteils als trajauische Gründung ansehen wird, haben wir folgendes Material:

sacerdos arae Aug(usti): CIL. III 1209 (aus Aimluni, Mihestens

aus dem Ende des zweiten Jahrhunderts), 1513 (aus Sarmizegetusa,

Zeit des Caracalla).

sacerdos arae Aug(usti) ii. coronatus Dac(iarum) trium:

1433 (ebendaher, aus der Zeit 238—244; vgl. dazu das Fragment 1509).

Dagegen gehört nicht hierher Eph. epigr. l\ nr. 412; die richtige

Lesung: CIL. III Suppl. 7728.

Wir begegnen also hier wieder einer ara als Kultstätte, wie in Lyon, sowie der ebenda auch schon vorhandenen Bezeichnung sacer- dos arae. Sowohl mit dem gallischen Kult des Augustus, wie mit dem atVikanischen des Vespasian hat der trajauische ^•on Dakien den Titel sacerdos gemein. Neu ist, dass wenigstens sicher im dritten Jahr- hundert — dem regierenden Kaiser der Kult gewidmet ist, und dass der Provinzialpriester auch coronatus (1433) betitelt ist. Schon Hibsch- feld') hat richtig bemerkt, dass derselbe Titel auch dem afrikanischen Oberpriester, sicher im dritten Jahrhundert, zugekommen ist.^) So ge- hören, was cUe Knltstätte betritt, der gallische und dakische Kult zu- sammen; Avas den Kultpriester betrifft., stehen sich der afrikanische und dakische am nächsten. Woher aber diese neue Form des Kaiserpriester- tums stammt, verrät deutlich der Titel coronatus: es ist der ff r «ff a)/»;- (fögog der orientalischen Kulte. Der römische flameu mit Apex und Kopfbinde macht Platz im afrikanischen und dakischen Kult dem orien- talischen »Acerdos (cioxiEQevg), der als Zeichen seiner Würde den goldenen Kranz trägt, und zwar ist der sacerdos der beiden Kulte offenbar von vorn- herein ein Träger der corona, wenn auch die Bezeichnung coronatus erst im dritten Jahrhundert durch uns nacln\eisbar ist. Denn wir wissen schon von Domitian*), dass er selbst bei den capitolinischen Spielen präsidierte: capite gestans coronam auream cum effigie Jovis ac Jummis Miner-

1) Vor allem durch das starke Festhalten an dem Baal- oder Saturnus-Kult; darüber J. Tout.üx, De Saturni Dei in Africa Komana cultu, Paris 1894, vgl. auch ToüT.uN, Les cites Romaines de la Tunisie S. 206 ff. und A. Schulte.n, Das römische Afrika S. 20 ff.

2) A. a. 0. S. 858.

3) Tektullias, de idolol. 18 .spricht von coronae auroae saeerdotum provincialium. Dazu kommt jetzt noch die Erwähnung der corouati provinciac im ordo salutationis von Thamugadi: CIL. VIII, Suppl. 17896 ^aUerdings erst aus der Z.-it Juliaus).

4) SoETON, Domit. c. 4.

8* 65

116 E. Korncmann,

vaeque.M In der flavisohen Zeit ist zum zweiten Jlal im römischen Kaiserkiilt der übermäclitige Einfluss des Ostens über den "S^'esten lierein- gebrocben und bat den mit römiscbem Eitus ausgestatteten, unter Tiberius aufgekommenen, offiziellen Divus Augustus - Kult ersetzt durcb den- jenigen, dem als Priester der agyisgivg (rTscfavtjcfögog des Ostens vorstebt und der das dürfen wir Avobl gleicb hinzufügen nicht mehr auf den Divus Augustus allein, sondern auf die Augusti {^eßaazoi), die Ge- samtheit der Divi und zugleich den jeweils regierenden Augustus, sich bezog.-) Damit stimmt vorzüglich überein, dass auch die älteren Kulte, sowohl die Roma et Augustus-Kiüte der augustischen Zeit ^vie die nach- augustischeu Divus Augustus-Kulte, wie wir sahen, ebenfalls etwa in der fla'\isch-trajanischen Epoche zu solchen der Roma et Augusti, bezw. der Divi Augusti oder Augusti sich umgestalteten. Endlich unterstützt auch die Betrachtung des stadtröuiischeu Kaiserkultes das gewonnene Resultat : Vespasiau baute den von Nero zerstörten Tempel des Divus Claudius wieder auf-^) und stellte denselben somit den übrigen Di\-i der gestürzten ersten Kaiserdynastie auch in dieser Hinsicht gleich. Nach dem Tode des ersten flavischen Kaisers wiu-de das templum Dm Vespasiani auf dem Forum am Fuss des tabularium begonnen, das Domitian zu einem solchen der Divi Vespasianus et Titus machte.'') Derselbe Domitian baute auch das Privathaus seines Vaters auf dem Quirinal zu einem templum gentis Flaviae, d. h. einem Heiligtum und zugleich einem Mausoleum für sein Geschlecht, um.*) Daneben aber wui-de und das ist das wichtigste das vornehmste Heiligtum des stadtrömischen Kaiserkultes, der alte Tempel des Divus Augustus am Palatin, in das unter Claudius schon die Diva Augusta ihren Einzug gehalten hatte''), zu einem Tempel auch für alle übrigen Divi, indem jeder neue Divus in oder bei dem Di^Tis Augustus-Tempel eine eigne Kapelle erhielt.^) So ist es erklärlich,

1) Auch die sacerdotes Matris Magnae tragen die eorona aurea, vgl. CIL. XIII 1751 V. J. 160 n. Chr., CIL. X 3698 aus d. J. 289 u. Chr.; dazu Marqcardt-Wissowa, Rom Staatsverwaltung 111= S. 395.

2) Darüber vgl. S. 130 flf.

3) SüETON, Vespas. 9. Der Tempel erhob sich auf dem Caelius, Feontin, de aquae- ductibus 20. 76, vgl. Gilbert, Gesch. und Topographie der Stadt Rom III, S. 124 m. Anm. 1.

4) Darüber Pbeller-Jokdas, Rom. Mythol. 11^ S. 435.

5) Gilbert a. a. 0. lU, S. 124 f.

6) CIL. VI 4222: aedituus templi Divi Aug(usti) [etj Divae Augustae, quod est in Palatium, CIL. VI 2035, 13ff. : in Palatio L. Vitellius magister pro collegio fratrum Arvalium immolavit Divo Aug(usto) bovem marem et Divae Aug(ustae) vaecam.

7) Das geht aus dem Dekret de.'i collegium Aesculapii et Hygiae (CIL. VI 10234) hervor, wo es heisst, quod gestum est in templo Divorum in aede Divi Tili; vgl. auch Dio Cassius LXXVI o. Erkannt haben die Identität des templum Divi Augusti in Palatio mit dem templum Divorum in Palatio Marqüardt-Wissowa, Rom. Staats- verwaltung inä S. 468, Gilbert, Gesch. u. Tupogr. der Stadt Rom lU, S. 131—133,

66

Zur Geschichte der antiken Herrscherkultc. 117

dass statt temiilum Divi Aii<iusti auch die Bezeichnung: temj)lum oder aedes Caesar um bezw. Di vor um '), und zwar vielleicht schon am Ende der ueronischen Ee.sjierunsr.O sicher aber in der flavischeu Zeit und im ■2. .lahrhundert') vorkommt. Die :\[öo:liehkeit ist daher nicht ausge- schlossen, dass, wie unter Tiberius, bei der Ausbreituns,' des Divus Augustus- Kultes, so in der flavischen Zeit bei der Ersetzung desselben durch einen Kult der Gesamtheit der Divi in den Provinzen das Vorbild der Haupt- stadt auch eine Eolle gesi)ielt hat, wenn nicht beide, Hauptstadt wie Provinzen, in gleicher A\'eise und zu gleicher Zeit von dem Osten beeintiusst worden sind.

Wii- fassen die bis jetzt gewonnenen Kesultate in umstehender t'ber- sicht zusammen (s. S. 118).

Aus diesei- Übersiclit ergeben sich zur I)atierung der übrigen l'rovinzial- kulte folgende Thesen:

1. "Wo eine der Koma und dem Augustus zugleich ge- weihte ara in einer Landschaft, zumal einer provinzial nicht geschlossenen, erscheint mit einem sacerdos Eomae et Augusti als Kultleiter, ist a priori, solange nicht das Gegenteil bewieseu ist, eine augustische Kultgründung anzunehmen.

2. Wo ein pro vinzialer Kaiserkult mit einem templum Divi Augusti und einem flamen Divi Augusti oder flamen Augustalis provinciae, bezw. aus späterer Zeit einem flamen Divorum Augustorum provinciae oder allein flamen provinciae sich nachweisen lässt, ist die Gründung in die Zeit 15 69 n. Chr. zu verlegen.

3. Wo endlich in einem Provinzialkult ein sacerdos Augusti provinciae oder sacerdos provinciae auf tritt, ist, soweit nicht die frühere Begründung des betreffenden

AüST, Stadtröm. Tempi-lgrimdungeu d. Kaiserzeit S. Vf.; vgl. dagegen Jord. 4 x, Hermes XIV (1879) S. 582, Pbeller- Jordan, Rom. Mythol. 11^ S. 447 Anm. 3, auch Hexzen, Acta fratr. Arval. p. 11.

1) Acta fr. arv. Antoiii.ii Pii A, Hexzes p. CLXXH = CIL. VI 2087 , 4. in Palatio in divorum; vgl. ebda, zum Jahre 218, He.nzex p. CC'II = CIL. VI 2104, 6; auch Dio Cassiüs LXXVI 3.

2) Wenn die Caesarum aedes, die bei Sueton, Galba 1 genannt wird, mit unserem Tempel identisch ist; vgl. Gilbert a. ?.. 0. S. 131 Anm. 4 u. S. 132 Anm. 1 u. 8, Aust a. a. 0.

3) Domitian errichtete nach einem Brande des Tempels eine besondere Divorum porticus, Gilbert a. a. 0. S. 132 m. Anm. 2 u. 3, anders Alst a. a. O. S. XIV. Der Tempel scheint aber offiziell noch weiterhin den Namen templum Divi Augusti gefiihrt zu haben, weil die, seit dem Jahre 90 etwa, hier aufgestellten Militärdiplome sämtlich die Subskription „in muro post templum Divi Augusti ad Minervam" tragen.

67

118

E. KoriwmatDi.

Kultbezirk

Kult- heiligtum

Priester

Gegenstand

der Verehrung

Nicht nur Provinzen, sondern auch ethno- graphische Einheiten (im Osten xoivä, im Westen Tres Galliae).

ara

s a c e r dos

Romae et Augusti

ad aram

Roma et Augustus

>

3 B

s.

2.

5'

•-d ►-( o

<

5'

3 3

flamen Augustalis provinciae

= flamen Divi Augusti provinciae,

abgekürzt flamen provinciae;

daneben seit Claudius eine

flaminica provinciae

Divus Augustus

(Nur in Britannien: Claudius,

bezw. Divus Claudius)

2! b3

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0 "■ Ei „^

^ 3

1 5

1) In den Kulten aus den vorigen

Epochen :

sacerdos arae

sacerdos ad aram oder ad tem- plum Romae et Augustorum

Ihunen Divorum Augustorum, Divorum et Augustorum oder bloss Augustorum

2) Poi Neugründungen immer:

sacerdos (arae) provinciae

Augustus noster

oder

Divi Augusti bezw. Augusti

iS!

CK

ara für den Kult des

regierenden Kaisers, templum für die Divi

ebenso ; abgekürzt

1) flamen provinciae

bezw.

2) sacerdos provinciae

Ebenso ;

in Tarraco: Roma et

Augusti

c N

68

Xio- (Ir.s-rliirhfe der anfiJcen Hcrrselicrhdir,. UU

l)roviiizi;ilcn Ka is.Tk ul t s a iis anderen Tiidizi cn erwiesen ist . an eine Oruanisat ion der fla viscli-t rajanisclien Epoche z u d e n k e n.

4. Die bisher nicht datierbaren rroviuzialkulte des Westens aus der besseren Kaiserzeit.

Zu 1 . Somit sind a n p u s t i s c li e n Ursprung-s die Eonia et Augustus- Kulte in den Konventen im Nordwesten der Tarraconensis. Für diese Gebiete liegt jetzt folgendes inseliriftliclie Material vor:

a) c 0 n V e n t u s L u c e n s i s :

sacerdos Romae et Aug. ad Lncnm Aag(nsti): CUj. II 26B8 ans dem Ende des ersten Jalirlumderts.

sa[c(erdos)] Eomae et Au[g(nsti)j ex (conventu) LncensfiJ: Bull de la Soc. des autiqnaü-es 1897 S. 131 = Rev. arcli. XXXI, 1897, S. 441 nr. 100 (nach Commodns).

b) conventus Astur um:

aus Astiu'ica:

sacerdos] urbis Romae [et Aug.]: CIL. II 2637 aus dem Ende

des ersten Jabrhuuderts.

s]acerdos Rom(ae) et Ang(usti): CIL. II 5124 p. XLV.

aus Tarraco:

sacerd(os) Rom(ae) et Aug(usti) convent(us) Asturum: ebenda 4223

(aus dem Anfang des 2. Jahi-hunderts).

sacerdos Rom(ae) et Aug(usti) convent(us) Asturum: ebenda Suppl.

6094 (aus dem 2. Jahi-hundert).

sacerdos Romae et Aug(usti): ebenda 4248') (wahrscheinlich auch

aus dem zweiten Jahrhundert).

c) conventus Bracaraugustanus:

aus Bracara Augusta:

Priester :

s]acerdos [Ro]mae Aug(usti) Caesa[rnm]: CIL. II 2426 (wegen des

1) Die Inschrift, welche bis 1803 voihaiideu war und welche lautet : C. Val. Arabino Flaviani f. Bergido F. omnibus hon(oribus) in re p. sua func. sacerdoti Romae et Aug. p(rovinia) H;ispania) c(iterior). Ob curam tabulari censualis fideliter administr. statuam inter flaminales viros positam exornand[a]m univers(i) censuer(unt) , ist stets fölschlich unter den Inschriften der Provinzialpriester aufgeführt worden, weil man P. H. C. durch den Genitiv auflöste (auch noch von mir selbst im Art. Concilium bei Pa[:ly-Wissowa Bd. IV Sp. 818). Das Richtige hat jetzt Hübner CIL. II Suppl. p. 973 (vgl. auch ebenda p. 1140). C. Valerius Arabinus war niemals Provinzialpriester von Hispania citerior, sondern er hatte wegen seiner vorzüglichen Amtsthätigkeit als tabularius der Provinz ausserordentlicher Weise die Ehre einer Statue „inter flaminales viros' auf allgemeinen Beschluss des Provinzialkonzils erhalten. Er hatte aber, ehe er tabularius provinciae in Tarraco wurde, in seinem Heimatort Bergidum Fflavium; im conventus Asturum alle Munizipal-Ämter bekleidet und war dann sacerdos Romae et Augusti, natürlich des conventus Asturum, geworden.

69

120 E. Kornnmann,

peregrinen Xaiuens des Priesters und des Zusatzes Caesarum wohl

aus flavisclier Zeit etwa).

Priesterin:

sacerd(os) perp(etua) Eom(ae) et Augg. coiiventus Braccarae Aug.:')

ebenda 2416 (Wende des 1. zum 2. Jalirliundert i.

aus Tarraco: Priester:

sacerdos conventus Bracari : ebenda 421.5 (zweites ,Talu-]iundertl dj conventus Cluniensis:

aus Tarraco:

sacerdos Eomae et August i ap. [Au]gustan. ar(am\ aus Int er-

catia im Gebiet der gens Vaccaeorum: ebenda 8uppl. 6008.

Alle vier aufgeführten Konvente waren in augustiseher Zeit im Gegensatz zu den drei übrigen von Hispania citerior, gerade wie die Tres Galliae, nach Yolksgemeiiiden oder Yolkscliaften (eint at es. geutes) or- ganisiert (der Chmieusis allerdings schon im Übergang zu dem städtischen System).-) Gerade das ist eine vorzügliche Stütze fiü- den augustischen Ursprung der Kulte hier und zugleich eine gute Bestätigung des von Kr-ivscheninnikoff aufgestellten Satzes, dass im Occident in den Barbareu- gebieten an der Peripherie des Eeiches die Begründung des Kaiserkultes begonnen hat. Weiter ist unserer Auffassung der Umstand günstig, dass die neue sakrale Organisation auch hier nicht die künstlich zu A''er- waltungszwecken geschaffenen Provinzen als Kultbezii-ke vorsieht, sondern entsprechend dem über die Einzelprovinz hinausgreifenden Vorgehen in den Tres Galliae hier kleinere Gebiete, wie sie den ethnographischen Verhältnissen dieses Bergiandes entsprechen, um ein Kultcentrum gruppiert. Endlich erhalten die Namen Lucus Augusti. Bracara Augusta, Asturica August a bei dieser Lage der Dinge eine erhöhte Bedeutung.-') Damit wären aber die Kulte dieser vier Nordwestkonvente als älter erwiesen als derjenige der Gesamtprovinz Hispania citerior. In den städtisch organisierten drei Konventen nach dem Mittelmeer hin (den c. Cartha-

1) So giebt Kbaschexixxikoff S. 176 Amn. 133 dif Iiisehrift nach dem BouRDEi-OTVchen Codes.

2) Vgl. Detlefsex. Philologus XXXII, 1873, S. 612 f., S. 643 ff. Demgegenüber sind ScHDLTEXs Aufstellungen, Khein. Mus. L. , 1895, S. 495 ff. ganz unhaltbar, wie ich dem- nächst in meinen Studien zum antiken Städtewesen zeigen werde.

3) Auffällig ist, dass die noch dem 1. Jahrhundert angehörige Inschrift des sacer- dos ad Lucum Augusti, CIL. II 2638, aus Asturica stammt. Es ist immerhin möglich, dass Lucus Augusti vielleicht zunächst die einzige Kultstätte im Nordwesten war für die anfangs Callaecia genannte und mit Lusitanien verbundene Landschaft (Sträbo III 4, 20 p, 166,7, CIL, II 2422 aus Bracara, vgl, HCb.ner, CIL, U Suppl. p, LXXXV sq., Gärdthaüsex, Augustus I 2, S. 693; II 2, S. 380 Anm, 7; Siegli.n, Atlas antiquus tab, 29), und dass es daher noch eine Zeit lang als der vornehmste Kult- platz betrachtet wurde, an dem auch Leute aus den anderen Konventen wirkten. Im conventus Lucensis lagen auch iu der äussersten Nordwestecke Spaniens am Meere die arae Sestianae Augusto dicatae, welche Plikius H. N. IV 111 erwähnt.

70

Zur Geschichte der antilrn Hcrrscherkiilfe. 121

nfinitMisis, Tarraconensis und raesaraiig'ustanus) geschah, wie überall im Westen, durch den Übereifer und vServilisnius der Untertliauen dasjenio:e, Avas Augustus in kluger Zurückhaltung unterliess, d. h. die Städte schufen sich aus eigner Initiative ihren Kaiserknlt, und dass das hier nach dem Vorbild der Kolonie Tarraco.') die Augustus durch einen langen, wenn auch zum Teil unfreiwilligen Aufenthalt 728'9 = 26/25 v. Chr. ausge- zeichnet hatte,-) schon unter der Eegierung des ersten Kaisers geschah, zeigt die gerade hier in der Tarraconensis so häufige Verehrung der Koma und des Augustus auch im ^runizipalkult.-') Dann brachte das Jahr 15, wie wir sahen, einen Kaiserkult für die ganze Provinz mit einem templum und flamen Divi Augusti, und darnach haben wohl auch die drei städtisch organisierten Konvente, die eines eigenen Kaiserkultes noch entbehrten, einen solchen sich geschaffen , und zwar ebenfalls mit einem flamen conventus an der Spitze,*) während umgekehi't iu den conventus Cluniensis die nuuiiziimlen Kulte eindrangen.-^) So erklärt sich sowohl, weshalb über- haupt die Konvente in Hispania citerior eigne Kulte, als auch, weshalb die einen solche mit sacerdotes, die anderen mit flamines gehabt haben. Abgesehen von den Gebieten im nordwestlichen Spanien kommen weiter noch die barbarischen Gebieten in lUyricum in Betracht, wo mut- masslich Augustus schon mit Kult gründungen eingegi'iffen hat. CLL. III 2818 begegnet ein sacerdos ad aram Augusti Lib[urn(iae)].'') Trotzdem hier uicht ..Romae et Augusti" steht, glauben vnr doch an augustischen Ursprung. Die Inscluift verrät diux-h die Form sacerdos ad aram, dass sie frühestens der fla^-isch-trajanischen Epoche angehört. Wie nun der Lyouer Kaiserpriester in dieser Zeit einmal heisst : sacerdos arae Augusti inter confluentes Arari et Rhodani,") kanu auch hier die Eoma weggefallen sein, zumal, wie wü- sehen werden, iu den Donauländern in späterer Zeit vor allem der Kult des jeweils regierenden Kaisers gepflegt wurde. Aus- schlaggebend ist, dass alle sonstigen ludicien einer augustischen Schöpfung vorhanden sind: neben dem sacerdos und der ara vor allem ein Kult-

1) Über fK'ii Munizipalkult vou Tarraco mit eiuer ara Romae et Augusti vgl. QüiNTiLiAN, Inst. or. VI 4, Eckhei. D. N. I S. .58, VI S. 124 li"., HCbxer, Hermes I S. 109 ff.

2) SuETON, Augustus 26 Ende.

3) Ausser in Tarraco, CIL. II Suppl. 6097. 4224, in Barcino, ebenda Suppl. 6147, vgl. 4.520. 4.514; in Castulo, 3276; Complutum, 3033; Jesso (oder Baetuloi 4610; Pollentia auf den Balearcn 3696; Saetabis Augustanorum, 3623; Valcria, 3179: alle diese Miinizipalpriester mit dem Titel flameu Romae et Augusti.

4) Wenigstens ist der flamen conventus C'arthaginiensis inschriftlich belegt: CIL. II 3412, 3418 (aus dem 2. Jahrhundert).

5) Vgl. die Inschrift von Clunia CIL. II 2782 mit einem tlamen Romae et Divi Augusti aus tiberischer Zeit.

6) Vielleicht ist auch der sac(erdos) Aug(usti) aus Tarsatica (Tersatto bei Fiume) CIL. III 3028 ein Priester dieses Kultes von Liburnien.

7) CIL. XIII 1541 ; s. o. unter Tres Galliae S. 108.

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122 E. Kornemann,

bezii'k, der aferadeso wie in Spauien eine Landschaft (Conventus) nur, nicht eine ganze Proräiz , umfasst.^) Schwieriger liegt die Frage be- züglich der Killte von Pann^nien und Mösien. worüber zunächst die Ent- scheidimg ausgesetzt wird.

Auf Grund dieses neu hiuzugekouuuenen Materials erkennen wir schon klarer die Grundsätze des Augustus in Sachen des Kaiserkultes. Es sind eigentlich diese augustischeu Kultgründuugen keine provinzialen, vielmehr solche nach ethnographischen Gesichtspunkten. Neuunterworfene Völker bekamen in einer Kaiserkidtstätte einen einigenden Mittelpunkt unbekümmert um die provluzialen Verwaltungsbezirke, ähnliclie wie einzehie y.oivü des Ostens, deren Grenzen sich oft auch nicht mit denen der kaiser- lichen Pro\inzen deckten. Das ^y]l•d mit dem Tode des Augustus anders, jetzt treten wü- eigentlich erst in die Geschichte der p r o v i n z i a 1 e n Kaisei'kulte ein.

Zu 2. In die Eeihe der in der Zeit zwischen 15 und ti9 n. Chr. mit Kulten nacli dem Vorbild desjenigen von Hispania citerior ausgestatteten Provinzen gehciren : Lusitania. Baetica, Gallia Narbouensis. Alpes Cottiae, Alpes Maritimae, Mauretania Caesariensis und Tingitana, wahrscheinlich auch Sardinien, kaum dagegen Niimidien, die wir jetzt im einzelnen daraufhin betrachten :

Für Lusitania kommen folgende Priester-Inschriften in Betracht: f 1 a m e n d i v i A u g (u s t i) p r o v i n c i a e L u s i t a u i a e : CIL. II 47o (aus Emerita; gesetzt: Divo Augusto, der Name des Flamen: Albinus Albini f.,'^) daher wohl aus tiberischer oder claudischer Zeit).") flamen provinciae: CIIj. II 85 (aus Salacia), Suppl. 5184 (aus Caeto- briga; beide etwa aus claudischer Zeit. vgl. Kusks. Prosopographie I 441 m-. 1074 u. 1075).

flamen pro-\inciae Lusitaniae : CIL. 11 Suppl. 5264 (aus Emerita ; aus dem J. 77/8), ebenda 160, 396, 493 (aus Emerita; die zuletzt ge- nannten nicht datierbar).

flaminica pro\inciae Lusitaniae: CIL. II 32 (aus Salacia), 895 (aus Caesarobriga) , 114 (aus Ebora), Suppl. 5189 = 122 (aus Ebora; Buchst, des 2. Jahrb.), 195a (aus Olisipo). 339 (aus Collippo). Die Begründung des Kaiserkultes in Lusitauien fällt demnach vor die

1) Archaeologia 1896 S. 87 = Rev. Arch. XXX, 1897, S. 268 No. 11 steht auf einer neuen Inschrift aus Doclea: sac[e|rd(os) at ar|a]ra Caesar[i]s. Ich vermute wegen der Ähnlichkeit mit der Inschrift CIL. III 2810 auch hierin den Priester des Kultes einer Landschaft, vielleicht des conventus von Naroua, zu dem Doclea gehörte: Pi.i.nius H. N. lU 143.

2) Anders Kraschexixxikoff S. 176 Anm. 133, dessen Vorschläge zur richtigen Lesung der Inschrift zu beachten sind.

3) Kraschenisnikoff S. 177 Anm. 188 hält auch die couimbricensische Inschrift CIL. II 41* im Gegensatz zu Hübner für echt: sie ist auch dem Divus Augustus gesetzt von einem flamen Augustalis pro[vJinc(iae) Lu[s]ita[niae].

72

Zur (ifisclikhtr. der antiken Hcrrscherkultc. 12;?

Txeffierung des Claudius, venuutlicli in die tiberische Zeit'), und zwar sehr hald nach dem Jahre 15 n. Chr. Der Sitz des Kultes war auch hier die Proviuzialhauptstadt Enierita.

Für Baetica lässt sich das Jfaterial wieder in drei (iruiiiien scheidHii:

a) flamen Aus'ustalis in T5aetica prinius . . . .: CITj. II :'>271 (aus

Castulo).

b) flamen D i v o r u m A u g' u s t o r u m p r o v i n c i a e B a e t i c a e : CIL.

II 2344 (aus Mellaria; trajanischer Zeit angehörifr, vielleicht aus

d. J. 101 n. Chr. Dkssau, Prosopographie II, 320 nr. 46); 380.", (aus

Acci): 2224 (aus Corduba); 2221 (ebendaher, aus dem J. 210);

(IL. II 147.">. 2103 sind dagegen wohl Munizipalpriester.

r) f lameu provinciae Baeticae: CIL. 111(514 (aus Igabruni; nach

Trajan); Suppl. 5523 (aus Cordnba; Buchstaben des ausgehenden

2. oder 8. Jalirh.); ein desgl. designatus 2220 (aus Corduba).

Ein w flaniinalis provinciae Baeticae : CLL. II 983.

Eine flaminica der Provinz (?): CIL. II 2228 (Corduba).

P^s ist klar, dass hier auf die Datierung der Inschrift CIL. II 3271,

wenn man primus zu flamen Augustalis zieht,-) alles ankommt.-') Leider

ist aber die Inschrift nur in einer Abschrift von Moeales erhalten. Es

müssen darin eine ganze Anzahl Worte unrichtig gelesen sein, z. B. die

Stelle CUEATOEI . DIVI . TI . II . IN . BAETICA.^) Und wenn man noch

beginnt au den paar scheinbar richtig gelesenen Worten, wie z. B. an dem

^^'ort (rernrnniae herunizukorrigieren, wie Kbaschenix.vikoff*) thnt, wird die

Sache erst recht unerträglich. Ist (Termaniae richtig gelesen, so lässt das

im Verein mit dem Fehlen eines Cognomens der legio YIII wenigstens den

einen sicheren Schluss zu, dass die Inschrift dem ersten Jahrhundert

und zwar der Zeit vor dem Jalire 90'') angehört. Das oben aufgeführte

epigrapliische Material lehrt dann mvc soviel, dass ein Kult des Divus

Augustus noch im Laufe des ersten Jahrhunderts zu einem solchen der

Divi Augusti geworden ist.') Einen terminus post iiuem für die Be-

1) In dem Treuschwur der Aritienser vom Jahre 37 n. Chr., CIL. II 172, steht der Divus Augustus neben dem I. ü. M., was wohl auch den Schluss auf einen hoch- angesehenen Kult des vergötterten Kaisers, d. i. einen provinzialen, gestattet. Vgl. im übrigen Kbaschesinnikokf S. 176f.

2) Was aber ganz willkürlich ist, da nach primus die Inschrift abbricht.

3) Vgl. Kraschexis.mkoff S. ISOff.

4) Was soll das für ein curator sein? Ein c. rei publicae sicher nicht, Lieuenam, Städteverwaltung S. -180 Anm. 5.

5) S. 181.

6) Spätestens in diesem Jahre fand die Errichtung der beiden Provinzen Germaniae an Stelle des Heeresbezirks Germania statt, wie A. Riese, Westd. Zeitschr. XIV (1895) Korr. Bl. Sp. 146.160, nachgewiesen hat.

7i Man vgl. auch c. .59 der lex Malacitana, wonach der Eidschwur der nru- gewählten Beamten dieser baetischeu Gemeinde stattfindet : per Jovem et divom Augustum et divom Claudium et divom Vespasianum Aug. et divom Titum Aug. et genium

73

124 A'. Korncmann,

griiudimg: des Divus Augustus-Kultes bildet aber -wohl das Jahr 25 n. Chr., wemi man das argumentum ex silentio gelten lassen will, dass Tiberius bei der Ablehnung des für ihn persönlich projektierten Tempels') das Vorhandensein des baetlschen Augustustempels wohl berühi-t hätte, wie es den Pergamenern gegenüber im Jahre 2(3 gescliah.'-) Andererseits aber liegt die Annahme nahe , dass die Abgesandten von Baetica den Wink des Tiberius in seiner Eede. dass der Divus Augustus zu ehren sei, ver- standen haben, dass also bald nach 25 der Bau des provinzialen Augustus- tempels in Corduba anzusetzen ist.

Das für die Narbonensis in Betracht kommende Jlaterial ist folgendes:

a) ccpyiiQEVq'HQwroqknaQyiiagTfii; ix IS üo ß uv og: Li A. III 623.

624. aus dem ersten Jahrhundert und zwar der vorvespasianischen Zeit; das genauere unten).

b) flamen Augus[talis] in der lex Narbonensis: CIL. XII 6038. 21

(aus vespasianischer Zeit, siehe unten).

llamenj templi Divi [Aug. qnod est Narjbone : CIIj. XII 392, spätestens

aus der Zeit Yespasians, da die in der Inschrift erwähnte ala Longi-

niaua wahrscheinlich zu den von Vespasian nach dem Bataverki'ieg

kassierten germanischen Abteilungen gehört, ä)

flamen] primus [Aug. templi] novi Xarbo[ne]: ebda. 4393 vom Jahre

149 n. Chr.

c) flamen August orum. offenbar der Provinz, da der Betreffende in

Narbo ein provinziales taiu-obolium vollzieht : CIL. XII 4323 (aus severischer Zeit).

d) flamen provinciae Narbonensis: ebda. 3212. 3213 (aus Nemausus ;

beide aus dem Anfang des 2. Jahrb.: auf 3212 ist wahi-scheinlich Trajan erwähnt,^) 3183. 3184 (ebendaher, wohl auch aus dem 2. Jahr- hundert); 3275 ein provinciae flamonio functus. flamiuica provinciae: CIL. XII 2516.

Als Kultstätte der Provinz ist das in Xarbo befindliche templum Divi A u g u s t i also ausdi'ücklich bezeugt ; unter Autoninus Pius ist dieser Tempel niedergebrannt und von neuem wieder aufgebaut worden.'') Der Kaiserpriester heisst im ersten Jahrhundert flamen Augnstalis = flamen Divi Augusti,^) bezw. in der flavischen Zeit flamen templi Divi Augusti (vgl.

imp. Caesaris D[oniitia]ni Aug. deosquo Pcnatrs. Da haben wir für die domitianische Zeit die Divi Augusti, auf die sich auch der Provinzialkult von Baetica bezog.

1} Tacitüs, Annal. IV 37. 38.

2~ Ebenda IV 55.

8) CicBOEius bei Päclv-Wissowa I Sp. 1250 's. v. ahi).

4) Anders Krasche.sinkikokf S. 165 f, di»gegen Liebesam, Städteverwaltung S. 480 Anm. 5.

5) CIL. XII p. 521 und zu No. 4393.

6) Kkaschenissikoff S. 155 ff.

74

Zur Gcschiclüe der antihm Hcrrschcrhilfe. 125

sacerdos arae Autjiisti in den Tres Galliae). Für das Datum der Be- gründung dieses Ivultes ist die möglichst genaue zeitliche Fixierung der Inschrift CIA. III 623. 624 erwünscht, da hier der erste Provinzial- priester der Narbonensis genannt wird. Sie ist nicht mit Dittenbkküeh,') dem Kn.\siHENiNNiKüFP -) gefolgt ist, in das Ende, sondern in den Anfang der Regierung Trajans zu setzen, da Q. Trebellius Rufus Olymp. 219. 1 = 97/8 n. Chr. Archon epouj'mos in Athen war."*) Mit dem Archoiitat von Athen hat der Mann aber eine lange Carriere beschlossen, die er einst als Munizipalbeamter von Tolosa begonnen hatte. Jemand, der in vier Städten des Reiches nacheinander Beamter war (Munizipalbeamter in Tolosa, Kaiserpriester der Provinz in Narbo, vnarog Kaivuvtivßtq h^jüv öriuov'Po)f.tai())v, d. i. Vorsteher der sodalitas der sacerdotes Caeninenses') in Rom, aoyuv inoüvvfiog xal Ugevs Jqovoov vnätov xal ugtiiq Evxletag xai Eiivoiiiing diu ßiov in Athen) muss ein langes Leben diu'chlebt haben. In Athen vor allem muss Trebellius Rufus lange gewohnt haben, da er das athenische Bürgerrecht sich erworben und in offenbar .Tahre langer Bethätigung als hervorragender Bürger sich sehr populär gemacht hatte. Denn ausser diu-ch die Übertragung der erwähnten Ämter wird er noch geehrt: ^gvaorfOQi'a diu ßiov xai ipfjrflßfiaTi. äva&iaeuig civÖQidvTwv xal üxövwv kv navTi vaä xal kmai'^^m Tt]q n6\X\i(ag TÖnm. Nehmen wir daher au, dass unsere Inschrift rund im -Jahre 100 n. Chr. in Athen gesetzt worden ist, so düi'fen wü- uns wohl den Lebenslauf des Gefeierten zeitlich etwa folgendermassen zurechtlegen: geboren um 20 n. Chr. in Tolosa, bekleidete Trebellius Rufus bis zum 30. Lebensjahre die Ämter seiner Vaterstadt,^) wurde um die Mitte des Jalu-hunderts der erste Provinzial- priester in Narbo, um das Jahr 60 summus Caeninensis in Rom, und ging schliesslich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts nach Athen, um hier noch etwa 30 40 Jahre zu wohnen. Damit kämen mr mit der Ein- richtung des narbonensischen Provinzialkultes in die spätere claudische Zeit.'') Krascheninnikofi- hat für seine Ansicht, dass der Kult er.st

1) CIA. II Index p. .348.

2) Kbascheninntkofp S. 152 ft".

3) VON ScHOEFFER bei Pault-Wiösowa II 1 Sj). 595 (s. v. Arehoii).

4) Marquardt, Eph. epigr. I S. 203, Staatsverw. III- S. 480.

5) Über die Altersgrenze für die Bekleidung der Munizipaliimter (schon seit Augustus wohl 25 Jahr) vgl. Liebenam, Städteverwaltung S. 208 f.

6) Die Petition der Provinz an den Kaiser und der Beginn des Tempelbaues liegt natürlich Jahre lang früher. An dem pergamenischen Tempel der Provinz Asia für di(> Roma und den Augustus, der 725/29 v. Chr. begonnen wurde, ist z. B. mehrere Jahre gebaut worden; 727/27 v. Chr. befand er sich noch im Bau, Hirschfelp, SBer. Akad. Berlin 1888, S. 837 Anm. 22; vollendet war er im Jahre 736/18 v. Chr., wie die Münze bei EcKHEL D. N. VI 101, Cohen I- p. 75 No. 86 zeigt. Die ara Augusti für den Munizipalkult von Narbo wurde am 22. Sept. 11 n. Chr. gelobt und 12/3 vollendet (CIL. XII 4333).

75

12ß E. Knr)/ri)ia)ni.

You Vespasian begründet wurde. Aor allem die lex Xarboueusis. CIL. XII 6038, verwertet: da in derselben der regierende Kaiser Imperator (Z. 13) bezw. Imperator Caesar (Z. 87) lieisse, könne das Gesetz von keinem Kaiser der jiiüsch-claudisdien Dynastie nach Augustus erlassen sein. Dieser Nachweis ist als gelungen zu beti-aeliten ; niu" ergiebt der Erlass eines Statuts für einen Kaiserkult absolut nichts füi- das Datum seiner Begründung. Unserer Ansicht nach hat das erhaltene Statut den vor- handenen Divus Augustus-Kiüt den veränderten Verhältnissen der flanschen Zeit angepasst. Das zeigt besonders die Bestimmung am Ende, Z. 26 ff., über die Aufstellung von Statuen oder Bildern des iinperator Caesar im Tempel des Divus Augustus seitens des abgehenden Flamen, etwas, was vor- züglich zu unserem fi-üheren Nachweis stimmt, dass in der flavischen Zeit der Kult des regierenden Kaisers neben den des Divus, bezw. der Divi sich stellte.!) ^uch in der Verordnung über die Errichtung einer Statue für den abgehenden ProAÜnzialpriester (Z. 1 1 ff.) geht die Bestimmung, dass der Priester ausser seinem ^•ollen Namen und der Herkunft auch das Jahr seines Flamiuats angeben solle, über die in den Tres Galliae und in Hisi>auia citerior geltenden Vorsclu-iften hinaus,-) kehrt dagegen wieder in dem sicher von A'espasian eingerichteten Kult von Afi'ika.-') Dazu passt die Vorschrift, dass im Gegensatz zu dem liberaleren System in den Tres Galliae und der Tarraconensis*) der abgehende flamen sich selbst die Statue setzen solle, sehr wohl in das sparsame vespasianische Eegime.=) Es scheint also Vespasian die Verhältnisse dieses Provinzialkultes neu geordnet zu haben ; aus welchem Grund, wissen wii* nicht. Möglich ist es aber hnmerhin auch, dass die Einrichtung des Kultes in die spätere neronische Zeit gehört, und dass Vespasian durch sein Statut dem Institut die recht- liche Basis überhaupt erst gegeben hat.

Die Kulte der kleinen Alpenpro^iuzen, für die ^^•ir nur folgende In- schriften haben: Alpes C 0 1 1 i a e :

flamen A u g (u s t a 1 i s) p r o \- i n c i a e [(!'] o 1 1 i a n a e : CIL. \ 72.59

(aus Segusia-Susa). Alpes M a r i t i m a e :

flam(en) Aug(ustalis) pruvinc^iaej Alp(iunij Mar^itimarumj:

CIL. Xn 81 (aus Ebrodunum ; den Buchstaben nach aus dem 2. Jahrb.).

1) Vgl. CIL. XII 4323 den tlamen Au<rustoruui der severischeu Zeit.

2) HiBscHFELD, SBex. Akad. Berlin 1888 S. 8G0.

3) Vgl. die oben S. 112 betrachteten Inschriften aus Afrika mit der Zählung der Jahre der Provinzialpriester.

4) HlRSCHFELD a. E. O.

5) Falls es ein Provinzialpriester ist, von dem es CIL. VIII 4580 heisst: ob honorem saeerdoti(i) sui statuam sibi anno expleto posuit (vgl. Hirscufeld a. a. O. S. 856 Anni. 101), ist wiederum in Afrika das gleiche zu beobachten.

Zur Geschichte der auMl-en HcrrscherhiUe. 127

flamen i)rovin[c(iae)] Alpimii ilaiitimanuii: CIL. V 79it7 (aus (Jemene-

liini; vom Jahre 181 n. Chr.).

Hamen et patronus proviuciae: CIL. V 7917 (ebendaher), stammen wolil auch aus der (;hvudisch-neromschen Zeit, da das ins Latium den Alpes Cottiae höchst wahrsciieinlich durch Chuidins,'). den Ali»'s ]\laritiniae siclier durch Nero-) verlielien wurde.

Für die beiden Mauretanien ist das epigraiiliische Material noch geringer : M a u r e t a n i a C a e s a r i e n s i s :

flamen provineiae: CIL. VIII :>tüi'; vgl. Bulletin arch. du Comite

1887 S. 176 ni'. 794 (aus Caesarea). ]\Iauretania Tijigitana:

flauünica provineiae Tingit[anae]: Bulletin arch. du Comite 1891,

S. 143 = Eev. Ai-ch. XYin, 1891, S. 402 nr. 117 (aus Volubilis). Diese Kulte stammen höchst wahi-scheinlich von Claudius, sind aber nicht, wie in Britannien, für die eigne Person eingerichtet, sondern dem Uivus Augustus gewidmet, offenbar im Anschluss an den Augustuskult, den König Juba schon zu Lebzeiten des ersten Kaisers als getreuer \'asall desselben in seiner Hauptstadt begründet hatte.-*)

Schwieriger liegen die Dinge für Sardinien. Hier haben wir zwar einen

flamen Di vor (um) Aug(ust omni) ex consensu provim ciae) :

CIL. X 7599 (aus Karalcs); daneben aber:

cooptatus et adlectus in quiuque decurias et inter sa[c]erdüt ales

prov(iiiciae) Sard(iniae): CIL. X 7518 (aus Sulci).

sac[er]d(otalis)^) prov(inciae) Sard(iniae) adlec[t(us)] ab splen-

didissimo ordin[e Ka]ral(itanorum) ex consensu prov(inciae) Sar[d(iniae)]:

CIL. X 7917 (aus Cornus; ins 3. .lahrh. gehörig).

sacerdotalis?] urb(is) Rom(ae et) im[p(eratoris)] prov(inciae) Sar-

d(iniae) ad[le]c[t]u[s ab] splendidiss(imo) [o]rd(ine) Ka[ralit(anorum)] :

CIL. X 7941) (ans Bosa, mit den Ergänzungen von Kkaschesisnikoff).^)

1) Plisius H. N. III 135, dazAi CIL. XII p. XIII, vgl. p. 20 f. Detlefsen, Hermt-s XXI S. 539; Juso, Wien. Stud. XII, 1890, S. 110 Anm. 61, meine Habilitatiousschr. zur Stadtentstehung in den ehemals keltischen und germanischen Gebieten des Römer- reichs S. 36.

2) Tacitus, Annal. XV 32, z. J. 63.

3) L. Müller, Numismatique de Tancienne Afrique III S. 105 No. 55, vgl. S. 106 No. 56, Kraschenisnikoff S. 150 Anm. 13.

4) So ergänzt Kraschexi.xxikoff S. 156 Anm. 42; Hirscufeld. SBer. Berl. Akad. 1888, S. 854 Anm. 93 will hier und in 7940 sacerdos lesen.

5) A. a. 0. Die Ergänzung befriedigt nicht; doch weiss ich nichts besseres an die Stelle zu setzen. Auch Hirschfeld a. a. 0. S. 854 Anm. 93 macht keinen Vor- schlag. Im Index von CIL. X p. 1136 steht [sacerdos] urbis Romae [et divorum Augustorum?J provineiae Sardiniae u. s. w.

128 E. Korncmann,

Auf alle Fälle gehört Sardinien wegen der au erster Stelle genauuteu Inschrift in diese Eeihe: in Karales muss zunächst in der julisch-clau- dischen Zeit ein Pro\inzialkult für den Divus Augustus bestanden haben, der frühestens unter den Flavieru zu einem Kult der Divi Augusti wurde. Ist nun die obige Ergänzung der Inschrift CIL. X 7940 richtig, so müsste ein zM'eiter Kult für- die Koma und den regierenden Kaiser bestanden haben. Doch halte ich das für unmöglich, glaube vielmelu-, dass, wie in Spanien, zu dem bestehenden Kult der Di^"i derjenige der Eoma hinzukam und dass bei dieser Gelegenheit oder später (auf alle Fälle vor dem dritten Jahrhundert) die Unmennung des Pro^änzialpriesters von flamen zu sacerdos provinciae, wie der provinziale Kaiserpriester nach der diokletianisch-konstantinischen Eefonn allgemeia heisst, stattfand. Eine Singularität ist es auch, dass den Decurionen von Karales die Aufnahme unter die gewesenen sacerdotes der Provinz, also in die Rangklasse der sacerdotales, ja wenn man in den Inschriften 7917. 7940 sacerdos ergänzt, ausserdem sogar die Ernennung der Proviuzialpriester,^) allerdings unter Bestätigung des Provinziallandtages, zustand.

In Numidien heisst C. Caecilius ClaUus CIL. VIII 7987, d. h. auf der Grabschi-ift seiner jüngsten Tochter, flamen provinciae, während er in 798Ö, die seine ganze Ämterlaiifbahn in der cirtensischen Samtgemeiude aufzählt, flam(en) divi Juli genannt wii-d. Unstreitig ist dasselbe Amt in beiden Inschriften gemeint.-) Die luschi-ift des Vaters gehört wegen der Erwähnung der fünf Richterdekiulen in die Zeit nach Caligula und zwar nach MoMMSEss Ansicht noch in das erste Jahrhundert, die der Tochter daher aUerfi-ühestens ins Ende des Jahrhunderts. Dui'ch die Inschrift CIL. Vni Suppl. 14882: ,,ex auct(oritate) imp(eratoris) [Vejspasiani [Caes.] Aug. p. p. fine[s] provinciae A[fric(ae)] nova[e] e[t] vet(eris) der[ecti]'VO wissen mr nun, dass schon in der flämischen Zeit Numidien auch provincia nova genannt worden ist. Es wäre daher die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass Caecilius Gallus für- diese provincia nova als Kaiserpriester bestellt gewesen sei.'') Aber ein solcher Pro\inzialkult des Divus Jiüius wäre einzig ia seiner Ai't und, was mehr ins Gewicht fäUt, es scheint, dass auch fernerhin der sacerdos und das concilium der provincia proconsularis ihren Machtbereich auch über Numidien, neileicht abgesehen von dem Territorium von Cü-ta, erstreckt haben. Inschriften von sacerdotales pro-^inciae Afiicae haben sich, me wir- oben sahen, auf

1) Das letztere ist die Ansicht vou Hirschfeld a. a. 0. S. 854 Aum. 9.3.

2) So richtig schon Mommsen, Hermes I S. 60; anders CIL. VIU zu 7987.

3) Über eine etwas andere Ergänzung der Inschrift Kraschenixxikofp- .S. 174 Aum. 128. Vgl. im übrigen MARiitJARDT, Staatsverw. I^ S. 470.

4) So Mommsen, Hermes I S. 60, Hibschfeld, Aunali dell' Instituto 1866, S. 76, SBer. Berl. Akad. 1888, S. 841 Anm. 38; S. 850 Anm. 76, Krasche.ni.nnikoff S. 174 Anm. 128.

Zur GcschirJife der antiken Hcrrscherhtlte. 129

iiuniidi.scliem Boden g-efuiuleii,!) niid das (•onciliuni pifovinciae] Africae setzt iiocli in severischer Zeit in Tluimugadi eine Ehrenbasis.^) Es ist daher wohl riclitiger anzunehmen, dass es sich in den Inschriften, von denen wii- ausgingen, um eiaen Muuizipalkult von Cü-ta handelt, der natur- gemäss in einer \on Caesai- beginindeten Kolonie-') auf den Divus Julius sich erstreckte, dass, aber der Priester dieses IHunizipalkuItes bei der quasi provinzialen Gestaltung des cirtensischen Territoriums von Seiten des Kaisers, am ehesten wohl Vespasians, gelegehtlicli der Organisation des Kaiserkultes der provincia proconsularis den provinzialen Kaiserpriestern im Rang gleichgestellt wurde.'") Ein wirklicher Provinzialkult besteht in Numidien sicher im \ierten Jahrhundert,^) über den weiter unten ge- liandelt werden wii-d.

Zu 3. Füi- Gründungen in der dritten Epoclie bleiben nur noch die G ebiete im Norden des Beiches, die D o n a n p r o v i n z e n , übrig. ^\"ie in Dalmatien ist hier das Material sehr dürftig, so dass wir selten über eine Vermutung hinauskommen. Ich stelle dasselbe gleich für alle Pro- vinzen auf einmal zusammen:

Für Eaetien und Noricum kennen viir keine Pro\änzialpriester. Doch begegnet auf den beiden Inschriften aus Augusta VindeUcorum : CIL. ni 5826 u. 5827 je ein sacerdotalis , von denen einer alle Ämter seiner Gemeinde bekleidet hat, so dass es nicht unmöglich ist, dass ^li-

1) CIL. VUI2343 aus Thamugadi, 4252 aus Verecunda, siehe oben S. 112 unter Afrika.

2) CIL. VIII Suppl. 17899. Die Ergänzung eoncilium pr[ov. novae] Africae ist wohl hier nicht in Betracht zu ziehen, da novae nachgestellt sein würde. Im Artikel concUium bei Pauly-Wissowa IV Sp. 809 habe ich diese Möglichkeit noch zugelassen.

3) Mein Katalog der römischen Kolonieen bei Pauly-Wissowa, s. v. coloniae No. 118.

4) Zu einer ähnlichen Ansicht ist jetzt auch Cl. Pallu de Lessebt, Nouvelles observations sur les assemblees prov. et le culte prov. dans l'Afr. Rom. Paris 1891, S. 28f. gekommen. Dieser cirtensische Munizipalkult hat frühzeitig aller Wahrschein- lichkeit nach auch den Divus Augustus umfasst: denn CIL. VIII 6987 = Suppl. 19492 mit einer flaminica Di[vae Augustae] stammt schon aus dem Jahre 42 n. Chr., dem Jahre ihrer Konsekration. Wo aber die Diva Augusta sofort verehrt wurde , ist das gleiche wohl schon vorher für den Divus Augustus anzunehmen. Im zweiten Jahr- hundert ist dann auch die dea Koma in Cirta (CIL. VIII 6965) wie in Thamugadi (CIL. VIII 2394. 2395. 2899. 17904) und einigen Städten der Proconsularis (CIL. VIII 1427, Bull. arch. du Comite 1893, S. 189) verehrt worden durch einen sacerdos L^rbis (CIL. VIII 6948), und im Anfang des dritten Jahrhunderts ist der Kaiserkult in Cirta unter der Severerdj'nastie nochmals zu hoher Blüte gelangt (CIL. VIII 19121. 6948. 7963. 19122).

5) Im Artikel Concilium an der oben angefiihrten Stelle habe ich bereits die severische Zeit als Anfangsdatum für den luimidischen Provinzialkult angenommen; doch ist das Reskript von Vazaivi (CIL. VIII Suppl. 17639) dafür kein genügender Beweis, da auch hier noch (Z. 3 decreti eoncili) der Provinzialtag von Afrika procon- sularis gemeint sein kann. Heute halte ich Konstantin für den Begründer des Provinzial- kults von Numidien; darüber unten S. 139.

Beiträge 7.. alten Geschichte I. 9

79

130 E. Kornemann,

hier gewesene Priester von Eaetien und in Augsburg den 8itz des Kaiser- kultes der Pro\inz vor uns liaben. Pannonia superior:

sacerdos proviuciae Pann(oniae) super iioris): CIL. III 4108 (an der Drau unterhalb Poetovio gefunden, frühestens aus dem Ende des 2' Jahrb.); sac. PP. ^YP.: Suppl. 10820 = 3936 (aus Dogoj an der Kulpa; aus dem Jahre 238 n. Chr.). sacerdotalis p(rovinciae) P(annoniae) s(uperioris) : CIL. 1114183 (aus Savaria; nach Trajan,i) wegen der starken Abkürzungen wahr- scheinlich sogar erst aus dem 3. Jahrb.).

sacer[dota]l(es) ex colonia [SJavaria setzen die Inschrift CIL. III Suppl. 10919 = 4170 (aus Savaria) dem Trajan zwischen 103 u. 111 n. Chr. sacerdotalis ohne näheren Zusatz: CIL. III Suppl. 10911 (ebendaher); 4033 (aus Poetovio).

ar]a Augg. [provincjiae P(annoniae) s(uperioris) steht wahrscheinlich auf dem Fragment CIL. m 4170 aus Savaria.

Ein coUegium Gen(ii) p(ro\inciae) P(annomae) s(uperioris): CIL. 4168 (ebendaher; aus dem Jahre 228 n. Chr.). Pannonia inferior:

sacerdos arae Aug. n. p(rovinciae) P(annoniae) infer(ioris):

CIL. in Suppl. 10496 = 6452 (aus Aquincura; aus der Zeit der

severischen Dynastie).'')

sacerd(os) [pr. P. inf.]: Suppl. 10 305 (aus Intercatia; vor Septimius

Severus).-*)

sacer(dos) oder sacer(dotalis) provinci(ae) : 3485 (aus Aquincum)

sacerdotalis ohne nähere Angabe: 3488 (ebendaher), 3626 = Suppl.

10570 (vom Territorium von Aquincum).*)

Dis et genio proviuciae Pannoniae ist die Inschrift von Aquincum

Suppl. 10396 um das Jahi- 200'') gesetzt.

Dazu aus Stuhlweissenbiu'g ein:

s]acerd(os) temp(li) Div[i] Marci: CIL. lU 3345 (v. J. 211); vgl. auch

3342) und 3343 : J. 0.[M.] Dolc(eno) pro sal(ute) dd. nn. Augg. tot(ius)

pr(ovinciae) sacerdote[s]: so die früheren Herausgeber; heute steht auf

dem Stein nur SACEEDOTI.

1) CicHORiüs s. T. ala, Padlt-Wissowa I Sp. 1239.

2) Weil die Kolonie Aquincum, Singidunum dagegen noeb als Muuizipium auf der Inschrift vorkommt, vgl. meinen Katalog der römischen Kolonien bei Paulv-Wissowa IV Sp. 546 f. No. 225 u. 231.

3) Aquincum ist auf der Inschrift noch Munizipium.

4) Allerdings ist es nicht sieber. ob diese sacerdotales wirklich gewesene Provinzial- priester sind ; denn in Aquincum gab es nach CIL. III 3368 (vgl. 10470) auch einen sacerdos urbis Romae.

5) Vgl. Prosopographie III S. 376 No. 122.

80

Zur G(.ichicJife der antiken Hcrrscherhultc. 131

Moesia superior:

Keine Inschrift. Moesia inferior:

sa]cerd(os) i)rovin[c(iae)]: CIL II L Suiiiil. l'MS (aus Troesmis;

spätestens aus dem Ende des 2. Jahrhunderts), i)

sacerd(os) pro\in(ciae) : 6170 = 773 (ebendaher; für Elagabal).

Bei den Kulten dieser Pro-Hinzen liegl die Sache ähnlich, wie bei dem oben betrachteten von Liburuien. Auf den ersten Blick scheint es, als ob alle Indicien für die Datierung in die flaviscli-trajanisclie Zeit passten: ein sacerdos an einer ara des Augustus oder der Augusti, die für eine einzelne Provinz als Kultbezirk errichtet ist. Aber trotzdem ist die gi-össte Walu-- scheinlichkeit, dass wenigstens eine Anzalil dieser Kulte schon von Augustus stammt, der wegen der Bezeichnung sacerdos allein noch in Betracht kommt. Es müsste dann auch hier der ursprüngliche Roma et Augustus-Kult in einen Kult des Augustus oder der Augusti sieh umgewandelt haben. Zu- nächst fühi-t auf Augustus etue allgemeine Erwägung: der Kaiser, der in den barbarischen Gebieten von Spanien, in Gallien und Germanien den Kaiserkult zu Eomanisierungszwecken benutzte, wü-d es in den Donauläudern nicht anders gemacht haben. In Eaetien passt, falls mit Eecht die oben genannten sacerdotales von Augsburg als Provinzialpriester aufgefasst sind, Augusta Vindelicorum-) vorzüglich als Kultstätte eines augus- tischen Kaiserkultes. In Pannonien giebt sich Savaria (Stein am Anger), wo unstreitig der Kaiserkult für Pannouia superior s) und vermutlich vor der Teüung Pannoniens f üi- die gesamte Provinz seinen Sitz hatte, durch seine Lage als eine alte Gründung kund. Augustus hat die römischen Grenzen schon bis zur Donau vorgeschoben,*) ohne diese allerdings in ihrer ganzen Ausdehnung zu besetzen. *) Für das von ihm eroberte Gebiet

1) Der Betreifende ist veteranus der legio V Maccdonica, welche schou vor Septimius Severus, offenbar während des Markomanneukriegs (CIL. III Suppl. 7505 aus d. J. ITO), nach Dakien verlegt wurde. Auf moesischen Denkmälern erscheint sie zuletzt im Beginn der Regierung des Marcus: CIL. III 6169, auf dakischen zuerst im Anfang der Kegierung des Septimius Severus : CIL. III 905 a. d. J. 19.5 ; so vox Domaszewski, Khein. Mus. XL VIII, 1893, S. 244 Anpi. 3. Patsch, Wiss. Mitteilungen aus Bosnien und der Hercegovina V (1897) S. 349 Anm. 6 will statt ex [b. f ?] vet. leg. V Mac. in An- betracht der höheren zivilen Stellung des Mannes ex [4 = centurione] lesen, indem er hinweist auf den praefectus fabrum, tribunus militum cohortis |I Beljgarum , sacerdos Romae et Augusti ad confluentem : CIL. XIII 1042 5.

2) Vgl. in Spanien Lucus Augusti, Bracara Augusta, Asturica Augusta.

3) Das beweisen ausser den oben angeführten Inschriften aus Savaria auch CIL. III 4192. 4193, (fie die Namen der Städte Scarbantia (municipium Flavium Aug. Scarbantia) und Siscia 'colonia Septimia Siscia Augusta^ enthalten, die daher wohl von diesen Städten der Provinz an dem Provinzialaltar gesetzt worden sind.

4) Mon. Ancj'r. V 44, Mo.mmsev, Res gestae Divi Aug.- p. 128 f., Mahqcardt, Staatsverw. I^ S. 291 f

5) MoMMSEN, Rom. Gesch. V S. 21.

9* 81

132 E. KorncDKinn,

bildete Savaria fast den Mttelpunkt: sein- natürlich, dass er hier den Kaiserkult einrichtete und zwar gleich nach der ersten Eroberung- durch Tiberius in den Jahi-en 742 745 = 12 9 v. Chi-. Wie schnell über- haupt die Kiütgründuugen der Unterwerfung folgten, lehi't uns eine einzig- dastehende Nachricht bei Dio Cassius,*) wonach L. Domitius Ahenobarbus, einer der ersten Statthalter dieses Gebietes,"^) von hier aus die Elbe, also wohl in ihi'em Oberlauf in Böhmen, überschi-itt,^) ein Freundschaftsbündnis mit den hier wohnenden Barbaren schloss und sogleich einen Altar dem Augustus*) an der Elbe errichtete. Ist diese Xachi-icht richtig und ■\\ii' haben keinen Grund, daran zu zweifeln und ist die Überschreitung- der Elbe wii-klich in deren Oberlauf von Pannonien aus erfolgt,^) so haben wii* auch einen Terminus ante einem für die Begründung des Kultes von Savaria. Denn es ist wohl nicht anzunehmen, dass an der Elbe ein, wenn auch nui" ephemerer, Kaiserkult begründet wiu'de,") ehe ein solcher im Hinterland diesseits der Donau eingerichtet worden war. Da aber der er^^'ähnte Feldzug des Domitius in die Zeit z^rischen 746;8 v. Chr. und 7522 V. Chr. gehört,') müsste die Organisation des Kultes von Savaria, wie gesagt, gleich nach der Eroberung des Landes, wahrscheinlich im Auftrage des Augustus durch Tiberius selbst (wie in den Tres Galliae durch Drusus) erfolgt sein.

Ist somit in Pannonien wahi'scheinlich Augustus schon der Begründer des ältesten Kiütes, so ist für Moesien, dessen Verhältnisse in der augustischen Zeit ganz analog denen Pannoniens sind, dasselbe zn ver- muten. Hier lagert aber ein tiefes Dunkel über den Provinzialkulten, vor aUem demjenigen von Obermösien, wo man allein einen augustischeu Kult suchen darf. Hingewiesen aber sei darauf, dass aus Eemesiana in Dardanien (heute Mustapha Pascha Palanka oder Bela Palanka, östUch von Nis), d. h. also demjenigen Gebiet , von dem die Provinz ihren Aus-

1) Dio Cassils LV 10 a.

2) Dio a. a. 0. : räv ^gbg reo 'latQco -/^(o^iiov fiQXS "»d zwar vor dem Jahre 752/2 vor Chr.

3) Dio a. a. O. Tacitus, Annal. IV 44.

4) Die Angabe des Dio Cassius genügt allein nicht, um zu behaupten, dass der Altar nun wirklich dem Augustus allein und nicht der Roma und dem Augustus ge- weiht worden sei; denn Dio unterlässt wie die meisten Schriftsteller auch da, wo nachweislich der Romakult mit dem des Augustus verbunden war, die Erwähnung der Roma, vgl. das oben S. 98 Anm. 3 über Dio LI 20 Gesagte.

5) A. F. Aekaham, Zur Geschichte der germanischen und pannonischen Kriege unter Augustus, Jahresber. der Sophien-Realschule zu Berlin 1875, S- 8 ff. hat das meiner Ansicht nach sehr wahrscheinlich gemacht anders H. Schilleh, Geschichte der Rom. Kaiserzeit I. S. 2-20 Anm. 5).

6) Hirschfeld a. a. O. S. 841 Anm. 36 meint, dass die ara Augusti des Domitius ,nur als Zeichen der Besitzergreifung dienen soUte". Doch das ist eine durch nichts gestützte Vermutung.

7) H. ScuiLLEK, Rom. Kaisergesch. I S. 220. Dessai , Prosopographie II S. 18 No. 110.

82

Zur Grxchichfc der anfilxn FTerrscherhdte. 133

gang genommen bat,') die einzige von der provincia Moesia superior gesetzte Elireninschrift-) (wahrsclieinlich für Alexander Se\'erus und seine Mutter Julia iiammaea) stammt, und dass diese an und für sich unbe- deutende Örtliclikeit ül)erluiupt reicli an Dedikationen für das Kaiserhaus ist.-') Es ist daher möglicli, dass sich liier die Stätte des provinzialen Kaiser- kultes befunden hat. Ist das aber richtig, so spricht auch hier die Lage der gewählten Örtlichkeit sehr für augustischen Ursprung des Kultes. Denn Dardanien ist „der Mittelpunkt des neuen Militärdistrikts" am unteren Donaulauf, der etwa in den ersten Jahren unserer Zeitrechnung ungefähr zwischen 754/1 n. Ohr. und 759/6 n. Chr. begründet wurde.'') In diese Zeit gehört dann auch die Entstehung des dortigen Kaiserkultes, der zunächst für den Jülitärdistrikt^) bestimmt war, später für die Provinz Moesien, seit der Teilung derselben für Obermoesien der sakrale jrittelpunkt wurde.

"Will man für die drei betrachteten Gebiete augustischen Ur.sprung der Kulte nicht zugeben und ist man eher geneigt au Entstehung in der flavischen Epoche zu glauben, so bleibt noch zu bedenken, dass, wo wir wii'klich eine flavische Kultgründung in den nördlichen Grenzgebieten nachweisen können, diese schon durch den Namen der Örtlichkeit sich als speziell in den Dienst des flavischen Kaiserhauses gestellt erweist: so bei Arae Flaviae (Rottweil), welches offenbar die von Domitian für die neuerrichtete provincia Germania superior begründete Kult statte ist.

Die Kulte der beiden Provinzen Pannonia inferior und Moesia inferior datieren wohl aus der Zeit nach der Teilung der Provinzen. Ist das richtig, so ist der terminus post quem für die Einrichtung des Kultes

1) Über die Anfänge der Provinz Moesien vgl. von Domaszewski, Arch. epigr. Mitteilungen aus Österreich XIII, 1890, S. 129 ff. (mit Kartenskizze S. 154), NHeidelb. Jahrbb. I, 1891, 190 ff. und von Premerstein, Jahreshefte de.s Österreich, arch. Instituts I, 1899, Sp. 145 ff. ebenfalls mit Kartenskizze.

2) CIL. III Suppl. 8257 = 1688.

3) Ebda. 1685 für Septimius Severus au.s d. Jahren 202;9 n. Chr.. 1686 für Julia Domna, 1687 für Philippus Arabs.

4) TON Premerstein a. a. 0. Sp. 162.

5) Über die Ausdehnung dieses Distrikts von Premerstein ebenda Sp. 163: „Der neue Militärdistrikt begriff unter K. Augustus lediglich das Land von der späteren pannonisch-moesischen Grenze bis zu der . . . Westgrenze des Getenlandes, der nach- mals sogenannten ripa Thraciae in sich , welch' letztere zum thrakischen Reiche ge- hörte. Unter dem römischen Legaten standen also ausser der erst kürzlich besetzten Dardauia das Gebiet der Scordisci und die Sitze der Moeser und Triballcr, somit alles in allem die spätere Moesia superior und der westliche Teil Untermoesiens", geschützt durch zwei Legionen, deren Standlager unter Augustus noch nicht an der Donau, sondern weiter südlich im Inneren des Landes, wahrscheinlich bei Naissus (Ni.s), dem Haupt- orte von Dardania, sich befanden; von Domaszevvski a. a. O. S. 199f., von Presierstein Sp. 165. In diesen augustischen Militärdistrikt passt eine Kaiscrkultstätte in Remesiana vorzüglich.

83

134 E. Kornemann,

vou Uuterpaiinouien die Zeit zwsclieu 102 und 107.') Wenn weiter für CIL III Suppl. 10305 die Ergänzimg sacerdos [pr. p. iaf.] gebilligt ^\ii-d, liaben wir auch einen terminus ante quem, nämlich vor Septimius Severus.-) Nehmen wii- aber an, dass das templuni Di^i Marci-') an der Stätte des provinzialeu Kaiserkultes, dem heutigen Stuhlweisseubui-g , erst eine sekundäre Schöpfung ist, die ara Augusti dagegen das Primäre, me wir ähnliches auch in Lyon gesehen haben, so kommen mti- mit der Gründung der ara vor das Jahi- 180 n. Chr. Noch wichtiger aber ist die Inschi-ift CIL ni Suppl. 10336 aus Stuhhveisseubiu-g, die im Jahi-e 136 oder 137*) von den „Canabenses publice" gesetzt worden ist. Diese Canabenses gehören nicht zu dem Lager der legio II adiutrix von Aquincum, beweisen auch nicht eine vorübergehende Belegimg der Örtüchkeit mit Truppen,'') vielmelir handelt es sich augenscheinlich um einen vicus canabarum, der sich um die pi'ovioziale Kultstätte gebüdet hatte. Somit wäre also die Existenz der Kult- stätte schon fiü- das Ende der hadi-iaiüschen Eegierung er'niesen, und es blieben um- Trajan und Hadi'ian als die möglichen Begründer dieses Kultes übrig. Unter diesen aber verdient Trajan den Vorzug, weil er doch wohl sicher der Schöpfer des dakischen Kultes war, und die Bezeichnung des provin- zialen Kaiserpriesters in Dakien'') und Niederpannonien') in gleicher Weise sacerdos arae Augusti ü. lautet. Dann aber fällt die Errichtung der ara von Stulilweissenbiu*g wohl gleich nach der Trennung von Paunonieu in zwei Provinzen, in die Zeit, da Aquincum noch keine Stadt, sondern um- Staud- lager war. Denn wäre schon das mimieipium Aquincum vorhanden gewesen, so wäre wohl hierher die Kultstätte verlegt worden. So aber eximierte man aus der civitas Eraviscorum, die in dieser Gegend ihren Sitz hatte, wie in Aquincum ein militärisches, so in Stuhlweissenburg ein saki-ales Territorium, und geradeso wie auf dem territorium legionis,'') entstanden auf dem zu der ara gehörigen saki-alen Territorium canabae der daselbst consistierenden Händler.^) Zu der ara Augusti, die Trajan auf dem

1) MoMMSEX CIL. III p. 415, Mäbqcabdt, Staatsverw. I- S. 292 f.

2) Siehe oben S. 130 Anm. 3. 8) CIL. III 3345.

4) Vgl. Prosopographie m S. 261 No. 602.

5) MojiMSEN im Kommentar zu der Inschrift erwägt diese Möglichkeiten.

6) CIL. in 1433, siehe oben .S. 115 unter Dakien.

7) CIL. in Suppl. 10496.

8) Darüber Moumsen zu CIL. Ill Suppl. p. 1691 und zu 10489, Schdltex, Hermes XXIX, 1894, S. 485 u. 497.

9) Nach der Erhebung der canabae von Aquincum zum munieipium wurde mög- licherweise das sakrale Territorium von Stuhlweissenburg in irgend einer Weise, wenn auch nicht sogleich, so doch später an die Stadt Aquincum angegliedert : CIL. lU 3347 ist ausser für Marcus und Commodus auch für den ordo von Aquincum errichtet; Beamte von Aquincum befinden sich mehrfach unter den Inschriften Dediziernden in Stuhlweissenburg. Umgekehrt begegnet auch in Aquincum eine Inschrift, die ,Dis et genio provinciae Pannoniae' um das Jahr 200 gesetzt ist: CIL. III Suppl. 10396.

84

Ziir Geschichte der antiJcen HcrrscherJculte. 135

Territorium von Stuhlweissenbiirg errichtete, kam dann uacli dem Tode des Jiarciis, der die Provinz im Markomannenkrief,^ vor den Barbaren gescliützt hatte, ein besonderes templum Divi Marci. Möglich ist, dass später aus diesem Kult des Divus Marcus ein allgemeiner Kult der Divi sich auch hier entwickelte, so dass dann ähnliche Verhältnisse wie im Kaiserkult der Tres Galliae, eine ara fiü- den regierenden und ein templum für die apotheosierten Kaiser, in Unterpannonien bestanden.

Auch in Untermösien muss die Begründung des Pro\inzialkultes zwischen Domitian, von dem Mösien geteilt Avurde,') und das Ende des zweiten Jahrhunderts, etwa die Eegierung des Kaisers Marcus-), fallen. Genaueres wissen wir nicht. Ähnlich wie in Unterpannonien erfolgte wohl die neue Kultgründung bald nach der Provinzenteilung. Gewöhnlich betrachtet man als Sitz des Provinzialkultes Troesmis,') von wo die beiden erhaltenen Inschriften von sacerdotes provinciae stammen, -ich glaube nelleicht mit Unrecht. Denn Troesmis bekam erst unter Marcus Stadtrecht.-*) Soweit die Begründung des Pro\-inzialkultes herunterziu-ücken, dürfte man sich wohl kaum entschliessen. Den Kult aber in oder bei den canabae des Lagers anzunehmen, ist ja möglich, aber nicht gerade walirscheinlich. Zudem liegt Troesmis im Norden der Provinz an ex- ponierter Stelle, nicht wie die anderen Kultplätze der Donauländer in centraler oder einer dem Südraud der ProAinzen nähergerückten Lage. Es ist daher zu beachten, dass schwache Anzeichen auf die Gegend von Oescus als Sitz des Kultes von Untermösien weisen. Von zwei Inschi-iften, die aus dem heutigen Nikopoli an der Donau, östlich vom alten Oescus, stammen, ist die eine zwischen den Jahi'en 161 und 168 : Xiunini Angus- tor(um) et genio p(ublici) p(ortorii),0 die andere im Jahre 182: J. 0. M. et num(ini) Au(gusti) n. et p(ubnci) p(ortorü)'') gewidmet und, was noch auffäUiger ist, der ordo von Oescus verleiht unter Marcus dem Steuer- pächter Julius Capito, der die ornamenta decnrionalia bezw. duumviralia einer ganzen Anzahl von Städten in seinem Zollgebiet, darunter die von Oescus selbst, „schon längst" besass, als ganz besondere Ehi-e neben einer Statue die honores sacerdotales bezw. ornamenta sacerdotalia,') was, wenn es sich um die Abzeichen der Proviuzialpriester handelt, doch sehi- an die

1) Marqdardt, Staatsyerw. l^ S. 303, von Pkemerstein a. a. 0. Sp. 1V7 u. 184: „wahrscheinlich zur Zeit seines Dakerkrieges um 86—89".

2) CIL. m Siippl. 7506, siehe oben S. 131 Anm. 1.

3) Kalopothakes, De Thracia provincia Romana S. 68, Patscei, Wiss. Mitteilungen aus Bosnien Y S. 349, von Premebstein a. a. 0. Sp. 191 u. 196.

4) MoMMSEs CIL. III p. 999, vox Domaszewski, Rhein. Mus. N. F. XLV , 1890, S. 206, XLVm, 1893, S. 244 Anm. 3, von Premerstein Sp. 191.

5) CIL. III Suppl. 7484 = 751.

6) Ebenda 7435 = 752; vgl. vo.n Domaszewski, Arch. epigr. Mitt. aus Osterreich XUI S. 134 Anm. 27.

7) Ebenda 7429 = 753, von Domaszewski a. a. 0. S. 135 Anm. 33.

85

136 E- Kornenumn,

adlectio iuter sacerdotales durch den ordo von Karales in Sardinien') erinnert. Da aber Oescus dui'cli Trajan Kolonie wnrde/) so liegt es ualie, falls nicht schon Domitian es war, jenen für den Begründer des nieder- mösischen Pro\^uzialkultes zu halten. Das von den griechischen Küsten- städten der Provinz gebildete xoivdv rr^g (IhvTanokswg oder) 'Eianolewg tov siwvvnov növrov behielt seinen älteren eignen Kaiserkult unter der Leitung des IIovTaQxtiS-'')

5. Die provinzialen Kaiserkulte der uachdiokletiauischen Zeit und das Ende der Institution.

Im Anfang des zweiten Jahrhunderts hat somit der letzte Ausbau der Institution stattgefunden: Trajan hat die letzten neuen Kulte ge- schaffen, Hadrian hat auf den Kult der Eoma neben dem Kaiserkult ziu-ückgegriffen. In den in dieser Zeit endgültig geschaffenen Formen hat der offizielle Kaiserkult über hundertfünfzig Jahre Bestand gehabt. Erst unter Aurelian ist der lebende Herrscher zum Deus geworden, hat mit anderen Worten die am weitesten fortgeschrittene Form des helle- nistischen Herrscherkultes, die schon unter Caesar im Eömerreich einzu- dringen im Begriff war, sich durchgesetzt. Aber nicht lange hat der Kaiser- kult in dieser Entartung sich behauptet, da der grösste Feind der ganzen Institution, das Chiistentum, bald siegreich wnxrde. Zuvor hat jedoch die dioldetianische Eeichsreform mit der Vergrösserung der Zahl der Pro'sänzen und der Pi-ovinzialisierung Italiens natui-gemäss noch eine starke Vermehrung der Provinzialkulte und Provinzialpriester in der Eegel in der nachdiokletianischen Zeit sacerdotes*) oder coronati provinciae,-'*) nach ihrem Abgang sacerdotales'') betitelt gebracht. Endlich dm-ch Konstantin den Grossen ist in Gestalt des Kultes der gens Flavia der letzte eigenartige Zweig dem gewaltigen, das ganze Eeich jetzt im Osten und Westen überschattenden Baume des Kaiserkultes aufgepfi-opft worden, durch denselben Kaiser, der zugleich mit der Anerkennung des Chi-isten-

1) Siehe oben S. 128 unter Sardinien.

2) Mein Katalog der römischen Kolonieeu bei Pauly-Wissowa IV Sp. 547 No. 232.

3) Kalopothakes a. a. 0. S. 69, Patsch a. a. 0. S. 349, von Premebstein Sp. 196.

4) Wilmanns, Esempla 2843 v. J. 326 : Z w e i sacerdotes provinciae, da es sich um die Doppelprovinz Tuscia et Umbria handelt. Ein sacerdos provinciae in einer italischen Provinz und zwar in Campania ist wohl auch der Romanus iunior, unter dessen Administration das Feriale von Capua , eine kaiserlich bestätigte Fest- und Ferien- ordnung für ilie Provinz Campanien vom 22. November 387 (CIL. X 3792), erlassen ist, darüber MoMMSEN, Ber. d. Sachs. Gesellschaft der Wiss. 18.50, S. 65 f; andere sacerdotes provinciae aus der nachdiokletianischen Zeit gelegentlich unten, vgl. z. B. S. 141 Anm. 7.

5) Ein coronatus Tusciae et Umbriae bei Okeli.i 3866 ^= Wilmanns 2102. Im ordo salutationis von Thamugadi aus der Zeit Julians (CIL. VIII Suppl. 17896 ;= Eph. epigr. V No. 697, vgl. S. 680 ff. daselbst) stehen an dritter Stelle coronati [provi]nc[iae].

6) Ein solcher CIL. Vin Suppl. 11025 = 27 aus d. Zeit 383/8 für die provincia Tripolitana; zwei sacerdotales im Album von Thamugadi: CIL. VIII 2403.

86

Zur ficfichkhtc der antiJceti HerrscherJcultc. 137

tunis als einer mit den lieidnisclieu gleidibereclitigten Religion die Axt an den mäclitigen Stamm gelegt hat. Genauer unterrichtet sind wir über diesen Kult der konstantiuischeu gens durch das Edikt Konstantins an die T'mbrer (nach 32(5 erlassen),') welches Mommskn-) von dem seit MuBATOKi auf ihm lastenden Verdacht der Uneclitheit befreit hat. Tuscien und Umbrien hatten bis dahin entsprechend der gemeinsamen Verwaltung diu-ch einen Statthalter (in der konstantinischen Periode corrector, später consularis Tusciae et Fmbriae) auch einen gemeinsamen Landtag, der in der Hauptstadt der Doppelproviiiz, in Volsinü, „dem etruskischen Delphi",-') tagte, dem aber hier ausnahmsweise zwei Pro\"inzialpriester, die coronati Tusciae et Umbriae, der eine von den Etruskern, der andere von den Umbrern ernannt, präsidierten. Die Neuerung , welche das erwähnte Edikt Konstantins herbeifühi-te , bestand darin, dass der Kaiser, da den Umbrern der Weg nach Volsinü zu weit und beschwerlich war, ihi-er Hauptstadt Hispellum, unbeschadet der Gemeinsamkeit des Gberbeamten der Doppelprovinz, bei der es nach wie vor blieb,^) den Eang einer Metropole, d. h. einer Proräizialhauptstadt , unter dem Namen Urbs Fla\ia Constans verlieh und daselbst einen eignen umbrischen Landtag sowie einen Tempel der kaiserlichen gens Flavia ziu- Feier besonderer Spiele für Umbrien begründete. Wie wii- au dem Eoma et Augustus- Kult der Tres Galliae die augustische, an dem Divus Augustus-Kult der Tarraconensis die tiberische Form des KaLserkuItes erkannt haben, giebt uns der neue Kult von Umbrien die Möglichkeit die letzte Gestalt des Kaiserkultes, die konstantinische, kennen zu lernen. Ein di-ei- facbes unterscheidet ihn von den Kulten der fi-üheren Zeiten und bezeugt zugleich den Anbruch einer neuen religiösen Epoche. Wohl wird noch ein neuer Tempel und zwar „magnifico opere" zu errichten gestattet, aber der Kaiser legt ausdi'ücklich für den neuen Bau den Umbrern die Be- scln-änkung auf: ,,ne aedis nostro nomini dedicata cuiusquam coutagiosae superstitionis fi-audibus poUuatur".*) Das geht auf die Darbiingung der heidnischen Opfer für den Kaiser, die schon unter Konstantin streng ver- boten waren.'*) Der Tempel sollte vielmehr nur den ]\Iittelpunkt für die jährlichen Festspiele der Umbrer bilden.') Die Spiele aller All, die allerdings in der Folgezeit noch im chiistlichen Sinne reformiert wui'den,") und die Feste, soweit sie keinen ausgesprochen heidnischen Charakter

1) WiLMAsxs 2843.

2) Berichte der Sachs. Gesellscb. der Wiss. 1850, S. 199 ff.; vgl. auch De Rossi, Bull, arch. crist. 1867, S. 69.

3) MouMSES a. a. 0. S. 210. - 4) MoMMSEs a. a. 0.

5) Z. 45 ff.

6) MoMMSEN a. a. O. S. 212 f.

7) Edikt KonstautiDs Z. 31 ff. und 47 ff.

8) Cod. Theod. XV 7. 3 aus d. J. 376; XYI 10. 17 aus d. J. 399.

87

138 E. Kornemunn,

trugen, sondern, wie z. B. Naturfeste oder politische Feste, auf neutralem Boden sich bewegten,') sind es gewesen, die, wie den heidnischen Tempeln, so auch dem Institut der sacerdotes provinciae noch eine längere Leljens- dauer, wenigstens noch das ganze vierte Jahrhundert über, verliehen haben. '^) Mit anderen Worten der provinziale Kaisertempel wie der sacerdos provinciae sind bald nach Konstantin überhaupt nicht mehr- für religiöse Zwecke vorhanden, sondern stehen im Dienste der altherge- brachten Volksbelustigungen, die die Kaiser nicht von heut auf morgen beseitigen konnteu. Zweitens ist an dem umbrischen Kult neu, dass derselbe nicht einem bestimmten Kaiser, etwa dem Divus Konstantins oder dem lebenden Konstantin, sondern der „gens Fla via" gewidmet war. Auch das ist offenbar eine Konzession au die neue Zeit, insofern bei dieser Form die göttliche A^erehrung eines bestimmten Herrschers nicht in die Erscheinung trat. Endlich erfahren wa- diu'ch eine weitere Inschi'ift aus Hispellum,-^) dass der Priester des neuen umbrischen Kultes den Titel „p ontif ex gentis Flaviae" führte. Der dort genannte C. Matrinius Aurelius AntoniniLs war vor der Trennung der beiden Provinzhälft eu in sakraler Beziehung noch Corona tus Tusciae et Umbriae und wurde wohl als p ontif ex gentis Flaviae der erste Priester des neueingerichteten umbrischen Kultes von Hispellum.^) Damit lernen "wii' eine neue, die letzte Titulatur des provinzialen Kaiserpriesters kenneu : nach f 1 a m e n und sacerdos nun auch noch pontif ex. Da aber in Eom selbst ein „poutifex FlaviaUs" in der Zeit Konstantins erscheint,^) so vermute ich, da Eom sicher eher als ü'gend eine Provinzialhauptstadt ein templnm gentis Flaviae, wohl bald nach dem Siege Konstantins über Maxentius (312) gehabt hat,'') dass, wie in früherer Zeit für das Aufkommen des Provinzial-

1) MoMMSEX, Berichte der sächs. Ges. d. Wiss. 1850, S. 69 f.

2) De Kossi a. a. 0 S. 69.

3) Orelli 3866 = WiLMANNs 2102. Mommsen a. a. 0. S. 214 ff.

4) Dass der pontifex gentis Flaviae der jährlich zu eriiennende umbrische Bundes- priester war, hält auch Mommsen für das wahrscheinlichere: a. a. 0. S. 220 Anm. 2.

5) CIL. VI 1690. 1691. 1694: L. Aradius Valerius Proculus, praefectus urbi 887, consul Ordinarius 340. Der frühere cursus honorum, wozu die Priesterämter augur, pontifex maior, XVvir sacris faciundis, pontifex Flavialis gehören, fällt daher in die konstantinische Zeit. Meine Ausführung bei Päuly-Wissowa s. v. concilium Bd. IV Sp. 824 ist darnach zu berichtigen.

6) Wo das stadtrömische templum gentis Flaviae gestanden hat, wissen wir nicht. Eine der ConsekrationsmUnzeu des Konstantins, des Vaters Konstantins des Gro.ssen (EcKHEL D. N. VIII p. 32, über die Consekration des Konstantins vgl. Panegyricus Constant. c. VIII, Elsebiüs, Hist. eccl. VIII 13; Nat. Caesar\im CIL. I^ p. 255; die Inschriften des Divus Constantius sind zusammengestellt bei Ruggiero, Diz. epigr. II ]). 662) mit der Aufschrift memoria Divi Constanti zeigt einen runden Tempel mit einem Adler darüber. Hierin ist vielleicht der Tempel der gens Flavia zu erkennen. Wohl nicht identisch ist derselbe aber mit dem von Maxentius seinem frühverstorbenen Sohne Romulus in clivo viae sacrae geweihten Rundtempel, der, wie aus den zwei Inschriftenfragmenten CIL. VI 1147 hervorzugehen scheint, nach dem Sturze des

Zur Geschichte der antiJicn Hcrrschcrhdfe. 130

Flamen, so auch jetzt für die Verleihung des Titels poutifex au einen Provinzialpriester Rom das Vorbild abgegeben hat. Den Grund, weshalb man die Benennung änderte, findet Mommsen,i) der allerdings die Ein- richtung des stadtrömischen Kults erst nach Konstantins Tod ansetzt, darin, „dass der heidnische römische Senat den christlich gesinnten Kaisern kein Ärgernis durch Einsetzung heidnischer Priester geben und doch auch die Eiten der Konsekration nicht verabsäumen wollte; pon- tifices aber zu eruenueu war nicht anstössig, so lange der Kaiser sich selbst noch poutifex maximus nannte". Da ich Eom die Priorität auch füi- die letzte Form des Kaiserkultes gewahrt sehen möchte, erscheint mir- eher das der Grund zu sein, dass es dadurch gelang, die Vorgänger noch an Servilität zu tiberbieten. Denn, sagt Mommsen weiter, „die neu creierte flavische Priesterschaft ward nicht unter, sondern neben die poutifices maximi gestellt und erhielt . . . Exemtion von der geistlichen Oberaufsicht, die dem römischen Oberpriester oblag". Nachdem aber in Eom die neue Form gefunden war, kopierte man sie einfach in Hispellum.

Diesem umbrischen Quasi-Provinzialkult gegenüber finden wii- in Numidien einen rein provinzialen Kaiserkult der gens Fla via. Die Nach- richt des Adbelius Victor-) für die konstantinische Zeit: „tum per Äfricam sacerdotium decretum Flaviae genti" , hat man wohl mit Eecht mit der Umnennung von Cii-ta in Constantina unter demselben Kaiser in Ver- bindung gebracht^) und den neuen Kult hier in der Hauptstadt von Africa nova oder Numidia lokalisiert. Ist das richtig, so ist damit er- wiesen, dass der Priester des flavisch-konstantinischen Kultes nicht überall pontifex hiess; ■\aelmehr lautet in Numidien, wie überall damals, der

Mazentius dem Konstantin allein und nicht der gens Fiavia dediziort wurde, De Eossi, Bull. arch. crist. 1867, S. 66—69, Jordax, Topographie II, S. 8. Konstantin ist in diesen Jahren von dem römischen Senat und einzelnen Mitgliedern desselben geradezu mit Ehren überhäuft worden. De Rossi hat an anderer Stelle (Bull. arch. crist. 1871, S. 41 ff.) nachgewiesen, dass der Konsul vom Jahre 317 Junius Bassus an der Stelle der späteren Kirche S. Andrea bei S. Maria Maggiore auf dem Esquilin eine Basilica ZTi Ehren des Konstantin oder auch der gens Fiavia errichtet hat, in dem aber auch nicht das templum geutis Flaviae zu erblicken sei (a. a. Ü. S. 52). Bei der be- kannten Anknüpfung der konstantinischen Dynastie an Claudius Gothicus (über die durch diese künstliche Anknüpfung hervorgerufenen Fälschungen in der Historia Augusta vgl. Klebs, Hist. Zcitschr. LXI N. F. XXV (1889) S. 227 ff.) liegt meiner Ansicht nach die Vermutung noch am nächsten, dass vielleicht ein vorhandener, vom Senat für Claudius errichteter Tempel (über die Ehrungen des Claudius vgl. Historia Aug. vita Claudii c. 3) in einen solchen der gens Fiavia in der konstantinischen Zeit um- gewandelt wurde.

1) MoMMSEN a. a. 0. S. 220.

2) De Caesaribus XL 28.

3) Darüber Mommses a. a. 0. S. 213.

89

140 E. Kornemann,

Titel des Proviuzialpriesters sacerdos oder coronatus i)roA'inciae') und zum Uuterscliied von diesem numidischeu Provinzialpriester lieisst der- jenige der proviucia proconsularis nuumebr: sacerdos proviuciae Africae veteris,^) eine unterscheidende Titulatur, die die Clu-isteu dann bei- belüelten. So gehört Africa, wo, wie wii- sahen, der provinziale Kaiserkult so spät Fuss fasste, offenbar zu den Ländern, die ilm am längsten konserviert haben.

Wie lauge überhaupt noch der Kaiserkult im 4. Jahi-huudert sich behauptet hat, ist schwer zu sagen. Nach Konstantin^) sind noch dessen Sohn Konstantins 11., der heidnische Juliamts, aber auch noch Jovianus,^) ja wenn ^'ii- Ausonius^) glauben dürfen, sogar noch Vahntinian /., natüi'lich in einer das clu-istliche Empfinden nicht allzu sehr- beleidigenden Weise,'') konsekriert worden.") Länger als der provinziale Kaiserkult hat das Provinzialpriestertum, allerdings in der oben besprocheneu, des religiösen (jehalts entkleideten Form, bestanden. Bezeichnend hierfür ist, dass im Jahre 358 füi- Afrika wenigstens, und offenbar vorübergehend, die Be- stimmung erlassen wurde, ^) dass nur aus den advocati der sacerdos pro- viuciae bestellt werden sollte. Wie fast alle Jlassregeln der spätrömischen Kaiserzeit, ist auch diese mit diu-ch luianzielle Eücksichteu diktiert: Die Advokaten besassen keine Befi'eiung von den Munizipallasten, vor allem von der Kurie, und blieben auch nach Übernahme des sacerdotium mit den munera civilia belastet. Der diu'ch diesen Erlass wohl hervor- gerufene Euin des Amtes ist, wie es scheint, durch das Eingreifen des Prokonsuls Julius Festus Hymettius aufgehalten worden, dem ungefähr- zehn Jahre später in einer Inschi'ift") gedankt wii'd, „quod Studium sacer- dotii provinciae restituerit, ut nunc a competitoribus adpetatur. quod autea formidini fuerit". Gegen Ende des 4. Jahrhunderts sehen wir- die kaiserliche Gesetzgebung in der Eichtung sich bewegen, dass offenbar

1) Im ordo salutatiouis aus Thamugadi aus der Zeit Julians CIL. VIII Suppl. 17896 tertio loco: coronati provinciae; sacerdotales der Provinz aus konstantinischer oder späterer Zeit bieten die Inschriften CIL. VIII 7014. 7034. 7035. 8348, zwei sacer- dotales im Album von Thamugadi VIII 2403, vgl. auch 4600.

2) CIL. VIII Suppl. 11546 aus Ammaedara.

8) Inschriften für den Divus Constantinus sind zusammengestellt bei Kdggiero, Diz. epigr. II p. 651. Die Consekratiou wird bestätigt von Eutrop X 8 u. Natal. Caes. CIL. r^ p. 255.

4) Eutrop. X 15. 16 u. 18.

5) Gratiar. actio ad Gratianum c. X.

6) EüSEBiDs, Vita Constantini IV 71 ; vgl. Tertullian ad Scapulam 2.

7) EcKHEL D. N. VIII S. 472f., Desjarptss, Eevue de philologie III, 1879, S. 46, der eine Liste aller Divi und Divae giebt.

8) Cod. Theod. XII 1. 46.

9) CIL. VI 1736.

90

Zur Gcxchiclitc der antiken Herrscherkultc. 141

mit Riu'ksicliten auf die Christen') ein Zwang- zur Übernahme des Amtes seitens der Regierung weder gegenüber den Curialeu nocli den Söhnen von Provinzialijriestern ausgeübt,-) aber den Statthaltern zur PÜiclit gemaclit wird, für geeignete Bewerber um das Amt zu sorgen.^) An diesen iuit es aber im allgemeinen nicht gefehlt wegen der mit dem Amt verbundeueu Inmmni- täten und des Emporsteigeus in die Rangklasse der comites dritten Grades,*) wodurch man aus dem verhassten Curialenstaud herauskam. Die gewesenen Proviuzialpriester, die sacerdotales , bildeten zudem einen bevorzugten ordo in der Pro\inz, der ebenfalls mit bestimmten Vorrechten ausgestattet war und dem Range nach gleich auf den ordo senatorum folgte. 5) Doch haben diesen Privilegien natiu-gemäss auch Pflichten gegenübergestanden, vor allem die Ausrichtung der jährlichen kostspieligen provinzialen Festspiele. Daneben sehen wir in Constantina bei Dedikationen von Statuen und bei öffentlichen Bauten einen sacerdotalis die Ausfüluning übernehmen,*) was bei den Verhältnissen des 4. Jahrhunderts vielleicht gleichbedeutend war mit der tJbernahme der Kosten. Inschriftlich sind sacerdotes und sacerdotales bezeugt bis ans Ende des 4. Jahi'hunderts,') durch die Reclitsquellen noch im 5. Jahrhundert : so bestimmt ein Erlass an den Prokonsnl von Afrika vom Jahre 407, dass alle Anliegen an die Kaiser, die die ckristliche Kirche beträfen, nicht durch die Provinzial- priester, sondern durch die advocati an die Statthalter weitergegeben werden sollten,*) ein anderer von 413 an denselben, dass die sacerdotales -wie, alle

1) Cod. Theod. XII 1. 112 (386).

2) Ebenda XII 1. 103 (383), 109 (385), 166 (400).

3) An der zuletzt angeführten Stelle.

4) Cod. Theod. XII 1. 75 (371), 148 (395); vgl. im übrigen Gcuracd, les assemblees provinciales S. 251 Anm. 3. Für die Rangstellung der sacerdotes provinciae vgl. auch den ordo salutationis von Thamugadi: CIL. YIIT Suppl. 17896, dazu Jon. Schmidt ebenda p. 1704.

5) Vgl. das Album von Thamugadi CIL. VIII 2403 aus den letzten Regierungs- jahren des Konstantius II. oder aus der Zeit Julians, dazu Moumsen, Eph. epigr. III, S. 81f.; auch GüiRÄUD a. a. 0. Nach Cod. Theod. XVI 5. 52 (412), 54 (414) werden gegen donatistische sacerdotales geradeso liohe Strafen verhängt, wie gegen Senatoren, die dieser Sekte angehören.

6) Die stehende Formel auf den numidischen ln.'=chriften lautet: curaute .... sacerdotale: CIL. VIII 7014. 7034. 7035, vgl. 8348. Für die provincia Tripolitana übernimmt ein sacerdotalis eine legatio an den Kaiser: CIL. VIII Suppl. 11025 = 27.

7) Der ordo salutationis von Thamugadi, der coronati provinciae erwähnt (CIL. VIII Suppl. 17896), gehört in die Zeit Julians; sacerdotes bezw. sacerdotales kommen noch vor CIL Vm 6338 in der provincia proconsularis um 370 n. Chr.; CIL. VIII Suppl. 11025 = 27 in der Tripolitana zwischen 383 und 389, CIL. X 3792 in Campanien vom 22. Nov. 387, CIL. VIII 7034 in Numidien in den neunziger Jahren des 4. Jahrhunderts.

8) Cod. Theod. XVI 2. 38, dazu Coli, concil. ed. Mansi III p. 802 = IV p. 502; vgl. MoMMSEN und De Eossi, Eph. epigr. V S. 636 f. und Lecrivü.x, Melanges d'arch. et d'hist. X (1890) S. 253 ff.

91

142 JÜ. Konic.mann,

übrigen Besucher bei den Provinzialfesten niclit länger als fünf Tage in Karthago sich aufhielten, etwa unter dem Vorwand, sie seien für die Provinz thätig, vielmehr sollte nur der jeweilige Proräzialpriester zur richtigen Zeit die Geschäfte der Provinz erledigen und dafür seinen Sitz in der Provinzialhauptstadt haben.^) Im Jahre 428 erhalten die sacerdotales von Africa proconsularis ausnahmsweise, weil diese Pro'^inz ..omnium intra Africam provinciarum obtinet principatum", Befi-eiung von der praebitio tironum.'-) Endlich erwähnt noch der Erlass Marcians vom Jalu-e 454,-^) welcher denjenigen Konstantins vom Jahre 336^) über die unstandes- gemässen Ehen der Senatoren und anderer hochgestellter Personen des Reiches erneuert, neben dem flamen municipalis den sacerdos provinciae, und schliesslich haben selbst Christen das vollkommen säkularisierte Amt bekleidet.*) Der Kaiserkult war tot, aber seine ehemaligen Priester blieben als staatliche und städtische Funktionäre von hohem Range selbst in den christlich-germanischen Reichen, die auf dem Boden der Romerherr- schaft sich gebildet hatten, noch in Thätigkeit.'*)

(5. Rückblick.

Wii" stehen am Eude einer Wanderung diuxh etwa acht Jahrhunderte,

auf der wir die antiken Herrscherkulte im Entstehen und allmähligen

Werden, in den verschiedenen Formen der Blütezeit, endlich in ihrem

Niedergang und Vergehen verfolgt haben. In dieser mächtigen Institution,

1) Cod. Theod. XII 1. 176 (413), ein ähnlicher Erlass XVI 10. 20 (415).

2) Cod. Theod; VII 13. 22.

3) Nov. Marciani tit. IV § 1.

4) Cod. Theod. IV 6. 3 (336).

5) Saeerdotales, welche Donatisteu waren, werden erwähnt Cod. Theod. XVI 5. 52 (412) und 54 § 4 (414). Auch der sacerdotalis auf der christlichen Inschrift der Ba.silica von Cuicul, CLL. VIII 8348 (dazu Hieschfeld, Annali dell' Instituto 186B, S. 69 fl., De Rossi, Bull, di arch. crist. 3 S. III (1878) S. 31 ff.) war vielleicht auch ein Donatist. Conc. von Elvira, Canon 55 bei Maxsi, Conc. collecfio II j). 15: sacerdotes qui tautuni coronam portant nee sacrLficant nee de suis sumptibus aliquid ad idola praestant .... vgl. Canon 3 bei Mansi ebda. p. 6: flamines qui non immolaverint sed munus tantum dederint. Der Brief des Papstes Innoeenz I., No. XXIII ad epis- copos synodi Tolosanae VI. bei Maxsi III p. 1069, bestimmt, dass diejenigen nicht christliche Priester werden könnten, qui post baptismum vel coronati fuerint vel sacer- doiiura quod dicitur sustinuerint et editiones publicas celebraverint ; vgl. Hefele, Couziliengeschichte I^ S. 156 u. 179, Güikacd, Assemblees prov. S. 251 Anm. 1.

6) Wir haben zwar nur Zeugnisse von Munizipalpriestern : Sidoxiüs Apollinaris, Ep. V 7 spricht von solchen Galliern, welche invident flanionia municipibus; die Inschrift von Ammaedara CLL. VIII 10516 nennt sogar noch einen flamen perpetuus christianus aus d. J. 525;6, also unter der Vandalenhorrschaft , darüber De Rossi, Bull, di arch. crist. 3 S. III (1878) S. 25 ft". Aber annehmen darf man wohl, dass so gut wie die Munizipal- auch die Provinzialpriester des ehemaligen Kaiserkultes Bestand gehabt haben.

92

Zur GcscMchfc der cnitiJcm FTerrschcrJculte. 143

die der letzten . relig'ionsgescliiclitlicli so eminent bedeutenden Ei)Oclie antiker Gescliichte niclit zum wenigsten ihren Stempel auffredrückt liat, sind die orientalische Gottkimigsidee und der hellenische Heroenglaul)e ineinandergeflossen, aber so, dass, zunächst wenigstens, dem Heroenkult der grössere Anteil zuzuschreiben ist. Sind es doch einzig und allein Griechen gewesen, die die hellenischen Gottkönigtümer ins Leben ge- rufen haben ; griechisch ist die anfänglich nur stattfindende Vergötterung verstorbener und nicht lebender Herrscher, griechisch ist die Anknüpfung des Kultes an eine bestimmte Stadt, ja durchaus griechis(;h sind immer die Formen der Herrscherkulte geblieben.^) Aber die universale Ge- stalt Alexanders und die übergreifende Bedeutung Alexandreias in der hellenistischen Zeit haben den nach Art des Heroenkultes lokal gebundenen Herrscherkult überwunden. Das Rivalisieren der Ptolemäer und Seleukiden hat dann die weitere Ausgestaltung gebracht. Die Eegierung des Ptole- maios Philadelphos ist vor allem epochemachend, insofern er zuerst von Staatswegen den Kult des lebenden Herrschers eingeführt hat. Später ist der ptolemäische Kult immer mehr in die Hände der im Nilland nun einmal allmächtigen Priesterschaft geraten, hat aber den griechischen Charakter noch möglichst festgehalten. Der Kult Alexanders des Grossen und der künstlich an ihn angeschlossenen ptolemäischen Ahnen bleibt hier immer im Vordergrund, der Kult des lebenden Herrschers, bezw. Herrscherpaares tritt dagegen zurück. Im Seleukidem-eiche ist, nachdem einmal das Beispiel des zweiten Ptolemäers befolgt war und der lebende Herrscher neben den Toten übermenschlicher Ehren teil- haftig geworden war, der Kult der Lebenden die Hauptsache geworden: es scheint, dass die orientalische Gottkönigsidee in Sjrien wohl unter dem Einfluss Babylons^) viel tiefer die griechische Institution durchdrungen hat. Kein Priesterwort spricht hier mit: der König ist eo ipso die incarnierte Gottheit selber. In weitem Abstand davon steht der Kult der Attaliden, die vielleicht noch nicht einmal soweit gegangen sind, wie die Ptolemäer, vielmehr offiziell auf einen Kult des lebenden Herrschers sogar verzichtet zu haben scheiaen, und alle Ehren auf die Dahingeschiedenen, vor allem auf den Stammvater des Geschlechtes, ge- häuft haben. Die Antigoniden in Makedonien endlich schufen überhaupt keinen Staats-Herrscherkult.

1) Ich neige also der Ansicht von M. L. Strack zu, die derselbe mehrfach aus- gesprochen hat (Dynastie der Ptol. S. 149 Anm. 2, ebda. S. 112; zu weitgehend neuer- dings im Khein. Mus. LV, l'JOO, S. 164 Anm. 1\ die auch schon O. Hirscukeld a. a. O. S. 833 angedeutet hat. Auch Rühde, Psyche II S. 356 ff. leitet das meiste aus dem griechischen Heroenkulte her. Auf dem entgegengesetzten Standpunkt stehen Ed. Schwartz, Rhein. Mus. XL, 1885, S. 527, und von Wilamowitz, Gott. gel. Nachr. 1894 S. 28 Anm. 2.

2) Vgl. oben S. 88 Anm. 2 am Schluss.

93

144 -C. Korncmann,

Das Erbe aller dieser liellenistisclien Eeiclie trat dann Eom an, und es schien, als wollte der Herrsclierkult gleich in der extremsten Form, der des Seleukidenreichs , unter Caesar im Occident Fuss fassen. Die Älordthat vom 15. März 44 erzeugte eine gesunde Eeaktion hier- gegen. Nur die göttliche Verehinmg des entschlafenen Herrschers, und zwar als Divus und nicht als Dens, zuerst des Divus Julius, des Märtyrers der Iden des März, setzte sich durch. Ein weiteres spezi- iisches Charakteristikum des römischen Herrscherkultes gegenüber allen liellenistisclien aber bestand darin, dass die Erhebung zum Divus nicht durch Priesterdekret , nicht durch den Herrscher selbst , sondern durch das nominell immer noch souveräne Volk, bezw. dm-ch seine Vertretung, den Senat, erfolgte. Der lebende Herrscher erhielt zwar durch den Titel Augustus eine höhere Weihe, aber keinen göttlichen Charakter. Vor allem das Verhalten des zweiten Prinzeps von Rom hat für diese Entwicklung eine grosse Bedeutung gehabt: Philadelphos und Tiberius sind in diesem Punkte die grössten Antipoden. Aber schon Claudius lenkt in die Bahnen des Caesar, d. h. des Hellenismus, ein. Von der Peripherie des Eeiches ausgehend, -wii-d die Verehrung auch des leben- den Herrschers, wenn auch nur als „Augustus" , seit den Flaviern allgemeine Sitte; endlich, doch erst am Ende des dritten Jahrhunderts, wii-d die im Seleukidenreich einst geltende Form, dass der lebende Herrscher schon die Gottheit auf Erden repräsentiert und geradezu Dens genannt wird, erreicht. Aber schon lag dem gewaltigen Baum die Wurzel an der Axt: hundert Jahre später war der Kult der Herrscher dahin.

Das Neue, was die gesamte betrachtete letzte Epoche der antiken Welt in die Geschichte eingeführt hat, ist das Gottmenschentum : Menschen werden zu Göttern und Götter zu Menschen, Gottmenschen stellen die Verbindung zwischen Erde und Himmel her. Die Bedeutung der Persön- lichkeit Alexanders des Grossen für das Aufkommen dieser neuen Ideen kann man meiner Ansicht nach nicht hoch genug anschlagen. Seine grossartige Begabung und seine überraschenden Erfolge in einem so kiu'zen Erdendasein haben die im griechischen Denken schon vorher verschmälerte Kluft zwischen Göttern und Menschen unter dem Einfluss des Orients fast ganz verschwinden gemacht. Alexander steht daher an der Spitze einer neuen Weltepoche. Nicht dadurch, dass ein Gott zu den Menschen herniederstieg, sondern dadiuxh, dass ein Mensch von scheiubar übermeusclilicher Befähigung, übermenschlichem Können und Wollen der Gottheit nahekam, ist die Idee des Gottmenschentums in die Welt ge- kommen. Aber der neue Kult der zunächst Halbgott-, dann Gottgewordenen Menschen wü-ktö stark zersetzend auf den alten, schon vielfach er- schütterten Glauben: ,,"\\'ar ein Mensch zu einem Gott erklärt worden auf Grund seiner gewaltigen Thaten, der Herrscherstellung ohne (Tleichen

94

Xitr Gcschicldii der antiken Herrscherhtlte. 145

die er einiialiiii. so lag es dem aufklärerischen Griechentum der damaligen Zeit gewiss nahe, die alten Götter zu Menschen zu machen, da die Seheidewand, die das Göttliche und Menscliliche trennte, in so offenbarer ^\■eise gefallen war".') Diese Anschauung ist nicht auf Euliemeros be- schränkt geblieben, sie ist durch Persaios, einen Schüler des Zenon, der ,.mehr Hofmann als IMiilosoph" war, sogar ein Bestandteil des bedeutendsten idiilosüphischen Systems des hellenistisch-römischen Zeitalters, des Stoicismus, geworden.") Trotzdem hat die Verehrung der in das Eeich des Göttlichen übergegangenen Herrscher nicht religiös vertiefend, sondern verflachend gewirkt,^) hat in die Reihen der olj-mpischeu Götter nur einige neue, seither menschliche Xamen eingefügt und dadurch die Position des Polytheismus niu- noch schwächer gemacht. Aber nicht um- die antike Eeligion, auch der antike Staat haben darunter gelitten. "Waren schon bis dahin im Altertum Staat und Kii-che fast unzertrennbar, so wiu-den sie es, seitdem das Staatsoberhaupt selbst ein Mitglied des offiziell anerkannten Götterkreises geworden war, in bei weitem höherem Masse, ja man könnte sagen, Staat und Kii-che fielen Jetzt für den Unterthanen vollkommen zusammen : Büi-ger eines solchen Staates konnte um- sein, wer Bekenuer seiner Staatsreligion war. "Wer -s^lder die letztere auftrat, stellte sich auch ausserhalb des Staates. Das erfuhi-en zuerst die Bekenner des jüdischen Monotheisnms, die sich in schwerem Eingen gegen den Seleukidenstaat und Seleukideu- kiüt verteidigen mussten. Aber gerade in den Makkabäerkämpfen hat sich die altjüdische messianische Hoffnung von neuem besonders stark belebt ,^) bis sie dann schliesslich in Erfüllung ging und in der Eeligion Jesu Chiisti eine bei weitem grössere Gegnerin des Herrschei-kiütes schuf. Der Kampf zwischen .Judentum und Seleukidenkiüt kehrte Ln verstärktem Masse wieder in dem Kampf zwischen ChiLstentum und römischem Kaiser- kult. Als dann neben der heidnischen Religion auch der antike Staat degenerierte, wiu-de der Pseudoglaube an die gottgewordenen Menschen diu'ch den wahren Glauben an den menschgewordenen Gott überwunden, jedoch nicht ohne dass das Christentum von dem alten Gegner gar Manches sich absah. Otto Hieschteld schliesst seine schöne Abhandlung über den römischen Kaiserkult mit den Worten: „Es ist ein bedeutsames Zeichen für die Kontinuität aller menschlichen Entwicklung, selbst wo

1) So Kaebst, Histor. Zeitschrift LX.XIV (1895) S. 226.

2) HmzEi., Untersuchungen zu Ciceros philosophischen Schriften II S. 73fiF. Ahn- liches hat Ed. Scuwartz, Rhein. Mus. XL (188.5) S. 260, bei Hekat.iios von Teos nach- gewiesen, der diese Ideen auch wohl der Stoa entnahm.

3) Auch Strack sagt, Gott. gel. Anzeigen 1900, S. 642; ,Ich vermag mir das dritte Jahrhundert, die Zeit des Euhemeros, in der die Könige sich zu Göttern machten nicht als religiös vorzustellen.'

4) W. Baldexsperger, Das spätere Judentum als Vorstufe des Christentums, Üniversitäts-Progr. von Giessen vom 25. August 1900, S. 17.

Beiträge z. alten Geschichte I. 10

95

146 E. Korncmann, Zur Geschichte der antiken Hcrrscherhiltc.

sie sich aiiseheineud in schroffem (Gegensatz zu der Vergangeuheit voll- zieht, dass die christliche Kirche für ihre Concüien und Priester die äusseren Formen. Namen und Abzeichen nicht zum geringsten Teil dem pro^zialen Kaiserkult entlehnt hat, der drei ■Tahrhimderte hindurch das heidnische Wahrzeichen der römischen l->eichseinheit im Osten und Westen gebildet hatte." Ob nicht sogar auch die christlichen Divi und Divae von ihren antiken Vorgängern noch mehr als den blossen Namen geerbt haben, ist mehr als fraglich.

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147

Decemprimat und Dekaprotie.

Von Otto Seeck.

Die Yerfassiuigen der Städte, die Rom gegründet oder neu organisiert hat, süid ein vereinfachtes Abbild der römischen, und gerade bei ihren Ratsversanimlungen tritt dies Verhältnis am deutlichsten hervor, weil sie das politische Leben und die ganze Verwaltung am entschiedensten be- herrschen. Wie der Senat der Hauptstadt, so gehen aucli die ordines decurionum aus ceusorischer Wahl hervor; aber hier wie dort ist sie durch die Veri)flichtung beschränkt, die früheren Magistrate nicht zu übergehen und sie in der Reihenfolge, die der A\'ürde ilires Amtes und der Zeit seiner Bekleidung entspricht , in die Liste einzutragen. Die Versammlung darf niclit aus eigener Machtvollkommenheit, sondern nur auf den Befehl eines Beamten zusammentreten, der dann ihre Leitung übernimmt, und die Debatte vollzieht sich nicht, wie bei den Griechen und noch heute bei uns, indem, wer etwas zu sagen hat, sich zum Worte meldet, sondern jeder redet nur, wenn der Vorsitzende ihn dazu auf- fordert. Aber wie die censorische Lectio, so ist auch dieses Abfi'agen der Sentenzen kein freies und ungebundenes; es muss sich, wenigstens in der Hauptsache, an die Reüienfolge der Senatsliste halten, so dass immer diejenigen als Erste zu Worte kommen, welche die höchsten Ämter bekleidet haben. Audi in der Art ihi-er Beglaubigung und Auf- zeichnung, ja selbst in den Formeln, die sie eröffnen und schliessen, ent- sprechen die Dekrete der Deciu-ioneu genau den Consulten des Senats, kurz in ihrem inneren Wesen, wie in ihren äusseren Formen würden diese Körperschaften völlig übereinstimmen, wenn nicht der Decemprimat wäre. Aber dass die zehn Vornehmsten die ganze Gemeinschaft vertreten und leiten, ist der römischen Verfassung fremd, während es allen ihren Kopien gemein zu sem sclieint und sicli dann auch über die Städte pere- grrnen Rechtes in immer weiterem Umfange verbreitet.

Die Römer waren nicht eben reich an selbst thätiger Erfindungsgabe, und auch diese Institution haben sie einer Gemeinde entlehnt, mit deren Zuständen sie durch uraltes Bündnis und langen freundschaftlichen Ver- kehr genau vertraut waren. Die Regierung von Massilia leitete ein Rat

10* 1

148 0. Sccck,

von tiOO lebenslänaliclieii Jntgliedern . dem ein Kolleoium von 15 vor- stand ; unter diesen bildeten die drei einflussreielisten Männer einen engeren Ausschuss, dessen Spitze der -princeps scnatus war.^) Im Deceniprimat sind jene 15 auf 10 herabgesetzt, weil die Ordines nui" aus 100 Deeuriuuen bestanden, oder wenn sie zahlreicher waren, doch den Umfang des mas- siliensischen selten erreichten. Übrigens ist die Ziffer unwesentlich, da neben den decemprimi, dsxcingoiToi oder deceinviri auch wndecimprimi oder undecimviri und ely.oanTigooToi oder vigintiviri vorkommen, ja in den letzten Zeiten des römischen Eeiches sogar qumquejn-imi ,-) die alle diesell)en Funktionen ausüben.^) Doch herrscht die Zehnzahl voi', und die übrigen sind aus ilu- entmckelt. Denn 20 ist ihre Verdoppelung, 5 ihre Halbierung, und wenn man ihr einen Mann hinzufügte und sie dadiu'ch auf 11 brachte, so ist dies vermutlich geschehen, um bei den Beratungen des Kollegiums durch die ungerade Zahl Stimmengleichheit zu verliiiidern. Wii- werden daher im folgenden unter Decemprimi alle diese Eats- ausschüsse verstehen, ob sie aus fünf, zehn, elf, fünfzehn oder zwanzig Mitgliedern zusammengesetzt sind, obgleich es vielleicht richtiger wäre, in diesem Sinne den allgemeineren Ausdruck principales anzuwenden.*)

1) Strab. IV 1 , 5 p. 179: diotxoDi'rai ö' &.QiaToy.^axiv.&g ol MaaaaXiwrui Tidvxuiv ivvournTUTOi, &t'dQiiiv i^axooiwr XKTaCr»)cai'rts evviäQiov , äiä ßiov Tavri}v iffivzav zijv Ttjujy, ovi Tiuoi'xovs y.aXovai. ;r£tTiXKidiXK <J' tia'i roß avndQiov ireofcriärf j, rovroig di TU TiQOXtiQCi öioixtiv didozai. TiuXir 6i rüv 7ttvTty.aiöty.cc TTQoy.cl&rivTtti TQtig oi nltiaxov taxvovvtg, zovrcov di tig. Die 600 sind auch durch Val. Max. II 6, 7 und Mitteilungen des archäologische u Instituts in Athen VI S. 96 beglaubigt, die 15 durch Caes. b. c. I 35. Dass diese Einrichtungen auf sehr alte Zeit zurlickgehn , darf man aus Val. Max. a. O. schliessen, der die Massilienser in minimis quotjue rebus omnia antiquae consuetudinis monumenta servantes nennt. Vgl. Pomp. Mela II 5, 77 : mirum quam facile et tunc sedem alienam ceperit et adhuc morem suum teneat.

2) Nov. Maior. 7, 9: quinque primnrum ciiriae subscriptio atque consensio. Cod. Theod. XII 1, 190: quinque piiinatef! ordinis Alexandrini. Nov. Just. 128, 16: (itra nivTS XQCoTivövzav,

3) Dass decemprimi, undecimprimi (CIL. VIII 7041. 12006. 12007. 12802. 14755. 14875) uud i:ly.oaäjtQmzoi (CIG. III 4332. Journal of Hellenic studies XV S. 118. Bulletin de correspondance hellenique XVI S. 444. Eevue des etudes grecques VI S. 165. Dig. L4, 18 § 26) ganz dasselbe sind wie deccmviri (CIL. II 1953. 5048, III 3467, VUI 10945), undecimviri (CIL. XII 3179) und rigintiviri (CIL. X 5915, XII 1376, XIV 340), ergiebt sich schon aus der Übereinstimmung der drei Zahlen und hätte nie bezweifelt werden sollen. Übrigens bedeutet dies für unsere Untersuchung nicht viel, da die Inschriften der letzteren Gruppe uns nichts lehren, was sich nicht auch aus anderen Quellen schöpfen liesse.

4) Dass decemprimi und principales dasselbe bedeutet, hat schon Gothofredcs ge- sehen. Es ergiebt sich namentlich aus der Vergleichung von Cod. Theod. XVI 5, 52 pr. VII 13. 7 § 2 mit XVI 5, 54 § 4 und von IX 35, 2 § 1 mit XU 1, 85, wo ab- wechselnd bald das eine, bald das andere Wort in genau demselben Zusammenhange gebraucht wird. Ein LTnterschied scheint nur insofern bestanden zu haben , als man den Titel princi2)alis sein Leben lang führte, den Decemprimat dagegen nach einer bestimmten Reihe von Jahren niederlegen konnte. Daraus erklärt sich der 2)rincipalis

Decoiiprimaf tuid Dclaprotie. 149

|)(irli (lii'siT koimiit in dieser besonderen Bedentnnjif nidit vor dem :'.. .lalirliiuidert vor') und wird erst im 4. «rebriuidilicli. Wir halten uns daluT an dasjenige AVort, welches sdion der klassischen Zeit geläutig war. ancli wenn es sich mit dem Za]ill)egrifte nicht immer deckt.

Wenn die Eömer die ungerade Ziffer der Massilienser durch eine gerade ersetzten, so war dies niclit eben praktisch, entsprach aber ihi-er Vorliebe für das Decimalsystem , die sich auch darin ausprägt, dass sie für die Stadträte die Nornialzahl 100 wählten. Zweckentsprechender war die Beseitigung jener Zwischenstufe der drei Obmänner, die fi-eilich durch den Umstand, dass 10 nicht diu-ch 3 teilbar ist, mit beeinflusst sein kann. So blieb nur jene einheitliche Spitze übrig, die in den Quellen bald als jn-imus curiae,-) bald als decemvir maxiinus,'') bald als rroiuTivon'*) auftritt. Trotz dieser Änderungen ist die Äknlichkeit gross genug, um im Decemprimat die Nachahmung des massiliensischen Vorbildes deutlich er- kennen zu lassen. Und dass es den Römern nachahmenswert scliien, ergiebt sich aus den überschwänglichen Lobeserhebungen, die ihre Schrift- steller der Verfassung des verbündeten Staates spenden.'')

In denjenigen Städten, die Eom gegründet hat, lassen sich die Decem- primi zuerst nachweisen; schon während des Kannibalischen Krieges er- scheinen sie in den latinisclieu Kolonien.") Nachdem ganz Italien das

coloniae Misenensis ex decemprimis (CIL. X 8132), d. h. nach dem Sprachgebrauche jener Zeit (Momsisen, Ephemeris epigraphica Y S. 128" ein Principaie, der früher Deeem- primus gewesen ist.

1) Dig. XLVIII 19, 27 § 1. 2. Am Ende des 2. Jahrh. bat das Wort noch eine allgemeinere Bedeutung CIL. II 6278, 24.

2) Cod. Theod. XII 1, 189; vgl. 127. 171. Vielleicht ist auch CIL. VIII 2757 die rätselhafte Abkürzung DORP in d(eeurio) or(dinis) p(rimus) oder d(ecemvir) or(dinis) p(rimu!') aufzulösen. Da derjenige, welchem die Inschrift gesetzt ist, duumvirnlicius, flamen perpetuus und römischer Ritter war, würde die Stellung des Ersten in seiner Curie zu seinem Hange gut passen.

3) CIL. II 5048.

4) Theodor, epist. 15. 33.

5) Cic. pro Flacc. 26, 63: cuius eyo civitatis disciplinmn ntiiuc gravitatem non solum Graeciae, sed haud sein an cunctis ge.ntihus anieponendam dicam. sie opti- matium consilio (jubernatur, ut omnes eiits institiitn laudare facilius possint quam aemuUiri. Strab. IV 1 . 5 p. 179: -xavtatv tvvofLwTUTOi. Vgl. Val. Max. IIB, 7; Cic. de rep. I 27, 43.

6) Das älteste Zeugnis ist Liv. XXIX 15, 5: decrevcrunt, ut consuhs mayistratus denosque principes Nepete, Sutrio, Ardea, Calihus, Alba, Carscolis, Cora, Siiessa, Setia, Cerceis, Narnia, Intcramna liae namque coloniae in ea causa erant Boinam cx- cirent. Verwandt ist die Erzählung, wie die Römer decem princii)es Lntinorum Eomam cvucaverunt, quibiis impcrarcnt, qiiae vellcnt (Liv. VIII 3, 8); doch gehört sie insofern nicht hierher, als die zehn Gesandten in diesem Falle nicht den Ordo einer einzelnen Stadt, sondern das ganze nomen Latinum vertreten. Dieses hat sich die Quelle des Livius nach Analogie eines städtischen Gemeinwesens konstruiert; denn dass die Episode, in der jener Satz vorkommt, späte anuali.stische Fälschung ist, lässt sich nach ihrem ganzen Charakter kaum bezweifeln.

150 0. Sced;

Bürgerrecht empfangen und zugleicli die Verfassungen seiner Städte eine umfassende Revision erfaliren haben, linden sie sich aucli in den Municipien;') bald darauf treten sie in einer freien Stadt Sicilieus auf.'-) In Kleiu- asien scheint Pompejus sie eingeführt zu haben, als er dort nach dem Mithradatischen Kriege die Verhältnisse der Provinzen ordnete;'*) nach- weisbar sind sie hier nicht vor dem zweiten Triumwat.*) Unter den julischen Kaisern sind sie schon über die peregrinen Gemeinden Spaniens und Palästinas verbreitet^) und scheinen endlich in keiner Provinz ganz gefehlt zu haben. Zuletzt begegnen sie uns in Ägypten, aber nur weil dort erst Septinüus Severus den Orten Stadtverfassungen gab; so- bald im Nillande die ßovhj erscheint, sind mit ihr auch die dexängcoToi da.'') Der Grund, warum die Eömer die Einführung des Decemprimats in bürgerlichen und peregrinen, freien und unterthänigen Staaten be- günstigten und manchmal vielleicht erzwangen, dürfte folgender gewesen sein. Wollten Aie hauptstädtischen Magistrate oder der Statthalter emer Pro\inz mit einer abhängigen Gemeinde über irgend einen Gegenstand verhandeln, so konnten sie sieh nicht unmittelbar an den Rat oder gar an die Volksversammlung wenden; so zahh-eiche Körperschaften waren zu unbehilflich für den diplomatischen Verkehr. Mau bedurfte einer weniger vielköpfigen Vertretung der Stadt, wie sie vor dem Entstehen des Decemprimats nur die Magistrate oder 4ür den einzelnen Fall be- stellte Gesandtschaften bieten konnten. Beide aber fungierten nur kurze Zeit und waren aus "Wahlen hervorgegangen, die meist das Ergebnis heftiger Parteikämpfe darstellten. Sie repräsentierten also nur eine Majorität, die sich bald in die Minorität verwandeln konute. Es war daher sehr zweifelhaft, ob die Gemeinde nicht das, was sie den römischen Behörden versprochen hatten, später desavouierte oder doch nur wider- willig und schlecht zur Ausführung brachte. Ganz anders stand die Sache,

1) Cic. ad. Att. X 13, 1: evocnvit Jittcn's c municipiis dccemprimos et rjuattnor- viros. In Ameria, das Municipalrocht besass, erscheinen Decemprimi schon unter Sulla, Cic. pro Rose. Amer. 9, 25.

2) Cic. Verr. II 67, 162.

3) Noch im 3. Jahrh. waren die von Pompejus getroffenen Anordnungen die Grund- lage des gesetzlichen Zustandes in den asiatischen Provinzen. l)io Cass. XXXVII 20, 2. Plin. ad Trai. 79, 1. 80. 112, 1. 114, 1.

4) Eine Inschrift aus Thyatira Ballet, hell. X S. 41,5 erwähnt der ^tydXa'AvTiovTa, und es versteht sich von selbst, dass diese Spiele den Tod des Antonius nicht über- dauert haben. In einer andern aus Kios CIG. II 3732 heisst der Dekaprote 'AvTchviog MaQxog, seine Frau 'Aaivt'ia '„-Icxi/jatio^örrj ; sie scheinen also das Bürgerrecht von Antonius und Asinius Polio erhalten zu haben.

5) CIL. II 1953. 5048. Joseph, ant. lud. XX 194.

6) Die Dekaproten findet man gesammelt bei W. Liebenäm, Städteverwaltung im römischen Kaiserreiche S. 552. Doch fehlen dort die ägyptischen Zeugnisse, die WiLCKEN , Griechische Ostraka I S. 626 vereinigt hat. Wichtige Ergänzungen des Materials verdanke ich der Freundlichkeit meines Kollegen Alfred Körte.

Decemprinud jokI DeJcaproNc löl

wenn man mit einem Kollegium verhandeln konnte, das erstens lebens- länglich und nicht, wie Gesandte oder Jahresbeamte, einem schnellen Wechsel unterworfen war, zweitens die einflussreichsten Persönlichkeiten des Rates in sich vereinigte. Von einem solchen konnte man erwarten, dass es nicht nur die augenl)lickliche Stimmung einer ]\[ajorität, sondern die dauernde (Besinnung der regierenden Körperschaft vertrat und sein Wort daher so sichere Bürgschaften gewährte, wie sie sich überhaupt erlangen Hessen. Diesen Vorteil wird der Senat iu seinem jahrhunderte- langen Verkehr mit Massilia genügend schätzen gelernt haben, um seine Übertragung auch auf andere abhäugige Staaten zu wünschen. Wenn man die Einführung des Decemprimats nicht überall durchsetzte, so lag dies wohl um- an dem tiefgewurzelten Respekt, den man in Rom vor den überlieferten Verfassungen alter und berühmter Städte immer gehegt hat. Soweit unsere Kunde reicht, hat es z. B. weder in Athen noch in Sparta Dekaproten gegeben; Institutionen, die schon von der Schulbank her jedem Römer durch Thukydides und Demosthenes vertraut und ehr- wüi'dig waren, wagte man eben nicht anzutasten.

Mit Ausnahme von Massilia, das, von den östlichen Ländern durch weite Meere getrennt, auf das dortige Verfassungsleben keinen Einfluss üben konnte, begegnet uns die Dekaprotie in keinem griechischen Staats- wesen, ehe es unter römische Botmässigkeit trat. Schon hierin liegt meines Erachtens der Beweis, dass sie eine Nachahmung des italischen Decemprimats ist und ihm daher in der Hauptsache ähnlich sein muss,0 mag auch die reiche Vielgestaltigkeit der griechisch-orientalischen Städte in manchen Einzelheiten Veränderungen be™-kt haben. Es ist daher höchst bedenklich, wenn man die beiden Institutionen scharf trennen will und die lateinische für lebenslänglich, die griechische für ein Jahi-esamt hält, wie das nach dem Vorgange Waddingtons jetzt allgemein geschieht.-) Wenn in zwei Inschriften aus Thyatira'') dexaTTowravaag ^m Sixa erscheint, erklärt man das, wenn auch zweifelnd, aus stet« ei-neuter Wiederwahl. Aber wie ist es denkbar, dass nur zehnmalige Wiederholung vorkommt.

1) Dies hat schon Ramsay erkannt, aber noch nicht die richtigen Konsequenzen daraus gezogen. The cities and bishoprics of Phrygia I S. 63.

2) Le Bas et Waddixgton, Voyage archeologiqiie en Grece et en Asie mineur III S. 286. JLiRQUÄRDT, Römische Staatsverwaltung I S. 521. Me.nadier, Qua condicione Ephesii usi sint inde ab Asia in formam provinciae redacta. Berlin 1880 S. 100. M. Clero, De rebus Thyatirenorum. Paris 1893 S. 59. J. Levy, Etüde sur la vie municipale de l'Asie mineure. Revue des ^tudes grecques VIII S. 214. 223. Wilcken, Griechische Ostraka I S. 627.

3) Die eine ist wohlbekannt und wird regelmässig in diesem Zusammenhange an- geführt (CIG. II 3490). In der anderen, die Bull. hell. XI S. 473 veröffentlicht ist, wird man gleichfalls [Siv.aTtqbi\ttvaavra tt[i]\ i zu ergänzen haben, obgleich Eadet 'ET'Ei gelesen hat. Möglieh wäre übrigens auch et. et', d. h. lzr\ ■aivztn.alSt-n.a^ doch ist diese Abkürzung ungewöhnlich und ebenso die Voranstellung der Einerzahl vor den Zehner, obwohl es auch für diese Anordnung Beispiele giebt.

152 0. Scccl;

aber niemals zwei-, drei- oder yieriiialige , und dass noch keine unzwei- deutige Iteratiouszilfer in Verbindung mit der Dekaprotie gefunden ist? Denn iV»? Six« lilsst sicli doch nicht oline weiteres mit öexäxig identi- tizieren. Freilicli glaubte Lambros auf einer Inschrift aus f'halkis in Euboea') lesen zu können: <rroaT)iyovvTog tov dey.ciTtgojTov a' Ävoviov Avaaviov. Doch widerspricht es durchaus dem epigraphischen Stil, dass jemand ausdrücklich augiebt, er bekleide ein Amt zum ersten Mal; denn wenn keine Iterationszitter hinzugefügt ist, kann mau dies ja als selbst- verständlich betrachten. Ohne Zweifel ist jenes A nichts anderes als die Abkürzung für den Vornamen des Strategen; man ^\■ird es A{vlog) oder vielleicht A{ovy.ioii) aufzulösen haben. Zur Unterstützung von Waddingtons H3'pothese wies Mexadier auf eine andere Inschrift hin,-) in der es heisst : ösy.aTTQWTSvnavTa ri/v ßaovrioav nga^iv ßani?Jwg iv iviaVTfß ivi. Aber gerade bei Jahresämtern ist es ganz unerhört, dass ihre einjährige Dauer so hervorgehoben wird, weil sie sich eben auch von selbst verstand. Man muss also vielmehr in jeuer Zeitbestimmung etwas ausserge^\öhnliches er- kennen, dessen Anführung dem Gefeierten Ehre brachte. Es handelt sich, wie wir später sehen werden, um die ungewöhnlich sclinelle Bei- treibung einer Steuer. Also Zeugnisse dafür, dass die Dekapi'otie mit dem gewöhnlichen Schlüsse des Amtsjahres ihr Ende erreichte, giebt es nicht, und wenn Josephus (bell. Ind. II (339) die Dekaproten von Tiberias öixa TMv Tißegimv ol ävvarcÖTaToi nennt, so widerspricht dies dh-ekt. Denn unmöglich konnte ein Kollegium, das jälu-lich neu gewählt wurde, immer die einflussreichsteu Leute der Stadt umfassen, weil Macht und Ansehen auf persönlichen Eigenschaften beruhen und nicht durch den Zufall der Wahlen von einem auf den andern übertragen werden. Doch andererseits muss zugegeben werden, dass die Stellung nicht während der ganzen Dauer ihres Bestehens lebenslänglich gewesen sein kann. Dies beweist schon die häutig vorkommende Aoristform SsxanQWTnaag, die nicht nur bei Verstorbenen, sondern auch bei Lebenden augewandt wird. Und wenn es in Inschiiften von Phaseiis') heisst: ävdoa tov tiqiotov TciyuaTog sixoaan()ioTSVc!avTa ini tov Ti^g c^w)/g ^qovov oder fii/Qt T^Xovg, so wii'd man nach der eben angeführten Eegel auch diese Zeitbestimmung als etwas uuge^\'ühnliches und rühmliches auffassen uiüssen. Aber auch der Decemprimat ist nicht immer lebenslänglich geblieben; aus dem

1) Athenische Mitteihiugen VI S. 167.

2) CIG. II 3-191. Der Komparativ lautete in der schlechten Abschrift von Peysso.nei., die im Corpus benutzt ist, BISITEPAN, was BOckii in TCgoTtgav korrigierte. Al)er seitdem hat sich eine zweite Inschrift desselben Mannes gefunden (Athen. Mitteil. XXIV S. 232) , in welcher der Anfangsbuchstabe des betreffenden Wortes gleichfalls als B gelesen ist. Darauf folgt eine schräge Linie, die zu einem A oder yl gehört haben kann, und nach einer Lücke von 2 3 Buchstaben EPAN. Hiernach scheint die Er- gänzung ßulQVT'jtQav die einzig mögliche zu sein.

3) CIG. III 4332. Bullet, hell. XVI. S. 444.

C

Deccm})ri»iaf iiml Dr.haproHc. 153

4. Jalirliuiulcrt wird uns ausdriicklicli iilit^rliefert , dass man nadi einem bestimmten Zeitraum von der Stellung zuriiektreteu konnte.') Damit lösen sich die scheinbaren Schwierigkeiteu von selbst.

Die Dekaprotie entsin-aih auch darin dem Decemiiriiiiat , dem sie nachgebildet war, dass sie den ersten Zehn der Ratsliste bis an ihr Lebensende verbleiben konnte. Aber da sie nicht nur IChre, sondern auch Last war, sah man sich veranlasst, nach Ablauf einer vorgeschriebenen Zeit den Austritt aus dem Kollegium zu gestatten. Dies geschah in den einzelnen Provinzen bald früher, bald später. In Asien sind die ÖExa- nQüiTBvaavrig sehr häufig,-) und einer ist noch Zeitgenosse des Marcus Antonius;') in Bithynien kounuen bis tief ins 3. Jahrhundert hinein nur Sv/.ünoojToi vor,*) obgleich auf denselben Inschriften andere Ämter die Aoristform (argaTr/yr/aas, yoa^ifiarsvaag etc.) zeigen. Sobald aber jene Erlaubnis gegeben war, wurde es zu einem Zeichen der Opferfreudigkeit für die Vaterstadt, dessen man sich auf seinen Inschriften rühmen konnte, wenn man, wie jene Phaseliten, sein ganzes Leben lang den einmal über- nonnnenen Pfiichteu treu blieb, oder wenn man es auch nur zehu Jahre that, wie die beiden Thyatirener. Das gesetzliche Mindestmass betrug wahrscheinlich die Hälfte dieser Zeit. Denn für den ^^rmits curiae von Alexandria werden im Jahre 436 fünf Jahre als Amtsdauer erAvähnt,^) und in lasos verfügt ein Yolksbeschluss , dass die Verwaltung eines der Stadt geschenkten Kapitals für die gleiche Zeit von je einem der Deka- proten übernommen werden müsse;'') auch in den ersten Jahrhunderten, denen die betreffende Inschrift jedenfalls noch angehört, kann also die

1) Cod. Theod. XH 1, 75. 171. Von diesen Gesetzen ist das eine, da es aus Trier daliert ist, von Valentinian gegeben , der nur den lateinischen Reichsteil beherrschte, und das andere bezieht sich ausschliesslich auf Gallien. Die principales, die in beiden genannt werden, können also nur occidentalische deeemprimi, nicht griechische äsxa- ztQiozoi gewesen sein.

2) Le Bas-Wadliscton 6.50. Bullet, hell. X S. 415, XI S. 105. XVII S. 261. Athen. Mitteil. VIII S. 321. 329, XXIV S. 234. In Lykien, Benndorf und Niemaxx, Reisen in Lykien und Karien I S. 70. In Syrien Athen. Mitteil. X S. 171. In Kypros CIG. II 2639.

" 3) Bullet, hell. X S. 415.

4) Athen. Mitteil. XII S. 175. 177. 180, XXIV S. 429. 433. 435. Le Bas- Waddixgton 1176. 1178. CIG. II 3732. Dass bei den Dekaproten von Prusias ad Hypium die Lebenslänglichkeit auch für positiv überliefert gelten kann, soll weiter unten S. 11 noch dargelegt werden.

5) Cod. Theod. XII 1, 189: et primus curiae, qui muneribu-i univcrsis expleiin ad mimmum pcrveiierit gradiim, cnmäivae primi ordim's frui per quinquennium dignitate praestäa.

6) Revue des etudcs grecques VI S. 160: fV ^ ix tüv ötY.a-in>mxu>v r\ sixocu- TlQmTiiiv ?j tüv zovTOis ü^olcov iOTai atü ^^rtfifiTjrijg avtmv iTtl fr») (' , og TtaQCcXaßioi' ui'TÜ (yöariati roxov iicl ^ryvl ixäata) äg töiv ixarbv Si\va{>icov äeaaQixov aTigtäv dixa jj , xai zbv Kar ivtavtöv -/Bvötiivoi' röxav Swaii uhl roD Ttunü.Q'ovrog iviavrov u,r,ri TCQiaxm atßuatfi totg dioixr,TaTg tmv viav, omrts &vaXMaovati- t6i' röxoi' tiV ro ä>.nuaa rof txTOu fijji'ös nQoayoQd^ovreg rb (/.aiov.

154 0. Sccclc,

Xiederleo:uug des Amtes nicht vor dem Ablauf von fünf Jahren erlaubt gewesen sein. Den gallischen Decemprimi schreibt Kaiser Honorius fünf- zehn Jahre vor ; doch __^dies giebt sich als Verlängerung des früher ge- forderten Zeitraums, die dadurch veranlasst wurde, dass man infolge des ZusammenschAvindens der Ordiues mit den Kräften für die Stadtverwaltung sehr sparsam sein musste.') Soweit das Amt nicht lebenslänglich be- kleidet wird, sind also die beglaubigten Zeiträume 5, 10 und 15 Jahre, d. h. die Dauer der Censusperiode oder ein Multiplum derselben. Dass dies nicht zufällig ist, sondern mit dem Wesen des Decempriraats im engsten Zusammenhange steht, wird sich später noch zeigen.

Dass die Decemprimi diejenigen waren, welche in der Decurioneuliste ilirer Heimat die zehn ersten Stellen einnahmen, hat man bisher nur aus ihrem Namen geschlossen ; doch giebt es dafür- auch ein sichereres Zeugnis. Dionys (XI 15) schildert eine Verhandlung des Senats, die noch unter den DecemAarn stattgefunden haben soll, also keinenfalls auf echter Über- lieferung beruht, und lässt dabei die noumvovTEi Sixa zuerst um ihre Sentenz befragt werden. Wenn liier auch an der Spitze der römischen Katsversanimlung eine Gruppe von zehn Männern erscheint . so ist dies die Erfindung eines Griechen, der die municipalen Einrichtungen, wie er sie an vielen Orten beobachtet haben mochte, fälschlich auf die Haupt- stadt überträgt. Für diese ist sein Zeugnis wertlos, solange keine besser unterrichtete Quelle es stützt; wohl aber belelu't es uns über diejenigen Städte, in denen es wh-klich Decemprimi gab. Wenn aber diese an erster Stelle üu-e Stimmen abgaben, so folgt daraus, dass sie auch in der Liste des Ordo an der Spitze standen: denn nach ihr musste die Umfrage sich richten.-)

Dies ist für- unsere Untersuchung auch deshalb von Wichtigkeit, weil es uns ein Mittel gewährt, in den beiden erhaltenen Decurionenüsteu die Decemprimi zu erkennen. Die erste ist auf einer Bronzetafel in Canusium gefunden und trägt das Oousulat des Jahres 223 n. Chr.") Hier stehen an der Spitze 39 Patroni, Senatoren und römische Eitler, die ohne Zweifel berechtigt waren, an den Sitzungen des Ordo teilzunehmen, aber selten oder nie davon Gebrauch machten. Den Schluss bilden 25 /)j-ae- texfati, d. h. Knaben, welche die toga pura noch nicht angelegt hatten. Augustus hatte den unmündigen Söhnen der Senatoren das Eecht ver-

1) Cod. Theod. XII 1, 171 : placuit, prineipalcs viros e curia in Galliis non ante discedere, quam quindeccnnium in ordinis sui administratione conpleverint , per quac annorum moderata curricula implcant patriae gratiam: et quamvis cunctos deceat revocari, qui brevi tempore ridentur elapsi, sectandam tarnen moderationem esse censtiimus, ut cos tantum ad deelinatas necessitates nunc redire iuberemus, qui intra hoc recessisse sexen- nium deteguntur.

2) Dig. L 3, 1 § 1 : in sententii^ quoque dicendis idem ordo S2)ectandus est, quem in alba scribendo diximus. Vgl. L 2. 2 § 1 ; 6 § 5.

3) CIL. IX 338.

Decemprimat nnd DcJcaprotic. 155

liehen, den Beratungen des Senats beizuwolinen. damit sie schon in frühester JuRcnd in die Politik einsicfülirt würden.') Nach demselben Grundsatz werden auch jene praetextaü die Kurie ihrer Vaterstadt haben besuchen dürfen, doch Avaren sie von den Abstimmmigen natürlich ausgeschlossen.-') Beide Gruppen werden zwar in der Liste der Decurionen geführt, gehören aber doch nicht zum eigentlichen Ordo, vne sich schon daraus ergiebt, dass nach Abzug jener 39 und 25 genau die Normalzahl 100 übrigbleibt. Innerhalb dieser werden wir also die Decemprimi zu suchen halien.

Das Verzeichnis ist, wie auch die römische Senatsliste, geordnet nach dem Range der Ämter, welche die Decurionen vorher bekleidet hatten. Voran gelien 7 quinquennaltcü , es folgen 4 allecti inter quinquennab'cios, 29 duoviralicü, 19 aedilicü, 9 qucmstoridi, endlich 32 pedani, d. h. Leute, die noch zu keinem Amte gelangt waren. Während die früheren Magi- strate einen rechtlichen Anspruch darauf besassen, dem Ordo anzugehören, sind diese Zweiunddi-eissig aus freier Wahl der Quinquennalen, teils der- jenigen, welche die vorliegende Liste aufgestellt haben, teils ihrer Vor- gänger, zu Decurionen ernannt worden, um die vorgeschriebene Zahl 100 vollzumachen. Unter den duoviralicn, aedilicn und quaestoricii giebt es keine allccti, wohl aber unter den qtdnquennalicii. Männer, die ihre Stellung im Ordo der censorischen Thätigkeit der Quinquennalen ver- danken, finden sich also nur in der niedrigsten und in der höchsten Eang- klasse. Ohne Zweifel beruht dies bei beiden auf demselben Grunde. Die Allectio ist den Quinquennalen nicht gestattet woi'den, damit sie ihren Freunden nach Belieben Ehren und Würden verleihen könnten, wäre dies der Fall, so würde sie auch in den di-ei mittleren Klassen auftreten •'■) sondern sie dient nur dazu, eine bestimmte Zahl auszufüllen; wie der gesamte Ordo auf 100, so sollte seine oberste Rangstufe auf 10 gebracht werden. Die Decemprimi sind also die Quinquennalicii vermehrt um die allecti inter qxunqumnalkios. Hieraus erklärt es sich leicht, warum sie so äusserst selten in den lateinischen Inschriften erscheinen.*) Wer das censorische Amt bekleidet hatte oder in seine Rangklasse adlegiert war,

1) Suet. Aug. 38. "~

2} Dig. L 2, 6 § 1: minores viginti (jiiinque annorum decuriones facti sportiilas decurionum uccipiunt, scd interim suffragium inter ceteros ferre noii possimt. Vgl. L 4, 8.

3) In andern Städten kommen Allectionen inter dtioviralicios und inter aedilicios vor, doch scheinen dies immer besondere Ehren gewesen zu sein, die nur durch Dekret des Decurionen, nicht durch die gewöhnliche senatus lectio der Quinquennalen ver- liehen werden konnten. Beispiele bei Jon. Schmidt in Pauly-Wissowas Realencyclopiidie I S. 369.

4) In den Quellen, die uns aus den drei Jahrhunderten von Augustus bis auf Constantin den Grossen erhalten sind, kommt das Wort decemprimi meines Wissens nur ein einziges Mal vor (CIL. XI 1420 = Dessau 189 Z. 14). Etwas häufiger erscheinen decemviri, vigintiviri, undecimviri und undecimprimi JS. 2 Anm. 3), doch sind auch sie noch ausserordentlich selten, wenn man die weite Verbreitung der Institution in Betracht zieht.

15B 0. Seeek,

bei dem verstand es sich eben A^on selbst, dass er zu den Decemprinii gehörte, und braudite daher nicht erst ausdrücklich hervorgehoben zu werden.

Aber in der Decurioneuliste von Canusium sind jene Decemi)rinii ja nicht zehn, sondern elf? Diese kleine Differenz zu erklären, bieten sich zwei Wege dar, zwischen denen ich dem Leser die beliebige Auswahl überlasse.

1. Wenn die Zittern 10 und 100 nur alle tünf Jahre durch die cen- sorische Thätigkeit der Qiüuquennalen hergestellt wurden, so mussten sie in der Zwischenzeit immer unter das Normale herabsinken, und gerade in der obersten Eangklasse, deren Mitglieder alle schon ein höheres Alter erreicht hatten, werden Todesfälle relativ häutig gewesen sein. Stiegen diese im Verlaufe des Lustrums nicht über 2, so füllten die neuen Quin- quennalen durch ihre eigene Person die Lücke aus; nur wenn 3, 4 oder mehr gestorben A\'aren, wurden Adlectionen nötig. Fügte es sich aber einmal, dass keiner oder auch nur einer von den quinquennalicii ausge- schieden war, so musste die Ziffer durch das Hinzutreten des neuen Be- aniteupaares auf 12 oder 11 steigen; denn natürlich konnte man die- jenigen, welche in früheren Lustra adlegiert waren, nicht deshalb, weil man ihrer jetzt zur Ausfüllung der Zehnzahl nicht mehr bedurfte, ihrer erworbenen Rechte berauben. Ein solcher Ausnahmefall könnte zu der Zeit, wo unsere Liste entstanden ist, in Canusium eingetreten sein. Ist dies richtig, so würde daraus folgen, dass die Zahl der Decemprimi vorübergehend bis auf 12 steigen, dafür aber auch in den fünfjäkrigen Zwischenräumen, die zwischen den Erneuerungen der Decurionenliste lagen, beträchtlich unter 10 herabsinken konnte.

2. Statt der decemprivü kommen, wie oben (S. 2) schon dargelegt ist, auch undecimprivii vor, und es wäre nicht unmöglich, dass nach der Stadtverfassung von Canusium die höchste Ratskommission aus elf Mit- gliedern bestehen musste. Nehmen wir dies au, so werden wir in unserer Liste nicht eine zeitweilige Ausnahme, sondern den regelmässigen Zustand erkennen dürfen.

Es kommt wenig darauf an, für Avelche dieser beiden Möglichkeiten man sich entscheidet; die Zalil ist eben unwesentlich. Desto bedeutungs- voller ist es, dass das Kollegium alle diejenigen Männer umfasst, die A'orher als Quinqueunalen den Ceusus ihrer Vaterstadt geleitet haben, also über die finanzielle Leistungsfähigkeit sowohl der Gemeinde als Ganzes als auch ihrer einzelnen Bürger am genauesten unterrichtet sind. Denn eben hieraus erklärt sich die wichtige Rolle, die sie in der Steuer- erhebung der späteren Zeit spielen sollten.

Ehe wir die zweite Decurionenliste besprechen, wird es angemessen sein, vorher zu untersuchen, wie weit dasjenige, was Avii' für Canusium feststellen konnten und was für den ganzen Westen des Reiches Avohl

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Decemprimat und Dekaprotie. l')"*

typisch sein dürfte, sich auch auf den griechischen Osten anwenden liisst. In dieser Beziehung sind namentlich die Inschriften der hitliynischen Stadt Prusias ad Hypium lehrreich. Hier erscheinen regelmässig die folgenden drei Titel in verschiedener Reihenfolge nebeneinander: öexÜTiQUTog xal y.oiv6ßovXo<i yal no).uoy()ä(fog.') Dass sie zusammengehören, heAveist ihre Verbindung durth -/mi, obgleich sie nicht auf allen Inschriften wiederkehrt; denn auch dort, wo sie sich findet, stehen die übrigen Äinter asyndetisch daneben. Diese sind in aoristischer Form aufgeführt {ccyoQavofiiiaavTa, yga^ifiazevaccvTct u. s. w.), was bei jenen drei Titeln niemals vorkommt. Jüthin bezeichnen sie nicht Jahresämter, die nur vorübergehend bekleidet werden, sondern bilden ein dauerndes Attribut der Person, ^^'enn also auch dtä ßiov immer niu- einem von ihnen, bald dem nohToyod'fog, bald dem xoivößovkog hinzugefügt ist, so wird die Lebenslängkeit doch auf alle di-ei zu beziehen sein.

Das Wort xoiv6ßovXog bezeichnet denjenigen, der im concilium pro- vinciae Sitz und Stimme hat.-) Nun haben wü- oben schon dargelegt, dass die Decemprimi wahi-scheinüch zu dem Zwecke eingefühi-t sind, um ein beiiuemes Organ für den Verkehi- der römischen Behörden nüt den abhängigen Gemeinden zu schaffen (S. i). Gemeinsam mit den höchsten :Magistrateu ihrer Stadt werden sie von den Consuln nach Rom,^') von den Statthaltern in ihre zeitweilige Residenz beschieden,") um Jlitteilungen oder Befehle entgegenzunehmen und ihi-em Ordo zu überbringen.^) Wenn andererseits dieser ein AuUegeu von besonderer AMchtigkeit hat, so be- auftragt er seme Decemprinü nach der Hauptstadt zu gehen und es vor den dortigen Machthaberu und später vor dem Kaiser zu vertreten.'')

1) Athenische Mitteilungen XXIV S. 435: dtxdi^Qonov x«l xoivoßovJ.ov xui noin- toyeiifov Sm ßiov. XII S. 175: röv ix ^QOyüvoiv Bti&vviaQX'^v y.al äTiö yivovs aavv- xpiTor Kcd'OXviiTtiorKal drjuoaö,Brr,v^al noXtiToyQÜfOV y.ai dty.a^Qiorov y.ul Koivößov).ov diä ßiov. Leba=-Waddixgto,n 1178: TioXtiToy^ücpov diä ßiov, xoivößovlov, dtxaspwy""- Athen. Mitt. XXIV S. 429: xal ÖtxdjtQOixov y.al noltiroyQatpov y.a'i amovra xffi -xaxQitiui y.ui rf,s tTtccQxtiui. Hier ist der letzte Ehrentitel wohl nur eine schmeichelhaftere Form für die Bezeichnung des xoivoßovkos. Denn dieser wirkte ja als Äütglied des cuii- cilium provinciac sowohl auf das Schicksal seiner Vaterstadt, als auch der ganzen Provinz ein. , ,„„

2) Dies ist sicher beglaubigt durch die Inschrift Athen. Mitteil. XII S. In: KOivößovXov diu ßiov äQ^avTU xov y.oirov xü)V iv Btid^vi'ia 'Elki'ivav.

3) S. 3 Anm. 6 und S. 4 Anm. 1.

4) Cic. Verr. II 67, 162: cum hoc consilio statuas Cenfuripint publice sustulissent, audü Metellus; graviter fert; evocat ad se Centuripinomm magistratus et decemprimos; nisi restituissent statuas, vehementer mmatur. Uli ad senatum reiiuntiant. Caes. b. c. 185: evocat ad sc Caesar Massilia quindecim priims.

5) Cod. Theod. XII 1, 39: cuncH primarii et curiales praeeepta a iudicibus exse- quantur. frequenti ergo monitione atque hoHatu tarn primarios curiarum quam hos. qui magistratus gerunt atque gesserunt, sinceritas tua incitare debebit , ut promptius prae- eepta suscipiant.

6) Cic. pro Koscio Amer. 9, 25: itaque decurionum decrelum slatim fit, ut decem-

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158 0. SeccJc,

Eine Vertretung der Städte gegenüber der Centralgewalt bildet auch das concilimn provinciae,^) nur dass sie liier nicht einzeln auftreten, sondern, soweit sie von den Grenzen derselben Provinz umschlossen sind, alle zu- sammenwirken ; insofern berülirt sich seine Thätigkeit eng uiit den regel- mässigen Pflichten der Decemprimi. Freilich ist jede Gesandtschaft eine Last und kann dalier nicht immer wieder denselben Männern aufgebürdet werden. Wie man nur bei Angelegenheiten von hervorragender Bedeutung das ganze Zehnerkollegium zum Kaiser schickte, gewöhnlich aber be- sondere Gesandte aus der Mitte der Decurioneu wählte, die nicht Decem- primi zu sein brauchten, so geschah es wohl in den meisten Städten auch flu- das cunct'tmm provinciae.-) Dass die Dekaproten ständige und lebens- längliche ^Mitglieder desselben sind, scheint daher eine Eigentümlichkeit von Prusias gewesen zu sein.

Anders steht es mit der Politographie. Was sich von ihr im 4. Jahr- hundert noch erhalten hat, erscheint als eine Pflicht der Decemprimi, die nicht auf eine Stadt oder Provinz beschränkt, sondern über das ganze Reich verbreitet ist. Zwar den eigentlichen Census hatte Diocletian den städtischen Obrigkeiten genommen und auf Eeichsbearate übertragen; aber die FiUirung der Decurionenliste , die fi'üher untrennbar mit jenem zu- sammenhing, ist municipal geblieben, und ihr sind die Verzeichnisse der Oorporati verschiedener Art hinzugetreten. Diese alba befinden sich in der Verwahrung der Decemprimi;-') sie sind verpflichtet, die ueu hinzu- tretenden Mitglieder dieser Körperschaften in die betreffende Liste ein- zutragen, uud werden dafür verantwortlich gemacht, wenn ein Angehöriger des Eats oder eines städtischen Kollegiums sich seinen Standespflichteu ent- ziehen kann.*) Diese Aufgabe mit allen anderen, die vor Diocletion die censorische Amtsthätigkeit ausmachten, lag anfangs im lateinischen Eeichs- teil der Quinquennalen ob; erst als diese verschwanden,^) kann sie hier

primi proficiscaittur ad L. Siillum doccantquc cum, qui vir Sex. Eoscius fuerit. Joseph, ant. iud. XX 194; ^ttanovaiv fj avTäv jrpoi," NtQwi'a Toi'i TtQioroi'g dfxa xca 'Iaucii]}.or TÖr ciQpiOfci y.al 'Elxiav rbv ya^ocpvXuKCi. Kaibkl, Inscriptiones Graecae Siciliae et Italiae S. G97, 1078a: diu TiQsaßivr&v 'Podii'ov y.cd 'lovXiuvoi' t&v äiaBrjfiOTa.Tioii öty.a- ■jtQwraiv. CIL. IX 259 : placet igitur hiiie tabulam aere incisam per viros principales offerri et aput Penates donius httius dedicari.

1) Marquabdt, De provinciarum Romanarum coneiliis et sacerdotibus. Ephem. epigr. I S. 200. Komische StaatsverwaUuug T S. 371.

2) CIL. XIII S. 228.

3) Nov. Maior. 7, 18: omniitm pruvinciarmn rectwes admonebis, ut principales vel seniores iirhium sinyiäarum, tarn curiantvi quam reliquorum corporum albos, quos con- scripsit vetustas, proferre conpellant, obnoxiorum familias sab confectione gestorum capitis stii periculo detegentes.

4) Const. Sirmondi 9 = Cod. Theod. XVI 2, 39. Nov. Maior. 7, 8. 18. Cod. Theod. XII 1, 79. 19, 3.

5) Hier uud da kommen Quinquennalen noch bis ins sechste Jahrhundert vor (LiEBENAM, Curator rei publicae. Philol. LVI S. 318), erscheinen aber so selten, dass

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Deccmprimaf und DclcaproHc. ir)U

auf die Deoemprimi übergegangen sein. Im griechischen dagegen koimncn Beamte mit censorischer Kompetenz nur in den Nachbarprovinzen Bitliynien und Galatien vor;') da Leistungen, wie sie ihnen zugekommen wären, unmöglich entbehrt werden konnten und auch thatsächlich in den Quelk^n erwälint sind,-) können sie nur den Dekaproten aufgelegt worden sein.-') Wenn die Politographie in keiner Inschrift zu ihrem Amte in Beziehung gesetzt wird, so erklärt sich dies sehr einfach daraus, dass sie eben ein selbstverständlicher Bestandteil desselben war. Nur- in Prusias erscheinen SixüngioToi y.cii 7io)uToyQärfoi; aber das kommt daher, weil gerade hier diese \'erbindung keine ursprüngliche war und so die beiden Ämter, auch nachdem man sie vereinigt hatte, doch noch als gesonderte empfunden Avurdeu.

Von den Inschriften, die jene Vereinigung zeigen, ist eine sicher nach dem Jahre 212 gesetzt,*) und auch die anderen brauchen nicht viel älter zu sein. Zm- Zeit des Trajau wurde der Census in Bithjuien noch von besonderen Beamten vorgenommen, die Pltoius censores nennt. Diese Tifir/Tcel lassen sich dann in Prusias ad Hypiiim bis auf die Zeit des Septimius Severus herab verfolgen;^) wo sie aber vorkommen, da werden dieselben Männer zwar wohl SexänQwrog und xoivößovXoi ötd ßiov genannt, doch nicht nokiToyoäcfog.'^) AMr können also in Prusias genau dieselbe Entwickehmg verfolgen, wie in den Städten des Westens. Zuerst ist die municipale Censur die Voraussetzung der Dekaprotie; dann wird sie als selbständiges Amt aufgehoben und ihre Funktionen auf diese übertragen.

man sie schon seit Constantin als Antiquität betrachten kam, die sich nur noch in einzelnen Städten erhalten hatte.

1) Plin. epist. ad Trai. 79. 114. Aus Ankyra CIG. III 4016. 4017: dtg r>]v TtQoniiv c'tQxiiV &Q^civTcc xal TtoltitoyQaffriauvTu. Bull. hell. VII S. 17: §ovloyQa^riGavtu (}', ■jtoXtizoy^affriaavza ro i . Aus Prusa Le Bas-Waddingto.n 1111: [xti\ii{r^zivBavxoq, also von zweifelhafter Überlieferung. Von Prusias ad Hypium wird sogleich die Rede sein.

2) Dio Chrys. or. XXXIV 23. CIL. III 699S. Le Bas-Waddington 136.

3) Damit erledigt sich die Frage, die Levy (Revue des etudcs grecques VIII 8. 221) mit Recht stellt, wie in denjenigen Provinzen, die keine censorischen Beamten kennen , die Stadträte ergänzt worden seien. Vgl. Revue des ötudes grecques XII S. 272.

4) A. Kürte, Kleinasiatische Studien. Athen. Mitt. XXIV S. 438.

5) Athenische Mitteilungen XII S. 177. Sitzungsberichte der Berliner Akademie 1888 S. 867.

6) Le Bas-Waddisgton 1176. Athen. Mitteil. XII S. 177. Bei Kürte, Athen. Mitteil. XXIV S. 433 wird das niijiztvaavxa wahrscheinlich zerstört sein , da die In- schrift sehr schlecht erhalten ist. Doch ist es auch nicht unmöglich, dass die be- treffende Persönlichkeit zu denjenigen gehörte, die in der Decurionenliste von Canusium allecti inter quinquennalicios heissen, d. h. dass sie durch Ratsbescbluss oder censorische Lectio unter die Dekaproten aufgenommen war, ohne vorher die Censur bekleidet zu haben. Wenn andererseits ein rifjijTjj's seiner Dekaprotie nicht erwähnt (Sitzungsber. d. Berl. Ak. 1888 S. 868), so liegt das daran, dass ihm der Stein noch während des Amtes gesetzt ist, während jene erst nach Niederlegung desselben begann.

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160 0. Seed;

Dieser Weclisel ist im lateiiüsclien Eeiclisteil erst im i. Jalirhuiulert eingetreten, in Bithynien sclion im Anfang des dritten, in den übrigen griecliischen Provinzen noch früher, ja in manchen fielen Politographie und Dekaprotie wohl schon von Anfang an zusammen. Der Vorteil dieser Neuerung bestand darin, dass die Listen von Rat und Bürgei'schaft nicht niu- alle fünf Jahre neu aufgestellt, sondern fortlaufend geführt wurden, zu welchem Zwecke wahrscheinlich die Anmeldung aller Geburten und Todesfälle bei den Dekaproteu gesetzlich befohlen war.^)

War aber die munidpale Censur abgeschafft oder auch nie vorhanden gewesen, so fehlte die Grundlage, auf der, wie wii- in Canusium und Prusias beobachten konnten, anfangs der Decemprimat beruhte. Wenn man früher indirekt zum Decemprimus gemacht wiu'de, indem das Volk einen zum Quiuciuennalis oder zum rt,M>;r7/s wählte, so musste man Jetzt unmittelbar in das Zehnerkollegium aufgenommen werden. Die Form, in der das geschah, kennen wii- nicht, doch bieten sich hier drei Möglich- keiten dar: Volkswahl, Wahl dm-ch den Eath oder Cooptation durch die Decemprimi selbst. Alle drei mögen sie teils zu verschiedenen Zeiten, teils in versclüedeuen Provinzen vorgekommen sein. Für Gallien vei- fügte Kaiser Honorius, dass die Principales durch die Decuriouen gewählt werden sollten ; doch lässt sich nicht entscheiden, ob er damit etwas Neues schuf.-) Die Volkswahl könnte in den ersten Jahrhunderten Platz ge- griffen haben, im vierten aber ist sie unbedingt ausgeschlossen ; doch von der L'ooptation gilt dies nicht iu gleicher AVeise. Als das Zehnerkollegium sich noch aus den Quinquenualicii zusammensetzte, reichte deren Zahl nicht aus, um die vorgeschriebene Ziffer zu füllen, und musste daher durch censorische adhctio intei- quinquemialicios ergänzt werden. A'ielleicht ist auch diese mit den anderen Geschäften der Politographie auf die Decem- primi übergegangen, d.h. sie wui'den gesetzlich verpflichtet, wenn einer von ihnen starb oder ausschied, ihn durch gemeinsame Wahl zu ersetzen. Doch dies sind nicht einmal Vermutungen, sondern blosse Möglichkeiten; erst das Bekanntwerden neuer Quellen kann hierin Aufklärung bringen. Nur das steht fest, dass man auch im vierten Jahrhundert in den Decem- primat erst eintrat , nachdem man vorher alle übrigen Pflichten der

1) Wilhelm Levison ist bei Abfassung seiner eben so scharfsinnigen wie gründ- lichen Dissertation ,Die Beurkundung des Civilstandes im Altertum" Bonn 1898, leider nicht in der Lage gewesen, das sehr zerstreute und schwer übersichtliche Material auch für den griechischen Osten zu sammeln. Erst wenn dies geschehen kann, wird sich das im Text Gesagte auch urkundlich prüfen lassen.

2) Cod. Theod. XII 1, 171 : sanc quoniam princqmlrm locum et guhcrnacula urhium prohatos adminiiitrare ipsa ma^nititdo deposcit, sine ordiiiis praeiudicio consensu curiae cligeiidus esse censemus, qui contcmplatione aetwtm, omnium possint respondere iudicio. Es ist nicht unmöglich, dass hier die Neuerung nur in dem sine ordinis praeiudicio liegt, d. h. in der Befreiung der Curialen von den Gefahren der Nomination.

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Dcccwprimat und Dchtprotic. 161

Pecurioneiistelliiug- erfüllt hatte;') da zu diesen aucli die Bekleidunfr der städtischen Ämter gehörte, bildete er nach wie vor die höchste Spitze der niunicipalen Würden.

Als .Tustinian seine Codltii'ation des geltemlen J^-chtes vollendete (534 n. Chr.), bestand der Deceniprimat noch fort; denn mehrere Stellen, die ihn betreffen, sind aufgenonmien, ohne dass das Wort gestrichen oder die Zehnzahl, die in ihm ausgedrückt liegt, durch Interpolation ver- ändert wäre.2) (41eichwohl erscheinen schon ein Jahrhundert früher quinqiui priml, und das zwar nicht in der Weise, dass man sie für eine lokale oder provinzielle Besonderheit halten könnte. Denn sie sind sowohl für den Orient,») als auch für den Eeichsteil des Kaisers Majorian, d. h. für Gallien, Spanien und Italien, beglaubigt, und die Gesetze, die von ihnen reden, setzen deutlich voraus, dass ein Kollegium dieser Art an der Spitze jedes beliebigen Ordo stehe.-') Man kann den Schluss kaum ablehnen, dass dieselbe Behörde zugleich aus zehn und doch nur aus fünf Männern bestelle, und dass dieser ^^'iderspruch nicht unlösbar ist, zeigt die Decu- rionenliste von Thamugadi, welche um die Mitte des vierten Jahrhunderts aufgezeichnet ist."*)

Hier sind die ersten zeliu Nanu-n durch einen breiten leeren Raum von den folgenden 61 getrennt und dadurch unzweideutig als gesonderte (Gruppe, d. h. als Decemprimi, charakterisiert. Jedem der fünf ersten sind die Buchstaben PTR, d. h. patranus, beigeschrieben. Nun wissen wir zwar, dass auch gewöhnliche Decurionen, die es bis zum Decemprimat gebracht hatten, von ihrer Heimatstadt nicht selten zu Patronen ernannt wurden. In der Liste von Canusium sind vier Namen zweimal genannt, einmal unter den patroni equites Bomani, einmal unter den quinquennalidi oder den alkcti inter quinquennalicios, und Entsprechendes ist auch aus dem 4. Jahi-hundert überliefert.") In unserem Verzeichnis aber ist derjenige,

1) Cod. Thfod. XII 1 , 75 : qui ad saccnlotium provinciae et principalis honorem gradatim et per ordinem muneribtis expeditis, non gratia emendicatis suffragüs, labore pervenerint. XU 1 , 4 scheint ergänzt werden zu müssen : nisi qui cunctos in patria gradus egressiis \ad decemprimatum] per ordinem venerit. Vgl. XII 1, 61. 77. 189.

2) Dig. L 4, 1 § 1. 3 § 10. 18 § 26. 12, 10. Cod. Just. X 42, 8.

3) Cod. Theod. XII 1, 190 vom J. 4.36: qtiinque primates ordinis Alexnndrini. Nov. Just. 128, 16.

4) Nov. Maior. 7, 9 vom J. 458: in mancipio tantummodo distrahendo non est decreti quaerenda sollemnitas, si quinque primorum curiae suhscriptio atque consensio adiecta vwnsiretur. Nov. Just. 128, 16: ixdeTov äi iviavTov Ttlr^Qoimivov zbv datärarov t-niGY.o-xov y.iru Tiivrt ■jiQoiTtvovTtav rijs nöltaig xohg loyiaiiohg ccTtairtlv.

5) CIL. VIII 2403 , besprochen von Mo.mmse.n , Ephemeris epigraphica III S. 77, der aber die Decemprimi hier nicht erkannt hat und daher unsere Frage nicht berührt.

6) Cod. Theod. XII 1, Gl: urhis VuUiniensium jirincipales, qui tarnen patronorum adepti fucrint digniiatem, hanc praerogativam lahorum atque offieiorum feranf, ne inter- dum ad libidinem prave consulentium iudicum gravihus afficiantur iniuriis. Hier zeigt

Beitrüge z. alten GescLicLte I. 11

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162 0. Scccl;

welcher die erste Stelle eirmiinmt, Vulcacius Eufinus, ein Terwandter des Kaiserhauses, der unter Constantius n. Praefectus Praetorio war. Dieser war zweifellos von den lästigen Pflichten des Decurionats befreit, ja wahi'scheialich hat er Thamugadi nie mit Augen gesehen, und in ähnlicher Lage düi-fteu seine ^^er Kollegen im Patrouat, wenn nicht alle, so doch teilweise gewesen sein. Die Decemprimi bestanden also aus fünf Ehren- präsidenten und füuf ^nrklichen Decurionen; da walu-scheinlich nur diese die Geschäfte des Ordo führten, werden wir in ihnen die quinqueprimi der Quellen zu erkennen haben.

Dass die Patrone, die in der canusiuischen Liste noch ausserhalb des eigentlichen Ordo stehen, später iu die vornehmste Gruppe desselben ein- gereiht wiu'den, hat wohl folgenden Grund gehabt. Wenn der römische Senat eiue Gesandtschaft an den Kaiser schickt, so setzt er sie im vierten Jahi'hundert gerne so zusammen, dass nur ein Teü der Männer, welche sie bilden, seiuen Beratungen persönlich beigewohnt hat, ein Teü aus Hofbeamten besteht. Senatoren siad sie beide und insofern befugt, die Interessen des Senats als ihre eigenen zu vertreten ; aber die Hofbeamten werden diu-ch ihi-e Stellimg von Eom ferngehalten und sind daher ausser Stande, sich an den Sitzungen ihi-er Standesgenossen zu beteiligen. Sie empfangen also üu-e Instruktionen erst diu'ch die Stadtrömer, wenn diese in der Eesidenz des Kaisers angelangt sind, vereinigen sich aber dann mit ümeu, um durch ihre Würde und ihren Einfluss der Gesandtschaft Glanz und Nachdruck zu verleihen.^) Denselben Vorteil gewauneu aber auch die anderen Städte, wenn sie Personen, die bei Hofe oder bei den höchsten Eeichsbeamten Macht und Ansehen besassen, zu üiren Decem- primi zählten. Denn da diese die wichtigsten Gesandtschaften zu über- nehmen pflegten (S. 11), so war es für die Gemeinde sehr günstig, wenn es in der LTmgebung des Kaisers Männer gab, die mit denjenigen, welche der Ordo aus seiner Mitte absandte, als Genossen und anerkannte Ver- treter der Stadt zusammenwirken konnten.

Vielleicht in noch höherem Grade wird ein zweiter Grmul auf jene Halbierung des Decemprimates eingewü-kt haben, nämlich der "Wunsch, möglichst wenige Decurionen seinen Lasten zu luiterwerfen. Der Patrouat als solcher befi-eite nicht davon; je mehr Stellen aber man mit Männern füllte, die den Pflichten des Deciuionats kraft anderer Privilegien ent- zogen waren, desto weniger brauchte mau aus dem eigeutlichen Ordo zu besetzen. Indem man die Patrone unter die Decemprimi eim-eihte, konnte mau also gauz unauffällig und ohne das Einschreiteu der Eeichsbehördeu fürchten zu müssen, die Zahl derjenigen, welche die Last der Stellung

die Erwähnung der labores atqjie officia, dass es sich um Decurionen handelt, die ihre Munera abgeleistet hatten.

1) Seeck, Symmachus S. LXIII.

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Dccciiqirimaf und Dckaprotie. 163

Avirklicb zu tragen hatten, allmiüilicli herabsetzen. Allerdings lag die Versuchimg sehr nahe, hierin gar zu weit zu gehen, und dies musste nicht nur die Verwaltung der Städte, sondern auch die Finanzen des Kelches schädigen und dadurch Gegenmassregeln hervorrufen. Diese bestanden wahi-scheinlich in einem Gesetz, das teUs hemmte, teils nachgab, wie es in jener Zeit ja ^iele giebt. Es befreite die Patrone, die zugleich Deceni- jirimi waren, allesamt von den unbequemen Verpflichtungen, besclu-änkte aber ihre Zahl auf fünf, wodurch man zum Quinqueprimat gelangte.

Dem Bestreben, die Zahl des höchsten Eatskullegiums zu vermindern, ist fiiiher das entgegengesetzte vorausgegangen und hat sich, wenn auch nicht im ganzen Eeiche, so doch in einzelnen Städten durchgesetzt. In Akalissos begegnet uns ein Mann, der tiy.ociuTtQwroq ist und sich in seiner Inschiift rühmt, dass seine Vorfahi'en ^fx«apwro« gewesen seien. ') In dieser Stadt hatte das Kollegium also lU'sprüngiich zehn Männer gezählt, war aber dann auf zwanzig vermelirt worden, und in derselbe Weise ist die Eikosaprotie wohl überall entstanden, wo sie uns entgegentritt (S. 2 Anm. 3). In die Zeit eines solchen Überganges führt uns wahrscheinlich der Volksbeschlusse von lasos, wenn ich eine schwierige Stelle desselben richtig verstehe (S. 7 Anm. 6). Es heisst dort nämlich, der Verwalter eines Kapitals, das der Stadt geschenkt worden ist, solle bestellt werden hx Tiöv SsxttTTQWTuv 7/ etxoßaTtowTwv fi TÖ)»' TOVTOig öfioiwv. Dekaproteu und Eikosaproten können in derselben Stadt wohl nacheinander bestanden haben, aber nicht nebeneinander, weil ihre Obliegenheiten genau die gleichen sind, also die einen diu'ch die andern überflüssig gemacht wurden, "\^'eun das Psephisma die Wahl lässt zwischen beiden Körperschaften und einer möglichen di-itten, die ihnen analog ist, so scheint mii- dies die folgende Annahme nötig zu machen. An der Spitze des Kates von lasos standen Dekaproten, doch hatte er den Übergang zur Eikosaprotie beschlossen. Dies war eine Verfassungsänderung, die der Genehmigung des Kaisers bedurfte;-) aber bis diese eingeholt wiirde und von Eom in Kleinasien anlaugte, mussten natüi'lich Monate vergehen. An höchster Stelle konnte die Vermehinmg der 10 auf 20 gebilligt oder abgeschlagen werden, oder man konnte auch eine Vermittelung zwischen den beiden Ziffern versuchen, indem man Elfmänner oder Fünfzelmmänner , wie sie ja gleichfalls vor- kommen, in lasos einführte. War die Entscheidung noch ungewiss, als unser Volksl:)eschluss gefasst wui-de, so blieb nichts anderes übrig, als die Möglichkeit von Dekaproten oder Eikosaproten oder einem Kollegium von unbestimmter Zahl, aber gleichem Charakter einstweilen oifen zu lassen, wie dies in der angeführten Stelle geschieht. In einer Zeit, in

1) Journal of Helleaic studies XV S. 118.

2) J. Lew, Etudes sur la vie municipale de l'Asie mincure. Kevue des etudes grecques Vni S. 216. 241.

11* 17

164 0. Sccclc,

der es entweder gesetzlicli vorgeschrieben oder üblich war, dass man dem Kollegium bis zu seinem Lebensende oder doch eine lange Eeilie von Jahren treublieb, musste eine solche Vermehi'ung desselben den De- curionen erwünscht sein. Denn einerseits wui-den mehr von ihnen der hohen Ehre des Decemprimates teilhaft, andererseits verminderte sich die Last desselben, indem sie über eine grössere Zahl verteilt wiu'de. Als dagegen die Meisten sich ihren Pflichten entzogen, sobald die unver- meidlichen fünf Jahre abgelaufen waren, wiu'de es schwierig, die nötige Zahl von geeigneten Personen für ein so grosses Kollegium zu finden. Hatte man sie vorher zu erhöhen gesucht , so strebte man jetzt nach ihrer Herabsetzung; die Zwanzigmänner verschwanden, und die Zehu- raänner wurden zu Fünfmänuern.

In der canusinischeu Eatsliste sind von den Deceniprimi mehrere equites Romani, und noch unter Constantin dem Grossen begegnen uns zwei sicUianische Dekaproten, die den Titel der höchsten Eitterämter vir perfectissimus (öiaarjuörarog) führen.*) Wenig später aber in dem Verzeichnis von Thamugadi stehen die zehn ersten Namen unter der Überschrift: YV. CG. d. h. viri clarissimi, und dass dieser Titel, der sonst bekanntlich den Eeichssenatoren zukommt, zur officiellen Bezeichnung der Decemprmii geworden ist, beweist auch eine Inschi-ift aus der Zeit des grossen Theodosius, nach der per clarissimos Alexandnnae civitatis die Errichtung einer Statue besorgt Avird.'-) Auch dass Theodoret in seinen Briefen (15. 33) den p-imus curiae mit ?; uEyaloTrgiTieid öov anredet, gehört in diesen Zusammenhang. Anfangs hatte nicht nur der senatorische Eang, sondern schon der ritterliche Perfectissimat von allen Pflichten des Ordo befi-eit; doch Constantius und Constans verfügten, dass die Decurionen, denen solche Würden diuxh kaiserliche Gnade zu teil geworden waren, sie zwar behalten, aber auf jenes Privileg, das die städtische Verwaltung gefährdete, verzichten sollten.-^) Dadurch schieden sich die Clarissimi von den Senatoren, mit denen sie wohl noch Eang und Titel, aber nicht mehi- die Standesrechte teilten, und etwa seit der ]\Iitte des 4. Jahi'hunderts wurde jeder, der in die zehn ersten Eatsstellen einrückte, regelmässig vir clarissimus, SO dass diese Bezeichnung nach dem Zeugnis der Inschriften von Thamugadi und Alexandria zum unterscheidenden Merkmal des Decemprimus gegenüber den andern Decuiionen wurde.*)

1) Kaibel, Inscriptioues Graecae Siciliae et Italiae S. 697, 10T8a.

2) Dessau, Inscriptiones latinae selectae 1273 = CIL. III 6587.

3) Cod. Theod. XII 1, 41. 42.

4) Dem scheint ein Gesetz vom J. 412 (Cod. Thood. XVI 5, 52) zu widersprechen, das die Strafen für donatistische Ketzerei in folgender Weise nach Kang und Würde abstuft;

Illustres auri iMiido L Spectabiles , , XL

18

Decempriniaf nnä Del-aprofie. 165

^^'allrs(■lleillli(•h trat dies um dieselbe Zeit ein, wo den Principalen, nadi- deiu sie alle Pllicliten des Onlo erfüllt hatten, der Titel ex comitilnis bewilligt wurde, was zuerst im Jalire 351 nachweisbar ist.^) Anfangs erhalten sie nur die Comitiva teilii ordinis; aber seit 436 wird Aer primus ciiriae wenigstens in den grossen Städten Comes 2>rimi m-dinis, und das nicht erst bei seinem Kücktritt, sondern schon während seiner Amts- füiirung.-) So sucht man durch die steigende A\'ürde des Decemprimats dafüi' Ersatz zu schaffen, dass er seinen Inlialicrn immer mehr zur Last wird.

Wir- haben bisher über die Einführung des Decemprimats, seine Ver- breitung über die Provinzen, seine Zeitdauer, die Art seiner Besetzung, die wechselnden Zahlen des Kollegiums und den Eang seiner Mtglieder gesprochen; doch das Wichtigste bleibt uns noch übrig, nämlich die Bestimmung seiner Obliegenheiten. Bisher fand man das Wesen des Amtes, wenigstens im griechischen Osten, ausschliesslich in der Steuer- erhebung ; doch wie wir sehen werden, ist diese ihm erst sehr spät über- tragen und tritt zu allen Zeiten seinen anderen Pflichten gegenüber weit in den Hintergrund zurück.

Den Decemprimi wird ganz allgemein die ordm/'s sui administratio zugeschi'ieben ; es heisst von ihnen, dass sie guba-nacula urbmm ad- ministrant:^) Wir finden sie daher oft mit den höchsten Magistraten ihrer Stadt zusammenwirkend, anfangs mit den gewählten Jahresbeamten.'')

Senatores auri pondo XXX Clarissimi , XX

Sacerdotales auri pondo XXX

Principales , , XX

Decuriones , V

Negotiatores , , V

Plebei , , V

Circtimcellioncs aryenti pondo X Hier sind die Clarissimi von den Principales gesondert; doch erklärt sich dies daraus, dass die Aufzähhing, wie wir es darch den Trennungsstrich angedeutet haben, in zwei Abschnitte zerfällt, von denen der erste die Reichswürden , der zweite die municipalen Stellungen umfasst. Die Principales gehörten in die zweite Gruppe; da es aber zahl- reiche Clarissimi gab, die nicht zugleich Principales waren, konnten diese auch in der ersten nicht übergangen werden. Übrigens deutet auch die gleiche Strafsumme darauf hin, dass beide derselben Rangstufe angehörten.

1) Brambacu 549: decurioni coloniae Agrippinensis, aedilicio, duumvirfdi, cura- toricio, sacerdotali, ex comitibus. Spätere Zeugnisse Cod. Theod. XU 1, 75. 109. 127. 150.

2) Cod. Theod. XII 1, 189. Theodor, epist. 33: xÖutjs y.al ^qcotsvmv. Auch bei Apoll. Sidon. epist. VII 2, 5 wird der comcs civitatis, der neben den siimmates, d. h. den Decemprimi, genannt wird, in dem gleichen Sinne aufzufassen sein, was ich in dem Artikel Comites bei PAULv-Wissow.i IV S. 641 noch nicht beachtet habe.

8) Cod. Theod. XH 1, 171.

4) Liv. XXIX 15, 5. Cic. ad Att. X 13, 1 ; Verr. U 67, 162. Joseph, ant. Jud. XX 194, vita 69. 296. Dessau 139, 14, CIL, XII 3179,

19

166 0. Seeck

seit Yalentinian I. niit dem ernannten Defensor.') Das Verhältnis wird man sich derart zu denken haben, dass diese die eig'entlich Handehiden sind, die Decemprimi ihnen als Consilium dienen, nacli dessen ]\[elu-heits- beschluss sich ihi* Verfahren zu richten hat. So bilden sie eine Ai-t Aufsichtsbehörde über die städtischen Beamten und werden für deren Geschäftsführung mitverantwortlich. Daher werden in den Gesetzen der Spätzeit, wenn der Defensor sich eines Vergehens schuldig macht, nicht nur er selbst, sondern zugleich auch die Principales dafür mit einer Strafe bedi-oht.

Dass sie ihi-e Gemeinde teils allein, teils Mieder gemeinsam mit den Magistraten nach aussen zu vertreten haben, ist schon in anderem Zusammenhange dargelegt (S. 11). In diesen Ki-eis gehört es auch, wenn ihnen ziu- Pflicht gemacht wii-d, die Interessen ihi-er Stadt den Statt- haltern gegenüber „mit fi-eiem Worte zu verteidigen". Damit sie nicht diu'ch gar zu berechtigte Fiu-cht vor römischer Beamtenwillkür daran verhindert- würden, hat die kaiserliche Gesetzgebung sie bald gegen alle Körperstrafen,-) bald wenigstens gegen die schmerzhafteste, das Gepeitscht- werden mit bleibeschwerteu Geissein, in Schutz genommen, als schon die übrigen Decurionen ihnen unterworfen waren.^) Allerdings ist dieses Privileg, soweit die Steuererhebung in Betracht kam, nicht nui* von einzelnen Statthaltern verletzt, sondern zeitweilig selbst diU'ch Gesetz aufgehoben worden ;■>) denn in Geldfragen verstand man in den schweren Nöten jener Zeit keinen Spass.

Bei den Beratungen des Ordo wui'den die Decemprimi immer an erster SteUe um ihi-e Meinung gefi-agt (S. 8); sie stellten daher meist die Anträge, die den späteren Verliandlungeu zur Grundlage dienten, und gaben so der ganzen Debatte ihi-e Eichtung. Man darf danach wohl vermuten, dass, wenn ein mchtiger Gegenstand der Gesamtheit des Ordo vorgelegt werden sollte, sie unter sich zusammentraten und ihn nach Äi't einer Kommission vorberieten. Dass dies überall üblich war.

1) Cod. Theod. III 30, 6; VIII 5, 59; XIII 11, 10; XVI 5, 40 § 8; 4.5; 6, 4 § 4; 10, 13.

2) Cod. Theod. XTI 1, 190: quinque primates ordmis Alexandrini a corporalibus iniuriis immunes esse ceyisemus, nt voce lihera commoditates patriae defendant, cum possint, si quid egerint criminose, pecuniariis coereeri dispiendiis. Vgl. XII 1, 39. 47. 61. 126. 127. 128.

3) Cod. Thpod. IX 35, 2: plunibatarum vero icius, quos in ingcnuis corporihus von 2)rohamus, non ab omni ordine summovemtts , scd decemprimos tnntum ordinis atriales ab inmuniitate huiiismodi verberum segreganms, ita ut in ceteris animadversionis istius haheattir moderatio comtnonenfes. Vgl. XII 1, 85.

4) Cod. Theod. Xni, 117 vom J. 387: quilibet principalium vel decurionmn vel decoctor peeuniae publicae vel fraudulentiis in adscrijitionibus illicitis rel immoderaitis in exactione fuerit invenUis, iuxta pristinam consuetudinem non soluni a vobis, quibiis propter loci dignitatem renivi summa commissa est (d. h. von den Praefecti Praetorio), verum et a iudicibus ordinariis 2^^"»ibatarum ictibus subieiaiur.

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Decemprimat und DeJcaprofie. 107

darf man um so eher schliessen, -weil es auf der Insel Amorgos zur gesetz- liclieu Vorschrift erhoben ist. Denn liier beginnen alle erhaltenen Eliren- dekrete der Kaiserzeit mit folgendem Praeskript: Meihjaiwv TÜv"AuoQyov yiiytäh]V xaToixoivTüüv '^öo^sv üo^ovai, ßovX^, Si'i^ti), yvtüf.uj ßTQUTijyüiv y.cel dexaTTQWTWV txövToov Öi xal rr,v 7iQVTavixi]v l^ovalav.^)

^'enn sie auch bei allen wichtigeren Amtshandlungen der Magistrate beteiligt sind, so tritt doch ihre polizeiliche Thätigkeit vor den andern hervor. Sie wirken bei der Normierung der Kornpreise mit,-) haben den Miss- brauch der kaiserlichen Post^) und das Verstecken von Deserteuren <) zu verhindern oder zur Bestrafung anzuzeigen; sie treten dem Gottes- dienste der Ketzer *) und den heidnischen Opfern entgegen,'') müssen aber auch Juden und Heiden gegen die Ausbrüche christlicher Volkswut schützen.') Daher werden sie auch als Zeugen vorgeladen, wenn eine Anklage wegen Euhestörungen , die in ihrer Stadt vorgekommen sein sollen, zur Verhandlung steht. ^)

Von nicht geringerer Bedeutung ist die Thatsache, dass die abtretenden Municipalbeamten vor den Decemprirai Eechenschaft ablegen mussten. Dies ist uns für die ältere Zeit nur aus Thyatii-a beglaubigt, darf aber wohl verallgemeinert werden, umsomehr als die Quinqueprimi in der Zeit Justinians die gleiche Funktion im ganzen Reiche ausübten.») Eine Inschrift, die in jener kleinasiatischen Stadt gefunden ist, rühmt den Gefeierten als SixaTtimTivaavjct sti; dixa xai iniSönet, xal xvoiaxali; VTisgsaiatg ;^p>;ff//<ej;ff«i'r« Ti,v nctTQtSa xal anoSoxin rüv ag^iiciv.^^) Auch auf diesem Stein sind die verschiedenen Ämter asyndetisch neben- einandergestellt; mithin darf, was durch xat verbunden ist, als zusammen- gehörig gelten. Dazu passt es, dass die Iniöoaig und die xigiaxai VTitjgsaiai, wie wir unten noch sehen werden, in das Gebiet der Steuer- erhebung gehören, das man bis jetzt der Dekaprotie mderspruchslos zu- gewiesen hat. Folglich müssen wir auch die zuletzt erwähnte Funktion mit ihr in Verbindung bringen, und diese bestand, wie Böckh mit Eecht

1) CIG. U2264. 2264b. Atben. Mittcil. I S. 347, X S. 119. Riillof. hell. W S. .573. 'A»rivaiov II S. 408.

2) Amm. XIV 7, 1. 2.

3) Cod. Theod. VIII 5, .59.

4) Cod. Theod. VII 18, 18.

5) Cod. Theod. XVI 5, 12; 40 § 8; 45; fi, 4 § 4.

6) Cod. Theod. XVI 10, 13.

7) Cod. Thood. XVI 10, 24 § 1.

8) Symmach. rel. 49, 3.

9) Nov. Just. 128, 16: ixäatov di iviavrov -nXriQoviihov rbv oaimrarov inla-xonov (iträ Tth'Tt TtQwttvövrav Ti)s aöXscog tohg XoyiOfiovg ccitunilv xovg naq avtäv TtQoßXr}- &lvTag.

10) CIG. II 3490. Wir haben die grammatischen und orthographischen Fehler nicht korrigiert, weil sie für die Zeitbestimmung der Inschrift die einzige Handhabe zu bieten scheinen.

21

lf)8 O. Seecl;

annimmt, in der Übernahme der Arcliive von den abtretenden Beamten und üirer Prüfung, ob sie vollständig «nd unverfälscht seien. Wahr- scheinlich nnisste jedesmal einer aus dem Kollegium die Durchsicht der Urkunden übernehmen, und weil der Held unserer Inschrift sich dauernd dieser zeitraubenden und langweiligen Arbeit unterzogen hatte, -wurde ihm dies als besonderes Verdienst angerechnet, das auch auf seinem Denkstein verengt zu "werden verdiente. Vielleicht noch leiiri-eicher ist folgende Inschrift,') die gleichfalls aus Thyatira stammt und in dieser Weise zu ergänzen sein dürfte:

\^Ai)Qi']]X{iov) \4ßuay.c(VT\ov, Jex«-]

[7igi)i\Ttv6avTa i'r[»/] i\ [xp]«-

rr,attVTa kußöXov Ti^g z()[«-]

Tißrtjg ßovKr^g. k?^£iov>/aa[v-]

xcei noXvSaTiävcog, änodo-

%ea yevousvov rwv St/uo-

aiwv ygafifiÜTitiv, 6etTCüvr,G[^av-^

Ta tv xcugä övßy.öXco, ano-

dixTtjv yevofiei'ov rwv

7io\uTr/.(xJV ygriuaTojv,

ayogavouiityccvra (fiXori-

^u)g y.cu i'ig rov inevwvi-

Gftov TOL klaiov 7io).}.(x uvu-

XüLiOavTtt y.cu Tcc Xoinu Tijg ag-

;^?7s äva?AüuctTci ivSoiug

y.al irgo&i'fiwg o'iy.o&ev äv[a-]

XmGavxci. Hier erscheint der anoSoytvg tüv Stjuoaiwv yguuudTwv, der zweifel- los mit dem änoSoyivg tüv ugyüwv der vorigen Inschrift identisch ist, von der Dekaprotie getrennt; doch ist daraus noch nicht zu schliessen, dass es gesonderte Ämter waren. Denn auch eine andere Funktion, die dem Charakter der Dekaprotie vollkommen entspricht, steht gleichfalls füi- sich. 'N^'ii- werden sogleich darlegen , dass die finanzielle Kontrolle der Beamten zu ihi-en Hauptaufgaben gehörte; und unser Abaskantos war anoSky-TTfi räv noXsiTixüJv ygriixäriov, d. h. er hatte die Eechnungen der abtretenden Beamten zu prüfen und die Kassenbestände von ihnen

1) Bulletin de correspondance hellenique XI S. 478. Tu deu ersten zwei Zeilen hat Radet gelesen:

lET^ANTAETE i iiz. Also geändert habe ich nur ETE in ETH; im Übrigen entspricht die Ergänzung genau den überlieferten Buchstabeuresten. Übrigens macht mich Körte darauf auf- merksam, dass auch itsi für stt] gestanden haben könne, weil infolge des Jotacismus beides gleich ausgesprochen wurde. Vgl. S. 5 Anm. 3.

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Dncrinprinifif nnä Dclcaprotie. 109

entopsi-enzuiieliiTien. Dass die Tnsclirift iiiclit nur Äriiter aiifzälilt, soiulcrn aucli Leistungen des Mannes, die nifht in einem Anitstitel ihren Ausdruck fanden, zeigt namentlich das xQaTi'jactvra ifißölov r?jg xoaTiarijg ßovXi'/g, „er beherrschte die ''l'ribiine des Rates", d. h. er war der einflussreicliste Kedner. So werden auch die beiden erstgenannten 'J'itel niclit wirkliebe Titel sein, sondern nur Bezeichnungen von Thätigkeiten unseres Thyatireners, die er .sehr wolil als Dekaprote ausgeübt haben kann. Die Inschrift ist nämlich so geordnet, dass die dauernden Eigenschaften voranstehen, d. h. die zehnjährige Dekaprotie und der beherrschende EinÜuss im L'ate. Dann folgen die .Tahresämter und die anderen schnell voi'übergehenden Thätigkeiten wahrscheinlich in chronologischer Reihenfolge. So konnte es kommen, dass wirkliche Magistraturen sich zwischen die einzelnen Funktionen der Dekaprotie einschieben; denn während ihrer zehnjährigen Dauer konnte Abaskantos natürlich auch verschiedene Jahresämter be- kleiden, da sie mit jedem derselben vereinbar war.') Für uns ist der Stein namentlich deswegen von Interesse, weil er uns zeigt, dass jene Kontrolle nicht nur von dem Kollegium als- Ganzes, sondern teilweise auch durch einzelne Mitglieder desselben ausgeübt wurde ; der eine prüfte die Urkunden, der andere den Bestand der Kassen. Damit konnten sie abwechseln, wie Abaskantos es gethan hat; doch konnte auch ein Mann sich dauernd ein bestimmtes Gebiet erwählen, wie jener erste Thyatirener die Durchsicht der Archive. Wahrscheinlich blieb dies der Vereinbarung innerhalb des Kollegiums vorbehalten.

Seine allerwichtigste Thätigkeit aber besteht in der Beaufsichtigung des Gemeindevermögens und seiner Verwendung. Dass das censorische Amt immer aufs Engste mit dem Decemprimat verbunden blieb, erst indem es ihm unmittelbar voranging, dann indem es mit ihm zusammen- fiel, haben wir oben (S. 10. 12) schon besprochen. So besassen die Zehn- männer den genauesten Überblick über die finanzielle Leistungsfähigkeit ihrer Stadt, und auch nachdem der Census durch Diocletian auf Reiclis- beamte übertragen war, führten sie die Liste der Decurionen weiter, deren Eigentum den Zwecken ihrer Gemeinde dienstbar war. Damit ihr Vermögensstand sich möglichst wenig verändere und zugleich den Principalen die volle Kenntnis desselben erhalten bleibe, ging man im fünften Jahrhundert so weit, dass man keinem Mitglied des Ordo er- laubte, ein Grundstück oder einen Sklaven zu verkaufen, ohne dass er dazu die schriftliche Erlaubnis der Quinqueprimi besass.'-) In früherer Zeit schreckte man mit Recht vor einer so lästigen Aufsicht über den

1) Athen. Mittoil. VI .S. 167: arQcnrjyovvrog toO ösxaTiQÖirov A. Noovlov Aveavlov. Ägyptische Urkunden des Berliner Museums II 652: CiyoQUvöy.o^ dtxcinQbjTog. .556: fifl'jjvicpi^TjS äsxditQatog. 579: yufH'ocotKp^Ki xal xoCfiTjrijs dsxäTtQcoToi. Wilckex, Griechische Ostraka I S. 626: xocfiiirijs ßovXevTtjg ätxäTtQcorog.

2) Nov. Valent. 31, 6. Nov. Maior. 7, 9.

23

170 0. Seech

Einzelneu zurück ; die Kontrolle der Decemprimi bescliräukt sich auf den Besitz der Gesamtheit, hier aber tritt sie immer wieder bedeutsam hervor.

Eine Frau stiftet in üirer Vaterstadt einen Ag'on, behält aber das Kapital, das füi- diesen Zweck bestimmt ist, in ihrer Hand und ver- pflichtet sich nur, an gewissen Terminen die Zinsen zu zahlen; dafür muss sie den Dekaproten Sicherheit stellen.^) Em anderes Mal wird eine Schenkung bar ausgezahlt und soll dazu verwendet werden, den Ölbedarf eines Gymnasiums für je einen Monat jedes Jahi-es zu decken. Die Verwaltung geschieht in der AVeise, dass einer der Dekaproten das Geld fünf .Tahre lang gegen einen vorgesclu-iebenen Zinsfuss ausleiht, die monatlichen Zinsen eintreibt und bei sich aufbewahrt, um dann am ersten Tage jedes Jahres den Ertrag des vorhergehenden an die Kassen des Gymnasiums abzuführen. Ist der fünfjährige Zeitraum abgelaufen, so tritt wahrscheinlich ein anderes Mitglied des Kollegiums an die Stelle des ersten (S. 7 Anm. 6). Auch in diesen Fällen sind also die Deka- proten bald als einzelne, bald als Gesamtheit thätig. Das eine Mal leihen sie selbst die Gelder der Stadt aus, das andere Mal, wo dies nicht nötig ist, empfangen und prüfen sie die Sicherheit für das Einlaufen der Zinsen.

Von einer anderen Seite zeigt sich uns das finanzielle Aufsiclitsrecht der Dekaproten in dem Berichte des Josephus über den jüdischen Auf- stand. Der Geschichtschreiber fürchtete, dass in Tiberias der kaiserliche Besitz von dem erregten Volke geplündert werden könne, und übergab daher eine Anzahl kostbarer (gegenstände, darunter auch eine beträcht- liche ]\Ieuge ungemünzten Silbers, einem städtischen Beamten und den Dekaproten.-) Offenbar haben sie die Aufgabe, darüber zu wachen, dass das Depositum nicht von jenem veruntreut werde. I'nd als im ^'ierten Jalirhundert die wilden Stämme der Sahara in Mauretanien einen Raub- zug machen imb dabei auch ein fisci deposi'tum wegschleppen, wii'd von den Decemprimi der Stadt, in der es aufbewalu-t war, die Eückerstattung gefordert.*)

Als die Stadt Pisa den verstorbenen Enkeln des Augustus ein Heilig- tum errichten will, da werden die Decemprimi gemeinsam mit dem einen Duumvii'n ange-niesen. die Auswahl und den Ankauf des erforderlichen Grundstücks zu bewirken.*) In Nemausus beschliessen die Decurionen,

1) Dig. L 12, 10: xßö'/fpöj ciy&va TiTQcisTr)Qiv.bv c'cnb fi,vQtdScov tqiüv zii tov xicpa- Xalov «iTij y.uzij^oveu aoyvQiov -/.al {iOcfcdi^ofiivr] TrciQCi Tolg äexuTrQmrois &^iox9^(^S ^^^ Tc5 rtJ.ffj' fi£ tbv t'l ?&ovs tqiwv fii'Qidöcov roxor.

2) Joseph, vita 69. 296.

3) Symmach. epist. 164: evenit ea tempestaie, ut etinm fisci de2wsiti<m helU iure raperetur. quod a summatibus civitatis, quos reliquos fuga fecerat, ins aerarii reposeehat.

4) Dessau 139: data cura C. Canio Saturnino duumviro et deeemprimis eUgendi aspiciendique , uter corum locus magis idoneus vidcatur, emendique publica pecunia a piivafis eitis loci, quem magis probaverint. In diesem Zusammenhange muss auch an-

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Decemprimat und Dekaprofie. 171

einem Veteranen des Tiberius einen Bauplatz inneilialb ilu-er Stadt zu s(;henken, und diesen weist ilim einer der Quattuorviri zusammen mit dem höchsten Eatskollegium zu.^) Und als im Jahre 399 eingewanderte Harharenhordeu im weströmischen Keiche angesiedelt werden, da macht man die Defensoren und die Deceuiprimi der Städte, in deren Gebiet jene ihre 'Wohnsitze empfangen haben, für die ^^lissbriiuche verantwortlich, die bei der Landverteilung vorgekommen sind.-) Also vom ersten Anfang der Kaiserzeit bis fast zum Untergänge des Eeiches besitzen wir Zeugnisse dafür, dass die Decemprimi es waren, welche über den Grundbesitz der Städte zu verfügen hatten.")

Schon hieraus wii"d man schliessen dürfen, dass sie auch bei der Verpachtung desselben ein Wort mitzureden hatten, selbst wenn sich dies nicht m-kundlich belegen Hesse. Doch hat sich im Gebiete von Arsüioe die Verfügung eines Strategen vom Jahre 247 n. Chr. gefunden, in welcher die Dekaproten in den engsten Beziehimgen zu den Pächtern des städtischen Ackerlandes erscheinen. Der Beamte befiehlt darin den Colonen, deren Liste ihm von den Dekaproten eingereicht ist, die Bebauung des von ihnen gepachteten Bodens .,oline jeden Vorwand" fortzusetzen, damit man die Schuld an den Fiskus ungehindert abtragen könne.-") Wahr- scheinlich stand am Schlüsse, der nicht mehr erhalten ist, noch eine Strafandrohung. Der Thatbestand, den die Urkunde voraussetzt, scheint folgender zu sein: die Stadt hatte eine Forderung des Fiskus zu befriedigen und wollte zu diesem Zwecke von ihren Colonen eine höhere Pachtsumme eintreiben, als kontraktlich ausgemacht war. Dies bietet ihnen den sehr berechtigten ,, Vorwand", ihr Vertragsverhältnis für aufgelöst zu erklären und die weitere Bewii-tschaftung des Bodens abzulehnen. "Was aber für uns namentlich in Betracht kommt, ist der L'mstand, dass sie ihre Streik- drohung an die Dekaproten richten; denn diese sind es ja, welche dem

geführt werden, dass sie mitunter bei der Errichtung von Statuen thätig sind (Dessad 1273. Käibei. S. 697, 1078 a); doch kommt dies selten und nur im vierten Jahr- hundert vor.

1) CIL. Xn 3179: decreto deeurionum accepit aream inter dtias ttirres per P. Pusonium Pcregrinum quntiuorrintm et ttndecimviros adsignatam.

2) Cod. Theod. XIII 11, 10: coUudio principalimn vel defensontm vel suhrepticiis rescripüs maiorem, quam ratio poscehat, terrurum modum sunt conseaiti.

3) CIG. m 3945 nennt einen Mann Stxü-n\QaTOv vmI] tnrijif/.TjTJj»' xä>[Qas tal tmv] ä\r,]uoalcov Tiig n-difMj. Doch ist es in diesem Falle nicht ganz sieher, ob diese Ob- liegenheiten zusammengehören , da auch andere Amter, die nichts mit der Dekaprotie zu thun haben, mit xai angereiht sind.

4) Ägyptische Urkunden I 7: nagay/iXlBTai näei rolg ii^aacp&g i:tiäo9tiai uoi iztö rüv äiv.a:iQä)Tav ovoi yiioQyolg :i£Öiov xalovfitvov $präu (leixQOv. ccTtgotfCiaicroig ixie9cii

Tj'/S '/iagYiag vTttQ rov zu öcpfiXöfitva ifpfoTcr« raueia üm'jioäißTcog Damit

bricht der zusammenhängende Text ab. Am Schlüsse folgt noch die Datierung und das Verzeichnis der Colonen nebst den Zahlen von Aruren Landes, die sie zu be- bauen haben.

25

172 0. Scccl:

Strategen davon Kunde gehen, llan kann dai-aus folgern, dass entweder das Kollegium selbst die Verpachtung der Grundstücke geleitet oder, was ich für walu-seheinlich halte, den Strategen dabei assistiert hatte. Als die Colonen von Arsiuoe ihren Streik begannen, waren natürlich die .Tahresbeamten, mit denen sie abgeschlossen hatten, längst zurückgetreten ; sie hielten sich daher an die Dekaproten, die dauernd in ihrer Stellung blieben und für die Erfüllung des Vertrages gleichfalls verantwortlich waren.

Dass diese sich auch bei der A'erpachtung der vectigalia und ultro- tributa in dei'selben AA'eise beteiligten, halte ich für mehr als wahr- scheinlich; doch ist mir kein Zeugnis dafür bekannt. Wir verlassen daher diesen Gegenstand und wenden uns zum Schlüsse der Steuer- erhebung zu, die man bis jetzt füi- die hauptsächlichste, wenn nicht gar für die einzige Pflicht der Dekaproten gehalten hat.

Die Unterschiede der Zeiten brauchten wir bisher nur in Einzel- heiten hervorzulieben : im Grossen und Ganzen boten die Quellen des \-ierten und fünften Jahi'hunderts verglichen mit denen der früheren Epochen ein so übereinstimmendes BUd, dass sich die einen unbedenklich zur Ergänzung der andern benutzen Hessen. Aber kaum auf einem anderen Gebiete haben die Neuerungen Diocletians und Oonstantins so tief und rücksichtslos eingegriffen, -nie auf dem des Steuerwesens; hier wii'd es daher geboten sein, die Zeugnisse, welche vor und nach dem Jahi-e 284 liegen, scharf von einander zu sondern.

Die Anforderungen, welche die Steuerpflicht der Gemeinden an ihre örtlichen Behörden stellen rausste, beziehen sich auf zwei ganz ver- schiedene Thätigkeiten : die Eepartierung des Steuerbeti-ages auf die ein- zelnen Pflichtigen und die eigentliche Steuererhebung. Dass die erstere den Decemprinü zukam, ist aus nachdiocletianischer Zeit sicher über- liefert;*) hieran knüpften die Bedrückungen an, die man ihnen vielfach nachsagte.-) Da eine zu hohe Veranlagung geradezu den Euin des Be- troffenen herbeiführen konnte, vermochten die Principales die andern Decurionen zu zwingen, dass sie ihnen Grundstücke oder Sklaven unter dem Werte verkauften,-') und endlich musste man so weit gehen, ihnen

1) Symmach. epist. IX 10, 2: piüicqMlibiis et tabiilarüs liberum est, alias a dis- pcndio vindicare, aliis indebitum munns inqwnere. Die Tabularii waren städtische Sub- alternbeamte, die unter Aufsicht der Principales die Eeebnungen und Verzeichnisse zu fuhren hatten. Cod. Theod. VIII 15, 5 § 1 : j'rincipales, a quibus distributionum omnium forma procedit. A' gl. X 4, 2. XII 1, 117.

2) Cod. Theod. XII 1, 173. Salvian. de gubern. dei UI 50. V 18. Nov. Maior. 7, 8.

3) Theodosius der Grosse verfügt, dass kein Decurione ein Grundstück oder einen Sklaven verkaufen dürfe, ohne vorher dem Statthalter der Provinz die Gründe darzu- legen und durch Dekret seine Erlaubnis zu erhalten. Als Motivierung fügt er hinzu: ita enim fiet, ut nee immoderatus venditor nee emptor inveniatur iniustus; denique nihil crit 2}ostmodum, quo venditor vel circunwentum se insidiis vel opjjressum potentia compa-

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DcccilipriiiKif und I)cl;<iprotic. 173

iiinerhalh ilires Stadtgebietes den Abschluss lukrativer Verträge Avährend ilirer Amtszeit gesetzlich zu verbieten.') Dass jenes wichtige Gescliäft den Decenipriuii aucli in den ersten drei Jalirliuuderten der Kaiserzeit oblag, ist zwar, soviel mir bekannt ist, durch kein Zeugnis beglaubigt, aber doch in hohem Grade wahrscheinlich. Denn die Verteilung der Steuerptlicht musste naturgemäss an die Ceususlisten anknüi)feu: wem konnte sie also passender übertragen werden als denjenigen, welche diese entweder als Quinquennalen geführt hatten oder als nokiToygarfoi noch führten ':*

Für die Steuererhebung steht die klassische Stelle, auf die man sich immer zu berufen pflegt, in einem Fragmente des Arcadius Charisius,^) der unter Constantiu dem Grossen lebte. Eegelmässig aber beachtet mau hier nur den einen Satz, in dem das Wort decaproüa vorkommt, und missversteht seinen Sinn, weil man ihn aus dem Zusammenhange reisst. Um diesen Fehler zu vermeiden, führen wir alle Stellen des Fragmentes an, die von deu Pflichten der Steuererhebung reden : qui annonam sundpit vel exi'git vel crogat, et exactores pecuniae pro capitibus po'sonalis muneris soüicitudinem sustinent. sed et curatores, qui ad colligendos civitatium publicos rcditus eligi solent, personali munere subiugantur. mixta niunera deca- protiae et icosaprotiae, ut Iferennius Modestmus et notando et disputando bene et optima ratione decrevit: nam decaproti et icosaproti tributa exigentes et corparale ministerium gerunt et pro nominibus^) defunctorum fiscalia detri- menta resarciunt, ut merito inter mixta lioc munus numerari debeat. sed ea, quae supra personalia esse dixivius, si hi, qui funguniur, ex lege civitatis suae vel more etiam de propriis facultatihus iinpem.sas faciant vel annonam exigentes desertorum praediorum damna sustineant, mixtorum defimtione con- tinebuntur. Der Jiu'ist unterscheidet hier drei Arten von Steuererhebern, die Decemprimi, die Ciu-atores und eine dritte Gruppe, die er nicht be- nennt, weil sie keinen genieinsamen Namen hatte. Denn derjenige, qui annonam suscipit heisst s^isceptor, qui ertgii heisst exactor, qui erogat heisst praepositus horreorum. Obgleich man nämlich exigere auch ganz allgemein für jede Art der Steuereintreibimg braucht, ist doch zwischen suscep>tor und exactor ein grosser Unterschied, wie sich schon darin ausprägt, dass beide in den Gesetzsammlungen unter verschiedeneu Titeln behandelt

ratoris qucri deheat. Später taucht bei der Interpretation dieses Gesetzes der Zweifel auf, utrum sali principales sine decreti interposüione collegarum possessiones emere vetentur an Omnibus comparandorum Jmiusce fundoncm copia sine praedicta observatione negata sit. Cod. Theod. XII 3, 1. 2. Daraus ergiebt sich deutlich, dass man nach der Lage der Sache bei dem emptor iniustus und dem opprimi potentia comparatoris in erster Linie an die wohlbekannten Missbräuche der Decemprimi denken musste.

1) Cod. Theod. VIII 15, 5. Dies ist erst durch Valentinian III. wieder auf- gehoben worden. Nov. Val. 31.

2) Dig. L 4, 18 § 8. 9. 26. 27.

3) In der Florentiner Handschrift steht umnibus.

27

174 0. Scecl;

sind,') die nicht einmal in denselben Bücliern stehen. Der susceptor em- pfängt die ordnungsmässig einlaufenden .Steuern, der exactor treibt die Steuerschulden ein.'-) Daher ist anch bei der pecunia pro capiiibus nur von exactores die Eede. Denn capita bedeutet in diesem Falle nicht menschliche Häupter, sondern die "N^'erteinheiten, deren jede ein gleiclies Mass der Annona zu tragen hatte.") War man diese aber längere Zeit liindureh schuldig geblieben, so durfte man sie nicht mehi- in Natiu-alien entrichten, sondern hatte Lhi'en Wert nach einer Schätzung, welche der Kaiser oder der Praefect generell bestimmte, in Geld zu bezahlen.*) Der exactoi- annonae und der exactw pecuniae pro capitibus unterscheiden sich also nui- dadurch, dass jener die jüngeren, dieser die älteren Schulden beitreibt; mit der Annona haben sie beide zu thun. "N^'ii- wollen daher diese ganze Giuppe unter dem Xamen der Anuonarii zusammenfassen. Die Munera, von denen Charisius hier handelt, teilt er ein in munera patrimonü, die nur an den Geldbeutel Anforderungen stellen, vmnera p)ersonaUa, die nur Arbeit beanspruchen, und iminera mixta, in denen beides sich vereinigt. Die Leistungen der Decemprimi gehören immer zur dritten Klasse, die der beiden andern Gruppen können rein persönliche sein. Nur wenn die Curatoren, welche das municipale Einkommen verwalten, durch das Eecht oder die Sitte üirer Stadt zu gewissen Aufwendungen gezwungen sind, wii-d ihr Munus zu einem gemischten. Bei den Annonarü tritt dies ein, wenn ein Teil der Äcker, welche ihnen untergeben sind, wüst liegen bleibt und daher keine Annona mehr zahlen kann; denn in diesem Falle müssen sie den Ausfall ersetzen. Gewöhnlich nimmt man an, die Steuererhebung sei immer eine pekuniäre Last gewesen, weil derjenige, dem sie übertragen war, alles, was nicht einlief, aus seiner Tasche zahlen musste. Aber in diesem Falle hätte es Steuerschulden überhaupt nicht geben können oder doch nur insofern, als der Erheber, wenn er den Betrag au die Staatskassen abgefülu-t hatte, seinerseits die Beste von den Säumigen beanspruchen konnte; sie hätten sich also in private Forderungen verwandelt, und doch ist in den Gesetzen immer wieder von Steuerrückständeu ganz bedeutenden Umfanges die Eede. Ottenbar hatte der Erheber seine Schuldigkeit gethan, wenn er neben den eingelaufenen Beträgen eine Liste der Schuldner eim-eichte, damit

1) Cod. Theod. XU 6. Cod. Just. X 72 beide gleichlautend: de suscejytoribus, pracjwsitis et arcariü. Cod. Just. XII 60: de exseciitoribus et cxactoribus. Cod. Theod. VIII 8: de exsecutoribus et exactionibits.

2) Dig. 118, 6 § 9. Cod. Theod. Vm 1, 9. X 1, 16. 17, 3. XI 7, 1. 16. Cod. Just. VI 2, 8. Nov. Theod. 15, 2 § 1. Nov. Val. 1, 1 § 1. 3 § 3. 31 § 6.

3) Pauly-Wissowi, Realencyclopaedie III S. 1517.

4) Cod. Theod. XI 28, 17: debita susce2)toribtis ante decimam indictmiem con- grcgata, quae sedes exceha pretiis humanioribus adaeravit. Amm. XXXI 14, 2 vom Kaiser Valens: in adaerandis reliqiwrum debitis non molestus. Cod. Theod. XI 1, 19: id quod in titulis debitis sub praestatione confcrtur auraria.

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DcrcDipriliHtf loid Dvhajirotic. 175

die staatliche Exekution sich an sie halten könne. Nur soweit er keinen Pflichtigen namhaft machen konnte, weil das Steuerobjekt untergegangen war, d. h. soweit die Äcker, auf denen die Annona lastete, wüst lagen, hatte er selbst den Schaden zu tragen. War also das Gebiet seiner Stadt in so blühendem Zustande, dass es keine verlassenen Grundstücke darauf gab, so blieb sein Munus ein rein persönliches, mochten die säumigen Steuerzahler auch noch so zalilreich sein; im entgegengesetzten Falle wurde es zu einem gemischten, auch wenn nachweisbare Schuldner des Fiskus nicht vorhanden waren.

Dies gilt für die Annonarii. Auch die Decemprimi sind für keinen haftbar, gegen den eine Exekution noch möglich bleibt; denn sie treten ja nur für die Schulden der Verstorbenen (pro nominibus defunctorum) ein. AVenn bei ihnen die Belastung durch den Tod von Menschen, bei jenen diuxh das Wüstbleiben von Äckern herbeigeführt ^rä'd, so liegt es nahe die Leistungen der Decemprimi auf die Kopfsteuer, wie die der Annonarii auf die Grundsteuer zu beziehen, und ein Eeskript des Vale- rianus scheint dies zu bestätigen.^) Denn es verfügt, dass zwar die übrigen Schulden eines Verstorbenen von den Erben in demselben Ver- hältnis zu tilgen seien, das ihren Anteilen an der Erbschaft entspreche, die rückständige Annona aber nur an demjenigen haften bleibe, der den Grundbesitz des Erblassers angetreten habe. Doch andererseits war auch die Annona dui'ch die Neuerungen Diocletians teilweise zu einer Kopf- steuer geworden, weil jeder Mann und jedes Weib, mochten sie Freie oder Sklaven sein, soweit sie sich an der Landarbeit mit eigener Hand beteiligten, auch den Steuerwert des Grundstücks erhöhten. Das Sterben der Menschen führte also auch liier eine Einbusse herbei, aber wenn es nicht eine solche Ausdehnung gewann, dass das Gut in seiner Gesamtheit unbebaut blieb, traf der Schaden wahrscheinlich den (Trundherrn, nicht den Annonarius. Und das ist zu beachten, dass dessen Munus nur ein gemischtes sein kann, während das des Decemprimus es notwendig sein niuss, mit anderen Worten, dass dieser unter allen Umständen Zuschüsse zu leisten hat. Wie wäre dies bei einer gewöhnlichen Kopfsteuer denkbar! Auch wenn der Pflichtige tot war, blieben für seine Steuerschulden doch die Erben haftbar; nur falls keine vorhanden waren, hätten also die Decemprimi zahlen müssen, und auch diese kleine Einbusse wäre diu-ch die jugendlichen Personen, die unterdessen in das steuerpflichtige Alter eingetreten waren, mehr als ausgeglichen worden. Denn dass der Steuer- erheber sich an den sogenannten adcrescmtes füi- den Ausfall schadlos halten durfte, der durch das Sterben der Steuerpflichtigen eintrat, war

1) Cod. Just. X 16, 2: acs qiüdem alknum pro portionibus, ex qua quisque de- functo heres extitit, praesture oportet, annonas autem is solvere debet, qui 2)OSscssiones tenet et fruclus percipit.

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damals sl-Iiou laugst anerkamites Kecht.') Freilich komite es vorkoiumeii. dass der Zuwachs die eutstaudeuen Lückeu uicht gauz ausfüllte; aber auch Lei deu Anuonarü war es Eegel, dass sie für verlassene Grund- stücke mit ilu-em Geldbeutel einstehen mussten, und doch gilt Uu'e Tliätigkeit dem Juristen nur bedingungsweise als ein mumis mixtum. ^\'euu der Decemprimat bedingungslos als solches bezeichnet wü-d, so folgt daraus, dass es sich bei ihm nicht um gelegentliche Etnbussen handelte, wie sie bei einer Kopfsteuer wohl denkbar sind, sondern dass das Zm-ückbleiben des Ertrages hinter dem Geforderten zum Wesen der Steuer gehörte, die sie verwalteten.

Was mag das fitr eine Steuer gewesen sein? Charisius bezeichnet sie pluralisch als d-ibuta und stellt sie in Gegensatz ziu- annona in der Einzahl. Dasselbe kehi-t wieder in einer Titelübersclmft , die im Kechtsbuche des Theodosius, vne in dem Justinians übereinsthumend lautet : de annona et tributis.'-) "Wer aber zu wissen wünscht, vcie sich die beiden Worte in üu'er Bedeutung unterscheiden, und in demjenigen Buche, das über solche Fragen immer den besten Aufschluss giel:)t, dem Kommentar des GoTHOFREDus zum Codex Theodosiauus , die Einleitimg zu dem be- treffenden Titel nachschlägt, der wii-d sich arg enttäuscht fühlen. Denn dort ist von einem Unterschiede gar nicht die Kede, und wer, gleich Gothofredus, die uachconstantinischen Gesetze als Hauptquelle benutzt, der vermag auch wirklich keinen wahi-zunehmen. In jener Spätzeit ist eben die Annona einfach zum vornehmsten Tributum geworden, -nie es namentlich in folgendem hervortritt. Die Schätzungsorduung Diocletians unterwirft nur die ländliche Bevölkerung dem Census : die Städter werden nicht berücksichtigt, weü er ausschliesslich füi* die Erhebung der Natural- steuer in Korn und Wein, d. h. für die Annona, geschaffen ist.^) Trotzdem braucht man censibus atkcf/ptus und ti-ibutarius als ganz gleichbedeutende Ausdrücke;*) wer also die annona entrichtet, der ist dem tributum y.az' iioyi'jv unterworfen. Jene Titelübersckrtft ist offenbar niu* der rudimentäre Best eines fi'üheren Zustandes; wahi-scheinlich hat man sie unverändert dem Codex Gregorianus entnommen, an den der Theodosianus sich an- lehnte. Dass aber Charisius die annona noch von den tributa trennte, geht aus unserem Fragment unzweideutig hervor. Wollen wir also den Unterschied kennen lernen, so müssen wü" von den späteren Quellen ab- sehen und uns um- au diejenigen halten, die in seine Zeit fallen oder ilu- vorausliegen. ^)

1) Paüly-Wissowa I S. 348.

2) Cod. Theod. XI 1. Cod. Just. X 16.

3) Seeck, die Schatzungsordnuug Dioclefiaus. Zeitscbr. f. Sozial- und AVirtscliafts- geschichte IV S. 309.

4) Pauly-Wissowa IV S. 498.

5) Dass dies ein genügender Grund ist, um die lustralw collatio und alle andern

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Decempriniat und Dckaprotie. 177

Über das Wesen der Aiinona habe ich anderen Orts ausfülirlich ge- handelt;') liier sei nur kurz wiederholt, Avas zum Verständnis unserer Untersuchung notwendig ist. AVenn in Rom Getreidemangel drohte, pflegte man schon im ersten Jahrhundert n. Chr. den Provinzen Kornlieferungen abzufordern, die als ausserordentlicher Zuschlag neben ihre gewölinli(;hen .Steuern traten. Die Auflage derselben nannte man indictio, weil sie eben nicht regelmässig war, sondern nur durch ausdi-ücklicdie „Ansage" des Kaisers erfolgte; der Ertrag hiess annona, weü er für tue Verpflegung der Hauptstadt {annona urbis) bestimmt war. Später aber erliob man solche Zuschläge auch zu andern Zwecken, namentlich für den Unterhalt der Heere, und in den Nöten des di-itten Jahrhunderts wird man es um so häufiger gethan haben, als jene in Naturalien einliefen, also nicht, wie die meisten andern Steuern, von dem Herabgehen des Geldwertes, das durch die schnell fortschreitende Münz Verschlechterung herbeigeführt war, mit betroffen wurden. Diocletian machte dann die Indictio, die früher zwar oft genug vorgekommen war, aber doch immer als Ausnahme ge- golten hatte, zur regelmässigen Institution, indem er sie Jalu' für Jahr erneuerte. Doch behielt die Annona den Charakter des Ausserordentlichen insofern bei, als sie erstens noch immer als Zuschlag zu den altherge- brachten Steuern auftrat, zweitens alljährlich die Höhe ihres Betrages nach dem Bedüiinis festgesetzt wurde, während jene ein für alle Mal fixiert waren. Die Tributa, welche Charisius von der Annona unter- scheidet, sind also wahrscheinlich jene alten Steuern. Dazu passt auch eine Stelle des Hermogenianus, der gleichfalls unter Constantin geschrieben hat : j)at)-{monn sunt niunet-a rei vehicularis, item navicularis ; deceinprimatus: ab istis enim periculo ipsorum exactiones sollemnium cclebrantur") Demi mit dem Worte sollemne bezeichnet man ja das regelmässig Wiederkehrende, das wohl auch hier im Gegensatze zu den jährlich wechselnden In- dictionen gedacht ist.

Waren die Steuern, für welche man die Decemprimi haftbar machte, für alle Folgezeit festgelegt, so begreift man auch, warum Charisius einen jährlichen Zuschuss aus ihi'er eigenen Tasche als sicher und unvermeidlich betrachtet. Was feststand, war nämlich zweierlei: erstens die Gesamt- summe, die jede Stadt an die kaiserlichen Kassen abzuführen hatte, zweitens der Betrag, der auf dem einzelnen Steuerzahler oder dem einzelnen Steuerobjekt lastete. Daraus folgt, dass, wenn Bevölkerungsziffer und AVohlstand der Stadt sich hoben, die Erheber einen Überschuss erzielen mussten, wenn jene zurückgingen, ein Defizit. Das erstere mag vorüber- gehend eingetreten sein; im Laufe der Zeit aber wurde das letztere zu

Steuern, die erst durch Constantin oder später eingeführt sind, hier nicht zu berück- sichtigen, versteht sich von selbst.

1) Die Schatzungsordnung Diocletians S. 329.

2) Dig. L 4, 1 § 1.

Beiträge z. alten Geschichte I.

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einer Regel, die keine Ansnalime mehr duldete, weil in allen Gemeinden des Eeielies die Mensclienzalil stätig sank.*) Jene defuncti, deren Steuersoll auf die Decemprimi übergeht, sind also in erster Linie nicht kürzlich Verstorbene, an deren Erben man sich noch halten könnte, sondern sie stellen den Überschnss der Todesfälle über die Geburten dar, der sich seit unvordenklichen Zeiten summiert und die Steuererheber immer schwerer belastet hat.

Verlangt man den Beweis, dass es Steuern gegeben habe, die in jenem doppelten Sinne fest waren, so ist er nicht schwer zu führen. Verpflichtete sich doch jede Publicanengesellschaft Jahi- für Jahr die gleiche Summe an die Staatskasse zu zahlen; und doch konnte sie den Beitrag des einzelnen Steuerzahlers nicht nach Belieben erhöhen, sondern war an einen vorgeschriebenen Satz gebunden. Auch bei ihr konnten sich also bald Überschüsse, bald ein Defizit ergeben; doch war fi-eilich das erstere die Regel, weil die Steuerpächter ja ein Geschäft machen wollten und daher bei ilu-en Angeboten alle Möglichkeiten sorgsam in Betracht zogen. Nehmen wir nun an, für- einen bestimmten Rreis von Steuern seien die Decemprimi an die Stelle der Publicanen getreten und zugleich sei ihr Betrag nicht auf fünf Jahre, ■«ie es bei den Verpach- tungen zu geschehen pflegte, sondern für alle Folgezeit festgelegt worden, so wüi-de sich genau der Zustand ergeben, von dem Charisius uns be- richtet.

Josephus erzählt uns, wie zu der Zeit, als Syrien und Phönicien den Ptolemäern unterworfen waren, die Gefälle dieser Provinzen in Alexandria verpachtet wiu'den. Dabei reisen die nowToi und die ugxovrsg der syrischen und phönicischen Städte dorthin, um auf die Steuern, welche ihren Gemeinden aufgelegt sind, ihrerseits zu bieten.-) Die Geschichte, in der dies vorkommt, ist erfunden; man darf daher annehmen, dass die Zustände, welche sie voraussetzt, nicht altägyptische sind, sondern die- jenigen, mit denen Josephus oder seine unmittelbare Quelle aus eigener Anschauung vertraut war. Und wü'klich ist es uns aus dem römischen Reiche überliefert, dass seine Städte die Steuern, welche auf ihr Gebiet entfielen, mitunter dui'ch ihre Obrigkeiten selbst zu pachten suchten.^) Ja nicht selten kam es vor, dass, wenn ein Römer sie überboten hatte,

1) Seeck, Geschichte des Untergangs der antiken Welt I - S. 338.

2) Antiq. iud. XII 169: fri^tv äh Y.az' ixsTvov tbv xccigov -xävTcig ävaßaiviiv rovg aTtb T&v ■jiölsiov tB}V zf)g SvQiag -xal #on'iXTjs -xqmTOvg xal Toij ctQ^ovras i'tl rijv t&v TiXüv mvTjV. ■xar trog ii avra rolg Svvaxolg zmv iv ExaCTj; tiÖXh izii'HQaay.iv ö ßaatX(vg. 175: ivBraar]g dk rijs T](i'^Qccg, v.a&' fjv tfifXig»' Tf'it) jrtapaffxEC^ßt t&v itoXatov, ■fiyÖQcc^ov Ol Toig o:^icoy.ccotv (v Tcäg Ttatqlaiv dtacpiQOVzsg.

3) Cic. Verr. III 42, 99: Thermitani nmenmt, qui decumas emereiif agri sui: magni stia putabant interesse publice potitis quamvis magno emi, quam in aliquein istius emis- sarium inciderent.

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Decemprimat und Bckaprotic. 179

sie diesem ein Abstandsgeld zahlten und in seinen Kontrakt eintraten.') Auf solche Weise gewann die städtische Kasse den Überschuss, der sonst in die Taschen der l'ublicanen floss, und selbst wenn dieser gering war oder infolge eines zu hohen Angebotes ganz ausblieb, entging man docli den Chikanen und Erpressungen der römischen Ritter. Ohne Zweifel waren diese Vorteile gross genug, um allen Städten, die der Steuer- pflicht unterlagen, ein solches Geschäft wünschenswert zu machen. Wenn es nur ausnahmsweise zu stände kam, so lag dies wohl daran, dass in den Zeiten der Republik der Einfluss der Ritterschaft gross genug war, um ihren Jlitgliederu auf Kosten der ruterthanen jene einträglichen Pachtungen zu erhalten. Dies hörte auf, seit nicht mehr eine Adels- klique, sondern em aufgeklärter Monarch das Reich beherrschte. So ist es denn auch eine Beobachtung, die sich jedem Kenner der Quellen auf- drängt und daher schon oft gemacht worden ist, dass im Laufe der Kaiserzeit das Pubücanensystem mehr- und mehr zurücktritt. Wenn aber die Städte selbst zu Steuerpächtern wui'den, so konnte dies durch gar keine anderen Organe geschehen, als durch ihre Beamten im Verein mit den Decemprimi, die jenen bei allen finanziellen Operationen als Beii-at und Helfer zur Seite stauden; es sind das eben oi tiq^xoi xai oi uQxovng, von denen Josephus in diesem Zusammenhange spricht. Da aber die Magistrate immer nur ein Jahr fungierten, so konnten sie wohl das An- geljot thun, aber nicht die d a u e r n d e Verantwortung dem Reiche gegen- über für das Einlaufen der Steuern übernehmen. Was an die Stelle der sodetas jjubUcanorum trat, war also das Kollegium der Zehumänner; auf sie ging mit der Pflicht des Eintreibens auch die Haftbarkeit für den vorgescli-iebenen Betrag über. Diese di-ückte anfangs nicht schwer, ja in der Regel kam noch ein Gewinn heraus, den freüich die Gemeinde- kasse einstrich. Denn jedenfalls waren die Augebote der Decemprimi nicht höher, als die der Publicanen gewesen waren, und diese wollten ja ein Geschäft machen. Wenn jene, wie ihi-e Vorgänger, alle fünf Jahr ihren Kontrakt auf anderer Grundlage hätten erneuern können, so wären sie überhaupt nicht zu Schaden gekommen; ihre Angebote' wären eben in demselben Verhältnis niedriger geworden, me die Bevölkerung ihrer Städte sank. Aber auf dieses freie Vertragschliessen haben sie bald ver- zichten müssen.

Das Herabgehen des Wohlstandes und der Menschenzahl führte natürüch dazu, dass auch die Steuererträge sich minderten. Schon aus dem ersten Jahrhundert ist uns Folgendes überliefert. Einige Publi-

1) Cic. Verr. III 37, 84: emit agri Liparensis miscri aiqite iemni decumas tritici medimnis DC. Liparenses' voeantur ; ipsi accipere decumas et numemre Valentio coguntur lucri HS XXX miUa. In diesem Falle und den ähnlichen, über die III 39, 88. 42, 99 berichtet wird, ist das Erpressung; aber offenbar bedient sie sich der Formen emes Geschäftes, das auch in ehrlicher Weise gemacht zu werden pflegte.

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caneu wercleu aufgefordert, die 8teueru, die sie früher eingetrieben haben, nach Ablauf des Kontraktes wieder zu übernehmen; sie aber -weigern sich dessen mit der Begründung, sie hätten schon genug Schaden gehabt imd liefen Gefahr, von Haus uud Hof getrieben zu ^\-erden. Vor der Anwendung von Zwang scheut man sich, weil mau fürchtet, sie könnten sich üim dui-ch die Flucht entziehen. •) Offenbar hatte man in dieser Beziehung schon Erfahrungen gesammelt. Denn der Kaiser wollte auf sein gewohntes Einkommen nicht verzichten, uud die Statthalter scheuten seinen Zorn, wenn sie aus ihren Pro^dnzen nicht mindestens ebenso Adel zogen, wie ihre Vorgänger. So war es denn schon unter Nero vor- gekommen, dass ein Präfekt von Ägypten vermögende Leute gewaltsam dazu anhielt, die abgelaufene Steuerpacht untenjien früheren Bedingungen von Neuem anzutreten.-) Später sucht man dem Übel, dass die An- gebote immer mehr heruntergehen, dmxh die verschiedensten ilittel zu steuern. Bald lockt man die Pächter, indem man ihnen Befreiung von den 'municipalen Lasten als Privileg zusichert;'') bald wü-d denjenigen, welche so leichtsinnig gewesen sind, die Erhebung einer Steuer zu über- nehmen, nach Ablauf der gesetzlichen fünf Jahre der Eücktritt nicht ge- stattet, falls sich kein Bieter unter den gleichen Bedingungen findet, uud die Jurisprudenz rechtfertigt dies mit dem Bemerken, wer dem Staate grossen Ge-ninn verdanke, könne als Ersatz auch eineu kleinen Schaden auf sich nehmen.*) Dann verbietet man "nieder jeden Zwang, aber, was wohl zu beachten ist, mit der Begründung, es würden sich um so leichter neue Pächter finden lassen, wenn sie sicher sein könnten, dass man sie, nachdem ihi- Kontrakt abgelaufen sei, nicht gewaltsam zmiickhalteu werde.^) Der Wunsch, die Pachtsumme dauernd festzulegen, ist also zweifellos vorhanden ; wenn man darauf verzichtet, die Publicanen lebens- länglich an die einmal übernommenen Pflichten zu binden, so geschieht dies aus Furcht, dass bei ihrem Tode der Ersatz ausbleiben könne. Doch solche Eücksichten brauchte man nur zu nehmen, soweit man auf

1) Gkexfell und Hcst, The Oxyrhynehus Papyri I 44: Svansi&ovvtav räv iyxvxliov äcj^olov^irav xal xov tb äyoQavoiiiov dr,uoatovmr , äg i-xava ßlantoLiivoiv xal y.ivävvev6vTcov lUtaarfjvai. y.uTa Swarbv ccvar.ovcpiaai rovg reXöivas v'^iIq roü fiij cpvYdäas yev^ad'ai, rovg TiQoaßißaSofJiivovg.

2) WiLCKEN, Griechische Ostraka I S. 592.

3) Dig. L 6, 6 § 10: conductores etiam vectigalium fisci necessitate sitbcundorum municipalmm muncrum non obsfringuntur, idque ita observandum divi fratres rescrip- serunt.

4) Dig. XXXIX 4, 11 § 5: qui maximos fructus ex redemptione vectigalium con- sequttntur, si postea tanto locari non possunt , ipsi ea priurihus pensionihus suscipere compeütmtur.

5) Dig. XLIX 14, 3 § 6: valde inhimanus nios est iste, quo retinentur conductores veetigalium publiconim et agrorum, si tantidem locari non ■possint. nam et facilius in- venientur conductores, si scierint fore, ttt, si peracfo liistro discedere voluerint, non tetieaniur. Vgl. Dig. XXXIX 4, 9 § 1. Cod. Just. IV 65, 11.

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Dcccmprimat und Dekaprotie. 181

unabhängige Kapitalisten angewiesen war; eine amtliche Stellung, wie der Deeemprimat es war, bliel) innuer besetzt und konnte sich den Lasten, die der Kaiser ihr auflegen wollte, niclit entziehen. So ist es ganz uatür- lirli , dass man den Pachtverträgen , W'elche die Städte abgeschlossen hatten, ewige Giltigkeit verlieli, und da die Zehnmänner die Bürgen und Träger der Verpflichtung waren, blieb an ihnen der jährliche Ver- lust hängen, den das Sinken der Steuererträge herbeiführte.

Wii' sahen schon, dass die Worte des Charisius in erster Linie auf die Kopfsteuer hinzudeuten schienen ; gerade diese aber ist, soweit unsere Überlieferung reicht, niemals an Publicanen verpachtet worden. Trotz- dem ist es nicht ausgeschlossen, dass man sie den Decemprimi aufhalste. Hatten sie erst einige Steuern, welche das auch sein mochten, freiwillig übernommen, so wird die Regierung nicht gezögert haben, andere ^^•ider ihren Willen hinzuzufügen. Man hatte jetzt ein Kollegium wohlhabender und sicherer Steuerpächter, das allen Forderungen fügsam herhalten musste, und wird es ohne Zweifel ausgenutzt haben. Die Erhebung der- jenigen Steuern, die noch im vierten Jahrhundert ohne staatlichen Zwang Pächter fanden, fällt nicht unter die Munera; von ihnen brauchte also Charisius in dem Zusammenhange unseres Fragmentes nicht zu reden. Sehen wir aber von jenen ab , so kennt er ausser der annona keine anderen Steuern als jene Mekrzahl von tributa, welche die Decemprimi einzutreiben hatten. Es scheint danach, als wenn alle regelmässigen Gefälle denn die Annona wurde ja noch als ausserordentlich empfunden , soweit man sie nach Stadtgebieten zu erheben pflegte, för die Folgezeit auf einen bestimmten Gesamtbetrag fixiert^) und den Decemprimi übertragen wiu'den.

Auf ein bestimmtes Jahr lässt sich diese Neuerung nicht datieren; denn sie beruhte ja nicht auf der einmaUgen Verfügung dieses oder jenes Kaisers, sondern vollzog sich allmählich bald in der einen, bald in der andern Stadt und ergriff auch nicht alle Steuern gleichzeitig. Die ersten Anfänge dieser Entwickelung treten uns schon in den Verrinen des Cicero entgegen; ihren Abschluss fand sie vielleicht unter Septimus Severus. Darauf scheint mir namentlich Folgendes hinzudeuten. Papinian, der am Ende des zweiten und in den ersten Jahren des di'itten Jalu-- huuderts schrieb, sagt über die Pflicht der Steuererhebung: exigencU tributi munus mter sm-dida munera non habetur et ideo decurionibus quoque

1) Dies habe ich schon früher aus anderen Quellenzeugnissen, die mit dem Uecem- primat ausser Zusammenhang stehen, schliessen zu müssen geglaubt. Zeitschr. f. Sozial- und Wirtschaftsgeschichte IV S. 337. VI S. 347—349. Dass nicht nur Kopf- steuern, sondern auch Grundsteuern durch die Decemprimi erhoben wurden, ergicbt sich aus Cod. Theod. X 25, wo Kaiser Arcadius , indem er den Grundbesitz seiner Töchter für steuerfrei erklärt, ausdrücklich hinzufügt, dies bedeute eine neue Belastung der Principales.

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ma7iiliihir.^) Zu seiner Zeit kam es also sclion vor, dass Decurionen, zu deiieu ja auch die Deceraprimi gehürten, die Steuern eintrieben, doch war es noch nicht die durchgehende Eegel. Sein Schüler Ulpian dagegen sieht in der finanziellen Leistung schon das Wesen des Decempriniats, setzt also voraus, dass es der Steuererhebung schon überall unterworfen war.-) Mit einiger Wahi-scheinlichkeit kann man danach die generelle Eegelung in das Jahr 202 setzen, in dem Severus Ratsversamnüungen und Dekaproten auch in Ägypten einführte, der einzigen Provinz, wo sie bis dahin noch gefehlt hatten.-^) Denn wie Wilcken mit Recht ver- mutet, wird diese Massregel durch das Steuerwesen des Reiches ver- anlasst sein.*) Wenn sie aber auf ein Land ausgedehnt wurde, das bis dahin gar keine Anhaltspunkte dafür bot, so darf man wohl annehnieii, dass der Kaiser um dieselbe Zeit eine gewisse Gleichförmigkeit auch in den andern Provinzen durchführte. Es ist nicht unmöglich, dass damals alle Städte, die vorher noch keinen Decemprimat besessen hatten, ebenso, Viie die ägyptischen, damit beschenkt wiu-den. Nur die fi-eien konnte man verschonen, weü sie ja an das Reich keine Steuern zu zahlen hatten. 5)

Dass die Steuererhebung der Decemprimi sich langsam ausgebreitet hat und erst im di-itten Jahrhundert allgemein geworden ist, ergiebt sich auch aus ihrer sehi- späten Erwähnung in den Quellen. Denn so reich die lu'kundlichen Zeugnisse über sie auch fliessen, für jene Pflicht bieten sie doch nur sehr wenige Beispiele, und auch diese sind meist nicht un- zweifelhaft. Das älteste scheint uns in einer Inschi-ift aus Thyatira") erhalten zu sein, die freilich nicht sicher zu datieren ist. Doch ihre

1) Dig. L 1, 17 § 7.

2) Dig. L4, 3 § 10: decaprotos etiam minores annis viginii quinque fieri, non militantes tarnen, pridcm placuit, quia patrimonii magis onus videtur esse: exactionem enim tribiitorum onus patrimonii esse constat. Das enim ist nicht überliefert, dürfte aber nach dem Zusammenhange kaum zu entbehren sein. Ein ähnliches Zeugnis des Modestinus s. S. 27 , des Diocletian Cod. Just. X 42, 8. Wenn die Quellen die Deka- protie bald ein nmnus patrimonii , bald ein munus mixtum nennen , so geht das wohl nur darauf zurück, dass der letztere Begriff nicht von Allen als selbständiger anerkannt, sondern teilweise mit dem ersteren zusammengeworfen wurde. Jedenfalls zeigt jenes

I magis das Ulpian, dass er die Leistung nicht ganz als munus 2xitrimonii betrachtet wissen wollte; doch hatte er noch kein Wort geprägt, dass ihre Zwischenstellung passend ausdrückte.

3) WiLCKEx, Observationes ad historiam Aegypti. Berlin 1885 S. 14.

4) Griechische Ostraka I S. 431.

5) Im griechisch-orientalischen Reichsteil habe ich bisher nur eine einzige Stadt gefunden, die als freie nachgewiesen ist und doch Dekaproten besass, das ist Strato- nicea in Carlen (Bull. hell. XII S. 84. 86. 88). Doch ihre Freiheit ist nur für das erste Jahrhundert beglaubigt (Pliu. h. n. V109); in der viel späteren Zeit, der die Inschriften des Dekaproten angehören, kann sie ihr längst wieder geraubt sein, wie dies bekanntlich nicht selten vorgekommen ist.

6) CIG. II 3490.

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Deccmprimat und Bekaprotie. 183

schleclite Grammatik und Orthograpliie gestatten kaum, sie sehr lange vor das Ende des /.wcilfii .lalirlmnderts zu setzen; andererseits führt derjenige, welclier durcli sie geelirt wird, noch keinen römischen Namen, sclieint also noch vor der ("onstitutio Antoniniana, die im Jahre 212 allen Untertanen des Eeiches das Bürgerrecht verlieh, gelebt zu haben. Auf dem Steine heisst es: öiy.angoTevaavTa ht] diaa xai inidöau y.al xvgicxxalg vTieoEoiaig •j^or,at^ui>aavTtt Tr,v nnroiSa. In der knidoctg darf man einen Zuschuss zur Steuersumme erkeunen; aber wenn dieser als besonderes Verdienst hervorgehoben wird, so folgt eben daraus, dass er zur Zeit unserer Inschrift noch keine allgemeine und unvermeidliche Pflicht dar- stellte. Das gleiche gilt natürlicli auch von den y.voia/.al imriosaiai. Was die Worte bedeuten, erfahren wir aus einem arsinoitischen Pap\Tus. Nach diesem werden einer Frau zwei Kameele abgefordert üg rceg iv ^vgi(^ y.vgiaxdg vntjQeaiag rwv yivvaiOTccTwv aTgccTEVuÜTwv tov y.vgiov iuüv avtoxgÜTooog ^sovi'jgov 'Jvruvivov. Das eine geht dabei zu Grunde, das andere wii-d ihr wiedergebracht, in welchem Zustande, ist nicht ge- sagt.') Es handelt sich also um die leihweise Stellung von Lasttieren fiü- den Tross des kaiserlichen Heeres. Wenn unser Thyatirener sich diu-ch solche „Herrendieuste" seiner Vaterstadt nützlich erwies, so be- deutet das wohl nicht nur, dass er Kameele, Maultiere oder Esel her- lieh — denn dies mussten auch zahlreiche andere Bürger thun , sondern wahi-scheiulich , dass er die Beitreibung jener Frohnden über- nommen hatte luid, was an der befohlenen Zahl von Tieren fehlte, aus seinem Besitz ergänzte. Diese Leistung aber war keine regelmässig wiederkehi-ende und hatte daher mit der exactio triimtonim, we •\vir sie oben kennen gelernt haben, nichts zu thun; viel eher knüpft sie an die lu-alte Pflicht der Decemprimi an, die Befehle der römischen Eegierung entgegenzunehmen und für deren Ausführung Sorge zu tragen (S. 11). Denn wenn der Kaiser eine ausserordentliche Forderung zu stellen hatte, so ist es ganz natürlich, dass er sich an diejenigen wandte, die zu allen Zeiten als Vermittler zwischen dem E eiche und seinen einzelnen Städten gedient hatten, und sie auch flvr die Erfüllung verantwortlich machte. Man darf daher vermuten, dass auch die Annona, ehe Diocletian sie zu einer Jakressteuer machte, von den Decemprimi eingefordert wurde, und eine zweite thyatirener Inschrift bestätigt dies."-) Es heisst dort: §Exa- ngwTEvaavra tijv ßagvTt'gctv ngähv ßaatXiug iv tviavrä ivi. Wenn hier ausdi-ücklich hervorgehoben wü'd. derjenige, welchem der Stein gesetzt ist, habe innerhalb eines Jahres den Betrag zusammengebracht, so er-

1) Ägyptische Urkunden I 266. Von ähnlichem Inhalt ist der Papyros, den Kenyox in der Revue de philologie XXI S. 4 veröffentlicht hat; doch steht dort tis 3ivQice-/.ccg xQ^^ci? statt dg -/.veuixcig v7ir,Q£Biag, und derjenige, welcher ein Kameel ge- stellt hat, bekommt es nicht wieder zurück.

2) CIG. n 3491. Über die Lesung der Inschrift vgl. S. 6 Anm. 2.

37

184 0. Secch,

giebt sich daraus, dass die Steuer in der Regel sehr langsam einlief, also schwer zu ei-heben war. Dies würde auf die Annona passen, weil sie als Zuschlag zu den gewöhnlichen Steuern ganz besonders hart di-ücken musste. Auch der Komparativ ßagwiga weist darauf hin, dass nur zwei Auflagen dieser Art unter der Regierung des betreffenden Kaisers erhoben wurden, und diese zwar von verschiedener Höhe, dass sie also ausserordentliche waren. Ich möchte daher nQÜiiq ßaatkiwg, was meines Wissens sonst nii'gend vorkommt, durch mdictio Äugusti über- setzen. Für unsere Untersuchung aber ist diese Inschrift namentlich des- halb bemerkenswert, weil in ilir das Verbum bexangurEvuv schon völlig die Bedeutung von „Steuern eintreiben" zeigt; sie setzt also voraus, dass dies die regelmässige Thätigkeit der Decemprinii war. Leider ent- hält auch sie nur das eine chi-onologische Kennzeichen, dass in ihr ein Hadrianeion erwähnt wird. Xachhadrianisch ist sie also jedenfalls, doch ob sie ins di'itte oder noch ins zweite Jahrhundert zu setzen sei, vermag ich nicht zu entscheiden.

Etwas sicherer datiert ist der Brief eines Centurionen an den Stell- vertreter des Strategen von Oxyrhynchos,') von dessen Übersclu-ift

Folgendes entziffert ist: \i\Tovg s Mdox[o]v A tov xvqi'ov,

Tvßi itt. Er ist also im fünften Jahre eines Kaisers geschi-ieben, dessen Vorname Marcus war und dessen Geutilicium mit A begann. Da die Zeit vor Septimius Severus durch die Erwähnung der Dekaprotie aus- geschlossen ist, können nur Caracalla, Elagabalus, Alexander, Gordian und Probus in Betracht kommen ; denn alle andern Kaiser, deren Namen passen würden, haben das fünfte Jahi- ihi-er Regierung nicht erreicht. Von diesen fallen die beiden ersten weg, weil der Singular xov xvgiov eine Alleinherrschaft voraussetzt und sie in ihrem fünften Jahre beide Kollegen hatten. Die di-ei mtiglichen Daten sind also der 6. Januar 22G oder 242 oder 280. Nun finden sich die Namen des Alexander und Probus niemals so formuliert, dass sie in die Lücke unseres Pap3'ros liineinpassen könnten, wohl aber einmal der des Gordian: Mdgxov'AvTwvlov rogSiavoZ Kaiaagog rov xvgiov") Dies kann Zufall sein ; immerhin macht es wahr- scheinlich, dass das richtige Datum der 6. Januar 242 ist. Der Text des Briefes lautet : k^aviijs Xaßoöv /nov rd ygätiuaTcc niurj'ov rovg xAjj- govofiovg ^TtoXkwviov tov SixangwTov ri]e OiioiactrfiZg ronag^iag, iva f/i/ ix rT/S ßtig ccftsleiag tvidga negl rtjv ifißo)J;v yivr/Tai. insfiWa di slg tovto TOV OTttTiiüvägiov cc?.?^tt xal Tovg koinovg Stxangoüxovg, Iva (ivini&üj.uv, ö&iv idv diu, Ti)v iußoh]v Tioiijaai, diu Tci/ovg. Was für eine Steuer die ifißo?.t] war, kann noch nicht als sicher gelten.-^) Die Annahme ist nicht ausgeschlossen, dass eine ausserordentliche Annona für die Ver-

1) Gkenfell und Hust, The Oxyrhynohus Papyri I 62.

2) Grenfell und Hü.nt I 80.

3) WiLCKEN, Griechische Ostraka I S. 364.

38

Decetnprimat und Dekaprott'e. 185

pflegung des Heeres gemeint sei, namentlich da ein f'enturio sich um sie bemüht und zu der Zeit, der wir den Brief zuschreiben, Gordian seinen Perserkrieg führte. Was uns vor allem daran interessiert, ist, dass die Erben eines Dekaproten für das Einlaufen der Steuer verantwortlieh gemacht werden, das Amt also deutlich als munus patrimonii erscheint.') Weiter ist bemerkenswert, dass der Verstorbene o äexdnQurog rrjg (:)iaoi.- att(pwg Tonapx'cti genannt, seine Stellung also nicht zu der Gemeinde als Ganzes, sondern zu einem einzelneu Bezirk ihres Gebietes in Beziehung gesetzt wird. Offenbar verteilte das Kollegium die Toparchien zum Zwecke der Steuererhebung unter seine Mitglieder, und wahrscheinlich war jedes nui' für den Betrag haftbar, der auf seinen Bezirk entfiel.

Genaueres über diese Einteilung lehren uns mehrere Papj'ri aus dem Jahre 263.-) Sie enthalten Abrechnungen über die Erträge einer Korn- steuer, deren Eichtigkeit die Dekaproten eigenhändig bescheinigen, nach- dem sie die Bestände der Speicher in ihrem Beisein haben nachmessen lassen.") Auch hier bezieht sich jede Urkunde auf eine Toparchie, der bald ein Dekaprote, bald zwei vorstehen; nur einmal sind zwei Bezirke zusammengefasst und gemeinsam fünf Dekaproten untergeben. Die Un- gleichmässigkeit der Verteilung erklärt sich daraus, dass die Lasten des Decemprimats als munera patrimonii sich nach der Grösse des Vermögens richteten. Die Eeichsten mussten für den ganzen Steuerbetrag einer Toparcliie haften, die Ärmeren für den halben oder auch nur für zwei Fünftel.

Im Jahre 406 verfügt Kaiser Ai'cadius, dass der Grundbesitz seiner Töchter steuerfrei sein solle, und bemerkt dazu, diese Verminderung der Steuerobjekte mache die Last der Principales drückender.*) Damals hatten sie also noch die alten Pflichten, und auch im sechsten Jahrhundert scheinen sie nicht erloschen zu sein, da Justinian die Stellen, welche von ihnen handeln, sonst kaum in sein Corpus aufgenommen hätte. Um so mehr fällt es auf, dass so selten von ihnen in Verbindung mit den Steuern die Eede ist, obgleich doch kein anderer Gegenstand häufiger in den Gesetzen der Spätzeit erwähnt wii'd. Wieder di-ängt sich der Schluss auf, dass sich die Decemprimi hinter irgend einer Benennung verstecken, unter der sie bisher noch nicht erkannt sind. Nun erscheinen

1) In diesem Zusammenhange mag auch angeführt werden , dass in Sillvon ein- mal eine Frau die Dekaprotie bekleidet. Länckobo.nski, Städte Pamphyliens und Pisidiens No. 59. 60. Doch ist das keine Besonderheit dieses Amtes, sondern kommt auch bei vielen andern vor, die mehr Anforderungen an den Beutel, als an die per- sönliche Thätigkeit stellten. J. Levy, Revue des etudes grecques XII S. 257.

2) Ägyptische Urkunden U 552—557. 579.

3) 579 : (i£ji£T£)7j/isd'a iv 9r\eav^ä> xcÄfiijs Wsvvqicog.

4) Cod. Theod. X25: praesentibus eensualibus ac principalihiis , quos huius im- minutionis oneribtts premi nan dubium est.

39

186 0. Secck,

luelu'mals neben den susceptores und exactores als verwandt mit ihnen, abei- doch verschieden, sogenannte allecti,^) von denen ausdrücklich gesagt värd, dass sie gleichfalls zu den Decurionen gehörten.^) Es liegt nahe, nach der Scheidung des Charisius jene auf die annona, diese auf die iributa zu beziehen, d. h. in ihnen die Decempriuii zu erkennen. Denn dass die allecti Steuern erhoben, und das zwar sowohl in Geld-') als auch in Natui-alien,'') ist unzweideutig überliefert. Ausserdem aber werden sie auch mit den Gesandten der Städte und Provinzen in die engste Ver- bindung gebracht,^) und wie mr sahen, war es eine der vornehmsten Pflichten der Decempriuii, im Namen ihres Ordo Gesandtschaften zu über- nehmen (S. 11). Nun wii"d man sich erinnern, dass nach der Decurionen- liste von Canusium das Zehnerkollegium teils aus den quinqttennalicü, teils aus den allecti inter quinquennalicios bestand. Da aber im vierten Jahr- hundert die Quinquennalität beseitigt wui-de (S. 12) und folglich auch die quinquennalicü verschwanden, konnten nui' noch die allecti übrigbleiben. Daraus erklärt es sich leicht, wie auch diese Benennung auf die Decem- primi in üirer Gesamtheit angewendet werden konnte.

Die Decemprimi fungierten auch im vierten Jahrhundert mindestens fünf, mitunter gar fünfzehn Jahre (S. 7) ; gleichwohl bestimmt ein Gesetz vom Jalu'e 366, dass niemand die allectionis officia länger als ein Jahr verwalten düi'fe.*) Doch wechseln im nerten Jahrhundert auf allen Ge- bieten die Bestimmungen so schnell, dass ein Amt, dessen Zeitdauer der eine Kaiser auf ein Jahi- herabsetzt, leicht von einem anderen wieder auf fünf oder fünfzehn verlängert sein kann. Die Gründe für beides sind klar genug. Denn einerseits veranlasste der immer zunehmende Mangel

/

1) Cod. Theod. I 15, 6: si quanäo ex allectis vel susceptoribus aut tabulariis quispiam ratiocinio \cidpa\ sive fraude perhihetur obnoxms. Cod. Theod. XVI 2, 2 Interpretatio : ttt de clericis non exactores, non allectos facere qiiicunqice sacrilega or- dinatione praesumat. Vgl. die folgende Anmerkung.

2) Cod. Theod. 1X35, 2: dehitores vero et quos allectos aut susceptores memorant, a summo usque ad infimum ordinem curiales exsortes talium volumus esse poenarmn.

3) Valentinian I. verordnet, dass das Gold, welches als Steuer einläuft, ein- geschmolzen und auf seine Reinheit geprüft werden solle, ehe man es den kaiserlichen Kassen überschicke, ne diutius vel allecti vel prosecutores vel laryitionales adulterinos solides surrogando in compendium suum fiscalia eniolumenta convertant. Cod. Theod. XII 6, 13. Et üa fiat omnis illatio, ut largitionalium et prosecutorum allectorumque frau- dibits aditus obstruatur. Cod. Theod. XII 6, 12.

4) Apoll. Sidon. epist. VT, 3 : invident mensuras allectis. Mit Hohlmassen konnten die Allecti nur zu thun haben, wenn sie eingelaufene Korn- oder Wein- vorräte auf ihre richtige Menge hin prüften, wie wir dies bei den ägyptischen Deka- proten beobachten konnten (S. 39).

5) Cod. Theod. XI 16, 15: legatis atque allectis sumptus possessio Imiusmodi privi- legiis munita non ferat. Ähnlich auch XI 16, 18.

6) Cod. Theod. Xu 6, 11. Überliefert ist allegationis , doch hat schon Gotho- FREDUS dies richtig emendiert.

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Dcccmprimat und Dckaprotic. 187

an Decurionen') dazu, jeden einzelneu niügliclist lange in seiner Funktion zu lassen, andererseits bewirkten tlie Bedrückungen der Steuererliel)er, dass man sie gerne bald zurücktreten Hess, um Kechenscliaft von ihnen verlangen zu können. Dass dies letztere Jlotiv ihn bei seiner Verkürzung der Amtsdauer leitete, sagt Kaiser Valentinian I. ausdrücklich ; zu anderen Zeiten aber -nii-d das erstere sich stärker er-\A-ieseu und zu der entgegen- gesetzten Massregel gefükrt haben.

Es ist höchst bemerkenswert, dass die susceptio annonae immer als schwere Last galt, die exactio tributomm dagegen lockend genug erschien, um wenigstens zeitweilig ein Verbot ihi-er zu langen Ausdehnung herbei- zuführen. Die unerlaubten Vorteile, die sie verschaffen konnte, müssen eben so gross gewesen sein, dass jener regelmässige Zuschiiss daneben nicht in Betracht kam. Hierzu hat ohne Zweifel die Münzverschlechterung des dritten Jahrhunderts das ihrige beigetragen. Denn wenn alle Geld- steuern auf eine bestimmte Zahl von Sesterzen ein, für allemal festgelegt waren, mussten sie natürlich um desto leichter zu tragen sein, je weniger der Sesterz wert war. Etwas drückender blieben die Naturalsteuern, aber auch diese, soweit sie noch aus den früheren Jahrhunderten übernommen und den Decemprimi aufgebürdet waren, verschwanden neben der Dio- cletianischen Annona. So war der Decemprimat minder bedi-ückt, als die meisten andern Municipalämter , und behauptete, wenn auch nicht immer mit Ehi'en, seinen beherrschenden Platz in der Verwaltung der Städte, so lange das römische Reich bestand.

1) Die curiae vacitefactae werden sehr oft beklagt, z. B. Cod. Theod. XII 1, 25. 27. 32. 186. 6, 22.

41

Beiträge zur alten GesdudüA li

189

Die astronomischen Kenntnisse der Babylonier und ihre kulturhistorische Bedeutung.

Von F. K. Ginzel.

II.

Sonnen- und Mondlaut' und Gang der Gestirne nach babylonischer

Kenntnis nud deren Einfluss auf die griechische Astronomie.

Das Auftaucheu einer (derzeit noch zweifelhaften) Anzahl von Planeten- und Mondstationen in der keilinscliriftlichen babylonischen Überlieferung aus sehr alter Zeit deutet darauf hin, dass die astrologische und astro- nomische Verfolgung des scheinbaren Laufes der Hauptgestirne, der Sonne, des Mondes und der Planeten, bei den Babyloniern ebenfalls in sehr alte Zeit zurückreicht. "Während bei den Griechen kaum vor Plato's Zeiten sämtliche fünf dem fi'eien Auge sichtbare Planeten als unzweifelhafte Wandelsterne bekannt waren^) und die Anordnung der- selben im 4. Jalu'h. v. Chr. noch wenig klaren Vorstellungen unterlag, treffen wir bei den Bab3'loniern schon in der Zeit Assurbanapals (7. Jahrh.) auf markante, die einzelnen Planeten charakterisierende Planetennamen und auf eine bestimmte, wie es scheint, immer wiederkehrende Keiheufolge derselben. Nach Jensen-) lauten Namen und Reihe der Planeten wie folgt: 1. Afjü = Sin = Mond, 2. Bisibi = Samas = Sonne, 3. Däpinu = Umunpauddua (der aufstrahlende Herr, der Schreckliche) = Jupiter (auch Sag-mi'-gar, Nibiru und Kakkabu Sarru = Königsstern genannt), 4. Dübat (Morgenstern) = Zib (Abendstern) ^= Venus, 5. Kaimänu (der Beständige, Ewige) = Lulim (Leitschaf) ^= Saturn, 6. Bibbu = Gud-{ud) = Km-radu (der Krieger) = Mars, 7. Mustabarrü-mütcmu („Der sich mit Tod Sättigende") = Merkur (auch Nakaru = Feind, Lumnu = das Böse, u. a. genannt). Deutlich für die frühzeitige Erkenntnis der Planeten als selbständige, von der Bewegung des Sternhimmels unabhängige Ge- stirne spricht die Bezeichnung des Mars „bibbu^' (idi'b-bai), denn bat be- deutet „sich entfernen", bibbu = das sich entferneude, fi'ei weidende

1) J. K. ScHAUBACH, Geschichte d. griech. Astronomie, 183, .395.

2) Kosmologie, 111—133.

Beitrüge z. alten Geschicbte 12.

2G

190 F. K. Ginzcl,

(unter den Sternen seinen eigenen Gang gellende) Schaf;*) oder der für Merkur vorkommende charakteristische Name Balum = „Nicht-da" (mit Beziehung auf die öftere Unsichtbarkeit dieses Planeten)."^) Nach Hommel-^) ist die oben angeführte Eeihe der Planeten nicht die ursprüngliche, sondern geht vielmehr auf die folgende uralte Anordnung zurück: Mond, Sonne, Merkur, Yenus, Mars, Jupiter, Saturn. Die Planeten werden näm- lich schon in sehr alten Keilschriften bestimmten Göttern gewidmet, wo- bei religiöse und astrologische Momente massgebend gewesen sind ; und zwar Merkur dem Nabu oder Nebo (Boten der Götter, auch Gott der Fruchtbar- keit), Venus der Göttin Istar (Astarte), Mars dem Nindar (Ki'iegsgott) [nach Jensen und Eb. Scheadee dem Mrgal, Gott der Seuchen, des Krieges, des Totenreiches*)], Jupiter dem Gotte Merodach (Marduk) , und Saturn dem Nirgal [nach Jensen dem Ninib, Gott der Morgensonne, Sturmsonne, Ki'iegsgott*)]. Später aber hat man (etwa von Kambyses an) infolge der nahezu gleichen Attribute der Götter Nindar und Nirgal die Namen der Planeten Mars und Saturn, und als man die Planetenreihe nicht mit Nabu, sondern mit dem babj'louischen Hauptgotte Merodach beginnen wollte, auch die Namen von Merkur und Jupiter miteinander vertauscht und so ist die Anordnung Jupiter, Venus, Saturn, Mars, Merkur ent- standen; die ursprüngliche Eeihenfolge ist aber von den Babyloniern zu den Griechen und Ai-abern übergegangen. i') Angesichts der Thatsache, dass die Babylonier bisweilen für ein und denselben Planeten verschiedene Namen gebrauchen, bedarf die Identifizierung der Planeten gewisser Vor- sicht. Epping hat sich (meist auf rechnerischem Wege) überzeugt, dass

1) Überhaupt hcisseu die Planeten ,£/&&«- Sterne' (sich entfernende Schafe) (Kosmologie 254).

2) Kosmologie, 99, 124.

3) , Ausland" 1891 (II. Die Planeten und Nachträgliches zum Tierkreis, 381 ff.)

4) Kosmologie, 135, 484.

5) Kosmologie, 136, 457 ff.

6) Die griechisch-römische Reihenfolge der Planeten 1. 'EQjifjg (Merkur), 2. 'AcpQO- äizi] (VeuusJ , 3. "Agrig (Mar.s), 4. Zevg (Jupiter) , 5. Kgörog (Saturn) weist deutlich auf diesen babylonischen Ursprung, denn es entspricht Hermes dem Nabu, Aphrodite der ßtar, Ares dem Nindar, Zeus ist eine direkte Übersetzung von Bil (Herr) (BÜ ist der Beiname des Marduk), Kronos kommt dem Totengotte A''(r(jfa? gleich. VotPlato, also in der älteren griechischen Zeit , haben die Planeten nur Namen , welche die Farbe und Beschaffenheit charakterisieren : Merkur = Stilbon , Venus = Phosphoros , Mars = Pj'roeis, Jupiter = Phaethon, Saturn = Phainon (Schaub.vch a. a. 0. 478); es scheint also auch dieldee der Verbindung derGötter mit denPlaneten auf das babylonische Vorbild zurückzuführen. Dass manche der babylonischen Planetennaraen in die Sprachen der Orientalen übergegangen sind, zeigen verschiedene bei denMandäern, Syrern, Persern (auch Arabern) vorfiudliche Bezeichnungen für die Planeten. Eb. Schradeu und Ho.mmel haben so- gar den Nachweis angetreten (Theol. Studien u. Kritiken 1874, 343, „Ausland" 1891 II), dass unsere derzeit noch übliche Göttcrbezeichuung der Wochentage und auch deren Reihen- folge (Sonne, Mond, Mars, Merkur, Jupiter, Venus, Saturn) auf die Babylonier zurückgeht. A. M.: Jense.n, Zeitsehr. f. Deutsche Wortforsch. 1900, S. 150 ft'.

27

Die astrotwmischcn Kenntnisse der Babylonier. II. 191

in der Arsacidenzeit die Planeten folgende Namen tragen: Venus = Dil-bat, Mars = An (Gott Anu, Himmelspol, ^Inw-Weg = Ekliptik), Merkur := Gut-tu (Gud-ud früher ]\Iars), Jupiter = Te-ut, Saturn = Genua = Midlalu.'^) Deuten schon die wenigen bisher gemachten Be- merkimgen darauf hin, dass die Beobachtung der Planeten bei den Baby- loniern in sehr alte Zeit zurückreicht, so wird dies zui* Gewissheit er- hoben durch mehrere Thontafeln mit Planetenbeobachtungen, aus welchen ersichtlich ist, dass die Babj^lonier des 2. Jahrh. v. Chr. bereits die grossen Perioden kennen, nach welchen die Planeten in ihre scheinbaren Stellungen am Himmel zurückkehren.-) Da aber diese Planetenperioden bei einigen Planeten fast ein Menscheualter umfassen, so ist klar, dass niu- eine ^iel- hundertjährige Verfolgung der Planeten den Babyloniern schon damals ziu" Kenntnis jener Perioden verholten haben kann.

Was die Beobachtung der Planeten durch die babjionischen Astro- nomen betrifft, so bestehen diese Beobachtungen so weit man aus dem bis- her aufgedeckten Materiale ersehen kann in der Angabe roher Positionen der Planeten in den Sternbildern, und in der Notierung der heliakischen Auf- und Untergänge, der Oppositionen und Kehrpunkte. Von solchem Be- obachtungsmaterial sind bisher folgende Texte transskribiert und übersetzt :

1. Heliakische Auf- und Untergänge und Kelii'punkte von Jupiter, Venus, Satiu'n und Mars im 7., 8. und 9. Jahr des Kambjses (523, 522, 521 V. Chi".) [No. 400 der Kambyses-Inschriften]-^) z. B. „Im 7. Jahre am 22. Abu (523 v. Chr. 22. Aug.) Jupiter im ersten Teile von Siru (Jimg- fi-au) im heliakischen Untergange."

2. Planetenkonjuuktionen aus dem 7. Jahi- des Kambyses.*) z. B. „Am 23. Tisritu (523 v. Chi". 22. Okt.) am Morgenhimmel Jupiter hinter dem Monde 3 Ellen. =) Am 29. Tisritu (28. Okt.) am Morgenliimmel Venus auf der nördlichen Seite 2 Zoll vor Jupiter. Am 2. Arah-sanma (30. Okt.) Saturn oberhalb der Venus 8 Zehner" u. s. w.

3. Ebensolche Planetenbeobachtungen aus dem 3., 2. und 1. Jahrh. v. Chr. [Aus den Tafeln Em 678 und S -1-1949 des Brit. Musemu und No. 9 der Shemtob-Sammlung in Philadelphia]'') z. B. „Jahi- 72 des Seleucus des Königs (240 v. Chi-.) am 14. Airu (9. Mai) Merkur am Morgen im Stier im heliakischen Untergange, noch eben gesehen." „Jahr 115, welches

1) Astron. a. Babyl. 172.

2) Zeitschr. f. Assyr. V 342. Auf 3 Planefeutafeln wird ein und dasselbe Jahr der seleucidischen Aera durch das Beobachtüngsjahr plus einer Planetenperiode ausgedruckt; für Venus nehmen die babylonischen Astronomen 8 Jahre, für Merkur 46, für Saturn .59, für Mars 79 (oder 32, oder 47), für Jupiter 83 (oder 71) Jahre ; dies entspricht durchaus dem thatsächlichen ungefähren Wiedererscheinen der Planeten in ihrer scheinbaren Bahn.

3) Eppixg, Zeitschr. f. Assyr. V 284.

4) A. a. 0. 286.

5) Über das astronomische Maass s. später.

6) Eppixg, Zeitschr. f. Assyr. Y 341, VI 89 u. 217.

13* 28

192 F. K. Ginsei,

gleich ist dem Jalire 170 des Arsaces des Köuigs (133 v. Chi-.); am 8. Airu (20. Mai) Merkur am Abeud in den Zwillingen im lieliakischen Aufgange, beisammen gesehen nu7n a 15" 30' (l"" 2™) lang über dem Horizonte". „Jahr 153 (159 v. Chr.) am 7. Abu (1. Aug.) des Nachts Jupiter am Morgenhimmel über dem Doppelgestrrn , dem östlichen am Mund der Zwillmge {fi Gemin.) Entfernung 4 Zoll" u. s. w.

4. Mit anderweitigen Berichten vermischte Planetenbeobachtungen aus dem Jahi-e 238/32 v. Clu-. [Tafel Em IV 397]') z. B. „des Naclits am 8. Tiiritu (8. Nov.) bedeckt , zu Anfang der Nacht der I\Iond unter Jupiter 1-/3 Ellen entfernt; der Mond '2 Elle nach rückwärts, am 9. Merkiu* abends im Schützen im heliakischen Aufgange." „Gegen den 2. Kislev (2. Dez.) Saturn im ersten Kehrpunkte 8 Zoll über g Leonis, 4 Zoll vor dem zweiten Kehi-punkte." „Am 2. Tebitu (1. Jan. 232 v. Chr.) Nachts der Mond unterhalb Venus l^/ä Ellen entfernt, am 2. Sii-ius in Opposition, Frost." „Am 24. Sabätu (21. Febr.) bewölkt, ungünstig; Satui-n über a Leonis nm- 6 Zoll entfernt, gegen Morgen 30' heliakischer Untergang des Merkur in den Fischen (?), vom 24. an nicht mehr gesehen" u. s. w.

Für die systematische Beobachtung der Planeten spricht noch (ob- wohl dieselbe schon aus der Reichhaltigkeit der Tafeln hervorgeht) das Bestehen einer festen Terminologie für gewisse, immer ^^^ederkehrende astronomische Stellungen, Definitionen u. dgl. Die Bedeutung der haupt- sächlichsten dieser Ausdinicke ist jetzt sichergestellt,-) jedoch bleibt noch manches durch Zuhüfenahme der astronomischen T^'iederberechuung der Planeten- und Sternpositionen aufzuhellen.

Was die Frage anbelangt, ob die Planetenbeobachtungen der Bab}-- lonier für unsere jetzige Astronomie von Wert sein können, so darf man

1) Epping, Zeitschr. f. Assyr. VII 236.

2) So werden die Kehrpunkte der Planeten durch Ici us a angedeutet. Die Kehr- punkte sind als ana num = erster, und ana iu = zweiter unterschieden, der erste findet (bei Mars, Jupiter, Saturn) zur Zeit statt, wo der Planet die ganze Zeit nach Mitternacht, also mehr am Morgen sichtbar war, der zweite zur Zeit, wo der Planet bei Sonnenuntergang hoch über dem Horizonte steht, also seine Sichtbarkeit haupt- sächlich vor Mitternacht liegt. Die Schleifenbildung im scheinbaren Wege der Planeten wird durch ana Su lal = Anfangs der Rückläufigkeit, ana num lal = Anfangs der Wiederrech tläufigkeit, ausgedrückt; ana Su ina lal Su heisst während der Rückläufig- keit (vom ersten Kehrpunkt zum zweiten), ana num ina lal Su = während der Kecht- läufigkeit; ana Su lal uS = vor dem Kehrpunkt, lal ana Su num uS = nach dem ersten Kehrpunkt. Die westliche oder östliche Stellung der Planeten gegen Sterne wird durch ana Su htl = nach rückwärts (vor der Konjunktion) und ana num lu = nach vorwärts (nach der Konjunktion) ausgedrückt. Bei den heliakischen Auf- und Unter- gängen («a Sil) bezeichnen beigeschriebene Zahlen, wieviel Zeitgrade der Planet am Abend oder Morgen bei seinem ersten oder letzten deutlichen Erscheinen über dem Horizonte sichtbar gewesen ist. Die Ausdrücke nutt (= kaSädu) = beisammen gesehen, und HU gur = nicht beisammen gesehen , sollen aussagen , ob der Planet und das SternbUd, in welchem ersterer stehen sollte, gleichzeitig gesehen werden konnten oder nicht. Der Ausdruck atru heisst „bewölkt' (dunkel).

29

Die asfrononmchcn Kenntnisse der Bahylonicr. IL 193

die Hoffnung' nicht aufgeben, dass sicli geeignete Beol)aclitungen, welclie in ihrer Qualität bis zu einer Verbesserung unserer Planeteutafeln aus- reichen, vorfinden werden. Aus den Beobachtungen, die bisher vorliegen, lässt sich allerdings wahrscheinlich wenig machen. Die Messungen der Abstände der Planeten von den Sternen sind ziemlich roh, gehen im all- gemeinen nur bis Vs amviat^) (24 Bogenminuten) und sind öfters augen- scheinlich bloss Schätzungen. Auch die Beobachtungszeit ist zu unbe- stimmt angegeben und lässt sich mir bei Venus und Merkur auf 1 2 Stunden feststellen. Aber P. Kugler hat gegenwärtig, wie ich durch briefliche Mitteilung erfahre, babj'lonische Planetenbeobachtungen in Arbeit, bei denen die Abstände von den Fixsternen bis auf 6 Bogenminuten an- gegeben sind, und die Dauer der Sichtbarkeit der Planeten über dem Horizonte bis auf 4 Zeitnünuten genau angesetzt ist. Die Qualität der Beobachtungstafelu ist also offenbar sein- verschieden, me es bei der Verschiedenheit der Geschicklichkeit der Beobachter und der Beschaifenheit der ihnen zu Gebote stehenden Messwerkzeuge, und bei dem differierenden Range der Astronomeuschulen (es bestanden mehrere Observatorien, -nie KuGi.EE unzweifelhaft nachgewiesen hat) erklärlich ist. Es ist also die Vermutung nicht unbegründet, da die von Kugler gegenwärtig bear- beiteten Beobachtungen die bisher bekannten an Genauigkeit wesentlich übertreffen, dass die babylonischen Planetenbeobachtuugen auch noch für unsere Zeit "Wert erlangen können.

Entscliiedeneu Wert bieten aber jedenfalls jetzt schon die bab3'lonischen Beobachtungen des Mondes und der Finsternisse, auf die wir nun zu sprechen kommen. Es sollen zuerst, wie bei den Planeten, die bisher transskiibierten und übersetzten Texte angezeigt werden:

1. Angaben über Mondauf- und Untergänge im 7. Jahre des Kam- byses (523 v. Chr.) 2) und zwei Mondfinsternisse (16. Juli 523 u. 10. Jan. 522) mit Datum und Zeitnotierung. ')

2. Angaben fiü- mehrere Monate des Jahres 100 S.A. (212 v. Chr.) [Tafel S-i-1949 Br. Mus.], wie lange am ersten des Monats am Abend das Neulicht (erste Wahrnehmung der Sichel nach Neumond) sichtbar gewesen ist resp. wie lange am Morgen gegen Ende des ISIonats zum letzten Mal die Mondsichel noch gesehen werden konnte, ferner Zeitan-

1) Die Länge des ,ammaV (Elle) hat schon Eppixg (Astron. a. Babyl., S. 116) im Betrage von etwa 2,3" vermutet. Durch P. Kühler ist die Grösse dieses Maasses zu 2,5° und der Zusammenhang mit den anderen Maassen gesichert. Danach umfasst ein Tierkreisbild '/j, Ekliptik = 30", dieser Bogen ist der kas-hu, 1 ammat ist i/^ ka^-bu = 2,5'', 1 si ist '/jj ammat ^= 12,5', 1 ubanu ist '/a si = 6,25' (Über den kasbii als, organisch geteiltes , Bogenmaass vgl. schon C. F. Lehmann , Wochenschrift f. klass. Philol. 1895 Sp. 128 ff.; Verh. d. Berl. anthropol. Ges. 1895 S. 412 u. 433, 1896 S. 443; Zeitschr. f. Assyriol. XIV [1899] S. 365; Hermes XXXVl (1901) S. 115 Anm. 2).

2) Eppisg, Zeitschr. f. Assyr. V281.

3) GiNZEL, Spez. Kanon d. Sonnen- u. Mondfinsternisse, 1899, 258.

30

194 F. K. Ginzel,

gaben, wie viel später oder früher der Mond auf- oder unterging als lUe Sonne; scliliesslich einige Angaben über Finsternisse von 212 v. Chr.') .3. Ebensolche Angaben über den Mond für zwei Monate in der Shemtob-Tafel, und mehrere Finsternisse (105 v. Chr.?).-)

4. Abstände des Mondes von Sternen, Auf- und Untergänge u. s. w. für 3 Monate des Jahi-es 38 S.A. (273 v. Clir.) und 5 Monate 79 S.A. (232 T. Chi-.) in den Tafeln No. 137, 82-7-4 und Em IV 397.3) ^ ^ j^^^ 38 S.A. 14. Tisritu (19. Okt.) der Vollmond 11" vor Sonnenuntergang aufgegangen, zir'^), bewölkt und dunkel; des Nachts am 15. Aufgang des Mondes eben nach Untergang der Sonne, am Morgen der Mond unter >/ in den Plejadeu 3 Ellen entfernt." ,,l(i. Arah-samna (19. Nov.) geht der Mond 5** 30' nach Sonnenuntergang auf, bewölkt und nicht zusammen gesehen." „79 S.A. 8. Tebitu (7. Jan. 232 v. Chr.) zu Anfang der Nacht der Mond westlich von « Tauri 1 Elle 4 Zoll entfernt, am 9. zu Anfang der Nacht westlich von t, Tauri 2 Ellen 8 Zoll entfernt" u. s. w.

5. Mehrere Fragmente von Tafeln mit Moudljeobachtungen und einer Mondfinsternis (Em 844, Em 845, Em 710).»)

Da bei diesen Beobachtungsaufzeichnungen die Zeitditferenzen zwischen Sonnenaufgang und Monduntergang (und umgekehrt) bis auf eine Minute (und darunter) genau angegeben sind und der Beobachtungsort sich für einzelne Eeüien , da viele Angaben vorliegen , aus dem Materiale selbst ermitteln lassen dürfte, so sind diese bab}-lonischen Beobachtungen der Mondauf- und Untergänge für unsere jetzige Astronomie nicht ohne Wert. Die Beobachtuugstafeln aus dem 1., 2., 3. und 4. Jahrhundert v. Chr., welche (wie oben bemerkt) P. Kuglbr gegenwärtig bearbeitet, übertreffen jedoch die bisher publizierten Texte an Genauigkeit noch bedeutend, denn die Mondauf- und Untergänge sind dort bis auf 40 Zeitsekunden genau, die Finsternisse bis auf 4 Minuten angegeben. Dieses Material \ävA also voraussichtlich einem wichtigen TeUe unserer gegenwärtigen Astronomie, der Verbesserung unserer Kenntnis der Mondtheorie, zu gute kommen; was die Finsternisse anbelangt, so ist es schon dadurch wertvoll, dass wir bei denselben direkt aus den babylonischen Originalaufzeichnungen schöpfen und von Angaben aus zweiter Hand, wie sie uns Ptolemäus in seinem Almagest über die Finsternisse bietet, imabhäng-ig werden.^) Der

1) Epping, Zeitschr. f. Assyr. VI 95.

2) Daselbst VI 222.

3) Daselbst VII 226.

4) zir, ein noch nicht ganz aufgeklärter, bei den Zeiten des Vollmondes und des Neulichtes, auch bei der letzten Angabe am Ende des Monats, vorkommender Ausdruck (Sichel nach und vor Neumond'?).

5) Zeitschr. f. Assyr. VI 226.

6) Was die historischen Finsternisse, d. h. die nicht in astronomischen Be- obachtungssammlungen, sondern in den geschichtlichen Annalen der Babylonier auf- tretenden Finsternisse betrifft, so scheint bis jetzt nur eine einzige derselben, die

31

Die astronomischen Kenntnisse der Bahylonier. IL 195

sofm-tio-en Verwendbarkeit dieser alten Beobachtungen für astronomische Zwecke stehen allerdings zur Zeit noch einige ffindernisse entgegen Die KeiNchrifttexte sind öfters sehr schwer zu kopieren und namentlich bei manchen der von Epping übersetzten Texte scheint eine neue Kollation mit den Originalen notwendig zu sein. Ferner liegen in der von den B-ibvlouiern gebrauchten Terminologie gewsse Schwierigkeiten, welche behoben werden müssen, um die Übersetzungen streng sinngerecht aus- führen zu können. Eppinu und zum Teil auch Jensen haben in der Deutuno- dieser technischen astronomischen Ausdrücke vorgearbeitet, aber erst dem kritischen Eindringen Kug.ers haben wh- die AufheUung ver- schiedener Punkte zu verdanken. Wir müssen einige der Resultate Kt-cLEKs, soweit sie die Finsternisse betreffen,') hier hervorheben und können cüese Definitionen umsoweniger übergehen, als dieselben zugleich erst den richtigen Einblick in die astronouüschen Beobachtungstafeln der Babylonier eröffnen. In diesen Tafeln treten nämlich neben Beobachtungs- daten auch Eechnungsangaben d. h. also durch Vorausberechnnng erhaUene Er.^ebnisse auf, namentlich in den Hilfstafeln, welche die babylonischen Astronomen füi- die periocüsche Wiederkehr der ffimmelserscheinungen anfertigten; aber selbst die täglichen Beobachtungsberichte erscheinen bisweilen mit Kechnungsresiütaten vermischt. Dies ist bei der einpinschen Entwickelungsweise der babylonischen Astronomie nicht befremdlich. Jene Astronomen suchten vor allem die mehr oder weniger komplizierten Perioden kennen zu lernen, nach welchen die Finsternisse, die scheinbaren Stellungen der Planeten und die Erschemungen im MoncUaufe wiederkehi-en ; das Einreihen solcher mittelst empmscher Perioden erhaltener Rechnungs- erc^ebnisse in die Beobachtungen sollte den Beobachter auf diese oder jene Erscheinung im voraus aufmerksam machen oder den Nachweis liefern, dass man die vorausberechnete Erscheinung zu beobachten versucht habe xxnd dass letztere eingetroffen oder nicht bestätigt worden sei. Zum Charakterisieren der berechneten Himmelserscheiuungen schufen die Baby- lonier schon frühe (wahrscheinlich schon im 7. Jahrhundert v. Chr., wie aus dem Vorkommen gewisser Ausdrücke erheUt) eine astronoimsche Terminolooie. Auf die richtige Deutung dieser Terminologie müssen die Anstrengungen derer gerichtet sein, die sich mit babylonischer Astronomie befassen, denn die Kemitnis dieser technischen Ausdrücke allem lasst nicht niu- beobachtete von berechneten Ergebnissen unterscheiden, sondern sichert überhaupt erst die sinngerechte Übersetzung der Texte. _ Die wichtigsten Ki-iterien, die Kra.ER aus der Vergleichung vieler babylonischer Eechnungs- und Beobachtungstafeln gezogen hat, sind folgende:

Sonnenfinsternis vom 15. Juni 763 v. Chr., einigen We^/- ''°lt"f wlen«: sitzen. (Vgl. G.NZEL, Spez. Kanon d. Finsternisse 24-3 ff.; Opfert, Sitzber. d. ^N lencr Akad. d. W. Bd. 91, 1885 Aprilheft). 1) Zeitsehr. f. Assyr. XV 178 ff.

32

196 F. K. Ginzcl,

a) Die beobacliteteu Finsteruisse werden von den berechneten iinter- scliieden dnrch die Wortstellung: Samas atalü = beobachtete Sonnen- finsternis, atalü Samas = berechnete S.F. Sin atalü = beobachtete Mondfinsternis, atalü Sm = berechnete M.F. Durch atalü Samas resp. atalü St'n werden auch die Finsternisse charakterisiert, die zA\"ar statt- fanden, aber in Babylonien nicht sichtbar waren; in den Ephernerideu sind dieselben letzteren Ausdinicke für alle Finsternisse, gleichviel ob in Babylonien sichtbar oder nicht , angewendet , da die Ephemeriden nur Eechnungsergebnisse vorstellen sollen.')

b) sa lu bedeutet, dass die Finsternis zwar stattfindet (sa, sumerisch gar = isiakan). aber dem Auge des Beobachters entrückt Qu = eteku) d. h. füi' Babylonien unter dem Horizonte luid also unsichtbar sei.

c) ana tab steht nur bei Sonnenfinsternissen und zwar immer bei .stattfindenden und soll ausdrücken, dass die Sonne zur Zeit der Finsternis über dem babj-lonischen Horizonte stehe und daher die Finsternis möglicher- weise in Babylonien sichtbar sein werde. Der Beobachter soll diu'ch ana tab zum Beobachten aufgefordert werden. (Bei der Vorherbestimmung der Sonnenfinsternisse mittelst blosser Perioden musste notwendigerweise die Sichtbarkeit für einen bestimmten Ort noch sehr* unsicher bleiben.)

d) SU lu findet sich bei Mondfinsternissen, die ausfallen d. h. über- haupt nicht sichtbar sind, und bei Sonnenfinsternissen, die sich durch die Eechuung als sehr klein erweisen; der Ausdnick soll darauf hindeuten, dass die betreffenden Finsternisse an der Grenze der Möglichkeit des Ein- tretens liegen und daher zweifelhaft sind. Das öftere Erscheinen dieses terminus techuicus zeigt deutlich, dass die Babylonier ziu- Yorausberechnung der Finsternisse gewisse aus der Erfahrung abgeleitete Perioden der Wieder- künfte der Finsternisse angewendet haben; bei den Mondfinsternissen reichten sie damit aus, bei den Sonnenfinsternissen blieb, wie schon be- merkt, immer eine Unsicherheit. In naher Beziehung zu m lu steht 5 arah i-u lu und 2 arah su lu : diejenigen Finsternisse, welche schon nach 5 Monaten wiederkehi-en (im allgemeinen wiederholen sie sich in etwas weniger als 6 Monaten), sind nämlich mittelst der Perioden niu- äusserst imsicher zu bestimmen, das Gleiche ist misslich in den Fällen, wo zwei Sonnenfinsternisse in zwei aufeinander folgenden Monaten statthaben; die Ausdi-ücke 5 ai-ak su lu und 2 arah iu lu bedeuten also „für 5 Monate zweifelhaft" und „für 2 Monate zweifelhaft".-)

1) Gemäss diesem Ivriterium bezeichnet Kügler die Sonnenfinsternis vom 15. Juni 763 V. Chr., sowie die beiden Mondfinsternisse vom 16. Juli 523 und 10. Januar 522 (GiszEL, Spez. Kanon d. Finsternisse 243, 258) als beobachtete Finsternisse, dagegen die Slondfinstemis unter Samaihtmuk'm (Gi.\zel und C. F. Lebmas.v, Zeitschr. f. Assyr. XI llOflF., 365, 432; a. a. 0. 250, 251) als eine berechnete.

2) Solche rechnerisch angezeigte, aber zweifelhaft gelassene Finsternisse sind von den astronomischen Beobachtern offenbar vielfach kontroliert worden, denn es wird in

33

Die astronomischen Kenntnisse der Bahrßonicr. II. 197

e) kl hur Id namir zeigt verimitlicli au, dass die feine ilondsicliel (nach Neumond und beim letzten Erscheinen des Jfondes) nicht gesehen werden konnte oder dass Sonne und Mondsichel am Horizonte nicht gleicli- zeitig wahrnehmbar waren, hi hur hur dagegen deutet wahrsi'heinlich an, dass aus meteorologischen Gründen (Dunst, Bewölkung) irgend eine Erscheinung „nicht beobachtbar" war.

Die im Vorhergehenden gegebenen Mitteilungen über die Beschafteuheit der babylonischen Beobachtungen und deu jetzigen Stand der wissen- schaftlichen Ivi-itik gestatten wolü der Hoffnung Eaum zu geben, dass die Astronomie in gar nicht ferner Zeit in die Lage versetzt werden ■\vii-d, aus den Mondbeobachtungen der Babylonier erheblichen Nutzen zu ziehen. Es gilt allei'dings noch manche Sch-n-ierigkeiten in der Inter- pretation und in der Terminologie liinwegziu'äumen , aber es ist auch keine Frage, dass sich die noch vorhandene Unsicherheit durch streng kritische Arbeit, wie sie namentlich Kuglee eingeleitet hat, bald beheben lassen ■närd.')

Aus dem bisher Gesagten geht die Thatsache hervor, dass bei den Babyloniern bereits im 4. Jalirhundert v. Chr. auf den Sternwarten ein regulärer astronomischer Beobachtungsdienst organisiert war und in ausgedehntester Weise von Seite mehrerer Observatorien (Hochschulen?) betrieben wurde. Ja es hat, nach einzelnen alten Tafeln zu urteilen, den Anschein, dass die kontinuierliche Beobachtung des Himmels in Baby- lonien noch um weitere 3 bis 4 Jahrhunderte zurückreicht. Wir sagen aus- drücklich, die Beobachtung des Himmels aus astronomischem Interesse. So sind die von Satce und Hincks publizierten, leider wegen Mangels des Datums nicht bestimmbaren Finsternisse augenscheinlich von sehi- hohem Alter. Die Beobachtung des Himmels zu astrologischen Zwecken dagegen geht bei den Babyloniern, den massenhaft gefundenen Tafeln nach,-) in noch y\q\ frühere Zeiten, vielleicht bis ins 4. Jahrtausend v. Chi-.

den BeobachtuDgsberichten bisweilen angemerkt ,Ort der Verbindung (oder ,wo bei- sammen") nicht gesehen.'

1) In No. 3682 der , Astron. Nachr." werde ich von Prof. Newcomb aufgefordert, meine „empirischen Korrektionen" der Mondbahn, die ich vorzugsweise aus mittelalter- lichen historischen Sonnenfinsternissen abgeleitet und meiner Berechnung des ,Spez. Kanon der Sonnen- und Mondfinsternisse" zu Grunde gelegt habe , an dem ganzen zu diesem Zweck verwendbaren Beobachtungsmateriale (einschliesslich des arabischen und modernen) zu prüfen. Dies ist auch, wie im Vorworte meines ,Spez. Kanon d. F." (III, IV) notiert ist, meine Absicht. Abgesehen von äusseren Umständen, hat mich aber bisher hauptsächlich die oben ausgesprochene Erwartung von dieser Arbeit zurück- gehalten, dass durch die KuoLEnschen Untersuchungen die Benützbarkeit einer grösseren Zahl alter babylonischer Mondbeobachtungen und Finsternisse in nahe Aussicht gerückt werden wird. Wenn erst die Frage der Brauchbarkeit dieser Beobachtungen entschieden sein wird, hoffe ich auf den Gegenstand wieder zurückzukommen.

2) Die Zahl der Tafeln astrologischen Inhalts, die in den Museen aufgespeichert sind, geht in die Hunderte; aber auch die Zahl der Tafeln mit astronomischen Be-

34

198 F. K. Ginsei,

zurück. Die Astrologie war eben in Babylonieu die Vorläuferin und Ur- heberin der Astronomie. Neben der einen bat sieb die andere Jalu-bunderte lang erhalten oder auch, je nach dem wissenschaftlichen Geiste der mit ihrer Obliut betrauten Kaste, eine baldige Scheidung der Astronomie von der Astro- logie vollzogen.') Von der aufmerksamen Beobachtung des Himmels in Babylonien giebt schliesslich die Notierung der nicht )'egelmässigen, sondern ganz zufälligen und selteneren Erscheinungen der Kometen und Meteore einen Beweis. Die letzteren werden auf verschiedenen Tafeln als saräru-Stevne (mi'shu, zallummü) = plötzüch aufstrahlende, mit einem Schweife ver- sehene, den Himmel erhellende Sterne beschrieben; die Kometen werden als Mna/z^a-Sterne , Eabensterne (U-NAG-GA-\oge\ = Eabe) bezeichnet und ihre auffällige Gestalt deutlich von den übrigen Himmelskörpern unterschieden.-) Positionsangaben von Kometen, also gemessene Abstände der Kometen von bestimmten Sternen mit Beischrift des Datums und der Stunde der Beobachtung liegen in den Avenigen bisher bekannten Berichten nicht vor. Aber es wäre doch befremdend, wenn sich solche Angaben in den Beobachtungstafeln nicht noch vorfinden sollten, da die Babylonier, wie wir gesehen haben, die Stellungen der Planeten gut ver- zeichnen und die Kometen wegen der ganz abweichenden Bahnen umso- mehr ihre Aufmerksamkeit erregt haben müssen. Wir stehen indessen mit unserer Kenntnis der astronomischen Beobachtungen der Babylonier erst am Anfang, denn das bisher aufgedeckte Beobachtungsmaterial um- fasst kaiun mehr als 20 bis 30 Täfelchen, und Hunderte harren noch der Entziiferung und Übersetzung.

Wenn an der Thatsache, dass die Astronomie bei den Babyloniern eine ernste Pflege erfuhr und in wissenschaftliche Form gebracht wurde, trotz der Aufdeckung der zahlreichen Planeten- und Mondbeobachtungen fiiiher von einzelnen Skeptikern gezweifelt werden konnte, so ist jetzt

richten ist sehr bedeutend (Man vergleiche nur allein das Material der Kujundschyk- Sammluug in den 5 Banden des BezoLDschen Catalogue of the Cuneiform tablets in the Kouyunjik collection of the British Museum 1899).

1) In den eigentlichen Beobachtuugstafeln ist von astrologischen Beziehungen nicht die Rede; so sind die oben aufgeführten Planeten- und Mondbeobaehtungsserien rein astronomischer Natur. Manchmal werden Astrologie und Astronomie mit einander ver- quickt. Ein Beispiel dafür giebt ein von Eppisg beschriebener Auszug aus einem 138 V. Chr. zu Borsippa verfassten Lehrbuch der Astrologie (Zeitschr. f. Assyr. VI 228), in welchem die astrologische Bedeutung der Mondstände, der heliakischen Auf- und Unter- gänge des Sirius und Orion, die mit den Jahreszeiten zusammenhängenden Feste u. s. w. beschrieben werden. Vor 11 Jahren konnte Je.ssen (Kosmologie 46) noch meinen, dass die Astronomie bei den Babyloniern wohl niemals aus rein wissenschaftlichen Gründen betrieben worden sei; heute, nach den Arbeiten von Epping und nament- lich KüGLER, wissen wir, dass auch eine ernste Pflege der Astronomie in Babylonien existierte.

2) Jensen, Kosmol. 152, 154.

35

Die astronomischen Kenntnisse der Bahißonier. IL 199

jeder Eiuwand ^egeii die bei den Babylonieru vorliandeue Wissenschaft - liclie Systenuitisienmg der Astronomie durch die Bearbeitung der baby- lonisclieu Mondrechnungstafeln vollständig beseitigt. So lange nur die Beobachtungen vorlagen, die notwendiger Weise manchem Mangel unterworfen waren, konnte mau nicht übersehen, mit welchen Kenntnissen jene alten Astronomen gearbeitet haben. Erst das Eindringen in das Wesen der Kechn ungs tafeln, in welchen sie nach bestimmten fest- stehenden Regeln die Himmelserscheinungen vorauszubestimmen versuchen, hat und zwar in höchst lehrreicher Weise gezeigt, dass sie das aus der Beobachtung des Himmels gewonnene AVissen auch durchdacht, zergliedert und daraus eine Art Vorstufe zur Theorie erlangt haben, obgleich sie, soviel sich bis jetzt ersehen lässt, zur Begründung einer Theorie der Be- wegung der Himmelskörper in dem Sinne, wie wir- diesen Ausdinick ver- stellen, nicht gekommen sind. Damit gewinnen die Rechnungstafeln der Babylonier nicht bloss astronomisches Interesse, sondern kulturhisto- rische Bedeutung. Denn wii' ersehen aus ihnen zum erstenmal , und zwar in viel schärferer Weise, als dies aus den Schriften und Übe^-- lieferungen der Griechen und anderer Astronomie treibender Völker möglich gewesen ist, welche Etappen der menschliche Geist von der rohen Empirie bis zur Schwelle der zielbewussteu Theorie zurückgelegt hat, und wir- gewinnen, da zu der Erwerbung der astronomischen Erfahrungen ein nelhundertjähriger Zeitraum vorausgesetzt werden niuss, die Überzeugung, dass die Aufäuge des mathematischen Denkens in Babylonien überaus hohen Alters sind.

Eppixg und Stkassmaieh haben das Verdienst, in gemeinsamer Ai'beit dem Verständnisse der babylonischen astronomischen Rechnungstafeln die Bahn gebrochen zu haben.') An mehreren dieser Tafeln zeigten sie zu- nächst, dass die Kolumnen der Tafeln successive diu-ch Addition und Subtraktion gemsser Reihen zu bestimmten Grundwerten erhalten werden. Sie suchten die Bildungsgesetze dieser Rechnungsmethoden in ihrer An- Avendung auf den Mond, bei welchem die Lösung der auftauchenden Zweifel in der Interpretierung der Rechnungs Vorgänge diuxh stetige Kontrolle mittelst unserer modernen Moudtafeln am sichersten möglich war, an drei babj-lonischen Mondephemeriden aus den Jahren 122, 121 und 110 V. Clir. kennen zu lernen. Es gelang ihnen, die Entstehungs- weise des grösseren Teils der Tafelkolumnen zu erklären, auch die Zahlen- angaben bei den angemerkten Finsternissen und einen Teil der Terminologie aufzuhellen, indessen blieb noch vieles dimkel. Auf Grund eines wesentlich umfangi-eicheren Tafelmaterials unternahm Kugler die Arbeit, das Wesen der babylonischen astronomischen Rechnimgsschemata zu analysieren und bis auf die Basis der von den Babyloniern angenommenen Grundwerte

1) Astronomisches aus Babylou. 1889. 36

200 F. K. Ginzel,

zuriickzuverfolgen.^) Das Ergebnis dieser Untersuchung ist ungemein lelirreich, niclit nur in Beziehung auf das astronomische ^^'issen der i>abylonier , sondern auch dadurch, weil es nicht mehr die Griechen, speziell die Hipparch-Ptoleil\ischje Periode, als die Entdecker und Be- gründer der Grundlagen unserer Astronomie aufrecht erhalten kann, sondern vielmehr die Bab3'lonier als die unmittelbaren Vorläufer der Griechen hinstellen muss. Einige der Kuglerschen Eesultate sind vorher von P. Tannery, einem scharfsichtigen Ki'itiker der Astronomie der Alten, schon geahnt und in allgemeinerer Form, also ohne strikte Beweise an- gedeutet worden. Wir- legen der folgenden Darstellung Kuglees Ergebnisse und Tannerts Bemerkungen zu Grunde.

Was zuerst den Mondlauf und die Aufgabe, die Zeit der Xeu- und Vollmonde zu bestimmen, betrifft, so lösen die Babylonier letztere in ilu-en astronomischen Eechnungstafeln durch etwa 11 Kolumnen. Sie gellen von den monatlichen Differenzen der Neumondlängeu aus, wobei sie die Dauer des mittleren sjuodischen Monats und die anomalistische Bewegung der Sonne-) zu Grunde legen ; daraus erhalten sie die Positionen des Neumondes in Beziehung zu festen Zeichen des Tierki-eises und be- stimmen die Grösse des Tagbogens zur Zeit der Neu- (und Voll-)monde und die halbe Länge der Nacht, sowie, mit Hilfe des di-akonitischen Monats die Breite der Neumonde (Vollmonde), ausgedi-ückt in Halbgraden. Dann stellen sie eine Kolumne der täglichen "Winkelbew^egung des Mondes auf, gewinnen damit den Überschuss der Dauer des wechselnden sjTiodisehen Monats über 29 Tage bei Voraussetzung einer gleichmässig schnellen Sonnenbewegung und korrigieren die Resultate hierauf wegen der Un- gleichlieit der Sonnenbewegung. Schliesslich erhalten sie die Zeiten zwischen je zwei aufeinanderfolgenden Konjunktionen oder Oppositionen des Mondes und daraus das Datum der Neu- oder Vollmonde. Es ist nun äusserst wichtig, zu betonen, dass sämtliche (Trundwerte, die diesen

1) KuGLER, Die babylonische Mondrechnuug. 1900. Das diesem Buche zw Grnude liegende Thontafelmaterial besteht a) aus der „llondrechnungstabelle des Kidinnu'^ mit Neumond- und Neuliehtangaben von 103 bis 100 v. Chr., b) der Tafel der Neu- und Vollmonde für 13 Monate von Iddin-Bel, und 11 noch brauchbaren Fragmeuten desselben Inhalts, c) aus 3 Bruchstücken, welche die Neu- und Vollmonde für mehrere Jahre angeben und sich dem Inhalte nach gegenseitig ergänzen , d) aus einer Mondfinsternistafel von 174 bis 151 v. Chr. und einem Fragmente mit Mond- tinsteruisnotierungen , endlich e) aus einer Anweisung zur Berechnung der Syzygien und Finsternisse.

2) Historikern wird die kurze Erinnerung erwünscht sein, dass man unter dem synodischen Monat die Umlaufszeit des Mondes in Beziehung auf die Sonne, unter dem siderischen Monat die Zwischenzeit bis zur Rückkehr zum selben Fixstern, unter dem anomalistischen Monat die Umlaufszoit des Mondes in Beziehung auf das Perigäum, und unter dem drakonitischen Monat die Umlaufszeit betreff der Knoten (Durchschnittspunkte der Mondbahn mit der Ebene der Ekliptik) versteht.

37

91' 44™

3V3'

5 5

35,8

7 43

14

L3 18

34,7

Die astronomischen Kenntnisse der Bahtjlonier. IL 201

Koluiimeu zu Grunde liegen, mit den von Hippaech angewendeten über- einstimmen, nämlicli

die Dauer des sjiiodischen Monats = 29''

,. ,, di-akonitisclieu ,, = 27

,, siderisclien =27

anomalistisclien ,, = 27 sowie die Verhältnisse 251 synod. Mon. = 269 anom. Mon. und 5458 = 5928 drakon. ,,

Die geringe Abweichung dieser Beträge der Monatsdauer von jenen, die wir gegenwärtig anwenden, ») deutet schon darauf hiu, dass die babylonischen Astronomen dieselben nur ganz allmäliKch aus vielhuiulertjähi-iger Be- obachtung des Mondes haben gewinnen können, da die Erreichung einer solchen Schärfe in den Resultaten, die Schmerigkeiten der Beobachtungen mittelst der primitiven Hilfsmittel hinzugerechnet, niu- mit Benützung gi-osser Zeiträume möglich gewesen ist. Wenn uns aber in den Rechnungen der babylonischen Astronomen des 2. Jahi-hunderts v. Chi-, schon diese genauen Beträge entgegentreten, wie aus den von Kuglee bearbeiteten Tafeln hervorgeht, so folgt, dass die Kenntnis der genäherten oder gar die der rohen Beträge der Mondbewegung viel älter sein und weit ins Altertum ziu-ücki-eichen muss. Die griechischen und lateinischen Schrift- steller wissen über die babylonische Astronomie verhältnismässig wenig zu berichten. Betreff der babylonischen Kenntnis der Mondbewegung äussern sich Gemintjs {Elaayuy^ c. 15) und Ptolemäus (Abnagest lY c. 2). Aus deu Worten des ersteren wirrde hervorgehen, dass der synodische Monat von den Babyloniern zu 29'' 12'' 44" 7,5' angenommen worden wäre,-) also nur genähert richtig. Ptolemäu.s giebt in seinem (ca. 150 Jahre nach Geminus geschriebenen) Abnagest an, Hippaech habe gefunden, dass die babylonischen Beträge für die Mondbewegung nicht hinreichend genau seien und habe deshalb dieselben verbessert. Nach den Ausein- andersetzungen des Ptülejlvus würde Hippaech folgende Beträge festgesetzt haben :

Dauer des synodischeu Monats = 29'' 12'' 44™ 31/3* .. drakonitischen .. = 27 5 5 35,8

1) Die grosse Genauigkeit der babylonischen Annahmen für die Länge des syuodischon, drakonitischen, siderischen und anomalistischen Monats erhellt deutlich aus einem Vergleich mit den modernen Werthen. Letztere sind :

für die Dauer des synodischen Monats = 29d 121» 44"» 2,9"

, drakonitischen , =27 5 5 35,6

, siderischen =27 7 43 11,4

, , , , anomalistischen , = 27 13 18 33,9.

2) Gemixus bemerkt, dass die mittlere tägliche Bewegung des Mondes von den Babyloniern mit 13" 10' 3.5" angesetzt worden sei, denn der Mond lege in 669 synod. Monaten (19 756 Tagen) [iiiliynö?] 723 Kundläufe und 32" zurück. Die mittlere Dauer eines syuodischen Monats ist demnach 19756:669 = 29'i 12h 441U 7^53.

38

202 F. K. Ginsei,

Dauer des siderischeu Monats = 27* 7'' 43" 14' ,, ,, anomalistisclieu ,, = 27 13 18 34.ii Diese Beträge stimmen aber ganz und gar niit jenen, die aus den babylonisclien Eeclmungstafelu hervorgehen. Es kann daher keine Frage mehr sein, wem die frühere Kenntnis der Beträge zugeschrieben werden müsse. Die Babylonier verwenden letztere, wie wir sehen, bereits im 2. und 3. Jahrh. v. Chr. in völlig schematischer Weise, wie etwas ihnen längst Bekanntes, wähi-end Hippakch, dessen "Wirksamkeit im günstigsten Falle mit der Epoche der Tafeln zusammenfällt (Hippaech 1)eobachtete etwa von 161 v. Chr. an), die Yerbesserimg höchstens nm die Mitte des 2. Jahi-huuderts v. Chi-, gefunden haben kann. Selbst wenn er auf dm-chaus selbständige "Weise dazu gelangt wäre, so ist die "Wahrscheinlichkeit, dass die babj'lonischen Astronomen jenen wissenschaftlichen Fortschritt auf Gnmd ihrer eigenen Beobachtungen schon lange vor ihm gemacht haben, eine viel gi"össere. Das Zeugnis des Ptolemäus für Hippaech ■wiegt nicht schwer, denn aus Kuglers Untersuchungen des erwähnten Eechnimgs- tafelmaterials geht hervor, dass dem Ptolemäus die Kenntnis ander- weitiger wichtiger in den Eechnungstafeln zu Tage tretender Leistungen der Babylonier abgeht, und er keinen Einblick in die Eechnungsoperationen der letzteren gehabt haben kann, somit auch nicht in die Lage gekommen ist zu vergleichen, was die Babylonier imd was Hipparch geschaffen haben. KüGLEE kommt deshalb (unter Darlegung anderweitiger Gründe, die hier nicht eingehender berühi-t werden können) zu dem Ergebnis,») dass die Aufstellung der verbessei'ten Mondperiodeu schon vor Hipparch imd von den babylonischen Ast ronomenselbst gemacht worden ist. Sieben Jalu-e vor dem Erscheinen des Kcglerschex "\i\'erkes hat Tanxeet, ohne die Existenz der babylonischen Eechnungstafeln zu vermuten, und nm- auf Grund der früher bekannten Werte der babylonischen Monatslängen, die Mondperioden der Babylonier als Basis der griechischen Theorien und Verbesserungen hingestellt.-)

1) A. a. 0. 50-53.

2) P. Taxsery: Recherches sur l'histoire de l'Astr. ancienne. (Mem. de la soc. des seiences de Bordeaux, 4. serie T. 11893). Er vermutet, dass die Babylonier die Bewegung des Mondes in Länge durch arithmetische, ab- und zunehmende Reihen ausgedrückt haben werden, indem sie 18' (einen bei Gemixus erwähnten Betrag) als Variation der täglichen Bewegung annehmen. Auch die noch unregelmässigere Be- wegung in Breite hätten sie wahrscheinlich durch arithmetische Progressionen aus- zudrucken versucht. (185—187). Diese Voraussicht hat sich in der That durch die KuGLEKSchen Untersuchungen bestätigt. Die Babylonier haben durch vielfache Be- obachtungen die durchschnittliche tägliche Änderung der Mondbewegung von d = 18' kennen gelernt. Der Unterschied zwischen dem synodischen und anomalistischen Um- lauf des Mond ist etwa l,976d. Man schloss also aus der Proportion x:d = l,976<J:l"i oder 2:1 auf den Betrag x = 36' als konstante Geschwindigkeitsänderung, er-

39

Die astronomischen Kenntnisse der Bahylonicr. II. 203

Wenn die babylonischen Astronomen im Lanfe der Zeit sich nur eine so genaue Kenntnis der Mondbewegung , wie sie sicli in den oben mit- geteilten Zahlen ausdrückt (auf die von den Babyloniern dazu einge- schlagenen Wege konnnen wir im III. Aufsatze zurück), erworben hätten, olnie eine Nutzanwendung davon zu machen, müssten wii- sie schon achten. Allein noch viel höher steigt das Maass ihrer Leistungen, wenn wir das wohldurchdachte System betrachten, das sich in den Kolumnen ihrer Eechuungstafeln uns offenbart. Wir können bei dem komplizierten Baue der babylonischen Eechnungsschemata hier leider ni(;]it auf eine besondere Darstellung eingehen, sondern müssen in dieser Beziehung auf das KuGLERscHE Werk verweisen, doch sollen einige besonders merkwürdige Punkte der babylonischen Eechnungsweise hervorgehoben werden.

In ähnlicher Weise, wie die babylonischen Astronomen die Schwierig- keiten in der ungleich schnellen Mondbewegung zu bemeistern suchen, verhalten sie sich in der Darstellung der Ungleichheit der Sonnen- bewegung. Aus gewissen Verschiebungen des Vollmondes in den Eechnungs- tafeln geht hervor, dass man der Ungleichheit der Sonnenbewegung durch die Annalime Eechnung tragen wollte, die Sonne lege auf ihrem Wege am Himmel zwischen 13° Vü'ginis bis 27" Piscinm gleichmässig jeden Monat 30" zurück, im übrigen Teile der Ekliptik dagegen nur 28" 7' 80". ^^'ahrscheiulich hatten die Babylouier bemerkt, dass in der Gegend von 20" Sagitt. , nän'ilich in der Mitte zwischen 13'' Virgin, und 27" Pisc, die Sonne sich am schnellsten, und am Orte diametral dazu, bei 20" Gemiu. am langsamsten bewege; möglicherweise bestimmte sie zu jener Teilung der Ekliptik in zwei Bogenstücke von 194" und 166" das glatte Ver- liältnis 15 : 16 (entsprechend 28" 7' 30" : 30"). In der That lägen nach babylonischer Annahme, wie dies aus einer von Kuglee untersuchten Tafel hervorgeht, die Apsiden der Sonnenbahn u. z. der Ort der lang- samsten Sonnenbewegung (Apogäum) bei 19" 49' Geminor., jener der schnellsten (Perigäum) bei 19" 49' Sagitt. Die Beträge der grössten und kleinsten Geschwindigkeit der täglichen Sonnenbewegung nehmen die Babylonier ziemlich richtig an, nämlich 1" 1' 19,6" für die erstere, 56'

mittelte hieraus die GesehwindigkeitsänderuDg während '/i anom. Monat und fand so 2" 5' 30", welche mit der schon genannten täglichen Bewegung 13" 10' 3.5" verbunden, als grösste Geschwindigkeit der Mondbewegung 15" 16' 5", als kleinste 11" 5' 5" (fast dieselben Zahlen giebt Geminus an) ergeben. Die Babylouier konnten auf diese Weise durch eine nnit konstanter Differenz von einen Minimum zum Maximum fortschreiten- den Reihe den anomalistischen Lauf des Mondes während einer Anzahl synodischer Monate darstellen. Aus der Untersuchung der Eechnungstafelu findet Kugler (a. a. 0. 21), dass zwischen je 2 Masima der Tafeln die Zeit von 13"/ij synod. Mon. liegt. Da aber die anomalistische Bewegung in dieser Zeit den Vorspning von einem Umlaufe erreicht hat, sind 13"/is synod. Mon. = 13''/j8 -|- 1 anomal. Mon., oder 251 synod. Mon. = 269 anomal. Mon.; letzteres ist aber das angeblich erst von HiPi'.\Rcn gefundene Verhältnis.

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204 F. K. Ginscl,

56,7" füi" die letztere/) aber die Orte des Apogäums und Perigäums stimmen uiclit mit unseren Aunalimen, sie liegen um 10° zu hoch.-) Aus dieser zu grossen östlichen Verschiebung des Apogäums und Perigäums der Sonne geht auch ein unrichtiger Betrag des anomalistisclien Jalu-es hervor (d. h. der Zeit, welche die Sonne braucht, um vom Apogäum zum Perigäum zu laufen). Dasselbe ergiebt sich zu 365* 6"' 25" 46', ist also um 12"" zu gross (statt 365'i &" IS"" 50»). Das von den Babyloniern an- genommene siderische Jahr dagegen ist, da sie eine ziemlich genaue mittlere Geschwindigkeit (0^ 59' 8,16") der Sonne anwenden, nicht allzu fehlerhaft im Vergleich zu den Ergebnissen, welche die älteren Astro- nomen fanden, nämlich 365'^ 6'' 13"" 43,4^-') Obwohl das babylonische siderische Jahr noch um 4^/2 JVIinuten zu gross ist, darf man nicht sofort annehmen, dass die Babjlonier dasselbe nicht besser gekannt hätten. Aus den sehi' gut vorausberechneten heliakischen Auf- und Untergängen des Sirius, welche in den von Epping behandelten Eechnungstafeln (Astr. a. Babyl.) enthalten sind, lässt sich schliessen, dass sie die Länge des side- i'ischen Jahres genauer gekannt haben müssen. In der That m'usste ihnen die vielfache Beobachtung jener Auf- und Untergänge schliesslich die Länge des siderischen Jahres offenbaren, und solche Beobachtungen haben sie denn auch, wie aus AÜelen Beobachtungstafeln hervorgeht, fleissig angestellt. Überdies muss man bemerken, dass es sich in den Neumondtafeln, aus denen Kuglee das siderische Jahi- herausrechnen musste, niu- um die ungefähre schematisclie Darstellung der Sonnen- bewegung handelt. Beispielsweise haben die Babj-lonier, obwohl sie bei der Eechnung nur einen ungefähr richtigen Betrag der siderischen Ge-

1) Gegenwärtig beträgt die grösste Geschwindigkeit 1" 1' 9,9", die kleinste 57' 11,5". Die Escentrizität der Erdbahn nimmt im Laufe der Zeit sehr langsam ab und die früher grössere Maximalgeschwindigkeit der Sonne verlangsamt sich also , die frühe.r kleinere Minimalgeschwindigkeit nimmt etwas zu , indem sich die Bewegung einer gleichmässigeren in der Kreisbahn zu nähern strebt. Mit dem früher grösseren Maximum und kleineren Minimum stehen die babylonischcu Annahmen im Ein- klänge.

2) Zum Teil kommt dies davon her, dass die Babylonier die Zählung auf der Ekliptik nicht mit 0" Arietis anfangen, wie wir. Vielmehr führte die aufmerksame Unter- suchung der Neumoudlängen Kdgler zu der Annahme, dass der Frühjahrspunkt bei 8" 15' Arietis liegt. Ferner erweisen sieh die babylonischen Neumondlängen durch schnittlich um 3' 14' grösser als nach der Rechnung, demnach entsprechen die Positionen der babylonischen Ekliptik ungefähr dem 5. Grade der gleichnamigen Zeichen unserer beweglichen Ekliptik. War also 19° 49' Gemin. die Lage des Apogäums, wie oben an- geführt ist, so musste dasselbe etwa auf 16" 35' unserer Ekliptik fallen, dieser Punkt liegt aber um 10" zu östlich.

3) HirpAKCH nimmt (bei Zugrundelegung der Angaben im Almagest III c. 2) an

365<i 6i> lO™ Tycuo Beahe 365 6 9 26,7s. Der moderne Wert ist 365 6 9 10,7.

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Die astronomischen Kenntnisse der Bahylonier. II. 205

sclnvindifikeit des Mondes anwenden, doch aucli den Avesentlicli g-enaueren Wert 13« 10' 34,851" gekannt.')

Wir haben bereits angedeutet, dass die Bahylonier ihre P^kliptik nicht wie A\ir, auf die dui-ch die Präzession der Tag- und Nachtgleichen im Laufe der Zeit sich verschiebenden Zeiclien der Ekliptik, sondern auf die als unverrückbar betrachteten Sternbilder selbst gründeten. Die babj'- lonische Ekliptik war also eine feste, wälu-end unsere (resp. die HippAucHSche) eine bewegliche ist. Die vier Jahrpuukte werden, wie ebenfalls schon erwähnt, auf 8" 15' des Widders, Ki-ebses, der Wage und des Steinbocks angesetzt und zwar so, dass diesen Punkten etwa der je 5. Grad des gleichnamigen Zeichens in der beweglichen Ekliptik entspricht. So trifft der babylonische Frühjahrspunkt auf Arietis statt auf O«. Dieser Fehler konnte , abgesehen von der zu klein angenommenen Sonnenge- schwindigkeit (was in 321 Jahren etwa ausmacht) auch dadui-ch ver- ursacht sein, dass die babylonischen Astronomen noch nichts von der Präzession der Tag- und Nachtgleichen gewusst haben. Kugler findet, dass, falls die Präzession nicht in Bechnung gebracht und eine zu kleine Sonuengeschwindigkeit gebraucht worden ist, der Frühjahi-spuukt der von ihm untersuchten Eechnungstafeln etwa für 390 v. Chr. gelten müsste. Die Beobachtung der Äquinoktien musste für die Alten jedenfalls eine sehr schwierige Aufgabe sein, und man könnte daher schliessen, dass die Babylouier auf den Eückgang des Frühlingspunktes vermöge ihrer Be- obachtungen allein nicht aufmerksam werden konnten. Aber es scheint doch, als wenn die Bahylonier irgend eine derartige Korrektion gekannt (vielleicht roh aus ihi-en Fixsternbeobachtungen) und angewendet hätten. In mehreren Eechnungstafeln haben nämlich die Jahi-punkte jedesmal eine andere Lage, IQo, 15' und 0' 30", ferner steht in 2 Tafeln keine abgenuidete Zahl von Graden, so wie wenn diese Zahlen aus einer ur- sprünglichen durch Anbringung ge-nisser Beträge entstanden wären. HippARCH gebührt ohne Zweifel der Euhm, die Präzession im Jahi-e 130 V. Chr. aus Yergleichung seiner eigenen Sternbeobachtungen mit den ItiO Jahre früher von Timochajbis und Aristyllus angestellten entdeckt zu haben. Nach dem oben gesagten wäre indes die Möglichkeit nicht ganz ausgeschlossen, dass die Bahylonier, von Vermutungen geleitet, ge- wissermassen Vorarbeiter in derselben Frage gewesen sind. Ob ihnen und wie weit ihnen ein Anteil an der Erkenntnis der Präzession gebührt, kann erst entschieden werden, wenn babylonische Tafeln aus beträchtlich älterer Zeit vorliegen werden, aus denen man die Lage des Frühjahrs- punktes ermitteln kann.-)

1) Kugler a. a. 0. 94. Der wahre Betrag ist etwa 13" 10' 35,028".

2) Aber insofern haben nach Tasxeey die Bahylonier einen Einfliiss auf Hippauch-s Entdeckung der Präzession gehabt, dass von ihnen der Gebrauch herrührt, alle Positions- Beiträge 7.. alten Gesdiiclite 12. 14

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206 F. K. Ginzcl,

Jedoch iu einer anderen Erkenntnis, die man nach Ptolemaus (A1- niagest III c. 4) bisher dem Hippaech zuschrieb, sind die Babylonier den Griechen zuvorgekommen, in der Festtelhiug- der Länge der astro- nomischen Jahreszeiten. Die Grenzen der letzteren ( Jahrespunkte) werden in einigen Tafeln der Babylonier auf den 10. Grad des '\^^idders, Krebses, Steinbocks und der Wage gesetzt. Da der Ungleichheit der Sonneubewegung in der schon erwähnten Weise Eeclinung getragen wurde, dass man für die Sonne von 13" Vii-g. bis 27" Pisc. monatlicli 30", von 27" Pisc. bis 13" Virg. aber niu- 28" 7' 30" annahm, so lässt sich mit diesen Angaben die Dauer der bab3-lonischen Jalireszeiten berechnen. KuGLER findet folgende Beträge, welche er, da unsicher ist, auf welche Zeit sie sich beziehen, mit den direkt für das 2. Jahrhundert v. Chr. berechneten vergleicht :

Für das 2. Jabrli. berechnete Werte.

94,0437 Tage 92,3052 ,,

88,6186 90,2818 ,,

Zieht man (üe Angaben, cUe Gemixi^s und Ptolemaus (Hippakch) über die Länge der astronomischen Jahreszeiten machen, heran, so zeigt sich, dass die Beträge der griechischen Astronomen nicht besser mit der Wirk- lichkeit stimmen als die der Babylonier:

Geminüs (c. 1). Ptolemaus (Almag. TU e. 4).

Tage

Babyl. Betrüge.

Frühling

94,4982 Tage

Sommer

92,7263

Herbst

88,5918

Winter

89,4449

Frühling

941/2

Sommer

^2 72

Herbst

88 Vs

Winter

90V8

88V15 Tage

Da die Babylonier bei der Bestimmung der Jahrpunkte wahrscheinlich mu- auf den Gebrauch des Gnomon angewiesen waren, dieses Instrument

bestimmuugen auf die Ekliptik ^Tierkreis) zu beziebeu. Dieser Usus schreibt sich bei ihnen aus der Entwickelung der Astronomie aus der Astrologie her, denn für die Nativitätstellerei war nur die Ekliptik geeignet. Diese Gewohnheit, die von den Griechen übernommen wurde, die Stellung der Gestirne nicht auf den Äquator, sondern auf die Ekliptik zu beziehen, hat dem Hipparch die Erkenntnis des Vorrückens der Sternbilder wesentlich erleichtert. Auch glaubt Taxnery, dass den Babyloniern die Präzession deshalb entgehen musste, weil sie hauptsächlich das Sideraljahr angewendet haben, während HirPARcn sowohl die Längen des tropischen und des Sonnenjahres be- stimmte und durch die Verschiedenheit desselben vom siderischeu auf die schärfere Beobachtung der Sterne hingelenkt werden konnte (a. a. O. 42, 279, 280). Die Ver- mutung, dass die Babylonier in der Kenntnis und Bestimmung der Präzession dem HirPABCu irgendwie voi'gearbeitet hätten , wird auch von C. F. Tjehhaxn geäussert, s. dessen Buch: Zwei Hauptprobleme der altorieutalischen Chronologie und deren Lösung (1898), S. 198 fif. Anra. 2.

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Die astronomiscJien Kenntnisse der Bahylonicr. II. 207

aber nur eine sehr nälierungsweise Genauigkeit zulässt, so ist zu be- wundern, (lass der Fehler, den sie in der Länge der Jahreszeiten be- gingen, i\auni mehr als einen lialben Tag beträgt, beim Herbst ist der Unterschied gar nur eine halbe Stunde. Obwohl mijglicherweise die \\'orte des Ptolemäus, wo er von der Bestimmung der Jahreszeiten durcli HiM'ARiii spricht, vielleicht nicht gerade in dem Sinne interpretiert werden müssfii. als ob Hipparch als Entdecker hingestellt werden soll, so besteht jedenialis die Thatsache: die babylonischen Astronomen haben die un- gleiche Länge der astronomischen Jahreszeiten schon vor der Zeit des HippAKCH gekannt. Wie aus den Rechnuugstafeln ersichtlich ist, bemühen sie sich, die Sonnenbewegung zur Darstellung zu bringen. Sie besassen höchst wahrscheinlich bereits Sonnentafeln, welche die Vorläufer der PTOLEMÄischen bildeten imd suchten dieselben durch Beobachtungen zu verbessern (darauf scheint die Beobachtung dei- Sonnenauf- und Unter- gänge zu deuten). M

Offenbar waren, nach den Eechnungs- und den Beobachtungstafeln zu schliessen, Sonne und Mond die Hauptgestirne, welchen die bab}'- lonischen Astronomen ihre sorgfältigste Aufmerksamkeit zuwendeten. Die Finsternisse waren jedenfalls Erscheinungen, Avelche von der Astrologie zur astronomischen Forschung geführt hatten, und aus ihnen Avurden die ersten wichtigen Erkenntnisse des Moudlaufes gezogen. Sie behielten in der babylonischen Astronomie für immer den ersten Platz. Daher ist es nicht überraschend, wenn Avii- auf den Beclmungstafeln des 3. Jahrh. v. Chr. die Berechnung der Mondfinsternisse bereits in ein wohlüberlegtes System gebracht sehen. In den von Kügler untersuchten Tafeln werden die Mondfinsternisse von den Zahlen einer Kolumne abhängig gemacht, welche die Mondbreite darstellen soll, und bei welcher die Bewegung der Moud- knoten arithmetisch und die monatliche Verschiebung der Sonnenlänge in der bereits früher angedeuteten Weise duixh Annahme ungleicher monat- licher Differenzen hergestellt w^rd. Von da leitet eine HUfskolumne zu den Grenzen hinüber, ob eine Mondfinsternis überhaupt möglich ist oder nicht. Eine weitere Kolumne liefert Zahlen, mit denen mau unmittelbar die Grösse der Vertinsterungspliase erhält. Es existierten eigene „Lehr- tafeln", welche die Berechnung der Mondfinsternisse systematisch angeben, und das eingeschlagene Verfahren hat (wenigstens in Kitglers Material) eine entschiedene Ähnlichkeit mit den Mondfinsternistafeln, welche Ptolemaüs

1) Auch Tanxery (a. a. 0. 165) luutmasst , dass die Babylonior bereits Sounen- tafi'ln sowie andere konstruiert haben. Er meint, dass man diese Tafeln mit Benutzung aus Erfahrung gewonnener Perioden zusammensetzte und in gewissen Epochen er- neuerte. Der Fortschritt, den Hipparch bewirkte, bestand, ausser in der grössern Aus- dehnung der Tafeln, in der Wahl des Frühlingspuuktes als Ausgang für die Zählung der Sonnenlängen, in der Berücksichtigung des Rückschreiteus dieses Punktes, und in der Bestimmung der Länge des tropischen Jahres.

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208 F. K. Ginzcl,

im Almagest (VI c. 7) aufstellt, und kann als Vorläufer der PTOLEMÄisclien Methode angesehen werden. Die Berechnung- der Sonnenfinsternisse war im 3. Jahrh. bei den Babj'louiern ebenso ausgebildet, wie ^iele in den Eechnungstafeln enthaltene Sonnenfinsternisse lehren.') Das zu Grunde liegende Verfahren konnte von Kügler, da das Material nicht ziu-eichte, nicht ganz aufgehellt werden. Dass die Babylonier bei den Sonnenfinsternissen nicht so sicher waren über das Zutreffen der Voraus- berechnung, und wie sie dies den Beobachtern andeuteten, haben wü- schon gesagt.

Bei der Erwähnung der Finsternisse dürfen \{\x eine Kolumne nicht vergessen, welche zu den merkwürdigsten Ergebnissen der Untersuchungen KuGLERs gehören wird, falls sich ihre Deutung durch späteres Tafel- niaterial bestätigt. Dieselbe findet sich auf 2 Fraginenten vor, imd die Untersuchung der Zahlen der Kolumne lehrt, dass die zu Grunde liegende Periode der auomaüstLsche Umlauf des Mondes Ist, und dass das Maximum der Zahlen dem Perigäum, das Minimum dem Apogäum entspricht. Es scheint sehr- wahrscheinlich, dass demnach die Zalilen die Grösse des varüerendeu Monddm-chmessers (wachsend mit der Annäherung des Mondes an die Erde, abnehmend mit der Entfernung) darstellen sollen. Nimmt man an, dass das Maass, in welchem die Zalüen ausgedi'ückt werden, der vierte Teil eines Grades ist, so stellt sich dann aus den babylonischen Angaben der scheinbare Monddurchmesser me folgt heraus, wobei wü- ziu- Vergleichung mit den um Jahi-hunderte später gefundenen noch einige andere historische Werte hinzufügen:

Maximum Minimum Mittel

Babylonier 34' 16,2" 29' 26,9" 31' 51,5"

Ptolemäus 35 20 31 20 33 20

Albategnius 35 20 29 30 32 25

CoPEENicus 35 38 27 34 31 36

Casski 33 38 29 30 31 34

Lalande 33 31 29 22 31 26

Moderner Wert 32 55 29 30 31 12,5

Der bab5ionische Mittelwerth wäre somit nicht nur besser als die Be- träge des Ptolemäus und Albateguitjs, sondern stimmt auch nahe mit Keplers Beobachtung 31' 22" und Copernicus. Das babylonische Maximum liegt der Neuzeit näher als alle Werte vor Kepler, und das Minimum stimmt fast ganz mit dem modernen Betrage. Die Genauigkeit, die uus hier entgegentritt, wäre geradezu erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die Listrumente selbst einer viel späteren Zeit als die der Babylonier noch Fehler »eben, welche die Aimäherung der babvlonischen A^'erte an

1) Z. B. die vou Eppixg bemerkten, welche in meinen ,Spcz. Kation lier Sounen- u. Mondfinsternisse" (259) mit der Rechnung verglichen werden.

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Die a.tfrotioimschen Kenntnisse der Bahißonicr. II. 209

lÜL' in'iuTi'U Itei wcitt'iii übersteigen. Copernicus, ■\velclier nur PToLEMAische Instrumente gebrauclite, giebt bis zu 10' als Beobaclitungsfeliler an, und ProLEMÄus selbst sagt, dass er mit dem HippAucHSchen Astrolabium höchstens 4' des Winkels sicher zu messen vermöge. Waither (15. Jahrh.) l)eobachtete noch auf 10' genau, erst Tycho Bkahes Instrumente getatteten Beobachtungen auf 1 2' richtig zu erlangen, selbst Hkvels grosse Apparate gaben ',.,' wahrscheinlichen Fehler. Die Beobachtungen der Babj'lonier sind auf vielleicht 5' richtig. Unter diesen Umständen Lässt sich, selbst wenn man annimmt, die Balj^vlonier hätten wesentlich bessere Instrumente ') gehabt als Ptolemäi-s und Hipparch, kaum erklären, wie die babylonischen Astronomen zu einer solch frappierenden Genauigkeit betreffs des Moiid- durchmessers gekommen sind. Es wii'd deshalb von hohem Interesse sein, ob sich die von Kugler ermittelten Werte an späterem babylonischen Tafelmateriale bestätigen werden.

Fassen wir unsere Dar.stellung über die Kenntnisse, die in den astro- nomischen Eechuungstafeln der Babylonier enthalten sind, in einem Satze zusammen, so kann derselbe nicht anders lauten, als dass die babylonische Astronomie die unmittelbare Vorstufe für die Fortschritte bildet, welche Hippaech und Ptolemäus erreichten. Ja, es hat allen Anschein, dass die Hauptthaten der Hipparch -PTOLBMAischen Periode, nämlich die kritische Verwendung der alten Beobachtungen, die Ent- deckung der Präzession der Tag- und Xachtgleichen, die Schaffung eines genaueren Beobachtungsmaterials, die Herstellung der Epicyklentheorie zur Darstellung der Bewegung der Planeten, die Begründung der Trigono- metrie und die Entdeckung der Evektionsgleichung in der Mondbahn, sich u n m i 1 1 e 1 b a r a u f d a s b a b y 1 0 n i s c h e "^"i s s e n g e g r ü n d e t h a b e u. Zwischen der Zusammenfassung des astronomischen Wissens der Griechen im Almagest des Ptolemäus und den Kechnungssystemen der Babjionier, soweit wir jene bis jetzt aus den Thontafeln kennen gelernt haben, liegt noch viel Unaufgeklärtes; aber die Fäden, welche die Astronomie der Babylonier mit jener der Griechen verbinden, sind trotzdem deutlich sichtbar. Der Zusammenhang der orientalischen Astronomie mit der abendländischen offenbart sich in einer gewissen Verwandschaft in der Darstellung sowohl des Sonnen- wie Mondlaufes, in dem Modus, hiervon die Berechnung der Finsternisse abhängig zu machen, in dem Gebrauche empii'isch erworbener Perioden der Wiederkelu' einzelner Himmels- erscheinungen u. s. w. Ob die Grenzen des astronomischen Wissens beider Völker werden jemals genau bestimmt werden können, ist zweifelhaft, denn bei der Schweigsamkeit der griechischen Schi-iftsteller über die orientalische Astronomie und dem offenbar geringen geistigen Kontakte, der zwischen Griechenland und Babylonien in späterer Zeit (vielleicht im

1) Auf die Wiukelmessuugeii der Alten kommen wir im III. Aufsatze zurück. 46

210 F. K. Ginzcl,

Gegensatze zu früheren Zeiten?) geherrscht hat, sehen wrr jetzt vermöge der babylonischen Eechnimgst afein klai-er in den Zustand der orientalischen Astronomie des 3. Jalu-h. v. ( 'hr. hinein als in den Zustand der griechischen. Aber es ist kein Zweifel, dass die Griechen, und zwar wahrscheinlich hauptsächlich in der älteren Zeit, sehr Vieles von den Babyloniern über- nommen haben. Hippaech und Ptolemäcs haben manche Vorarbeit vor- gefunden.') Der Mondlauf war vorzüglich erkannt, jener der Sonne hin- reichend erforscht , die zahlreichen Perioden aufgedeckt , und was die Hauptsache war, das astronomische Wissen war streng systemisiert. Es wurde an verschiedenen babylonischen Astronomenschulen gelehrt. Die KuGLERSchen Untersuchungen haben deutlich gezeigt, dass die Eeclmungs- methoden über ein und denselben Gegenstand und einzelne der Eechnung als Basis lüenende Grössen in den Tafeln von einander abweichen, offenbar differierend nach dem Systeme, welches von der betreffenden Schule adoptiert war. Es wäre überaus interessant, wenn einstmals die Auf- findung eines vollständigen babj-lonischen Lehrbuchs der Astronomie ge- länge (Lehi-tafelii über eineine Aufgaben sind bereits gefuDden). Wir würden dann sehen können, ob die Methode der geometrischen Dar- stellung der astronomischen Probleme, me sie uns in breitester Weise im PTOLEJSLÜschen Almagest entgegentritt, schon ihren Vorläufer in Baby- lonien hat oder ein spezielles Erzeugnis des griechischen Geistes ist. Wir würden auch entscheiden können, ob die Begründung der Trigono- metrie wirklich erst mit Hippabch ihren Anfang nimmt imd ob sie nicht schon durch die Chordenrechnung im babylonischen Gelehrtenlager vorbereitet ist.^) Auch würde uns ein solches Lehrbuch über die Frage aufklären, ob die Babj'lonier eine Theorie der Bewegung der Planeten besassen. Die Eechuungstafeln hüllen sich in diesem Punkte eben, weil sie blos Eechnungstafeln vorstellen in Schweigen; und doch scheint es beinahe widersinnig, annehmen zu wollen, dass die Babylonier, welche die Stellung der Planeten am Himmel seit vielen Jahrhunderten beobachteten, sich mit blossen empirischen Wissen begnügt und sich keine Vorstellungen über das Zustandekommen der himmlischen Bewegungen gemacht haben sollten.

1) Man vergleiche hierzu auch die Bemerkungen in C. F. Lehmanns Artikel: , Metrologische Nova", Verhandlungen der Berliner anthropologischen Gesellschaft, 1S96 S. 452 Anm. 5, die durch das hier Dargelegte teils bestätigt werden, teils aber als noch zu behutsam und zurückhaltend bezeichnet werden müssen.

2) Auch Tasnery verneint ^60—68), dass man Hipparoh als alleinigen Begründer der Trigonometrie hinstellen dürfe. Der Boden sei hier von lange her durch die Chordenrechnung vorbereitet gewesen. Die Chorde des Bogens im Kreise, zu deren Verwendung wahrscheinlich schon Arcbimedes den Anstoss gegeben, sei die einzige trigonometrische Linie, deren sich die Alten bedient hätten. Die Aufstellung der trigonometrischen Grundsätze basiere unmittelbar auf der Chordenlehre und sei das Werk Vieler.

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Die a.ifronnmisclinn Keiwtnisur, der Bdhi/hnier. IL 211

Um (k'ii l^j'nrtuss, ilcii die l)al)ylnnisclie Astronomie auf die griecliisclie liatte, zu erklären, mussten wir zuvor eine Übersiclit über die Astronomie der Babylonier geben und dabei die liauptsäcliliclisten Fäden des Zu- sammenliauges andeuten. Vollständig wird das Bild über die kultur- liistorische Bedeutung der babylonischen Astronomie erst dann, wenn wir auch auf die Nachbarvölker der Babylonier einen Blick werfen und gleichzeitig versuchen, uns den Weg zu deuten, auf welchem die Baby- lonier von rohen Anfängen in der Astronomie zu a\ irklichem Wissen vor- geschritten sind. Diesen Versuch, soweit ihn die Lückenhaftigkeit unserer Kenntnisse von den geistigen Beziehungen der alten Völker zulässt, zu wagen, soll die Aufgabe unseres III. Aufsatzes sein.

Vorher wollen wir noch, wie am Schluss des I. Aufsatzes, die haupt- sächlichsten Ergebnisse unserer Darstellung in einige Sätze zusammen- fassen.

1. Die astronomischen Beobachtungen, so\^ohl Winkelmessungen als Zeitbestimmungen, gehen bei den Babylonieru mindestens ins 7. Jahrh. V. Chr. zurück. Kontinuierliche Beobachtungsreilien, durch mehrere Monate oder Jahre laufend, existieren bis jetzt schon aus dem 3. und 4. Jahrh. v. Chr. Die Winkelabstände sind teilweise bis auf 6', die Zeitangaben bis auf 40 Sekunden genau.

2. Die Beobachtungen betreffen Sonne, JMond, Planeten und Finster- nisse, heliakische Auf- und Untergänge, Kehi-punkte, Konjunktionen und Oppositionen der Planeten, Abstände der Planeten von Sternen u. dergl.

S. Die Längen der Arten der Mondmonate sind den Babylonieru mit einer der HippAncHSchen Zeit gleichkommenden Genauigkeit bekannt; den Sonnenlauf kennen sie hinreichend, die ungleiche Länge der Jahreszeiten ist ihnen bekannt, möglicherweise sind sie nicht ganz ohne Kenntnis einer rohen Präzession der Äquinoktien.

4. Die rechnerische Darstellung des Sonnen- und Moudlaufs und der Finsternisse ist mindestens im 3. Jahrh. v. C'hr. völlig systematisch ausgebildet.

5. Sie besitzen bestimmte Anweisungen für das astronomische Rechnen und ermitteln danach die wichtigsten Himmelserscheiuungen epheme- ridenartig für längere Zeiträume im voraus. Ihre Schulen lehren diese Vorausberechnungen nach von einander verschiedenen Systemen.

(5. Die babylonische Astronomie bildet die Gfrundlage für die Ent- deckungen, welche Hippaech und Ptolemäus in der Folge gemacht haben.

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Die Götterkulte von Thera.

Eine liistorisclie Skizze aiif Gnmd der Ausgrabuiifren von ISOli l'.Min. Von F. Hiller von Gaertriugeu.

I.

Auf allen Gebieten dei" geschiclitUclien Eutwickeliing Griecheulauds im Altertum geht unsere Betrachtung zwei Wege: der eiue fülirt auf die sonnigen Höhen "weitester Umschau, universalster Betrachtung, bei der die kleinen Schluchten und Höhen, Ebenen und Gebü-gslandschaften, Küsten und Inseln oft nur- allzusehr- vor dem übermächtigen Sonnenlicht versch^^inden, wo man aber der Gefahr entgeht, kleine örtliche Besonder- heiten imgebühi-Uch zu überschätzen und zu verallgemeinern. Ein anderer Weg spaltet sich bald in unzählige Pfade, die sich oft wieder teilen und fi-üher oder später enden. Es ist der Weg der Einzelforschung. In Griechenland muss üin jeder gehen, der zu einer ■wirklichen innerlichen Kenntnis des Landes und seiner Geschichte kommen Avill. Und oft ent- hüllt die genaue Anschauung eines engen Thaies, einer abgelegenen Klippe dem Auge mehr als die oberflächliche Umschau von einem hohen Gipfel.

Eine der kleinsten unter den griechischen Liseln des Ägäischeu Meeres, wenigstens von denen, die überhaupt ii-gend eiue EoUe gespielt haben, ist die Insel Thera. Auf Dir lag im Altertum eine Stadt, die jedenfalls in den bekanutesten Perioden griechischer Geschichte zu den kleinen unter den zahllosen griechischen Kleinstädten gehört, relativ nicht zu vergleichen mit der Bedeutung, welche die Hauptniederlassungen auf der Insel heutzutage im Bereiche der Kykladenprovinz beanspruchen düi-feu. Aber diese Stadt lag der Forschung offen, so günstig wie wenig andere, und ist, ob man auch noch keineswegs am Ende angelangt, so gut bekannt wie keine andere auf den Inseln, ja man kann sagen "\ne keine andere des KönigTeichs Griechenland. Denn wenn wü- auch in Athen auf der Akropolis jeden Stein kennen mögen und noch besser kennen werden, wenn Kaweraus genauer Plan endlich veröffentlicht sein wii'd, so giebt es in der Stadt nicht um- die berühmten, oder auch verrufenen zwei, die ein russischer Gelehi-ter Mauxis jetzt wiederum behandelt hat, sondern hundert topographische Streitfi-agen , imd anderwärts kennt man wohl

Die Göttcrhiltc von TJiera. 213

lieilif^e Bezirke wie Deliilii und Ol.ympia und einzelne Tempel und Ge- bäude, aber von den ganzen Städten meist nur die allgemeinsten Umrisse eine Stadt wie Theben ist dank Fabuicius, Wilamowitz und Su'iikiadis schon verhältnismässig gut weggekommen; und erst bei Korinth kann nuui hoffen, dass man allmählich nach mühsamer Arbeit weiter zu einem wirklichen Stadtbilde kommen wird. Thera ist vom Schreiber dieser Zeilen, der sich der rnterstützung vieler Fachgenossen für die Gebiete, auf denen sein eigenes Können versagte, zu erfreuen hatte, in den Jahren 1895, 1896, 1899 und 1900 untersucht worden. Die Ausgrabungen und Ergebnisse der luschriftforschuugen von 1895 und 1896 liegen in zu- sammenhängenden Veröffentlichungen vor,') die Eesultate von 1899 und 1900 sind nur Gegenstand vorläufiger Mitteilungen geAvorden,-) und es ■werden noch mehrere Jahre vergehen, bis der ganze Stoff auch nur einigermassen befriedigend durchgearbeitet und dem gelehrten Publikum zur Benutzung vorgelegt ist. Und auch dann Avird selbst das beste Aus- grabuugswerk das Studium der Originale, der Natur und der Denkmäler nicht ersparen. Bei diesem Stand der Dinge kann man heutzutage also noch kein abschliessendes ^^^ort sagen. Aber ein Eückblick auf die ge- thane Arbeit ist Avohl möglich, und ist für den, der mitten darin gestanden hat, leichter als für einen Unbeteiligten.

Doch ich möchte das Thema noch etwas einschränken. Nicht die ganze Kulturentwickelung vermag ich zu schildern dazu ist meine Einsicht in die Geschichte der BauAverke und in manches andere bis jetzt zu unvollkommen. Ich greife heraus die Geschichte der Religion, der Götterkulte, wie sie sich nach den jetzt bekannten Denkmälern und Urkunden darstellt. Manches davon habe ich schon bei fi'üheren Gelegen- heiten gesagt, aber es muss hier im Zusammenhange A\'iederholt Averden.

Was wussten wir von Thera, bevor die Erforschung des Bodens ein- setzte? Die alten Schriftsteller weilen am liebsten bei den Sagen. Kadmos landete dort, errichtete dem Poseidon und der Athena Altäre und Hess seinen VerAvandten Membliaros mit einigen Leuten zurück. Nach Herodot waren das Phoiniker, nach der historischen Forsc^hung unserer Zeit Kadmeer aus Böotien, ein griechischer Stamm, verherrlicht durch die Sage von Ödipus und den Sieben gegen Theben, die sie, ver- streut und über das Meer gejagt, in lonien und anderwärts ausgebildet hatten und die Gemeingut geAVOrden Avar des epischen Heldenliedes. Zu denen kam Theras, auch ein Abkömmling des Kadmos, Vormund der

1) F. Hiller von Gäertbingen, Die archaische Kultur von Thera 1897. In- scriptiones graecae insularum maris Aegaei fasc. III 1898 und Blass in den G{riechischen) D(ialelct-) I(nsehriften). Thera. Bd. I 1899 (Bd. II über die Nekropolen und Gräber- funde von H. DiiAGENDORFF ist im Drucli, vergl. vorläufig Areh. Anz. 1897, 78 ft'.).

2) Arch. Anz. 1899, 181 ff. Ath. MM. XXIV. 1899, 353 ff. XXV. 1900, 461 ff.; vgl. F. Hiller vux Gaertrixuen', Ausgrabungen in Griechenland 1901, "iüff.

214 F. Hiller von Gaertringen,

Könige vrfn Sparta P^iirystlieues und Prokies, deren Mutter seine Scliwester war, mit drei Dreissigruderern , auf denen er Volk aus den dorisclien Pliylen in Sparta (die es damals noch gab) und ]\Iin3'er mitführte, die ■\'ordem spartanische 'N'S'eiber geheiratet, dann aber missliebig geworden waren. Auch die Minj'er entstammen der später Böotien genannten Landschaft und sind gefeiert in der Sage von der Argofahrt. Ein Sohn des Theras bleibt in Sparta zurück, Oiolykos, von dessen Sohn Aigeus sich die Aigeiden in Sparta herleiten, eine <fvXi] ^iyühj, die dort das Heiligtum der Erinyen des Laios und Üdipus gründen; von Theras selbst stammt das Königsgeschlecht von Thera, dem im VII. Jahrhundert Grinos Sohn des Aisanios angehört. Unter diesem führte ein Minyer, Aristoteles mit dem Spitznamen Battos aus dem Hause der Euphemiden, eine Kolonie von meist IJnzufi-iedenen nach Libyen und gründete Kyi-ene. Um 515 Hess sich dann ein spartanischer Königssohn Dorieus von Theräern nach Libyen führen.

Wia- haben also auf Thera bis ins VII. Jalu-huudert Minyer und Dorier unter einem „kadmeischen" Königsgeschlecht; augeblich ^nn Lakonien gekommen. Die älteren „Kadmeer" resp. „Phoiniker" mögen aus der Genealogie des Königshauses erschlossen sein, sie bildeten für die Erzählung den Anlass der Fahrt nach Thera. Die Rolle des Theras im spartanischen Staatswesen, überhaupt die Sanktion der Kolonie durch Sparta sind späte Zuthaten, wahrscheinlich erst aus der Zeit des Dorieus. Trotzdem kaun Lakonien eine Diu-chgangsstatiou der Kolonisten gewesen sein; es kommt nur nicht mehr so sehr- ^iel darauf an. Genug, dass das Doriertum später überwog, und dass die dorischen Staaten, nicht bloss Sparta, sondern auch die Argolis und Kreta, sowie die Kolonie Kyi-ene, thatsächlich eine Fülle von Parallelen für Thera bieten, nicht nur für Religion und Staatswesen, sondern auch z. B. für die Personennamen, welche bekanntlich in weit höherem Masse als die LTmgangssprache alte Anschauungen und Formen festzuhalten pflegen.

Nach Herodot bestanden auf der Insel sieben Gemeinden, und jede derselben wii'd ihre eigentümlichen Kulte besessen haben. So, um dies vorweg zu nehmen, der Hafen Eleusis, den nur Ptolemäus erwähnt, der aber sicherlich schon der ältesten Zeit angehört, einen Dienst der De- meter Eleusinia, deren Monat Eleusinios für Thera bezeugt ist, und der in früherer Zeit grosse Verbreitung gerade im Peloponnes gefunden haben nuiss, lange bevor Eleusis mit Athen zu einer politischen Gemeinde \erbundeii wurde. Ebenso der Ort, der bei dem heutigen Dorfe Mero- vigli und Kap Skaro an der Innenseite der Inselgruppe lag, einen Bezu-k der Athena . deren Grenzniarke aus dem V. Jahrh. v. Chi", noch im Fels erhalten ist. Und so noch mehr. Die Stadt aber, die auf dem ins Meer vorspringenden Kalkfeisen, dem Messavuno erbaut, nur an der Landseite über einen schmalen Bergrücken auf mühsam und kunstreich angelegten

Die Götterkultc von Thcra. 215

Strassen ziij:ciiiig"li''li war, besass natürlicli die wiclitigsteu Heiligt üiner. Wir müssen uns diese Stadt als eine kleine Bergfeste vorstellen, steil nach Südwesten, sanfter und in flachgeöffneten Bogen nach Nordosten abfallend; nach dem Sockel zu wolil schon immer durch Befestigungen geschützt, sonst höchstens durch scliwache Mauern umgeben, obwohl eine einheitliche Befestigung nicht sicher nachweisbar ist. Zu den ältesten Stadtteilen gehört die Agora, an der die später oft umgebaute, in der ersten Anlage aber wohl in die Königszeit hinaufgehende „Königliche Halle", die „Basilika" von Thera lag. Vor ihr war durch eine Stütz- mauer ein freier ebener Platz geschaffen; die grossen rohen Blöcke der Stützmauer tragen in altertümlicher Schrift noch zahlreiche Namen von Menschen. Ein Block scheint auch Poseidon als \r\euixoxo'; zu nennen.') Auf dem Markte stand ein archaischer Löwe, dessen Inschi'ift nicht mehr zu entziffern ist; in und um die Halle sind einzelne Weihungen älterer Zeit gefunden, darunter eine an Zeus und Athena, unvollständig IG Ins. III 427; nach einem 1900 hinzugefundenen Bruchstück: Jioq no[kiios y.ai\ 'yld-ixva[g IlokiäSog] stoichedou geschrieben, etwa um 500 v. Chr. Bruchstücke eines in der Nähe gefundenen Sakralgesetzes (Nr. 450) nennen auch Athanaia und Agyieus. In später Zeit gab es noch einen Priester der Athana Polias, dessen Basis auf dem Markte stand (Nr. 495). Man möchte also gern die von Kadmos geweihten Altäre der Athene und des Poseidon, womög- lichst auch einen Tempel der Athene und ihres Vaters hier suchen ; aber die Ausgrabungen haben keine weiteren Anhaltspunkte gegeben.

Vom Marktplatz, der etwa in der Mitte der Stadt lag, führte eine gepflasterte Strasse in allmälüichem Gefälle und deshalb im Bogen nach dem Ende des Bergrückens, der ganz für staatliche und religiöse Zwecke freigehalten war. Hier bot der in schrägen Flächen anstehende Kalk- fels einem jungen, unverwöhnten, und der erst vor kui-zera erlernten Schreibkuust frohen Volke eine unvergleichlich bequeme Schreibgelegeu- heit dar, welche auch dankbar und ausgiebig benutzt wurde, weniger als kostbare Marmortafeln und Bronzen der Zerstörung ausgesetzt war und uns so eine religions- und sitteugeschichtliche Urkundensammlung allerersten Ranges geworden ist. Man brauchte den graublauen Kalk- fels nur mit einem rohen steinernen oder eisernen Instrument wenig zu klopfen, um darauf Eindrücke zu erzielen, die sich in weissei' Farbe von dem dunkleren Grund abhoben. Das konnte jede ungeübte Hand ; es be- diu'fte keines gelernten Steinmetzen. So erklären sich die zahlreichen Graffiti, menschliche Namen zum Teil mit mehr oder weniger verfänglichen

1) Votivtafel an noatidäv ' I^naorag (?) IGIns. III 441, V. oder IV. Jahrb. v. Chr vgl. Tlicra I 152 Aum. .54.

216 F. Hiller von Gaertrinrjev,

Zusätzen. Hier kommt es aber auf die Altäre au, kleine, etwa vier- eckige Vertiefungen, denen der Name des Gottes beigeschrieben Avurde. Es ist dies zunäclist eine Gruppe mit den Xanien : Zeus (vier mal), Kures (zwei mal), Apollon, Locliaia Damia, Dioskiu'en, Cliü'on, Deuteros, Boreaios und nocli einige minder sicheren. In der Nähe finden wir die Erinyen, Athanaia und Bü-is, weiterhin die Chariten (Kägizsg), Hermes und Kora.'j Über diese Gottheiten habe ich bereits an mehreren Stelleu ausführlicli gehandelt; wichtig sind gerade die, welche nicht zu den anerkannten grossen Göttern gehören. Soviel ist sicher, dass hier die Beschützer der Geburt und Kinderpflege, des Gedeihens der Menschen und der Saaten einen hervorragenden Platz einnahmen. Die Erinyen, Lochaia Damia fördern und bedrohen beides; Chiron ist bekannt als Erzieher, und der Ivm-et und Kora bezeichnen selbst die jugendliche männliche und weib- liche Gottheit, '') mag man sie nun im besonderen deuten wie man will. Den „Nördlichen" als „Altar" zu fassen, wie Blass wünscht, würde um- angehen, wenn ihm ein „Südlicher" entspräche; es kann doch nur der 'Whul gemeint sein, der Wohltliäter der Menschen und der ganzen Natur. Sein Gegenstück wäre ein an anderer Stelle gefundener Steiu mit der spätarchaischen Aufschrift „Nicht anrühi'eu", weü sonst der verderbliche Südwind ausbrechen könnte-') wenn es erlaubt ist auch nur mit der Phantasie diese verschiedenen Stücke aus verschiedenen Zeiten zu ver- binden.

Noch weiter nach dem Yorgebü'ge zu herrscht Zeus in gesteigertem Masse. Zahlreiche Altäre nennen ihn mit seinem eigentlichen Namen und als Hikesios. Ob er auch hier Melichios liiess, konnte nach IG Ins. in 406 noch fraglich erscheinen;*) eine von Wilski 1900 in dieser selben Gegend gefundene Felstnschrift späterer Zeit Ziiq MyjUyjog xwv nsgl IIoXvIevov bringt dies zui" Gewissheit.

"\A'ie Zeus, so wiu'de auch Apollon unter vielen Beinamen verelu-t. Wir haben ihm auf Grund der Ausgrabungen von 1896 ein sehr primitives rechteckiges Gebäude als Tempel oder besser als Uq6? olxos zugewiesen, von dem offenbar eine Anzahl recht später Ehreninschriften mit AVeihungen an Apollon Karneios stammt. In hochaltertümlichen Graffiti wird einmal Apollon , ein anderes Mal Delphinios , d. h. -nieder Apollon angerufen ; auch als Lykeios scheint er verehrt zu seiu.^) Für den Beinamen Kar- neios und das Fest der Karneen sind die ältesten Zeugnisse eine Fels- inschrift am Wege, der von der Begräbnisstätte auf der Sellada an der Hauptquelle der Insel, heute Zoodochos Pege, vorbei zu einer ferneren

1) Vgl. Blass GI>H127. 4728.

2) Vgl. UsESER, Sintthdsayen 72 f.

3) IGIns. III 451 mit eorrigenda, nach Studsiczka.

4) Blass zu GDI ilö2.

5) Blass zu GDIilQl.

Die Göttcrhultß von Thera. 217

Nekropole, Jetzt ria.siides, führt kürzlich von mir im Hermes veröffeiit- liclit und besproclien') und das etwas Jüngere fünfte pythische Gedicht Pindars. Aber diese Zeuonisse werden genügen, um die aus andei-en dorischen Staaten wie Sparta wolilbekainite Karneenfeier in den wiciitigen Zügen auch für Thera anzunelimen und daraus auch die Knabentäuze zu erklären, deren Niedersclilag wir in Jenen alten Graffiti erkennen. ])ies liabe ich des weiteren in meinem Vortrag über die archaische Kultur von Thera ausgeführt und damit auch eine sehr weitgreifende Massregel in A'erbindung gebracht. Es wurde nämlich durch Krri(;htung einer hohen Terrassenmauer im Südwesten und ffinterfüllung mit Bimssand eine ebene Fläche geschaffen, ähnüch wie auf der Akropolis von Athen südlich vom Parthenon;-) dabei aber kam sicher ein Teü der Felsinschriften unter die Erde. Oben nwchten nun Jene festlichen Tänze und auch das neuntägige Zeltlager mit seinen Gelagen stattfinden; ein Teil der Feier freilich konnte, wie die neue Inschrift bei der Zoodochos bezeugt, auch weit draussen vor der Stadt abgehalten werden. Die Erddecke aber schützte Jene alten Schriftdenkmäler gegen frühzeitige Verwitterung und Abnutzung. Auch andere Veränderungen vollzogen sich. Über einen Teü der ältesten Inschriften, derer des Zeus, Eures etc. erhob sich ein noch sehr alter- tümliches Gebäude aus grossen Blöcken, von dem Wolters es wenigstens sehr wahrscheinlich gemacht hat , dass sein Fussboden über aUe die In- schriften und Altäre hinwegging und sie zudeckte zu Gunsten eines neuen Herren, indem ich einmal sehr zweifelnd den Theras vermutet habe.») Im fünften und den nächstfolgenden Jahrhunderten hat man dann hier üi der Nähe noch manche Altäre geweiht, so dem Zeus Stoichaios, d. h. dem Gotte der theräischen oro'ixoi oder Phylen,*) den Nymphen der Hylleer

1) Hermes XXXVI 1901, 13-lff. Zwei jambische Trimeter:

'AyUnÜTig ngatiarog ciyoQuv Iiikuöl

Kc([Q]vfiia d-£bv dttitvilfv lio{v)rL^avtlSa d h Ao-loteles, Sohu des Enipautidas, erster in der öffentlichen Rede, hat am 20. IKarneios] dem Gotte ein Karneenmahl gegeben. In der Nähe hat W.lsk. auch eine alte Weihinschrift für ?8qai gefunden, bei denen man sehr gut an ein Gottermahl, ein lectisternium denken kann. Die Gegend um die Zoodochos wird bei erneuter ein- gehender Untersuchung vielleicht noch weitere Aufschlüsse bringen. Über das Kult- bild des Apollon Karneios hat kürzlich R. Weil auf Grund der theräischen Münzen der Kaiserzeit gehandelt (in der Berliner Ges. für Numismatik).

2) Vgl. die anschauliche Skizze Fig. 23 in E. CiitTius, StadtgcschicMe von Athen 129.

3) IGIns. III 382. Thera 1 288 f. Ich konnte zu Gunsten dieser A'ermutung wohl anführen , dass sich der Stammheros , der die dorischen Phylen in Thera begründet haben soll, sehr gut als Nachbar der im Folgenden erwähnten Phylengottheiten eignete. Ileroeukiilt des Theras bezeugt Pausanias III 1, 8.

4) Wahrscheinlich zerfielen die drei Phylen in je dreissig Unterabteilungen (traiea-at?); so würden sich die drei Dreissigruderer des Theras einfach erklär.'n.

218 F. Hiller von Gacrtrimjen,

und Dyinauen, dem Apolloii ifaleatas des Gesclileclits der fliairippideii. der Ga und der Artamis.

Charakteristisch für diese alte Zeit der tlieräischen Gottesverehrung- ist die grosse Freiheit, die der einzelne hat, und, abgesehen von den Karneeu, die anscheinend geringe staatliche Fürsorge für den Kultus. Der einzelne, oder ein Geschlechtsverband wie die Chairii)piden odei- „die um Pol.vxeuos" hauen sich allerdings in der geheiligten Gegend einen Opferplatz zurecht, neben denen, die andere dort schon hergestellt haben. "N^'as „Kadmos" dui'fte, konnten andere Theräer auch. Eine wertvolle Parallele sind die zahlreichen Felsaltäre von Lindos IGIns. I 791 ff. für Rinderopfer au den Theudaisien, die nebenbei auch noch eine sorgfältige Aufnalime verdienen. Von Priestern merkt mau jedenfalls nichts. Doch hatten natürlich die Könige in ältester Zeit auch priesterliche Ehrenämter, die nach Abschaffung des Königtums auf ihre vermeintlichen oder wirk- lichen Nachkommen übergingen, den dctuiogyö'i^) und die erblichen, lebens- länglichen Priester des ApoUou Karueios, die sich noch im Anfange der Kaiserzeit ilires königlichen Geblüts rühmten.-)

Wünschenswert wäre es aus den alten Kulten auf die Stammeszu- sammenhänge der Bewohner von Thera Rückschlüsse macheu zu können. Hier ist der Stoff für fruchtbare Untersuchungen im Stile von Sam Wides lakonischen Kulten und den Saa-a Gorinthia Sicyonm Phliasia seines Schülers Per Odelbebg. "\\'ie sie zuerst von Cael Robert augeregt süul. Kreta, Lakonien, die Argolis, übenhaupt alle dorischen Staaten bieten zahl- reiche mid wertvolle Parallelen ; Chii-on und die Chariten weisen deutlich nach dem minyschen Orchomenos und Thessalien. Wir wollen bier nur zu weiterer Forschung am-egen, aber nicht ohne Genugthuung bekennen, dass für die älteren Kulte Theras eiu so reiches und sicheres Material vorliegt, wie wir es nicht von allzuAäelen griechischen Städten besitzen.

II.

Einen deutliclien Abschnitt in der gesamten Entwicklung von Thera bezeichnet die Herrschaft der Lagiden auf den Kj'kladen. Ptolemaios Soter begründete sie, und noch Ptolemaios VI. Philometor hatte Garnisonen auf Kreta (beziehungsweise auf der Insel Leuka bei Itanos), im pelo- pounesischen Arsinoe, d. i. wahrscheinlich Methana, und auf der Höhe von Thera. In dieser Zeit von mehr als l'o Jahrhunderten (308 14G V. Chr.) di'ingen auch in den Kultus viele neue Götter ein, die ihr Da- sein stark bemerk1)ar machen. Zunächst die Gottheiten der griechisch- ägyptischen Mischkultur, Isis und Sarapis mit ilu-em Gefolge, Anubis u. a. In ihi-em, zum grossen Teil ans dem Fels herausgeai'beiteten Heiligtum

1) IGIns. III 450, vgl. Henms a. a. 0. S. 137.

2) IGIns. III 868. 869.

Die Götterkulfc von Thera. 219

fand aucli der Kult der g-ött liehen Ptolemäer seine erste Stelle: die l'empel- kasse wird von den Basilisten,') d. li. der Genossenschaft, die den Basileus von Ägypten verelirt, geweiht; ebenda ist eine Votivtafel der Arsinoe I'liiladelplios gefunden, der aucli ein Fest 'Agaivoa gefeiert wurde.'') Dem dritten Ptolenialos galt eine Weihnng auf einer Felsstufe, die den Weg \on der Stadt /um Tempel des Apollon unterbricht ; wohl aus der ersten ]?eaierungszeit , 24(5 v. Chr. Vermutlich wurde bald nachher an der Agora der Tempel des Dionysos Anthister auf Geheiss des Delphischen Orakel (daher nvd-öxQnGiog) gebaut. Seine Verehrung übernahm zunächst eine religiöse Gemeinschaft.-') Doch zeigt die prächtige Terrassenmauer, die den kleinen Tempel trägt, dass es sich um ein wichtiges Bauwerk handelt, und wir werden nicht fehl gehen, wenn wir hier den ägyptischen Einfluss sehen. Zwei hier gefundene Altäre gelten dem Philometor;*) früher schon hat, wie die Inschrift zeigt, der kyprische Bildhauer Simos dem Dionysos eine Statue gefertigt.^) Am meisten fallen jetzt aber die Stiftungen, eines Kleinasiaten in die Augen, der in Thera heimisch ge- worden ist, Artemidoros Sohnes des ApoUonios aus Berge in Pamphylien.'')

1) BaBiherai auf der Insel Sehöl siidlicli Assiian noch unter l'toleuiaios VIII: Strack, Dynastie der Ptolemäer 256, No. 108.

2) Epigramm des Artemidoros, Ärch. Ans. 1899, 191 ff., No. 1.3.

3) Festschrift für O. Benndorf S. 224 ff., Thera I 237 ff".

4) IGIns. III 468 und wahrscheinlich auch 466, vgl. Strack, Archiv für P(q\i/riis- fnrscMing I 1, 1900, 206 f.

5) IGIns. UI 419.

6) P. Meyeh, Das Heeru-esen der Ptolemäer und Eimer in Ägi/pten 1900, 12 Anm. 41 zitiert für ihn die Inschrift aus Ptolemais Bull. hell. 1X1886, 132 ff., einen Beschluss und ein Mitgliederverzeichnis der Techniten um Dionysos und die 0fol 'AösXfpoi. Dort ist ein Artemidoros inüiv jtonjTrys, ein anderer nQolivoi, ein dritter cpiXotexvirrig. Aber wer bürgt dafür, dass einer der drei mit dem obigen identisch war? Zeigen vielleicht die Gedichte des Artemidoros Gewandtheit im epischen Stil? Auch anderen Vermutungen Meyeks über Persönlichkeiten aus theräischen Inschriften kann ich nicht zustimmen, und es sei mir erlaubt, hier einige Bemerkungen zu dem nütz- lichen Buch einzuschieben, dem man auf diese Weise besser als durch uneingeschränktes Lob seine Anerkennung ausspricht. S. 20 letzte Zeile statt ,Kos' lies ,Keos'. Die S. 21 versuchte Datierung der Inschrift IGIns. III 331 unter Philadelphos widerlegt ein einziger Blick auf die mittlerweile veröffentlichte Schriftprobe Thera I 184; so schrieb man erst im zweiten Jahrhundert v. Chr. Die Verteilung der Söldner auf die grie- chischen Städte auf Grund ihrer Namen S. 9 ff. und 21 ft'. ist zum Teil sehr gewagt und unsicher; z. B. Epitimidas, der nach Pape-Benseleh, Gricch. Eigenn. als Kyrenäer bezeichnet wird , ist nach einer auf Thera gefundenen Grabinschrift wohl aus Soloi (JGIns. III 835}. S. 22 wird der Söldner Tychasios als Theräer bezeichnet. Warum? Pape-Benseler s. v. hat: Tvxamos m. Theräer Inscr. 2472 [= IGIns. III 894]. Aber was beweist denn ein Ahqnho? Tvxdeiog Tvxaaiov für die Verbreitung des Namens in der Ptolemäcrzeit? Für diese ist wichtiger ein Tvxäoioi'Oi.[iv&io?'i')\ in Anaphe IGIns. III 250, 14 oder ein Tvxc^Biog Tlolvcüvw MaXXuTog {Bull. hell. III 1879, 424 Z. 10) oder ein Ti'xoiet'osAGrvillxor [Bull. hell. XIII 1889, 76); die beiden letzten sicher Kreter, der erste vielleicht auch, wenn man 'OÄ|oi'»'r/oe| ergänzt. Es ist sehr verdienstvoll, dass Meveb

220 F. Hiller von Gaortrim/cn,

In seiner Jugend nahm er in Oberägypten au einem Zuge gegen die Trogodyten teü. Dann kam er nach Thera, um Eintracht z-nischeu den hadernden Parteien zu stiften, •n-ahrscheinlicli im Auftrage der Ptolemäer oder eines ihrer Nauarchen. Ein Altar der Homonoia drückte den er- reichten Erfolg sinnbildlich aus. Zum Dank erhielt Artemidoros von den 1'heräern das Bürgerrecht und am Arsinoefeste einen Kranz von Ölzweigen. Auch ein Priestertum hat er bekleidet. Seine neue Heimat beschenkte er nun mit einer Fülle von Altären. Den Homonoiaaltar erweiterte er zu einem 21 Meter langen Teraenos, das er mit Relief - Bildern und Gedichten schmückte. Da waren der Adler des Zeus Olympios, ganz nach der Art der ptolemäischen Münzadler, der Delphin des Poseidon Pelagios; der Löwe des Apollon Stephanephoros. Ein C4edicht, dessen Schluss auf Homonoia umgedichtet ist, nannte Wind, Sonne, Mond und Erde. Dazu kamen die Dioskuren mit ihren Sternen; die Götter von Samothrake, die ja von Philadelphos und Arsinoe so .stark bevorzugt wurden, als Schützer der Schiffiahi't, und andere Gottheiten, wie Hekate, der reichtumspendende Priapos von Lampsakos, Tyche, die Najaden (?). Unvergänglich, unsterblich, nicht alternd, ewig nennt Artemidoros all diese aus dem Fels gearbeiteten Altäre. Und daneben hat er sein eigenes Bnd angebracht ganz im Stil der Münzporträts, wie es die Ptolemäer- köpfe zeigen, mit einem Epigramm im lü'eise darum, auch nach der Weise einer Münzlegende, wonach sein Name ihn nicht verlassen wird, solange die Sterne am Himmel aufgehen und die Erde feststeht in ilu'em Grunde. An anderer Stelle, am Aufgange zur Stadt von der Sellada her, sind noch ein Altar der Ai-temis von Perge, die dem Stifter ein neunzigjähriges Dasein verheissen, und einer des Apollon Pythios in Delphi, der ihn gar nach seinem Tode als Gott erklärt hatte beide wohl am ehesten von einem Sohne oder Erben gestiftet. Man kann in diesen zahlreichen AVeihungen mein- oder minder sichere Beziehungen zu den herrschenden Lagiden, und zu der Person des um seine l'nsterblichkeit sehr besorgten

überhaupt diese Fragen aufgeworfen und ihre Lösung versucht hat; aber es fehlt noch die Voraussetzung dazu, das griechische Namenbuch der Zukunft, das uns die Geschichte und Verbreitung der einzelnen Nameugruppeu und zur Nameubilduug verwendeten Stämme in wirklich übersichtlicher Form, mit erschöpfenden oder wenigstens sachgemäss ausgewählten Nachweisen lehrt. Solche Artikel wie ©tiiiar-, Qi^ißxo-, -^taisoier Mavä^o- in Bechtei.s Personennamen, oder OiQaixr^i und Verwandtes in üseneus Stoff des griech. Epos {Sitz. Ber. der Ak. der Wiss. in Wien, phil-hist. Kl. CXXXVII 1897, 49 ff.) zeigen, was hier noch für eine gewaltige Arbeit zu leisten ist. Mit Nachschlagen des alten Papi-:- Bexselek ist heutzutage nichts mehr gethan; aber freilich wer kann verlangen, dass sich jeder ad hoc selbst das Material aus der unendlichen epigraphischen und Papyrus- litteratur zusammensucht? Da ich einmal bei Meyers Buch bin, so möchte ich noch mit Freuden hervorheben, dass Haussoui.lier, Ecv. de philol XXVI 1901, 29, 2 soeben in dem Adressaten des Ptolemäerbriefes von 228 (IGIns. III 327) den 'A:^ol.Xd)Vios Xuaijilov ©riQuios i]yi^u>v räv t^ca rd^icov erkannt hat.

Die GüUcrkultc von Thera. 221

Stifters erkennen, der den frommen Anlass jedesmal benutzt, um sicli bei Göttern und irenscben möf^lichst eindringlich in Erinnerung zu bringen. Bei den Bildern vnri man sich mehr an ägyiitische und kleinasiatische ^'orbilder erinnert fühlen als an (iriecliisches; für die theräische Keligion hingegen, wie sie bis dahin bestand, ist aus diesen Schöpfungen eines Fremden, so sehr sie sich jetzt auch aufdrängen,') unmittell)ar selir wenig oder gar nichts zu entnehmen. Das gleiche gilt z. B. auch von einer ^^'eilumg an Sabazios, die am Markte gefunden ist; sie gehörte sicherlicli einem tlirakiscli-phrygischen Söldner.

Nebenher dauerten die alten Staatskulte fort, besonders der des ApoUon K'arneios und vermutlich auch manche vorstädtische, wie der des Dionysos ngd a6).£wg, dessen Priestertnm ebenfalls erblich war ; nach dem Aufhören der Ptolemäerherrschaft mögen sie sogar zum Teil wieder gesteigerte Bedeutung gewonnen haben. Ausserdem hatte aber auch jedes Privathaus seine Götter."-) Dies haben erst die Ausgrabungen von 1899 und noch mehr die von 1900 gezeigt, in denen einige grössere Gruppen von Wohn- häusern ganz fi-ei gelegt worden sind. Früher hat aus den Zeugnissen der Sclu-iftsteller heraus Christl^-n Petersen in einer nützlichen kleinen Schi'ift Da- Haiisgottesdienst der alten Griechen, Cassel 1851, zusammen- gestellt, was -nir von diesen Kulten wissen; er bemüht sich auch, die typischen Plätze im griechischen Normalhause zu bestimmen. Die the- räischen Häuser sind leider keine Normalhäuser, und die Plätze der Altäre waren fast nirgends die ursprünglichen; dazu waren diese Woh- nungen vielzulange in byzantinischer Zeit benutzt , umgebaut und ver- wüstet. Wir- müssen uns daher meist darauf beschränken, die Gattuugen der Altäre namhaft zu machen. Meist sind es kleine ^•iereckige Escharen, oft aus einem porösen Stein; manchmal zierUche cylindiische Altäre mit guten Profilen aus Marmor, (He kleineren, die vielfach wohl niu- als Eäucheraltäre gedient haben mögen, oft ohne Inschrift. Unter den Göttern finden \m- Hermes unter seinem eigentlichen Namen {'Egfia) und als Gott der Thürangel {^TQocpioq).^) Dann, 'nie zu erwarten, Hestia, meist allein, einmal mit Zeus Soter vereinigt. Häufig sind Tyclie oder Agathe Tyche und Agathos Dämon, schon vereinigt in der Inschi'ift des Archinos aus dem Tempel der Göttermutter, die dem 4. Jahrh. v. Chr. angehört^) Qtöq' 'Aya&äi Tv^ai' 'Aya&ov Jaifiovog. AMr finden verschiedene Formen:

1) Näheres über Artemidoros im Anseiger des Jahrbuchs 1899, 187 ff. ; im übrigen miiss ich auf Thera Bd. III und die Supplemente des Corpus vertrösten.

2) Griechisch ivor/.iSioi %(oi. So werden in der Inschrift aus dem Heiligtum dos Zeus Panamaros Bull, hell XII 1888. 269, 54 Zeus Ktesios, Tyche und Asklepios genannt.

. 3) Ein kleiner inschriftloser Altar des Hermes und Herakles, durch seine rohen Darstellungen als solcher gekennzeichnet, ist auf der Agora gefunden; abgebildet und von Wolters besprochen in Thera 1247 f. 4; IGIns. 1114.36.

Beitrüge z. alten Geschichte I 2. *^

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222 F. Hillcr von Gacrtringcn,

Ti'Xtt^)' Tiiya^- Tvyr,g' 'Aya&üq Tvyag- 'Ayadov zJaiiiiovug. Auch vereint 'Aya&oü Jcdtiovog 'Aya&ijg Tvyrfi und aucll Aioq ^Lwir^oog xal 'Ayaftoii Jaiuovog. Mehrere dieser Altäre sind nahe beisammen bei einem Hause gefunden, welches unmittelbar südlich an die Agora angrenzt. In diesem Hause stand eine Statue der Glücksgöttin selbst, an einen PfeUer gelehnt und ein Füllhorn haltend, von leidlicher hellenistisclier Arbeit. Schwerlich war dies ihr ursprünglicher Standort ; aber die Annahme liegt nicht fern, dass ein Tempel der Göttin in dieser Gegend gelegen hat. Wäre dem so, so käme nur ein längUcher sehr zerstörter Bau in Betracht, der zAvischen Agora und Theater liegt und durch Umbauten so entstellt ist, dass fast nur die beiden schönen breiten Stufen des Eingangs Zeugnis von der ehemaligen guten Bauart ablegen. Das wäre der T.vchetempel, den nach einer Inschrift Phlavios Kleitosthenes Klaudianos nach 149 n. Chr. ■nieder hergestellt hat; und ilim wären einige der Altäre zuzuschi-eiben, die dann als Hausaltäre in Wegfall kämen. Dies sind nur Möglichkeiten, die ich doch nicht übergehen wollte.

Auf besondere Ereignisse zurückzuführen siiul zwei Altäre, die unter- halb des Marktes gefunden siud und den Zeus als den im Blitz nieder- fahrenden (/Jiog KuTttißuTci) und den donnernden und blitzenden nennen {diog ßgovTwvTog y.al aargünTovrog). Dass dem Zeus Kataibates in Tareut vor vielen Hausthüren geopfert wurde, erzählt Klearchos von Soloi mit anekdotenhafter Begründung. -) Auch sonst finden sich öfter kleine Altäre des Zeus; einer ohne Beinamen bei der Agora;') häufiger als Soter (//tös" ^uTTioogY); dies auch im Verein mit anderen Göttern, Hestia und Aga- thodaimon (Eariag xal Zrjvog ^lorygog, /tios ScüTr,Qog y.al'Aya&ov ^cel/iovog). Auch dem Zeus, der Besitz und Erwerb schützt, gilt eine Eschara : Zivg KTi',((jiog).

Endlich erwähne ich einen sehr eigenartigen Altar. Er trägt die Inschrift

KOYtHCJI rEjlANlll die man wohl um- deuten kann: KovQi,a\i\ 7iilav\og\. D. h. die Eschara ist der Ort, auf dem der den Kiu-eten bestimmte Opferkuchen verbraunt wird. Solche Kuchen opferte man nach den Ausführungen Stengels^) besonders den chthonischeu Gottheiten ; aber auch z. B. dem Zeus Hj-patos. „Spenden wiu'den, abgesehen von den verhältnismässig seltenen acfdyia, bei jedem Opfer dargebracht ; Kuchen hat man viel seltener geopfert.

1) IGIns. ni 446/7.

2) Athen. XH 522f., vgl. E. Curtics, Ges. Abh. I 109.

3) IGIiis. m 426.

4) So zweimal; dazu IGIns. 111430: Jib.; ScotTjqos, AaiyÖQov mit dem Xamoii des Stifters im Genetiv, wie auf den alten Felsinscliriften.

5) Hermes XXIX 1894, 281 ff.

11

Die Göifcrkultc von Thera. 223

So ist es iiatürlii'h, tlass wir über die Kulte, in denen der ntlavog blieb, weniger erfahren." Das ihn die Kureteu bekamen, scheint sonst nicht überliefert, (befunden ist dieser Altar am Südwestabhange in einem kleinen Räume, der als A\'erkstatt für einen Kimstler gedient zu haben sclieint, da dort eine Anzahl Terracotten und unter diesen auch ein schönes lebens- grosses Thonmodell eines bärtigen Männerkopfes gefunden ist. Ein tholos- förmiger Ofen daneben diente vielleicht zum Brennen der Thonwaren. Ebenda lag ein Bruchstück einer weiteren Eschara, dessen Ergänzung ich als Eätsel aufgeben möcjite, in der Hottuuiig. dass sich ein Ödiims findet :

MTHC

n I N 11 C

Der erste Buchstabe der oberen Zeile war A, J oder y/, der erste der unteren T oder F. Es scheint sich um Aphrodite mit einem Beinamen zu haudeln.')

Die Form dieser Altäre oder Escharen ist meist rechteckig; oben pflegt ein erhöhter Eand zu sein, um das Herausfallen der brennenden Masse zu hindern. Die Abmessungen sind in der Eegel gering; z.B. 17, 18, 29, 42 cm Länge bei geringerer Tiefe und ca. 10 20 cm Höhe. Man liebte es dazu poröses Gestein zu verwenden; aus Marmor sind meistens die Altäre von anderen Formen, besonders die eleganter pro- filierten öfter mit Buki-anien und Guirlanden verzierten cylindrischen. Aber gerade die jedes Luxus entbelu'enden Escharen zeigen uns den schlichten Kultus des Volkes, besser als fürstliche Altaranlagen und prunk- volle Tempel, und als all die heiligen Tiere des Ai'temidoros;

Daneben hat ein sehr viel geringeres Interesse die Verehrung des Hermes und Herakles in den G3^nnasien, die in Griechenland allerorten und auch auf Thera unter ihrem Schutze standen interessanter als die zahlreichen Inschriften ist ein im Jahr 1900 in dem Häusergewrrr der Oberstadt gefundener Marmortorso des Herakles, Eumpf und Ober- schenkel, das Löweufell in der Linken, von frischer hellenistischer Arbeit und manches andere. Die sehr zahlreichen kleinen Aphroditestatuetten, die fast überall gefunden sind, wollen wir lieber für deu Kult gar nicht verwenden ; sie waren wohl einfache Zimmerdekoration. Besonders beliebt als solche niuss die sandalenlösende Aphi-odite gewesen sein; ausser dem leidlich guten Exemplar, das schon in Thera I Tafel 22 abgebildet und dort S. 251 von WoLTEBs besprochen ist. haben vrir im J. 1900 Stücke von nicht weniger als di-ei kleineren Statuetten der Art gefunden. Dagegen scheint

1) Man wird sich nicht leicht zu der Ergänzung [A(pQod]itrig [Aißi,t]ivrig entschliessen, so gut es äusserlich passen würde. Vgl. dazu Wissowa in Roschebs Lex. der Mi/th. II 2035, Dion. Hai. ant. Ruin. IV 15. An [MüiT\lvi,g denkt 0. Kern.

1.5* 12

224 F. Hiller von Gacrtringen,

Ai'temis') eiiie wü'kliclie Yerelirung an einem eigens ihr geweiliteu Platze gehabt zu haben. Wo, ist nicht sicher, aber die verstreuten Funde weisen auf einen Ort zwischen der Basilike Stoa und dem südwestlichen Stadt- rande. Es sind zwei Statuetten der Göttin, ein INIarmoraltar mit Bnkrauien und Guirlanden und der Aufschrift 'AurduiTog, ferner eine Votivtafel: YEQv\o<i 'AyX(ij(fttVi\og ÖeoyMiSjjg [IGIns. III 515 6) t)]v TQC]ijäElTiv \"Aqt{\hiv Iv &oivy.Y(~ü tcoS' ai'e&r/y.s &£dv\. und eine kleine Basis:

Elvodicc 2wTH0a (fouo[(föoi -]

jigraui xal ^gvakttg a - - - Ein wirklicher Tempel ist in dieser Gegend nicht nachweisbar: vielleicht kann man ein besseres Gebäude, das zwei grosse Zimmer und zwei kleinere Gemächer enthielt, und im grössten Zimmer mit einem Jlosaik aus bunten Marmorsteinen geschmückt war, als isgog olxog der Göttin be- zeichnen.

Nebenbei erwähne ich, obwohl sie erst der späteren Kaiserze.it angehört, eine Anlage, die man als Asklepieion benennen mag, die aber schwer aus den mittelalterlichen Umbauten auszuschälen sein wird. Ein rohes Kapitell trägt die Inscluift: Qewv /nsydkiov knrjxöuv 'Acxh/niüv 'Ynctraitav. Der Asklepios von Hypata ist auch im grossen Heiligtum von Faros verehi-t, welches in der Kaiserzeit einen neuen Aufschwung als Heilanstalt ge- nommen und vielleicht das Vorbild für die theräische Gründung gegeben hat. ApoUou von H}"i)ata findet sich auch dem Asklepios von Epidauros beigesellt. Näheres wissen ■nii* über die Verhältnisse der ötäischen Stadt nicht.

Ausser den Göttern verehrten die alten Theräer aber auch ihre Toten, und ihnen wandten sie vielleicht zu allen Zeiten die grösste Sorgfalt zu, mehr wohl als ilu-eu eigenen privaten und öftentlichen Bauten. Schon in den ersten Jahrhunderten beweisen dies die reichen Beigaben, die prächtigen grossen Vasen geometrischen Stils. Dann die aus dem Fels herausgearbeiteten Grabanlagen an der SeUada, an der Strasse, die von dort am Nordabhange des EUasberges hinführt, und am Südkap der Insel, wo die grosse im Hochi-elief gearbeitete Schlange an der Felswand und die meist erst der hellenistischen und römischen Zeit angehörigen Grabfagaden vernehmlich genug sprechen. Im di-itten Jahrhundert \nxA. Artemidoros von Perge von der Pytliia nach seinem Tode {fiQwg) als un- sterblicher Gott anerkannt, und um die Wende des di-itten und zweiten Jahi-himderts oder etwas später errichtete Epikteta füi- ihren Gatten und ihre Söhne, die ihr- im Tode vorausgegangen waren, und sich selbst das Museum, in dem alle Jahre eine di-eitägige Gedächtnisfeier für die Stifter stattfindet. Der Heroenkultus hat dann bis in die späte Kaiserzeit ge-

1) Besondoi-5 als Hekate. Vgl. Ath. Mitt. XXV 1900, 462. 13

Die GöfferhiJfe von TJicra. 225

dauert, nach den unsä<i:licli rohen Heroenmahlreliefs zu schliessen wolil bis tief ins vierte Jahrhundert nach Christi Geburt. Viel frülier, viel- leicht schon am Ende des ersten Jahrhunderts, trat ihm der christliche (Uaube in einer sehr eigentiuulicheu Form entgegen, die neulich Achki.is als Spuren des Urchristentums auf den griechischen Inseln') eingehend gewürdigt hat. An die Stelle der Grabstele, die den Namen des Ver- storbenen nennt, tritt der Stein des Engels (ceyyüov), der die (irabesruhe des Toten schützt. Die christliche Nekropole lag auf der alten „geometrischen", an der Sellada, während die späteren Heroenmalildarstellungen meist von anderen Orten zu stammen scheinen ; hat doch Dr.iigendorff bei seinen Grabungen kein solches Eelief gefunden. Daraus möchte man auf ein Überwiegen des christlichen Elements schliessen, das immer noch die Fortsetzung des heidnischen Brauchs bei den Dorfbewolmern (jjmjani) gestattet, während die städtische Bevölkerung schon dem neuen Glauben zugethan war. Das friedliche Nebeneinander hatte aber auch Mischungen der Anschauungen zur Folge. Einen Fall, in dem der Engel und die Heroisierung vereint erscheinen, hat Achelis gegen meine Bedenken in Schutz genommen; einen anderen versteht man erst jetzt. Auf einem Steine-) steht ußarov, und daz-ftischen und darüber ist mit fast gleich- artigen Buchstaben das Wort äyrilov eingehauen, als wäre es beal)- sichtigt, das eine durch das andere zu ersetzen; wobei jedenfalls die Farbe, die jetzt nicht melir da ist, stark mithalf. Was bedeutet hier ußarov? Man könnte an ein Blitzmal denken, an den durch den Zeus Kataibates gekennzeichneten Platz. Die beiden Abaton-Inschriften IGhis. III 453,'-4 bieten nichts zur Deutung. Aber ein Stein, der erst im Jahre 1899 am Nordfusse des Stadtberges bei Kamari gefunden ist, fühi-t uns zur richtigen Lösung: äßarov i'iguJtaaag <I>£Qaßwkag. Der Ort, dessen Betreten untersagt war, war also ein Heroon. Und an die Stelle des Heroenglaubens trat hier der Engel. Nebenbei bemerke ich, dass sich auch an der p]cke der mittleren Marktterrasse, an einer einmündenden Strasse, das Wort Angelos angesehrieben findet ; hier schwerlich im sepul- ki-alen Sinne.

Ich habe nur kurz eine lange Entwickelung gestreift, die eingehender zu zergliedern eine dankbare Aufgabe wäre, und bin damit schon in die spätesten Zeiten des hellenischen Altertums hinabgestiegen. Für vieles einzelne muss ich auf meine Ausfühi-ungen in T/ura Bd. I^ verweisen. Auch für die Götterkulte ist s(;hon manches berührt, was erst der Kaiser- zeit angehört, wie z. B. die AsklepiosinscMft. Die göttliche Verehrung des Augustus und der späteren Kaiser hat nichts für Thera besonders

1) Zeitschrift für die nculcslamcittL ll7ssfi»sc7(«/'< I 1900, 87 ff.

2) IGIiis. III 455.

3) Älteste Zeit S. 149ff. , hellenistiselie Periode S. 171 ff. , römische und christ- liche: S. 178 ff.

14

226 F. HiUer von Gacrtrirnjoi,

charakteristisclies, ausser dass mau liier deutlicli erkeuneu kauu, wie iu Ai"t uud Forui der Anscliluss des Kaiserkults au deu ilnn \orausgegangeueu Dieust der Ptolemäer angestrebt und erreicht worden ist.') Das Christentum kam, wie augedeutet, schon früli, wohl bereits im ersten Jahrhundert. Chiistlich ist iu der Oberstadt eine kleine Kapelle, die sich durch ihre abweicheude Orientieruug von der ganzen Umgebung bewusst abliebt; war der Ort des Sonnenaufgangs massgebend, so muss die Erbauung nicht weit von der kürzesten Periode des Jahi-es fallen. Später hat dami das Chi'istentum die heidnischen Kultstätten okkupiert und dadurch zum Teil erhalten: den Tempel, deu "wir vermutungsweise dem ApoUon Pytliios zugewiesen habeu,^) das kleine Felsheiligtum, das jetzt Christos heisst, deu alten Bau, auf dem der H. Stephanos errichtet ist, welcher den Auf- gang zum Stadtberge beherrscht uud ihm für- lange Zeit den Namen gegeben hat, uud das grosse stattliche Heroon, an das sich die Kapelle des Evangelismos oder Maria Verkündigung angenistet hat. Schon auf dem Konzil von Chalkedon 451 n. Chr. war Thera diu'ch einen Bischof vertreten. Nicht vor dem neunten Jalu'hundert wurde die hohe Stadt auf dem ilessa'^^ino verlassen; die bischöfliche Ku-che, uqch heute Episkopi genannt, soll nicht lange darauf am Nordabhange des Eliasberges, unweit des Dorfes Gonia, gegründet sein, wo sie noch heute, wenn auch ihrer fi'üheren Bedeutung entkleidet, steht.') Grosse Kü-chen- und Kloster- ruinen sind bei Perissa, am Südfusse des Jlessavuuo, zum Vorschein ge- kommen ; auf dieser Seite, bis nach dem Dorfe Emborio und auch nördlich bis Messaria, hin, besitzt auch das Kloster des Apostel Johannes, des Theologen, in Patmos ausgedehnte Läudereien.*) Am steilsten Felsabhang des Messamno, in Askitario, hausten noch im neunzehnten Jahrhundert zwei Einsiedler, die mit grösster Mühe und Entsagung ihre kleinen Zellen uud Gartenterrassen anlegten und gute Saumpfade nach Kamari hinab, sowie zum Evangelismos uud nach der Sellada hinauf bauten, aber, wie es heisst, wegen ihi-er Verbindung mit deu Schmugglern die Insel ver- lassen mussteu. Erst im achtzehnten Jahrhimdert wurde das grosse festung-sartige Kloster des Proplieten Elias auf dem höchsten Gipfel der Insel ei-baut, dessen Mönche dann den ganzen Stadtberg für sich in Anspruch nahmen und im Evangelismos ein Metochi errichteten, von dem aus ilir Pächter seine Herden auf die Weide trieb und die schmalen Ackerterrassen mit Gerste, Sesam und Tomaten bestellte. Nach der Be- fi'eiung Griechenlands fühi-te die allgemeine religiöse Bewegung, die auf

1) Thera I 175. 237 ff. [Vgl. Kobsemaxs in diesen Beiträgen S. 102, über Ahnliches in Pergamon auch S. 99].

2) Thera I 254 ff.

3) Gründung der Kirche Episkopi durch die byzantinischen Kaiser nach J. de Cigalla, riviv.i] atatiGTivA] ri/s vipov ©ijgcc 1850, 92 Anm. 4.

4) WiLSKi, Thera I 349.

15

Bio Göllorknlte von Thera. 221

'IV'iios den l>au einer i)niiikvollen Wallfahrtskirclie zur Folge; liattc') und (leren ^^'il■kung ich nocli 1802 in dem abgelegenen P^ilande Kasos ver- spürte, auch auf Thera zur Errichtung einer grossen Kuppelkirche in Perissa, an der Stelle der alten Klosteranlagen; an ihrer Ausschmückung ' wurde noch in den letzten Jaliren eifrig gearbeitet. Gegenwärtig ist eine neue Metropolitankirche in der Hauptstadt Pliira im Bau, zu der l'rivatleute namhafte Summen beigesteuert haben ; die alte, die nebenher das Verdienst hat, in ihren Nebenräumeu den Denkmälern des klassischen Altertums aus den Ausgrabungen-) und obendrein der K. griechischen Meteorologischen Station Schutz geliehen zu haben, ist als den Ansprüchen niclit mehr genügend abgetragen worden.

Neben der griechisch-orthodoxen Gemeinde, die bei weitem überwiegt, hält eine kleine Zahl, zu der aber viele der ältesten und reichsten Fa- milien gehören, am römischen Katholizismus fest. Sie haben ihren eigenen Hischof" und leben im übrigen mit den anderen in bester Eintracht: erhebüche Verdienste haben ihre Geistlichen um die Avissenschaftliche Forschung erworben, besonders als aufmerksame und verständige Beobachter von Land und Leuten und von den merkwürdigen vulkanischen Phäno- menen, wie sie schon im 17. Jahi'hundert der treffliche Psee Richakd ge- wissenhaft verzeichnete.

Dies die äusseren Ereignisse; die vielfachen Spuren der alten Religion, die sich in Sitten und Aberglauben"') der heutigen Bewohner erhalten haben mögen, zu verfolgen, wäre wohl eine lohnende Aufgabe; aber sie überschreitet den Rahmen dieser Skizze. Gar keine Spuren auf Thera hinterlassen hat die Religion des Islam.'»)

1) Vgl. darüber zuletzt den anregendeu Aufsatz von A. Bauer, Delos und Tinos (Nord und Süd 1900).

2) [Zur Zeit der Ausgabe dieses Heftes wird hoffentlich das Museum auf Thera, dessen Bau im Mai 1901 begonnen hatte, der Vollendung nahe sein und alsbald neben der neuen Kirche ein Zeugnis von dem Aufschwünge der schönsten griechischen Insel ablegen.]

3) Mancherlei darüber findet sich in dem Werke des Abbe Pj:gi!e3 und schon im älteren des Pore Richard über Thera; selbstverständlich unter starker Betonung des eigenen konfessionellen Standpunktes.

4) Nachträge. Zu S. 11 unten: Man könnte auch an KovQr,s -xii.avo? , Opferkuchen der Köre', denken; mit atfektiertem lonismus. Zu S. 14 oben: (irabeswächter ist der Engel auch in der Inschrift von Larissa bei Kern, Lism: rhesmlicae {Progr. llostock 1899/1900) 9, V (vgl. Achei-is a. a. 0. 100), wo Z. 1/3 wohl \-i7tirv\vßws &yyi,[X]og zu ergänzen. Die heidnischen Delpher hatten eine Mqrpodi'r/j initviißiäicc.

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228

Die drei ältesten römisclien Tribus.

Von L. Holzapfel.

Hinsiclitlicli dieser drei Abteilungen, in welche die römische (Temeinde ursprünglich zerfallen sein soll, bestand bis vor kurzem nur die kontro- verse, ob diese Gliederimg eine künstliche war oder auf dem einstigen Vorhandensein verschiedener zu einer politischen Einheit verschmolzener Staaten beruhte. Diese Frage, welche von den meisten Forschern im letzteren Sinne beantwortet wii'd, tritt indessen jetzt vor einem anderen Problem ziu-ück. Niese hat nämlich in der ersten Bearbeitung seines Grundrisses der römischen Geschichte (in Müllebs Handb. d. klass. Alter- tumswiss. III, Nördlingeu 1886, S. 585) darauf hinge^\•iesen, dass bei Livius an der Stelle, wo die von Eomulus vorgenommene Einteilung der Bürger- schaft in 30 Kui'ien und die Stiftung der drei Eeitercenturien der Tities, ßamnes und Luceres^) erwähnt wird (I 13, 60".), von der Eimichtung der drei Tribus, nach denen diese Centurien benannt Avorden sein sollen, keine Eede ist, und hieraus die Folgerung gezogen, dass die ursprüngliche Überlieferung von einer Dreiteilung der römischen Büi'gerschaft nichts gewusst habe. Zu seinen Ausführungen gesellte sich dann der von Bor- MÄ^•^' (Die älteste Gliederung Eoms, im Eranos Vmdobmensis. Wien 18Ü3, S. 345 ff.) versuchte Nachweis, dass aUe auf jene Einteilung bezüglichen Angaben nicht auf alter Tradition, sondern auf Eückschlüssen beruhten, cUe erst Varro aus verschiedenen zu seiner Zeit bestehenden Einrichtungen und Benennungen gezogen hätte.

In der That scheint diese Annahme, welcher Niesb in der 18'.>7 er- schienenen zweiten Auflage seines Grundrisses (Mlllers Handbuch der klass. AltertumsA\iss. III. 5. Abt., S. 22) zustimmt, diu'ch die von Bokm.\nx (S. 34(5) zitierten Stellen aus der Schrift de Ii7i(/ua Latma nahe gelegt zu werden. Es finden sich daselbst folgende Kombinationen. Zunächst

1) Livius selbst neuut sowohl an der zitierten Stolle als auch sonst (I 36. 2, X 6, 7) die Baumes an erster und die Tities an zweiter Stelle; doch ist die obige Reihenfolge, wie aus den von Mommses (R. Staatsr. III 97 , Anm. 1) gegebenen Belogen erhellt , am besten bezeugt. Zur A^oransfellung der Bamnes mag die Ableitung ihres Namens von Bomiihis Anlass gegeben haben.

229

fülirte \';uTO auf die Dreiteilung der Gemeinde die Hezeiciiiuing trilms zurück (\ .■>:)) und leitete sodann von diesem Worte die in späterer Zeit den sechs Legionskommandeuren zukommende Benennung trlbuni militum ab, indem er annahm, dass ursprünglich die Befehlshaber der von den drei Tribus gestellten Heeresabteilungen so geheissen hätten (V 81). Die Normalstärke der ältesten, das gesamte Aufgebot in sich begreifenden Legion betrug nach seiner Ansicht 30üO Jlann, wozu jede Tribus ein Kontingent von 1000 Mann lieferte. Hiernach wurden die Soldaten milites genannt (V 89). Ferner brachte Varro mit der Dreiteilung die (iliederung der 30 Mann starken Keiterturmen in drei Decurien unter di-ei Decurionen in ^'erbinduug, indem er in den letzteren Abteilungen die von den einzelnen 'J'ribus gestellten Kontingente erblickte und demgemäss turma aus einem hypothetischen von ter abgeleiteten tei-ima hervorgehen Hess (V 91, ebenso Curiatius bei Festus p. 355 M.). Jedenfalls hat er, wie man mit Bokm.wn (S. 348 ff.) annehmen darf , auf die (ü-ei Tribus auch die doppelten drei Ritterceuturien der Tkies, Ramnes und Luceres, welche in der späteren Zeit der Republik in den Centiu'iatcomitien nach den übrigen zwölf Ritter- ceuturien besonders abstimmten') und von denselben durch die Benennung sex suffragia unterschieden wurden, zurückgeführt und ebenso hiermit die tribuni celet-um, die zu seiner Zeit sakrale Funktionen hatten (Dionys II 64 , fast. Praen. CIL. I- p. 234) , ihrem Xameu nach aber allem An- schein nach ursprünglich Reiterführer gewesen waren, sowie auch die bei Abstimmungen über sakrale Angelegenheiten beibehaltene Gliederung der Bürgerschaft in dreissig Kurien in Zusammenhang gebracht.

Wie man aus dieser Zusammenstellung sieht, boten die zu ^"arros Zeit noch vorhandenen Einrichtungen und Benennungen genügenden Anlass, auf eine m-sprüngUche Dreiteilung der Gemeinde zu schliessen. Bokmann ist nun der Ansicht, dass die soeben angeführten Kombinationen keine zwingende Beweiskraft hätten, und sucht dies im einzelnen nachzuweisen. Man wird gerne zugeben, dass für keine einzige der in Betracht kommentlen Thatsachen und Bezeichnungen die von Varro gegebene Erklärung un- bedingt notwendig ist, sondern dass in den verschiedenen Fällen auch andere ]\Iöglichkeiteu denkbar sind. Aber andererseits haben doch, wenn man von der allerdings sehr unsicheren Zurückführung von tt-ibus auf tres absieht, die varronischen Aufstellungen grosse Wahrscheinlichkeit und gewinnen tladurch, dass sie sich gegenseitig stützen, an Beweiskraft. I )iesem Pjudruck hat sich Boumaxn selbst nicht zu entziehen vermocht, denn auch ihm scheinen jene Kombinationen „so naheliegend, dass man ver-

1) BoRMASNs Bemerkung, dass diese Kitterseliaft zu Varros Zeit in der .Stinini- ordnung einen bevorzugten Teil gebildet hätte (.S. 349), beruht auf einem Irrtum. Naeh den von Mommsen (R. Staatsr. III 292) angeführten Belegen kann kein Zweifel darüber bestehen, dass die sex. suff'ragia nach den übrigen zwölf Kittereeuturien , die ihrerseits zur ersten Klasse zählten, ihre Stimmen abgaben.

280 L. Hohapfnl,

iniiteu niöclite, den röiiiisclieii Forsclieni liätteii (liesell)eu ganz oder teil- weise sich schon früher auftlrängeu müssen nud wir hätten bloss zufällig keine Kunde davon" (S. 351). Jlan wird daher auch dann, ssenn die auf die di-ei ältesten Tribus bezüglichen Angaben ^virklich erst durch Varro in Umlauf gesetzt worden seiu sollten, geneigt seiu, sich mit E. Meyer (C4esch. des Altert. II 830) dahin zu entscheiden, dass Varros Scliluss richtig ist und wir ihn wiederholen müssen.^)

Eine genauere Untersuchung der Berichte über (Me aou EouhiIus vorgenommene Einteilung der Bürgerschaft in di-ei Tribus führt zu dem von vornherein mit Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Eesultat, dass dieselbe auf einer Überlieferung beruht, die über Yarro hiuaufi-eicht.

Es kommen hier zunächst die bei Cicero (rep. II 14), Dionys (II 7. 47) und Dio (fr. 5, 8 Dind.) vorliegenden Angaben in Betracht. Bokmaxn (S. 352) ist der Ansicht, dass liier überall Yarro zu Grunde liege. Es ist jedoch au sämtlichen Stellen das Gegenteil der Fall.

Nach Cicero (a. a. 0.) soll die Einteilung des Yolkes in drei Tribus und dreissig Kiu'ien erst nach der Yereinigung mit den Sabinern erfolgt und die Kiu-ien nach den geraubten Sabineriiuieu , die eine friedliche Einigung und ein Bündnis zwischen Eömern und Sabinern herbeigefülirt hatten, benannt worden sein. Dionys (11 47), der diese letztere Angabe bei einigen seiner Gewährsmänner vorfand, bemerkt hiergegen, Yarro erkenne einen solchen Sachverhalt nicht an, sondern behaupte vielmehr, die Kiu'ien hätten bereits bei der ersten von Eomulus vorgenommenen Einteilung des Yolkes ihre Namen teüs von ÖrtHchkeiten, teils von Heer- fiUu-eru erhalten, die Zahl der Sabinerinnen aber, durch die der Friede vermittelt woi-den sei, habe nicht 30, sondern 527. betragen, und es sei unwahrscheinlich, dass die Könige unter Zurücksetzung einer so grossen Anzahl von Frauen niu- wenige unter ihnen jener Ehre hätten teilhaftig werden lassen.

Aus dieser Erörterung geht zunächst hervor, dass Yarro in Über- einstimmung mit Dionys (II 7) und abweichend von Cicero die Einrichtung der di-ei Tribus und der di-eissig Kurien nicht erst nach der Yereinigung mit den Sabinern, sondern alsbald nach der Gründung Eoms stattliiiden liess. Cicero und Yarro sind also von einander unabhängig. Zweitens zeigt aber die bei Dionys vorliegende Gegenüberstellung der cicerouianischen Angaben und der iin Gegensatz hierzu stehenden Ai-gunientation Yarros, dass der letztere die Tradition, w-elcher Cicero folgt, bereits gekannt und seinerseits bekämpft hat.

In Hinsicht auf die Zeit der Tribuseint eilung stinuueu der aus Juba stammende Bericht Plutarchs (Eom. 20), in welchem sich auch varronische

1) Ebenso wie Meyer hält auch Pais {Ston'a di Borna I 1 , Turin 1898 , S. 279, Aum. 1) au der Realität der drei Tribus fest.

T)ic drei ältesten römischen Trihus. 2M1

Bestandteile finden,') und Paulus Diaconus (s.v. Lwercucs \^. IUI M.) mit Cicero übereiu. Der uäuilielieu Überlieferungsgruppe gehören ferner die bei Livius (I 13, 6 ff.) und in der Schrift de vir ill. (2, 11) vorliegenden Darstellungen an; denn beide Autoren stehen, wenn sie auch die Tribus- einteilung übergehen, mit Cicero insofern in Einklang, als sie die Ein- richtung der ;iO Kurien und der drei Eeitercentui-ien erst nach dem Hinzutritt der Sabiner stattfinden lassen.-)

Mit der zwischen Cicero und Varro bestehenden chrunoldgisi'heu Differenz hängt eine andere sehr wesentliche Abweichung zusammen. Nach Cicero sollen die Ramnes nach Romulus, die Täies nach l'atius und die Lucei-es nach Lucumo, einem im Kampfe mit den Sabinern gefallenen Bundesgenosseu des Romulus, benannt worden sein. Aus Varro (1. L. V 55) ersehen wir, dass die Ableitung der Ramnes von Romulus und der Tities von Tatius auf Ennius und die der Luceres von Lutumo auf Juuius Gracchanus zurückgeht, wobei es unentschieden bleiben muss, ob diese Autoren, Avie Bormauu (S. 349) meint, nur an die Keiterceuturien oder auch an die Tribus gedacht haben. Seitdem scheinen jene Deutungen, wenn man von den hinsichtlich der Luceres bestehenden Meinungsver- schiedenheiten absieht, fast dmxhgängig angenommen worden zu sein.'') Varro konnte sich indessen hiermit schon deshalb nicht einverstanden erklären, weü nach seiner Ansicht die Tribus bereits vor dem Konflikt mit den Sabinern eingerichtet worden waren (s. oben S. 3). Er glaubte daher im Anschluss an den etrusldschen Tragödiendichter Voluius, dessen

1) Dass PlutarcL im Romulus aus Juba geschöpft und dieser seinerseits die An- gaben Varros mit denen anderer Autoren kombiniert hat, ist von A. Bautu {De Jubae üiioiorrfiiv a l'lutarclio expressis in quaestionibufi Bomanis et in Emnulo Numaque, Göttingen 1876, S. 38 ff.) hinlänglich erwiesen. Auf Varro geht jedenfalls, wie schon H. Peiek (Die Quellen Plutarchs in den Biographien der Römer, S. 157) gesehen hat, die Polemik gegen die die Namen der 30 Kurien von den geraubten Sabinerinnen her- leitende Version zurück.

2) Die Schrift de viris ill. ist hier von Livius unabhängig. Es zeigt sich dies in der Ableitung des von Livius unerklärt gelassenen Namens Luceres von Lucumo, sowie darin, dass die Ernennung von hundert Senatoren durch Romulus erst nach der Ver- einigung mit den Sabinern, bei Livius (I 8, 7) dagegen vorher berichtet wird.

3) Die Namen der Ramnes und Tities werden ausser von Ennius und Cicero noch von Liv. I 13, 8, Plut. Rom. 20, Pseudascon. in Verr. p. 159 Or., de vir. ill. 2, 11, Serv. Aeu. V 560 und schol. Pers. I 20 und der der Tities allein Propert. V 1 , 30 f., Fest. p. 366 M. in der angegebenen Weise erklärt. In Bezug auf die Luceres gingen die Ansichten auseinander. Entweder brachte man diesen Namen in Zusammenhang mit dem etruskischen Heerführer LtiCHmo, welcher Ansicht ausser Ennius und Cicero die Mehrzahl der übrigen Autoren gefolgt zu sein scheint (Propert. V 1 , 29—31. Pseudascon. in Cic. Verr. I p. 159 Or. Serv. Aen. V 560. de vir. ill. 2, 11. schol. Pers. I 20) , oder mit dem König Lucerus von Ardea , der ebenso wie Lucumo dem Romulus im Kriege mit den Sabinern Beistand geleistet haben soll (Paul. Diac. p. 119 M. s. V. lAieereses), oder endlich mit dem lucus des von Romulus eröffneten Asyls (Plut. Rom. 20, Pseudascon. in Verr. p. 159 Or., schol. Pers. I 20).

232 L. Hohapfcl,

Zeitalter uubekannt ist, den Ursprung der fraglichen Namen in Etrurien suchen zu müssen,') welche Annahme durch die von ihm acceptierte Tradition, dass Rom nach etruskischem Eitus gegründet worden sei (1. Lat. Y 143), ohnehin nahe gelegt wurde.

^lan kann hiernach nicht behaupten, dass Yarros Auffassungen auf Ciceros Darstellung eingewii'kt hätten, sondern es hat sich vielmehi- Cicero gerade für diejenigen Überlieferungen und Ansichten entschieden, welche von Yarro bekämpft wiu'den.

Anders scheint es mit Diouys (II 7) zu stehen : denn derselbe stimmt mit Yarro insofern übereiu, als er die Einrichtung der Tribus und Kurien gleich auf die Gründling der Stadt folgen lässt. Bei genauerer Betrachtung zeigt sieh jedoch eine bemerkenswerte Abweichung. Nach Yarros Auf- fassung beruhten nämlich die Tribus in erster Linie auf einer Teilung des Bodens,-) welcher Annahme auch die örtliche Grundbedeutung des Wortes (MoMMSEx, E. Staatsr. III 95. 08) entspricht. Das ursprüngliche Heeresaufgebot von 3000 Manu (vgl. S. 2) setzte sich alsdann in der Weise zusammen, dass jede Tribus 1000 Mann stellte.^) Dionys denkt sich jedoch den Sachverhalt umgekehrt. Nach seinem Bericht ^\iii'de nämlich zunächst die vorhandene Mannschaft, die nach den schweren durch den Kampf zwischen den Anhängern des Eomiüus und denen des Eemus entstandenen Yerlusten noch 3000 Mann zu Fuss und 300 Eeiter betragen haben soll,^) in drei Tribus und jede von diesen in zehn Kurien geteilt und hierauf jeder Kurie ein gleich grosser Landbezirk angewiesen (II 7). Die Einteilung des Bodens erscheint also hier als ein sekundärer Akt, wähi-end die 3000 Fusssoldaten und die 300 Eeiter, deren Zahl von Yarro auf die Tribuseinteilung ziu'ückgeführt wird, von vornherein vor- handen waren.

Dionys muss demnach gleichfalls einer von Yarro unabhängigen Überlieferiuig gefolgt sein. Dieses Eesultat ^^ird durch einen ander-

1) BoRMASx (S. 3-49) scheint allerdings anzunehmen, dass Yarro 1. L. V 55, wo er die Ansichten des Enuius und Yolnius anführt, dem Erstereu gefolgt sei. Gegen diese Auffassung spricht jedoch, abgesehen von ihrer inneren Unmöglichkeit, auch der Wortlaut der zitierten Stelle, an der die Ansicht des Yolnius mit Nachdruck ans Ende gestellt und hierdurch als die zutreffende gekennzeichnet wird: iwminati. ut ait Enuius, Tatienses a 2'atio, Eamnenses a Bomiilo, Luceres, ut ait Juniits, a Lucumonc. Scd omnia hacc vocabula Tusca, ut Volinus, qui tragoedias Tuscas scripsit, diccbat.

2) 1. L. V 55: ager Eomanus primtm divisus in partis tii-s, a quo tribus appcJ- latae Tatiensiuni, Bamnium, Lucerum.

3) 1. L. V89: milites (dicti), quod tn'um milium primo legio ficbat ac singulac tribus Titicnsium, Samnium, Lucerum milia singula miUtum mittcbant.

4) Vgl. I 87 mit II 2 flu. Während die letztere Stelle die präzisen Angaben bietet, wird an der ersteren die Gesamtzahl mit der Bezeichnung üliyia rt'/.tlovf TiiioiüÄiov zusammengefasst.

Die drei iilicsten römisclwn Tribun. 233

•\veitis-eii Yorf;li'icli (Ut \on beiden Autoren ijoyfebenen Darstellun<ren Ijestilti.ü't.

Ks ist klai-, dass die '.WW Maun zu Fuss und die ;!(»(l Heiter, welche K'duiulus nacli dem Tode seines Bruders für die zu <;-riindende Ansiedlung dem Jk'riclit des Dionys zufolge (1 87. II 2) übrig- geliabt haben soll, von vornlu'rein dazu da sind, um die von jeder Tribus zum Heere zu stellenden 1(10(1 Fusssoldaten und 100 Reiter herauszubekommen, also die Drei- teilung der (Gemeinde bereits antiziitieren. Wenn es nuu gelingt nach- zuweisen, dass I 87, wo jene Zahlen zuerst vorkommen (vgl. S. "), Aum. 4), nicht aus Varro stammen kann, so muss dies auch von dem mit diesem Kapitel korrespondierenden Bericht über die Tribuseinteilung selbst gelten.

Das fragliche Kapitel enthält zwei verschiedene Relationen über den 'l\xl des Renius. Nach der ersten, die Dionys glaubwürdiger erschien, siill es nach den von den beiden Brüderu angestellten Auspicien, wobei dein I.'enuis zuerst sechs, dem Romulus dagegen nachher zwölf Geier er- schienen, zu einem Streit um die Herrschaft gekommen und Remus in dem alsdann zwischen den beiderseitigen Anhängern ausgebrocheneu Hand- gemenge gefallen sein, worauf Romulus mit den durch den blutigen Kampf von einer sehr bedeutenden Menge auf etwas über 3000 ilann reduzierten Kolonisten die palatinisclie Ansiedlung gegründet habe. Durch wessen Hände Remus seinen Tod fand, wird hier nicht gesagt.') Nach der zweiten, allem Anschein nach auf Valerius Antias ziunickgehenden Relation über- liess Remus dem Romulus die Regierung, sprang jedoch aus Zorn über die ihm widerfahrene Täuschung (weü Romulus ihm das Erscheinen günstiger Vogelzeichen, noch bevor er solche walu-genommen, hatte melden lassen, vgl. c. 86) über die von demselben errichtete Mauer und -wurde deshalb von dem zum Aufseher über den Bau bestellten Celer durch einen mit einem Grabscheit auf den Kopf versetzten Schlag getötet.'-')

Von diesen beiden Darstellungen weicht Varro ab. In seinem Bericht wird ebenso wie in der zweiten Version die Katastrophe des Remus an das Überspringen der Stadtmauer angeknüpft, doch findet er einmal noch vor der Ausführung dieses Vorhabens seinen Tod, und ferner ist es nicht Celer, sondern Romulus selbst, der ihn erschlägt (Plut. quaest. Rom. 27).

1) Der nämliche Bericht hat auch dem Livius ,17. 2), Strabo (V 2, 3, p. 230) lind dem "Verfasser der oriij. (jetit. Korn. (23, 5) vorgelegen.

2) Diese Darstellung "findet sich bei Diodor (VIII 4, 3f.), Ovid (fast. IV 837 ff.), Plutarch (Rom. 10), in der Schrift de vir. ill. (1, 4, daraus orig. gent. Rom. 23, 7), wo Celer zu einem Cenfurio gemacht wird, bei Servius (Aen. XI 603) und Paulus Diaconus (s. v. Celercs p. 55 M.). Wie die beiden zuletzt genannten Autoren berichten, wurde Celer zur Belohnung fiir seine That (dieses Motiv wird nur von Servius erwähnt, ist jedoch jedenfalls auch zu der Angabe des Paulus hinzuzuergänzon) zum Anführer der 300 Reiter bestellt und diese nach ihm Celercs genannt. Da Dionys (II 13) als Gewährsmann für die letztere Angabe den Antias zitiert, so ist man berechtigt, den ganzen bei Servius und Paulus vorliegenden Bericht auf ihn zurückzuführen.

284 L. Holzapfel

Da Diouj's dieser auch bei Eunius'), Livius-) luul Plutarch (ßoinul. lUj Torkommendeu und von Livius als die vulgatioi* fama bezeichneten Variante nicht gedenkt, so kann er Varro, auf dessen Darstellung- er sonst gi-ossen Wert legt XU 21, vgl. auch IV (52 iin.), überhaupt nicht vor Augen gehabt haben. Wü- gelangen also auch von dieser Seite zu dem Ei-gebnis, dass sein Bericht über die Tribuseinteiluug von Varro unabhändig ist.

Das gleiche gilt von Dios Darstellung (fr. 5, 8). V>iv begegnen hier ebenso wie bei Diouys der mit Varros Bericht in Widerspruch stehenden Auffassung, dass die Tribus aus einer Dreiteilung der von Anfang an vorhandenen Heeresmacht von 3000 Mann hervorgegangen seien. Man wü-d dieser Darstellung um so mehr Beachtung schenken, wenn man berücksichtigt, dass Dio in seinem Bericht über die Anfänge Eoms nicht mu- von Diouys unabhängig ist, sondern eine auf ältere und bessere Überlieferungen ziuiickgehende Quelle benutzt haben muss.

Man gefilmt diesen Eindi'uck namentlich aus den die albanischen Könige betreffenden Angaben (fr. 4, 9 ff.). Die seit dem Ende der Eepulilik zü'kulierenden Listen dieser Könige zählten von Äneas bis auf Amulius- Xumitor meist 15 Stelleu,'') wodmxh das zwischen der Einnahme Trojas und der Gründung Eoms liegende Intervall von etwa 430 Jahi-en aus- gefüllt wui'de. Eine derartige Liste bietet auch Dionys (I 70 ff.). Nun existierte aber eine augenscheinlich ältere, noch bei "S'ergü, Justin und Livius vorliegende Tradition, welche auf die troische Chi-onologie keine Eücksicht nahm, sondern von Äneas' Ankunft 4n Italien bis ziu- Gründung Laviniums 3, von da bis ziu- Erbauung Alba Longas 30 und weiter bis zui- Gründung Eoms 300 Jahre verstreichen liess.*) Dieser Überlieferung ist Dio gefolgt; denn seine Liste weist von Ascanius' ]S"^achf olger Silvius bis auf Amulius-Numitor niu- acht SteUeu oder, wenn man berücksichtigt, dass Eomulus und Eeraus nicht Söhne, sondern Enkel Numitors waren, neun Generationen auf, was einem Zeitraum von 300 Jahren entspricht.

1) Die von Macrobius (Sat. VI 1, 15) aus dein ersten Buche des Ennius zitierten, jedenfalls auf die Katastrophe des Remus zu beziehenden Worte nee pol hoino quis- qiiain faciet inpune animatus \ hoc nee (so richtig Bahrens für das handschriftliche nisi) tu; nam mi calido dabis sanguine poenas sind nur angemessen im Munde des Roniulus.

2) Liv. 17, 2. Eine Abweichung von Varro besteht hier jedoch insofern, als Remus zur Ausfuhrung seines Vorhabens gelaugt.

3) Vgl. die von Tbiehek im Hermes XXIX (1894), S. 125 gegebene Zusammen- stellung.

4) Sämtliche drei Intervalle finden sich Verg. Aen. I 265fif., die 300 Jahre von der Gründung Albas bis zur Erbauung Roms Justin. XLIII 1, 13 und Liv. 129, 6. An der letzteren Stelle werden von der Gründung Albas bis zu seiner Zerstörung 400 Jahre gerechnet, wovon das 100 jährige zwischen der Gründung Roms und der Zer- störung Albas liegende Intervall (Serv. Aen. I 272) abzuziehen ist. Vgl. meine Rom. Chrouol., Leipzig 1885, S. 268.

Die drei ältesten römischen Tribits. 235

Es verdient ferner bemerkt zu werden, dass Dio (fr. 4, !•), wenn er den ersten Ikstandteil des Namens Alba Longa, auf dessen Erklärung Dionvs (I 60) verzichtet, von der weissen Farbe der La^inischen Sau ab- leitet, sich mit Fabius (vergl. Diod. VII S'' 1 = Euseb. I 285 Seh.), dessen Ansicht eine andere Deutung entgegenstand (Diod. YII 3, 3 = Euseb. I 284: f. Seh.), in Übereinstimmung beündet. Einer älteren rberlieferung entstammt auch sein Bericht über den Sabinei-krieg (5, ö). Es wird hier erzählt, dass die geraubten Sabinerinnen sich mit ihren Kindern zwischen die mit einander kämpfenden Heere des Eomulus und des Titus Tatius geworfen und durch ilire flehentlichen, abwechselnd an beide Teile ge- richteten Bitten einen Frieden zu stände gebracht hätten, während der- selbe nach Cicero (rep. II 13. 14), Dionys (11 45 f.) und Appian (ßaaiL 2) durch eine von Staatswegen an Titus Tatius abgeordnete Gesandtschaft der Sabinerinnen . von der auch Varro berichtete (vgl. Dionys II 47), liei-beigeführt worden sein soll. Es kann, wie Schwegleb (Rom. Gesch. 1 4(33, Anm. 10) und Momjisen (Hermes XXI, 1886, S. 574, Anm. 5) mit rich- tigem Blick erkannt haben, kein Zweifel bestehen, dass die erste, auch bei Livius (I 13) und Plutarch (Romul. 19) vorliegende, von Dio jedoch nicht aus diesen Autoren entnommene Darstellung der lu'sprünglichen Legende entspricht, die zweite dagegen, die sich zuerst bei dem Annalisten Gellius findet (fr. 15 P. = Gell. n. Att. XIII 23, 13), eine spätere Überarbeitung repräsentiert.

Nach diesem Befund wü-d man geneigt sein, dem dionischen Bericht über die von Eomulus vorgenommene Tribuseinteüung gleichfalls ein höheres Alter zuzuschreiben.

Auf die romulischen Tribus bezieht sich noch eine anderweitige durch Dio überlieferte Angabe. Bei Zonaras (VII 8) findet sich die Naclrricht, dass Tarcjuinius Priscus die Tribusverfassung habe ändern wollen {rag ffv'/.dg ßovhjß^ivTcc fteTaxodfifjoai), daran jedoch diuxh den Einspruch des Augurs Attus Navius gehindert worden sei. Da Zonaras in der Dar- stellung der Königszeit von Tullus Hostüiüs an mit den Fragmenten Dios diu'chweg übereinstimmt, so hat er auch hier jedenfalls aus ihm geschöpft. Die nämliche Angabe liegt bei Festus vor.^) Da jedoch dessen Bericht über das von Attus Navius gethane Wunder im einzelnen von Dio abweicht, so kann die von üim oder vielmehr seinem unmittelbaren Gewährsmann Verrius Flaccus benutzte Vorlage nicht mit Dios Quelle identisch sein. Wh- haben es also auch hier wiederum mit einer weiter ^■erzweigten, Überlieferung zu thuu. Dieselbe begegnet bei Festus noch an einer anderen Stelle, an der die Sechszahl der Vestaliunen mit der Gliederung des römischen Volkes in die Tities, Eamnes und Luceres

1) S. V. Navid p. 169 M. : nam citm Tarquhiiu.t Pi/srii.^ fiiitihitn-i tiilnix miliare vellcl dcteircrclurqnc ab Atta per attgurium.

236 L. Holzapfel,

prim-es und posteriores (oder primi und secundi) in Verbindung ge- braclit wird.')

Anscheinend steht diese letzte Angabe, nach welcher die römische Bürgerschaft seit der Verfassungsreform in sechs Teile zerfiel, mit den beiden anderen Stellen, die das unveränderte Fortbestehen der alten Dreiteilung voraussetzen, in "Widerspruch. Die die Eeitercenturien be- treffenden Naclmchten , wonach der König zuerst ihre Vermehrung von drei auf sechs beabsichtigte, nach dem von Attus Navius erhobenen "Wider- spruch jedoch die Eeiterei in der '\^'eise verdoppelte, dass die neuen Kelter den bisherigen Centurien der Tiu'es, Eamnes und Luceres zugeteilt und von den alten (i^ritni oder priores) durch die Beuennuug secundi oder posteriores unterschieden wurden (Cic. rep. II 36, Liv. I 36), führen jedoch darauf, die fragliche Notiz in analogem Sinne zu verstehen.

Man hat demnach im Altertum angenommen, dass der unter Tarquiuius Priscus erfolgten Verdoppelung der Eeiterei und der damit Hand in Hand gehenden Verdoppelung des Senats-) eine Verdoppelung der Bürgerschaft entsprochen habe, bei welcher indessen die Tribus ebenso wenig wie die Eeitercenturien vermehrt, sondern vieiraehr die neuen Geschlechter {cjentes minores), die in ge'nisser Hinsicht hinter den alten (genies maioi-es) zurückstanden, in die alten Tribus und Kiu-ien eingeordnet w^orden seien. Von einer Gliederung der Gemeinde in sechs Teile konnte man also nui" in dem Sinne sprechen, dass man hierbei den zwischen den alten und den neuen Geschlechtern bestehenden Unterschied, der bei der Unifi-age im Senat zur Geltung kam (Cic. rep. 1135), in Betracht zog.

Nun ist aber in den sonstigen Berichten (Cic. rep. 11 36. Liv. I 36, 2. Dionys. III 71. Val. Max. I 4, 1. vir-, ill. 6, 7) nur von dem Vorhaben des Tarquinius, die Zahl der Eeitercenturien zu verdoppeln,-') nicht aber von der beabsichtigten Hinzufügung von di-ei neuen Tribus die Eede. Für die bei Dio und Festus vorliegende Darstellung sprechen indessen zwei Erwägungen. Einmal zeigt es sich auch hier, dass Dio ebenso wie für die älteste Geschichte Eoms eine die ältere Tradition wiedergebende Quelle benutz* hat. Einen Beweis hierfür liefert die auf seiner Dar-

1) p. 344 M.: See Vcstcie sacerdoics constttittac sunt, ut po^iidus pro snn quuiiuc parte haheret ministram sacrorum, quia civüas Romana in sex est disirihuta partis. in primos secundosque Titienses, Samnes, Luceres.

2) Cic. rep. II 35. Eutrop. 16, iu deren Aiigabou wir mit Mommsex (R. Staalsr. TU 845, Anm. 3) die älteste Überlieferung zu erblicken haben.

3) In der Schrift de vir. ill. 6, 7 wird diese Verdoppelung irrtümlich als ge- schehen hingestellt. Den Bericht des Dionys haben Schwegler (Rom. Gesch. I 686, Anm. 2) und Mommmses (Rom. Staatsr. III 111, Anm. 3) so aufgefasst, als ob es sich um eine Verdoppelung der drei Tribus gehandelt hätte. Der AVortlaut, wonach aus den von Tarquinius früher durch eine ausserordentliche Aushebung aufgebotenen Reitern (vgl. III 64) drei neue ^vXai gebildet werden sollten , schliesst indessen eine solche Deutung aus. Unter den q>vXai sind also Reiterabteilungen zu verstehen.

Die, drei ältesten röniiscJicn Tri/iits. 2'M

st('lliiii<>' hiTiiliciidc Angabe des Zonaras (\'ll 8), dass Taniiiiiiiiis l'risciis 200 neue ScnatDivn oniaimt habe. Hier ist also, da dui-cli diese Ver- stärkuug der Senat auf die nach einer feststehenden Überlieferun«^ für den Anfang der Republik augenounnene Normalzahl von 30(i (Liv. II, 1 KJ. Festus p. 254 M. s. v. qui patres. Dionys. V 13) gebracht wurde, als die bisherige Normalzalil ein Bestand von 100 Mitgliedern vorausgesetzt. Die gleiche Ziffer tritt uns in der bei Livius (I 17, ")) in ihrer Reinheit er- iialtenen Erzählung von dem Interregnum nach dem ToAq des Romulus entgegen, -während die anderen Autoren in dem Bestreben, den tlbergang von den anfängli(di vorhandenen 100 (Liv. I 8, 7. Dionvs. II 12. Vell. I 8, (i. riut. Rom. 13) zu den späteren 300 Senatoren zu finden, bereits nach der Vereinigung mit den Sabinern eine Erhöhung auf 200 oder 150 Mit- glieder eintreten lassen.') In zweiter Linie kann zu Gunsten der von Dio und Festus gegebenen Darstellung geltend gemacht Averden, dass die augenscheinlich alte Legende von dem gegen die tarquinianische Reform gerichteten Auftreten des Augurs Attus Navius eher an einen Versuch, die den sakralen Einrichtungen zu Grunde liegende Tribus- und Kurien- verfassung zu ändern,-) als an die beabsichtigte Einrichtung von drei neuen Reitercenturien angeknüpft werden konnte.

Diu-ch die bisherige Untersuchung ist festgestellt worden, dass sowohl bei Cicero wie auch bei Dionvs und Dio eine von Varro unabhängige (''herlief er ung über die von Romulus vorgenommene Dreiteilung der römischen Bürgerschaft vorliegt. Was insbesondere Dio betrifft, so hat sich gezeigt , dass seine Darstellung auf ältere Überlieferungen zurück- geht und daher in hohem Masse Beachtung verdient. Eine weitere, gleichfalls von Varro unabhängige und auf einer sehr guten Tradition beruhende Notiz wii'd uns durch Li\ius (X 6, 7) übermittelt.

Es ist liier die Rede von der Mitgliederzahl des Augurnkollegiums vor der im Jalu-e 300 v. Chr. gegebenen lex Ogulma, diu'ch die die Plebejer den Zutritt zum Augurat und Pontificat erhielten. Nach der Darstelhxng, die Livius in seinen Quellen fand, waren zur Zeit, als das

1) Thatsächlich hat der Senat, wie ich in einer anderen Untersuchung (in der Jlivista äi storia antica, Band II 1897, Heft 2, S. 52flP.) gezeigt zu haben glaube, erst durch die von Tarquinius Priscus vorgenommene Verdoppehing (Cic. rep. II 8.i. Kutrop. 16) eine Stärke von 200 Mitgliedern erhalten, und es beruht die im Wider- spruch hiermit bereits für das Ende der Königszeit einen Normalbestand von 300 Mit- gliedern annehmende Tradition auf einem Missverständnis des in den Berichten über die Verstärkung des Senats im ersten Jahre der Republik (Liv. II 1 , 10. Festus p. 254 M. s. V. (lui patres. Dionys. V 13. Plut. Popl. 11) angewandten Ausdruckes cxplere (avjinXriQOvr, &va7t}.i]Qovv), womit ursprünglich das Vollmachen der von nun an bestehenden Normalzahl von 300, nicht aber eine den Ersatz früherer Verluste be- zweckende Ergänzung gemeint war.

2) So fassen auch ScnwEiiLsn (Rom. Gesch. I685Ü".) und Laxge (Rom. Altert. 1 » 442) den Sachverhalt auf.

Beiträge z. alten Geschit'litü 1 2. 1^

10

238 L. Holzapfel

Gesetz emgebraclit wurde, vier Auguru und ebenso viele l'ontifices vor- liauden, zu denen nunmehr aus der Plebs vier Pontüices und fünf Auguru lünzugewählt werden sollten. Livius knüpft hieran die Bemerkung: quemadmodum ad quattum- auqurum numerum, nisi morte duorum, id rcdiqi collegium potuerU, non invenio^ cum inter augures constet, inparcm numei-um dchere esse, ut tres antiquae tribus, Mamnes, Titienses, Luceres, suutn quacqxie autfurem haheant aut, si 2}luribus Sit opus, pari inter se numero sacci-dotcs mnltiplicent , sicut multiplicati sunt, cum ad quattiior quinque adiecti novcm numerum, ut ierni in singulas essent, e.rpleverunt.

Zunächst ist hier ein Textfehler zu beseitigen. AVeun die liegel beobachtet wurde, dass im Augurnkollegium die di-ei Tribus gleichmässig vertreten waren, so ist nicht einzusehen, warum die IMitgliederzahl eine ungerade sein musste. Dies kann auch Livius nicht behauptet haben; denn seine Deduktion läuft doch darauf hinaus, dass die bisherige Normal- zahl sechs betragen haben müsse und durch den Tod von zwei Mitgliedern auf vier reduziert worden sei. Für inimrem ist daher trifarium zu lesen, welches Wort unter der Einwirkung des vorhergehenden constet sein anlautendes t leicht verlieren und alsdann in inparem übergehen konnte.')

BoEMANN (S. 353) nimmt nun an, dass diese Auseinandersetzung, die sich als ein zur Hauptrelation hinzugefügter Zusatz zu erkennen giebt, auf Varros Theorie beruhe. Aber Li^^[us nennt Ja selbst seine Autorität, indem er sich auf die einstimmige Ansicht der Augiu-n (cum inter augures constet) l)eruft. Wir haben es also mit der Tradition des in Frage kommenden Piiester- kollegiums selbst zu thun, für das jedenfalls eher alte Überlieferungen als die gelehrten Kombinationen eines Yarro massgebend gewesen sind.

Eine Bestätigung dafür, dass im Augurnkollegium die ihm von Livius zugeschriebene Auffassung herrschte, liefert Cicero, der ziu- Zeit, als er die Bücher de re publica schrieb, selbst Mitglied dieser Priesterschaft geworden war. Er sagt in dieser Schi'ift (II IG), Eomulus habe, nachdem er die Stadt luiter Einholung von Anspielen gegründet, sich aus jeder Tribus einen Augur kooptiert. Hier ist also der Grundsatz, dass im Augurnkollegium, das mau sich als ein ursprünglich dem König zur Seite stehendes cousilium dachte, die drei Tribus gleichmässig vertreten sein sollten, in eine prototjiiische Erzählung gekleidet.

Der nämliche Bericht findet sich bei Dionys (II 22), jedoch mit dem Unterschied, dass bei ihm die Tribuseinteilung und die Ernennung der drei Auguru vor dem Hinzutritt der Sabiner erfolgt, während bei Cicero beides nachher geschieht."-) Ton Yarro, der in Hinsicht auf die Zeit der

1) Mabqüariit-Wissowa (R. Staatsv. 111-241, Anm. 1 will /iquimii in dem Siiiiio verstehen, dass die Dreizabl massgebend geblieben sei; doch kann dies in diesem Aus- druck unmöglich liegen.

'2' An der zitierten Stelle des Dionys ist allerdings von den Augurn keine Rede, sondern es wird vielmehr berichtet, dass Romulus für die Opferschau aus jeder Tribus

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Die drei iiUcstcn römisclicn Trihus. 2ii9

Tribusciiitcilnnii' mit Dimiys iibcroinstimint (vgl. 8. 5), darf man voraus- set/en, ilass er aucli die P^insetzuug der Augiu-n alsbald nach der Gründung Roms stattfinden Hess. Man kann sogar den Bericht des Dionys mit einiger Wahrscheinliclikeit auf Varro selbst zurückführen, da er im vorhergehenden Kapitel, wo von den für die Kurien liestellten Priestern die Kede ist, als Gewährsmann citiert Avii-d.

Dem von Livius erwähnten Grundsatz, dass im Augurnkollegium die 'l'ribus gleichmässig vertreten sein mussten, hat die llitgliederzahl that- sächlich entsprochen, indem dieselbe nach der lex Ogulnia 9 und seit dem ,Talu-e 81 15 betrug (vgl. Liv. epit. LXXXIX). Für die der lex Ogulnia vorhergehende Periode wii-d von Livius, me \rä* gesehen haben, 6 als Normalzahl angenommen. Die nämliche Ansicht findet sich bei Cicero , nach dessen Angabe (rep. II 26) Numa den vier vorhandenen Angurn, unter denen der König selbst mitzählte (II 16, vgl. S. 11), noch zwei hinzufügte. Das Prinzip, nach welchem aus jeder Tribus die näm- liche Anzahl von Augurn gewählt werden sollte, hätte allerdings die Ernennung von drei neuen Mitgliedern erfordert; aber alsdann wären nicht sechs, sondern sieben Augurn vorhanden gewesen. Es ist also dadurch, dass Eomulus selbst das Amt eines Augurs ausübte und hierdiu-ch die anfängliche Zahl von drei auf vier gebracht wm-de, in die Über- lieferung ein Widei'spruch hineingetragen worden. Dies war jedoch nicht zu umgehen; denn einmal konnte die Stadt nicht anders als unter Ein- holung von Anspielen gegiiindet werden (Cic. rep. II 16. de leg. II 33. de div. I o. oll. Liv. Y 52. 2. VI 41, 4), und andernteils erforderte das für die Priesterwahlen massgebende Prinzip der Kooptation, dass der König selbst Augur war.

Als ein Beweis für die gleichmässige Vertretung der Tribus im Augurnkollegium kann ferner noch geltend gemacht wenlen, dass nach einer bis zum Ende der Republik in Ki-aft gebliebenen Bestimmung beim Einbrhigen der lex ciu-iata de imperio drei Augurn zugegen sein mussten (Cic. Att. IV 17, 2 Bait).

Als Livius sein Geschichtswerk schrieb, hatte die Dreizahl aufgehört, massgebend zu sein; denn im Jahre 47 wurde die Zahl der Angurn ebenso wie die der Pontifices und der quindecinniri sacrorum von 15 auf 16 erhöht (Dio XLII 51, 4). Es ist daher anzunehmen, dass die Er- örterung über die Zahl der Augiu-n vor der lex Ogulnia, in welcher die Geltung jenes Prinzip.s' auch für die Gegenwart vorausgesetzt wird {cum inter auqures constet frifarium numerum debere esse), nicht von Livius selbst herrührt, sondern bereits von dem von ihm benutzten Autor dem

einen Haruspex ernannt habe. Man bat indessen längst erkannt, dass hier eine Ver- wechslung mit den Augurn vorliegt-, di(! Dionys als Ausländer leicht begeben konnte (vgl. Mezger in Paulys R. E. II' 1165, Marqdakdt, R. Staatsv. III- 412).

IG* 12

240 L. HohapfcJ,

aiinalistischen Bericht liinzugefügt Avorden ist. ^\'ir koiiiinen also aiicli von dieser Seite zu dem Eesultat, dass wir es mit eiuer älteren, über die Zeit Yarros hiuaufi'eicbeiuleu Tradition zu tliuu haben.')

Nach diesem Befund Avird man geneigt sein, auch der Angabe des Festus, dass die Sechszahl der Vestalinnen der Einteilung der römischen Bürgerschaft in die Tüienses, Ramnes und Luceres j^riores und i^ostei-iores entspreche (p. 344 M., vgl. oben S. 8 f.), worin Boumann (S. 353) wiederum eine erst von Varro aufgestellte Theorie erblickt, einen höheren ^^'ert beizulegen. ^Vahi'scheinlich beruht auch diese Notiz ebenso \\\& die sich hiermit berührende die Zahl der Augui-n mit der der Tribus in Verbindung bringende Ansicht auf einer priesterlichen Tradition. Es liegt nun sehr nahe, nach der Analogie der hinsichtlich der Vestalimien bestehenden Überlieferung auch die Erhöhung der AugiU'nzahl von di-ei auf sechs mit MoMMSEN (R. Staatsr. III 111) auf den Hinzutritt der (jentes minores zu den gentes mairores ziu'ückziiführen.

Merkwürdig ist es, dass auch in Bezug auf die Zahl der Vestalinnen die Überlieferung einen "Widerspruch aufweist. A^'enu ihre Sechszahl aou Festus (p. 344 ]M.) durch die doppelte Gliederung des römischen Volkes in die Tüienses, Ramnes und Luco-es priores und posteriores erklärt wird, so sollte mau erwarten, dass für die fi'ühere Zeit das Vorhandensein von drei Vestalinnen angenommen würde. Dies geschieht indessen nicht, sondern Dionys (II 67. III 67) und Plutarch (Num. 10) schreiben über- einstimmend dem Nuraa die Einsetzung von vier Vestalinnen zu."-) Hier Liegt also eine Trübung der Überlieferung vor, die darin ihren Grund gehabt haben mag, dass man nach der Analogie des Augurats noch das Vorhandensein einer ausserhalb des Kollegiums stehenden Oberpriesterin annahm (vgl. Volquakdsen, Eh. Mus. XXXIII 1878, S. 549).

Ebenso wie die Zahl der Augurn und der Vestalinnen scheint auch die der Pontifices zu den Tri1:)us in Beziehung zu stehen, wenn auch eine bestimmte Tradition hierüber nicht vorliegt. "Wie C. B.\rdt (Die Priester der vier grossen Kollegien, Berlin 1871, S. 10 f. 32 f.) an der Hand der livianischen Angaben gezeigt hat, waren im Poutificalcollegium von der Zeit des hannibaUschen Krieges bis zur Schlacht bei Pydna neun Stellen vorhanden, die alsdann von Sulla im Jahre 81 ebenso A\ie die der Augurn auf fünfzehn vermehrt wurden (Liv. perioch. LXXXIX). Also auch hier erscheint die Dreizahl als maassgebeud. Für die fi-ühere Zeit ei-giebt sich das gleiche Verhältnis aus der Angabe, dass Xuma fünf

1) Die Richtigkeit dieses Ergebnisses kann auch durch die begründeten Bedenken, welche Pais (ßtoria di Borna I 2, Turin 1899, S. 574 fF.) gegen manche die Priester- wahlcu betreffenden Angaben geltend gemacht hat, nicht in Frage gestellt werden.

2) Beide Autoren weichen indessen darin von einander ab, dass Dionys ebenso wie Festus die Vermehrung der Vestalinnen auf sechs unter Tarquinius Priscus ein- treten lässt, während dieselbe nach Plutarch erst unter Servius Tullius erfolgt sein soll.

13

Dir. drei lUlralcn rönii.tchrii TrUni.<;. -H

l'oiitilici'S eniaunt liabe (Cic. reii. II ^(ij. wuljoi ('bfiiso wie bei dem von Nuiua von drei Äritgliedern auf fünf gebrachten Ausurnkollegium (vgl. S. 12) der König als sechster mitzählt (vgl. Mommsen, R. Staatsr. II" s. -Jl. Allin. G). Man betrachtete ihn als das Oberhaupt des ihm in gleicher Weise Avie die Augurn als consilium zur Seite stehenden Kdllegiums (vgl. Plut. Num. 9), dessen erste :\Iitglieder nur vom König selbst durch Kooptation gewählt worden sein konnten. Wir dürfen nun aber im Hinblick auf die Bestimmungen der lex coloniae Genelivac , in welcher sowohl für die Pontifices wie für die Augurn die Dreizahl als die normale erscheint,') noch über die Überlieferung hinausgehen und mit MoMMSEN (E. Staatsr. II ■'21, Anm. .'S) das nämliche Verhältnis für das älteste Rom, dessen Eim-ichtungen in den Kolonien mit merkA\ürdiger Zähigkeit bewahrt zu werden pflegten, voraussetzen.

Da liiernach die Zahl der Pontifices durchweg in ili-ei aufgeht, so muss die Angabe des Livius (X 6 , G) , wonach dieses Kollegium durch die lex Oyulnia auf acht Mitglieder gebracht worden sein soll, auf einem Irrtum beruhen, welche Konsequenz bereits, von Mommsen (R. Staatsr.

II - 22 , Anm. 1) und Marqdabdt (R. Staatsv. III - 242) gezogen worden ist. Wenn andererseits die Mitgliederzahl iirsprünglich drei betrug und sich nachher, wie man aus Ciceros Angabe über die zu Xumas Zeit vor- handenen Pontifices schliessen muss, auf sechs steigerte, so wird man diese Yermehruiig ebenso wie die gleiche im Kollegium des Augurn und Yestaliunen eingetretene Veränderung nach Mommsexs Vorgang (R. Staatsr.

III 111) durch die Aufnahme der gentes minores in den Patriziat zu er- klären haben.

Gegen die Annahme, dass bei der Bildung der Priesterkollegien die politische Gliederung der Gemeinde berücksichtigt worden sei, hat auch BoEMANN (S. 353) an und für sich nichts einzuwenden. Er hegt nur Bedenken gegen die sich bei Mommsens Auffassung der Tribus als selb- ständiger Gemeinden (R. Staatsr. HI 95 f.) ergebende Konsequenz , dass von Haus aus jede dieser Gemeinden einen Pontifex, einen Augiu- und eine Vestalin gehabt habe, während doch in diesen Priestertüniern von jeher das Prinzip der Kollegialität maassgebend gewesen sei. Dieser Ein- wurf fällt indessen weg, wenn man im Anschluss an die römische Über- lieferung die Tribus nicht als Überbleibsel selbständiger Gemeinden, sondern als politische, durch einen gesetzgeberischen Akt geschaffene Abteilungen eines einheitlichen Ganzen betrachtet.

Auch sonst fehlt es in den gottesdieustlichen Einrichtungen nicht an Anzeichen von dem Vorhandensein einer politischen Dreiteilung. Wir

1) c. 67: neve quis quem in conlegium pontificum kapito sublegito cooptato nüi tum cum minus fiihus pontificib{us) ex iis, qui c{oloniae) G{enetwtie) sunt, erunt, worauf in Hinsicht auf die Augurn dir nämliclK' Bestimuiunt: folgt.

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■242 L. Hohapfcl,

diirli'ii ein sulclies Indiciuiii darin erkennen, dass die ursprünglich an der Spitze der drei ältesten Eeitercenturien stehenden tribuni celet-um^ nach- dem üire militärischen Funktionen längst erloschen waren, noch gewisse Sacra zu verwalten hatten.'-) Es zeigt sich hier eine überraschende Analogie mit den vier cpvloßaßi?,eig in Athen ; denn auch ihnen sind, nachdem die vier alten Phylen ilire politische Bedeutung verloren hatten, noch sakrale Obliegenheiten verblieben (Poll. YITI 111. 120), während sie ursprünglich den Oberbefehl über das von vier Anführern befehligte Heer (vgl. II. XIII 680 f.) gehabt haben müssen. Durch diesen Vergleicli drängt sich von selbst die Annahme auf, dass ebenso wie der späteren attischen Phyleneinteihmg auch der späteren römischen Tribuseinteilung eine ältere Gliederung der Bürgerschaft voraufgegangen ist und nach ihrer Beseitigung noch weiterhin in den sakralen Einrichtungen Ausdruck gefunden hat.

Für das Bestehen der Tribus in der Eigenschaft religiöser den Kurien übergeordneter Verbände liegen aber auch ausdrückliche Zeug- nisse vor. Nach einer ims durch Dionys (II 21) übermittelten Angabe Varros soll Eomuhis für die öffentlichen von den Tribus und Kurien {xara (fvXäg y.ai (foäxQas) zu veranstaltenden Opfer sechzig Priester es sind die dreissig Kurioneu und die ihnen beigegebenen Flamines gemeint (vgl. Mommsen, E. Staatsr. III 101) eingesetzt haben. Yarro wäre schwerlich darauf verfallen, neben den Kiu-ien die Tribus zu nennen, wenn die letzteren nicht auch zu seiner Zeit bei den gottesdienstlichen Handlungen irgeud-^^ie zm- Geltung gekommen wären. Ein weiteres Zeugnis für diesen Sachverhalt bietet Plutarch, wenn er {qtiaest. Rom. 89) von den auf den 17. Februar fallenden Quirinalieu sagt, dass dieses Fest nach Jubas Angabe für diejenigen, ilie ihre Kurien {ifgargiag) nicht

1) Ihre Dreizabl, flir die kein ausdrückliebes Zeugnis vorliegt, darf man mit Mdsimse.s (R. Staatsr. 11° 177, Anm. 1) aus der bei Dionys (II 13) überlieferten An- gabe des Valerius Antias ersehliessen, dass die 800 cdcres, die von den alten Autoren bald mit der Reiterei identifiziert (Paul. Diac. p. 55 M. Serv. Aen. XI 603), bald als eine neben ibr bestebeude Leibwacbc des Romulus betrachtet werden (Liv. I 15 , S. Dionys. II 13), während die ursprüngliche Überlieferung ihnen jedenfalls beide Funktionen beilegte (vgl. Mommsex, R. Staatsr. ITI 106, Anm. 4), unter drei einem Oberbefehlshaber untergeordneten Cenlurionen gestanden biitteii. Von mehreren tribuni celerum ist auch bei Dionys (II 64, s. die nächste Note) die Rede. Wenn nach anderen Angaben Brutus bei der Vertreibung der Könige allein dieses Amt bekleidet zu haben scheint (Liv. 159, 7. Dionys IV 71, 75. Pompon. Dig. 12, 2, 15), so ist dies wohl dabin aufzufassen, dass ihm zwei gleichberechtigte Kollegen zur Seite standen, er selbst aber nach dem auch in dem Kommando der .sjjätereu Kriegstribunen eingehaltenen Turnus den Oberbefehl führte.

2) Dionys II 64 (von Numa): tijj' (5J TeiTi;)' (der acht von ihm eingeführten it^ovQyiuC) aniäio'AS rolg ijynuoBi rmv xtltgliov .... x«l yaQ ovTOi tiTCcyiitrus rn'ug ii(}OVQyiag iTTiTtXovv. Fast. Praencst. unter dem 19. März (CIL. T- p. 234. vsrl. :112): [Snli] faciunt in comitio saltu [adstautibus pojntißcibiis et trib. celcr.

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Dir drei ältrxtcn römifsrliru Trifms. 2■\'^

wiisstcn , odw niirli Aw Ansicht iindenT Autoren für scilclic. die aus irgend einem (iruuile an den in Tribusgliederung (xara cpvläg) zu be- gelienden Furnacaiieii uielit >;'eoi)fert hätten, eingericlitet wui'den sei. Unter den (fvkai können in diesem Zusammenhang natürlich nur die (k^n Kurien übergeordneten Tribus gemeint sein.')

Die alte Dreiteilung der Bürgerschaft tritt ferner noch, wie bereits die Alten gefunden haben (vgl. Serv. Aen. V 5(50), in dem von be- waffneten Knaben aufgeführten ludus Troiae zu Tage, welchen Aneas zum ersten Älale während seines Aufenthaltes in Sizilien veranstaltet haben soll.'-) Nach Vergils Schilderung bildeten hierbei die Knaben drei Türmen von zwiilf I\rann unter je einem Anführer. Jede Turme teilte sich alsdann in zwei Hälften, von denen die eine links und die andere rechts abschwenkte. Die jetzt auf beiden Seiten befindlichen drei Halb- turmen führten nunmehr verschiedene Evolutionen aus, wobei es zweimal zu einem Gefecht kam, um sich schliesslich wieder zu vereinigen. Mit dieser Darstellung scheinen die anderAveitigen Angaben, nach denen die Knaben nicht in drei, sondern in zwei Türmen maiorum minorumque puerorum gegliedert waren (Suet. C!aes. 39. Aug. 43. Tib. (3, vgl. Plut. Cat. min. 3), in Widerspruch zu stehen. Derselbe verschwindet jedoch, wenn man die bei Vergil vorkommende Halbierung der drei Türmen eben auf die Sonderung der älteren Knaben von den jüngeren bezieht. Der Ausdruck turma, -womit man sonst eine Eeiterabteilung von 30 Manu zu bezeichnen pflegte, wäre alsdann von Vergil für die zwölf eine einzelne Tribus vertretenden Knaben, von den anderen Autoren dagegen für die aus sämtlichen drei Tribus gebildeten Abteilungen von je 18 älteren und jüngeren Knaben gebraucht worden. •■)

1) Dies glaubt auch Marqüaedt-Wissowa (R. Staatsv. 111-197, Amn. 2), wenn Plutarch das eine Mal den Ausdruck cfQccrQiag und das andere Mal die Bezeichnung Y.atu (fvXdg absichtlich gebraucht habe, annehmen zu müssen. Er hält es jedoch fiir wahrscheinlicher, dass Plutarch in beiden Fällen an die Kurien gedacht und lediglich, um die Wiederholung dessel))en Wortes zu vermeiden , hei der Übersetzung erst einen richtigen und dann einen falschen Ausdruck gehraucht habe. Ein derartiger MissgritF wäre wohl einem römischen Schriftsteller, nicht aber einem Griechen, dem die Ver- schiedenheit der Bedeutung von cpvh] und ipQciTQia bekannt sein musste, zuzutrauen.

2) Verg. Aeu. V 545 ff. Die hier vorliegende Überlieferung verdankt ihre Ent- stehung wohl dem Bestreben, den Namen ludus Troiae zu erklären, der nach Klausens sehr wahrscheinlicher Vermutung (Aeneas und die Penaten, S. 820ff.) vielmehr von dem altlateinischen Verbum truare (= moveri, vgl. Fest. p. 9 M. s. v. antroare) abzu- leiten sein dürfte. Zu Gunsten dieser Annahme kann jetzt noch geltend gemacht werden, dass sich auf einem bemalten etruskischen Thonkruge aus dem 7. oder 6. Jahrh. V. Chr. inmitten einer den labyrinthartigen Tummelplatz des Trojaspieles darstellenden Oruamentfigur die rückläufige Inschrift truict findet (vgl. Bensdokf, Sitzuugsber. d. Wien. Ak. d. Wiss., philos.-hist. Kl., Bd. CXXIII 1891, III, S. 47ff.).

3) Im Gegensatz hierzu nimmt A. v. Pre.mersteis (Festschrift fiir G. Bksndorf, Wien 1S98, S. 265} an, die Zahl der bei diesem Spiele aufireti'iidc-n Tuniu'n halje von

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244 L. Hol-apfrJ.

Weiuleu wir uns von den .sakralen zu den niilitüriseheii Eiuricli- tungen, so lässt sicli auch auf diesem Gebiet eine die Dreiteilung der Gemeinde voraussetzende Überlieferung nachweisen, die Aveit über Varro hinaufreicht. Es ist sehi" auffallend, dass die Iviüegstribunen von den griechischen Schriftstellern diu-chgängig -/.^hao-^oi genannt -werden, ob- wohl diese Bezeichnung der Funktion, die sie in geschichtlicher Zeit aus- übten, keineswegs entspricht. Unter einem yOJagxoq kann man sich ur- sprünglich nur einen Befehlshaber von tausend Mann gedacht haben, wie es bei Herodot (VII 81) mid Xenophon (Cjrop. HIB, 11. YlIIl, 14) der Fall ist. Die sechs in jeder Legion vorhandenen Kriegstribunen haben aber, soweit unsere Kenntnis reicht, nicht etwa einzelne Teile der- selben befehligt,^) sondern das Kommando in der Weise kollegialiseh ge- führt, dass dasselbe abwechselnd auf je zwei Monate von zwei Kriegs- tribunen übernommen und so in sechs Monaten, deren Dauer die auf die gute Jahreszeit beschi-änkten Feldzüge der älteren Zeit nicht zu über- schreiten pflegten, der Turnus vollendet wiu-de (vgl. Pol}'b. VI 34, o).

Welcher Geschichtschi'eiber sich der Benennung %iliagxoi in dem in Frage kommenden Sinne zuerst bedient hat, wissen wii' nicht. Da sich dieser Gebrauch bereits bei Polybius (VI 19, 1. 19, 7. 20, 2. 21, 1. 3■^ , 1 ff. 34 , 2) ündet , so liegt die Annahme sehr* nahe , dass derselbe schon in dem griechisch geschriebenen Werke des Fabius, welches Poh'bius häufig benutzte, zur Anwendung gekommen war. Jedenfalls muss der Autor, der sich dieser Ausdrucksweise zuerst bediente, der An- sicht gewesen sein, dass zu irgend einer Zeit jeder Kriegstribun für sich allein eine Abteilung von tausend Mann befehUgt habe ; denn sonst wäre der Gebrauch des fraglichen Ausdruckes, der doch nur gewäldt worden sein kann, um die römischen Heeresetnrichtungen dem Verständnis des griechischen Lesers näher zu bringen, nicht zu erklären. Wh- kommen so zu dem Eesultat, dass Fabius oder wer sonst den fraglichen Ausdruck in Umlauf gebracht haben mag, die Kriegstribimen der früheren Zeit als Anfülu-er von je tausend ]Mann betrachtete. Diese A^orstellung steht aber in unlösbarem Zusammenhang mit der uns bei Varro und unab- hängig von ihm bei Diouj-s und Dio entgegentretenden Annahme, dass das älteste Heeresaufgebot der Römer 3000 Mann betragen und jeder Ki'iegstribun ein Drittel hiervon befehligt habe (vgl. S. 2. 5. 7). Man

Haus aus nur zwei betragen und sei erst unter der Einwirkung der varrouiseheii Theorie von der einstigen Existenz von drei Tribus der Tities, Eamnes und Luceres auf drei erhöht worden.

1) So denkt sich Madvig (Verfass. u. Verwaltung des R. Staates II 503) den Sachverhalt, wenn er meint, dass der Name ;jiii'eez<" ^^uf eine Legion von 6000 Maim hinweise. Es ist hierbei nicht berücksichtigt, dass die Normalstärke der Legion erst von Marius auf diese Ziffer gebracht wurde (Paul. Diac. p. 336 M.), während sie vor- her nur 4200 Mann betrug (Polyb. VI 20, 8).

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Dir drei (ilfcs-foi römischen Trihitx. -Jl"»

hat also srlmii iniiulcsttMis ein .Talirluiiulert vor V;uto eiiu' iirs|irniii;lirlir Dreiteilung der röniisciieii Bürgersciiaft vorausgesetzt.

Von den ältesten Zuständen Eonis konnten natürlich auch l'ahiiis und seine Zeitgenossen keine sichere Kenntnis mehr haben, aber man wird niciit wohl daran tliun, eine allem Anscheine nach in ilirc Zeit zurückreichende l'berlieferung zu verwerfen, ^^'as entschiedfii zu ilinn (iunsten siiricht, ist einmal die schwerlich zu bezweifelnde Ableitung des ^\'ortes niiles wm male und sodann die Sechszahl der Kriegstribunen, sowohl in ihrer Eigenschaft als Stellvertreter der Konsuln wie auch als Legionsoffiziere, die am leichtesten zu erklären ist nuter der Voraus- setzung, dass ursprünglich drei vorhanden waren, von denen jeder das Aufgebot einer Tribus befehligte, und dass sodaun nach der unter Tar- (|uinius Priscus erfulgten Verdoppelung der Bürgerschaft die Zahl auf sechs erhöht wurde (vgl. Mommsen, R. Staatsr. II •' 185).

Ks liegt sehr nahe, die bei den Kommissionen für die Gründung von Kidtiuieii und Anweisung von Läudereieu lange Zeit stehende Anzahl von drei Jlitgliedern (^foMMSKx, E. Staatsr. 11 '' 628) gleichfalls auf eine entsprechende Gliederung der Bürgerschaft zurückzuführen. Die alten Geschiehtschreiber müssen in der That der Ansicht gewesen sein, dass bei den in der Königszeit erfolgten Deduktionen jede der drei Tribus in gleichem Maasse berücksichtigt worden sei ; denn es ist wohl kein Zufall, wenn von Eomulus berichtet wird, dass er nach Antemnä und Cänina je 300 Ansiedler gesandt habe (Dion3'S. II 35), und die nämlicdie Zahl bei der Anlage einer Kolonie in Fidenä ^^'iederkehrt (Dionj's. II 53).

Wir haben demnach die tresviri agris dandis und coloniae deduceii- dae als eine bereits in die Königszeit hiuaufi-eichende Behörde zu be- trachten, die ursprünglich vom König ernannt wm-de und in dessen .Auf- trag ihre Amtshandlungen verrichtete und erst mit der Einführung der Republik, mit der ihre Wahl auf das Volk übergegangen sein niuss, zu einer Magistratur wurde. Auf diese Weise findet die Dreizahl, die sich sonst in den republikanischen Magistraturen vor dem dritten Jahrhundert vor Chr. nicht nachweisen lässt und daher für Mommsen ein hauptsäch- licher Anlass gewesen ist, die aus älterer Zeit vorliegenden Nachrichten über die Einsetzimg von tresviri coloniae deducendae (Liv. III 1 , 6 unter 467, IV 11, 5 unter 442, V 24, 4 unter 395, VI 21, 4 unter 383) in Zweifel zu ziehen und für die ältere Zeit ihre Funktionen den Kon- suln zu überweisen (E. Staatsr. II''- 027, Anm. 2), ihre angemessene F^rklärung.

Als ein Beweis für das Vorhandensein einer älteren, der serviauischen Tribuseinteilung voraufgehenden Gliederung kann noch geltend gemacht werden, dass der etruskische Eitus, nach welchem laut einer glaub- würdigen Überlieferung die Gründung Eoms ebenso wie die der latinischen Städte überhaupt geschehen sein soll (Plut. Eom. 11. \ay\\ 1. L. V 14:'>),

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24(1 L. Ilnl-apfrl

eine Eiiiteilmig' nach Tiiluis. lüirieii nndCeiiturieii \(irsclirielj. \\"\v cnt- iielimeu dies aus cinei' uns durcli Festus (s. v. rituales p. 285 M.) über- lieferten Bestimmung dei- etruskischen Kitualsclirif ten : rituales noviinantur Etitiscorum libri, in quibus praescribtum est, quo ritu condantur urbes, arae aedes sacrentur , qua sanctitate muri, quo iure portae , quomodo tribus curiae cenfuriae distribuanhir , excrciius constituaniur ordinentur cetera- que eiusmodi ad bellum ac -paccm ■pertincntia. 0. Müller (Die Etrusker I ' 344) meint , unter den Tribus uiul Centurien seien diejenigen Ab- teilungen zu verstehen, nach denen das Volk in den Tribut- und (Vn- turiatconiitien der geschichtlichen Zeit gegliedert war. Die Überlieferung stände jedoch mit sich selbst in Widerspruch, wenn sie die Gründung ]\(iins nach etruskischem Ritus geschehen, die von demselben vor- geschriebene Einteilung der Bürgerschaft nach Tribus uiul Centurien da- gegen erst unter Servius Tullius stattfinden liesse. Unter den Tribus können demnach , worauf schon die Voranstellung dieser Bezeichnung tiilirt, nur solche Abteilungen verstanden werden, die den Kurien über- geordnet waren.^) Eine Bestätigung erhält diese Auffassung dadurch, dass in dem etruskischen Mantua eine analoge Gliederung begegnet ; denn wir finden daselbst di-ei Tribus, von denen jede wieder in vier Kurien zerfiel (8erv. Aen. X 202). War hiernach die Tribuseinteilung von den Etruskern übernommen, was auch im Hinblick auf die in den tuskischen Städten sowohl in den heiligen drei Thoren als auch in den drei Tempeln des Juppiter, der Juno und der Minerva (Serv. Aen. I 422) zur Geltung kommende Bedeutung der Dreizahl alle Wahrscheinlichkeit hat, so liegt es sehr nahe, auch die dunkeln Bezeichnungen Tities^ Bamncs und lAicei-es auf den nämlichen Ursprung zurückzuführen; und zwar um so mehr, als nach einer bei Plinius (n. h. III (Ui) vorliegenden weit verbreiteten Tradition das roniulische Eom die vom etruskischen Ritus vorgeschriebenen drei Thore gleichfalls gehabt haben soll. Der etruskische Dichter Yolnius hat sich in der That für diese Annahme entschieden (vgl. Varr. 1. L. V r>5), und seine Ansicht erhält dadurch, dass sie von keinem Geringeren als Varro gebilligt wurde (vgl. S. 5, Anm. 1). noch grössere Autorität.-) Für den etruskischen Ursprung der 'J'ribusnamen spricht ausserdem noch die von Pais {Storia di Roma II, Turin 1898, S. 279) hervor- gehobene Thatsache, dass als König der einst etruskischen Stadt Ardea''')

1) Auch NiEHLHR (Köm. Gesch. I 1.57) hat richtig orkaiiiit, dass sieh dir tVagHchc Bestimmung auf die Urverfassung beziehen muss.

2) Auch 0. Müller (Kleine Schriften I 167) ist der Ansicht , dass durch dieses Zeugnis jedes andere aufgewogen würde.

3) Die Kutuler von Ardea werden bei Ajjpian (ßaad. 1) geradezu als Tyrrhener bezeichnet, und der Name des bei Yerg. Aen. VIT 409 ff. über sie gebietenden Turnus ist mit Turscufi oder Ti'yQtji'Oi. wie er bei Dionys I 04 lautet, identisch. Vgl. SeiiwKc.LER, Köm. Gesch. 1 .331 und Cuno, Etru.sker, S. 84f.

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Die drei illtcsfcn römischen Tri/ms. 247

ein als Duiiiii'li>iliiji('r des J^uciiiuo und Buiulesgeuosse des li'uniuliis im Kriege mit den Sabinern figurierender Lucertis genannt wiiil , vtm diMii man den Namen der Luco-es ableitete (Paul. Diac. p. IIU M. s. v. Am- cireses, Vgl. oben S. 4, Anm. 3), und nicht minder, der bei Verg. Am. ^ IX 325 in den Reiben der etruskisdien') Eutulm- kämpfende und dem Turnus als Augur dienende König Rhamnes.

Die Herleitung der Kurieneinteilimg aus Etrurien kann andrerseits darauf gestützt werden, dass der Kult der in Eom verehrten Juno Cur/s iider Curitis (Paulus p. (i4 s. v. cwiales mensae. Dionj's II öO. JfoMMSKx, ]\. Staatsr. III KU) auch in Falerii begegnet.'-) Nach den Bestimmungen der etruskisdien Pitualschriften (s. S. IH) sollten die Kurien ihrerseits wieder in t'enturien gegliedert werden. In dem ältesten Rom fielen jeducli nach der Ansicht der antiken Altertumsforscher, welche auf die einzelnen Tribns ein Heeresaufgebot von 1000 und auf die ganze Bürgerschaft ein solches von 3000 Jlann rechneten, die Kurien, auf die hiernach je KlO Manu kamen, mit den Centurieu zusammen.'') Wären die 3000 Mann der ursprünglichen Legion nicht von vornherein durch eine feste Über- lieferung gegeben gewesen, so hätten die römischen Gelehrten wohl niclit dai-auf verzichtet, die in den Ritualbüchern vorgeschriebene Einteilung vollständig durchzuführen und jede Kurie wieder ihrerseits in eine Anzahl von Centurien zerfallen zu lassen.

Um die Reihe der für die alte Dreiteilung der römischen Bürgei- schaft sprechenden Argumente zu schliessen, mag endlich noch bemerkt wei-den, dass eine Hinweisung auf diese Gliederung, wie bereits Niebuhr (Rom. Gesch. 138(5, Anm. 871), Schweglee (Rom. Gesch. I58Gff.) und VoLQUARDSEN (Die drei ältesten römischen Tribus, im Rhein. Mus. XXXII 1 1878, S. 545) gefunden haben, in der alten Sage vom Kampfe der drei Horatier mit den drei Kuriatiern vorzuliegen scheint. Bei ehier solchen Auffassung muss man konsequenter Weise mit den soeben genannten Foi'scheru auch für Alba Longa di-ei diu-ch die Kuriatiei- vertretene Tribus annehmen, welche Ansicht dadurch, dass nicht nur Rom, sondern die latinischen Städte überhaupt nach etruskischem Ritus gegründet worden sein sollen (vgl. S. 18), an Wahrscheinlichkeit gewinnt.

Nachdem -ndr so mit unserer Beweisführung zu Ende gelangt sind. wird es nützlich sein, dieselbe noch einmal kiu-z zusammenzufassen. Wir sind im Gegensatz zu Bor.mans, der die Tradition von der romulischen Tribuseinteilung auf Komljinationen Varros ziu-ückführte, zu dem Resultat gelangt, dass die hierüber in Ciceros Schrift de re publica, bei Dionys

1) Vgl. die vorige Note.

2) \g\. CLL. XI 3100. 3125. 312G und 0. Müller, Etrusker II' 4.5, Anm. 12.

3) Bei Lvdus de m-A^. I IG hat diese Auffassung eine so feste Gestalt gewonnen, dass mit der durch den Hinzutritt der Sahiner hewirkten Verdomielung des Heeres eine \'ermehrung der Kurien von 30 auf CO Hand in Hand geht.

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248 L. Hohapfel,

uiiil Diu vorliegeiulen Berichte von Yano un abhängig sind. Was ins- besondere Ciceros Darstellung betrifft, so zeigte sich, dass dieselbe Varro bereits vorgelegen hat, wälu-end andi-erseits für Dio die Benutzung einer auf ältere Überlieferungen zurückgehenden Quelle nachgewiesen werden konnte. Ferner begegneten uns die drei Tribus in der Tradition des Augurnkollegiunis, welcher man ein höheres Alter zuzuschreiben bei'echtigt ist. Für eine Vertretung der drei Tribus in dieser Priesterschaft sprach auch ihre Mitgliederzahl bis ziuu Ende der Eepublik. Ebenso war dies der Fall bei den vestalischen Jungfrauen, deren Sechszahl bereits von den Alten mit der Tribuseinteilung in Verbindung gebracht wii-d, und bei den Pontifices. Einen Beweis dafür, dass der späteren Tribusein- teilung eine ältere voraufgegangeu sein niuss, glaubten •nir andrerseits erblicken zu müssen in den saki'alen Funktionen der drei tribuni celerum, die ein ähnliches Schicksal wie die vier ^vloßaadstg im alten Athen gehabt zu haben scheinen. Bei Dionys und Plutarch fanden ^^-ir ferner Zeugnisse dafür, dass noch in späterer Zeit bei den von den Kurien veranstalteten Gottesdiensten auch die ihnen übergeordneten Tribus zur Geltung gekommen sind. Ein weiteres Argument für deren Existenz lieferte die Einteilung der bei dem hidus Troiae auftretenden berittenen Knaben in di-ei Türmen. Nicht minder ergab sich ein solches aus der frühzeitig vorkommenden, für die geschichtliche Zeit aber nicht mehr zutreffenden Bezeichnung der Legionstribuneu als yiliagxoi, die nur auf der Voraussetzung beruhen kann, dass ursprünglich jeder Ivi-iegstribun füi' sich allein 1000 Mann befehligte, wie es eben bei einer Dreiteilung des füa- die älteste Zeit angenommenen Heeres von 3000 Mann der Fall war. Ein weiteres Indicium dafüi-, dass einst die Gemeinde in drei Tribus gegliedert war, durften wii' erblicken in den tresviri coloniae deducendae und agris dandis , deren ungerade Zahl den ICim'ichtnngen der älteren Eepublik widerstreitet und daher auf einen fi-üheren Ursprung hinzuweisen scheint, sowie in der hiermit harmonierenden Zahl von 300 Kolonisten, die bei den dem Eomiüus zugeschi-iebenen Deduktionen wiederholt be- gegnet. Ein starker Beweis füi- die Eealität der di-ei Tribus ergab sich nocli daraus, dass der etruskische Eitus, nach welchem Eom und die latiuischen Städte überhaupt gegründet sein sollen, eine Einteilung der Bürgerschaft in Tribus, Kurien und Centurien vorschrieb, in welchem Zusammenhang nur eine den Kurien übergeordnete Gliederung nach Tribus, wie sie thatsächlich iu Mantua existierte , gemeint sein kann. Xachdem sich die Ti'ibus so als eine etruskische Einrichtung erwiesen hatten, hielten wii- uns für berechtigt, der von Varro gebilligten Angabe des etruskischen Dichters Volnius, dass ihi'e Xamen aus Etrimen entlehnt seien, Glauben zu schenken, und zwar umsomehr, als in der Sage der einst von den etruskischen Rutuleru bewohnten Stadt Ardea die Königsnamen Rhamnes und Lucervs vorkommen. Einen Eeflex der alten Dreiteilung fanden wir

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Die drei ältesten rihniarhcn Tr/Itiis. '2W

eiullicli in diT Krziililuno- vom KaiiiptV drr dici Ildraticr mit den dn-i Kiiriaticrii. woraus wir am-li das Bestellen einer ^ieii-lien (iliedeniiij^ in Alba jAiuga folgern zu dürfen glaubten.

(icgeuüber dieser Eeilie von Arguinenien wiid man darauf, dass weder bei Tjvlus (1 13, (3 ff.) noch in dem von ihm unabhängigen Berichte in der Sclirift de vir. ill. (2, 1 1 ff.) neben den dreissig Kurien und den drei Eeitercenturien die drei Tribus erwähnt werden, kein Gewicht zu legen haben. Das Stillschweigen dieser Autoren findet seine genügende Vlv- klärung darin, dass in der späteren Zeit die alten Tribus in iiolitischer Hinsicht noch mehr als die Kurien und die drei doppelten Kittercenturien, die doch beide als Stimmkörper noch fortbestanden, in den Hintergrund getreten waren. Verschwunden sind sie aber jedenfalls nicht, sondern es muss sich die Erinnerung daran, welche Kurien zu den Tifies oder den liamncs oder den Luceres gehörten, erhalten haben. Im anderen Falle wäre weder die für die geschichtliche Zeit bezeugte Vertretung der drei Tribus in den Priesterschafteu der Augurn und Vestalinneu noch die bei religiösen Festen vorkommende (Tliederung der Bürgerschaft nach Tribus und Kurien, von der wir durch Dionj's und Plutarch Kenntnis erhalten (S. lött'.), möglich gewesen. Auch hätte es keinen Sinn gehabt , die drei alten Eittercenturien , welche in der späteren Heeresordnung überhaupt keine Stelle mehr fanden und eben in ihrer Eigenschaft als reine Stimmkörper ^'ou den zwölf militärischen Eittercenturien durch die Benennung sex suffi-agia unterschieden wurden, weiter bestehen zu lassen, wenn die drei Tribus, die durch sie repräsentiert werden sollten, iil)erhaupt nicht mehr vorhanden waren.

Wir wenden uns nunmehr zu der in zweiter Linie zu erledigenden Frage, ob die romulischen Tribus, wie man gewöhnlich annimmt, auf eine Vereinigung verschiedener Volksstämme oder Gemeinden oder lediglich auf eine künstliche Einteilung zurückzufüliren sind.')

Die Vertreter der ersten Auffassung denken sich im Anschluss an Niebuh R den Sachverhalt meistens so, dass die Ramnes mit der ursprüng- lichen Bevölkerung, die Tities mit den von Titus Tatius hinzugebracliten Sabinern und die Luceres mit den unter Tullus Hostilius nach Eom üljer- gesiedelten Albanern zu identifizieren seien.'-) \'on einem solchen Sacli- verhalt, womit sich der den Tities in der Eeihenfolge zukommende Vor-

1) Für diese letztere Ansicht entscheiden sich H. Nissen (I)asTomplum, S. 14-t), Zih.i.er (Latium und Rom, S. 28), Volquardsen (Die drei ältesten römischen Tribus, Rhein. Mus. XXXIII 1878, S. 538 fr), E. Meter (Gesch. d. Altert. 11 510. 513) und P.us {Sturkt (U Roma 1 1, 279), der in den Namen der drei Tribus Bezeichnungen erblicken möchte, welche die übrigen latinischen Städte mit Rom gemein gehabt hätten.

2) Niicni HR, Rom. Gesch. 132911'. Schwegler, Rom. Gesch. I 502 ff. La.sce, Rom. Altert. l"'S8fl'. Willems, Le sinat de la rcpuhliquc romainc 122.

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250 L. Holzapfel,

rang- (vgl. S. 1, Aiim. 1) sclileclit verträgt, weiss jedocli, wie schon VoLQUARDSEN (Eliein. Mus. XXXIII 1878, S. 542f.) mit Eeclit geltend ge- macht hat, die römische ÜberUeferiing nichts, sondern dieselbe lässt vielmehr die Einteilung der Bürgerschaft in drei Tribiis entweder gleich nach der Gründung der Stadt') oder nach dem Hinzutritt der Sabiner,-') wodurch doch nur eine Zweiteilung hätte motiviert werden können, er- folgen. In beiden Fällen erscheint also diese Massregel als ein von dem Stadtgründer nach fi-eiem Ermessen vorgenommener politischer Akt.

Einen anderen Weg hat Mommsex eingeschlagen. Er nimmt, indem er die Gleichsetzung der Lucerres mit den Albanern fallen und die sabinische Herkunft der Tüies dahingestellt sein lässt (Hermes XXI 1886, S. 583), an, nach der ursprünglichen Überlieferung, die am reinsten bei Cicero (reji. W 11) erhalten sei, habe die Vereinigung von di-ei Gemeinden zu einem Staate nach dem Friedensschlüsse zwischen Eomulus und Titus Tatius stattgefunden. Die Stammsage der Luceres sei indessen dadurch, dass man als Prototyp für- das Konsulat nur ein Doppelkönigtum habe brauchen können, verloren gegangen (R. Staatsr. III 99 ff. 845, Aum. 2).

Aber auch diese Ansicht erweist sich als unhaltbar. Zunächst steht Uir die nicht nur bei Varro und Dionys (vgl. S. 3. 5), sondern auch in einer alten Relation bei Dio (vgl. S. 5 ff.) vorkommende Überlieferung entgegen, welche die Einrichtung der drei Tribus bereits vor dem Hin- zutritt der Sabiner erfolgen Hess. Wii' haben ferner gesehen, dass die von dem etruskischen Dichter Volnius aufgestellte und von Varro gebilligte Ansicht, wonach die Tribusbezeichnungen mit der römischen Gründuugs- sage nichts zu thuii haben, sondern vielmehr etruskischen Ursprungs sind, alle Walu-scheinlichkeit für sich hat (vgl. S. 18 ff.). Ausserdem hat aber Mommsen selbst durch seinen Nachweis, dass die Tatiuslegende erst nach der Verleihung des vollen Büi-gerrechts an die Sabiner (268 n. Clir.) entstanden sein kann (Hermes XXI 1886, S. 570 ff.), der einzig und allein auf dieser Erzählung beruhenden Auffassung, dass die Ramncs und Täüs von Haus aus selbständige Gemeinden gebildet hätten, den Boden entzogen.

Durch seine Annahme, dass Rom aus der Vereinigung von drei Ge- meinden hervorgegangen sei, ist Mommsen- zu der Konsequenz geführt worden, dass der Senat, dessen Normalbestand in den von Rom aus ge- ordneten Gemeinden hundert Jlitglieder betrug (vgl. Mojuises, R. Staatsr.

1) Dioscr Traditiou folgten Varro (bei Dioiiys II 47, vgl. S. 3), Dionys (117, vgl. S. 5) und Dio (fr. 5, 8, vgl. S. 7).

2) Hiernach Cic. rep. II 14. Plut. Rom. 20 (aus Juba, vgl. S. 4, Aiini. 1 und Paulus Diac. p. 119 M. s. v. Liicereses. Die nämliche Überlieferung liegt ferner vor bei Livius (1 13, Gif.) und in der Schrift de vir. ill. (2, 11), au welchen beiden Stellen zwar die Tribuseinteihmg selbst nicht erwähnt, die auf ihr beruhende Einrichtung d<T dreissig Kurien und der drei Reitercenturien der Titics, Eamnes und Lnccrcs dagegen erst nach der Vereinigung mit den Sabinern berichtet wird. Vgl. S. 4.

23

Die drei iilfcxfcn röiiiixrhcn Trilms. 'lh\

IIl 845, Aiini. 1), nacli der ursiirinmliclion liejieiidc bweits unter Koimilus die älteste geschliclitlicli beglaubifite Zalil von .JUii Mitgliedern (Liv. II I, Ki. Dionys. V. 13. Festus p. 254 M. s. v. qiü patres) erreicht liabe (K. Staatsr. 111845). In entschiedenem Widerspruch hiermit steht jedoch die Er- zählung von dem naedi dem Tode des Eoniulus eingetretenen Inter- regnum, welche in ihrer reinsten bei Livius (I 17), in der vita Taciti (c. 1) und bei Arnobius (1 ^I) vorliegenden Überlieferung die als ursprünglich angenommene Zahl von hundert Senatoren (Jjiv. I 8, 7. Dionys 11 12. \^ell. I 8, 6. Plut. Eom. 13. Fest. p. 246 M. s. v. patres. Eutrop. I 2, 1. Ovid. fast. III 127) festhält. Wir haben es sowohl in diesem Bericht wie auch in Dios Darstellung, welche diese Mitgliederzahl noch bis auf Tarquinius Priscus fortbestehen lässt (vgl. S. 9 f.), mit einer Tradition zu tliun, welche älter ist, als die eine Verdoppelung des romuUschen Senats nach dem Hinzutritt der Sabiner (vgl. Dionys. II 47) erfordernde Tatiuslegende. Nachdem diese Legende einmal ein fester Bestandteil der t'berlieferung geworden war, musste die ursprüngliche Tradition, nach welcher der Senat erst von Tarciuinius Priscus von hundert Mitgliedern auf zwei- liundert und sodann im ersten Jahre der Eepublik diu-ch Aufnahme von iiundert Plebejern auf dreihundert Mitglieder gebracht wurde, notwendig in Zerrüttung geraten.')

Es ist nunmehr noch ein positives Argument zu l)erücksichtigen, welches MoMMSEN zu Gunsten seiner Annahme, dass die Tities einst ein besonderes Gemeinwesen gebildet hätten, ins Feld gefülu-t hat. Es ist dies die Existenz einer Priesterschaft, cUe den Namen sociales Titll führte. Nach einer bei Tac. ann. I 54 vorliegenden Überlieferung soll dieses Kollegium von Titus Tatius zur Erhaltung der sabiuischen Sacra, nach einer anderen Angabe dagegen, die sich Tac. hist. 11 95 findet und auch dem Dionys (II 52) vorgelegen haben muss,-) von Eomulus zum Andenken an Titus Tatius eingesetzt worden sein. Eine di'itte Ansicht begegnet bei Varro, der den Namen der fraglichen Priesterschaft von den nicht näher bekannten avcs Titiae ableitete.-') Was die beiden ersten Er- klärungen betrifft, so beruhen dieselben auf der erst im dritten Jaiir- hundert v. Chr. entstandenen Tatiuslegende (vgl. S. 23). Die Beziehung auf den Totenkult des Tatius wird ausserdem noch, wie Mommsen (H. Staatsr. III 97, Amn. 3) mit AVahrscheinlichkeit vermutet, durch das Bestreben, die Konsekrationen der augusteischen Zeit an alte Einrichtungen anzulehnen, veranlasst sein. Desto mehr Wert legt Mommsex aul' die

1) Dieser Prozcss ist iu der S. 10, Aiiin. 1 zitierten Al)liaiiilluiig uälier ilurgeirgt worden.

2) Bei Dionys ist zwar nicht von den sociales Täii, wolil aber von einem Trank- opfer, das dem Titus Tatius alljälirlieh von Staatswpgen gespendet wurde, die Rede.

3) 1. \j. VS5: sodales Titii dicti ah Titüs avibiis, qiias in augiiriis certis obscr- varc söhnt.

24

252 L. Holzapfel,

bei VaiTO vorkommende Ableitmis: dei' sodales Titii von den aves Titiae. Er glaubt hieraus die Folgerung ziehen zu dürfen, dass einst die Tities eine Sondergemeinde mit eigener Auspicalordnung gebildet hätten (Hermes XXI 188ti, S. 583. E. Staatsr. DI 97, Anm. 3). Wir werden aber im Gegenteil aus A'arros Etymologie zu entnehmen haben, dass ihm von einer Beziehung der sodales Titii zu der Tribus der Tities nichts bekannt war. Dass auch die aves Titiae mit dieser Abteilung der Gemeinde in keinem Zusammenhang stehen, ergiebt sich ans einer Glosse, in der der Ausdl'uck Titiensis clangor mit id est sonitus cum tumultu erklärt Avird (Corp. gloss. Lat. ed. Götz, IV 424). Wir haben es also mit einer der Auguralsprache eigentümlichen Bezeichnung zu thun, deren Etj'mologie wir nicht zu ergründen vermögen. Die Eichtigkeit der von Mommsen aufgestellten Kombination ist auch bereits von E. Meter (Gesch. d. Altert. II 513) bezweifelt worden.

Der für Mommsens Ansicht ausschlaggebende Grund scheint die von ihm (E. Staatsr. 11196) geltend gemachte Erwägung zu sein, dass eine doppelte Einteilung der Gemeinde in Tribus und Kurien nicht den Charakter einer primären Einrichtung zu haben scheine. Die etruskischen Eitual- schrif ten, deren Bestimmungen nicht nur für Eom, sondern für die latinischen Städte überhaupt maassgebend gewesen sein sollen (vgl. S. 18 ff.), setzen aber sogar eine dreifache Gliederung nach Tribus, Kurien und Centimen als Norm voraus. Ferner finden sich die Kurien als Unterabteilungen der Tribus in der Etruskerstadt Mantua, deren Bürgerschaft in drei Tribus mit je vier zugehörigen Kurien zerfiel (vgl. S. 19). Die vier attischen Ph^vlen, von denen jede wieder in drei Phratrien eingeteilt war, bieten hierzu eine gute Analogie. "\^"enn Mommsen (a. a. 0.) seine Auf- fassung in zweiter Linie darauf stützt, dass in der Munizipalverfassung bei der so häufig vorkommenden Kurienordnung doch nü-gends eine der Tribus entsprechende Mittelstufe ZAAischen Gemeinde und Kurie begegne, so ist dieses Argument nur von geringer Bedeutung; denn auch in Eom treten die alten Tribus hinter den Kurien in dem ^Maasse zurück, dass ihre Existenz von Niese und Buemann hat in Zweifel gezogen werden können. Es ist daher sehr wohl denkbar, dass auch in den Munizipien eine den Kurien übergeordnete Einteilung nach Tribus bestanden hat und von ün-er Existenz bloss deshalb nichts verlautet, weil bei den Volks- abstimmungen die Kiu'ien allein in Betracht kamen. Aus den Bestimmungeu der lex coloniae Genetivae, worin für die Kollegien der Pontifices und der Augurn die Dreizahl als Norm festgesetzt wird (vgl. S. 14) , dürfen wir nicht nur mit Mommsen (E. Staatsr. 11-^ 21, Anm. 5) den Schluss ziehen, dass ein solches Verhältnis im ältesten Eom bestanden hat, sondern noch weiter folgern, dass auch in den Munizipien eine Dreiteilung der Bürger- schaft existierte.

Die Zurückführuug der Tribus auf eine künstliche Gliederung gewinnt

T)ie drei ältesten römischen Trihus. 253

iiofli weseiiflicli an Walirsclieinliclikeit , wenn man iliren etruskisclipn Ursprunji- und ilie Bedeutung- der Dreizahl bei den Etruskern (vgl. S. isff.) in Erwägung zieht. Zu Gunsten unserer Annahme kann ferner geltend ge.maclit werden, dass diese Zahl auch bei den Eömern selbst und nicht minder bei den Unibrern, den Griechen und Germanen eine grosse Kolle sjiielt.') Insbesondere liegt es nahe, die römische Tribuseinteilung mit der bei den Doriern regelmässig durchgeführten (iliederung der Büi-ger- schaft in drei Pliylen auf eine Linie zu stellen.'-)

Als ein in politischer Hinsicht maassgebender Faktor tritt uns bei den italischen Völkerschaften die Dreizahl sowohl in der Festsetzung der zum I^atinerbunde gehörigen Städte auf dreissig-') als auch in mehreren zwar meistens nicht auf auf geschichtlicher Überlieferung beruhenden, aber doch jedenfalls in Anlehnung an thatsächliche \'erhältnisse kon- struierten Berichten von Gebietsabtretungen entgegen. A'on den beiden von Eomulus besiegten Städten Anteninä und Cäniua erzählt Dionys (II 35) , dass sie ein Drittel ihres Grundes und Bodens an römische An- siedler hätten abgeben müssen. Von dem nämlichen Schicksal soll Cameria betroffen worden sein (ibid. II 50). Als diese Stadt sich sodann zum zweiten Mal gegen die Eömer erhob, wurde ihr die Hälfte des noch be- lassenen, also ein weiteres Drittel ihres ursprünglichen Gebietes genommen (ibid. II 51:). Zu dieseu Fällen, auf die bereits 'S^ilquardsen (Ehein. Mus. XXXIII 1878, S. 55.3) hingewiesen hat, gesellt sich noch das Verfalu-en gegen die Herniker und Privernaten, von deuen die ersteren im Jahre 486, die letzteren aber im Jahre 341 nach den bei Livius (II 41, 1. VIII 1, 3) vorliegenden Berichten zwei Drittel ihrer Läudereien abtreten mussten, sowie die unter 303 gemeldete Bestrafung der Frusinaten, die den dritten Teil ihres Gebietes eingebüsst haben sollen (Liv. X 1, 3). Am besten erklären sich diese Angaben durch die von VoL-iCAEDSEK (a. a. 0. S. 554) aufgestellte Annahme, dass die Dreiteilung des Grundes und Bodens in den italischen Städten überhaupt üblich war und den Eömern hierdurch bei einer Eroberung das erwähnte Verfahren nahe gelegt wurde.

Die vorstellende Untersuchung hat zu dem Ergebnis geführt, dass die drei alten Tribus nicht auf einem Synökismus, sondern auf einer w i 1 1 k ü r 1 i c h e n E i n t e i 1 u n g beruhen, für welche der etruskische Eitus raaassgebend war. Es ist nun noch auf die Frage einzugehen, ob wir uns diese Tribus, wie es seit Niebuhr (Eöra. Gesch. I 370 ff.) und ScH WEGLEE (Eöm. Gesch. I 621 ff.) vielfach geschieht, als rein patrizLsch oder als patrizisch-plebejisch zu denken haben.

1) Zahlreiche Belege hierfür giebt Diels, Sibyll. Blätter, S. 40 IT. In Hinsieht auf die ümbrer vgl. BücHELEn, Umbrica, S. 133 f.

2) Hierauf hat Nissen (Templum, S. 144) hingewieseu.

3) Vgl. VoLQUAUDSEN-, Khein. Mus. XXXIH (1878), S. 545. Beiträge z. alten Geschichte lä. 17

2G

254 L. Holzapfel,

MoMMSEx hat in seinen Eöuiischen Forschungen (I 140 ff.) den un- widerleglichen Beweis geführt, dass die den drei Tribus untergeordneten Kurien, soweit die römische tT)erlieferung zm-ücki-eicht . als Einteilung der gesamten patrizisch-plebejisehen Bürgerschaft bestanden haben. Nichts desto weniger hat auch er sich von der Anschauung Xiebuhrs und Schweglers, dass die Kiu'ien von Haus aus auf den patrizischen Ge- schlechtern beruhen, nicht zu emanzipieren vermocht und daher wenigstens für die vorgeschichtliche Zeit die Existenz rein patrizischer Tx'ibus und Kiu-ien angenommen (Eöm. Forsch. 1274 ff. Köm. Staatsr. III 89 ff.). Gegen eine solche Auffassimg ^vu•d indessen von E. JIetee (Gesch. des Altert. II 513) mit Eecht geltend gemacht, dass ein Adel ohne den Gegensatz nichtadliger Bauern gar nicht existieren konnte. Wir haben demnach keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die di-ei Tribus und die dreissig Kui'ien, die nach der einstimmigen Ansicht der römischen Altertums- forscher das ganze Volk in seiner militärischen Gliederung repräsentierten, von Anfang an auch die Plebejer umfassteu. Als Patrizier betrachtete man die angesehensten Familienhäupter , welche bei der Gründung der Stadt vorhanden waren (Diouys II 8) , oder die hundert von Eomulus ernannten Senatoren (Plut. Eom. 13. quaest. Eom. 13) und ihre Nach- kommen (Cic. rep. II 23. Liv. I 8, 7). Nach dieser Auffassung bildeten also die Patrizier nui- einen geringen TeU der gesamten in den drei Tribus enthaltenen Bürgerschaft, welche der Überlieferung zufolge von vornherein 3000 Fusssoldaten und 300 Eeiter ins Feld zu stellen ver- mochte (vgl. S. 5). Man könnte nun geneigt sein anzunehmen, dass ursprünglich in Eom die gleichen Verhältnisse bestanden hätten, wie in der Mehrzahl der griechischen Staaten, in denen sich der Adel nach der Abschaft'ung des Königtums aus der Eitterschaft zusammenzusetzen pflegte (Aristot. pol. VI 13, p. 168, 23 ff. Bekk.), und demgemäss vermuten, dass wenig-stens der römische Eitterstand von Haus aus rein patrizisch gewesen sei. Eine solche Ansicht findet indessen in der Überlieferung nicht die mindeste Stütze und wird überdies ausgeschlosseu dui-ch die von MoMMSEN (E. Staatsr. HI 292) auf Grund verschiedener Angaben (Liv. I 43, 9. XLin. 16, 14. Cic. Phil. H 82) erwiesene Thatsache, dass in historischer Zeit die di-ei doppelten Eittercentiu-ien der Täies, Ramnes imd Luceres bei der Ausübimg des Stimmi-eelites hinter den zwölf anderen Eittercenturien zurückstandeu, indem diese letzteren mit der ersten Klasse, die di-ei doppelten Eittercentui-ien dagegen zwischen der ersten und der zweiten Klasse für sich abstimmten. Eine solche Zurücksetzung, die von der Überlieferung bereits auf die servianische Stimmordnimg zurückgeführt wii-d (Liv. I 43, 9. Fest. p. 334 M. s. v. sex suffragia und dazu Mommsen-, Eöm. Forsch. I 139 f.), erscheint mit einem ursprüugiichen Patriziat der di-ei alten Eittercenturien unvereinbar. Es ist daher unstatthaft, mit MoMMSEx (E. Staatsr. III 254) die in der servianischen C'enturienordnung

27

Die drei ältesten römischen Trilnis. 255

vorkoniiueiulen proci palricü (Cic. orat. löü. Fest. p. 249 M. s. \-. /jwcum }iatri<mm) mit den Tities, Ramnes und Luceres zu identifizieren.') Unsere üntersuchuno- führt demnaclr zu dem Resultat, dass nidit nur die drei alten 'rribus, sondern auch die aus ihnen g-ebildeten Eittercenturien vori Haus aus patrizisch-plebejisch gewesen sind.

1) Lange (Rom. Altt^rt. I''482) trifft vielleicht das Richtige, wenn er diese dunkle Bezeichnung auf die achtzig Centurien der ersten Klasse, die von Haus aus die Patrizier sämtlich oder doch wenigstens der überwiegenden Mehrzahl nach in sich he- grilfen haben mögen, hezieht.

IT* 28

256

Die historische Semiramis und Herodot.

Von C. F. Leliniaiin.

Dass der Name Sammuramaf, den eine, Jdad-m'rarP) III. von AssjTien (812 783) naliest eilende königliche Frau trägt, mit dem der Semiramis identisch ist, weiss man seit Langem,-) und ebenso alt sind die Versuche, diese Sammuramat mit der Semiramis der Sage, des ktesianischen Romans, in Verbindung zu bringen. Die „ganz auffallende" Angabe Herodots (I 184), der ungefähr um die Zeit, da jene Sammuramat wirklich lebte, eine Semiramis kennt , hat , wie vor ihm Oppejit und G. Rawlinsox und nach ihm HoMMEL,ä) Ed. Meyer^) erneut hervorgehoben, dabei aber bestimmt in Abrede gestellt, dass die ..Semii-amis des Ktesias" irgend etwas mit der herodoteischen zu thun habe.

Ähnlich urteilten Tikle^) und WiiNCKXEE,'^) während ich") im Gegensatz zu des Letztei-en Ausführungen die Foi-derung aussprach, dass unbedingt die Gestalt der historischen Sammuramat als Kern und Urspriuig der ktesianischen zu betrachten sei. Gleichzeitig wies ich andeutungsweise

1) Adad-nirari, nicht Eammän-nirari. Dass der ideographisch geschriebene Name des assyrischen Wettergottes, in Personennamen dieser Art und Überhaupt, Adad und nicht Eammän zu lesen ist, zeigt die phonetische Schreibung mASur-ni-ra-ri-iii ^" A da- d i -ni-ra-ri-e-hi (K[önig]) (L[and]) ASsur-ni-i: ,ASur-nirari (755 745 v. Chr. Vorgänger Tiglatpilesers III.), Sohn Adad-niraris, König von Assyrien" in der von unserer deutschen Expedition nach Armenien in der Kirche Surb Pogos zu Van auf- gefundenen Inschrift Sardurs III. von Urartu-Chaldia. Siehe W. Belck und C. F. Lehmann, Sitzunt/sbericMe Berl. Ak., Phil hist. Kl. 1899, 119 sub 6 (vgl. 1900, 624 sub 116) und Kachrichtcn der K. Gesellschaft d. Wissensch. su Göttingen, [GN.] , Phil. hist. Kl. 1899, S. 83 f. sub 5. Schon vorher war die Lesung Adud von Oiteet {Zeitschrift für Assyriologie IX (1894) 310 und mir ib. X (1895) S. 87) gefordert worden.

2) Siehe J. OerEUT, Histoire des Empires d'Assyrie et de Chaldie (1865) p. 128—180. G. R.\wLissox, The fxve great monarchies ofthe Ea.it, vol. II p. 119 121. Ddxckeh, Ge-idiichte des Altertums 11° S. 36, 254.

3) Geschichte Bahyloniens und Assyriens (1885 ff.) S. 631 f.

4) Geschichte des Altertums [GA.] I (1884) § 411 Anm.

5) Babylonisch-assyrische Geschichte I (1886), 207; 212 f.

6) Geschichte Bahyloniens und Assyriens (1894), 120 f.

7) Rezension über Wiscklebs Geschichte Babyl. u. Assyr.; Bcrl. rhihl. Wochen- schrift 1894, Sp. 239 f.

Dir, hisforisrhe Sniiilrawis und Ilcroäot. 257

auf die Bedingungen und rnistiinde liin, die die Entstellung der Sage aus den über die wirkliclie Svmiravu's bekannten liistoi-isclien Tliatsachen durchaus ungezwungen erklären, was bisher von keinem der <lie Identität vei'tret enden Forscher ernstlich versucht war.';

Skizzenhaft und nebensächlich wie sie geboten war, entging meine Erklärung der Beachtung.-) Und davon ganz abgesehen, tritt neuerdings die Neigung hervor, die Persönlichkeit auch der historischen Semlramis möglichst zurückzudrängen. Die der Sageugestalt gegenüber erforderli(;he Skepsis wii'd unberechtigter Weise auf die geschichtliche Persönlichkeit übertragen, und so die historische AVürdigung einer in mehr als einer Hin- sicht interessanten und bedeutsamen Erscheinung erschwert und verhindert.

Während Maspero-') sie unter Erwähnung der älteren Litteratur seit Oppekt möglichst kurz abthut und seinen Standpunkt als dem Tieles entsprechend kennzeichnet, wird sie in dem dem alten Westasien ge- widmeten Teile von Helmolts Weifgeschichte*) überhaupt nicht erwähnt.") ITnd selbst auf dem Gebiet, auf dem die Bedeutung dieser Herrscherin relativ am wenigsten zu bestreiten sein wii'd, dem religionsgeschichtliclien, lässt sich derselbe Kückgang beobachten.

Es war Tiele, der in seiner babylonisch-assi/rischen Geschichte (a. a. 0.) mit guten Gründen der Sammuramat einen bedeutsamen Anteil an der Ein- führung des iVe/>o-Kultes in Assyrien zuschrieb und hierbei auch in seiner Eeligionsgeschichte beharrte.'') In Jastkows') neuester religionsgeschicht- licher Darstellung sieht man sich auch nur nach dem Namen der Sammuramat vergebens um.

Bei dieser Sachlage erscheint es angezeigt, die Nachrichten über die historische Semii-amis erneut zu prüfen und zu einem Gesamtbilde zu vereinigen, das sich von den Zügen der Sagengestalt deutlich abhebt. Dal)ei sind Wesen und Herkunft der herodoteischen Nachricht ins rechte Licht zu setzen. Dass hierauf und auf die Ergebnisse solcher Betrachtung für die Kritik des Herodot besonderes Gewicht gelegt wird, ist im Titel der vorliegenden Ausführungen angedeutet.

1) Insofern traf Wilcke s Kritik, Heimes XXVIII 187, zu.

2) Ausgenommen J. Märql-aut, Chronologische Untersuchungen, S. 642|S] Anni. 21.

3) Eütoire aneienne des peuples de V Orient classiqiie, vol. III (1899), p. 98 u. n. 1.

4) H. WiNcKi.Eu, Das alte Westasien in Helmolts Weltgeschichte Bd. III (1899), S. 25f.; S. 60f

5) Sachgemäss dagegen J. Krall, Ornndrias der (dtorientalischen Geschichte T (1899), S. 137; ,. . . Sammuramat, die Herrin, welclie für eine babylonisehe Prinzessin und ein Vorbild der Semiramis der griechischen Sage gehalten wird."

6) C. P. Tiele, Geschichte der üeligion im Altertum bis auf Alexander des Grossen. Deutsch von G. Gebrich, I (1896), 191.

7) M. Jasthow {Handbooks on the History of Rcligions, vol. IT : The rcliyion of Babylonia and Assyria (1898), cf. p. 128, 228. Vgl. über dieses Buch im Allgemeinen Tieles anerkennende Besprechung, Zeitschrift f. Assyriologic [ZA.], XIV, 184 ff.

258 C. F. Lchmaui),

Erst wenn über die gescliiclitliclie Herrscherin niöglicbste Klarlieit gewonnen ist, darf der, unserer Überzeugung nacli erfolgverbeissende Versuch gemacht werden, sie als Ausgangspunkt und Grundlage für die Bildung der Sage zu erweisen.

Die Quellen für die historische Semiramis sind:

1. AssjTische Inschi-ift') auf mindestens zwei Statuen des (rottes Nabu, (Nebo) aus Kalach-Nimrud jetzt im Britischen Museum.'') Sie lautet,-') mög- lichst wörtlich, übersetzt : „Dem Gotte Nebo, dem Gewaltigen, Erhabenen, dem jSohne von Esaggil' (folgen dessen gesamte Attribute), „der da wohnt im Tempel Ezida in Kalach hat dies (sc. die Statue) ,für das Lebeu"^) Adadniraris, Königs von Assjrien und ,f ür das Leben'") der Sammuramat, der Frau des Palastes, seiner Herrin, Bsl-iarsi-äuma, der Statthalter der Stadt Kalach, ^\•ie der Länder Chamidi, Sü-gana, Temeni und laluna, (zu- gleich) ,für das Leben'-) seiner Seele, die Länge seiner Tage, die Mehrung seiner Jahre, den Frieden seines Hauses und seiner Leute und auf dass ihn keine Ki'ankheit betreffe, anfertigen lassen und geweiht. Wer immer Du später (sein mögest),*) auf Nebo verlasse Dich, auf einen anderen Gott vertraue nicht."

1) Yeröifentlicht: Sir H. Eäwlissox, The cuneiform inscriptions of Western Asia, vol. I ^I R.] (1861) 85 No. 2 und Kcilschrifttcxte zum Gehrauch hei Vorlesungen, herausgegeben von Lcdwig Abki. und Hdgo Winckuek, S. 14; umschrieben und über- setzt zuletzt von Abel in Bd. I der KciUnschrifÜichen Bibliothek [KB. I], herausgegeben von Ebeedabd Scukader, S. 192/3.

2) S. Guide to the Nimroud Central Saloon, p. 8 No. 69 u. 70, Abbildung einer der Statuen s. z. B. Hommel a. a. 0. S. 621.

3) Assyrisch : i A-na (G[ott]) Naht da-pi-ni Sa-Tci-e abil E-sag-gil 5. . .

na-ra-am Bili hcl hele, '. . . a-Sib E-si-da Sa ki-rib (St[adt]) Kal-lji >^hcli rahi

bcli-Su a-na halat '»(G.)Adad-nirari Sar (L.)ASSur heli-su ti halat ^fSa-am-mu-ra-mat aiSat ckalli helti-Su mjjel-tar-si-ili-ma (M[ensch, Beamter])««^/» {St.)Kal-lii (L.)Ha-me-di (L.)Sir-ga-na {h.)Te-me-ni (L.)Ia-lu-na Ha-Hrt halat iiaijsäti-iu arak thne-su sum-ud Sanäti-Sit sala(m)-mu hiti-Su u nisc-sti haM mursi-Su ^'^ u-Se-jnS-ma alis. Ma-nu ar-ku-u a-na {G.)Nabt na-at-kil ana ili Sa-ni-ma la ta-t<ik-kil. Zur Lesung und Deutung : arak nicht arkat (wie KB. I. u. s. w.). Zu «um-ud = Sum'ud (V ^N■'3 Inf. 111 1) in KB. I. nicht gedeutet, vgl. bes. VE. 34, Col. III 43 (Zimmern). Z. 12: af;iS. Ma-nu ar-ku-u, nicht mit KB. I.: a/.(* via aniehi ar-ku-u. Ma-nu (für man-nu ,quis, quisquis') ar-ku-u „Wer immer, (Du) Späterer" (seiest); die Stelle fasst richtig auch Delitzsch, Assyrisches Handwörterhuch [HW.] S. 419, nur ist in dem betreffenden Citat man-nu Druckfehler für ma-nu.

4) Ständige Formel bei derartigen Widmungen. Die Widmung erfolgt zumeist wie hier, zugleich ,fur das Leben' des Herrschers und ,für das Leben' des weihenden Untergebenen. S. dazu C. F. Leema.n.x, Ein Sicgelcylindcr König Bur-Sin's von Isin, Beiträge zur Assyriologie und vergleichenden semitischen Sprachwissenschaft (ed. F. Delitzsch u. P. Haupt) Bd. U, S. 598 Anm. *** vgl. S. 621.

5) So reden auch die assyrischen und babylonischen Könige in den Fluch- und Segensformeln am Schlüsse ihrer Inschriften ihre Nachfolger an. Vgl. z. B. die Stelen- inschrift Samaiäumukin's (C. F. Lebsiasx, SamasSumukin, König von Bahi/lonien u. s. w. Teil II, S. 10): Mannu ina Sarräni arkätxi, ,Wer (immer) unter den späteren Königen",

Die historische Sciniramis und Hcrodof. 25'.l

2. Herodot I 184 sq.: r»7t; Sk Baßv/.wvog Tftvrijg nolloi uiv y.ov xcu cilloi iyivovTo ßacriUeg, tojv iv Totcri AuavQioim loyoiffi itvijutjv nsiiiaoiuii, u'i r£/;i;f« te insy-ua^ijociv y.al igoc, iv öe ör/ y.ai yvvaly.iq dvo. rj fiiv TtouTSOov üoiaaa, Tr,g vdTsoov yei'ifini nivTi tiqÖtwov yevnuivti. Tri oilvofice i'iV ^tuiyctuti, ctvTtj /(«' untöiluTO yiüitara uvu t6 Tiiöiov kovra äho&hira- TtoÖTBjov äi Iw&ee ö nozauöi; ävd tu ntSiov Tiüv TicXayi^itv : )j äi devTtoov yivouivr, TavTijg ßctailuu, ry oiJvü^a i]v ISiTwy.oig, avTtj Öt awiTioriotj yivotiifi] Ti'g tiqÖteqov äu^uai/g zrA.

In Betracht kommt ferner

3. Josephus c. A]}. (ed. Niese) I 142 : Tcwtcc fiiv ovTug iaTÖoiry.iv (sc. ö Btjoiöaog § 130, 134) nsol rov Trijonoijtih'ov ßaaiXiiug (sc. Naßoy.o- SooaÖQOv) xai nollcc ngog TOVTOtg kv rjj Toirrj ßißho twv XalSaiyMV , iv }] fAÜKfiTai To7g'E?.).r,viy.o7g cvyyQctcfd'civ, wg (.iut^v otofiivoig vno ^efiigci- fiewg Ti'ig 'Aaovoiag y.Tia&t,vai- t)]v Baßu?.(lva xccl &avuüoi(t y.uTu- ay.Bvaa&rtvai neg} avT/)v vn ixelv)]g ^gyct rpEvSüg yiyga(f6(yr y.cä xcau Tcti'Tci T]]v ^dv twv Xalöcduv ävaygarfiv a^iöniaTOV ijyriTiov xrl.

Die assyrische Inschrift giebt uns, wie Tiele a. a. 0. erkannt hat, Kunde von der Einführung des Kultus des Gottes Nebo in Assyrien. Der Vor- gang ist genau auf das Jalir bestinnnt. Die assyi-ische „Eponymenliste mit Beischriften" („Verwaltungsliste")') meldet zum Jahre 787: „Nebo zieht in den neuen Tempel ein".'^) Die neuen Bilder-') des Gottes

eiu

0 Wendung, die Herodot (1 187) genau wicdergiebt : twv m futv variQOV yivoiihcov Bccßvhorog ßaniXtiov . . ., eiu Beweis, dass Herodot sieb in Babylonien Königsinscbrifteii bat vorüberscfzen Lassen, wenn aucb natürlicb keine Insebrift des Weiteren so gelautet haben kann, wie Herodot fortfäbrt. Näberes s. u.

1) Am bequemsten zugänglich: KB. I, S. 288 ff.; III, 2, S. 142 ff.

2) («7«) NabiX ana Mti eüH etarab.

3) Hier wo es sich um Einführung eines für Assyrien neuen Kults bandelte, hat man sich offenbar mit der Anfertigung neuer Bilder des Gottes, natürlich in mög- lichst engem Anschluss an das Kultbild in Borsippa, begnügt, während in Fällen, wo eine alte Götterstatue abhanden gekommen war, grosse Anstrengungen gemacht wurden, die Continuität zwischen dem neu hergestellten und dem alten Kultbilde scheinbar zu wahren. So wird, als NahnhalitkUn von Babylonien (um 870) das vorzeiten von den räulieriscben Sutäern vernichtete Bild des Sonnengottes {SamaS) von Sippar herstellen will, der auf Thon gezeichnete Entwurf des alten Bildes von einem Priester des Gottes im Euphrat , gefunden" und vorgewiesen eiu frommer Betrug, von dessen Zustande- kommen die Inschrift des Königs (s. KB. III, 1 S. 174 ff.) der Mit- und Nachwelt ausführ- liehe Kunde giebt. Ausser den Statuen mit der Inschrift wurden noch unbeschriebene grössere Statuen im A'cfco-Tempel zu Kalach aufgestellt. Die Angaben über die Zahl der gefundenen Statuen schwanken. Z. B. spricht Sir H. R.vwlinso.n , I R. 35 No. 2 von, im Ganzen, fünf lebensgrossen beschriebenen (wovon zwei im Britisch Museum) und zwei kolossalen unbeschriebenen Statuen. George Rawlinson (a. a. 0.) dagegen weiss von vier besehriebenen und vier inscbriftlosen kolossalen Statuen zu berichten, die sein Bruder Sir Hexry gefunden habe. Was nicht ins Britische Museum ver- bracht wurde, ward von Einheimischen verschleppt, oder blieb unbedeckt an Ort und Stelle stehen und liegen. An der Stätte des alten ATio-Tempels von Kalacb, im Süd-

2(i0 C. F. Lehmann,

sind ohne Zweifel gleich zu Anfang' bei Eröffnung des Tempels (im Süd- osten der Stadt Kalach') aufgestellt worden. Der Kult hat thatsächlich Eingang und Verbreitung gefunden. Wie Tiele betont, begegnen wir vor dem Jahre 787 keinen mit Nebo zusammengesetzten assjTischen Namen. Gleich die Epou.ymeu Qimu) je des Jahres 785 und 777 heissen dagegen Nahü-sar-iisur und N a b ü-pur-ulcin.

Nabit (Nebo) ist ein babylonischer Gott. Hauptsächlich wurde er in Bo)-sippa verehrt, das rechts des Euphrat, in Babylon's nächster Nähe be- legen war. Der Tempel in Borsij>pa hiess Ezi'da. Der Name ist sumerisch und wird von den Babylouiern selbst durch bitu kinu, das „beständige, legi- time Haus" wiedergeben. Der zugehörige Stufenturm war E-iir-nnin-an-Id-) („Tempel der sieben Abteilungen Himmels und der Erde") benannt. Nebo der Weise, Allwissende ,•'■) der „Tafelschreiber des Alls",'') sowie des, ein Abbild des 'Weltalls nach babylonischer Anschauung dar- stellenden Tempels Esnggi'l,^) zugleich und lu-sprünglich der Beschützer

Osten der Ruinen ragt noch heute eine Statue halb aus der Erde hervor, deren bei meinem Besuche von Nimrud am l.IV. 1899 von mir genommene Photographie sie als ein Duplikat der in London befindlichen A^efto-Statuen erweist. Ich benutze die Gelegen- heit, um, wie in meinem Vortrage Armenien und Nordmesopotamien in Altertum und Gegemvart darauf hinzuweisen, dass aus den in Nimrud herrenlos umher- liegenden und der langsamen Vernichtung durch die Witterung preisgegebeneu Stierkolossen, Statuen und lusehriftenplatten manches Museum sich mit ver- hältnismässig geringer Mühe einen wertvollen Bestand an Denkmälern assyrischer Kultur verschatfen könnte.

1) Kahih-Nimnid mit der Erdpyramide, unter der sich der Stufeuthurm des Kinih- Tempels verbirgt , präsentiert sich bekanntlich heute noch ähnlich wie zu Xenophons Zeiten. Auch die (von Xenophon 1114, 7 u. 10) geschilderte Struktur der y.Qr,7iig, besonders da wo die Mauern dem damals unmittelbar an der Stadt vorbeifliessenden, heute um 1^2 Kilometer entfernten Tigris ausgesetzt waren, lässt sich in Nimrud gut beobachten. Xenophons bisher gänzlich unaufgeklärte Bezeichnungen AciQiaaa für Kalach und MtcrciXa für Niniveh betrachte ich (Zeitschr. f. Assi/r. XIV, 122 Anm. 3) ,als Missverständnisse aus dem Aramäischen, Nw~)p {reSä Kopf, Oberteil) Np^C^r, KJ?"'^^; oder eine ähnliche Ableitung von bsc „niedrig sein". Nüldeke stimmt mir, was die Wortform anlangt, zu: ,ei-steres mag damals noch läreSä ^ letzteres mcSpilä^ ge- lautet haben. In welchem Sinne freilich diese Bezeichnungen von den aramäisch redenden Führern der 10000 auf die beiden Kuinenstätten angewendet sein mögen, bleibt aufzuklären,'

2) S. die auf die Herstellung dieses Stufenthurms bezügliche „Borsippa-Inschriff Nebukadnezars II. (vgl. KB. III, 2, S. 52 ff.) Col. I 27.

3) diipmr gimri z. B. in Sargon''s IL Cylinder-Inschrift Z. 59 (Lyo.n, Keilschrifl- texte Sargon's S. 36), in Asurbanabal's grosser Thontafelintchrift L* , Col. I, 11 (C. f. Lehmasn, SamasSumukin Teil II S. 22).

4) Z. 22 der an Nebo gerichteten Inschrift auf einer in Babylon gefundenen kleini'ii Stele Samasmmitl-'m's (Lebji.^xx a. a. 0. 1. c, Titelblatt und Teil II S. 10.

5) Jensen, Kosmologie S. 234 ff. Vgl. zuletzt Hummel. Das babylonische Weltbild. Aufsätze und Abhandhingen III S. 344 tf.

Die liistoriftchc Seiiiiramis tiiid Titrocht. 2<\\

rler Keimtiiisst- und I'\Ttigkeiten, die den Ackerbau fördern und be- dingen,') galt in iler offiziellen babylonischen Theologie der si)iiteren Zeit als der Sohn des Marduk, des Hauptgottes von ]?abylon. Deshalb befand sich auch in dem dem Bel-Marduk geweihten Haupttempel von Habylon, Esnfjijt'l, (zu welchem der Stufenturm E-tewcn-an-ki , „Temjjel der Grundfesten des Himmels und der J]rde", gehörte), wie für den Vater des Mardul; Ea {At), den „König des Ozeans" (babyl. sar apsi)'), so für Marduk's Sohn JS'^ebo ein Heiligtum, das ebenfalls den Namen Ezt'iln führte, vielfach mit der unterscheidenden Bezeichnung: ..welches in Esiifjg/l (belegen ist)".

Die Einführung eines babylonischen Kultes in Assyrien setzt natinlicli besonders enge und, mindestens dem äusseren Scheine nach, friedliche Be- ziehungen zwischen Assyrien und Babylouien voraus, die in dieser Periode nur denkbar sind auf der (rrundlage assyrischer Syrematie. Solche Beziehungen lassen denn auch ilie vorhandenen Nachrichten deutlich genug erkennen.

Adadmirari's IJI. Vater, SamSf'-Adad'') (825— 812), Sohn SalmoJiassar's IL (80U— 825) hatte mehrfache Kämpfe mit Babylonien zu bestehen. CTegen den Anfaug seiner Kegierung besiegteer auf seinem, nach seiner Schilderung*)

1) Jastbow a. a. 0., p. 125.

2) Über die Herkunft der ersten babylonischen Dynastie und der Hauptkultc der Stiidt Babylon (und damit Babyloniens überhaupt), siehe vorderhand meine Bemerkungen, Zwei Haupt proMeme S. 162 f. Anm. 3, 214 f. {Ai) Sar apsi ist der für Alexander den Grossen in seiner letzten Krankheit, nach dem naturlich nicht zu bezweifelnden Zeugnis der Ephemeriden, in Babylon befragte Heilsgott Zäqa'Xig. Es ist dieser Gott, den Ptolemaios I. eingeführt und mit dem ägyptischen Osorapis identifiziert hat. Bei der Einführung spielen, wie bei so vielen Maassnahmen der ersten Ptolemäer der Wetteifer mit den Seleukiden und die beiderseitigen Ansprüche auf die Weltherrsch.aft eine Rolle. Vgl. einstweilen meine Ausführungen Verhandl. Bert. Arcluiol. Ges. November 1897 = Wochcnschr. f. Mass. Philologie 1898, Xo. 1 Sp. 26 ff. Ausführlicheres darüber demnächst. (Die Tradition der Ephemeriden Alexanders des Grossen habe ich, Ilenucs 36, 319f zurückzuführen gesucht auf das Hauptexemplar, das Ptolemaios nach Perdikkas Ermordung an sich genommen und auf eine in Eumenes' Händen ver- bliebene Kopie (resp. sein Konzept), in die Hieronymos von Kardia Einsicht erhielt. Da Ptolemaios nach Perdikkas' Tode als Sieger aufzutreten vermied, waren die von mir dabei gebrauchten Ausdrücke „Besiegung" und , Beute" unrichtig gewählt.]

3) Gewöhnlich Sam-n-Sammän genannt, vgl. S. 256 Anm. 1, er ist der vierte assyrische Fürst dieses Namens, der zweite, der den Königstitel trägt, vgl. Zioei Hauptprobleme Tab. IV Anm. 10, Tab. V Anm. 13.

4) Inschrift des Königs, Col. IV, s. KB. I. S. 184. In Z. 24 beruht die nach HoMMEL eingeführte Ergänzung Baii-ak-iddin, wie längst erkannt, auf einem Ver- sehen. In Zeile 37 wird ja im Bericht über eben diesen Feldzug noch Mariluk- balä{t)su-ikbi der Vorgänger Ban-ahiddin's genannt. Die vier Feldzüge von denen der Text allein berichtet, fallen sicher sämtlich in den ersten Teil dieser Regierung, vor 817, und zwar in die Lücke, die in der Verwaltungsliste zwischen den Jahren 822 und 817 klafft. Die Jahre 825—22 (s. KB. III 1, S. 144) füllt der bereits unter Salma- nassar II. ausgebrocheue Aufstand aus. Die drei ersten Züge der In.schrift sind gegen

262 C. F. LchiiKt)!)!,

au Erfül.ueii reichen, vierten Feldzug' den balivlonisclien König- Maiduk- hala{t)su-ilj:bi in entscheidender Schlacht. Nachdem aber in Bahykmien ein Eegieruiigswechsel stattgefunden hatte, begann der Krieg aufs neue und endete mit der Gefangennahme des babylonischen Königs Bau-ah-idJin, den Jeuer „samt seiner Habe und dem Schatz seines Palastes nach Assur" verbringen Hess. „SamÜ-AJad stieg bis nach Chaldäa,'") d. h. dem Süden des babylonischen Tieflandes hinab, empfing den Tribut der „Könige" des Chaldäerlandes und diktierte danu den Babyloniern den Frieden, bei dem wie gewöhnlich eine Grenzregulierung eine Hauptrolle spielte.-) Dies geschah im Jahre 813 (dem letzten vollen Eegierimgsjahr >Samsi-Adad's), zu welchem die Yerwaltungsliste den Vermerk „nach Chaldäa" bietet.

Adad-nirari III., sein Sohn, „führte" nach der „sj'nchronistischeu Ge- schichte" Col. IV, liä. „die geraubten Leute zurück". ä) Von einem lüiege mit Babylonien ist nicht die Eede : der Sohn heilt z. T. die Wunden, die der ^'ater hat schlagen müssen. Ebensowenig ist in den eigenen Inschriften Adadnirann von kriegerischen Unternehmungen gegen Babvlouien die

Nairi gerichtet, die VerwaltuDg;sliste weist von 817 ab keinen Zug gegen Nii'iri auf. Die drei Feldzüge gegen Nairi stellen zudem offenbar nur ein, auf drei aufeinander- folgende Kriegsjahre (821 18) verteiltes üufernehtnen dar. Dem Zuge gegen Chaldäa, den die Liste für 81-3 verzeichnet, gehen voraus die gegen andere Landschaften ge- richteten Züge der Jahre 817, 81G, 814. (Für 815 ist kein Feldzug verzeichnet.) Folg- lich kann der gegru Mar(hikbala{!)suikbi und Chaldäa gerichtete vierte Feldzug nicht der vom Jahre 818 sein, sondern fällt in das vor 817 allein freibleibende Jahr 818 (nicht 821, wie irrig Zwei Hauptprobleme S. 47 .

1) Die Bedeutung der Chaldäer als eines von den Babyloniern wohl zu unter- scheidenden Volkes ist von Delattbe und Wisckleu klargestellt worden, s. Winckler,

Untersuchungen zur aJforicntalischen Geschichte, S. 47 ff. und sonst vielfach. Nabo- polassar und seine Dynastie sind Chaldäer. Über den Ursprung der Bezeichnung XuXdaToi für die babylonische Priesterschaft oder gewisse Klassen derselben s. Leum.^n.n, SamaSSunmkin, Teil I, S. 173.

2) Synchronistische Geschichte, Col. IV, 1 ff. Der Name des Assyrerköuigs ist weggebrochen. Den Abschnitt Adadnirari III. zuzuschreiben, wie Winckler, Unter- suchungen S. 25, Geschichte S. 117 ff., 203, Ein Beitrag zur Geschichte der Ässi/riologie in Deutsehland S. 24ff. , 41 f. und jetzt, ihm folgend, M.^speko, Ilistuirc III, 98 n. 3, wollen, ist deshalb unmöglich, weil, wie Wilcke.v , Zeitschrift der Deutschen Morgen- Undischen Gesellschaft [ZDMG.] 47 (1893) S. 481 u. 712 Anm. 1, richtig hervorhebt, die diesen Abschnitt abschliessende Grenzregulierung in dem ganzen Dokument das scheidende Moment abgiebt: auf die Grenzregulieruug folgt immer ?in neuer Assy rer- könig, wie ja auch (s. im Text) der mit Adadnirari's Namen beginnende Abschnitt in die Grenzregulierung ausläuft. In derselbeu Weise wird in dem babylonischen Parallcl- dokument, der ,Chronik P.', die Trennung der babylonischen Könige gehandhallt. Gegen die Versuche sich auch hier über die Trennungslinie hinwegzusetzen , s. meine Ausführungen Zwei Hauptprobleme, S. 66, die ich auch jetzt aufrecht erhalte; vgl. dazu JEX-.SES, GGN., 1900 S. 881.

3) N'iSe salliiti ana asriSu ut\era]. Die darauffolgenden Worte i.iku (s. Dehtzscii, HW. S. 147b) ginä SE. PATpi. ukineunuti bedeuten vielleicht: ,und setzte sie in ihren legitimen(</t««) Besitz .... wieder ein."

Die historische Semiramis und Hcrodot. 263

li'rdc. Im Ccaeiiteil: „die Städte Babj'luii, liorisippii, Kutlui iiberbracliten ilcn li'ul (li r (lötter Bei (-Mardnk), JS'ahä und Kei-gal".^) Die dann tolp^cnde iMWäliuunii- vini Opfern-) unmittelbar vor dem Brucli, dem der Sclilu.ss der betreffenden gieiclifalls ans Kalach stammenden Inseiirift zum Opfer ge- fallen ist, wird man nach Analogie entsprechender Nachrichten über andere Könige, so besonders über Adadnimri's 111. Grossvater Salmanassar II. dahin ergänzen dürfen, dass der König selbst diese Opfer an Ort und Stelle dargebracht habe. Für diesen Vorgang passt in der für Adad- nirari 111. und die folgenden Könige vollständig vorliegenden Yerwaltuugs- liste nur das Jahr 812, in welchem Hanm-Adad starb und Adadnirari III. die Regierung antrat. Der König, der nach dieser Angabe „nach Babylon" zog, wird Adadnirari, nicht etwa noch sein Vater gewesen sein. Die Zurückführnng der gefangenen Babj-lonier und die Vornahme der Opfer in den babylonischen Städten, zum Ausdruck und in Ausübung der Ober- hoheit über Assyrien, wären des Königs erste Eegierungshandlungen ge- wesen. Wie sich dazu fügt, was wir über Sammuramat erfahren und zu erschliesseu haben, werden wir alsbald sehen. Einstweilen handelt es sich vom Standpunkt dieser Untersuchung aus darum, möglichst tief in das historische Verständnis der Sachlage einzudringen, ohne einen etwaigen Einfluss der Scmt'mmis auf die Gestaltung der Dinge zu be- rücksichtigen.

Abgesehen von einem Zuge gegen einen offenbar in dieser Periode besonders uimihigen und aufsässigen Araraäerstaat und vielleicht einem Zuge nach der Meeresküste'') hat nach der Yerwaltungsliste während der ganzen langen, an Ki'iegen und militärischen Erfolgen reichen Regierung Adadniran's III. keine Feindseligkeit auf babylonischem Boden stattgefunden. Die Erklärung wird in der mit Sicherheit erkenn- baren Thatsache liegen, dass Adadnirari 111. selbst die Zügel in der Hand behielt, keinen wie immer schattenhaften „König von Babylou(ien)" neben und unter sich duldete. Dafür spricht zunächst im Allgemeinen der Schluss der „synchronistischen Geschichte." Dieses Dokument stellt in A\'ahrheit einen Auszug aus den Archiven dar, der unter Adadnirari III. wegen der zwischen Babylonien und Assyrien streitigen Gebiete resp. speziell eines solchen Gebietes gefertigt wurde (KB. I, 194 Anm. 1). Es schliesst mit einer Mahnung an etwaige spätere babylonische Kihiige den Inhalt der Tafel dauernd zu beherzigen. Dabei werden

1) Babilu, Barsijy Kutä rihat (HW. 616 a) BiHi, Nabi, Ncrgal li't iX-^ihii.

2) nilce elh'äe = , reine Opfer".

3) Gegen die Iltc'(a) (791). Auch unter den folgenden Assyrerkönigen werden nielirfach Züge gegen sie nötig, so 783, 777, 769 v. Chr. Ob im Jahre 803 überhaupt von einem Kriegszuge die Rede ist, bleibt zweifelhaft. Die Worte aiia eli tamdi luütttiiu („nach der SeekUste. Pest", so KB. I. 207), können ebensowohl besagen, ,an der Meeresküste (herrsehte die) Pest".

264 C. F. TAhman»,

die Überlegeiilieit Assurs und die Frevel Babyloniens aufs Xaelidriick- licliste betont. Unter Adadnirari 111. liaben also diese Grenzstreitig- keiten ihre definitive Erledigung im Assyrien günstigen Sinne gefunden.

Diesem Sclilusspassus voraus geht der Bericht über die Grenz- regelung (s. 0.). Und hier findet sich ein Satz, der mit E. nicht anders gedeutet werden kann, als dass die Bewohner von Ass)'rien und Baby- lonien bei dieser Ordnung der Verhältnisse beteiligt sind.') Einer ent- sprechenden Wendung begegnen wir in den erhaltenen Teüen des Doku- ments nur noch zweimal: unter Asurbclkala (dem Enkel des um 1010 V. Clu'.'-) herrschenden Tightpileser 1.), der die Tochter des in Babylonien damals herrschenden Usurpators geheiratet hatte und ferner unter Adad- nirari II. (911(?) 891), der den babylonischen König Nahusumiskum als Gefangenen nach Assyi-ien verbracht hatte, um dann mit ihm einen, gleichfalls von einer Yerschwägerung-'') und einer Grenzregelung begleiteten P'rieden zu sehliessen.

In beiden Fällen war also die babylonische Eegierungsgewalt durch das Überwiegen assyrischen Einflusses beschränkt und so gut wie aus- geschaltet.

Bei Adadnirari 111. aber tritt dessen alleiniges Auftreten sowohl wie die Gemeinsamkeit der beiden Völker so besonders nachdrücklich her vor 4), dass es, wie darauf liin schon früher von nur geschehen, s) als

1) Zwei Eauptprohleme , S. 47 Aum. 3. Dass es sieb wirklich um eine Be- teiligung der A'ölker bei der Grenzreguliening handelt, zeigt unser Passus: »»'-sc (inät) ASmr {mät) Kardunias üti ahamiS [ib-ha-.\, misru iahiimu iite{n)-nis (nicht JceniS) u-ki\n-mi] (Plural, Ergänzung mit KB. I. a. a. O. durch den Raum gefordert); ,Die Leute von Assyrien und Babylonien verständigten sich (?) {ib-ba-a: ibbä von nabü, Zoimers) oder kamen zusammen (ib-ba-'-a, ibbä'a von bä'a kommen [?] vgl. Meissker, Supph S. 21), Gebiet und Grenze bestimmten sie'. Vorher bewegt sich der Bericht auch nach den bisherigen Lesungen (s. o. S. 262 u. Anm. 3) im Singular, also können nur die ,Assyrer und Babylonier' diejenigen sein, die gemeinsam die Grenze festsetzen. An den beiden anderen Stellen Col. II 37, III 19 könnte man zur Not, unter Annahme eines Subjekt- wechsels, die Sache so deuten, dass die Bewohner der beiden Länder zum friedlichen Verkehr angehalten worden wären, dass aber die Grenzregulierung nur von den vorher genannten Königen der beiden Länder ausgegangen wäre. Übrigens waren auch Assyrien und Babylonien, so wenig wie Makedonien und die makedonischen Reiche, reine Despotieen: um seinem Sohn Asurbanabal als Thronfolger die Anerkennung zu sichern, beruft z. B. Asarhaddon die „Bewohner von Assur, die Grossen und die Kleinen, vom oberen und vom unteren Meere' (s. C. F. Lehmann, Samaiiwnukin Th. I 34f., II 25).

2) Zwei Hauptprobleme S. 99 und passim. S. dazu Ed. Meter, Lit. Centralbl. 1899, Sp. 119ff.; Phaser, Berl. Phil. Wochcnschr. 1898, Sp. 129Gff.; Tiele, ZA. XIV., 390ft'. Nach der bisher herrschenden und jetzt noch mehrfach vertretenen Meinung (z. B. Jense.n-, GGN., 1900, Nr. 11, 12) ein Jahrhundert früher.

3) Synchron. Gesch. Col. III 17.

4) iSteniS, gemeinsam vgl. Anm. 1.

5) Dass Adadnirari III. selbst wahrscheinlich als Nachfolger Bau-alj-iddiii.'i in Dynastien, der Königsliste figuriert habe, wurde von mir. Zwei Hauptprobleme, S. 128

9

Die liistorische Saiijramis und Jlcrodot. 'iC).')

walirsclieiiilicli hczficlmet Averden muss, er selbst sei als Naclifulgcr Ban-ahiddins auf dem babylonischen Throne betraclitet worden.

Die Beweiskette lässt sich aber vollständig- schliessen indem ein Bedenken wegfällt, das sich aus dem bisher vorliegenden Woi'tlaut des zum Teil traurig verstümmelten, Ailadnirart III. betreffenden Bassus der synchronistischen Geschichte ergab.

Nach WiNCKLKKs Ausgabe') folgt in Col. IV Z. 14 auf den Namen und des Titel Adadniiari's unmittelbar vor dem abgebrochenen ]On(k\ der Zeile ein „Winkelhaken" , der als Zeichen für u „und" (resp. als An- fangskeil des dafür verwendeten komplexen Zeichens) zu betrachten nahe- lag.-) Danach bestand trotz Allem die Möglichkeit, ja eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass, wie in den übrigen Abschnitten dieses Doku- mentes, neben dem Assyrer ein babylonischer König genannt war."') Für den Titel „König von Kardunias'-' wäre freilich hinter dem zu er- gänzenden Eligennamen kein Raum verblieben. Aber man hatte zu- nächst an Bau-ah-iddin zu denken, der schon früher genannt war. In solchem Falle ist die allerdings mehrfach zu beobachtende Wieder- holung der Titulatur^) in der „synchronistischen Geschichte" nicht nn- erlässlich.-'')

Ausserdem aber blieb andererseits der Verdacht lebendig, dass das betreffende, dem Bruch vorausgehende Häkchen um ein ITnmerkliches anders gestaltet oder gestellt und der Rest des weiblichen Personen- determinativs sein könne, hinter welchem unweigerlich Sammuramat zu ergänzen gewesen wäre.

Eine erneute Kidlation der Stelle war somit dringend geboten. Ich wandte mich dieserhalb, ohne nähere Angabe meiner Zweifel, an Herrn L. W. IviNG vom Britischen Museum, dem ich für die prompte Erledigung meines Gesuches aufrichtig dankbar bin. Seine Kopie zeigt und King fügt es nochmals disertis verbis hinzu dass das auf Adadnlrari. Sarri mdti Assur folgende Zeichen nicht ein Winkelhaken sondern ein frei- stehender senkrechter Keil ist, auf den vor dem abgebrochenen Zeilen- ende noch Reste zweier weiterer Zeichen folgen.

Die einzige Lesung und Ergänzung, die danach noch ernstlich in

Anm. ,S, ausdrücklich betont. Dies ist von Hommkl, in seiner neuen, mir gerade noch benutzbaren Schrift ..Ein neuer habi/Ionischer König" (Sitzungsber. der Königl. Bölim. Ge.s. d. W., Klasse fiir Philosophie, Geschichte und Philologie 1901, Nr. V), S. 10, der in der Einfügung des Adad-nirari III. resp. der Sammummat einen Fortscliritt gegen meine Aufstellungen erblickt, übersehen worden.

1) Uiitersiichtingen zur altoricntalischen Geschichte, (1889) S. 151.

2) So auch KB. I. S. 203.

3) Mit u sind die Namen verbunden, z. B. Col. 12, 5, asyndetisch stehen sie Col. I 24, II 14.

4) Z. B.: I 18 vgl. mit 19; II 2.5 mit 29, 33; III 1 mit 10; 111 23 mit 26.

5) Z. B.: I 8 vgl. mit 10, 13; I 24 mit 26; II (Haupttafel) 4 mit 9 (vgl. II 6, 8).

10

266 C. F. Lehmann,

Betracht kommen kauii,') besagt, dass Jdadnirari 111. sich vor dem Gotte ,,A'('[6m (lind Mardahl)\ gebeugt" hat, und dies scheint (nach ZeOe IG) „unter Freude und Jubel"-') geschehen zu sein. Ebenso wie die Inschrift Adadnirari's 111. aus Kalach (oben S. 263) berichtet also die „sjaichrouistische Geschichte" von der den babylonischen Staatsgöttern dar- gebrachten Verehrung des AssjTerkönigs, und zwar in engem Zusammen- hang mit der Ziu-iickführung der Gefangenen (Col. IV, 18), die gleich am Anfange seiner Eegierung erfolgt sein muss. Wie der Bau des Palastes in Kalach, dem jene Steinplatte mit der Inschrift entstammt, dem Bau des Nebotempels sicher voraussetzt, so wird auch die „synchronistische Geschichte" vor Einführung des Nebokultes in Assyrien abgefasst sein.

Von hier aus fällt denn auch auf diesen Vorgang ein erklärendes Schlaglicht.

Die Einführung des Nebokultes lieferte die ilöglichkeit, das babylonische Königtum auf assyrischem Boden rite zu erwerben oder vielmehr ein Siu-rogat für diese Möglichkeit. Als „König von Babylon'', d. h. als legitimer König von Babylonien galt nur, wer am Jahresanfang in Esaiiijü die Hände Bel- Marduk'i erfasst hatte''), und diese Ceremonie musste, wie es scheint, an jedem Xeujahrstage -niederholt werden. Die Assyrerkönige , die faktisch über Babylonien herrschten, haben sich in späterer Zeit, diesem Brauche unter- zogen: sie haben das babvlonische Königtum in Personalunion mit dem

1) Der senkrechte Keil, auf Jen uaeb Ki.nGS Kollation deutliche Spuren des Zeichens ilu ^Gott" folgen, bezeichnet entweder die Präposition ana oder ist Determinativ vor männlichen Personennamen. Die Entscheidung bringt das Yerbum in Z. 15. So lange man den Satz wegen des vermeintlichen ,und' auf zwei Personen zu deuten hatte, musste auf eine Pluralformel geschlossen und ik-nu-n\i\ iknüni ergänzt werden (so KB. I.), womit freilich für die Deutung nichts anzufangen war. Aus letzterem Grunde ist auch die Ergänzung '"'(ilu) B[n-u-ali-iddii)] ausgeschlossen, ganz davon abgesehen, dass die Spuren des letzten erhaltenen Zeichens, wie Kixg sie giebt, nicht wohl zu ba passen würden. Der Senkrechte ist also nicht Persouendeterminativ. Zu lesen und zu ergänzen ist vielmehr unter Ausnutzung der Spuren und z. Th. unter Verwertung von Vorschlägen H. Zimmer.ns w »«(«7«) Adadnirari Sar {mät) AsSur ana iU Na[bi u Mardiik?] ^^ ik-mi-u.^: ^Adadnirari, König von Assyrien beugte sich (iknuS) vor (dem Gotte) Nebo [und ü/ardHfe (?)]." Durch diesen Sachverhalt werden Hommei.s, ohne Kennt- nis dieser neuen Kollation gezogene scharfsinnige Schlüsse in wesentlichen Teilen be- stätigt. (A. a. 0. S. 11: man vgl. ik-nu-u-^?)' \aiia Mardiik? ....]). In Zeile 1.5 a. E. mit KB. I. vor 7Hfi-f/H-|/(] .viele", [dik\-tu , Kampf* zu ergänzen, erschien von vornherein unwahrscheinlich, jetzt sprechen auch die Spuren bei Kixg dagegen.

2) i-na lii-[da-a-ti u ri-i!a{-a)]-t[i]. Vor t[i] Spuren, zu a oder Sa ergänzbar. Ina Qiidäti «) risäti, ständige Formel bei kultisch erfreulichen Ereignissen. Die folgende Zeile (17) endet hei Kisg . . ma-ni ii iläni („Götter"). Merkwürdig ist, dass in diesem Abschnitt ana ideographisch, ina phonetisch geschrieben erscheint, während es in dem ganzen übrigen Dokument umgekehrt ist, eine Einheitlichkeit die schwerlich den Archi\- auszügen selbst, eher einem (möglicher Weise von dem Verfasser des, Adadnirari III. betreffenden, Schlusspassus verschiedenen) Redaktor derselben zuzuschreiben sein wird-

3) Vgl. auch diese Beiträge, S. 32.

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Die hifforisrlic Semirami.t und Ilcrodot. 267

iissyiisclicn viTciuigt. llirwii Beispiele sind auili dir l'erserkönigc ge- folgt, bis Xerxes 478 Babylon zerstörte (s. u.) iiiul (lein babylonischen Königtum auch in diesem Sinne ein Ende macJite. i-lin direkt entgegen- gesetztes Verfahren sehen \\ir in älterer Zeit nur 'l'uldat-Nmib 1. (um r2'.>0)') und später Hanhcrih (()89 v. Chr.) einschlagen, die Babylonien lici mehr oder minder radikalem Vorgehen gegen die Hauptstadt selbst zur assyrischen Provinz herabwürdigten, indem sie sei es das Kultbild des Marduh selbst (so Sanherib) sei es doch dessen wesentliche Insignien (so Tuldat-Ninid) nach Assur verbrachten. Bestand zu Adadn'aarl's HI. Zeiten zugleich mit der thatsächlichen Oberherrschaft über Babylonien der "Wunsch , diesem Verhältnis eine , im babylonischen Sinne , möglichst legitime Grundlage zu geben, so konnte die Einführung eines für das babylonische Staatsrecht maassgebenden Kultus als eine Förderung dieser Bestrebungen gelten.-) Der Assyrerkönig wurde der lästigen Veri)flich- tung enthoben, alljährlich zu Neujahr nach Babylon zu pilgern, auch konnte dadurch die Begründung eines einheitlicheil assyrisch-babylonischen Reiches, in dem der Nachdruck auf Assyrien lag, angebahnt und aus- gedi'ückt werden. Dass Adadnvrari. HI. ein derartiges Ziel bewusst ver- folgte, beweist auch die gleichfalls ans Kalach stammende rein genea- logische Inschrift des K^önigs. Nachdem er seine Genealogie bis zu seinem Urgrossvater Asur-nä.nr-abal III.'^) (885 60) geführt hat, greift Adad- nirari III. hier, unter Übergehung selbst eines so bedeutenden Vorfahren wie Tujlatpileser 1. auf den weit älteren König Tulclat-Nmih I. zurück. Man hat das verwunderlich gefunden, und Erklärungen versucht, die nicht befriedigen konnten.^) Offenbar will Adadnirari III. seine Ab- stammung von demjenigen Assyrerkönige besonders hervorheben der bisher allein, gleich ihm, Assyrien u n d B a b y 1 o n i e n n n t e r einem Scepter vollständig vereinigte. Tuldat-Ninib hat nach der Er- oberung Babylons 7 Jahre lang auch über Babylonien geherrscht.

Warum der Kult des Nebo, nicht der des Marduk selbst, von Adad- nirari III. eingeführt wäre, würde sich durch die folgenden Erwägungen m. E. gleichfalls leicht erklären. Zwischen den Göttern Bel-Marduk von Babylon und Assur resp. dem Bei von Assur bestand eine, dem Gegen- satz zwischen den durch sie repräsentierten und personifizierten Völkern und ihren Ländern entsprechende, Konkurrenz. Der Ivult des Marduk war nachweislich älter und, historisch wie religionsgeschichtlich, bedeut- samer, eine Thatsache, die durch die mehi-fach zu beobachtenden Be-

1) Zwei Haupiprohlcme, S. 61 fF.

2) WiNcKLER, Geschichte Bahyloniens und Assyriens, S. 120.

3) Als Dritter seines Namens ist Asurnäsirahal, der Vuter Salmanassar' s IL, wiesen worden durch Tiei.e, ZA. XIV S. 392 f.

4) Vgl. mit TiBLE, Bab.-ass. Geschichte, S. 210: VVinckler, ZA. II 387 ff.

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268 C. F. Lehmann,

müliimgeu der Assyrer, das Verliiiltuis iimzukeliren , nur bestätigt, wird. Asurbjnaöal, der auf Anordnuug' seines Vaters Asarhaddon das von Sanherib entfülu'te Kultbüd des Marduk nacli dem neugegTündeten Babylon zurückfülirt und seinen Bruder HamuiSutmikin zum König in Babylon ein- setzt ((368 V. Chr.), spricht von „Marduk, der ■während der Eegierung eines früheren Königs'' (nämlich seines Grossvaters Sanlm-il) vor dem Vater, der ihn erzeugt (dem Hauptgotte von Assur), sich in Assur niedergelassen hatte, und der nun wieder in Babylon einziehe.') Wollte man sich auf so wahrheitswidrige Behauptungen nicht einlassen . und ülierhaupt feindseliges Vorgehen gegen Babylon und seinen Haupt- gott vermeiden, andererseits aber auch dem Kult des Marduk nicht noch eine weitere Stärkung und Verbreitung angedeihen lassen, so bot sich ein wü'ksamer Ausweg allerdings in der Einführung des iVcZ-o-Kults. Denn das Kultbüd des Neho wurde zum Neujahrsfest regelmässig in Prozession von Babylon nach Borsippa gebracht und Nebo war dergestalt als Sohn des Marduk gegenwärtig bei und indirekt beteiligt an der das babylonische Königtum bedingenden Ceremonie des „Handerfassens". Und wenn Ncho in unserer Inschrift „Sohn von Esaggü" genannt wird, so wii'd man das dem Bestreben zuschreiben dürfen, sein nahes Verhält- nis zum babylonischen Hauptgotte^ im staatsrechtlichen Sinne zu betonen, ohne diesen selbst zu nennen. Ja, man ist noch weiter gegangen. Die Bezeichnung des Nebo „als Sohn des Gottes NiKjimmud" d. h. des Ea {Ae)-) in der der Einführung des i\'e^o-Kults dienenden Inschrift (Z. 2) ist eine direkte Ketzerei, ein absichtlicher Verstoss gegen die offizielle babylonische Theo- logie, die Nebo als Sohn des Marduk (S. 201), und erst" als Enkel des Ea, des für die ilenschen direkt nicht erreichbaren, zu fern und hochstehen- den allweisen Heilsgottes betrachtet. Man griff damit auf ältere und ur- sprünglichere Vorstellungen zurück, in die Zeit, da Babylon noch nicht die erste Stadt Babyloniens und der Herrschersitz des geeinten Eeiches war. 3) Das geschah aus politischen, nicht aus antiquarischen Rücksichten. Man suchte Marduk nach Möglichkeit auszuschalten, trug aber um völlige Klarheit, wie so oft in Theogonieen, unbekümmert Sorge, die Beziehung zum Tempel Esaggil, in welchem nun einmal das babylonische Königtum erworben wurde, zu w^ahreu. AVir werden alsbald sehen, dass auch in anderen Fällen beabsichtigten oder notgedrungenen Verzichts auf eine Berücksichtigung BM-Mardulcs der Kultus des {Bcl-)Nebo an dessen Stelle trat.

"Wie die babylonischen Heiligtümer, so erhielt auch der neue assyrische

1) SamaSsuDiukln, Tb. I, S. 43.

2) Jastrow, Religion, S. 2.30.

3) Danach ist Jastrow a. a. 0. S. 125 zu berichtigen, dor angiebt: Da Marduk als Sohn des Ea bezeichnet wurde, „so haben sich keinerlei Anzeichen einer ur- sprünglichen Verwandtschaft des Nabu zu Ha erhalten".

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Die hifforische Semiramis und Hnrodnt. 209

Tt'iiiiicl (li'ii Namen Ezkla: dem Nabu, der da wnlint in Ez/'da , dem in Kalacli lit'legenen, ^"elten Eild und Insclirift. Auf ilie durch diese VerpHanzun.i;- des iVcZ»o-l )ienstes mit bedingte Gestaltung- des staatsre(;lit- liclien Yerliilltnisses Babyluniens zu Assyrien konnnen wir nocii zirrück

(S. 277). -

Sainmurmnat wird in keiner der direkt auf den Namen Adad- nirarPs 111. lautenden utfiziellen Inschriften genannt. Die iVe^o-Jnschrift ist, ^\^e schon tlie ständige Widmungsforniel zeigt, mit (lenehmigung tles Königs gesetzt, also ein offiziöses Dokument. Man durfte daher einen ('ausalnexus zwischen der Nennung der Sammuramat gerade in dieser Inschrift und der Einführung des A'eio-Dieustes mit einiger Wahrschein- lichkeit V e r m u t e n. Zur Voraussetzung eines solchen Zusammenhanges gezwungen werden wir aber erst durch Herodot, der sie als Be- herrscherin von Babylon kennt.

Über die Identität der Personen lässt, wie schon von G. Eawlinson und Ed. Meyer betont, Herodots Zeitangabe keinen Zweifel. Sie ist zwar keineswegs genau, stellt aber unverkennbar eine leidliche An- näherung dar. Die Bauten, die Herodot, der Nitokris zuschreibt, rühren in Wahrheit von Nehikadnezar her, und es ist eine von mir selbst wie von Anderen erkannte,') unten noch weiter zu erklärende Thatsache, dass die vermeintliche babylonische Nitokris nur einem Missverständnis, einer Ver- stümmelung des Namens, persisch Nabukadracara , ihre Entstehung ver- dankt. Von Nebukadnezars II. Regierungs b e g i n n (t505) an also besonders günstig 5 herodoteische-) Generationen aufwärts rechnend, kommen wir auf 772; die Glitte seiner Regierung zum Ausgangsiuuikt nehmend, auf ca. 7">5.

Diese Sammuramat, der wir in Assyrien begegnen uiul die gleich- zeitig Babylonien beherrscht, ist unter den von uns ermittelten Verhält- nissen niu- denkbar als Gemahlin eines Assyi'erkönigs und zwar nur als Gemahlin AdadnirarCs III.

Füi- die von verschiedenen Seiten vertretene oder in Betracht ge- zogene Annahme, dass sie dessen Mutter, die Gemahlin Samii-Adads ge- wesen wäre, bleibt keinerlei Raum, seitdem mr wissen (S. 263), dass SamSi-Adad bis ZU seinem letzten Jahre mit Babylonien in Feindschaft ge- standen hat und dass ihm Adadnirari III. als sein offenbar grossjähriger Sohn gefolgt ist. Die Art wae Bel-tar.si-iluma in der JVf?6o-Inschrift den Adadnirari und die Sammuramat als „seinen Herrn" und „seine Herrin"

1) C. P. TiELE, Bah.-ass. Gesch. II 428; C. F. Lehmann, Beil. Phil. Wochenschr. 1894, Sp. 272, 1898, 48ü, Hochenschr. f. klass. Phil. 1900, 962; Nikel, Herodot und die Keilschriftforschung (1896) S. 46; Ed. Meyek, Forschungen zur alten Geschichte II (1899) 478f. Anm. 1.

2) Hekataios rechnete die Generation ra. E. zu 35 Jahren, s. Hermes XXXV, S. G49. Beiträge z. alten ßescliicbto 1 2. 18

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270 C. F. Lehmann,

iiebeneinaiuler nennt, bestätigt diesen ScUuss')- Als Witwe des 783 ver- storbenen Adadnirari könnte Sammuramat 772 allenfalls sogar nocli ge- lebt haben.

A\'ie aber kommt es, dass Herodot in Babylon und als für Babylon speziell bedeutsam eine Herrscherin nennt, die in Wahrheit doch eine Assyrerkönigin war, eine von den nicht wenigen babylonischen Prin- zessinnen, denen das gleiche Loos zu Teil wurde'-)? Man halte uns nicht entgegen, dass Herodot sie ja unter Bezugnahme auf die nicht ziu- Aus- fühi-ung gelangten-') 'AaavQtoi löyoi nenne; sie könne also, auch nach Herodots Information, eine assjTische Königin gewesen sein, die gleich- zeitig auch über Babylonien geherrscht habe, und es sei somit nicht ein- mal sicher, dass er sie als eine Babylonierin habe bezeichnen ^^•ollen. Denn, wie ich bereits einmal ausgesprochen habe*) und in anderem Zu- sammenhange nochmals ausführlicher zu begründen gedenke, =) über den beabsichtigten Inhalt dieser 'Aaavgioi. Xoyot macht man sich allgemein eine ganz irrige Vorstellung. Für Herodot ist Babj'lou die Haupt- stadt von „Assyi'ien", aus dem einfachen Grunde weil in der Satrapieeu- einteilung des Darius Assyrien und Babylonien eine Satrapie bildeten.'*)

1) Dass Sammuramat die Mutter Adadniiari's III. gewesen sei, nahm nameutlich HoMMEL, Geschichte a. a. 0. (vgl. Tiele u. Maspero a. a. 0.) an, aber aus unzulässiger Kücksicht auf den Zug der Sage, dass Semiramis beim Tode des Ninos die Herr- schaft für ihren unmündigen Sohn übernommen hätte. Hiervon ist Hommef, jetzt (Ein neuer habyl. König, S. 20 Anm. 22) zurückgekommen. Die sonst m. W. nicht zum zweiten Mal belegte Bezeichnung „Frau des Palastes" findet sich merkwürdiger Weise in der bei Goethe, Westüstlicher Divan (S. 362 der Hempelschen Ausgabe) wieder- gegebenen Übersetzung des Schreibens der Gemahlin des Kaisers von Persien an Ihre Majestät die Kaiserin Mutter aller Beussen zur Bezeichnung der Letzteren. Da es aber, wie mir auch Noeldeke und F. C. Andreas bestätigen, unerfindlich ist, wie dieser Ausdruck im Persischen gelautet haben sollte, so wird ein Irrtum des Über- setzers vorliegen.

2) Ausser den S. 264 erwähnten Fällen ist namentlich hinzuweisen auf die Baby- lonierin , die Assarhaddon (681 68) neben seiner assyrischen Gemahlin zur legitimen Frau erkor und die ihm den Samasi-unmkin gebar, Zicei Hauptprobleme, S. 104 u. 209.

3) Der jetzt wieder von Ed. Meyer vertretenen Ansicht {Forschungen H 198 f. Anm. 1), dass die 'AeavQioi Xoyoi ein gesondertes Werk hätten bilden sollen, vermag ich mich, auch aus obigem Grunde, nicht anzuschliessen. Der Änderung im Plane des herodoteischen Werkes ist der beabsichtigte Exkurs über die babylonische Ge- schichte zum Opfer gefallen. Dieser Exkurs konnte sehr wohl in späteren Teilen des Werkes, z. B. gelegentlich des ,von Zopyros' bewältigten babylonisclien Aufstandes seinen Platz finden.

4) Sitzungsber. archäol. Ges. Nov. 1895 = )i'<icheHschr. /'. khiss. l'hil. 1896 No. 3 Sp. 84 f.

5) In meinen Forschungen zu Herodot und Hekatnios, in denen Vieles hier und andernorts nur Berührte zu seinem vollen Rechte kommen soll und deren urs])rüug- liches Manuskript demnächst bereits das horazische Alter erreicht haben wird.

6) S. die Belege und meine Bemerkungen, W'ochen.ichr. f. klass. Phil. 1900, Sp. 962f. Anm. 6.

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Die liisforiscJie Semiramis twd llrrodnf. 271

Dieses Verhältnis liat zwar wahrsdieiiilicli nur bis auf Xerxes') be- standen. Aber Herodot bewegt sich uacliweisiich gerade in seinem Bericht über Babylon und Babylonien vielfach in den Vorstellungen seiner Quellen, der Logographen-) aus der Zeit des Darius und der ersten Jahre seines Nachfolgers. Herftdots Nachrichten bilden hier ein selu- eigentüniliclies Gemisch von Übernommenem und Selbstgeschautem, das jedoch der Haupt- sache nach ganz wohl entwirrt und in seiner Entstehung verfolgt \\erden kann. 80 behält er auch und nicht er allein-') die für jene frühere Zeit berechtigte Terminologie bei. und deshalb bezeichnet er die Nachi-ichten , die er in und über Babylon und Babylonien eingezogen

1) Die Veräuderuug wurde verauksst durch deu von mir Daeligowicseiu'n zweiten Aufstand der Babylouier gegen Xerxes unter Führung des Usurpators TarJJaz)-zi-a, s. meinen Aufsatz ,Xerxes und die Babylonier' , U'ochenschr. f. klass. Phil. 1900, Sp. 959 if. und dazu En. Meyer, GA. III, Nachträge und Berichtigungen zu § 86. Weissb.\ch, ZDMG. LV (1901) S. 209, holt Fisches' unhaltbare Identifikation dieses Tar{Haz)-zi-a mit Bar-zi-ia (-Smerdis) wieder hervor. Das Täfolchcu ist datiert vom 11. /8. des 1. Jahres, Bar-zi-ia aber ist im siebenten Monat seines ersten Jahres er- mordet worden. Weissbacu meint: ,da aber diese Ermordung im fernen Medien er- folgt war, so ist es fraglich, ob die Kunde davon sogleich in alle Orte Babyloniens drang". Dieser an sich sehr fragwürdige Notbehelf verbot sich von vornherein: die Urkunden des Usurpators ,Nebuk(tdnezar UI.', der dem Barziia in Babylon folgte, be- ginnen, wie allbekannt und zudem ausdrücklich von mir hervorgehoben, bereits mit dem 17. ,'7. des Antrittsjahres. Es bleibt bei dem zweiten Aufstand des Tar{IJaz)-si-ia 479/8, der wahrscheinlich Xerxes' Rückkehr aus Sardes veranlasste und die Zerstörung der Haupttempels Esaggil sowie der äusseren Mauern von 480 Stadien L'mfang und das Ende des nominell in Personalunion mit dem persischen weiter- bestehenden babylonischen Königtums zur Folge hatte.

2; Besonders Dionysios von Milet, der, wie überhaupt, so auch speziell für die baby- lonischen Nachrichten, als eine der das Selbstgesehene ergänzenden und beeinflussenden schriftlicher Quellen Herodots zu betrachten ist. Vgl. n'ochensehr. f. klaf>s. Phil. 1900, S. 964 Anm. 1 u. 6. Da Dionysios natürlich seinen von Herodot auch direkt verwerteten Landsmann Hekataios benutzt hat, so ergiebt sich schon hier ein ziemlich verwickeltes, aber für die babylonischen Nachrichten doch grossenteils entwirrbares Quellenverhältnis. An der Ansicht, dass Strabo XVI, 1, 14. 20 Hekataios' Schilderung der babylonischen Sitten und Gebräuche nur sprachlich modifiziert wiedergiebt und dass uns so die heka- täische Vorlage der entsprechenden Abschnitte bei Herodot (I, 193 tf.) erhalten ist, halte ich (Festschrift für Heinrich Kiepert S. 305 ff.) gegen Eduard Ueyer (Forschungen zur alten Geschichte II, 233 Anm. 1) fest. Als eine Erweiterung und Überarbeitung der Daten Herodots nach den Anschauungen der späteren Zeit, können dieser und verwandte Abschnitte bei Strabo gerade nicht entstanden sein und verstanden werden. Er stimmt vielmehr ,zu der Eigenart' der Hekataios, ,wie sie' (so lies Kieperl-P'esl- schrift S. 307 Z. 10) , namentlich durch Diels festgestellt worden ist', und Dinge, die bei Herodot unverständlich sind erklären sich durch seine bei Strabo erlialtene Vor- lage. Näheres demnächst. Vgl. vorderhand auch Hermes, XXXV S. 649 u. Anm. 4.

3) Auch Xenophon, der in der Anabasis Babylonien sehr wohl von Assyrien resp. „Syrien zwischen den Flüssen' zu unterscheiden weiss, bezeichnet in der Cyro- pädie den von Cyrus bekriegten Beherrscher Babylons und Babylonions als 'Aaai'Qio,: Dies erklärt sich aus Benutzung einer älteren Quelle, der er u. A. auch die Kenntnis der historischen Rolle des Gobryas- f (;6a/-« (sowie ferner beispielsweise der durchaus

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272 C. F. Lclimnnn,

liat, als 'AaavQioi löyoi. Von Assyriens (Teschichte im eigentliclieii Sinne weiss er so gut wie lüclits weiter, als dass Niniveh zerstört worden ist.') Nur in Ägypten hat er ausserdem vom beabsiclitigten Angriffe des >Sanlierib, der, vom ägyptisdien Standpunkt ganz riditig, als ßaailii'i 'AgaßiiDv re xa'i 'Aaavgiwv bezeielinet wird (TI 141), Kunde erhalten. Dass die 'Aaai'Qiot, Xoyoi zum ersten ]\Ial in Verbindung mit Ninivehs Fall erwähnt werden, hat die richtige p]insicht erscliwert. Es geschieht abei- wie mau erkennen muss, sobald man sich die Bedeutung der Be- griffe AssjTien und Babylonien bei Herodot in diesem gesamten Zu- sammenhange klar macht nur deshalb, weil die Babylonier am Falle Assyriens und Xinivehs wesentlich beteiligt waren,-) worauf Herodot (I 107) auch liindeutet mit den "Worten, dass die Meder xovq 'Aaavgiov^ iinoxugiovg tnoiricavro 7ii.rjv rjjs Baßvkojvhjs fioigj^g: Assyrien mit Aus- nahme des Babj'lonien genannten Teiles Avurde unterworfen. Also die 'AisavgioL koyoi "VSTirden spezifisch babylonische Nachrichten enthalten haben. Und es bleibt zu ermitteln, welche besonderen Umstände dazu führten, dass Herodot in Babylon von der Semiramis erfuhr.

Auch der Inhalt seiner Nachrichten giebt darüber zunächst keinen Aufschluss. Sie sind freilich schon deshalb wertvoll, weil sie von jed- wedem Anklang an die Heldin des Eomans frei sind. Aber die Regu- lierung der Wasserverhältnisse: Entwässerung, Kanalisation, Aufführung von Dämmen und die Instandhaltung dieser Anlagen, gehören zu den Hauptaufgaben jedes babylonischen Königs, der es mit seinem Herrscher- amte irgendme ernst nimmt. Sie bilden die unerlässliche Voraussetzung für die Bewohnbarkeit und Ertragsfähigkeit des Landes, und gleich der Begründer des einheitlichen semitischen Reiches mit der Hauptstadt Babylon, HammuraU (um 2230)-^), sucht einen Ruhmestitel in seiner Für- sorge auf diesem Gebiete.*) Ein gleiches haben wir von vielen baby- lonischen Königen aller Zeiten, für deren eigentliche Regierungsthätig- keit unser ilaterial versagt, vorauszusetzen. Über Nebukadnezars II. Bemühungen um ^^'■asserbau und Kanalisation liegen urkundliche Berichte

sacbgemäss geschilderten Kämpfe zwischen Armeniern und Chaldern [vgl. Verh. Berl. anthrop. Ges. 1895, S. 585 ff. u. Anm. 1]), verdankt. Der für die Logographenzeit berechtigte Sprachgebrauch wirkt in der im Altertum bei den Späteren vielfach herrschen- den Verwirrung der Begriffe nach.

1) Her. I lOG, 178, 185. Ausserdem kennt er Züge der Sardanapal-Legende II 150 {ySsa Xöyo)).

2) Die wiederholten neueren Versuche, den Anteil der Babylonier zu leugnen oder als möglichst gering hinzustellen , haben an dieser Herodot-Stelle daher gewiss keine Stütze. Vgl. auch ZA. XIV 335, Anm. 3.

3) Zwei Hauptprobleme 105 ff. , 118, verglichen mit Mauquardt, Chronototjische Untersuchungen S. 649[16] ff.

4) Anlage des „Hmnmurahi-Kanals'- , ,des Segens der Menschen, der da reichliches Wasser bringt dem Lande . . ." KB. III 1, S. 122.

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Die M.iforifiche SriiiiraDiix und Hcrodot. 273

vor.') Von diesen Anlagen hat aucli Herodot Kunde (I IS") sq.)- Aber diese Wasserbauten (der „Nitokris") werden von ihm mit mannigfaltigen und staunenerregenden Einzelheiten geschildert. Was er dagegen über die Semiramis berichtet , ist als Ganzes und im Einzelnen so wenig unter- scheidend, so farblos, dass man die verwunderte Frage wiederhcden mnss: wie kommt Herodot zur Kenntnis der in nüchterner Realität dasteliendeu, jeglicher romanhaften Ausschmückung entbehrenden Herrscherin Semirmnis? Die Antwort wird durch die engere Bestimmung der Stelle, an der Herodot seine Erkundigungen eingezogen hat, erschlossen. Aus der kritischen Betraclituug seiner Schilderung von Babj'lon ergiebt sich Ucänilich, dass er nicht, wie er selbst glaubte, den Tempel des Bel-Marduk, Esiujcjil, in Babylon besucht hat, sondern den des (ß^\-)Nebo in Borsippa. 7a\ diesem Schlüsse ZAnngen, -nie ich bereits mehrfach angedeutet habe"-), namentlich zwei Umstände. Einmal lag Esaggil auf dem linken Euphratufer, dem- selben auf welchem die grosse Königsburg lag, deren Ruinen unter dem Schutthügel des „Kost" begraben sind. Dieses längst aus den Inschriften Neiid-adnezars mit voller Bestimmtheit erkannte Resultat^) ist zum Üljerfluss noch durch die deutschen Ausgrabungen in Babylon*) bestätigt*) worden. Der von Herodot besuchte Tempel dagegen lag auf der dem Königspalast entgegengesetzten Seite, also rechts des Euplirat. Er hatte einen Stuf en- turm. Auf der rechten Euphratseite aber von Babylon aus bequem erreichbar und, in das äussere Mauerviereck von 480 Stadien Umfang seiner- zeit mit einbezogen, also auch deshalb (vgl. S. 267 f.) zu Babylon im weitesten Sinne gehörig"), lag Borsippa mit Ezida und dem zu-

1; S. grosse Steinplatteninschrift Col. VI, 39 ff., ferner des Königs Kanal-In,sehrift KB. III 2, S. 60. Vgl. Berosos und Abydenos.

2) Bert Phil. Wochenschr. 1894, Sp. 271 f., 1898, Sp. 485, Wochenschr. f. Mass. Phil. 1900, S. 964f. Anm. 6. Unabhängig von mir kam zu demselben Ergebnis Xikel, Herodot und die Keilschriftenforschung 1896, S. 27, 29 ff. (Vgl. S. 270 Anm. 5.)

3) S. namentlich die grosse Inschrift Xebukadnezars , Col. Vm31ff., (KB. III 2 S. 26/27).

4) Auffindung der Prozessionsstrasse des Gottes Marduk, von der Nebukadnezar (s. vorige Anmerkung) spricht, sowie der Ruinen des Tempels Esaggil selbst (im Hügel Tel Amran ihn Ali), s. den Zweiten und Dritten Jahresbericht der Deutschen Orient- gesellschaft und deren Mitteilungen No. 5 7.

5) Irgend ein Novum für die Beurteilung des Herodot liefern diese Ausgrabungs- ergebnisse mit Nichten.

6) Das grosse Babel Xebukadnezars ist eine Doppelstadt gewesen, insofern Borsippa in die äussere Mauer von 480 Stadien Umfang einbezogen gewesen sein muss. Dies er- giebt schon die Rekonstruktion des Verlaufs der Mauern nach Opfert, besonders wenn man das richtige Maass für das babylonisch-persische Stadium (7'/g auf die römische Meile) zu 198,47 m (s. Actes du huitienie Congres des Orientalistes. 2me partie. p. 195 ff., 229 ff., 242 f. und Tabelle) einführt. Auch wenn sich Opperts Plan, was den Verlauf der Mauern anlangt, als uiodifikationsbedürftig erweisen sollte, so wird sich schwerlich eine Lage des äusseren Mauerquadrats von 480 Stadien Umfang ergeben und finden lassen, in welche Borsippa nicht mit einbegriffen wäre. Nach Mitteilungen, die von der Aus-

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274 C. F. Lehmann,

o-eliü ritten Stufen türm (s. o. S. -H'A). Andere Stufentürnie können nicht in Betracht kommen, da jed'^ liali.vlnnische Stadt (im enteren Sinne)

p;rabungsstätte cUt Deutschrn Oricnt-Gcsollscliaft in linlivlon in die OftVntliohkrif driiigon (s. Kohrbach. ..Babylon". Vreussischc Jahrbücher Bd. 104 n901\ S. 276), scheint die Ansicht Phitz zn greifen, dass die Nachrichten der Alten über Umfang und Grösse der Stadt ins Reich der Fabel gehörten, dass Rabj'Ion niemals entfernt die Grösse ge- habt habe , die ihm nach den bisherigen Vorstellungen zukomme. Es ist wohl anzu- nehmen , dass die topographischen Untersuchungen im weiteren Umkreis des Stadt- kernes noch nicht zum Abschluss gekommen sind. Und jedenfalls erscheint es mir drineend geboten, einmal wieder darauf hinzuweisen , dass bekanntermassen die antike Tradition über die Grösse der Stadt durchaus nicht auf Herodot allein beruht und daher auch nicht mit geringschätzigen Seitenblicken und Zweifeln an dessen Glaub- würdigkeit abgethan werden kann. Zunächst lässt sich mit Sicherheit nachweisen, dass derartige genaue Maassangaben, noch dazu, wie die geraden sexagemisalen Zahlen beweisen, in den ursprünglichen babylonisch-persischen Maassen, niemals auf Herodot selbst zurückgehen , der Zahlen- und Maassverhältnissen nur ein sehr geringes Verständnis und äusserst primitive A'orstellungen entgegenbrachte, sondern von ihm aus logographischer älterer Quelle (Hekataios, für den die Beachtung der metrischen A'^erhält- nisse genügend bezeugt ist), zurückgehen, ebenso der Vergleich derg emein en (bab.-pers.- pheidonischen) und der königlichen Elle. Näheres in meiner Untersuchung: ,£)«« metrischen Angaben bei Herodot als Stiitspunkte für die Kritik'' (vgl. S. 270 Anm. 5). Damit stimmt es, dass dieser äussere Mauerzug durch Xerxes zerstört worden war (s. M'ocheiischr. f. Jttes. PJiil 1900, Sp. 965 Anm. 4; oben S. 271 Anra. 1), sodass Herodots Angaben hier nur auf eine ältere Quelle zurückgehen können. Dass er sie gleichwohl als unversehrt schildert, stimmt zu dem Bilde, das wir an dieser und an mancher anderen Stelle, von Herodots Arbeitsweise erhalten (gegen Peiseu, Studien zur orientalischen Altertumskunde 11125, Mitteil, der vorderas. Gesellsch. 1900, No. 2^. Über Plinius' und Solinus' auf dasselbe hinauskommende, m. E. auf Hekataios beruhende Daten s. Conrjressakten a. a. 0. S. 232 Anm. 1 u. S. 233 Anm. 1. Die auch Herodot be- kannte innere Mauer musste danach allein stehen bleiben. Sie hatte nach dem Zeug- nis des Ktesias und der Alexanderhistoriker einen Umfang von 360 Stadien, woraus mit leicht erklärlicher Modifikation bei einigen 365 wird. Wenn Curtius (V, 1) aus- drücklich angiebt, dass die Mauer 360 (365) (so lies statt 368) Stadien Umfang gehabt habe, dass aber von dem von ihr umschlossenen Gebiet imr ein Areal von ca. 90 Stadien Umfang wirklich bewohnt gewesen ist, so ist es (gegen Rohubacu) natürlich ganz un- methodisch , den letzteren Teil der Angabe für richtig zu halten , den ersteren einfach unbeachtet zu lassen. Und wer die Daten bei Curtius nach Klitarch wegen ihrer Verwandtschaft mit den ktesianischen Daten über die Mauern der von der Semiramis , gegründeten' Stadt Babylon (Diod 117) beargwöhnen möchte, der ist darauf hin- zuweisen, dass, wie ich, Wochenschr. /'. klass. Phil 1895, Sp. 184 dargethan habe, bei Strauo und sonst eine Umrechnung der babylonisch-persischen Maasse in ptole- mäisch-ägyptische vorliegt, die nur auf Ptolemaiosl. und seine Alesander- geschichtc zurückgehen kann. Auch Berosos kommt bekanntlich in Betracht. Sollten die weiteren Forschungen an Ort und Stelle ergeben, dass wirklich nirgends Spuren der quadratischen Mauern von 480 und 360 Stadien Umfang sich erhalten haben, so wird immer noch zu fragen sein, ob diese ungeheuren Mauern nicht vielleicht von einer Struktur gewesen sind, durch die sich ein spurloses A^erschwinden derjenigen Reste, welche feindliche Zerstörung und die Verwendung der besseren Bestandteile des Materials für anderweitige Bauten übrig gelassen , erklären würde. Es ist dabei zu bedenken , dass diese M.auern die Stadt mit weiten Teilen ihres Gebietes umschlossen, während in der eigentlichen bewohnten Stadt wieder gewisse Teile besonders ummauert waren.

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Die ]iisinri.'!rhr. Sr.iiiirain/.'! iiiirJ llrrodof. 270

nur einoii sdlclicii zu iliicui Ifaupttfiiiiicl ■;cliiiri<,nMi BiUi, Fe.stuugswcrk und 01)scrv.itoriuui zudeich, besass.

Zum iHKlciTU war Babylons Kaiipttempel Esaij;//'! von Xerxcs zerstört wurden.') Xacli dcui , was oben (S. 268) über die enj^en ■Beziebunf,n'n zwischen Manlnk und Nnhu darsrelejit wurde, leuelitet ein, dass iu die Funktionen des zerstörten Hauptjidttes und Haupttenipels Nebo und sein Haupttenijiel Ezida iu Borsijipa, weniastcns vorlaiitis bis anderer Frsatz •it'scbaffen war,-) einrückten.')

Und nun erklärt sich, wie selbstverständlich, Herodots Kunde von der Sfiiiii'riiini's: die Pr i es t e r sch af t des A'e^.'o von ßo/-s?!/jy;« niusste der 1! errsclieriu . zu deren Zeit und unter deren Mitwirkung iiircni Kult i'iue so entscheidende Förderung' und Aus- brei t u u ff e r V,- u (• li s . n a t u r o- e m ä s s ei n d a u e r n d d a u k b a r e s A n d e n k e u b e w a h r e n. So erweist sich einmal der Schluss als zu- treffend, der schon aus der Erwähnung der Sammuramat in der Ein- f ührungsinschi'ift gezogen war : der Babylonierin Semiramis, der Gemahlin des Assyrien und Babylonien beherrschenden Adadniruri IIL, kommt ein wesentlicher Anteil an dieser religiös-politischen Maassregel zu. Zweitens aber und das ist das wichtigste bestätigt sich die auf ganz anderem Wege, ohne jede B e r ü c k s i c ]i t i g u n g der her 0 do t eische n .Sem i'ra?« /«-Nachricht und ihrer Her-

1) Die Belege s. Wochcnschr. f. Mass. Phil. 1900, S. 964, Anm. 4—6. Nach Arrian VIT. 17, 2 wurde der Tempel von Xerxes zerstört, als er aus Griechenland zurück- kehrte. F.D. Meyek (Forschungen II, 478) bezweifelte dies, da der eine babylonische Aufstand gegen Xerxes, mit dem er rechnete, vor dem Zuge gegen Griechenland er- folgt sei. Da Meyer (vgl. S. 271 Anm. 1) den von mir nachgewiesenen zweiten Auf- stand anerkennt, der Xerxes vorzeitig vom Griechenkriege zurückrief, so ist wohl auch sein Zweifel an der Richtigkeit der vielen die Zerstörung des Belstempels durch Xerxes berichtenden klaren Zeugnisse als aufgegeben zu betrachten.

2) Auch wenn ein solcher notdürftiger Ersatz geschatfen wurde, wofür Einiges zu sprechen scheint, wird doch fiir mancherlei Äusserlichkeiten der Kultus, besonders für die grossen Feste, die Stellvertreterschaft des unversehrten alten Nebotempels ge- wahrt geblieben sein.

3) Im Jahre 268 begann Antiochos I. die Erneuerung der Tempel Ksaggil in Babylon und Ezida in Borsippa (KB. III 2, S. 136), die er schon im Jahre 274/3 (ZA. VI, S. 236 Z. 40) „Ziegel für den Bau von Esaggil [und Ezida'' (so durch den Raum auf dem Original gefordert)] , wurden oberhalb und unterhalb Babylons gestrichen") in Angriff genommen hatte und deren Ausführung durch den ersten syrischenKrieg verhindert worden war. Diese Erneuerung bedeutete für Ezida eine Restauration, für den baby- lonischen Haupttempel dagegen ein vollständiger Wiederaufbau, eine Wiederaufnahme von Alexanders unausgeführtem Projekt. Bis zur Durchführung dieses Neubaues blieben Xebo und sein Tempel im Vordergrund. So erklärt sich in der uns erhaltenen In- schrift des Königs aus dem Tempel in Borsippa, die starke Betonung der Sohnes- tjualität des Nebo: Nabu, Sohn Esaggils (vgl. o. S. 268), erstgeborner Sohn des Moräuk, Kind der Erüa ,der Königin' (d. i. Mardulcs Gemahlin':, Col. II Z. 4ff.; ^Nabii, erstberechtigter (asaridu) Sohn' Z. 21 f.

20

27ß C. F. Lehmann,

k 11 II f 1 s' e w 0 11 11 e u e Erkenntnis, d a s s H e r o d o t A&n Nebo- Tciiipel zu Borsippa besnclit und dort seine Erkundigungen eingezogen bat.

Unter diesem Gesiclitspunkt t^rliält denn auch seine Nacliriclit über die Wasserbauten der Semiramis Farbe und Leben. Nocli heute liegt, was von Borsippa übrig ist, das Fundament des Nebotenipels, „Birs- Ni'mrud"', in oder nahe dem Uliersclnvemmungsgebiet eines alten Euplirat- arms, des Hindiye. Für ilie Förderin des iS'eöo-Dienstes war eine etwa damals (wieder) notwendige Eegulierung der Strom- und Bewässerungs- verhältnisse um dessen Haupttempel eine lockende Aufgabe.

Auch die nun einmal bei Herodot zweifellos A'orliegende Um- wandlung des JS'ebukadnezar in eine Nitokris ge^^innt so erheblich an ^'erständlichkeit. Von vornherein auf einen Yergleieli Ägyptens und Babyloniens, den er zudem schon bei seinem Vorgänger Hekataios") fand, ausgehend und der ägyptischen Nitokris eingedenk,-) erhält er durch die i\"eöo-Priester Kunde von der Hemiramis und hört sodann die Urheber der bedeutendsten Werke und Anlagen Babyloniens') mit einem Namen bezeichnen , der nicht nur mit N anklingt , sondern wenn auch in anderer Keihenfolge die Konsonanten des Namens Nitokris sogiit wie sämtlich enthält , persisch Nabukadracara,*) im Sprechen von Nabuh'atvacara nicht ZU unterscheiden. Flugs erkennt er in dem Namen einen alten Bekannten, den Frauennamen Nitokris, und gesellt so der Semiramis in der babylonischen Nitokris^) einen weiblichen

1) Gerade da, wo sich Herodot auf die Bewohner der von ihm besuchten Länder nachdrücklichst beruft und er. gegen sie polemisiert , ist anzunehmen und mehrfach erweislich, dass die erste Ermittelung nicht auf ihn, sondern auf Hekataios zurückgeht (vgl. DiELs, Hermes XXH, 421 f., 436). So wird auch Her. I 182 der Vergleich baby- lonischer von den Chaldäern mitgeteilter mit ägyptischerseits bezeugten Vorstellungen (cos Xiyovai oi AiyvTtrioi) zu beurteilen sein.

2) Herodot ist sieher in Babylonien später gewesen als in Ägypten. Dass er II 100 bei der ägyptischen Nitokris, die im ersten Buche behandelte „Babylonierin" als bekannt voraussetzt, bringt der Gang seiner Darstellung mit sich.

3) Bei der Anlage des Beckens von Sippar, wie sie Her. I 185 schildert, erinnert der Ausdruck pdd^og iiiv ig vdiaQ cul dpiVcoi-'C« gleichfalls (vgl. o. S. 258f. Anm. 5) an eine in den babylonischen Bauinschriften häufige Wendung: ,ich erreichte das Grundwasser' (Su2ml nie aksud) so u. A. auch liei Nebukadneear , Grosse Steinplatten- inschr., Col. VII 60.

4) Babylonisch Nabi'ikudtcmiiur: Herodots Dolmetscher wird aber ein Perser ge- wesen sein. Vgl. auch Ed. Meier, Forschungen I 194.

5) Für die phantastische Erzählung vom Grabe der Nitokris Her. I 187 haben verschiedene Elemente die Grundlage gebildet. Die wichtigste der missverständlich verwerteten Thatsaehen ist das Eindringen des Xerxes in die Mysterien des todten Bei beim Neujahrsfest des Jahres 484, s. C. F. Lehmann, Berl. Phil. U'ochen- schr. 1898, 486, Wochenschr. f. kl<tss. Phil. 1900, 962 Anm. 1 ; Ed. Meveii, Forschungen 11 (1899) 478 Anm. 1. Näheres demnächst.

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Dir, historische Scinirmnis und Uerodot. 277

Nachfolpfpr späterer Zeit zu.') ^Mc leiclit Namen einer Fremclspraclif, auch wenn man deren niclit ni<lit iianz unkundig- ist, missverstandcn werden , weiss jeder Forschungsreisende aus eigner Erfahrung. Die lierodoteisclie Umgestaltung- zeigt die Jlerkmale einer Volksetymologie, nur dass wir diesmal das Individuum kenneu, in dessen Phantasie sie sich vollzogen hat und dass sie sich an einen ihm bekannten fremden Eigennamen, nicht an ein Wort seiner Muttersprache anlehnt.')

Ein scheinbarer Widerspruch gegen Herodot scheint nun bei Beroso.s-) vorzuliegen, der nach Josephus (S. 259) die Semii-amis als 'Jaavgia be- zeichnete — aber auch nur ein scheinbarer. Erkläi-lich wäre es schon, wenn Berosos, (da er gegen die späteren griechischen Autoren polemisierte, die die Assyrerin, die Gemahlin des Ninos, als Schöpfei-in der "\^'underbauten Babylons hinstellten), die Semiramis, unbekümmert um ihre babylonische Nationalität, als Gemahlin des assyrischen Fremdherrschers hätte charak- terisieren wollen. Aber auch die nackte Thatsache, dass die iVe/>o-Priester zur Zeit Herodots die Semiramis als babylonische Königin anerkannten, Berosos (und seine Priesterklasse) ziu' Zeit Alexanders und der ersten Seleukiden dagegen nicht, ist begreiflich nicht nur, sondern fördert unser Verständnis der Sachlage. An solche Verschiedenheit der Auffassungen gerade gegenüber den assyrischen Machthabern, die faktisch Babylonien mit beherrscht haben, sind wh' gewöhnt. Die babylonische Krmigsliste verzeichnet die acht Jahre der Herrschaft Sanherihs nach Babylons Zer- störung, während der auf babylonische Daten zurückgehende ptolemäische Canon an entsprechender Stelle') bekanntlich eine achtjährige königs- lose Zeit anführt. Dass sich die Königsliste in unversehrtem Zustande Tuhlat-Ninib I. gegenüber entsprechend verMelt, ist wahrscheinlich, aber da sie kein nach einheitlicher Auffassung redigiertes Dokument zu sein braucht, niclit sicher auszumachen.*) Adadnirari III. suchte mit milderen Mitteln dasselbe zu erreichen wie die beiden Genannten (S. 2ti7ff.), eine Vereinigung Babyloniens mit Assyrien, ein Aufhören des spezifisch baby- lonischen Königtums. Die von ihm in seinem Antrittsjalu- den baby- lonischen Göttern dargebrachten Opfer (S. 263, 2<J(3) und nachmals die

1) Dass der (medischeu) (iemablin Nebiikadiiezars und dessen Tochter, der Ge- mahlin NergaUarumr^-Neriglissarys, als Mittelgliedern bei dieser Umformung eine Rollo zukomme, scheint mir wenig wahrscheinlich, wenn auch nicht undenkbar.

2) An sich hätte in zweiter Linie die Möglichkeit in Betracht kommen können, dass T)]? 'AaavQtag nicht mit zu dem Citat aus Berosos gehöre, sondern Josephus' Be- zeichnung wäre , in welchem Falle sie lediglich die landläufigen Vorstellungen seiner Zeit wiedergäbe. Da aber, wie im Text zu zeigen, das Attribut in Berosos' Munde einen sehr guten Sinn giebt. so braucht mit dieser sekundären Möglichkeit nicht weiter gerechnet zu werden.

3) Zivei Uaiiptprohlcmc, S. 31 f.

4) Ebenda und S. 102. Ulf.

2-2

278 C. F. Leimann,

Einfühnmo: des iVeöo-Kults sollten nur dazu dienen, die Veränderün]2: vorzubereiten und sie zu verschleiern. Daher vermeidet auch trotz aller scheinV)aren Hinneisfung: zum babylonischen Wesen Adadnimri III. sich als babylonischen König, als „König; von Sumer und Akkad" zu be- zeichnen — eine zuerst von Tiele') hervorgehobene, aber nicht richtig beurteilte Thatsache. Staatsrechtlich, sowohl vom streng babylonischen als vom assjTischen Standpunkt, wie er spätestens von der Einführung des jVeio-Kults ab erkennbar ist, gab es kein babylonisches Königtum; diesen strengen Standpunkt spiegelte Berosos' Bezeich- nung wieder. Schon diejenigen aber, die das rein faktische Verhältnis ins Auge fassten und mehr noch solche, die daraus Vorteil zogen, konnten Adadnirari als babylonischen König bezeichnen; seine Bemühungen der babylonischen Anschauungen bis zu einem gewissen Grade äusserlich gerecht zu werden, mochten dieser Auffassung zu weiterer Verbreitung verhelfen, l'nd wer sich ihr anschliessen wollte, ohne dii-ekt den Assyrer als König anzuerkennen, hielt sich an die hervorragende Stellung und das Wii'ken seiner babylonischen Gemahlin und betrachtete sie als die eigentliche Herrscherin. So werden die babylonischen Nationalisten strenger Observanz namentlich in der ersten Hälfte \o\\ Adudni'rarPs Eegierung in der Minderzalü gewesen sein.-)

Semiramis aber die es verstanden hat , Bemühungen um einen Aus- gleich der beiden jahrhundertelang verfeindeten Völker zu fördern wenn nicht zu wecken, war sich geA\dss im Klaren darüber, dass scliliesslich der Gewann dabei den Babylonieru, als den in jeglicher Kultur höher stehenden, zufallen würde. So betrachtet, stellt sich, ganz gegen die Absicht Adadnirari' s , die Einführung des A^e^o-Dienstes als eine fried- liche babylonische Eroberung dar. In der dabei zutage tretenden diplo- matischen Umgehung der Anstösse, der Schonung der nationalen Em- l)tindlichkeit der Assyi-er, der scheinbaren Anerkennung ihrer Obmacht (o. S. 267 f.) ist die vvirksame Beteiligung der klugen und umsichtigen Frau schwerlich zu verkennen. Der Erfolg hat ihr Eecht gegeben: die späteren Assyrerkönige von TiglatjM'lesei- III. (745 27) aus zogen nach Babylon, um das dortige Königtum zum assyi'isi-hen hinzuzuerwerben (S. 266). Gewiss hat Sammuramat^ deren Persönlichkeit, dui-eh den Vergleich mit verwandten Gestalten wie der Hatsepsowefi) von Ägypten, der Arsinoc Philadelphos und der Kaiserin-Mutter von Cliina an Ver-

1) Geschichte I 213.

2) Nach den obigen Darlegungen wird man auch fernerhin nur (S. 264 f. Anra. 5) von einer allerdings aus verschiedenen Gründen sehr hohen Wahrscheinlich- keit, reden dürfen, dass Adadnirari (resp. Sammuramat) in der Dynastie H der Königs- liste namentlich aufgeführt figurierte.

3) Vgl. deren Charakteristik und Bildnis, Masfeuo, T/w/o/jc II p. 239; Sieindorff, Blüthezeit des Pharaonenreiclis, S. 38 u. 20.

Dir. hiffnrixchc Sriiiiramis und Urrodot. 279

stäiulnis sewinueii wird, den l)edeut('iKk'n Kinfluss, den sie auf iliren (Je- nialil ausgeübt, auili in anderer Kiclituncf geltend gemacht.

Ob sie auch äusserlich die Schranken des Frauengemachs überscliritt, etwa ihren Oenialil l)ei seinen zahlreiclien Kriegszügen gelegentlicli ins Lager begleitete uml iliinli ihre (Gegenwart den Kain]ifeseifer der Truppen hob, wissen wir nicht. Denkbar ist es sehr wohl,') aber sicher historische Zeugnisse dafür liegen nicht vor.-)

Ks erübrigt zu zeigen, wie sich aus der liistdrischen Simii-aiuis die Sagengestalt entwickelte. Selbstverständlich denke ich nicht daran, hier eine Geschichte der Semiramissage und ihrer Ausbreitung zu geben. Ich erinnere also nur im Vorübergehen daran, dass die spätere Zeit in der Zuweisung von Werken und Thaten an die Semiramis weit über Ktesias hinausgegangen ist und dass in diese Kategorie namentlich auch die hängenden Gärten") gehören. Ebenso betrachte ich es als bekannt und allgemein zugegeben, dass zum Bilde der Eomanfigur die babylonisch- assjTische Kiüegs- und Liebesgöttin litar und die sie betretfenden Legenden wesentliche Züge geliefert haben.'') Es kommt nur darauf an, zu er- klären, wieso die Gestalt der Semiramis bis zur Fähigkeit zu solcher Ver- schmelzung gediehen ist.

■Semiramis und ihr rein eponymer Gemahl yinos gelten als erste Herrscher Assyriens. Das giebt den entscheidenden ^^'egweiser. Eine solche Vorstellung kann unmöglich auf ass3Tischem oder babylonischem Boden erwachsen sein , sondern niu' bei einem F r e m d v o 1 k e. Wenn ein Fremdvolk von primitiven Sitten zur Zeit, da die Sammuramat au der Leitung der (4esehicke Assyriens beteiligt war, zum erstenmal mit den kriegerischen Assyrern in nähere Berüluning kam und von dem Reichtum und der Pracht ihrer Städte hörte, so erklärt es sich vollauf, dass diese Herrscherin als Begründerin der assyi'ischen Macht und Herrlichkeit betrachtet und zum Mittelpunkt eines Legenden- kreises wui'de. Unsere Beweiskette ist geschlossen, wenn wir das Volk nachweisen, das znr Zeit Adadniran's III. und der Sammuramat zum erstenmal mit den Assyrern in nachhaltige Feindseligkeiten gerät , und

1) Man denko z. 15. an Arsinoe, Philojiator.s Schwester, unmittelbar vor der Schlacht von Raphia, Polybios V 84.

2) Zu Panyassis vgl. unten S. 281. u. Anm. 3.

3) Ktesias bei Diodor II 10: zptfMxörög ■/.ciXoiu.fvog v.riztog .... ov Äjupaiiidoc.

4) Vgl. Maspero, iJiStofre 1580 ff., II 618 u. 2. Dadurch dass man dieses sekundäre Element der Sage in den Vordergrund rückt (,die Semiramis des Ktesias ist eine ver- menschlichte, als historische Persönlichkeit und zwar als Herrscherin über Babel und Assur vorgestellte Göttin^. Tiele, Gescliichte. S. 213\ wird die Entstehung der Sage nicht erklärt.

24

280 C. F. Lehmann,

ferner zeigen, tlass auf dieses Volk passt, was wir über die Herkunft der Sage \vissen oder anderweitig zu vermuten liabeu.»)

Beides trifft zu für die Med er.') Nicht weniger als aelit vnn Adadnirari's III. Eegierungs jähren sind nach der .Yerwaltungsliste' durcli Feldzüge gegen die Me der {Mad-ai{a)) in Anspruch genommen, und auih in der grösseren Palastiuschrift des Königs-) (S. 262) werden diese nieder {Ma-da-ai{a)) erwähnt. Und diese Kämpfe bilden die erste ernste und nachhaltige Berühi'ung zwischen beiden Völkern. Von Jdadnwari III. ab machen die Meder allen Assyi-erkönigen, die überhaupt die Heri-schaft im Osten zu sichern oder auszubreiten suchen,-') schwer zu schaffen. Vor Adadnirari III. werden sie dagegen überhaupt mu' ein einziges Mal erwähnt von dessen Vater Sahnanassar IL, der in seinem 24. Eegierungs- .iahre ('886) unter anderen Völkern auch die Amadai bekämpft.-*) Also unter dem Vater gleichsam ein erstes Geplänkel mit der Vorhut des ein- di'iugenden indogermanischen Volkes, dessen Gros der Sohn zum ersten Male und -wiederholt die Spitze zu bieten hat.

Dass aber das, was -wir bei Ktesias finden, zum guten Teil als ein. wenn auch durch mancherlei litterarische Zuthaten ausgeschmückter Niederschlag der medisch-persisehen Volkstradition zu betrachten ist mag man sie nun als „Legende", „Gesang", „Novelle", „Mär" 5) be- zeichnen — . ist längst vermutet und als wahrscheinlich anerkannt worden.") Unsere von diesen Erwägungen ganz unabhängige Ermittelung, dass die Semiramis - S a g e bei den Med er n entstanden ist,') kann mu- als eine BestätigTing dafür gelten.

1) Vgl. Berl. pMI. Wocliensehr. 1894, Sp. 2.39 f.

2) I. R. 35 No. 1, Z. 7, KB. I 190.

3) Xamentlich Tiglatpileser HI., Sargon IL, Assarhaddon.

4) Vgl. jetzt besonders Streck, ZA. XV S. 317 ff.; zu Amadai = 3Iadai speziell ebenda S. 372 und ZA. XIV 139. Wer für die Verwertung der Verwaltungsliste auf die Umschrift und Übersetzung in KB. I. angewiesen ist, sei darauf hingewiesen, dass bekanntlich die Lesung ana 3Iad-ai{a) (Abkürzung für ana [niäf 3Iad-ai{a)) , gegen die Meder-* fnicht mit KB. I. ana i'mät') A. A. .nach dem Lande A. A."^ gesichert ist durch die Schreibung (mät) Ma-da-aia an der in Aum. 2 angefi-ihrten Stelle bei Adad- nirari IIL, sowie besonders durch die Variante der Prisma-Inschrift ^nH/jerjös: Taylor- Cylinder Col. 1150 {maf) Ma-da-ai{a), dafür in dem Duplikat K. 1674: Mad-ai{a), s. KB. n, 90 Anm. 1.

5) irochenschr. f. klass. Phil 1900, S. 962 Anm. 1.

6) DrxcKEB, GA. 11^ 18 f.; Xoeldeke, Aufsätze zur persischen Geschichte, S. 8 g. E., 14; Lehmann, Samaxsumuki», Th. IT S. 106.

7) Ein m. E, noch nicht genügend geklärtes Problem liegt vor in dem lebendigen Fortleben der .S'cnifVnm/s-Legende bei den Armeniern. Die Stadt Van heisst be- kanntlieh ,Semirami$-Stndi' , Samiramakeii ; der Mennas-canal ,Semirami$-Fluss''; auch ein, Überbleibsel aus der ältesten Steinzeit bergender Hügel in der Nähe von Van, ist nach ihr benannt, türkisch Samyram-dlty. Wenn man bedenkt, dass der bedeutendste der vorarmenischen Chalderkönige , der in TuSpa-{Y -au) regierende Menuas, Sohn des Ispuinis, (ev. auch schon Menuas' Sohn Argistis I.) Zeitgenosse Adadnirari's III. und der

•25

Die hlsfori.trlir Hrmiramlt und Ifrrodot. 2><\

Und weiiii nach Diei.s'') über/cns-ender Konjfkliir in ilcr liiscliriit IGIns. I 145-') dem Panyassis die. Kenntnis der

zugeschrieben wird, so stinnnt auch diese friiluTi! Erwähnung' der sagenliaften'O Känipfe der Seiuiramt\- vortrelilieh zu unserer Voraussetzung einer volkstüuilichen Entstellung und N'erbreitung iler )SVm/r«j?iM-Sage zunächst auf iranischem Boden, die ilirer litterarisclien ViTWertiinii- und Ausgestaltung durch Ktesias vorausgegangen war.")

Sammuramat gewesen ist (die iVdov-Zügc Sa»m-Adad:s [S. 'iUl Aiim. 4| waren gegen Ispumis-U.s2)ina gerichtet), und dass ferner zwischen Medern nnd xXmienieru allezeit enge niichharliclie Beziehungen bestanden haben, so Icünnten Zweifel an den rein litte- rarisehen Grundlagen dieser Tradition auftauchen. Doch mag folgendes als Mahnung zur Vorsicht dienen. Der heutige Weg von Bitlis nach Sö'ört führt ca. 4—5 km. unterhalb Bitlis am rechten Ufer des Bülis-lai und hoch über dessen tiefeingeschnittenem Bett durch ein Felsenthor, dass wir im März 1899 passierten. Wenn ich nicht sehr irre, gab uns der Ingenieur des Vilayets Bitlis Herr Djovas an, dass dieses Felsenthor ein Bestandteil der von ihm begonnenen Strasse Bitlis-Sö'ört , also eine moderne Sprengung sei. Lvscn aber {Amienia, vol. II (1901), p. 156) hörte es 1894 als Semimmis- Tunnel bezeichnen.

1) SBer. Berl. archäol. Ges. Nov. 1898 (= ^Vochenschr. f. Mass. Phil. 1899, Sp. 27).

2) Inschrift (jetzt im Berliner Museum) zu einer Doppelherme des Panyassis und Herodot (Winter bei Hilleb v. Gaektrixgen, Ath. Mitth. 1896, 61 f.).

3) Bei dem Dichter sowie nach dem Inhalt der auf ihn zu deutenden Worte des E])igramms wird man natürlich zunächst an die sagenhaften Kämpfe der Setniramis, nicht an etwaige historische Reminiscenzen (vgl. o. S. 279) zu denken haben.

4) Nachträge: Zu S. 258ff. war noch auf A. Jeremias' Artikel Nebo in Roschebs Lexik07i der Mythologie Ul, Sp. 45— 70 zu verweisen. Entgegen der allgemeinen An- sicht, betrachtet er (Sp. 64) die Statuen von Kalach nicht als Bilder des Neho, sondern Adad-nirari's III. Aber für den Gott entscheidet der Hörnerschmuck au der Kopfbedeckung (s. Heuzey, Les origines orientales de l'art. I, 70ff.). Dieses Merkmal wird noch oft übersehen: auch der auf den Siegelcylindern so häufige Fürsprecher ist ein Gott, kein .Priester' schlechthin. Spuren eines GoUkönigtums finden sich zwar im Zweistromland, und ebenso (s. G. Hoffmann ZA XI, 271) ,Göttermaskeraden' (in diese Richtung wird m. E. für die orientalische Bezeichnung Alexanders des Grossen als des „Hörnerträgers" mit zu suchen sein). Aber für die Statue eines mit den Attributen der Göttlichkeit bekleideten regierenden Königs giebt es m. W. bisher keine Belege, so viele solche Königsbilder wir haben. Die an die Chtdea-Sta.tuen erinnernde gefaltete Haltung der Hände, die dann ev. das Fehlen des Schreibgriffels mit sich bringt beides fällt Jeremias mit Recht auf würde sich gut erklären, wenn Nebo Unausgesprochenermassen als Fürbitter bei einer höheren Gottheit (oben S. 268, Z. 14 V. u. ff., vgl. allgemein Zimmern, Vater, Sohlt und Fürsprecher) dargestellt wäre, wobei sich dann Assyrer imd Babylonier (S. 2G7f u. 277 f) jede ihr Teil denken konnten. In Heft 1 von Belcks ^Beiträgen zur Geographie und Geschichte Vorderasiens', das erschien, nachdem Bogen 17 gesetzt war, finden sich Erörterungen auch über die babylonische Dynastie H. (o. S. 264 Anm. 5), die synchronistische Geschichte und Adadnirari III., darunter solche, die sich teils mit Obigem berühren (so die Richtigstellung der Züge Satnsi-Adad's [oben S. 261 f Anm. 4]), teils dadurch ■widerlegt werden (so die auf der falschen Ergänzung des Namens Bau-ah-iddin in KB. I. [s. oben gleichenorts] gegründete Behauptung einer gleichzeitigen Regierung Marduk-baU(tysu-ikbi's und Bau-ah-iddin's).

26

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282

Zur Gesehiehte des pyrrhisehen Krieges.

Von Jnlius Belocli.

1. Das römisch-karthagische Bündnis.

Der Text des Buudesvertrages, der zwisclien Eom und Kartliago im Jalu-e 278 gegen Pyrrhos abgescUossen wiu-de (Poh-b. III 2Ö, S 4), lautet nach der neuesten Ausgabe von Hultsch 'nie folgt:

iäv avixucr/iav noiüvTai Tioog Ilvgouv, iyyQUTiTov noniaßwaav äu- rföregoi, i'va thj ßor/itelv ak/.i]kots iv tTj tvüv noXmovfikvoJV X^iou. önÖTiooi 8'uv -/QEiav sycüßi r);^ ßor/&eiceg, tu 7i?^oca nags/iTwoav Kctoyiidovioi y.cti eig Ti)v bSov y.al «it; t>]v srfoSov, xr)..

Ebenso bei Büttner- Wobst, nur dass dieser hinter yiagcc ein Kolon setzt.

Dass in einer solchen Fassung eines Bundesvertrages weder Sinn noch Verstand ist, bedarf keiner Bemerkung; alle Interpretationskunst- stücke können daran nichts ändern. Ich will mit der Wiedergabe dieser Versuche liier das Papier nicht verderben, auch werde ich mich hüten, Namen zu nennen. Es ist auch nicht nötig; denu wenn ich recht sehe, liegt die Sache selu' einfach.

Zunächst ist klar, dass ovunayia weiter nichts ist, als die, freiUch in diesem Zusammenhange ganz verkehrte Übersetzung von foedus. Foedzis heisst aber bekanntlich „Vertrag"; ob ein solcher Vertrag ein Bündnis ist, oder ein Friedensschluss , oder welches andere Abkommen sonst, ist zunächst ganz gleichgültig. In unserm Falle bedeutet also aviAuctyJu üyygaTiTog dasselbe, wie sip}]v7] eyygaTtTog im zweiten Vertrag mit Karthago (Polyb. ni 24, 6) ; diese Parallelstelle giebt zum Überfluss auch den äusseren Beweis dafirr (was schon au und für sich endeut sein sollte), dass an unserer Stelle zwischen av^uayiav und iyyoccTiTov kein Komma zu setzen ist. Der Siiui ist also ganz einfach: beide Teile verpflichten sich, nur gemeinsam mit Pyi'rhos Frieden zu schüessen; eine Bestimmung, die bei einem Bündnis dieser Art selbstverständlich ist. Dass die Karthager doch später auf dem Punkte gestanden haben, einen Separatfi'ieden mit Pyrrhos zu schliessen, hat mit unserer Frage nichts zu thun, und \\\y haben nicht einmal nötig, au die fides punica zu erinnern. Demi ilie Römer hatten trotz des Vertrages den Karthagern in Sicilien gegen Pvrrhos

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Zur GrscIiirhU: ilr.f: piirrhiKrhen Krieges.

283

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keine Hilfe o'eleistet, es war alsd nur natiiiiirli. dass aucli Kartlia«. an die Hestinimiingen des Bündnisses nicht mehr gebunden hielt.

Der folgende Satz bedarf nur einer Änderung der Interpunktion, und der Umstellung einer Partikel, die ja erst der Übersetzer hinzugefügt hat. Es ist zu lesen : iva <S'>i^y ßo^j&üv «AA/jAojt; kv ry xwv nokefiovfiivwv yMou, örroTsooi [J] äv ^gsiav H/^ioat rrjg ßotj&siag, tu nXola nc<Q(y(sr(oaav Kagyy/dövioi. Natürlich kann ivce ö'i^ij xtX. nicht heissen: ,.damit es ihnen gestattet sei einander zu Hilfe zu kommen", denn diese gegen- seitige Hilfeleistung war Ja eben der Zweck des Vertrages, sondern : „damit sie die Möglichkeit haben, einander zu Hilfe zu kommen". Denn be- kanntlich lag zwischen den Gebieten beider Kontrahenten das Meer. Der llbersetzer, der offenbar im Griechischen nicht recht sattelfest war, hat auch hier sein lateinisches Original ungenau wiedergegeben.

Der ganze Vertrag, soweit er bei Polybios mitgeteilt ist, hatte also folgenden Wortlaut:

§ 1. iuv (JVfiucr^iav noiwvTai Tigag IIvoqov syyoaTiTüV, Tioida&uinctii

ä/HlfÖTSQOl.

§ 2. iva d'ii?i ßoiiOüv uU.i'jloig iv tiJ twv Tiokeuuvtuvuv yo'iyq. ottÜtcqoi. UV yoiiav e^wai ri/S ßor]r%iag, tu nXo'ia naoeyjTUjaav Kaoyr,öüvioi, y.al üg TTjv uööv, y.al elg ti]v 'i(foöov. tu d'öipwvia Tolg avrwv ixuTeüot.

§ H. Kagyr/dövioi <)'« xai y.axu &üXaTTav Pwualoig ßo>i&eiTU)(Jav, äv XQd<x j/' Tct Se nXtjowuaTa u7jSeig üvayy.aQiTW ixßaivuv ay.ovaiiog.

Oder sinngetreu übersetzt :

§ 1. Wenn sie mit Pyrrhos einen Friedensvertrag schliessen, sollen es beide Teile gemeinsam thun.

§ 2. Damit sie einander im Gebiete des angegriffenen Teües Hilfe leisten können, welcher Teil es auch sei, der der Hilfe bedarf, sollen die Karthager die Schiffe stellen, für den Hintransport wie für den Rück- transport; für den Unterhalt seiner Truppen aber soll jeder TeU selbst sorgen.

§ ;^. Die Karthager sollen auch zur See den Eöniern Hilfe leisten, wenn es nötig ist; die Mannschaften aber soll niemand zwingen, gegen ihren Wülen eine Landiuig zu machen.

Folgte die Eidesformel, die Polybios gestrichen hat, ebenso wie den Eingang des ganzen, in dem die kontrahierenden Teile genannt waren und die Bestimmungen der früheren Verträge erneuert wurden.

2. Die „Herren Karthager".

Da ich einmal bei den karthagisclien A'erträgen bin, möge eine Be- merkung zum zweiten A' ertrage hier Platz finden. Dort heisst es am Ein- gange : irrl Tolaöe rfiXiav eivai, 'Pwfiaioig xai TOtg 'Pwfiaiwv avfifxü](oig xai KaQytjSovioov xai Tvgitov xai 'iTVxaiojv dr'iu(o xai Toig tovtuiv avfxfiä- Xoig. Die Tyrier sind hier eine alte a-tix interpretum. Bekanntlich hat

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282

Zur Geschichte des pyrrhischen Krieges.

Von Julius Belocli.

1. Das i-ömiseh-ktirtliagische Biiiulnis.

Der Text des Bundesvertrages, der zwischen Eom und Karthago im Jahi-e 278 gegen Pyrrhos abgeschlossen wui-de (Polj'b. III 25, 8 -i), lautet nach der neuesten Ausgabe von Hultsch A\ie folgt:

iat' av/xuayiav Tioiwvrai Ttpog Jlvggoi', iy-yganrov Tioteinßioanr äu- (fÖTiooi, iva ihj ßo7jif^£7v uV/JfKoig iv rij twv no/.iuov^ieviov yiogu. ÖTiuregoi d äv ygciav Üyojßi r;7e ßo}j&eiceg, tu nlolu nctgsyitwnctv Kccgyi/dövioi xal sig T))v bdov y.al iig Ti/V 'icfodov, xrA.

Ebenso bei Bcttnek-Wobst, nur dass dieser hinter yj''>gn ein Kolon setzt.

Dass iu einer solchen Fassung eines Bundesvertrages weder Sinn noch Verstand ist, bedarf keiner Bemerkuug; alle Interpretationskunst- stücke können daran nichts ändern. Ich will mit der Wiedergabe dieser Versuche hier das Papier nielit verderben, auch werde ich mich liüten, Namen zu nennen. Es ist auch nicht nötig; denu wenn ich recht sehe, liegt die Sache sehr einfach.

Zunächst ist klar, dass avu^iaxia weiter nichts ist, als die, freiücli in diesem Zusammenhange ganz verkehi'te Übersetzung von foedus. Foedus heisst aber bekanntlich „Vertrag"; ob ein solcher Vertrag ein Bündnis ist, oder ein Friedensschluss , oder welches andere Abkommen sonst, ist zunächst ganz gleichgültig. In unserm Falle bedeutet also avfifiayia tyyganrog dasselbe, wie ilg/jvj] i'yyganTog im zweiten "\' ertrag mit Karthago (Polyb. III 24, 6) ; diese Parallelstelle giebt zum Überfluss auch den äusseren Beweis dafür* (was schon au und für sich evident sein sollte), dass an unserer Stelle zwischen av^uuaxiav und iyygcentov kein Konmux zu setzen ist. Der Sinn ist also ganz einfach: beide Teile verpflichten sicli, nur gemeinsam mit Pyrrhos Frieden zu schliessen; eine Bestimmung, die bei einem Bündnis dieser Ai't selbstverständlicli ist. Dass die Karthager doch später auf dem Pimkte gestanden haben, einen Separatfiüeden mit Pyrrhos zu schliessen, hat mit unserer Frage nichts zu thun, und wii- liaben uiclit einmal nötig, an die ftdes punica zu erinnern. Denn die Kömer hatten trotz des Vertrages den Karthagern in sirilien gegen Pvrrhos

Zur (rrschirlifr, dr.ft pi/rrJrisrhrn Krieges. 2s;'{

kriiic Hilfe S'eleistet, es war also nur uatiirlicli, dass auch Kartliatid sirh an ilie l^estiinmmigen des Hündnisses niclit mehr gebunden hielt.

Der folgende Satz bedarf nur einer Änderung der Interpunktion, und der Umstellung einer Partikel, die ja erst der Übersetzer hinzugefügt liat. Es ist zu lesen: iva <ä'>i^7i ßorjO-etv «AA./;'Ao«e iv xy twv noktfiov^evwv XtiiQif, oTToregoi [S] av ^gsiav üy^coai, rijs ßotj&eiag, nkoloc nuQtxiTioactv Kagyijdövioi. Natürlich kann Iva ö'iifj xtX. niclit heissen: „damit es ihnen gestattet sei einander zu Hilfe zu kommen", denn diese gegen- seitige Hilfeleistung war ja eben der Zweck des Vertrages, sondern: „damit sie die Möglichkeit haben, einander zu Hilfe zu kommen". Denn be- kanntlich lag zwischen den Gebieten beider Kontrahenten das Meer. Der IJbersetzer, der offenbar im Griechischen nicht recht sattelfest war, hat auch hier seiu lateinisches Original ungenau wiedergegeben.

Der ganze Vertrag, soweit er bei Polybios mitgeteilt ist, hatte also folgenden Wortlaut:

§ 1. iuv av(.ifA.ayiav noiwvTai Tioog Ilvooov ^jyoamüv, noisiatfojaav

ÜfKfOTSQOl.

§ 2. iva d'i^y ßotj&elv ä)J.t'jXoig iv Tij twv noXsuovuevwv yjj')Qtt, onoztqoi av yoüav e^tufft rije ßotj&eiag, nkola naoiyiTwaav KagytjSovioi, xctl tig Ttjv oäov, y.ac stg ti]v scfodov, tu doipwvia TOig aiitcov ixccTWOi.

§ 3. Kaoyrjdövioi Se xai xcctu &uXaTTav Puuaioig ßoyj&uruaav, äv yosict rj- Tcc Si nh^ow^iuTa uijdug ävayxa^iTU kxßaivuv axovaUog.

I )der sinngetreu übersetzt :

ij 1. Wenn sie mit P3Trhos einen Friedensvertrag schliessen, sollen es beide Teile gemeinsam thun.

ij 2. Damit sie einander im Gebiete des angegriffenen Teües Hilfe leisten köimen, welcher Teil es auch sei, der der Hilfe bedarf, sollen die Karthager die Schilfe stellen, für den Hintransport wie für den Eück- transport; für den Unterhalt seiner Truppen aber soll jeder Teil selbst sorgen.

§ o. Die Karthager sollen auch zur See den Eüniern Hilfe leisten, wenn es nötig ist; die Mannschaften aber soll nienuind zwingen, gegen ihren Willen eine Landung zu machen.

Folgte die Eidesformel, die Polj'bios gestrichen hat, ebenso wie den Eingang des ganzen, in dem die kontrahierenden Teile genannt wai-eu und die Bestimmungen der früheren Verträge erneuert wurden.

i. Die „Herren Karthager".

Da ich einmal bei den karthagischen Verträgen bin, möge eine Be- merkung zum zweiten Vertrage hier Platz finden. Dort heisst es am Ein- gange: kni Tolaös cfiXiav tlvai "^Pwftaioig xai roig 'Pwfiaiwv CVfi^iuyoig xai Kagyijd'ovicüV xai Tvgiwv xai 'iTVxaiojv dr'/uco xai xotg tovtoov av/xfxd- yotg. Die Tyrier sind hier eine alte crux interpretum. Bekanntlich iiat

284 J. Belnrh,

Utto Hirschfeld vorgesclilagen, iiacli dem überlieferten Texte des Vertrages zwischen Hannibal und König Pliilipp, wo die xvgioi Kag^nSovioi neben den 'hvxaloi erwälint werden (Polyb. VII 9, 5), an unserer Stelle Tvgiwv in xvgiiav ZU emendieren, und das vorhergehende xal zu streichen. Wenn das Neugriechisch sein sollte, würde ich es verstehen; für Altgriechisch werde ich es erst dann halten, wenn Beispiele für einen solchen C4ebrauch von xvQio? beigebi'acht sein werden. Auch aus äusseren Gründen scheint mir die ..Emendation" recht bedenklich. Wie bekannt, sind die Excerpte aus Polybios viel schlechter überliefert, als die vollständig erhaltenen Bücher; man soll aber tue schlechte Überlieferung aus iler guten \tv- bessern, nicht umgekehrt. Und ferner sind erfahrungsmässig gerade die Eigennamen am meisten der Korruptel ausgesetzt; es ist also an und für sich sehr viel wahrscheinlicher, dass vielmehr in dem Vertrage mit l'liiliiip statt xvgiovq- Tvgiovg herzustellen ist. Wir hätten dann anzunehmen, entweder dass die Karthager sich im Kurialstil als Ti/gioi Kagyr,S6vioi („Tyrier aus der Neustadt") bezeichnet haben; in diesem Falle wäre mit Hirschfeld in dem Vertrage mit Rom das xai vor Tvgiojv zu streichen, was gar kein Bedenken hat, da es von dem Übersetzer hinzugefügt sein kann, und jedenfalls von Polybios hinzugefügt werden musste, auch wenn es nicht dastand, da er der Meinung war, dass hier von dem phönikischen Tyros die Eede sei. Oder aber, Karthago hat wii-klich die Mutterstadt in seine \"erträge eingeschlossen, um auch deren Bürgern dieselben Vorteile zu verschaffen, die es für sich selbst ausbedang. Doch ist diese letztere Alternative im Hinlilick auf den Vertrag mit Philipp wenig wahrscheinlicli.

3. Die CaniDiiner iu Bliegion.

l)em Al)scliluss des Bündnisses gegen Pyrrhos folgte die Ausführung auf dem Fusse. \Me Diodor erzählt (XXII 7, 5) : Kagpjdoviot. avfiuuxiccv nott'/aavTsg (ietcc 'Pwfiaiwv nsvTaxoöiovg dvdgag ^Xaßov slg tag tdiag vaijg, y.ai Etg 'Prjyiov Siaßävreg ngoaßoXäg noiovusvoi TTJg fihv nokiogxiag aniöTijdav, rijv Si nagtaxsvaai^sv}jv vh]v slg vavntjyiav ivkngijaav, xal SiefiEivav (fvkäTTovTtg tov •nog&fiöv, naguTtjgovvTeg tijv Stußaaiv IJvggov.

Wer sich diese Worte nur flüchtig ansieht, wird zu dem Glauben verleitet, es handle sich hier um einen Angriif auf Eliegiou; und so erzählen denn auch durchweg die Neueren (z. B. Holm, Gesch. Sic. II 282, Meltzer, Gesch. d. Karth. II 232, Niese, He,-tnes 1896 S. 497 A. 4, Ge- schichte II 43). Und doch ist diese Auffassung ganz sicher falscli. Denn die Campaner, die damals Ehegion in ihrer GcAvalt hatten, standen ja in engem Bunde mit ihren Stanimesgenossen , den Mamertinern in Messene, und diese wieder hatten sich soeben mit den Karthagern gegen Pyi-rhos verbündet (Diod. XXII 7, 4). Es ist e-\ident , dass die Karthager unter diesen Umständen nicht zu einem Angriff auf Ehegion die Hand bieten konnten, selbst wenn die Eömer einen solchen beabsichtigt haben sollten.

Zur Grsclnclitr, des pyrrJiischen Krieges. 285

Vielmelir ist es klar, dass es sicli liier um ein Unternehmen gegen Pj-rrlios handelt, für das Khegion als Operationsbasis diente. Die Vorräte an Schiffsbaiiholz, di(^ dabei zerstört wurden, waren vom Könige für seinen iUiergang nach Sicilien aufgehäuft worden, natürlich nicht in ]>'liegion, sondern in einer ihm befreundeten Stadt, der der Angriff der Karthager und Eömer galt, und deren Name in unserem Diodor-Kxcerpt ausgefallen ist. Es mag Lokroi gewesen sein; allenfalls könnte man auch an Hi]>iionion denken. Verdächtig ist auch die geringe Zahl der römischen 'i'ruppen : 500 Mann wären doch eine ganz irrisorische Unterstützung für die Kar- thager gewesen. Bekanntlich sind gerade die Zahlen in deu llandscliriften Diodors vielfach verderbt, und ganz besonders gilt dies von den Kxi-erptcn; es ist wahrscheinlich, dass das auch hier der Fall ist.

Die campanische Besatzung war von den Eömern na(;h Rhegion gelegt worden , Avie Polybios angiebt (I 7, G) xad' öv xaigov llvQQoq slg 'IzaXiav inegaiovTO] dasselbe erzählt Diodor (XXII 1, 2). Dagegen wäre nach Dionysios die Besatzung schon von Fabricius in seinem ersten Consulate (282) nach Ehegion gesandt worden, um die Zeit, als er Thurioi von der Belagerung durch die Lucaner und Brettier befreite. Und das ist ohne Zweifel das richtige. Denn die Eheginer selbst hatten die Besatzung erbeten (Polyb. a. a. 0., Dionys. XX 4, Dio Cass. fr. 40, 7, vgl. App. Samn. 9) ; und es ist doch sehr unwahrscheinlich, dass sie die Eömer gegen Pyrrhos zu Hilfe gerufen haben sollten, der zur Befreiung der Hellenen nach Italien kam, und dem in Grossgriechenland A\ie in Sicilien alle Herzen entgegenschlugen. Ferner sagt Polybios selbst, die römische Besatzung wäre längere Zeit (jqövov fiei> rtva) ihrer Pflicht treu geblieben ; emilich aber (rikog «Je) sei sie dem Beispiele der Mamertiner gefolgt und hätte sich der ihr anvertrauten Stadt bemächtigt. Diese ^'ergewaltigung von Ehegion muss aber gleich nach der Schlacht bei Herakleia erfolgt sein, denn Diodor erzählte die Sache, väe aus der Folge der Excerpte hervorgeht, unter dem ersten Jahre des pyi'rhischen Krieges. Dazu kommt weiter die Analogie von Lokroi. Auch hier muss die römische Besatzung auf Wunsch der Bürger aufgenommen worden sein; aber jedenfalls nicht zum Schutz gegen Pyrrhos, denn die Lokrer hatten nach der Schlacht bei Herakleia nichts eiligeres zu thun, als zu PjTrhos überzutreten (Justin. XVIII 1, 0). Die römische Garnison ist also zum Schutze gegen die Brettier, Mamertiner und Karthager erbeten worden, wahrscheinlich 282, oder spätestens im Jahre darauf. Endlich mac^ht das Erscheinen der römischen Flotte vor Tarent im Jahre 281 wahrscheinlich, dass die Eömer bereits damals an der brettischen Küste Stützpunkte besessen habeu. d. h. eben Loki'oi und Ehegion.

Aus allen diesen Erwägungen verdient die Angabe des Dionysios, die freilich an sich leicht genug wiegen würde, vor dem Zeugnis der besseren Quelle den Vorzug. Es ist ja überhaupt eine Naivetät, die Glaubwürdigkeit

Beitrags z. alten Geschiehte 12. 19

286 J. Bchcli,

historischer Nachrichten bloss danach zu beurteilen, ob sie besser oder schlechter bezeugt sind. Gewiss fällt auch das schwer ins Gewicht, und ceiet-is paribus werden wir natürlich dem Bericht der besseren Quelle den Vorzug geben. Aber das Entscheidende sind immer innere Gründe, denn auch eine gute Quelle kann einmal schlechte Nachrichten geben. Das gilt ganz besonders für Polybios, der überhaupt nur relativ eine gute Quelle zu nennen ist, überall da wenigstens, wo er nicht über Ereignisse seiner eigenen Zeit berichtet. Er hat oft selu- flüchtig gearbeitet, giebt die Berichte seiner Vorlagen kritiklos wieder, oder, was noch viel schlimmer ist, macht seine Erzählung willkürlich zurecht. In unserem Falle hat Polybios, wie sich aus der Färbung seines Berichtes unzweifelhaft ergiebt, aus einer römischen Quelle geschöpft, d. h. aus Fabius (vgl. Het-mes 28, 487). Dort war die Geschichte der Vergewaltigung Rhegions, wie die Datierung des Polybios zeigt, unter dem richtigen Jahre, 280 (Consulat des Valerius Laevinus und Ti. Coruncanius) erzählt, und Fabius wird, ebenso wie die uns erhalteneu Quellen (Polybios, Diodor, Livius, Dionysios) die Aufnahme der Besatzung bei dieser Gelegenheit erwähnt haben; da lag nun die Kombination sehr nahe, dass die Furcht vor Pyrrhos den Anlass zur Aufnahme der Besatzung gegeben hätte, und es ist für die Sache ganz gleichgültig, ob diese Kombination schon von Fabius, oder erst von Polybios gemacht worden ist. Denn der rheginische Volksbescliluss, durch den die Besatzung erbeten wurde, hat Fabius doch sicher nicht vorgelegen. Dass übrigens, wenn nicht bei E'abius, so doch in Fabius Quelle ein anderes Motiv angegeben war, leuchtet auch bei Polybios noch durch: 'Fiiy'ivoi yäg .... xavttTi'kayeiq ■ytvöfiivot. ti/V icfodov avTOV [IIvqoov), äidiöreg St xai Kag](tj§oviovg ß-aknTToxQaTovvTag. insfinäaavro (fvXaxi'jv. Die Angabe von zwei Jlotiven, wo ein einziges ausreicht, ist immer verdächtig; ein besonderer Anlass aber zur Besorgnis vor Karthago lag gerade im Jahr 280 nicht vor, denn die Karthager haben sich weder in diesem, noch im folgenden Jahre in die italischen Angelegenheiten eingemischt, so günstige Gelegenheit der pyrrliische Krieg ihnen auch dazu gegeben hätte. A'iel- mehr war Ehegion schon seit dem Tode des Agathokles von den Karthagern bedi'oht; war also die Besatzung zum Schutz gegen diese bestimmt, so muss sie erbeten worden sein, sobald die Römer ihre Macht nach der brettischen Landschaft ausgedehnt hatten, d. h. eben 282.

Als Grund oder Vorwand der Vergewaltigung der Stadt wird bei Dionysios angegeben, die Besatzung hätte gefürchtet, von den Bürgern an Pyrrhos verraten zu werden. Nach dem was in Lokroi vorgegangen war, lag eine solche Besorgnis in der That nahe genug, und es ist sehr walu'scheinlich, dass sie berechtigt war. Ist das aber richtig, oder wurde es in Rom geglaubt (und natürlich glaubte man dort den Landsleuten), so niusste die That in einem ganz anderen Lichte erscheinen, als ein Akt legitimer Notwehr, und keineswegs als eine Meuterei. Die römische

Zur neschiclitr. drs pi/rrhischcn Krieges. 287

Eeffieruns: liatte also "ar keinen (irund einznsclireiten , sie ist vielmelir mit den ('anipauern in Rheuion im besten Einvernelimen geblieben, bis nach (lern Abzno- des Pyrrlios. Und als sie 'endlich doch einschi-itt, lag' der (irund, wie ausdriicklicli hervorg-ehoben wird, in den L'bergritten, welche sich die Campaner vim IMiegion gegen die l.'inner erlaubt hatten; sie hatten Kroton genommen und die römische Besatzung niedergemacht (Zonar. VIII 6), und auch Kaulonia A\ar von ihnen zerstört worden (Paus. VI '■'; 12). Sie trieben es also in der brettischen Landschaft, wie üire Stammesgenossen, die Mamertiuer von Messene in Sicilien ; me diese mit den Syrakusiern und Karthagern, kamen sie darüber mit den Römern im Konflikt. Wann die Einnahme von Kroton durch die Campaner erfolgt ist, \\ird nicht überliefert, jedenfalls nach 277, da die Stadt erst in diesem Jahre von den Kömern besetzt wurde; wahrscheinlich nach dem Abzüge des Pyrrhos nach Griechenland, und vor der Kapitulation von Tarent. Die Campaner rechneten dabei auf den Rückhalt, den sie an den Mamertinern hatten ; (Zonar. VIII 6 , vgl. Polyb. I S, 1 , Dionys. XX -4), diese aber waren durch den Krieg gegen die Syrakusier und Karthager in Anspruch genommen (Polyb. a. a. 0.). Nach Cassius Dio (Zonar. VIII tJ) liätten die Eiimer, als sie endlich gegen Rhegion vorgingen, mit den Mamertinern ein Abkommen getroffen; diese Angabe ist aber schon au und für sich sehr unwahrscheinlich denn was hätten die Mamertiner bei einem solchen Abkommen zu gewinnen gehabt? und sie wider- spricht dem Bericht des Polybios (d. h. Fabius), der als erste Veranlassung des Niedergangs der mamertinischen Macht auf Sicilien eben die Be- lagerung von Rhegion dnr(;h die Römer bezeichnet. Sie widerspricht ferner der eignen Angabe des Cassius Dio, dass die Syrakusier die Römer bei der Belagerung von Rhegion unterstützt hätten ; sie würden das sicher nicht gethan haben, wenn die Römer mit den Manu-i-finern in guten Be- ziehungen gestanden hätten. Dagegen ist diese letztere Angabe, so schlecht sie bezeugt sein mag, an sich dm-chaus wahrscheinlich; denn Syrakus hatte ja das höchste Interesse daran, dass die Campaner aus Rhegion vertrieben, und die Mamertiner damit isoliert würden. Dass es Hieron war, der den Römern diese Unterstützung sandte, kann Kombination sein, aber auch auf wii'kliche Überlieferung zurückgehen. Denn ziu- Zeit der Einnahme von Rhegion durch die Römer (270) war Hieron allerdings nocli nicht Tyrann {Hermes 28, 481 ff.), aber er stand in Syrakus bereits in hohem Ausehen, und kann sehr wohl in diesem Jahre Strateg gewesen sein. Die annalistische Tradition ist bemüht gewesen, die römische Politik von dem Flecken der Connivenz mit den Campanern von Rhegion nach Möglichkeit rein zu waschen. Fabius (bei Polj'bios) allerdings begnügte sich damit, zu erzählen, die Römer hätten zwar das Geschehene bedauert, im Augenblick aber wegen des Ivi'ieges mit Pyrrhos nichts thun können ; sobald sie die Hände frei hatten, hätten sie den Frevel gerächt. Spätere

19* C

288 ./. Brlocli, Zur Geschichte des ptirrhischen Krieges.

Aimalisteu sahen, dass diese Eeclitfertigung- in keiner Weise ausreichte. Und so ist denn die Geschichte entstanden, die wir bei Dionysios lesen (XX 4 5. 16). Danach hätte die Meuterei in Ehegion nach der Sehlacht bei Ausculuni stattg-efimden , und der Senat hätte auf die Nachricht davon ov8k t6v iläxiOTov ava^uvaaa ygovov ein Heer unter Fabricius nach Ehegion abgesandt, die Meuterer hätten sogleich die Thore ge- öffnet, und die Eädelsführer ausgeliefert, die dann iu Eom enthauptet worden seien. Später wäre eine zweite Meuterei unter der Besatzung von Ehegion ausgebrochen; die Stadt wäre dann durch den Konsul 0. Genucius erobert und die Meuterer, 4500 Älann, in Eom mit dem Beil hingerichtet worden, was di-amatisch ausgemalt wird.

Hier liegt, -ft-ie man sieht, bewusste Geschiclitsfälschung vor, zu Ehren der Eömer, und insbesondere des Fabricius, der ja die Besatzung nach Ehegion gelegt hatte, und also für das Geschehene bis zu einem gewissen Punkte moralisch verantwortlich war. Aber ganz ft-eie Er- findung ist die Sache doch nicht; denn die Eömer haben wirklich unter dem zweiten Konsulat des Fabricius (278) ein Heer nach Ehegion ge- schickt, jene Truppen, welche die karthagische Flotte an Bord nahm, wie wü' oben gesehen haben.

Die Stärke der römisch-campanischen Besatzung giebt Polybios (I 7, 7) auf 4000 Mann an, Dionysios zu Anfang auf 1200 Mann, wovon 800 Campaner , 400 Sidiciner (XX 4) , später , bei der zweiten Meuterei, aiif 4500 (XX 1(5). Li^ius (Per. 15) spricht nur von der legio Campana, quae Regtum occupaverat , nach Orosius (IV 3 , 4) der ohne Zweifel aus Livius schöpft, wäre es die legio octava gewesen. Nun ist es ja evident, dass die Eömer nicht eine ganze Legion als Besatzung nach Ehegion ge- legt haben können. Aber legio braucht, wenn es sich um Ereignisse des III. Jalu'hunderts oder noch fi'üherer Zeit handelt, gar nicht diese tech- nische Bedeutung zu haben; es heisst Truppenkorps überhaupt, ohne Eücksicht auf die Stärke, luul darauf, ob es sich um römische Truppen handelt. Man denke an die legiones Carfhaginienses der Columna rostrata. Für die spätem Historiker lag natürlich die Verwechslung einer solchen legio unbestimmter Stärke mit der Legion in dem ihnen und uns ge- läufigen Sinne sehr nahe ; es sind dadiu'ch eine Menge übertriebener Zahlenangaben in die ältere römische Geschichte gekommen. Auch Polybios hat an unserer Stelle diese Verwechslung begangen; wie über- haupt seine Zahlenangaben sehr oft die nötige Ivi-itik vermissen lassen. Dionysios von Halikarnassos hat also auch hier die bessere Überlieferung bewahrt. Dagegen ist es allerdings sehr wahrscheinlich, dass das Heer, das die Eömer im Jahre 278 nach Ehegion sandten, um PjTrhos Über- gang nach Sicilieu zu verhindern, die Stärke einer Legion gehabt hat (s. oben S. 4).

289

Die Schlacht bei Kos.

Von Jnlius Beloch.

' Jvriyovog 6 ötvreoog TufJ.a uh 7jv ärvcfog xal uirgtog, kv Sk t7j mgi Kwv vavuttyia, twv cfihov rivog ünovrog- ovy boüg, öaai n}Movg iioiv ai noUfiiav vr,sg: ifü di y'avröv, Eins, ngog nöaag avTitceTTSTS; (P\\lt. v. Selbstlob 15 S. 545). Die Anekdote steht iiocli einmal in den Apoplitliegmata der Könige und Feldhemi (S. 1<S3), fast mit denselben Worten: MeUwv dk vav^a^elv (Jvriyovog 6 öiVTsgog) ngug rore IlTolmaiov avoaTr/yovg, ünovTog Tov xvßegvi'iTov, noXv nlsiovag tlvcti rag räi' noXsulojv vccvg- iuk. 8k, iqn], avxov nagovra ngog nöaag avTiTÜtTng; Und nocli ein drittes Mal im Leben des Pelopidas (c. 2): 'Avriyovog 6 yiguv, ote ravuays-tv negl "Jvdgov i^tXliv, tinövrog Tivög, üg noXi) nkeiovg ai twv noUuimv vr,ig ehv iuk Sk avröv, Ücpt]., ngog nöaag avTiariiasig ;

Es ist klar, dass diese tiescliiclite ursprünglicli nur entweder von der Schlacht bei Kos, oder von der Schlacht bei Andros erzählt worden sein kann. Beide Schlachten sind historisch. Die von Kos wii-d bei Athen. V 209 e erwähnt, wo es nach der Beschreibung des grossen von Hieron erbauten Schiffes heisst: nagehnov S'ixwv iyw Tr,v 'AvTiyövov ugavTgujgi], j irixiias rovg flTolmaiov argaTyjyovg negl Mvy.ollav Tijg Kmag, önovSi) xal 'AnöXlotvi uvtfiv avi&nxav}) Die Schlacht bei Andros wird im Inhaltsverzeichnis zu Trogus 27. Buche erwähnt, wo überliefert ist: ut Antigonum Andro proello navali jn-ona vtcerit, wofür C. Müller FHG. III 718 ut Antigonus Andre proclio navali Sophrona vicerit emendiert, was Eühl in den Text gesetzt hat. Von der „Seeschlacht des Antigouos-' spricht auch Laertius Diogenes (IV 39) im Leben des Arkesilaos:

1) 'Uqav XQLTjQTi wie unsere Ausgaben lesen, muss korrupt sein, da es sich um ein Schiff von grossen Dimensionen handelt. Wenn Dkoysex (III 1 , 241 Anm.) meint, ,dass Gonatas Triere Isthmia {vavuQXi?) mit ihren freiwillig spriesseuden Epheu wohl diese gewesen sein könnte (Plut. Quaest. Symp. V3, 2 [S. 676])', so sind in diesem kurzen Satze nicht weniger als 3 Versehen: 1) spricht Plutarch nur von Antigonos, nicht von Gonatas, 2) heisst aäivov bekanntlich Eppich, nicht Epheu, S) steht bei Plutarch von einer Triere kein Wort, sondern nur von einer vccvccqx^?- ""'' *'"''" "'"S"' "ü'' Geschichte des Hellenismus schreibt, hätte doch wissen sollen, dass ein König dieser Zeit keine Triere zum Admiralschiff genommen hätte.

290 J. Beloch,

fierä Ti]v 'AvTiyovov vavuayiav noXXiäv ngoaiövTon' y.ai imaxölia na- naxhjTixcc yoaffövTwv avTog (Arkesilaos) taii!)7rr,(itv.

SoAveit die Überlieferung: es gilt sie in den historischen Zusaminen- hang einzuordnen. Das 27. Buch des Trogus, in dem die Schlacht bei Andres erzählt war, behandelte die Geschichte der Seleukiden vom Tode Antiochos Theos bis zum Tode Seleukos Keraunos, und zwar Avar dieses Buch ausschliesslich der seleukidischeu Geschichte gewidmet, wäkreud die makedonische Geschichte bis zur Befreiung von Megara durch Aratos (242) und also höchst wahrscheinlich bis zu Gonatas Tode im 26., die Geschichte Demetrios 11. und Antigouos Dosons im 28. Buche erzählt war. Der Bericht über die Schlacht bei Andros stand zmschen dem Tode des Königs Ziaelas von Bithynien (c. 229) und dem Tode des Antiochos Hierax (227); es ist also klar, dass nicht Gonatas sie geschlagen hat, sondern Doson, der eben in dieser Zeit seine Expedition nach Karlen unter- nahm, bei der er notwendiger Weise mit der ptolemäischen Flotte in Kampf kommen musste. Es bestätigt sich uns hier, was an sich evident war, und längst ei'kannt worden ist, dass Dosons karischer Feldzug mit dem Kriege Antiochos Hierax gegen Attalos und Ptolemäos zusammen- hängt. Man wende nicht ein, dass Trogus das karische Unternehmen erst im 28. Buche erzählt hat, denn es ist klar, dass er dort, wo er Dosons Thaten im Zusammenhange berichtete, noch einmal darauf zu sprechen kommen musste : solche Wiederholungen waren bei der gewählten Anordnung unvermeidlich, und sie finden sich aus demselben Grunde ganz ebenso auch bei Dkoysen und Niese. Und da Doson nach Karien gelangt ist, und dort Eroberungen gemacht hat, so muss er die Schlacht bei Andros gewonnen haben, woraus sich ergiebt, dass C. Mcllee mit seiner Emendation der Trogus-Stelle das rechte gefunden hat. Sophron aber, der die ptolemäische Flotte befehligte, war bei Antiochos Theos Tode 247 noch seleukidischer Konunandant von Ephesos; er musste damals vor Laodike flüchten und wii'd dann bald in ptolemäische Dienste ge- treten sein (Phylarch XII fi-. 23 bei Athen. XIII 593 b, vergl. Eist. Zeitschr. X. F. 24, 500). Er könnte also gegen Antigouos Gonatas erst in dessen letzten Eegierungsjahreu befehligt haben; aber von einem Kriege zwischen Antigouos und Ptolemäos in dieser Zeit fehlt in unserer Überlieferung jede Spiu-. Auch daraus ergiebt sich also, dass die Schlacht bei Andros erst unter Doson zu setzen ist. Soplu-ons (xattin Danae war eine Tochter der Leoution, die mit Epikurs Schüler Metrodoros -vermählt war (Phy- larch a. a. 0.) ; Metrodoros aber ist 7 Jahre vor Epikiu- gestorben (Laert. Diog. X 23) also 278 7, und seine Ivinder waren bei Epikm-s Tode (27 PO) noch nicht erwachsen (Epikui- bei Laert. Diog. X 22); werden also kaum vor 285 geboren sein, sodass Danae im Jalu-e 247 etwa 35 40 Jahi-e alt gewesen sein wird; dass sie ihrer A'ertrauten Freundin, der Königin Laodike, etwa gleichalterig war, Ist ja auch an und für sich wahr-

Die Sclilachf hei Kos. 201

scheinlidi. Demnacli wird Sopliron bei seiner Flucht ;uis Epliesos 247 etwa ein Yierziser, er liranclit Jedenfalls nicht älter gewesen zu sein, und er kann folslicli recht gut 20 Jahre später, als Sechziger, die ptole- niiüsche Flotte befehligt haben. Wenn Plutarch Pehp. 2 den Sieger von Andres 'Avrlyovog ö yinwv nennt, so hat bereits Droysen (III 1, 406 A.) bemerkt, dass das nicht heissen kann „der hochbetagte Antigonos", denn dann müsste yiptov wv stehen, sondern dass der alte Monophthalnios ge- meint sein muss, was dann fi-eilich ein Irrtum ist, denn der hat niemals bei Andi-os eine Seeschlacht geschlagen. Vielleicht aber ist yigiov einfach aus ^ünoDV korrumpiert; wir- brauchen bloss anzunehmen, dass die drei ersten Buchstaben in Plutarchs Vorlage unleserlich waren, dann ergab sich die Ergänzung zu yigtüv ganz von selbst.

Wenn also die Schlacht bei Andros von Antigonos Doson gewonnen Avorden ist, so können wir die Schlacht bei Kos nicht wohl mit dessen karischem Unternehmen in Zusammenhang bringen, was sonst ja sehr nahe gelegen hätte. Sie muss also von Gonatas geschlagen worden sein. Dass dieser einmal eine grosse Seeschlacht geliefert hat, zeigt ja auch die augeführte Stelle aus Laertius Diogenes im Leben des ArkesOaos, denn Arkesilaos ist 241, also vor Gonatas gestorben. Und dass diese Schlacht ein Sieg war, beweist schon die Anekdote bei Plutarch, die sonst keine Spitze hätte ;') auch bezeugt es Athenäos a. a. 0. Denn es ist ^^■illkür vou Droysen die letztere Stelle auf Demetrius Sieg bei Salamis auf Kypros zu beziehen (III 1, 241 A.) weil ein Ort LeukoUa auf Kos unbekannt ist, wohl aber ein Vorgebii-ge zmschen Salamis und Ivition auf Kypros so hiess ; Deoysen selbst muss ja zugeben, dass der Name .dsimoUa auch sonst öfter vorkommt. Auch ist ja die Schlacht bei Salamis nicht gegen die Feldherren des Ptolemäos, sondern gegen diesen selbst gewonnen worden. Es hat also bei dem Siege des Gonatas in den Gewässern von Kos über die ptolemäische Flotte zu bleiben.-)

1) Der Aristeas-Brief (180) uud danach Josephus Änt. XII 2, 11 rXII 93) er- wähnen allerdings eine Niederlage des Antigonos gegen die Flotte des Philadelphos. An sieh wäre es ja möglieh genug, dass Antigonos im Laufe des chremonideischen Krieges zur See eine Schlappe erlitten hätte; aher Aristeas spricht von einer grossen Seeschlacht, deren Gedenktag gefeiert wurde, und wenn Antigonos eine solche Schlacht verloren hätte, konnte sein Sieg bei Kos von Diogenes nicht einfach als /; 'Avnyovov vuv[iaxia bezeichnet werden. Es ist vielmehr klar, dass Aristeas die Schlacht bei Kos meint, und sie aus einer Niederlage zu einem Sieg der ptolemäischen Flotte macht. Bei der bekannten Unzuverlässigkeit uud Verlogenheit dieser jüdischen Quelle ist darauf nicht das geringste zu geben.

2) Ob die Münzen des Antigonos mit Apollon auf dem Schiffsvorderteil auf diesen Sieg sich beziehen, wie Imhoof-Blumer will (Mann. Gr. 128), ja ob sie überhaupt Gonatas gehören, ist zweifelhaft (Head Eist. Nwn. 203). Dagegen ist es ganz sicher, dass das bekannte von Usexek behandelte Epigramm aus Knidos (Kaibel 781) mit Gonatas nicht das geringste zu thun hat.

292 J. Br.hch.

I)ii8s diese SclilacliT nicht vur den rlireiuouideisclieii Jvrief^' gvsetzt Averdeu darf, ist klar, denn wir hören nichts von einem Kriege zwischen Antigonos und Ptolemäos in dieser Zeit, vielmehr scheinen zwischen beiden gute Beziehungen bestanden zu haben (vgl. Schal. Kallim. Hiimn. auf Delos, wo nur Gonatas gemeint sein kann). Auch war nach der Erzählung bei Diogenes Arkesilaos zur Zeit der Schlacht schon ein berühmter Mann, und oftenbar Schulhaupt der Akademie, was er erst um die Zeit des chremonideischen Krieges geworden ist. Ferner beherrschte die ptole- mäische Flotte damals noch unbedingt das ägäische Meer. Schon aus diesem Grunde kann die Schlacht auch nicht in den chremonideischen lü'ieg gesetzt werden, abgesehen davon, dass Antigonos zur Zeit seines Seesieges bereits Herr in Athen war, wie sich aus Diogenes ergiebt. Also ist die Schlacht bei Kos erst nach der Einnahme Athens (263 2), geschlagen worden.') Bekanutlich ist das auf den chremonideischen Krieg folgende Jahrzehnt die dunkelste Periode der ganzen (xeschichte des III. Jahrhunderts und der griechischen Geschichte seit den Perserkriegen überhaupt ; es ist also kein Wunder, wenn wir die Schlacht nicht weiter erwähnt finden.

Nun haben unter dem delischen Archon Plianos, der nach Homulles Futersuchungen wahrscheinlich in das Jahr 252 gehört (Archives de l' Intendance sacree de Dchs), Antigonos und Stratonike in Delos eine Stiftung gemacht, aus deren Zinsen alljäludich AVeihgeschenke beschafft wurden. 2) Das deutet auf makedonischen und seleukidischen Einfluss auf Delos, und es liegt nahe, diese Stiftungen mit der veränderten Lage im ägäischen Meere in Zusammenhang zu bringen, wie sie durch den Sieg bei Kos ge- schaffen sein muss. Auch andere Spuren deuten nach derselben Eichtung. So zeigt das Dekret von Satos der Schrift nach aus der Zeit um 250 (HoMOLLE, Archives S. 65, 2 ) den König Antigonos als Oberherrn der Insel ; freilich Messe sich dabei auch an Doson denken, der nach seinem Siege bei Andros die Kj-kladen in Besitz genommen haben kann. Ferner scheint bei Plutarch, Arat. 12 eine makedonische Besatzung auf Andros bald nach 250 erwähnt zu werden, falls nämlich hier, Avie es gewöhnlich ge- schieht, für r)~e 'ASgt'ag, was ja zweifellos korrupt ist. 'AvSgiaq zu schreiben ist: (Imli ist diese Emmendation immerhin unsicher. Sind diese Kombinationen richtig, so würde die Schlacht bei Kos in 25;; oder etwas früher zu setzen sein.^)

1) Vgl. WiLAMOwiTz, Antiijonos 227 f.

2) Es ist ein Versehen, wenn Niese angicbt (II 131,4): ,Nach Homoli e, Archives S. 60 f., 65 beginnen die Weihgescheuke und Auszeichnungen des Antigonos um 265 und gehen bis 252 v. Chr." Bei Homolle steht nichts davon, sondern er sagt im Gegen- teil, dass die Weihgescheuke erst um 252 beginnen.

3) Vgl. Homolle, Archives S. 64 f., der freilich die Folgerungen für die Chrono- logie der Schlacht bei Kos nicht gezogen hat. Das hat erst Gaetano De Saxctis ge-

Die ScMitclif hei Kos. 29:5

Der Scliaiii)liitz der Sclilaclit in den asiatischen (lewässeni spricht (laliir. dass Aiitigonos sie als Bundesgenosse des Antiochos gesclilapen hat, mit dem er in dieser Zeit in engen Beziehungen stand, die in der Vermählung zwischen Antigonos Sohn Demetrios und Antiochos Schwester Stratonike (bald nach 2(30) ihren Ausdruck gefunden hatten. Antiochos war nach dem Tode seines Vaters in einen Krieg mit Ptolemäos Bhila- (lelphos verwickelt worden. AVir wissen nämlich aus dem Eliremlekret der ionischen Städte für die Könige Antiochos und Antiochos (Michel 486), das heisst Antiochos Soter und seinen gleichnamigen Sohn und Mitregenten, der später den Namen Theos angenommen hat, dass p]pliesos in den letzten .Tahren Soters noch zum syrischen Reiche gehörte; denn die Er- hebung des Antiochos zum Mitregenten ist nach dem Zeugnis der Keil- inschriften zwischen 2(59 und 26(5 erfolgt. Dagegen war Ephesos 258 ptolemäisch, da Philadelphos Adoptivsohn Ptolemäos sich in diesem Jalu-e hier gegen den Vater empörte (Trogus, Prol. 26, Athen. XIII 593 a.).') Die Stadt ist also in der Zwischenzeit den Seleukideu von Philadelphos entrissen worden: ob noch kurz vor dem Tode Antiochos Soters, etwa um die Zeit von dessen Niederlage gegen Eumenes von Pergamon (263 oder 262), sodass Philadelphos mit letzterem im Bunde gestanden hätte, oder erst nach dem Thronwechsel, ist mit unseren Mitteln nicht zu ent- scheiden, macht auch für die r4eschichte keinen grossen Unterschied.

Dass der junge Ptolemäos bei seiner Empörung gegen seinen Adoptiv- vater sich an Antiochos angeschlossen hat, liegt in der Natur der Sache: wie hätte er sich sonst z^\ischen den beiden Grossmächteu be- haupten können? Jedenfalls ist Antiochos in fireundschaftliche Beziehungen zu ihm getreten, denn er hat seiner Tochter [Bip]eviy.>] IlToliuaiov tov Avöi^äxov ein hohes Priest ertuni verliehen, und bezeichnet ihren Vater Ptolemäos bei dieser Gelegenheit als ngoarixuiv iifilv ■/.ara avyyivuav (Michel 40) ; da der Königstitel fehlt, wii'd Ptolemäos damals nicht mehr am Leben gewesen sein.-) Nun giebt es von diesem Ptolemäos delische

than, in seinem sehr lesenswerthen Aufsatz Questioni poUtiche, e riforme sociali. Saggio Sil 30 anni di Storia Grcca (258—228), in Rivista Inteniazionale di Scieme sociali fasc. XIII— XIV, Roma 1894.

1; Ich halte diesen Ptolemäos mit Wilhelm G. G. Aiiz. 1898 S. 210, und Pkott üh. Mhs. .53, 1898, S. 470 ff., für den Sohn der Arsiuoe von Lysimachos , den Phila- delphos adoptierte und zum Mitregenten annahm, als seine Ehe mit der Schwester kinderlos blieh. Diese Mitregentschaft endete nach dem Bcvcnew Pn/Jf/CM.s im Jahre 2.59,'8; damals also muss sieh der junge Ptolemäos empört haben, was mit den An- gaben bei Trogus 26 gut übereinstimmt.

2) Dass die auf dem Steine nicht erhaltene Jahreszahl zwei Stellen hatte, ist eine richtige Bemerkung Protts (a. a. 0. S. 472, 2), unrichtig aber die chronologische Folgerung, die er daraus zieht, denn Antiochos hat doch ohne Zweifel nach Jahren der Seleukiden- ära datiert. Auch muss die Inschrift jedenfalls vor die Vermählung mit Berenike (ca. 250 oder spätestens 249) gehören, denn Antiochos hat sich mit Laodike erst auf dem Todtenbette versöhnt.

294 J. Bdocli, Die SchJacld hei Kos.

AVeilumgen mit der Aufscliinft IlToXt^ictiov tov ßaaikiwg ^vaiuüyov, ßndü.iüig riToXmaiov tov .Avaiuäyov . TlToXmatov tov Avaiuayov (noch Uliveröffentlicht vergl. Wilhelm, Gott. G. Am. 1898 S. 210) aus nicht näher zu hestinimeuder Zeit; nur so viel ist klar, dass sie entweder vor Ptole- niäos Adoption oder nach seiner Empörung gesetzt werden müssen, fallen sie aber in die letztere Zeit, so ist weiter klai-, dass Delos damals nicht niiter ptolemäischer Oberherrschaft gestanden haben kann. Wii- werden also hier auf dieselbe Kombination geführt, die sich uns oben aus den Stiftungen des Antigonos und der Stratonike ergeben hatte. Der ptole- mäische Einüuss auf Delos aber kann nur durch eine grosse Niederlage zur See zurückgedrängt worden sein und eine solche war in dieser Zeit eben niu- die Schlacht bei Kos.

Wahl-scheinlich hängt mit Antigonos' Siege auch die Eückgabe der Selbstverwaltung an Athen und die Zurückziehung der makedonischen Garnison vom Museion zusammen ; denn bei der Stimmung, die nach dem chremonideischeu Ki'iege in der Stadt herrschte, hätte Antigonos einen solchen Schritt kaum wagen können, solange die ptolemäische Flotte auf dem ägäischen Meere gebot. Vielmehr war der König in diesen Jahren gezwungen, mit grosser Strenge gegen die republikanische Partei vorzu- gehen. So wiu'de der greise Opferschauer und "Wahrsager Philochoros hin- gerichtet, Öti, SiBßXj'i&i] ngoqy.r/.Xixh'ai ry JTToi.suaiov ßamXsi'cf (Suidas <Ih).6-/opoQ): natürlich nicht Avegeu seiner Haltung im chremonideischen Kriege, sondern wegen hochverräterischer Umtriebe, nachdem die Stadt sich an Antigonos ergeben hatte. Erst nach seinem Siege Avar Antigonos stark genug, diese Opposition nicht mehr fürchten zu müssen. Die kniaröha TTagttxhiTixd, die damals von den Notabilitäten Athens an den König gerichtet wui-den (Laert. Diog. lY 39), waren offenbar Petitionen, die Besatzung aus der Stadt zurückzuziehen. Dass es sich jedenfalls nicht um „Bettelbriefe" gehandelt hat, sondern xmi eine politische Initiative, ergiebt sich klar genug aus den Worten des Diogenes (a. a. 0.), Arkesilaos habe sich zwar an diesen Schlitten nicht beteiligt, all' oi'v Suug vTitn r^e naTplSo^ kTTokaßtvcsv eig JriuriTQiäSa ngog " ^vTiyovov , im übrigen habe er ruhig in der Akademie gelebt, tov no?uTin^i6v ixToni'^wv. Nach Eiiseb. n 120 erfolgte die Eäuraung des Museion im Jahr Abr. 17(31 = Ol. 181,2 (255 4 V. Chi-.), und wenn auf solche Angaben des Kanons auch kein unbediug-fer Verlass ist. so können sie doch einen ungefähren An- haltspunkt geben. Danach wüi-de also die Schlacht bei Kos in die Zeit von 258 2ö(i zu setzen sein.

295

Der Ursprung des Kolonats,

Von M. Rostowzew.

Fast jedes .Talir lirinat uns etwas Neues und Überrascliendes zur Berc'icheruno' uu.serer Kemitiiisse vom Kolouate. Seit Mojimsen die Ver- ordnungen des saltus Bunmitunus in Afrika erläutert hat, kamen Sclilag auf Schlag aus Aft'ika ara Hadriana und lex Manciana, die klein- asiatischen Inschriften aus der l'ingelning der Ashania limne und dem Flusstlial des Tembrogiu^ , man suchte und fand Nachrichten über die kaiserlichen Domänen und Kolonen ausser Italiens fast in allen Pro- vinzen des Westens (Gallien , Spanien. Germanien) uiul Ostens (Klein- asien, Hellespont, Macedonien, Galatien, Kappadokien, Syrien, Ägyptern und je weiter desto tiefer gestalteten sieh unsere Kenntnisse iilier die rechtliche Natur und die Geschichte des Kolonats.

Ich verzichte darauf die allgemein bekannte Litteratur der Frage nochmals zusamnieuzustellen , indem ich auf E. Beaüdouin's Arbeit, Leu (jrands domaines dans Tempire romain (Paris 1899) und meine Geschichte der Staatspacht (russisch, Petersburg 1899) verweise.

.Schon längst galt als das Hauptmerkmal des Knlduats die (iebuiideii- heit des Kleinpächters au die Scholle, tue sich zuerst als l'sus in den kaiserlichen Domänen herausgebildet hat, um dann auch rechtlich fixiert zu werden. Seit der grundlegenden Arbeit Schultkn's (Die römischen Orundherrschaftefii, A\'eiuu\r. Ibiiti) kam noch ein höchst wichtiges Merk- mal hinzu, ich meine den engen Zusammenhang des an die SclioUe gebundenen Ivulnueii mit dem technischen Begriff des exterritorialen saltus. Der Kolonat hat sich fast ausschliesslich auf den eximierten Territorien der saltws entwickelt. Diese zwei Grundbedingungen fixierten den Begriff des Kolonates, alles andere entwickelt sich logisch aus den- selben. Wenn wir also über den Ursprung des Kolonats nachforschen wollen, müssen wir- unbedingt den Keimen der beiden oben angefiilirten Erscheinungen nachgehen.

Bis vor kurzem zweifelte niemami daran, dass sowohl die Gebunden- heit an die Scholle wie die Exterritorialität echt römische Produkte seien. die sich hauptsäcidicli im Westen in Italien und dann in Afrika ent-

29fi M. Bostowzciv,

wickelt haben. Icli lial)e zuerst Zweifel daran geäussert,') indem ich auf die Domänen in Kleinasieu und Ägypten hinwies und mit Ramsay und anderen P'orsclieni annahm, dass diese Domänen hellenistischen Ursprungs seien. Eine Verpflanzung der im AVesten entwickelten Normen nach dem Osten schien mir unwahrscheinlich, nnd ich dachte eher, dass die Keime des Kolonats wie der Domänenverwaltung im kulturellen Osten zu suchen seien, woher sie die Kaiser unter einigen Modifikationen nach dem Westen verpflanzt hätten. Da aber die andre (Trnndbedingung die Exterri- torialität — sich keineswegs in dem städtelosen Ägypten entwickeln konnte, so schien mir das Nächstliegende, auf das Reich der Seleukiden und namentlich auf Kleinasien als die Heimat der kaiserlichen Domänenver- waltung hinzuweisen. Leider aber fehlte es, da alle kleinasiatischen Domänen-Inschriften aus ziemlich später Kaiserzeit stammten, an hellenistischem Material, um diese Hypothese wahrscheinlich zu machen.

Dies Material haben wir jetzt, und es zeigt uns, dass die beiden Kartlinalerscheinungen der Domänenorganisation der Kaiserzeit schon im Seleukidenreiche vollständig entwickelt waren.

In einer Reihe von Aufsätzen, die in der Revue de pMlologie seit zwei Jahren erscheinen, behandelt Haussoüllier auf Grund der Ergebnisse seiner Ausgrabungen die Geschichte des milesischen Didymeion. In dem zuletzt erschienenen Hefte ^) publiziert er unter Anderem die höchst wichtigen Akten aus der Regierung Antiochus des zweiten einen K'auf\'ertrag aus dem J. 256 v. Chr. z\nschen dem Könige und seiner Frau Laodike das Territorium der Fldwov xwut] zwischen Kyzikos und Zeleia bei der Stadt Bäoig gelegen, lietreffend. Ich verzichte darauf, die historischen Ergebnisse der musterhaften Forschung H.\ussoullier's wieder- zugeben und gehe sofort auf die luis interessierenden Angaben der In- schrift, die uns über die Domänenverwaltung und Organisation Auf- klärung geben, ein. Die Zeilen 2 ff. der Inschrift, avo das Kaufobjekt be- st innnt wird, lauten: tj},m. fttv Jläv[vov xwfiijv xal ehig TV)'xu]\vti. varegov yeytvrja&ai y.ul Btiivsg {s)iq t))v ^ü^gav ngoani] nTOVoiv ronoi xal rovg vnuQXovTcig ttVTo\lg laovg na\\voixiovg avv Toig vnägxovaiv näaiv xal avv Talg [tov t] . vdiov xal Ttei'TijxoaTov eroug ngoaodoig c(g[yv] glov ra- kdvTwv Tgidxovra- of^oloog Se xal ehivsg k[x] Tijg xü^tjg ravTi^g övTsg laol uiTiXj]lv&aaiv eig dXkov g tönovg icp' m ovSkv dnoTsXel(v) dg to ßaaihxQV xal xvgia «[(rjrrt/ ngoacfsgofiivt] ngog nöliv ijv dv ßoi'hjTaf xard Taixd §[t] xal oi nag aVTijg jtgiafievoi 7/ ?.aß6vTfg dvToi re 'iiovfitv xvgiwg xal Tigog noliv ngodolaovTai i,v dv ßov'kw[v\Tat tuf-inig inj ^(aoöixij Tvyxüvtt TTgoregov ngoaeviive yfisvtj ngog nöhv, oviw Sk xiXT[ri)G0VTai ov dl' }) x'^ga g Tigo (tugiauh'ij vnu jtaoöixtig cf. Z. 20. 23 und o5 ff.

1) Meine ..Geschichte der St<u(ts2Mcht in der römischen Kaiserzeit-, Petersburg 1899 S. 160 fF. (russisch}.

2) .lau vier 1901, S. 8 ff.

Der Ursprung des Kolonats. 2i)7

Es wird also ein künio'liclies (-iruiidstiiek an ein ^Nfitglied der könig- lichen Familie verkauft, und zwar wird es naili dem Verkaufe volles Eigentum des Käufers wie eines Jeden, dem das (Grundstück weiter veräusserl wird. Das (irundstiick ist ;il)i'i' niclit allein als Kaufobjekt angegeben, verkauft wird zugleich alles, was darauf zu finden ist. und hauptsächlich alle auf dem (Trundstücke ansässigen Bauern mit iiii-eiii ganzen Hab und Gut. Diese Leute heissen Xaol ßaachxoi^), Sklaven sind sie nicht, sie sind an die Scholle Gebundene (sie bezahlen ihren Pachtzins in Geld)-), die das (Trundstück nicht verlassen dürfen. Im Falle jedoch, dass sie es gethan haben , gehören sie doch auch dort , wo sie sich an- gesiedelt haben, ihren Besitzern mit dem von ihnen urbar gemachten Felde. Eine andere Inschrift aus etwas älterer Zeit belehrt uns aber, dass diese Gebundenheit nur solange dauerte, als der Besitzer König oder ein Angehöriger der königlichen Familie Avar;^) geht der Besitz an einen Privatmann über, so bekommen die Leute wieder ihre Freiheit und dürfen die Scholle verlassen.

Das königliche Grundstück gehört zu keinem Stadtterritorium, es liegt ausserhalb jeder Stadt; die neue Besitzerin darf als Mitglied des königlichen Hauses das Grundstück entweder ebenso exterritorial behalten oder dem Territorium einer beliebigen Stadt zuschreiben. Jeder Privat- mann aber, der das (jrund.stück erlangt, muss es dem Territorium einer Stadt zuschreiben.*)

Es ist klar: wir stehen vor extraterritorialen königlichen Domänen, welche von an die Scholle gebundenen Bauern, die einen jährlichen (-irundzins bezahlen und kein Eigentum haben, bestellt werden. Beide Haujitmerkmale der kaiserlichen Domänen sind hier klar ausgeprägt vor- handen, und es muss ein Zusammenhang, und zwar ein ursächlicher, zwischen kaiserlichen und königlichen Domänen zu finden sein. Das ist denn auch keine schwierige Aufgabe. Den Hauptstock der hellenistischen Domänen bildeten natürlich die Domanialländer der persischen Könige,^) welche dieselben teilweise von ihren assyrisch-babj'lonischen und anderen Vor- gängern übernommen hatten. Die gi'osseu Monarchien des Ostens sind, dem Prinzip der göttlichen Alleinherrschaft gemäss, die einzigen Eigen- tümer des Grund und Bodens ilires Reiches sowohl wie der Arbeit ihrer Unterthaneu") und der Produkte dieser Arbeit. Die ihre Felder bestellenden Arbeiter sind die ersten uns bekannten an die Scholle gebundenen Kolonen.

1) Vgl. die jiuaiXixol ytcoQyoi in Ägypten.

2) Ich wähle den Ausdruck ohne seine juristische Strenge beizubehalten. An der Existenz eines Pachtkontraktes in den hellenistischen Domänen zweifle ich sehr.

3) S. Haussoullier, 1. 1. 30 ff.

4) Vgl. die Inschrift des Aristodikides bei Haussoüllier, 1. 1.

.5) Für unsere Domäne ist es sogar direkt überliefert, s. Haüssoullier, 1. 1. .39. 6) S. Metschnikoff, La civilisation et les yrands /leiives historiqiies, Paris, 1886.

298 31. nostoiczcn-,

Diese Domänen samt den Bauern haben die hellenistisclien Fürsten über- uümmen und daraus erklärt sich die ungeheuere blasse ihres Landbesitzes. Es scheint aber sicher, dass die Könige nicht allzustark darauf bedacht waren, das Überkommene in derselben Gestalt auch weiter zu behalten. Das zeigen zwei Thatsachen : erstens ihre Freigebigkeit in der Schenkung grosser Landkomi)lexe , von der uns die Inschriften des Aristodikides und andere Zeugnis ablegen'), und in Anweisungen von (Grundbesitz an ausgediente Soldaten (xäToiy.ot), wiiuiit sie einerseits die Pächter frei machten und andererseits eine Eeilie Klein- und Grossbesitzer kon- stituierten, zweitens ihr Eifer die Ländereien zu veräussern, womit sie ausser den beiden oben angeführten Zielen noch die Füllung ihrer so mageren Kassen anstrebten. Es scheint aus allt-dem hervorzugehen, dass der Hellenismus progressiv, wie er war, audi mit diesem Überbleibsel der östlichen Monarchien gründlich aufzui-äumen bedacht war. Auch die Exterritorialität schwand mit dem ■\\'achsen des Individualeigentums je länger desto mehr- : die hellenistischen Monarchien sollten ein Städtekomplex werden und zu diesem Prinzip fügte sich schlecht die Exterritorialität der königlichen Domänen. Der politische Verfall Vorderasiens übergab die königlichen Domänen samt ihren Kolonen der römischen Eeiuiblik. Natürlich wurden sie zum at^ei- /mblicus; das wird uns mehrfach und ausdrücklich bezeugt. Es wird aber nichts gesagt \m\ einer Veränderung der Lage der hellenistisclien Kolonen : zwar hören wir zeitweise von einer Erleichterung des Pachtzinses, al)er für eine kurze Dauer dieser Er- leichterungen sorgen die römischen Kapitalisten die mancipes agroi-vm imbUcorum. Es lag keineswegs in den Grundsätzen der römischen Republik, die Bauern freizumachen und die Exterritorialität aufzuheben. Für die l)cre(jrin! zu sorgen war nicht der (4rundsatz der römischen Statthalter, und ebenso wie sie in Sizilien die Xormen der lex Hieronica beibehalten haben, so haben sie auch keine prinzipielle Neuerung in die Lage der kleinasiatischen Kolonen gebracht.

Als sich die Domänen der römischen Kaiser zu konstituieren begannen, fanden sie das Vorbild zu der neuen Domänenorganisation im Osten fertig vor. Die römischen Kapitalisten des senatorischen und ritterlichen Standes hüteten sich natürlich, Avenn sie (-Grundstücke des ager publicus im C)sten erwarben, das hellenistische Prinzip der p]inreihung der gekauften fundi in das Territorium einer Stadt zu befolgen; auch lag kein Zwang dazu vm-. Die Römer wurden doch nicht Eigentümer des gekauften oder okkupierten ager ^mblicus, er blieb wie früher Eigentum des römischen A'olkes, sie waren nui" 2^ossessores , und als ager imbliciis blieben ihre Besitztümer exterritorial. So wird es sieh wohl mit den Besitztümern des Atticus in Epirus verhalten haben, etwas derartiges waren auch die

1) H.\USSOLI.LIER, 1. 1., o8ff.

Der Ursprumj (hs Kolonats. 299

Liiiulereieii des Cäsar und Oktaviaiius in den östlichen Provinzen und blie!)en es natürlich auch nach dem ^V'echsel der Kegierungsform.

Die Kaiser knüpften damit direkt au den Hellenismus an und fanden das höchst beciuem. Nichts lag so nahe, als auch ihre Ländereien in den westlichen, nicht städtisch organisierten Provinzen ausserhalb der Stadt- territorien 7A\ lassen; so entstanden die afrikanischen und anderen W<«.v. Hier im A\'esten den östlichen Kolonat sofort einzuführen, wäre unver- nünftig und verfrüht gewesen, es lag auch nicht in den Absichten der ersten Kaiser, die den Ivleinbesitz zu heben bestrebt waren, und sich dazu der italischen Erbiiächter zu bedienen gedachten. Die Zeit aber sorgte selbst dafür und der Osten gab fertige B'ormen um die (rebundenheit wirtschaftlich und administrativ in feste Schranken zu bringen. Der aijer publicus folgte natürlich dem gegebenen Beispiele. So geschah die Wieder- geburt des nie gestorbenen, an die Scholle gebundenen Kolonats.

Es mögen hier diese kurzen Andeutungen genügen; ins Detail ein- zugehen, hoffe ich bald die ^röglichkeit zu haben.')

St. Petersburg, April l'.Hil.

1) Zu Obigem ist zu erinuern an ein gleichfalls auf Landerwerbungen der Laodike bezugliches, babylonisches Dokument, von dem C. F. Lehmann {Zeitschr. f. Assyrio- loyie VII [1892] S. 330 f. Anm. 2) in Umschrift und z. T. in Übersetzung Auszüge ver- üäentlicht hat, die auch von Haüssoüllikr 1. 1. p. 18 f. angezogen worden sind. Die in New York befindliche Thontafel ist aufgezeichnet im 139. Jahre seleukidischer Aera (173/2 V. Chr.) unter , König Antiochos' (IV. Epiphanes\ Die Keilinschrift bezeichnet sich aber als Abschrift eines vom 8. Adar 7.5 S.A. = 233 '2 unter , König Seleukos' (II. Kallinikos) datierten Steinurkunde, die ihrerseits wieder auf ältere Verhältnisse zurückgreift. Lehmann bemerkt mir dazu: „Die Eigentumsübertraguug erfolgt vonseiten , Antiochos'" (II. Theos), der die ihrer Lage und ihren Maassen nach näher bestimmten, Landereien, in der Umgebung von Babylon und Borsippa (sa ana Upit BahUi u Barzip{ki), so lies!), die , Antiochos sein Vater und Seleukos sein Grossvater ihrem eigenen Hause zugeschrieben i?) hatten {ana hit ramäniiu i-Sat-t[a-ru'i'\) , der Laodike (/Lii-da-ki-c) , seiner Gemahlin, dem .Seleukos und Antiochos seinen Söhnen giebt' (^irldinnu); also wohl Schenkung, in der griechischen Urkunde Verkauf. Dann aber: ,Laodike, seine Gemahlin und Antiochos seine Söhne gaben und schrieben sie (zu) {iddinnü u iSturu) an die Babylonier, Borsippäer und Kuthäer': also wohl Zuschrift der exterritorialen Grundstücke au die Territorien dieser drei Städte. Die Grundstücke werden nach mehrfachem Wechsel des Eigentümers Tempelgut. So weit es die starken Beschädigungen des Textes erkennen lassen, kommt dabei der Aus- druck Safäru , zuschreiben' nicht wieder vor. Auch ist zwar von den Erträgen der Grund- stücke sowie Edelmetall, Kostbarkeiten u. s. w. die Rede, die sich darauf befinden, da- gegen ist eine Erwähnung ihrer Bewohner vor der Hand nicht ersichtlich. [Vom Fehlen einer Titulatur der Laodike in dem von Hadssodllier erörterten Sinne wird man kaum reden können. Sie ist als Gemahlin {(uiiatii) des Königs bezeichnet, auf einen anderen Titel hatte sie vom babylonischen Standpunkt aus keinen Anspruch; auch Sammii- ramat-Semiramis {Beüräge I S. 258 Anm. 3) heisst nur axkit ekalli; andererseits wird freilich in der Inschrift Antiochos' I. (ebenda, S. 275 Anm. 3) Stratonike als „dessen Gattin, die Königin' genannt.] Ich hoffe, den Text nunmehr baldmöglichst in extenso zu veröffentlichen und nach eingehenderen Studien über dessen Inhalt in den Beiiräyeu zur alten Geschichte zu berichten.'

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Die Entstehung der Historien des Tacitus.

Von Friedrich Müiizer.

1. Die AViilil des Aiifangsininlites.

Als Kaiser Domitiaii am is. Sept. Otl eriiuirdet und der greise Nerva auf den Tliron erhoben war, herrschte in Rom allgemein das Gefühl, dass eine Periode der Geschichte abgeschlossen sei, und dass man an einem Wendepunkte stehe.^) Doch erst als die Gefahr neuer Erschütterungen glücklich vorübei'gegangen , als auch nach dem am 27. Jan. 98 er- folgten Tode Nervas nirgends die Ruhe gestört Avorden war, obgleich sein Nachfolger fern von der Hauptstadt an den Grenzen des Reiches weilte und noch zu bleiben gedaclite, erst da hatte die neue Ordnung der Dinge die Probe ihrer Festigkeit bestanden. Nun scliien es an der Zeit, den Blick rückwärts zu wenden und die zuletzt durchlebten Jahre des schweren Druckes der Tyrannei und der endlichen und endgültigen Erlösung als eine abgeschlossene, der Geschichte angehörende Periode zusammenfassend zu betrachten und zu würdigen. Damals stellte Cornelius Tacitus in Aussicht, dass er diese Aufgabe erfüllen werde, memoriam jiriwis servitutis ac testimonium praesentium bonorum composuisse {Ayr. 3). Aber wie es gewöhnlich geht, änderte sich der Plan der Arbeit allmählich, je mehr sich der Historiker mit seinem Gegenstande beschäftigte und in ihn vertiefte; was ihm vorher als der Abschluss einer Entwicklung erschienen war, erschien ihm jetzt als der Beginn einer neuen und des- halb als noch nicht reif für eine historische Betrachtung ; dagegen erkannte er immer deutlicliei-, wie weit in die Vergangenheit zurück die Anfänge der Dinge reichten, die er darzustellen beabsichtigte. Darum hat er sein im Jahre 98 gegebenes Versprechen weit später und wesentlich anders eingelöst, als er damals selbst gedacht hatte. Niemand kann mit ihm darüber rechten, wo er die ersten Keime der Entwicklung, die er darstellen wollte, erkennen zu müssen glaubte ; wohl aber darf die Frage aufgeworfen werden, was ihn bestimmte und berechtigte, seine zusamraen-

1) Vgl. die bfkaimteu Zeugnisse der Inschrift CIL. VI 472 = Dessau, Inscr. sei. 274, der Münzen Nervas mit den Aufschriften: Liberias publica und Eoma rcnascens, des Plinius, cp. IX 13, 4 und des Tacitus, Agr. 3 Auf. .

Die EnfstcJmnfi der Ilisforinn des Tacitus. 301

liängt'iide (ieSGliiditserziUiluiig an einem dureli den Kalender <^e<,'el)enen festen ]*unkte, dem Amtsantritt der Konsuln am 1. .lan. ö9, einsetzen zu lassen. In der allerletzten Zeit haben zwei angesehene Gelehrte diese Frage gestellt und die Antwort darauf aus der Einleitung des Werkes selbst zu entnehmen gesucht.

Wie AVöLFFLix {ßitzungsbei-. </. hai/tn-. A/cad. l!Htl . 7 f.) ausfiilirt . be- absichtigte Tacitus, schon als er an die Abfassung der Historien ging, die ganze Geschichte vom Tode des Augustus bis zur Gegenwart zu schreiben, und musste, wenn er die zweite Hälfte der ei'sten vorangehen Hess, einen lückenlosen und passenden Zusamnienschluss beider Hälften \<n\ voi-nherein ins Auge fassen; ein solcher sei nur möglich gewesen, wenn er sich den Regeln der Aunalistik fügte. Aber derselbe Tacitus hat ja auch geplant, in einem di'itten Werke die Geschichte des Augustus zu erzählen und sein zweites noch weiter nach rückwärts fortzusetzen.^) Dennoch hat er die Annalen nicht mit einem bestimmten Kalendertage, sondern mit einem epochemachenden Ereignis begonnen, was er schon in dem Titel ab excessu divi Augusti zum Ausdruck brachte. In zwei gleichen Fällen hat sich also Tacitus ganz verschieden verhalten. Mau kann die Erklärung suchen, dass er in höherem Alter immer mehr zweifelte, ob er seine Absichten noch würde verwirklichen können, und dass er ein abgerundetes Ganzes hinterlassen wollte, selbst wenn er, wie es auch ge- schehen ist . die Geschichte des Augustus nicht mehr hinzufügen sollte. Indes schon in der ^'orrede der Historien (I 1 : Qnod si vitu suppeditet cet.) äussert er seine Bedenken, ob er auch nur den älteren und weniger um- fangreichen Plan durchzuführen im Stande sein werde, die Geschichte der eigenen Zeit bis auf die Gegenwart zu schreiben. So Vdeibt Wülfflins Antwort auf jene Frage unbefriedigend.

Eine andere hat unmittelbar darauf Seeck gegeben {Rhein. Mus. 1901, LVI227ff.): Tacitus wollte mit den Historien lU'sprünglich ein älteres Geschichtswerk, vielleicht das des Fabius Rusticus, fortführen und setzte genau dort ein, wo sein Vorgänger, und zwar aus bestimmten Gründen, abgebrochen hatte. Als er bei weiterer Vertiefung in historische Studien einsah, dass die Darstellung, an die er angeknüpft hatte, keine genügende sei, und als er selbst sie durch eine neue und eigene, cUe Annalen, ersetzt hatte, habe er die Einleitung seines älteren Werkes geändert. Hier erkläre er nämlich zuerst, dass er mit dem 1. Januar 69 beginne, weil die Geschichte bis zu diesem Zeitpunkt schon vim vielen anderen erzählt

1) Vgl. ann. 11124: Sed aliorum exitus, simul cetera illiiis aetatis, memorabn, .st effectis, in quae tetendi, plures ad euras vitam produxero. Von diesem Plane ist zwar in der Einleitung der Annalen nicht die Rede, aber schon in der der Historien (I 1: Postquam bellatum apud Actiwin cet.); dass Tacitus seine Absichten zwischen der Ab- fassung des ersten und des dritten Buches der Annalen geändert haben sollte, wird man nicht leicht annehmen; nur gewannen sie gerade in dieser Zeit eine immer festere Gestalt. Beitrüge z. alten Geschichte T 2. 20

2

302 F. Mimzcr,

worden sei; er widerspreche sich aber sofort selbst mit der folgenden Bemerknng, dass nur die Bearbeitungen der rei)ublikanischen Geschichte \olle Anerkennung verdienten ; dieser Zusatz sei erst nachträglich gemacht worden, um die Existenzberechtigung der Annalen zu erweisen. Aber was Seeck hier als Widerspruch des Autors mit sich selbst empflndet, mrd doch nur hervorgerufen durch die auffallendste Eigentüniliclikeit des Taciteischen Stils, das Streben nach möglichst verscliiedener Aus- gestaltung von Gedanken und Sätzen, die einander parallel sind und ent- sprechen. Diese gesuchte Inkonzinnität der Perioden und das Über- springen von Mittelgliedern verdunkeln einen Gedankengang, der nach meiner Ansicht klar und widerspruchslos ist: Die vorhergegangenen 820 Jahre römischer Geschichte sind schon von vielen dargestellt worden, allerdings in verschiedener Weise, nämlich die republikanische Zeit gut und objektiv, die Kaiserzeit falsch und tendenziös. Dagegen ist der Zeitraum, den ich behandeln Vü\, in seiner Gesamtheit noch gar nicht dargestellt worden; seine Anfänge sind zwar schon erzälilt worden, aber auch wieder nicht mit der nötigen Unparteilichkeit. Dass ich diese besitze, dafür bürgt bei diesen Teilen, wo ich Vorgänger habe, das Fehlen persönlicher Beziehungen zum Gegenstande meiner Erzählung; bei den späteren und wichtigsten Abschnitten, wo ich keine Vorgänger, aber ein solches persön- liches A'erhältnis zu meinem Stoff habe, muss mein Wort dafür bürgen : Sed incoi-ruptam fidein professis neque amore quisquam et sine odio dicendus isfJ) Ausserdem wird auch Seecks Meinung durch die ähnliche Sachlage in den Annalen widerlest. Hier begründet Tacitus die Wahl seines

1) Im Hinblick auf diese Worte erwiderte Plinius dem Titinius, der ihn aufforderte, ein Geschiclitswerk zu schreiben (vgl. S. 312), Folgendes {e}). V 8, 12—14): Tu tarnen iam nunc cogita. qiiac potissimum tempora aygrediar. Vetera et scripta aliis? parata inqxiisitio , sed onerosa eolUttio. Intacta et nova? gravis offensac, levis gratia. Nam praeter id quod in tantis vitiis hominum plitra culpanda sunt quam laudanda, tttm st

lauduveris, parcus, si culpaveris, nimius fuisse dicaris; Sed haec me non rctar-

dant: est enim mihi pro fidc satis animi. Der CTedaukengang ist iihnlich, wie der des Tacitus; mit dem Bedenken: quod in tantis vitiis hominum plura culimnda sunt quam laudanda, ist noch zu vergleichen hiM. 12: Opus nggredior opimum casibus. atrox

proeliis, discors seditionibus , «j)«a etiam pace saevum (3) Non tarnen adeo virtu-

ium sterile saeculum, ut non et bona exempla prodiderit. Aber der ganze gewaltige Unterschied zwischen deu beiden Freunden springt in die Augen, wenn man sieht, dass dieselben Erwägungen sie zu den entgegengesetzten Schlüssen und Entschlüssen führten. Wie sein Vorbild Cicero {de or. II 62) erkannte auch Plinius in der Theorie als höchstes Gesetz der Geschichtschreibung das au, dem Tacitus später die klassische Form ge- geben hat: sine ira et studio (vgl. noch ep. VII 17, 3. SB, 10). Es praktisch zu be- thätigeu, war er zu schwach. Auch seine Briefe waren ein Beitrag zur Geschichte seiner Zeit, aber hier konnte er eine Auswahl treffen, bei der jeder Austoss beseitigt wurde, sodass der einzige gegen ihn zu erhebende Vorwurf der war, dass er im Loben keine Grenzen kannte (ep. VII 28, Iff.). Auch in dieser Hinsicht hätte er sich wie in einer anderen {ep. 11,1) entschuldigen können : Neque enim historiam componebam , oder {ep. VI 16, 22): Aliud est enim epistulam, aliud historiam .... scribere.

Die UnfsfcliHiifi der lli.tfnrirn dr.s- Tnn'luf;. SO!}

Ausg-angspunktes nicht wie iii den llisioriMi mit der grossen /aiil, sondern mit der Vorziigliclikeit der l^earbeitungen der vorliergelienden Zeiten und hier räumt er dies nicht nur für die der Republik, sondern auch für die des Augustus ein;0 und dennoch liatte er, wie wir salien, damals schon die Absicht, der Regierung des Augustus später ein eigenes Werk zu widmen. Auch hier müsste ein Widerspruch zwisclien den beiden Äusserungen des Tacitus über die vorliegenden Gescliichtswerke uiul über seinen eigenen Plan angenommen werden; diese beiden Äusserungen sind aber durch keine längere Zwischenzeit von einander getrennt. Seecks Vei-mutung, dass die Vorrede der Historien nach Abfassung der Annalen und mit Rücksicht auf sie abgeändert wurde, ist alsii unhaltbar; mit ihr fallen die daraus gezogenen Schlussfolgerungen.

Wenn Tacitus als Anfangspunkt seiner Erzählung den 1. Jan. C,9 wälilte, so muss er demnach andere Gründe gehabt haben, als die Be- rechnung des genauen Anschlusses an eine künftige eigene oder an eine ber-eits vorliegende fremde Darstellung der vorhergegangenen Zeit. Zu- nächst hat er es in der That nur deshalb gethan, weil auch er noch nicht wagte, die Schranken des alten Herkommens zu durchbrechen. Die streng aunalistische Anordnung des historischen Stoffes ging auf die ehr- würdigen Anfänge der römischen Geschichtschreibung zurück und war von dieser im allgemeinen mit Zähigkeit festgehalten worden (vgl. Fabi.\, Journal des savants 1900, 433 ff. besonders 438). Auch die Selbständigkeit eines Tacitus ist erst allmählich so erstarkt, dass er sich im weiteren Verlaufe seiner Arbeit immer häufiger über dieses Prinzip hinwegsetzte. Dass er sich dadurch bei der Wahl des Anfangstermines der Historien beeinflussen liess, ist der beste Beweis für die Macht der Gewohnheit in Rom, einer Gewohnheit, die auch deshalb unverletzlich war, weil sie auf einer gewissen religiösen Grundlage ruhte.-)

Doch nicht nur die allgemeine Gültigkeit des annalistisclien Prinzips, sondern auch noch das besondere Beispiel des von ihm am höchsten ge-

1) Ann. I 1 : Scd veteris puptäi Romani prospera vcl adversa dar/s scripiorihus memorata sunt; temporiliisque Augiisti dicendis non defuere decora inf/enia, donec

gliseente adulationc deterrerentur Ltde consilium mihi, puuca de Aiujusto et ex-

irema tradere, vwx Tiberii principatmn et cetera.

2) Vgl. HmsciiFELD, Hermes 1890, XXV 3G3ff. Allerdings ist bei den Durchbrechungen des annalistischen Prinzips stets zu berücksichtigen, wieweit sie durch die Quellen des Tacitus bedingt sind. Wenn sie z. B. in der armenisch-parthischeu Geschichte die Regel sind und hier ausdrücklich zweimal entschuldigt werden {ann. VI 38. XIII 9), so tst dies für mich einer der sicheren Beweise dafür, dass dem Tacitus eine ähnliche Monographie über die Partherkriege, von denen des Crassus und Antonius an (vgl. ann. II 1—4) , vorlag , wie sie in späterer Zeit um von der durch den Partherkrieg des Verus hervorgerufenen Litteratur ganz abzusehen Asiuius Quadratus verfasst hat, wie sie der ältere Plinius über die germanischen und Tacitus selbst gelegentlich und summarisch über die britannischen Kriege {Acjr. 13—17) gegeben hatten.

20* 4

304 F. Miinscr,

achteten älteren römisclien Historikers, des Sallust,') hat auf Tacitus hierbei einge^\Ti"kt. Der Eiugaug der Historien : Initium mihi operis Servius Galba iterum Titus Vinius consules eruvt, klingt zwar auch au den des Poh'bios an (I 3, 1): "AgS.ei ds t»]s nouyuaiiiag v/fdlv twv ^liv yjjövojv oKvuTTiag iy.ttTOOTi] TS y.al TSTTagaxoaTil, tüp de TTociiewr y.j}... doch geht hei diesem die Vorrede voraus; noch mehr wird man daher au die ersten Worte der Historien Sallusts erinnert (fi-g. I 1) : Ecs popvdi Roniani M. Lepido Q. Catulo consuliöus ac deinde militiao et domi gestas composui. Beide Historiker legen im ersten Satz um- den Anfangspunkt fest und wagen nicht, den Endpunkt ihi-er Erzählung im voraus zu bestimmen; in der That ist Sallust durch den Tod gehindert Avorden, die seinige bis zu dem ins Auge gefassten Termin, etwa dem vollständigen Siege Cäsars, hinabzuführen. Wäre die Kekonstruktion der ersten Abschnitte seines "Werkes gesichert, so wilrde uns vielleicht die Ähnlichkeit in der Dis- position mit der des Tacitus noch deutlicher werden. Auch Sallust sprach zuerst von seinen Vorgängern und dann von seinen eigenen Absichten; wenn er bei jenen die grosse Zahl hervorhob {nos in tanta doctissimorum hominuvi copia fi'g. I 3 Maueenbreckee) und bei diesen betonte, dass sein persönliches A^erhältnis zu dem Gegenstande seiner Objektivität keinen Eintrag thun werde (ncque ine diversa pars in civilibus armis viovit a vero frg. I 6 M.), so entspricht beides den Ausführungen des Tacitus (s. o. S. 302).

1) Methodisch wertvolle Bemerkungen über das Verhältnis des Tacitus zu Sallust haben u. a. Klebs {Philologus 1890, XLIX 304) und Wülfflin (Archiv für lat. Lexikoyr. 1900, XII 115 ff.) gegeben. Wie sich Tacitus den Sallust in Prinzipienfragen zum Muster nahm, zeigt das Historienfragment bei Orosius VII 10, 4: Nisi Cornelius Taci- tus de reticenclo interfectorum numcro et SaUustium Crispum et alias auctores

quam plurimos san.visse et se ipsum idem potissimum elc(/isse dixisset. Die Huldigung, die er dem Sallust als rerum Eonuuiaruin jloroitissimus auctor (aiiii. III 30) darbringt, entbehrt jeder äusseren Veranlassung und unterscheidet sieh dadurch von dem Lobe, das er anderen älteren Historikern spendet; denn diese führt er als Historiker au, so- dass die Hinzufügung eines Urteils über sie sich von selbst ergiebt. Das gilt von Livius, an dem er Ayr. 10 nur die Kunst, ann. IV 34 und, ohne ihn zu nennen, auch hist. 1 1 die Kunst und die Unparteilichkeit lobt, und dasselbe gilt von Cäsar. Für die Schrift über Germanien war Cäsar, wie es in der Natur der Sache lag, freilich keine Quelle in strengem Sinne, wohl aber Muster und Vorbild; daher wird er von allen Autoren allein und als der bedeutendste (suiiimits auctorum) am Anfang der zweiten Hälfte zitiert (K. 28), und daher klingt der Anfang der ersten Hälfte absicht- lich an den seines Werkes an (Germania omnis GaJUa est omnis). Dagegen wird hist. III 51 Sisenna augeführt, ohne näher charakterisiert zu werden : Celeberrimos auctores

habeo ceierum et 2irioribus cirium bellis par scelus inciderat ut Sisenna

memorat. Dass unter den celeberrimi auctores Plinius und Vipstanus Messalla zu ver- stehen seien , hat Gho.\g (Jahrb. f. Philol. 1897 , Supjil. XXIU 786; richtig gesehen ; das Interesse des Messalla für solche Episoden der Kämpfe, an denen er teilnahm, be- zeugt das Citat III 25. das auch dafür spricht, die ähnlichen FäUe III 23 und 29 aus seinem Bericht abzuleiten. Dem Messalla wird nun u. a. dial. 23 die Vorliebe für Sisenna vorgehalten; daher ist wahrscheinlich ihm und nicht erst dem Tacitus die Ähnlichkeit der selbsterlebten Episode mit der von jenem erzählten aufgefallen.

Die Entstehung der Historien des Tueitus. 305

\u(li nie Muf die KiiileitniiK foloende Übersidil iilxT die politisclie l.aRe V.W drr /ril. wo die Erzählung einsetzt, ist iliiii mit diesem gemeinsam, während weiterhin Taoitus seinem Vorbilde, das nun einen kurzen Bericht über die zuletzt vorhergegangenen Ereignisse vorausschickte, nicht mehr o-efolgt ist. Die bemerkenswerteste tibereinstinnnung zwischen Sallust und Tacitus ist aber, dass beide nicht mit einem wi('htigen geschii-htlichen Ereignis beginnen, sondern mit einem Datum, das zwar nicht weit davon allliegt, aber doch nur durch den offiziellen Kalender als einschneidend markiert ist. Sallust hat ebenso wenig mit dem Tode Sullas, der jedenfalls ins erste Vierteljahr von 78 v.Chr. fiel, begonnen, wie Tacitus mit dem Tode Galbas, sondern mit dem 1. Januar des Todesjahres. Es ist sogar möglich, dass Sallust nur deshalb den Thatsachen selbst Gewalt anthat und den Lepidus seinen oflienen Augritt^ gegen Sullas Werk in der be- kannten Rede unmittelbar nach seinem eigenen Amtsautritt und noch bei Lebzeiten des Diktators beginnen Hess, obgleich er den Kampf iu AVirk- lichkeit erst nach dessen Tode eröffnete (vgl. Fka.nke, Jahrb. f. Plulol. 1S93, CXLVII 49 f.). Denkbar wäre es, dass Sallust genau dort anfing, wo Sisenna aufgehört hatte, aber dafür fehlt jeder feste Anhaltspunkt. Wir- sehen nur'', dass sich Sallust durchaus dem annalistischen Prinzip fügte,') und sein' Beispiel dürfte auf Tacitus einen bedeutenden Eintluss ausgeübt haben. Die Befolgung einer Regel in der römischen Geschieht Schreibung überhaupt und^besonders ihre" Anerkennung bei dem für Tacitus muster- gültigen Historiker waren aber doch nur äussere Grüude, die einen geist- vollen Schriftsteller nicht so überzeugen und verleiten konnten, dass er eine wii'kliche Ungeschicklichkeit beging. War flu- ihn in der That der 1 Jan. (J9 ein so ungeeigneter, unzweckmässiger Anfangspunkt, wie es auf den ersten Blick scheint? Eine Abgrenzung geschichtlichen Stoffes, wie sie in dem Titel „Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundei-f^ zum \usdruck kommt," muss dann schliesslich als ebenso willkürlich und unangemessen getadelt werden. Wo sollte und wo konnte Tacitus be- ^üinenV Um Domitians Regierung, cUe sein Hauptthema gebildet haben muss, ins rechte Licht zu setzen, hatte er es notwendig gefunden, von der Begründung der Flavischen Dynastie auszugehen. Die Proklamation Vespasi^ans zum Kaiser am L Juli 69 in Alexandi-eia oder am 3. in Judäa konnte aber unmöglich als ein geeigneter Anfangspunkt gelten; sie war gar nicht zu verstehen, wenn nicht die gesamte Lage des Reiches aus- führlich erörtert wurde. Ein Zurückgehen bis auf Neros Tod am 9. Juni 68 war mindestens ebenso imzweckmässig ; denn dann hätte die Erhebung

1) Zur Vergleiehuug sei auf Mommse.ns dritten Band der römischen Geschichte, von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsics, hingewiesen. Die Anfangsworte lauten: ,Als Sulla im J. 676 starb" ; es folgt die Schilderung der Lage und dann die Erzäh- lung rS. 24): ,In diese Verhältnisse hinein traf Sullas plötzlicher Tod' ,Noch

bevor der Gewaltige die Augen geschlossen hatte '

306 F. Mümcr,

des Galba und weiter der Aufstand des Viudex und manches, was noch ferner hig, herbeigezogen werden müssen. Dieselben Schwierigkeiten lagen aber auch vor, Avenn Tacitus mit der vollendeten Thatsache des Todes Galbas hätte einsetzen wollen. Bei jenen Ereignissen, die mit der Erhebung Yespasians endeten , hing alles diu'ch so viele Fäden mit ein- ander zusammen, dass der Leser den Einschnitt, nach welchem die Er- zählung begann, au jeder Stelle als willkürlich empfinden konnte und sich zu der Forderung berechtigt fühlte, erst über die zeitlich zurückliegenden Th-sachen der Wü-kuugen, die er sich vollziehen sah, durch orientierende Überblicke und Eückblicke aufgeklärt zu werden. Der Beweis ist noch zu führen, dass eine andere Wahl als die von Tacitus mrklich getroffene, besser gewesen wäre ; denn diese hat ihm nicht geringe Vorteile geboten. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass Tacitus es zwar verschmäht, in Fragen der auswärtigen Politik bestimmte Stellung zu nehmen (vgl. MuMMSEN, Sitzungsbet: d. Berl Ahad. 1886, 1-13), aber dass er bei der Besprechung von inneren Angelegenheiten doch den Blick stets auf die Gegenwart gerichtet hält.') Nun hatte aber gerade die Lage Galbas am Ende des Jahres 68 mit der Nervas um die Älitte des Jahres 97'-) grosse Ähnlichkeit, und beide Kaiser gebrauchten dasselbe Mittel gegen die sie bedi-ohenden Gefahren, versuchten dieselbe Lösung des im römischen Reiche so schmerigen Problems der Nachfolge. Darüber hat sich Tacitus, wie zuerst Dierauee (Bcdixgeks Untersuchungen zur röm. Kaisergescli. I 23, 1) erkannte, im Anfang der Historien an hervorragender Stelle, in der dem Galba in den Mund gelegten Eede I 15 f., in ähnlichem Sinne und sogar ähnlichem Wortlaut ausgesprochen, wie Plinius in einer offiziellen Eede im Jalu-e 100 (paneg. 7 ff.). Dem Leser drängte sich von selbst der Ge- danke auf, vde doch damals und jetzt dasselbe Mittel einen so verschiedenen Erfolg gehabt habe ; bei einer Vergleichung musste er dann zu einem für die eigene Zeit und ihi-e leitenden Männer günstigen Schluss kommen, etwa so ■nie Tacitus in seinem Üljerblick über die Sittengeschichte ann. III 55. Solche Beziehungen ZAvischen der Vergangenheit und der Gegenwart mochte der Zeitgenosse in den ersten Abschnitten des Werkes noch an manchem andern Punkte ohne weiteres erkennen, wo uns ihr ^'erständnis fehlt,-^)

1) Vgl. z. B. hist. 11151: Sed haec aliaque ex vetere memoria petita quotiens res lociisque exempla recli ant solacia malt poscet, haitd absurde memorabimus: ann. II 32: Quorum auctoritates udulationesque rettitli, ut sciretur vetus id in re publica malum. Solche Bemerkungen in den frühesten Büchern der einzelnen Werke drücken besonders oft Grundsätze aus, die auch weiterhin regelmässig befolgt werden sollen.

2) Vgl. darüber Stein bei Pauly-Wissowa IV 139, der jedoch aus den Gerüchten bei Plinius, ep. IX 18, 11 mit grösserer Bestimmtheit, als zulässig ist, eine Thatsache herausliest.

3) Dass die Zeitgenossen des Tacitus ohne jede ausdrückliche Aufforderung, die nur taktlos erschienen wäre, den Vergleich zwischen den von ihm geschilderten Zu- ständen und ihrer eigenen Zeit oft gezogen haben werden, bemerkt richtig auch Peter (Geschichtl Litt, über die röm. Kaiserzeit U 62 , 2). Eine direkte Beziehung auf die

Die Entstehung der Historien

des rnrifns. HOT

,uul sdion von diesem Gesichtspunkt aus, dass das Pal.l.kun, -.ne , Maass- st,l, zur ricl.tioen l^eurteiluno- der Gegenwart erhielt, war es -ererhtfertiKt, däss Tacitus die Katastro].hc (^albas in sein Geschichtswerk hinein/og. ^" Ferner empfahl sich dies aus künstlerischen Eücksichten, denen T.u-itus einen sehr a-rossen Einfluss einräumte, „wie er überhaupt" nach ine tretTeuden l^emerkung B.k,,.,. {U^nnes 1894, XXIX 453, 1) „die - ,o,,ulose-Fonu der Chronik wählt, -/=^""'*- '^•^ ^^f^' ^jl/t fiuierteste Kunst der Gruppierung zu verbergen", hur ihn ^t..lt un Aritleh.unkt der -anzen Geschichte die Hauptstadt Koni; in weit ge- ^ :Maie,la in zu geringem, wie man oft beklagt hat, gut sein t;resse dem römischen Eeiche. Die Bewegungen aber, die schliesslich IrFlavische Dvnastie auf den Thron führten, haben in vemhiedenen Gebenden des Reiches ihren Ausgang genommen, und mit der Erwägung a^^Clchem Zeitpunkte seine Erzählung einsetzen sollte, verband sich "ei Tacitus die weitere, welchen S c h a u p 1 a t z der Leser zuerst erblickei ^ollte Hier entschied er sich selbstverständlich und sofort dafür, dass nur Eom, wohin als auf den wichtigsten Schauplatz stets wieder die "lierkslmkeit zu konzentrieren war, den geeigneten Hm ergrund fii den B .inn der Handlung bilden könnte, obgleich der Stoff dazu notigte, in den^lächsten Partien dieses Zentrum durch weite Strecken aus dem ^uo-e zu verlieren und von einer Grenzprovinz zur andern zu eilen Dabe. ;,vichte sich nun der Historiker gerade das zu nutze, was die annalistische "no^ um g v"lr rein chronologischen unterscheidet, die Möglichkeit, den St'ff innerhalb eines Jahres nach sachlichen und lokalen Gesichtspunkten zu gruppieren (vgl. darüber hist. II 27. Fabia, Journal des savants im), 111 Chronologrsch genauer erzählt Cäsar den Ausbruch es Bui^er- krieo-es im Jahre 49 v. Chr.. Hier steht an der Spitze der Bericht ubei dirsenatssitzung am 1. Januar, daran schliessen sich Jie unmittelbaren Folo-en der dort gefallenen Entscheidung, und dann erst (6. c I 7 1 vi. 5 5) wird deren bedeutsamste, aber nicht unmittelbare ^^ irkung erzah t. der Entschluss, den Cäsar unter dem Eindruck der Nachrichten aus Rom fasste. Im Jahre 69 kam am 1. Januar bei dem obergermaiuschen Heere (üe Be- we<^ung zum Ausbruch, die einerseits dort ihre unmittelbaren Folgen hatte, anlererseits in Rom bei Kaiser Galba den Entschluss zur Regelung der Molge hervorrief, der durch die Art seiner Ausführung, die Ubergehiing 0 hos, zum Anlass der Katastrophe wurde. Wie Cäsar hätte auch Tacitus cUe Ereignisse in strenger chronologischer Ordnung erzählen können ; dei Xeujahrstag wäre dabei durchaus nicht bedeutungslos erschienen. Aber

G^arTliegt wohl IM. l i6 vor: Eent hnud äuhic ulUeu, et a houis postea prin- disciplinae müüwris firmatormque {ad Tr. 29, 1 vgl. paneg. 6, feiert.

.'^08 F. Mim^cr.

diesen \' orteil gab er auf um des dann nicht zu vermeidenden Nacliteils willen, dass der Leser statt nach Rom zuerst an den Ehein und schon nach wenigen Kapiteln von dort hinweg nach Rom hätte versetzt werden müssen. Er schildert schon in der allgemeinen Übersicht über die Situation zuerst, qualis Status urbis (I 4 8 Auf.), und darauf, quae mens exei-cituuvi, quis habitus provinciarum (18 11), wobei er, von Westen nach Osten fortschreitend, die einzelnen Reichsteile schon in der Folge vorführen kann, in der sie weiterhin in den Vordergrund treten sollen; die Über- sicht schliesst mit dem Zurückgreifen auf die Eingangsworte (111 Ende): Hie fuit verum Romanarum Status, cum Servius Galba iterum Titus Vm/'us consules incoharere annum , und die Erzählung beginnt nicht kalend/'s Januariis am Rhein, sondern mit dem Eintreffen der Nachricht davon, Avas sich damals und dort zugeti'agen hatte, in Rom paucis post kalendas Januarias diebus und mit der Wirkung der Kunde auf den Protagonisten Galba. Der ganze erste Akt der Geschichte des Jahres 69 spielt sich auf diesem einen Schauplatz und unter den von Anfang an auf der Bühne stehenden Personen ab. Die sich gleichzeitig in Germanien vollziehenden Ereignisse bleiben ausser Betracht bis zu dem Augenblick, wo sie beginnen, die Stimmungen und Handlungen der bisher allein sich vor unsern Augen bewegenden Schauspieler aus der Ferne entscheidend zu beeinflussen; in diesem Augenblick fällt der Vorhang; nach dem raschen Szenenwechsel beginnt der zweite Akt auf einem anderen Schauplatz und an einem noch früheren Zeitpunkt als der erste (I 51). Die dramatische Gestaltungs- kraft und Kompositionskunst des Tacitus hätte sich nicht so offenbaren können, wenn er einen andern Anfangstermin gewählt hätte, als den, für den er sich entschieden hatte.')

Endlich konnte noch ein dritter innerer Gruiul für gerade diese Entscheidung mit in die Wagschale fallen. Bei der Änderung der politischen Lage, postquam bellatum apud Actium atque omnem potentiam ad unum ccmferri pacis interfuit , lag die Auffassung nahe, dass die Epochen der römischen Geschichte jetzt nur noch durch den Wechsel der Herrscher und der Dynastien abzugrenzen seien, und dass die Geschichte des römischen Volkes in der Gesclüchte der Kaiser aufzugehen habe. Männer, die im

1) Deu Dramatiker Tacitus hat Leo (Tacitus, Göttiiiycr Fe.ftrcch ISQG, 15 f.) schön und richtig gewürdigt. Schon in seiner ältesten historischen Schrift bewährt sich diese Seite seiner Begabung: Unstreitig war das wertvollste und sieberste Ergebnis der britannischen Stattbaltersebaft Agricolas, dass er im dritten oder vierten Jahre durch die Gründung von Eburacum der römischen Macht im nördlichen England eine feste Grundlage gab. Tacitus sagt davon nichts und verlegt aus künstlerischen Rücksichten den Höhepunkt der Wirksamkeit seines Helden in das letzte, siebente Jahr des Kommandos. Nachdem er aber so den Hauptteil der Biographie wirkungsvoll abge- schlossen hat, versetzt er uns mit einem Schlage auf einen anderen Schauplatz, in den Palast Kaiser Domilians (K. 39), und stellt erst während der neuen Szene selbst die Verbindung mit der vorhergegangenen her (K. 40: Traäiäcrat iiiterim Agricola sttcccs- sori suo provinciam).

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Die Entütclrnng der Hixfnrien des Taeifus. 309

unmittelbaren Dienst der Kaiser aus dem Ritterstande emporkamen, haben diese Auffassung: litterarisch vertreten; bei Velleius löst sich schon die spätere repuldikanische Geschichte nahezu in die der leitenden Pei-sönlicli- keiten auf, und der Zeitjrenosse des Tacitus, Sueton, hat die Kaiserbiographie an die Stelle der zusamnienhäugeudeu, annalistisch oeordneten Geschichts- erzählung' g;esetzt;') Suetous Nachfolger haben der Gliederiuig: des Stotfes nach Biographien sogar die p]inteilung in Bücher untergeordnet von Marius Maximus wird das zweite Buch der Vitn M. Antonini citiert (F. Avid. Cass. 6, 7. 9, 5) oder zum Opfer gebracht. Hieronymus (comm. in Zachar. III 14 Bd. VI 2, 913 Vallaksi) spricht nun freilich auch von Cornelius Tacitus, qui jiost Augusinm usque ad mortem Domitiani v i t a s Caesarum triginfa roluminibus exaravit: aber dass diese Auffassung der Taciteischen Geschichtschreibung nach dem Sinne des Geschichtschreibers selbst gewesen sein sollte, wird man bezweifeln dürfen. Dass thatsächlich die Persönlichkeiten der Kaiser im Mittelpunkte seiner Erzählung stehen mnssten, konnte er natürlich nicht ändern. Wenn er in der Einleitung der Annalen Tiberii Gaiqm et Claudii ac Neronis res als sein Thema be- zeichnete, wenn er dieses Werk in Hexaden gliederte, sodass der Tod des Tiberius und die Tlu'onbesteigung Neros die Hauptabschnitte markierten (vgl.. WöLFFLiN, He)-mes 1886, XXI 157 ff.), und wenn er auf die libri, qiu'bus res impei-atoris Domitiani comjjosui, verwies (cmn. XI 11), SO erkannte er damit an , dass die Thronwechsel die Marksteine in der geschicht- lichen Entwicklung seien ; aber im allgemeinen geht er doch dem Scheine, Kaiserbiographien zu schi-eiben, mögKchst aus dem Wege.

1) Die Frage, ob Sueton Vorgänger im ersten Jahrhundert gehabt hat, ist auch in der neuesten umfangreichen Arbeit (Mach, Essai sur Suetone, Paris 1900), soviel ich sehe , nicht aufgeworfen worden , ebenso wenig wie früher von Petek (Geschichtl. Litt. n326fl'.\ Tacitus führt ann. XUI 3 mit der Wendung: Adnotabant seniores, qnibus oiiosum est vetera et praesentia contendere eine Zusammenstellung über die rednerische Begabung der Herrscher von Cäsar bis Xero ein, und Plinius it. h. XI 143 f. mit ferunt eine solche über die Augen derselben Kaiser ausser dem Diktator Cäsar, und die einzelnen Angaben beider Autoren kehren teilweise bei Sueton wieder. Mit Wendungen von jener Art deutet Tacitus regelmässig an, dass er einen Zusatz aus anderer Quelle macht oder doch fingiert, so Agr. 22: Adnotabant periti, ebenso Iti-st. III 37 und ann. XII 2-5, stets bei Fällen, für die sich in der Vergangenheit keine Parallele finden Hess, und ann. XV 41: Fuere qui adnotarent . . . alii eo itsque ciira proyressi sunt, iit .... numerent, bei einem auffallenden Spiele des Zufalls, dergleichen man damals auch sonst beachtete (vgl. ann. I 9: Plerisque vana mirantibus beim Tode des Augustus und Plinius, ep. 1117, 9f. : Ilhid etiam noiabile beim Tode des Silius Italiens). Die Nebenquelle, aus der er ann. XIII 3 schöpft, könnte wohl ebenso wie die Quelle des Plinius a. 0. eine der Suetonischen ähnliche ältere Sammlung von Kaiserviten gewesen sein; solche Notizen über die Persönlichkeiten der Kaiser waren kaum wie die Jii-ft. III 68 gegebenen rein historischen oder die von Plinius ep. V 3, 5 f. eingelegten aus dem Gedächtnis zusammenzustellen. (Le^i, Die griechisch-römi.aclie Bio- graphie, Leipzig 1901 konnte ich leider noch nicht benutzen, auch nicht Fabu, La pnj- face des histoires de Tacile in der Revue des eludes anciennes 1901.)

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310 F. Mibizcr,

Die zweite Triade der Annalen beginnt er zwar mit den Worten (IV 1): C. Asini'o C. Antistio consulibiis nomi-s Tiberio annus ei-at, aber er hat dabei nicht das mit dem 19. Aug. 22 beginnende wirkliche neunte Eegiernngsjalir des Tiberius, sondern das mit dem 1. Jan. 23 beginnende Kalenderjahr im Auge.') Vm die Litteratnrgattung zu bezeichnen, zu der sein Werk geliört, nicht um dessen Titel anzugeben, nennt er es ebenso wie Livius das seinige (XLIII 13, 2) mit dem Namen annales, und die Stellen, wo er dies thut (IY32, vgl. III 65. XIII 31), zeigen, dass er es ganz anders aufgefasst wissen will, als Hieronymus es aufgefasst hat.

Doch nur ein Punkt sei ausfükrlicher besprochen. Er stellte im Jahre lt8 in Aussicht memoriam jjrioris servihitis, nicht etwa memoriam 2)rt'oris dominationis, und dazu stimmen verschiedene spätere Äusserungen. In der Übei-sicht über den Inhalt der Historien hebt er hervor I 3 : Suriremae clarorum vironim necessitates fortiter toleratac et laudatis antiquomm morfi'bus pares exitus; gelegentlich der Erwähnung einer imter Augustus verurteilten Persönlichkeit giebt er das Versprechen mm. III 24 : Sed aliorum exitus, simul cetera illhi^ aetatis memorabo, si effcctis in quae tetendi plures ad curas vitam produxero-^ der lautesten Klage über den lästigen Zwang des annalistischen Prinzips leiht er die Worte ann. IV 71 : Fi mihi destinatum foret suum quaeque in annum refeife, avebat animus anteire sfafimque memorare exitus, quos .... flagitii eius repertores hahuei-e \ Über seinen Stotf spricht er ann. JN 33: Nos saeva iussa, continuas acciisationes, fallaces amicitias, perniciem innocentium et easdem exitii causas coniungi7nus, ohvia rerum similitudine et satietate, und ann. XVI 16 ähnlich und noch deutlicher, dass schon die konesti civium exitus (vgl. IV 38: Clari dumm exitus) in der Kriegsgeschichte den Autor und den Leser dui'ch Ein- förmigkeit scMiesslich ermüden müssten, vollends diese patientia servilis tantumque sanguinis domi perditum. Gerade solche Stellen, an denen Tacitus aus seiner gewohnten Zurückhaltung heraustritt und sich un- mittelbar an das Publikum wendet, zeigen am besten, dass weniger die Thaten und Schicksale der Herrscher für beide Teile im Vordergrunde stehen , als die der Beherrschten , die exitus der ]\Iänner , für die unter dem Priuziiiat kein Raum luehi" Avar, weU sie bei einer anderen Staats- forra berechtigt gewesen wären, die ersten Plätze selber einzunehmen.

Diese Richtung der (Teschichtschreibung des Tacitus entsprach in hohem Maasse dem Geschmack der Zeit. Die Exitus illusfrium cirorum waren damals eine ungemein beliebte Gattung historischer Litteratur,

1) Vgl. MoMwsEx, Sfaatsr. II 802, 3. Auf jene ersten Worte, die den Anfangs- termin eines neuen Hauptteils bestimmen, wie die ersten der Historien, folgt eine An- deutung über den Gesamtinbalt dieses Teiles, wie hist 12 und o, dann eine in der Zeit zurückgreifende Orientierung des Lesers über die Vorgeschichte, und erst in K. 4 beginnt die eigentliche Erzählung: InU;rim anni i>rincipio , wie hist. I 12. sodass die Einleitung in beiden Büchern ähnlich angelegt ist.

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Die Entstchunij der flifforicn des Tacitus. 311

die den Übei-oang- von den l^iograpliien politischer Märtyrer, denen der Afjrt'cola des Tacitus aufs engste verwandt ist, zu ei<>entlichen Geschichts- werken bildet. Ein C. Fannius schrieb damals z. B. drei Bücher exifus orcisortan aiit relecjatorum a Nerone, deren Inhalt ebenso wohl als de scela-ibiis eins (seil. Neronis) charakterisiert werden konnte (Pliuius, ep. V 5, :', und 5. Petkr, Gesrhkhtl. TM. 1 185 f.). Namentlich ist damals ein angesehener Schriftsteller geradezu als Nebenbuhler mit Tacitus in die Schranken getreten, und das von seinem Werk Überlieferte ist auch für die Würdigung des uns verloreneu Hauptteiles der Historien nicht ohne Wert: Cn. Octavius Titinius Capito hat sich, wie man aus seiner Ämterlaufbahn schliessen möchte (CIL. VI 798 = Dessau, Inscr. sei. 1448), wie Tacitus und andere Gemässigte unter Domitian zurückgehalten, aber nach dessen Sturz als entschiedenen Anhänger jener theoretischen Opposition gegen den Prinzipat bekanut, der damals auch Plinius zuneigte, während Tacitus sich von ihr fernhielt.') Er forderte später den Plinius auf, sich der Geschicht- schreibuug zuzuwenden; dessen ablehnende Antwort ist nach Mommsens feinem Gefühl {Hermes 1869, III 107 f.) unter dem Eindruck der soeben veröffentlicliteu ersten Bücher der Historien geschrieben, und die .Auf- forderung wird eben dadurch veranlasst worden sein. Da der nächst

1) Vgl. über Aw Haltung des Titiiiliis l'liiiius cp. \ 17, 1 ft'., über die des Tacitus besonders Agr. 42, über die des Pliuius den Bericht von seinem Augrift" gegen Pubti- cius Certus ep. IX 13, Iff. . Wie sich in diesem bestimmten Falle Tacitus gestellt habe, hat Urliciis {De vita et honoribus Tactti , Wiirzburg 1879, 14) gefragt, ohne eine be- stimmte Antwort zu finden, weil er die falsche Ansicht über das Konsulatsjahr des Tacitus teilte. Aber auch Klebs (RJiein. Mus. 1889, XLIV27.3ff.), Fabi.4 {Beriic. de philo!. 189.3, XVII 164ff.) und Hirschfeld (Rhein. Mus. 1896, LI474f.), die diese An- setzung des Amtes ins J. 98 widerlegt haben, unzugänglich ist mir der Widerruf ihres Urhebers (Asbach, Eömisches Kaisertum und Verfassung bis auf Trajan, Köln 1896) haben einen ausnahmsweise berechtigten Sehluss ex silentio nicht gezogen. Die Verhandlung gegen Publicius Certus fand statt im J. 97 (vgl. Mommsen, Hermes 1869, III 37), also im Konsulatsjahr des Tacitus. Sie fand nicht statt im ersten Drittel, weil von dessen Konsuln der eine, der Kaiser, im Senat nicht präsidiert, und der andere, Verginius Rufus, während der ganzen Zeit krank war. Sie fand auch nicht statt im dritten Nundinum des Jahres, denn von dessen übrigen vier am 9. Januar bestimmten Konsuln wird Domitius Apollinaris noch als consul designatus an erster Stelle befragt 13. Über den Termin der Designation Mommsen, Staatsr. I 589). Wäre Tacitus Kollege des Domitius im letzten Drittel gewesen, so hätte er neben ihm aufgerufen werden müssen, und dann wäre sein Votum von Plinius gleieli denen der angesehensten Konsulare und Prätorier sicher erwähnt worden. Vielleicht war der andere designierte Konsul der als Wortführer der zweiten Partei zuerst genannte T. Avidius Quietus, der in diesem Falle ebenso wie Petillius Cerialis und Julius Agricola, wahrscheinlich auch Julius Frontinus, unmittelbar nach dem Konsulat die britannische Statthalterschaft übernommen hätte (vgl. die Belege in der Prosopogr. imp. Rom.). Dagegen muss so- wohl die Senatssitzung, wie das Konsulat des Tacitus dem zweiten Drittel des Jahres 97 angehören. Ob Tacitus oder sein unbekannter Kollege den Vorsitz führte und durch den dem Plinius erteilten Ordnungsruf seine gemässigte Gesinmuig kundgab 9. 20), bleibt natürlich unentschieden und uncnt.scheidbar.

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312 F. Miimcr.

Tacitiis berühmteste Autor der Zeit deu AVettstreit mit diesem versdimälite. übernahm ihn Capito selbst. Sn-ibit, sehreibt Plinius in einem Briefe der letzten Sammlung (A III 12, 4), eritus ilhtstrium vironim, in his quot-undam mihi carissimorum, d. h. eine Geschichte der Domitianischen Zeit, in der nicht der Tyrann, sondern seine Opfer im Vordergründe stehen. Gleichsam zu den Leichenbegängnissen und Laudationen derer, denen seinerzeit die letzten Ehren versagt wurden, geht Plinius (a. 0. § 5), als er sich zu der Eezitation des Werkes Capitos begiebt, und Tacitus (ann. XYI 16) bittet den Leser, seinen Bericht über Neros Schreckensherrschaft aufzu- nehmen, als ob er den Trauerfeieru und Leichenreden der trefflichen damals gefallenen Männer beiwohne. Deshalb lässt sich auch nicht sagen, welches von deu beiden Geschichtswerken, die Domitians Eegierung an den Pranger stellten, bei einer öffentlichen Vorlesung, die freilich nur für das eine bezeugt ist, einen noch lebenden Mitschuldigen des Tj^rannen em- pfindlich getroffen hat (Plinius, ep. IX 27, 1 ff.) , ob das des Capito , wie Uelichs (a. 0. 15) meinte, oder das des Tacitus, woran zuletzt Fabi\ (Revue de philol 1895, XIX. 8) dachte.

Jedenfalls sehen wü-, dass die Historien des Tacitus keine ganz ver- einzelte Erscheinung in der Litteratur ihrer Zeit gewesen sein können; sie teilten die Tendenz mit anderen aus denselben Voraussetzungen und Stimmungen erwaelisenen AA'erken. Eine Geschichtschreibung. die ihren Blick niehi- fast auf die Gegner der Monai'chie richtet, als auf die Person des Monarchen, konnte, ohne inkonsequent zu sein, nicht zugestehen, dass die Eegierungswechsel der Kaiser die tiefen und füi- die Gliederung des Stoffes allein maassgebenden Einschnitte in der Geschichtsdarstellung bildeten. Deshalb hielt sie mit Absicht hartnäckig an dem annalistischeu Prinzip fest. Dass dabei die Persönlichkeit nicht genügend zur Geltung kam, war für Cicero der Grund zu der Bitte gewesen, seine eigene Geschichte nicht im Eahmen eines annalistisch angelegten Geschichtswerkes, sondern monographisch behandelt zu sehen {ad fam. V 12, 6). Die entgegen- gesetzten Erwägungen fielen bei Tacitus ins Gewicht. Er hatte in seiner ersten historischen Schrift') der Thronwechsel innerhalb der Fla vischen Draastie mit keinem AA'orte gedacht, obgleich er es seinem Helden Agricola zum Euhnie anrechnen konnte, dass ihm sein hohes Kommando in Britannien, das mit dem Tode Vespasians rechtlich zu Ende war (vgl. Mommsex, ütaatsi: 11259. 1125), von dessen beiden Nachfolgern nach einander be- stätigt worden war. Diese Flavier, nicht nur Domitian, sondern schon sein Vater, hatten das eponyme Jahramt, das Konsulat, fast ganz für sich beansprucht (vgl. Mommsen-, Staatsr. 11 1097), als ob sie den Über- gang von der herkömmlichen Jahresrechnung zu der Zählung der Eegierungs-

1) Dass er düil. 17 nach dein sechsten Kegierungsjahre A'esjiasians datiert, kommt hier nicht in Betracht.

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7)/r; EnfsfrJnnui der Hi^foricn (Ir.ft Tacitus. 'M?>

jähre einleiten wollten. \\'enn jetzt ein zeitgescliiclitliclies Werk sogar über den Einschnitt hinweg sah, den der Geburtstag ihrer Dynastie bezeiclinete, und \ielmehr den Amtsantritt der höchsten republikanischen Magistrate desselben Jahres zum Aiiangspunkt der Erzählung wählte, so lag darin ein absichtlicher (iegensatz, ein Protest gegen die höfische Auffassuug der (xescliichte des römis(;heu Volkes als der Gesclii(;hte der römischen Kaiser. Zu den vorher betrachteten Motiven trat dieses p(ditische als letztes hinzu, um Tacitus zu bestimmen, an dem annalistischen Prinzip festzuhalten und seine Historien mit dem er.sten Januar 69 zu beginnen.

2. Die Yeröffentlichuiifi: einzelner Teile.

\Me und wann die Historien des 'J'acitus verfasst und veröffentlicht worden sind, darüber findet man z. B. bei Wachsmuth (Einleitung in das Studium der alten Geschichte 678, 1) folgende Auskunft: „Die Historien waren c. 107 noch nicht völlig zum Ende gelangt; sie müssen aber längere Zeit vor den Annalen (115) abgeschlossen sein: weiter wissen wir nichts. Die Vermutung von Mommsen und Nissen, dass sie nach und nacli herausgegeben wurden, ist möglich, aber unbeweisbar; der Beweis von ÜELicHs, dass sie um 109 vollendet waren, falsch." Über die Zeit der Entstehung und Publikation des Werkes wird sich auch bei einer Wiederaufnahme der Untersuchung wenig Anderes ermitteln lassen, aber vielleicht einiges Sicherere über ihre Art und Weise.

Dass Tacitus allmählich einzelne Teile des Ganzen der Öffentlichkeit übergeben habe, ist von Mommsen {Hermes 1869, III 106 f. vgl. 1870. IX 298) durch allgemeinere und speziellere Erwägungen über den Grad der blossen Möglichkeit hinaus zu hoh(n' Wahrscheinlichkeit erhoben worden. Diese Annahme zieht aber fast mit Notwendigkeit die weitere nach sich, dass nicht ein jedes einzelne Buch gesondert publiziert wurde, sontlern stets mehrere zugleich. Nach einer kürzlich geäusserten Ver- mutung A\'()LPFLiNS (ßitzunysber. d. bayer. Akad. 1901, 52) Wären diese Gruppen von Büchern vielleicht Triaden gewesen. Das würde voraus- setzen, dass Tacitus seinen gesamten Stoff von vornherein vollständig übersehen und gleichmässig einteilen konnte. Aber ein Historiker, der als erster die Geschichte der jüngsten Vergangenheit zu schreiben unter- nimmt, ist nicht leicht in so günstiger Lage. Wenn die Briefe des Plinius an Tacitus zeigen, wie diesem während der Arbeit an den Historien neues Material zufioss, so beweisen sie eben nur für ein paar bestimmte Fälle etwas, was sich im allgemeinen von selbst versteht. Die eigenen Ge- ständnisse des Tacitus lehren auch, wie sich im Laufe der Zeit seine Arbeitspläne wiederholt änderten, die ursprünglichen vor später auf- tauchenden zurücktraten, teilweise modifiziert zur Ausführung gelangten, teilweise bei Seite gelegt und scliliesslich ganz aufgegeben wurden. Fehlt ja doch in der ältesten historischen Schrift {Agr. 3) jede Andeutung der zweiten,

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314 F. Mnnzcr,

der Muiiugniiihie über Germanien, sodass man meinen küniite, der Gedanke dazu sei dem Taeitus ganz plötzlicli gekommen.') Das lässt die plan-

1) Nach den chronologischen Indizien sind beide Schriften fast gleichzeitig er- schienen, sodass man geneigt wäre, für die Ignorierung der zweiten in der ersten einen andern Grund zu suchen. Doch dass Tacitiis auf dieser Stufe seiner Entwicklung wirklich mehr Publizist als Historiker gewesen und in seiner litterarischen Produktion hauptsächlich durch die Ereignisse und Stimmungen des Tages bestimmt worden sein sollte, ist mir nicht wahrscheinlich. Eher möchte ich den Zeitabstand zwischen beiden Schriften so weit erstrecken, als es zwischen dem Tode Nervas (27. Jan.) und dem Ende des Jahres nur möglich ist. Für die chronologische Fixierung der Germania ist wichtig, dass MoMMSEN (Hermes III 39 f.^ die Notiz über die Vernichtung der Bructerer in K. 33 auf dieselben Vorgänge bezieht, durch die nach Plinius ej). II 7, 2 ein Senatsbeschluss zu Ehren des Vestricius Spurinna veranlasst wurde. Dessau {Prosopogr. imp. Eom. III 409 T'. 308) hat jetzt unter Zustimmung von Steix (bei Pauli/- Wissowa IV 143) gegen Mommsex geltend gemacht, dass .Spurinna dann als Greis von etwa 73 Jahren eines der wichtigsten Kommandos erhalten haben müsste. Doch es gehörte offenbar zu den Grundsätzen Nervas und Trajans, zunächst jene verdienten Männer, die noch vor dem Emporkommen der Flavischen Dynastie ihre öffentliche Wirksamkeit begonnen hatten, wieder in den Staatsdienst zu ziehen : Der 85 Jahre alte Verginius Rufus sollte nicht nur durch die Wahl zum Konsul ausgezeichnet werden , sondern auch an der Ordnung der Staatsfinanzen wirklieh teilnehmen (Plinius. cpi. 11 1, 9); in eine andere Kommission trat Corellius Rufus ein (ebd. VII 31, 4) ; Fabricius Vejento spielte beim Kaiser (ebd. IV 22, 4) und im Senat eine grosse Rolle (ebd. 1X13,13. 19f., vgl. paneg. 68); Julius Froutinus, auch schon ein Sechziger, erhielt zweimal das Konsulat und ausser- dem wichtige Verwaltungsämter; dass Silius Italicus in seiner Zurückgezogenheit ver- harren durfte, war eine Ausnahme (ebd. III 7, 6f.). Dass aber gerade Spurinna noch in hohem Alter von grösster Frische und Kraft erfüllt war, bezeugt Plinius (cp. III 1, Iff., bes. 10) so ausdrücklich, dass es unnötig ist, Analogien anzuführen. Also nicht dieses Bedenken lässt sich gegen Mummsess Annahme erheben, wohl aber ein anderes: Bei Plinius liegt dem Senate ein offizieller Bericht über die Ereignisse bei den Bructerern vor, und doch soll die Senatssitzung unter Nerva Ende 97 fallen; Taeitus aber giebt nur übertreibende Gerüchte von den Dingen (vgl. seinen Ausdruck tiarratur und die Erwähnungen der angeblich vernichteten Bructerer bis ins vierte Jahrhundert hinein), und doch schrieb er nach der Rechnung ad alternm imperatoris Traiani con- siilatum in K. 37 erst im J. 98. Dass K. 37 nachträglich eingeschoben sein sollte , ist nicht wahrscheinlich (vgl. J. F. Makcks, Bonner Jahrb. 1894, XCV41ff.) und würde auch nicht erklären, weshalb die ungenaue Angabe stehen blieb, wenn zur Zeit der Publikation der Schrift schon der wahre Sachverhalt in Rom bekannt war. Aus diesem Grunde ist die von Mommsex versuchte und von den Späteren (z. B. von Gse: l , Essai sur le regne de Vcmpereur Domitien 181 f. A. 9. 2.56) meistens angenommene Gruppierung der Ereignisse nicht haltbar. Richtig erkannt hat dies, ohne es geradezu auszusprechen, AsuAcu (Bonner Jahrb. 1880, LXIX5; vgl. Westd. Zeitschr. 1884, III 15), indem er die Espedition Spuriunas ins J. 98 unter Trajan setzte ; besser ist jetzt die Darstellung der Begebenheiten bei MCllexhuff (Deutsche AUertumsknnde IV 9 ff.): Die von Taeitus berichteten Ereignisse fallen demnach in den Anfang von 98; nach der Klärung der Verhältnisse unter den Deutschen und bei seiner Abreise an die Donau etwa im Spät- sommer des Jahres übergab Trajan den Befehl am Niederrhein dem greisen Spurinna, der nun in der That nur noch eine , militärische Promenade' (Mommsex a. O. 40, 2) zu unternehmen hatte, und die von Plinius erwähnte Senatssitzung fiel vielleicht nicht vor Anfang 99. Daher kann mit Müllexhoff die Abfassung der Germania ziemlich weit ans Ende des Jahres 98 gerückt werden, bis zu dessen Anfang K. 37 rechnet (wie dial. 17).

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Dir Entstehung der Historien des Tncitiis. BIT)

massige und wolilbereclinete Yertcilung des Stoffes auf eine bestimmte Anzahl gleich grosser Bände uiclit sehr glaublich erscheinen, ganz abge- sehen davon, dass nicht einmal feststeht, welches die Gesamtzahl der Hücher, ob es eine durch tlrei teilbare Zahl gewesen ist. Festeren Boden hat man nur uuter den Füssen, wenn man die ersten, uns erhaltenen Rücher ins Auge fasst; das hat Nissen gethan, und Wiilfflin setzt sicli mit dessen Ergebnissen in Widerspruch, indem er die gleichzeitige Be- kanntmachung der drei ersten Bücher als ziemlich sicher annimmt.

Eine solche hat Nissen {Rhein. Mus- 1871, XXVI 535) nicht für die ersten drei, sondern für die ersten zwei Bücher daraus erschlossen, dass Tacitus sie selbst zu einer Einheit zusammenfasst , indem er am Anfang des ersten und am Ende des zweiten Stellung nimmt zu den bisherigen, unter Flavischem Einfluss entstandenen Bearbeitungen des in ihnen ent- haltenen Stoffes. Allerdings führt Nissen (a. 0. 536) zu Gunsten der ge- sonderten Publikation des dritten Buches auch wieder nur an, dass Tacitus am Schluss sein eigenes Urteil über die Dinge dem abweichenden älterer Historiker gegenüberstellt.') Viel eher wird man ihm (a. 0. 540) ohne weiteres beistimmen, wenn er die gleichzeitige Veröffentlichung des vierten und des fünften Buches wegen des engen Zusammenhanges der darin erzählten Begebenheiten vermutet. Immerhin sind seine Argumente nicht durch- schlagend und können eine Verstärkung durch andere wohl vertragen. Es handelt sich dabei um die Frage, ob zwischen den zusammen ver- öftentlichten Büchern festere Verbiiulungen und nähere Beziehungen be- stehen, als zwischen allen Büchern unter einander, und diese Frage hat eine positive und eine negative Seite.

Positiv können wir feststellen, dass zwischen einigen Büchern äusserliche A'erltindungen angedeutet werden, zwischen anderen nicht. Diese An- deutungen haben die Form von Verweisungen auf früher Gesagtes. Freilich sind nicht alle solchen gleichartig, sondern einzelne erscheinen gesucht und absichtlich und entbehren daher jeder Beweiskraft. Zu ihnen gehört natürlich (Ue bekannte Verweisung von den Annalen auf die Historien, deren Sinn man sich recht klar machen muss. In der Geschichte des Jahres 47 hat Tacitus {arm. XI 11) die damals von Kaiser Claudius gefeierten Säkularspiele zu erwähnen und bemerkt , dass sie im vierund- sechzigsten Jahre nach denen des Augustus gefeiert wurden. „Ich wäre mm", fährt er in Gedanken fort, „verpflichtet, dem Leser zu erklären, durch welche Berechnungen nmn zu dieser Sonderbarkeit gekommen ist, und ich würde deshalb natürlich aus einer besonderen Quelle nach

1) Er verweist auf die Worte III 86: lici iiabUcae haiid dubie intereral Vilel- lium vinci, sed impntarc perfidiam non possunt, qiii Vitellium Vespmiano prodidere, cum a Gotha descivi-'i-ieiit. Mit der Hervorhebung des eigenen Urteils vgl. die ähnlichen Fälle I4G: Bern haud dubie utilcm o. S. 8 Aum. und IV 27 Ende.

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316 F. Miinser,

meiner Gewolmlieit ') einen Exkurs über die Siikularrechuungen einlegen, wenn ich nicht auf einen solchen früher gegebenen verweisen könnte {satis narratas libris. qiiibus res imj>cTafoi-is Domitiani composui) ; ich habe ihn früher gegeben, Aveil ich schon damals von einer solchen Feier zu berichten hatte, und ich habe ihn fi'üher so gegeben, dass ich auch jetzt nichts anderes zu sagen hätte, ■weil ich schon damals über die Sache gi'ündlich und vollständig unterrichtet war." Eine derartige Eückver- weisung ist ganz verschieden von denen, die sich bei einer fortlaufenden Erzählung gewissermaassen von selbst ergeben. Mit ihr durch die Ab- sichtlichkeit verwandt ist in den Historien die Bemerkung über Helvidius Priscns IV 5 : Res poscere videtur, quoniam iterum in mentioneiii incidimus viri saepius memm-andi , ut vitam studiaque eius et quali fortuna sit iisus, paucis repetam, die fi'eilich sonst an die Stelle arm. IV 1 erinnert : G. Asinio C. Antistto consulibus nonus Tiberio annus erat (s. o. S. 310), .... cum repente turbare fortuna coepit, saevire ipse aut saevientibus vires praehefre. initium et causa penes Aeliuni Seianum, cohoriibus praetwiis praefectum, cuius de potentia supra memoravi; nunc originem mo-res et quo facinore dominationem raptuvi terit, expediam. Helvidius wie Seianus haben in der früheren Erzählung eine Nebenrolle gespielt und treten erst von jetzt au mehr in den Vorder- grund. Wären sie schon bei ihrem ersten Auftreten durch Beigabe ihrer ^Vorgeschichte und Charakteristik ausgezeichnet worden, so wäre der Fluss der Darstellung dadiu'ch in störender Weise und nach dem Gefühl des Lesers ohne ersichtlichen Grund unterbrochen worden, namentlich in dem Falle des Helvidius; denn II 91, wo dieser zuerst als Nebenfigur erschienen ist, steht die Hauptiierson , Kaiser Vitellins, nicht nur in hellerem, sondern auch in günstigerem Lichte, als er. Tacitns knüpft also bei diesen Eückverweisungen nicht wie bei anderen an bereits Gesagtes an, weil es zum Verständnis des jetzt zu Sagenden notwendig ist, sondern hebt den Wendepunkt in der Geschichte einer Persönlichkeit hervor, indem er zugleich auf ihre geringere Bedeutung vorher und auf ihre grössere nachher hinweist. Wahrscheinlich geht er dabei selbst zu einer neuen Quelle über, die er gerade für die Geschichte dieser Persön- lichkeit stark verwerten will, aber bisher absichtlich bei Seite gelassen hat. Diese Eückverweisung in den Historien ist also für unsere Zwecke ganz bedeutungslos und weit eher auf eine Stufe mit der aus den Annalen auf die Historien zu stellen.

Im Unterschiede von ihr ist den übrigen in den Historien die schlichte Form des Selbstzitats gemeinsam. Am häufigsten, nämlich fünfmal, kommt vor ui- supra memoravinius , einmal ut supra rettulimus , zweimal ut supra diximus; sonst wii^d das Verbum des Ph'wähnens an die erwähnte Sache

1) Vgl. die Exkurse über einzelne Magistraturen, über das Pomerium u. s. w., über die Leo {Nachrichten der Göttinger Gesellschaft 1896, 191 ff.) gebandelt bat.

Die Entstfhmu) der Hisf orten th.i Tarif iis. 'Ml

mit einem Relativpronomen angfesflilossen, also quem u. dgl. diximvs oder i-ettul/'miis, AVas sieh je dreimal findet, supra rettulimus, vionsb-avimn,9, memoravitmis, superius memoraviinus. Die Hinzufügung des Ad\"erbs sujn-a {mperius) zu dem Verbum macht keinen Unterschied; äusserlich sind alle diese Selbstzitate emander ähnlich, und da die Hälfte von ihnen sich auf frühere Stellen desselben Buches, bisweilen nur über wenige Kapitel weg, zurückbezieht,') so scheinen sie alle zufällig und ohne lange T'ber- legung eingeschaltet zu sein, wo sich gerade der Autor selbst daran erinnerte, von einer Sache schon gesprochen zu haben.

Doch ans der Eeihe fällt, wie ich früher {Bonner Jakrbüche)- 1899, CTV 88. 90, 2) zu zeigen versucht habe, die Verweisung heraus, die IV 15 mit den Worten : Batavorum cohortes missas in Germaniam , ut nupra retttdiitnis. ac twm Mogontiaci agentes zurückdeutet auf 11 69 : Batavcn-um colwrtes . ... in Germaniam remissae. Im zweiten und im vierten Buche sind verschiedene Quellen benutzt und zwar solche, die hier nicht genau übereinstimmten ; Tacitus stellt diese Übereinstimmung durch eine kleine, willkürliche Änderung her und täuscht so den Leser über die Diskrepanz hinweg. Er will ihm mit der Eückverweisung nicht etwas ins (Tedächtnis zurücki-ufeu , was ihm entfallen sein könnte, sondern eher eine von der früheren Lektüre etwa zurückgebliebene Vorstellung unmerklich be- richtigen.-)

1) I 59 auf 56, 64 auf 59, III 76 auf 57, IV 46 auf 2, 56 auf 18, 68 auf 39, 70 auf 62, V 11 auf 1, 18 auf 14.

2) Einen verwandten Fall aus den Annalen darf ich vielleicht hinzufügen. Hier sind sämtliche von dem durch Nero verbannten Antistius Sosianus handelnden Stellen äusserlich mit einander verbunden. Nur XVI 14 findet sich ebenso wie lii.it. I\ 44 dessen Cognomen, dagegen nicht au diesen beiden, wohl aber an allen anderen Stellen das von ihm bekleidete Amt, dessen Erwähnung mindestens XVI 21 unnötig ist. Nach liist. IV 44 waren Octavius Sagitta und Antistius Sosianus unter Nero auf irgend welche Inseln verbannt worden und wurden auch unter Vespasian dorthin zurück- geschickt, um das zu verstehen, wünscht man den Grund der Verurteilung zu kennen ; aber er wird nur bei Octavius, übereinstimmend mit ann. XIII 44, angegeben, nämlich ein gemeines Verbrechen; von Antistius heisst es kiu-z: Pravitate morum multis cxitiosu.'!. Antistius war in Wahrheit wegen Majestätsbeleidigung ins Esil geschickt worden, und seine Strafe hätte also nach Neros Sturz von Rechtswegen aufgehoben werden müssen; aber da persönliche Motive die Gerechtigkeit zum Schweigen gebracht hatten, gleitet der Historiker über den Grund der Verbannung hinweg. Dagegen ist dieser für das Verständnis der Erzählung ann. XVI 14 gleichgültig, aber dennoch wird hier das früher darüber Gesagte wörtlich wiederholt (factitatis in Neroiiem canninibus piobrostj; exsilio, ut dixi, mtdtatus vgl. XIV 48: Probrosa adversus principem ca)-mina factitavit), offen- bar um die Identität des hier genannten Antistius Sosianus mit dem sonst als Prätor Antistius bezeichneten Manne deutlich zu machen. Tacitus hat also selbständig etwas Neues in die zusammenhängende Erzählung eingelegt, und aus derselben Quelle stammt erstens die Angabe über das Tribunat des Antistius XIII 28 = XIV 48 und zweitens die über den Grund seiner Verurteilung XIV 48 = XVI 14 Einlage = XVI 21. Als Antistius Tribun war, hatte der Senat seine licentia gerügt (XIII 28); diese Ucentia hatte aber eigentlich nur in der Ausübung des alten tribunizischen Rechtes der Inter-

Beiträge z. alten Gesehichte I :

21

18

318 F. Münzer,

Aus dieser Eückverweisuiie- lässt sich also auch niclits für die Zu- sammengehörigkeit der Bücher eutuehmen, wolil aber aus den noch übrigen acht, die sämtlich von einem Buche auf das unmittelbar vorhergegangene deuten. Von ihnen verweisen nicht weniger als fünf von dem zweiten Buche auf das erste, und zwar in den verschiedensten Partien der Er- zählung (II 4 auf I 10, II 17 auf I 70, H 27 auf I 64, II 50 auf I 13, II 63 auf 188), und zwei von dem fünften Buche auf das vierte (V 19 auf IV 31, V 21 auf IV 70), obgleich uns von jenem nur ungefähr das erste Drittel vorliegt. Dieser engen Verknüpfung von zwei Bücherpaai-en steht gegenüber, dass vom vierten Buche auf das dritte nur einnuil zurück- verwiesen wird (IV 3 auf HI 77) und kein einziges Mal vom dritten auf das zweite. Das ist besonders merkwürdig, weU ja die in den drei ersten Büchern erzälilten Ereignisse überall eng mit einander zusammenhängen. Wähi-end z. B. in dem Eückblick auf Othos Leben 11 r>00 für eine gering-

zession bestanden. In voller Übereinstimmung mit jenem vom Senat gegen Autistius ausgesprochenen Tadel hat später Pätus Thrasea den Tribunen Arulenus Rusticus, der zu seinen eigenen Gunsten dasselbe Recht geltend machen wollte (XVI 26, vgl. dagegen das Benehmen des Tribunen Agricola in derselben Zeit Agr. 6), zurückgewiesen und Thrasea hatte den Antistius, als dieser PrUtor und wegen Beleidigung Neros an- geklagt war , in einer Senatsrede heftig angegriffen (XIV 48). Unmöglich kann ihn dazu der Gegenstand der Anklage veranlasst haben, sondern nur die ganze Persönlich- keit und Vergangenheit des Angeklagten. Seine Rede muss eine Art Programmrede gewesen sein, durch die der Führer der republikanischen Partei die Gemeinschaft mit Jen extremen Radikalen ablehnte, und daher hat gewiss jener Arulenus Rusticus in seiner Biographie Thraseas ein Referat davon gegeben, um die Mässigung und Weis- heit seines Helden ins rechte Licht zu stellen (über Aufnahme von Reden in solchen Parteischriften vgl. Plinius, cp. IX 13, 14. 18). Damit haben wir die Quelle der beiden Angaben über Antistius Sosianus; denn dass Tacitus XVI 21 ff. diese Biographie be- nutzt hat, ist schon durch andere und allgemeinere Erwägungen von Schiller {Gesch. des rinnischen Kaiserreichs unter Nero 18, nicht widerlegt durch FAm.\, Les sources de Tacite 404, 1) wahrscheinlich gemacht worden, und es lässt sich z. B. dadurch unter- stützen, dass von der hier gemeldeten Teilnahme Thraseas am Prozess des Cossutianus Capito in dem Bericht XIII 83 nichts gesagt ist.

1) Die Kürze dieses Nekrologs befremdet Wülfflin a. O. 16 in ^'ergU■ich zu der Ausführlichkeit der dem Galba, Piso und Vinius gewidmeten. Aber auch der Rück- blick auf Tiberius ann. VI 51 ist kurz, verglichen mit dem auf Augustus arm. I 9 und 10, und doch ist dieses, wie jenes nur natürlich. Die Geschichte des Otho wie die des Tiberius hat Tacitus selbst erzählt und durch seine Erzählung (vgl. über seine Technik in der Darstellung des Tiberius Bhu.ns, Die Persönlichkeit in d. Geschichtschreibung der Alten 71 ff.) hat er in unserer Vorstellung ein bestimmtes Gesamtbild von ihnen hervor- gerufen; doch seine Auffasssung von Männern, deren Geschichte grösstenteils ausser- halb des Rahmens seines Werkes bli'ibt, muss er uns ausführlicher vorlegen. Auch da- für, dass Plutarch in keiner anderen Biographie als in der Galbas am Schluss eine zusammenfassende Charakteristik giebt, liegt eine andere Erklärung näher als die von Wr.LKFUN (a. 0. 15) gesuchte: Eine solche Charakteristik wird bei Plutarch gewöhn- lich hinzugefügt, nur nicht am Ende der einzelnen Lebensbeschreibung, sondern am Ende des Biographienpaares in der GvyxQiais des griechischen und des römischen Helden. Die Kaiserviten gehören aber nicht zu den (iioi. na^ukhiloi. Der Originalität

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Dir. Eiifsfrhiim) tlrr Historien den Tacitus. -'il!)

fügige Notiz auf den Anfaiig diT i'iiziilihing verwiesen wird {pum-itM ac iuventa, qualeni monstravimas iiul I K!: Puerklam ineuriose, aduiescßntiam petulanter egerat), wiederliolt 'i'acitus im dritten Buclie bei den Nekrologen auf Fabius Valens {&2) und \'itellirs (8fi) das von beiden im ersten in der Einleitung (7 und li) und weiterhin (besonders 52) Gesagte, ohne sich und uns irgendwie daran zu erinnern, dass er es schon gesagt hat. T)arum glaube ich folgern zu dürfen, dass die durch häufigere Eückver- weisungen verbundenen Bücher bestimmt waren, in einem Zuge gelesen zu werden, sodass dem Leser der Inhalt des vorhergegangenen bei der Lektüre des folgenden noch stets gegenwärtig sein konnte, dass ferner diese Bücher auch zusammen herausgegeben worden sind. Auch die An- fangsworte des fünften: Eiusdem anni prindpio setzen unbedingt voraus, dass in der Lektiu-e keine Unterbrechung stattfinden konnte, wie sie hätte eintreten müssen, wenn zwischen der Publikation des fünften und der des vierten Buches einige Zeit vergangen wäre.

Die Verweisungen auf spätere Partien ergeben für unsere Zwecke nichts. Meistens sind sie allgemein gehalten, so die schon angeführte bei Helvidius Priscus (IV 5: Viri saepiits memorandi , nämlich IV 43. 53 und in den verlorenen Teilen) , die ähnliche bei Bäbius Massa (IV 50 : Saepius rediturus, z. B. auf Grund des von Plinius, ep. VII 33, 4 ff. dem Tacitus gelieferten Materials) und die Bemerkung über das schon in der Inhaltsübersicht I 2 angekündigte wiederholte Auftauchen falscher Neronen (II 8). Auch bei dem \'erspreclien, den Bataverkrieg zu behandeln (III 4G), ist es nicht notwendig, dass der Leser gleichzeitig bereits die Einlösung des ^'ersprechens (vgl. IV 12) in Händen hat. Eher könnte man dies erwarten, wenn Tacitus in Aussicht stellt, etwas suo loco zu erzählen (in den Annalen in loco 114, in tempore 158. IV 71. VI 22. XI 5). Aber die Notiz über Julius Sabinus IV 67 : Sed quibus artibus latebrisqtie vitam per novem annos (vgl. ann. IV 8 : Ut octo post annos cognitum est) traduxer/l, siniul amicoruni eins constantiam et insigne Epponinae uxoris exemplum (vgl. in der Inhaltsübersicht I 3 : Secufae maritos in exsilin cmiiuges), suo loco reddemus verweist auf einen verlorenen Abschnitt, und I 10: Ut suo loco memorabimus bestätigt nur •\\'ieder die enge Verbindung zwischen den beiden ersten Büchern, da auf dasselbe Kapitel, das auf den Anfang des zweiten Buches (1) hinweist, von dort (4) weder zurückverwiesen wird. Doch auch die grössere Seltenheit von solchen Beziehungen auf spätere

des Tacitus thut os kehieu Eintrag, wenn auch die ,ecbt Taciteiscbe Sentenz" (WöLFFLiN a. 0. 16) in dem Nelcrolog auf Galba I 49: Maior privato visiis, dum pri- vatus fuit, et omnium consensu capax imperii, nisi imperasset in der Sache ein wenig an Suetou, Gdlha 14 : Maiore adeo et favore et auctoritate adeptus est quam gessit imperium und in der Form ein wenig an Velleius IT 99, 4 erinnert: . . . ut . . . privato si illa maiestas privata unquam fuit fasces suos sumviiserint fassique sint otium eins honoratiiis imperio s^w (vgl. auch die Antithese bei Velleius II 17, 1 Ende).

■21* 20

320 F. Mümnr,

Absclinitte des "Werkes spricht dafür, dass Tacitus seinen ganzen Stoff noch nicht so übersah, wie es \\ohl notwendig wäre, wenn die Historien ans einem Gnsse nnd auf einmal vollstämlig erscliienen wären. Die Be- weiskraft des Argumentes, das ich den Eückverweisungen entnelnne, wird auch nicht dadurcli beeinträchtigt, dass es bei den Annalen versagt.') Tacitus stand ja, als er seine ersten Bücher herausgab, weder seinem Gegenstande, noch seinem Publikum so frei und selbständig gegenüber wie später. Das allmähliche AVerden seiner historiographischen Pläne, seiner Technik, seines Stiles beweisen es; dass er sich anfangs manchen Regeln fügte, die er nachher nicht mehr befolgte, erkennen wir z. B. an seiner Stellung zu dem annalistischen Prinzip (s. o. S. 303). So ist es wohl möglich, dass er zunächst jedes Mal ein möglichst abgeschlossenes, füi- sich bestehendes und zur Lektüre geeignetes Stück der Geschichte vor- legen wollte, und dass er erst später den Zusammenhang des Ganzen mehr betonte, als den der Teile.

Doch der Beweisgrund kann immerhin zu schwach befunden werden ; hoffentlich wird er aber fester durch eine Ergänzung nach der negativen Seite hin. Während zwischen gewissen Büchern äusserlich eine engere Verbindung hergestellt worden ist, fehlt diese nicht nur zwischen anderen, sondern statt ihrer finden wir da gewisse Lücken. Wieder darf zur Er- läuterung ein bekannter Fall dienen, in welchem von dem einen zu dem anderen der grossen Geschichtswerke des Tacitus ein Faden hinübergehen sollte, aber im Gegenteü abgerissen ist. Tacitus hat den Ursprung des A'erhältnisses Poppäas zu Otho und zu Nero in den Annalen XIII -iö f. anders dargestellt, als fi'üher in den Historien 113 und zwar, wie eine unbefangene und sorgfältige Prüfung durch Fabia (Revue de philol. 1896,

1) Ohne Interesse sind darum die Rückverweisungen in den Annalen nicht. Sehr häufig sind sie z. B. in den Abschnitten über die armenisch-parthische Geschichte (s. o. S. 303 Anm. 2). Von den dazu gehörenden drei Stücken des zweiten Buches K. 1 4, 56—61, 6S, verweist das erste am Schluss auf das dritte und dieses im Anfang auf den Schluss des zweiten, sodass man den Eindruck gewinnt, Tacitus habe eine zusammenhängende Darstellung zerschnitten. Der Eindruck verstärkt sich, wenn man beachtet, wie der Bericht nur deshalb in diese und in noch kleinere Abschnitte zerlegt wird, um mit dem Hauptthema des Buches, der Geschichte des Germanicus (vgl. dazu Liebex.^m, Jahrb. f. Philol. 1891, CXLIII 865f.), möglichst synchronistisch verbunden zu werden; ich kann darauf hier nicht näher eingehen. XI 8 10 wird die armenisch-parthische Geschichte mehrerer Jahre nachgeholt und an den letzten vorhergegangenen, jetzt ver- lorenen Abschnitt angeknüpft; an den erhaltenen schliesst sich dann wieder der nächste XII 10— 21 mit einer Rückverweisung an. Bemerkenswert ist auch, dass die Rück- verweisung Xn"29: Neque Didiits legnttcs, ut memomvi, nüi parta rctinnerat im Wort- laut nicht so genau der Stelle entspricht, auf die sie sich bezieht, XII 40 : Didius .... arcere hostem satts habebat, als der älteren Behandlung derselben Dinge bei Tacitus, Agr. 14: Didius Galhts parta a prioribtts continnit. Die beiden Bearbeitungen der britannischen Geschichte weisen keine zweite so auffallende Übereinstimmung auf. Über Rückverweisungen in der Geschichte des Antistius Sosianus s. o. S. 317 Anm. 2.

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Die Enistchung der Hisforicn (Jck Tacitus. 321

XX 12ff.) ergt'lien hat, besser und ricliti»er; nur weil Fahia die historische Kritilv des Tacitus unterschätzt und den eiuseitifren Standpunivt der Ein- quelh-ntlieorie festhält, hat er bestritten, dass sich der Historiker selbst über den T'uterschied der beiden Berichte klar geworden sei (a. 0. 17f.).') Kine einmal veriiftentlichte Darstelluns; nachträglich mit ausdrückliclien Worten zu widerrufen, wäre gegen die Würde des Tacitus gegangen; nur stillschweigend bei passender Gelegenheit bringt er Berichtigungen und Ergänzungen an und nimmt lieber mit in Kauf, dass dadurch kleine Unebenheiten und Lücken entstehen. Wie er sich in dem späteren Werk zu dem früheien verhält, so in den später veröffentlichten Büchern zu den früher herausgegebenen, und wenn sich also innerhalb der Historien solche Nachträge oder Korrekturen finden, so ist das ein Beweis dafür, dass die Teile, auf die sie sich beziehen, schon verötfentlicht waren.

Kein ganz sicheres Eesultat hat sich mir für das dritte Buch ergeben, ob dieses gesondert oder mit dem vierten (und fünften) zusammen er- schienen ist. In seinen letzten Kapiteln wird vorausgesetzt, wie ich bereits früher {Bonner Jahrb. CIV 90, 2) bemerkt habe, dass L. Vitellius von seinem kaiserlichen Bruder den Befehl erhielt, sich in Tarracina zu behaupten (77 vgl. 84), dagegen in den Anfangskapiteln des vierten Buches, dass er vielmehr von dort nach Eom beordert worden sei (2). Ferner schliesst die Erzählung in jenen (III 86) : Domitianum .... Caesarem con- salutahim mües frequens , ufque erat in armi's , in paternos penates dediixit, während in diesen (IV 2) die Schilderung der Situation einsetzt: Nomen sedemqne Caesaris Dornitianus acceperat^ und doch wird man bei den patemi penates zunächst an Domitians Geburtshaus auf dem Quirinal (vgl. Sueton, Dom. 1. Hülsen, Uhein. Mus. 1894, XLIX 399), bei der sedes Caesaris an die soeben von Vitellius geräumte (vgl. III 84) Wohnung in den Kaiser- palästen auf dem Palatin denken. Dieselben Abschnitte sind jedoch auch durch eine Eückverweisung , IV 3 auf III 77, mit einander verbimden. sodass man zweifelhaft wird, ob die leichten Widersprüche oder die ^'er- knüpfuug den Ausschlag geben sollen, jene gegen, diese für die gleich- zeitige Publikation der beiden Bücher. Vielleicht möchte man sich da- gegen entscheiden, also im Sinne Nissens, weü jener lose Faden, der nur über ein paar Seiten hinweg gespannt ist, das einzige sichtbare Band bildet, und weü hier wieder die zweite Stelle etwas nachholt, was schon an der ersten am Platze gewesen wäre {anuli .... accepti a Vitellio). Aller wenn man weiterhin im \'ierten Buche bisweilen eine An- knüpfung an das dritte vermisst, so berechtigt das ebenso wenig zu sicheren Schlüssen, wie wenn man in diesem (III 35) liest. Antonius Primus

1) Obgleich er gerade damit bei J. J. Hartmas, Mnemosi/iie 1898, XWI .314 Bei- fall geerntet hat, so ist doch jene Einseitigkeit sehr vereinzelt. Unter deutscheu Historikern durfte schwerlich einer zu finden sein, der heute noch von der Arbeitsweise antiker Geschichtschreiber solche Ansichten hegte, wie sie Wölffun bekämpfen zu müssen glaubt.

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322 F. Münser,

habe die Botscliaft vom Sie^e der Flaviauer durch einen gefanofeuen deutschen Offizier der Gegfenpartei an den Ehein gesandt, und in jenem (TY 31), dass er es ausserdem durch ein Schreiben gethan habe, dem ein Edikt des Vitellianischen Konsuls (vgl. III 31, auch W 80) Cäcina beilag. Ob das di'itte Buch für sich allein oder zusammen mit der folgenden Gruppe von Büchern herausgegeben ist, bleibt demnach unentschieden.

Desto deutlicher tritt bei der Anwendung unseres Verfahrens zu Tage, dass die beiden ersten Bücher gesondert und einige Zeit vor den übrigen erhaltenen erschienen sind. Schon die fi'üher besprochene Verweisung von r\' 15 auf II 69 (s. o. S. 317) lässt sich dafür geltend machen. Bei gleichzeitiger Publikation hätte Tacitus auf Grund des an der zweiten Stelle verwerteten Berichtes schon die erste so gestalten können, dass sie sich lückenlos an einander schlössen. Eine bessere Bestätigung bietet der folgende Fall: Die Ermordung Galbas und Pisos und die Schändung ihrer Leichen hat Tacitus im ersten Buche (41. 44. 49, vgl. II 49) bei aller Ausführlichkeit doch mit absichtlicher Milderung der krassen und wider- wärtigen Züge erzählt , die in den Parallelberichteu (Sueton, Galha 20. Plutarch, Galba 27) stark hervortreten (vgl. Nissen a. 0. 512f.). Sueton

erzählt dabei n. a. : Gregarius mües caput ei (dem erschlagenen

Galba) amputavit\ et quoniam capillo arripere non poterat, in greviium addidit, mox inserto per os pollice ad Othonem detulit. Von dieser gräss- lichen Episode sagt Tacitus, wie auch Plutarch, kein Wort, aber merk- würdigerweise ül:)erbietet er sie bei späterer Gelegenheit durch Mitteilung einer anderen über den mit Pisos Leiche getriebenen Schimpf. Er berichtet im vierten Buche (42) von einer Senatssitzung im Anfang des Jahres 70, wo heftige Angriffe gegen eines der Werkzeuge Neros, M. Aquilius Eegulus, gerichtet wurden: Mannhaft trat für den Verhassten sein junger Halbbruder, der Jugendfreund des Tacitus, Vipstanus Messalla, ein ; ocnirrit truci m-atione Gurfius Montanus, eo usque jn'ogressus, ut post caedem Galhae datam interfe.ctori Pisonis pecuniani a Regula adpeiitumque morsu Pisonis Caput ohiectaret. Von irgend einer Beteiligung des Eegulus an den Er- eignissen des 15. Januars li9 hat Tacitus im ersten Buche nicht das mindeste verlauten lassen; er hat dort (44) ähnlich wie Plutarch nur erwähnt, dass Otho beim Anblick des abgehauenen Kopfes Pisos die gTösste Freude bezeigte ; ja es liegt sogar ein leichter Widerspruch darin, dass hier von einem Mörder Pisos gesproclien wird, und dort (43) aus- drücklich zwei solche (bei Plutarch nur der zweite i mit Namen genannt worden sind.

Dieser Thatbestand lässt sich auf zweierlei Art erkläi'en. und beide Erklärungen ergeben, dass eine längere Zeit zwischen der Veröffentlichung des ersten und der des vierten Buches verflossen sein muss. Entweder hat Tacitus clie Sache im ersten Buche noch nicht bringen können, weil er sie noch nicht kannte, oder er hat sie, obgleich er sie kannte, nicht

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Die Entsfchu)7fi der Historien des Tacihis. 323

hriiiffpii wollen. Verniutlicli fand er sie in dem Senatsprotokoll, das er in dem Bericlit über jene Sitzuno- l)enutzt hat (vjjl. Gkoag, Jahrb. f. Philol. 1897. Sujrpl. XXIII 728). Dass liistorisclie Berichte über die Katastrophe (lalbas ans Flavischer Zeit, wie sie ihm vorlagen, den eben damals höchst einflussreichen Regulus nicht blosszustellen wagten, ist begreiflich, auch \\enn jedermann wnsste, dass er, der Pisos Vater ins Verderben gestürzt hatte, den Sohn mit gleichem Hass verfolgt hatte (vgl. Tlinius, (>p. II 20, 2). Aber Tacitus, der in seiner Darstellung des Todes Pisos mit einer anderen Angabe sogar der Zeit vorauseilt,') hätte seine aus dem Senatsprotokoll geschöpfte Kenntnis vielleicht doch schon hier verwertet, wenn er sie nicht erst nach der Publikation des ersten Buches erworben hätte. Sollte aber nicht ünbekanntschaft mit der Sache, sondern ein anderes Motiv ihn geleitet haben, so kann dies nicht wohl ein künstlerisches gewesen sein, da ja sein Bestreben, das Widerwärtige zu vermeiden, nicht bis zur völligen Beseitigung der Notiz gegangen ist. Eher möchte man dann auch bei ilim denselben persönlichen Beweggrund voraussetzen, wie bei

1) Mit der bekannten Angabe, dass später Vitellius alle, die an der Ermordung Galbas und Pisos Anteil zu haben behaiipteten und von Otho Belohnung forderten, be- strafen Hess (I 44). Sie findet sich bei Plutarch in demselben Zusammenhange , aber bei Sueton , Vit. 10 in dem richtigen chronologischen unter den ersten lobenswerten Regierungshandlungen des Vitellius (etwa entsprechend Tacitus II 62 ff.), was Wölffux a. a. O. 38 nicht berücksichtigt. Eine für Vitellius vorteilhafte Beurteilung der Maass- regel ist von Tacitus nicht nur mit ausdrücklichen Worten abgelehnt worden, sondern liegt dem Leser schon an sich fern, weil die Notiz an dieser Stelle nur als Beleg für die Prahlsucht und den Eigennutz der Menschen aufgefasst werden kann. Plutarch macht dies mit seinem Archilochoszitat noch besonders deutlich, und Tacitvis hat einen ähnliehen Gedanken später bei ähnlicher Gelegenheit geäussert (Ifl 69). Die Notiz ist aus der Geschichte des Vitellius vorweggenommen worden, weil sie nicht ganz ver- schwiegen, aber doch auch nicht zu dessen Gunsten ausgelegt werden sollte. Dazu hatte zwar Tacitus keine Veranlassung mehr, wohl aber ein Historiker, der unter der Regierung und in dem Sinne Vespasians schrieb, wie Plinius. Der Gegensatz zwischen Vitellius und Vespasiau erstreckt sich gerade auch auf ihr Verhalten gegen den toten Galba. Jener bestrafte dessen Mörder und ehrte sein Andenken (Sueton. Galba 23 vgl. Tacitus II 55) ; dieser stiess die unter Vitellius und während seiner Abwesenheit gefassten Senatsbeschlüsse zu Ehren Galbas wieder um (Sueton a. a. 0., Tacitus IV 40). Dem entspricht es, dass die Führer der republikanisch-stoischen Opposition, die Regulus als treuer Anhänger der Flavier bekämpfte, zu Galba und Vitellius gestanden hatten: Helvidius Priscus beteiligte sich bei Galbas Bestattung (Plut. Galba 28, nicht bei Tac. I 49, vgl. Fabia, Les sources de Tacite 35) aus Dank- barkeit, weil er von ihm nicht nur aus dem Exil zurückberufen (Tac. IV 6. Schol. Juvenal. V 36), sondern auch (am 9. Jan. 69) zum Priitor für das J. 70 designiert worden war (Tac. II 91. IV 4); Arulenus Kusticus war im J. 69 selbst Prätor, viel- leicht auch erst von Galba dazu befördert, und ging den Flavischen Führern als Ge- sandter von Rom aus entgegen; dass er im Tumult von ihren zuchtlosen Soldaten ver- wundet wurde, findet Tacitus III 80 als Verletzung des heiligen Gesandtenrechts und eines so ausgezeichneten Mannes doppelt bedauerlich; aber wenn Regulus unter Domitian den Rusticus als Väelliana cicatrice stigmosum bezeichnete (Plinius, ep. 1 5, 2), so müssen die Parteigänger der Flavier die Sache wesentlich anders angesehen haben.

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324 F. Münzer,

jenen älteren Historikern . die Rücksicht auf Regiüns. In seiner Erst- lingssclirift , die dessen Bruder ein ehrendes Denkmal setzt, hat Tacitus auch seiner als eines trefflichen Eedners mit Achtung gedacht {dial. 15), und gerade dem Tacitus gegenüber führt selbst der erbitterte Wider- sacher des Eegulus diesen als Autorität auf dem Gebiete der Beredsamkeit an (Plinius, ep. I 20. 14 ff.). Tacitus hat also mindestens in keinem feind- lichen Verhältnis zu dem berüchtigten Delator gestanden und könnte auch den im .Jahre 70 gegen ihn erhobenen A'orwurf aus Schonung für ihn verschwiegen haben. Wenn er das aber nui- im ersten Buch und nicht mehr im vierten thut, so muss sich zwisclien der Veröffentlichung beider etwas geändert haben; Eegulus muss bei der des ersten noch am Leben, bei der des "\aerten schon tot gewesen seiu, was nach den Briefen des Plinius in der That wohl möglich ist (s. u. S. 328 f.). Auch bei dieser ICrkläruug aber sind wir genötigt, eine längere Frist nicht um- zwischen der Abfassung, sondern auch zwischen der Herausgabe der beiden Bücher anzunehmen.

Aber wichtiger ist es vielleicht, dass sich auf dieselbe Weise auch der Abstand des dritten Buches von dem zweiten nachweisen lässt. Von dem Besuche des Vitellius auf dem Schlachtfeld bei Betriacum heisst es II70: Nee minus inhumana pars viae, quam Cremonenses laui-u rosaque consiraverant , ejcsti'uctis altaribus caesisque victimis regium in mcn-em; quae laeta in praesens^ mox perniciem ipsis fecere. Die letzte Wendung kehrt fast wörtlich im Anfang des folgenden Buches (TU 6) wieder : Laeta ad praesens male parta mox in perniciem vertere,^) und vielleicht hätte Tacitus, der so sehr auf Wechsel im Ausdruck bedacht ist, die auffaUeude Wieder- holung nach geringem Zwischenraum vermieden, wenn er beide Bücher unmittelbar nach einander niedergesclu-ieben hätte. Ausserdem aber er- wartet man, dass dem Hinweis auf Cremonas späteres Geschick im Ver- laufe der Erzählung eine Anknüpfung entsprechen werde, etwa wie dem über die Aveitere EoUe der Batavercohorten II 69 die Eückverweisung IV 15 (s. 0. S. 317), und statt dessen tritt das Gegenteü ein: Im dritten Buch (32) wird unter den Gründen des Unheils, von dem Cremona lieimgesucht wurde, die dem A'itellius erwiesene Huldigung gar nicht erwähnt ; dagegen heisst es: luvisse partes Vitellianas Othonis quoque hello credebatur , und davon ist wieder im zweiten Buche nichts gesagt worden, nicht einmal, ob sich die Stadt fi-eiwillig den Vitellianern angeschlossen hat (vgl. 17 mit 22 und 23. Mommsen, He)-mes 1871, V 162, 3).

Für ihre Operationen gegen Othos Armee bildete Cremona den ge- gebenen Stützpunkt ; doch "näe sie ihn künstlich verstärkt hatten, kommt erst ganz gelegentlich im dritten Buche (26) zurSpradie: Othoniano hello

1) Vgl. ann. IV 31 ; (^uoä ax})cie aeceptum ad praesens mox in laudem vertit, auch hist. I 44 Ende und IV 17 Anf. der Gegensatz : ad praesens, in posterum.

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Dir, Enfstcliunii der HiMorien des Taeitns. 325

Germani'cus miles moenibus Oremonensnim cast.ra »iia, castris Valium cir- cumiecerat eaque munimenfa rursus auxerat. Im zweiten Buche kommt in der Srhlaclitbesclireibnug- wolil das Ijag-er und der Wall vereinzelt vor (2ti. 41), aber von seiner Lage -und seiner Errichtung ist dort ebenso wenig die Rede, wie von dem späteren Ausbau, obgleich doch die Er- bauung eines Amphitheaters in Creuiona durcli dieselben Truppen und in derselben Zeit dem Taritus erwähnenswert genug erschienen ist (TT 67 vgl. 70. TTT :V2).

Endlich sagt Antonius Primus im Kiiegsrat zu Poetovio von der Entscheidungsschlacht z-naschen Otho und Vitellius ITT 2 : Equites vero ne tum quidetn victos , sed quamquam rebus adversis disieetam Vitellii aciem: duae hmc Pannom'cae ac Moesicae alae perrupere hostem. Nun Hess sich freilich der Verlauf der Schlacht im einzelnen nicht genau ermitteln,') aber Antonius Primus konnte in diesem Falle gut unterrichtet sein und macht seine Angaben in bestimmtester Form. Davon findet sich aber im zweiten Buche des Tacitus nichts ; nur der Durchbruch der Eeiter Othos bis an den Wall des feindlichen Lagers (11) uiul im allgemeinen die Taiiferkeit und die Erfolge seiner Truppen (42. 44. vgl. Plut. Otho 12 Ende) werden gerühmt, die beiden Alen gar nicht erwähnt.

Wenn der Ort Hostilia am Ende des zweiten Buches (100) einfach genainit rmd im Beginn des dritten als vicvs Veronensium (9) näher be- stimmt wird, so ist das unwesentlich; aber die eben betrachteten Angaben über den Krieg zmschen Otho und Vitellius wären doch sicherlich im zweiten Buche bei dessen zusammenhängender Darstellung besser am Platz gewesen, als im dritten. Hier darf der Schluss unbedenklich gezogen werden, dass sie einer dort nicht benutzten Quelle entnommen sind. Em- den Feldzug der Flavischen Partei gegen Vitellius lagen dem Tacitus die Denkwürdigkeiten seines Freundes Vipstanus Messalla vor, der daran in hervorragender Stellung teilgenommen hatte. ÄTit den meisten neueren Gelehrten (vgl. zuletzt Groag a. 0. 785 ff.) ist diese Schrift für nichts anderes als für den Bericht eines ^Mitkämpfers über Selbsterlebtes und Selbstgesehenes zu halten; daraus ergiebt sich der Umfang ihrer Benutzung bei Tacitus. Dieser hat im zweiten Buche (85) die Flucht des Legaten der Legio VIT Claudiana beim Ausbruch des I^rieges erzählt , aber noch nicht die Übernahme des Ivommandos durch dessen bisherigen Unter- gebenen (vgl. Makquardt, Staatsverw. 11460,4), eben durch Vipstanus Messalla; erst wo er im dritten Buche (0) das Eintreffen der Legion in Oberitalien berichtet, führt er den Freund als ihren Befehlshaber ein. Das legt die Vermutung nahe, dass Messallas Erinnerungen im zweiten

1) Vgl. Plut. Otho 14 Anf.: Ovxa y,iv ol nUlaroi tüv TtaQuytvo[Liv(av ä-nuy- yiXkovßi yiviß^ai Ti]V iidp^v , ovSl avrol acctp&g 6jt,oloyovvTtg tiäh'ai xa&' i-xaaza Sla tI^v ätcc^iai' v.al rijV avoiucdiar. Tacitus beklagt die Unsiclu-rbi'it der Thatsacben bei der zwciteu Scblacht (III 22).

26

326 F. Ilänzer,

Buclie noch nicht herangezogen wurden. Natürlich kannte Tacitus sie schon länger, aber eben deshalb liess er sie bei Seite bis dahin, wo er sie regelmässig zu benutzen hatte: als er dann aber in ihnen manche beiläufigen Bemerkungen fand, die auch auf den Feldzug der Eheinarmee gegen die Othonianer helleres Licht fallen Hessen, hätte er solche wert- volle und authentische Angaben zur Kritik und Ergänzung seiner übrigen Quellen benutzen müssen und -nirklich benutzt, wenn es nicht schon zu spät gewesen wäre. Dass er sie erst nachträglich und beiläufig im dritten Buche bringt, ist ein Beweis dafür, dass die beiden ersten Bücher damals schon abgeschlossen waren nnd dem Publikum vorlagen.

Auch zwischen 1159 und 11138 f. besteht ein leichter Widerspruch, der ebenso zu erklären ist. Nach jener Stelle begann die Verstimmung des Vitellius gegen Junins Bläsus schon in Lyon, nach dieser erst in Eom. Ganz ersichtlich stammt die zweite Stelle aus einer besonderen Quelle. Sie steht mit den früheren Erwähnungen des Bläsus (I 59. TT 59) in keiner Verbindung und giebt nicht, wie sie, sein Amt an; sie ist in sich völlig geschlossen, etwa wie ein Plinianischer Brief, der eine Er- zählung enthält, und könnte herausgenommen werden, ohne dass man die Lücke irgendwie empfinden würde; sie wird in ungewöhnlicher Weise eingeführt: Nota per eos dies lunii Blaesi mors et famosa fuit, de qua sie arcepimus , und berichtet von einer schweren, fast lebensgefährlichen Krankheit des Kaisers, von der sonst nichts bekannt ist: endlich giebt Tacitus, der die von Sueton ( Vit. 10) überlieferte Äusserung des Vitellius über Otho beim Anblick von dessen Grabmal übergangen hat (II 70), hier eine Äusserung des Vitellius mit den Worten : Ipsa enim vei-ba referam wieder, was er nur noch in zwei anderen Fällen {cmn. 'KSY 59. XV 67) gethan hat und zwar im zweiten mit der Motivierung, dass er einer besonderen, wahrscheinlich mündlichen Tradition folge. Dazu kommt noch, dass der hier von ihm so übermässig gelobte Bläsus sonst ganz unbekannt ist. Auch diese Angaben des dritten Buches sind demnach einer Vorlage entlehnt, die Tacitus erst nach der Publikation dei- lieiden ersten Bücher benutzen konnte; -s-ielleicht berulien sie auf ^litteilungen. die Lhni erst damals dii-ekt gemacht wurden.

Doch der Weg, den ich einzuschlagen versucht halte, um die Art der Publikation der Historien festzustellen, soll nicht zu weit von dem Ziele ab in (luellenkritische Untersuchungen führen. Ist es aber richtig, dass die beiden ersten Bücher des Werkes für sich und einige Zeit vor den folgenden der Öfi:entlichkeit übergeben wurden, so ist dies auch nicht ohne Wert für die Würdigung gerade dieser Bücher, die der Quellen- kritik eines der schwierigsten Probleme stellen, üir Gegenstand war bereits in früheren Geschichtswerken behandelt worden, und eine neue Bearbeitung musste auf der hier geschaffenen Griuidlage beruhen; die Worte des Tacitus I 1: Mihi Galba Otho. Vitellius nee beneficio nee iniuria

27

Die Kntxtclmng der Uistnrien den Tacifus. ?>27

coffnifi. lialx'ii iiirht nur den Sinn, dass er im Gegensatz zn jenen die Gescliichte dieser Kaiser R-anz nnparteiisch darstellen könne, sondern auch den andern, dass er sie nicht auf (-Jrund eigener Kenntnis, sondern fremder Tierichte schreiben müsse. Der. Stoff war ihm also sepfeben und ist von ihm nur ausnahmsAveise vermelu-t -worden;') aber in der Kritik der vor- liesienden Quellen, in der unbefangenen Beurteilung der Thatsachen und in der vollendeten Form der Darstellung wollte und konnte er sich er- proben. Hatte dann seine neue Bearbeitung des schon öfter bearbeiteten Stoffes beim Publikum Erfolg, so war der Beweis geliefert, dass Tacitus befähigt sei, die noch nicht geschriebene Geschichte der Flavischen Zeit zu schreiben. Auch er wartete den Erfolg ab, ehe er die Aveitere Aus- führung seiner Pläne unternahm. Darum hat er die folgenden Bücher erst einige Zeit nach den beiden ersten, dann aber vielleicht in rascherer Folge erscheinen lassen.

Der Plan, den er in der Biographie Agricolas (3. s. o. S. 800) ausgesprochen hatte, war von ihm lange und gründlich erwogen worden und ist schliesslich wesentlich verändert zur Ausführung gelangt. In der Einleitung sagt Tacitus (I 1): Principatum divt Nervae. et imperium Traiani , uberiormi sccurioremque mafertam , smectidi seposui. Wenn man seine Ivlage, ann. IV 32, betrachtet, dass die Dinge, die den Inhalt seines Werkes bilden, parva forsifan et levia memoratu erscheinen im Vergleich mit den Darstellungen der republikanischen Geschichte, die vornehmlich ingentia bella, expugnati'ones vrbium, fiisos captosque reges dem Leser vorführen konnten, so wird man die Bezeichnung der materia, die Tacitus für jetzt ziu-ücklegt, als uberior nicht für bedeutungslos halten. Von Nervas Eegierung Hess sich nicht allzuviel berichten ; aber wenn mindestens der erste dakische Krieg Trajans schon vor- über war, so war freilich ein reicher und lockender Stoff für den Historiker

1) So kann ich Wölffhn a. 0. 37 nicht zugeben, dass Tacitus I 43 als Augen- zeuge spreche, wenn er sagt: Insignem illa die virum Sempronüim Densum aetas nostra vidit. Nur beiläufig sei bemerkt, dass auch Plinius n. li. XXXIV 38 sagt:

Äetas nostra vidit canem ex aerc, cuius eximium miracuhm intcl-

Icijitur cet. . Den von Tacitus abweichenden Bericht, dass Densus nicht den Piso, sondern den Galba verteidigt habe, bietet aber ausser Plutarch {Galha 26) auch Dio LXIV 6, 4 f., und auch dieser betont: Kul äici rovro yt y.cd xo övoaa avTOv ivffQUipa, on cciunraxo? tan iitnjuovivsad^cct , was berechtigt ist, wenn man sieht, wie wenige Einzelheiten über die Vorgänge ganz sicher feststanden (vgl. Tac. 141 f. u. a.)- Schon dadurch wird die Abhängigkeit Plutarchs von Tacitus an dieser Stelle sehr unwahr- scheinlich; aber auch die von Wölkfun zur Unterstützung seiner Interpretation an- gezogene Germ. 8: Vidinms suh divo Vespasiano Velaedain diu apad plerosquc numinis loco habitam muss doch durchaus nicht notwendig als Hinweis auf den Triumphzug aufgefasst werden, bei dem Tacitus die Veläda selbst gesehen habe, zumal wenn man andere Stellen berücksichtigt, wo er in der ersten Person der Mehrzahl spricht, wie Germ. 35: Hactenus in occidentem Germaniam novimus oder das vielbesprochene Legivms Ägr. 2, das in scheinbarem Widerspruch mit Agr. 45 steht (vgl. darüber u. a. Thiadcoükt, Bcvue de philol 1889, XIII 74 ff., der mich jedoch nicht überzeugt). Vgl. auch die erste Person Singiilaris Germ. 9 : Pariim comperi = Agr. 11 : Parum compertmn.

28

328 F. Mimzer,

A-orhanden (vgl. Plinius. ep. YUl 4, If.); den ..Text" zu dem mächtigen ,,gemeisselten Bilderbuch" der Trajanssäule (Mommsen, Rom. Gesch. Y 204) zu [schreiben hätte sich gelohnt. Vestricius 8i»urinna war noch, wie jMommsen (Hermes 1870, IV 298, 3) mit Wahrscheinlichkeit vermutet, bei dem Er- scheinen der beiden ersten Bücher der Historien am Leben, weil er II 18 mit Schonung behandelt wird; doch der so ungemein rüstige Greis (s. o. S. 314 Anm.) kann noch eine Eeihe \on Jahren unter Trajans Eegierung gelebt haben. Jedenfalls steht nichts im Wege, zwischen der Abfassung des Lebens Agricolas und der Publikation dieses ersten Teiles des (xeschichts- werkes ein Intervall von einem halben Dutzend Jahren anzunehmen, auch wenn Tacitus wirklich in den Jahren nach dem Konsulat keine Ämter verwaltet haben sollte. Die weitere Entstehungsgeschichte der Historien wird einiger maassen durch die Briefe des Plinius aufgeklärt, aber über deren Chronologie sind seit Mommsexs grumllegender Untersuchung viel- fach neue Ansichten aufgestellt worden.

Nach der neuesten und zusammenfassenden Arbeit von H. Peter {Abhandl. d. sächs. Gesellschaft 1901, XX 3 , 101—113) sind die drei ersten Bücher der Briefsammlung im Jahre 104 erschienen, die nächsten drei im Jahre 108 , während die letzte Triade mehr eine Nachlese von Briefen verschiedener Zeit enthält. Aber in ihr mögen doch teilweise Briefe enthalten sein, die wü'klich erst nach dem Abschluss der zweiten Sammlung geschrieben sind, und im allgemeinen kann man da, wo lücht der bestimmte Beweis des Gegenteils zu liefern ist, auch jetzt noch an- nehmen, dass die auf dieselbe Sache bezüglichen Briefe der Zeit nach angeordnet sind. Nun findet sich in der ersten Triade noch keine Spur einer Bekanntschaft mit den historischen Schriften des Tacitus, dagegen in der zweiten Triade, also z-nischen 104 und 108, erstens der Brief V 8 an Titinius Capito, der unter dem Eindi'uck des Erscheinens der ersten Bücher der Historien gesehrieben sein dürfte (s. o. S. 302 Anm.; 311), zweitens die beiden berühmten Briefe VI 16 und 20, die dem Tacitus auf dessen Bitte ^Material für die Geschichte des Jahi-es 79 geben. Zwischen V 8 und VI 16 genau in der Mitte A^ird VI 2 , 1 ff. zuerst der Tod des Eegulus erwähnt, während die ersten Briefe der zweiten Triade diesen Mann noch als lebend einführten ;-) es ist also A\"ohl möglich, dass sein Tod zwischen die

1) Dagegen war Silius Italiens bei diT Abfassung des dritten schon tot, was sich ebenso aus III 65 ergiebt, wie das, was Nissex (a. (). 531) daraus geschlossen hat, dass hier Cluvius Eufus nicht benutzt sein kann.

2) IV 2 und 7 über die Trauer des Regulus um seinen Sohn. Da dessen Tod vor 104 fallen dürfte (Friedlaxdek zu Martial VI 38, 1), so kann die Bemerkung des Plinius II 20, 6: Reguhis .... iram dcoriim . . . in capitt iiifelicis pncri detcstatur, ein bei der Herausgabe der ersten Triade eingeschaltetes raticininm ex eventu sein. Den Brief V 17 an Spurinna wage ich nicht dafür geltend zu machen , dass Spurinna die Publikation der Historien überlebte (s. o.), weil er älter sein kann, zumal wenn der hier als Jüngling erwähnte Piso der Konsul von 111 ist.

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Z)»V EiitsfrJnoiii der IJiMorien des Tacitns. 329

Publikation des ersten und des \ierten Buches des 'l'acitus fiel (s. o. S. :124). In der dritten Triade der Briefe des Pliuius steht Vll -"i:} die Mitteilung neuen historischen Materials an Tacitns für die Geschichte des Jahi-es ttH; schon der Umstand , dass Pliniu« vorlier auf Ersuchen des Freundes und jetzt aus eigenem Antx'iebe seine ^litteilungen sendet, spricht dafür, dass mit dem weiteren Fortschreiten des Geschiclitswerkes der J\uhm seines Autors gestiegen ist. Dem entspriclit auch, dass von den beiden noch übrigen Briefen des Plinius, die sich auf die Durchsicht einzelner un- edierter Bücher beziehen, der zweite VIII 7 der Bewunderung des Brief- schreibers noch stärkeren Ausdruck giebt als der erste ^^II 20. Dieser stellt zwischen den Beiträgen zur Geschichte von 79 und 93, jener folgt auf den letzteren; die Vermutung liegt nahe, dass Tacitus dem Freunde gerade die Partien seines Werkes zur Durchsicht übergab, für die ihm dieser selbst Mitteilungen zur Verfügung gestellt hatte. Dann sind auch diese Briefe in der chronologischen Eeihenfolge aufgenommen, in der sie geschrieben ^^■orden sind. In einem noch weiter am Ende der ganzen Sammlung stehenden (IX 1(5, 1) hat dann Urlichs {De vka et honaribus Taciti 16) mit grossem Scharfsinn eme Anspielung auf eine Stelle des Tacitus in der Geschichte des Jahres 87 (vgl. das Fragment bei Orosius VII 10, 4) entdeckt. Doch weiter gelangen wir niclit, als dass ^\är sehen, wie die Historien des Tacitus in den Jahren nacli 101 allmählich er- schienen sind ; eine genauere Datierung der Plinianischen Briefe ist leider nicht möglich, aucli wenn die eben besprochenen der dritten Triade sämt- lich nach 108 entstanden und chronologisch angeordnet sind.

In denselben Jahren, zwischen 112 und 114, .sind dann Tacitus') und l'linius in hohen Stellungen ausserhalb Koms beschäftigt gewesen, dieser als Statthalter von Bithynien und jener als Statthalter von Asien, wie wir erst vor einem Jahrzehnt gelernt haben. Damit ist der äusserste Terrain gegeben, bis zu dem sich einerseits die Briefe des Plinius er- strecken können und bis zu dem andererseits Tacitus mit der Abfassung seiner Historien zum Abschluss gekommen sein wvcA. Nach der Eück- kehr aus der Provinz hat dieser dann sein zweites grosses Gescliiehts-

1) Sichere Auskunft über das Jahr soiiics asiatischen l'roknnsulats wird hoffent- lich der vierte Band der Prosopogr. imp. Rom. durch die Liste der Statthalter geben. Die Dauer des Intervalls zwischen dem Konsulat und dem asiatischen Prokonsulat scheint unter Trajan meistens sechzehn Jahre betragen zu haben (Waddiscto.n, Fasfes des provinces a-siatiques 659. 716 flP., vgl. Mummse.n, Staatsr. II 251, 2), und ferner scheint es, dass nach Tacitus, dem einen Konsul des zweiten Nundinums von 97, von den Konsuln der Jahre 98 und 99 Fabius Postuminus, Q. Fulvius Gillo Bittius Proculus und Ti. Julius Ferox (Belege in der Prosopogr.) in den letzten Jahren Trajans 114—117 einander in der asiatischen Statthalterschaft gefolgt sind ; zwischen das Prokonsulat des Tacitus und das früheste von diesen dreien könnte sich höchstens noch das eines Unbekannten schieben . der etwa im letzten Drittel von 97 auf Tacitus im Konsulat gefolgt war.

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8B0 F. Münder. Die Entsfchmi;/ der Historien des Tarihis.

werk begonnen; denn die einzige sicliere Zeitanspielung, die jedoch in dessen ersten Teilen steht, ann. 11(51, führt auf das letzte Eegierungs- jahr Trajans 116 117, wie längst erkannt worden ist, und in diesen Büchern verrät sieh bisweilen, so II 47. 54. 111 611 6'1 IV 55 f., ein be- sonderes Interesse für lUe Provinz Asia.') Wie lang sich aber dann die Arbeit an den Aunalen hingezogen und das Leben des Autors erstreckt hat, ist nicht zu ermitteln; man kann das Jahr 12(i 121 annehmen (so neuerdings Macis, Essai sur SuMone 207 ff.) und man kann, da Tacitus damals immerhin erst in der Glitte der Sechzig stand, auch beliebig tiefer hinabgehen: hier hat nicht nur das sichere Wissen, sondern auch das zulässige \'ermuteu seine Schi-anken.

1) Auch verweist Tacitus III 63 auf eine Gruppe von Inschriften in dortigen Heiligtümern, während er sonst meines Wissens aus Autopsie nur stadtrömische anführt (XI 14; XII 24 und 53, wozu vgl. Plinius, ep. VII 29, 2. VIII 6, 1. Fabia, Les soiirces de Tacite 323 f.; über die rheinische Inschrift Germ. 3 vgl. Bonner JaJirb. CIV71f.).

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331

Die Zahl der gallischen civitates in der römischen Kaiserzeit.

Von Ernst Koriiemann.

Bei der an brauclibarein statistiseliem Materiale so armen l^ber- lieferung- aus dem Altertum ist jede Zahlenangabe, die einer guten Quelle entstammt, ganz besonders beachtenswert. Strabo berichtet,*) dass der grosse Altar, der bei L.yon am 1. August des Jahres 12 v. Chr. der Roma und dem Augustus geweiht worden war, die Widmungsinschrift der 00 an dem Kult und dem Landtag der Tres Galliae beteiligten Völker oder Volkschaften {Hd-vrj = civitates) trug, und dass eine Statue jeder einzelnen civitas daneben aufgestellt war. In dem alten Streit, welches diese 60 civitates der drei (Tallien waren, ■^) hat man meist den schweren methodischen Fehler begangen, alle möglichen Listen gallischer (gemeinden, die uns aus den verschiedensten Jahrhunderten überliefert sind, heranzuziehen und auszugleichen, gleich als ob die Verhältnisse vom ersten bis vierten Jahrhundert vollkommen stabil geblieben wären. Allein die schon bei Tacitus'-) genannte Zahl von (34 civitates hätte ein solches \'erfaliren verliinderu müssen. Die Namen der 60 h'tvi] des Strabo sind lediglich mit Hilfe solcher Schriftsteller bezw. Listen, die nachweislich auf (Quellen der augustischen Zeit zurückgelien, zu ermitteln, d. h. 1. aus Strabo selbst, welcher nur Quellenmaterial aus der Eegierung des Augustus verarbeitet haben kann, 2. aus tler geographischen Abteilung der Notae

1) Geoyr. IV 3. 2, C. 192: lari di [iio\il>g ttt,i6/.oyoi iTrr/Qcirpijy l'^ojv tüv id'yüv i^r'jKOvra röv KQi&fiOv v.ul tiKÖvse roirtov txciarov jiia . . .

2) Am eingehendsten hat darüber gehandelt E. Des.tardinb, Geographie, historliiue el administralive de la Gaule Romaine II S. 357—501 und IV S. 156—173, 237—242, kurzer Bramiuch, Wiein. Mus. N. F. 23 (1868) S. 268—302, Th. Mommsen, Bmn. Gesch. V ^ S. 80 Aiim. 2 und Monumenta Gcrmaniae, Äuctores antiquissimi IX, ühron. min. 1 S. 552ff., O. HiRsciiFELD, Aquitanien in der Mömerseit, SBer. der Berl. Ak. 1896, XX S. 441f. ; unbrauchbar ist die Arbeit von Mr. S. Muller Hzn., De civitates van Gallie, Amster- dam 1898. Man vgl. meine Rezension in der Deutschen Litteraturzeitung 1900 No. 14 (31. März), Sp. 941 944, wo ich bereits meine im Text entwickelte Auffassung dieser Dinge kurz angedeutet habe.

3) Ann. III 44; vgl. Servius ad Aen. 1285.

332 JE. Korncmann,

'JMronianap,') deren ältester Bestand nach Z.ujgemeister aus der früheren Kaiserzeit,'-) womöglich aus der augustischeu Zeit,-') stammt, 3. ans Plinius.^l für den allerdings erst noch der Nachweis zu liefern ist, dass er auch für die Tres Galliae die agrippisch- augustische Reichsstatistik ausge- schrieben hat. CuNTz nämlich, der sich mit diesem Quellenverhältnis am eingehendsten beschäftigt hat, ist der Aoisicht,') dass zwar die bei Plinius vorhandenen Angaben über privilegierte Gemeinden „meist der Statistik entnommen sind" , dass auch „für die Abgrenzung von Aquitania gegen Lugdunensis die augnstische Ordnung der Provinzen berücksichtigt ist", dass aber im übrigen, vor allem weil die in der Statistik sonst angewendete alphabetische Eeihenfolge nicht eingehalten ist und weil statt der 60 civitates 100 aufgezählt werden, „jede Spui- einer offiziellen Quelle" fehle. Dieses Eesultat der Untersuchungen von Cuntz befriedigt nicht, schon wenn man nm- eine allgemeine Erwägimg anstellt. Darnach soll Plinius, der den Wert der Eeichsstatistik wohl erkannt und diese Erkenntnis dui'ch fleissige Benutzung derselben überall sonst bethätigt hat, auf einmal bei der Beschreibung der Tres Galliae dieselbe liegen gelassen oder, was noch ungeheuerlicher ist, nur einige nebensächliche Angaben daraus ent- nommen, dagegen die eigentlichen Listen hier ausnahmsweise verschmäht haben. Demgegenüber hat schon Detlepsen bemerkt,'') dass wenigstens für Aquitauien eine Benutzung des Agrippa anzunehmen ist. Aquitanien, das Land zv\'ischen den Pyrenäen und der Loii'e, wie es Augustus als eine Provinz errichtet hatte, liestaud aus zwei Teilen, einem keltischen nnd einem iberischen Teile, die im allgemeinen durch die Garonne geschieden wurden. Was zunächst den keltischen Teil betrifft, so ergiebt ein "\'er- gleich des Plinius-) mit Strabo,'") dass beide dieselbe Quelle vor Augen gehabt haben müssen. Strabo hat aus dieser Quelle die Zahl der hier wohnenden keltischen civitates, nämlich 14,") Plinius dagegen die Namen dieser 14 Yolksgemeiuden erhalten. Denn dass die Yellmi nach den Arvemi ausgefallen sind, wie schon der Korrektor des Leydener Kodex gesehen und durch einen Nachtrag am Eand deutlich gemacht hat. ist von Detlefses'") mit Eecht hervorgehoben und von Hibschfeld ") gebilligt

1) Veröflentliclit vou ZixuKMEisrER in (Icn Nencn Ueidelb. Jaliibb. II (1892) S. 1 ff.

2) Zaxgemeister a. a. 0. S. 31.

3) Ebda. S. 36.

4) Hi.stoiia mituralis IV 105—109.

5) Flcckeix. Jaltrbb. für kliiss. Philologie Suppl. Bd. 17 S. 519 f.

6) Biirsia>is Jahresbericht über die Fort-^chrilf'' tlrr l-ln<<x. Allerfiimsuri^.fen.ichaft XI (1877) S. 316.

7) H. N. IV 108. 109.

8) Geogr. IV 2. 1—3, C. 189—191.

9) Ausser IV 2. 1, C. 189 auch IV 1. 1, C. 177.

10) A. a. 0. S. 314.

11) CIL. XIII p. 212, SBer. der Berl. Ak. 1897, LI S. 1104 Aiiin. 2.

Dir, Ziihl (h;r tiaUischen civitatcs in der römischen Kaiaerzcil. 3ii3

\\ ordt'ii. In lieziig- auf die iberischen Stämme zeij?t si(;li dann dasselbe, dass nämlich Strabo wieder die Zahl, wenn auch allerdinj^s diesmal nicht genau (mehr als 20), da sie zum grössten Teil klein und unbekannt seien,') Plinius dagegen dementsprechend die Namen von 29 Völkerschaften iberischer Herkunft augiebt, unter Voranstellung des gemeinsamen Namens Atpdtani , mit dem Zusatz: unde nomen provindae, worauf dann fort- gefahren wird: Sunt autem hi: Boviates,-) u. s. w. Die bei beiden Schrift- stellern zu Grunde liegende Liste war also so angelegt, dass sie die keltischen civitates, 14 an der Zahl, von den iberischen unterschied und die letzteren unter dem Sammelnamen Aquitani zusammenfasste , dann aber die kleinen Gemeinwesen, die unter diesen Sammelbegriff fielen, einzeln aufzählte. Aber ein ^' ergleich von Strabo und Plinius ergiebt noch weiteres über die Anordnung der in der Quelle vorliegenden Liste. Wie der Anfang der plinianischen Aufzählung zeigt {Ambilatri. Anaynutes), begann sie alphabetisch, dann aber ging sie, da Strabo und Plinius im weiteren die ganz gleiche Anordnung zeigen, über zu einer geographischen Ordnung: zuerst werden die am Meer wohnenden Keltenstämme (bei Plinius: Pictones, Santoni, Bttwriges Vivisci, bei Strabo in umgekehrter Eeihenfolge: Biturlges Vivisci, Santoni, Pictones), dann die Aquitani und zwar in zwei Gruppen (bei Plinius getrennt durch die Worte saltus Pyre- naeiis infraque, bei Strabo durch die Worte ra ^iv naQ(uy.iaviTiKä tu öt iiq TijV fxiaöycuuv xal axoa xiüv Ksfxuivwv ÜQiÄJv fnixQi TaxToaäywv ävtyovTct), drittens die binnenländischen Keltenstämuie und zwar zunächst die an der Loü-e entlang wohnenden (Plinius von Norden nach Süden: Bituriges Cubi. Lemovices, Arverni, [ VeTlavi\ Gabales, Strabo wieder in um- gekehrter Eeihenfolge: Vellavi, Arverni, Lemovices, später auch die Bituriges Cubi), dann die an der Südküste der Pro\inz und die Garonne abwärts ansässigen (Plinius von Osten nach Westen: Ruteni, Cadurci, Nitiobroges, Petrocorii, Strabo umgekehrt: Petrocorii, Nitiobroges, Cadurci, dann noch nach den hier dazwischen geschobenen Bituriges Cubi die Ruteni und Gabales) aufgezählt. Abgesehen von dieser umgekehrten Anordnung innerhalb der einzelnen Gruppen ist aber noch ein grosser Unter- schied der strabonischen Liste gegenüber der plinianischen festzulegen. Bei der eigentlichen Aufzählung der civitates giebt Strabo,*) als er an die Aquitani kommt, drei Namen von Gemeinden: die Tarbelli, Convenae und Atisci, von denen er dann im nächsten Paragraphen*) noch bemerkt.

1) IV 2. 1, C. 189: f'cTi äi fd'vi} töiv 'Ay.vitavcbv Ttltta uiv rwr ti'xoai , iiixqu dh y.cil aäo^a tu noV.u. Im Gegensatz zu dieser Vorbemerkung werden in der dann folgenden Aufzählung einzelner Stämme die Tarbelli, Convenae und Ausci besonders namhaft gemacht.

2) So ist der Text hergestellt von Detlefses a. a. O. S. 315.

3) IV 2. 1, C. 190.

4) IV 2. 2, C. 191.

Beiträge z. alten Geschichte 1 2. 22

3

334 E. Kor»rniami,

dass von diesen die Ausci und Conrmae im Besitz des ins Latium g^e- weseu wären. Es zeigt sich also deutlicli, dass man bei Strabo scharf untersclieiden nmss ZA\aschen den allgemeinen ^'oibemerkungen nebst den Zahlangaben in diesen deckt er sich vollkoiiimt'n mit dem, was Plinius giebt und seiner dann folgenden Liste, die duch bemerkenswerte Unterschiede von Plinius zeigt: die erwähnte umgekehrte Ordnung inner- halb der allerdings gleichen Gruppen und die Hervorhebung von drei civitates innerhalb der Gruppe Aquitani. Mir scheint daraus zu folgen, dass Strabo zwei Quellen oder wenigstens zwei Eedaktionen dei'selben Quelle benutzt hat, zunächst die auch bei Plinius zu (Grunde liegende ältere, worin die Aquitani noch eine aus lauter kleinen Völkerschaften zusammengesetzte Masse bildeten, dann eine jüngere, worin aus dei- ]\Iasse der iberischen Völkerschaften mindestens drei, darunter zwei nnt ins Latium ausgestattete civitates herausgehoben waren.

Welches war nun diese offenbar in einer älteren und einer jüngeren Eedaktion vorliegende Quelle? Da sie Strabo schon benutzt hat und zwar in beiden Fassungen, muss sie der augustischen Zeit angehört haben, und da auch eine jüngere Redaktion vorliegt, so muss die ältere Form, die bei Plinius und Strabo noch zu erkennen ist, zum mindesten in die erste Hälfte der augustischen Eegierung gesetzt werden. Eine Quelle aber, die aus dieser Zeit stammt, deren Liste alphabetisch beginnt, ') die die Rechtsstellung der einzelnen civitates anmerkt, kann keine andere als die Reichsstatistik selber sein. Da darin auch die augustische Ab- grenzung Aquitaniens, die vermutlich in den Jahren 16 13 wälu'end des Kaisers Anwesenheit in Gallien geschaffen ^\■urde,-) berücksichtigt ist, so erhalten "\dr damit einen terminus post quem für die Abfassung der Liste in ihrer älteren Gestalt, ^^'alo•scheinlich gleich nach den genannten Jahren ist die Aufstellung, vde sie Plinius vor allem bewahrt hat. gemacht worden, etwas später, aber sicher auch noch unter Augustus. als von den Aquitani die Ausci und Convenae mit dem ins Latium lie- schenkt -^nu-den,") ist die Liste etwas verändert worden, was wii- durch Strabo wissen.

Wenn nun die Reichsstatistik bei Plinius füi' A(iuitanien zu Grunde liegt, so ist dasselbe, solange nicht das Gegenteil bewiesen \\1rd, auch für die Lugdunensis und Belgica anzunfhmen. Die Liste der Lugdunensis^j

1) Auffallend ist allerdings, dass dann die alphabetische Ordnung schon von der gemeinsamen Quelle verlassen worden ist. Aber die alphabetische Anordnung ist in der Reichsstatistik auch anderswo nicht vollkommen durchgeführt; örtliche Gruppierung wenigstens tritt daneben mehrfach entgegen; vgl. Cuntz a. a. O. passim.

2) MoMMSEx, Hermes 15 S. 111, ÄL^rquakot, Eöm. Staatsveni.'. I- S. 2G4.

3) Darüber unten S. 339.

4) Plinius H. N. IV 107.

Dir. ZiiTiJ der iidllisrjiitii rivitatcs hi der ri/Diisrlicii Kaiserznit. 'X\\-t

.nicht "^(i NiUiieii iiiul zwar nach iiilliiiifU (lru|iiH'ii, zmiäclist Kii.stciistiiiniiir. dann {intus autem) Stämme des Hiuueulaudes, von welchen die foederati am Anfang heransgehoben werden {Aedui foederati, Oamuteni foederati), wiilirend die civitates liberae {Meldi, Segusiari) unter den dann folgei\den selt- samerweise zerstreut stehen. Doch scheint auch hier eine Anordnung nach geographischen Prinzipien noch durchzuschimmern, insofern z. B. die Seine- staaten {Meldi, Parisi, Tricasses, also auch alphabetisch geordnet) zusannnen- stehen. Die Liste der Belgica') zeigt im allgemeinen dieselbe Zusammen- stellung, zunächst Küstenstämnie , dann (von introrsus ab) Binnenlands- stämme und zwar a) solche in der eigentlichen Belgica ohne foedus oder libertas {Catosluyi bis Baetasi), b) nach den Eechtsverhältnissen geordnet: liberi (Leuci, Treveri), dann foederati {Linyones, Remi), c) Stämme des südlichen Teils der Provinz ohne foedus oder libertas {Mediomatrici, Sequani, Raurici, Helveti). Im übrigen ähnelt diese Liste der aquitauischen inso- fern, als sie dui'chsetzt ist mit Namen von Völkerschaften, die, wie sich gleich zeigen wird, nicht autonome civitates durch Augustus ge- worden sind.

Um diese aus der Liste auszuscheiden und dadurch die (Tcsamthcit der belgischen civitates des Augustus zu erhalten, müssen wir die (^uellenuntersuchung abbrechen und, soweit schon mijglich, die Teilzahlen zusammenstellen, aus denen sich die bei Strabo erwähnten (30 civitates zusammensetzten. Denn dass diese Zahl auch in der Statistik stand, dürfte nach allem bis jetzt Gesagten über jeden Zweifel erhaben sein. Als Teilzahlen dieser 60 Bezü'ke haben -nir nun sicher nach Strabo für das keltische Aquitanien 14 civitates anzusetzen, für den iberischen Teil ergab sich aus Plinius, dass die Aquitani zunächst ganz offenbar als eine Gruppe zählten.''') Zu diesen 15 a&vtj der Aquitania giebt dann Plinius 26 für die Lugdunensis, so dass wir in Summa 41 civitates für die beiden westlichen Provinzen erhalten. Zu diesem Resultat sind alle anderen Forscher nicht gekommen, weil sie stets fälschlich aus der aquitauischen und lugdunensischen Liste des Plinius je zwei Namen gestrichen haben, aus der aquitauischen die Anibilatri und Anagnutes,'') aus der lugdu-

1) Ebda. 106.

2) Das ist das einzige, was S. Muller richtig erkannt hat {De civitates van Gallie S. 37). Dementsprechend sind die Aquitani auch immer als Gesamtheit, nicht nach Völkerschaften ausgehoben worden; vgl. Mommse.v, Hermes 19 S. 47 f.; Ritterling, Westdeutsche Zeitschrift 16, Korr.-Bl. Sp. 236 ff. ; Cicuorids bei Pauly-Wissowa IV Sp. 241 f.

3) Die Ambilatri möchte Detlefsen ^a. a. 0. S. 313; mit den Ambilareti oder Ambivareti des Caesar (bell. (/all. VII 90. 6) und die Anagnutes mit den von Artemidor bei Steph. Byz. s. v. genannten 'Ayvüirig identifizieren. Das h>tztere dürfte wohl das richtige treffen , zumal auch die Agnotes als am Ozean wohnend bezeichnet werden, vgl. auch A. Holder, Altcelt. Sprachschatz I Sp. 60 und 134. Der Wohnsitz war au l^ays de Hetz unweit der Loire.

22* 5

336 E. Kornemann,

nensischen die Atesui') und Bei.'-) Die Unzulässigkeit dieses EingriHtes wird allein schon, was das keltische Aquitanien betrifft, durch die Zahlen- angabe des Strabo (14) klipp und klar erwiesen, und was die beiden beanstandeten ci'^atates der Lugdunensis angeht, so erscheinen die lini noch im Jalu-e 69 bei Tacitus-') offenbar als eigene Gemeinde.

Umschlossen aber die beiden Provinzen Aquitania und Lugdunensis 41 ci^itates, so bleiben für die Belgica noch 19 Gemeinden, die nunmehr aus Plinius mit Zuhilfenahme des Strabo und der Liste der th-onisclien Noten festzustellen sind. Mit der Angabe des Strabo,*) dass es 15 belgische Stämme gegeben habe, ist deshalb nichts zu machen, weil sie sich deutlich schon durch den Zusammenhang, in dem sie steht, als eine die ethno- graphischen und nicht die politischen Verhältnisse berücksichtigende giebt. Dagegen konuuen ym weiter, wenn wü- zunächst die in den drei Listen gleichmässig auftretenden civitates einmal herausnehmen : das sind alpha- betisch geordnet die Ambiani, Atrebates, Bellovaci, Helvetii, Leuci, Lin- gones, Mediomatrici, Menapü, Xervü, Eemi, Sequani, Suessiones, Treveri, Tungri,=) im ganzen also 14, die sicher augustischen Ursprungs sind.

1) Über sie vgl. A. Holder a. a. O. T Sp. 261 (vielleicht pays de Seez).

2) Westlich von den Hacduern zwischen Loire und AUier mit der Hauptstadt Gorgobina, CIL. XIII p. 401 Anm. 3. A. Holder a. a. 0. Sp. 463 ff. M. Ihm bei Paclt-Wissowa III Sp. 632.

3) Hist. II 61. Die in Militärdiplomen aus dem Anfang des 2. Jahrhunderts ge- nannten Boier scheinen aus dieser Gemeinde zu stammen: Diplom XXXV (XXIV) vom Jahre 107 Z. 28 ein Boitis, dessen Frau eine Sequanerin war, Diplom XXXIX (XXVI) vom J. 114 Z. 20 ebenfalls ein Boiiis. Die verschollene Inschrift Bbambach, CIRh. 1600 = F. Haüg und G. Sixt, Die römischen Inschriften und Bildwerke Würtiemhergs, Stuttgart 1900, S. 229 No. 327, auf der angeblich exploratores Trtboci et Boi gestanden haben soll, ist in ihrer Lesung zu unsicher, als dass ein Schluss daraus gezogen werden könnte, vgl. Haug und Sixt S. 230.

4) Geogr. IV 4. 3, C. 196.

5) Strabo (IV 3. 5, C. 194) hat statt ihrer allerdings die Eburones. Sie sind die bedeutendste Völkerschaft in einer grösseren Gruppe germanischer Herkunft am Nord- abhang der Ardennen (Condrusi, Eburones, Caeroesi, Paemani, Segni, ,q>ii uno nomine Germani appeUantur'^ : Caes. bell. gall. 114.10; dazu IV 6. 4, VI 32. 1 verglichen mit Tacitus, Germania 2 ^ac nunc Tungri, tunc Germani vocati sint''), aber von Caesar be- kanntlich bis zur Vernichtung bekriegt worden (bell. gnll. VI 34 i3). Au deren Stelle treten in der augustischen Ordnung die Tungri. In ihrer nach gallischem Schema ein- gerichteten civitas sind offenbar auch die übrigen ^Germani" des Caesar in Form von pagi aufgegangen. Wenn nämlich auf zwei britannischen Inschriften (CIL. VII 1072. 1073) ein pagus Vellatis und ein pagus Condrustis erscheinen, von deren jedem es heisst : 7nilitans in coh{orte) U Tungr{orum), so dürfen wir wohl in dem pagus Condrustis {= Condroz heute, die Gegend zwischen Lüttich und Namur) die Condrusi des Caesar wiedererkennen; vgl. meine Schrift: Zur Stadtentstehung in den ehemals keltischen und germanischen Ländern des Eömerreiches , Giessen 1898 S. 54 ff. Nicht Recht hat VON DoMAszEwsKi (U'estd. Zcitschr. 19 (1900), Korr.-Blatt Sp. 146/149) mit der Be- hauptung, dass die civitas Tungrorum unter Augustus zu dem germanischen Militär- distrikt gehört habe. Die Anwendung des pes Drusianus ist dafür kein Beweis, da.

Die Zahl der f/aUischen civitates in der römiftrhcn Kaiserzeit. 337

Nun aber liabeii I'liniiis und Strabo die Jloriui nocli {ieiueinsani, die ganz oifenbar in den tironisclien Noten vergessen sind; dagegen führt noch die zuletzt genannte Liste, ebenso wie Pünius, die Tvaurici und Viroinandui auf, die Strabo, der ja keineswefcs Vollständigkeit erstrebt, bei Seite ge- lassen hat: damit bekommen wir 17 civitates für die l^elgica. Als 18. civitas aber ergeben sich leicht die Silvanectes, die zwar T'linius allein hat.') die al)er durch die Angabe ihrer Rechtsstellung (liberi) als Be- standteil der Statistik sich sofort verraten. Folglich bleibt nur noch eine civitas zu suchen, um die Zahl 19 für die Belgica und die Gesamt- summe ()0 für die Tres Galliae voll zu machen. Namen bietet ja die plinianische liste der Belgica noch genug: ich glaube aber, dass weder unter den in die Liste der Belgica eingestreuten Namen, den Texuandri, Britanni , Bassi , Catoshuji, Siiaeuconi , Sunuci, Frisiavo7ies , Bactasi, noch unter den dann folgenden germanischen Stämmen {RJiflnuvi autem accolentes Gei-maniae gentium in eadem provincia . . .), den Nemetes, Triboci, Vaiujiones, Ubü, Curjerni (Hss. Guberni), Batavi, die noch fehlende civitas zu suchen ist. Sicher hatte die Reichsstatistik schon, so gut wie in Aquitanien, dieses Plus von Völkerschaften. Sie diente in der Hauptsache praktischen Zwecken, d. h. der Besteuerung und der Aushebung. AVie die Inschriften der Auxiliar-Truppenkörper zeigen,'^) wurden aber die römischen auxilia sehr stark aus den kriegerischen Völkerschaften dieser keltisch-germanischen (rrenzprovinz rekrutiert, und diese Aushebung geschah hier nicht nur nach cintates,-') sondern auch nach gentes.*) Deshalb sind auch einige nicht zu civitates erhobene Stämme dieser Grenzgebiete in die Reichs- statistik hineingekommen;*) in der A^erwaltung waren sie wohl an

wie D. selbst sagt , Drusus die Schätzung von ganz Gallien leitete. Dass aus der Aushebung nach civitates die Grenzen des Militärdistriktes sich bestimmen Hessen , ist auch nicht richtig; denn dann gehörten auch die Helvetii, Lingones, Menapii, Morini, Nervii, Sequani, d. h. fast die halbe Belgica dazu, vgl. Mommse.n, Hermes 19 S. 48, E. Hi:nNER, Westd. Zeitschr. 3 (1884) S. 290.

1) In den Hss. Vlmanectes.

2) Vgl. Index zu CIL. VII und zu den Militärdiplomen CIL. III Suppl. p. 2024 2028; Cichorius bei Pauly-Wissowa s. v. ala und cohors.

3) Vgl. S. 336 Anm. 5 Ende.

4) Über gentes vgl. Mommsen, Limesblatt No. 24 vom 30. Sept. 1897 S. 660 ff.

5) Von den bei Plinius innerhalb der eigentlichen Belgica genannten Völker- schaften dieser Art kennen wir von folgenden die daraus gebildeten Truppenkörper: cohors I Snnucorum, CIL. VII 142, Militärdiplom XLIII, coh. I Frisiavonum, CIL. VII 178. 214. 21.5, Diplom XXXIV. XLIII, coh. I Baetasiorum, CIL. VII 386. 390. 391. 394. 395, Diplom XXXII. XVIII. Von den Stämmen des Militärsprengeis Germania, die Plinius aufführt, sind uns die Truppenkörper der Vangiones, Ubii, Cugerni, Batavi, Cannene- fates (von diesen alae und cohortes) bekannt, vgl. die Zusammenstellung CIL. III Suppl. p. 2024—2028, auch Mommsex, Hermes 19 S. 48 und 213 f., Cichorius a. a. 0. Stellenweise dienten die Angehörigen dieser Völkerschaften in den Cohorten benachbarter civitates,

gl. E2>h. epigr. III p. 134 No. 103 : Genio hu[i]us loci Texand{ri) et Sunic(i) vex{illatio) über diesen Begriff vgl. von Domaszewski , tl'estd. Zeitschr. 14 S. 45 Anm. 195

338 -£■. Korncmann,

eine der zunächst liegenden Civitäten in der Form von attribuierten Gemeinden oder von pagi ansresi-hlosseu.') Wir müssen daher von all diesen Völkerschaften, die als MUizfonnationen sich ei-weisen, absehen. Ganz deutlich hat Pliuius offenbar in engem Anschluss an seine Quelle die Völkerschaften des Militärspreug-els am Ehein als solche ge- kennzeichnet, indem er am Schlüsse der Liste der Belgica von Germam'ae gentes spricht. Damit übereinstimmend bietet die Liste der tironischen Noten keinen Namen einer Volksgemeiude aus diesem Gebiet.-) Folglich umfasste der Grenzbezü'k Germania so •wenig \\ie anfänglich das iberische Aquitanien eine Anzahl civitates.

Welches aber war die 10. civitas der Belgica V Nach allem Ge- sagten bleibt nur eine Möglichkeit, die durch die Darstellung des Plinius zur Geflissheit erhoben 'vvü'd. Die Germaniae gentes bildeten so gut wie die ^^laVa«/ zunächst ein Ganzes: Germania bezw. dieGermani auf dem linken Kheinufer waren das 60. i'9-vog desStrabo, das 19. der Belgica.'')

Dem Einwand, dass die Germanen in der Ära Ubiorum einen eignen Kultmittelpunkt erhielten, also wohl gar nicht in Lyon vertreten sein könnten, ist entgegenzuhalten, dass der ubische Altar auf alle Fälle nach dem L.voner gegründet worden ist,*) dass also Rücksichten auf Jenen Kultplatz bei der Schatfung des Landtages von Lyon nicht mitgesprochen

cohor(iis) II Nervionim . wozu die S. 306 Anm. 5 erwähnten ^io^i militantes in cohorte II Tungrorum zu vergleichen sind sowie (aus dem dritten Jahrhundert) die Germani cives Tuihanti (heute Twente, der südlichste TeU der Provinz Over-Jjssel, darüber Scqebek bei E. HüBSEB , Westd. Zeitschi: III , 1884 , S. 127) , die im Cuneus Frisiorum dienten : M. Ihm, Bonner Jahibb. 83 (1887) S. 173, Bph. epigr. VII Xo. 1040 und 1041, MoMMSEX. Hermes 19 S. 232 ff. Einzelne cives der in Frage stehenden Völkerschaften, die auf Inschriften vorkommen, z. B. cives Baetasiiis auf einer Mainzer Inschrift (Brambach, CIKh. 981} oder cives Frisiaus auf einer britannischen (CIL. VII 68) lassen keinen Schluss auf autonome civitates Baetasiorum oder Frisiavonum zu; denn dann müsste man aus den cives Tuihanti auch auf eine römische civitas Tuihantorum schliessen. Der Gebrauch von civis ist weitergehend als der von civitas.

1) Ein solches Abhängigsverhältnis war wohl in den Worten des Plinius (V 106): Morini ora Marsacis iunctipago qiü Oiersiacus vocatur berührt. Zeugen dafür sind weiter die pagi militantes in der 2. Cohorte der Tungri (vgl. S. 306 Anm. 5) und das Auftreten der Texnndri und Sunici in einem Truppenkörper der Ner^üer (vorige Anm.). Aller- dings darf nicht verschwiegen werden, dass die Inschrift CIL. VII 1068 auch c'Jves) Baeti milit'^antes) in coh{orte) II Tungr{orum) erwähnt, vgl. im übrigen auch E. Hi b.sek, Westd. Zeitschr. 8 (1884) S. 290.

2) Darüber vgl. Zasgemeister a. a. 0. S. 29.

3' Es hat auch hier wie bei den Aquitanern offenbar ursprünglich eine Aus- hebung nach der Gesamtheit, nicht nach einzelnen Völkerschaften stattgefunden; über die cohortes Germanorum vgl. Cich-rius bei Pauly-Wissowa IV Sp. 292 ff. Gestützt wird die im Text vorgetragene Ansicht weiter durch die S. 31.5 besprochene Summierung der t9vri der Belgica bei Ptolemaeus.

4) Vgl. meine Ausfuhrungen in dieser Zeitschrift Heft I S. 101.

Die Zahl der gaUischcn crvi1atcf< iti der römixrhen Kaiserzeit. 389

Iijitieii kiniiicn. Meiner Aiisielit iiarli sollte der Kult vnn Lvou ein Mittel- imiikt tiir alle \'iilker der Tres (Tiilliae sein: er uinfasste daher die 58 civitates der Kelten in gleieher Weise wie die beiden nichtkeltisclien Bevölkerunoselemente des Landes, die noch nicht nach Civitäten geordneten ihei-ischen Aiiuitaner wie die 'germanischen g-entes der Grenzlande als zwei weitere Einheiten.') Der uLische Altar sollte dann denselben Zweck erfüllen für das neiieroberte rechtsrheinische Germanien: wie das Lyoner Heiligtum war er nicht im Centrum, sondern an der Peripherie seines Bezirkes gelegen: der einzige Kaiserpriester dieses germanischen Altars, den wh- kennen, ist bezeichnenderweise vom Stamme der Cherusker.'-) Der Schlag des Jahrs 9 n. Chr. hat dann die Hoffnungen vernichtet, die man auf den ubischen Altar gesetzt hatte. Aus einer provinzialen Kult- stätte wurde er eine lokale für den reichstreuen Stamm der Ubier, später, seit 50 n. Chr., für die an Stelle dieses Stammes tretende colonia Agrippi- nensis, die das Wort Ära in den offiziellen Namen aufgenommen hat,-^) offenbar weil sie abgesehen von anderen Gründen auch mit Eücksicht auf den Altar so frühzeitig an exponierter Stelle zum Rang einer römischen Bürgerkolonie gekommen war. Die gentes Germaniae sandten aber ab- gesehen von den bevorzugten Ubiern bezw. Agrippinenses auch fernerhin ihren gemeinsamen Delegierten zu dem Heiligtum bei Lyon, dem MitteL pnnkt für das gesamte Gebiet der Tres Galliae.

Die Entwicklung ging nun in der Weise weiter, dass zunächst, wie wir schon Strabo entnahmen, die Aquitani in einzelne civitates zerlegt wurden und zwar anfangs in mindestens drei : die Ausci, Convenae und Tarbelli, von denen die beiden zuerst genannten zugleich mit dem ins Latium ausge- stattet wurden. Diese letztere Angabe macht es so gut wie sicher, dass noch in der Zeit des Augustus diese cintates geschaffen ^\1lrden, da unter Tiberius, der höchstens noch in Betracht käme, solche Verleihungen einer höheren Eechtsstellung kaum vorgekommen sind.*) Somit gab es beim Tode des Augustus nicht 60, sondern schon 62 civitates der Tres Galliae. Wenn dann Tacitns zum Jahi-e 21 n. Chr. von 64 gallischen ci^ätates redet ,5) so nehmen viele Forscher an, dass er die Verhältnisse seiner

1) Anders HmscnFEiD, SBer. der Beil. Ak. 1896 S. 441. Schon die Vereinigung iberischer und keltischer Elemente in der provincia Aquitania zeigt deutlich , dass Augustus die Nationen, die auf dem Boden Galliens zusammensassen, nicht trennen, sondern durch seine proviuziale Organisation aneinander ketten und die nationalen Gegen- sätze überbrücken wollte. Das augustische Prinzip ist klar dargelegt von Strabo XIII 4. 12, C. 629.

2) Tacitus, Annal. I 57.

3) Der offizielle Name der Kolonie lautet; Colonia Claudia Augusta Am Agrip- pinensium, vgl. meine Zusammenstellung der römischen Kolonien bei Paui.y-Wissow.* IV Sp. 543 No. 196.

4} Vgl. HinscHFELi), CIL. XIII ]). 5 f. und p. 57. 5) Annal. Ul 44.

340 E. Korncmann,

Zeit tälsclilicli in die Vergangenheit zurückversetzt habe. Aber ich bin mit i^iiKscHPELD') der Ansicht, dass man diesem Schriftsteller, solange nicht (his Gegenteil bewiesen ist, eine falsche Angabe nicht zuschieben soll. Ks müssen demnach vor dem .lalire 21 , vielleicht ebenfalls schon unter Augustus,'-) noch zwei weitere aquitanische civitates gebildet worden sein und zwar hat Hirschpeld mit Heranziehung des Ptolemäus wahr- scheinlich gemacht,'') dass dies die Elusates und Vasates waren. Dann setzen sich die 64 civitates des Tacitus folgendermassen zusammen:

1. .Aquitanien: a) keltische civitates 14 |

b) iberische .. .j '

2. Lugdunensis 26

3. Belgica: a) der eigentlichen B. 18 \

b) Germani 1 /

in Summa 64. Die gleiche Gesamtzahl 64 ist auch für das Ende des 1. oder den Anfang des 2. Jalirhunderts anzunehmen, in welcher Zeit die von Ptole- mäus^) ausgeschriebene Liste hergestellt worden ist;'^) nur sind infolge eingetretener kleiner Veränderungen die Teilzahlen andere geworden. In Aquitauien sind zwei der keltischen civitates (die Ambilatri und Anag- nutes) offenbar infolge von Attribution an benachbarte grössere Gemeinden verschwunden, ebenso in der Lugdunensis zwei (Atesui und Boi); dafür ist aber in der letzteren Pro^dnz eine neue civitas (Ai'vü oder Arubii) erstanden, die wir zum ersten Mal durch Ptolemäus") kennen lernen.') Die grössten Veränderungen aber sind in der Belgica vor sich gegangen: in der flavischen Zeit sind nicht nur, wie bekannt, an Stelle des Heeres- bezirks Germania die beiden Proiinzen Germania superior und Germania inferior (vor dem Jahre 90) ^) getreten , sondern es ist auch in der ge- nannten Zeit die Gemeindeorganisation nach civitates in dem Bezirk bezw. den neuen Provinzen eingeführt worden;'-') mit anderen Worten es geschah in der flavischen Zeit mit den Germani dasselbe, was schon in

1) SBer. der Ecrl. Ak. 1896 S. 441 Aum. 5.

2) Strabo sagt aucb IV 2. 2, C. 191: ätääy.aci dt Accrwv 'Pa^udoi xcd räv 'Ay.vi- TKi'äj)' Tiei, xa&clTti Q AvOKiOig xai Ktomsvaig.

3) A. a. O. S. 438 f., CIL. XIII p. 72 und 75.

4) II 7—9.

5) VON DoMAszKwsKi. Vcstd. Zcitsclir. 19 (1900), Korr.-Blatt Sp. 148.

6) II 8. 7, S. 218 in der Ausgabe von C. Müller.

7) Über sie M. Ihm bei Pauly-Wissowa II Sp. 1490. A. Holder, Altceltischer Sprachschatz I Sp. 229 u. 244, CIL. XIII p. 490 f. Sie waren ein kleines Volk zwischen den Aulerci Diablintes und den Veliocasses mit dem Hauptort Vagoritum.

8) So richtig A. Riese, Westd. Zeitschr. 14 (1895), Korr.-Blatt No. 7 Sp. 146—160.

9) Zur Stadtentstehung S. 60 ft".

10

Die Zahl der f/aUiseheti eivitates in der römischen Kaiserzeit. 341

der zweiten Hälfte der aug-ustisohen Regierung mit den iberischen Aquitani geschehen war: es wurde an Stelle der gentilen Ordnung diejenige nach eivitates, autonomen Volksgemeinden, gesetzt, und zwar waren es, wie die Liste des Ptolemäus zeigt, zunächst 4 eivitates, die in flavischer Zeit auf germanischem Boden begründet wurden (Batavi, Xemetes, Triboci, ^■angiones). Ausserdem wurden die Raurici aus der Belgica nach Ger- mania superior herübergeuommen. so dass die Liste der gallischen eivitates am Ende des ersten Jalu-hunderts , wie sie uns durch Ptolemäus über- liefert ist, folgende Teilzalüen zeigt:

\. Aciuitanien: a) keltische eivitates 14 2 = 12 i .- b) iberische = 5 '

2. Lugduuensis : 26 2 + 1 = 25

3. Belgica: a) der eigentlichen Belgica ^^ I 09

b) der beiden Germanien h^

in Summa wiederum 64 eivitates. Diese Zahl hat dann im Laufe des 2. Jahrhunderts von der Regierung Trajans ab eine starke VergTösserung erfahren, nicht allerdings in der Mittelprovinz, wo vielmehr die Verhältnisse oiJenbar stabil geblieben sind, sondern in Aquitanien und in der Belgica. Die Zahl der aqnitanischen eivitates hat sich in dem genannten Zeitraum von 5 auf 9 erhöht: denn im Anfang des dritten Jakrhunderts schon hat, wenn Hirschfeld jetzt die luschi-ift von Hasparren (Basses-Pyi'enes) richtig datiert, ') die Bezeichnung der iberischen Aqiütaner als novem populi bezw. als Novempopulana statt- gefunden. Von den neu geschaffenen eivitates hat derselbe Forscher sicher festgestellt: 2) die Consoranni, „die vorher ohne Zweifel zu den Con- venae gehörten" und die Boiates, „die den Bitimges Vivisci angehört haben werden"; ^^■ahrscheinIich ist es ihm von den IliU'onenses und Lactorates. Die Gesamtzahl der aqnitanischen eivitates ist damit auf 21 (12 + 9) gestiegen. Eine noch stärkere VergTösserung ist in den beiden Germanien eingetreten. Hier hat schon Trajan das Werk der Fla^•ier in gi-ossem Maasstab fortgesetzt. Wenn wir mit Germania inferior beginnen, so sehen ^vir allerdings betreffs der Bataver nicht ganz klar. Dieselben hat, ■wie oben bemerkt, schon die Quelle des Ptolemäus als civitas aufgeführt, aber, wie es scheint, als solche nur die am Meer wohnenden, die Lugu- dunum Batavorum (Leyden) als Vorort hatten,'^) während davon getrennt an einer zw'eiten Stelle*) die im Binneiüand wohnenden mit dem Haupt- ort Batavodurum genannt werden. Es ist sicher, dass diese letzteren erst von Trajan mit No^^omag•us an der Spitze (Nimwegen, vielleicht

1) A. a. 0. S. 4:^7.

2) S. 439.

3) Erwähnt bei Ptolemäus II 'J. 1.

4) Ebda. 9. 8.

11

342 E. Kornemann,

identisch mit Batavodm-um)') oroauisiert wurden-), wobei es dahin gestellt bleiben niuss, ob eine zweite civitas der Bataver geschaften wurde, oder ob die schon bestehende nur vergi-össert und mit zwei capita versehen wurde, Avie die Voeontiergemeinde in der Narbonensis.^) Weiter hat dann Trajan aus den f'ugerni und den Baetasii die civitas Traiauensis gebildet, deren Vorort die colonia Ulpia Traiana in der Nähe von Castra vetera war.'') Eine noch grössere Thätigkeit als in Untergermanien entfaltete Trajan in Obergermanien und z^ar hiei- jenseits des Rheins. Eutrop sagt von ihm:^) urbes (d. i. in der Sprache seiner Zeit ^ dvifates) trans Rhenum in Germania restituit.^) Sicher ist eine Schöpfung dieses Kaisers, wie der Beiname zeigt, die civitas Ulpia Sueborum Mcretum, die Gemeinde der NeckarsehAvaben, mit Lopodunum (Ladenburg) als Vorort.^) In trajanischer, spätestens in hadiianischer Zeit sind in der badischen Eheinebene und im Neckargebiet weiter geschaffen worden: die civitas Aquensis oder besser Aquensium")

1) Vgl. C. MrLLERS Ptolemäusausgabe I S. 226 im Kommentar zu der Stello.

2'' Das crgiebt sich aus der Bezeichnung Uljiia Noviomagus; die Volksgemeinde hiess entsprechend c{ivitas) U{lpia) T(raianensi$) (Batavorum'j : Brambach. CIRh. 10 und 82.

3) Mit den capita Vasio und Lucus Augusti: Plinius H. N. III 37.

4) Bonner Yotivara vom J. 160: J. Kleix, Bonner Jahrbh. 80 S. 150ff., vgl. n'estd. Zeitschr. 5 (1886), Korr.-Blatt Xo. 1 Sp. 11/2 und CIL. VI 3296. Die Kolonie ist nicht aus den canabae von Castra vetera hervorgegangen, wie allein Bergk, Il'cs/rf. Zeitschr. 1 (1882; S. 505 gesehen hat. Ausschlaggebend ist, dass im Itinerarium Antonini (p. 176 ed. Pakthev^ zwei Strassenstationen für Kolonie und Lager angegeben sind, was bei den aus canabae hervorgegangenen Ortschaften nie der Fall ist. Die Kolonie war, wie ich schon an anderer Stelle (Zur StadtenUtehung S. 61 gezeigt habe, aus dem Volksverband nicht eximiert. Wie es scheint, ist mit civitas Traianensis der britannischen Inschrift CIL. VII 924 die Volksgemeinde bezeichnet , deren Vorort die Kolonie bildete, vgl. auch Brambach, CIEh. 213 aus der Nähe von Sauten: d{ecwio) c{ivitatis) VQpiae) T(raianensis) und mit cives Traianenses bei Obei.li 2003 die Bürger der Volksgemeinde. Bemerkenswert ist auch, dass in dem Militärdiplom XXXI I a. d. Jahre 103 die coh{ors) I Ctigernorum, dagegen im Diplom XLIII a. d. J. 124 die I llpia Traiana Cuger(^noriim) e{iviuin) Miomanoritm) genannt wird. Die Cugerni waren oft'enbar die Völkerschaft, die zur civitas erhoben wurde, und deren Vorort den Titel und Rang einer colonia civium Romanorum erhielt. Daneben müssen die Baetasii in irgend einer Beziehung zu der neuen Gemeinde gestanden haben, wenn nicht in- korporiert, so doch attribuiert gewesen sein, da mehrfach Traianenses Baetasii er- wähnt werden, vgl. Zaxgemeister, JN>mc Heidelb. Jnhrhb. 11 S. 29 und V S. 50.

5) VIII 2.

6) Über restituit vgl. Zasgemeister, Neue Heidelb. Jahrbb. 111 S. 6.

7) Zasgemeister a. a. O. S. 1—8 hat die Buchstaben S. X. der Inschriften zum ersten Mal richtig erklärt, wodurch alle früheren Deutungsversuche (Christ, Bonner .Jahrbb. 61 S. lOff.; 64 S. 62ff.; Baumaxx, U'cstd. Zeitschr. 3, 1884, Korr.-Blatt No. 1 Sp. 3—6; Mommse.n, Eöm. Gesch. V^ S. 146 Anm. 1) als erledigt zu betrachten sind.

8) F. Haug und Gr. Sixt, Die römischen Inschriften und Bildtverke Württembergs S. 218 No. 315, Votivstein eines decurio der civitas Aquensis, 1898 zu Dürrmenz, Ober- amt Maulbronn, gefunden. Die Inschrift gehört etwa dem 2. Jahrhundert an. Von CaracaUa, der gern hier weilte, erhielt die Gemeinde den Beinamen Aurelia. Bei

12

Die Zahl der <jallisclien civitates in der römiftchen Kaii^crzcif. 343

mit Aqiiae. dem lieutigeu Badeu-Badeu, als Vorort, die civitas Alisinensis oder Alisiiiensiiiiu,') deren eaput wolil das heuti?:e Winipfen war,'-) nöi-d- licli des Mains die civitas IMattiacorunv') mit Aqnae Mattiacae (AMeshaden), sowie die civitas 'i''auneusiiim''J. mit dem vicus novus von Heddernheim an der Spitze. Spätestens im Anfang des di-itten Jalirluinderts ist aucli der ursprünglich als Staatsdomäne*) begründete 'IVil des Decumatenlandes um Sumelocenna, das heutige Kottenburg a Neckar, herum zur civitas Sumelocennensis") geworden. Damit ist unsere Kenntnis von diesen transrhenanischen civitates, sicher aber noch nicht die wirkliche Liste derselben zu Ende. Jlan vernmtet neuerdings mit Recht, dass vielleicht Friedberg i/Hessen nicht zur Gemeinde der Taunenses gehört hat, sondern der Vorort emer eignen civitas war. deren Namen wir noch nicht kennen.')

BuAMBÄcii, CIRh. 1663 (vom J. 197) und 1962 (v. J. 213) fehlt Aurelia noch, dagegen auf den Meilensteinen ebda. 1956 1968 steht civitas Aurelia Aqnensis.

1) BRAMnACH, CIRh. 1593 = Haug und Sixt a. a. 0. S. 265 No. 364 aus Bonfeld, Oberamt Heilbronn, Basis zu der Statue eines Genius der civitas Alisinensis. Viel- leicht bezieht sich auf dieselbe civitas die Inschrift bei Haug und Sixt S. 292 No. 387 aus Neuenstadt, Oberamt Neckarsulm, wo die Rede ist von einem deciurio) c(ivitutis) A. G. Der Name der civitas erinnert an die Flussnamen Elz und Elsenz, A. Meitzen, Siedelung rmd Agrarwesen I S. 393. „Doch ist die Ableitung von einem dieser beiden Namen nicht sicher' : Haüo und Sixt a. a. 0. S. 266.

2) Das ist die Ansicht von Schdmacher nach brieflicher Mitteilung an mich, vgl. auch Beilage zur Mi'mchener Älhj. Zeitung 1899 No. 4 und Deutsche Litt. Zeitung 1899 No. 5 Sp. 192. Die Ummauerung des vicus von Wimpfen (vgl. unten Anm. 7) ist von diesem Forscher nachgewiesen und ihre Entstehung in die erste Hälfte des 2. Jahr- hunderts gesetzt worden: von Sarwev-Hettnek , Der Obergermanisch-Raetisclie Limes, Lieferung 13 (1900) No. 54/5 S. 4ff.

3) Der älteste Meilenstein von Kastei, der ab Aqitis Mattiacorum zählt, stammt aus dem Jahre 122 n. Chr.; Kmriser, U'estd. Zeitschi: 15 (1896), Korr.-Blatt No. 10/1 Sp. 196.

4) Die Orts-Befestigung von Heddernheim .setzt Won f in hadrianische Zeit, Mit- teilungen über römische Funde in Heddernheim II (1898) S. 66.

5) Brambach, CIRh. 1638 = Haug und Sixt a. a. 0. S. 84 No. 117: ex decreto ordinis .■'altus Sumeloeennensis, We.^td. Zeitschr. 5 (1886), Korr.-Blatt T^o. 11 Sp. 260— 262: (TiirQOTCog zmpKS [.SjofitXoüfj'j'TjciKg y.ai [i'TiJfpXifiirKj'rjf.

6) Bramuach 1629 = Haüg und Sixt S. 87 No. 118: jjro iiiventiite c(ivitatis) Snm{clocennensu) , Bramuach 1581 = Haug und Sixt S. 140 No. 184 (aus Köngen): deeu(rio) [c\ivi{tati.s) Suma(locennensis) , die Mainzer Inschrift Brambach 1034 aus dem Jahre 231 n. Chr. erwähnt cives Sumeln{cennenses); dazu kommen dann die neuen In- schriften von Köngen, U'estd. Zeitschr. 19 (1900), Korr.-Blatt No. 3 Sp. 33f. = Haug und Sixt S. 383 ff. No. 497—499.

7) Die im Juni 1899 in Friedberg i/H. gefundene Votivinschrift für Herkules {Westd. Zeitschr. 18, 1899, Korr.-Blatt No. 7/8 Sp. 116 ff.) ist von einem d{eeurio) c{ivitatis) . . . gesetzt. Der Name der Gemeinde ist leider nicht erhalten. Aber wegen des für die fehlenden Buchstaben zur Verfügung stehenden Raumes kann es sich nach Zangemeistee nicht um die civitas Taunensium handeln. Da die Vororte von civitates im rechtsrheinischen Germanien stets ummauert sind, wie das Beispiel von Ladenburg,

13

344 E. Kornemann,

Und so geht es auch wohl mit anderen. ') Wir dürfen also wolil die Zahl von 7 neuen Gemeinden in Germanien seit Trajans Eegierungsantritt nur als eine Minimalzahl fassen und daher auch nur sagen, dass Belgica mit den beiden Germanien im Anfang des ■\. Jahi-hunderts mindestens 29 ci\atates gehabt hat, so dass nuumelir die Gesamtzahl der gallischen Gemeinden, wenn wir die Zahl der Lugdunensis (2-")) als unverändert an- nehmen . ii b e r 75 betragen haben muss , mit den 4 römischen Biirger- kolouien (Lugudunum, colonia Equestris. Augusta Eauricorum. colouia Agrippinensis) sicher über SO Gemeinwesen.

Seit der llitte des 3. Jahrhunderts geht die Zahl dann zurück schon des- wegen, weil nun das rechtsrheinische Land aufgegeben werden musste.-) In der Notitia Galliarum,^ die rund um 400 verfasst ist, begegnet keine einzige transrhenamsche civitas melir. Dass die Gesamtzahl der Gemeinden aber immer noch 78 beträgt, wii'd einmal dadui'ch bewii-kt, dass eine ganze Auzalü Civitäten im Innern des Landes, namentlich seit Diokletian, in zwei zerlegt, also verkleinert worden ist, und dass andererseits die Kolonien, wenigstens di'ei davon, ^) unter den civitates nunmehr mit- gezählt worden sind.

Wimpfen und Heddernheim zeigt, so sind jetzt planmässige Nachforschungen nach dem Vorhandensein einer Befestigungsmauer in Friedberg angeregt worden, darüber Westd. Zeitschi: 20 (1901), Korr.-BI^tt No. 5 6 Sp. 76.

1) Die civitas Auderiensium der leider verschollenen, aber nicht schlecht über- lieferten Mainzer Inschrift (Brambach, CIRh. 1088} kehrt vielleicht wieder auf dem A'iergötterstein von Heddernheim aus d. Jahre 241: Lehxek, ^l'estd. Zeitschr. 18, 1899, Korr.-Blatt Xo. 6 Sp. 98 C Ein ebda. Sp. 100 f. veröffentlichter Viergötterstein aus Liederbach bei Höchst giebt einen dec{nrio) c(witatis) itlV. Die civitas A. G. der Inschrift Halg und Sixt No. 387 (s. S. 343 Anm. 1) kann auch verschieden von der civitas Alisinensis sein. Ebenda No. 864 hat ausser der civitas Alisinensis auch noch die Sigel D. C. S. T. = d{ecurio) c(ivitMis) S. T. . von Herzog (Bonner Jahrhh. 102 S. 96) aufgelöst durch Syuehorum) T{putonorum)\ eine andere Erklärung in meiner Schrift Zur Stadt entstehung S. 64. In Untergermanien haben möglicher- weise die Friesen einmal eine civitas gebildet. CIL. VII 427 ist sicher nicht ex c{ivitate) Fris{iavonum) , sondern vielleicht ex c^ivitate^ Fris(iormn} zu ergänzen, vgl. auch den S. 337 Anm. 5 erwähnten cuneiis Frisiorum. Dazu kommt das 1888 bei dem ungefähr 8 km. nordwestlich von Leeuwarden in Friesland gelegenen Dorf Beetgum gefundene Votivdenkmal , welches der Dea Hludana die conductores piscatus etwa in flavischer oder trajanischer Zeit gesetzt haben: Zangemeistek, il'estd. Zeitschr. 8 (1889), Korr.-Blatt No. 1 Sp. 2 12. Man ist geneigt sich diese societas conductorum in einer römisch geordneten civitas arbeiten zu denken.

2) Kurz nach 250 n. Chr.; darüber hat auf Grund des numismatischen Materials der Gegend aus dem 3. Jahrhundert sorgfältig gehandelt F. Qdillisg, Mitteilungen über römische Funde in Heddernheim HL (1900) S. 82 ff.

3) Beste Ausgabe die von Mommsex, Monumenta Germaniae, Auctorcs antiquis-^imi IX, Cliron. min. I S. 552 ff. ; vgl. auch Ammianus Marc. XV 11, darüber Mommsex, Hermes 16, 1881, S. 610 ff.

4) Augusta Eauricorum, Äugst, ist im 4. Jahrhundert zu einem eastrum herab gesunken. Es bleiben noch Lugudunum, Noviodumtm und die col. Agrippinensis.

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Die Zahl der (/(lUischcn civifatcs in der römischen Kaiacrzeit. ' 345

Schlicssliili hlciht imcli die Fras'e zu beantworten, ob jeweils alle civitates auf driii cdui-iliuni Iriuiii (ialliaruiu in Lyon vertreten waren. Denn nur von den M (Icmcinden der augustischen Zeit ist dies direkt durcli Strabo bezeug!, I'iir alle späteren Zahlen ist es uns uiclit be- richtet, worauf HiRseiiKEi.u mit Kecht hingewiesen hat.') Idi glaube, dass man zunächst an der Zahl 60 als Summe der Teilnehmer an dem L}-ouer Kaiseikult festgehalten hat. Abgesehen von der allge- meinen Erwägung, dass man in sakralen Dingen konservativer ist als sonst, führt mich darauf eine Angabe des Ptolemäus. Riesk hat Jiämlich darauf aufmerksam gemacht,'-) dass bei diesem Schriftsteller (uml zwar in CPRa) am Schlüsse der Darstellung von Gallia Belgica zu lesen steht: ö^iov i'&v7] l&, und dass diese Zahl nur dann stimmt, wenn man nach den zunächst aufgezählten vierzehn belgischen Stämmen (bis zu den Leuci eingeschlossen) noch Germania inferior, Germania superior, die Lingones, Helvetii. Sequaui als fünf Einheiten zählt, das sind 17 keltische + 2 germanische Bezirke =19 Sd^v}]. Dies ist aber die ursprüngliche Ge- samtzahl von civitates für die Belgica, wie wir sie für die augustische Zeit festgestellt hatten: nur die Zusammensetzung hat sich geändert. Ähnliches beobachten wir im Anfang des ersten Jahrhunderts für Aqui- tanieu. Hier war die Grundzahl 15 (ursprünglich 14 keltische + das iberische Aquitanien). Auch hier ist wohl an dieser Gesamtzahl lange festgehalten worden und es bleibt nur zweifelhaft, bis wann die Summierung 14+1 bestanden hat, bezw. wann dafür 12 (keltische) +3 (iberische) getreten ist. Wichtig aber ist, dass die Gleichung 14 + 1 = 12 + 3 besteht, woraus hervorgeht, dass auf alle Fälle auch hier die Gesamtzahl 15 zunächst erhalten geblieben ist. Als dann schliesslich fünf iberische civitates zur Beteiligung am Lj'oner Landtag gelangten, sind noch zwei weitere keltische civitates eingegangen: nämlich zwei in der Lugdunensis (Atesui und Boi), so dass am Ende des ersten Jahrhunderts n. Chr. vor der Entstehung der bei Ptolemäus zum ersten Mal auftauchenden Aivü oder Arubii die 60 civitates, deren Deputierte nach Lugdunum kamen, sich auf die 3 Provinzen folgendermassen verteilten:

A(iuitanien 17

Lugdunensis 24

Belgica 19

60. Die Neuschaffung der germanischen civitates hat dann, wie wir eben sahen, die Gesamtzahl der in Lyon vertretenen belgischen civitates (17 keltische + 2 germanische Deputierte) nicht verändert. Durch das Hinzu- kommen der Arvii oder Arubii in der Lugdunensis ist aber ^^elleicht die

1) SBer. der Berl. Ak. 1896 S. 441 Anm. 5.

2) Westd. Zcitschr. 12 (1893), Korr.-Blatt No. 7 Sp. 150.

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ß4() - E. Knruf'wrnui.

Zahl GO verlassen imd auf (iL erliülit worden. Jedoch das Fehlen der Coriosolites bei Ptolemäiis*) kann sehr wohl auch dadurch erklärt werden, dass mit der Erhebung der Ar^öi zu einer in Lyon vertretenen civitas die Coriosolites das Recht einen Deputierten zu senden verloren haben. Dann ist die Summierung aus den obigen Teilzahlen auch im Anfang des 2. Jahrhunderts noch in (Teltung geblieben. Ob und wie lange dann noch an der Zahl von 60 Deputierten zum concilium von Lj^on festgehalten worden ist, wird sich schwer feststellen lassen. Die Aveitere Vergrösseruug der Zahl der civitates erfolgte zunächst, wie wir sahen, im iberischen Aquitanien und in den beiden Germanien. Der Umstand, dass in dem letzteren Gebiet die Vertretung nach Provinzen geordnet war, brachte es mit sich, dass in der Belgica keine Versuche gemacht wurden, mehr Deputierte nach Lyon zu senden. Dagegen in Aquitanien. wo die Be- teiligung nach civitates Eingang gefunden hatte, musste die Erhöhung der Zahl der Gemeinden von 5 auf 9 auch ein Streben nach einer ent- sprechenden Zahl von Deputierten in Lyon hervorrufen. Vielleicht weil dieser "Wunsch nicht erfiUlt wui'de, hat die Xovempopulaua im An- fang des dritten Jahrhunderts um Trennung von dem keltischen Gallien petitioniert, und diese Trennung ist dann wohl nicht nur „in iiscaler imd militärischer Hinsicht",-) sondern, wie ich vermute, auch in sakraler Hinsicht erfolgt: die novem populi treten ans dem Kaiserkult und dem Landtag von Lyon aus.-') Dieser ging dadurch auf höchstens 56 beteiligte Gemeinden ziuiick, die aber wohl schnell aus den eigentlich keltischen (^rebieten wieder ersetzt wurden, vielleicht dadiuxii, dass damals schon im keltischen Aquitanien die zwei in der Notitia zuerst uns entgegen- tretenden civitates (Albigenses = Albi, Ecolisnenses = Angouleme) neu gebildet wurden und andererseits von den 4 coloniae civiuni Eomanorum wenigstens die zwei ausserhalb der beiden Germanien liegenden (Lugudununi und Xoviodunum als civitas Lugudunensium und civitas Equestrium^j

1) Darüber Hirschfeld, CIL. XUI p. 490 f.

2) So Hirschfeld, SBet: der Beil. Ak. 1896 S. 437.

3) Wie und wo der besondere Kult und Landtag der Novempopulana organisiert wurde, wissen wir nicht. Der Ansieht Mommsexs (zu CIL. V 875, vgl. Rom. Gesch. V S. 88 Anm. 2), dass die administrative Absonderung des Bezirks Lactora unter Traian (CIL. V 875 aus dem Jahre 105 : ein 2>l'Ocurat(or) provincianim Liirjuduniensis et Aqiti- tanicae item Lactorae) gewissermasseu das A'orspiel zu der später eingetretenen Trennung der Novempopulana von dem keltischen Aquitanien bildete, vermag Hmscn- FELD (a. a. O. S. 439 ff.) nicht mehr zu folgen. „Von einem provinzialen Kaiserkult, wie er in Lugudunum und fast allen Provinzialcentren ausgeübt worden ist, oder auch nur von einer Mitwirkung anderer Gemeinden Aquitaniens ist in Lactora keine Spur vorhanden."

4) So werden beide in der Notitia Galliarum genannt; die civitas Equestrium erscheint auch schon auf der Inschrift Mommsen, Inscr. Helv. 115 (für Elagabal v. Jahre 218). Wenn dieser Forscher aber meint (Eöm. Gesch. V S. 79 Anm. 1), dass demnach die colonia Equestris später wieder unter die Gaue, d. h. die Volksgemeinden

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Die ZnliJ iJcr <j<illif!chcn civHaleK in tlrr römixrlirn K<iificr~(it. '.\\1

iKicli (lei- o-rossi'ii Hiirg'erreclitsvfrleiliuiig' diircli Caraciilla an (lein Iviilt als .selbstiimlige Bezirke teiliialniieu. interessant ist scliliesslich nodi der Hinweis darauf, dass in der Notitia die Summe der civitates der elKMualisen Tres (:ialliae mit Ausschluss derjenigen der Novempopulana und der beiden Germanien gwade (iO (11 + 2t) + 20) beträgt. Das tiilirt zu der Vermutung, dass ebenso wie die Novempopulana au(;h die beiden (iermanien aus dem Landtag von Lyon ausgetreten sind,') und dass dieses ciniciliiun schliesslich ein rein keltisclies Institut war. Damit liäugt wohl auch die Abgrenzung der beiden Uermauieu in der späteren Kaiserzeit zusammen : die civitas der Tungrer wird der (xermania inferior einverleibt, die an Stelle der Raurici getretene civitas Basiliensium weist die Notitia wieder der Belgica zu, wie es einst vor der Begründung der beiden Grenzi>rüvinzeu gewesen war. Es ist das eine Verteilung nach ethnographischen Rücksichten: die Raurici bezw. Basilienses waren eine keltische Gemeinde, die Tungri dagegen „haben sich die ganze Kaiserzeit als Germanen gefühlt".-) von Domaszewski hat, gestützt auf eine neue Inschrift aus Gigen (Bulgarien), darzuthun ^•ersucht,^) dass die Her Überziehung der Tungri nach Germania inferior in den Anfang des dritten Jahrhunderts gehört und dabei den richtigen Satz ausgesprochen : „Die Wiedervereinigung der Tungri mit Germanien entspräche nur der Reichspolitik des Septimius Severus, der in den Provinzen überall die nationalen Grundlagen zum Schaden des römischen Wesens neubelebte."*) Kombinieren wir die drei Thatsachen: die Lostrennung der iberischen Novempopulana, die Xeubegrenzung der zwei Germanien nach nationalen Gesichtspunkten beides im Anfang des dritten Jahrhunderts , endlich die Thatsache, dass noch die Notitia gerade tiO r e i n k e 1 1 i s c h e civitates aufweist, so gelingt es uns dadurch wohl bis zu einem gewissen Grad wahrscheinlich zu machen, dass Septimius Severus der Reformator des Kaiserkultes und des concilium von Lugudunum war, dass er, nicht sclion Augustus, wie Hikschpeld meint, ^) hier einen „Ceutralpunkt der keltischen Nation" schuf. Er hat zum ersten Mal 60 ci\itates nur keltischer Herkunft in Lj'on versammelt, und diese Zahl 60'') hat

eingereiht worden sei, so vergisst er, dass civitas auch von jeder Stadtgeraeinde ge- braucht werden kann.

1) Die beiden Germanien oder wenigstens Untergermanieu erhielten vielleicht wieder als Kultmittelpunkt die ara von Köln.

2) VON Domaszewski, Westd. Zeitschi: 19 (1900), Korr.-Blatt No. 7 Sp. 149; vgl. auch oben S. 336 Anm .5.

3) A. a. 0. Sp. 146—149.

4) Sp. 149.

5) SBer. der Berl. Ale. 1896 S. 441, siehe oben S. 339 Anm. 1.

6) Nachträglich noch Folgendes zu der Zahl 60. Die Normierung der an dem Kaiserkult teilnehmenden Bezirke auf 60 und das starre Festhalten an dieser Zahl fuhrt zu der Vermutung, die auch von anderer Seite schon ausgesprochen worden ist, dass

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H48 E. Korncmami, Die Zahl d. (jdlli.ichen civitatcs in d. röm. Kaiscrzc.it.

sicli . wie uns die Notitia zeig'te, wenn aucli aus anderen Xanien zu- sammengesetzt — nocli l)is zum Ende des 4. .lalirlninderts erlialten.

es sich bei der Lyoiier Kultgrüiiduug, dieser ersten von Staatswegen im Oeeident, um Anknüpfung an eine vorrömische sakrale Institution der Kelten handelt, beider die Zahl 60 schon eine Rolle gespielt hatte, etwa an das alte Druidenkonzil von Autrieum (Chartres, vgl. C'aes. bell. gall. VI 13), das durch den Lyoner Landtag verdrängt wurdi» (Jung, Rmnan. Landschaften S. 224). Herrn Lehmann verdanke ich den Hinweis darauf, dass die Zahl 60 ihre uralte, aus Babylonieu stammende GrundzahlqualitKt wie unter den meisten indogermanischen Völkern so auch, und zwar besonders deutlich, bei den Kelten bewahrt hat (Jon. Schmidt, Die Urlieimal der Indogennanen und das europäische ZaMen- aystem in Abhandlungen der Berliner Akad. 1890, S. 40 f., O. Schrader, Beallexikon der indogerman. Altertumskunde, Strassburg 1901, S. 969). Möglich ist, dass dieser aus einer das altindogermanische Dezimalsystem durchkreuzender Rechnungsweise stammeu- den Zahl ein sakraler Charakter innewohnte, wie ja auch bekanntlich zwei in dieses duodezimale bezw. sexagesimale System sich einfügenden Zahlen , die ,3" und die ,9' bei den Indogermanen heilig sind (0. Schrader a. a. 0. S. 970 f.). Augustus hat dann für die Konstituierung der Provinzen Tres Galliae bei der ersten Abgrenzung der Bezirke , sowie bei der Festsetzung der Vertreter für den Lyoner Landtag die alte heilige Zahl respektiert. Doch geschah das nur äusserlich; denn durch die Hinzu- nahme der Iberer von Aquitanien und der Germanen vom linken Rheinufer zu den 58 keltischen civitates wurde die ehemals ethnographische Gliederung in 60 Einheiten mit 60 Vertretern zu einer politischen. An die Stelle der Keltennation trat der römische Provinzenkomplex Tres Galliae. Wie so oft, haben auch hier die Römer nur die Form gewahrt und in diese aus Gründen der Politik einen neuen Inhalt gegossen, der die vorgefundene Sache in ihr Gegenteil verkehrte. Der selbst aus der Provinz stammenden Severer-Dynastie fehlte hierfür das Verständnis. Durch sie hat, wenn anders diese Aufstellungen das richtige treffen, die heilige Zahl wieder ihren alten Wert bekommen, indem wieder 60 Vertreter reinkeltischer Abkunft wie einst in vor- römischer Zeit zu dem gemeinsamen allerdings jetzt römischen Kult zusammen- kamen.

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349

Die astronomischen Kenntnisse der Babylonier und ihre kulturhistorische Bedeutung.

Von F. K. Giuzel.

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Der mutmassliche Eiitwickelungsijaiig der babylonischen Astronomie.

Nachdem wir in den beiden fi'ülieren Aufsätzen eine zusammen- fassende Darstellung des astronomisclien Wissens der Babjdonier gegeben liaben. soweit dieses Wissen bis jetzt durch die Forschung aufgedeckt worden ist, kämen wir nun zu der Frage, wie sich die, wie wii- gesehen haben, sehr respektablen astronomischen Kenntnisse der Babylonier etwa entwickelt haben mögen. Wir müssen aber zuvor noch einige Kultur- momente, die mit der Astronomie zusammenhängen, erwähnen und auch einen Blick auf das kulturhistorische Verhältnis Babylons zu den Völkern AVestasiens werfen ; das erstere macht das Bild der babylonischen Astro- nomie vollständiger, und das andere erklärt den Übergang der Kultiu-- errungenschaften zu den Abendländern.

Zunächst steht das Sexagesimalsystem in direkter Verbin- dung mit der babylonischen Astronomie. Nachdem schon Hincks an einem babylonischen Thontäfelchen , welches die zunehmende Phase des Mondes wähi-end eiues halben Mondmonats darstellt, nachgewiesen hatte, dass der Aufbau der dort gegebenen Zahlen auf der Basis der Zahl 60 beruhe, lieferte der für das Maasswesen der Babylonier sehr lehi-reiche Inhalt zweier bei Senkereh am Euphrat gefundenen Tafeln i) den Be- weis, dass die Babylonier bereits in sehr alter Zeit (die Tafeln reichen wahrscheinlich über 1600 v. Chi', zurück) ein durchgebildetes Sexagesimal- system bei der Konstruktion ihrer Maasse angewendet haben. Füi- die Entstehungsart dieses Systems sind melu-ere Hypothesen angegeben

1) Beschrieben von Lepsius, die babyl. assyr. Längenmaasse nach der Tafel vou Senkereh (Abhandl. d. Berl. Ak. d. W. 1877.) Zu den Tafeln von Senkereh ist dann neuerdings der von C. F. Lehmann und Meissner (in des Letzteren Materialien zum altbabylonischen Privatrecht S. 56) veröfientlichte Thoncylinder mit einer Tabelle der altbabylonischen Hohlmaasse getreten. S. Lehmanns Erläuterungen, ebenda S. 98 bis 101. Die Tabelle geht von 1. IvA bis 216000 GUR = 64800000 KA [so lies! C. L.]. Beiträge z. alten Geschichte I 3. 23

49

350 F. K. Ginzcl,

■worden, il. Castok glaubt, dass die babylonischen Astronomen schon frühe die uni^efälu-e Länge des Jahres von 3(30 Tagen erkannt und durch die Teilung des EJreises in 360 Teile gemssermassen den Weg versinn- licht hätten, den die Sonne bei ihi-em Umlaufe täglich zui'ücklege. Dann habe man gefunden, dass in jedem Kj-eise der Halbmesser sich als Sehne () mal auf dem Umfange auftragen lasse und wäre somit zur Kon- struktion des regulären Sechsecks gelangt. Durch die sechs Eckpunkte des letzteren -war der Kreis in 6 gleiche Bögen zu je 60 Teüen ab- geteilt und damit die Gruudlage einer Sechzigteilung gewonnen, deren man sich weiterhin überall, wo es Zeit und Maass zu teilen gab, be- diente.') In noch engere Verbindung mit astronomischer Erkenntnis setzt C. F. Lehma2«ts' die Entstehung des Sexagesimalsj'stems , indem er-) auf das Verhältnis des scheinbaren Sonnend urchmessers zm- Dopiiel- stunde kas.bu hinweist. Die Babylonier seien nämlich (wahrscheinlich diu-ch die alte Methode der "Wasserwägungen-')) zur Kenntnis des Somien-

1) Vorlesungen über Geschichte der Mathem. I 83 (188U).

2) Verhandlungen d. Berl. anthropol. Gesellsch. 1895, S. 411, 433.

3) Die Babylonier waren sicher die Erfinder der Methode, die Zeit durch den Fall des Wassers einzuteilen. Cleomedes, Proclus und besonders P.ippus beschreiben diese Methode, inwiefern sie dazu diente, den scheinbaren Durchmesser der Sonne zu bestimmen. Zur Zeit der Aquinoktieu, in dem Augenblicke, wo sich die Sonnen- scbeibc Morgens am Horizont zeigte, öflFnete man ein mit Wasser gefülltes und durch Zufluss aus einem Wasserbehälter stets gefüllt bleibendes Gefitss, das mit einem Loch im Boden versehen war. Zum Auffangen des austropfenden Wassers bediente man sich zweier Behältnisse, wovon das eine bis zum vollendeten Aufgange der Sonne und das andere ungleich geräumigere bis zu ihrer ersten Erscheinung am folgenden Tage untergeschoben blieb. Man maass oder wog nun sorgfältig das in beiden Behältnissen gesammelt!' Wasser, und sehloss: wie sich die gesamte Quantität desselben zu dem im kleinen Behälter vorhandenen verhält, so 360 Grad, der Umfang der Himuielskugel, zu dem gesuchten Durchmesser. (Ideler, Über die Sternkunde der Chaldäer, Abhandig. d. Berl. Ak. d. W. 1814—15, S. 214). Mittelst dieser Wasserwägungen bei Sonnen- aufgang und Untergang konnten aber die Babylonier den Sonnendurchmesser nur mit beträchtlichem Fehler erhalten. Herr Dr. C. F. Lehmann (vgl. Verb. Berl. anthrop. Ges. 1895, S. 412, Anm. 1) äusserte deshalb vor mehreren Jahren mir gegenüber die Ansicht, dass möglicherweise bei Wasserversuchen, die während der Durchgangs- dauer der Sonne durch den Meridian angestellt worden wären, das Ergebnis hätte viel günstiger ausfallen müssen. Daraufhin habe ich für die Zeit des Frühjahr- äquinoktiums und für die geogr. Breite von Babylon die Zeit berechnet, welche die Sonnenscheibe braucht, um den Meridian von Babylon zu passieren, und 2 Min. 8,4 Sek. gefunden. Aus der Porportion

2 Min. 8,4 Sek. : 24" = x : 360" oder 128,4s : 86400^ = x : 1 296 000" ergiebt sich der Sonnendurchmesser = 1926" = 32' 6", also sehr nahe der richtige Be- trag (der Sonnenhalbmesser beträgt zur Zeit der Frühjahrs-Tag- und Xachtgleiche etwa 16' 2"). Die Lage des Meridians konnten die Babylonier durch Gnomonbeobachtuugen roh, und zwar, da sich die Durchgangsdauer der Sonne in der Nähe des Meridians nur langsam ändert, für obigen Zweck genügend genau ermitteln. Die ersten beiden Glieder der obigen Proportion verhalten sich zu einander wie 1 : 673. Liessen also die

50

Die astrononmchen Kenntnisse der Bahylonier. III. Hol

diuTlimessers gelangt und liätteu bemerkt, dass zur Zeit der Äquinoktien das Verhältnis der Zeit, welche die Sonnenscheibe zum Aufgange be- darf (2 IVIinuten), ziu- Doppelstunde (120 Minuten) etwa 1 : 60 ist. Ersterer Betrag ist 1/750 des Gesamttages, der andere Betrag \'i2 des Gesamttages. Die Hypothese stützt sich auf die Thatsache, dass die Babylonier das Yerliältnis des scheinbaren Sonnendurchmessers zui- ganzen Ekliptik = 1 : 720 setzten. Vor Kurzen hat Kuglee >) der LEHMANNSchen Hypothese noch eine andere Fassung gegeben. Wie schon in unserem Aufsätze II (S. 203) bemerkt wurde, haben die Babylonier die ungleich schnelle Bewegung der Sonne während des Jahres erkannt und derselben in der astronomischen ßechnung durch die Annahme gerecht zu werden gesucht, dass die Sonne zwischen IS» Virginis bis 270 Piscium gleichmässig jeden Monat 30" zurücklege, dagegen im übrigen Teile der Ekliptik langsamer laufe, nämlich nur 28" 7' 30". Auffällig ist nun nach Kuiü-er, dass in den astronomischen Tafeln für den Ekliptikbogen von 30" der Ausdruck JmsM vorkommt, also die Be- zeichnung für die Doppelstunde als Zeitmaass.-) Es scheint, dass man durch Jcas.lu die schnellere Sonnenbewegung resp. den längsten Sonnen- weg hat ausdrücken wollen, eine Annahme, die auch durch die Etymo» logie dieses Wortes unterstützt wird.^) Ein kas.liu wäre also = 30» und gewissermassen ein Naturmaass. Da andererseits für den Sonnen- durchmesser ^j.,° angenommen wurde, stehen beide Naturmaasse, Sonnen- durchmesser und längster Sonnenweg, im Verhältnis von 1 : 60 zu- einander, und von daher schreibe sich vielleicht der Anfang des Sexagesimalsystems. Uns scheint indess die LsHMANNSche Hypothese die

babylonischen Beobachter aus einem Gefässe mit RGhren während der Durchgangs- dauer der Sonne im Meridian das Wasser laufen und aus einem andern Gefässe das Wasser bis zur abermaligen Kulmination der Sonne, und gelang es ihnen (was freilich für sie sehr schwierig war) das Wasser unter gleichmässigem Druck und etwa der- selben Temperatur zu erhalten, so würden sie haben finden müssen, dass die in 24'' ab- geflossene Wassermenge 673 mal grösser war als die während des Sonnendurchgangs

360" 1296 000" verbrauchte. Daraus hätte sich dann der Souneudurchraesser x = g=g- resp. ^^

= 1926" = 32' 6" ergeben müssen. Aus blossen Auf- oder Untergaugsbeobachtungen würde der Sonnendurchmesser erheblieh grösser resultieren. Natürlich blieben die Babylonier bei den Schwierigkeiten derartiger Beobachtungen (selbst wenn sie wegen der notwendigen Abbiendung der Sonne nur die nebeligen oder durch leichte Wolken hierzu geeigneteren Tage auswählten) hinter diesen rechnerischen Resultaten zurück. Aber durch viele Mittagsbeobachtuugen während des ganzen Jahres konnten sie schliesslich auf Beträge des Sonnendurchmessers kommen , die zwischen 29—32' lagen, und aus welchen der abgerundete Wert von 30' und daraus das Verhältnis i/," : 360» oder 1 : 720 gezogen werden konnte.

1) Zeitschr. f. Assyr. XV 390, 891.

2) Zur Gemeinsamkeit der Bezeichnungen für Zeit- und ßogenmaass vgl. Abb. II, oben S. 193 Aum. 1 [und die folgende Abhandlung].

3) !cas = liarränu = Weg, Zug; hu = arhu = laug, also kas.hu = lauger Weg.

352 F. K. Ginzel,

wahrscheinlichere, da die Erkenntnis einer ungleich schnellen Sonnen- bewegung schon eine erhebliche Entwickelung der Astronomie vor- aussetzt, andererseits geht aber der Gebrauch des Sexagesinialsysteras bei den Babyloniern sicher bis ins 3. Jahi'tausend v. Ckr. zui-ück. Sowohl die CA>>TOESche wie die LEHMANNSche Hypothese über den Ursprung des Sexagesimalsystems -mu-zeln in der Voraussetzung, dass ein Eimdjahr von 360 Tagen den Ausgangspunkt gebildet habe. Ob- wohl uns in den Überlieferungen der Babylonier nur das Sonnen- jahi- von 365 Tagen und das Mondjahr von 354 oder 355 Tagen entgegentritt, so war doch aus einigen Eigentümlichkeiten der Zeit- rechnung vorderasiatischer Völkei" wahi-scheinlich , dass auch bei den Babyloniern ein solches Eundjahr von 360 Tagen existiert hat. So wii'd in Indien, im Yeda, dui-chweg zu 360 Tagen (12 Monate zu je 30 Tagen) gerechnet,') die Perser und Ägypter zählen 360 Tage imd 5 angehängte Epagomenen (Ergänzungstage).-) Die Untersuchung der Texte eines neueren Thontafelfundes durch E eisner, der Tempel- rechnungen von Telloh (aus dem 3. Jahi'tausend v. Chr.), in denen aus- schliesslich nach Monaten zu 30 Tagen gerechnet wird, hat nun be- stätigt, dass auch das Eundjahr von 360 Tagen bei den Babyloniern in Gebrauch war (vielleicht als bequemes Eechnungsjahr, gleichwie bei uns selbst noch in gemssen kaufmännischen Usanzen ein Jahr von 360 Tagen üblich ist.) Aus diesem ursprünglichen, sehr alten Euudjahre ist nach C. F. Lehmann^) die Entstehung des 365 tägigen Jahi-es bei den Baby- loniern in folgender "\\^ise plausibel: Die alten Perser feierten (nach Beeosscs) ein 5 tägiges Fest, das Sakäenf est d. i. Fest des Jahi-anf anges ; dieses Fest ist (worauf Meissxeb aufmerksam gemacht hat)*) identisch mit der Feier der 5 Epagomenentage (Ferwardintage). Da die Perser ihr Jalu- in 360 + 5 Tage zerlegten und, wie nachweislich, sekr viele ihrer Eimichtungen von den Babyloniern übernommen haben, so sei das Vorhandensein des Sakäenfestes (babyl. Za^»iMZ;?t-Festes) und damit die Existenz der 5 Epagomenen als ursprünglich bei den Babyloniern voraus- zusetzen, und hierdurch werde schliesslich die Entstehung des 365 tägigen Sonnenjahi-es aus dem 360 tägigen Eiindjahre erklärt. 5) Zur Einteilung

1) AVeber , nüxatra 11 (289). In der vedisclieu Litteratur kommen ausser dem sävana-iuhr (360 Tage) verschiedene andere Jabrforraen vor: das mätula (365 Tage), das najcatra-J a.\ii (324 Tage) u. A.

2) A. V. GuTscHMiD, Das iranische Jahr. (Kleine Schriften III).

3) Verhandl. d. Berl. anthropol. Gesellsch. 1896, S. 445.

4) Zeitschr. d. Deutsch. Morgenl. Ges., L. Bd., S. 296.

5) C. F. Lehmann (der übrigens, wie er mir mitteilt, annimmt, dass bei der Ein- führung des Rundjahres von 360 Tagen für die Zeitrechnung irgendwelche Schaltungen von vornherein stets mit in Betracht gezogen seien) hat auch auf interessante Relationen hingewiesen (Verhandl. d. Berl. anthropol. Gesellsch. 1896, S. 447), die zwischen dem Rundjahre von 860 Tagen und dem periodischen Mondmonat von 27 Tagen be-

52

Die astronomischen Kenntnisse der Bahylonier. III. 353

des Ki-eises in .SGOo sei ausserdem die Beobachtung maassgebend ge- wesen, dass dem Sonnenumlaufe (dem Jahre, resp. der Ekliptik) ungefähr 12 Mondumläufe (resp. 12 Tierkreisbilder) von durchschnittlich 30 Tagen entsprachen; die Zeit, in der sich ein Tierkreisbild (V12 der Ekliptik) durch den Meridian bewegt, '/12 des Tages, sei die babylonische Doppel- stunde oder der has.hu.^)

Das zweite Kultiu-moment , das wii* wegen seines Zusammenhanges mit der babyloiüsclien Astronomie hier nicht unerwähnt lassen dürfen, ist das babylonische Maass- und Gewichtssystem. In diesem wird die konsequente Anwendung der Sexagesimalteilung in ausge- dehntester Weise sichtbar. Was zuerst die Teilung des Tages an- belangt, so haben wir eben gesagt, dass der kas.bu, die „Doppel- stunde-', sich unmittelbar als ein astronomisches Maass darstellt. Aus der Halbierung der Doppelstunde ergiebt sich ohne weiteres die 24-Teilung des Tages. '^) Der bei den meisten Völkern des Altertums vorfindliche Gebrauch, den Tag, nämlich die Zeit vom Aufgang bis zum Untergang der Sonne, und entsprechend die Nacht, in je 12 gleiclilange Stunden zu teilen, ist babylonischen Ursprungs, denn Herodot (II 109) berichtet, dass die zwölf Teüe des Tages mit dem nokog und yvwuuv von den Babyloniern zu den Griechen gekommen seien. Epping und Strassm.uer konnten aber auf Grund ihrer Untersuchung der babylonischen Mond- ephemeriden und Tafeln konstatieren, dass die babylonischen Astronomen den Tag nach dem Sexagesimalsystem abteüten.") In diesen Kechnungen ist der ganze Tag zuerst in (3 Teile und dann jeder dieser Teile in T)!) zerlegt,*) und ausserdem ^^^rd jeder dieser 360 Zeitgrade noch 2 mal

stehen. Auf babylonischen Tafeln kommt eine Zeitrechnung nach icddit {uddäim) vor. Dieselbe erklärt sich nach Lehmann aus der Relation: 40 periodische Mondmonate zu 27 Tagen = 1080 Tage sind gleich 3 Rundjahren a 360 Tage. Hieraus leitet sich ab: 1 uddu = i/„|, period. Moudmonat ^= ^[^ Tag = 216 Minuten 60 itddu (der Soss des uddu) = 9 Tage = '/s period. Monat 3600 uddu (der Sar des uddu) = 540 Tage = l'/a Rundjahre 7200 uddu (der Doppelsar des uddu) = 1080 Tage = 8 Rundjahre. Über die event. möglich gewesene Ausgleichung zwischen Rundjahr und der Rechnung nach Mondmonaten mit Hilfe der 5 Epagomenen s. desselben Autors ,Zwei Hauptprobleme der altorient. Chronologie" S. 197.

1) Nach Kuglee (Zeitschr. f. Assyr. XV 385) scheint der kas.bu als Zeitmaass weniger in der Astronomie, als vielmehr im bürgerlichen Leben gebraucht worden zu sein, da er sich bei Beobachtungen kaum vorfindet und nur bei ungefiihrer Angabe von Finsternissen.

2) Vorbildlich für die 24-Teilung kann auch die Beobachtung gewesen sein, dass in einem Jahre etwa je 12 Neumonde und 12 Vollmonde vorkommen (C. F. Lehmann, Zeitschr. f. Assyr. XIV 867).

3) Astronomisches aus Babylon S. 183.

4) Nach LEH.M.iNN zeigt auch die Tafel von Senkereh diese Einteilung des Tages. [S. diese Beiträge, unten S. 881ff.].

53

;554

F. K. Ginzcl,

dm-cli (30 geteilt. Die Anweiuluiiu' dieser sexagesinialeu Tagteilung, also

1 Tag = ti Zeichen

1 = 60 Zeitgrad

1 ,, = (30 Minuten

1 ,, ^= (50 Sekunden liat Kuctler füi- fast alle babylonisclien astrouomisclien Tafeln der letzten 4 Jabrh. v. Chr. bestätigen können. Ausserdem hat derselbe gefunden, dass in ge\dssen tabellarischen Plauetenberechnimgen noch ein zweites Sj^stem gebraucht wii-d, wo der Tag von vornhereüi in 60 Partes und jeder dieser in sexagesimale Unterabteilungen zerlegt ^^•ird. Was nun die babylonischen Maasse und Gewehte betrifft, so hatte schon Boeckh den Nachweis versucht, dass fast alle Maasse des Altertums aus einer und derselben Quelle herstammen und dass diese in Babylonien zu suchen sei; dieser Nachweis ist, obwohl in der Folge die BoECKHSchen Bestim- mungen nicht aufi-echt erhalten werden konnten, auf eine andere Weise bestätigt worden. Desgleichen erkannte Theodor Mommsen das babylo- nische System als Grundlage des römischen Müuzwesens,') und J. Braxdis versuchte dieses System in seinen Hauptmomenten wieder herzustellen,"^) indem er den sexagesimaleu Aufbau der babylonischen Maasse und deren allmähliche A^erbreitung zu den Griechen, Kömern, Juden, Persern u. s. w. nachwies, auch Versuche machte, die Entstehnng einiger babylonischer Hauptgewichte zu erklären. Sehr wichtige Bereicherung erhielt die Kenntnis des babylonischen Maasswesens durch C. F. Lehmaxx. der auf

1) Geschichte des römischen Münzwesens, Breslau 1860.

2) Das Münz-, Maass- u. Gewichtswesen in Vorderasien bis auf Alex. d. Gr., Berlin 1866. Wir geben hier, um den sesagesiinalen Aufbau des babylonischen Jlaasswesens ersichtlich zu macheu, wenigstens das Hauptschema der Maasse nach Bra.ndis (a. a. O. S. 40):

■i) Alto

1. Zahle um

i a s s.

2.

Zeitmaas s.

Saros Sossos

Einer

Stuude

Minute

Sekunde

1 60

3600

1

60

3600

1

60

1

60

3. Längen m a a s s.

Einteilung.

b) Spätere Einteilung.

Fingerbreite

Pavasangcs Stadion

Pletliron

Elle

FU5S

Linie

24

1 30

180

10800

18 000

648000

16

1

6

360

600

21 600

1

60

100

3600

1

1

60 36

4. Gewichte

Talent Mine Stater

Übule

1 60 3600

108000

1 60

1

1800 30

54

Die astronomisclwn Kenntnisse der Bahylonier. III. 355

(iniiul von Messungen des Maassstabes, welcher auf einer in Südbabylonien gefundenen Statue des Gudca (;i. Jahrtaus. v. Chr.) angebracht ist, und der ^^'ägung originaler babjionischer Steingewichte, sowohl die Entstehung der babj'lonischen Längeuniaasse, der Gewichtseinheit aus diesen, Ax-ie auch die Bildung der babylonischen Gold- und Silberwährung erklärte und die Ableitungen der abendländischen Maasse aus den babylonischen vielfach weiterführte. Wir können von diesen Ergebnissen') hier nur tlie wich- tigsten ansetzen. Die „Fingerbreite" geht aus dem uralten Maassstab des Gudea zu etwa 16,54 mm hervor. Daraus ergeben sich, mit durchaus sexagesimalem Aufbau, folgende Längenmaasse:

1 Finger = ubänu = ca. 16,5 mm

1 Handbreite = 6 Finger = 99

1 Fnss = 20 Finger = % Ellen = 330

1 babyl. Elle = 30 Finger = 495

1 grosse (königl. Elle) = '«/,, babyl. Ellen = 550 ,,

1 babyl. Doppelelle-) = 60 Finger = 990

1 Soss = 720 Ellen = 360 Doppelellen (nach der Tafel v. Senkereh).

Den richtigen Aufbau dieser Maasse beweisen Messungen an assyi-ischen

Bauwerken: Oppeet erhielt an solchen die Länge des babyl. Fusses zu

329 mm, der grossen Elle zu 549 mm. ^) Die babylonische Gewichts-

5.

Hohlmaasse.

Kor 5

jMetretes

.30

Bath Ephes.

50

Maris

60

Saton 150

Hin

3U0

Kab 900

Log

36U0

1

6

10

12

30

60

ISO

720

1

n^

2

5

10

30

120

1

ä';'2

5

15

60

{

2

1

6 3

1

24

12 4

1; Das ahbabylonische Maass- u. Gewichtssystem als Gruudlage der antiken Ge- wichts-, Münz- u. Maasssysterae. (8. Intern. Orient. Kongress 1889). Leiden 1893. Verband!, d. Berl. anthropol. Gesellsch. 1889, 1895, 1896, 1897.

2) Als Kuriosum ist zu bemerken, dass die Länge der Doppelelle mit der Länge des Sekundenpendels für den babylonischen Breitegrad (992,3 mm) nahe übereinkommt. S. C. F. Lehmann, Verhandl. d. Berl. anthropol. Gesellsch. 1889, S. 319 ff.; Verhandl. d. physikalischen Gesellsch., 15. Nov. 1889 (mit der Diskussion, in welcher alle gegen die Möglichkeit einer beabsichtigten Bemessung der Doppelelle nach dem Sekunden- pendel vorgebrachten Einwände erörtert worden sind und als nicht stichhaltig anerkannt wurden) und Leydener Kongressakten a. a. 0., S. 197.

3) Wenn vielfach in der neueren Litteratur gänzlich abweichende Dimensionen namentlich betreffs der Längeneinheiten angesetzt werden, so beruht dies, wie mir Herr Lehmann mitteilt, auf Durchschnittsberechnungen, über deren Verwerflichkeit für die Bemessung metrologischer Normen er Verhandl. d. Berl. anthropol. Gesellsch. 1889, S. 286 f. gehandelt hat.

55

356 F. K. Ginzol,

einlieit, die „schwere" Miue, entstand aus der „Handbreite"'; ein Würfel von dieser Basis gebildet, enthält eine Wassermenge, deren Ge- wicht etwa 085 gr beträgt (die Originalsteingewichte ergeben 982 gr); die Jline war also nach einem ähnlichen System gebildet, wie heutzutage das Kilogramm. Die Einteilung der Gewichte erfolgte wie die der Längen- maasse unter Anwendung des Sexagesimalsystems : 60 Minen = 1 Talent, 1 Äline = 60 Schekel oder Stater, also 1 Talent = 3600 Schekel. Die Gold- und Silberwährung beruhte auf denselben Gewichtseinheiten, für das Verhältnis des Goldes zum Silber setzte man die bemerkenswerte Proportion ISVs : 1 = 40 : 3 an, welche auf 360 : 27 führt und im letzten Grunde wieder ein astronomisches Verhältnis bedeutet.') Das Fläche n- m a a s s ist ebenfalls sexagesimal angeordnet : Reisneb fand -) 1 gan = 1800 sar, 1 sar = 60 gin, 1 gin = 180 se. Endlich sind die Haupt- Bogenmaasse, der Grad, Halbgrad und Viertelgrad (welche in den von Epping - Strassmaiee und Kügler untersuchten Tafeln hauptsächlich für die Bestimmung der Länge, Breite und des Durchmessers des Mondes an- gewendet werden) diu-chaus sexagesimal eingeteilt, imd der kas.bu, in welchem und in dessen Unterabteilungen die Längen von Bögen aus- gedi'ückt werden (vgl. n. Aufsatz S. 193 Anmerk. 1), ist •/„ des Halb- ki-eises.

Die Thatsache, dass aus den babylonischen Längen- und Gewlchts- maassen sich eine Eeihe der antiken Maasse entwickelt haben, indem sie mehr oder weniger einfache Verhältnisse zum babj'lonischen „Fuss", der „Elle" und „grossen Elle", ziu- „Mine" u. s. w. darstellen (z. B. der attisch- römische Fuss, der Parasang, das Stadion, das römische Pfund, das russische und englische Pfund u. s. f.), nötigt uns noch zu einer Betrach- tung der Stellung Babyloniens zu dessen Nachbarstaaten und dem Abend- lande, da es sich bei dieser Verbreitung der Maasse und Gewichte auch um die Übertragung astronomischer Kemitnisse, und im letzten Grunde babylonischer Kulturerrungenschaften überhaupt, handelt.

Was zuerst Griechenland und Rom anbelangt, so i.st auffällig, -nie verhältnismässig wenig sich die griechischen und lateinischen Schrift- steller über babylonische Kultnr unterrichtet zeigen. Da aber zweifellos ist, dass eine Reihe babylonischer Kulturmomente sowohl in Griechenland wie in Rom Eingang gefunden haben, so muss man annehmen, dass die

1) Das Verhältnis des Kundjahres zum periodischen Mondmonat (Sonne zu Mond), wie C. F. Lebmann (Verhandl. d. Berl. anthropol. Gesellsch. 1895, S. 433 f. u. 1896, S. 447) erkannt hat. Die babylonischen Priester gingen dabei, wie sonst, aus „von dem Grundsatz der prästabilierteu Harmonie des Weltalls, der auch in den irdischen Maassverhältnissen nachklingen sollte", richteten sich aber natür- lich gleichzeitig nach den ungefähren Marktverhältnissen ihrer Zeit. Lehmann, Hermes 36 (1901), S. 118. Diese Symbolik (Sonne = Gold, Mond = Silber) rührt vielleicht von dem in einzelnen Teilen Babyloniens besonders cutwickelten Mondkultus her.

2) SBer. d. Berl. Ak. d. W. phil. bist. Abt., 94. Bd., 1896.

56

Die astronomischen Kenntnisse der Babi/Ionicr. III. 1^57

Beziehungen, auch die gfeistigen, (lieser Länder zu Babj'lon in der sehr alten Zeit lebhafter gewesen sind, als in dei- viel späteren. So finden sich im römischen Kalender Reste babylonischen Einflusses.^) Entschieden ist die Verbreitung babylonischen Maasswesens nach Griechenland und Unteritalien schon in früher Zeit. Die babylonischen Längenmaasse ver- drängten die in der homerischen Epoche gebräuchlichen wahrscheinlich im 7. Jahi'h. v. Chr. Die alten Feld- und Längenmaasse wurden auf- gehoben, die Namen Plethron und Stadion auf babj-lonische Jlaasse über- tragen. Durch den Handel mit asiatischen Landesprodukten kamen phönizische, babylonische und ägyptische Originalmaassgefässe nach Griechen- land und es bürgerten sich verschiedene nichtgTiechische Bezeichnungen für Maasse in Hellas ein. Auch die zwischenliegenden Nationen, die SjTer, Hebräer, Phönizier, nahmen manches an ; der persische maris, der sj-rische metretes, das hebräische kor, das kab und log entstammen babylonischen Voi-büdern und erscheinen \'ielfach unter Zugrundelegung der Sexagesimal- teüung von einander abgeleitet. Durch den Handel mit Öl und Wein kamen andererseits manche der vom Orient übernouuuenen Hohlmaasse aus Griechenland nach Unteritalien. ^) Neben den praktischen Ergeb- nissen babylonischer Kultur, welche schon ziemlich frühzeitig nach Griechenland di-angen, fanden auch die geistigen Errungenschaften Baby- lons ilu'en allerdings späten Eingang. Am finihesten verbreiteten sich ■\aelleicht die Benennungen einzelner Sternbilder nach Griechenland und die orientalischen Mythen, welche zur Entstehung neuer den Anlass gaben (vgl. Aufsatz I S. 11). Mt den babylonischen Mondperioden müssen die Griechen erst kurz vor der Zeit Hipparchs bekannt geworden sein (vgl. Aufsatz II S. 202), und bei den babylonischen Beobachtungen, welche HippAKCH und Ptolemaus benützten, ist wahrscheinlich, dass dies keine umfangreichen oder instruktiven Originale waren, denn sonst würde sich die Kenntnis der verschiedenen babylonischen Eechnungsmethoden sicher bei Ptolemäus zeigen.-') Selbst das uralte wichtige Element der Kreis-

1) Wie schon im Aufsatz II S. 205 erwähnt, setzen die Babylonier die vier Jahr- punkte nicht auf den Anfang des Widders, Krebses, der Wage und des Steinbocks, sondern auf den achten Grad dieser Tierkreisbilder. Kügler macht darauf aufmerk- sam (Babyl. Mondrechnung, S. 104), dass im römischen Kalender die Äquinoktien und Solstitien ebenfalls auf dem 8. Grad liegen (nach Plisius und Columella) , worin der Rest eines babylonischen Einflusses zu erblicken ist (vgl. Idelee, Handbuch II 142). Nach WiscKLER (Altorient. Forschungen, II. Reihe 1900, S. -38,5) hat in der römischen (und arabischen) Zeitrechnung der Gebrauch von Doppelmonaten (zu 60 Tagen) existiert , welche auf den Jahresanfang vom Winter hinweisen ; diesen Gebrauch haben die Römer von den Babyloniern, aber mit Beibehaltung des Sommer- anfangs für den babylonischen Kalender, übernommen.

2) Brandis, a. a. 0. 26—38.

3) Die lange Reihe babylonischer Beobachtungen , welche Kallisthexes auf Wunsch des Aristoteles nach Griechenland geschickt haben soll (zwischen 331 u.

57

358 F. K. Gimd,

teilunü' iiacli sexagesimalem Pnuzipe war noch eleu griecliisclien Jlatlie- matikeru des 3. Jahrh. v. Chr. (Eüclid, Autoltkos, Ekatosthexes, Abchimed) fremd; erst bei Hyspikles, (um 180 v. Clu-.) in dessen Buche vom Auf- gaug der Gestirne, taucht die Teilung des Ki-eises in 360° auf,') und erst Ptolemäus gebraucht sie durchweg. Merkwürdiger Weise hatten die Griechen auch von der Astrologie, die in Babylonien in das höchste Alter ziu-ücki-eicht, bis zum Ende des 4. Jahrh. keine Kenntnis, sie scheint erst um die Zeit des Eukipides bekannt geworden zu sein; der älteste Zeuge dafür ist \-ielleicht Theophkast. Offenbar war also der geistige Zusammen- hang mit Babylonien, nachdem letzteres von seiner Blüte herabgesunken, nicht mehr bedeutend. Zudem lagen die Zeiten, in denen Griechenlands hervorragende Schriftsteller schrieben, und jene, in welchen die babylo- nische Kultur ihren Höhepunkt erreichte, sehr- weit auseinander; damals war in (Triechenland die Erinnerung an das, was man von Babylon über- nommen, schon verloren gegangen. Noch weniger zusagend war dem r ö m i s c li e n Geiste das orientalische Kultiu-leben. Aus diesen Umständen erklärt sich, dass mau, obwohl einst ein starkes geistiges Band zwischen dem Occident und Orient existiert hatte, betreff der Babylonier nicht viel mehr Erinnerung besass, als dass diese die bedeutendsten Beobachter des Hinmiels gewesen seien. Durch die zur römischen Kaiserzeit sich weithin ausbreitenden chaldäischen Walu-sager und Jlagier kam das Ansehen der einst berühmt gewesenen ..Chaldäer" bei den Eömern schliesslich voll- ständig in Verruf.

In Asien selbst offenl)art sich zunächst bei den Hebräern der Ein- liuss der babylonischen Kultur. Er reicht tief ins Altertum zurück. Die Heroenlegeuden , mit welchen das alte Testament die hervorragendsten biblischen Gestalten umgiebt, scheinen nach babylonischen Vorbildern ent- worfen zu sein,-) und die Auffindung des Keilschrifttextes des Sintflut- berichtes (1872) hat die unmittelbare Anlehnung der Bibel an den baby- lonischen Mytheukreis bestätigt.") Der Aufenthalt der Hebräer in Baby-

327 V. Chr. nach C. F. Lehmann, Zwei Hauptprobleme d. altorient. Chrouol. S. 111), liegt ausser aller Beurteilung, da nichts Näheres über deren Inhalt bekannt ist.

1) Cantor, Vorles. Gesch. d. Math. 1311, 3.51; vgl. auch Letronne, Sur Torig. grecque des zodiaques, Revue des deux mondes 1837, S. 744.

2) H. WiNcKLER, Geschichte Israels in Einzeldarstellungen, IL Die Legende. 1900.

3) Die Schöpfungsmythen Babylons sind die Vorbilder, nach denen die biblischen entstanden sind, wie denn Babylonien der Lehrmeister des gesamten vorderasiatischen Geisteslebens geworden ist. Die Lehren der Bibel und die der Reformatoren, diese Lehren altbabylonischen Geistes, durch das Judentum und so manche Kultur weiter- gepflauzt in all ihren Spielarten, sind im Wesen noch immer, was sie waren : der Aus- druck der babylonischen Hierarchie als der Trägerin des gesamten Geisteslebens der ältesten Kulturwelt (Wisckler, das alte Westasien, Helmots Weltgeschichte III 39). Den babylonischen Sintflntbericht s. bei E. Schuader, Keüsehriftcn u. altes Testa- ment 1883, S. 46 ff. und Jensen, Kosmologie der Babylonier 1890, S. 367 ff.

58

Die astronomischen Kenntnisse der Babijlonicr. III. 359

luiüeu wälirend des Exils lieferte erhebliclie Zuschüsse. Die Busspsalmen entstanden im Exil m\A sind Kopien babylonischer Gebete und H\nmen: der hebräische Verfasser der Königsbücher benützte babylonische clironi- stische Quellen. Von dort brachten die Hebräer die noch heute bei ihnen üblichen Namen der Monate und die Kenntnis der 7 tätigen Woche mit. Daher finden wir bei den Hebräern babylonische Maasse (z. B. ein Stadion von 600 Fuss, ein Plethron von 60 Ellen), deutliche Spuren des von den Babyloniern ausgeübten Mondkultus in der Annahme der :Moudstationen {mazzaloth) und einige andere astronomische Eigentümlichkeiten.')

Auch bei dem Nachbarvolke der Hebräer, den vorislaraischen Arabern, sprechen deutliche Beziehungen zu den Babyloniern. ..Auch diese Nomaden standen im Banne der altorientalischen Weltanschauung, hatten ihre Priester und ihre Kulte, deren Yorstelhmgeu und Wissenschaft in letzter Reihe auf die babylonische Wissenschaft zurückging."-) Den Gestirn- dienst (Sonnen- und Mondknltus) , diese babylonische ürreligion, bei den alten Arabern bezeugt schon Stkabon (XVI). Die beiden Sprösslinge des Gestirndienstes und Hauptglieder der babylonischen Weltanschauung, Astrologie und Mantik, waren bei den Arabern stark verbreitet, in der letzteren hatten sie im Altertum bedeutenden Ruf.--) Kein Wunder also, wenn wir die Mondstationen, die sie sicher viel eher aus Ur Kasdim und Harran (den Bezugplätzen auch der Israeliten)«) als aus Indien hergeholt

1) Wenn Steinschneider (Zeitschr. d. Deutsch. Morgenl. Ges. XVIII S. 118) be- hauptet, die Juden hätten erst im 9. Jahrh. n. Chr. die Mondstationen kennen gelernt, so ist dieser Schluss, als nur auf die noch vorhandene jüdische Litteratur gegründet, einseitig. Denn da die ältere Litteratur grösstenteils verloren gegangen ist und die Hauptübersetzungen der arabischen astronomischen Schriften durch Hebräer erst im 1. Jahrtausend n. Chr. anfangen, erscheint die schriftliche Tradition zur Beurteilung der Frage nicht ausreichend. Es wäre im Gegenteile seltsam, wenn die Juden die Mondstationen aus dem Exil nicht mitgebracht hätten. Grade mit der Heimkehr der Juden aus dem Exil hebt bekanntlich eine Reform des altjüdischen Kalenders an. Völlig sicher ist, dass die Juden ihre Monatsnamen aus der babylonischen Gefangen- schaft mitgebracht haben (s. Idelek, Handb. I 510, Sche der, Keilschr. u. alt. Test. 379), ihr Wort für .Stunde' (schaah) ist babylonischen Ursprungs (Ideler 1638) und die Einteilung des Tages in 1080 CliolaJc weist in ihrem sexagesimalen Aufbau (30 x 6 X 6) ebenfalls dorthin. Bemerkenswert ist noch, dass der in der jüdischen Chronologie auf- fällig gut unterrichtete ALBiRÜuf (978—1048 n. Chr.) betreft' der von den neueren Juden gebrauchten Schaltung nach dem 19jährigen Cyklus (Schaltung nach E.\niii Eheser) bemerkt, dass die Juden diese Schaltung den anderen Schaltungsarten vorzögen „weil sie deren Erfindung den Babyloniern zuschreiben." (Sachau, The chronology of ancient nations, by Albirüni, 1879, S. 65).

2) WiNCKLEH, Gesch. Israels II 291.

3) Cicero de div. I 92 , 94. Philostr. v. Apoll. I 30. Sollen sich doch Pytha- GOKAS und Demokrit bei ihnen in der Wahrsagerei vervollkommnet haben! (Plin. XXV 13, Porphyr, vit. Plot. 11, 12).

4) Hanau . am Bdias {Bali/m) , einem Zuflüsse des Euphrat , war ein Hauptsitz des Kultus des Mondgottes Sin schon in sehr alter Zeit. Auch die Wohnsitze der exilierten Juden befanden sieh zum Teil in der Nähe von Harran, ,in Chalah und

59

360 F. K. Ginsd,

haben, in der Astrologie und Wetterkunde der vorislaniisclien Araber eine wichtige Eolle spielen sehen, und wenn sie in der Folge den Anfang der Monate nach dem Auf- oder Untergang der Mondstationen und die Zeit der Pilgerfahrt nach dem Sichtbarwerden der Stationen, dieser alten Überbleibsel der Astrologie, festsetzen.') Bei den lebhaften Handels- beziehungen der alten Ai'aber zu Syrien, Palästina und Babylon (Steabon) ist auch die Einbürgerung babylonischer Maasse (z. B. der Asla ^= 60 Ellen, welche als ein babyl.-pei-sisches Maass bezeichnet wai) in Arabien er- klärlich. Mit der Zeit gingen, wie bei den Hebräern, die Erinnerungen an den Ursprung dieser verschiedenen Gepflogenheiten völlig verloren, andernteils zerstörte das Auftreten des Mohammedanismus, welcher alles ..Heidnische" auszuscheiden bemüht war, die Beste der etwa übrig ge- bliebenen Tradition. Daher die Widersprüche der späteren arabischen Schriftsteller z. B. über die frühere Form ihrer eigenen Zeitrechnung. Erst mit dem Steigen der politischen Macht der Khalifen, im 7. .Tahrh. n. Chr., als die arabischen Fürsten dm-ch die an ihre Höfe berufenen persischen und ägyptischen Astrologen, s3Tischen, griechischen und jüdischen Äi-zte mit dem Wissen bekannt wurden, was aus der Zeit der alten orientalischen Kultur noch vorhanden war,'-) entstand der Gedanke, die fremdländischen Litteratnrerzeugnisse ins Arabische zu übersetzen. Es begann dann, besonders seit al-Mamün (813 n. Chr.), die grossartige Über- setzungsthätigkeit in Arabien, welche sich auf orientalische und abend- ländische Quellen (und bekannterweise namentlich auf die griechischen Philosophen) erstreckt hat. Was die Astronomie und Mathematik betrifft, so lässt sich gegenwärtig noch kein spezieller Nachweis führen, aus welchen (Quellen die Araber geschöpft haben. Es sind uns zwar hunderte von mathematisch und astronomisch schriftstelleruden Arabern des 10. bis 14. .Tahrh. bekannt,-^) allein von der ■\relirzahl nicht viel weiter als die Titel ihrer Werke, es fehlt fast vollständig noch die Ivlarlegung der Grundlagen so\^'ie der gegenseitigen Beziehungen dieses Zweiges der arabischen Litteratur. Zumeist sind den Arabern die fremdländischen Werke nicht durch arabische Ühersetzungen ohneweiters, sondern durch die Zwischenstufe der syrischen, persischen, bekannt geworden. Die

am Chabor, dem Strome von Gozan' (wahrscheinlich südlich von Harran , Nisibis und Rezcph in Mesopotamien liegende Landschaften) und ,in den Städten der Meder' {M&t- Madai = Medien) (2. Buch d. Könige 17). Vgl. Schrader , Keilschriften u. alt. Test. 275, 614.

1) Vgl. A. Sprenger, Üb. d. Kalender der Araber vor Mohammed, (Zeitschr. d. Deutsch. Morgenl. Ges. XIII 134).

2) C. F Lehmann bemerkt mir hierzu: Nach Mitteilungen Noeldekes aus dem Jahre 1889 ist in den ersten Jahrhunderten der mohammedanischen Herrschaft im Maassweseu des Zweistromlandes noch vielfach das Sexagesimalsystem lebendig.

3) Vgl. z. B. H. SuTER, Die Mathematiker und Astronomen der Araber 1900; F. Wüstenfeld, Die Geschichtschreiber der Araber und ihre Werke 1882.

60

Die astronomüclicn Kenntnisse, der Bahßonicr. III. 361

letzteren sind fast ganz verloren gegangen, so dass eine Kritik der Quellen nur in den seltensten Fällen mehr möglich ist. Wahrscheinlich würde uns eine solche auch Spuren des altbabylonischen Wissens verraten.') Einstweilen steht nur- sicher, dass die Araber ihre mathematisch-astrono- mis(;heu Kenntnisse aus den Werken der griecliischen Plülosophen und aus dem indischen Sürya Siddhänta schöpften; mit letzterem \mrden sie wahrscheinlich im 8. Jahrh. u. Chr. bekannt, fanden dort mchtige Vor- stufen zur Arithmetik, Trigonometrie und Astronomie vor, und brachten in der Zeitfolge diese Wissenszweige zu schöner Entwickelung. Der Sürya SiMlianta führt aber auf griechische Quellen zurück und im letzten Grunde unzweifelhaft auch auf Babjionien.

Die Erwähnung des Sürya Siddhänta, des ältesten indischen wahr- scheinlich im 4. Jahrh. n. dir verfassten Kompendiums der Mathematik, giebt noch Veranlassung zu einem kurzen Verweilen bei dem Verhältnisse der indischen Astronomie zur babylonischen. Zunächst weist hier die indische 360-Teilung des Kreises auf den babylonischen Ursprung hin. Ferner wird, wie bei gewissen Eechnungen die babylonischen Astronomen dies thun,2) der Tag nach dem Sexagesimalsystera u. z. in ghati, cashaka uud prd7ia zu je 60 Abteilungen eingeteilt, andererseits sind die „grossen" Jahre (Perioden, Zeitalter) nach dem Sexagesimalsystem aufgebaut.-) Dagegen führen verschiedene Ausdrücke des Sürya Siddhänta für mathe- matische Definitionen auf griechischen Ursprung, desgleichen eine weniger gebräuchliche Namem-eihe für die 12 Tierki-eiszeichen.«) Hauptsächlich aber leiten sowohl Form wie Inhalt einzelner astronomischer Kapitel des Sürya Siddhänta ZU der Vermutung, dass man in diesem Werke keineswegs eine auf dem Boden Indiens entstandene Lehi-e, sondern viel-

1) Die Verhältnisse liegen liier ähnlich, wie die Aufklärung des Verhältnisses der ültjüdisehen Litteratur zu Babylonien ; auch diese Litteratur ist zum Teil zu Grunde gegangen, zum Teil ist sie noch sehr wenig erforscht.

2) Vgl. oben S. 353.

3) .Nach dem Srüdliava wird der Tag eingeteilt in 60 ghati , jeder (jliati (Min.) in GO cashaTca (Jtala) (Sekunden) und jede cashaka in 6 prma (Atemzüge), also hat der Tag 21600 präna'' (Sächau, Alberunis India, an account of the Religion, Philo- sophy and Astronomy of India about A. D. 1030. London 1888 vol. I 337). Das Kali-yuga, aus 3 Perioden, der „Morgendämmerung" zu 36 000 Jahren, der ..Abend- dämmerung' von 36000 und dem „Zeitalter" von 360000 Jahren, zusammen 432000 Jahren bestehend, repräsentiert 60 Cyklen zu je 7200 Doppelsaren (1 Sar = 3600 Jahre); die andern 3 Weltalter Dväpara-yiiga, Tretä-yuga und Satya-yuga werden durch Ver- doppelung, Verdreifachung und Vervierfachung des Kali-yuga gebildet. Man beachte, dass die Periodenzahl von 600 , 3600 Jahren schon bei Berossos , das grosse Jahr von 600 Jahren bei Josephüs (Antiq. Jud. I 3, 9) u. A. vorkommt. Zu den verschiedeneu .grossen Jahren' ist auch Lehmann, Zwei Hauptprobleme, S. 19.5ff. zu beachten.

4) Vgl. Ca.ntok a. a. 0. 509. Die korrumpierten griechisch-indischen Namen der Tierkreisbilder: kriya, tämhiru , jitmna, kultra, liyaya, pärtina , jAya , kaurba, taukshika, ayokiru, udruvaya, anta (A. Webeh, Indische Studien 11 259).

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3ri2 F. K. Ginzcl,

melir eine Kompilation orieutalisclien nud griechisclieu Wissens, liöclistens untermischt mit indischen Zusätzen, vor sich habe. Schon Whitney kam bei der Betrachtung dieses Werkes zu der Ansicht: „Diese Astronomie ist zwar indisch, was die Form anbelangt, stellt jedoch eine Menge fremde Stücke dar, in welche eine Anzahl durch selbständiges Studium gewonnener Fakta eingereiht sind. Man kann deutlich zwei Partien unterscheiden, Ergebnisse, die an die Griechen mahnen, und andere Wahrheiten, die sich zwischen absurden oder rechnerischen Versuchen finden, wo für die kos- mogonischen und geographischen Vorstellungen der indischen Litteratur eine Begründung gesucht werden soll". Die alte indische Litteratur ent- halte wenige Berührungspunkte zur Astronomie, die Planeten würden erst in einer verhältnismässig späten Epoche erwähnt, es zeige sich unter den Hindu wenig Neigung und Fähigkeit, die Bewegungen der Himmels- körper zu studieren, höchstens habe das Interesse an der Eichtigkeit ihres Kalenders sie zur Verfolgung der Sonnen- und Mondbewegung angespornt : um so misstrauischer müsse man sein, wenn man sie im 5. oder G. Jahrh. plötzlich im Besitze eines völligen astronomischen Systems finde, und müsse sich fi'agen, wo der Ursprung dieses Wissens zu suchen sei. Biot, welcher den Süi-ya Siddhdnta ebenfalls untersucht hat,') weist auf die primitive Einrichtung der in diesem '\^'erke beschriebenen wenigen astro- nomischen Instrumente hin und erklärt die Hindubehauptung für sehr wenig glaubhaft , dass die vom Siddhänta angegebenen Zahlen für die Sonnen- und Mondbewegungsverhältnisse mit diesen Rütteln erlangt und indischen Ursprungs sein könnten. Im ganzen kommt Biot (me "Whitney) bei der Prüfung zu dem bemerkenswerten Schlüsse, dass der Hauptfond der indischen Astronomie aus einer Zeit stammen müsse, die vor Ptole- mäus liege, da verschiedentlicher von Ptolejiäus in den Bereclmungsregeln angebahnter Fortschritt im Siddkänta nicht vorzufinden sei. Während Whitxey die fi-emde Quelle bei den Griechen vermutet, fi'ägt Biot, ob die Inder jene weniger genauen Kegeln nicht aus den Schriften der „Astrologen" genommen haben könnten, welche sich die griechische Wissen- schaft niu- deshalb aneigneten, um von ikr einen merkwürdigen Gebrauch zu macheu.-) Vor vierzig Jahren war diese A'ermutung in dieser un- bestimmt gehaltenen Form nicht ohne Grund; heute, wo wü- die Kenntnis der Sonnen- und Mondbewegung der Babylonier völlig übersehen können (vgl. Aufsatz II 201), müssen wir der Richtung ein bestimmtes Ziel geben. Die Vergieichung der Hauptperioden der Mondbewegung nach Kenntnis des äürya Siddhdnta (Biot) und nach den bab3-lonischen Mondtafeln (Kuglee) lehrt:

1) J. B. Biot, Etudes sur TAstrou. iudieuiie et sur l'Astrou. chiuoise, Paris 1862, S. 50.

2) A. a. 0. S. 200—207.

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Die astronomischen Kennfnisse der Bahylonier. 111. ;563

Länge des synod. Monats Länge des sidcrisehon Monats

Sürya .Siddh. 29'' 12" 44™ 2,8» Snr,/a Siddh. 27'' 7" 43™ 12,5» üabylomer 29 12 44 ^'/^ Babylonier 27 7 43 14

Die Übereinstimmimg dieser Beträgeist so vorzüglicli, dass, wenn der Sürya Si'ddkanta die PTOLEMÄischen resp. HippAECHSchen Monatlängen nicht gekannt hat und auf eine frühere Quelle zurückgegriffen liaben sollte, nur der Schluss übrig bleibt, dass das astronomische Wissen der Babj-- lonier (welche, wie wir gesehen haben, jene Kenntnis schon beträchtlich vor HippARCH besassen) jene Quelle gewesen ist.')

Um den gewaltigen Einfluss der babj'lonischen Kultur im Alter- tume, Avelcher sich vom Nilthale-) bis über den ,Tndus hinaus, von Persien bis Rom ausdehnte, zu würdigen, muss man berücksichtigen, dass nach moderner historischer Auffassung das ganze Vorderasien in einem anderen Lichte betrachtet werden muss, als man dies früher auf Grund der griechi- schen Tradition gewohnt war. Während man die einzelnen vorder- asiatischen Eeiche, väe Ägypten, Syrien, Babylonien, Persien, Elam, als wesentlich von einander verschiedene Kulturstätten aufgefasst hat, bra(;h sich in neuerer Zeit mehr die Anschauung Bahn, dass in der sehr alten Zeit alle diese Staaten viel enger durch ihnen gemeinsame Kulturelemente verbunden gewesen sind. Namentlich ist es die Keilschrift, welche diese

1) Ein direktes Zeugnis für die Importierung griecliisclier Ideen in den Sürya Siddhänta ist die von Thk»x v. Alexäsdkien (4. Jahrb. n. Chr.) herrührende Hypothese (Delambre, Hist. de l'Astr. anc. 11625), dass der Frühjahrspunkt keine retrograde, sondern oscillatorische Bewegung besitze. Sie betrage in 640 Jahren, oder 4.5" per Jahr. Dieselbe Ansicht fanden Colebrooke und Davis im Särya Siddhänta, nur sollte die Bewegung 54" per Jahr sein. Biot weist nach (a. a. 0. S. 87), dass der Verfasser des Siddhänta diese Librationshypothese des Frühjahrpunktes aus der vorptolemäischen Astronomie übernommen hat. Für ursprungliche Beziehungen der babylonbchen Astronomie zu Indien (und China) spricht die zuerst von A. Weber (nasatra II 361 ff.) hervorgehobene Thatsaohe, dass die Dauer des längsten Tages, die im Vedakalender für Indien angegeben wird, mit derjenigen, die Ptolemaus (Geogr. V 20, 6) ansetzt, trotz der beträchtlichen Verschiedenheit der geographischen Breiten Indiens und Baby- lons nahe übereinstimmt. Nach dem Jijotisham wäre der längste Tag 14112411, was einer geogr. Breite von 33» 52' entspricht; Kugler (Die babyl. Mondrechnung S. 80—82} fand aus den babylonischen Mondrechnungstafeln ebenfalls 14h 24«; aus chinesischen Quellen (vgl. Biot, Etudes sur l'Astron. ind. et chinoise 1862, S. 293) resultiert der- selbe Betrag. Spuren eines astronomischen Zusammenhanges Indiens mit Slam finden sich ebenfalls vor, z. B. das mit der Annahme des Sürya Siddhänta nahe über- einstimmende siderische Jahr (365d 6b 12"i 86,6»), welches D. Cassini aus den von LüüBiRE 1688 mitgebrachten siamesischen Manuskripten abgeleitet hat. (Vgl. Biot a. a. O. S. 29). Die Anschauung, dass gewisse Gestalten des indischen Pantheons babylonische Entlehnungen sind, vertritt bekanntlich Oldenueuu, s. z. B. Die Eeligion des

Veda, S 192 ff. ^ ,

2) Von der Ansicht, dass Ägypten einen kulturellen Einfluss auf Babylon aus- geübt habe, indem gewisse Maasse von Ägypten ausgegangen und für den Orient vor- bildlich gewesen seien (wie Nissen, Griechische u. röm. Metrologie, Ridgeway, Brugsci. angenommen haben), ist man in neuerer Zeit mehr und mehr zurückgekommen.

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364 F. K. Ginzel,

Yerbmduug herstellt. Dei- Tafelfund von El-Amarua iu Ägypten beides, dass schon im 2. Jahi-tauseud v. Chr. die babylonische Keilschrift als offizielles und Yerständigungsmittel in ganz Vorderasien gedient hat. „Die Keilschrift ist der Träger des geistigen Verkehrs gewesen; überall begegnen ■wir ihr, in Elam, Armenien, Kleinasien, in Palästina, selbst in Ägypten tritt uns babylonische Sclu-ift und Sprache entgegen."*) Die notwendige Folge einer so weitgehenden Verbreitung einer alten Kultur- sprache war, dass alle diese Völker mit den geistigen Leistungen in dieser Sprache bekannt werden mussten und mehr oder weniger davon in ihre eigene Kultur herüber genommen haben. Ein aufmerksameres Studium der altbabylonischen M^ihen und Legenden hat denn auch dazu geführt, solche Einflüsse mehi-fach, wie im alten Testamente der Bibel und in der äg3-ptischen Mythologie, festzustellen, ja man hat Spuren solcher Einflüsse sogar bis in unsere nordischen Sagenki-eise verfolgt.-)

Diese Betrachtungen nötigen zu der Annahme, dass die Blütezeit des Orients nicht in die für uns gescliichtlich feststehenden Epochen zu legen, sondern viel fi'üher, mindestens im di-itten Jahrtausend v. Chr. zu suchen ist. Semitische Völkerschaften, wahrscheinlich aus Arabien ein- gewandert, haben in Babylonien ihre höchste Kultur erreicht. Ver- schiedentliche später eindringende Völker haben diese Kultur aufgenommen und sie sich gegenseitig übertragen. So haben sich, durch aufeinander folgende Völkerbewegungen, uralte Kulturreste, Sprache, Weltanschauung und Sagenkreise, Maasswesen und Industriefortschritte nach Ost und West in den späteren Jahrtausenden fortgepflanzt, und der ursprüngliche historLsche Zusammenhang dieser Entwickelung ist den viel später schreiben- den Völkern, auf deren Tradition wii- bisher augeAnesen waren, schon verloren gewesen.

Nachdem wü- im Vorhergehenden in grossen Zügen auf die Gemein- samkeit mchtiger Knltiu-elemente bei den hervorragendsten der vorder- asiatischen Völkerschaften und auf Altbabylonien als deren Quelle hin- ge■\^^esen haben, wenden ■«•ir ims nun zu der Frage, auf welche Weise sich die Astronomie bei den Babyloniern entwickelt haben kann.

Den Anstoss zur Beschäftigung mit dem Himmel hat den Babyloniern unzweifelhaft ihre We It anschau ung gegeben. Das Bestreben, hervor- ragende Eigenschaften und Thaten gewaltiger geschichtlicher Persönlich- keiten, Könige u. s. w., in der Erinnerung und Verehrung festzuhalten.

1) S. C. F. Lehmann. Zeitscbr. f. Assyr. III 390; Wixckler , Das alte West- .asien, S. 4.

2) So ist zweifelhaft geworden , ob die Phönizier als Erfinder des Glases und des Purpurs zu betrachten sind. Die Brettebenweberei, die iu Island noch ausgeübt wird und in der Edda sieh erwähnt findet, hat C. F. Lebmann in Armenien u. Mesopotamien konstatieren können (Zeitschr. f. Assyr. XIV 369).

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Dir nKfrnnomi.frhf')! Krmifnixxr der Jiahi/lnmcr. III. ;!(^)5

gab den Aiilass zur liililuiiii von Lt'gt'iKk'ii.') In weiterer Steigeiiuig an das Geiläclitnis Einzelner gelangte man bis zur göttlichen Verehrung der Legendenhelden ; hinzu trat die ^'erehrung von der lebhaften orientalischen Phantasie selbst geschaffener, erdachter, den Besitz übernatürlicher Kräfte repräsentierender mächtiger ^Vesen. Eine reich verzweigte Mythologie entstand, deren Gestalten in die i)ersischen, ägyptischen, selbst in die germanischen ^'orstellungen übergingen. Der nächtliche reine Himmel Arabiens und Mesopotamiens mit seinen glänzenden Sternbildern bot von Natur aus das geeignetste Feld, die Erinnerung an die Mythengestalten im ^'olke für ewig festzuhalten. Man verköri)erte schliesslich die höchsten dei- als Symbole der Kraft und Macht geschaffenen Götter mit den leuchtendsten der am Himmel kreisenden Sterne: der Gestirndienst begann. Der Himmel bildete fortan das Gebiet für alle Geschehnisse, den fnichtbaren Boden für die Astralmythen und die auf halb historischer Grundlage ruhenden Legenden. „Die Projektion der [Mythen auf die Himmel.skarte." das sich bei den einzelnen Völkern immer wiederholende Spiel der mythischen Ereignisse erklärt das Auftreten derselben Stoffe in Babylonien wie in Kanaan, in Persien und Indien. Am deut- lichsten hat sich uns die nach babylonischen Vorbildern geliandhabte Übertragung der Legenden auf den Himmel in der Bibel erhalten.-) Ähnlich steht es mit der Schaffung der Planetengottheiten seitens der Babylonier. Wenn der Planet Jupiter als Attribut des Gottes Merodach, als Sinnbild der Kraft, der Herrschaft, des Lichtes, gewählt wird, wenn man als S^nubol des mit dem Bogen die Ungeheuer be- kämpfenden Marduk den „Bogenstern" aussucht (Sirius, Orion?) u. s. -k., so liegt darin ein tieferes Prinzip, und die seltsamen Namen, die mr im L Aufsatze (S. 4—6) für die Sterne und Zodiakalzeichen und im II. (S. 189. 190) für die Planeten anführen mussten, ge-ninnen erst den richtigen Sinn, "wenn wir bedenken, dass es sich hier überall um den Ausdruck ge- wisser Eigenschaften und gegenseitiger Beziehungen handelt, welche Sagen und Legenden zum Ausgangspunkte haben. •'■) Schliesslich wurde

1) Wir folgen hier deu Anschauungen Wi.ncklers, obgleich vielleicht gegen die- selben Manches einzuwenden ist.

2) Nach H. Wi.nckler (Gescliichte Israels II), welcher versucht hat, die biblischen Legenden auf ihre Entstehung zurück zu verfolgen. Das Sternbild des Orion ist von den Hebräern in ähnlichem Sinne mit Legenden in Verbindung gebracht wie der kämpfende Marduk der Babylonier. Entweder deutet hierauf der Goliatmythus (WiNCKLER II 177) oder das Bild vom Josef mit dem siegreichen Bogen in der Hand, während Pfeilschützen ihn verfolgen (Zimmebn, Der Jakobssegen u. der Tierkreis. Zeitschr. f. Assyr. VII 161, 167).

3) Irgend welche Ähnlichkeit zwischen Göttern , Planeten und Fixsternen führte zur Vergleichung. Sonne und Mond als die grossen Zwillinge unter den Himmels- körpern verglich man mit den Zwillingen Kastor und Pollux, die Venus wegen ihres starken Glanzes mit dem Sirius und den rötlichen Mars und den trüben Saturn mit

Beiträge z. alten Geschichte 1 3. 24

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:?f)() F. K. Ginzd,

der Himmel den Babylouieru ein Spiegelbild üires eigeueu Landes; dort gab es einen Euphrat und Tigris und babylonische Städte; dort be- herrschten die Planetengötter dies Land und damit auch zugleich das irdische Babylonien. Da aber die Planeten ihren Ort am Himmel fort- während verändern, so verstärken sich bisweilen ihre Einwirkungen, oder sie widerstreiten einander; die kommenden, von den Göttern befolilenen Geschicke der Erdenwelt wie auch die geschehenen, ergeben sich also aus den gesetzmässigen Bewegungen der Götter d. h. der Planeten; da- mit war man bei der Astrologie angelangt. Allein die Gesetzmässig- keit zeigte sich nicht blos am Himmel, sondern auch auf der Erde wiederholten sich eine Eeihe von Erscheinungen in zahlenmässiger Wieder- kehr, und überhaupt bemerkte man im ganzen Kosmos eine Harmonie, welche sich diu'ch Zahlen ausdi'ücken liess; durch Zahlen konnte man also auch Zukünftiges, Werdendes, vermuten, und das Ineinandergreifen der Dinge erklären.') Sterndeut er ei und Zahlenmystik bildeten auf diese Weise den Grund und Boden der vorderasiatischen Weltan- schauung. Diese Lehi-e verbreitete sich in ganz Vorderasien; im Laufe der Jahrtausende aber geriet ihr Grundgedanke mehr und raehi- in Ver- gessenheit; durch die politischen Umwälzungen der vorderasiatischen Staaten scliiiesslich einer bleibenden Stätte und eines geistigen Bandes beraubt, zerfiel sie ganz, und es blieb von ilir nur Mantik und Propheten- tum übrig.

Die Pflege der Astrologie in Babylon reicht überaus weit ins Alter- tum zurück. Gemsse Anzeichen sprechen dafür, dass ihr Beginn schon vor die Zeit fällt, wo die Sonne noeli mit dem Sternbilde der Zwillinge aufging;-) dies würde dem 3. oder 4. Jahrtausend v. Clir. entsprechen.

dem Antares wegen seines trübroten Lichtes. Die Zwillinge wurden mit zwei Er- scheinungsformen des Nergal verknüpft, weil Nergdl die Mittags- und Sommersoiine ist und die Sonne in der heisson Jahreszeit in den Zwillingen stand (Jessen, Kosmol. d. Babvl. 151). Über die Entwickelung der Tierkreisbilder s. besonders Hommel („Aus- land' 1891 u. HoMMELS Aufsätze u. Abhandl. III 1, 1901, S. 350-474).

1) Das Vorhandensein einer Zahlensymbolik bei den Babyloniern ist über allen Zweifel gesichert ... Es ist keineswegs unmöglich, dass aus den magischen Anfangen sich die Beachtung merkwürdiger Eigenschaften der Zahlen entwickelte, dass eine Vorbedeutungsarithmetik sich bei ihnen bis zur Kenntnis zahlentheoretischer Gesetze erhob . . . Sicher ist, dass es eine Vorbedeutuugsgeometrie in Babylon gab. (Caxior, Vorl. Gesch. d. Math. 86 89). Es ist unschwer, in diesen Zahlen- spielereien die Anfänge der später von Pvthagoras aufgenommenen Lehre von der Harmonie des Weltalls zu erkennen. Die Zweizahl im Weltall drückt sich aus im Verhältnis von Sonne und Mond und in der Teilung eines ..oberen' und „unteren" Weltalls; die Dreizahl in den 3 Reichen, des Amt, Bei und Ea, am Himmel; die Vier- zahl in den 4 Jahreszeiten und den 4 Phasen des Mondes; die Fünfzahl in den 5 Planeten und deren 5 Farben (Venus = weiss , Mars-Ninib = rot , Merkur-Nebo = blau, Jupiter-Marduk ^ gelb, Saturn-Xergal = schwarz), u. s. w.

2) Dies geht nach Wixcklek (Altorieut. Forschungen, 2. Keihe. 1900, S. 368) aus

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Dir. astronomischen Kcnntnisso der Baltijlonicr. III. :Hh

Das astrulügisclie V\'evk Enuma Bei staninit aus der Zeit vor 2000 v. Chr. Es ist sehr bezeichnend liir die Entwi(;keluno- der Astronomie aus dei- Astrologie, dass in den Hunderten der nachweislich einer weit zurück- liegenden Zeit angehörenden astrologischen Berichte der Babylonier (Britt. Mus.), welche zumeist an den König gerichtet sind, von Astronomie noch sehr wenig vorkommt. Es handelt sich dort um (rlück- und T^n- glücksprophezeiungen auf «rund der jeweiligen Stellung der Gestirne (z. B. (Tlück für das Land AJckad, Unglück für das Westland), um An- gabe glücklicher Tage u. dgl. Erst in dem viel späteren, von Epping untersuchten Tafelmaterial, also des :'.. und 2. Jahrh. v. Chr., bemerkt man (bis jetzt wenigstens) deutlich das Auftauchen rein astronomischer Beobachtungen neben astrologischen Berichten; vielfach erscheinen sie noch mit einander vermischt (auch mit Berichten über Wasserstand, Wetter u. dgl.). Dies ist auffällig für ein Zeitalter, in welchem, wie wir (Aufsatz II) gesehen haben, die astronomischen Kenntnisse der Babylonier schon sehr beträchtlich entwickelt sein mussten und bereits nach ver- schiedeneu Systemen an babylonischen Observatorien gelehrt wurden. Wenn wir trotz besserer Erkenntnis die Wahrsagerei aus dem Stande der Gesttnie weiter betrieben finden, so hatte dies vermutlich in der Priesterschaft seinen Grund. Das Volk war unwissend, selbst die Könige voller Aberglauben; die Priester aber waren die Begründer und Stützen des ganzen philosophischen Systems, in ihren Händen lag die Ordnung des Kalenders, des Mond- und Gestirukultus, und mancher- lei Einfluss stand ihnen zu; wenn sie die Astrologie vollständig auf- gegeben haben würden, hätten sie mit einem grossen Teile des l)e-

einer Planetenliste (IV R. 33) hervor, in welcher für die einzelnen Monate die ent- sprechenden Monatsgötter angegeben werden: Nisan Ami u. Bei

Airu Ea (Herr der Menschheitl

Sivan Sin (Sohn des Bei) = Mond

Tammus Ninib (Held) = Sonne

Ab misari? = Nebo-Mcrkur

Eliil Istar, die Herrin = Venus

TiSrit Held (Krieger) Samas = Mars

MarhcSvan Der Bevollmächtigte der Götter ^ Jupiter Kislcv Held Nergal -- Saturn

Tcbet Papsukal, der Bote Anus u. Bels

Sebat Der grosse Eamman

Adar Die Siebeugottheit

Die 7 Monate Sivan bis Kislev sind durch die 7 daneben gestellten Planeten charakterisiert. Aber die Götter für die anderen 5 Monate sind nur untergeordnete Gottheiten, bilden daher eine zweite, untergeordnete Reihe; also hat die Götterreihe mit dem Gotte Sin angefangen d. h. mit dem Monat Sivan; dies war aber nur mög- lich, da die Sonne in den Zwillingen stand, etwa 3000 v. Chr.; die Monate Nisan und Airu sind erst an die Spitze gesetzt worden, als man im Laufe der Zeiten das Vor- rücken der Sonne (bis in den Widder) erkannte.

24* G7

368 F. K. (iinzcl

stelieudeu Systems brechen müssen, und ihr Einfluss, vielleicht auch ihre Existenz, wäre, da sie bei der Menge für rein astronomische Thätigkeit kaum ein Verständnis gefunden liätten, in Frage gekommen. So bestand deshalb die Astrologie -weiter, die Priester pflegten zwar daneben und zuletzt -s-ielleicht ausschliesslich die rein astronomische Be- obachtung (Strabo weis zu berichten, dass sich manche Priestersekten von der Astrologie frei gehalten haben sollen), aber sie fanden es für gut, von den gewonnenen Kenntnissen, wie von mancher anderen besseren Einsicht, nur so viel an den Tag zu geben, als ihnen für zweckmässig dünkte. Vom heutigen Standpunkte aus ist zwar das ganze astrologische System ein Konglomerat von Unsinn, in der Entmckelungsgeschichte des menschlichen Geistes aber repräsentiert es eine bemerkenswerte Etappe. Aus diesem (Trunde und um die Entmckelung der astronomischen Definitionen aus den lu-sprüuglich astrologischen Anschauungen klar zu legen, wäre es an der Zeit, wenn kundige Hände auch an die Unter- suchung jenes astrologischen „Unsinns" auf Grund der in neuerer Zeit dem Verständnis weit näher gerückten babylonischen astrologischen Be- richte gehen würden.

In Übereinstimmung mit unserer Darstellung sehen wir also mehrere astronomische Begriffe aus ursprünglich astrologischen Abstraktionen ent- springen. Daneben leiteten aber auch unmittelbar praktische Interessen, wie die Vorausbestimmung des Beginns der Jahreszeiten für die Land- viii'tschaft,*) die Ermittelung der Zeit für die Bedürfnisse des Volks- lebens, die Bestimmung der Zeit der Feste für den Kultus u. s. w., von der Astrologie zur Astronomie hinüber. Die astrologische Dreiteilung des Himmels, innerhalb welcher die Planeten verschiedene „Wege in Be- ziehung auf Anu und Bei" längs „der FiU'che das Himmels" ausführten, gab wahrscheinlich die Griuididee zu geometrischen Betrachtungen des Himmelsgewölbes. Die di-ei Eeiche stiessen im „Pol" des Himmels zu- sammen, aus ihren Gebieten bildete man die' Sternbilder und den an- fänglich neUeicht regellosen „Zodiakus", indem man die 12 mythischen Ungeheuer des babylonischen Weltschöpfungsepos dahin verpflanzte.^) Die „Furche" d. h. die Sonnenbahn (Ekliptik i durchschnitt das himm- lische Land.

Den eigentlichen astrologischen (Trund der Teilung der Ekliptik gab

1) Namentlich forderte wohl, wie mir Lehmann bemerkt, die regelmässig ein- tretende Schwelle der Ströme, welche sorgsam vorzubereitende Massregeln zur Regu- lierung der Überschwemmung und zur Entwässerung bedingte , naturgemäss zur Be- obachtung der Zeiten und Gestirne auf.

2) Das GilgamiK-'Epos besteht aus 12 Tafelu, deren eine den babylonischen Sint- flutberieht enthält. Wie R.4wlix3on vermutet, entsprechen dieser Zwölfzahl der Tafeln die 12 Zeichen des Zodiakus. Über die Tiämat und ihre elf Helfer im babylonischen Schöpfuugsepos s. Deutsch, Das Babylonische Weltschöpfungsepos S. 127 Aum. 1.

Dir, (intronomisclinn Kcnniniaftr. der Biihißunkr. IJL -i^J!'

walüscli.niili.h die jälirliclie Bewcguiio: des Mondes, des ..Vaters der Götter". Der durch den Mond symbolisierte (^ott genoss, wie bekannt, eine ausserordentliclie Vereliruno-; es bestand in Mesopotamien ein be- sonderer Mondkultus, dessen Spuren wir noch bis Indien, Arabien und selbst in Israel verfolgen können. Der Mond war für den gemeinen Mann nächst der Sonne das auffälligste und am leichtesten verfolgbare Himmelsobjekt. An seine regelmässig wechselnden Lichtgestalten knüpfte sich daher bald das Mondjahr, eine Zeitrechnungsform, die nicht blos Babvlonien, sondern fast den ganzen Orient bis in unsere Zeiten herauf beherrscht hat. ^tlan bemerkte leicht , dass die Zeit, die der Mond braucht, um von einem für kurze Zeit in seiner Nähe befindlichen Sterne nach einem Monate wieder zu demselben Sterne zurückzukommen, ungefähr 27 Vs Tage betrug. Wie aus der unserer I. Abhdlg. beigegebenen Karte ersichtlich ist, liegt der jeweilige monatliche Weg des Mondes immer in der Nähe der Ekliptik. Da bei den astrologischen Aufgaben die Schätzung des Mondeinflusses von grosser Wichtigkeit war, also die Orte des Mondes nächst der Ekliptik hiezu bekannt sein mussten, so schuf die Astro- logie schon in ihren allerersten Anfängen eine Teilung der Ekliptik in 27 „Häuser" oder „Stationen", in denen der Mond etwa je einen Tag verblieb. Dies sind die manzil der Araber, die namtra der Inder, die siu der Chinesen, die in Abhdlg. I (S. 20-23) mit einander verglichen \\-nrden. Jede Station fasste, nach vielen alten Zeugnissen,^) etwa 13' 3 Grad, da 13Vj° X 27 = 360". Neben dieser Teilung des Zodiakus in 27 oder 28 Mondstationen (sie findet sich selbst in Siam,^ s- Cassini, Mem. de l'acad. d. sc. T. YIII 30U) ist aber auf verschiedenen uns noch erhalten gebliebenen Tierkreisabbildungen auch noch die Zwölfteilung er- sichtlich. Auf ägyptischen Tierkreisen-) erscheinen 12 Hauptgötter und unter jedem dieser 3 weitere Gottheiten, welche zusammen also den 3(5 Dekanen der Ägypter entsprechen ; jedem Dekan sind ausserdem noch 3 „Helfer" beigegeben, so dass der ganze Tierkreis l(i8 Konstellationen

1) So heisst .'s in einiT alten hebräischen Handschrift (Steixschseider , üb. die Mondstationeu u. das Buch Arcandaui, Zeifschr. d. Deutsch. Morgen!. Ges. XVIII 118): ,Die Sphäre wird in 360 Teile geteilt, und der Mond schneidet diese Sphäre in seiner

Erneuerung, welche Monat genannt wird, dessen Tage 27 (28) Er hat ein Lager.

in welchem er eine Nacht wohnt. Die Sphäre wird in 360 Teile geteilt und je 30 heissen ein Sternbild [Zodiakalbild] und jedes hat 2'/:, Lager' [also hat jedes Lager beim Vorhandensein von 28 Stationen 12" 51', bei 27 Stationen (der älteren Teilung) 13» 20'].

2) Das siamesische System der Maasse der Zeit und des Raumes Ui,sst. wie mir Herr Lehmann mitteilt, noch heute, sowohl in der strikt sexagesimalen Einteilung wie in den Beträgen die (mittelbare) Herkunft aus Babylonien erkennen.

3) Bailly, Hist. de 1' Astron. ancienne. Eclairc. livre IX p. 496. Desgleichen zeigen die von Bia.nchini und Pocokk beschriebenen Tierkreise (Bailly a. a. 0. .504, 5; die 36 Dekane in anderer Anordnunir.

370

F. K. (Hnscl

iu sich begreift. Jede Koustellatiou würde deiimacli eiue Ausilehnuug von 3" 20' gehabt haben, und 4 derselben würden 13° 20' d. h. den 27. Teil des Zodiakus, eine Jloudstatiou, vorstellen, woraus man schliesseu kann, dass durch die ganze Anordnung das Verhältnis der beiden Teilungen nach der Sonne (12) und dem Monde (27) ausgedrückt werden soll. Es fragt sich, welche von beiden Teilungsai'ten , die nach dem Monde oder nach der Sonne, ist die ältere und ursprüngliche V

A. V. Humboldt, welcher bekanntlich die 12 Zodiakalzeichen der Ta- taren, Japaner, Til)etaner mit den Hieroglj'phennamen der mexikanischen Kalendertage und den indischen «a.ra6-«-Xamen verglichen hat,*) kommt zu dem Schlüsse, dass fast alle Bedeutungen der n«j-aft-a-Xamen iu dem 12teiligeu tatarischen und tibetanischen Zodiakus ihre Parallele haben, und dass die 12 Zeichen aus den 27 Mondstationen ausgewählt worden sein müssen, also der Zodiakus aus dem Mondstationenkreis

Zodiakal-Zt

Tibetanische.

Tchip (Wasser, Ratte) Lang (Ochs) Tah (Tiger) .To (Hase) Brou (Drache) Proid (Schlange) Tha (Pferd) Lon (Ziegenbock) Prehou (Aife) Tcha (Vogel) K>/ (Hund) Pah (Schwein)

1) Vue des Cordilleres II S. 6 12 u. 50. Die Vergleichungstabelle der tibe- tanischen und griechischen Zodiakalzeichen mit entsprechenden Hrtx«(ra-Bedeutungen ist folgende

'ich en.

Griecliisclie. H«.r(//ra-Bcdeutuugen.

Wassermann Ratte Steinbock Gazelle

Schütze Pfeil, Bogen

Skorpion Schwanz d. Löwen

Wage Balken ^der Wage)

Jungfrau Schlange

Löwe Pferd

Krebs Ziege

Zwillinge Affe

Stier Adler

Widder Schwanz d. Hundes

Fische Fische

Humboldt verweist auch auf die Namen, welche nach D.ivis (On the cycle of (JO years. Asiat, res. III 217) die Hindu ihren Monaten und Jahren geben: diese sind nicht jene des 12 teiligen Sonneuzodiakus, sondern aus den Mondstationen ausgewählt, und jeder Monat hat den Namen des Mondhauses, in welchem der Vollmond statt hat. Während des Druckes dieser Abhandlung bemerke ich , dass auch schon Ideleu in seiner .Zeitrechnung der Chinesen" Nachtrag II (Abhaudl. d. Berl. Ak. d. W. phil. bist. Kl. 1l>37, p. 276 f.) gegen die Identifizierung der Zodiakalzeichen mit dem ost- asiatischen Tiercyklus durch Humboldt einige Bedenken geltend gemacht hat. ,Der Tiercyklus der Ostasiaten hat zwar überall gleichen Anfang, was auf eiue gemein- same Quelle deutet . . . wahrscheinlich ist er in Westasien entstanden . . . Man be- greift aber nicht, wie aus dem Cyklus der Zodiakalzeichen, der allenfalls die Stelle eines Cyklus der Sounenmonate vertreten konnte, ein Cyklus von Jahren geworden sein sollte. Auch findet sich bei keinem der Völker, die jetzt ihre Jahre im Tier- cyklus zählen, eine Andeutung davon . . . Der Zodiakus des Biancuisi (Bailly, Hist. d. TAstron. anc. 493, 504), auf den sieh diese Meinungen stützen, enthält weder ganz dieselben Figuren , noch diese in derselben Ordnung wie der Tiercyklus der Ost- asiaten."

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Dh „sfronowisrIwH k'r.nvfmssc ikr lialnilonin: III. :'..l

.„tstaudeu ist. ..Di. nördlirhereii Volker, hri d.n.m sirh nur srlnvaH,- Erinneninson an ai. l^edeutuu-eu der indiseheu Mondstatioueu erlia .mi hatten ^^^lhlten bei der Aufstellung ihres Kalenders unter .leneu alten Namen irgendwelche für ihren Zodiakus aus, ohne auf die aUe ursprnng- iid e Ordnung derselben zu achten." Mir ist fraglich, ob die «e eutungei, c^ H™box.;12 von den «..«..«-Namen beilegt (s. 8. 8 0 Anm. 1) niogUch sind- dies zu entscheiden, ist Sache der Sprachforschung Abei sta ke Bedenken habe ich gegen die H.«Bo.B.sche Annahme, welclie die 1 übe tanischen und tatarischen Namen als Bezeichnungen einer 12 t ihg:en Lk p ik. also im gleichen Sinne mit unserem (resp. griechischen Zodiakus, auffasst 6h hier nicht eine Verwechslung mit dem 12teihgen aiercyklus da fast in ganz Ostasien vorfindet, stattgefunden hatV In China sind die Namen dieses Cyklus folgende: 1. .cÄ. = Maus, = O^J ' 3 /,« = Tiger, 4. ft* = Hase, 5. ^««</ = Drache , b. .Äe = Schlange,

1 = Pf:rd. 8. Jan, = Schaf (Ziege), 9. keu = Affe, W.Ja = Henne, 11. kju.^ = Hund, 12. tschu = Schwein, also mit ^en von Hombo.i.t fiu den tibetaiüschen Zodiakus angegebenen Bedeutungen (vgl S 3.Ü Anm 1) üb r instimmend. Aber der ostasiatische Tiercyklus -/- J^l^'^- cvklns und hat nur den Zweck, anzugeben, das wievielte Jahr ein ge- lben s in diesem Tiercyklus ist. Sollten also die beiden Grundbe- 5^^ no J des H.MBo..xschen Beweises nicht aufrecht erhalten werden SnnTu so würde die Hypothese keinen Halt mehr haben Aber trotz- d mTcheint diese Idee, nach welcher also ^er Sonnenzodraknis aus sehr alten Mondstationenkreise hervorgegangen ist, manches fui .ich zu haben Man kann sich denken, dass im Laufe der Zeiten als man sich

n den k ssesten astrologischen Vorstellungen m.hr fi-ei gemacht nml r astronomische Wichtigkeit der Sonne als alleinigen bequemen Zei- "erkannt hatte, die Mondverehrung und danüt auch die Mond- "Iti nen an Ansehen verloren. Die Bewegung der Sonne im Zodrakus b'I e eine ganz andere Teilung des letzteren; in der Sonnenbewegnng wen währen! eines Jahres 12 Mondumläufe enthalten, und man schuft

eTalb zur ZwölfteUung. Die altehrwürdigen Mondstationen wurden nSt ganz über Bord geworfen, man traf vMB.ehru.ter ihnen «ne

Auswlhl" Wie diese Auswahl erfolgt ist, namentlich abei , ^^ekhe ÄV'indlunoen die ursprünglichen Bedeutungen bei den Arabern, Indern ™r ^SSn diese 'n den Zodiakus hinübergeretteten Mondst^Uoi^ durchgemacht haben, lässt sich heute kaum mehr angeben.>) Bei de^ graphisch sehr grossen Verschiedenheit der ^^^^ ^^^^ Kulturvölker und den grossen Zeiträumen, in denen sich diese \ ei

l7r)i7inarkantesten Hauptsterne der Stationen, wie Spica Virgin.), KeguU^s

(a Arietis) besser in der Ekliptik.

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H72 F. K. (iinzd,

äiideiuiigvii der Anscliaiuuig vollznaeii lial)eii. sind siclier Mi-ssverstäiidiiisse genug in der Tradition der alten iloiidstationen vorgekommen. Ein Blick auf unsere Karte der Mondstationen lehrt, dass diese Stationen für die Epoche um 2000 v. Chr. sehr gut angelegt waren, denn sie lagen zum üljerA^iegenden Teile auf den monatlichen Wegen des Mondes längs der Ekliptik. Einige ii-rten allerdings weit ab. "\'ur allen die naxatra XIII sväti (Ai-ctur) und XX abhijif (Leyer)') und der Orion; für die ersteren beiden sind sicherlich lokale astrologische Gründe massgebend gewesen, und Orion war ein uraltes Überbleibsel aus dem babylonischen Mj-thenki'eise. Auffällig ist, dass aber eine weitere Zahl dicht am Äquator liegt. Es sind dies 3 zwischen Audromeda und Pegasus, ferner Delphin. Adler, Eabe und 4 Mondstationen in der Hj'dra. Es scheinen also auch Verwechslungen der Ekliptik mit dem Äquator statt- gefunden zu haben.-) Lässt man diese 10, ferner die obgenaunten 3 weg

1) Die auffällige Abirrung des 20. indischeu Moudhauses der Wega (abhijä) von der Lage der übrigen führt mich noch zu einer Bemerkung, welche ich, obwohl sie nur Vermutungen enthält, doch nicht ganz unterdrücken möchte. Aratds sagt in seinem bekannten Gedichte über die Sternbilder, die Konstellation der Leyer bestehe nur aus kleinen Sternen , Hippakch und Ptolemäus aber bezeichnen Wega als sehr hellen Stern. Daraus hat man schon früher die Frage gezogen, ob Wega nicht erst zwischen dem 3. und 1. Jahrh. v. Chr. zu einem Sterne erster Grösse geworden, früher also wahrscheinlich erheblich schwächer gewesen sei. Es ist nun auffällig, dass Hummel bei seinen Versuchen, die auf altbabylonischen Tafeln genannten Sterne zu identifizieren, betreffs Wega nicht zum Ziel gekommen ist (vgl; Aufsatz I S. 5), woraus man, vorausgesetzt, dass auch andere babylonische Tafeln aus alter Zeit diesen Stern nicht nennen, fast schliessen möchte, dass die IJabylonier der alten Zeit Wega als hellen Stern nicht kennen. Dieser Umstand würde den Aratcs unterstützen, wenn wir uns erinnern, dass manche Sternbilder der Babylonier von den Griechen erst in später Zeit übernommen worden sind. Die modernen Reobaehtungen haben bisher an Wega noch keine Variabilität konstatieren können. Jedoch schliesst dies nicht aus. dass der Lichtwechsel dieses Sterns in eine sehr grosse Periode eingeschlossen sein kann (bei einigen Sternen werden Perioden von mehreren hundert Jahren vermutet). Wenn aber Wega früher vielleicht nur 3. oder 4. Grösse gewesen und erst im 3. Jahrh. v. Chr. zu einem Sterne L Grösse geworden ist, würde möglicherweise die 20. Mondstation der Inder hierdurch eine Erklärung finden können. Das Auftauchen eines sehr hellen, früher wegen seiner Lichtschwäehe kaum beachteten Sterns, wird sicherlich für die Völker etwas Wunderbares gewesen sein und man wird nicht verfehlt haben, daran auch astrologische Bedeutungen zu knüpfen. Diese Erscheinung könnte für die Inder, welche höchst wahrscheinlich ihre naxatra von den Babyloniern übernommen haben (vgl. Aufsatz I S. 17), bestimmend gewesen sein, da sie Wega bei letzteren nicht vor- fanden, diesen Stern durch ein Mondhaus astrologisch zu verewigen. Wie man aber sieht, steht und fällt diese Hypothese mit der Richtigkeit der HoMMELschen Stern- identifizierungen und den Ergebnissen aus zukünftigen Tafelfunden.

2) Der Äquator musste bald erkannt werden aus der alltäglichen Beobachtung, dass sämtliche Sterne konzentrische Kreise beschrieben um einen unbewegt bleibenden Stern. Die Lage des Kreises der schnellsten Bewegung der Sterne, des Äquators, blieb jedenfalls sehr unbestimmt , so lauge sich der Gedanke, den Himmel als astronomisch- geometrisches Feld zu betrachten und Messungen an demselben vorzunehmen , nicht

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Die. nfitronoinisrlicv Keimt iiissc <hr Jlulii/ldi/iir. III. '^Td

uml au-sserdeiu iiucli zwei bfiiii „Kleinen rterd" (11 und VI der siu), so bleiben 12 Stationen übrig-, die .sicli der Ekliptik ni(i<!:li(;list nahe aii- scliliessen. In dieser Gestalt mag der Tierkreis, vielleicht über Ägypten (DioD. Sic. I 62), dem Anaximander (6. Jahrb. v. Ch.) bekannt geworden sein, der ihn in Griechenland verbreitet haben soll. Die hier vorge- tragene Hypothese, dass der 12 teilige Zodiakns durch „Auswahl" aus dem ilondstationenkreis entstanden sei, will nur die Entstehung des ersteren auf eine möglichst natürliche Weise erklären; selbstverständlich behaupte ich nicht deren alleinige Richtigkeit. Bei einer so strittigen Frage können ja überhaupt nur Meinungen geäussert werden, denn ebenso leicht wäre es möglich, dass der Zodiakus gleichzeitig mit den Mond- stationen entstanden ist. Gegen die andere Hypothese, welche die Mondstationen aus einem 12 teiligen Sonnen-Zodiakus ableitet und daher einen 24 teiligen Moudstationenkreis voraussetzt, möchte ich nur be- merken, dass aus der Bewegung des Mondes, so lange keine Beziehungen zum Sonnenjahre gesuclit worden sind, nur die naturgemässe Teilung des Zodiakus in 27 Teile, nicht in 24, in Frage kommen konnte. Von dieser Ansicht aus kann man sich auch die 36 Planetenstationen (Dekane), wenn weitere Untersuchungen dieselben befestigen sollten, nur aus dem 12 teiligen Zodiakus entstanden denken, indem jedes der 30» fassenden Zodiakalbilder in weitere 3 Unterabteilungen zu je 10" geteilt wurde. (Daher die lOtägige "Woche der Griechen und Ägypter?) Übrigens ist, bei der Schwierigkeit der Sachlage betreffs der Entstehung des Zodiakus, auch jene Möglichkeit denkbar; besseren Einblick in diese Frage kann uns erst ein viel umfangreicheres Material geben, als bisher vorliegt.

Die astronomischen A\'ahrnehmungen, die zur Entstehung der Jahr- form bei den Babyloniern führten, waren anfänglich ganz einfacher Art. Am leichtesten war wühl die Erkenntnis der Länge des si der Ischen Mondmonats, da man nur die Zeiten zu vergleichen brauchte, welche zwischen je 2 Annäherungen des Mondes gegen ein und denselben Stern verflossen; der erhaltene rohe Näherungswert gestattete, solche Beobach- tungen von Mondannäherungen, die um mehrere Jahre auseinanderlagen, zu wiederholen und daraus mit der Zeit die Länge des siderischeu Monats zu erkennen. Schwieriger war schon die Länge des synodischen Monats zu bestimmen; eine erste Näherung gab hierzu die Zeit, die zwischen je zwei aufeinanderfolgenden Neulichterscheinungen (des ersten

Bahn gebrothcii hatte; aus dieser Unsicherheit der ÄciuatdrUige gegen die Ekliptik erklären sich auch die Verwechslungen von Moudstationen, die ihren Platz auf dem Äquator statt in der Ekliptik bekommen haben, z. B. iiaxalra XXI, XXII an Stelle der manzil |22] , [23], die siii 11, 26, 27 an Stelle der mamil [24], ]11], 112], ii. s. w. Die Veränderungen in der Lage der Stationen, die durch die Präzession entstehen, sind zur Erklärung nicht ausreichend, umsoweniger, als die Zeiten der Entstehung der Mond- stationen nicht ganz ausserordentlich weit auseinander liegen.

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374 F. K. Ginsal

Siclitbarwerdeiis der Jloiulsichel uacli Neumond) enthalten Avar. Dann verbesserte man das Eesultat, indem man die Zeiten des Eintritts zweier ilondfinsternisse beobaclitete und die Zmscbenzeit durcli die Anzahl der darin enthaltenen synodischen ]\Ionate dividierte ; schliesslich verglich man solche, aber der Zeit nach sehr weit auseinanderliegende ^londfinsteruisse mit der Zahl der zwisclienliegenden Revolutionen und erhielt so ein ge- naueres Ergebnis. Die beobachtete Zeit der Mondfinsternisse konnte bei diesem Verfahren noch ziemlich roh angegeben sein. Die Ermittelung der Dauer des synodisclien Monats führte zuletzt zur Aufstellung des Mond - jabres von 354 Tagen 8 8t. 48,6 Min., denn 12 Umläufe des erstereu waren diesem Mondjahi-e gleich. Da sich aber dieses Jahr rascb gegen die Jahreszeiten verschob und der IMondkultus erforderte, dass die Mond- feste nach einem regelrecliten Kalender gefeiert werden sollten, so griffen die Babylonier zu Einschaltungen. Welcber Ai't diese Scbaltuugen waren, und wann sie begonnen haben, ist derzeit nocb eine Streitfrage. Aller ■Wahrscheinlichkeit nach haben die Babylonier ihr System mehreremale gewechselt, ehe sie das ihnen am besten zusagende gefunden haben; ob letzteres das von E. ]\Iahl£e auf Grund eines 19 jährigen Schaltcyklus aufgebaute System war, müssen noch zukünftige Untersuchungen voll- ständig datierter Thontafelu aufklären. Als die Babylonier in der Astro- nomie so weit waren, dass sie die Mond- und Sonuenbewegung so genau kannten, wie wir im Aufsatz II gesehen haben, hatten sie gewiss schon lange auch eine feste Schaltungsregel; denn Gegenteiliges anzunehmen würde sich nicht mit diesem astronomischen Fortschritte vertragen. Die richtige Festsetzung des Verhältnisses des Mondjahres zum Sonnenjalu-e erforderte auch gleicbzeitig die Kenntnis des letzteren. Zur rohen Kenntnis der Länge desSonnenjabres kann ursprünglich das Bestreben, cüese Länge zwiscben das gewöhnliche und das Mondschaltjabr zu setzen und zugleich mit der Ki-eisteüung von 360 Teilen zu verbinden, geleitet haben. Das Eundjahr von 360 Tagen hat, wie wir- Eingangs dieses Aufsatzes saben, existiert. Sebr bald aber muss es verlassen worden sein, da die Xiclit- übereinstimmung desselben mit den Jahreszeiten offenkundig wiu'de; aber es gab dann den Anlass, (Ue Epagomenen, cüe 5 Ergänznugstage , an- zuhängen und es dadurch auf 365 Tage zu ergänzen. Oder aber man hat mit Sehaltungsversuchen, um die allmählich genauer bekannt werdenden beiden Jahrformeu des Sonnen- und Mondjahres auszugleichen, wie oben be- merkt, schon frühzeitig begonnen.') Zur ungefähren Feststellung der Länge des Sonuenjahres genügte folgendes A'erfalireu : Man beobachtete von einem bestimmten festgelegten Punkte aus die Orte der aufgehenden Sonne am

1) Dasselbe fiiuiou wir bei deu Ägyptern, Persern, und merkwürdiger Weise auch bei den Mexikanern und den halbwilden Araukanern ^A. v. Hu.mbolut, Vue des Cordil- leres, T. I 332, T. II 370).

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Die astronomisch PH Kenntnisse der lUitjißiinier III. '■'<(:•>

Horizonte, u. z. um die Jalireszeit , wo diese Orte sicli vuii Tag zu Taj,' am sehnelLsteu verschieben. Durch Markieren dieser Orte von dem Be- obaclitungspunkte aus bemerkte man in kurzer Zeit, dass der Ort des täsrlichen Sonnenaufgang:s nach Norden sich verschob, zum Stillstand kam, darauf nach Süden ging, wieder zum Stillstand gelangte und darauf wieder nach Norden zurückkehrte. Die Zwischenzeit zwischen den beiden Kückkthrzeiten war etwa 365 Tage, die öftere AViederholung der Be- obachtung aber lehrte bald, dass man die Länge des Jahres auf :365'/4 Tag zu erhohen habe. Die weitere genauere Kenntnis der Länge des tro- pischen Jahres erlangten die Babylonier mit Hilfe des Gnomons, dessen Erfinder sie sind und den sie zu ganz erheblicher Vollkommenheit ge- bracht zu haben scheiuen.») Zuerst beobachtete man blos die Zeit, die z^vischen je 2 Zeiten der längsten und kürzesten (4nomonschatten ver- flossen war (die Solstitien), in der Folge aber namentlich die Äquinoktien, da sich zu diesen Zeiten die Länge des Gnomonchattens am schnellsten änderte. Wahrscheinlich haben die Babylonier solche Beobachtungen seit den ältesten Zeiten gemacht und vermutlich späterhin auch über zu- verlässlichere instrumenteile Einrichtungen, als solche die Gnomone sind, geboten, denn auch die Kenntnis der schnelleren und langsameren Be- wegung der Sonne, der Lage der Apsiden und der Ungleichheit in der Länge der astronomischen Jahreszeiten besassen sie (vgl. Aufsatz II 208 bis 207), und letztere Avürden sie mit ganz primitiven Hilfsmitteln kaum haben fijideu können. Die Länge des sideri sehen Jahres haben die Babylonier auf einem recht mühsamen Wege, durch Beobachtung der Zeiten, wo der Sirius bei seinem Untergange zum letztenmal in den Sonnenstrahlen sichtbar war (heliak. Untergang) oder am Morgen beim Aufgange zum erstenmal hervortrat (heliak. Aufg.), ziemlich gut be- stimmt. Gerade diese Beobachtungen, die nach den bisher gefundeneu Thontafeln sehr zahlreich angestellt worden sein müssen, beweisen, mit welchem Eifer die Babylonier in der YervoUkdUimnung ihrer Kenntnis der Sonnenbewegung thätig gewesen sind.

Die Finsternisse, sowohl Mond- als Sonnenfinsternisse, erfreuten sich bei den babylonischen Astronomen einer ganz besonderen Würdigung, und mit gutem Grunde. Wh- haben gesehen (Aufsatz II 193 197), dass sie vorausberechnet uud systematisch durch Beobachtung verfolgt wurden. Die Babylonier bemerkten, dass die Knotenpunkte, nämlich die beiden Durchschuittspunkte der Mondbahn mit der Ekliptik, welch letztere der Mond 2 mal im Monat passiert, veränderlich sind und von Ost nach West

1) Bekauntlich bestanden die Gnomone aws einer auf horizontaler Ebene genau senkrecht gestellten Säule, welche nahe der Spitze mit einem Loche versehen war oder eine Scheibe mit Öffnung zum Durchlassen des Sonneubildes trug. Man beobachtete die mit dem Stande der Sonne (also mit der Jahreszeit) variierende Länge des Schattens der Säule.

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H7() F. K. (ihizcl.

fortrücken. Da ilie ]\IoiKltiiisteniisse sich nur ereignen , wenn der Mond in der Nähe der Knoten steht, so konnte man durch "\'ergleicluing der Beobachtuugszeiten solcher Finsternisse die Dauer der Eückkehr des Mondes zu einem der Knoten, d. h. die Länge des dr akonitischen ^lonats feststellen. Aus dem Vergleiche der Knotenbewegung mit dem siderischen Monat ging hervor, dass der drakonitische IMonat etwas kürzer sein musste als der siderische; man nahm also einen Näherungswert an und ermittelte aus vielen Fin.sternissen das tägliche Vorrücken der Knoten- linie in Beziehung auf die Fixsterne und erhielt daraus mit Hilfe neler Näherungen schliesslich die Länge des drakoiiitischen Monats. Perigäum und Apogäum des Mondes liegen ebenfalls nicht fest, sondern rücken weiter. Um den a n o m a 1 i s t i s c h e n Monat d. h. die Zeit, die der 3Iond braucht, um von einem Apogäum (resp. Perig.) zum andern zu gelangen, zu bestimmen, wählte mau wahrscheiiilich unter den Mondfinsternissen zwei solche aus, bei denen gleiche Grösse und gleiche Dauer beobachtet worden waren. Bei diesen Finsternissen hatte der Mond die gleiche Ge- schwindigkeit , war also zu beiden Zeiten entweder in der Apsidenlinie oder im gleichen Abstände vom Apogäum. Teilte mau die beobachtete Zwischenzeit zwischen beiden Finsternissen durch einen Näherungswert der anomalistischen Eevolution, so erhielt man eine Anzahl Umläufe in Beziehung auf das Ai)0gäum in dem Intervall, uiul durch weitere Näherungen schliess- lich den wahren Betrag des anomalistischen Monats. Allein dieser ^^'eg■e bediente man sich wahrscheinlich nur in der Entwickelungsperiode der Astronomie. Als man in Erwartung der Finsternisse einigermassen sicherer wurde , schritten die babylonischen Beobachter zur statistischen Sammlung der eingetroffenen Finsternisse und leiteten daraus -nichtige Perioden für den ^'ergleich der verschiedeneu Arteu der Moudbewegung ab. Überhaupt ist, me nicht genug hervorgehoben werden kann, der Ent- ■\nckeluugsgang der babylonischen Astronomie hauptsächlich auf Empirie gegründet gewesen.') So wurden auch die für die Voraussage der Fiuster-

1) Dass die Babvlonier bei ihren astronomischen Bcoliaehtungen überall zuerst auf empirischem Wege eine Grundlage zu gewinnen suchten , wird u. A. auch durch ihre Kenntnis der Perioden bewiesen , nach welchen die Planeten ungefähr in ein und dieselben Stellungen am Himmel wieder zurückkehren. Auf den Tafeln Rm 67S. S-t-1949, Shemtob Nr. 9 sind Beobachtungen von Merkur, Venus, Mars. Jupiter und Saturn aus verschiedenen Jahren nach solchen Perioden angeordnet ^vgl. Aufsatz II S. 191). In der That sieht man aus modernen astronomischen Jahrbüchern , welche die Orte der Planeten vorausberechnet enthalten, dass solche Perioden bei den Planeten- erscheinungen vorhanden sind. Z. B kehrt Venus in den Jahren 1879, 1887, 1895 w. 1903, also in Perioden von 8 Jahren, zu denselben Punkten des Himmels zurück; Jupiter 1879, 1891 u. 1903 (etwa 12.iährige Periode), Saturn 1845, 1874, 1903 (29jähr. Periode), Mars 1886, 1903 (17jähr. Periode). Die Babylouier verwenden a. a. O. für Venus eine 8jährige Periode, für Jupiter 71 oder 83 Jahre (6 fache Periode^, für Saturn 59 Jahre (die doppelte Periode). Diese Perioden können nur gewonnen worden sein

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Die as;1rnunuihchrn Kenntnisse der l'xilnilonicr. III. '■^"(

uisse wicht igen reriodrn ciiipiriscli !4V\voniien: Zuerst, lialu'ii die l'.iibyloiiicr, wie ich an einem anderen Oit des weiteren anseinandergesetzt luibe,') aus den Daten der aufgespeicherten Mondfinsternisse gefolgert, dass die Mond- finsternisse ungefälir nach einer Periode von 6585 Tagen = 18 .Taliren 10 Tagen wiederkehren oder dass 223 synodische IVIonate nahe gleich 242 drakonitischen sind. Weitere Aufzeichnungen der Mondfinsternisse durch lange Zeiträume hindurcli mussten sie aber belehren, dass man viel mehr Tretfer in der Vorhersage dieser Finsternisse, nämlich 80 Prozent, bei Anwendung des Dreifachen jener Periode habe (19 75(3 Tage = 54 Jahre 8B Tage). Sie versucliten nun mit dieser Periode (dem t^s/.iyfidg des Ptolemäus) auch die viel schwieriger zu treffenden Sonnenfinsternisse vor- auszubestimmen. Mit Zugrundelegung von Aufzeichnungen über die letzteren suchten sie eine weitere vollständige Kommensurabilitiit ZA\'ischen der synodischen und drakonitischen .Mondbewegung zu entdecken und fanden, dass dieser vollständige Ausgleich in 27 730 Tagen = 039 synod. Mon. = 1019 drakon. Mon. sich vollzieht. :\Iit dieser Periode konnten die Babylonier totale Sonnenfinsternisse, die in Babylonien selbst beobachtbar waren, auf 150 Jahre, in günstigen Fällen sogar auf 300 Jahre im voraus ansagen, ohne zu irren. Merkwürdigerweise ist dieser Oyklus nur um 20 Tage (einen Mondmonat) kürzer als der 76 jährige Cyklus des Kallipptis, welcher bekanntlich eine vorzüg-liche Schaltperiode darstellt, um das Mondjahr mit dem Sonnenjahr in Übereinstimmung zu bringen. Jlan muss sich fragen: Sollte den babylonischen Astronomen, die doch hauptsächlich im Besitze vorzüglicher Kenntnis der Sonnen- und Mond- bewegung waren, diese Thatsache ganz entgangen sein? Wie die Dinge bezüglich der Schaltung im babylonischen Kalender lagen, entzieht sich bis jetzt noch einer sicheren Beurteilung : Aber es scheint, dass man von irgend welchen Cykleu, um das Mondjahr mit dem Sonnenjahre in Über- einstimmung zu halten, Gebrauch gemacht hat. Die Astronomen werden wolil ilie Mondrechnung ganz aufgegeben und nur nach der Sonne, die sie schon lange als den brauchbarsten Zeitmesser erkannt haben mussten, gerechnet haben. Dem Volke Hess man (mit berechneiuler Absicht) die uralte aus den Zeiten des Mondkultus und der Mondstationen über- kommene Rechnung nach dem Mondjahre.-)

durch vielhuiidortjähriges Vergloiclien der Stellungen der IMaueteii zu hellereu Sternen der Sternbilder. Besassen einmal die Babylonier diese Kenntni.s, so war es ihnen leieht, die Ruckkehrzeiteu der Planeten zu denselben Sterngruppen im Voraus anzugeben.

1) Spez. Kanon d. Sonnen- u. Mondfinst. f. d. Ländergeb. d. klass. Altertums- wissensch., Anluing, S. 263—271. Daselbst ist nachgewiesen, dass die in verschiedenen a.stronomischen Handbüchern anzutreffende Meinung, der sogen. Saros sei die ergiebige I'eriode gewesen, wenig Berechtigung hat.

2) Hiermit kommt auch die Ansicht von Lepsius (Chronol. d. Ägypter I 225) überein.

878 7^ 7v'. Ginrcl.

Scliliesslich müssen Avir imcli der Beobach t ung'sli ilfsmi 1 1 el der Babylonier mit einigen Worten gedenken. Leider sind wir in dieser Bezielinng bisher nur auf Vermutungen angewiesen. Die alten Schrift- steller wissen darüber nicht viel mehr, als dass die babylonischen Astro- nomen die Erfinder des Gnomons und der Sonnenuhren gewesen sind, und dass sie die Zeit bei ihren Beobachtungen durch Wägungen aus- fliessenden Wassers (vgl. S. 350) bestimmt haben. Aber die Griechen be- richten auch nicht viel über griechische Instrumente; A\ir kennen die Armille (Äquatoreal- und Äquinoktialarmille), das Astrolabium und Diopter, das Triquetrum; selbst aus dem Abnagest erfährt man nicht viel mehr. Wir haben aber gesehen, dass die Babylonier zahlreiche Winkelmessuugen zwischen Sternen und Planeten angeben und die Zeit dazu, mehr oder weniger roh , ansetzen ; dass auch sonstige Zeitangaben , Avie die Dauer der Sichtbarkeit eines Planeten oder des Mondes über dem Horizonte, hie und da sorgfältiger ermittelt scheinen, desgleichen manche Angaben über Finsternisse. Diese Resultate können sie nicht mit dem Gnomon, den Clepsyderen und den Sonnenuhren erzielt haben, sie müssen vielmehr im Besitze von Hilfsmitteln gewesen sein, die nicht sehr verschieden von den griechischen sind.*) Sie hatten jedenfalls schon Einrichtungen wie die Armillarsphäre und das Astrolabium. Kuglek hat gezeigt (vgl. Auf-

1) Von der Boschafteiihoit der astronomischen Instrumente, deren sieb die Baby- lonier in der Entwickelungszeit der Astronomie bedient haben mögen (ihre späteren Leistungen setzen viel vollkommenere Werkzeuge voraus) , künnen einzelne bisher ge- fundene ägyptische Instrumente eine Vorstellung geben, wie der von L. Borchardt beschriebene .Stundenzeiger' und „Palmstab" (Zeitschr. f. ägypt. Sprache u. Altert.- Kuude XXXVII 10). Das erste dieser beiden aus dem 6. Jahrh. v. Chr. stammenden Instrumente ist ein beinerner Stiel, an welchem eine Schnur mit Bleilot befestigt ist; der „Palmstab" besteht aus einer Dattelpalmrippe, in deren breiteres Ende ein Schlitz eingeschnitten ist. Zum Beobachten mit diesen primitiven Hilfsmitteln gehörten zwei Personen. Der eine Beobachter stellte sich so auf, dass er, durch den Schlitz des , Palmstabs" das Lot des , Stundenzeigers" anvisierend, dem andern Beobachter an- geben konnte, wann sich der letztere in der vom Polarstern gezogen gedachten Lot- linie befand. Da hierdurch der Meridian näherungsweise fixiert wurde, konnte der zweite, also nach Süden blickende Beobachter mittelst derselben Art von Instrumenten feststellen, wann ein Stern den Meridian passierte: er brauchte nur mit seinem Lote zu visieren, ob sich der betreffende Stern genau vertikal über dem Scheitel des ersten Beobachters befand. Auf diese Weise war eine rohe Zeitbestimmung möglich , wenn man bestimmte Sterne auswählte, deren Kulminatiouszeit den Beginn der einzelnen Stunden der Xacht angab, Stundentafeln für diesen Zweck, mit. Angabe der kulmi- nierenden Sterne, besassen die Ägypter, wie an den Deckeninschriften der Köuigsgräber Ramses VI u, IX nachweislich, schon im 13. Jahrh. v. Chr. Ein ebenso primitives Instrument ist noch jetzt bei den Hinduschiffern in Gebrauch, um die Höhen des Polarsterns zu messen: ein hölzernes Dreieck mit einem Loch in der Mitte, durch welches eine Schnur gezogen wird, in die eine Reihe Knoten gemacht sind, entsprechend den verschiedenen Polhöhen der Beobachtungsorte , also eine jedenfalls dem Altertum entstammende Vorrichtung, die auf die Entstehung des bekannten , Jakobstabes" der Araber und der mittelalterlichen Seefahrer deutlich hinweist (Ausland 1892, S. 814).

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Die axtronomiarhen Kr.milniftfir. der Bdlnßimiir. III. •''<•)

satz 11 8. 208), dass sie vorzüglidi Lestimiiite Beträge des Monddnrcli- inessers bei ihren Rechnuiio-i^n ^^u Grunde legen; selbst wenn spätere Untersuchungen diese babylonischen Angaben als Illusion herausstellen würden, so zeigt doch die Existenz dieser Beträge, dass die Babylonier des 2. und 8. Jahrh. v. Chr. vor der Messung kleiner Winkel am Hiniiiu-1 nicht zm-ückschreckten. Das Instrument, das sie hierzu verwendeten, kann nicht sehr von den Dioptern des Hipp auch verschieden gewesen sein. Da aber die Dioptra die Grösse der gemessenen Winkel nicht direkt angiebt,') sondern diese erst aus rechtwinkeligen Dreiecken mittelst der Chorden- reehnung bestimmt werden müssen, so würde vorauszusetzen sein, dass die Babylonier auch die Chordenrechnung, welche später die Trigono- metrie fördern half, gekannt haben. Damit Avürde die Ansicht Tannekvs Untei-stütznng finden, dass die Berechnung trigonometrischer Tafeln er- heblich weit vor der Zeit Hipp.archs durch die Entwickelung der Chorden- rechnung ihren Ausgangspunkt genommen habe.')

Fassen wir noch, wie es am Schlüsse des I. und IL Aufsatzes geschehen. die Hauptergebnisse unserer Darstellung in einige Sätze zusammen:

1. Den Anlass zur Beobachtung des Himmels gab sowohl einiges prak- tisches Interesse, welches sich an diese Beobachtungen knüpft (Be- stimmung der Jahreszeiten u. dgl.), als namentlich die Ausbildung der Astrologie, welclier wiederum ein ausgebreitetes orientalisches Mythenwesen zu Grunde liegt.

2. Da in der ältesten Zeit der Gestii-ndienst (Sonnen- und ,AIoiul- kultus) geübt wiu-de, beobachtete man besonders Mond und Sonne ; diese blieben die Hauptobjekte der babylonischen Astronomie, mit der Ausbreitung der Astrologie trat allmählich auch die Beobachtung der Planeten hinzu.

3. Infolge dieser Beobachtungen bildete sich die Zeitrechnung nach dem Monde und nach der Sonne aus, die erstere vielleicht früher als die letztere; beide Zeitrechnungsformen bestanden neben einander, die erstere war die offizielle. Schaltungsmethoden, um beide mit ein- ander in Übereinstimmung zu halten, wurden mehrfach, vielleicht schon frühe, aufgestellt.

4. Aus der astrologischen Tendenz, die astronomischen Dinge voraus-

1) Vgl. F. Hlltsch, Winkelinessuugen durch die Hipparebische Dioptra. (Abhandl. z. Gesch. d. Mathem. IX).

2) Vielleicht von Archimedes rühren die ersten Versuche her, die Chorde zu ver- schiedenen Bügen im Kreise zu bestimmen. Sie wurden verbessert von Apolloxius, der die Zahl ^ genauer bestimmte und unterstützt durch die Eiufiihrung der Sexa- gesimalteilung von Hvpsiklis. Hiei-AKcn , der den Boden der Chordenlehre auf diese Art gut vorbereitet fand, berechnete die ersten Chordentafelu. Aus der letzteren Quelle stammen buchst wahrscheinlich die Sinus-Tafeln der indischen Astronomie (Tanxerv, Rech, sur l'hist. de l'astr. anc. S. 60 68).

880 F. K. Ginzel, Dir, astronomischen Krnnfvisse der Babi/lonicr. HL

znsag'en, entsprano' das Bestreben, die in der Bewegung der Sonne, des Mondes und der Planeten zu Tage tretenden Perioden kennen zu lernen. Dalier der empirisclie ('liarakter der bab^ionisclieu astro- noniiselien Bestrebungen, die Finsternis- und Planetenperioden.

5. ]\[ond- und Planetenstationen, Zodiakus sind nocli astrologischen Ur- sprungs. Zodiakus und IMondstationen entstanden vielleicht gleich- zeitig, Avahrscheinlicher aber der erste aus den letzteren.

6. Die Scheidung der Astronomie von der Astrologie ist in den lialiy- lonischen Tafeln des 3. Jahrh. v. Chr. deutlieh erkennbar. Die astronomische Thätigkeit fängt an sich mehr der ^fessung von "Winkeln. Abständen am Himmel zuzuneigen.

7. Die babylonischen ]\raasse und Gemchte haben, gleich dem Sexa- gesimalsystem, ihren letzten Grund in astronomischen Erkenntnissen. Sie verbreiteten sich im ganzen Orient und in Südeuropa und er- fuhren daselbst vielfache Transformationen. 8. Die Kenntnis der astronomischen Hilfsmittel uiul ]\rethoden der babylonischen Astronomie ist derzeit noch als sehr erforschungs- bediirftig zu bezeichnen. Desgleichen der Stand der arithmetischen und geometrischen Errungenschaften der Babylonier.

80

381

Über die Beziehungen zwischen Zeit- und Raum- messung- im babylonischen Sexagesimalsystem.

\'oii C. F. Lelinianii.

In diesen Beiträgen 8. 353 f. gedenkt Uinzel einer Einteilung des Tages in sechs, ihrerseits wieder in Sechzigste! zerfallende Teile, wie sie sich, neben anderen Einteilungen, aus den astvonomisclien Dokumenten der babylonischen Spätzeit ergiebt.

Dies bringt mir eine frühere Ermittelung in Erinnerung, nacli welcher eben diese Einteilung bereits in einem weit älteren Dokumente, der sicher in altbabylonischer Zeit aufgezeichneten'), vielberufenen Tafel von Seiikereh zu Tage tritt.

Diese Einsicht wird bedingt durch eine von den bisherigen Er- klärungsversuchen vollständig abweichende Auffassung, nach der dieses Dokument uns Aufklärung giebt über die Beziehungen, welche die Babylonier, die Schöpfer des Sexagesimals,vstems , zwischen den Maassen des Raumes und der Zeit herzustellen suchten.

Was sich mir dergestalt ergeben, habe ich vor .Taliren in einem Vortrage dargelegt, von denen jedoch nur ein Auszug veröffentlicht wurde, der in knappster Form lediglich die Ergebnisse, nicht den Weg meiner Forschung Aviedergab.^) Ungefähr das gleiche gilt von einem späteren Fall,-') wo ich den Gegenstand berührte.

Da jene Erkenntnis den von mir seit langem geforderten und ge- suchten Schlussstein für das Verständnis der babylonischen Errungen-

1) Das geuauere Alter liisst sich schwer bestimmen. Die bei Giszei. oben S. 841> verzeichnete Schätzung ist jedenfalls als ein Minimaldatum zu bezeichnen. Die Tabelle gehört, auch dem Schriftcharakter nach, wohl sicher in die Bluthezeit von inr.sn- Senkereh (zweite Hälfte des 3. Jahrtausends v. Chr.); vgl. Johns, Assyrian Dcedx and Documenta II (1901) S. 210, der sie der Zeit zwischen 2.500 und 2000 v. Chr. zuweist.

2) „über die Beziehungen zwischen Zeit- und Baiimmesaung hei den Bahyloniern" , VBAG. 433 f. Vgl. auch ^Die Entstehung des Sexagesimalsystcms hei den Bahyloniern'^ , ebenda S. 41 2 f.

3) Rezension über W. Schwarz, Der Schoinos, Wochenschr. f. klass. Phil. 1895, Sp. 128 ff.

Beiträge z. alten Geschichte 13. 25

1

382 C. F. Lelmiami.

scliaften auf dem Gebiet der Zeitmessung und der Metrologie liildet, so sollte und wii'd sie in meiner für diese Beiträge bestimmten Abhandlung: Das habyloni'sche Si/sfem der Zeit- und Raummessung und seine Verbreifung nach Westen und Osten seiner Zeit zur Sprache kommen.

GiNZELs Ausführungen und die Beobachtung, dass sich auf diesem kultiu-historisch so wichtigen Gebiete Teilnahme und Mitarbeit') zu regen beginnt, wo früher vielfach Gleichgiltigkeit oder Abwehr herrschte, ver- anlassen mich, das, was für den Gang meiner Untersuchungen wesentlich ist, kui'z darzulegen.'-)

TTm von vornherein Klarheit in die Terminologie zu bringen, sei bemerkt, dass ich das ganze hochent^nckelte, auf dem numerischen Sexa- gesimalsystem aufgebaute und von ihm durchsetzte System der Zeit- und Eaummaasse in allen Kategorien der Kürze halber als „sexagesimales'' oder als ,.Sexagesimalsystem" (im weiteren Sinne) bezeichne. Auf die primitiven Systeme, die ilim notwendigerweise vorangegangen sein müssen, anders als in vereinzelten Andeutungen einzugehen, liegt ausserhalb unserer heutigen Aufgabe. Ich verweise hierfür auf meine früheren Be- merkungen'').

Die oben genannte Forderung formulierte ich so :*)

,Es ist sicher bezeugt, dass die Babylonier in ilirem System die Maasse der Zeit und des Raumes in 'Verbindung brachten. Die Entstehung des baby- lonischen sexagesimalen Systems der Maasse der Zeit und des Raumes wird nicht eher als völlig geklärt und verstanden bezeichnet werden können, jils bis diese Beziehungen unter Berücksichtigung der naturwissenschaftlichen, namentlich der astronomischen Kenntnisse der alten Babylonier ergründet und klar gelegt sind'' (BMGW. S. 321. Ycrhandh d. Bcrl. aiithrop. Ges. 1889, S. 646).'

Ich berief mich dabei^) auf die bei Brandi.s, Das Münz-, Maass- und Gewichtswesen in Vorderai,ien (S. 17 Note 2) zusammengestellten und ge- würdigten Nachrichten:

.Achilles Tatius Isag. in Aratum § 18 p. 137 ed. Petav. XaXäaXoi äi TtiQtiQ- yoruTOi Yivöfifvoi , iroXiirjaciV tov rjXiov tbv ä^öfiov r.al tcj logag äiaglaae&ai. Ti]v •/Üq t'r TCiig i'cijufpiats iogav oriToü, xa9' rjv i'aaig ditQx^rcii tbv TtöXov, tlg TQiay.ovTK ogovg jifpi'Joi'Cii'- wart rb 1' atQog Tjjg mQccg Tijj iv Ty iarjfiiQlvr] i'jutQU opoj' Xtyse^ai TOV äQÖuov TOV /'i/.i'ou uiit Leikonxes meisterhafter Erklärung im Journal des Savans

1) Von verschiedenen Seiten worden Arbeiten über Verwandtes angekündigt.

2) Hineinbezogen werden ausser dem Inhalt des in Anni. 2 genannten Vortrages noch Stücke des zweiten Teils meiner Mctroloyischcti Kora, dessen Veröffentlichung unter- blieben ist, s. VBAG. 1896, S. 4r>8 Anm. 1. Auch in meinen Vorlesungen ist meine Lösung der Frage fast in jedem Semester erörtert und dabei vertieft und ausgebaut worden.

3) Althahyhnisches Maass und Gewicht und deren Wanderung, VBAG. 1889, S. 319; Literar. CenUalblatt 1897, Sp. 1269.

4) Congressiwrtrag [..Congr.-]: Acten des Stockholmer Orientalisteucongresses. Leyden 189:^, S. 249; Hennes 36 (1901), S. 115.

5) Chngres'ii-ortrag S. 249 Anm. 1.

BdJiiilnuixrlir. Bczif:Jiuu(/cn .zninchcn ZrÄt- umJ UuHmmr.xmmj. 383

1817, S. 739f. Die IJozoiehnung der 720 =-= 24 >< 30 opo/ des Soiiiicnhuifs als Stadien, auf die Lktronne aus Mami.uis, Astrou. Ill v. 274—280 Angaben schliesst, geht', so führt Brandis fort, „auch aus den uinnittelbar folgenden von Lktronne nicht berück- sichtigten Worten hervor: liyovGi di ncihv, cjj^ijpos ^OQslav (tr/rt tQ^x°''^og, ujjrt r;pfft« ßaäli:orTos. (U/rt ytQovrog, (i^'rs Ticaäüg, tj/v TtOQtlccv slvai tov i)}.!ov, xul X araäiiov xu&uQ&v tivui. Die Bahn der Sonne während einer Äquinoktialstunde wird mit dem Weg verglichen, den ein tüchtiger Pussgänger in derselben Zeit zurücklegen kann. Dieser beträgt volle 30 Stadien (= "/^ geogr. M.), indem die Sonne in 24 Stunden 720 Stadien, in einer 30, in '/^u Stunde 1 Stadion abmacht.' Soweit Brandis.

Im folgenden gebe ich nun meine Liisnng der v(in mir tnrnmlierteii Aufgabe.

Es ist ohne weiteres klar, dass die Sejiilderung der Tionsia, so wie sie dasteht, für eine genaue Bemessung sowohl der ^^■egemaasse wie der Beziehung zwischen ihnen und den Zeitmaassen nicht verwendbar ist, während doch das sexagesimale Stadion von Haus aus ein ganz be- stimmtes Maass gewesen sein muss. (Dass sich später verschiedene übrigens jedes wieder genau bemessene, Längenmaase dieses Namens entwickelt haben,') steht auf einem andern Blatt.) Vielmehr ist jene Schilderung offenbar nur eine durch ungenügende Sachkenntnis bedingte Um- schreibung der thatsächlichen und zahlenmässigen metrischen Grund- lagen. Und diese selbst zu erschliessen, hält nicht schwer.

Es muss die Schrittzahl festgesetzt gewesen sein, die auf eine Zeiteinheit kommt, und der Schritt muss seinerseits nach dem Längenmaass bemessen ■\\-orden sein.

Als weiteres Erfordernis tritt hinzu, dass diese Bemessungen und Verhältnisse sich dem alles beherrschenden Sexagesimalsystem fügten.

Als Normalschrittzahl gilt heutzutage beispielsweise in der deutsclien Armee 114 Schritt in der Minute für geschlossene Truppenkörper, die immer liinter den Leistungen des p]inzelnen zurückbleiben müssen.-) Die nächste sexagesimale Zahl ist 120; 120 Schritt in der Minute wäre also eine den thatsächlichen Verhältnissen sehr nahe kommende Abrundung.-)

Die Römer rechneten 5 Fuss auf den Doppelschritt, ■■) also 27, römisch- attische Fuss auf den Schritt; der Fuss = ^/^ Elle; also I-/3' römisch-

1) Über die verschiedenen antiken Maasse des Namens .Stadion' und ihre p:nt- wieklung aus dem babyloniseh-iiersiscben Wegemaass, s. Coik/i: S. 216-245 und die Tahelle bei S. 244.

2) Das Exerzierreglement für die Infanterie (1889) § 4 bestimmt: „Zeitmaass des gewöhnlichen Marsches ist 114, welches in besonderen Fäilen beschleunigt werden kann, des Sturmmarsches 120 Schritt in der Minute.' Die ungezwungene Leistung des einzelnen Fussgängers wird zwischen diesem .Sturmmarsch' von 120 Schritten und dem gewöhnlichen Marsch von 114 Schritten liegen. Um Missdeutungen vorzubeugen folge noch der Hinweis auf den Unterschied zwischen , Sturmmarsch' und Laufschritt. Zu Letzterem (g 9-10) gilt ,das Zeitmaass 16.5 bis 170 Schritt in der Miuute" , und ,die Sehrittlänge etwa 1 m."

3) HuLTSCH, Griechische und römische Metrnloijie § 12, 1 S. 79.

25* 3

384 C. F. Lehmann,

attische Elle = 1 Schritt. Die babylonisch - persische geiueine Elle, der utroiog nfixvü. beträgt ^o/,, der Elle des attisch-römischen Fusses.') Folg- lich gehen auf denselben (rrimischen) Schritt •'/:, X 'Vio = 1' 2 babylonische gemeine Ellen.

Eine Bemessung des Schrittes auf Vj., Ellen seitens der Babylonier liegt also durchaus im Bereiche der Jlöglichkeit, um das mindeste zu sagen.

Danach würden zurückgelegt in 1 Minute : 120 Schritt = 180 babyl. P'Jlen, und für die Doppelminute, die dem scheinbaren Sonnendurcli- messer (',2") entsprechende Zeit,'-) ergiebt sich

i/gO = 1 Doppelminute = 240 Schritt = 860 Ellen.

Dass dabei die auf die kleinste am Himmel gegebene Zeiteinheit kommende Zahl der Ellen gerade 360 beträgt, also auf die Grund- zahl des gesammten Systems (Tageszahl des Sonnenrundjahrs) hinaus- kommt, verdient besondere Beachtung und steigert die an sich grosse Wahrscheinlichkeit unserer lediglich aus jenem Arat-Kommentar ge- zogenen Schlussfolgerungen.

Wenden wir uns nun zur Tafel von SenkerehJ) Sie vergleicht zwei Systeme, deren erstes die gemeinhin den Längenmaassen zu-

1) S. meiueu Vortrag l'ber uJthnhi/Ioni^chcs Manss und Gewicht und deren WanderuM/ [BMGW.], VBAG. 1889, S. 300. Congressvortrag (1893), S. 230, 232. (Selbstverstiimllich ist, wo etwa zwischen den beiden genannten Arbeiten Diiferenzen bestehen, für meine Anschauungen über die antiken Längenmaasse die von 1893 mass- gebend. Wer wie Johns a. a. O. in einer Erstlingsarbeit auf so schwierigem Gebiet als Kritiker und in dem Tone auftritt, von dem ist zum mindesten zu verlangen, dass er sich einigermassen mit der Literatur vertraut macht. Jonss aber kennt über- haupt nur mein BMG W. und polemisiert daher auch gegen Auffassungen, die ich auf- gegeben oder auf sich habe beruhen lassen, so z. B. [s. Johns II 204 ff.] die Annahme einer „erhöhten" Norm der gemeinen und der königlichen babylonischen Elle , die neben deren ursprünglichen Beträgen hergegangen wäre.)

2) S. oben S 350 f.

3) Die , Tafeln" von Larsa-Senkereh wurden veröffentlicht IV II 40 (Erklärung dieser Abkürzung s. o. S. 258 Anm. 1). Die uns hier angehende Tabelle steht in zwei Kolumnen auf der Vorderseite der Tafel ,Nr. 1", der Anfang ist verstümmelt, der Schluss wird aber glücklicherweise durch die Unterschrift gesichert. Auf der Rück- seite vor ,Nr. 1' steht eine Tabelle der Kubikzahlen und ihrer Wurzeln. Als „Tafel Nr. 2' galt eine Tabelle der Quadratzahlen und ihrer Wurzeln. Seither hat mau herausgefunden, dass beide Tafeln nur Bruchstücke einer Tafel bilden die auf pl. 37 der zweiten Auflage von IV R veröffentlicht ist. Auf der Rückseite stehen 3 Kolumnen : 1. Die Grundzahlen von 1 39 mit ihren Quadraten. 2. Die Quadratzahlen mit ihren Wurzeln von 1 -39 (bisher „Tafel Nr. 2"). 3. Die Kubikzahlen mit ihren Wurzeln. Zu 2 bildet eine Ergänzung das schon in der ersten Auflage als Fortsetzung von „Nr. 2' veröffentlichte Fragment K. 3168, enthaltend die Quadratzahlen mit ihren Wurzeln von 44—60. Auf der Vorderseite nimmt Kol. T und II von Tafel 1 der alten Ausgabe nun- mehr die Stelle von Kol. III und IV ein. Als Kol. I und II ist eine Tabelle hinzu- gekommen die ebenfalls in „Fingern", „Ellen" und ihren Vielfachen bis zu 2 KAS.PTl fortschreitet. Diese neu hinzugekommene Tabelle ist von der früher bekannten durch

Eahißnnitche Beziehungen zwischen Zeit- und Raummcasung. 385

kommenden Bezeichuiiiigeii träsrt. walireiiil das zwcilc nur in uii- b e n a n n t e n Zahlen fortsclireitet . Die Hauptstationen sind:

Kol. III. [ 1 tsU.SI (== itbänu „FiiigiT') = '/„o ')

5 SU.S/ (= »/« «Klle") = '2/60]

", u (=

«»iHia/H „Elle") + i) uöäM«

=

6S,' .00

1 Elle

=

1

'/, GAR

=

6

V., (tAK 5 r

=,

11

1 GAR

Schluss der Kol. III. Kol. IV.

12

[ 5 GAR

= 60'

=

60 ')

10 GAR

= 2 X 60

=

120

15 G.-IB

= 3 X 60']

=

180

[20 G.IE]

= 4 X 60'

=

240

55 GAR

= 11 .-. 60'

=

660

1 W(=

sussu

, 5oss) = 12 X «0'

=

720

5 US

= 60'

=

3600 ')

0 rs = 60- 4 4s X 60' = 6480 ')

■/ä KAS.PU = 2 X 60- = 7200

'/., KAS.ru = 3 X 60^ = 10800

i KAS.JT = 6 X 60^ = 21600

2 KAS.PU = 12 X 60- = 43200

Schluss der Tabelle.^)

eine besondere Unterschrift getrennt. Für uns kommt hier lediglich die nunmehr Kol. III und IV umfassende Tabelle in Betracht. So ist im Folgenden der Ausdruck , Tafel (Tabelle) von Seukereh' durchweg zu verstehen. Die in Kol. I u. II voraus- gehende Tabelle ist wertvoll , weil sie Lepsius' (vgl. o. S. 349 Anm. 1) Anschauungen über den in einer zu ergänzenden Kolumne enthaltenen Anfang unserer Tabelle als irrig erweist. Im Übrigen lasse ich Kol. I und II, deren starke Verstümmelung zu ge- steigerter Vorsicht mahnt, hier ausser Betracht.

1) Die Potenzen von 60 in aufsteigender und absteigender Linie 1, 60 (,Soss'), 3600 (,Sar') u. s. w. , '„q. ' ju^o ^- ^- ^- werden bekanntlich durch den senkrechten Keil ausgedrückt. Bei komplexen Zahlen wird wie im Dezimalsystem der Wert aus der Stelle erkannt. Ein Beispiel bietet in obigem Auszug die Schreibung der 6480, als Äquivalent für 9 US. Die 3. Reihe mit den Ausrechnungen ist von mir hinzugefügt.

2) Man beachte, wie den sexagesimalen (Zeit)Einheiten der ersten Reihe immer das 12 fache von Potenzen von 60 in der zweiten Reihe entspricht. Den einfachen sexa- gesimalen Zahlen der zweiten Reihe entsprechen regelmässig 5 fältige Einheiten der

386 C. F. Lchmanih

Diese AulVtellung blieb und bleibt rätselhalt, so lange man darin den Vergleich zweier verschiedener Systeme der Längen maasse erblickte und noch heute znmeist erblickt. Man braucht nur einen Blick in Lepsius' Abhaudlnng über das Dokument und (Vw zwischen ihm und Opfert gepflogenen Erörterungen') zu werfen.

Auch JuHNs,'-) der ganz kürzlich wieder über das Dokument ge- handelt hat, weiss nichts die Erklärung ernstlich Forderndes ^'orzubringen. Denn sein (4edauke, dass das eine System Längen-, das andere Flächen- maasse ])eliandle, ist ausgeschlossen, da nirgends ein Fiirtsclindten in Quadratzahlen zu bemerken ist.

(rauz anders wenn man sich erinnert, dass zunächst der KAS.PU hauptsächlich (vgl. S. 39()) ein Zeitmaass ist: die Doppelstunde. Schon das muss, in Verbindung mit den vorbesprochenen Nachrichten, den Gedanken an einen V e r g 1 e i c h z w i s c h e n L ä n g e n - u n d Z e i t m a a s s nahe legen. Unabweislich aber wird diese Annahme, wenn wir den Endpunkt der Tabelle betrachten.

Warum schliesst sie mit zwei KAS.PU'^

Nun, weil der Doppel- /iT -(4 ÄPf7 die Zeit von 4 Stunden, das Tagessechstel, ist.

Wir- werden somit für die Zeit des 3. Jahrtausends v. Chr. auf Jene astronomische Sechstelung des Tages gefühlt, von der zuletzt Ginzkl oben gehandelt hat.

Die Einheit der Tabelle ist die Elle 1 uminata = 1 . die ihrerseits in 30 SU.SI (= ubdnu „Fiuger") zerfällt.

Auf den Doppel- A'^^^'./^f/ = 4 Stunden = 240 Minuten konnuen 43200 (Eaum-)Kllen; auf die Stunde somit Kisoo Ellen, auf die Minute also 180 Ellen, auf die Doppeliiiiiiute 3(»ü Ellen, d.h. genau die Anzahl, die wir aus der Nachricht des Achilles Tatius erschlossen hatten. Kein Zweifel somit, dass auch die Voraussetzung, die uns zu diesem Schlüsse führte, die Gleichung: 120 Schritt von 1'. Ellen in der Minute, zu Recht besteht. Die Einheit der Tabelle aber die „Zeit-Elle", während welcher 1 Eaum-Elle zurückgelegt wird, ist, bürger- lich gesprochen, der Zeitraum von '/^li,, Doppelminute = ^/o Doppelsekunde (Vs Sekunde).

ersten Reihe. Die Bedeutung der 10 als Zwischenstufe zwischen 1 und 60 u. s. w. im voll entwickelten numerischen Scxagesimalsystem, wie sie u. A. durch den Ncr = 600 (10 Soss und ^'j .S'ar) als gesonderte Grösse dargethau wird, ist in gewisser Weise sekundär (Übertragung der Sechstelung von der 3Gü auf die 60 und ihre Potenzen, deren Voraussetzung wohl die sekundäre Anwendung der 60-Teilung auf den vollen Kreis ist. Letro.nne, Journ. des Savans 1817, p. 48, oben S. 354). Auch aus diesem Grunde passt die für 10, 600, 36000 u. s. w. von mir gewählte Bezeichnung als ,sexagesimale Grössen zweiten Grades' {B3IGW. Hl S.) ganz wohl.

1) S. Momitshericht Beil. Ale. 1877, 6. Dez., 1878, 4. Febr.

2) A. a. O. II 210.

Bahijlonische Bczielmntjcn cnüschcn Zeit- und Hanninussunij. 387

Aber weiter:

Wir finden tiir ein .Maass von 720 (Raum-)KlIen die Bezeichnuus: als sexatfesinialc Kiiilu-il , als Soss. und zwar fiir das '/i:o ^'on i^wei Doplielstundeu. d. h. die Zeit vnn I Minuten = zwei Doiipelmimiten, die das '/sfio •If'^ Uesamttages (Nychtiienu'i-ons) bildet :

I Minuten = 2 scheinbare Sonnendurelimesser ä 'j^^ = '/sbo '^'^S = 1 Tagüsg-rad.

D. li. also das Tagesseclistei , der Doppel- A'vlN.Pf/ war seiner- seits in Seclizigstel geteilt.

Der Soss kann sowolil als Seclizigf aches wie als Sechzigste! ge- fasst werden. In unserem Falle scheint beides vorzuliegen. Immerhin wird nmn ersteres, wo es möglich ist, bevorzugen. Die Einheit aber, die zur Bezeichnung der Zeiteinheit von 4 Minuten als ein Sechzigfaches führte, nimmt gleichfalls eine Sonderstellung in der Tabelle ein. Es ist der GARj die Zeit von 12 Zeit-Ellen = 2 Doppelsekundeu . in der S Schritt = 12 Ellen zurückgelegt werden. Somit ist das '/3,;o des Tages seinerseits wieder sexagesimal geteilt, eine weitere Übereinstimmung mit dem späteren astronomischen Teilungssystem. Wenn nach Ginzel (S. 358) jeder Zeitgrad Qjsao Tag) noch zweimal durch 60 geteilt wurde, so lässt sich auch das ^/«o des Zeit-6'^lÄ in dem System der Tabelle aufzeigen: es ist das 1/5 der Zeit-Elle (^"Ir, = (5 Zeitfiuger). Auf die Bedeutung gerade des GAR als Einheit kommen wh- noch zurück.

Zunächst ist die doppelte Aufgabe erfüllt, die wir uns vorgesetzt hatten.

1. Einmal haben wir nachge^\'iesen, dass die Tafel von ^tnkcrvh auch der Zeiteinteilung dient, und zwar liegt eine Teilung des Tages in Sechstel und Dreihundertsechzigstel vor, welch letztere ihrerseits meder weiter sexagesimal geteilt sind. Diese astronomische Tagesteilung geht also bereits in die sehr alte Zeit zurück, aus der das Dokument stammt.

2. Sodann hat sich ergeben, dass zwischen Zeit- und Eannunessung schon hier diejenigen Beziehungen that sächlich obwalten, die aus den griecliisch erhaltenen Nachrichten als die nächstliegenden zu erschliessen waren.

W'w lernen aber noch weiteres. In der erreichbar ältesten Form des sexagesi malen Sj'stems der Eaummaasse bildete nicht cUe Elle zu 30 Fingerbreiten, sondern deren doppeltes die Längeneiiüieit. Dies beweisen besonders die 2 Maasstäbe des Gudca,^) airf denen neben der kleinen Einheit, der Fingerbreite, als nächst höhere Einheit deren Sechs- faches abgetragen ist :-) ein Beweis, dass das Sexagesimalsystem herrscht

1) VBAG. 1896, S. 456 f.

2) Darüber s. Borchärdt, Ein altbabi/loiiischcs Grundri'isl'rii'jmcnt, Bcrl. Sitzungsher. 1888, S. 129 ff. Darin: Der Maassstab von lelloh S. 1:36 f.

388 C. F. Lehmann,

uiul dass wir weiter nur mit dem (io l'aelieii oder ;Jül) faclieu der Finger- breite als höherer Einheit zu reehueii liaben. Das 60 fache ergiebt die üoppelelle zu 990 mm, resp. uaeh genauester Bestimmung 992,33 mm.') Insofern stellt die Tafel von b'mktreh bereits ein sekundäres Eut- wickeluugsstadium dar. Eine solche Entwickelung lässt auch da!< Doku- ment selbst noch erkennen.

Die Elle als Längenmaass wird zwar in Sechzigstel geteilt. Aber als kleinere Einheit der (Zeit-),.Elle" erscheint nicht das ^/co, sondern das Vsoj dfc'i' (Zeit-) ..Finger".

Denn der Anfang der Kolumne 111, soweit er erhalten ist die ersten Zeilen sind weggebrocheu lautet:

' i ^liii'^U.SI {= ubänu „Fiuger") , '/s UIIIJISU.SI 52

'-k UIIJJISU.SI 54

'U Ullll!^SU.SI 56

'U UlllinSU-SI ^ 58

Sodann folgt (s. o.'^

1 r =1

Daraus folgt klärlich, dass die Zeilen fortschreiten in ganzen SO.SI („Fingern"), tlie = -/go des ü sind, und die Zeilen ergänzen sich auf ■-/;, ü -f resp. 5, 6, 7, 8, 9 = resp. 50, 52, 54, 56, 58 Sechzigstel der Eaumelle.

Der Zeitfinger ist also sexagesimal nur verständlich als ' ,-,„ einer zwei- fachen Elle, einer Zeitdoppelelle.-')

Damit verbindet sich nun eine weitere fördernde Erkemitnis. Da eine Zeit-Elle = Va Sekunde (als 1/12 des Zeit- G^i? = 4 Se- kunden [= 8 Schritt = 12 Ellen]), .so ist deren Vaoi der „Zeit -Finger", die kleinste von der Tabelle verzeichnete Zeiteinheit, = i'ao Sekunde = 1/180 Doppelsekunde = VsRn von 4 Sekunden.

Das heisst: wie der Tag, so 'nii'd wiederum der Zeit-Cr AR (= 4 Zeit- sekunden = Vßo X '/360 Tag) in 360 Teile geteilt.

Mithin erkennen wir erneut, dass in dem Aufbau der ganzen Tabelle die astronomische Grundzahl oiUi wirksam ist.

1) Conyr. S. 197. Auch Johns a. a. 0. 1121b, 218 verschliesst sich der Er- kenntnis nicht, dass die grössere Maasseiuheit des Gudea 990 mm betragen hat. Er irrt aber, wenn er annimmt, dass das (Längen-) f/ der Tabelle vuu Senkerch diese D oppelelle sei.

2) Hier Teile der Zahlen vor SU.SI erhalten, die in den voraufgeheuden Zeilen ganz weggebrochen sind.

3) Andererseits bewahrt sieh im Aufbau einer Elle aus SU Fingern noch eine gewisse Anlehnung an das ursprüngliche ungefähre Verhältnis der Fingerbreite zum Unterarm 1 : 24. Dass das Zeichen für ,Hand-' schon in den ältesten Texten mit 6 statt mit 5 den Fingern entsprechenden Strichen geschrieben erseheint, worauf ich in ZA. II 252 (1887) hingewiesen habe, gehört wohl in diesen Zusammenhang. Eine Einteilung der Elle in Sechzigstel (Halbtinger) kann nur das Ergebnis einer weiteren sekundären Ent- wickelung sein.

Babylonische Beziehungen zwischen Zeit- und liuummessung. 389

Die gleiclizeitige Kiiisidit , da:<s der Zai\.-UAU sidi wicderuin als eine besonders bedeutsame Kiniieit erweist, sei liier zuniiclist nur ver- zeiclinet (s. u.).

Wir werden somit dui-cli ilie Anlage der Tafel selbst, resi). das in ihr erkennbare Grundsystem berechtigt, zunächst die Kaunuloiipelflle in die Gleichung

r' == 4 Zeit-Minuten = ^ -iiio 'l'ag = 72ii Ellen einzusetzen.

Dann ergiebt sich

P = 4 Zeit-Minuten = i,,;,«« Tag = 3(50 Duppelellen.

Hier erscheint also sowohl beim Zeitmaass wie beim Längenmaass die 3(j0. Kein Zweifel, dass wir- hier die Grundform der Gleichung erzielt haben , und damit eiiie weitere Bestätigung der D o p p e 1 e 1 1 e als der Grundeinheit des sexagesimalen Längensystems, dessen Bezeichnungen in der ältesten Astronomie auf diejenigen Zeiteinheiten übertragen wurden, welche zur schrittmässigen Erledigung der betreffenden Längeneinheiten erforderlich waren.

Die so erzielte Deutung der Hauptstationen der Tabelle von Senkereh zeigt die folgende Übersicht.

Zeiteinheiten.

LäDgeneinlieltcn, die in jeder Zeiteinlielt zurück- gelegt nerden.

Aatronomiech

In bürBer-

lichen Zeit- einheiten.

(Kaum-) Ellen.

1

Bezeiclinang.

In Zeitellen.

In Zeit- doppelellen.

In Tages- graden.

(Kaum-) Doppelellen.

1 Zeit-Fiuger 5 Zeit-Finger 1 Zeit-Elle

1 Zeit-ffAB

/so

1

6 12

«0 ; JlliOO

i: i;

•^ ISO

Schluss der III. Kol

Vw Sek. '/.s Sek. 1,3 Sek.

2 Sek.

4 Sek.

2?

'/«

1

6 12

,60

11

12

3 6

5 Zeit-GAM

1 Soss (= 60 Zeit-

60

30

1-2

20 Sek.

60

30

GAB) 5 Soss 1 KAS.PU (=

720

3600

360

1800

1

.5

4 Miu. 20 Min.

720 3600

360

1800

30 Soss) 2 KAS.PU (=

21 600

10800

30

2 Stdn.

21 600

10800

'/« Tag)

43200

21600 Schluss f

60 ier IV. Kol

4 Stdii.

43200

21 600

Der Weg des Tagesgrades (4 Minuten = :5üO Doppelellen) muss neben dem ^^'eg des Halbgrades (= 1 Sonnendurchmesser, 2 Minuten. 180 Doppelellen) eine uralte Einheit des sexagesimalen Wegemessungs- .systems gebildet haben. Darauf und auf der selbständigen ^\'anderung eines solchen Zeitmaasses beruht es. wenn wir ver.scliiedentlich Grössen

390 C. F. Lchumuu

begegnen, die als Doppelparasangen (Hcrodutr^ Scluiiuos' zu (ji) Stadien)') imd Doppelstadien zu charakterisieren sind. Für die Ausbildung und die Wanderung dieser A\'egeniasse ist aber noch ein weiterei- Punkt im Auge zu belialten.

Neben die gemeine Elle, den uizoiog nr/yvg, trat bei den Babylimiern und den Erben ihrer Kultur, den Persern, die um '/j, gi-össere königliche Elle. Als Stadion galt ein Maass von 860 dieser königlichen Ellen ^ 8(30 X ",9 = 400 gemeine Ellen = 600 gemeine Fuss.-) Das ist das babylouisch-persisch-philetärische Stadium (von dem 7' 2 auf die römische Meile gehen). Das Verhältnis 9 : 10 zeigt wiederum die erforderliche Anlehnung an himmlische Zahlen'-) (= 27 : 30 , siderischer und sexa- gesimaler Kundmonat). Auf dieses „königliche" Maass nimmt die Tafel von Seukei'eh. soweit ersichtlich, nicht Bezug, ^^■eil es eben dem Längeu- s\"steni nicht zu Grunde liegt. Möglich auch, dass die Ausbildung der köuiglichen Elle er,-<t in eine spätere Zeit fällt.

AVii- haben bisher für die Tabelle von Seukereh nur den (ä(iuinoctialen) Tageskreis der Sonne betrachtet. Der Ursprung des Systems und der 360 ist aber natürlich der Jahreskreis, die (Tleichuug: 1-2 Rundmonate ä 30 Tage = 1 Sonnem-undjahr.^)

Und der KAS.PU ist von Haus ein Zwölftel der Ekliptik, das die Sonne während eines Monats die ungleiche Sonnenbewegung ausser Acht gelassen zurücklegt. Zum Z e i t maass wurde dieses Bogen maass erst dadurch, dass sich Nachts bei der scheinbaren Drehung des Himmels- gewölbes \i2 der Ekliptik in '/ig Gesamttag = 1 Doppelstunde an dem beobachtenden Auge vorüberschiebt.*)

Auch auf diesen J a h r e s ki-eis ist die Tafel von Senkereh anwend- bar. Der Doppel-Ä'^&Pf/" ist das Jalu-es-Sechstel.

Sein i/eo i^t der Tag = 1/360 Jaln-, der Jahi-es-,,Soss" (= 60 Jahres- GAR zu 2 Doppelstunden). ^/jao des Tages = 2 ]k[inuten d. h. der scheinbare Sonnendiu-chniesser ist die Jahi-es-Elle; und das kleinste Zeit- maass, der Finger (bei Ausetzuug des T a g e s kreises ^/go Sekunde), erhält füi" den Jahreski-eis die Stelle von 4 Sekunden, d. h. vom "co des Tages- grades. Ebenso sind die den Zeitnuiassen entsprechenden Längenmaasse überall mit 360 zu multiplizieren.

Die hier vorausgesetzte Eeclmung nach DoppeluKinatcn. ..sechs Jahres-

1) C. F. Lehmasx, Wochenschr. für klass. Phil. 1895, Sp. 185.

2) S. oben S. 383 Anm. 1. Fasst man das Stadion von 360 gemeinen Ellen ent- sprechend als ein Maass von 600 Fuss, so ergiebt sich ein Fussmaass von °/i„ babyl.- persischeu, eben der attisch-römische Fuss, der also zum mindesten im Keime bereits im babylonischen System vorhanden war, s. Coiigi: S. '236 f. sub. b.

3) Wie das näher zu verstehen ist, habe ich Hermes S6 (1901), S. 118 ausgeführt.

4) VBAG. 1895, S. 411; 1896, S. 443.

5) VBAG. 1895, S. 412.

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Balußonisclic B>;^/chnii<i':i/ 'irischen Zeil- und JldiiiiniiessuiKj. 301

zt'itfii". ist iiiclit nur tlirm-ctisrli zu c'i'scliliessL'ii, smiilcni \'irllarli bclcfi-- l)iir. Mir sind sie in Indien durch Wkukks Sclirilten') nud auch in Slam lieivannt (\'j:\. S. oSü Ann:. :J); auf ilir \'(ii'l<oiiinien iiei Arabei-n und liinneiii ist. wie oben S. :\'ü Anni. 1 lietnut. ni'ueiiliu'js \(iii anderer Seite hin.o-ewieseii WDfih'n.

Diesem Doppelnninat fdeni }){t[)\)v]-KAS.FI' des .lalires) entspriM hen also ;i(LH) mal soviel Ellen als dem 'raj^-essechstel , dem DoiiiKd-A'^l/S'.P// des Tages. Damit war ein primitives ]\Iittel zur I^erechnnng dei- Bogen- maasse des Jahreskreises nacli den irdisclien Längenmaassen gi'schaffen.

P'ür feinere astronomische Beolmclitungen und Berechnungen (Be- wegung der übrigen Gestirne u. s. w.) bedurfte es direkter Himmel s- maasse. In den astronomischen Berechnungen der babyhniischen Spät- z(>it linden wir die Himmels-Klle als '/12 ^^t's u rsp nglichen Bogeii- maasses des KAS.PU.'') Dieser Sc-liritt ist nach . und vermutlicli recht lange nach der Niederschrift der Tabelle von Senkereli getlian werden. in der 1 ammat = VäKioo KAS.PU ist.

Dass wir mit der nunmehr für die altbabylonischi' Zeit nachgewiesenen Seclistelung des Jahres- , dann des Tageskreises und schliesslich jedes Kreises auf sehr ursprünglichem Boden stehen, zeigt die Benennung der Zahl 60 als Soss. Denn wie Hommkl erkannt tun! mir vor einigen Jahren mitgeteilt hat, bedeutet susiu ursprünglich Vij ? ') nämlich ^e von 360, niul ist dann allgemeine Bezeichnung für die 60 geworden.

Wie aber kommen die Babjionier zur Sechstelung resp. Sechzig- teilung der 360? Mit anderen Worten, wo findet sich in der Natur die 6 oder die 60 vorgezeichnet? Darauf giebt es nur zwei Antworten (s. S. 350). G e 0 m e t r i s c h ist die 6 vorhanden : der Radius ist die Sehne des Sechstels der Kreisperipherie (Letbonxe , ( 'antüe). In der Zeit- rechnung, dem zunächst in Frage kommenden (iebiete, liegt die 60 vor im Verhältnis des scheinbaren Sonnendurchmessers zur Doppel- stunde, auf das ich hingewiesen habe. Man hat diese beiden Ableitungen

1) Z B. ,Über den ciijapcya", Bcrl. Sitzuntjsher. 1892, S. 793 tf. Uborlia\ipt hübe ich Weber vielerlei, auch mündliche Aurcguiig zu verdanken.

2) Oben S. 193 Anm. 1.

3) Dies sollte in der Fortsetzung der metrologischen Nova (oben S. 382 Anm. 2) zur Sprache kommen. Seither hat Hommkl diese Erklärung selbst besprochen {Auf- sätze und Abhandlungen II 242 Anra. 2). Was dort von Hommel über das uddu (vgl. oben S. 352 f. Anm. 5) mitgeteilt wird, beruht auf meinen, Hommels Anschauungen korrigiei-enden Ermittelungen. Dieser Sachverhalt ist von Hommel in einem Nach- trage (a. a. 0. III 459 f.) klar gestellt worden. Von Interesse für unsere heutigen Darlegungen ist der Schluss meiner Erörterungen über das uddu (VBAG. 1896 S. 452): ,Als Nebenergebnis vorstehender Betrachtung ist zu verzeichnen, dass, da das uddu = ";„5 = ^'/jua Tag, eine Einteilung des Tages nach 60teln, bezw. 360teln den babylonischen Gelehrten geläufig gewesen sein muss, ein Ergebnis, zu dem ich bereits früher auf anderen Wegen gelangt war, worüber alsbald'.

11

392 C. F. Lehmann,

in einen schärfei-en Gegensatz zu einander gestellt, als es meiner Auf- fassung entspricht.

Diese habe ich selbst wie folgt formuliert :

„Die Doppelstunde, das Kreiszwölftel entspricht demnach (iO Sonnen- durchmessern (Halbgraden). Der ganze Kreis hat deren 720. Eine Ein- teilung des Kreises in 720 Teile (neben der in .'560) war so gegeben. AN'enu mau dann weiter, was nunmehr sehr nahe lag, die Gruppierung zu (30 auch auf den in 360 Grade geteilten Kreis übertrug, also Bogen zu 60" (Kreissechstel) abtrennte, so wird die Beobachtung, dass die zu- gehörige Sehne gleich dem Radius ist, hinzugetreten, dergestalt neben der astrouo)nischen auch die mathematische Bedeutung der 6t) (und der 6) erkannt und damit der Aulass zum Ausbau des Systems gegeben sein, dessen wir uns in der Zeitrechnung noch heute bedienen." An dieser meiner, beide Erklärungen vereinigenden Auffassung möchte ich fest- halten, dabei aber das Nebeneinander statt des Nacheinander noch stärker betonen.

Mehr und mehr erkennen wir. dass das Sexagesinialsystem der Aus- fluss einer Fülle astronomischer und mathematischer Erkenntnisse ist, die durch eine ausgeprägte Weltanschauung, die Vorstellung von der zalilemnässig prästabilierten Harmonie des Weltalls, getragen und zu- sammen gefasst werden. Den Urhebern, oder sagen wir lieber gleich dem Schöpfer dieses Systems haben sicher auch geometrische Erkenntnisse zu (^ebote gestanden (s. S. 366 Anm. 1). Wir werden uns bescheiden müssen, das Ineinandergreifen der verschiedenen Wissenszweige zu konstatieren. Mutmassungen über die Eeihenfolge sind zwar wertvoll, weil sie uns die Möglichkeit geben, das AVerden des Systems unserer Vorstellung näher zu bringen. Aber sie treffen schwerlich das Richtige : die aufbauenden Ge- danken stellen sich nicht von vornherein fein säuberlich in Reih und Glied ein. Auch wir halten ja bei der Darlegung unserer Untersuchungen heutzutage nur selten die Folge der Argumente ein, wie sie sich uns zuerst darboten.

Soweit die Zeitrechnung in Betracht kommt, beruht das System auf einer Kombination von Beobachtungen über den Jalireskreis der Sonne (riuid 360 Tage) und deren äquinoctialen Tageskreis (als dessen ','720 der scheinbare Sonnendurchmesser betrachtet wird).

Da aber hier sowohl in der Ansetzung des Jahres auf 360 Tage wie in der Feststellung des A'erhältnisses des Sonnendurclnnessers zum Tageskreis der Sonne und zur Doppelstunde sehr starke Abrundungen vorliegen (vgl. S. 350 f. Anm. 3), für die die rechnerische Bequemlichkeit allein keine genügende Begründung abgiebt, so ist sehr wohl möglich, dass geometrische Erkenntnisse von vornherein entscheidend mitgespielt haben.

12

Babi/lotiische Beziehungen ztvischcn Zeii- und Tiaunimcssung. 393

Dagegen muss ich mich Gin/.el (S. .351) ansclilifsscu. wenn er die Modi- fikation, dieKuGi.KR meiner Hypotliese gieibt, für weniger anndimbar erklärt. Denn liätten die Babylonier von der Ungleichheit der scheinbaren Soimcn- bewegung- Kenntnis gehabt, so hätten sie schwerlich den Sonnenkreis in 12 gleiche, 30 Tage (Bogengrade) umfassende Teile zerfallen lassen können, deren jeder A'^.S'.Pf/ = „langer Weg- (im (Gegensatz zum kürzeren Weg \on 28» 7' .10") hies.s. Andererseits kann das Ideogramm KAS.PV eigentlich gar nicht anders gedeutet werden, und es mag .sein, dass die A.stronomen der späteren Zeit auch den von Küglee angenommenen Begriff damit verbanden. Aber die Entstehung der Bezeichnung muss einen anderen (^rund haben. Dem „langen ^^■eg•' wird in der astro- nomischen Lehre und Terminologie der babylonischen Priester ein „kurzer Weg" der Sonne gegenüber gestanden haben. Dieser kann nach Lage der Sache schwerlich etwas anderes gewesen sein, als das den Babyloniern bekannte kleinere natürliche Himmelsma,^s.s, der scheinbare Sonnendurch- messer. Es bleibt abzuwarten, ob diese Vermutung sich bestätigt, wenn einmal reichhaltigere Dokumente uns über die älteste babylonische Astronomie und Messkunde belehren. Es kommt Ja aber auch vor, dass von zwei gegensätzlichen Bezeichnungen nur die eine sich einbürgert, die andere verschwindet. Auch darf hier, wie überall auf diesem Gebiete, nicht vergessen werden, dass in älterer Zeit die wissenschaftlichen Er- kenntnisse als Geheimlehre der Priesterschaft behandelt und der gi-o.ssen Masse absichtlich vorenthalten wurden.

Diesen, wie von mir wiederholt '), so jetzt auch von Ginzel (S. 367 f.) betonten Gesichtspunkt wolle man auch für das Folgende scharf im Auge behalten.

Die Annahme liegt nahe, dass wie das ganze Sy.stem so auch die Normierung des Eaummaasses, des Betrages der Doppelelle, ihren Ursprung der Rücksicht auf die Zeitmessung verdanke, vorausgesetzt dass es ein der primitiven Anschauung zugängliches Mittel der Verknüpfung zwischen der Zeit und einer als Längeneinheit denkbaren (Trö.sse giebt.

Zwischen Zeit und Raum aber existiert thatsächlich eine solche voraussetzungslos verständliche und direkt verwendbare Verbindung das Pendel.

Das Sekundenpendel resp. sein Drittel, den Zeitfuss (pes horarius) als Längeneinheit zu verwenden, hat in neuerer Zeit bekanntlicli Huyghens-) vorgeschlagen.

1) Z. R Verhandlungen der Berliner physikalische» Gesellschnft cu Berlin 1899 S. 9,3.

2) Die Nachweise s. BMGU\ S. 320. Auf die dort S. .319—325 gegebenen ein- gehenden Ausführungen ist für das im Texte folgende nachdrückUch zu verweisen.

13

394 C. F. Lehmann,

Der vüii mir ermittelte Betrag der Doppelelle 9iU) 996 mm, er- reichbar wahrsclieinliclister Betrag 992,33 mm , kommt der Länge des Sekundenpeiidels für den 'M). Breitengrad (SiidI)al)ylonien 902,35 mm) auf- fällig nahe.

Diese meine Beobachtung führte mich dazu, der F'i-age näher zu treten, ob die Bab.vlonier ihre Längenmaasse nach dem Seknndenpeudel normiert haben könnten. Nach eingehender Prüfung kam ich zu dem Ergebnis, dass dem nichts im Wege stehe, weil 1) die Babylonier die Sekunde als Vi 20 Doppelminute ('/^o Minute) kannten; 2) das dem mathe- matischen Pendel am nächsten kommende physikalische Pendel, die schwere Kugel am Ende eines Fadens, eine Form des Pendels ist, die sich im Leben am leichtesten darbietet ; 3) die Beobachtung, dass die Schwingungs- daiier eines solchen Pendels mit der Länge wechselt, eine sehr nahe liegende Erkenntnis ist: 4) auch die weitere Einsicht, dass diese Länge bis zu einem gewissen Grade unabhängig ist von der Grösse des Ausschlages, mittelst sorgfältiger Beobachtungen von den Babyloniern wohl erzielt werden konnte; 5) die Babylonier erwiesenermaassen eine Verbindung zwischen Zeit- und Raummaass suchten. Ich kam daher zu dem Ergebnis, dass die Normierung nach der Länge des Pendels, das GO Schwingungen in der ^Minute, resp. 120 Schwingungen in der Doppel- minute macht, seitens der Babylonier wohl denkbar wäre und dass nichts im Wege stehe, diese Annahme als wissenschaftliche Hypothese auf- zustellen.

Eine unerwartete Stütze erAvuchsmir, als Helmholtz mich aufforderte,*) meine metrologischen Ermittelungen als Gast in der physikalischen Ge- sellschaft darzulegen.-) In der von E. du Bois-Beymond geleiteten Dis- kussion^) wurden alle Bedenken gegen die genannte Hypothese die landläufiger wie die tiefer liegenden geprüft und als nicht stichhaltig befunden.

Es wurde anerkannt, dass, wenn die Babylonier wirklich unsere Zeit- einheiten resp. deren Doppeltes hatten und nach ihnen rechneten, alles übrige sich um so leichter ergäbe, als im B a u 1 0 1 , einem gerade für die Babylonier unentbehrlichen Werkzeuge, der Typus des dem mathematischen Pendel nächstkommenden physikalischen Pendels vorliege.'')

1) Bald nach Erscheinen von BMG^y.

2) Vcrh. d. ßerl. physik. Ges., Sitzung vom 22. Nov. 1889. S. 81—101. ?,) Vgl. ebenda S. 88-94.

4) Ein solches Lot-Pendel ist fiir jciliMi. auch den Ungeübtesten in der denkbar ein- fachsten Weise herzustellen. Man braucht nur eine Schleife aus Faden oder Draht an einen Haken au der Zimmerdecke oder am freien Ende einer wagrecbt angebrachten Stange an- zubringen und an dieser Schleife den Faden zu befestigen, der an seinem anderem Ende eine Kugel aus Stein oder Metall trägt. Schon bei dieser primitiven Aufhängungsart bleibt

14

Bahyhrmclir. Br.zichnmicn zwischen Zeit- und TlnHmntcsRung. ?>^b

Ferner wurde daniii erinnert, dass (tai.ilki in drr Kinlie zn I'isa die Pendelg'esetze durdi eintarlic, von keinei-]ei instiiinieiiten unti'i-stiitzte Beobaclitung ermittelte.

Seitdem versäume ich niemals, auf die tliatsäcldielie l'ljereinstimmunf? der babyloni.sclieu Doppelelle mit dem Sekunden]iendel und auf dieJIii^- lichkeit, dass sie beabsiditii-t war, hinzuweisen.

Ich glaube nun, dass sich aus der in der Tafel \(in Sinkereh hervor- tretenden Bevorzugung der Zeitgrüsse von 4 Sekunde n eine Stütze für diese Hypothese ergiebt.

"Wü- sahen, dass bei Anwendung der Tabelle für den Tageskreis der Zeit-ö/lÄ (= 4 Zeitsekunden = (i Doppelellen) die Grundeinheit des Systems bildete, auf welche als höhere sexagesimale Einheit der Tagesgrad (4 Zeitminuten) ^= '/siio Tag folgte und erkannten ihre Einheitsciualität auch darin, dass sie nacli unten bis in Dreihundertsechzigstel geteilt wurde. Bei Anwendung der Tabelle auf den Jahreskreis entspricht diese Zeiteinheit von 4 Sekunden der kleinsten Einheit der Tabelle: dem Fingei-. "\^'arum diese Bevorzugung?

^^'ar einmal die Aufmerksamkeit auf die Beziehungen zwischen Eadenlänge und Scliwiugungsdauer beim Baulot, dem Typus des ein- fachsten, (luasi-mathematischen Pendels, gerichtet, so handelte es sich nur darum, eine Pendellänge auszumittelu, deren sexagesimale Scliwingungs- zalil einer Zeiteinheit entsprach und sich von einer natürlichen Elle (Unter- armlänge) oder einem bequemen Vielfachen derselben nicht allzu sehr entfernte. Sehr nahe lag gleichzeitig (vergl. S. 392) der Vergleich zwischen Schwingungs- und Schritt zahl.

Ein Fussgänger macht während des Tagesgrades (4 Zeitniinuten) 480, während des Halbgrades 240 Schritte (oben S. 384, 386). Dass ein IVndel, welches in denselben Zeiteinheiten 480 resp. 240 Schwingungen macht.

ein solches Lot-Pendel von Sekunilenpendellänge n.aeh einmaligem Anstoss zu massigem Ausschlag länger als eine halbe Stunde in Schwingung. Leichte Verfeinerungen der Auf- hängung, die die Bewegungsdauer erheblich verlängern, können hier ausser Betracht bleiben. Von irgend einem schwierigeren Mechanismus, der eine andauernde Pcndelbewegung ermöglicht, etwa einem komplizierten physikalischen Pendel und einem Echappc- ment wie an unseren heutigen Uhren, kann natürlich in diesem Zusammenhange absolut nicht die Rede sein, wie zum Überfluss auch ausdrücklich von mir betont worden ist ( Vcrh. I'hijs. Ges. a. a. 0. S. 93). Wenn also Johns, a. a. O. II 197, in ironisehei Ab- sicht „das Sekundenpendel in dem Observatorium des babylonischen Astronomen ticken hört", so zeigt er damit, dass er weder im allgemeinen weiss, auf was es bei der Frage ankommt, noch meine Ausführungen gelesen hat. Es fehlt ihm also jegliche Veraus- setzung zur Abgabe eines Urteils. Die sonstigen Beobachtungen und Instrumente, die anerkanntermassen die notwendigen Voraussetzungen für die Begründung des Sexa- gesimalsystems bilden, haben technisch und experimentell ungleich .schwierigere Vor- bedingungen als das hier in Betracht kommende Pendel. Im .allgemeinen wiederhole ich aus BMG^V. 324 meinen Hinweis auf Plinius, aS.JI. 18, 248.

15

89() C. F. Lrlnnann,

für eine solclu' ilaasseinlieit zu klein war, musste sich bald rrweisen.') "Wählte man aber clie Hälfte, 240 Schwingungen in -4 Minuten (120 in der Doppelminute), so erhielt man ein sehr be(iuemes Maass, eben das Pendel von ca. 992,35 mm Länge, dem auch die zweifache Länge eines reichlich gerechneten measchlichen Unterarm^ einigermassen nahe kommt.

Nun schwingt zwar ein solches Pendellot auch bei primitiver Auf- hängung sehr viel länger als 4 Minuten (S. 304 Anm. 4). Aber es be- stand natürlich das Bestreben, die Zahl der abzuzählenden Schwingungen zu verringern.

Und zu der blossen Bei|Uenilichkeit gesellte sich ein weiteres jirak- tisches Bedürfnis.

Für die Zeitmessung waren die Babylonier auf \\'asseruhren ange- wiesen. So waren auch die Zeiteinheiten bestimmt, nach denen das Pendel von bestimmter Schwingungszahl bemessen werden konnte. War aber einmal die Länge des während des HalbgTades 120 mal schwingenden Pendels durch aufmerksame Beobachtung bestimmt, so gab diese Länge und ihre Schwingungsdauer ein weit bequemeres Mittel für die Bemessung namentlich der astronomisch so mchtigen kleinereu Zeiteinheiten.

So würde es sich aus verschiedenen Gründen sehr wohl erklären, da.ss man die nächstkleinere sexagesimale Zeiteinheit : Mc,o Tagesgrad resp. i/go scheinbaren Sonnendurchmesser zur Basis des Systems w'ählte: \,;o Tagesgrad = 4 Schwingungen ' 120 Tagesgrad = 2 Schwingungen. Setzte man dann den thatsäclilichen ^'erhältnissen ungefähr entsprechend (S. 383 f.) die Schrittlänge auf ^4 der so gewonnenen Doppelelle fest, so ergaben sich die folgenden einfachen Verhältnisse: Schrittzahl zur Schwingungszahl wie 2 : 1 Schrittgrösse zur Pendel (Doppelellen)-Grösse wie 3 : 4.

Ihre Anwendung auf die altbabylonischen Zeiteinheiten veranschau- licht die folgende Übersicht:

Die Zeiteiaheit astronomisch aus- 2. i Anzahl der

gedrückt. , J Sekunde

Bürger- g |. pendcl-

In Zeit- 1;'=^" =:« "äugen

doppel- 2"'- § = Doppel-

eUen. l 'S '""■■

Tagesgrad (Soss des'

GAB)

1

Tageshalbgrad(Schein-

barer Sonneudurch- j

messer) (|

V'

1 Zeit- ff ^iJ

vu

\., Zeit-GAE

12

'i, GAR

' äl

*/360

360

1 1 4 Miu.

'U

180

2 Miu.

'/siooo

/43200

/90400

6 3

4 Sek. 2 Seli. 1 Seli.

I

240 360

120

ISO

4

6

2

1

8

240

1) Die Pendellänge wächst und vermindert sich bekanntlich, wie wir jetzt wissen, proportional dem Quadrat der Schwingungsdauer.

16

Babylonische licsiclnmgen zwischen Zeit- und Tlaummessunff. 397

Da es erheblicli leichter ist, Dopiielschwingiuigeii zu beobacliten, als einfache, so wäre hier wiederum einer der Ausgangspunkte für die Parallelität von 8.ystemen gefunden, deren, oftmals gleichbenannte, Grössen je im Verhältnis 2 : 1 stehen (vgl. oben S. 397 f., ZA. XIV 307; Hermes 36, 117).

Ganze Zahlen für die Doppelelle zeigt die Übersi(;ht zuletzt beim '2 GAR, dem '/i;o des scheinbaren Sonnendurchmessers, das einer Doppel- schwingung, einer Doppelsekunde entspricht.

Die Sekunde selbst wird zur Einheit erst, als an Stelle der Doppel- stunde die Stunde tritt und sexagesimal geteilt wird. Wohl möglich, dass bei dieser Umwandlung auch die Rücksicht auf die kleinste Zeiteinheit mitgewii'kt hat, die das Band zwischen Zeit und Raum abgab und die einer einfachen Pendelschwingung entsprach. Kin von dieser ausgehendes sexagesimales System bedingte als höhere Einheiten die Minute und die Stunde, wodurch sich die 24-Teilung des Tages von selbst ergab. Vom altbabylonischen Standpunkt aus wäre also, genau genommen, nicht vom „Sekundenpendel'' zu reden, sondern von dem Pendel resp. Lot, das während eines Tages(halb)grades 240 (120) Schwingungen resp. 120 (60) Doppel- schwingungen macht u. s. w.

So erwächst m. E. der Hypothese, dass die thatsächliche Übereinstimmung zwischen der Länge der babylonischen Doppelelle und des Sekuudenpendels für die südbabylonischen Breiten nicht zufällig, sondern beabsichtigt war, auch durch die Tafel von Senkereh eine Stütze.

Schon das aber, was diese Tabelle uns mit Bestimmtheit lehrt, die ebenso einfache als sinnreiche Weise, wie bereits im dritten Jahr- tausend V. Chr. seitens der Babylonier Längen- und Zeitmessung durch Schrittzalil und Schrittlänge in Verbindung gesetzt wurden, muss unsere Bewunderung erregen.

Diese steigert sich für den, der sich der Erkenntnis nicht verschliesst, dass die Bemessung der Doppelelle nach dem Sekundenpendel sehr wohl beabsichtigt sein kann. Denn dann reguliert die Zeit nicht nur die Schrittzahl, sondern hat auch das Längenmaass, nach dem der Schritt be- messen wii'd, selbst geschaffen. Da aber Hohlmaass und Gewicht me in unserem metrischen S3-stem nur Funktionen') des Längenmaasses

1) Oben S. 366. In diesen Zusammenbang geboren wohl auch die auf der Rück- seite der Tafel von Senkereh verzeichneten Tabellen der Quadrat- und besonders der Kubikzahlen (S. 384 Anm. 3), die gewiss nicht bloss algebraischen, sondern prak- tischen Zwecken dienen, wie die Listen der Vorder.seite. Johns a. a. O. II p. 197, 219, ist der Ansicht , dass die Alten {ancient peoples) derartige Beziehungen zwischen den verschiedenen Kategorieen der Raummaasse niemals aufgestellt haben {prohaWy never ciihcd ani/thing at all) und giebt dem komplizierten Metersystem Schuld, wenn fest- ländische Metrologen {Continental metrologists) an derartiges denken. Jonxs weiss also BültTüge z. alten Geschichte 1 3. 26

17

398 C. F. Lehmann,

sind, incleiii der Kubus des Maasses von 6 Fingerbreiten (= i/j^ Doppel- elle) die Einheit des Hohhnaasses (982,4 kbcni) bildet und deren Wasser- gewiclit die schwere babylonische 51 ine gemeiner Norm von 982,4 Gramm ergiebt: so ist das ganze Sj'stem der Zeit- und Eaunnnessung von der Zeit, von der Bewegung der Himmelskörper abhängig. Dass es sich nur um die scheinbare Bewegung der Sonne im Verhältnis zur feststehend gedachten Erde handelt , macht , wie schon Ideler betont hat , für alles hier in Betracht konnnende keinerlei Unterschied.

l^nd nun noch, in Andeutungen und vorbehaltlich späterer Ausgestal- tung, ein weiterer Ausblick. Die Tafel von SenJcereh ist natürlich auch für gi-össere Weltperioden , für „grosse Jahre" verwendbar. Die Vor- stellung von der prästabilierten Harmonie des Weltalls wäre nicht vollständig durchgeführt , wenn nicht die grösseren astronomischen Perioden in Betracht gezogen wären. Und von ihrer Beachtung seitens der Babylonier haben wir ja und nicht bloss durch Berossos') Kunde.

Die nächste Steigerung um 3G0 ich ziehe absichtlich für jetzt nur diese Potenzierung in Betracht ergiebt das grosse Kund jähr von 360 Jahren, in welchem jedes Jahr einem Welttag entspricht. Der Do\)T^e\-KAS.PU dieses grossen Jahres wäre die Periode von 60 Jahren, das Voi'bild des den Griechen (Oinopides , Pythagoras) -) bekannten 60 jährigen grossen Jahres und des 60 jährigen Cyklus der Chinesen. Eine weitere Potenzierung um 360 wüi-de auf ein grosses Jahr von 129 600 Jahren führen. Welche Werte die Zeiteinheiten der Tabelle von Senkerch für diese beiden grossen Jahre erhalten würden, zeigt die folgende Übersicht. Die ihnen, theoretisch und systematisch, entsprechende Zahl der Längeneinheiten ergiebt sich durch Multiplikation der betreffen- den Posten in den beiden letzten Kolumnen der Übersicht auf S. 389 mit 360'- resp. 3603 (y„.i_ § 390 unten).

nicht, dass bei Griechen und Römern (die in dieser Beziehung Schüler der Babylonier waren), diese Beziehungen zwischen Längenmaass, Hohlmaass und Gewicht gesetzlich festgestellt waren. Er vergisst, dass von den Babyloniern , wie schon Jdeler hervor gehoben hat, die Wassermengen bei der Zeitbeobachtung sowohl abgemessen wie ge- wogen wurden , wobei sich die Beziehungen zwischen Länge (Höhe) , liauminhalt und Gewicht von selbst ergeben (während allerdings rein praktisch Gewicht und Hohlmaass einer-, Längen- und Flächenmaass andererseits auf ziemlich getrennten Gebieten hier Waarenhandel, dort Messung und Bebauung von Grund und Boden zur haupt- sächlichen Verwendung kommen (C. L.]). Auf jene aus dem Altertum bezeugten That- sachen hat, zu einer Zeit, als das metrische System noch nicht in Deutschland galt, Karsten in seiner Rinleitimg in die Physik (1867) erneut hingewiesen und von Karstens Darstellung gehen meine Erörterungen Verli. der Phys. Ges a. a. 0. aus!

1) Vgl. Ztoei Hauptprohlcme S. 108.

2 Stobaeus, Eclog. Phys. I 9, 2, Cantob, Vorlesungen über Geschichte der Mathe- matik I 79.

18

Btihylonischc Beziehungen zivisclicn Zeit- und Baunimesmtiif. 399

üeüeichnungon der Tafel von Senkereh.

Groasjahr TOn 300 Jahren.

Grosses Jahr von 129(!00 Jahren. ')

1 (Zeit-)Finger 5 (Zeit-)Fiiiger 1 (Zeit-)£lle 1 (Zeit-')ff^JJ 5 (Zeit-)GAR 1 ..Soss" 5 Soss

1 KAS.PU

2 KAS.PU

V'iio Tag ,. Tag •/. Tag 6 Tage 1 Monat 1 Jahr 5 Jahre 30 Jahre 60 Jahre

6 Tage 30 Tage =^ 1 Monat 6 Monate 6 Jahre 30 Jahre 360 Jahre 1800 Jahre 10800 Jahre 21600 Jahre ■^)

ilit zAvei Bemerkungen von praktischer Bedeutung für die Jetztzeit möchte ich für heute schliessen. Zunächst etwas, worauf ich schon \iel- fach mündlich aufmerksam gemacht habe,-') ohne dass es zur Niederschrift und Yerüffentliclmng gekommen wäre.

Das französische Pfund von 489,5 g und eine Anzahl mit ihm im Betrage übereinstimmender moderner Gewichtsgrössen ist, wie ich gezeigt habe,*) nichts weiter als die, als Provinzialgewicht im römischen Reiche verwendete, leichte babylonische Mine ..gemeine Norm'' von 491,2 g. Sie ist die Hälfte der schweren babylonischen Mine gemeiner Norm.

Wäre nun den Mitgliedern der Kommission, die während der franzö- sischen Revolution mit der Regelung von Maass und Gewicht betraut war, bekannt gewesen, dass das französische Pfund eine so altehrwürdige Ge- wichtseinheit sei und dass dessen Doppeltes sich als Funktion und Ableitung aus einem von den Babyloniern -nirklich verwendeten, mit dem Sekunden- pendel für die babylonischen Breiten übereinstimmenden Längenmaasse auffassen lasse: so würde wohl sicher, der ursprünglichen Absicht gemäss,^) statt eines schwer bestimmbaren Teiles des Erdmeridians das Sekunden- pendel als Grundlage des Systems gewählt worden sein. Die Revision

1) Zur Bedeutung des Zehntels dieser Periode (vgl. S. 3S5f. Aum. 2), des „grossen Jahres' von 12 960 (:6) Jahren, vgl. Zwei Hmqitprobleme, Anin. auf S. 196 u. 198.

2) Das Zehntel dieses Dopyiel-KAS.PU des grossen Jahres von 360- Jahren, die Periode von 2160 Jahren, spielt als Schaltperiode (Zwei Hmiptprobleme a. a. ().) und sonst astronomisch (vielleicht auch in der Inschrift von Keskinto, IGIns. 913, vgl. VBAG. 1896, S. 449 und die dort Citierten), eine Rolle.

3) So als ich meinem Bruder Heisricii Lehmann (f 1898) anlässlich seiner Promotion zumDr.phil. (Berlin, 11. März 1893) hei einer auf die naturwissenschaftlichen Anschauungen der Alten bezüglichen These (No. 3, angefügt seiner Dissertation Magnetisierung radial geschlitzter Eisenringe) zu opponieren hatte. Es sei mir gestattet, bei dieser ersten Gelegenheit dem Frühgeschiedenen für vielfache Anregung und Förderung meiner metrologischen Studien ein Wort des Dankes zu widmen.

4) BMGW. 262 u. sonst; Pernice, Rheinisches 3Iuseum, N. F., XLVI 632.

.5) S. darüber Mechain et Delambre, La Base du Systeme mitrique decimal (1806) I p. ISff. , und J. H. VAS SwiNDEx, Verhandeling over volmaakte Maaten en Gewigten 1 (1802) 76 ff., 205 ff.

26* 19

400 C. F. Lehmann, Bahi/hnischc Beziehingen zwischen Zeit- n. Raummessung.

würde sicli auf die Bestimmung von dessen Länge für einen bestimmten Breitengrad beschränkt haben. Nach dieser Länge wären Hühlmaass und Gewicht neu bestimmt worden. Dabei konnte die Frage ganz ausser Be- tracht bleiben, ob die Babylonier die Übereinstimmung ihres Längenmaasses mit dem Sekundenpendel beabsichtigt oder auch nur bemerkt hätten.

Ja, man würde wahrscheinlich auch ohne Kenntnis des babjionischen Längenmaasses zu derselben Eutscheidung gekommen sein. Es genügte zu wissen, dass das Gewicht uralt ■\\'ar und sich aus dem '/m des Sekunden- jiendels leicht darstellen Hess. Man konnte dann das Ge^ncht sogar ganz unverändert lassen (Einheit statt des heutigen Kilogramms das davon nur wenig abweichende Doppelte des fi-anzösischen Pfundes = schwere babji. Mine gemeiner Norm) und diejenige geographische Breite wählen, welche die dazu passende Länge des Sekuudenpendels ergab.

Jedenfalls wäre dann die Einfülu-ung einer falsch berechneten natür- lichen Grösse unterblieben das Meter weicht bekanntlich von ',40000000 Erdmeridian, dem es gleichkommen soll nicht unerheblich ab und die Kontinuität der Entwickelung wäre gewahrt geblieben.

End wenn mr dessen inne werden, so wird wohl auch die Frage eine gesteigerte Berechtigung erhalten, ob es wohlgethan ist, für die Geodäsie und die Mathematik, wie neuerdings geplant wird, eme Teilung des Ki'eises in Yierhundertstel statt in Dreihundertsechzigstel einzuführen? Damit wüi'de wiederum an bedeutsamer Stelle der Faden der Entwicke- luug durchschnitten und ein Stück altehi-würdigen und bewährten Ivultur- eigentums geopfert werden. Und doch wäre weiter nichts damit en-eicht, als dass an die Stelle einer dui-ch 2, 3, 4, 5, 6, 8, 9, 10, 12 divisiblen eine zwar decimale und diu-ch die Potenzen von 2 teilbare, aber meht einmal drittelbare Ki-eisteilungszahl träte.')

1) Von den Arbeiten, auf die S. 381 Anm. 1 hingewiesen wurde, werden zur Zeit, da das vorliegende Heft der Beiträge ausgegeben wird, voraussichtlicb mehrere er- schienen sein, namentlich H. Zimmern, Das Princip tmserer Zeit- und Eatimtcihing, ßer. d. kgl. säclis. Ges. d. IViss., phil.-hist. Classe, Sitzung vom 14. Nov. 1901. Durch die Güte des Verfassers, der mir die Arbeit bereits in einer Korrektur zur Verfügung stellte, bin ich in der Lage noch auf sie in einem Nachtrage Bezug zu nehmen, der, da er den Umfang einer Anmerkung überschreitet, in die Mitteilungen und Notizen am Schluss dieses Heftes verwiesen worden ist.

20

Die attischen Arehonten im III. Jahrhundert.

Von Julius Beloch.

Von den uns erhaltenen Scliriftstelleni des Altertums hat bekannt- lich allein Diodor eine vollständige Arehontenliste gegeben; a])er dieses Verzeichnis bricht für uns mit dem Jahr 302/1 (Archon Nikokles) ab, da uns die ganze zweite Hälfte der historischen Bibliothek verloren ist. Ausserdem giebt Dionysios von Halikarnassos in seiner Schrift über den Redner Deinarchos (c. 9) ein ^'erzeichnis der Arehonten von Nikophemos (361/0) bis Philippos, das 70 Namen enthalten soll: roi)? 'A&i^vriaiv a{)iavTag ä<f' ov Jeipa(j^ov ineä-tfisß-a ysyovivai "((jovov (unter Nikophemos) uiXQi- TW dodsißijg aviä) fisia Ttjv cpvyr/V xa&öSov (unter l'hilippos) yivofxEvovg ißdo/Lii]xovTce npu&i^Gousv; worauf dann das Verzeichnis folgt; dieses enthält aber statt der versprochenen 70 nur 68 Namen. Es sind also zwei Arehonten ausgefallen; der eine ist Hegesias (324/8), und da das Verzeichnis im übrigen bis auf Nikokles (302/1) vollständig ist, ninss die zweite Lücke zwischen Nikokles und Pliilippos fallen. Nach Nikokles giebt Dionj'sios folgende 0 Namen: Klearchos (so nach CJA. II 611 statt des bei Dionysios überlieferten KnVJagyoi; zu lesen, und jetzt auch von Usenek in den Text gesetzt) Hegemachos, Euktemon, Mnesidemos, Antiphates, Nikias, Nikostratos, Olympio- doros, Philipp OS. Bis Euktemon ist die Liste sicher lückenlos (s. unten S. 407), höchst wahrscheinlich bis Nikostratos (De Sanctis in meinen Studi di Storia antica II, 1893, S. 44 f.); der ausgefallene Name muss also entweder zwischen Nikostratos und Olympiodoros oder zwischen Olympiodoros und Philippos gestanden haben.

Es bliebe nun z^\'ar an und für sich die Möglichkeit, dass Dionysios sich verzählt hat, so dass nach Nikokles gar kein Name ausgefallen wäre; das würde aber eine ganz willkürliche Annahme sein, zu der wir ohne zwingenden Grund nicht greifen dürfen, um so weniger, als ja zwischen Nikophemos und Nikokles nachweislich ein Name ausgefallen ist. Nach CIG. IV 6084 = Kaibel IGSI. 1184 wäre der Dichter Menandros unter dem Archon Sosigenes geboren (342/1) und 52 Jahre alt unter Philippos gestorben, im 32. Jahre der ßaaü.ua Ptolemaeos Soters. Danach

402 J. Beloch,

wiiiÜL- l'liilippos 291/0 Arclioii gewesen sein, wenn wir von Sosigenes abwärts zählen; zählen wir dagegen von der Besitznahme Ägyptens dnrch Ptoleniaeos unter Kephisodoros 323/2, so käme Philippos in das Jahr 292/1 , wie bei Dionysios. Die Inschrift ist von Droysen {Hellen. 112, 396 ff.) als ligorianisch verdächtigt worden; dass sie echt ist, hat schon Kaibkl erkannt und ist jetzt von Hülsen lU'kuudlich erwiesen worden {Rom. Mitteü. XVI, 1901, S. 166). Allerdings in 2910 darf Philippos nicht gesetzt werden, denn nach Dionys. a. a. 0. 9 lebte Deinarchos in Chalkis tov äii 'Avaiixoärovq yoovov icag (pilmnov nEVTuy.aidr/.tTTi yivo^ivov, sodass Phüippos bei inklusiver Zählung in 293/2, bei exklusiver in 292/1 kommen würde; es bleibt also nur die "Wahl zwischen diesen beiden Jahren. Für das erste Jalu* entscheidet Dionys. c. 9, und die an- geführte lusclu'ift.

Sonst ist uns aus dem III. Jahrhundert nur für folgende Arehonteu das Jahr bezeugt, in dem sie ihr Amt bekleidet haben: Gorgias, im 10. Jahre vor Pytharatos (271/0), also je nachdem wir

inklusive oder exklusive zählen 280/79 oder 281 0 {Leben da- X Redner,

Demosthenes S. 847 d.) Anaxikrates, Ol. 125,2 = 279/8 (Paus. X 23,14, was durch Polyb.

n 20,6 bestätigt wird). Demo kl es, Ol. 125,8 = 278/7 (Paus. X 23,14). Uuter diesem Archon

starb Metrodoros (Gompeez, Hermes V 387 f), und zwar nach Laert.

Diog. X 23 : 7 Jahre vor Epikur {npö intd itwv airov), also, da

Epikur 271/0 gestorben ist, bei exklusiver Zählung 278 7, entsprechend

der Angabe des Pausanias. Pytharatos, Ol. 127,2 = 271/0 (Apollodoros bei Laert. Diog. X 15). Diognetos, Epochenjalw des Marmor Par htm \ das neugefimdene Stück

{Athen. Math. XXII 1897, S. 183 f.) lässt keinen Zweifel, dass 264 3,

nicht wie man früher wohl meinte, das folgende Jahr zu verstehen ist. Thrasyphon, Ol. 139,4^=221/0 {Inschr. von Ma(jncsia 16 ^ Dittenb.

ÄyZ.2 256.)

Die Zeit der übrigen Archonten muss auf indirektem AVege be- stimmt wei'den. Wir haben dafür, bis auf den chremonideischen Krieg, folgende Anhaltspunkte :

Xoch unter Demetrios Herrschaft, also vor 288 bezw. 287, gehören Lysias und Kimon {CIA. IV 2, 614b); wahi-scheinlich ist Kimon un- mittelbar auf Lysias gefolgt. Ist das richtig, so können diese beiden Archonten frühestens in 291/0 und 290,89 gesetzt werden. Kimon wird auch im Ehrendekret für Phaedros aus Sphettos erwähnt {CIA. II 331), und zwar sollte man danach annehmen, dass er erst nach Demetrios Ver- treibung aus Makedonien Archon gewesen ist, da zuerst von Phaedros Gesandtschaft zu Ptoleniaeos die Rede ist, die nach der Befreiung Athens stattgefunden hat (vergl. den Antrag des Laches zu Ehren seines Vaters

Die attischen Arcliontm im III. Jiilirhniidrrt. 403

Dt'iuocliares, I^hcn der X Redner S. 851 e), uiul ilann erst von seiner Strategie unter Kinioii. Iiuless der Name Kimon ist selten, und die An- iialime'', dass es innerlialb ca. 20 Jaliren zwei Arclionten dieses Namens in Athen gegel)en liätte, wird dadurcli sehr unwahrscheinlich. Sie ist auch gar nicht erforderlich, da in solchen Ehrendekreten keineswegs immer die streng chronologische Ordnung befolgt wird. Vielmehr werden rhaedros Verdienste nach sachlichen Gesichtspunkten aufgezählt: zuerst die Strategien niederen Kanges, dann die Gesandtschaft zu Ptolemaeos, darauf seine Thätigkeit als atoarriyoq kni önXa an der Spitze des Staates in den Jahren des Kimon und Xenophon, endlich seine Agonothesie im Jahre des Nikias. ^^'ir werden also bis zum Beweise des Gegen- teils an der Identität des im Dekrete für Phaedros erwähnten Archonten Kimon mit dem CIA.W 2, 614 b erwähnten Archonten gleichen Namens festhalten müssen.

l'nmittelbar nach der Befi'eiung Athens von Demetrios Herrschaft mussDiokles angesetzt werden, unter dem Demochares vno rov 5r,uov aus der Verl)annung zurückgerufen wurde. Verbannt worden war er durch die Oligarchie , die gegen das Ende der Herrschaft des Demetrios in Athen ans Kuder gekommen war; es ist klar, dass er erst nach der Erhebung Athens gegen Demetrios zurückgekehrt sein kann. Ferner ergiebt sich aus CIA. II. 309 , dass Athen unter Diokles mit Delphi und Aetolien in guten Beziehungen stand, was bekanntlich unter Demetrios nicht der Fall war; auch darum muss Diokles nach der ßefi-eiung Athens im Amte gewesen sein. Schon Köhler hat im CIA. darauf hingewiesen; "Wilamowitz {Antigonos S. 241) hätte sich nicht dui-ch Unser verleiten lassen sollen, Diokles in 290 zu setzen. Weiter Tvird in einem Dekret aus dem Jahi-e des Diokles {CIA. IV 2, 309 b) Zenon xa&tcTrix\u;s vno rov ßacdf'wg nToX[suaiov int tüv a\cfgäy.Tuv geehrt, weil er, ausser andern Verdiensten intuskelTcc dt [xai y.cn Tijg y.oui8i]g t]ov aiiov rw Ö)]fia, önwg a[v aßcpa- UoTttia dta]xoul^i]Tai, (!Vvay(ovi'C6[fievog rjj rov d'r/fi'jov awTt]gic(; es ist klar, dass er das erst nach der Befreiung Athens gethau haben kann. Und da das Dekret vom 11. Hekatombaeon ist, so muss die Erhebung Athens gegen Demetrios spätestens am Ende des vorhergehenden Archonten- jahres erfolgt sein. Demetrios Vertreibung aus Makedonien aber kann frühestens in den Sommer 288 gesetzt werden, spätestens in den Sommer 286; Diokles gehört also sicher in eines der :! Jahre 288,7, 287/6, 286/5.1)

1) Was FERiiüSos (a. a. O. S. 9 ff., uiul ihm folgend Kircu.ner (G. G. Am. 1900) zur Stütze ihres Ansatzes der Reihe Diotimos Euthios auf 290/9—287/6 vorbringen, bedarf keiner Widerlegung. Gewöhnlieh wird auf Grund der makedonischen Königs- liste Demetrios Vertreibung in 287 gesetzt; das steht aber bei der Art, wie diese Liste uns überliefert ist, keineswegs sicher, vielmehr bleibt überall da, wo die Angaben der Liste nicht anderweitig kontrolliert werden können, ein Spielraum von wenigstens

404 '/. Bchch,

Älösilidist nahe an die Befreiuiip; Athens muss Diotinios lieran- gerückt werden, wie die unter ihm gefassten Yolksbesclilüsse beweisen {GlA. II 311 313, Add. S. 41i); dass er in das Jahr nach Diokles ge- hört, wird unten gezeigt werden. Auf Diotimos folgte unmittelbar Isaeos {CIA. II 567), auf diesen Euthios {CIA. 314). Diese 4 Archonten bilden demnach eine geschlossene Reihe.

Bald nach dem gallischen Einfall (279/8) ist Polj^euktos zu .setzen, unter dem Athen die soeben von den Aetolern zum Gedächtnis des Sieges gestifteten Soterien anerkannte {CIA. n 323); denn es liegt in der Natur der Sache, dass ein solches Fest nicht zu lange nach dem Ereig- nisse eingerichtet wü'd, das es zu feiern bestimmt ist. rol.yenktos un- mittelbarer Nachfolger war Hieron {CIA. IV 2, 323b).

In die Zeit nach der Befreiung Athens oder vielmehr, da die Archonten von Diokles bis Euthios bekannt sind, in cüe Zeit nach Euthios gehört N i k i a s von 0 1 r y n e , denn -nir haben aus seinem Jahr ein Ehrendrekret für Strombichos, der sich bei der Erstürmung des Museions ausgezeichnet hatte {CIA. II 317, 318). Einen termmus ante quem giebt das Dekret für Phaedros {CIA. II 331), wonach Nikias einige Jahre vor Eubulos im Amte gewesen sein muss, welch' letzterer Archen, wie wir gleich sehen werden, spätestens in 272 1 zu setzen ist. Nikias unmittelbarer Vorgänger aber war Menekles {CIA. II 316). Eben- falls vor 271/0 sind Aristonymos, Telokles, Urios (vergl. über den letztern Kibchner, Rh. Mus. 1898, S. 386 f.) Eubulos und . . . . lai os anzusetzen, weü sie in der Sammlung der Briefe Epikurs (gest. 271 0) vorkamen (Usenee, Epicurea S. 133 f., und über Eubulos Ckönert, Bh. Mus. 56, 1901, S. 617). Der Name des Telokles ist von Foucabt, CIA. IV 2 S. 296 in dem Dekret CIA IV 2, 318 a. ergänzt worden, doch ist die Sache unsicher, da der Archontenname ganz weggebrochen ist, und mr nur wissen, wie \iele Buchstaben er gezählt hat; Demokles (278 7) würde die Lücke ebenso gut ausfüllen. Dass das Dekret aber in diese Zeit gehört, zeigt der Name des Antragstellers fUihnno^ ' Aarvyivov Qv^toiröötjc, der unter Isaeos {CIA. II 567) und Te- lokles {CIA. II 1158) politisch thätig gewesen ist. Das Dekret ehrt die Verdienste eines Hipparchen Korneas, der auf Lemnos befehligt hatte, ferner ist vom König Seleukos die Rede, und von einer Gesandtschaft des

einem Jahr nach oben oder unten. Nach Plut. Dcmetr. 45 wäre Athen erst nach Demetrios Rückkehr aus Makedonien nach Griechenland abgefallen. Aber wir dürfen Plutarch nicht so scharf interpretieren wie Tbukydides oder Polj'bios. Es ist ja an sich klar, dass die Athener nicht mit dem Abfalle gewai'tet haben werden, bis Demetrios wieder an ihrer Grenze stand, und Plutarch selbst sagt c. 44, dass während Pyrrhos und Lysimachos Makedonien angritfen, Ptolemaeos mit seiner Flotte Griechen- land zum Abfall brachte. Das muss doch zunächst auf Athen gehen, wie sich ja auch aus unserem Dekrete vom 11. Hekatombaeon des Diokles deutlich genug ergiebt. Näheres an anderer Stelle.

Die nitiscltcn Arrlrnntcn im TIT. Jahrhididirt. 405

Kunicas. wie es sclieint an den Selenkidenliof. J)a nun Leninos bis zur Sclilaclit. hei Korupediou unter Lysimachos Herrscliaft gestanden iiat, so kann die Insel den Athenern frühestens im Herbst 281 zurückgegeben worden sein ; in dieselbe Zeit nniss die Gesandtschaft des Korneas zu 8eleukos fallen, wenn Nikator gemeint ist, und nicht der Solin und Mil- regent (ca. 279 269) Antiochos Soters. Da der Name des Archons, unter dem unser Deki'et abgefasst wurde, im Genetiv 10 Stelleu gezälilt liat, so sind Nikias (bezw. Gorgias) und Anaxikrates ausgeschlossen; das Dekret kann also frühestens unter Demokies gesetzt werden. Natürlich könnte man aber ebenso gut an ein etwas späteres Jahr denken, dessen Archon dann Telokles gewesen sein würde.

Der Archon Eubulos ■«'ii-d auch in dem Ehrendekret für T'liaedros genannt {CIA. II 331), dessen Sohn in diesem Jahr Agonothet war, wo- liei der Vater die Kosten trug, und diese Liberalität hat aller Walir- scheinliehkeit nach die äussere Veranlassung zu dem Dekrete gegel)en, da spätere Leistungen nicht erwähnt werden. Das Dekret bestimmt, dass die darin verliehenen Ehren an den grossen Dionysien und den grossen Panathenaeen verkündet werden sollen; es ist also offenbar vor den grossen Dionysien erlassen, in einem attischen Jahre, das der Feier der grossen Panathenaeen unmittelbar vorausging. Nun fanden die grossen Panathenaeen alle vier Jahre statt, im 3. Jahre jeder Olympiade; das Dekret ist demnach aus dem 2. Jahre einer Olympiade und Eubulos muss im 1. Jahre einer Olympiade Archon gewesen sein. Er kann also spätestens in 272 1 gesetzt werden; und da es wenig waiirscheinlich ist, dass er gerade im Jahre vor Epikurs Tode die Archontenwürde bekleidet hat, werden wir bis 276/5 heraufgehen müssen. Das Jahr 280/9 ist be- reits durch Nikias oder Gorgias besetzt, und ein früheres Jahr kann überhaupt nicht in Betracht kommen.

Ausserdem nennt unser Dekret den Archon Xeuoplion, unter dem Phaedros zum inl tu o-tA« TTuwrog vno tov ör^ftuv aTgarnyoc erwählt wurde; er fällt später als Kimon, da dieser, unter dem Phaedros eben- falls argaTrjyog im zce uTiXa war, vorher erwähnt wird ; die Hervorhebung der Wahl vnö tov Sijfiov schliesst ferner die Zeit der Oligarchie aus, und da die Archonten der folgenden Jahre bis auf Euthios bekannt sind, so kann Xenophon erst nach diesem angesetzt werden. Eine untere (xrenze giebt das Jahr des Eubulos 276/5.

An den Anfang des chremonideischen Krieges, oder unmittelbar ver- lier, muss Peithidemos gesetzt werden, unter dem das Bündnis zwischen Athen und Sparta geschlossen wurde (CIA. 332).

Etwas fi'üher ist Philokrates anzusetzen, unter dem Polemon starb, dessen Tod Euseb. II 120 in das Jahr Abr. 1743 (= 273), Hieronymus (ebenda S. 121) in das Jahr Abr. 1749 (= 267) setzt. Nicht viel später wird Arrheneides zu setzen sein, unter dem Avahrsclieinlich

406 ./. Brhfli,

Zeuou gestorben ist. Weiiigsteus ist das, allerilings g-etiiJsclite Dekret über die Eliven, die Zeuon bei seinem Tode erwiesen wurden (Laert. Diog. VII 10 12) nach diesem Areliou datiert, und der Fälscher konnte doch von dem allgemein bekannten Datum nicht abweichen. Auch endete der Name des Archonten, unter dem Zenon starb, Avirklich auf Sijq (Philod. Col. XI bei Comparetti, Rlv. di Filol III y. 449 ff.). Da nun Zenons Naclifolger lOeanthes unter Aristophanes (331/0) geboren ist (Philod. a. a. 0. Col. XXVIII f.) und 99 Jahre alt starb ([Luk.] Mah-ob. 19 ; Val. Max. VIII 7 ext. 11), unter dem Archon lason, nachdem er der Schule 32 Jahre lang vorgestanden hatte (Philod. a. a. 0., Gomperz, Rh. Mus. 34 S. 154), so würde sein Todesjahr bei inklusiver Zählung 233/2 sein, und Zenons Tod, also der Ai'chon Arrheneides fiele in 265/4 (hier niuss natürlich exklusive gerechnet werden, da die 32 Jahre von Kleanthes Scholarchat doch offenbar ganze Archontenjahre sind). Freüich düi-fen solche Angaben, die aus verschiedeneu Quellen geflossen sind, nicht ohne weiteres kombiniert werden. Nach Euseb. II 120 ^\•äre Zenon im Jahre Ahr. 1748 = 268 v. Chr. gestorben, was allerdings auch keineswegs sicher steht.

Ausserdem könnte noch etwa Sosistrat os in die Zeit vor dem chremonideischen Kriege gesetzt werden (Ivibchneb, Rh. Mus. 53, 1898 S. 387); wahrscheinlich auch Philo neos {CIA. II 337. 338). Andere Archonten, die früher dieser Periode zugeteilt wurden, gehören entweder sicher einer späteren Zeit an, oder es liegt doch kein ausreichender Grund vor, sie in die ersten Jahrzehnte des III. Jahrhunderts hinaufzurückeu.

Das sind also 25 bezw. 27 Namen für die 31 .Talire von 294/3 264/3. Aber um diese Namen zu einer geschlossenen Liste zu ordnen, reichen die historischen Kriterien allein nicht aus. Erst Ferguson hat uns dazu ein Mittel an die Hand gegeben durch seine Beobachtung, dass die Eats- sekretäre von 352/1 bis zum Ende des lamischen Krieges sich in der offiziellen Ordnung der Phylen gefolgt sind, sodass also, wenn der Sekretär in einem Jahre aus der Erechtheis war, er im nächsten Jahre aus der Aegeis genommen wm-de, im Jalire darauf aus der Pandionis, u. s. w. Ferguson hat diese Regel auch für das III. und IL Jahrhundert be- stätigt gefunden, überall da, wo eine Kontrolle möglich war, und er glaubte so imstande zu seien, alle, oder doch die meisten Archontenjahre, deren Eatsschreiber uns bekannt ist, mit absoluter Sicherheit chronologisch festzulegen. In seiner Schrift The Atheman Archxyns of the third and second centuries before Christ. Cornell Studies of classical Philology ^ 1899, hat er danach eine Archontenliste für diese beiden Jahrhunderte ent- Avorfen.

Das ist ohne Zweifel eine wichtige Entdeckung, die sehr fruchtbar werden kann. Nur ist es Ferguson gegangen, wie es in solchen Fällen gewöhnlieh geht ; er hat sein Piünzip zu mechanisch durchführen wollen.

Die attischen ArcJinntoi im TU. JiihrJnimJert.

407

uiul ilaruiii ist die Archonteniiste, wie er sie aiif<,restellt iiat, wenigstt-ns für das III. Jalirhuiidert uiiluiltliar. Sie ist iu einem Punkte (Thi-asyplion 221/0) auch bereits urkundlich widerlegt. Fbbguson hat eben nicht be- rücksichtigt, dass die vielen Eevolutionen, durch die Athen im III. Jahr- hundert gegangen ist, notwendig Störungen in der regelmässigen Folge der Eatssekretäre herbeiführen musten, ganz ebenso, wie diese Folge in der Zeit vom Ende des lamischeu Ki-ieges bis zur Errichtung der beiden neuen Phylen Antigonis und Demetrias nachweislich melu-fach gestört worden ist. Aber auch ohne das konnten Störungen eintreten, deren Grund vär freilich meist nicht zu erkennen vermögen. So ist der Sekretär des Jahres 304/3 aus der Antigonis ; der des nächsten Jahi-es hätte also aus der Demetrias .sein sollen, ist aber aus der Erechtheis, und dann geht es in der regelmässigen Folge der Phj^len weiter. ^Yir haben also mit der Möglichkeit zu rechnen, dass ähnliche Störungen auch sonst vor- gekommen sind. Mit dieser Einschränkung aber wird Fekgüsons Theorie allerdittgs jeder Rekonstruktion der Archonteniiste zu Grunde gelegt werden müssen.')

Zunächst findet dadiu'ch die bereits aus anderen Gründen sehr wahr- scheinliche Annahme ihre Bestätigung, dass die Liste bei Dionj^sios bis auf Nikostratos lückenlos ist. Wii- haben folgende Reihe:

Jahr.

Archon.

Demotikon des Batsschreibers.

Phyle des Katsschreibers.

307/6

Anaxikrates

JiOfiievg {CIA. IV 2 S. 68)

Acgeis 11

306/5

Koroebos

'PcciLvoi'Biog (II 247)

Aeautis XI

305/4

Euxenippos

\'AXa-!tixi',9-£v-)]

Antioehis XII

304/3

Pherekles

raQYntriog (II 255, IV 2, 256. 256c)

Antigonis I

303/2

Leostratos

^rjovaiog (II 259. 262. 263, IV 2, 264 b)

Erechtheis III

302/1

Nikokles

nXo,»tvs (II 270, IV 2, 269 b.c)

Aegeis IV

301/0

Klearchos

nnoßcdiaios (IV 2, 271 b)

Pandionis V

300/9

Hegemachos

[Leontis VI]

299/8

Euktemon

Ki(pa}.fj9i;v ai 297)

Akamantis VII

298/7

Mnesidemos

_

[Oeneis VIII]

297/6

Antiphates

jKekropis IX]

296/5

Nikias

^ASriv],[svs\ (II 299)

Hippothontis X

295/4

Nikostratos

^aXriQsi's^)

Aeantis XI

1) Das ist denn auch bereits durch De Sanctis ßiv. di Fol. XXVIIFi und Kirchneb (G. G. A)iz. 1900) geschehen. Beide, und namentlich De Sa.nctis (dessen Arbeit Kirch.nek nicht berücksichtigt, obgleich sie ihn vor manchen Irrtumern bewahrt haben würde) geben vieles beachtenswerte, ohne doch in der Hauptsache zu haltbaren Ergebnissen zu gelangen.

2) Fekcd.-on bezieht auf dieses Jahr, einer Andeutung Köhlers (CIA. II 1, S. 414) folgend, CIA. II Add. 352b (S. 413) und IV 2, 252c. In beiden Urkunden ist der

Ratsschreiber og Avxov 'AXoyTttv.fjd-tv, der Xame des Archon ist weggebrochen,

int' Eülfrin-nioD würde CIA. IV 2, 252c die Lücke ausfüllen, doch ist die Sache sehr unsicher; Reusch, Hermes 15, 346 f. setzt die Urkunden in das Jahr des Antiphates.

3) Fekgdson S. 94 from an intscription not i/et published, die er leider nicht mitteilt.

408 -/. Bdocli,

i)tn- Name des Sclireibei's unter Ol3-nii)iotluro.s, 294/3 (CIA. II 302) lässt keine auch nur einigermassen sichere Ergänzung zu; Avenn die regelmässige Folge nicht gestört war, müsste er der Autiochis angehört haben, der des nächsten Jahres, dessen Archon bei Dionj'sios aus- gefallen ist, der Antigonis, und der Schreiber unter Philippos der Denietrias. Nun wissen wir, dass der Schreiber im Jalir des Aristouymos aus dem Demos Aethalidae war (CIA. IV 2, 331b.) also aus der Antigonis; und da Aristonj'mos vor Pytharatos Archon gewesen ist (oben S. 404), bis daliin aber, wie wii' unten sehen werden, kein Jahr für die Antigonis frei bleibt, würden wü- in Aristonymos den bei Dionysios ausgefallenen Archon zu sehen haben.

Welchen Phylen die Schreiber unter Lysias und Kimon angehört haben, wi-sseu Avir nicht, wohl aber, dass im Jahre nach Kimon

og zlr]^ujTQio[v] 'l7i7ioT[o]fi[u]d>/g Sekretär (CIA. II 330), also

die Denietrias an der Eeihe war. Ferguson stellt allerdings in Abrede, dass in dieser Inschrift, einem Ehi-endekret für die Ephebeu des Vorjahres, Ki]ft(uvog uQyovTog zu ergänzen ist, vermag aber nicht zu sagen, welcher andere Name dann hergestellt werden könnte (S. 33 f.). Es lässt sich indess beweisen, dass die Ergänzung richtig ist. Denn der Name des Archon, unter dem unsere Inschrift abgefasst ist, hatte im Genetiv 8 Stellen ; die gleiche SteUenzahl im Genetiv hatte der Name des Archons, der CIA. IV 2 , 614 b. Zeile 04 unmittelbar nach Kimon erwähnt wird, und nach dem Znsammenhang offenbar sein Nachfolger war. (Vgl. Kühler, CIA. IV 2 S. 158). Nun wissen wir- aus CIA. IV 2, 614b, dass Athen während der ganzen Daner von Kimons Amtsjahre unter Demetrios Herrschaft gestanden hat; folglich kann Kimon spätestens in 288 7 ge- setzt werden, sein Nachfolger also spätestens in 287/6. In diesem Jahre wäre aber, bei regelmässiger Folge der Sclu-eiber, die Akamantis an der Reihe gewesen; wir sehen also, dass die Folge gestört war. Dasselbe ergiebt sich aus dem Demotikon des Schreibers unter Diokles, der der Aegeis angehört hat, während in den 3 Jahren, in die Diokles allein gesetzt AVerden kann (288/7 286/'5), bei ungestörter Folge die Leontis, Akamantis , Oeneis den Schi-eiber gestellt haben müssten. Die Störung hängt offenbar mit der Oligarchie zusammen, die am Ende der Eegierung des Demetrios in Athen herrschte (darüber an anderer Stelle), ebenso Avie die Oligarchie der Jahi-e 322/1 319/8 eine ähnliche Störung zur Folge gehabt hat. Doch bleibt freilich die Möglichkeit, dass die Störung schon mit der Reorganisation des Staates durch König Demetrios nach Lachares Sturz zusammenhängt, oder noch höher hinaufgeht.

Unter Diokles Avar ctvo(fw\y Nixi]ov Alauvg (CIA. IV 2, 309 b. c.) Ratsschreiber; dass 'A)mi Agacpfjvldsg , also die Aegeis zu A'ersteheu ist, zeigt die Phyle des Schreibers des folgenden Jahi'es (Archon Diotimos), der aus Paeania (CIA. II 311, 312), also der Pandionis Avar. Allerdings

Die attisclir.n Arclionten im III. Jahrhundert. 409

gehörte ein Teil von Paeania zur Antigonis; da aber der Schreiber unter Euthios, im 2. Jahre nach Diotimos, aus Cholargos, also der AkamanMs war {CIA. II 314, IV 2, 314 c.), so ist klar, dass der Schreiber des Jahres des Diotimos der Pandionis angehörte. Der Name des Schreibers im Jahre des Isaeos, zwischen Diotimos und Euthios ist nicht überliefert, es kann aber nach dem gesagten kein Zweifel sein, dass er der Leontis angehört hat. Die Schreiber aus den Jahren von Diotimos bis Eutliios bilden demnach eine geschlossene Eeihe nach der Ordnung der Phylen, von der Aegeis bis zur Akamantis.

Nehmen wir nun für Diokles das früheste mögliche Datum, 288 7, und zählen von liier weiter, so kommt Menekles, dessen Ratsschreiber QeodwQog Avaid-iov \Tniy.oo]vaiog {CIA. II 315), also aus der Aeantis war, in 281/0, dessen unmittelbarer Nachfolger Nikias aus Otryne iß.Aiii- schreiber 7f5ozp«r»;e '/(jozparou yJAw;i£x/jt9^6v , CIA. II 316. 317, also aus der Antiochis) in 280 79.

Allerdings ist eines dieser Jahre scheinbar bereits durch Gorgias eingenommen (oben S. 402), aber das würde für unsern Ansatz kein Hindernis sein, da die betrefiende Stelle der Demosthenes-Yita korrupt ist und sehr wolü ivSsy-ÜTa iru varegov dagestanden haben kann. Auch dass der Name von Nikias Nachfolger nach CIA. II 614 im (Genetiv auf ov endete, wäre kein Gegengruud, denn vnr können in dieser Inschrift ebenso gut i7i '^dvauxpäT^ov ägyovTug ergänzen, ^\ie CIA. II 316. 317 'Iaoy.gciTov , und IV 2, 331 i^'t fl>doy.ouTov ägyovTog steht. Wh" wüi'den allerdings nach den Eaumverhältnissen einen kürzeren Namen erwarten, und DuMONT hat demgemäss rooyi']ov ergänzt; da indes die Überschrift, die das Archontendatum enthält, nach rechts und links über den Text vorsprang, so steht der Ergänzung 'AvaiiyQÜT'\ov auch von dieser Seite nichts im Wege (vgl. Köhlehs Bemerkungen zu unserer Inschrift). ^\'er trotzdem rogylov ergänzen will, muss annehmen, dass zwischen Euthios und Menekles einmal eine Phyle in der Folge der Eatsschreiber über- gangen worden ist, was gar keine Bedenken hätte, da derselbe Fall z\\-ischen Pherekles und Leostratos vorgekommen ist.

Der Akamantis (VII) gehörte der Schreiber unter Polyeuktos an: Xaigecfwv 'AgyaoTgÜTOv Keifah'i&ev {CIA. II 322, 323), der Oeneis (Vin) (liaivvlog Uafff^i/Lov Vi'&tv, der im folgenden Jahre unter Hieron Schi-eiber war (IV 2, 323 b). Je nachdem wir Nikias in 281/0 oder 280/79 setzen, kommen diese beiden Archonten also in 274:3 und 273/2, oder in 273/2 und 272/1 zu stehen. Für Urios, dessen Schreiber EiJ^svog KaXUov Ailoivtvg (IV 2, 345 c) der Kekropis (IX) angehörte, ergiebt sich das Jahr 283/2; für Plülokrates eines der Jahre 267 6 oder 266 5, da sein Schreiber ' Ily^ainTtos'AgiaTOfidxov MsXuevg (II 278, IV 2, 331c) aus der Demetrias (11) war. Für die übrigen Archonten dieser Periode ist die Phyle des Eatsschreibers unbekannt.

410

J. Bnhch,

Unter der Voraussetzung, dass Xikias dem Jahr 280 79 angehört, die regelmässige Folge der Schreiber also seit Diokles nicht gestört worden ist, erhalten wii- demnach für die Zeit von Nikostratos bis zum chremonideischen Ivriege folgende Liste:

295/4 294/3 293/2 292/1 291/0 290/9 289,8 288/7 287/6 286/5 285/4 284/3 283/2 282/1 281/0 280/9 279/8 278/7 277/6 276/5 275/4 274/3 273/2 2721 271/0 270/9 269/8 2GS'7 2G7.C 266/5 265/4 264 '3

Nikostratos

Olympiodoros

Aristonymos

Philippos

Lysias

Kimon

Diokles Diotimos Isaeos Euthios

Urios

Gorgias

Men ekles

Nikias

Anaxikrates

Demokies

Eubulos

Polyeuktos

Hieroii

Pvtharatos

Philokrates Arrheneides Diognetos

Ai9ciXidi]i

'/jrjrorofiftdjjs

'A}.aisve

Ilaiccviivg

XoXuQysvg

Ar^iofivg

\TQiKOQ]vaiog 'AXa>m:y.ii&lv

KicpaXiiQ'iv

MBUrcvg

Phyle

Aeantis XI [Antiochis XI] Autigonis I 'Demetrias II]

Demetrias II Aegeis IV Pandionis V [Leontis VI] Akamantis VII [Oeneis VIII] Ivekropis IX Hippotboutis X] Aeantis XI Antiochis XII ^Antigonis 1] [Demetrias II] [Ereohtheis HI] [Aegeis IV] [Pandionis V] [Leontis VI] Akamantis VII Oeneis VIII Kekropis IX] HippothontisX] [Aeantis XI] [Antiochis XII] [Antigonis I] Demetrias II [Erechtheis DI] [Aegeis IV]

Wie man sieht, entspricht diese Liste von Diokles an vollständig der offiziellen Folge der Phylen. "Wollten -nir dagegen Diokles, wie das gewöhnlich geschieht, in 287,6 herabrücken , so müssteu wii- annehmen, dass in der Folge der Eatssclu-eiber z\\-ischen Eutliios und Trios eine Phyle übersprungen ist; doch haben wü' kein Eecht, ohne zwingende Gründe zu einer solchen Annahme zu greifen. Sehr xiel schwerer würden die Störungen sein, wenn vrir Diokles in 286/5 herabrücken wollten; so schwer, dass dieser Ansatz überhaupt ausgesclilossen bleibt. Wir haben also für Diokles nur die Wahl zwischen 288/7

10

T)ic attischen Ärchonicn im III. J (ihr! Hindert. 411

und 2S7 (■> und die o-rössore WalirscluMuliclikcit sju-iflit für das erster« .lalir.')

Indes ist unsere Aufgabe damit erst zur Hiiltte eiiedigt. Denn eine Arcliontenliste. die allen Anforderungen entspredien will, ninss auch dem Schaltcyklus Genüge leisten. Das ist nun freilich eine Forderung, der wir bei unsrer heutigen Kenntnis des attischen Kalenders nur bis zu einem gewissen Punkte nachkommen können. Denn wir halien keine direkte Überlieferung über den Schaltcyklus, der im III. Jahrhundert in Athen in Geltung stand, und sind also gezwungen, diese Lücke auf in- duktivem Wege auszufüllen. Die Hauptschwierigkeit liegt nicht sowohl in dem Mangel an positiven Angaben, als in den Eingriffen, welche sich die Verwaltung in den Gang des Kalenders erlaubte, und die sich natur- gemcäss unserer Kenntnis meist völlig entziehen. So wurde im Jahre des Archelaos (•225;4) nach dem Anthesterion ein 'Av&iarrjoiwv ifißöh^iog ein- geschaltet (CIA. IV 385c), während in den regelmässigen Schaltjahren bekanntlich ein zweiter Poseideon eingelegt wurde. Das hatte nun allerdings, wie wir unten sehen werden, seine ganz besondern Gründe (S. 423); und ^\•ir Averden überhaupt annehmen dürfen, dass solche will- kürliche Eingriffe in den Kalender nur verhältnismässig selten vorge- kommen sind. Aber wir müssen doch immer mit dieser j\[öglichkeit rechnen. Auch sind natürlich Schreibfehler in unseren Urkunden nicht ausgeschlossen.

Als erwiesen sehe ich an, dass in Athen, spätestens seit Demetrios von Phaleron, die alte Okteteris nicht mehr gegolten hat, und ein 19 jähriger Cyklus an ihre Stelle getreten ist. Ob das der metonische Cyklus gewesen ist, oder welcher Cyklus sonst, ist für uns um so mehr gleichgiltig , als wir bekanntlich von der Einrichtung des metonischen Cyklus keine genügende Kenntnis haben, und also doch darauf an- gewiesen sind, den Cyklus auf dem AVege der Induktion zu rekonstruieren. Voraussetzung ist dabei, dass der Cyklus 7 Schaltjahre und 12 Gemein-

1) Historische Gründe hissen sich gegen diesen Ausatz nicht geltend machen. Denn die Ereignisse, die Plut. Dcmetr. 41. 43, Pi/rrh. 1—8. 10 zwischen der Pjthien- feier 290 (c. 40) und der Vertreibung des Demetrios aus Makedonien erzählt, brauchen nicht mehr als den Sommer 289 und den folgenden Winter gefüllt zu haben und können es kaum: im Frühjahr Einfall des Demetrios in Makedonien und Epeiros, Sieg des Pyrrhos über Demetrios Feldherrn Pantauchos; uXiyco vartQOV [I^yrrh. 10), also offen- bar noch im selben Sommer Erkrankung des Demetrios, Einfall des Pyrrhos in Makedonien, worauf Demetrios Ttugä ävvuniv {Pyrrh. 10) sich vom Lager aufrafft, Pyrrhos zum Laude herausschlägt, und dann mit ihm Frieden schliesst. Im Winter die Rüstungen des Demetrios uud im Frühjahr der Beginn des Koalitionskrieges gegen ihn. Pyrrhos Sieg über Pantauehos wird ausdrücklich als eine der Ursachen be- zeichnet, die Demetrios Stelking in Makedonien erschütterten, und Pyrrhos die Sym- pathien des Landes gewann {Demetr. 41, Pyrrh. 8); wir werden ihn auch darum mög- lichst nahe an Demetrios Sturz heranrücken müssen. Vgl. ausserdem oben S. 3 Anm.

11

412 J. Beloch,

jalire hatte, und dass nie 2 Schaltjahre, oder mehr als 2 Gemeinjahre auf einander folgen konnten. Auf die Frage, ob die Tagdateu ust elxd- äag rechtläufig oder rückläufig gezählt werden müssen, gehe ich mit Ab- sicht nicht ein, da Zweifel über die kalendarische Qualität der Jahre, die uns hier interessieren, daraus nicht entstellen. Ich stelle nun zu- näclist das überlieferte Material seit dem Beginn der Verwaltung Demetrios von Phaleron zusammen.

314/3 Nikodoros

CIA. II 234: 11. (Tamelion = 2Ü. Tag der G. Prytanie. Also Schaltjahr.

313,2 Theophrastos

6'/.'/. II 236; die Ergänzung [i;ii 0«of/)p«(T]roy ap/ovrog steht sicher. Der 16. Gamelion fällt in die 6. Prytanie, nach Köhlers Ergänzung auf den 31. Tag, sodass auch dieses Jahr ein Schaltjahr gewesen wäre. Es lässt sicli in der That ohne gewaltsames Vorgehen keine andere Ergänzung geben (vgl. Adolf Schmidt, Griech. Ohronol, S. 576 ff.). Da nun bei normalem Gang des Kalenders zwei Schaltjahre nicht auf einander folgen können, muss in diesem Jahre eine Störung erfolgt sein, deren Anlass sich unserem AVissen entzieht.

310/9 Hierom nemo n

II 237: 18. oder 19. Gamelion = 19. Tag der 6. Prytanie. Also Gemeinjahr.

307/6 Anaxikrates

IV 2, 240 b [int rrjg Tij^uTHjg ngvTai'd'ag, Matfiay.[Ttigiwrog] (das

Datum des Tages ist weggebrocheii) / xal ity-oarfi rijg

[nguTvaiiag^

11320b (S. 425) i[;i]i T?,g 'AvTiyovlö\og i/?]^[o>/;]i' [ng^vTavuag,

ra/:it])uwi>og äEvr\t\gu i[fi]ßol(^ia:, 6)'Sös[i] ,u«r tlxuSag

ijf.ngoXiyS6v , /*[««] y.al ily.ocirH Ti/g TigvTuvi^ictg^. Von demselben Tage r]a^ijhwvog vaT[igc/. iftßo?Jua)] ist IV 2, 733. CU. II 238 gehört nicht hierher.

Dass IV 2, 733 der Archon des Jalires 307 6, nicht der gleichnamige Archon des Jahres 279/8 gemeint ist, unterliegt keinem Zweifel, da auf einem anderen Bruchstück derselben Urkunde (II 733 S. 91) der Archon Koroebos (306 5) erwähnt wird. Und nicht weniger sicher ist es, dass die Volk.sbeschlüsse IV 2, 240 b und II 320 b in das Jahr 307/6 gehören. In beiden ist Eatsschi-eiber Avaiag No&lnnov Jio^tttEvg, also sind beide Beschlüsse aus dem gleichen Jahr; IV 2, 240b ist -S'rparoxA^g Ev&vöi'ifiov Jiofisievg Antragsteller, der schon zur Zeit des harpalischen Prozesses

12

Die affiscJicn Archonten im III. Jahrhundert. 413

(324) ein angesehener Redner war, und 279 8, wenn er überhaupt noch lebte, schwerlich mehi- eine politische Rolle gespielt hat. Es handelt sich in diesem Dekret (von dem auch II 164 ein Stück ist) um eine Weihung der Kolophonier an Zeus Eleutherios, die am nächsten Panathenaeenfest öffentlich verkündigt werden soll ; also gehört der Re- schluss in ein Jahr, das der Feier der grossen Panathenaeen unmittelbar vorausging, d. h. in das 2. Jahr einer Olympiade. Das würde ebenso auf das Jahr 307/6 passen wie auf 279/8; aber die Weihung au Zeus Eleutherios passt doch nur auf 307 6, und wenn noch ein Zweifel bliebe, würde er dui'ch die Anweisung der Kosten für die Aufzeichnung des Deki'etes an den Tctuiag tov öi]uov gehoben, der 279 8 nicht mehr be- standen hat.

Da der 21. oder ein späterer Tag der 5. Prytanie in den Maemakterion fällt, während die 7. Prytanie am 8., oder nach Usekehs Zählung am 2. oder 8. Gamelion begonnen hat, so ergiebt sich, dass dieses Jahr einen IloaeiSeuv varioog nicht gehabt hat, also normal ein Gemeinjahi" gewesen ist, was sich auch unabhängig davon beweisen lässt (s. unten S. 417). Dagegen wäre nach Lolling, der 11 733 ranr,hwvoi; vor[^igoii] ergänzt, in diesem Jahre unregelmässiger Weise ein zweiter Gamelion eingeschaltet worden, und ZAvar, wie Köhler meint (IV 2 S. 68), infolge der Errichtung der neuen Phyleu Antigonis und Demetrias, um die Dauer der Prytamen nicht allzusehr zu verkürzen. Da indess, wie wir aus II 820 b ■wissen, die 7. Prytanie in den ersten Tagen des Gamelion begonnen hat, so müssten. wemi nach dem Gamelion ein Schaltmonat eingelegt worden wäre, die letzten 6 Prytanien des Jalu-es zusammen 7 Monate umfasst haben, während für die ersten 6 Prytanien nur 6 Monate bleiben würden, was doch offenbar widersinnig wäre. Wir müssen vielmehi- annehmen, dass die ersten 6 Prytanien zusammen eine längere Dauer gehabt haben, als die 6 letzten, da ja die neuen Phylen erst im Laufe des Jahres errichtet sind, zunächst also, mindestens für die 1. Prytanie, noch die alte Ordnung galt, wonach im Gemeinjahr 35 36 Tage auf die Prytanie kamen. Soweit die erhaltenen Urkunden ein Urteü gestatten, hat die erste Prytanie 35—86 Tage umfasst, die folgenden Prytanien je 28 30 Tage; die Errichtung der neuen Phylen ist also im Laufe der 2. Prytanie be- schlossen worden.

306 5 Koroebos

II 246: 'ivt] y.a'i via des Gamelion = 27. Tag der 7. Prytanie. 247: Ivyj xa'i via kißöhuog des ^luiiicliidU = 29. Tag der 10. Prytanie. Demnach (Tcmeinjahr. Dasselbe ergiebt sich aus der Schatzurkunde DiTTEXBERGER Syll.- 181, lii der die Prytanien den Monaten einfach gleich- gesetzt werden.

Beiträge z. alten Geschichte 1 3. 27

13

414 J. Bclocl,

305 4 Euxeiiippos

IV 252 c: 21 Metageituion = 21. Tag der 2. Prytanie.

II 252 b: letzter Monatstag = 30. Tag einer Prj'tanie; weder Monat noch Prytanie erhalten. Danach ist dieses Jahr ein Gemeinjahr gewesen ; docli ist die Beziehung auf Euxenippos sehr unsicher, s. oben S. 7 Anm. 2 und unten S. 417.

304/3 Pherekles

II 255: 18. Pvanopsion = [18.] Tag der 4. Prytanie.

256 (vollständiger IV 2 S. 74): IloGidmv\og oySöij f/er] etxudag

= 24. Tag der 6. Prytanie. Es könnte an sich ebenso gut noai§Ewv[og Tgir?] /ter] Eixädag ergänzt werden, doch s. die folgende Urkunde. 25Cb (S. 424): rafitjliüJvog ösvriga ftn iixuÖag = 20. Tag der 7. Prytanie.

257 (dazu IV 2 S. 74): [^QccQyriXiüvog Tiiun^ru /iiet eix[cidag,

TiiuTiTH xai iixoarij Tilg 7tQVT\cxveiag (der 11. Pr^iianie). Gemeinjahr, was durch die Qualität des folgenden Jahres als Schaltjahr bestätigt wird.

303/2 Leostratos

II 200: 17. Anthesterion = 29. Tag der 8. Prytanie. 262: 21. Skirophorion = 23. Tag der 12. Prytanie. 263. 264; IV 20, 264b: 29. Skirophorion = 31. Tag der 12. Prytanie. Also Schaltjahr.

302/1 Nikokles

II 269: 'Av&iotr^Qiwvog oySöi]] fxix üxäSag = 28. Tag der Prytanie. UsENTiR, Eh. Mus. 34 S. 430 ergänzt [iptrj;/.] uet E\xä8ag. 270: 21. Skii-ophorion = 21. Tag der 12. Prytanie. IV 2 , 269b: Movvvx\i^(>'v[og rgirrj /ter] Elxaöctg = 22. Tag der [10.] Prj'tanie. Kdhlee ergänzt kvüt}]. 269 c: 18. Thargeliou = 19. Tag der 11. Prytanie. II 270: 21. Skii-ophorion = 21. Tag der 12. Prytanie. Also Gemeinjahi".

301/0 Klearchos

IV 2, 271b : Die oy§6rj fiEv Ei%ccS[ag] des [Metageit]nion = 21. bezw. 26. Tag der 2. Prytanie. Also Schaltjahr-. Die Ergänzung KkEÜQxo^v steht durch die Phyle des Ratsschreibers sicher.

299/8 Euktemon

II 297 : 21. Metageitnion = 21. Tag der 2. Prytanie. Also Gemeinjalir.

14

Die (dtisclien Arrhoifcn )»i III. JaJirlntndcrt. 415

296/5 Nikias vaTioov.

II 299: 16. Jluiiicliion = 7. Ta.o- der 4. Prytauie. Da die Prytanienordimiig gestört war, ist über die Qualität des dalires iiiclits zu ermitteln.

295/4 Nikostratos

TI 300 : Der 15. Tag der 9. Prytanie fiel in die erste Dekade des Elaphebolion. Also Schaltjahr.

294/3 0 1 y m pi 0 d 0 r 0 s

II 302, am 1. Tage der 10. Prytanie, von dem Datum ist nur das letzte cf erhalten, was Köhler zweifelnd [Mowt/iiZvog rp ÖtvTiQ]a ergänzt; die Ergänzungen 'Elwp^ßohöjvnq vov- uijvia nnd Movvr/iüvog 'ivrj y.ai v^^ wiü'deu die Lücke aus- füllen, stimmen al)er nicht zu der 10. Prytanie. "Wir müssten also einen Schreibfehler annehmen. Jedenfalls fallen Prytanien- und Monatsanfang zusammen, was nur im Gemeinjahr der Fall sein konnte.

A r i s t 0 n y m o s

IV 331b: 21. (Maemakterion) = 22. Tag der 5. Prytanie. Also Gemeinjalir.

N a c h f 0 1 g e r K i ni o n s ( s. oben S. 8).

11330: 18. Boedromion = 14. Tag der 3. Prytanie. Also Schalt- jahr.

288/7 Diokles

IV 2, 309 b: 11. Hekatombaeon = 11. Tag der 1. Prytanie. 309 c: 19. Authesterion = 19. Tag der 8. Prytanie. Also Gemeinjahr.

287/0 Diotimos

II 311: Letzter Gamelion = 29. Tag der Prytanie.

318: Letzter Elaphebolion = 30. Tag der 9. Prytanie. 312: iATtj lUT ti/.uSaq des Skirophorion = 25. Tag der 12. Pry- tanie. Vom selben Tage ist 313b {Add. S. 415). Also Gemeinjahr.

286/5 Euthios

II 314: 18. Boedromion = 19. Tag der 3. Prytanie. Also Gemeinjahr.

283/2 Urlos

IV 2, 345 c: Letzter Thargelion = 29. Tag der 11. Prytanie. Also Gemeinjahr.

27* 15

416 -/. Behch,

281 0 Meuekles

II SIT) : Der letzte Autliesterion fällt in die 8. Prj'taiiie, auf welclien Tag- ist nicht angegeben. Im Sclialtjahr würde der letzte Autliesterion in die 9. Prytanie fallen, also war das Jahr des Menekles ein Gemeinjahr.

280/9 ffikias von Otryne

II 3U): Boriöooi.iiü\yog 'ixT\u un üxäSac, = 2(3. Tag der 3. Pr}'tanie. 317: 11. Poseideon = 12. Tag der G. Prytanie. Demnach Gemeinjahr.

Demokies oder Telokles

IV 2, 318 c, dazu Add. S. 290: 19. Munichion = 20. Tag der 10. Prytanie. Also Gemein jähr.

Polyeuktos

II 322: 16. Pyanopsion ^ 16. Tag der 4. Prytanie.

323: kvari] fier tixäöag des Elaphebolion ^ 30. Tag der 0. Pry- tanie. Das erste der beiden Daten ist zwar nicht voll- ständig erhalten, aber vollkommen sicher ergänzt : inl TTJg

'AvTijyovidog TeräoTtjlg TTQVTai'siagJ [^Uvavoxpiwvog

fxzei inl dixja, 'ixvH xai Sixänj [rrig n^vraveiag , vgl. Adolf Schmidt, Gr. Chrono!. S. 535. Das Jalu" war also ohne jeden Zweifel ein Gemeinjahr. Das ^\ird da- durch bestätigt, dass das folgende Jahr (Archon Hieron) ein Schal t- jalu- war.

H i e r 0 n

IV 2, 323b: 13. HoandiMV varegog = 32. Tag der G. Prytanie. Demnach Schaltjahi-.

Philokrates

II 278, ergänzt IV 2 S. 90: [MeraysiTvtwvog oySoij fisr sixä^dag,

TtTceQT[^Tij xctl eixocirij rf/g TTQVTai'siag]. IV 331c: Der letzte .skiiup'horion = 32. Tag der 12. Prytanie. Also Schaltjahr.

Peithidemos

n 332 : 9. Metageitnion = 9. Tag der 2. Prytanie. Also Gemeinjahr.

So lückenhaft dieses Material nun auch sein mag, so genügt es doch, um für die Jahre von 314,3 (Nikodoros) bis 294/3 (Nikostratos), deren Archouten chronologisch sicher stehen, den geltenden Schaltcyklus zu rekonstruieren. Das Jahr 314/3 (Nikodoros) ist nicht nur selbst als Schaltjahr bezeugt, sondern es wii'd auch durch das Paralleljahr des

16

Die attischen Archontcn im III. Jalirlmndert. 417

Nikiistratos (10 Jahi-e später, 295/4) als Schaltjahr erwiesen, und iiieht iiiiiider dadurcli, dass das Jahr des Klearchos ein Schaltjahr war; denn in der 19 jährigen Periode von Nikodoros bis Nikias kann auf Klearchos nur noch ein einziges Schaltjahr gefolgt sein, nämlich 298 7 (Mnesidemos), sodass die Periode mit 2 (gemein jaliren schliesst und also mit einem Schaltjahr begonnen hat. Daraus folgt, dass 313/2 (Theophrastos) , ob- gleich anscheinend als Schaltjalu- bezeugt, doch normal ein Gemeinjahr gewesen ist. Ferner sind in unserer Periode das Jahr des Leostratos (303/2) als Schaltjahr, die Jahre des Hieromnemou (310/9), Auaxiki-ates (307 ti), Koroebos (306/5), Pherekles (304 3) als Gemeinjahre bezeugt. Folglich müssen die Jahre des Simonides (311/0), Charinos (308,7) und Euxenippos (305/4) Schaltjahre, alle noch übrig bleibenden Jahre Gemein- jahre gewesen sein. Die Beziehung der Urkunden CIA. n 252b und IV 252 c auf das Jahi- des Euxenippos ^nrd dadiu'ch ausgeschlossen, mindestens sehi- unwalirscheiiüich. Dagegen würde das Gemeinjahr, dem diese Urkunden angehören, zu Autiphates passen, oder auch zu dem Jahi- 2tj9/8, dessen Eatsschreiber , nach der Folge der Phylen, der Antiochis angehört haben muss. Das Schema unseres Cyklus ist dem- nach SGG I SGG I SGG \ SG \ SG \SGG \ SGG, wobei es natürlich hier für uns ganz gleichgiltig ist, welches Jahr als erstes gezählt wurde; uns kommt es um- auf die Folge der Schalt- und Gemein jähre an. Ganz dieselbe Folge haben für diese Zeit Unger und Adolf Schmidt auf- gestellt, obgleich, als sie schrieben, das Jahr des Ivlearchos noch nicht als Schaltjahr bezeugt war.

Ordnen wir nun die Archonten seit Plülippos nach diesem Schema, so kann die Gruppe Diokles Euthios nur in die Jahre 288/7 285/4 ge- setzt werden, übereinstimmend mit dem oben (S. 410) gewonnenen Ergeb- nis. Der Ansatz von Kimons Nachfolger auf 289/8 bestätigt sich, und damit sind für Lysias und Kimon die Jahre 291/0 und 290/9 gegeben. Ebenso bestätigt sich der Ansatz des Menekles und Nikias auf 281/0 und 280 9. Dem Ausatz des Aiistonymos auf 293/2, des Urios auf 283/2 steht nichts im Wege; letzterer AiThon könnte allerdings auch in 272/1 herabgerückt werden, doch haben bereits Ferguson und Kirchner bemerkt, dass er wahrscheinlich vor Lysimachos Tod (281) angesetzt werden muss. Dem Ansatz des Dekretes für Komeas auf das Jahr des Demokies steht nichts entgegen, da dieses Jahr ein Gemeinjahr war; wenn -ftöi- knl 7't]lox?Jovg ergänzen wollten, hätten wir die Auswahl unter den Gemeinjahren 277/6, 275/4, 272/1. Dagegen kommen Polyeuktos und Hieron statt in 273/2 und 272/1 in die unmittelbar vorhergehenden Jahre 274 3 und 273/2; es muss also zwischen 279 8 und 274 3 einmal eine Phyle in der Folge der Eatsschreiber übersprungen sein, wie das zwischen 304 3 und 303/2 geschehen ist. Infolgedessen, vmd wegen des Schalt- jahres kommt dann Philokrates in 267 6, sodass das Gemeinjahi- 266;5

17

418

J. Belocli,

für Peithidemos frei bleibt. Von den übrigen aus unserer Periode über- lieferten Arclionten wird Xenopliou, der nicht zu Aveit von Kimon ge- trennt werden darf, in 284 3 zu setzen sein, das einzige Jalir, das vor Urios noch frei bleibt. Telokles wird in eines der Jahre zwischen Demokies und Polyeuktos gehören, also, da 276/5 bereits durch Eubulos besetzt ist, entweder in 277/6 oder 275/4. Über Eubulos und Arrheneides ist schon oben das nötige bemerkt worden. Wii- erhalten folgende Liste:

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18

Dir affische» Archontcn im III. Jahrlmndcrt. 419

So tiudL'U unsere auf ganz audei-em Wege gewonnenen Ergebnisse diu'ch den Kalender volle Bestätigung; es ist nii-geuds ein Widerspruch, und unsere Liste hat damit, soweit heut unser Wissen reicht, die Probe bestanden. Das Schicksal, in manchen Punkten diu'ch künftige Ent- deckungen modifiziert zu werden , wii'd sie natürlich mit allen ihren ^'orgängerinnen teilen.

Aas der Zeit vom Ausgang des chremonideischen Krieges bis zur eudgiltigen Befi'eiung Athens von der makedonischen Herrschaft sind uns eine ganze Reihe von Archontennamen erhalten, aber es fehlt meist jeder Anhaltspunkt, um sie clu-onologisch zu bestimmen oder zur Keihe zu ordnen. Es liegt auch nicht viel daran, da Athen in dieser Periode eine makedonische Pronnzialstadt war und keine politische Eolle gespielt hat. Erst seit der Zeit, als Athen meder selbständig wurde, kann eine Rekonstruktion der Archontenliste versucht werden. Die Grundlage dafür giebt der inschriftlich erhaltene Archontenkatalog CIA. n 859 , der , -nie bekannt , für eine Reihe von Jahren das voll- ständige Verzeichnis aller 9 Archouten giebt. Die Namen sind in zwei Kolumnen geordnet, in folgender Weise (ich setze niu- die eponjTuen Archonten hierher, da es für unsere Untersuchung allein auf sie an- kommt) :

J]io^{««i;s) s 'Eoxis{vg)

AiW)(^üorjq IlaXl.{r)vevg) /liox?Jjg KvSa&lijVaievg)

Üeö'fiXog ki O'iov Evcfilr,Tog nooß{a?.ißiog)

'£]oyoy_ägr,g ^(friT{Tiog) ' IIoüy.?.eiro[g ' yi&]fio(vevg) Nix?'jTrjg .Sxceußojv(iÖtig) (vacat).

'AvTi(fiXog ' A<fiÖv{(äog)

Mivs/.oaTtjg ' ütixi (er) (t)v Ahu7ri[y.i',&ei').

Oben fehlen in jeder Kolumne die Archonten wenigstens eines .Taiires, ebenso fehlt zwischen Antipliilos und Menekrates wenigstens ein Jahr. Die Liste aus dem Jahi- des . . . . wv aus Alopeke ist nicht vollständig erhalten, wir können also nicht wissen, ob Kol. 1 hier endete, oder ob unten noch die Archonten weiterer Jahre verzeichnet waren. Dagegen endete Kol. 2, und also das ganze Yerzeichnis, mit dem Jalu-e des Herakleitos, da der Stein darunter glatt ist. Es waren also in Kol. 1 mindestens 10 Jahre verzeichnet, in Kol. 2 mindestens 5 Jahre; wie gross die Lücken am Anfang, zwischen Antiphilos und Meneki-ates, und z^\ischen . . . wv ' A)Mnixri&tv und . . . . g 'Ea^tsvg sind, lässt sich auf (^rund des Steines selbst nicht bestimmen.

19

420 J. Bcloch,

Da die Thesmotlieten in der offiziellen Folge der Pln'len aufgeführt werden, so ergiebt sich, dass die Phjie Ptolemais unter Niketes noch nicht bestanden hat, wohl aber unter Menekrates. Nun ist aber die Ptolemais zu Ekren des Euergetes errichtet worden ; denn die Errichtung des Demos BegerixtSai hängt doch ohne allen Zweifel ebenso mit der Errichtung der Ptolemais zusammen, Avie später die Errichtung des Demos ' Jnoklwvulg mit der Errichtung der Phyle Attalis, Berenike aber war die Gemahlin des Euergetes, und ist gleich nach dessen Tode von ihrem Sohne PMlopator ermordet worden (vgl. über das alles die näheren Ausführungen in Fleckeisens Jahrbüchern 129, 1884, S. 481 ff., die .seit- dem durch epigraphische Entdeckungen ihre Bestätigung gefunden haben). Dass andererseits die Ptolemais nicht vor der Befreiung Athens errichtet sein kann, bedarf keines Beweises ; die Errichtung fällt also in eines der .lalire von 228 7 bis 222 1. Nun wissen wir, dass unter Ergochares der Eatsschreiber aus Alopeke, also aus der Antiochis war (CIA. II 881); allerdings sind von dem Namen des Archous in dieser Inschrift nur die beiden ersten Buchstaben erhalten, aber die Ergänzung ist sicher, da Hermogenes, an den sonst allein noch gedacht werden könnte, im Genetiv (EQfioyivov) nur 9 Stellen hat, während der Name des Archons unserer Inschrift im Genetiv 10 Stellen gehabt haben muss. Ferner wissen wü", dass der Schi'eiber unter Thrasyphon (221/0, s. oben S. 402) aus Paeania war {CIA. 11403), also entweder aus der Antigonis oder aus der Paudiouis, wahrscheinlich aus letzterer, da ein Paeanier aus der Antigonis in den uns ei-haltenen Urkunden nur einmal erwähnt wird {CIA. IV 2, 251b), während Angehörige dieses Demos aus der Paudiouis in der Zeit von 307 200 öfter vorkommen (Kirchner, Gott G. Am. 1900 S. 447a). Und Thrasj'phon war später als Ergochares, da Euergetes eben in seinem Jahr (221/0) gestorben ist, die Ptolemais also bereits be- stehen musste. War demnach der Schreiber unter Thrasj-phon aus der Pandionis, so muss dieser Archon der 5. nach Ergochares gewesen sein, und wü" hätten in unserem Katalog in dem Jahre nach Menekrates \0()a(iv(f^\wv 'AlomiW]\Iiv zu ergänzen, 'wie denn auch bereits von mehreren Seiten geschehen ist. Ergochares käme dann in das Jahr 226/5, und die Pto- lemais würde entweder 224/8 oder 223/2 errichtet sein. Der Vor- gänger des Menekles war nach CIA. II 1591 wahrscheinlich Kall ,

der also 228/2 im Amte gewesen wäre.

Was die zweite Kolumne unseres Archontenkatalogs angeht, so war der Schreiber unter Diokles aus der Phyle Hippothontis (CIA. IV 2,385d; über die Identität mit den Diokles des Katalogs kann kein Zweifel sein, da das Dekret der Zeit der 18 Phylen angehört). Diokles müsste also, je nachdem der Scln-eiber unter Thrasyphon aus der Antigonis oder der Pandionis war, in das Jahr 211 0 oder 215/4 gesetzt werden. Aber eine Lücke von 10 Jahren in unserm Katalog ist ganz ausgeschlossen, und so

20

Die attischen Archontcn im III. Jahrhundert. 421

ist da« ,]alir 215/4 für Diokles, und die Pandionis als Pliylu des Schreibers von 211/0 gesichert .

Im Jalire vorher, 21(5/5, wäre nach Gompee/ (SB. Wim. Akad. 123 VI S. 85 f.) Pasiades,') zehn Jahre später 20ti/5 Kallistratos Archon ge- wesen. Aber das Fragment des Apollodoros, auf das er sicli beruft, kann unmöglich diesen Sinn haben: Apollodoros sagt, Lakydes sei 18 Jahre Schulvurstand gewesen, und habe dann noch weitere 18 Jahre gelebt, bis zu seinem Tode unter Kallistratos; andere aber, fährt Apollodoros fort, Hessen Lakydes unter Pasiades sterben, nachdem er die 10 letzten Jahre seines Lebens wegen Ki-ankheit die Schule nicht mehr habe leiten können. Von einem zehnjährigen Intervall zwischen Pasiades und Kallistratos steht also bei Apollodoros nichts, und nicht einmal das Jahr des Kallistratos steht ganz sicher, da wir ja nicht wissen, in welches Jahr ApoUodoros den Tod des Arkesilaos (der nach Laert. Diog. I\' Gl in Ol. 134,4, oder wahrscheinlich im Jahr vorher, 242/1, erfolgt ist) gesetzt hat ; eine Contamination zweier verschiedener Quellen ist aber in solchen Dingen immer sehr misslich.

In die Zeit zwischen Thrasyplion und Diokles gehören Chaerephon {CIA. IV 2,279 b) und sehr wahrscheinlich Kallaeschros (Erpr,u. Üq-/. ISO? S. 42 ff.), ohne dass wir- imstande wären, ihre Jahre genauer zu bestimmen. Es würde also an und für sich möglich sein, den auf Menekrates fol- genden Namen in unserm Archontenkatalog zu [X(xioicf\wv zu ergänzen, aber die Intervalle zAvischen den einzelnen Bruchstücken des Kataloges würden dadurch übermässig verlängert, und ebenso die Intervalle zwischen den Strategien des Demaenetos, der nach CIA. lY 2,279 b in den Jahi-en des ('haerephon, Diokles und Aeschron Strateg in' ' Elivalvo? gewesen ist. Aeschron ist also einige Jahi-e nach Diokles anzusetzen. In die Zeit kiu'z nach Errichtung der Ptolemais gehört auch Archelaos {CIA. IV 2,385 c), dessen Sclu-eiber aus der Antigonis war. Folglich würde sein Jahr 212/1 sein. Auf demselben Steine, unmittelbar über dem Dekret aus dem Jahi-e des Archelaos, steht ein Volksbeschluss aus dem Jahre des Heliodoros, der noch in die Zeit der 12 Phylen gehört {CIA. IV 2,385 b); der Sclu-eiber ist aus der Kekropis (IX), was nach der obigen Berechnung auf 229/8 führen würde. Dass nicht die geringste Notwendigkeit vorliegt, HeUodoros mit HoMOLLE und Kohlee {CIA. IV 2,385 c) in die Zeit des Bundesgenossen- krieges zu setzen, hat Kikchnee, G. G. Am. 1900 S. 452 gezeigt; viel- mehr gehört die Landung des aetolischen Piraten Bukris an der attischen Küste, die CIA. IV 2,385c erwähnt wüxl, oftenbar in den demetrischen Krieg. Beiläufig bemerke ich, dass der Pii-at Bukris {Boixgtg Juira NavTidxTtog, Bull. Corr. Hell. XV 359) keineswegs mit dem Hieromnemon

1) Dies, nicht wie Gomi'erz schreibt Jlcrißd/jc, scheint die richtige Namensforra zu sein, vgl. Kikchnek, G. G. Anz. 1900, S. 454.

21

422

.1. Behch,

unter dem delpliischeu Archon Peitliagoras (um 2tjö) ideutiscli zu sein branelit ; da dieselben Namen in den gilechisclien Familien sich beständig wiederholen, kann der Hieromnemon ebensogut ein älterer Verwandter (Grossvater oder Oheim) des Piraten gewesen sein.

"Wir erhielten also folgende Liste:

Jahr.

229/8 228/7 227; 6 226/5 225/4 224/3 223/2 222/1 221 '0

Heliodoros

Leochares

Theophilos

Ergochares

Niketes

Antiphilos

Kall

Menekrates Thrasyphon

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10

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220/9 219/8 218/7 217,6 216 5 215 4 214 3 213/2 21-2 1

Kallaeschros Chaerephon

. s aus Erchia

Diokles Eupbiletos Herakleitos Archelaos

6

7

8

9

10 XI 12 13

I

Dieselben Ansätze für die Ai-ehouteu von Heliodoros bis Menekrates hat bereits Shebelew in seiner Geschichte Athens von 229 31 v. Chr. (St. Petersburg 1898, russisch) gegeben (s. dort die Tabelle auf S. 95), obgleich er weder die Ai-beit von Ferguson, noch die Insclu-ift ven Mag- nesia mit der Ewähuuug des Tkrasyphon kennen konnte: eine unserer obigen fast genau entsprechende LLste haben unabhängig von eiuander De Sanctis {Riv. di Fil) und Iviechner (a. a. 0.) aufgestellt, nur dass bei ihnen noch Pasiades unter dem Jahr 216/5 erscheint, und Kallaeschros, Chaerephon und Aeschi-ou bestimmte Jahre zugewiesen werden.

Nichtsdestoweniger ist das Ergebnis unhaltbar. Wir Imbeu nämlicli aus den Jahren des Heliodoros und Arclielaos zAvei Volksbeschlüsse, die sich auf dieselbe Sache beziehen, die Errichtung einer Statue zu Ehren des Ivj-doniaten Eumaridas (CIA. r\'385c); unter HeHodoros \nrd die Statue bemlligt, unter Archelaos ein Platz im heüigen Bezirk des Demos und der Chariten dafüi- angewiesen. Ist es denkbar, dass zivlschen diesen beiden Dekreten 17 Jalu-e liegen? Also muss Archelaos näher an Heliodoros herangerückt werden. Das ist nur möglich, wenn wii- Ai'chelaos in eine der Lücken unseres Archontenkatalogs einsetzen, und zwar vor Thras.Yphon (221/0). Da der Schreiber unter Tlu-asyphon der Pandionis angehört, der Sclu-eiber unter Archelaos der Antigonis, so ergiebt sich für letzteren Archon das Jahr 225/4. "Wenn wir nun weiter annehmen (um die Lücke nicht unnötig zu vergrössern) , dass Archelaos der un- mittelbare Nachfolger des Antiphates war, erhalten wir für Heliodoros das Jalir 231 0; ein Intervall von 6 Jaliren zwischen den beiden Dekreten füi' Eumaridas ist nicht zu gross.

Es ergiebt sich uns dann nachstehende Liste.

22

Die attischen Archontcn im III. Jahrhundert.

423

Jahr.

Archon.

Phyle des Schreibera.

Jahr.

Archon.

Pbyle des Schreibers.

231;'0

Heliodoros

TX

225/4

Arohelaos

I

230/9

Leochares

10

224,3

2

229/8

Theophilos

11

228; 2

Kall

3

228/7

Ergochares

XII

222/1

Menekrates

4

227/6

Niketes

~

221(0

Thrasyphon

5

226/E

Antiphilos

"Wir müssten also annehmen, dass die regelmässige Folge der Rats- sclireiber zwischen p]rgüchares und Arelielaos gestört worden ist. Diese Annahme bietet nicht die geringste Schwierigkeit ; clie A'eraulassung kann ebensowohl die Befreiung Athens von der makedonischen Herrschaft ge- wesen sein, wie die Errichtung der Phyle Ptolemais selbst. Im ersten Falle müssten wii-, da die Befr-eiung Athens gegen Ende des Jahres 229/8 erfolgt ist (darüber an anderer Stelle), das erste Jahr der Frei- heit also 228/7 war, Ergochares noch um ein Jahr heraufrücken, sodass zwischen Antiplulos und Archelaos ein Jahr fr-ei bliebe, und das Inter- vall zwischen dem ersten und dem zweiten Bruchstück unseres Kataloges sich auf 3 Archontenjahre belaufen hätte. An sich hätte das gar nichts bedenkliches; denn die erste Kolumne unseres Kataloges hat mindestens 10 Archoutenjalire, also, da auf jedes Jahr 10 Zeilen kommen, mindestens 100 Zeilen umfasst, und muss, wenn Diokles wirklich ins Jahr 215 4 ge- hört, mindestens 12 Archontenjahre und 120 Zeilen umfasst haben; die 30 Zeilen mehr machen also kaum einen fühlbaren Unterschied. Da indes die Befr-eiung Athens in ganz friedlicher Weise ohne jede Um- wälzung erfolgt ist, wird es doch besser seiu, die Störung in der Folge der Schreiber mit der Errichtung der Ptolemais in Zusammenhang zu bringen; wir- haben in diesem Falle noch den Vorteil, dass die Inschrift sich nur um 20 Zeilen verlängert. Die neue Folge würde dann eben unter Ai-chelaos mit der Antigonis anfangen. Dass die Ptolemais luiter Archelaos errichtet worden ist, wird auch dadurch walu'scheinlich , dass in diesem Jahre ein ausserordentlicher Schaltmonat nach dem Anthesterion {'AviftaTijQiiov h^ßohfiog) eingelegt wurde, was offenbar darin seineu Grund hat, dass die neue Phyle erst im Laufe des Jahres errichtet worden ist, und man die einmal begonnene Verteilung des Jahres unter die Prytanien nicht stören wollte. Dass die Ptolemais erst 8 Jahre nach der Befreiung Athens errichtet wurde, könnte im ersten Augenblick überraschen, er- klärt sich aber daraus, dass Athen eben damals von der achaeischen Sache sich abzuwenden begann, und so gezwungen war, gegen Antigonos bei Ägypten einen Eückhalt zu suchen.

23

424

Zum Ursprung des Kolonats.

Von Paul M. Meyer.

Im 2. Hefte dieser ..Beiträge" (S. 295 tt'.) liat Eostowzew als Ur- sprungsland des Kolouats das Eeich der Seleukideu festzustellen versucht. Es ist zuzugeben, dass die von Haussoi-llier veröffentlichte Inschrift') das älteste uns bekannte Dokument für die Existenz der Gutshoheit ist. Dadurch ist aber durchaus nicht ausgeschlossen, dass auch in andern Ländern eine analoge, parallele Entwickelung der agrarischen 'N'erhält- iiisse stattfand. Die Bildung eines unselbständigen Bauernstandes ist eine den östlichen IMittelmeerläudern in den letzten Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung eigentümliche Erscheinimg. Die gesondert entstandeneu Provinzialbildungeu gehen im römischen Eeiclie lange Zeit nebeneinander her, bis sie durch die diokletianische Reform zu einem gesetzlich fixierten Eeichsinstitut werden.

In der obengenannten Inschrift ist Objekt des Kaufvertrages i) ndvvov xiüuj] mitsamt den zu ihr gehörenden Äaoi. Zu diesen werden gerechnet (v. 7tf.): bfioiwg Se xal d rtvsg i\x] Ti]q y.wutig TavriK ovisg ?.aol uere?.>jXii9aaiv e'ig u?J.ovg Tonovg trf' lüi uvdhv n7i0Te?.e7[v) stg t6 ßaai/.iy.uv.'-)

Die hier speziell aufgeführten laoi sind also nicht an die Scholle ihi'es Dorfes gefesselt , sie haben dieses vielmehr verlassen , um ihren Verpflichtungen gegeu das ßaaÜAxov zu entgehen. Trotzdem ..gehören" sie auch jetzt noch zu diesem Bezirke; aber sie haben hier keine Lei- stungen gegenüber dem ßaniXixöv zu erfüllen.

Dieser eigentümlichen Stellung der asiatLscheu laoi liegt dasselbe Prinzip zu Grunde, das für die Erkenntnis der Yerwaltuugs- und Wii't- schaftsgeschichte Ägyptens unter den Ptolemäern und Eömern von der höchsten Bedeutimg ist: Es ist die Gebundenheit an die i ^/ «, den Heimats- bezii'k, die origo, wo man in die uvceygarfal eingetragen ist. Nm- hier hat mau Eechte und Pflichten, nur hier kann man zu Steuern, zu ?.ei- Tovgyiat herangezogen werden. Wer sich ausserhalb seiner iSia aufhält,

1) Revue de pJiilologie 1901, S. SC

2) Mit xal xvQia i[a]Tai beginnt ein neuer Satz.

Zum üritprung des Kolonats. 425

ist livo? (kni^svog; Vgl. aucli den Begriff öuöAoyo?) an seinem Domizil;') seine steuerpolitische Persönlichkeit ist an die iöia gefesselt, in der Stv)/ ist sie suspendiert, ebenso wie die der Xaoi der fluvvov x(öu}j, welclie in ein anderes Domizil übergesiedelt sind.

Die immer strengere Anwendung der Lehre von der iSla durch dii' Behörden gegenüber den unbemittelten Klassen führt mit Notwendigkeit zu Bestimmungen, die den Mann an seinen Heimatsbezirk, an seinen Heimatsboden fesselten. Hier haben wir den Ausgangspunkt des Kolonats, den Ursprung der originarii, der glebae {censibus) adscripti, sowohl im städtisch organisierten Seleukidem-eiche als im städtelosen Ägypten zu suchen.

In den städtisch organisierten Ländern, wie Syrien, bildet das ex- territoriale Grundstück, wie Eostowzew, Schulten folgend, mit Eecht an- nimmt, die Voraussetzung zur Bildung eines Kolonenstandes. xius dem Mangel einer städtischen Organisation in Ägypten aber und des daraus sich ergebenden Begriffes der Exterritorialität darf man meines Erachtens nicht schliessen, der Kolonat sei im Pharaonenland kein autochthones Institut. Die Grundlagen zur Bildung des Kolonats sind gerade in dem städtelosen Ägypten, wo der König theoretisch Herr des gesamten Grund und Bodens ist, nicht nur auf dem Königsland, sondern auch sonst vorhanden.

Das ü.va'/^o)Qiiv üq rriv ^iv7/v sucht man unter den Ptolemäern und Römern in Ägypten, soweit es möglich ist, einzuschränken oder zu ver- hindern (s. Pap. Taur. VIII v. 26 f. (2. Jahrh. v. Chr.) : rovg xaroi-

xovi'Tag iv Ta7g y.wuatg ano tov Ji ^ [il avvißtß tig rüg iÖiag avToöv

fiiToixiod-r/vai. Pap. de Geneve I 1 n. 16 11 10: tov ... rjytfiövog ... xi?^svnavTog ... nävTcig rnvg dnö iivr/g ovrag xarEasX&eiv eig tvv iSiav ixouivovg twv avvijd-üv hytor. BGU. 15 ; 1.59 ; 372 ; 484 U. s. W.).^) Die Bestimmung des Cod. Theod. 11, 24, G, 3 (vom .1. 415), die sich auf ägyptisches Domanialland bezieht, ist nur das Schlussglied in dieser Kette : Hi sane, qui vicis quibus adscripti sunt derelictis et gut homologi. more gen- tiUcio (vgl. die öfiökoyoi der Papyrus und Ostraka schon des 1. Jahrh.) mmcupantur ad alias seu vicos seu dominos transierunt, ad sedetn desolaii ruris consb-ictis detentatoribus redire cogantur ; qui si exsequenda protraxerint ad functiones eorum ieneantur obnoxii et dominis restituant, quae pro his exsoluta constiterit.

Die Bindung des Ackerbauers an die Scholle entwickelt sich also in gleicher Weise, unabhängig voneinander, in Ägypten und Asien.-')

Als Bezeichnung der „Kolonen" im Seleukidenreiche finden wir den Aus-

1) S. mein Heenvesen der Ptolemäer S. 50; bes. Pap. Taur. VIII, 13. 19: tat 7iuQt7iiäijU.ovvT<iiv xßt [xa]TOixovvTb}V i[v T]avza[ig] ^tviov.

2) Wie gross die Zahl der ßj'KXf;^wgrjxdr£j und wie hinderlich sie einer gesunden Steuerverwaltung war, zeigt BGU. 902,903 a. d. J. 168/109.

3) Neben dieser öffeutlichrechtlichen Entstehungsart des Kolonats durften aucli solche privatrechtlichen Ursprungs in Betracht kommen. Vielleicht weist hierauf die bekannte Stelle bei Varro de re rustica 17, 2 hin. Unter den Freien, die Landarbeit

426 P. M. Meyer, Zum Ursprunt) des Kolonats.

(kuck Xaoi. Dieser begegnet uns in Ägypten gleichfalls schon im 3. Jahrh. V. Chr. Leider erhalten wir aus den Texten dieser Zeit keiae nähere Aufklärung über die Stellung der laoi, die der unterworfenen, ein- liciiiiischen Bevölkerung angehören (vgl. die Aaoxp/ra/). Im Steuergesetz de.s Pliiladelphos, das aber in seinem Grundstock auf den ersten Ptoleraäer zurückgeht, sind die A«ot ausdrücklich von den übrigen yioioyoi gesondert {Rev. Laws 42, 11. 16: oi de kaoi xal oi Xoinol yewgyoi). Petrie Pap. II n. 4, 11 (aus dem Jahre 254'253 v. Chr.) werden analog den i/. t)]g flcivvov xwutjg kaoi der Laodike-Inschrift oi ix Ksoxerjaewg Xaoi genannt (s. auch P. P. II n. l.j, 1 b). Sie sind zu Frohndiensten, von denen sie sich durch ein Geldäquivalent ablösen können, verpflichtet. Auf diese Frohnden spielt auch Theokrit. tyxwßiov eig FlToliucciov v. 97 an: laol ö' ^oya nsoißTsXkovaiv 'ix}]Xoi.

Im 2. Jahrh. v. Chr. wird die Lage der TulaiTiwQoi /.aoi in den schwärzesten Farben geschildert. Während im Jahre 1(35/164 v. Chr. alle finanziell Leistungsfähigen zwangsweise') zur Pacht von Domanial- land herangezogen werden, sind neben einigen anderen Kategorien vor allem ausgenommen oi kv raig xwfiaig xaToixovvTeg kaoi, oi öiä rtiV tüv dsövTwv ßTiüviv igyaTevoVTsg ftogiL,ovTctc. rd ngog t6 Cv'" (Pap- Paris. 63 V. 100 ff. vgl. Pap. Taur. YIII, 23: roiig 8\ovkivovT^ccg xal koya^ouivovg iv Toig ixäa[x(av] xuuaig). Das fasse ich so auf, dass sie durch Hand- uud Spanndienste sich ihr kärgliches Brot verdienen, als Pächter daher natürlich nicht in Betracht kommen können.

In römischer Zeit begegnet uns das Wort kaoi nicht mehr. Dafür tritt aber kaoygacpicc in den Vordergrund. -) Wir haben es hier zweifel- los mit der speziellen Steuer der eingeborenen äg.vptischen kaoi zu thun, die als solche in ihi-er Idia eingeschrieben sind. Ist diese „Kopfsteuer" für die Ptolemäerzeit auch bisher nicht mit Sicherheit zu belegen, so weist ihr Name doch auf die vorrömische Zeit liiu. Das Hauptkontingent der kttoygacfovuEvoi büden die öijuoaioi ysiogyoi; ent-sprechend sind in nachdiokletianischer Zeit dem tributum capitis in erster Linie die coloni untei'worfen.

verrichten, zählt er an letzter Stelle auf: iique qiios obaeratos nostri vocitarunt et etiam nunc sunt in Asia atque Acgypto et in Illyrico complures. Auch hier haben wir analoge Verhältnisse in Asien und Ägypten. Dieses Institut der obaerati erhält eine treffende Beleuchtung durch die gemein-hellenistische Rechtshilfe der Personal- exekution , die uns in Darlehns- und Pacht- Verträgen entgegentritt. Die Personal- exekution ist unter den Ptolemäern durch Gesetze geregelt und durch königliche diay^dniiara in einzelnen Punkten modifiziert (s. z. B. Amherst Papyri H n. 43 t. 12 (173 V. Chr.): xccl i] agä^ig taroi Mkqqi'jti . . . iragä rt iavTov MsvsXäov kuI ix riöv vnaQ^övtav avTmi TidvTcov Ttqdaaovzi xaro: äidy^ay,^ci xkI Tohg i'ö^ovg).

1) S. WiLCKEN, Ostraka 1702. Vgl. in römischer Zeit Pap. Brit. II n. 445; Fayton Totcns n. 123, 17; Amherst Pap. II n. 65, 94, 95.

2) S. mein Heerwesen S. 109 ff.

427

Hat Zosimus I, c. 1 46 die Chronik des Dexippus benutzt?

Von B. Rappaport.

Die von Reitemeier') tUifg'estellte, von Martin'-) eingehend begründete Ansiclit, dass Zosimus I, c. 1 46 die Clu'onik des Dexippus ausgeschrieben habe, fand Anklang und ist u. A. besonders von Boehme-') festgehalten worden, allerdings von diesem gerade au einigen entscheidenden Punkten mit llodifikatiouen, die zum Widerspruch herausfordern. Boehmes Meinung trat Mendelssohn entgegen, der in der Vorrede zu seiner Ausgabe des Zosimus^) sein Urteil dahin zusammenf asste , dass Zosimus nicht auf die Chronica des Dexippus zurückgehe, sondern aus einer Quelle geschöpft habe, in der die Scythica, nicht aber die Chronica des Dexippus benutzt worden seien; dieser Ansicht hat sich neuerdings auch Wachsmuth^) an- geschlossen. Es liegt die Gefahr nahe, dass wegen der Aufnahme in dessen vielbenutztes Handbuch die Auffassung" von Mendelssokx für besser begründet gehalten ■v\ird als die ältere Meinung.

Mendelssohn'*) stützte seine Behauptung auf die Widersprüche, die sich bei Zos. 114, 16, 27, 36, 39 besonders dem Syncellus gegenüber fanden, als dessen Quelle er Dexippus ansah.

Da nun die zalüreichen Bestandteile der Chi-onik des Dexippus im Zosimus bereits von Martin und besonders von Boehme nachgewiesen sind, so kann ich mich bei der Widerlegung Mendelssohns darauf be- schränken, die von üim angeführten Abschnitte als thatsächlich aus Dexippus geflosssen zu erweisen.

Was zunächst die erste von Mendelssohn angegTiffene Stelle betrifft,')

1) Zosimi historiae. Leipzig 1784. Praef. S. XXLXf.

2) De fontihus Zosimi. Diss. Berlin 1866.

3) Commentationes philolofjae Jenenses II. Leipzig 1883, S. 1 90: Dexippi fray- mciita er Julio Capitolino Irebellio Pollione Georgia Syncello collecta.

4) Leipzig 1887, S. XXXUIf.

5) Einleitung in das Studium der alten Geschichte, S. 675. Vgl. auch Säd^k, Diss. Bonn 1891 seutent. controv. II und Guaku.ner, Diss. Berlin 1901 These II.

6) A. a. 0. S. XXXIV.

7) Siehe seine Ausgabe S. 12.

428 B. Bappaporf,

so findet sich ein paralleler Bericht zu Zos. I 14 in vit. Gord. 9. 7 8.^) Herodian, sonst eine Hauptquelle der vita Gord., erwähnt (VII 6. 3)-) den Valerian, der dort als princeps senatus erscheint, in diesem Zusammen- hange garnicht, also kann der Bericht der Vita nicht auf ihn zurück- gehen, yielmehi- ist der kui-z zuvor zitierte Dexippus Quelle, der in der V. Gord. vielfach benutzt ist.') Nun stimmt hiermit Zos. I 14. 1 sehr auffallend überein: beide erwähueu Valerian an dieser Stelle auf Seiten der Gordiaui, mit dem Zusatz, dass er später Kaiser wiu-de; beide gedenken auch ausdrücklich der freundlichen Aufnahme, die diese Ge- sandtschaft, beim Senat fand.-") Ein Unterschied zwischen beiden Be- richten besteht nur insofern, als die v. Gord. ^'alerian an der Spitze des Senates die Gesandtschaft freundlich aufnehmen lässt, während nach Zosimus Valerian au der Spitze der Gesandtschaft fi-eundlich durch den Senat aufgenommen -n-ird. Dass wü- bei solcher Übereinstimmung für Zosimus lediglich auf Grund der eben angefühi-ten Abweichung eine andere Quelle anzunehmen haben, ist doch wohl kaum glaubUch, -viel- mehr hat sich hier Zosimus beim Ausschi-eiben des Dexippus eine Flüch- tigkeit zu Schulden kommen lassen, wie sich bei ihm üi diesem selben Kapitel noch eine ähnliche findet.^) Dass der Bericht der v. Gm-d. der falsche sei, wie Maütin''') nach dem Vorgang von Tillemont') annimmt, ist nicht richtig; denn deren Bericht ist glaubwürdiger, auch ist Dexippus gerade hier, wie wii- noch sehen werden, sehr sorgfältig ausgezogen worden; die Angabe des Biographen über die Stellung Valerians als princeps senatus erhält Übrigens durch v. tyr. trig. 21. 3 eine gewisse Be- stätigung.*)

Ferner sah Mendelssohn ein Hindernis für die Benutzung der Chronik

1) Vgl. V. Ma.c. 14. 4.

2) Herod. VII 6. 6 bezeichnet in seiner ziemlich eingehenden Darstellung den jungen Quästor Gordians als Führer der Gesandtschaft. Vgl. Seeck, Der erste Barbar auf dem rOm. Eaiserthrone. Preiiss. Jahrbb. 1885, S. 2S2.

3) Vgl. MoMMSEN, Hermes XXV (1890), S. 261 Anm. 3.

4) V. Gord. 9. 7 missa deinceps legatio Bomam est cum Utteris Gordianörum liaec, quae gesta fuerant in Afriea, indicans, quae per Valerianwn, principem senatus, qui postea imperavit, gratanter accepta est. Zos. I 14. 1 tatulav iv 'Pmay sret'ff/Jfis- älXovg TS xal BaXsQLavöv. Sg roü vTtariv.ov Tßyfiaros üv ißaalXsvasv varsgov. i] äi evy- x/l»,Toc zu ■HQU'ji^&lv ccey,ivlauau

5) Vgl. Daexdlikek, Die drei letzten Bücher Herodians bei Büdisgek, Unter- suchungen zur Kaisergeschichte III. Bd., S. 253 Anm. 1. Boeume S. 47. Für das Ver- fahren des Zosimus beim Ausschreiben des Dexippus ist der Fall lehrreich , der in meiner Schrift: Die Einfalle der Goten in das römische Eeich bis auf Constantin Leipzig 1899, S. 43fi'. behandelt wird.

6) S. 4 Anm. 1.

7) Histoire des emperetirs Bd. III. S. 227 Anm. 1.

8) AreUius Fuscus, consularis primae senientiae, qui in locum Valeriani succes- serat. Also scheint Valerian in der That die Würde eines prineep.'i senatus bekleidet zu haben.

IJiit Zofimuft I, c. 1—40 die Chronilc des Derippm henuf-t? 429

des l)exiiii)us durch Zosimus in den Abweicluuigen , die im ]5ericlite des letzteren über die Massnalimen des Senates nach dem Eintreffen der Hotschaft der Gordiane gegenüber den Angaben der Scriptores hist. Au<j. zu '^l'age treten. Es findet sich nun v. Maxim. 20 und v. Max. et Balb. 1, 2; 16, G unter Berufung auf Dexippus und Herodian (VII 10) die An- gabe, dass iMaximus und Halbinus nach dem Tode der beiden Gordiane vom Senate zu Kaisern erwählt worden seien.*) Unter alleiniger An- gabe des Dexippus-) als Quelle sagt der Biograph v. Maxim. 32. 3: Addidit Dcxippiis tantum odiv.m fuisse Maximini, ut interfectis Gordianis rifinti viros senatus creaverit, quos o}}poneret Maximino. In quibus fuerunt Balbinns et Maximus, quos eontra cum imncipes fecerunt. Danach be- richtete Dexippus von der Wahl von ZAvauzigmännern, unter denen auch ^laximus und Balbinus waren. Dasselbe giebt aber auch Zos. I 14. 2 an, nur dass nach ihm dies bereits vor dem Tod der Gordiane nach dem Anlangen der Nachricht von ilu-er Erhebung geschah. Doch der schein- bare "Widerspruch löst sich. Es heisst nämlich r. Gord. 10. 1 : Sed tania qratulatione factos contra Maximinum imperatores senatus uceepit , ut non solum gesta haec probarent sed etiam vüjinti viros eligerent, inter quos ei-at Maximus sive Fuppienus et Glodius Balbinus. Qui ambo imperatores sunt creati, posteaquam Gordiani duo in Africa interempti sunt Dieser Bericht zeigt sehr grosse Ähnlichkeit mit dem der v. Maxim. 32. 3, und dass er wie jener aus Dexippus stammt, dafüi- spricht auch, dass unmittelbar vor- her Dexippus zitiert wird. Dass aber ein Ereignis nach der gleichen Quelle zweimal-') und zwar widersprechend berichtet wii-d, ist bei den ÄW-. Jiist. Aug. nichts Wunderbares. Wir haben v. Gord. 10. 1 den ge- naueren Bericht, da der Biograph hier den Dexippus, der für diese vita seine Hauptquelle^) bildete, im Zusammenhang ausschrieb, während er V. Maxim. 32. 3 in einen anderen Bericht die ans Dexippus geschöpfte Notiz einschob, wobei er letzteren vielleicht 5) nicht noch einmal gründ- lich zu Rate zog. Demnach wui'de also nach Dexippus die Nachricht von der Erhebung der Gordiane in Rom mit Freuden aufgenommen;

1) Vgl. hierüber Daendliker S. 25'2f. ; Boeume S. 48 f.

2) V. Max. 32. 4 wird unter Berufung auf Dexippus augegeben, dass erst der Sohn des Maximin vor den Augen des Vaters und dann dieser selbst getötet wurde; siehe ebenso Zos. I 15.

3) Vgl. über solche Wiederholungen : Dirksen , Die S. H. A. Leipzig 1842, S. 42ff. ; Brocks, De qtiatluor prioribua h. Aug. scriptorihus. diss. Königsberg 1869, p. 63; Peter, S. h. Aug. Leipzig 1802, S, 50 ff., S. 200 ff.; Plew, Krit. Beitr. zu den S. h. A. Progr. Strassburg 1885, S. 12.

4) Vgl. MoMMSE.v, Hermes XXV, S. 261 Anm. 3. Ferner kehrt der Bericht der V. Gord. c. 10 ganz übereinstimmend c. 22. 1 wieder, und die angebliche Rede des Maximin c. 14. 3, 4 setzt auch die Ernennung der Zwanzigmänner bei Lebzeiten der Gordiane voraus.

5) Vgl. ÜAExnnKER S. 253 Anm. 2; Summer, Die Ereignisse des Jahres 23S und ihre Chronologie. Progr. Görlitz 1888, S. 16 Anm. 1.

Beiträge z. alten Geschichte 1 3. ^'^

3

430 B. Rappaport,

man setzte dann eine Kommission von zwanzig ilänneru ein, aus deren Mitte Maxinnis und Balbinus später nach dem Tod der Gordiane zu Kaisern erhoben wurden. Hiermit stimmt Zos. I 14. 2 durchaus überein, niu- dass er fälschlich angiebt, dass Maximus und Balbinus schon bei der Einsetzung der Zwanzigiuännerkommission zu Kaisern gewählt worden seien; es ist dies eine ähnliche Nachlässigkeit wie die oben') bemerkte und jedenfalls durch die starke Kürzung des dexippeischen Berichtes entstanden.-)

Dass die Berichte über die Gesandtschaft wie über die Massnahmen des Senats auf die gleiche Quelle zurückgehen, ergiebt sich auch daraus, dass sie bei Zosimus und in der vita gleich zusammenhängend sich finden ; Tgl. Zos. I 14. 1 {f!aTitlav iv Piifuj . . . .) bis zum Sehluss ^ v. Gord. 9. 7 10. 1. Daher ist Boehmes Meinung, 3) dass zwar Zos. I 14. 1 und V. Gord. 9. 7 8 auf die gleiche Quelle Dexippus zurückgingen, dagegen in V. Gord. 10. 1 und Zos. I 14. 2 wieder eine gemeinsame, aber andere Quelle vorliege, als ü-rig zu bezeichnen; denn "wir würden dann zu der wunderlichen Annahme gedi'ängt, dass beide Schriftsteller an dem gleichen Punkte einer zusammenhängenden Erzählung von einer gemeinsamen Quelle zu einer anderen wieder gemeinsamen übergegangen wären. Ferner habe ich ja auch schon oben*) gezeigt, dass auch v. Gord. c. 10 auf Dexippus zurückgeht.

Wenn ferner Boeh.me meint, dass Zonaras für diese Ereignisse gleich- falls dieselbe Quelle wie Zos. I 14. 2 und die v. Gord. 10. 1 benutzte, so muss ich dem widersprechen. Yielmehi- stammt der Bericht Zonar. XII 16'') aus zwei verschiedenen Quellen,'') aus der Si/nojm's Sathas und aus Herodian. Der Si/nopsis Sathas (S. 36 Z. 1 tf.), die eine mchtige Quelle des Zonaras büdet, verdankt er die Angabe, dass Maximus und Balbinus zu Strategen gewählt wurden, doch von der Einsetzung der Zwanzig- männer ^^issen beide nichts;") dass dagegen Maximus und Balbinus gleich zu Kaisern gewählt wurden, ist die zweite Eelation des Zonaras, die jedenfalls aus Herod. YII 10 stammt. Abweichend ist nur die Begrün- dung, mit der die Synops. Sathas und Zonaras die Einsetzung motivieren : Synops. Sathas S. 35 Z. 31 S. 36 Z. 1 ui]iw twv uno Aißvr^g (f&aaciv-

1) S. 428.

2) Auch nach der weniger sorgfiiltigen Wiedergabe des Berichtes des Dexippus r. Maxim. .32. 3 gegenüber v. Gord. 10. 1 (vgl. S. 429) könnte es so seheinen, als ob Maximus und Balbinus gleich anfangs zu Kaisern erhoben worden seien.

3) S. 48.'

4) S. 429.

5) J?d. in, S. 125—126 (ed. Dindoef).

Gj Vgl. Patzig, Über einige Quellen des Zonaras, Bt/z. Zeitschr. V. (1896) S. 40.

7) Die fehlerhafte Namensform des Zonaras 'AX^tvos ist wohl eine Folge der schwankenden Angaben der Synopsis, wo derselbe Kaiser bald Bidßlvog, bald Ftiz/J/os oder ro:/.ßivog heisst.

Synops. Sathas S. 36. 1 4. jiQoyiiQiL,tTcti (JTQttTtiyovg ui'd(jag t/;s ßov}.^g iftneigovg rijg aT(jaTi]}'ic(g BaXßlvov xal Md^iuov , o'i ra$ tni Ttjv PuJfitjV ööoig TiQoxttTCikttßovT^g 'iroifioi i]Gav noog knaväaraaiv.

Hat Zosimus I, c. 1 4ft die Chronilc des Dexipimn benutzt? 41-il

Twv ßctatXiitiv öta Tr,v T>;e &aXdaci}]g övanootav\ Zon. XII 1(5 Bd. III S. 12") Z. 24 25 T(Zv 8i araXerTOJv j(Q<^vi6cevT0)v xaru tov nlovv. Diese Ab- weichung des Zonaras ist jedenfalls entstanden aus dem Versuch,') den lierodianis(-hen Bericht von der Sendung der Gesandten mit den Angaben der Si/nops. Sathas zu kombinieren. Die Synops. Sathas ihrerseits geht in ihrem Bericht über die Massnahme des Senates S. 3G Z. 1 4 unzweifel- haft auf Zos. I 14. 2 zui-ück :

Zos. I 14. 2. 7iQ0XiiQiL,0VTC(i Ttjg ßovkijg ävdgag t'iy.oai GTQaTtjylag i/nmiQovg' ix rov- Twv aiiTOXOccTOQCtg i}.6/.ievoi ovo, Bakßivov xai Md^tfAOV, npoxara- ?.aß6vTeg T«? inl Tijv'Pw/Ar^v (fegov- aag öSoi/g 'iioi^oi ngog rf^v tnu- väaraaiv Tjßav.

Die Synops. Sathas hat also Zosimus wörtlich ausgeschrieben, nur dass sie die Angabe über die Zwanzigmänner fortliess und daher aucli die Erhebung des Maximus und Balbiuus aus der Zahl dieser zu Kaisern, weshalb dann Zonaras gleichfalls davon nichts weiss.

Endlich glaubte Mendelssohn, dass auf Grund des c. 16 des I. Buches dem Zosimus die Benutzung des Dexippus abzusprechen sei. Hier heisst es niimlich von den beiden Gordianen : tüv Si ßla yuaüvog iv rw nhlv änoXofiivouv , während v. Max. et Bulb. 16. 6 unter Berufung auf Dexippus und Herodian angegeben wird, dass die Gordiani in Afrika ge- storben seien. Es findet sich nun aber v. Gord. 16. 2 an einen aus Her. VII 9 geschöpften Bericht über den Tod der Gordiane mit fuit praeterea aus einer anderen Quelle die Bemerkung angeknüpft, dass ein gewaltiger Sturm wesentlich zur Niederlage der Gordiane beigetragen habe. Dass dieser Zusatz aus Dexippus stammt, den hier der Biograph zur Kontrolle heranzieht, ist von Daendlikee'O richtig erkannt und meines Wissens auch von niemandem bestritten worden. Spanheim und nach ihm Martin-') suchten Zosimus dadiu-ch mit Dexippus in Einklang zu bringen, dass sie bei ersterem für iv rai nlüv, iv noUuüv schrieben , da der Text hier insofern eine Verderbnis aufweist, als im cod. Parisinus kv rw nüv überliefert ist; mit dieser Konjektur würde der "Widerspruch gelöst sein. Aber selbst, wenn wir- von einem solchen Hilfsmittel absähen, wäre es doch nicht wunderbar, wenn Zosimus, der den viel ausführlicheren Bericht des Dexippus in einer Zeile wiedergiebt, aus jenem Sturm auf dem Lande einen solchen zur See gemacht hätte.^) Diese Abweichung

1) Einen ähnlichen Versuch s. bei Patzui S. 40.

2) A. a. 0. S. 2.59.

3) S. 8.

4) Vgl. Dae.sdliker S. 2.59; Sommer S. 20.

28*

432 B- liappapori,

wäre eine ganz älinliclie Flüchtigkeit wie die oben bemerkten und be- rechtigt uns um so weniger dem Zosimus liier die Benutzung des Dexippus abzusprechen, als er an dieser Stelle Gordian III als Solm Gordians II bezeichnet, eine fehlerhafte Angabe, die nach der ausdi-ücklichen Be- merkung der V. Gord. 19, 9 und 23, 1 aus Dexippus stammt.

IIesdelssohn zu I, 16 beruft sich nun darauf, dass diese Angabe sich nach V. Gord. 22. 4 bei z w e i Schriftstellern finde. Dass aber ein so un- bestimmtes Citat auf dm bei den Scr. h. Aug. nicht viel besagen will, ist wohl unbestreitbar; \'ielmehr glaube ich besonders nach dem Zusatz nam atnjjlius invenire non potui , dass der Biograph sich hier, wie so oft, den Anschein besonders gründlicher Quellenstudien geben -nill. Hätte er diese Nachi-icht \rä-küch bei einem zweiten Gewähi-smanne gefunden, so würde er, da er zweimal (v. Gord. 19. 9, 23. 1) hierauf zu sprechen kommt und seine Quellen namentlich anfühi't, auch diesen Namen sicher nicht verschwiegen haben. Dass nun aber Zosimus, der sonst unzweifelhaft den Dexippus benutzt hat, diese sicher aus Dexippus stammende Notiz nicht aus diesem sondern aus jenem zweiten Schriftsteller geschöpft haben sollte, ist eüie mehr als gewagte Behauptung.

Wir haben meiner Ansicht nach an den bisher behandelten Stellen noch keinen Grund gehabt, dem Zosimus die Benutzung der Chronik des Dexipiius abzusprechen; denn die Abweichungen erwiesen sich als Flüchtig- keiten des Zosimus in sonst mit Dexippus übereinstimmenden Berichten, und dass Flüchtigkeit zu den besonderen Fehlern - des Zosimus gehört, ist auch von Mendelssohn *) mit Eecht betont worden.

Anders fi-eilich verhält es sich mit den Kapiteln I 27 ; 36 ; 39, in denen zum Teil erhebliche Abweichungen von Sj-ncellus hervortreten, bei dem Mendelssohn den Bericht des Dexippus zu finden glaubte, und dies mag ihn wohl hauptsächlich dazu bewogen haben , eine Benutzung der Chronik des Dexippus dui-ch Zosimus zu bestreiten.

In Zos. I 27 glaubte Mendelssohn insofern eine Stütze für seine An- nahme gefunden zu haben, als hier bereits vor der Gefangennahme Valerians von einer f'roberuug von Antiochia berichtet wurde, wälu-end nach dem dexippeischen Berichte bei Syncellus I 716 zum ersten Jilal von einer solchen Eroberung nach jenem Ereignis die Eede sei. Das ist aber ein Irrtum, denn es heisst bei Syncellus bereits 1715: 'Eni Ovce).eoicevov öt

y.ai ra?.i)jvov Santöoijg 6 t(Üv TlagaiHv fiaaiXevg xceTadgafiojv Tr,v

^"i'p/ßi' i]?.&sv tig 'Avr löx^ictv. Von Seiten des Zosimus liegt hier allerdings üisofern eine Ungenauigkeit vor, die er übrigens III 32. 5 ver- mieden hat, als er diese erste Einnahme für die Eegierung des Gallus berichtet, während sie erst unter Yalerian 256 stattfand.'-) Ferner ist

1) Praef. S. VII.

2) Vgl. Schiller, Böm. Kaiscrgesch. 1 820.

Hat Zonimnx L c. 1 U'> dir Chronik des Dcxippus benutzt? 433

Mknuklssohn im Irrtum, wenn er diese erste Einnahme als error des Zosimus bezeichnet; denn sie ist so gut bezeugt wie sonst ein Ereignis, vgl. V. tyr. trig. 2, 2. 3; Anou. p. Dion. V 218 (ed. Dindorf); Zos. 111 82. r>\ Joh. Mal. p. 29l5 ; Anim. Marc. XXIII 5. 3 ; Ammian setzt zwar hinzu : et haec quidein Gallieni temjim-ibus evcnerunt , aber die Einzelheiten seines Berichtes lassen deutlich erkennen, dass er das von den vorher ge- nannten Schriftstellern für die Eegierung Valerians berichtete Ereignis im Auge hat.')

Auch der Vorwurf, den Mendelssohn (zu I 27) gegen Zosimus erhebt, dass er garnichts von der Wiedergewinnung Autiochias erwähne, und man daher nicht begreife, wie Valerian dann (c. 36. 1) Antiochia zum Stützpunkt seiner Operation machen könne, ist nur zum Teil berechtigt; denn wenn auch Zosimus die Wiedereinnahme nicht direkt erwähnt, so berichtet er doch 32. 2, dass Valerian den Successian kommen liess, um mit ihm gemeinsam eine Neuordnung der Verhältnisse von Antiochia und Umgegend vorzunehmen.-)

Ich bin nun der Ansicht , dass die Widersprüche , die Mendelssohn in Zos. 1 27 und weiterhin I 36 ; 39 den Angaben des Dexippus gegen- über zu finden glaubte, in einheitlicher Weise sich lösen lassen. Der Bericht über die Gefangennahme Valerians und die darauf folgenden Er- eignisse findet sich bei Sj'ncellus S. 715, 16 716, 16, der nach Mendelssohns Meinung aus der Chronik des Dexippus schöpfte ; da aber Zosimus damit nicht übereinstimmt, so schloss er, dass derselbe nicht Dexippus benutzt haben könne. Man hat bisher angenommen,'^) dass Panodor, der hier die Vorlage des Syncellus bilde, nur aus Julius Africanus, Eusebius und der Chronik des Dexippus geschöpft habe. Aber es ist zuerst von de Boor^) richtig erkannt worden, dass Sj'ncellus noch eine andere Quelle benutzte, eine Quelle kii-chlich-weltlichen Inhalts, spätestens aus der zweiten Hälfte des Vni. Jahrhunderts, wahrscheinlich aber aus der Zeit des Heraclius, da in derselben das Interesse für den gewaltigen Bedränger von Byzanz, Chosroes II., hindurchklinge; da sich diese Angaben auch zum Teil bei Zonaras finden, so folgerte er, dass die Quelle von diesem gleichfalls be- nutzt worden sei. Dieser Meinung schloss sich Patzig^) an, der insofern

1) Vgl. über die erste Belagerung Bernhardt, Geschichte des römischen Reiches von Valerian bis Diocletians Be(jiernn<jsantntt I. Berlin 1887, S. 37, 272; Oberdick, Die römerfeiiidlichen Beicegmgen im Orient. Berlin 1869, S. 11; Schiller 1820; über die zweite Ber-nhardt S. 39; Orekdk.k S. 17; Schiller 1822; Mommsen V 431 scheint nur eine Eroberung nach der Gefangennahme Valerians anzunehmen.

2) Oial^QUivov Si Sovxsaatavbv jttTäTttfi-itrov noirjecefurov .... -/.ai avv avToi nsQl Trji' 'Avrwxi^tciv xal rbv TavTrjs oixifffiöj' olKOvouovvTog.

3) Zuletzt BoEHME S. 1.5.

4) Römische Kaisergeschichte in hysantinischer Fassuii;/. 1. Teil: Der Anonymus imst Dionem: Byzant. Zeitschr. I (1892) S. 29.

5) Byzant. Zeitschr. V (1896) S. 37 f.

434 -B' Bappaporf,

noch einen Schritt weiter that, als er ein direktes Znrückgelien des Zonaras anf Syncellns annahm. Denn dass die alte Ansicht von dem Einquellensystem des Zonaras hinfällig ist, hat derselbe Forscher schlagend erwiesen. Aus der eben charakterisierten Quelle hatte Syncellns schon einmal einen ausführlichen Exkurs über persische Geschichte S. 676. 15 bis 679 geschöpft. Ich glaube, dass auch für den eingehenden Bericht über Valeriana Gefangennahme und die Kämpfe mit den Persern an unserer Stelle, der sicherlich nicht aus Dexippus stannnt, dieselbe Her- kunft anzunehmen ist.

AVas nun zunächst die Gefangennahme Valerians betrifft, so erscheint dieser in Sj-ncellus' Bericht S. 715. 18 22 in auffallend ungünstigem Licht: er selbst geht als Überläufer ins feindliche Lager und wird zum Verräter am eigenen Heere. Dass diese selbe Darstellung neben einer abweichenden bei Zonaras XII, 23 Bd. III, S. 140, 21—31 sich findet, kann ilire Glaubwürdigkeit nicht erhüben, da Zonaras, wenn auch unter Hinzu- fügung eigener Bemerkungen,^) sie augenscheinlich dem Syncellns ent- nommen hat, auf den auch die hierauf folgenden Nachrichten zurückgehen. ^ Diese ganz unglaubwürdige Überlieferung, die Obeedick S. 126 mit Eecht als eine späte Fabel bezeichnet, werden wir wohl nicht gut dem Dexippus zuschreiben können. Vielmehr glaube ich, dass gerade dieser Bericht aus einer kirchlich-weltlichen Quelle stammt, die den Verfolger der Christen- heit durch eigenen Verrat sich der göttlichen Strafe überliefern Hess. Denn dass man so die Gefangennahme des Kaisers anffasste, zeigt uns gleich der bei S3'ncellus ■') folgende, dem Eusebius entlehnte Brief des Dionysius Alexandi'inus , und wie sich der christliche Fanatismus das Schicksal dieses Kaisers ausmalte, können wir z. B. aus Orosius VII 22. 4; Lactant. de morte pers. c. 5; Agathias IV 23 d.; Leo Gramm. S. 78; Cedi-en I S. 454 zur Genüge erkennen.

Abweichend lautet der Bericht,«) der sich bei Zosimus I 36 findet. Wenn derselbe auch dem Valerian durchaus nicht günstig ist, so weiss er doch von jener schändlichen Verräterei nichts, die er wohl sicher bei seiner Stimmung gegen Valerian nicht verschwiegen haben würde, wenn sie damals schon bekannt gewesen wäre. Nach Zosimus wm-de der Kaiser bei einer Unterredung, ähnlich wie einst Crassns, auf verräterische Weise von den Persern gefangen genommen. Diese durchaus glaubwürdige Über- lieferung, in der wir- meiner Ansicht nach den Bericht des Dexippus

1) Über derartige Zusätze, die Zonaras häutig zu seineu Quellenberichteu zu machen pflegt, vgl. Patzig, Byzant. Zeitschr. V S. 38.

2) Vgl. unten S. 436 f. 8) S. 719, 19 ff.

4) Vgl. über die verschiedenen Darstellungen der Gefangennahme Valerians: WiETERSHEiM, Geschichte der Völkencanderutm I S. 288 ff. ; BEli^nARDT S. 270 ff. ; Oueii- DICK S. 125 ft".

IM Zosimus I, c. 1 4(! die Clironik des Dcxippus benutzt? 435

vor uns liaben, findet sicli in ili Patricias fr. 9.')

Zos. I 36. Xoi^tov ÖS Tolg GT^ciTnTiiöut^ iftjit- aövrog y.al ti]v TiXiiw uoloav av- riöv öirKfß-ilpavros, -^anaugi/g kniojv Tr/V iwav ccTirtVTa xctrtaTuufSTO. Ovaksgiarov de öiä rs unlav.icev xai ßiov xctvvÖTtiTa ßoiid-r,ncci ftiv üg ^a^arov i?.i')-ovai rolg ngäyfiaaiv anoyvövTog, yQi^iarwv öi Ööau xara- kvaai Tov Tiökuioi' ßovXouivov, Tovg (.ttv int Toi''T(p CiTuXivTcig noiaßiig angdxTovg 6 2Lanwgi]g unimuH'iv.

rem ersten Teile aucli l)ei Petras

Petr. Patr. fr. 9. ö Bnliomvog evkaßiißt'tg ri]v vfoöov Twv TlEonwv IXiiiuiE yüo t6 argä- Tsvua avTOV xcd /näXkov oi Muv- Qovcstoi ^gvcriov äifcerov avvaytxyidv iTisuip'E ngiaßttg ^nog 2unojQViV, ini fteyä?Mig öontm tov ridAf/to»' y.nTaXvaca ßuvlouivog. '() dt tu rreoi tov ki^wi ftciß-uiv, rjy re nccga- xXrjast Balsutctrov n),iov inng&tig, Toig TToiaßsig naijhXxvaag ünoäxTuvg avToig ciTTolvaag , sv&ig ItiiiXoXov- d-iimv.

Zmsclien diesen beiden sonst üliereinstimmendenBericliten bestellt inso- fern eine Differenz, als Petras angiebt, dass Heer habe an Hunger gelitten, Zosimus aber, es sei eine Pest ausgebrochen. Müllkk'^) suchte dem abzuhelfen, indem er bei Petrus Uolftuis und loi^iov schrieb, und de Boor'') folgte ihm darin. Dass die starke Übereinstimmung zwischen Petrus und Zosi- mus auf eine gemeinsame Quelle -weise, ist auch von Mexdelssohn ^) mit Eeclit betont worden; ich möchte nun den AMderspruch zwischen beiden dadurch zu beseitigen suchen, dass ich annehme, Zosimus habe in seiner bekannten Flüchtigkeit }.oifi6g für h^iög gelesen; zu dieser Annahme werde ich dadurch geführt, dass der, wenngleich im übrigen durchaus abAveichende Bericht des Syncellus S. 715 (= Zonaras XII 23 Bd. III, S. 140, 21—31) ebenfalls angiebt, das römische Heer sei vom Hunger gequält worden.

Die folgende Darstellung der Gefangennahme selbst ist uns bei Petrus nicht mehr- erhalten. De Büor ^) ist der Ansicht, dieser Bericht sei über- einstimmend mit dem ersten des Zonaras XII 23 Bd. III, S. 140, 12 ff. ge- wesen, wonach Valerian im Kampfe gefangen wurde.'') Das halte ich deswegen für sehr unwahrscheinlich , weil Petrus Patricius fr. 13 ') den Persern den Vorwurf machen lässt, dass sie Valerian durch Hinterlist gefangen genommen hätten. Ich meine daher, dass so gut wie der Ein-

1) Mi=Li.EB, FHG. IV S. 187.

2) FHG. IV S. 187.

8) Byzant. Zeitschr. I S. 22 f.

4) S. 26 Anm.

5) Byzant. Zeitschr. I S. 22.

6) Vgl. Leo S. 78, 5 ff.; Cetlren S. 454, 3 ff.

7) FHG. IV S. 188.

436 B. Bappaport,

gang- auch die weitere Erzälilung bei I'etrus mit der des Zosiinus über- einstimmend gelautet habe. Die beiden Berichte gehen also auf eine gemeinsame Quelle zurück ; dass aber diese Quelle Dexippus war, ergiebt sich für mich aus folgemler Erwägung: Die bereits von Niebuhe ge- äusserte Annahme ist neuerdings von de Book ^) zu hoher Wahrscheinlich- keit erhoben worden, dass nämlich der Anouj'mus post Dionem identisch mit Petrus Patricius sei, und dass aus seinem Werke die constantinischen Exzerpte '-) stammen. Dann aber ist man durchaus berechtigt, hier Dexippus als Quelle anzunehmen, der auch sonst in der Hauptsache jenen Exzerpten zu Grunde liegt.

Dass keiner der beiden Berichte bei Zon. XII 23 '^) mit dem des Patricius übereinstimmt, benutzte Mendelssohn*) als Beweis dafür, dass letzterer nicht mit dem Anonymus post Dionem identisch sein könne. Denn er ging von der Ansicht aus, dass sich Zonaras nur an diese eine Quelle gehalten habe, was sich besonders seit dem Bekanntwerden der Synopsis Sathas als tn-ig erwiesen hat , und hier , wo Zouaras sicher verschiedene Quellen heranzog, konnte er sehr wohl eine sonst mehr benutzte verlassen.

Es kommt nun hinzu, dass der Bericht über die Gefangennahme Valerians in der vita Valei-iani, der uns leider verloren gegangen ist, mit Zosimus übereingestimmt haben wird. Die hier aufgeführten Briefe näm- lich, die natürlich eine Erfindung =) des Biographen sind, aber ihre that- sächlichen Angaben nach Ai't des Pollio aus den von ihm benutzten Quellen schöpfen, setzen voraus, dass Valerian vom Perserkönig gefangen genommen war und zwar durch Hinterlist.") Diese Übereinstimmung führt uns wieder auf Dexippus als gemeinsame Quelle, dem Trebellius Pollio den wichtigsten Teü seiner Angaben verdankt.')

Was dann ferner den Bericht über die Kämpfe nach der Gefangen- nahme Valerians betrifft, so stimmt hier Zon. XII 25 Bd. III, S. 141, 3 6. 141, 26 142, 14 aufs genaueste mit Sjmcellus S. 716, 1 15 überein. Die bei Zonaras dazwischen liegende Erzählung S. 141, 7 25 stanmit

1) Byzant. Zeitschr. I S. 13 ff.

2) DiNDORF V S. 181-232.

3) Der erste entstammt jedenfalls der sogenannten Leoqnelle, da auch Leo Gramm. S. 78 imd Cedren S. 454 berichten, dass Valerian im Kampfe gefangen genommen wurde; diese selbe Quelle hat Zonaras auch bald nach unserer Stelle benutzt (vgl. S. 437 oben); der zweite Bericht geht auf Syncellus zurück (vgl. S. 434).

4) S. XXXIV, 1.

5) Siehe hierzu EArpApoRT S. 80. Vgl. ferner Ber.nhardt S. 271; Wölfflin, Die Script, h. Aug. I. Sitstmgs-Ber. der kgl. bayr. Akad. der Wissensch. Fhilos.-pUilol. n. histor. Klasse 1891, S. 502f Ohne triftigen Grund bestreitet Peter, Die Scr. h. Aug. S. 156 dem Pollio das Recht, dem Sapores wegen seines Verfahrens gegen Valerian den Vorwurf des Betruges machen zu lassen.

6) S. V. Valeriani 1, 2.

7) Vgl. BoEmiE S. 58 ff.; Mo.mmsen, Hermes XXV S. 255.

10

Hat Zosimus I, c. 1 16 die Chronih des Dcxipims hcnutzt? 437

wolil aus der sogenamiteii Leoquellc ; denn Zonaras giebt S. 141, 11 ft'. an, dass Caesarea mit 400 000 Einwohnern eingenommen worden sei, und diese selbe Nacliriclit findet sich auch bei Leo S. 78, nur dass er ver- sehentlich auch Valerian in dies(>r Stadt gefangen genommen werden lässt. BoKHME») meinte für diese Partie des S\Ticellus dadurcli Dexippus als Quelle erweisen zu können, dass er auf die Übereinstimmung des ersteren mit Zonaras hinwies, der seiner Ansicht nach durch Yermittelung des Anonymus p. Dion. auf Dexippus zurückgehe. Die Sache liegt aber anders. Dass nämlich Zonaras nicht bloss eine Quelle hier benutzt hat, zeigt uns folgender Umstand: In der Darstellung der rrätendentenkämpfe im Orient, Zon. XII 24, findet sich stets die Xamensform Ba/JJaTci^) Dagegen haben ynx dafür an unserer Stelle fälschlich KdUioTog:^) Da nun Zonaras in seinem Bericht über diese Ereignisse auf das engste mit Sracellus übereinstimmt,^) bei diesem aber allein gleichfalls die falsche 5) Form KäUinrog begegnet, so sind wii- zu dem Schlüsse berechtigt, dass Zonaras (XII 25) seine Angaben dem Syncellus entnommen hat. Somit kann Zonaras als Faktor für den Quellennachweis bei Zosimus an unserer Stelle nicht in Betracht kommen.

Von dem Bericht Syncellus -Zonaras weicht Zosimus I 39 ab, und Mendelssohn, von der Voraussetzung ausgehend, dass ersterer Überlieferung Dexippus zu Grunde liege, sprach dem Zosimus diese Quelle ab. Dagegen ist es auch Mendelssohn nicht entgangen,'*) dass Zosimus sich in Überein- stimmung mit der Erzählung der Scriptm-es hist. Aug. befindet. Bei diesen kehi-t der Bericht an drei Stellen übereinstimmend wieder: v. Galt 10, 2 ff. = 12, 1 = tyr. (ri;j. 15, 3. 4 = Zos. I 30, und es fi-agt sich nun, ist Dexip- pus hier die gemeinsame Quelle oder nicht? Boehme') verneinte dies, glaubte vielmehr, dass man in dem Bericht v. Valer. 4. 8, der mit Syncellus und Zonaras sich decke, den dexippeischen zu sehen habe.^) Zunächst fand er eine Übereinstimmung zwischen der vita Val. und Syncellus-Zonaras in der gemeinsamen Erwähnung des Ballista. Aber gerade diese ist ein

1) S. 18.

2) S. Bd. in S. 145, 7; S. 1415, 5, 1), VI.

3) S. Bd. m S. 141, 30; 142, 8.

4) Vgl. S. 436 unten.

5) MoMsisES, Eöm. Gesch. V S. 432 Anm. 1 hielt KdluGTO? für die richtige Namensform, da er Dexippus als Quelle dieser Stelle des Syncellus ansah; ebenso Petek, Scr. h. Aug. S. 152. Richtig ist aber vielmehr die Form Ballista, wie die Sei: h. Aug. u. Zon. XII 24 angeben. Balista geben auch die allerdings wohl ge- fälschten Münzen (s. Eckhel VII S. 461; Cohen VI S. 9); vgl. Hiuschfeld, Verwaltungs- geschichte 1237; ScHiLLEK I822ff., die Balista schreiben, auch Obekdick, Rmnerfeindl. Beivegungen S. 21 Anm. 29. Ballista dagegen schreiben die neuesten Forscher, s. Klebs, ROm. Frosopographie S. 227; Hesze, Ballista bei Pauly-Wissowa II Sp. 2831.

6) S. auch BoEUME S. 68.

7) S. 67 f

8) S. S. 18 f.

11

438 B. Ttnppaport,

Beweis dafür, dass die vila eiuer andern Üljerlieferuug fulgt, da sie die richtige Form Ballista hat, S.nicellus und Zonaras dagegen die falsche KäXlioToc. Was dann den zweiten Punkt betrift't, den Boehme als Stütze seiner Meinung ansieht, die Gefangennahme der Kebsweiber und die Er- beutung der Schätze, so findet sich dies auch in dem mit Zosimus über- einstimmenden Bericht v. tyr. tilg. 15. 4. Dass hiervon in der gemeinsamen Quelle der Scr. h. Aug. und des Zosimus die Rede war, darauf weist auch die Bemerkung des Zosimus I 39. 2 hin Iligcag roig olxsioig kvanixltiam üyanwvTag d nalÖag y.al yvi'cdxai . . . nsoiawaaiev. Den Bericht der v. T «fo-. 4. 3 im Gegensatz zu den anderen auf dieselben Ereignisse bezüglichen Stellen der Sa: h. Aug. und zu Zosimus allein als dexipi)eisch in Anspruch zu nehmen, ist daher nicht angängig. Weitei'hin meint Buehme,') dass in der im allgemeinen mit Zosimus sich deckenden Darstellung der Scr. h. Aug. Dexippus deswegen nicht Quelle sein könne, weil sich c. Gall. 10. 2 die Bemerkung finde, ^^3 in vindictam Valeriani sei dieser Krieg von Odenath unternommen worden, eine Bemerkung, von der er sagt : non redolet Dexq)pi ingem'um. Ich kann mich dieser Ansicht nicht anschliessen ; denn die Gefangennahme des Kaisei's war das Ereignis, das den verheerenden Ein- fall der Perser, gegen den Odenath sich wandte, einleitete, und so konnte sich Dexippus sehr wohl so ausgedrückt haben. Aber angenommen auch, Boehmes ganz subjektive Meinung sei richtig, so würde das doch kein Grund gegen Dexippus als Quelle sein. Denn Zosimus, der auch nach Boehmes Ansicht dieselbe Quelle viie die vita benutzte, weiss davon nichts. Dass aber in der vita diese Bemerkung sich findet, ist sein- erklärlich; sie entsprang derselben Tendenz, die den Verfasser auch bewog die ver- schiedensten Barbareufürsten Schritte für Yalerians Befi-eiuug thun zu lassen,-') nämlich seiner grossen Vorliebe und Verehrung, die er für diesen Kaiser augenscheinlich hegt , und der er an anderer Stelle *) beredten Ausdi'uck geliehen hat.

Die Gründe, die gegen Dexippus als Gewährsmann des bei Zosimus und den Sa: h. Aug. übereinstimmend sich findenden Berichtes vorgebracht worden sind, haben sich demnach als nicht stichhaltig erwiesen. Dagegen lässt sich aus einer Reihe von Momenten entnehmen, dass Dexippus in der That hier die Quelle ist. "Wie bei der Erzählung von der Gefangennahme Valeriaus. so ist auch hier der glaubwürdigere Bericht bei den Sa: h. Aug. und Zosimus. So haben wu" in der vit. Val. 4. 3 die richtige Namensform Ballista. ferner sprechen sie richtig nur von Belagerungen von Ctesiphon, während es nach Syncellus" falscher Angabe erobert wiu-de.=) Nun steht

1) S. 67.

2) Vgl. auch 10. 8.

3) V. Valcr. c. 1—4.

4) F. Valer. c. 5 u. 6.

5) S. darüber unten S. 441.

12

Hat Zosiiinis T, c. 1—40 die ChroniJc des Dcxippus benutzt? 439

aller fest, dass die historiscli richtigen Angaben des Trebellius Tollio ') zum grössten Teil auf Dexippus zurückgehen. Ferner aber, und dies ist entscheidend, wird der bei den -SVr. /;. Aug. und Zosimus übereinstimmend auftretende Hericlit durch die annalistische Erzählungsforni mit ausdrück- licher Konsulangabe ") als unzweifelhaft dexippcisch gekennzeichnet.-') Die abweichende Darstellung bei Syncellus-Zonaras geht also auf eine andere Quelle als Dexippus zurück, jedenfalls wiederum auf jene, aus der schon die Erzählung von der (Tcfangennahme Valerians geflossen war.")

Zur völligen Klarlegung der Frage, ob Dexippus für Zosimus I 1 4() die Quelle gewesen ist oder nicht, wollen wir zum Schluss den vermeint- lich aus Dexippus stammenden Bericht des Syucellus S. 715/17 noch weiterhin untersuchen.

Mit jener Schilderung der Kämpfe mit den Tersern verknüpft Syn- cellus S. 71»), IG ff. einen Bericht über Einfälle der Goten. Der Ausdruck TOT«, mit dem Dexippus chronologische Bemerkungen einzuleiten pflegt,'') und die Wendung ul ^-/.v&ca y.ai Fot^oi Uyouivm '■) charakterisieren diesen Bericht als dexippeisch, der freilich ziemlich ungeschickt an jene aus der andern Quelle stammende Erzählung angereiht ist. Syncellus giebt hier einen ganz summarischen Bericht über die Gotenzüge,'') die v. (lall. c. 4, (i, 11, 12 eingehend nach Dexippus geschildert werden; freilich ist der Be- richt des Syncellus so kurz und unklar, dass alle Einfälle vom ersten Auftreten Odenaths bis zu seinem Tode in einen einzigen zusammenzu- fliessen scheinen.

Es gab über den Tod des Odenath verschiedene Eelationen, deren eine uns bei Zos. I 39. 2 erhalten ist. Mit dieser Darstellung stimmt im allgemeinen v. Galt. 13, 1 3 überein; nur nennt Zosimus auch den Ort Emesa, der in der vita ausgelassen ist. Herennianus und Timolaus, die die vka GaU. 13, 2 nennt, sind wahrscheinlich nur eine Erfindung^) des

1) Vgl. Enmaxn, Philolofjus i. Sppl.-Bd. (1884) S. 376; Klebs, Hist. Zcüschi: 61. (1889) S. 228, 244; Bhein. Mus. N. F. 47 (1892) S. 7; Mommsen, Hermes XXV (1890) S. 255; WöLFFLiN, Sitsungs-Bei: der bayr. Ak. pliil. Kl. 1891, S. 485; Peter, Scr. h. Äug. S. 64.

2) F. Gall 10. 1.

3) Vgl. Euiiap. fr. 1 bei Müller, FHG. IV S. 11 = Dixdorf, Itist. gracc. min. I 207; BoEHME S. 8; Mommsen, Herw.cs XXV S. 255 Aiim. 3 und S. 263 Anm. 3.

4) S. S. 434 flf.

5) S. Gelzeb, S. Julius Africanus und die hyzant. aironographie I S. 183 Anm. 1.

6) Vgl. S. 705. 10: 2xv9aL . . . ol Isyän^svot r6r9oi. und v. Gall 6. 2: Scythae autem, hoc est pars Gothorum; Boehme S. 18.

7) Dass dieser Bericht sich auf die Einfälle 256—258 bei Zos. I 32—36 beziehen, ■wie Wietersheim , Gesch. der Völkerwanderung P S. 633 und zum Teil auch Oueruick S. 36 Anm. 52 behaupten, halte ich für unrichtig; vgl. Rapi-ai-ort S. 58.

8) Vgl. VON Sallet, Die Fürsten ron l'ahnyra. Berlin 1866, S, 12; Mommsen, Eüm. Gesch. V 436, Anm. 4, der freilich unrichtig angiebt, dass v. Aurel. 38, 1 die Existenz

13

440

B. Itappaport,

BiosraplifU. Zwischen beiden Bericliteu liudeu sich Iveiue ^\'idc^Sl)rüche, und beide schliessen mit einem Preis auf die männlichen Tugenden Zeno- bias; wir dürfen hier also eine gemeinsame Quelle annehmen. Dieser Bericht ist von den modernen Darstellern als der richtige angesehen worden.*) Wir halien nun gesehen, dass die Str. h. Aug. und Zosiraus für die Ereignisse im Orient Dexippus benutzt haben, ferner ist bei beiden unmittelbar vorher Avie nachher Dexippus ganz unzweifelhaft Quelle, so- dass \\\v auf ihn auch diese durchaus glaubAvürdige Üljerlieferung zurück- führen können.

Abweichend lautet dagegen der Bericht des S.yncellus, den wir zu näherer Untersuchung einmal mit dem dexippeischeu in v. Galt. 12, (3 13. 1 vergleichen A\'ollen.

Gaü. 12. 6—13. 1. Occupato tarnen Odenato hello Persico, Gallie.no rebus ineptissimis, ut solebat, incubante Scythae navibus f actis Herac- leam ])ervene^-unt atque inde cum prae- da in solum proprium revei-terunt, quamvis inulti naufragio perierint."^

Per idem tcmpus Odenatus insidiis consobrini sui inte^'emptus est cuin filio Ilerode, quem et ipsum impera- torem apipellaverat. Tum Zenobia uxor eius , quod parvuli essent filii eius, qui siqiererant Herennianus et Timo- laus , ipsa suscepit imperimn diuq^ie rexit.

Sync. I, S. 716, 22—717, 5. '/lAAft nähv 'iiösva&og xarcc FtEoaiZv dgiOTSvaag xcci KTrtöKfwvTu noli- OQy.iu TictQaöTJjaäfisvog, äy.ovoag rljs 'yiaiag rag avfiffogdg anovöaiwg ini Ti)v flovTixr^v 'HoäxXetav 'egxsrai diu Kannaöoy.lag avv Talg Svvaiuai Ticii ~y.vdag xaTahiyjo^isi'og aino- &i 8oXo(fovi'iTai vnö Tivog'Siäevä&ov TOiivofin xal avTOV. oi 8s J^/.i&ai ng'tv avTov kkdüv kTiaviiXd'ov üg rd Witt öid Tov IlövTov, y.al 8ia(f- ü'eigovaiv ' fiSivadov Toü'iidsvd&ov (fovsvTjjv oi TOVTov dogvqooot, Zijvo- ßiu 8h rij yauETy avTov t))v ägxhv I xrjg eäccg iy}((igl^ovai.

Mit älkä verlässt SjTicellus seinen Bericht über die Gotenzüge und wendet sich wieder den Ereignissen im Orient zu. Aber gleich seine erste Bemerkung zeigt, dass er Dexippus niclit mehr benutzt, sondern wieder jener schlechteren Quelle folgt. Während nämlich in dem inizweifel- haft auf Dexippus zurückgehenden Bericht v. Galt 10. 6; 12, 1 ; v. tyr. trig. 15, 4 und damit übereinstimmend Zos. I 39, 1^) nur von einer Belage-

der beiden geleugnet werde. Klebs, Bhein. Mas. 47 S. 10; Peter, Scr. h. A. S. 1.52; Dessau, Prosopogr. IT S. 135. Dagegen glaubt Beknhakdt S. 0030:'. au die Augabe des Biographen.

1) Vgl. Bernhardt S. 159 ff. ; Oberuick S. 39 f.; Mommsen, Rom. Gesch. V S. 436; Schiller I S. 857 f.

2) Die hier im Text folgenden Worte Navali hello superati sunt sind von Peter mit Recht als späteres Einschiebsel bezeichnet worden; wohl nach dem Muster von V. GaU. 12. 7.

3) Vgl. S. 437 f.

14

//(// Zoftiwu-t I, c. 1 ifi die Chronik des Dexipimn benutzt? 441

ruiig- Villi Ctcsiiilinn dit' TJede ist. l)(M-ichtet Syncellus fälschlich,') dass Ctesipliiiii Villi ( idciiath cniln rl wnrdfu sei. Es folgt nun der Bericht über Udenatlis Tod, der in Nnllcni W'idersinnich mit unserer sonstigen i'berlieferung: stellt und dalicr \(iii fast allen Forschern-) mit Eecht verworfen wurden ist. "Wie ist nun der üerirjit des Syncellus zu er- klären y

Zunächst hatte derselbe nach jener oben charakterisierten (Quelle dii; Kämpfe mit den Persern geschildert. Mit töte hatte er dann einen aus Dexippus stammenden Bericht über die Einfälle der Goten angefügt, bei dem man trotz seiner Verworrenheit doch noch diesen Ursprung erkennen kann. Dann ging er wieder auf jene erste Quelle zurück, und nun folgt der merkwürdige Bericht, der Odeuath auf einem Zuge gegen die Scythen in der Gegend von Heraclea umkommen lässt. Diese Angabe kann man nun wohl folgendermassen erklären: Dexippus hatte nur berichtet,-') dass Odenatli sich zur Zeit jenes Einfalles im Kampfe mit den Persern befand und dann am Schlüsse seines Berichtes über diesen Scythenzug bemerkt, dass Odenath zu jener Zeit ermordet wurde ; vielleicht hatte er auch von einer Absicht desselben, gegen die Goten zu ziehen, gesprochen.*) Jlit diesem dexippeischen Bericht nun hat Sjnicellus mit derselben Flüchtig- keit, die wir schon vorhin bei ihm den Angaben des Dexippus gegenüber bemerkten, die zweite Quelle so verquickt, dass er in der Gegend von Heraclea, wohin nach Dexippus =) die Goten kamen, den Odenath auf einem Zuge gegen sie ermordet werden lässt.

Auch in dem weiteren Bericht erkennen wir deutlich jene von Dexippus abweichende Quelle. "Weder v. Gall. 13, 1'') noch der damit übereinstimmende Zos. I 39 nennen den Namen des Mörders, und Dexippus scheint daher denselben nicht berichtet zu haben. S3nicellus dagegen weiss, dass der Mörder Odenath liiess, eine falsche und nirgends bezeugte

1) S. MoMMSEX, Umn. Gesch. Y S. 435 Anm. 2; verkehrt ist Obebdick S. 35 Anm. 51. Mendelssohn macht auch fiir diese Angabe des Syucellus den Dexippus verantwortlich.

2) S. Bebxuardt S. 32, 1591V.; Wietersiieim I- S. 633; Scuiller I S. 857; Mommsen', ßüm. Gesch. V S. 436. Nur Oberdick S. 36 Anm. 52 macht verzweifelte Anstrengungen, den Bericht des Syncellus zu halten.

3) Vgl. V. Gall. 12. 6; 13. 1.

4) Ob Odenath in der That gegen die Goten gezogen und Dexippus davon be- richtet hat, wie das nach Syncellus den Anschein gewinnt, lüsst sich nicht unbedingt sicher entscheiden; doch legen die, wenngleich verworrenen, Angaben des Syncellus im Verein mit dem Umstände, dass die Goten im Gegensatz zu dem gewaltigen Umfang der bisherigen Züge diesmal ihre Operationen nicht über Heraclea ausgedehnt zu haben scheinen, diese Annahme immerhin nahe; vgl. R.uppaport S. 66 f.

5) S. V. Gall. 12. 6.

6) Der eingehendere Bericht über Odenaths Tod v. tyr. trig. c. 15 u. 17 stammt jedenfalls aus einer anderen Quelle. Der Mörder heisst hier Maeonius.

15

442 B. Rappaport, Hat Zosinms I, c. 1 46 die Chronik des Dexippus benutzt y

Angabe. Ferner berichtet er, wovon ebenfalls jene beiden nichts wissen, dass der Mörder der Bache der Leibgarde zum Opfer fiel, und diese dann die Herrschaft der Zenobia übertragen habe.

Somit hat sich gezeigt, dass der Abschnitt bei S.vnc. I. S. 715, 15 717, 8 zum grössten Teil auf eine von Dexippus abweichende Quelle zurückzuführen ist. Hierdurch und durch die im Eingang gegebenen Ausführungen glaube ich den Nachweis erbracht zu haben, dass trotz der von Mendelssohn und zum Teil auch von Boehme angeführten Gründe und trotz Wachsmuths abweichender Ansicht die C'lironik des Dexijiitus als Quelle für Zosimus II 46 anzusehen ist.

16

443

Zur historischen Geographie des mesopotamisehen Parallelogramms,

Von Kurt Regling.

Die vorliegenden Untersnchungen sind hervorgegangen aus Studien über den Partherkrieg des Crassus. Um diesen einer neuen Bearbeitung zu unterziehen, waren zunächst eingehende Quellenforschungen nötig, deren Früchte ich in meiner Schrift de belli Parfliici Crassiani fonfiöus niedergelegt habe.') Dann führten mich einige bisher übersehene wichtige geographische Hinweise in den Quellenschriftstellern auf die geographische Seite der Frage. Die Studien hierüber nahmen, da ich notwendigerweise das ganze Gebiet zwischen den Strassen Zeugma-Edessa und Barbalissos-Nikephorion in den Kreis meiner Untersuchung ziehen musste, einen solchen Umfang an, dass es geraten schien, sie von der eigentlichen Darstellung des Feld- zuges, die ich bald in diesen Blättern folgen lassen zu können hoffe, äusser- licli imd innerlich loszulösen.

Bei der Schilderung der heutigen Verhältnisse des mesopotamisehen Parallelogrammes haben diejenigen Gelehrten, welche zuletzt das fragliche Gebiet bereist haben, Herr Geheimrat S ach au, Herr Professor Moritz, Herr Dr. Frh. von Oppenheim , mii" in liebenswürdigster Weise das in ihren Eeisewerken nicht publicierte Material durch mündliche Belehrung oder briefliche Mitteilung zur Verfügung gestellt, wofür ich ihnen an dieser Stelle meinen wärmsten Dank ausspreche.

Die Benutzung der mir fi-emden arabischen und syrischen Quellen haben mir die Herren Dr. Nützel, Andreas, Horowitz und Mittwoch gütigst ermöglicht und die Arbeit hierdurch wesentlich gefördert; Herr Professor Hirschfeld hat mii" bei der Entstehung der vorliegenden Unter- suchung seinen bewährten Eat und Beistand stets zu Teil werden lassen.

Die beigegebene Karte ist mit gütiger Erlaubnis des Herrn Dr. R. Kiepert, welcher mich auch bei der Anlage und technischen Ausführung

1) Diss. inarnj. histor., Berlin 1899. Vgl. Wochenschrift für klass. Philol. 1899, Sp. 1147; BerL philolog. Wochenschrift 1901, Sp. 850; Bolletino di filoloyia claxsica 1900, S. 140; Bevue eritiqiie d'histoire et de liticmture 1899, S. 484.

1

444 K. Iie()ling,

derselben freundlidist unterstützt hat, der von diesem Gelehrten für das Eeisewerk des Frli. v. Oppesueim angefertigten Karte (Syrien und Meso- liotanüen, I., A¥estliches Blatt) entlehnt.

Tuter der Bezeichnung „mesopotaniisches Parallelogramm" verstehe ich denjenigen Teil des nordwestlichen Mesopotamiens, welcher im W. von dem hier in nordsüdlicher Richtung tliessenden Euphrat (von Zeugma bis zum Knie von Barbalissos), im S. ebenfalls von dem, hier westöstlich strömenden Euphrat (vom Knie von Barbalissos bis zur Einmündung des Flüsschens Balissos = Behch) , ') im 0. von diesem J^alissos und den ihm von Norden her zufliessenden Bächen, im N. endlich durch die grosse Karawanen Strasse begrenzt Avird, die von 7.(t\\gwm- Bh-eijtk nach Edessa-/7r/« führt.

Von alten Q u e 1 1 e n stehen uns über dies Gebiet folgende geographische Schriftsteller zur Verfügung:

Straho, (jeocjr. XVI, 746—748.

Isidoros von Cliarax, mansiones Parth. , bei Müller, Geofjrd))?// grneci

minores Bd. I, S. 244—247. Plinius, natur. Jnstor., besonders V § 80/7, VI § 118 9. Ptolemaios, geocjr., besonders V 15 und 19. Stephanos von Bj'zanz, tdvixd.

Dazu treten die itineraria:

iahula PexUingerana . herausgegeben von E. Desjakdixss ; kleine Ausgabe

mit guter Reproduktion der Tafel von K. Miller, Weltkarte des

Castorius, Ravensburg 1888. ilinerarmni Antonini, herausgegeben von Pahthey und Pinder, citiert nach

den Seiten der Ausgabe von Wesseling. anonipnus Eavermas, herausgegeben von denselben. Hieroclis ^ynecdemus, bei Wesseling, vei. Roman, itineraria, Amsterdam

1735, S. 713—715.

Ferner ist heranzuziehen die notitia dignitatum, das Staatshandbuch aus dem 5. Jahrh. nach Christus, herausgegeben von Bocking, von Skeck (citiert nach letzterer Ausgabe).

Die gelegentlich herangezogenen orientalischen Autin-en werden jeder an seiner Stelle citiert werden. Ausser der geographischen Fachlitteratur, der sich ein Werk wie Prokopios, de aedifictis anschliesst, sind die Berichte über die Feldzüge des Crassus, Traianus, Verus, Autoninus Severi filius, Galerius, Julianus und Chosroes mehr oder weniger wertvoll an geo- graphischen und topographischen Angaben.

1) Moderne orientalische Namen setze ich kursiv; iu der Unischreihung folge ich der KiEPERTSchen Karte zu v. Oppenheims Keisewerk.

Zu Seite 445.

1

Ausläufer des ' Telftpk Dar

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Zur Imtorisclwn Geographie des nie.fopotamischen ParaUelofjramms. 445

Daran schliesseu sich an die niodcnien J^eisebesclireibungcn ') und die das Material schon verarbeitenden geograpliischen Werke.'-)

Die neuste und beste Karte des Parallelogramms,'') die ich meiner Skizze mit gütiger Erlaubnis des Herrn Redaktors zu Grunde gelegt habe, ist die von E. Kiepert entworfene, im Eeisewerk des Frh. v. Oppenheim, Vom M/'ttehiee)- zum persischen Golf, Berlin 1899,1900, Karte 1; hier sind u. a. auch die zum Teil unpublicierten Routen von Pressel, Sterret (1884), Moritz und Schröder (1890) zum ersten J\Iale ausgebeutet, vgl. die Be- merkungen im Text des Reisewerkes Bd. 11 S. 291 293.*)

Um über den Lauf des Euphrat einiges voranzuschicken, so verfolgt er zunächst eine fast südliche Richtung, die sich dann melu- nach S.O. wendet und bei KaVat in Nigm den östlichsten Punkt erreicht. Der Fluss biegt dann wieder nach S.W. um, bis er bei Meskene nahezu den ^Meridian von Biregik wieder erreicht. Hier beginnt die östliche Richtung, die auch nach einer scharfen Abbiegung östlich von Barbalissos bei- behalten mrd. Nach kurzer Xordwendung erreicht man au Nikephorion- Rakka vorbei die Mündung des Balissos--8e^icÄ. Wenden wir uns nun

1) Von mir wurden die folgenden benutzt: Pococke, Dcscription oftlic east, Bd. II, London 174.5 fol. Otter, Voi/ages en Turquie et en Ferse, Paris 1748, 2 Bde. C. NiEBLHR, Eeiscbeschreibiing nach Arabien, Kopenhagen 1774/8, 2 Bde. Bocklng- uAM, Travels in Mesopotamia, London 1827, 2 Bde. Aixswortu , Travels and re- ■tearehes in Asia minor, Mesopotamia etc., London 1842, 2 Bde. v. Moltke, Briefe aus der Türkei, .5. Aufl., Berlin 1891. Chesnev, Expedition to the Eiiphrates and Tigris, London 18.50, 2 Bde.; vgl. auch Journal of the royal geographical society VII S. 422.

C. Häussknecht, Honten im Orient, 1865 9, die Karten redigiert von H. Kiepert, mit Vorbericht Berlin 1882. Sachal-, Reise in Syrien und Mesopotamien, Leipzig 1883. Der Herr Verfasser hat mich ausserdem durch ausgiebige mündliche Mitteihingen in liebenswürdigster Weise unterstützt. Moritz, freundliche briefliche Mitteilung über seine Reise am l^fer des Bel'ich, datiert Cairo 27. April 1901. Frh. v. Oppenhe™, freundliche briefliche und mündliche Mitteilungen über seine. Zweite Reise 1899, und Bericht über diese Reise in der Zeitschrift der Gesellschuft für Erdkunde zu Berlin, Bd. XXXVI, 1901, S. 69—99 mit kleiner Übersichtskarte.

2) Benutzt wurden: Männert, Geographie der Griechen und Römer, Bd. 5, Teil 2.

FoRBiGER, Handbuch der alten Geographie, Bd. 2. Ritter, Erdkunde von Asien, Abteilung X, XI. Smith, Dictionary of Grcek and Roman Geography. Kiepert, Lehrbuch der alten Geographie, sowie die betreffenden Artikel in der Realencyklopädie von Padly und in der Neubearbeitung von Wissowa.

3) Die erste ausfuhrlichere Karte des Parallelogramms ist die von H. Kiepert für Haussknechts Reisen entworfene, die erste, die den Beßc/t-Lauf genauer bringt, die von demselben an Sächaus Reisewerk angefügte; den südlichen Teil des Paral- lelogramms brachte dann Moritz, Zur antiken Topographie der Palmyrene , Abhand- lungen der Berliner Akademie 1889, Karte, den nördlichen findet man auch bei Humann und Puchstein, Reisen in Kleinasien und Syrien, Berlin 1890, Karte 2.

4) Die älteren Karten, so die in Buckinguams Werk, Bd. 1, bei Chesnev 1. c Karte 1 und 2 3, und die H, KiEPEKTsche von 1858 {Karte von Armenien, Kur- distan etc., Berlin 1858'i sind namentlich für den Lauf des BeTicIi nicht mehr mass- gebend.

Beiträge z. alten Geschichte I 3. 29

3

446 K. Reißing,

zur Betraclitiüig- des Laiules selbst, welrlie sich in folg'ende drei Ab- schnitte gliedert :

I. Der nördliche Teil: Die Strassen von Zeiignia nach P^dessa

und Karrhai; Natur des Landes; Gebirge. (S. 44(3 459.) II. Der östliche Teil: Die Strasse von Edessa über Karrhai nach Nikephorion; der Beiich, seine Zuflüsse und seine Ufer; Isidors Stationen von Koraia bis Nikephorion; das Binnenland zwischen Euphrat und Bellch. (S. 459 469.) in. Der westliche Teil und die Strasse von Syrien: Die Strassen von Antiochia nach Hierapolis, von Hierapolis nach Zeugma, von Zeugma nach Eragiza; die Querrouten von Hiera- polis über Batnai nach Edessa. (S. 469 476.)

I. Der uöi'dliche Teil.

Die Strassen von Zeugma nach Edessa und Karrbai; Natur des Landes; Gebirge.

Als Nordgrenze des mesopotamischen Parallelogramms habe ich die Strasse von Zeugma -5»-e^<'Ä- nach Edessa - ?7»-/a angesetzt. Das heutige Biregt'k^) liegt am linken, östlichen Ufer des Euphrat an der Stelle des alten Apamea, des Brückenkopfes von Zeugma, als dessen Eeste ich die von Otter, Niehuhe und Sachau bemerkten Überbleibsel eines in muham- medanischer Zeit erneuerten Kastells ansprechen möchte.-) Gegenüber, am westlichen Ufer , lag das alte Zeugma. Hiei' war damals ■') wie heute*) der besuchteste Enphratübergang und der Jlittelpuukt des Ver- kehrs zwischen SjTien und Mesopotamien; vermittelt wurde er zur Zeit des Seleukos l. durch eine Schiffbrücke (Plinius 1. c), heute durch Fähren.'')

1) Vgl. PococKE, S. 162, der auf seiner Karte (= Biregih) von einem sonst nirgends erwähnten Orte Zima, was wohl Zeugma sein soll, trennt; Otter I, S. 108/9; NiEBUHR n S. 412/3 (El-Bir); Buckingham I, S. 45 ff., 57 ff.; Ainsworth I, S. 304 ff.; MoLTKE S. 224/6, 342/4; Chesney I, S. 46; Spiegel, Eranisclie Altertumskunde 1, S. 165; Ritter X S. 989/94; Sachau S. 178/80 und die Handbücher. Über Zeugma als Bischofs- sitz: AssEMANi, BihUotlieca Orientalis II c. 9 s. v. Es ist nicht mit Bwn-halc zu vor- wechseln, wie z. B. Mannert S. 199, Dean Merivale, Boman empire 4. ed., London 1862, I, S. 518 Anm. thaten, vgl. Ritter X, S. 988, Räwlisson, The sixtli great Oriciital monarchy S. 155 Anm. 3.

2) Apamea erwähnt bei Isidor S. 245, Plinius V § 86, VI § 119.

3) Strabo XVI 746 fin., 747 in.; er unterscheidet dies Zeugma als Ztvy^iu tu rvv xcitct rijv Ko^iiayrivijv von Thapsakos, rb TtaXaiöv; Plinius V § 86, VI t; 118; Isidoros S. 244.

4) Pococke, S. 162; Buckinguam I, S. 57ff. ; Moltke, S. 225; Cuesney I, S. 46; Ritter X, S. 994; S.ACHAI-, S. 179 Zeile 11-18.

5) Der heutige Name Blregik, El B'tr darf nicht dazu verführen, es mit Mannert, S. 200, CiiESNEY I, S. 46, BöcKiNG zur not. dign., or. XXXV 28, Buckingham I, S. 49 mit dem alten Birtha zu identifizieren. (Ptolemaios, Geogr. V 19. 3, Hierokles S. 715, 2, Bintha not. dign. 1. c, Birtä kastra in der Chronik des Josua Stylites, ed. Wright S. 71). Dieser Ort ist vielmehr nicht sicher zu identifizieren, H. Kiepert, atlas antiquus, setzt

Zur liixfnritchen Geofiraphic des mexopotami^clicn Parallelogramms. 447

Von Zeiif;ma--B«>ef)<7«: führt eine vielbetretene Strasse nachEdessa- Urfa.') Saciiau (S. 181) nennt zwei Wege der Ai't, den einen nördlicli über Tschärineh'k, den andern mehr südlich über den Ai-ab-Daghy, welch' letzteren er selbst wählte. Nur den nördlicheren über Tscharmelik findet man auf den Karten von Chesney (nr. II) und H. Kiepert (von 1858), und ebenso sind Ottek, der I S. 109 den \\'eg von Zeugma nach Tscharmelik als zehnstündig beschreibt , Bückingham (vgl. I cap. 3 , besonders S. 73), AiNswoBTH (II S. 102 3: von Biregik nach Tscharmelik zehn Stunden), Moltke (S. 226/7, 342), der Oberst Chesney (i. J. 1832, siehe Einzeichnung auf seiner Karte II), Haussknecht (zweimal, 1865 und 1867, vgl. Karte 1. 2 und Vorbericht S. 3), Pressel (nach Einzeichnung auf E. Kieperts Karte) über Tscharmelik gereist, welchen AVeg in umgekehrter Richtung auch PococKE (vgl. S. 161) gezogen ist.-)

Auch die alten Quellen nun geben uns zwei von Zeugma nach Edessa führende "Wege an, und entsprechend der Thatsache, dass im Orient im wesentUcheu wenigstens die grossen Routen dieselben geblieben sind bis auf den heutigen Tag, \rä-d es nahe liegen, beide mit den heutigen gleich- zusetzen. Dies wird durch die Zahlenergebnisse bestätigt: der erste Weg nämlich ■^) führt von Zeugma nach Canaba *) (25 milia passuum), von da über Jn medio'" (22 m. p.)=) nach Edessa (18 m. p.), zusammen also 65 m. p. = 97,5 Kilometer, welche Summe sich bei Nachmessung aus der SACHAu'schen Karte für den südlichen A\'eg ergiebt, wähi-end die R. KiEPERTSche, die den Weg von Mizhagar aus viel gerader verlaufen lässt, um mehrere Kilometer differiert. Die Zwischenstationen nach den Entfernungen des Itinerars einzutragen, erscheint daher zu gewagt, höchstens könnte man Canaba mit Mizhagar gleichsetzen, welches auf beiden Karten von Zeugma aus etwa 25 milia passuum (= 37,5 km) entfernt ist.

Der zweite Weg von Zeugma nach Edessa'') führt über ,.Bemmari Canna" (40 m. p.) und „Bathnas Mari" (8 m. p.) nach „Edissa" (10 m. p.),

ihu an die Stelle des heutigen Der ez Zor, vgl. v. OpPEsnEiM I, S. 329. Gegen Birtha = Btregik vgl. bes. Müllek zu Isidoros S. 245. Wahrscheinlich aber ist Biregik das Ttl Barsip der Keilschriften {Keilinschriftliche Bibliothek [KB] I, S. 133, 161, 163, 169; Amiäüd-Scheil, Les inscr. de Salmanassar II, Paris 1890, S. 19, 21, 23, 25, 33), wie dies die Karte in KB. I andeutet.

1) Über die Stadt Edessa- LV/'a selbst siehe unten S. 459 f.

2) Auf welchem von beiden Wegen Niebühb reiste , ist weder aus seiner Schil- derung (S. 410/2) noch aus seiner Karte (tab. LH bei S. 416) zu entnehmen.

3) Im itin. Antonini, S. 191, 2—5 Wess.

4) Wohl das Ganaba der not. dign., or. XXXV 15, vgl. Böckixgs Ausgabe I S. 396; der Name bezeichnet eine in Anlehnung an ein Truppenlager entstandene Niederlassung.

5) Nach BöcKiNG not. dign. I, S. 399 zu or. XXXV 22 mit dem dort genannten Mediana identisch (?).

6) Im itin. Antonini, S. 190, 3 5 NN'ess.

29*

448 K. Be(ßin<f,

ist also 58 m. p. = 87 km lang-. Dazu stimmt der weiter nürdlich gelegeue Weg über Tschännelik, die „königliche Hochstrasse" genannt,') und zwar wiederum nach Sachaus Karte genau, während E. Kieperts abermals ein wenig differiert; von einer Identifikation des „Bemmari Canna*' sehe ich daher ab-) und mache nur darauf aufmerksam, dass ,.Batlinae Mari" seiner Entfernung von Edessa nach etwas westlich von dem Yereinigungs- punkt der beiden Strassen zu suchen ist,-') wo Sachau auch Kuinen ver- zeichnet.^)

Ausser der soeben behandelten Strasse Zeugma-Edessa führte von Zeugma auch eine vielbetreteue Strasse n a c h K a r r h a i. Von neueren hat sie nur Lynch ^) in ilu'er ganzen Ausdehnung bereist, wähi-end Haussknecht,") Steeeet,") V. Oppenheim*) sie mir zu einem Teile, Sachau'-') sie garnicht benutzt hat. Man reist heute vielmehr, wie mir der letztere mitteilt, meist nicht direkt von Blregih nach Harrän, sondern nimmt den Umweg über Edessa- C/rfa.

Umsomehi- bieten uns die alten Quellen:

Isidoros von Charax bei Müller, Geogr. Gr. min. I, S. 244/0 beschreibt eine Strasse, die von Apamea jenem oben erwähnten Brückenkopfe von Zeugma an der Stelle des heutigen Bireyik in 3 schoeni nach Daiara, von da in 5 schoeni nach Ciharax Sidu-Anthemusias, von da in 3 schoeni nach Koraia in Batana führt. Dann wendet sich sein

1) Sachau, S. 188.

2) Zum Namen dieses Ortes siehe unten S. 473 Aum. 1.

3) Man hat dies Bathnae mari (mari ist jedenfalls ein Fehler; Wesseling zur Stelle glaubte es aus muni ^ municipium versehrieben) meist mit dem Batnai (Bathnai) identifiziert, welches auf der Strasse von Zeugma nach Karrhai liegt; dieses liegt in- dessen nicht 10 m. p. , sondern eine Tagereise von Edessa entfernt (vgl. Prokop., bell. Pers. II 12 imd unten S. 475 Anm. 8). Über das häufige Vorkommen des Namens Batnai in dieser Gegend siehe unten S. 470 Anm. 3.

4) Reisewerk, S. 189 nebst Einzeichnung auf der Karte.

5) Er zog, von Harrän kommend, über Serüg nach Eiregik mit einem Umwege über Arslantasch und Ras el 'Ain, vgl. Karte II in Chesneys Reisewerk und die Ein- tragung in R. Kieperts Karte.

6) Hadssknecht reiste von 'Äintäb nach Blregik und von da über Servg (KhanSurndj, auf seiner Karte I zu weit westlich eingetragen) auf der Strasse nach Karrhai weiter, bog aber kurz vor dem Endpunkt bei Burg Bednlchi nordöstlich nach Tlrfa ab, vgl. Viir- bcricht S. 3, Karte I u. II und die Eintragung in R. Kieperts Karte.

7) Im Jahre 1884, vgl. die Bemerkungen K. Kiepekts bei v. Oppenheim, Vom Mittelmeer zum persischen Golf II, S. 392.

8) Von Diärbekr über Setcerek nach Urfa kommend, zog er von dort nach Seriig und benutzte erst von hier an die Strasse Zeugma-Karrhai bis Blregik. Vgl. seinen Bericht, Zeitschr. d. Gesellsch. für Erdkunde zu Berlin XXXVI, 1901, S. 92.

9) Sachad erwähnt die Strasse S. 223 seines Reisewerkes kurz und bemerkt, dass er des mangelnden A^erkehrs wegen Näheres nicht erfahren habe; auf seiner Karte ist sie eingezeichnet.

Zur historischen Gcogruphir, dos mesopofamischen FaraUclorjranniis. 440

\\'eg, da sein Ziel lüclit Karrhai, soiuleru der Bdic/i ist, nach yiidosten ab, wie er auch durch die >\'orte kv de^iolg Tavrvg angiebt.

Die tabula Peutingerana: von Zeugma nach Thiar 12 m. p., von da nach Batuai 32 m. p., von da nach Karrliai 30 m. p.')

Der Geograph von Ravenna IT c. l-! bietet, ebenso wie die tabula von Rhesaina über Salar (Sabal auf der tab) nach Karrliai kommend, von S. 79, 17 an dieselbe Koute in umgekehrter Richtung: „Carris Batnis Thiar", springt dann aber auf eine andere Route der tabula über.-)

Das itinerar. Anton in i giebt, S. 192, 4 5 Wess., eine Teilstrecke aus diesem Wege in umgekehrter Richtung an: Carris Bathuas (codex D Bathanas) 30 m. p.

Endlich mögen für diese Teilstrecke auch Z o s i m o s nebst A m m i a n ') erwähnt werden, die von dem Marsche des Kaisers Julian von Batnai nach Karrhai berichten, wälu'end die andere Teilstrecke Zeugma Batnai von Traianus auf seinem Feldzuge des Jahres 115 benutzt wurde (siehe unten S. 457 Anm. 2).

Von späteren Schriftstellern nenne ich nur Abulfeda,^) der die Strecke Serüg Ilarrän als einen Tagemarsch lang erwähnt.

Die Gesamtentfernung von Zeugma nach Karrhai ist nach der tabula 74 m. p. = 111 km, und ebensoviel ergiebt die Nachmessung auf Sachaüs und R. Kiepekts Karte, sodass die Identität der Wege nicht zweifelhaft ist. Versuchen wir also die Festlegung der Zwischen- stationen.

Die erste Station heisst bei Isidor Daiara, auf der tab. Peut. und beim geogr. Rav. Thiar. Der Gleichklang der Namen lässt die Gleich- setzung beider Orte als gesichert erscheinen.^) Damit gewinnen wü- zugleich einen Anhalts]ninkt ziu' Beantwortung der Frage, welchen der vielen schoeni Isidor seinen Angaben zu Grunde legte: da die tabula 12 m. p., Isidor 3 schoeni als Entfernung angiebt, so bedient sich Isidor

1) Mannert behauptet (S. 205) irrtümlich, die tahula gäbe 32 m. p.

2) Nämlich von Bicum (= viciis der tabula) über Barna (= Simitta der tabula?), und, indem er dann Sathena und Italia der tab. auslässt, über Thatama (= Thalama der tab.), dann Edessa auslassend nach Karrhai und zum ,Fons Chaborrae'.

3) Zosimos III 12, Ammianus Marcellinus XXIII c. 2 und 3.

4) In der Übersetzung von Reixaud Bd. II, S. 52.

6) Müller zur Isidorstelle identifizierte schon Daiara und Thiar mit Eecht, während Pococke S. 161 Thiar fälschlich mit Biregik (= Apamea} gleichsetzte. Dass die Zeichnung der tabula Thiar näher an den Eiiphrat rückt als z. B. Zeugma, fällt, wie ebenfalls schon Müller (zur Stelle) bemerkt, nicht ins Gewicht, da auf Stellung und Richtung der Linien und Plätze zueinander und zu den gezeichneten Flüssen und Gebirgen in der tabula nichts zu geben ist; sie setzt z. B. Karrhai zweimal au ganz auseinanderliegenden Stellen an!

450 K. Iie(jling,

eine^< si-liuiuus von 4 milia passuimi (= 5954 in oder rund 6 km), welche Ansetzung des sclioenus übrigens auch sonst die gebräuchlichste ist,')

Isidor nennt als nächste Station : XapaS ^iSov,'-) vno öe 'Elhjviuv 'Jv&euovaiäs nöhg, von Apamea (Zeugnia) um 3 + 5 = 8 schoeni = etwa 48 km entfernt. Eine Identifikation von Anthemusias kann mir im Zu- sammenhang mit der der Stadt Batnai versucht werden, auf die ich daher gleich jetzt zu sprechen komme:

Bätvai -nii-d in dieser Form erwähnt von Cassius Dio LXYIII. 28, Stephanos Byz. s. v.. Prokop. de aedißdis II 7. Zosimos III 12, als „Batnae" in der fabuh Feut.. beim geogr. Eavenn. TL 13. S. 79. 18 (diese Stelle fehlt in Fbaxkels Ai'tikel bei Pault -Wissowa III. Sp. 141). bei Ammianus Marc. XXin, 2. 7. bei Hierokles, syiiecdennis. S. 714 ^^'Ess.: als ..Bathnae" im Hin. Anton. S. 192, 2 Wess. (vv. 11. Bathas, Bathanas) und 192, 5 Wess. (w. U. Bathas. Bathanas. Bthnas); als Batue {Bcctvtj) bei Prokop, bell. Pers. II. 12, 17, Ammianus Marcellinus XIV, 3. 3 (v. 1. Batane); als L a n d s c h a f t s n a ni e tritt es auf bei Isidoros von Charax 1. c. : KoQaia i'jiv Baxüvi]:^) zur Entstehung und Etymologie des Namens vgl. unten S. 470

1) Sie findet sich z. B. bei Plinius, nat. hist. XII 14 § 53, wo zwei verschiedene Arten von schoeni angegeben sind, einer zu 40 Stadien, nach Plinius = 5 m. p. (= 7442 m), und einer zu 32 Stadien, also zu 4 m. p. (= 5954 m). Dieser letztere ist also auch Isidors schoenuB; es ist der alte babylonisch-persische von dre issig Stadien des babylonisch- persischen Maasses (198,4 m) oder z weiunddreissig Stadien, wenn man wie Plinius das Achtehnillienstadium (stadium Italicum ^= 186,06 ni) zu Grunde legt. Das doppelte dieses schoeuus wie ja stets im babylonischen Maasssystem ein doppeltes Maass neben dem einfachen unter derselben Bezeichnung eiuhergeht meint Herodot Fl 6, wenn er den schoenus zu 60 Stadien augiebt. Vgl. auch C. F. Lehmann, Wochenschr. f. Mass. PJtil. 1895, Sp. 180 ff. Eine dritte Art schoenus Hegt vor bei Plinius nat. bist. V 10 § 63, wo der schoenus zu dreissig Achtelmillienstadien gerechnet wird (dass es Achtelmillienstadien sind, zeigt seine Cxleichung : 40 schoeni zu 30 Stadien seien gleich 150 Millien, also 1200 Stadien = 1.50 Millien, 1 Stadion = '/^ Millie). Dieser schoeuus wäre also 5582 m gross und ihn hat Ritter (Abt. X S. 1117) im Auge, wenn er den schoenus zu 30 Stadien = ^;, geogr. Meile rechnet; ganz ohne Anhaltspunkt setzt MiLi.ER, Weltkarte des Ca-itorius S. 108 den schoenus zu 25 Stadien, 3 römischen Meilen = 4465 m an. Vermutlich beruhen übrigens die schoeni von 7442 m und 5582 m nur auf talschen Umrechnungen des Plinius, der beidemal (Xll t; 53 und V § 63) die Stadien, ohne zu prüfen, ob wirklich Achtelmillienstadien gemeint sind, nach dem Satze 8 Stadien = 1 Millie umrechnet (vgl. Lehsuns a. a. 0). Über den schoenus von 4 m. p. und das Achtelmillienstadium vgl. C. F. Lehmann, Das altbahyhnische Muass- II. Gewichtssystem (Verhandl. des 8. Orientalistenkongresses \ Leiden 1893, S. 67.

2) Diese Form des Namens stellte Mixi-er zu Isidor S. 245 aus dem XclQaxa aidov oder XuQccy.oaiöov der Codices wohl mit Recht her und erklärte sie als , .Stadt des Sides", nach Analogie von XccQcci, Z^taairov; diesen letzteren Namen wollte nach dem Vorgange von Fabriciüs und Miller Ritter Abt. X, S. 1118 herstellen, was weder mit dem Text noch mit dem Thatbestand Xä^ai, ZTtaaivov lag unweit des persischen Meerbusens stimmt. Wer der Sides war, nach dem Anthemusias eine Zeitlang XuQui, SiSov hiess, weiss man nicht.

ö) Nicht hierhergehörig sind die oft (die erstbesprochene Stelle z. B. von Abbeloos Citat weiter unten S. 92 Anm. 5 und Assemani, hihi, oi: I S. 283 4, die an zweiter

Zur hisiorisclivn (rmiirnpJiic des: mCNnjiolamischaH Farallclo(/ra)iinis. 451

Aiiui. ;i Nach Ainiiiiaii (XI\', .">. M) war die Stadt eine wiclitige .Statidii für den Handel mit indisclien und serischeu Waren, die liier auf einer grossen Messe umgesetzt wurden. Als Rreuzungspunkt der Strassen von /eugma nacli Karrhai und von Hierapolis nach Edessa (vgl. unten S. 474) wurde sie von Justinian durch ein Kastell befestigt.')

Au Entfern ungsangahen haben wir, ausser der Angabe des Zosimcs 1. c, dass der Kaiser Julian, von Hierapolis kommend, sie in einem Tagemarsch erreicht habe, und der des Prokop (bell. Pers. 11 12). dass sie eine Tagereise von Edessa entfernt sei, die Ziffern der tabula Peilt., wonach Batnai 12 + 32^44 ni. p. von Zeugma, 30 m. p. von Karrhai entfernt sei, welche letztere Ziffer von 30 m. p. auch durch das itm. Ant. (8. 102, .5 AVess.) geboten ^^'ird. Wenn wir Batnai danach auf dem jetzigen Wege von Zeugma nach Karrhai eintrügen, so fiele es etwa mit dem Orte Külhüjük -) zusammen. Gegen diese Gleichsetzung erheben sich aber die schwersten Bedenken, da Külhüjük.^ Avorauf mich Herr E. Kiepekt aufmerksam machte, nicht mehr in der iSerft^-Oase liegt, sondern ausser- halb derselben in der Steppe, in einem Gelände, wo eine grosse und nach Ammians Schilderung vielbesuchte Stadt nicht existieren kann. Vielmehr muss Batnai in der Oase selbst gelegen haben. Dann müssen die Zahl- angaben in der tab. Peut. und im itin. Ant. notwendig falsch sein, und die auf den ersten Blick befremdende Thatsache, dass die tah. Peut. und das itin. Ant. beide denselben Felüer machen (80 m. p.), dürfte dann durch Benutzung derselben Quelle zu erklären sein, wie solche Fälle gelegentlich vorkommen.")

Machen wir uns also von den Entfernungsangaben los, so wird eine Identi- fikation von Batnai leicht. Die auf den modernen Karten verzeichnete Stadt Serüg oder Eski-Serüg hiess nämlich in früheren Zeiten, z. B. iu der syrischen vita des heiligen Jacobus, eines litterarisch thätigen Bischofes dieser Stadt aus dem Anfange des 6. Jahrb., Batna Sarugi oder Batna in Sarugo^)

Stelle besprochene z. B. bei Smith, dictionary I, S. 383) fälschlich hierzu angezogenen Stellen Julian, epist. 27, das sich vielmehr auf Bathnai in der Kyrrhestike bezieht, da ja der Kaiser von Litarbai über Beroia kommend aus Hierapolis schreibt, und itin. Ant. S. 190, 4 AVess., wo ein ,Bathnas mari" genannt wird, das vielmehr auf der Stra.sse von Zeugma nach Edessa liegt, siehe oben S. 448 Anm. 8.

1) Prokop, de aed. II 7.

2) Auf PococKES Karte findet man zwischen Bir und TschärmeliJc einen Ort Kolcjoly eingetragen; es ist wohl derselbe Ort wie Külhüjük gemeint, dann aber viel zu weit nach NW. angesetzt.

3) vgl. MxLLEK, Weltkarte des Castorin.^ S. 74.

4) Syrisch svpVCDJ . tNP> ; so bei Aubeloos , de vita et sci'iptis sancti .Jacohi Sarugensis, Löwen 1807. S. 311 Zeile 2—3 und S. 312 Zeile 6, (vgl. Assemasi, BiW. or. 11 S. 321/2), ebenso in dem syrischen pancgyricus auf ihn bei Abueloos S. 24 Zeile 2, S. 40 Zeile 145. Über Jacob vgl. ausser Abbeloos noch Assemani, Bibl. or. I cap. XXVII, S. 283, Martin, ZDMG. 1876, S. 217 ff., Wkigiit, Chronicle of Joshua Sti/liles (Cambridge 1882), S. 43 Anm. f, wo die übrige Litteratur zu finden ist.

452 K. Ueiilimj,

und wird iiacli Hm'ni Mokitz- ilitteilmig' aiicli lifUtf iKich hei den Syrern Batnän de Sei-mj genannt.^) Dies wäre an sich noch kein giltiger Beweis für die Identität beider Städte, da es einfach bedeuten könnte Batuai in Serag, wobei Sei-üg Landsch af t snam e wäre.'-) Da aber an di'ei der S. 451 Anm. 4 genannten Stellen ^) Jacob als Bischof von Batna Sarugi bezeichnet wird, in einer anderen vita von ihm aber als von dem Bischöfe der Stadt Sei-Ug gesprochen wü'd ohne den Zusatz von Batnai,*) so ist die Identifikation der Stadt Batnai mit der Stadt Serug damit unumstösslich gesichert. 5) [Ob die von Mannest ^) versuchte Identifikation \o\\ Batnai mit der von Plinius VI § 119 genannten Satrapenresideuz Caphrena das richtige trifft, wage ich nicht zu entscheiden.")]

Die Entwickelung der Namen Batnai und Se}-ug ist offenbar die ge- wesen, dass die Stadt Batnai. welcher Name, -wie wü' oben aus Lsidor sahen, gelegentlich auch als Landschaftsname verwendet wurde {Kogctia 1] iv BaräviJ), bei der Eroberung durch die Araber den Namen Serug, Avie die Araber die L a n d s c h a f t nannten , hiuzuuahm "-) und also den Doppelnamen Batna-Sarugi führte, dass endlich aber der ursprüng- liche Name ganz abgeworfen wird und nur der Name Serüg für Stadt und Land übrig bleibt. **) Übrigens hat Herr v. Oppenheim bei seiner

1) Vgl. auch Pauly, Bealencyld. I, S. 2308 ^Bataii oder Serudsch' und FrXnkel in der WissowAschen Neubearbeitung III Sp. 141 : ,bei den Syrern Batnän . bei den Arabern Sarüg'-.

2) So wird z. B. in derselben vita bei Abbeloos S. 312 Zeile 4 v^»ßD? )'''"--"^ übersetzt mit ,in Hauris Sarugi" (S. 313), hier dient der Zusatz , Sarugi' also sicher nur zur Bezeichnung der Landschaft.

3) Abbeloos, S. 311, 2. 3; 312, 6; 24, 2.

4) AsSEMANi, Bihl. or. I, S. 289 : JS y.-,'^ vnO"»CQ:5 Joinom.Oi^ = Bischof der Stadt Serüg; Abbeloos hat (S. 90) diese rita nur in lat. Übersetzung.

5) Diese Identifikation wird bereits vertreten von Mannert (V, 2 S. 202, der sich auf Otter I cap. XI und Niebdhr II 410 wo aber von Batnai nicht die Rede ist beruft), von Foreioer II 629, Chesney I 46 und Karte II, von Reichard und Lapie nach dem Index zum üin. Ant. S. 311, von Ritter XI, 291, von Ainsworth 11 108 und von Fraxkel bei P. W. III 141, doch überall ohne nähere Begründung.

6) S. 275, vgl. Rittee, Abt. XI, S. 280.

7) Anmerkungsweise stelle ich die ausser Jacob noch aus Unterschriften in den Konzilakten bekannten Bischöfe von Batnai zusammen (vgl. Assemani , Bibl. or. I, S. 284 und II cap. 9 s. v. Sarug und Abbeloos S. 93): Abramus episcopus Bathnensis, Konzil zu Chalcedon (nach Wesseling, Itineraria S. 190 zu Bathnas inari). Dadas episcopus Batenorum, Konzil zu Antiochia. Julianus Batnon, 5. Generalsyuode.

8) In der syrischen Chronik von Edessa, verfasst von Josua Stylites, wird cap. LXIII zum Jahr 502 3 p. Chr. und cap. LXXXIX zum Jahr 504/5 noch der Stadtname Batuai gebraucht, während c. LIX am Ende, c. LX am Anfang der Name Serüg vorkommt (unkenntlich ob für Stadt oder Landschaft, wahrscheinlich aber für letztere); c. LXXXIX wird es als Batnän kasträ in Seriiy bezeichnet.

9) Vgl. über diese Entwickelung des Namens auch Ritter X 1140, XI 289 (der noch irrtümlich behauptet, Sarug bedeute nie einen Stadtnaraen), Abbeloos, S. 92, im

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Zur hisforiachen Geographie des mcsopntumifichcn l'andlrJfyranniis. 4ö:^

Keise durcli die Laudscliaft Serag, wie er mir niitteilt , einen Stadt- nanien Serüg oder gar EsJd- Serag dessen Existenz er schon wegen der türkischen Vorsilbe Eski (= alt) bezweifelt nie gehört ; der S t a d t - uanie Serag znr Bezeiclinnng der Stätte des alten Batnai scheint sicli also wieder verloren zu liaben.

Wenden \nv uns nunmehr zu A nt h emusia s. Als Stadt wird Antliemusias. benannt uacli der makedonischen Stadt Antliemus, ausser von Isidor I 24^> ('Av&efwvaiäg, v. 1. 'Avß-tfiovaia) noch von Plinius (V § 8(i Aiithemusia, VI § 118 Antliemus), Tacitus {ann. VI 41 Antheniusias), Stepli. Byz. ('Av&efiovg) erwähnt. Die Jlünzen derselben») tragen ent- weder das Ethnikon 'Av&snovaiwv oder den Nominativ des Stadtnamens 'Av&sfiQvaia. Als Landschaft wird Anthemusia erwähnt von Strabo (XVI 747/8 zweimal als 'Av&sfiovaia) , Cassius Dio (LXVIII 21 'Jv&e- ^lovaia), Ptolemaios (V 18, 4 'Av&sftovaia), Eutropius (A^lII 3 Anthemusia, danach Sextus Eufus Festus c. 20 Antliemusia, und hist miscell. X, 3 Anthemusium), Ammianus Älarcellinus (XIV 8. 3 Anthemusia) und endlicli in der Inschrift CIL VI 1377 = Dessau, Inscript. selectae 10U8 im Zu- sammenhange mit dem Partherkriege des Marcus und Verus.

Für die Landschaft Anthemusia-) vgl. Rn-TEK Abt. XI, S. 285, Sachau Reisewerk. S. 181 4, Feänkbl bei P. W. I, Sp. 2370. Ilire Identi- fikation ist damit gegeben, dass von Ammianus 1. c. Batnai als ihr Haupt ort angegeben wird; also ist es die Landschaft (Oase) Serag, die in alter Zeit den Namen Anthemusia fülirte, und dazu passt der Sinn des Namens Anthemusia, „Land der Blüte" vortrefflich, da diese Gegend auch heute noch durcli ihre Fruchtbarkeit berühmt ist (vgl. S. 457 Anm. 6). In etwas weiterem Sinne fasst die Landschaft Strabo auf, indem er sie westlich bis an den Euplirat und östlich bis an den Cliaborras sich er-

Auschluss an Assemaxi, bibl. or. II: dissertatio de Syris monophysitis cap. 9 s. v. und I, S. 284/5; über Geschichte und Bedeutung der Stadt Batnai-6'cr»^ siehe Rittee, Abt. X 1118 f. 1132. 1140, Abt. XI 280. 282. 284. 286,91; sie wird auch von Otter I S. 110 Anm. 117 und S. 109 als Siiroudge erwähnt. Über den Bischofssitz in Batnui-Serüg vgl. AssEMÄNi II c. 9 s. V. Sarug.

1) Man findet sie bei Pellekin, Melanges de medailles I, S. 346, Taf. 24, 7 und II, S. 142, EcKHEL, Doctrina numorum EU S. 506, (bei welchen beiden auf die älteren Autoren Ligorius, Holstenics, Harduin und Maffee verwiesen wird), Sestixi, lettere II S. 159, VI S. 10, lettere di conUmmzione I, S. 63—67, mus. Hederoar. III, 8. 123 nr. 1 Tafel ^, 3, Mionnet, description V S. 592, Suppl. VIII S. 389,90, vgl. auch Head, Historia mmornm S. 688. (Die von I.eake, numismata Hellenica, Suppl. S. 16 an Anthemusias gegebene Münze ist vielmehr von Anemurion in Kililiien , vgl. Hill im Katalog des British Museum Lycaonia, Isauria and Cilieia, S. XLI Anm. 1). Da die Mehrzahl derselben unter Autoninus (Caracalla) geschlagen ist, liegt die Vermutung nahe, dass dieser bei seinem Orieiitfeldzug auch Antheniusias besucht hat.

2) Diese Namensform führt die Landschaft stets, mit Ausnahme der stark ab- geleiteten historia miscella, wo sie Anthemusium heisst.

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454 K. IiC(jlin<i,

streciken lässt.') Ihre Nordgrenze bildet ein ödes, unfruclitbares Gebirge, in welcliem die Strasse von Zeugnia nach Edessa sicli hinzieht."-) Nörd- lich dieser Strasse ist die Landschaft Osrhoeue zu suchen, deren Haupt- stadt Edessa, fi'üher Orrhoe genannt, der Landschaft ihren Namen gab genau wie Antherausias der Landschaft Anthemusia. Mit Genauigkeit lassen sich die Grenzen der Landschaften Osrhoene und Anthemusia natürlich nicht festlegen. ■■)

Grössere Schwierigkeiten bietet die Identifikation der Stadt Anthe- niusias. Die einzige Eutfernungsangabe ist die Isidors, welcher Authe- musias 3 + 5 = 8 schoeni von A^SÄ\\e&-Biregik entfernt sein lässt.-*) Diese Ziffer von etwa 48 km passt nun uugefähi- Genauigkeit ist bei dem hohen Einheitsmass des Isidors (6 km), das er stets in ganzen Zahlen giebt, nicht zu verlangen zu der auf den Karten nachgemesseneu Eiit- fernung zwischen Bh-eyik und Serag, und der Umstand, dass sowohl Serüg "wie Anthemusia(s) auch als Landschaftsname Verwendung finden, spricht ebenfalls uachdi-ücklich für eine Gleichsetziuig beider. Ferner ist auch in der heutigen Oase 6'erüg ausser der gleichnamigeu Stadt kein anderer Ort, der für die Stätte einer antiken grösseren Stadt gehalten \\'erdeu könnte ausser etwa dem Arslantasck^) oder dem Orte Hcigib.

1) Strabo XVI 74S: 7; Siäßuaig (rov Ev(fQclTOv) laziv ai-rotg xurä ri^v 'Ai'd'siiovatcii' und il). 747 nrigl rijv 'Avd'iu.ovaiav 'AßÖQQag {7t0Tau.bg ptf).

2) V. Oppenheim, Zeitschr. d. Ges. f. Erdk. XXXVI, 1901, S. 92.

3) Die naheliegende völlige Gleichsetzung von Anthemusia mit Osrhoene ver- bietet sich durch die oben erwähnte Inschrift CIL VI 1377 ^ Dessau, Inscr. sei. 1098, wo ein ,legfatus) Augg. pr. pr. auxiliür(um) per orientem in Armeniam et Osrhoenam et Anthemiisiam ductorum' vorkommt.

4) Die allgemein in den Handbüchern z. B. Fükbiger II 63-1, Smith, dicfionari/ I 140 , Fränkel bei P. W. 1 2370 verbreitete Angabe , Anthemusias läge 4 schoeni von Edessa entfernt, findet nirgends einen Beleg und scheint auf Missverständnis der Strabostelle (XVI 748) zu beruhen , indem man zu vxfQxsirai rov TTorauov aj^oivovg TtTvaQag als Subjekt 'Av&saovaia annahm; vielmehr ist 'Iigditolig Subjekt. Ein ähn- liches Missverständnis seheint bei Männert, S. 213 vorzuliegen. Ich will diese Strabo- stelle, die zu manchen Erörterungen Anlass giebt, hier kurz besprechen; er sagt: „durch die AVüste der Malier führt der Weg nach Babylon und Seleukeia. Dabei findet der Euphratübergang statt kktk rijv 'Ar9atiovaiav, rÖTtov Tijg Msac^OTafiiag. Vier schoeni vom Flusse entfernt liegt Hierapolis. Nach dem Übergange kommt man durch die "Wüste zur babylonischen Grenze". Strabo hat also einen Weg im Auge, der von Hierapolis aus sich in kürzester Entfernung zum Euphrat wendet und 4 schoeni ist wirklich, wie man sich auf der Karte überzeugen kann, die kürzeste Entfernung zwischen Hierapolis und dem nächsten zum Übergang geeigneten Punkt des Euphrat, und zwar liegt dieser nächste Punkt des Eupliratufers im XO. von Hierapolis bei Oscher'ije , diesen in der Landschaft Anthemusia überschreitet und weiter bis zur gleichnamigen Stadt fuhrt, wo er die gewöhnliche Strasse trifft. Dadurch, dass Anthemusias die erste grössere Stadt nach dem Übergange ist, ist Strabo berechtigt, auch die Übergangsstelle als zur Landschaft Anthemusia gehörig zu bezeichnen, worauf auch TÖ-nog, doppelsinnig für Stadt und Land, deutet. Über die Route vgl. noch S. 475.

5) ji)-ston<asc7j = Löwenhügel, so benannt nach zwei Löwenskulpturen in Basalt;

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Zur hisforischcn Geof/raphio des iiwsopofa mischen ParaUcJoriramms. 450

(iegeii eine Identifikation von Arslanhusch, wie sie mir von Herrn Moiut/, brieflich vorgeschlao'en wnnle, oder von Hägib, welchen Ort mir Herr V. Oppenheim als den derzeit bedentendsten der Oase Serinj bezeichnet, mit der Stadt Anthemusias spricht aber der Umstand, dass ein so starkes Abbieo'en nach Süden einen recht erheblichen Umweg für die von Zeugma nach Karrhai Reisenden bedeuten würde; übrigens macht folgende He- obachtung die Identifikation von Arslantcwch oder Hügib mit Anthemusias völlig unmöglich: isidor sagt geradezu, dass sein Weg, der über Anthe- musias bis Koraia geht, ilaiin nach rechts abbiegt. Diese Eechts- abbieguug führt ihn dann zum Bellch, den er 6 schoeui oberhalb Ichnai (= Ghnez) schon erreicht hat, also etwa beim heutigen Höhiz. Mau über- zeuge sich nunmehr, dass die Strecke Biregik - Ärslantasch (bez. Hägib) -Höhiz eine schnurgerade Linie bildet, bei der von einer Eechtsabbiegung keine Eede sein kann ; folglich kann Ärslantasch oder Hägib nicht Anthe- musias sein und es bleibt für Anthemusias nur das heutige {Eslci-)SerHg übrig. 0

Nun hatten wir aber soeben gesehen, dass schon das alte Batnai notwendig mit dem heutigen Serüg gleichzusetzen ist, woraus folgt, dass Anthemusias und Batnai dieselbe antike Stadt bezeichnen.'-') Diese im ersten Augenblick befremdende Thatsache wird erklärlich, wenn wh- daran denken, dass bei der Ansiedelung makedonischer Veteranen in dieser Gegend auch andere Städte ihren alteinheimischen Namen mit einem griechischen, vorzugsweise mit dem Namen einer Stadt der make- donischen Heimat vertauschen mussten. So wurde das alte Orrhoe in Edessa, Til-Barsip in Zeugma umgetauft, imd auch die später Serrhai. Nikephorion, Zenodotion und Ichnai genannten Städte dürften nur Neu- grüudungen und Neubenennungeu älterer Städte sein.'')

vgl. Kittee X 1119 und XI 280, Chessev I 114; an die Grabstätte des Antoninus (Caracalla) zu denken, wie Ritter XI 280 vorschlägt, verbietet natürlich die Lage des Ortes.

1) Mit dieser bereits von Ritter (X 1118, XI 249) vorgeschlagenen und auch von H. Kiepert (vgl. die Karte von 1858 und sein Lehrbuch S. 156 Anm. 2) vertretenen Gleichsetzimg von Anthemusias mit Serag fallen alle übrigen, so Mannerts, der S. 213 entweder Sclmrmehj (= TschärmeUk), das aber auf der Strasse Zeugma-Edessa liegt, siehe oben S. 447 u. 448, oder Thilatikomum mit Anthemusias gleichsetzen will, welches Thilatikomum aber auf der Strasse Hierapolis- Batnai, 31 m. p. von ersterem, 22 m. p. von letzterem entfernt liegt, vgl. itin. Ant., S. 192, 5—193, 1 Wess. und unten S. 474; ebenso fällt Ciiesxevs Identifikation (11 S. 612), der ebenfalls die , Ruinen von Cliitr- mclik {Tschärmelik) und Narsis', 3 miles vom Euphrat, 30 miles von Samosata. für An- themusias anspricht, denn Anthemusias liegt nicht 3 „miles", sondern nach Isidor 8 schoeni = 48 km = 30 , miles' vom Euphrat entfernt. Auch liegt TschärmeUk nach den Karten nicht 3 miles = 4,8 km, sondern einige 30 km vom nächstgelegenen Punkte des Euphrat entfernt. Chesney kennt augenscheinlich Isidor gar nicht, wie er ihn auch nicht als Beleg für Anthemusias anführt.

2) So auch Müller, Geoyr. Gr. min. I, S. 247 zur Isidorstelle.

3) Für Zenodotion geht dies wohl daraus hervor, dass Plutarch, Crussiis cap. 17, 3

13

45fi K. RßißiiKj,

Dass Autliemusias zu diesen iieu-makedonisclien Städten geliürte, s!ag:t 'J'acilus ') übrigens ausdrücklich. Ebenso nun, "wie der alte Stadtname Edessa, Orrhoe, in der Landschaftsbezeichnung fortlebte, so tauclit der alte, schon für assyrische Zeit vorauszusetzende '^) Name von Anthemusias, Batnai, auch zuerst als Landschaftsname wieder auf, nämlich bei Isidor 1. c. ; als Stadtname finden wir Batnai zuerst bei Cassius Dio wieder, und seitdem verdrängt er Anthemusias als S t a d t n a m e völlig, was möglicher- weise mit dem siegreichen Vordringen der Sassaniden und der damit ver- bundenen Kräftigung des einlieimiscli-orientalisclien Elementes zusammen- hängt. Als Landschaftsname erhielt sich Antliemusia etwas länger, da wir es noch bei Ammian 1. c. finden, welcher überhaupt der letzte ist. der den griechischen Namen nennt.--) Wie später hinwiederum der syrische Name Batnai durch den arabischen Serüy verdrängt wird, ist bereits oben (S. -1:52) besprochen.

Wenden wir uns nunmehr nach Festlegung von Isidors zweiter Station Anthemusias zu seiner Eoute zurück : er gelangt von Anthemusias aus in 3 schoeui zu der Festung Kogaia iv BccTävtj. Tragen wir diese Entfernung auf der Strecke Zeugma - Karrhai von Anthemusias aus ab, so fällt Koraia etwa zwischen Deniz und Kidhüjük, was insofern gut stimmt, als sich dadurch Koraia als Sperrfort des Passes von Kül- hüjilk*) kennzeichnet. Durch den Zusatz kv Bardvy, „im Batnischen''. verbietet es sich ganz von selbst, Koraia mit der Stadt Batnai zu iden- tifizieren, wie Rittee und H. Kiepert 5) thaten, und ein recht unglück- licher Gedanke von Maxneet") war es, Koraia gar mit Karrhai gleich- zusetzen, welches doch von Apaniea Zeugma nicht reichlich 65 km (3 + 5 -|- o ^ 11 schoeni), sondern nach der tab. Peut. 74 m. p. ^ 111 km entfernt lag. Eittee dachte übrigens auch daran, Koraia mit Arslantasch

ausdrücklich sagt ^Zr^voSoziav i-ndlow t1}v tioIiv ol "Eli.)]v t?" , also nannten sie andere anders. Für Serrhai vgl. vmten S. 473 Anm. 3; die auf Chesueys Karte II (da- nach in H. Kieperts Karte von 1858 und in R. Kieperts zu v. Oppenheims Reisewerk) südlich von liäs el 'Ain aufgeführte Ortschaft Madicdona dürfte ebenfalls auf einen antiken Ort makedonischer Gründung hinweisen.

1) Ann. VI 41; der makedonischen Absfamuiung der Bevölkerung in diesen Gegenden gedenkt auch Cassius Dio XL 13, 1.

2) Vgl. unten S. 470 Anm. 3.

3) Abgesehen natürlich von den spiiteren Abschreibern Eutrop, Festus und dem Verfasser der liistoria nüsceila. die den Namen Anthemusias ja nur ihrer Vorlage entnehmen.

4) Vgl. Chesney, Karte II; Ritter, Abt. X lll'J.

5) Ritter, Abt. XI 286, H. Kiepert Karte von 18.58. Anders steht es mit der Stelle bei l'rokop, de acd. II 7: cpQovQiov. o iv EäTVKi? ^v; hier ist ein Kastell in der Stadt Batnai gemeint, da er ja den Stadtnamen B(;rj'«i, nicht den Landschaftsnamen Baxüvri gebraucht.

6) Manneht, S. 204, vgl. auch S. 208, ihm folgend Foriuger II 629, widerlegt von MüLtER, ZU Isidor, S. 246.

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Ztir historischen Geof/raphie des mesopotamischen Parallelogramms. 457

gleichzusetzen, was Mcli-kr mit durclisclilagenden (Tründen abwies,') wenn aucli der Abstand Koraias von Antheniusias mit dem zwisclien Arslantitsch und Serüy etwa übereinstimmt.

^'on Koraia aus verlässt Isidor die bisherijre Kichtung' und wendet sich, wie er ausdi-ücklich sagt , reclits , d. li. Südost wärts , zum Beiich, wo wii" ilm später begleiten werden. Wir verfolgen zunächst in östlicher Richtung- die Strasse weiter über Batnai liinaus-) nach Karrhai (vgl. oben S. 449). Die Einmündung dieser alten Strasse Zeugma-Karrhai in die von Edessa nach Karrhai führende Strasse hat Sachau bemerkt.-') Über die heutige Stadt Jlan-an, das alte Karrhai, vgl. Pococke, S. 161, OiTEK I, S. 111 Anm. 11», Buckingham I S. 162 sqq., CuESNEr I, S. 115, MoLTKE, S. 244, Kiepert, Lehrbuch, S. 156, Sachau, S. 217 223, V. Oppenheim, Zeitschr. der Ges.. f. Erdkunde XXXVI, 1901, S. 83—84. Tiber Hai-rän als Bischofssitz siehe Assemani, Bibl. m: II c. 9 s. v.

Waren dies die beiden Haupt wege, welche von Zeugma aus in öst- licher Richtung nach Edessa bezw. Karrhai fühi-en, so wäre über die Natur des dazwischen liegendenLandes einiges hinzuzufügen. Vorab möchte ich mit Rücksicht auf C"rassus' Partherfeldzug*) bemerken, dass das Euphratthal in der Gegend von Zeugma seiner Nebel wegen berüchtigt ist.=) Das Gebiet von Zeugma bis Karrhai und Edessa ist „das alte Syrerland Sei-üy, eine gesegnete Kornkammer".'') Hier fand Sachau stets bebautes Land, reichliche Quellen, und die Nähe zahlreicher, gut sitmerter Dörfer liess sich walu-nehmen. Frh. v. Oppenheim zählte hier „im Bereich von kaum zwei Tagereisen im Quadrat, über 300 blühende Dörfer". Diese fruchtbaren Gefilde mögen sich nach Saghau

1) Kitter, Abt. XI 280, vgl. X 1119, dagegen MClleb, Geoyi: Gr. min. 1246 zur Isidorstelle ; über Arslantasch siehe S. 454 Anm. 5.

2) Diese Strasse bildete auch die Marschlinie T rai ans auf seinem orientalischen Feldzuge v. J. 115, der die Sicherung Mesopotamiens zum Zwecke hatte: er marschierte wohl von Antiochia nach Zeugma, überschritt hier den Fluss und zog auf der oben besprochenen Strasse Zeugma-Karrhai bis Batnai (Dio LXVIII 23), von wo er, eben- falls auf bekannter Strasse (vgl. unten S. 475), linksum nach Edessa sich wandte (Dio LXVIII 21). Von hier aus setzte er seinen Zug nach Nisibis (Dio LXVIII 23. 2), von da nach Singara (Dio LXVIII 22. 1) fort. Die einzelnen Orte nennt Dio nicht in der Reihenfolge, wie der Kaiser sie betrat, sondern man muss sich die Route aus den ein- zelneu gelegentlichen Xotizen zusammenstellen, wie dies im wesentlichen richtig bereits ScHiLLEK, Geschichte der rümischen Kaiserzeit I 2 S. 558, gethaii hat. der auch An- theniusias richtig mit Serüy gleichsetzt. Mommses, Eöm. Geschichte X, S. 400, deutet die Route nur kurz an.

3) Reisewerk, S. 217, vgl. auch den Plan auf S. 223.

4) Plutarch, Crassiis c. 19.

5) Sachau, Reisewerk, S. 254.

6) Vgl. Sachau, Kebewerk, S. 181; über die Fruchtbarkeit dieser Landstriche vgl. ausser Pococke, S. 163/4, Niebühu II 410—412. Aisswortu II, S. 103, Sachäc, S. 181, 23,-, namentlich Ritter Abt. XI S. 283, der sich auf die Nachrichten der älteren Reisenden beruft, und Fun. v. Oppenheim, Zeitschr. d. Ges. für Erdkunde XXXVI, 1901, S. 92,

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458 K. Tlcißimi.

bis auf die geügTapliisclie Breite der iWk-A-Quelle erstrecken . ^'ou wo an eine weseutlicli andere Bodengestalt die Striche zwischen Euphrat und Beiich ausfülle. (Sachau, Eeisewerk, S. 233) und nur noch die eigent- liche Flussniederung des Beiich eine ähnliche Natur beibehalte (Sachau 1. c. S. 232). Nach Osten dehnt sich dieses gesegnete Land aus bis an die Zuflüsse des Belich und über sie hinaus, nach Westen bis an die parallel dem Euphrat laufenden Gebirgszüge. Der kleine Kaum zwischen diesen Höhenzügen und dem Euphrat selbst bietet für den Anbau wenig Gelegenheit und dient nur als Viehweide.^)

Von Gebirgen ist in Anthemusia und O.srhoeue ausser den eben erwähnten Hügelketten zunächst der Nimrüd Dar zu nennen, ein kleines Gebirge, das sich nach Sacil^us Karte nördlich der Strasse Zeugma-Karrhai und südlich bezw. östlich der Strasse Zeugma - Edessa erhebt, nach H. Kieperts Karte von 1858 nördlich der Strasse von Zeugma nach Edessa sich befindet, das thatsächlich aber siehe E. Kieperts Karte etwa parallel der Strasse Edessa - Karrhai und den Zuflüssen des Behch in nordsüdlicher Eichtung verläuft und das nach Herrn Moritz' brief- licher Jlitteilung von Karrhai aus etwa di-ei Stunden nach Westen zu liegt. Ferner ist zu erwähnen der Köprü-Där , der östlich und nordöst- lich von Edessa sich hinzieht etwa mit dem Garrmisch der KiEPERTSchen Karte von 1858 identisch und schliesslich im reÄ-feZ--Gebii-ge verläuft. Der Köprü-Där ist das nächste von Karrhai aus in nördlicher Eichtung sichtbare Gebii-ge und besteht, nach Herrn Sachau, aus einzelnen Fels- gruppen und Hochplateaus fast ohne Ebenen und charakteristische Unter- schiede. Daher dürfte ein einzelner Punkt wie S i n n a k a , wo nach Plutarch und Strabo, vielleicht uach derselben Quelle,-) Crassus seinen Untergang fand, sich nicht feststellen lassen. Dies Sinnaka scheint nach Plutarch 1. c. eher eine einzelne Hügelgruppe als eine Ortschaft zu sein, wie man das letztere aus Strabo (1. c.) herauslesen könnte.') Es hat

der mir brieflich das westliche Mesopotamien als ein Fruchtland ersten Ranges be- zeichnete. Auf den Namen 'Av&B^i,ovaici = ,Land der Blüte' ist schon oben S. 453 in diesem Sinne aufmerksam gemacht worden. Chesxey I, S. 46 49, auf den sich KiwLiNsos, The si.tth great Oriental monarchy S. 158 note 1 bezieht, beschreibt in- dessen (S. 46) nur die Ufer des Euphrat von Samosata bis Zeugma und (S. 48) von Thapsakos bis zur i}c/7c7j-Münduug als ,fine pasture country".

1) CuESNEV I, S. 48; S.4CHAL-, Reisewcrk, S. 180.

2) Plutarch, Crassus c. 29, Strabo XVI 747; als Quelle beider habe ich Anm. 104 meiner Dissertation Tiraageues vermutet.

3) Strabo folgend nennt Mommsex, Büm. Gesch. III, S. 349, Sinnaka eine Festung; möglicherweise sind beide Auffassungen richtig, d. h. Berg und Festung gleich benannt gewesen. Der von Ptolemaios V 18. 11 genannte Ort Sinna wird, da er dem Zu- sammenhange nach am mons Masius zu suchen ist, schwerlich hiermit in Verbindung zu bringen sein. Ostlich von Karrhai, wie Spieuel, Eran. Altertumskunde 111, S. 109 vermutet, kann Sinnaka nicht gelegen haben, da Crassus auf dem Wege nach Armenien (Dio XL 25 § 5) war, also uach Norden zog.

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Ziir hififorixnhen Geo(/rapJiir (Im inesopotamisclir.n Paralklofjramws. 4.ö((

augeuscheinlich in der östliclien, nacli dem Tekteh zu verlaufenden Fort- setzung des Köp-ü-Där gelegen, da Grassus nach einem Marsche durch Sumpfland, worunter nur die überschwemmten Betten der im Köprü-Dar entspringenden Zuflüsse des Beltch, Nähr el Kut und GuUäb, verstanden werden können (siehe unten S. 464), dorthin gelangte. Der Marsch durcli dieselben stellt, auch abgesehen von dem Umstände, dass der nasse Boden den Zug sehr aufhalten musste, eine nicht unbedeuteiule Verzögerung des "\^'eges gegenüber der geraden Strasse von Karrhai nach Kdessa dar, was ich zur Bestätigung des von Plutarch (G-assrt^ c. 29) über die Ver- räterei des Andromachos Gesagten betone.

Endlich ist noch des eigentlichen Tektek-Gehirgea zu gedenken, von dem ein nordsüdlich verlaufender Ausläufer parallel dem Nimrud-Där, der Strasse Edessa - Karrhai und den Zuflüssen des Belich am östlichen Ufer des Gullab sich hinzieht und dessen ziemlich steiler Abhang nach Herrn Mojiitz etwa zwei Stunden östlich von Karrhai entfernt liegt.

II. Der östliche Teil.

Die Strasse von Edessa über Karrhai nach Niliephorion; der Bel'ich, seine Zuflüsse

und seine Ufer; Isidors Stationen von Koraia bis Niliephorion ; das Binnenland zwischen

Euphrat und Belich.

Nach dieser Betrachtung des nördlichen Teils des Parallelogrammes wenden wir uns zum östlichen, der wiederum am besten im Anschluss an die wichtigste Verkehrsader, die von Edessa südwärts führende Strasse, besprochen ^vird.

Das alte Edessa, ursprünglich Orrlioe und erst bei der Besiedelung durch Makedonier nach der gleichnamigen Stadt in der makedonischen Heimat Edessa genannt, änderte wie die meisten mesopotamischen Städte den Namen in der Seleukidenzeit in Antiochia, mit dem Zusatz inl Kal- Xigöri, nach einer Quelle Kallii-hoe ') zubenannt. Als solche hat sie unter Antiochos IV auch Münzen geschlagen.-) Heute ^ii'd die Stadt Orfn oder Urfa genannt; vgl. über sie Pococke, S. 150—161, Otteb I 109—112 Anm. 16, Niebuhe II, S. 410 die übrige ältere Litteratur siehe bei BiiCKiNG zur notiü'a dignitatuvi I, S. 239 Bückingha.m I capp. IV VI S. 89 ff., AiNswoKTH 11, S. 103, MoLTKE, S. 227—229, 339—342, Smith, Dictimary I 806, Kiepert, Lehrbuch, S. 156, Sachau, Eeisewerk, S. 189—210,

1) Vgl. Plinius, nat. bist. V § 86 ,Edessam, quae quondam Antiochia dicebatur, Callirhoen a foute Dominatam' , wo offenbar der Ablativ Callirhoe herzustellen ist, ,nacb einer Quelle Kallirhoe zubenannf. Vgl. auch Stephanos Byz. s. v. 'Avtiopa 6yS6r] ^ inl rf/s KaUiQQorig Xiavi]g und s. v. "ESteaa Siä rijv räv väuToiv qvin]v ovtio xXrjfl'frcfi:. Vgl. über diese Quelle auch BucKrxoHAM I S. 109.

2) Sie tragen die Aufschrift ANTlOXT.ilN TSIN EUI KAAAIPOHI; vgl. Eckukl, (loctr. num. 111 S. 305, Mionnet, Desciipt. V 8. 37 nr. 326 ff., Suppl. VIII S 30 ur. 1.57, Head, Historia tiumorum S. 689.

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460 K. BegUnf),

Wright, Chronide of Joshua 8tijUf.es S. 1 Auni. '". bei dem mau aucli eine Karte von Edessa und Umgegend findet; über Edessa als Bischofs- sitz vgl. AssEMANi, Bibl. Orient. IT cap. 9 s. V.

Von Edessa führt nach den Karten eine Eoute in wesentlich südlicher E i c h t u n g über Karrhai und dann am Bellch entlang nach Nikephorion-Kallinikon, heute Eakka genannt, welchen Weg Sachau in seiner ganzen Ausdehnung bereiste, wähi-end fiiiher Reisende v.i.e Otter, NiEBUHR, AiNswoRTH, BucKiNGHAM, MoLTKE ^) lu dlcser Elchtung nicht vor- gedrangen sind.'-) Nach Sachau hat Moritz vgl. die Einzeichnung seiner Eoute auf E. Kieperts Karte die ganze Sti-ecke, Frh. v. Oppenheim--) einen Teil nämlich von Ra^ el ^Ain el Chal'il (der Quelle des Beiich) über Han-än nach Urfa bereist.

Von alten Quellen nennt Prokop, de aed. II 7, die di'ei Städte Edessa, Karrhai und Nikephorion in dieser Eeihenfolge, hat also offenbar eine Route wie die zu besprechende im Auge. Der erste Teil derselben, die Strecke von Edessa nach Karrhai, ist im Altertum eine viel begangene Wegstrecke gewesen. So zog Antoninus (Caracalla) auf ihi- von Edessa nach Karrhai,'') so marschierte auch C'hosroes I im Jahi-e 540 auf seinem Zuge nach Konstantine.^) Von den Itinerarien giebt die tahida Peu- tingerana einen Weg von Edessa nach Karrhai, der dann aber nicht nach Süden , sondern nach Osten zum ,.fons Scabore" , d. h. zur Quelle des Chaborras, sich fortsetzt.'') Älisst man auf den modernen Karten nach, so ergiebt sich, dass die Entfernungsangabe der tabula von Edessa nach Karrhai 39 m. p. aufs genaueste stimmt. Auch Niebuhrs Angabe, Karrhai läge von Edessa zwei Tagereisen nach Süd-Südost, stimmt, während Abulfeda") nur einen Tagemarsch von Harran hh Roha (= C7?-/a-Edessa) angiebt.

Karrhai wird gelegentlich des Perserfeldzuges Julians als Knoten- punkt zweier grosser, von hier ins Innere führender Strassen bezeichnet,

1) Vgl. Ritter XI, S. 291.

2) Eine Gruppe der CHESNEY-Expeditioii, bestehend aus Lynch, Edex und Ainsworth, zog von Samosata über Edessa und von hier nach Karrhai , bog dann aber westlich über Scrüg nach Siregik ab. Vgl. Chesxey, General Statement of the labours etc. im Journal of the London geographical society VII 1837 S. 422 und Chesneys Karte II. Auch Haossknecht hat die Strecke Edessa-Karrhai bereist, vgl. Vorhericht S. 3 und Karte I.

3) Vgl. Zeitschr. d. Ges. f. Erdkunde XXXVI, 1901, S. 83,4 nebst der Karte.

4) Vgl. in den scri2]tores historiae Augustae die vita Antonini Caracallae cap. 6; Herodian IV 13; Dio LXXVIII 5 g 4 (Xiphilinos S. 719 Boissevai.n, Zonaras XII 12

S. 113 DiSDORp).

5) Über seinen Feldzug siehe unten S. 475.

C) Der geogr. J?(rt'. hat Edessa hinter Thatama (= Thalama tabula) ausgelassen (II c. 13 S. 80, 5 und 6), bietet also nur .Chara' (= Karrliai) bis „fons Cavorae". vgl. S. 449 Aum. 2; das itin. Ant. gewährt keine Ausbeute.

7) Übersetzt von Rei.n-aüb II, S. 50.

18

Zur hiMorisclicn Gcorjraphie des »icsopofamischen Parallelogramms. 401

deren si'ulliclie, also die Fortsetzung der soeben beliandelten Strasse Edessa- Karrliai, der Kaiser selbst wählte.') Dieser Weg führte ihn von Karr- hai aus, vermutlich an den Quellbächen des Belu-h entlang, im Laufe des- selben Tages nach Davana, ,.unde ortus Bellas flumen funditur in Euphratem".-) Diese Angabe Amniians, dass bei dem auch von Prokoi)--) als Dabanai unter den Kastellen Mesopotamiens aufgeführten und in der notitia dH)niiatum, or. XXXV 17 als Garnison einer Reitertruppe ge- nannten Orte Dabana der Bellas (Balissos, Beiich) entspringe, wird be- stätigt dui-ch die arabischen Geogi*aphen: Ibn Chordädbeh und ebenso Ibn Eosteh bemerken, dass der Beiich bei Dahbrma entspringe.*) Das- selbe ergiebt sich auch aus Abulfeda, welcher den „Nähr al Balyhh- bei

1) Der Feldzug Julians wird geschildert von Zosimos III 12 und Ammianus Mar- cellinus XXIII c. 2 und 3. Beide folgen, wie schon bei blossem Durchlesen sich er- giebt, derselben Quelle, und zwar dem Magnos von Karrhai, der den Feldzug selbst mitmachte. Sein Werk ist verloren , doch existiert für unsere Partie ein kurzer Aus- zug des Malalas, zu finden bei Müller, Frg. bist. Graec. IV 4. Der Kaiser kam von Antiochia über Hierapolis nach Batnai (über diese Route siehe unten S. 471 u. 474). Von hier hätten ihn nach Zosimos die Edessener in ihre Stadt gerufen: di (lovXiavbs) ßjtodflauti'Off v.cd imarag ry TiöXst xccl oaa i'äti ^Qr^uccriaag iirl Käooag ^ßadi^s.' Dies kann nur bedeuten, dass Julian nach Zosimos wirklich von Batnai aus, anstatt geraden Weges nach Karrhai zu marschieren, einen Abstecher nach Edessa ge- macht habe. Doch der Umstand, dass ihm, dem Apostata, der Besuch einer durchaus christlichen Stadt nur Uniinnehmlichkeiten bringen konnte vgl. Sozomenos VI 1 bei MiGXE, Patrol. Gr. 57, 1288 und der Mangel jeglichen politischen oder strategischen Grundes für diese Diversion , endlich das völlige Stillschweigen Ammians und die gegenteilige Angabe des Sozomenos lassen die Angabe des Zosimos über den Marsch nach Edessa als einen Irrtum oder ein Missverständnis des Schriftstellers erscheinen; vgl. Sievers, Studien zur Geschichte der rüm. Kaiser S. 243. Julian wird sich viel- mehr auf dem uns bekannten Wege (oben S. 449) von Batnai aus direkt nach Karrhai begeben haben. Von hier führten, wie Magnos von Karrhai, Ammian und Zosimos 11. cc. berichten, zwei grosse Strassen ins Innere, die eine nach links über Nisibis zum Tigris und von da nach Adiabene, die andere rechts zum Euphrat und von da über Kirkesion nach Assyrien. Ammian drückt sich hier ungenau so aus, dass er das zu erreichende Land dem Flusse voranstellt: ,inde (i. e. Carrhis) duae ducentes Persidem viae regiae distinguuntur, laeva per Adiabenam et Tigridem, destra per Assyrios et Euphratem", dagegen korrekt Zosimos: dvoiv roivvv ivtiv&tv böoiv TiQOxeiufvaiv t)}s ^liv äia toC norajiov TiyQrirog xal xöXncog Niaißiog Tcäg Aöia- ßr,viig aatQu-xsiaig iußaXXovßVig, t()s äh äiü tov EvcpQdrov -/.al tov KiQ-xriaLov. Da- durch, dass SiEVEKs 1. c. die Stelle des Ammian wörtlich übersetzt in seine Darstellung aufnimmt („der linke führte über Adiabene und den Tigris, der rechte über Assyrien und den Euphrat"), wird dieselbe schief. Zu Ammians Ausdruck viae regiae könnte man notieren, dass nach Sachau, S. 188 dieser Ausdruck ,die königliche Hochstrasse" heute an der Strasse Zeugma-Edessa haftet. Von den beiden Wegen wählte Julian den rechten, südlichen, suchte aber durch Entsendung eines fliegenden Corps nach Osten den Anschein zu erwecken, als zöge er zum Tigris.

2) Ammian XXIII 3. 7.

3) De aedif. II 4; doch ist die Beziehung auf unser Dabana nicht sicher.

4) Vgl. Bibliotheca geographorum ed. de Goeje Bd. VI S. 17.5 (S. 136 der franzö- sischen Übersetzung) und Bd. VII S. 90.

Beitrüge z. alten Geschichte 13. 30

19

462 K. Begling,

einem Orte ..al Daliabänya" auf dem Gebiete von Han-än entspringen lässt.') Von Josua Stylites^) Anrd Dahbana als der Ort erwähnt, wo der Perserkönig Kavades nach dem Abzüge von Edessa sein Lager aufschlug, im Jahre 502 8 n. Chr. In neuerer Zeit scheint dieser Xame des Ortes verschollen zu sein, nur bei Otter habe ich eine Quelle „Duhebam'e" er- wähnt gefunden, die vielleicht hiermit zusammenzubringen ist. 3)

Der Fluss Beiich selbst heisst in Keilinschriften Balfhu*) jetzt Bellch und ähnlich;*) bei Isidor wii'd er BiXvjya oder Bäiuxa, bei Plu- tarch Bci/uaoog, bei Ammianus Belias genannt.") Auch Strabos Bezeich- nung BctaiXEiog noTctfiog dürfte mit Mi^llee und Fkänkel in Baliaeiog oder ähnlich zu ändern imd auf den Beiich zu beziehen sein.')

Durch diese allseitige Sicherstellung vou Dabaua als Ort an der (Quelle des Bellch wird auch Klarheit in das Gewirr von Flussläufen ge- bracht, welches Eittek Abt. X S. 1124 vergeblich zu lösen versuchte, während er Abt. XI S. 251 schon richtiger darüber xu-teüt. Der Haupt- strom, der Beiich, entspringt nämlich aus zwei Quellen, der nördlichen ^Äin Holöla und der grösseren südlichen 'Ain ChaVü o- Rakmän, der Abra- hamsquelle, auch Eäs el 'Ain el Chalü genannt. Diese letztere gilt vor- zugsweise als Quelle des Beiich und an ihr haben T\ir also Dabana zu suchen, wozu es stimmt, dass wii* für 'Ain Solöla einen anderen Ort er- mitteln werden, nämlich Isidors Mannuorrha Aureth. An der Abrahams- quelle fand Moritz, wie er mii- brieflich mitteilte, Euiuen, die er mit Dabaua zu identifizieren geneigt war, und v; Oppexheim hat hier recht bedeutende Anlagen, z. B. die Reste eines römischen Bades und einer Wasserleitung gefunden.^) Beide Quellgebiete, \\\e sie mii- Herr Moritz schildert, bilden grosse Teiche mit zum Teil sumpfigen Ufern und sind getrennt durch breite Hügelwellen. Von diesen beiden Quellen aus fliesst der Beiich in südöstlicher Eichtung und als perennierendes Gewässer dem

1) Abulfeda übersetzt von Eeixaud, Paris IS'IS, S. 66; vgl. Cdesney I, S. 48 mit Arnn. 3, der eine englische Übersetzung von Rassam zitiert, und Ritter Abt. XI, S. 2-52.

2) C. LXI, S 53 der WiaouTschcn Ausgabe.

3) Otter Bd. I, .S. 106. Mannert S. 285 identifizierte Dabana mit Isidors Alagma, aber Dabana als an der Quelle des BeÜch liegt von Nikepboriou etwa 80 km, Alagma nach Isidor 8 scboeui = ca. 48 km von Nikephorion entfernt.

4) KB. I, S. 133, 171; Amiacd-Scheil, Les inscriptions de Salmanassar II, S. 37, .39.

5) Otter I 106, Ches.vev I 48, Forbiger II 627—628, Ritter XI 250—253, Sachait, S. 230ff. und die Handbücher; die verschiedenen modernen Namensformen bei Müller, Gcngr. Gr. min. I, S. 246—247 zur Isidorstelle.

6) Isidor bei Miller 1. c., Plufarch, Orassiis c. 23. Ammianus Marc. XXIII 3. 7.

7) Strabo XVI 747, dazu Müller zur Isidorstelle und Fkäxkel bei Pacly-AVissowa II Sp. 2828: Chesset identifiziert Strabos „Basilius" irrtümlich mit dem bei Karrhai vorbeifliesseuden Bache, dem Giclläb, und verlegt hierher die Sehlacht zwischen Crassus und den Parthern (Bd. II S. 115). An anderer Stelle (II S. 410) nennt er ihn Balesius.

8) Zeitschr. d. Ges. f. Erdkunde XXXVI, 1901, S. 83. Über die beiden Quellen des BeUch vgl. auch Sacuau, S. 229—230.

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Zur liiatorisclmn Gßographie des mesopntainischcn PardJJolnijraninnt. 4ß3

Eiiplirat zu. Zwischen beiden Quellen \Yird sein Lauf durch Aufuiilnne eines Nebenflüsscliens verstärkt, das sich seinerseits aus zwei Quell- b ii (• li e n zusanunensetzt, die in der östli(;hen Fortsetzung des Kirprä-Där (nacli dem 2 e/ife/,>G ebirge zu) entspringen, dem GuUab und dem w^eiter westlichen Nah- d Kut.') Der Giillab oder Gallab strömt von seinem l'rsprung aus in südlicher Eichtung, umtliesst die Stadt Harr cm im Osten ^) und sclilängelt sich dann neben der Strasse Edessa-Karrhai lier; doch ist sein Lauf im einzelnen ziemlich unbekannt.'^) ^^'enn nach diesem wichtigen Zufluss auch der Belich selbst zuweilen Gullab genannt wird,^) so hat dies nichts Auffallendes,*) ist jedoch für Ritter (X 1124) der (4rund zur Verwirrung gewesen: er identifiziert mit Golius beide Flüsse vi'dlig , erklärt den bei Karrhai fliessenden Bach Gullab für den Ber/ch'') und verwirft Ammians Nachricht, dass der Belich bei Dabana entspringe. Dieser Gullab ist offenbar der von Stephanos Byz. s. v. Kcigoca genannte Bach Käggn, nach der Stadt Karrhai, die er umfliesst, so benaunt.

Der andere Zufluss des Belich ist der jS'ahr el Kut, welcher ^■on anderen Daisan '•) oder Kara Koyün *>) genannt wird. Er wird von al Mas'üdi erwälint,") der ihn bei Edessa vorbeifliessen und hernach in den Belich sich ergiessen lässt. Im Altertum führte er den Namen Skirtos.'") Er entspringt auf demselben Höhenzuge wie der Gullob etwas westlich \o\\ diesem, nimmt rechts einen kleinen Stadtbach von Edessa her auf und läuft ebenfalls parallel der Strasse Edessa-Karrhai,

1) Vgl. Saciials und K. Kieperts Karte und Wrigut zu Josua Styl., S. 49 Anm *. Der Gullilb wird von Ritter XI 251 wo noch andere Xamensformen erwähnt werden hesprochen, auch schon bei BucKixGnAM I, S. 233 erwähnt.

2) Sach.\u, S. 222 und Wr:ght 1. c.

3) Sachaü, S. 227.

4) Vgl. Sachaü, S. 285 Anm. 1.

5) Als Analogie für dergleichen Vorwoclislungen von Haupt- und Ncbcnfluss er- innere ich an Herodot IV 44 mit Steins Anmerkung.

6) Diesem Irrtume, den übrigens schon Otter I, S. 100 begeht, kann sich Kitter auch im elften Teil (S. 252) noch nicht entziehen, indem er aucli hier von einem BelicJi spricht, der sich bis Harrän verfolgen Hesse.

7) Z. B. von Ritter XI, S. 251/2, Forbiger in Pai-lys Ecnkiici/Jd. VI 1, .S. 1S70, AiNswor.TH II, S. 105, Blckisgua.m I, S. 155 Anm.

8) Vgl. Wrigut, Clironicle of Joshua Styl, S. 18 Anm. X, siehe auch S. 41 Anm. ".

9) Hibl. (jeogr. ed. de Goeje VIII S. 130.

10) Prokop , de aed. 117; die Identifikation des Nähr rJ Kut-Duimn mit dem Skirtos schon bei H. Kiepert, Karte von 1858 und Lehrbuch, S. 155. Vom Skirtos behauptet Forbiger {Geographie II 627 Anm. 34 und bei Paülv 1. c), dass er ein Teil des Chaborras sei, mit Unrecht, denn er tliesst ja an Edessa vorbei. Forbiger wollte ferner (II 6.30) den Kvqo? mit dem Skirtos gleichsetzen , den Steph. Byz. s. v. Böyxat, 'SlßccQrjvoi, 'ÄTTjj'jj aus Asiuius Quadratus zitiert und den er dem Euphrat parallel laufen lässt. Doch geht aus Stephanos' Worten deutlich hervor, da.ss es sich um einen armenischen, nicht um einen osrhoeuischen Fluss handelt.

30* 21

464 K. FiCfflma,

und zwar zuerst links, dann rechts von ihr. Er unifliesst Karrhai im '\\'esten und vereinigt sich unmittelbar hinter der Stadt mit dem Gullab. mit dem zusammen er sich zwischen ^Ain Solöla und der Abrahamsiiuelle in den Beiich ergiesst.^) Beide Zuliüsse sind, wie mir Herr Mokitz mit- teilt, in der heissen Jalu-eszeit fast wasserlos, da sie vollkommen aus- trocknen oder zur Bewässerung aufgebraucht werden; zu Beginn des Frühlings indessen führen sie dies nach Herrn Sachaus Schüdernng soviel A\"asser, dass sie leicht über ihre Ufer treten, wie denn Prokop eine verheerende Überschwemmung des Skirtos erwähnt und Crassus auf seiner Flucht von Karrhai ins Gebii-ge durch 'sli] ßa&ia und ;(wgia TttcfQuv fieard geführt wii'd, worunter die überschwemmten Ufergebiete beider Bäche zu verstehen sind.-)

Das Gelände, welches diese Bäche sowie die Strasse von Edessa nach Karrhai bis zur Niederung von 'Ain Solöla durchschneiden, ist die Ebene von Edessa, „ein i-otbrauner, fetter Humus", für ^^'eizenbau sehr geeignet, mit Dörfern übersät : an AA'asser und Brunnen ist kein Mangel.-*) Das Thal des Beltch. in welches man nach dem Verlassen der Niederung von ^Äi'n Solöla eintritt, ist nach Herrn Sachau meist nur 1 2 km breit, erweitert sich aber zuweilen zu 2 3 Stunden Breite (Sachau Eeisewerk S. 232). Überschreitbar soll es nach Sachau (EeiseAverk S. 237) des weichen und siuupligen Bodens wegen nicht .sein, wähi-end Herr Moritz mii" schrieb, dass er es selbst tiberschritten habe und auch im allgemeinen für- wohl überschi-eitbar hält. Das Ufergebiet ist ein fruchtbares Marsch- land mit aiLsgebildetem Bewässenmgssystem und reichem Äckerbau. Viele Teiche, welche unweit des eigentlichen Flussbettes sich finden, erschweren den Weg für den Eeiter oft und nötigen zu Umwegen.*) Ein kleiner rechter Nebenbach des Beiich, der Bach von Teil Haja, begleitet die Strasse längere Zeit, bis er sich nach einer Ostwenduug in den Beiich ergiesst.^) AVenige Meilen nördlich des 36. Breitengrades bemerkt man im Belic]i-T\m\^ die Beste eines anscheinend für Bewässerungszwecke her- gestellten antiken Dammes.'') Auf der Strasse südwärts reitend, hat man links die Aussicht auf das Wiesenterrain des ßeZ«c7i-Thales , rechts aber erbUckt man nm- die weUigen Höhen einer Marienglaswüste, M^elche bald hinter der Niederung von ^At'n Solöla beginnend die Ufer des Beiich bis zur Einmündung desselben in den Euphrat begleitet (vgl. Sachau, S. 230 233). Über die Tempera t u r des i?e/icÄthales schreibt um- Herr Moritz, dass

1) Der Lauf beschrieben nach Sachad, S. 216, S. 222, S. 227 Zeile 23 25.

2) Prokop, de aed. U 7, Plutarch Crassus c. 29, vgl. Aisswortb II, S. 105, Sachau, S. 216.

3) Sachad, Reisewerk, S. 215.

4) Sachaü, S. 238, auch durch mündliche Mitteilung bestätigt.

5) Sachad, S. 231—232, 234.

6) V. Oppexheim, Vom Mittelmeer zum persischen Golf II, S. 4.

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Zur historischen GcograpMc des mesopotamisclien Parallelogramms. 465

er zwischen den beiden Quellen marschierend am 21. Juli 188") früh 4 Uhr 21« Celsius, um 10 Uhr im Zelt 36« Celsius, um 12 Uhr in der Luft 2 m über dem Erdboden 44 <> Celsius gemessen habe.')

Aon der .ße/k-Ä-Quelle bei Dabana gelangte der Kaiser Julian, dessen Eoute wir nun -nieder aufnehmen, in angeblich einem Tage- marsche-) nach Nikephorion, dem heutigen Rakha, ohne dass uns auf dieser Strecke Zwischenstationen genannt würden.

Für diese Zwischenstationen tritt nun ergänzend Isidors Itinerar ein. \\\Y verliessen ihn (oben S. 457), als er bei dem Orte Koraia, welcher kurz vor dem heutigen Kiükiljük gelegen haben muss, von der Strasse Zeugma-Karrhai rechts (südöstlich) abbog, während wir dieselbe östlich bis Karrhai verfolgten. Nehmen wir jetzt seine Eoute wieder auf.

Er nennt folgende mansiones:

schoeui km (ca.)

Koraia

]\Iannuorrha Aureth

Konimisimbela

Alagma

Tchnai

Nikephorion

Für die Ansetzung der ersten mansio nach Koi-aia, Mannuorrlia Aureth, fehlt uns zunächst der Anhaltspunkt, da wir nicht ^\•issen, unter welchem Winkel die Kechtsabbiegung von der bisherigen Strasse erfolgt. Eben- sowenig bieten die Angaben, dass bei Mannuorrha Aureth eine Quelle sei oder dass Kommisimliela am Belich läge, gleich eine Anknüpfung. Und da über Alagma überhaupt nichts zur Identifikation Geeignetes ausgesagt wird, so sind wir allein auf Ichnai angCAviesen. Ichnai nun lässt sich mit Sicherheit feststellen, da der, wie mir Herr Moritz mitteüt, ganz nn- arabische Name Chnez, den eine am Belich unAveit nördlich des Einflusses eines (Jhnezebmdi genannten Baches gelegene Ortschaft trägt, deutlich den griechischen Namen Ichnai verrät-') und Herr Moritz laut brieflicher

5

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4

24

3

18

3

18

5

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1) Chesney I, S. 106 107 giebt als maximum der Temperatur in Osrhoene 110° Fahrenheit = 43" Celsius an ; Herr Sachaü erklärte mir auf Befragen , dass schon im Mai dort die Hitze unerträglich werden könne.

2) Ammian XXIII 3. 7; diese Angabe kann unmöglich richtig sein, da die Weg- strecke von Dabaua bis Nikephorion ca. 80 km beträgt und also selbst bei Zugrunde- legung der hohen Schätzung Prokops {de hell. Vand. I 10: ein Tagemarsch = 210 Stadien = 37,8 km) mehr denn 2 Tagereisen ausmacht, wie sich auch aus Sacuaus Itinerar ergiebt: 14. Dezember Mittags an der J5cZ7c/j-Quelle (S. 230), 16. Dezember Nachmittags in Nikephorion (S. 240 des Eeisewerks).

3) Die Identifikation anscheinend zuerst von H. Kiepert (Karte von 1858: Ichnai = ,Choncis^) aufgestellt, von Moritz (Karte zu seinem Aufsatz Z«r Topographie der Fahnyrene: Ichnai = „C7j««c') befestigt. Allerdings stimmt Isidors Eutfernungsangabe

23

4ß6 K. Paylwfj,

Mitteilung- dort auch einen langgestreckten (1 km laugen) Euineulü'igel fand. Von diesem gesicherten Punkte Iclmai-CÄngz nun tragen vdr der Entfernung Isidors gemäss Kommisimbela ein, von dem der Autor erklärt, dass es am Beiich läge, wobei es etwa mit dem heutigen Höhiz zusammenfällt, und zeichnen zwischen Ichnai und Kommisimbela, 3 schoeni von jedem entfernt, auch Alagma ein. AVenu wii- uns nun nach Mannu- orrha Aureth umsehen, wo der Autor eine Quelle erwähnt, von der die Eingeborenen ihr Trinkwasser nehmen, so finden wir, dass 4 schoeni von Hö/u'z entfernt die nördlichere Quelle des Behcli. die 'Ain Solüla ge- nannt wird, liegt, mit der wir- also den Ort Mannuorrha ohne weiteres gleichsetzen können.^) Von Koraia (kurz vor Külhujak) liegt 'Ain SoMa allerdings nicht, wie Isidor angiebt, 5 schoeni, sondern etwa 8(5 km = ti schoeni entfernt, doch ist dies wohl, wie oben S. 454 bei ähnlicher Gelegenheit bemerkt, auf die durch die Grösse des Einheitsmasses ent- stehende Ungenauigkeit zu schieben und kaum eiueni Fehler des Autors oder der Haudschi-iften zur- Last zu legen.

Die Route Isidors biegt also bei Koraia, dem Passe von Külhüjük, rechts (südöstlich) von der grossen Strasse Zeugma-Karrhai ab und ge- langt ohne Z^vischenstation zur Quelle 'Ain -s'o&Zrt - Mannuorrha Aureth; dann führt sie am BeUch entlang' bis Kommisimbela- //öä «'s, welches aus- drücklich als am Bellch liegend bezeichnet wird.'-) Es folgt nach 3 schoeni Alagma^) (mit einem heutigen benannten Platze nicht ideutifizierbar) und abermals nach 3 schoeni Ichnai. Diese Stadt, bei Isidor 1. c, Steph.

5 schoeni nicht, es sind vielmehr nach den Karten von CJims nach Ecdhi oa. 37 km = reichlich 6 schoeni (nach Moritz 6' i Marschstunden laut gefälliger brieflicher Mit- teilung^.

1) Als Identifikation von Mannuorrha Aureth brachte Maxxert, S. 204 Edessa in Vorschlag, was weder den Zahlen nach stimmt Edessa liegt von Koraia-Kulhüjük ca. 35 km, von Karrhai aber, das Maxxert für Koraia nahm (S. 204, vgl. auch S. 208) ca. 40 km entfernt noch vor allem der Richtung nach: Edessa liegt nicht rechts di'r Strasse Zeugma-Koraia , sondern links. Über die von Ma.nnert vorgeschlagene Etymologie von Mannuorrha (im ersten Teile verberge sich Mannus, ein bekannter Königsname in Edessa, im zweiten Orrha ^ Orrhoe , alter Name von Edessa) vgl. V. GuTscHMiD, Geschichte Irans, S. 56 Anm. 3; zur ganzen Frage der Ausetzung von Mannuorrha Müllers Anmerkungen zu Isidor. H. Kiepert setzte auf seiner Karte von 1858 Mannuorrha an der Quelle des Karamüch. eines Zuflüsschens des Bclich, bei einem Orte Hejabeiidi an: dies ist deshalb nicht mehr angängig, weil die Quelle des Karamüch heute viel weiter nördlich , nämlich bei Sls el 'Ain nordwestlich von Ars- Tantasch gesetzt wird. Übrigens kommt auch H. Kiepert mit der Angabe der 5 schoeni des Isidor nicht aus, wie man sich durch Nachmessung auf seiner Karte überzeugen kann. Die oben vorgeschlagene Gleichsetzung von Mannuorrha Aureth mit 'Ain Solöla ahnte schon Ritter, X 1120.

2) Dass Isidor die südlichere Be?7c7i - Quelle Rds el -Ain el CltaTil mit Dabana nicht erwähnt, ist erklärlich, da sein Reiseplan ja eben erst an der nördlicheren Quelle eine mausio angesetzt hat.

3) Über M.ixxERTs Gleichsetzuug Alagma = Dabana siehe oben S. 462 Anm. 3.

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Zur historiscJien Geographie des lucsopofamischcn Vamllcloyramms. 4()7

l!yz. und riutarch Grassus c. 25, 11 l/.vi«, bei Cassius Dio 40, 12. 2 'l/^cu genannt, war nach der gleiclinamigen makedonisclieu ') Stadt, welche bei Herodot VlI 123, Steph. Byz. s. v. und auf Münzen vorkommt, benannt worden. \\"\v haben sie bereits soeben S. 465 f. auf Grund des Naniens- anklangs mit dem heutigen Chncz identifiziert und aucli dort Anm. :/. bemerkt, ilass die Entfernung zwischen Ichnai und Nikephorion nicht 5 schoeni, wie Isidor angiebt, sondern etwa 6 schoeni beträgt.

Von der 5e/<cA-Quelle an verfolgt also Isidor denselben Weg, den, wie wir sahen (S. 4(35), Julian gezogen ist und den in neuerer Zeit Sachau und MuKiTz bereist haben.'-) Im Ganzen betrachtet stellt seine Koute eine Abkürzung des Weges von Zeugma nach Nikephorion dar, der gewöhnlicli mit dem Umweg über Karrhai oder Edessa genommen wurde.

Auf der letzten Wegstrecke, zwischen Karrhai und Nikepliorion, wird auch die nur aus dem Crassusfeklzuge bekannte Stadt Zeuodotion •') zu suchen sein, die im Zusammenhange mit Ichnai und Nikephorion erwähnt wird und die Steph. Byz. s. v. TiXrjaiov iStx)](fOQiov ansetzt. Auf der- selben Strecke, .,inter C'allinicum Carrasque", fand nach Eutropius (IX c. 24) auch die Schlacht statt, die Galerius Maxim iauus auf seinem ersten Perserzuge gegen Narses verlor.

Die Endstation Nikephorion, eine in der Diadochenzeit gegründete oder doch neubesiedelte, später KallinikonO genannte Stadt ,*) ist das heutige Ral-ka.«) Die Stadt liegt, nach Herrn Sachau, nicht dii-ekt am

1) Eine thcssalische Stadt diesos Namcus erwähnt Strabo V, S. 435.

2) Dieser Weg ist von SACH.iu und Moritz auf dem rechten (westlichen) Ufer des Bclich zurückgelegt worden, und so wohl auch im Altertuin. Zwar giebt es nach Sachau S. 240 auch einen auf dem linken, östlichen Ufer entlangfuhrenden Weg, doch dürfte dieser bei einer Reise von Westen her nach dem am Westufer gelegenen Nikephorion nicht in Frage kommen, da dazu eine zweimalige Überschreitung des Bellch notwendig wäre, welche mindestens zeitraubend ist (vgl. oben S. 464 und Sacuau S. 237) und von der auch Isidor gänzlich schweigt.

3) Cassius Dio 40, 13. 2 und Steph. Byz. s. v. (aus Arrians Parthika) Zr,vod6Ttov, Plutarch, Crassus 17, 3 Zrivoäoria.

4) Z.B. Callinicum in der notitia düjn., or. XXXV 16: Kcdhriy.i^ heisst sie bei Hierokles S. 714 Wess.

5) Vgl. Ritter, Abt. X, S. 1125 if., Müller zu Isidor S. 247, Kiepert, Lehrbuch S. 154 u. 155. Über Nikephorion-Kallinikon als Eutrepot des Grenzhandels vgl. noch MoMMSEN, Eöm. Gesch. V S. 424 m. Anm. 1; über Nikephorion-Kallinikon als Bischofs- sitz siehe Assemani, Bibl. Or. II c. 9 s. v. Die Stadt wurde im Partherkriege des Marcus und Verus von den Römern erobert, vgl. Fronto, Epistula ad Ver. 2, 1 S. 121 Nabeu, wo der codex Nicephorum bietet, und dazu Schiller, Gesch. der röm. Kaiserzeit I 2, S. 641. Die von Müller zur Isidorstelle vorgeschlagene Gleichsetzung mit dem späteren Konstantine {Koivatdvxia bei Hierokles S. 714 Wess.) ist, wie mir Herr Sachau mit- teilt, irrig.: Konstantine ist vielmehr gleich TclU de Mansdath = ]VeranSahr an der Strasse von Nisibis nach Amida.

6) Vgl. OiTEU I 110 Anm. 15; S.a.cuau, S. 241— 24'J.

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468 K. Begling,

Euplirat, sondern auf dem Eaude der Steppe, welche das dort breite Euplirattlial überragt, imd eine Strecke westlicli von der Einmündung des Beiich entfernt.^) An diese Mündung verlegt Eitter (Abt. XI 251) Isidors näcliste Station Galabatha , verführt durch den (Tleichklang des Namens mit dem Flusse Gallab, Gullab, welcher Name des Zuflusses des Beiich, wie wir sahen (oben S. 463), gelegentlich auch für den Hauptfluss verwandt wird. Dieser Lokalisierung des Ortes Galabatha widerspricht aber seine Entfernung von Nikephorion, die nach Isidor 4 schoeni = 24 km beträgt, während nach der Karte die Mündung des Beiich von Nikephorion nur 10 km entfernt liegt.

Nach dieser Betrachtung der Strasse und des Flusslaufes wende ich mich zur Betraclituug des Landstriches zwischen Euplu-at und Beiich, wie ich oben die Landstriche bis zur geographischen Breite der Belich- quelle besprochen habe (S. 457/8). Die Gegenden zwischen Euphrat und Beiich sind, nachdem noch vor 50 Jahren Bitter seine absolute Unkenntnis über dies Gebiet aussprach-) wälu-end er über die Gegend nördlich der Strasse Zeugma-Karrhai und um diese herum schon ziemlich gut unter- richtet war , durch die Erkundungen Sachaus einigermassen bekannt geworden; durch ihn haben wir, wie die ersten Nachrichten über den Beiich und seine Ufer, so auch über die Natur des Binnenlandes Näheres erfahi-en. Seine Nachrichten erfahren allerdings durch die Mitteilungen, die mir Herr Moritz und Herr v. Oppenheim Über die Eesiütate ihrer Eeisen mitgeteilt haben, Avesentliche Einschränkungen. Sachaus Schil- derung ist etwa folgende: Der Landstrich, der zwischen P^uphrat und Beiich liegt, sich im W. und S. bis an das Thal des Euphrat, im 0. bis an das Ufergebiet des Belich erstreckt und seine Nordgrenze findet in einer etwa in der geograpliischeu Breite der Belich-QiieWe gezogeneu Linie, welche die Grenze gegen die blühende Landschaft Serag bildet,-') dieser Landstrich ist nach Sachaus Erkuudigimgeu eine einzige grosse wasserlose Steppe. Ein weissschiramernder Kalkstein*) oder weiter südlich Marieuglas '^) bildet den Boden und blendet , vom Strahle der sengenden Sonne getroffen, das Auge des Eeisenden,'') anderwärts ist der

1) So ausdrücklich Tbn Chordädbeb bei de Goeje VI 175, Abulfeda übers, von Reinaud S. 66, Otter I 106, Sachau, S. 249—50, welch' letzterer zu Pferd zwei Stuaden und 5 Minuten von Nikephorion bis zur Bellch-FxiTt brauchte. Ungenau lässt z. B. Jäqüt, Geogr. Wörterhuch I, S. 734/5, 804 den Beleck unmittelbar bei Nikephorion sich in den Euphrat ergiessen.

2) Abt. XI, S. 248 249; „es ist, als läge ein undurchdringliches Geheimnis auf der südlichen Strecke".

3) Diese Umgrenzung des Steppengebietes nach SAcnAo, S. 233.

4) Nach Herrn Sachaus mündlicher Mitteilung.

5) Über Marienglasformation in der benachbarten syrischen Wüste vgl. z. B. V. Opi>enueim, Zeitschr. d. Ges. f. Erdk. XXXVI, 1901, S. 80.

6) Sachau trug dort, wie er mir erzählte, eine Schutzbrille.

26

Zur historischen Geographie des mesopotamischcn Parallelogramms. 469

lioileu von einer feinen Sandscliicht bedeckt, die zu massenhafter Staub- bildung fiilirt. Unter diesen Umständen ist von einer Vegetation ausser dürren Wüstenkräutern, welclie wenigen Gazellen eine kärgliche Nahrung bieten, keine Spur vorhanden. Das ewige Einerlei einer flachen welligen Sandwüste ermüdet das Auge des Vorüberziehenden und er empfindet es mit Freude, dass die Hügelwellen sich am Eande des -ßeZ<c/«-ThaIes soweit erheben, dass sie die Aussicht auf jene trostlose ()de versperren. AVasser- läufe existieren nicht, nur in der nördlichen Hälfte des Steppengebietes findet sich ein Xebenbach des Belich, der Karamücli, der aber den grössten Teil des Jahres über ausgetrocknet ist. Es fehlen hier also die Lebens- bedingungen wie für Pflanzen und Tiere so auch für den Jlenschen. Nur Boten, welche von Edessa aus auf kürzestem Wege nach Meskene zur dortigen Euphratfurt ') sich begeben, durchqueren die Wüste und treffen auf der ganzen etwa 11 Meilen langen ^^'üstenstrecke (nach Über- schreitung des Karamüch gerechnet) nur auf fünf Stationen, von denen man drei Sarykamysch , Hedl und cl Mahlebije auf den Karten findet.^)

III. Der westliche Teil und die Strasse vou Syrien.

Die Strassen von Antiochia nach Ilirrapolis, vou Hierapolis nach Zeugma, von Zeugma nach Eragiza; die Qiierroufen von Hierapolis über Bathnai nach Edessa.

Mit dem eben über die Natur des den Belich begleitenden Land- striches Gesagten stimmt es überein, dass sich aus dem Altertum kein

)

1) Vgl. das Furtenverzeichnis des Eiiphrat bei v. Oimexheim, Vom Mittdmcer zum persischen Golf 11, S. 5 Anm. 3, nr. 1.

2) Die Beschreibung dieser Wüstenstrecke, welche S.vcbau, S. 227 241 seines Reise- werks gegeben und mir durch mündliche Schilderungen in dankenswertester Weise ergänzt hat, wird, wie im Text (S. 468) bemerkt, nicht unwesentlich eingeschränkt durch Nachrichten des Herrn Moritz, wonach er jenes Gebiet, allerdings zu günstiger Jahreszeit, mit reich- lichem Steppengras hoch bestanden gesehen habe und ihm infolgedessen den Charakter einer Wüste abspricht; v. Oppesheim ferner, der früher (a. a. 0. II S. 3) noch Sachaus Ansicht folgte , erklärt jetzt , nachdem er die fraglichen Landstriche selbst bereist hat er ist, wie seine Routenkarte zeigt, am Euphratufer nordwärts gezogen und vom Serm-Turra an quer durch das Parallelogramm gereist, ,das ganze Gebiet zwischen Euphrat und Belich ... als ein Fruchtgebiet ersten Ranges" {Zeitschr. d. Ges. f. Erdk. XXXVI, 1901 S. 80), und ebenda S. 83 berichtet er, dass auf der Strecke zwischen der Strasse vom Senn-Turm (etwa gegenüber KaVat in Niym) bis zur i?e?/cÄquelle und dem von Meskene aus ostwärts fliessenden Euphrat etwa 40 oder 50 weitere Ruinen- orte liegen sollen. Er hat mir auch mündlich bestätigt, dass das von ihm durchzogene Gebiet ausserordentlich fruchtbar, wohl angebaut und stark bevölkert ist und dass der südlich seines Weges gelegene Landstrich nach den Schilderungen der Einwohner den- selben Charakter trage. Der sterile Boden und zumal die Marienglasformation beginnt erst jenseits des Chaborras. Demnach kann sich die Schilderung S.iCHAUs erstlich nur auf die ungünstige Jahreszeit und ferner nur auf einen dem Uferland des Belich parallel laufenden schmalen Landstreifen beziehen, während jenseits desselben und wohl durch die von Sachal- gesehenen Hügelketten von ihm getrennt wieder der frucht- bare Boden der Ebene vou ücrüy sich zeigt.

27

470 K. Begling,

Ixoutier durch dies (Gebiet erhalten hat. Yiehiielir halten .sich alle vom Kuplirat zum Flussgebiete des Beiich führenden Wege nördlich der Steppe. Der Ausgangspunkt dieser "Wege ist die in der Kyrrhestike gelegene Stadt Hierapolis auf den Münzen Hieropolis genannt die sonst auch bei den klassischen Schriftstellern Bambyke oder Mabog genannt wird. Es ist dies der heute Bumhug oder Menhiy genannte Ort, sowohl durch den Namen Bumbug = Bambyke als auch diu-ch die Entfernung vom Euphrat von Oscherye aus gemessen 24 km = 4 schoeni ^) sicher identiüziert.-) Von der Hauptstadt Sj'riens gelangte man über Litar- bai, Beroia. Bathnai^) angeblich in 5 Tagen*) nach Hierapolis; so reiste der Kaiser Julian im Jahre 363, vgl. Julian, cjnstula, 27. Älmlich ist der in der tab. Beut, und in umgekelu-ter Eeihenfolge beim (jeoip: Ravenn. (S. 86) beschriebene Weg:

1) Strabo XVI T-t-S, vgl. oben S. 454 Aum. 4.

2) Die antike Stadt heisst Mabog bei Plin. V cap. 19. Edessa nennt sie Strabo XVI 748 wohl nur irrtümlich, vgl. Ritter X S. 1046 und Benzisoeu P. W. II, Sp. 2844. Über die heutige Stadt vgl. besonders Ritjeb, S. 1041—1061, bei dem die ältere Litte- ratur zu finden ist, und Sachau, S. 146—151; über Hierapolis als Bischofssitz Assemani, Bihl. or. II cap. 9 s. v.

3) um der Verwechselung der vier gleichnamigen Städte Bafhnai ein Ende zu machen, stelle ich hier kurz das in Betracht kommende Material zusammen:

1. Erstes Bathnai in der Kyrrhestike , gelegen zwischen Beroia und Thiltauri (Phaltauri^: ,Bannis« tah. Peut., ,Bathnis« geogi: E(iv.86, 12, letztere Stelle fälschlich citiert unter Batnai in Osrhoene bei Fkäxkel P. W. III, Sp. 141.

2. Zweites Bathnai in der Kyrrhestike, gelegen zwischen Thiltauri iPhaltauri) und Hierapolis: ,Bathna' tah. Feut., „Bathnas" itin. Ant. 191,7 Wess.; dies oder das vorige Bathnai gemeint bei Ptolem. V 15. 13 {^Balva'), beim geogr. R<iv. S. 87,9 (.Bata") und bei Julianus cjjist. 27, welch letztere Stelle öfter irrtümlich zum vierten Bathnai citiert wird, vgl. oben S. 450 Anm. 3. Über dies zweite Bathnai vgl. noch Saciial-, Zeitschrift für Assi/riologie XII S. 49 f. und BEXzis<iKE bei P. W. III Sp. 124, zur Identifikation auch den Index zu Pautuev-Pixders Ausgabe des itiii. ÄHt. S. 311.

3. jBathnas mari' in Osrhoene zwischen Zeugma und Edessa, itin. Ant. 190, 4 Wess., früher meist mit dem folgenden gleichgesetzt, siehe oben S. 448 mit Anm. 3.

4. Bathnai oder Batnai in Osrhoene zwischen Zeugma und Karrhai , heute Eski- Seriig, vgl. oben S. 450 453, von mir zur Unterscheidung von den anderen drei stets ohne h gesetzt.

Dieses häufige Vorkommen des Namens Bathnai, der sich in dem heutigen U'ildi Butnän zwischen ^Zejjpo - Beroia und v1/ch6«V)- Hierapolis noch erhalten hat, erklärt Sachad, Zeitschr. f. Assyriol. XII, S. 50—51, sehr ansprechend als verderbt aus Bit-Adini, dem alten Landesnamen dieses Gebietes zu beiden Seiten des Euphrat, der an mehreren Ortschaften haften geblieben sei. Dadurch erledigen sich frühere Etymo- logieen des Namens, z. B. die bei Wesselixg, Itincniria, S. 191 xuid Smith, Didionarij I, S. 383.

4) So Zosimos III 12, doch stimmen die 155 m. p. = 232,5 km der tahida dazu nicht.

28

Zur lii.-<((iriscJiCH Gcn(jr(tj)hic dci mcsopotamisclicn Pdndlclor/rdinm.i. 471

Xl>, 15-11.

iab. l'i-itl.

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111. p.

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111. \K

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sich

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oqr. Nar. uicllt,

\'un „Plialtauri" aus Avendet sich der fjeoyr. Rar. nicht, Avie die tabula, nach Hierapolis , sondern nordöstlicli nach Zeugma. Auch die bei dem- selben Autor (S. 87, 5 ff.) beschriebene Route: „Apamea Temeuso Calhi (= Chalkis) BjTsa (= Beroia) Bata (= Bannis-Bathnis oder Bathna der tabula) Zaronavus Europa" ist für die Strecke von C'halkis über Bei-oia bis zum ersten oder zAveiten Bathnai dieselbe, biegt dann aber nordöstlich über ZaronaA'Us (?) nach Europos ab. Das itin. Ant. 191, 6 8 Wess. bietet „('alliconie-') 24 Batlinas 21 Hierapoli", giebt also den Schluss des Weges der tabula, vom zAveiten Bathnai bis Hierapolis, nur dass die Entfernung von Bathnai nach Hierapolis um 3 m. p. länger angegeben Avird als in der tabula. Dieser Weg von Antiocliia über Chalkis und Beroia nach Hierapolis ist also aus alten Quellen Avohlbekaunt und auch zur Jetztzeit geht der Verkehr so. (S.vchau, Zeifstkr. f. Ass. XII, S. 49 unten.)

Von Hierapolis gab es im Altertum z av e i AV' e g e n a c h Z e u g m a ; einer derselben Avird ohne ZAvischenstationen in der tab. Peut. folgender- massen beschrieben: „ab Hierapoli Zeuma m. p. XXIV"; diese Zahl kann unmöglich richtig sein, da der kürzeste \\eg von Hierapolis nach Zeugma, auf der Karte in Luftlinie gemessen , 56 km = fast 38 m. p. beträgt ; vielleicht liegt ein blosser Abschreibefehler vor. Der andere, ebenfalls auf der tab. Peut. verzeichnete AA'eg bietet uns mehrere ZAvischenstationen : „Hierapoli 24 Ceciliana 1(3 (das Bild einer Burg ohne Namen)«) 24 Zeugma", zusammen 64 m. p. = 96 km. Einen Weg, Avelcher

1) Vgl. übor diese Stadt Sachau, Z. /'. .-Iss. XII. S. 48; Synkellos, S. 721 lässt hier das Heer der Zenobia von Aurclianus geschlagen werden, vgl. jedoch Momm.sex, Uüm. Gesch. V S. 440 Anm. 1.

2) Wohl eine durch Abkürzung von Antiochia entstandene Verderbnis.

3) ^Callicnme' mit Beroia gleichzusetzen, wie Sacuad 1. c. S. 50 Anui. 2 will, würde ich wegen der Entfcrnungsdifterenz von Bathnai aus {it. Ä)it. 24 ra. p. , tahida 27 -|- 15 -|- 12 = 54 m. p.) nicht empfehlen.

4) Diese Burg ist von RnTKit (Abt. X S. 996), II. Kiepeut (Karte von 1858) und Benzinger (bei P. W. HI Sp. 1172) übersehen worden, und Kitter und BENzracEK geben daher als Entfernung zwischen Zeugma und Caeciliana nur 24 statt 24 4- 16 = 40 ra. p. an, daher setzen H. Kiepert (Karte von 1858) und Bexzingek 1. c. Caeciliana und die südlich von Caeciliana gelegenen Stationen viel zu weit nordlich an , näinlieh

29

472 K. Beijlmff,

voll Hierapolis-J/cM^«) über Kai' at in Nigm, eiu am recliteu Eupluatufer gelegenes Kastell, das Sternenscliloss, am Euplirat entlang über Europos- Oeräbls nach Zeugma fülu't, hat Sachau, der ihn zum Teil auch seilest bereist hat, auf seiner Karte verzeichnet. Schon Hadssknecht hatte 1867 dieselbe Strecke bereist: von Aleppo kommend über Hierapolis nach KaJ'at in A'i'ym und von dort, da ihm der Übergang verweigert -mirde, am rechten Euphratufer nach Biregik.^) Nachgemessen ergiebt dieser Weg eine Länge von etwa 95 km, was also zu der Eoute der tab. Pmt. vorzüglich stimmt. Versuchen wir daher, die Zwischenstationen einzutragen, so fällt Caeci- liana, sc. castra,-) 24 m. p. ^ 36 km von Hierapolis entfernt, genau auf den Euphratübergang Kai' at in Nigm,-') sodass Avir an der Identität dieser beiden Orte nicht zu zweifeln brauchen. Wegen der Feststellung des aus- gefallenen Namens der nunmehi* auf der tab. Peut. folgenden Stadt ent- steht insofern eine Schwierigkeit, als sie nach der Ausmessung (16 ui. p. = 24 km) auf das heutige Sresat fallen würde, andi-erseits es aber auffallend ■wäre, wenn das wichtige E u r o p o s ^) auf der tab. Peut. nicht verzeichnet wäre ; so vermute ich, dass der Absclu-eiber der tabula die Ziffern zwischen Caecüiana und der unbenannten Stadt mit der zwischen der unbenannten Stadt und Zeugma vertauscht hat, wonach sie also Caecüiaua 24 (anonyme Stadt) 16 Zeugma lauten müssteu. Dann passen die Ziffern genau zu den Entfernungen zwischen A'a/'(i< m AY^m-Caeciliana, Gerähls- Europos und Bh-egik-Zftw^wvA. und die namenlose Stadt ist Europos. ^)

Bethanialis auf Kai 'at in Ni^m (Bexzisger P. W. III Sp. 362), das vielmehr, wie wir sehen werden, Caecüiana ist, Serrhai auf Kara Mcnhig, wo vielmehr Bethamalis zu suchen ist, ferner auch Apammaris und Eragiza etwas zu weit nach Norden.

1) Vgl. seine Karte I und Vorbericht, S. 3.

2) ,Ceciliana' f«6. Pc!tf.; KamiXior Ptol. V 15, 14; .Celciliana", Geof/r. Rar. II 15, S. 87, 12. Der Ort wird von Chessey Karte 11 nordnordöstlich von Hierapolis gegen- über dem Südende der grossen Euphratinsel angesetzt, wozu weder die Entfernung der tabula von Zeugma noch die von Hierapolis passt. Die KiEi-ERTSche Karte von 1858 setzt Caeciliana etwas mehr südöstlich, etwa an der Stelle an, wo Schröders Eoute (vgl. R. Kieperts Karte) den Fluss verlässt; auch dazu passen die Distanzen nicht; vgl. auch S. 471 Anm. 4.

3) Vgl. Otter I, S. 109, Ritter, Abt. X, S. 10621?., Sachau S. 153-155; Chessevs Karte II verzeichnet dort ruins of a hridgc and causeway.

4) Erwähnt ausser in der tah. Peut. bei Ptolemaios V 15. 14, Plinius VI cap. 21 § 87, geogr. Eav., .S. 87, li (, Europa'), Polybios V48, Lukian, quomodo Jiist. conscr. c. 20. 24. 28, Hierokles S. 713, Prokopios, beU. Pers. U 20, de aed. II 9. Die Lukian 1. c. § 28 erwähnte Schlacht aus dem Partherkriege des Marcus und Verus drehte sich wohl um den Euphratübsrgang des römischen Heeres. Die zuweilen für dies Europos citierte Stelle Strabo XI S. 524 bezieht sich vielmehr auf Raga in Medien, das Nikator Europos benannte. Vgl. auch Josua Stylit., chron. cap. XCI S. 71 Wbight mit Anm. ;]:. Die Gleichsetzung mit Geröbls ist durch den Namensanklang gesichert.

5) Dies vermutete schon MCller, ]\'eUlcarte des Castoriiis, S. 93; für solche Ziffern- verwechselung in der tab. Peut. vgl. H. Kiepert bei Hlmaxx und Pichstei.x, Ecisoi etc., S. 413.

30

Zur historischen Geographie des mesopotamischen Parallelogramms. 473

Südwärts von Caeciliana setzt sich, um dies liier gleich einzuschalten, der Weg der iab. Peut., vermutlich immer am Euplirat entlang, in folgender Weise fort : „Caeciliana 14 Bethamali 1 3 Serre 8 Apammari 18— Eraziha". Auf dieser Strecke findet sich auf den Karten eine Strasse nicht verzeichnet, und so können wir um- vermutungsweise die Zwischen- stationen in den auf der tabula genannten Entfernungen längs des Euplirat- ufers- abtragen, wobei dann „Bethamali" (= Bethammaria ') bei Ptol. V 15) etwa mit Kara Menbt'g,-) WO Chesxet (siehe seine Karte I) und Sachäu Euinen sahen, oder mit den auf Chesnets 3. Karte und R. Kieperts Kai-te ein wenig nördlich davon aufgezeichneten römischen Ruinen zu- sammenfällt, während für Serre {rioQ}] Ptolem. 1. c, wohl das /Ztpp»; des Hierokles S. 713 Wess.)') md Apammaris {'Apl^taoa bei Ptolem. 1. c) keine Ruinenstätte namhaft gemacht werden kann.

Eragiza (so Ptol. 1. c, tab. Peut. Erazilm)*) endlich fällt dann uu- o-efähr auf die Ruinen von Abu Hanäj'ä, wo es bereits auf Sachaus und und R. Kieperts Karte lokalisiert wird.

Die Wegstrecke der tabula am Euphrat also, wie sie sich aus den beiden Teilwegen C'aeciliana-Zeugma und Caeciliana-Eragiza zusammen- setzt, geht von Zeugma über (Europos), Caeciliana, „Bethamali", Serrhai, Apammaris nach Eragiza. Glanz ähnlich ist die beim geogr. Eav. II l.'> g 87, 11 14 beschriebene Strecke: „Europa— Celciliana Pamanari lerapolis", nur dass sie von Pamanari (= Apammaris) aus westlich sich in einer scharfen Rechtsbiegung nach Hierapolis wendet. Auch Ptole- maios (V 15. 14) bezeichnet durcli die Ortschaften Zivyua, Evooinog, Katxilia, Bti&au^agia, Fioorj, 'Agi^aQu, 'EgayiCn dieselbe Strecke.

Über das Euphrat thal auf dieser Strecke ist nach Herrn Sachaüs persönlicher Mitteilung nachzutragen, dass es liier breit imd wiesenreich ist und von Arabern, die Schafzucht treiben, bewohnt ynid. Die Berge, die nach Phitarch s) das Ufer begleiten, findet nu\n auch auf den Karten

1) Ob der Ort „Bemniari Canna' , den das itin. Aiit. S. 190, 3 Wess. zwischen Zeugma und Edessa nennt, nur zufällig an Bethammaria anklingt oder ob tliese Namens- ähnlichkeit besondere Gründe hat, weiss ich nicht.

2) Über frühere Identifizierungen von Bethamalis siehe S. 471 Anm. 4; Assemaxi, Bibl. or. II cap. 9 s. v. identifizierte es mit Amoria.

3) Die Stadt dürfte richtig Serrhai heissen (so schon Rittek, X. Abt., S. 1000) und ich vermute, dass sie wie so viele andere (siehe oben S. 45.5 f.) nach der gleich- namigen makedonischen Stadt benannt worden ist, die sich allerdings erst in später Zeit nachweisen lässt. (Vgl. Fobbiger in Paulys RealencyU. VI 1 S. 1079 s. v.)

4) Vgl. Ritter, Abt. X, S. 1000, den heutigen Ort Rajik, mit dem er Eragiza gleichsetzt , findet man auf R. Kieperts Karte nicht. Die auf der tah. Peut. ferner noch angegebene Entfernung Hierapolis-Eragiza m. p. XXV = km 37,5 stimmt zu der durch Nachmessung auf der Karte gewonnenen nicht, es sind mindestens 50 km. Wie Benzix(;er bei P. W. I Sp. 2666 dazu kommt, Eragiza auf die Strasse von Hiera- polis nach Zeugma zu verlegen, verstehe ich nicht.

5) Orassus c. 21: änaraxca xov itoxaa.ov xal t&v {'■xaQSiäi'.

31

474 K. Fölling,

angedeutet. Von Meshene an wird das Ufer unfruclitbar und unwirtlicli. Auf den nach der Ostbieguug des Euplirat am Südiifer des Flusses sich hinzielienden Strasseuzug mit seinen meist als Flussübergang wichtigen Orten Barbalissos. Obbanes (S. 475 Anm. 7), Thapsakos und Sura habe ich meine Untersuchungen nicht ausgedehnt; das Ziel desselben ist die ■wieder am Xordufer des Flusses liegende Stadt Nikephorion.*)

Ich wende mich nunmehr zu den von Hierapolis aus ins Innere des ParallelogTamms führenden Eouteu. Das üin. Antonini bietet folgende zwei Ansetzungen :

S. 191, 8—192,3 Wess: Hierapoli Ki Thilaticomum 15 Bathnas (Bathas, Bathanas w. 11.) 15 Edissa.

S. 192, 4—193, 1 Wess.: Cards 30 Bathnas (Bathas. Bathanas. Bthnas w. 11.) 22 Thilaticomum 31 Hierapoli.

Es werden also zwischen Hierapolis Thilatikomum und Thilati- komum Bathnai (in Osrhoene, = Serüci, siehe oben S. 450 453) in jeder der Eouten yerschiedene Entfernungen angegeben; richtig können nur die an zweiter Stelle angegebenen sein, da die Entfernung von Mcnbiij = Hierapolis bis Serüii = Bat(li)nai nach der Karte in Luftlinie fast 70 km ist, die Entfernungen des Itinerars nach der ersten Route hierfür nur 25 m. p. = 37 »/ä km ergeben, während die Entfernung nach der zweiten Eoute, 31 + 22 = 53 m. p. = 79,5 km, zu einer Luftlinie von 70 km passt.

LTm mit dem Itinerar von Hierapolis nach Batuai (Bathnai) zu ge- langen, ist eine Überschreitung des Euphrat notwendig. Auf diesem Wege liegt am passendsten zum Übergange Caeciliana-A'a/a« in AV<//« (vgl. oben S. 472), und wenn ■«•ii- über diese Stadt den Weg Hierapolis- Batnai leiten, so stimmt die auf der Karte nachgemessene Entfernung (80 km) auch vorzüglich zu den Angaben des Itinerars (79,5 km), und ■\\-ir vermögen Thilatikomum-) seiner Entfernung von Hierapolis und Batnai entsprechend einzutragen, wobei es etwas nordöstlich von KaVat in Nigm auf das östliche Euphratufer zu liegen kommt.^) Die Eoute des Itinerars zieht sieh also, den Euphrat vermutlich bei C'aecüiana überschreitend, jenseits in nordöstlicher Eichtung durch das Land Authe- musia-6'«-(7(/ über Thilatikomum bis Batnai hin, wo sie den oben (S. 448 if.) beschriebenen Weg Zeugma-Karrhai kreuzt.

1) Vgl. über sie oben S. 467 f.

2) In der notitia dign., or. XXXV werden Thillazamana (Z. 21), Thillaeama (Z. 2T) und Thillaamana (Z. 32) erwähnt; einer von diesen Orten durfte Thilatikomum sein, vgl. BöcKixG zu den citierten Stellen der notitia und Wesseuxc;, itineraria S. 192.

3) Massebts Identifikation von Anthemusias mit Thilatikomum ist bereits oben S. 455 Anm. 1 abgewiesen ; Kitter Abt. X S. 997 hat es dagegen richtig auf das linke Euphratufer in einiger Entfernung vom Flusse gesetzt. H. KiKi-Em- (Karte von 1868) hat es ebenda, aber seiner nördlicheren Ansetzuug von Cacciliana entsprechend zu weit nördlich eingetragen.

32

Zur hiatorifichcn Geographie dc.i mesopotamischcn Parallelogramms. 475

Den eben gescliilderten Marscli legte der Kaiser Jnlianus auf seinem Perserkriege im Jahre 363 zurück'): von Antiocliia nach Hiera- polis gelangt (siehe oben S. 471), überschritt er auf einer Schiffbrücke, vermutlich bei Caeciliana, den Euphrat-) und gelangte nach wenigen Tagen'') nach Batuai, von wo er sich nach Karrhai und weiter nach Nikephorion begab (s. oben S. 460, 461 mit Anm. 1).')

Ähnlich ist der Weg von SjTien nach Babylon, den Strabo XVI 748, vgl. oben S. 454 Anm. 4, andeutet, nur dass der Euphratübergang liier nicht bei Caeciliana, sondern weiter nördlich an einer 4 schoeni von Hierapolis entfernten Stelle des Ufers, also etwa beim Einfluss des Sagür in den Euphrat unweit Oscher/Je, stattfindet.

Von Batnai aus setzt sich die nordöstliche Querroute nach Edessa fort, vgl. itin. Avt. 192, 2—3 Wess.^) Diese Strecke des Weges benutzte der Kaiser Traianus im Jahre 115, als er von Batnai nach Edessa marschierte (vgl. oben S. 457 Anm. 2), ferner auch der Perser- künig Chosroes, als er nach der Einnahme Antiochias im Jahre 54(i von Syi-ien her in Osrhoene einfiel.''') Er hatte, von Apamea über (lialkis kommend, den Euphrat bei Obbanes') überschritten, war dann wohl am Euphrat entlang und erst etwa von Caeciliana an sich dem Innern zuwendend, vielleicht auf der eben besprochenen Strasse des Iti= nerars bis Batnai gekommen und zog von hier in grösster Schnelligkeit, nämlich in einem einzigen Tagemarsche, ^) nach Edessa. Von hier wandte er sich dann") auf bekannter Strasse 'o) nach Karrhai, A'on hier aus nord- östlich nach Konstantine.

1) Vgl. Zosimos III 12, Ammianus Marc. XXIII c. 2 und 3.

2) Mannekt, S. 201 vermutete, Julian habe den Fluss bei Bethamalis überschritten, duch liegt dies zuweit südlich und würde einen grossen Umweg bedeuten.

3) Zosimos ni 12 berichtet, von Hierapolis nach Batnai sei ein Tagcmarscb (udvag ijiieQag), was wegen der Entfernung (53 m. p. nach der tab. I'eut.) nicht an- geht; es liegt wohl ein Irrtum in seiner Quelle, dem Tagebuche des Magnos von Karrhai, vor (vgl. S. 461 Anm. 1).

4) Den ganzen Marsch von Hierapolis nach Karrhai veranschlagt Sievers {Studien S. 243, wo durch Druckfehler Heliopolis statt Hierapolis gesagt ist) auf zwei Tage, offenbar viel zu gering, da es 83 m. p. sind.

5) Die dort angegebene Entfernung ist wie die übrigen in dieser Koute siehe oben S. 474 viel zu kurz (15 m. p. = 22i/j km statt etwa 40 km).

G) Vgl. Prokop, de hello Persico II 12.

7) Dieser anderwärts nicht genannte Übergangsort lag nach Prokop 1. c. 40 Stadien = 7,2 km von Barbalissos entfernt. Da in dieser Entfernung von Barbalissos (= Kal'(d Biilis) das heutige Balis liegt, mag hier vielleicht das alte Obbanes zu suchen sein.

8) Es sind nach der Karte etwa 40 km, welche nach Prokops Schätzung (de hello Vandalico I 10: ein Tagemarsch sei 210 stadia = 37,8 km) einen starken Tagemarsch darstellen.

9) Vgl. Prokop, bell. Pers. II i:^. 10) Siehe oben S. 449.

33

476 K. Regling, Zur histor. Geographie d. mesopotamisclicn Parallelogramms.

Nun noch ein paar Worte über die in arabischer und heutiger Zeit quer durcli das Parallelogramm führenden Eouten; der Weg des Ibn Sa'id bei Abulfeda^): Überschreitung des Euphrat bei Nadjm -— Kal'af in Niipn = Caecüiana, dann „ä une forte marche" nach Baddaya, das also etwa der Lage von Thilatikomum entspricht, dann nach SaroudJ = Serüi) = Batnai-Anthemusias, von dort nach Harrcm = Karrhai, entspricht genau der antiken Route. Der Weg bei de Goeje-) von Emi-an über Serüij nach Kara-Menbig {= Betanialis ?) , wo der Euphrat überschritten wird, weicht hinsichtlich der Übergangsstelle etwas ab. Von modernen Reisenden ist Eüting") ebenso gereist wie Ibn Sa'ld angiebt; Creneral- konsul ScHRüDEE*) überschritt (i. J. 1890), von Edessa über Eski-Serüg kommend, den Euphrat nördlich von KaVat in Nigm beim Gehel il llamnunn und wendete sich dann nach Bumbug - Menbig = Hierapolis. Freiherr V. Oppenheim zog auf seiner zweiten Reise, 5) von Aleppo über il Bah (Hierapolis im Norden liegen lassend) zum Euphrat, den er bei Mas ndije (südlich von Kara-Menbig) überschritt ; von hier marschierte er am Flusse aufwärts bis Serin, von wo er auf bisher unbetretenem Pfade sich zur Belich-Onelle begab.

Zum Schlüsse will ich kurz den Verlauf und einige der wichtigeren Punkte meiner Untersuchung herausheben: von den beiden wichtigen Verkelu'sadern des nördlichen Teiles unseres Parallelogramms, den Strassen Zeugma-Edessa und Zeugma-Karrhai ausgehend, verweilte ich länger bei der Stadt Batnai-Anthemusias-Ä'«-»;), um die Identität dieser drei Orte festzustellen. Dann ziu- Betrachtung der Strasse Edessa -Karrhai -Nike- phorion übergehend, habe ich auf die Schilderung des Flusslaufes und der Uferstrecken des Bel'ich und seiner Zuflüsse besonderen Wert gelegt. Dadurch auf die Natur des Landes zwischen Euphrat und Belich geführt, suchte ich an der Hand der neueren Berichte die Beschaffenheit dieser südlichen Strecke darzulegen. Sodann bildeten die westliche Zu- gangsstrasse — bei welcher Gelegenheit die vier verschiedenen Bathnai einer Sichtung unterzogen wurden und die Wege von Hierapolis nach Zeugnm und von Zeugma am Euphi'at entlang bis Eragiza, wobei mir die Festlegung von Caecüiana besonders wichtig erschien, endlich die Querrouten von Hierapolis nach Batnai und Edessa den Gegenstand der Betrachtung.

1) Ubers. V. Reinaud, Bd. II, S. 12.

2) Bibl. geogr. II, S. 157.

3) Tagebuch einer Meise in Inner- Arabien, Leiden 1896, siehe die Karte d.izu.

4) Seine Route eingezeichnet auf R. Kieperts Karte, siehe dessen Bemerkungen Opi'enheims Reisewerk 11, S. 392.

5) Vgl. Zeitschr. d. Ges. für Erdkunde XXXVI, 1901, S. 81,2 und die Karte dazu.

34

477

Mitteilungen und Naclirichten.

Praefecti Aegypti unter Commodus.

Von Piiiil M. Meyer.

Im Journal of Hell. Sfiul XXI (1901), 275 ff. veröffentlicbt J. C4. MiLNE eine Inschrift aus Sakha (Xois), die sich jetzt im Gizeh-Museum in Kaiio t)etindet (n. 9288). Die Scblusszeilen lauten nach seiner Lesung:

V. 15: inl [ ]qii'ov inäQ^ov Aiyvnxoy

e7tißT()ca)]yovvtog AvQtjklov Maovog aTQcarjyovvrog Aqn^i-ädioov V. 18: izovg V.U Inilrf i.

Die Inschrift ist also datiert (wie v. 1 ff. zeigen) vom 10. Epipb des 21. Jahres des Commodus, also vom 25. Juni 181 ji. Chr. Der Jfame des praefeetus Aegypti ist wie der des Kaiser.s eradiert.

Nun zeigt uns ein Papyrus {Griechische Urkunden des Bei-line)- Museum [-B(?f7] 847), der einen fragmentierten Auszug aus dem xofiog inLr.Qlanov des praef. Aeg. enthält, als Priifekten in den letzten Monaten des 23. Jahres des Commodus (Mai bis August 183) Veturius Maa-inus, den die vita Didii Juliani (7, 5) als praef. praet. im Jahre 193 nennt (s. meine Ausführungen Jierl. Phil. Wochenschr., 23. Febr. 1901). Sein Name ist v. 15 zu ergänzen:

inl [OvirovQwv Max]Qivov (TtaQiov AiyvTirov. Veturius Macrinus ist also praefeetus Aegypti mindestens vom Juni 181 bis August 183.

Danach kann der CIG. 4683 Add. p. 1186 genannte Präfekt nicht, wie bisher angenommen, in diesen Jahren fungiert haben. Seymouk DE RiCCi ver- mutet mit vollem Kecbt in einer brieflichen Mitteilung an mich, dass sein Name nojin(äviov (t>ayGxiuvüv zu lesen sei. Es ist also Pomponius Fausti{ni)anus, der auch Ojryrhynchus Papyri II n. 237 VI, 32 fl'.; VII, 6 (Januar bis Juni 18C|, BGU.'M2 (September 187) und Amherst Papyri II n. 79 (c. 186) ge- nannt ist.

Ebensowenig kann an der Datierung des Präfekten Flavius Priscus, den ich') in das Jahr 181 p. Chr. gesetzt, festgehalten werden. Die einzige Urkunde, die seinen Namen nennt, i.st BGU. 12 aus dem 22. Jahre des Commodus = 181/182 p. Chr. Hier wird v. 12 ff. ein Schreiben von ihm erwähnt, das an den Vorgänger eines in diesem Jahre amtierenden eTtixr]qt]xt'ig gerichtet ist. BGU. 12 beweist also nicht im geringsten, dass Priscus damals noch praef. Aeg. war. Die oben behandelte Inschrift aus Xois zeigt , dass er es damals

1) Ueencesen der l'tolemäer und Eüiner, S. 146. Beiträge z. alten Geschichte 1 3.

478 Mittcihoiffcn nnd J^acliriclitcn.

nicht mehr war. Zweifellos hat er vor Vetm-ius Macrinus, nach T. Pactiimeius Magnus fungiert.

Es ergiebt sich uns also nach den bisher vorliegenden Quellen folgende Chronologie der praef. Aeg. für die hier in Betracht kommende Zeit. Wenn wir die kurze Amtsdauer der oberen Beamten unter Commodus in Betracht ziehen, dürften neue Funde dieses Bild wohl noch mannigfach verändern.

T. Facfumeius Magmis: 175/176 {Fcujüm Towns 159), 28. März 177 {BGU. 525), ?{BGU. 823: OIG. 4704).

Flavius Fri'scus: vor 181 (BGÜ. 12 v. 12 ff.).

Veturius Maa-inus: 25. Juni 181 {Gt'zeh-Mus. 9288), Mai bis August 183 (BGÜ. 847).

T. Lomjaeus Eufus: April bis Juli 185 {Amk P. II n. 173; 107; 174), April bis Ende 185 {Oxyr. F. II u. 237 p. 145), c. 185 {Amh. F. II n. 79 V. 11. 28; n. 176: 177; BGTJ. 807, 10), 185/186 {Amh. F. II n. 108: 175). ?(C/L. III, 14137).

Fomponius Faustianiis: Januar bis Juni 186 (Oxyr. F. II n. 237 XI, 32 ff.; VII, 6), c. 186 {Amh. F. II n. 79), September 187' {BOU. 842), -^{CIG. 4683 Add. p. 1186).

M. Aiirelius Fapirius Dionysiiis : vor 189 (Prosopogr. Imp. R. A. 1283).

Ich füge kurz die sonst für die praefecti Aegypti in Betracht kommenden neuen Urkiinden des vergangenen Jahres hinzu:

L. Julius Vestinus (59—61 p.): Amh. F. 11 n. 68 E., 21: 59 60 p.

Ursus (bisher unbekannt): Amh. F. II n. 68 V., 39. 67: Vorgänger des C. Septimius Vegetus (c. 86—88), also c. 84,'85; vgl. Proso^J." C." 1205; I. 416—418; U. 688.

M. Mettius Rufus (89/90 p.): Amh. F. II n. 68 V., 69.

C. Minicius Italus f\''orgänger des Vibius Maximus: s. Gkenfkll AND HCNT, Amh. F. II n. 64: 99 bis c. 103 p.) : BGU. 908, 17.

C. Vibms Maximus (c. 103—107): {Rev. arch. 1883 II, 177: 103/104. CIL. III, 38: 16, Febr. 104. ) Amh. F. II n. 65 I, 9 ff.: 19. April 105. Amh. F. II n. 64: 26. März 107.

C. (Flavius) Sulpicius Similis (von 107 an): {BGU. 140: 4. August

107. )') Amh. F. IL n. 64 v. 10 ff.: 107. {Fay. T. 117, 5: 14. Januar

108. CIL. III, 24: CIG. 4713c.: 108/109.- CIG. 4714: 14. Mai 109. Oxyr. F. IL n. 237 VIII, 27: 8. November 109 (?). ) Amh. F. II n. 65 I.

M. Rutilius Lupus (114—117): Amh. F. IL n. 70.

M. Furius Victorinus: wird in einer unedierten syrischen Inschrift, wie SeymoüU DE EiCCi mitteilt, als Präfekt erwähnt; s. Prosoj). F. 409. Vielleicht fungiert er als solcher zwischen M. Sempronius Liberalis und L. Volusius Maecianus , also e. 158 p. Postumus ist als praefectus Aegypti zu streichen.

M. Bassaeas Rufus (166—169): BGU. 903: 168/169.

Q. Maecius Laetiis (c. 201): wird in einem unedierten Papjrus, dessen Photograjjhie mir H.M'SSOL'LLIEU gütigst zugesandt, als Präfekt erwähnt,

Mevius Honoratianus (c. 231—233): Amh. F. II n. SO, 12: 20. August 233. Amh. F. 11 n. 67, 13.

Valerius Firmus (hisher unbekannt): Amh. F. 11 n. 72: 16. Juni 246. Amh. F. II n. 81: 3. Mai 246 bis 26. März 247. Vgl. Prosop. B. 24.

[1) Im soeben erschienenen Hermes Bd. 37, Heft 1 weist Wilcken durch Korrektur der Lesung Sl^iuis in 'Päijuiü {Q. Bhammiiis Martialis) und Ergänzung des Konsul- namens BGU. 140 in d.is Jahr 119. Näheres im nächsten Heft dieser Beitrüge. ^Korr.- Zusatz 5., III. 02)J.

Mitteilungen und Nachrichten. 479

Quaestiunculae.

F. l'. Giirofalo.

I. Snlla C'olouia Julia Äagnsta Yieuua.

Questa Cülonia , cioe ü capoluogo della Civiias Allohrogum, non vera Colonia cioe con deductio , ma semplicemente nominale e onoraria, passö suc- cessivamente attraverso le fasi del diritto del Latium, e poi di quelle della completa cittadinanza romana (conferito l'uno e l'altro jus agli abitanti).^)

La Latinitas , che come si vede dai nummi essa aveva ancora nel tempo antecedente all'a. 727i27,-) fu largita o da Cesare,-') o meglio forse, in conformitii alle vedute politiche del grande uomo di Stato, dai Triumviri, e piuttostocbe da Antonio , da Ottavio (onde rintestazione nei nummi : Colonia Julia Viennensiuin).

ha, C ivitas romana fu concessada Augusto.*) Secondo l'opinione MOMMSEKIANA, ciö avvenne sotto Caligola (probabilmente durante il soggiorno di costui in Gallia, nel 39 e 40 d. C).

n solidum civitatis romanae beneficium, che, come disse l'imperatore Claudio nel suo famoso discorso al Senato , nell'a. 48, era stato giii conseguito dall' ornatissima colonia valentissimaque Viennensium e dopoche essa aveva dato senatori e anche magistrati elevati e qualche console , cioe dopo il consolato, come generalmente si ammette, del Viennese L. Valerius Asiaticus (console la prima volta antei-iormente al 41), dovette esser concesso in un tempo antecedente al 48, pevö non bene determinabile, da Caligola o da Tiberio ovvero da Claudio.

Tale beneficium consistette nell' accordare alcune limitazioni al diritto deUa romana cittadinanza, che ancora rimaneva a dare fin dal tempo di Augusto.^) Si riferivano esse all' ius honorum probabilmente ; cioe mentre prima l'ammissione in senato e anche l'elevazione ad alte cariche imperiali avvenivano per favore speciale dei Cesari, diventarono poscia diritto generale della colonia.*)

Non e perö inverosimile che l'espressioue usata da Claudio concerna qualcosa di piü del comune diritto di cittadinanza romana, e preeisamente, il jus Itahcum, che la nostra colonia ebbe, come ne fu rivcstita Lugudunum : questa probabilmente per concessione di Claudio.')

IL Sulla Colonia Cupia Lugndauuni.

ün senatus consultum del 711 43 invitava L. Munatius Plancus e M. Aemilius Lp})idus a fondare una nuova sede per coloro ch'erano stati cacciati da Vienna per opera di quegl'indigeni Alloln-oges."") Siffatta deductio benche l'incarico fosse

1) Se rcalmente sia esistifa una vera e propria colonia, seomparsa per effetto di espulsione dei coloni per parte degl'indigeni, diremo piii iunanzi.

2) Vedi nostro libro sugli Allobrof/cs, 1895, p. 81 (egli autori ivi citati); HiRscHFEi.D in CIL. XII, p. 218; e rarticolo del Kornemann in Pauly-Wissowa Kncycl., s. v. Coloniae, n" 191.

3) Cf. tra gli altri E. De Ruggieko, in Bulhttino deW Istituto di diritto romano, V (1892), p. 412 sg. etc

4) Vedi Strabon IV 6, 4 Plinio (N. H. III 4, 36) puü aver attinto a fonti pcsteriori ad Agrippa (V. nostro citato lavoro, p. 82, n. 3).

5) Cf. KOR.NEMAN.S' 1. C.

6) V. nostro libro, pag. 83 sg.

7) Vedi Paul, in Dir/. L 15, 8, 1 (Cf. .anche De Rügüieko, in Dision. epigv. di Ant. vom., s. v. Cnloniu, p. 443;.

8) Cas.i. Bio XLVI 50; Cf. anche CIL. X 6087; Senec, Ep. XCI 14. ^Vodi Hirschfeld in CIL. XIII 1, p. 248 sg.; e un cenno in Pauly-Wissowa cit., n." 97.

31* 3

480 Milteilimgcn und Nachrichten.

affidato anche a Lepido, governatore della Narbonensis, e di tutta la Narbonensis, fu opera esclusiva di Planeo, come i docutnenti concordi comprovano.')

11 senatus consultum fu certaraente anteriore al 29 luaggio (data dell'unione di Lepido con M. Antonio), e probabilmente fu prima ancbe della battaglia di Modena,) anzi prima del tempo in cui si diede ai due predetti governatori l'ordine di mettersi in marcia per l'Italia. L'incarico cui si i'iferisce il deereto del senato, se fosse stato dato dopo la battaglia Modenese, avrebbe fatto apparire trojjpo chiaramente e ingenuamente la paura del senato nel desiderio di fermare in (iallia con un pretesto qualunque i due personaggi, dei quali si diftidava.

Discutiamo ora brevemente due interessanti questioni :

1 *) Q u a n d 0 e r a a v v e n u t a 1 ' e s p u 1 s i o n e da V i c n n a V 2^) Gli espulsi erano Coloni romani?

1") L'espulsione non puö esser avvenuta ne nell'a. GOS'Gl-) ne proprio nel medesimo anno 711/43 piuttostoche nel preeedente 44. Dovette suecedere alla morte di Cesare, nel corso dei torbidi che a questa seguirono. ün certo intervallo probabilmente corse fra Tespulsione e la deductio."')

2") Che fossero coloni romani, non e necessario conehiudere dal fatto che Lugudunum ebbe subito la cittadinanza romana. Non e detto che una colonia romana vi fosse giä dedotta da Cesare,'') o che ivi fossero stanziati cittadini romani per atfari o simil cosa.^) Nulla inoltre si sa di deductio di veterani fatta da Planeo.^)

Noi preferiamo di credere, che i cacciati fossero una parte degli Allobroges medesimi, mandata via dai propri conterranei, per eftetto delle discordie intestine divanipate dopo la morte di Cesare. Essa ebbe una sede buona e non lontana, insieme con la civitas romana.

Nel caso diverse , non si comprenderebbe l'impunitä lasciata a chi aveva ofleso cittadini romani. Certamente , se pure il senato si fosse mostrato debole, i Triumviri e Augusto non avi-ebbero fatto correre uua simile oft'esa.

III. SnI nnmero delle civitates Galliche.

Le civitates Galliche erano certamente 64 nel secondo secolo, come sono date da Ptokm.') Tale cifra e identiea a quella riferita da Tacit. {Annal. III 44; cf. Serv. ad. Am. I 286) e per l'a. 21 d. C.

Che 60 fossero quelle aventi la propria rappresentanza in Lugdunum nel condlium Galliarum , lo dice Strabon. (IV 3, 2). Ora pur attribuendo valore preciso a questa notizia, non possiamo realmente conoscere quali fossero, nel tempo di Augusto, le civitates vere e proprie, e ogni studio statistico com- parativo manca di basi sicure.'*) Che sin da principio fossero 60 in tutto e

1) V. nostro volume sugli Allobroges, p. 73, n. 2 ; e p. 76 sg.

2) Vedi anche nostro articolo Osservazioni al vul. XIII 1 del CIL. (in Boll. di filol. classica, febbr. 1901).

3) Come si potrebbe desumere dalla parola nort di Cass. Dio 1. c.

4) Uua tale colonia non avrebbe avuto nessiiua ragione militare e strategica iu un paese che pacificamente si sviluppava nel senso romano, e vicino al quäle sorgeva quasi nel medesimo tempo la Colonia Equestris (Noviodunum).

5) V. nostro libro eit., pp. 78 e 80.

6) Niente sul proposito si rileva dalla somiglianza d'iscrizioni Lionesi eon lletiehe (Vedi CIL. cit., p. 249, n. 4).

7) Veramente egli ne da 63. La mancante e forse quella degli Ubii (?). Vedi mio libro sugli Hclvetii, 2 ed , p. 79, nota d.

8) Come fa con molta diligenza il Kounemann , nella preseute Raccolta , I 2, p. 331 sgg. Del rcsto quest'egregio scrittore distrugge da se stesso la propria asserzione, giacche dai uumeri totali 60 o 62 (secondo le due liste o redazioni di lista da lui

Mitteilungen tmd Nachrichten. 481

poi divenissei-o üi (pvobiibilmente nel medesimo tempo di Augusto) 0. possibile, come anoho e possibile che ammonlasse a 64 il numero fin dal priino momento. Nella prima ipotesi, non e da escludere ne e provato il contrario che le nuove 4 fossero ammesse alla stessa rappresentanza. Esse non potrebbero tro- varsi nell' Aquitania iberica (che qui non furono niai quattro')), ma solamente nelle Germaniae ; e molto probabilmente, non sarebbero risultate che da fraziona- mento delle civitates della ßelgica piü vaste.-)

Nachträgliches zur historischen Semiramis.

Von C. F. Leümann.

Zu S. 259 sub 3 und S. 277 f. Nach MarQUAKTS erwägenswerten Dar- legungen {ührovologiscke Untei-suchungcn, Phüologus, Suppl. VII und separat, S,°642[8]) geben auch die auf Semiraiius bezüglichen Worte des armenischen Eusebius (Ctromc. p. 25, 14 sq., Schoenk) nach Polyhistor in dem Zusammen- hange, wie sie dastehen, einen verständlichen Sinn, sodass sie eine Erwähnung unter den Nachrichten über die historische Semiramis verdienten.

S. 280 Abs. 2 a. E. ist zu lesen. „Vor Adadnirari HI. werden sie" (die Meder) „dagegen nur erwähnt von dessen Grossvater Salmanassar 11. der _ in seinem 24.° Regierungsjahre (836) unter anderen Völkern auch die A>nadai{a) bekämpft, und von seinem Vater (Salmanassars II. Sohn) hiam.ii- Adad (Kol. III, 27tf.), der die Mataiia) bekämpft. Also unter dem Grossvater und Vater gleichsam Vorgefechte mit der Vorhut des eindringenden indogermanischen Volkes^ dessen Gros der Sohn zum ersten Male und wiederholt die Spitze zu bieten hat."

Zu S. 280 f. Anm. 7. Eine Erinnerung an die wiederholten Kämpfe, die Sammuramats Gemahl Adadnirari III. gegen das später von Armeniern bewohnte Land und Keich Chaldia, zu bestehen hatte, findet sich auch in der sa^'enhaften Tradition, wie bekanntlich Diodor II 18 und, woran mich Herr CiTöNERT erinnert, der Ninos-Eoman (ller/nes 28, S. 161 ff.), Kol. II, III zeigen. Vgl. dazu WiLCKEX a. a. 0. S. 186 u. Anm. 2. Adad-nirari 111. setzt auch hier in gesteigertem Maasse fort, was Salmanassar IL und Samsi-Adad (s. dessen A'a^Vj'-Feldzüge 821-19. S. 261 f. Anm. 4) begonnen hatten.

Zur Entstehung des Sexagesimalsystems und des sexagesimalen babylonischen Längenmaasses.

Von C. F. Lehmann.

ZiMMEKNS oben S. 400 Anm. 1 genannte Abhandlung Das Princip unserer Zeit- xvnd Raumteilung {Sitzungsbei: sächs. Ges. d. W. 14. Nov. 1001, S. 47—61) liegt jetzt im Keindruck veröffentlicht vor. Soweit die Arbeit die bekannten Be- ziehungen zwischen unserer und der babylonischen Zeiteinteilung, namentlich der spätere°n Zeit, in klarer Weise zur Darstellung bringt, ist sie dankbar zu be- grüssen. Auch auf die .stärkere Betonung des Jahreskreises und J&hres-KAS.PU., fn der wir zusammentreffen, ist hinzuweisen. Ferner enthalten die Anmerkungen eine Fülle wertvollster philologischer Erörterungen, namentlich teils schlagende,

immaeinate) toglicndo quello delle civitates prosunte escluse dalla rappresentanza di LioneTnon si avrebbe il numero di 60, ch'e per il Kornemaxn il dato foudameutale.

1) Cf. contrariamente airopinione dell" Hir-'^chfeld, il mio articolo in Bollettino di ßologia clasnica, anno VII (Febbr. 1901).

2) Rimando al citato volume sugli Hdvetii, pag. i'J.

482 Mitteilungen und Nachrichten.

teils ei-wägenswerte Vorschläge zur Lesung und Grundbedeutung von Ideogrammen nnd zur Etymologie der Maass- und Zeitbezeichnungen.

ZiMMEKNS Hauptziel aber ist: „von dem eigentlichen Ausgangspunkt dieser Zeit- und Raumteilung und damit zusammenhängend von dem wirklichen Ursprung der ganzen Sexagesimalreehnung" die nach ZiMMEKNS Ansicht bis- her fehlende ^Erkläi-ung' zu geben, ,die in jeder Hinsicht befriedigte".

Hier bedürfen ZiMMERNS Auslassungen, sowohl dieser ihrer Voraussetzung wie ihrem sonstigen Inhalt nach, vielfach nachdrücklicher Richtigstellung.

Die Ansicht , dass der Ursprung der 60 auf dem Verhältnis des Sonnen- durchmessers zur Ekliptik beruhe, schreibt Zimmern (S. 47, Anm. 2) Brandis zu und erklärt meine Ableitung, in der das Verhältnis des Sonnendurchmessers zu ^jyi der Ekliptik, zur Doppelstunde, betont wird (vgl. oben S. 350), für eine Modifikation der BRAXDiSschen Ansicht.

Dies ist unrichtig. Hätte BraKDIS (S. 17 f.) die Ableitung der 60 aus dem Vei'hältnis des scheinbai'en Sonnendurchmessers zur Ekliptik bereits ausgesprochen, so hätte ich nicht, unter Hinweis {Coiujr. S. 249, Anm. 1, s. o. S. 382) auf eben jene Worte von Brandis, an dessen Hand ich ja überhaupt in die Metrologie einge- drungen bin (BMG W. passim), die Frage als ein Problem zu bezeichnen und mich, da mich Letronnes und CantorS Ableitung nicht befriedigte, Jahre lang mit dessen Lösung abzumühen brauchen. Aber Br.\ndis vermeidet es gerade, sich über die Entstehung der 60 und der 6 in irgend einer klaren Form zu äussern: es war offenbar hier eine Lücke in seinen Vorstellungen. Während er von der Ein- teilung des äquinoctialen Tageskreises in „720 Stadien", „360 Doppelstadien", der Einteilung der 12 Zeichen der Ekliptik') in je 30 „Teile" oder „Grade" unter aus- drücklicher Anführung dieser Zahlen spricht, redet Brandis von der Sech zigteilung deutlich erst bei der Einteilung jener kleineren Grösse, des „Teiles" oder „Grades". So ist denn auch ehe ich die genannte Ableitung der 60 aus der Zeitrechnung veröffentlichte , eine solche in der bewussten Stelle bei Bkaxdis niemals gefunden worden; auch z. B. von Cantok nicht . der Braxdis' Werk anerkennend citiert ( Vorlesungen über Geschichte der Mathematik^ S. 79, Anm. 10) und verwertet, aber die Herleitung der 60 als ein völlig neues Problem behandelt: „wir glauben indessen doch auf der richtigen Spur gewesen zu sein, als wir das astronomische Gebiet be- traten, denn dort däucht uns liegt der Urspnang dieser Wahl." Noch irriger ist es, wenn ZIMMERN behauptet, BuANDIS beriefe sich für seine Herleitung bereits auf LetrOXXE. Denn LetrONXE in seiner mir seit langem mfolge von Brandis' Hinweise wohlbekannten Abhandlung glaubt, dass die, nach seiner An- sicht aus der ursprünglicheren Zahl 720 durch Hälftelung entstandene, 360 des- halb von Hipparch und den übrigen Mathematikern bevorzugt sei, ,a ce qu'il leur fournissoit un nombre plus simple pxmr le rayon ou le cöte de Phexagone -60'^ = 60 ••• , d. h. Letroxxe giebt für die Entstehung der 60 gerade die andere (geometrische) Erkläning, die neben der von mir auf dem Gebiete der Zeitrechnung gefundenen in Betracht kommt. Vgl. oben S. 350, S. 391 ff., an welch letzterer Stelle deshalb auch Letronxe vor CaXTOR genannt ist, der von jenem unabhängig diese Erklärang gegeben hat.

Zimmern freilich glaubt eine andere Herleitung der 60 gefunden zu haben. Sussu bedeutet ursprünglich '/q (o. S. 391).

„Somit", sagt Zimmers, .muss die Zahl 60 ihrem Ursprünge nach eine solche be- kannte Grösse in der Natur-) sein, die gleichzeitig sowohl das 60fache einer 1-fachen

1) Zur Frage nach den Beziehungen der Tierkreisbilder zu den Helfern der Tiamat (S. 368 u. Anm. 2) ist noch zu verweisen auf Hommel, Aufsätze und Abhand- lungen U, S. 265 f., und UI, S. 395 Anm. 2.

2) Von mir gesperrt.

Mit teil Huijcn Jüul Nachrichten. 483

, . (• T,.il ..in.T in 360 Tcilo zerftillendon Grosso ist. Das trifft aber in ^"'■"T'nstltt und fi ^r rrativ prinütive Kulturstufe paBse.Kier Weise nur zu auf dirSulm von 60 Ta^cn, der glLich^eitig das 60fache des E.nzeltages und •/» des Uuudiahres von 360 Tagen ;^t [f; fp^'); ,,, als das Wahrscheinlichste zu bezeichnen,

zu erblicken ist." . . , vi,,,.

Dip 15e/eiehnun<^ des Zeitraums von 60 Tagen als einer in der Au tut .e.Senen iösse^ist zum Mmdesten sehr missverst^^lndl eh. Zur ^echs elung des^j'xhres konnte man doch erst gelangen, wenn die Bedeutung der Sechs be-eit feststand Mit der Arithmetik, mit den ,rem mathematischen E gen- Sftnt Zahlen" will Ja auch ZiMMEKX (S. 47) sich nicht begnüg

«•b'iften der Zahlen" will ,ia aucn /yi.n.uü-.v.x v"- •^•; ■"-" -.- ?

Da al r Z lAltliN den Ursprung der „uralten" (S. 51), nach seiner Ansicht pHmUivln (vgl. S. 56) Ö-Teüung nicht erklärt, so hält seine venneinthche p imitiven V , p.,j j^ Wahrheit beginnt, das da lautet:

Losung gerade da auf wo das F^o 3 natürlichen Verhältnissen die

Tode: deToNde'r\v'i;e dir, wie die 12 dufch die ca. 12 Mondumläufe Während eines Sonnenkreises, die 30 durch die ca. 30 Tage des synodischen Mondlh™?es die 360 durch die 12X30 Tage der 12 Mondumlaufe gegeben ist (0 S 392)? In diesem Sinne ist das Sechsteljahr keine in der Natur ge-

°'^'"Dafs1urch ZiMMERNS Auffassung die .Herleitung der 60 vom regulären Sechs- eck si^ als d" relativ richtigste erwiese" (S. 50 Anm 2), ist sonnt ebensowenig nch ig, wie der -ecren meine Ableitung angeführte Grund, ,dass gerade die Zeit von 2 Zeit- rinheiten od r >, Himmelsgnid, die dem Sonnendurchmesser entspreche, sich im Sv onlche n <.ends als Einheit im Gebrauch findet, wie man doch erwarten Ste wenn V l%ier aus die Zahl 60 ihren Ausgangspunkt genommen hatte" Dretztle Voraussetzung ist unzutreöend. Wenn man statt der Einteilung d s T Ukreises i.i 720 Sonnendurchmesser die in 360 Teile bevorzugte, so musste nEuh auch die Zeit von 2 Minuten gegen deren Doppeltes, die von 1 Minuten fo S 389) in den Hintergrund treten In W^üirheit -^ ja ^3^!!;,^-^^StTb:; der oooc ■') als babvlonische Einheit ausdrücklich bezeugt (S. 382). Aussei dem abei ist skher auch das i/co der Doppelstunde eine sexagesimale Einheit gerade wie deren 60 fSes,d?ez"t von 5 Tage«, der Sechstelmonat,«) worauf ein andermal

^-^tS°"iner Ableitung die von HoMMK. ermittelte Glei^ung^^ f^ ursprünglich =. ein Sechstel^ „ganz ausser Acht" geblieben sei (ZIMMLR^, S. 46,

K°i^,f tn-i^liiäl^ln Änd^ungen ^^ß^f^^J^', S^l^v rtW« x.l r«, «e«. und für x«^«,^, .a* ^-^J^^^^f ^^^f ^.^^ Zlä.n. o>!, den er

d^sJ^Sonni^'^dtinL SLe^hetC^n I^ Sonnendulchmesser, fe^rt^e^ Be- stimmung seitens der Babylonier ja anderweitig genugsam bezeugt ist (b. 350 f. u.

■^"™o^^",i nr * ^ 1' To>,r ^ i; Donneliahr. Für die Bedeutung der 36 als ""'•^'If zLMKn.rver,veist dafür noch auf ZDMG. 46 (1892), S. 570.

484 Mitteilungen und Nuclirichtcn.

Anni. 1) trifft nicht zu (s. bes. ob. S. 391); auch für niicb ist der Soss zu- nächst das Sechsteljabr. Dass sie in meinen früheren Schriften nicht ausdrück- lich erwähnt ist, riihrt daher, dass die Fortsetzung meiner metioloijimhen Nova den Vorbereitungen zu meiner armenischen Forschungsreise zum Opfer gefallen ist (S. 382 Anm. 2, S. 891 Anm. 3).

Auch bei den bisherigen Erklärungen ist die 60 in ihrer Bedeutung und Entstehung als '/g des Jahreskreises von 360 Tagen gewürdigt worden. Der Unterschied war nur der, dass dabei das eigentliche Problem, die Ableitung der 6 oder der 60 aus der Natur ins Auge gefasst wurde, bei ZiMMEUN hingegen nicht. Ein Fortschritt ist das also nicht.

In Wahrheit giebt es nun noch eine weitere Möglichkeit die 6 aus der Natur zu erklären. Das Material dazu findet sich bei ZiMMEKN (S. 58; S. 51, Anm. 1; S. 49, Anm. 2), wird aber nicht verwertet, weil er die 6 als etwas jUi-alt" Gegebenes, der Erkläi-ung nicht weiter Bedürftiges behandelt. Die menschliche Hand ohne Daumen (4 Fingerbreiten) verhält sich zum ganzen Unterarm ungefähr wie 1 : 6 (daher die primitive Einteilung der Elle in 24 Fingerbreiten). Ob diese Betrachtung allein genügt haben würde, die Be- deutung der Sechs zu begründen und zu einer Sechstelung des Jahreskreises zu fiüu-en , steht dahin. Ich für meinen Teil hätte nichts dagegen auch diese Be- obachtung den beiden anderen Ableitungen hinzuzufügen, so dass also als in- einander greifend (nicht etwa in ihrer Wirksamkeit aufeinander folgend [S. 392]), ausser der Arithmetik in Betracht kämen, Zeitrechnung, Geometrie und die Ver- hältnisse des menschlichen Körpers. Ja . es liegt vielleicht sogar ein direkter Beweis dafür vor in den Bedeutungen des einen Wortes hatu „Hand" und seines Ideogrammes SJJ (ZiMMEKN an den beiden letztgenannten Stellen), als „Hand", „Teil" und ^siissu = ^ ,; und dann = 60' (ob. S. 391). Die ,Hand' (ohne Daumen) ist ein organischer Teil des Unterarms (der Elle), und zwar deren Sechstel. Vgl. fi-eilich auch ob. S. 388, Anm. 3.

Immer aber würde ich das Problem erst damit für -gelöst betrachten, dass die Gi-undzahl des ganzen Sj'stems als solche, nicht in sekundärer Ableitung, als in der Natur vorgezeichnet nachgewiesen wäre, und das ist nur der Fall in den Gleichung

1 Doppelstunde = 60 scheinbare Sonnendurchmesser (vgl. bes. oben S. 393, Abs. 1). Das Sexagesimalsystem mit seinen astronomischen und (technisch-)chronologischen Voraussetzungen ist nun einmal nichts pi-imitives und kann aus primitiven Vorstellungen allein nicht erklärt werden (S. 392).

Die Entstehung des sexagesimalen Längenuiaasses denkt sich ZIMMERN (S.57tf.), wie folgt.

Die Babylonier hätten zunächst (da der Kilometer ca. 12 Minuten beanspruche) den Doppelstundenweg {KAS.PU) auf ca. 10 Kilometer bestimmt, danach die übrigen Maasse, wonach der W'eg-GAR (' igoo K^AS.PL') auf 5,555 m gekommen wäre. Zwischen dem so gewonnenen !Maasse und dem primitiveren System (vgl. S. 382, Abs. 3), in welchem nach ZiMMERXS Vorstellungen die Elle, „voraussichtlich,') dem Körpermaasse eines Durchschnittsmannes entsprechend, 0,440 m', und demgemäss die höhere Einheit, 1 qanü = 7 Ellen, 3,080 m lang „gewesen sein wird',') soll dann, „so gut es eben ging', ein Ausgleich statt- gefunden haben.

,Den Vorgang werden wir uns', sagt Zimmern, , dabei ungefähr folgendermassen zu denken haben. Die beiden Maasssysteme, das ältere von der Fingerbreite und der Elle ausgehend nach der Rufe, dem babylonischen qanii. zu aufsteigend, das neue von

1) Von mir gesperrt.

Miticihmgcn und Nachricfitcn. 485

der Weg-Stundi'') ubwärts nach der biibylonischen Wcg-Sekundc (:= GAliY) zu luTiil)- gleitoiid, stiosscn zusanimoii bei der Rute und der Wog-Sekunde, indem 1 altes qann von + 3,080 in ungefähr die Hälfte des neuen GAU von + 5,555 m war. So setzte man zunächst 1 GAU direkt = 2 qanii, gab dem GAU im neuen System aber nicht etwa 14, sondern blos 12 Ellen, indem man dabei einerseits dem Sexagesimalsystem Rechnung trug, in welches nur die 12, aber nicht die 14 passt, andererseits auch dem Umstände, dass das alte ((aiin eben doch etwas grösser als die Hälfte des neuen GAU war, demnach ein Ausgleich mit dem alten System auch leichter herbeizuführen war bei einer nunmehrigen KinteiUing des GAU in 12 Ellen, statt in 14. Von dem vom Sonnenlauf herstammenden (rAU von ±^ 5,555 m aus hätte sich bei der 12-Teihuig des GAU eine Elle von + 0,463 m ergeben. Zwischen dieser und der vom menschlichen Körper herstammendeu Elle von + 0,440 m wird dann schliesslich ein Ausgleich getroffen worden sein, von dem man annehmen möchte, dass er etwa auf + 0,450 m gelautet hätte'.

Machen wir zunächst einmal ZiMMERNS Vorstellungskreis zu dem unseren und sehen, ob er in sich Bestand hat. Da erweist sich denn die Hereinziehung des qanü als vollkommen wirkungslos, als reines Beiwerk, das ohne irgend eine Spur zu hinterlassen ausgeschaltet werden kann und deshalb muss. Denn es wird bei ZiMMEüN eben nicht das alte Doppel-g-arj« von 6,160 m gezwölftelt, was eine Elle von 0,513 m ergeben hätte, sondern einfach das GAR: s.ä55^j2 = 0,463 m , und auch bei dem vermeintlichen Ausgleich zwischen der vom Sonnenlauf herstammenden Elle von 0,463 und den übrigen Maassen bleibt das Zwölftel des Doppel-^'aww ganz ausser Betracht.

In Wahrheit besagt also ZiJiMEKNS ganze Auseinandersetzung nichts weiter als: die Babylonier nahmen den Doppelstundenweg auf 10 km an, berechneten die Weg-Elle (als dessen ^/jicoo nach der Tabelle von Senkereh) auf 0,463 m und nahmen als Norm für die sexagesimale Elle einen Mittelwert zwischen 0,463 und der „primitiven Elle von 0.440 m" an : ca. 0,450 m.

Dazu ist zunächst zu bemerken, dass, wenn sich die Babylonier zur Neu- einführung eines Ellenmaasses entschlossen , es keinen Zweck hatte , dieses dem älteren Maass um einen Zentimeter anzunähern.-) Weiter aber und hauptsächlich : die ganze Berechnung des Betrages der Längeneinheit aus einer grösseren Wege- einheit, widerspricht nicht nur allen historischen und technischen Überlieferungen und Erfahrungen, nach denen stets die kleinere Längeneinheit das nQüitov^ die grossen Wegemaasse das Abgeleitete sind : sie lässt sich auch direkt als unmöglich erweisen.

Das Meter hatten doch die Babylonier nicht. Sie konnten also das Wege- maass zunächst nur in ihren „primitiven' Ellen resp. in q^anü von 7 solcher Ellen aus- drücken. Nehmen wir für einen Augenblick mit Zimmern an, sie hätten den Doppel- stundenweg auf ca. 10 km bestimmt.^, h. loooooo^/^^ _ ^a. 22727 von ZiMMERNS „pri- mitiven Ellen zu 0,440 m", so hätten sie, da das doch nur ein ungefähres Maass war, die nächste sexagesimale Ellenzahl wählen müssen, 21600 Ellen, und hätten diese als Wegemaass festgesetzt. Allenfalls konnten sie, wollten sie sehr genau sein, die Differenz von ca. 1727 solchen Ellen = 760 Metern durch eine dem Sexagesimal- system conforme Erhöhung ausgleichen. Da -""'"/1727 = 12,50, so bot sich höchst bequem die Erhöhung um 1/12": statt ,0,440" vielmehr i-^^^j x 0,440 = 0,4765. Oder sie konnten ihre „Elle von 0,440 m" beibehalten und eine höhere, in das Sexagesimalsystem sich fügende Ellenzahl wählen, z. B. 2 X 12960 = 25920 (360 X 72) Ellen, wobei sie dann immer noch einen ganz brauchbaren Doppel- stundenweg von 11,4 (Stiuidenweg 5,7) km erhalten hätten, einen Wert, der hinter der späteren Wegstunde Parasang (Wegdoppelstunde, Herodots a^olvog, ob. S. 390) ca. 5,94 (11,88) km (vgl. u. a. Coiifjr. 229 f.) immer noch erheblich zurückblicb.

1) Mit , Weg-Stunde' ist hier die Doppelstunde gemeint, mit „Weg-Sekunde' das GAU. Zwischen beiden besteht das Verhältnis 1800 : 1, also nicht das der Stunde zur Sekunde 8600 : 1. Die Bezeichnungen sind also missverständlich, wenn auch aus S. 57 Anm. 2 bei Zimmekn erklärbar.

2) Vgl. hierzu im Allgemeinen, B3IG\\'. 255, Hermes 35, S. 641).

9

486 Mütcihingen und Nachriclitcn.

Aber die ganze Annalnnie ist überhaupt undenkbar. Wir rechnen doch nur des halb Ullgef ähr 5 km auf die Stunde, weil wir eben das Jletersystem haljen. Und wäre es den babj-lonischen Priestergelehrten nur auf eine ungefähre Bemessung angekommen , so hätten sie für den Doppelstundenweg eine ihnen arithmetisch passende Zahl, z. B. also 360- = 21600, gewählt und jede Elle, deren Länge sich nicht allzusehr von 1/2 m entfernte , hätte diesem Zwecke einer annähernden Bemessung genügt. Aber darin liegt gerade das wesentlich Unterscheidende und die Grösse der babylonischen Betrachtungsweise, dass sie nicht eine populäre und ungefähre Yergleichung ins Auge fasst, sondern ein genaues, strikt zahlenmässig durchgeführtes System von Bezieh- ungen zwischen Zeit und Weg aufstellt.

Wenn wir, von der Gleichung 1 km = 12 Minuten aus, den Minuten weg berechnen, erhalten wir 80 ''3 m, also Brüche in Metern, von den dezimalen Längeneinheiten (Hektometer, Dekameter) ganz zu schweigen. Im babylonischen System aber entspricht, wie auch ZiMMEKN annimmt (8. 61), jeder der sexagesimalen Zeiteinheiten, die (oder deren Hälften resp. Viertel) wir von ihnen übernommen haben, nicht nur eine Zalil in ganzen Ellen (Doppelellen), .sondern jedesmal eine sexagesimale Zahl.

Solche zahlenmässig durchgeführte, genaue Beziehungen lassen sich nur her- stellen durch Aufbau des Systems von kleineren, genau messbareu und kontrollier- baren Beträgen aus.

Es wird daher bei dem Vergleich von Zeiteinheit, Schritt zahl, Schrittlänge (vgl. das Institut der Bematisten) als der Grundlage jener Be- ziehungen zu bleiben haben. Die Gleichung 1 (2) Doppelminute(n) ^ 240 (-180) Schritt ^= 180 (360) Doppelellen (vgl. dazu speziell S. 396) ergab den Doppelstundenweg von 14 400 Schritt = 10 800 Doppelellen = 21600 Ellen.

Der einzige metrologisch bezeugte Betrag des altbabylonischen Längen- maasses, die Gudea - (EUe) Doppelelle von rund (495)990 mm ergiebt den KAS.Pü von (21600)10 800 dieser (Ellen)Doppelellen = 10,692 km, der übrigens der Gleichung 1 km = 12 Minuten näher als irgend ein anderes antikes Wegemaass kommt. Der spätei'e auf der königlichen Elle aufgebaute Stuiidenwcg, der Parasang {ayolvog) von 12 X 30 X 360 = 10 800 königlichen Ellen = ca. 5,94 km nähert sich mehr der Gleichung 1 km =^ 10 Minuten.')

Den Betrag der sexagesimalen (Doppel-)Elle kennen wir, und für seine Her- leitung auf dem Gebiete der Beziehungen zwischen Zeit- und Raummessung haben wir bedeutsame Anhaltspunkte (S. 393 ff.) gefruiden.

Dagegen wissen wir über den Betrag der primitiven Elle, die vor Einführung der sexagesimalen Doppelelle von Sekundenpendellänge, und ihrer Hälfte als Elle, im Gebrauch gewesen sein muss, gar nichts, weil eben schon in der historisch erreichbaren ältesten Zeit das Sexagesimalsystem in voller Ausbildung herrscht. Damit kommen wir zu ZiMMERNS grösstem methodischem Fehler: er operiert mit lauter supponierten Beträgen der verschiedenen Ellen. Weder für seine primitive Elle von 0,440,-) noch für die seiner Ansicht nach aus

1) Die EUeuzahl blieb unverändert, nur die Elle wurde vergrössert. Auch das kann als Bestätigung dafür gelten, dass es eben auf die durch die Schrittzahl bedingte Ellenzahl ankam. Meine Gedanken über die Entstehung der königlichen Elle und des auf ihr aufgebauten Wegemaasses, halte ich, soweit ich sie nicht schon früher an- gedeutet habe, bis zu weiterer Klärung zurück.

2^ Wie misslich es, von allem andern abgesehen, ist, für primitive Systeme die Körpermaasse „eines Durchschnittsmannes" voraussetzen, zeigt das englische yarä, das 1101 p. Chr. von Heinrich dem I. von England nach seiner Arinläuge (ofifenbar vom Hals zur Mitteltingerspitze) festgesetzt wurde und 0,914 ni misst, also eine Doppelelle, die eine Elle von ca. 0,457 m ergäbe. Diese Tradition, ob beglaubigt oder nicht, zeigt,

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MittcilmKjcn und Nachrichten. 487

(li'in Wogciiiaass abEfolcitcto von 0,463 ni , noch für den ver- tu >• i ii t 1 i c h o n Ausgleich zwischen beiden, die Elle von 0,450 m, liegt auch nur der Schatten eines (luellenmilssigen Anhalts auf babylonischem Boden') vor.

Seine ohnehin nicht haltbaren Darlegungen aber stehen und fallen mit den von ihm angenommenen Werten.

Wenn daher ZiMMEKN behauptet (und es sieh als Verdienst anrechnet), dass er „auf die Frage nach dem thatsiichlichen Betrage der babylonischen Elle mit keinem Worte eingehe", so ist das thatsächlich unrichtig.

Diese Äusserang eröffnet eine Anmerkung ZiMMEHXS, die sich speziell mit meinen Arbeiten beschäftigt und wie folgt lautet. (Ich gestatte mir gleich die Buchstaben einzufügen , nach denen ich meine Erwiderung auf die einzelnen Punkte der Reihe nach bezeichne.)

,Auf die äusserst komplizierte Frage nach dem thatsiichlichen Betrage der baby- lonischen Elle gehe ich, wie man sieht, absichtlieh mit keinem Worte ein, da mir, trotz der gegenteiligen Versicherungen \a) Lehmanns, in diesem Punkte noch gar nichts festzustehen seheint, [h) Vgl. in dieser Hinsieht auch die Ausführungen von Joh.ns a. a. O. p. 196 ff. (c) Ich zweifle allerdings keinen Augenblick daran, dass sich über kurz oder lang noch einmal mit Evidenz die Abhängigkeit auch der sämtlichen Längenmaasse des Alterturas und damit auch der Neuzeit (abgesehen vom Mctermaass) von den baby- lonischen Längenmaassen herausstellen wird, wie dies bei den Gewichtsmaassen bereits jetzt, nicht zum wenigsten gerade durch die Arbeiten Leumax.vs, als erwiesen gelten kann, (rf) Dabei werden dann auch die Untersuchungen Leumaxss über die Längenmaasse als sehr dankenswerte Vorarbeiten zu ihrem Rechte kommen, (e) Nur sollte LEnMVN.v solche Dinge, wie die Hineiuziehung des Sekundenpendels, das er bereits bei den Baby- loniern als bekannt voraussetzen will, lieber aus dem Spiele las.sen, da dadurch die an und für sich schon genügend komplizierte Angelegenheit nur noch unnötig komplizierter gestaltet wird.' (/) (Zlmmekn, S. 59 Anm. 1.)

Ich erwidere :

a) Wenn besonders an der bedeutsamen Stelle, an der Zl.MJiKRN seine metrologische Erstlingsarbeit veröifentlicht, ohne nähere Nachweise von , Ver- sicherungen" meinerseits gesprochen wird, so wird der irrige Eindruck er- weckt, als hätte ich meine Ermittelungen ohne Begründung gelassen. Das ist niemals der Fall gewesen. Auch bei meiner letzten Äusservmg zur Sache, bei der ich auf mehrfach wiederholte ausführliche Darlegungen hätte verweisen können, habe ich es vorgezogen, meine Argumentation in iüren Grundzügen zu v/iederholen , VBAG. 1896, S. 452 58. Gegnerische Erklärungen bedürfen daher gleichfalls näherer Begriindung.

b) Die Ermittelung des thatsächlichen Betrages der babylonischen Elle ist an sich durchaus keine komplizierte Frage. Sie wird nur künstlich kompliziert und zwar, abgesehen von dem oben S. 355 Anm. 3 monierten Fehler, besonders dadurch, dass man auf diesem Gebiete historischer Forschung die Regeln historischer Quellenverwertung ausser Acht lässt. So rechnet ZiMllERX mit lauter supponierten Grössen, statt den Maasstab des Gudea zu befragen, der, so wie es nach BokC'HAKDTS fachmännischem Urteil aufzufassen ist, imzweideutig auf eine Elle von 495 498 mm, eine Doppelelle von 990 996 mm führt. Dass meine Darlegungen sich von Anfang an ausdrücklich auf BORCn.\KDTS Ausfühningen über den Gudea-Maassstab und den so wichtigen babylonischen Grundriss gestützt haben {BMG W. 288 tf.) , seheint zu wiederholen nicht über- flüssig (vgl. oben S. 387 Anm. 2).

dass der primitiven Vorstellung die Normierung nach einem (auch an Grösse und BJaft) hervorragenden Mannes mindestens ebenso nahe liegt.

ll DassdieEUe des kleinen ptolemäischenFusses(' ,,von ca.0,309m|C'oH(/r.Tab. hei244]), ca. 0,463 m, die kleine ägyptische Elle ca. 0,450 m misst, woran ich hiermit erinnere, ist natürlich für die Frage des Betrages der altbabylonischen Längeneinheit von keinem Belang.

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488 Mittcihtnficn nml Nachrichten.

c) Dass sich aus dem Maassstab dos Gudea eine Doppelelle von ca. 990 mm er- giebt, erkennt gerade auch JoHNS (s. o. S. 388 Anm. 1) an. Im Übrigen vgl. man zu Johns Anschauungen oben S. 384 Anm. 1;') S. 394 f. Anm. 1. Neben der gemeinen Elle ist die königliche Elle bezeugt: '"'9 der ersteren, vgl. BMGW. S. 800. 313 Anm. 1, Coriffr. S. 195 f. u. Anm. 1 ; oben S. 229, 236 f. Ferner eine Elle von 24 Fingern (JOHNS p. 218, ZIMMERN p. .58 Anm. 3), für deren Be- messung (wie immer in solchen Fällen) zwei Möglichkeiten vorliegen , entweder der Finger blieb unverändert, dann hätten wir es mit einer Elle von -■'/go = ■'/j der Gudea-EUe zu thun oder die Elle blieb unverändert, dann war der Finger grösser, ^\^ (statt ^30) Elle = 20,625. Das erstere ist das wahrscheinlichere. Zur Annahme eines Fingers von 17,4 (statt 16,5 bis 16,6 Gudea) , wie es Johns thut, und zur Ansetzung einer ganzen Anzahl weiterer babylonisch- assyrischer Ellen-Beträge (JOHNS p. 218) geben die Quellen mit Nichten Anlass. d) Auf dem Gebiete der Gewichte lagen die Dinge ungleich kompli- zierter als auf dem der Längenmaasse. Es ist nicht abzusehen, warum somit die Methode, die dort zur Klärung geführt hat, auf dem der Längenmaasse versagen sollte. 80 könnte ich damit auch ganz zufrieden sein , dass auf gegnerischer Seite der Beweis für den Zusammenhang zwischen den antiken Längenmaassen, den ich erbracht zu haben glaube , mit Bestimmtheit von der Zukunft erwartet wird. Meinen jetzt, auch von JoHNS p. 256 und Zimmern, anerkannten Er- mittelungen über die Gewichte , ist es ja noch weit schlimmer ergangen (vgl. dazu VBAG., 1892, 420; 1894, 188 0'., Hermes 27, 544 f Anm. 1).

e) Von Zimmern wird aber ganz übersehen , dass mein Beweis für den Zusammenhang der antiken Längenmaasse und ihre Ableitung aus dem baby- lonischen Maass gar nicht von dem Betrage des babylonischen Längenmaasses abhängt. Dadurch, dass ich nur die antiken Nachrichten über das Verhält- nis der verschiedenen grösseren Wegemaase , (KAS.PU, Parasang, Schoinos, Meile und der verschiedenen Stadien) zu einander in Betracht zog, wurde jene , Frage" geradezu ausgeschaltet, wie das auch deutlich und nachdrücklich von mir betont worden ist (Congr. 245). Der Beweis, dass meine Ermittelungen falsch oder unzureichend sind , hätte also hier einzusetzen , und nicht beim Betrage der babylonischen Elle.

f) Dass das für die Herleitung des Längenmaasses in Betracht kommende Pendel nicht etwas Kompliziertes, sondern etwas sehr Einfaches ist, ist oben (S. 394 f ) gezeigt worden. Die ganz unzutreffenden Vorstellungen , denen wir bei Herrn JOHNS begegneten , scheinen doch weiter verbreitet zu sein , als ich annahm. Ohne meine Schuld , da ich von vornherein mit Nachdruck darauf hingesviesen hatte (vgl. oben 8. 395 Anm.), dass alle komplizierten Formen ausser Frage stünden. Im Übrigen würde, wenn es sich darum handelt, ein schwieriges Problem bis in seine letzten Wurzeln zu vei'folgen, die Erwägung, ob es dadurch etwa noch mehr kompliziert werde , niemals für mich maass- gebend sein.

Ich sehliesse mit einer allgemeinen Bemerkung, die, oft zurückgehalten, doch nun ihre Äusserung fordert. Bei metrologischen und venvandten Problemen handelt es sich darum , unter der Fülle der verschiedenen Zahlenbeziehungen und -Verhältnisse die eine oder die wenigen herauszusuchen , für deren Berücksichtigung und Verwertung seitens der Schöpfer, Verbreiter und Neu- ordner der Systeme die grösste innere Wahrscheinlichkeit spricht. Sehr oft sind das gei'ade nicht die , die im ersten Augenblick am meisten ansprechen. Diese sichtende Thätigkeit kann immer nur sehr langsam und Schritt für Schritt

1) Meine Co»(7r.-AbhandUiug ist übrigens Johns nicht ganz unbekannt. F,r fuhrt sie bei der Behandlung der Gewichte einmal (p. 256) an. Um so verwunderlklur, dass er sie bei den Längenmaassen ganz ausser Acht lässt,

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MittcAlKmjf.n und Naclirichicn. 489

vor sich gehen. Bei allzu anhaltender Beschäftigung in einem Guss trübt sich der Blick, anstatt sieh zu schürfen. Förderndes ist nur dadurch zu erzielen, dass stets erst das Resultat dieses langsamen Siehtens unter stillschweigender Über- trehunc der ausgeschiedenen konkurrierenden Möglichkeiten veröffentlicht wird, und auch dies nur, nachdem irgend wichtigere Ergebnisse .lalire lang im Stillen wieder und wieder geprüft worden sind.

Die anfänglich durch V. BissiNCis l'reigebigkeit 1898/9 und 1899/1900 er- möglichten Ausgrabungen auf dem Totenfeld von Ahmir (ca. 3 i^tunden südlich von Kairo) an den religions-, kultur- und (besonders wegen der lebensvollen far- bigen Reliefs) kunstgeschichtlich höch.st interessanten Anlagen der fünften Dynastie {Zeitschr. f. äg. Bpraclie u. Alterthumskunde 38 , S. 1 ff. n. 94 ff.) werden nunmehr auf Kosten der Deutschen Orient-Oesellschaft (s. deren Mit- fheüungen Nr. 10, ri. 3 If.j unter L. 130RCHARDTS Leitung fortgesetzt.

Stand des griechischen Inschriftenwerks, Anfang 1902. Der von Max FkäNKEL herausgegebene erste Band des Corpus inseriptionum graecm-um Felopcmnesi, der die Inschriften von Aigina und der Argolis umfasst, wird demnächst ausgegeben werden; ihm sind noch die bei den Ausgrabungen von FURTWÄNGLER in Aigina gefundenen Steine zu gute gekommen. Der Druck der thessalischen Inschriften {GIG. Graeciae septentricmalis III 2), deren Heraus- cjabe 0. Kern übertragen ist, soll im Frühjahr beginnen; als Prodromos kann ein Rostocker Univers. Programm (WS. 19(il/2) desselben Gelehrten angesehen werden, welches die 24 archaischen Inschriften von Thessalien zusammenstellt. Von den Inso-qjtiones graecae insularum viaris Aegaei (F. HiLLER VON GaertrinGEN) ist ein neuer fasciculus , V, seit Neujahr im Druck ; er wird die Inseln los, Sikinos, Naxos, Faros, Oliaros, Siphnos, Seriphos, Kythnos, Keos, Andros, Tenos, Gyaros und Syros umfassen. Am besten vertreten ist davon Faros, dank den Ausgrabungen des Instituts im Jahi-e 1898/9, die von 0. RUBENSOIIN ge- leitet wurden und wichtige Ergebnisse geliefert haben, über die in den athenischen Mitteüunqen des Deutsclmi archäoloqischen Instituts zu Athtii berichtet werden wird. ^___ (F- H. V. G.)

Von Eduard Meyers Geschichte des AliertJiunis, in der die Auffassung und Behandlung der alten Geschichte als eines einheitlichen Gebietes vertreten wird, wie sie auch unsere Beiträge anstreben, ist Bd. IV erschienen. Er ent- hält des dritten Teiles („Das Perserreich und die Griechen') drittes Buch: .Athen Vom Frieden von 446 bis zur Kapitulation Athens im Jahre 404 v. Chr.". Den Abschluss des dritten Teiles soll der fünfte Band (Viertes Buch : „Der Aus- gang der griechischen Geschichte, die Zeit von 404 bis 35.5") bilden, nach dessen Veröffentlichung wir auf den dritten Teil und das Werk überhaupt zurückzu- kommen uns vorbehalten.

13

490

Namen- und Saehverzeiehnis.

Von K. Begliii!?.

Die Zahlen bedeuten die Seiten, kleine Zahlen die Anmerkungen. Die griechischen Namen sind in

griechischer, die römischen in lateinischer, die orientalischen, soweit sie in klassischer Form vorkommen,

in dieser, sonst kursiv in der Transskription des Autors aufgeführt. Schriftstellercitate und Inschriften sind

nur aufgenommen, wenn ausführlicher üher dieselben gehandelt wird.

äßaroy auf Inschr 225

Abdera 52

Abramus episcopus 4527

Abu Hanäjä 473

Achilleus Tatios (in Arat. § 18) 382/3. 483 2 Adad , assyr. Gott (nicht Bammän) 256 i

Adad-nirari II 264

Adad-nirari III. 256. 258. 261/7. 269/70. 277/80. 2814. 481

advocati 140

Aedui 335

Ägypten und Babylon 363 2; Ag. und Thera 218/21 ; Äg. Jahr 37. 352. 374 i ; Kolonat in Ag. 424; Äg. seit Sept. Severus 150. 182; praefecti Aegypti 477/8; äg. und maked. Kalender der Ptol.-Zeit 72 j. 74

Aelius Soianus 316

{M) Sar apsi, babyl. Gott . . . .2612 Äthiopischer Zug des Kambyses . . 44 Africa, nova und vctus 139/40; Kaiserkult

in Afr 112 4. 139/40

Agathe Tyche, Agathos Daimon iu Thera 221. 222

AghahDia in Med 27. 46

iiger publicus 298

Agesilaos 55

'AyväiTsg 3353

Agricola s. Julius Agricola. Agrippa 102. 104 2; seine Eeichsstatistik 332. 334. 479 4

Agrippina Claudii 105

colonia Agrippinensis .... 3393. 344

Agu-kak-rimi, bab. Kg 8

Agyieus in Thera 215

Seite

Aigai in Mak 55

Aigeus und Aigeiden iu Sparta . . 214

'Ain Soldia 462. 464. 466

Aisanios von Thera 214

Aischron, arch. Ath 421. 422

Akanthos 53

Alagnia in Osrb 462 3. 465,6

Alba Longa: Etymologie 235; Dreiteilung

in Curien 247 ; alb. Königsreihe . 234

Albigenses 346

Albin'uii 16. 359 i

Aleppo s. Beroia.

Alexander von Epeiros 55

Alexander der Grosse : Gesatntauffassung

Alexanders 56 3; A. in Babylon 2612;

A. und der Herrscherkult 56/65. 68; 70.

71 5. 72. 75. 78 2. 84. 89. 98. 143/4; A.

als Gottesname 62 4; A. als Hörnertriiger

2814; A.-Portrait auf Münzen . . 64ä Alexanderhistoriker über Babylon . 273 1;

'v4/t5a)'de£i«-Spiele 57

Alexandreia in Äg. 59. 61/63. 65. 68/9. 71. 72 4. 76. 95. 98. 143. 153. 178 civitas Alisinensis .... 343 l. 344 1 aUecti 186; vyl. quinquenualis.

Allobroges 479. 480 1

Alpenprovinzen, Kaiserkult in den A. 126/7

Amadai (= Moder) 280. 481

Ambiani 336

Ambilareti, Anibivareti 3353

Ambilatri 333. 335 3. 340

Ameria, Stadt 150 1

Amida, Stadt 467.5

Ammianus Marceil. (XXIII c. 2—3) 461 1

1

Namen- und Sachverzeichnis.

491

Aminoii-Ka und Alexander d. Gr. 56,7. 585. 61. 64/5. 67

Amorgos 16*^

Amoria, Stadt 4732

Amphipolis in Mak 53

Anagnutes 333. 335 3. 340

Anaxil;rates, arch. Ath. (a. 307/6) 407. 412. 417/8; (a. 279/8) 402. 405. 410. 418

Anaximander 373

Andros, Schlacht bei A. 289/92; maked.

Besatzung dort 292

Anemurion in Kilik 453 1

Aukyra in Galat 100/101

anuälistischer Monat 200 2; ann. Prinzip der rijm. Hi.storiker 301. 303 5; des

Dexippos 439

annona und tributa 176 81. 183/4. 186 7

anonvmus post Dienern 436

Anthemusia(s) 448. 450. 453/6. 474. 476

Antigonos (Jlonophthalmos) . . .66. 291

Actigonos I. Gonatas . 84/5. 289 i. 290/4

Antigonos II. Doson . . . 84 1. 289/92

Antiocheia am Orontes 69. 432. 457». 461 1.

471. 475

'Avtiox^iu sVl KcOlioorj .... 459 12

Antiochos, Vater des Seleukos ... 69

Antiochos I., Soter 57 5. 67 J. 68. 78 2. 79.

80. 82. 275. 293. 299 i. 405

Antiochos IL, Theos 60. 78 2. 79,82. 290.

293. 296

Antiochos Hieras, Sohn Ant. U. 290. 299 i

Antiochos III., der Grosse .... 81

Antiochos, Sohn Ant. III 81 4

Antiochos IV., Epiphanes 81. 299 i. 459

Antiochos V., Eupator 61 1

Antiochos VI 82

Antiochos XII 82

Antiochos I. von Kommagene . . . 90/4

Autipater 65. 84

Antiphates, arch. Ath. . 401. 407. 417/8

Antiphilos, arch. Ath 419. 422 3

Antistius Sossianus .... 317 2. 320 i Antonius. . 95(98.150 3.153.303 2.480

Antonius Primus 321. 325

Antoninus (Caraealla) 342 8. 347. 453 1. 454.5. 460

Anu, bab. Gott 3

Anubis in Thera 218

Apameia Osrh. . . 446 2. 448. 449 5. 454

Apameia Syr 471. 4i5

Apammaris (AQtiiaQu. l'amanari) 471 i.

473

Aphrodite in Thera 223; Aphrodite u. Berenike 82; Aphrodite- Arsinoe . 71

Apisstelen 35

Apollon 86 4. 93 2. 94 a; A. Stammvater der Seleuk. 67; A. von Hypata 224; A., A. Delphinios, Karneios, Lykeios, Maleatas, Pythios in Thera 216/8. 220/1. 226; didy- mäischer Apollo 67 4; A. -Helios 92. 9323; A.-Soter = Antiochos I. . . 79. 81/2

'ATtoX/.avitig, ath. Demos 420

ApoUonios (Math.) 379 2

Apollonis (Königin) 86 1

Aquae 343

Aquae Mattiacae 3433

civitas Aquensium 342 s

M. Aquilius Regulus . . . 322,4. 328 1

Aquincum 1349

Aquitanien von Augustus eingerichtet, bei PUn. und Strabo 332/4. 339; bei Ptol. 345; A. als eine civitas 335 2. 338$; A. und der Lyoner Landtag . . 346. 481

Arab Daghy, Gebirge 447

Araber, durch Babyl. beeinflusst 359/61;

ihre Mondstationen 16/7. 20/4; ihre

Planetenkenntnis 190 6 ; ihr Doppelmonat

391; ihre Übersetzungsthätigkeit . 360

Aracha, Prätendent (= NehuTcadnezar IV.)

28. 30. 33. 37. 48

Arachosien 28. 37. 47

L. Aradius Valerius Proculus . . . 1.38.5

arae Flaviae (Rottweil) 133

ara Hadriana 295

ara Komae et Augusti s. Lugudunum. Arakadrii, Berg . . 26. 31,2. 36. 38. 44 Aratos (Astronom i 10. 372 i; (Staatsmann) 84 1. 85 3 araUbiorum .... 1012. 338/9. 347 i

Arbela 27

Arcadius irap - 181 1. Ibo

Arcadius Charisius .... 173/7. 181/6

Archelaos, arch. Ath 411. 421/3

Archimedes 210 2. 358. 379 2

Archonten Athens im 3. Jahrh. . 401/23

Ardea etrusk. Ursprungs 246

Ares 332

Aryistis I. von Chaldia 280?

Argolis und Thera 214. 218

Ariarathes IV 833

Aristeasbrief 291 1

Aristomenes von Mess 53

Aristonvmos, arch. Ath. 404. 408. 410. 415. 417/8

492

Namen- nnä Sachverzeichnis.

Seite

Aristoplianes, areli. Atli 406

Aristotclßs 357 ;i

Aristoteles-Battos 214

Aristyllos 205

Arkesilaos 291/2. 294. 421

Armenien : Aufstand in A. gegen Dareios

27. 36/7. 45/6; arm. Monat Maryas 44;

Armenier u. Chalder bei Xen. 271 a ;

Fortleben der Semiramislegende bei den

A. 280?; arm.-parth. Kriege in Tac. ann.

303 2. 320 1

Arrbeneides, arch. Afh. . 40.5,6. 410. 418

Arrbidaios (il

Äriäda, Festung 28. 48

'AQcivoa, Fest in Thera .... 219/20 Arsinoe, Gattin des Lysim. 293; Gattin

des Philadeipbos 68 2. 70/1. 82. 219. 278;

Schwester Philopators 279 1

Arsinoe (Krokodilopolis) iu Ag. 71. 171; 2 Arsiuoc in der Pelop. (= Metbana?) 218

Arslantasch 448 .->. 454/7. 466 i

Artacliaies, Perser 53

Artagnes, pers. Gott . . . . 92. 93 2 3 Artcwardija, Feldherr d. Dareios 28. 47 Artemidoros von Perge in Thera 219/20.

224 Artemis in Thera 218. 224; A. von Perge

in Thera 220

Artemisia, Königin 55 6

Artoutes 48

Arulenus Rusticus 323 i ; seine Biograpbie

des Paetus Thrasea 3172

Arverni 332/3

Arvii oder Arubii 340. 345/6

Asinius Polio 1503

Asiuius Quadratus .... 303 2. 463 10 Asklepios 86 4; A. von Epidauro.^ in Hypata

224 Ässarhdddoii . . 264 i. 268. 270 2. 280 3

ASur, ass. Gott 267

A.^iirhanab(d 264 i. 268

A-surbelkala 264

Asurnäxirah(d III 267

Asiirnirari 256 1

Assyrien : Aufstand in A. gegen Dareios

27. 37. 45; A. und Babylonien, BegriflF

und Verhältnis zueinander siehe Babylon ;

'Aaai'Qioi Xöyoi des Herodot . . 270/2 Astrologie im Verhältnis zur Astronomie 198. 367 8; astrolog. Ursprung der bab. Mondstationen 6. 25; astrolog. Lehrbuch von Borsippa 198 1

Seite Astronomie der Babylonier 1 25. 189/211. 349/.S80; der Griechen 9/10. 189. 190c; der Araber 359/61; der Hebräer 358,9; der Inder 861, 3; astrou. Terminologie d. Bab. 192 2. 196; astron. Tafeln 12. 13. 23 conventus Asturum und Asturica Augusta,

Kaiserkult hier 119/21

Atesui 336. 340. 345

Athen im Besitze des Antig. Gonatas 292. 294. 419; Archonten imlll. Jahrb. 401 23; afh. Kalender 411;8; Verehrung des Phrurarchen Diogenes 84 1 , des Atta- los I 872

Athena in Thera 213/6

Athenais, Seherin 573

Athosdurchsteehung 53

Atrebates 336

Atmxt, Prätendent 26. 44/5

Attaliden, ihr Herrscherknlt . 85/90. 143

Atfalis, ath. Phyle 420

'AtTaXiOTCil 88

Attalos 1 8611.87 2.1.89.290

Attalos IT 88

Attalos III 86i

Atticus' Besitzungen in Epeiros . . 298

Augures 237

civitas Auderieu'sium 344 1

Augusta, Städtebeiname . . . 120. 131

Augusta Rauricorum 3444

Augusta Vindelicorum .... 129,30 Augustus 154. 170. 315.318 1. 479.480/1 ; Ord- nung von Gallien 332. 339. 347. 480/1; Stellung zum Herrscherkult 96102. 120; 2. 131 2. 144; sein Kult iu Thera 225; Kult des divus A. 103;8. 114 7. 121/8. 129 4

Aulerci Diablintes 340 7

Aurelianus 136. 471 i

M.AureliusPapiriusDionysiuspraef.Aeg.478

Ausci 333 4. 389

Auscidum, Schlacht bei A 288

AHtijära, Schlacht bei A. 27. 39. 43. 46

Autolykos (Math.) 358

Autricum, Druidenkonzil 847 g

aves Titiae 251/2

Avestischer Kalender 37/8

T. Avidius Quietus (eos. 97) . . .311i

il Bnh 476

Babylonien und Assyrien: diese Begriffe bei Herodot 270/1, bei Xen. 271 3; Bab. im Kampf gegen Assyr. unter Samii- Adad 261/2, friedl. Ausgleich wai&v Adad-

Namen- und Saclivcrscichnis.

493

nirari III 262/4. 277; bab. Kgshcrrscliaft des Kambyses 31 ; B. im Aufstand unter Nidiiitnhel 26. 27. 36. 45, unter AracJia 28. 37, dritter Aufstand, von Zopyros überwältigt 270:!; unter Xerxes 32. 48 i. 267. 271 1. 273 c. 275. 276 r,; Läudereien des Antiocbos II bei Bab. 299 l; Ein- fluss der bab. Kultur auf Wcstasicn, Griech., Itom 856/64; auf West- und Ostasien 17; Kulte der Bab. 260/1; bab. Eiufluss im Herrscherkult 83 2 ; bab. Be- ziehungen zwischen Zeit und Eaummcs- sung 881/400; bab. Maass und Gewicht 349. 853/6; bab. Monate 29/47. 50; As- tronomie der Bab. 1/25. 189/211. 349/380; Ausgrabungen in Babylon 273 4; zur To- pographie der Stadt 273/5

Baddäya 476

Baebius Massa 319

Baetasii 835. 887 ;,. 342 i

Baetica, Kaiserkult 123/4

Bagaios 48

7Ja(/n-opfer 30

Balva, Stadt 4703

Baktrien, Satrapie 27. 45

Balbinus 429/31

Balis s. Obbancs.

Balliarci, Prätendent .... 4875. 438

Bambyke s. Hierapolis.

Bannis der tab. Peut 470 3. 471

Barbalissos (= KaVat Balis) 444/5. 474. 475 7 Bardes, Bardija, Barziia, Sohn des Kyros s. Gamnäta und Vahjazdäta.

Barna 449 2

civitas Basiliensium 347

Basilisten 219

M. Bassaeus Rufus praef. Aeg. . . 478

Bassi 337

Bata des geogr. Rav 470 3. 471

Batana, Landschaft . . 448. 450. 452. 456

Batavi in der Liste der Belgica 337. 340/2 ;

als Truppenkörper 337 ,'>; Bataverkrieg 319

Batavodurum 341/2

Bathnae mari . . . 447/8.450 3.470» Bathnai in der Kyrrhestike 4503. 4703 471 Batnai in Osrhoene 448». 449/53. 455/6. 401 1. 470». 474/6 Battos s. Aristoteles.

Bau-ali-iddiii, bab. Kg. 261 i. 262. 2645. 265.

281 J.

Bauten der Nitokris 269. 273. 276, der Se-

miramis 272. 276

Beitrüge z. Mea Geschichte 13.

Behistün Inschrift 26/8. 31/3. 36/7. 44/8;

kleine B. Inschr 28

Bei, Baal, (Sohn des Ann) 3. 5; Bei von

Assur 267; Bel-Mardulc 32. 261. 266/8.

273. 275. 276:-.. 365; vgl. Saturnus.

Belgica bei Plinius 335/8; bei Ptol. 345;

Stellung Zinn Lyoncr Landtag 345/7. 481

Bel'ich (lieliiis, Balissos, Balibu) 8594. 444/5.

449. 455. 457/69. 476

Bellovaci 336

Bel-tarm-ilwm, Assyrer . . . 258. 269

Bommari Canna 447,8. 473 l

Beobachtungshilfsmittel , astronomische

378/9 Berenike, Enkelin des Lysimachos . 293 Berenike I, Gemahlin Soters 70. 71 2. 75. 82 Berenike 11, Gemahlin Euergetes' 72. 74.420 Berenike, Tochter Euergetes' . . . 74 5

BtQSvtKiäai, Demos 420

Beroia (Aleppo) . . . 450». 470/2. 476

Berosos über Semiramis 2778

Berrates 333

Bethamalis, Bethammaria {Kara Menbig) 4714. 473. 475 2. 476

Betriacum, Schlacht bei B 324

Bicum (= vicus) 4492

biographische Darstellungen d. Kaisergeseh. 308/13

Bir, El-Bir 446 i ,■;. 451 2

B'iregik s. Zeugma.

Biris in Thera 216

Birtba 4465

Bit-Adini 4703

Bituriges Cubi 333

Bituriges Vivisci 383. 341

Böotien, Heroenverehrung .... 54 Bogenmaasse der Bab. . . . 193 1. 356

Boi 386 3. 340. 345

Bolates 341

Boreaios in Thera 216

Borsippa 260. 268. 273. 275. 299 i; astrol.

Lehrbuch von B 198 i

ßracara Augusta und conventus Bracar- augustanus, Kaiserkult . . . 119/21 Branchidenorakel s. Miletos.

Brasidas ' 53

Brettier und Lukauer gegen Rhegion und

Lokroi 285

Briefe bei den script. bist. Aug. . . 436

Britanni in Plin. Liste der Belgica 337;

Kaiserkult in Britannien 102. 103. 105

Bructerer 314 1

32

494

Namen- und Saclivcrsciclinif!.

Seite

Bukris, Pirat 421

Bumhug s. Hierapolis

Burunitanus saltus 295

Cadurci 333

Caeciliana {Kal'af in Nigni) 44ö. 469 2. 471/6

Caecina 322

Caesar 47980; üb. d. Bürgerkrieg 307 ; göttl.

Verekruiig des C. 9.")/6 •, vgl. divus Julius

Caeroesi 336 5

Callicome 471 3

Camuiodunum 102/3

Cauaba in Osrh. 447 ; Canabeuse» in Stuhl-

weissenbui'g 134; canabae von Castra

Vetera 3424

Cannenefates 3375

C'anusium , Decurionenliste von C. 154/6. 161/2. 164. 186

Caphrena 452

Caracalla s. Autoninus.

Carales in Sard 128. 136

Ciirnuteni 335

Castra Vetera 3424

Catoslugi 335. 337

celeres (Reiter) 229. 233 2. 242 i ; vgl. tribu-

uus celerum. eensores in Bitbynien 159,60; censorische

Tbätigkeit d. deeemprimi 156. 158. 169. 173

Ceres 1132

Chabon-as 359 4. 449 2. 453. 460 ti. 463 lO.

4692

Cliairephon, arcb. Atb 421/2

Chaldäer 262i

Cbalder 2807. 481; Cb. und Armenier bei

Xen 2713

Chalkedon, KouzU 226

Cbalkis in der Kyrrb. . . . 471. 475 Charax Sidu {= Antbemusias) . 448. 450

Charax Spasinu 4502

Charinos, arcb. Atb . 417/8

Chariten in Thera 216. 218

Chersiacus pagus 338 1

yjAiccQxös = trib. mil 244

Cbina und die ind. Astronomie 368 1 : ehines.

Zodiacus 17, Mondstationen . . 18;23

Cbiron in Thera 216,218

Chnez s. Icbnai.

Cbordenrechnung 379

Chosroes I 460. 475

Chosroes II 433

Cbremonid.'iselier Krieg 291 1. 292. 294. 405/6. 419

.Seite Christentum und Kaiserkult 136. 139/142.

145/6; Chr. in Thera .... 225/7 Chronologie der alban. Könige . . 234

CMatlirita 27. 45/6

Cicero über die tribus 230/2

Cirta 113 4. 129. 139

Cüraiitach-nm, Prätendent ... 27. 37 civis und civitas 337 5; eolonia und civitas

344.479; Gallisehe civitates 331/48.480/1

clarissimus vir 164

Claudius imp. 103|5. 107/8. 127. 144.479; seine

Säkularspiele 315; Kult des divus Claudius 105. 116

Claudius Gothicus 138g

dementia ... 96

Cluniensis conveutus, Kaisorkult . . 120/1

Cluvius Rufus 328 1

eolonia und civitas .... 344. 479. 4S0

ex comitibus, Titel 165

Commodus 477/8

concilium provinciae 157;8; concilium trium

Galliarum 345/7

Condrusi, pagus Condrustis .... 3365

Consoranni 341

Consecration Caesars 96 9. 97, der auguste- ischen Zeit 251, des Constantius I. 138g;

spätere Conseer 140

Constans 164

Constantina = Cirta .... 139. 141 Constantinus I. 173. 176.',. 177; C. und der

Kaiserkult 129.5. 136; divus Constantinus 140 3

Constantius 1 138i>

Constantius II 140. 164

Consuln des Jahres 97 p. C 311 1; Consu-

lat der Flavier 812

convenae 833j4. 339. 341

Corellius Rufus 314 1

Coriosolites .... 346

coronatus, Titel 115; in nachdioclet. Zeit 136 5 138. 140

Cossutianus Capito 3172

Crassus' Partberkrieg 303 2. 457 j 9. 462?. 464.

467

Cremona im J. 68/9 p. C 324/5

Cugerni 3375. 3424

Curien, römische 228j 32. 242, 3. 246 7. 250.252 curiones 242

Dabana, Davana . . . 461,3. 46.5. 466 2 3

D&darSiS 27. 37. 39. 44. 46

Dadas episcopus 452?

Namen- und Saclivcrzcichnis.

49Ö

Daiara, Thiar 449

Sa'niav, Ri'Z. fiir oiiieii Verf^'öttcrtcii 90 s

Iknsan 463

Daki™, Kaiscrkult 115

äuiuoQyög, Priester iu Thora . . . 218 Uaiiae, Gattin des Sophrun .... 291 Dareios erste Regioniiigsjalire 20 50; seine

Satrapieen ... 270

Decemprimat 147/187

decemvir maximus 149

decuriones, ordo decurionum 147/8. 154/8. 160/2. 164/6. 169. 172. 182. 186/7

defensor 166. 171

Deiuarclios 401/2

Dekaprotie 147/87

Delos 66. 84 1; 1). z. Z. des Antigonos I.

292. 294

Delphoi und das Orakel 219. 220; delpb.

ArchoD Peithagoras 422

Demainetos, Strnteg 421

Demeter 86 4 ; Demeter Eleusinia inThera 214

Demetrias = Sikyon 66

Demetrios I. Poliorketes von Mak. 66. 84. 402. 403i. 411 1; sein Sieg bi'i Salamis

auf Kypriis 291

Demetrios II. v. Mak 293

Demetrios II. v. Syr 81

Demetrios III. v. Syr 82

Demetrios, arch. Ath 418

Demetrios von Phaleron 411

Demochares 403

Demokies, arch. Ath. 402. 405. 410. 416/8

Demokritos 9

Deniz 456

Der cz Zör 4465

Designation der Consuln 311 1

Despotismus in Assyr. und Babyl. . 264 1

Deuteros in Thera 216

Dexippos, Quelle des Zosimos 427/42, des

Panodor 433

Dezimalsystem 3476, in derröm. Verfassung

149 Diadochen, Herrscherkultc der D. 59/95

didymäischer Apollo 67 4

Die über die älteste röm. Gesch. . 234/7 Diocletianus . . . 158. 169. 176/7. 183 Diodoros (II 30) 14; (XXII, 7, 5) 284 ff Diogenes, Pbrurarch in Athen 84 1. 87 u Diognetos, arch. Ath. . . . 402. 410. 418 Diokles, arch. Ath. 403 i 408/10. 415. 417/22

Diokles von Syrakus 53

Diou vou Syrakus 55

Dionysios von Ilalikarnass über die Tribus

2S0 232; über Komuliis u. Remus 233

Dionysios von Milet Quelle Herodots 271 i

Dionysos, D. Anthister in Thera 219. 221 :

D. als Stammvater des Alex. 58 ö. 70, des

Ptol. 67 .i G. 83 2 ; D. als Antiochos XII. 82

Dioskuren in 'l'h 216. 220

Diotimos, arch. Ath. 403 i. 404. 408/10. 415.

418

divus und deus 97

Domänen asiat. Ursprungs .... 296/8 Domitianus 115. 116. 117 a. 133. 135/6. 300. 305. 308 1. 312. 321 L. Domitius Ahenobarbus .... 132 Domitius Apollinaris (cos. 97 p. C.) 311 1

Donatisten 141:,. 142 5. 164 4

Doppelmaass neben dein einfachen 390. 397. 450 1

Doppelminute 384. 483

Doppelmonat 357 i. 390/1

Doppelstunde .«. 1ms. hu.

Dorer in Thera 214

Dorieus von Sparta 214

Dreiteilung der alt. röm. Gesch. sacral 242/8, militärisch 244 5, etrusk. Ursprungs 245/7,

in Italien überhaupt 253

Dreizahl bei den Etruskern 246/7. 2,53, in

Italien 253

Druidenkonzil in Autrieuni .... 347g Drusus 101. 132. 336:.

Ea, bab. Gott 4. 268

Eburacum 308 1

Eburones 3365

Ecolisnenses 346

Edessa(Orrhoe,I/)frt)444. 446/8.451.454/64.

466 1. 467. 469. 470 :i. 475/6; irrtümlich

für Hierapolis 4702

Egestaier 53

Einquellenprineip bei antiken Histor. 821 1 ;

bei Zonaras ... 434

Elagabalus 3464

Eleusis Hafen, Eleusinios Monat in Thera214 Elle (=U) 384. 386/9. 484. 488; gemeine u.

kgl. 2736. 390. 488 ; Doppelclle 388/9. 486/8

Elusates 340

Emerita 12'1

Emma iu der Kyrrh 471 1

Engel- und Heroenkult vermischt 225. 227 a Epagomenen (Zusatztage, Fcnvardin-iAgo)

352

Ephemeriden Alexanders 261-2

32*

496

J^amen- und Saelwerzdclmis.

Ephesos TOD Sophron befehligt 290/1 ; in den letzten Jahren Soters syrisch 293 ; tem})lum Romae et divi Juli hier . 98

Epikuros 291. 402. 404

'E-:ii<fdri\i, Beiname .... 83. 91. 95

colonia Equestris 344. 3464

Eragiza 471 4. 473

Eratosthenes (Math.) 9. 358

Eravisci 134

Ergochares, arch. Ath.. . .419,20. 422/3 Eriuyeu in Thera 216 ; E. des Laio.s u. Oi-

dipus 214

Erüa, bab. Göttin 2753

Erythrai 55. 67

Esaggil, Tempel in Bab. 8. 32. 260/1.266. 268. 271 1. 278/5 Eski ScrJig s. Seriig.

Etruskische Einflüsse in Rom 232 ; Etr. ritus 245 7. 252; Etr. Ursprung der drei

Tribus und Curien 246/7

Eubulos, arch. Ath.. . . 404 5. 410. 418

Euhemeros 145

Eukleides (Math.) 358

Eukfemon, arch. Ath. 401. 407. 414. 418 Eumenes I. . .63/5.85.^.89.2612.298

Eumenes II 87 n. 88/9

Euphiletos, arch. Ath 419. 422

Euphratfurten 469 1; lauf . . .444/5

Euphron von Sikyon 53

Europos {Geräbls) 471/8

Eusebios Quelle des Panodor . . . 433

Euthios, arch. Ath. 403 1. 404 5. 409 10.415.

417/8

Euxenippos, arch. Ath. . 407. 414. 417/8

exactor tributorum 174. 186,7

exitus illustrium virorum 810/2

Exterritorialität 295,9

Ezida, Tempel in Babylon ßorsippa) 260. 273. 275; in KaUch 269

Fabius (Pictor) Quelle des Polybios 286/7,

des Die 285

Fabius Postuminus 329 1

Fabius Rusticus. Vorgänger des Tacitus

301 Fabricius i/consul 282 a. C.) . . 285. 288

Fabricius Veiento 314 1

C. Fannius, Historiker 311

Farbensymbolik 366 1

feriale von Capua 136 i

Feste s. Spiele.

Flächenmaasse der Bab 356

Seite flamen und sacerdos 115; flamines derCurien

242 ; flamen und flaminica im Kaiserkult 105. 110/8. 122/4. 126,8

Flamininus 94

Flavius Priscus praef. Aeg 477/8

C. Flavius Sulpicius Similis praef. Aeg. 478 Formeln, assyrische . . . 258 1 r.. 276 3 Fräda, Prätendent in Margiana . 27. 39 Frauen als Beamte 185 1; „FraudesPalastes",

Titel der Semiramis .... 258. 270 1 Friedberg in Hessen vielleicht caput einer

civitas 343?

Frisiavones 387 5. 344 1

Frisii 337 .^ 844 1

Fürsprecher aufassyr.-bab.Monumenten2Sl 4 Q. Fulvius Gillo Bittius Proculus . 329 1 M. Furius Vietorinus praef. Aeg. . . 478 Fuss 3902

Ga in Thera 218

Gabalcs 333

Gaius (Caligula) 104

Galabatha 468

Galba imp. 304/5. 307. 318 i. 822/3. 327 1

Galerius Maximianus 467

Galliereinfall 79 1 ; Gallische civitates 331/48. 480/1 ; Kaiscrkult der tres Galliae ä. Lugu- dunum.

Gallus imp 432

Ganaba 4474

GMdiifava Landschaft . . 28. 39. 47,8 gar (zwei Doppelsekunden) 387, 90. 395. 484/5

Garmusch, Gebirge 458

Gauvtäta {Bardes, Bar-zi-ia, Smerdis) 26. 28. 30 6. 38. 41/5. 50. 271 1; sein Anden- ken getilgt 32. 42

Gebundenheit an die Scholle 295/9. 424/6; an die idia, Heimatsbezirk . . .424/5

Gelon von Syrakus 53

Geminus (Astronom) .... 201. 206

Generationen 269

gens Flavia, ihr Kult 136/8; geutes mino- res und maiores 236. 240. 241 ; gentes und civitates bei der Aushebung . 387

C. Genucius consul 288

geographus Ravennas 449. 460 g. 470/1. 473 Geräbls s. Europos.

Germani 3365; Germanorum cohortes 3383; Germania bez. Germani des 1. Rheinufers eine civ. der Belgica, ihre Stellung zum Lyoner Landtage 338/9. 345, 6. 481 ; Ger- mania sup. und Inf 123 6. 340. 345. 347

Namen- und Sachverzeichnis.

497

Germaiiicus flameii 105, bei Tacitus ;!20 i,

als Astronom •*

Gestirndienst clor Hab. 3(i.5f.; viß. Mond- kultus. Gewichte der ßab. ;!.",(;. 397,8; bab. Mine und neuere Gewichtsgrössen . . . 399 Gobryas {Ugharu, Gaubaniva) 28. 271 3 Göttl. Verehrung Lebender 54/6 ; s. Toten- kult, Herrscherkult. Gold und Silber, Verhältnis von (i. u. S.

356 1

Gordiani I. und II 428/31

Gordianus II 432

Gordianus III l«4/5. 432

Gorgias, arch. Atb. 402. 405. 409,10. 418

Gorgobiua 3362

Goteneinfälle 439 40. 4414

Gottkönigtum und Götterniaskeraden 281 J ;

vgl. Herrseherkult. Grenzsteine, bab., mit ilen Tierkreiszeichen 7.9. 25

Grinos von Thera 214

Grosses Jahr 3613; G. ,1., Perioden uud Cyklen bei Bab., Griech. und Chinesen 398 Gudea, Statuen 2814, Maasstab des G. 355. 387. 486/8 Gxdm, Fluss . . . 459. 462 7. 468/4 468 <liir, bab. Maass :^49i

Hadriauus 112. 134. 136

Hngib 454;5

Hagnon 58

Haldita, Vater des Aracha . . . 28. 48

Halikarnassos 682

(7 Hammöm 476

Hammurabi, Kg. von Bali 272

Handbreite (Maass) 3883.484

Harrän s. Karrhai.

HatSepsorvet von Ag 278

Hausgötter in Thera 221

Hebräer s. Juden.

Hedl 469

Hegomachos. arch. Ath . . 401. 407. 418

Hegesias, areh. Atli 401

Hejabendi 466 1

Hekataios (von Milet; (.Quelle des Dionysios vonMilet 2712, desHerodot 271 •>. 273 i. 270

Hekataios von Teos 1452

Heliodoros, arch. Ath 421/3

Helios-Ra 74; vgl. Apollon-Helios.

Helvetii 335. 336 5. 345. 480 7

Helvidius I'riseus. . . . 316. 819. 823 l

Seite Ilephaistioiis Heroisierung 59 60.62, 3.65.73 1.

80 2

Heraclius im]) 433

Ileraios, Monat der Totenfeier \xm\'H(tula

(Fest) 545

llerakleiain Lukanien, Sehlacht b. II. 285

llerakleia Pontike 441

Herakleitos, arch. Ath. . . . 419. 422

Herakles 92. 93. 94 ;i; in Thera 2212.223;

Stammvater des Alexander 65, des Ptolc-

maios 67. 82

Herennianus 489

Hermes 932; H., Hermes iVpoiptos in Thera 217. 221. 223

Ilermogenes, arch. Ath 420

Herodianus 428/80

Herodot(I184f.)259; (1187)258;,; (III67) 34; (in 68) 33; (HI 126/128) 48; (111158) 48 1 ; H. über Bab. uud Assyrien, 'AaavQioi löyoi 270/5; über Semiramis 256/7. 259. 269/70. 272/3. 275/8; seine Quellen 271. 273c. 276; seine Reisen .... 2762 Heroisierungen 52/5; II. und Kult von Privatpersonen 85 3. 87 11; Heroenkult in Thera 224/5; H. , Urform des Königs- kultes 69 c; )jQ0)g xriCTjjs 62. 69; vgl. Herrscherkult, Totenkult. Herrscherkulte 51, 146 ; in Thera 219. 225 6; Kultformen und Ritus beim Herrscher- kult 57 5. 62 3. 63/4. 85 3. 86/7. 91. 99/101. 106,7

Hestia in Thera 221/2

Hexapolis des linken Pontos . . . 186 Hierapolis Kyrrh. (Mabog, Bambyke = Bmnbug, Menbig) 450 3. 451. 454 1. 461 i. 470/6 Hioromnemon, arch. Ath. . . 412. 417/8 Hieron I. von Syrakus . . . .58. 287 Hieron, arch. Ath. . . 404. 409/10. 416/8

Hieronymos von Kardia 2612

Hieronymus, der hl., über Tacitus . 809 Himmelsbeobachtung der Bab., Alter der- selben 197; Himmelsteilung der Bab. 3 Hipparchos (Astronom) 10. 200/2. 203 4. 205/7. 209/11. 357.363. 372 1. 379 2. 482. Hipponion im Pyrrh. Krieg . . . 285

Hispellum 137/9

Histiaia 84 1

Hörner, göttl. Abzeichen . . . 64c. 281 1

IJöhiz 455. 466

Hohlmaasse der Bab 849 1. 897

Homonoia in Thera 220

498

Namen- und Sachvcrzeiclinis.

Honorius 154. 160

Horatier und Curiatier 247

Hostilia vicus Veronensium .... 325 HyAfiines Vidariw . . . 27/8. 37. 46

Hj'pata, Kulte 224

Hypsikles (Math.) 358. 3792

Hyrkanischer Aufstand unter Phraortes 27.

36,7. 46

Hystaspes Vütäspa, Vater des Dareios

27. 37. 46;7

Jahr und seine Einteilung 352/3. 390i'l-, Jahreszeiten im Tierkreis 6; Länge der astron. Jahreszeiten 206/7; Jahrespunkt 357 1; Entstehung des Jahres bei den Bab. 374/5; Jahresangabe bei Priester- üimern 113 2. 126 3; Zahl der Tage des

Jahres 352/3

Jakob von Batnai-.S'er»^ . . . 451 4. 452

Jason, arch. Ath 406

Jasos 153

Ichnai Chnez 455. 465/7

Iluronenses 341

Immunität des Kaiserpriesters , . . 141

. . . imaima, Prätendent 28

Inder: ihre Mathematik 489; ihre Astro- nomie 361 3; ihre Mondstationen («a.i'a?ra) 16/7. 20/3. 372 i; ihr Jahr .352 1; ihr

Doppelmonat 391

Inschriften bei Tacitus 330 i; aegyptische: von Kanopos 72/5, Edikt von Memphis 76/7, Stein von Rosette 76 7; babylonische : Koutrakttafeln 30/6. 41. 43/5. 49; vgl. Kambyses, SehiikadnezarU., SamaSSumu- Jcin; assyrische: 258. 261. 263. 266/8. 280; Inschr. des SamSi Adad 261, genea- logische I. des Adadnirari2Q7, Eponymen- liste mit Beischr. 269, Prisma-Inschr. des Sanherib 280 4 ; Verwaltungsliste 259. 2614. 263. 280; synchronistische Ge- schichte 262/6. 281 4; chaldische I. 256 i ; griechische: von Delos 292. 294, von Thera 215,7. 219 25; CIG. (2693 b) 55 li, (3490,1) 1.513. 152 2. 167. 182/4, (6084) 401/2, CIA. in (623/4) 125, I.G.Ins. I (145) 281, Ath. Mitt. (VI, 167) 152 1, Bull. hell. (XI, 473) 1513. 168/9, revue des et. gr. (VI, 160) 153. 163, Kaibel epigr. (781) 2912; lateinische: CIL. II (4248) 119 1, III (7506) 131 1, (10496) 130 2, VI (1377) 4543, VIII (2403) 161/2. 164, (2757) 149 2, LX (338) 154,6. 161/2.

Seite

164, X (7940) 127/8, Wilmanns (2843)

137

Intervall zwischen Consuhit und Procon-

sulat 329 1

lob (38, 31) 16 1

Josephos (c. Ap. I 142) 259

Josias, jüd. Kg 15

Josua Stylites 452 s

Jovianus, eonseoriert 140

Isaios, arch. Ath. . . 404. 409/10. 418 Isidoros von Charax 448/50. 456/7. 465/7 Isis in Thera 218; in Halikaruassos 682;

Stern der Isis 74

iao&ioi Tiiicii 55

Ispuinis {Uspina) von Chaldia . . 280?

Mar, ass. Göttin 279

Italia in Osrh 4492

itinerarium Antoniui 447. 449. 451. 471. 474 Itti-MarduTc-halätu, Babylonier . . 43 Ifu'{a). Züge der Assyrer gegen die I. 263 3

'Irvxcitoi 283 '4

Juba II. als Quelle Plutarchs 231 1 ; J. und

der Kaiserkult 127

Juden (Hebräer) , durch Bab. beeinflusst 358/9; jüd. Kalender 3.59 1; Maasse der Hebr. 3.59; Wohnsitze der exilierten J. 3594; vffl. Makkabäer. Julianus imp., consecriert 140; sein Perser- krieg 449. 451. 460. 461 1. 465. 470. 475

Julianus episcop 452?

divus Julius, Kult des d. J. 96s. 97. 102.

104/5. 113. 128/9. 144

Julius Africanus, Quelle des Panodor 433

Julius Agricola . 308 1. 311 1. 312. 317«

Ti. Julius Ferox 329 1

Julius Festus Hymettius 140

Julius Frontinus 311 1. 314 1

Julius Sabinus 319

L. Julius Vestinus, praef. Aeg. . . 478

Junius Blaesus 326

Juno Curis (Curitis) 247

Jupiter Julius 96

ius Latium 334. 339. 479; i. Italicum 479 Justinians Codification .... 161. 185 Izziiu, Schlacht bei I. . 27. 39. 44. 46

Aa, bab. Maass 349 1

Kadmos u. Kadmeer in Thera . 213/4 Kaiserkulte 95/146, K. in Thera 225/6;

vgl. Herrscherkulte. Kalach-Nimnid 260 1. 268: Inschriften v. K.

258. 263. 266; Monumente dort 2593. 2814

9

Namen- und Sachverzeichnis.

499

Seite Kal'atEiilis s. Barbalissos. KaVtit in yigin s. Caeciliaua. Kalender, siehe ägyptischer, atlieiiiselier,

jüdischer, persischer, römisclier K., Tag,

Woche, Monat, Jahr.

Kall . . ., arch. Ath 420. 422/3

Kallaischros, arch. Ath 421/2

Kallinikon s. Nikephorion.

Kallippos, Cyklus des K 377

Kallirhoe, Quelle 4ö9i

Kallisthenes 357 :;; histur. Wert des Pseiido-

Kallisth 03 1

KäXliOTog = Bcü/ABta 437 S

Kallistratos, arch. Ath 4-21

Kambyses' Zug nach Äthiopien 44; als Kg.

von Babylon 31; sein Tod 26. 28. 31.

41/3. 50; nach ihm datierte Tafeln 12.

31. 34/5. 191. 193

Kampadd = Iucußudi]ri'i. Landschaft 27. 46

Kampaner in Khegion 284 8

Kä))tiakäti!.<, Schlacht bei K. 28. 39. 47 8 Kappadokien, Herrscherkult . . . 83 2

Kara Koyun 463

Kara Menhir] s. Bethamalis.

Karamuch 466 i. 469

Karische Expedition des Antigonos Doson

290

Karueenfest . . 216/7

KcppK, Bach 463

Karrhai (ffarrän) 359 4.448/9.451.456 67.

470 ;;. 474 6 ; Mondfeiern der Harraniten

15 16

Karthago und Rom : Zweites Bündnis beider

283 4; drittes Bündnis 282 3; im pyrrh.

Kriege 284 6; Municipalkult des divus

Augustus in K 114

Kassander 66

Kassandreia 66

kas.hu, kas.pu, bab. Doppelstunde 350 1.

353. 356. 386 7. 390 1. 398-9. 482/6. 488

ndtoixoi 298

Kaulonia, zerstört 287

Kavades, P(>rscrkg 462

Keilschrift als Vorkehrsträger . . 363 4 Keltische sakrale Institutionen . . 3476

Kephisodoros, arch. Ath 402

Kimon, arch. Ath. 402 3. 405. 408. 410. 417/8

Kleanthes, Philosoph 406

Klearchos, arch. Ath. 401. 407. 414. 41 7 '8

Kleomenes, Statth. v. Äg 59

Kleopatra, Schwester Alex 55

Seite

Kleopatra, Gattin Ptol. V 77

Kleopatra, die letzte 78. 98

Kleostratos aus Tenedos (Astr.) . . 9

Knidos 84 i. 2912

Königtum der Bab. 32. 34. 266/8. 277/8;

Königsliste der bab. Dynastie H. 264 5.

278 •>. 281-1

Köjmi Dar 458/9. 463

y.oiv6ßov7.og 157/8

xoivbv Tü>v 'huvoiv 57

Kolonat, Ursprung des K. . 295/9. 424/6

Kolophou 413

Komeas, Hipparch .... 404 5. 417 Kometen, ihre Beobachtung bei den Bab. 198 Kommageiie, Herrscherkult . . . . 90'4

Kommisimbela 465 6

Konstantine {]Fer<imrihfj . . . 467 5. 475

Kora in Thera 217

Koraia 448. 452. 456/7. 465

Koran (Sure 10, 5 u. 36, 39) . . . 16 Koroibos, arch. Ath. . 407. 4123. 417/8 Korupedion, Schlacht bei K. . . . 405

Kos, Schlacht bei K 289/94

Kranaspes, Sohn d. Mitrobates . . 48

Kreisteilung 357/8

Kreta und Thera 214/8

Kroton, von kamp. Söldn. besetzt . 287 Ktesias über bab. Mauer 273 t;; Semiramis-

roraan 256. 279/80

Ktesiphon unter Valerian belagert 438. 441 Kudiiria, Schlacht bei K. 27. 39. 44. 46 7

Külhüjük 451 2. 456. 465/6

Kulte der Bab. 260/1; in Thera 212/27; Kultbilder d. Assyrer 2593; rj?. Herrscher- kult, Kaiserkult. Kureten in Thera . . 216. 222 3. 227*

Kypros 804

Kyrene und Thera 214

y.i'Qioi Kaiyp]86vioi 283/4

KvQOa, Bach 463 lo

Kyros 271;!; sein Tod 35

Kyzikos 86 1

Lachares 408

Laches 402

Lactora 346 3; Lactorates .... 341 Längenmaasse der Bab. . . . 355. 481/9

. . . laios, arch. Ath 404

Lakydes, Philosoph 421

lamischer Krieg 407

Laodike. Gattin Autiochos" 11. 79. 290. 296. 299 1

10

500

tarnen- und Saclivcrzciclinis.

XaoyQacflu 426

}.aoi als Kolonen 425; /.aol ßaaUiy.oi 297

AäQiaaci (KaJach) 260 1

Latinische Kolonieen 149 g; latinisehe Ge- sandtschaft in Rom 149 G; vgl. ius Latium. legio, Begriff 288; legio V Mac. 131 1;

legio VII Claudiana 325

Lemnos 78 2. 404 '5

Lemonices -333

Leochares, arch. Ath 419. 422 3

Leontion, Gattin des Metrodoros . . 291 Leoquelle des Zonaras .... 436 3. 437 Leostratos, arch. Ath. 407. 409. 414. 417 8 Lepidus 479/80; gegen Sulla ... 305

Leuci 335.6. 345

Leuka. Insel bei Itanos 218

Asixo}.Xa 289. 291

lex coloniac Genetivae 241. 252; lex Hieronica 298; lex Manciana 295; lex

Ogulnia 237. 239. 241

Lingones 335. 336?,. 345

Lindos, Felsaltäre 218

Linienführung in der tab. Peut. . . 4495

Litarbai 4503. 470

Livia (diva Augusta) . . . 103,6. 1294 Livius über die Augurn 237 40 ; (Buch X,

6, 7) 238

Lochaia Damia in Thera .... 216 Logographen. Quelle Herodots . . . 271 Lokroi im Pyrrh. Krieg .... 285 6 T. Longaeus Rufus, praef. Äeg. . . 478

Lopodunum 342

Luceres 228,9. 231,2. 235,6. 240. 247. 249,50. 254,5

Lucerus von Ardea 231 3. 247

Lucumo 231. 247

Liicus Augusti in der Xarbon. . . . 342^ Lucus Augusti und conventus Lucensis in

Spanien, Kaiserkult 119 21

Ludus Troiae 243

Lugudunum (Lyon) 326. 344 6. 479 80; ara und templum Romae et Aug. 101 2. 105. 108 10. 331.3.38 9. .34.5 8; Inschriften 4806; Lugdunensis bei Plinius . . . 334 '5

Lugudunum Batavorum 341

Lukaner -s. Brettier.

luperci 96

Lusitania. Kaiserkiilt 122 3

Lydien, Satrapie 48

Lysanders göttl. Verehrung . . 54 5. 59

Lysandros (= Hades) 543

Lysias, arch. Ath. . 402. 408. 410. 417,8

Lysimachos 64 .i. 66,7. 84

Seite

89. 293,4. 403 i. 405. 417

Maasse s. Babylonien, Juden. Mabog s. Hierapolis.

Machedona, Ort 4553

Q. Maecius Laetus, praef. Aeg. . . 478

Maeonius 441 g

Magnus von Karrhai . . . 461 l. 475 3

uayocfovia 30

c,l MaMebije 469

Majorianus inip 161

Makkabäeraufstand 81. 145

Makedonien, HerrscherkultSl 5. 143; make- donische Ansiedlungen in Mesop. 455 6 Mamertiner in Messana . . 284 5. 287 Mandäer, ihre Planetenkenntnis . . 190g

Mannos 466 1

Mannuorrha Aureth . . 462. 465. 466 1

Mantua, Tribuseinteilung . . 246. 252

Marcus imp. 134 5; Partherkrieg des M.

und Verus .... 453. 467 5. 472 i

Marduk s. Bcl-Mardiik.

3Iardnk balat sn-ilchi, Kg. von Bab. 261 4.

262. 281 4

Margiana, Aufstand gegen Dareios dort 27.

45. 47

Marius Maximus' Coniposition. . . 309

Martija. Prätendent in .Susiana . 27. 36

3Ianis in Medien, Schlacht bei M. 27. 38. 46

Massilia, Verfassung .... 147/9. 151

ilas'udije 476

civitas Mattiacorum 343

Mauretania, Kaiserkult 127

Maussollos von Karlen 55

Maxentius 138 g

Maximinus 4292

Maximus (vulgo Pupienus) . . . 429/31 nuizzaloth s. Mondstationcu.

Mediana 4475

Meder als Bildner der Semiraniissage 280; Aufstand in Medien gegen Dareios 27. 36. 43. 45 6. 48; vgl. Amadai.

Mediomatrici 335, 6

Megalopolis 58 5. 85 3

Meldi 335

Membliaros in Thera 213

Memphis 77 ; Beisetzung .\lo.xanders in M. 61 3

Menapii -3365

Menbig s. Hierapolis.

Menekles, arch. Ath. 404. 409/10 416/8

Menekrates, arch. Ath 419,23

11

Namen- und Sachverzeichnis.

501

Sfeito

Mciiiifis von Clialiiia 2807

Mefkcnc 445. 4()S). 474

Mcsopotamisclies riiiiillelogriiiiiin, Geogra- phie dos M. P 443/76

Mte-jtila 260 1

Messsina s. Maniortiner.

liiTcdXdtTSir u. ä. als teclin. Ausdruck 60. 61 1

Methana s. Arsinoo.

Metrisches Maa.ss 39!) 400

Metrodoros, Epikureer .... 291. 402 M. Mettius Rufus, praef. Aeg. . . . 478 Mevius Honoratianus, praef. Aeg. . 478

Milchstrasse 4. 7. 8

Minyer in Thera 214. 218

miles, Etymologie 229. 245

Miletos 67 i ; Branchidenorakel bei M. 57. 58 5

Militärdistrikt in Mösien 1335

MilitärischeBedeutg.d.tribus229. 282 4.244/5 Miltiades, Sohn des Kypselos ... 53 C. Minicius Italus, praef. Aeg. . . 478

Mithras 87 6. 92. 98 2

Mithradatischer Krieg des Pompeius 150 Mitrobates, Satrap von Phrygien . . 48

Mizha^ar 447

Mnesidemos, areh. Ath. . 401. 4U7. 417/8

Modena, Schlacht hei M 480

Moesia, Kaiserkult .... 131 3. 135 6 Monatsnamen und Monatsgötter der Baby- lonier 8662; persische und babylonische Monate 26/47. 50; susische Monate 28/31. - 38. 39. 43 4. 49/50; armenischer Monat Margas 44; Monate des Kevolutions- kalenders 30; drakonitischer, siderischer u. synodischer M. . .200 2 363. 378 Mondbeobachtungen der Bab. 193/7; Mond- durchmesser 208/9 ; Mondfinsternisse 196 1. 375/7; Mondkultus in Hwran 15 '6, der Bab. 356). 359. 868 9; Mondrechnungs- tafeln 199/203; Mondstationeu der Bab. 14. 24. 25. 859. 369, der Araber und Hebräer {mazzaloth, vuinzil) 15,7. 20/4. 359. 369, der Chinesen {siu.) 18/23. 869, der Inder {naxatra) . . 16/7. 20/3. 369

Morini 886 5. 337. 338 1

Münzen mit Alexanderkopf 64.ö(i, M. von Tarraco 102 1, Lugudunum 109 1, Ichnai Mak. 467, des Antigonos Gonatas 84 2. 291 2, von Syros 89 4, von Thera 217 i, der Attaliden 89, von Mytilene 87 11, des Antiochos II. 81, des Ant. IV. u. seiner Nachfolger 81, von HierapolisKyrrh. 470, Authemusias453 1, Antiochia i'xlKalUQori

459 2, der Ptolemäer 7S ; röm. Münzwesen babyl. Ursprungs 354; Münzen Nervas 300 1, des Balista 437 5, Consecrations- mUnze Constaiitius I. 138 G , Münzvcr- schlechterung des 3. Jahrb. . 177. 187

munieipia

150 1

L. Munatius, Plauens 479/80

munus patrimonii, personale und mixtum

174,6. 1822. 185

Mylasa('.4i'rio;{tfsfV.ToüA'ei'(r«oet'wj'f'9')'Ous)

78 2 Mythologie d. Inder, z. T. babyl. Urspr. 368 1 Mytilene 87 11

Nabonnassar-är-A 34

Nabonned, Kg. von Bab. . . 28. 87. 48

Nabopolassars Dynastie 262 1

Nabnbaliddin, Kg. v. Bab 2593

NabüSumisTciim 264

Nalir el Kut 459. 468

Najaden in Thera 220

Nairi 261 J. 2807

Namenswesen der Griechen 219 1; Namen,

assyrische, mit Nebo 260

Narbonensis, Kaiserkult 124/6

Narses, Perserkg 467

Narsis, Ort 455 1

naxatra s. Mondstationen. Nebo (Nabu) und sein Kult in Assyrien 257/61. 266/9. 278. 281 j; sein Tempel in

Borsippa 278 6

Nebuladnezar II. 269. 272. 276; seine In- schriften 278 13 4. 276 3

Nebukadnezar III. s. Kidintubcl. Nebukadnezar IV. s. Aracha.

Nemausus 170

Nemetes 337. 340

Nemriid Dagh, Denkmal vom N. . . 90/3 Neriglissar {Nergaliarumr) .... 277 1 Nero, Sohn des Germanicus . . . . 105 Nero imp. 105. 107/8. 116. 127. 3172. 320.

322

Norva imp 800. 306. 314 1. 327

Nervii 336 o. 337 .5. 388 1.

Nesioten, Bund der N 66

Nesos 61 1

Nicretum : civitas Ulpia Sueborum Nicretum

342

Nidintabd- Nebukadnezar III., Prätendent

26/7. 30/1. 33. 36. 42 5. 271 1

Nikaia, templum Romae et divi Juli 98

Nikator, Beiname 67

12

502

Namen- und Sachverzeichnis.

Nik<]iliorion-Kallniikoii (JialsJsa) 445. 455.

460. 462 3. 465. 467/8. 474;5

Niketes, arch. Ath 419/20. 422/3

Nikias, arch. Ath. >. 296/5) 401. 407. 415.

417/8

Nikias von Otryne, arch. Ath. (a. 280;79)

403 5. 409,10. 416. 418

Nikias von Kos 55 3

Nikodoros, arch. Ath 412. 416/8

Xikokles, arch. Ath. . 401 407. 414. 418 Xikoniedt'ia, tiMiiplum Rom. et Aug. 98

Nikopheraos, arch. Ath 401

Xikostratos, arch. Ath. 401. 407. 410. 415/8

Ximnid Dar 458/9 ;

Niniveh zerstört 272 !

Ninos 270 1. 279 {

Xisibis 457 2. 461 1. 467 .0

Nitiobrogcs 333 j

Nitokris 269. 276

Xoricum s. Kaetia.

Novenipopuhina .... 341. 3463. 847 ;

No\-iodunum (colouia Equestris) 346. 480 4

Noviomagus 341/2

Xitgimmud. Gott 268

Numidia, Kaisorkult .... 128 9. 139 Nymphen d. Hjilecr u. Dymanen i. Thera 217

obaerati 4253

Obbanes (= Bälü'^) .... 474. 475?

Octavius 479

Octavius Sagitta 3172

Cü. Octavius Titinius Capito (Historiker)

302 1. 311/2. 328

Odenathos 438 41 ; sein gleichnamiger Mör-

der(?) " 441

Örtliche Bedeutung der Tribus . . 232

Oescus . . . . " 135/6

Oidipussage 213/4

oixiBrrii, Verehrung des oiy.. 52 3 ; vgl. i^Qcog

y.TiBT),s.

Oinopides 398

Oiolykos in Thera 214

Olynipias, Mutter Alex 60 ö

Olympiodoros, arch. Ath. 401. 408. 410. 415.

418

Orehtimenos und Thera 218

Ordo der Provincialpriester 141 ; ordo de-

curionum s. decuriones.

Oresthasier 53

Orion, Sternbild 365 2

Oroites, Satrap von Lj-dieu ... 48 Oromasdes, pers. Gott . . . . 92. 93 2 3

Orrhoe s. Edessa.

Osclterlje 4.J44. 470. 475

Osiris 74

Osorapis 2612

Osrhoene 454; siehe mich Batnai, Scrüg. Otanes, Satrap von Lydien .... 48 Otho . . 307. 318. 320. 322. 323 1. 824/6

T. Pactumeius Magnus, praef. Aeg. 478

Paeraani 386 5

Pactus Thvasea 3172

Pamanari s. Apammaris.

Pannonia, Kaiserkult 130/5

Pauodor als Quelle des Synkellos 433 ; seine

Quellen " 433/4

Pautauehos 411 1

Panyassis 2792. 281

Papyrus Oxyr. (I 62) 184

Paraga, Berg 47

Parasang s. schoinos.

Paros, Heiligtum von P 224

Paris! 335

Partherkrieg s. Crassus, Marcus und Verus;

Aufstand in Parthien gegen Dareios 27.

36/7. 45/6. 48

Pasiades, arch. Ath 421

Patigrahanä, Schlacht bei P. 27. 39. 46/7

Patrieisch-plebejische Bürgerschaft in den

Stammtribus 244/5; vgl. proei patricii.

patronus einer Stadt 161/2

Peithidemoä, areh. Ath. . . 405. 416. 418" Perdikka.s, Reichsverweser . . 61. 2612 Pergamon, Herrseherkult s. Attaliden ; tem- plum Romae et Aug. 98 100. 105 7. Vlba Persaios, Schüler des Zenon . . . 145

Persepolis 64

Persien, Aufstand hier gegen Dareios 27 8. 45. 47 8; Perserkrieg Gordians 185, unter Valerian und Odenath 434/9. 441, Julians 449. 451. 460. 401 1. 465. 470. 475: Pla- netenkenntnis derP. 190o; pers. Kalender 26/47. 50; pers. Jahr 352. 374 1; pers.

Monate 26 47. 50

pes Drusianus 3365; pes horarius . 393

Pessinus 101

Petillius Cerialis 311 1

Petrocorii 333

Petrus Patricius (frg. 9) 435/6

Peukestas 64

Phaidros von Sphettos . . . 402. 404.5 Phanos, delischer Archont .... 292 Phaseiis 162;3

13

Namen- nnä Suchvcrscichiiis.

503

Seile

Phereklcs, arcli. Ath. . . 407. 40'J. 417/8

Phigaleia 53

Philetaireiii, Stadt 855. 86 1

Philetairos 89

Pbilippos II. von Maked. . . 55,8. 64

Philippos von Kroton 58

Pbilippos, areh. Ath. 401,2. 408. 410. 417 8 Philoctoros, Opfersehauer .... 294 Philokralcs, arch. Ath. 405. 409 10. 416,8

Philoneos, arch. Ath 406

Philopoimeu 853

Phoiniker in Thcra 213 4; phoin. Erfin- dungen 3642

Phnwrtes-Fmvarti-i . . 27.36 7.41.43/7

Phrygien. Satrapie 48

Phylen in Athen 406 10. 418. 417 8. 420/3; Phylen (arot^oi.) in Thera . . . 217

(fvXoßaaiJ.£lg in Athen 242

l'ictones 333

Pindar, Sternkunde 9; I'vtb. \ . . 217

Pisa 170

Piso, Galbas Adoptivsohn 318 1. 322/3. 327 1 PLso (consul 111 p. C.) . . . . . 3282

Plancus, L. Munatius P 479/80

Planetenstationen der Bab. 12 4. 25; Pla- netenkenntnis der Griechen 189. 190 (i; der Bab. 189 93: der Araber, Mandäer, Syrer, Perser! 90; Xamen und Reihenfolge

der P 189/90

Plataiai 54

Piaton 87 11

Plinius sen., über die Germanenkriege 303 2; als Quelle des Tac. 304 1 323 1; benutzt die agr. -aug. Reichsstatistik 332; nat. bist. IV (105109) 332,8, V (86) 459 1 Plinius iun. und Tacitus 302 1. 311/3 328/9; Erscheinen seiner epistulae . . . 328 9 Plutarch, Biographie Galbas 318 1; Quellen im Romulus 231 1; Arat (c. 12) . 292

Poetovio 325

Polemon der Philos 405

Polemon, arch. Ath 418

Politügraphie 158/60. 173

Polybios als Vorbild des Tac. 304 ; (III 24, 3)

283/4; (III 25, 3 4) 282,3; (VII, 9, 5) 284

Polyeuktos, arch. Ath. 404. 409, 10; 416/8

Polykrates 48

Polyperehon 61 1

Pompeius 95 2 4. 150

Pomponius Faustiaiuis, praef. Aeg. 477/8

pontifex als Kaiserpriester 138 9; collegium

der pontitiees 240 1

äcitu

Poppaca 320

Poseidon in Thcra 213/4. 220; P als Vater

Alexanders 58 ,i

Postdatierung in Bab 32

Priapos in Thera 220

Priene 66

Priester in Thera 218 ; Priester der Kaiser- kulte 107/31. 135/42; Mitwirken der äg. Priesterschaft beim Herrscberkult 75. 77. 82. 143

primus curiae 149. 153. 164/5

princeps senatus 148. 428

principales 1484. 160. 1644. 1K5 6. 169. 172 1.

181 1 Privilegien der Senatoren . . . . 162

proci patricii 255

^QcoTSvoyv 149

Provineialherrscherkulte der Seleukiden 80;

im röm. Reiche 98/142

Pnisias ad Hyp 1.534. 157/9

Pschent, ägypt. Doppelkrone . . . 76ii Ptolemaier in Thera 218/21 ; ihr Herrscher- kult 68/78. 143; ihr Steuerwesen 178. 424/6 ; Pt. im Wetteifer mit den Seleu- kiden 2612

Ptolemaios I., Soter 61 3. 64g. 65. 662. 68/70.

71 i 3. 74 82. 95. 218. 291. 402. 403 1. 426;

führt Sarapiskult ein 261 2; als Historiker

2612. 273«

Ptolemaios II., Pbiladelphos 61 3. 6872. 74 1.

75. 82. 143 4. 289. 291 1. 293 4. 426

Ptolemaios III. Euergetes 71 4. 72.219. 290.

420 Ptolemaios IV. Philopator 75. 77. 290.

420 Ptolemaios V. Epiphanes 723 4. 76 7. 83 4 Ptolemaios VI. Philometor .... 218/9 Ptolomaios Vll. Euergetes II. . . 78 Ptolemaios, Sohn der Arsinoe von Lysi-

machos 293,4

Ptolemaios (Geograph u. Astronom) 194. 200/2. 206/11. 357/8. 363. 372 1; die i9vji der Belgica bei Ptol. 3383. 340/1; Ptol.

Königskanon 32. 34/5. 277

Ptolemais, Stadt 68/9. 71 2

Ptolemais, Phyle 420. 423

Publicius Certus 311 1

Pyrrhos gegen Demetrius 403 1. 411 1; Pyr- rhischer Krieg der Römer . . . 282,8

Pythagoras 366i. 398. 489

Pytharatos. ardi. Atli. 402. 408. 410.

418

14

50-1

Namoi- und Sacltvcrzciclinis.

qanri (Maass) ■484'5

quiuquennalcs und alk-cti intor quinqut'n-

nalieios . 155 6. 1585. 159 c. 160 1. 186

quiuquoprimi 148. 161 3

Huchä, Schlacht bei R. in Persien 28. 39. 47 Raetia, Inschriften 480 f.; R. und Noricum,

Kaiserkult 129/31

Hajik, Ort 4734

liagä in Medien [= Europos; 27. 46 7. 4724 Eakka s. Nikephorion. üanwiän s. Adad.

Ramnes 228 9. 231 2. 285 6. 240. 247. 249 50. ! 254 5

Raphia, Schlacht bei R 279 1

Bäs el 'Ain bei Arslantasch 4553. 466 1

Bus el 'Ain el CluiTil, Abrahamsquelle 460.

462. 464. 466-2

Ratssekretäre in Athen 406/7

Raurici .335. 337. 341. 347

reges (II 28, 5) 15

Reinesiana 132;3

Remi 335/6

Remus s. Romulus.

Rhamnes, augur des Turnus . . . 247

Rhegion im pyrrh. Kriege .... 284/8

Rhodos 66

Rittercenturien 229. 231. 236 7. 249. 254/5; Ritterschaft Roms nicht rein patric. 254 5 Rom: templum divi Aug. in Palatio 104 4. 116 7; templum gentis Flaviae 138 c; Do- mitians Geburtshaus auf dem Quirinal 321 ; röm. Kalender durch den bab. be- einflusst 357 ; Doppelmonat im röm. Ka- lender 391; dea Roma und ihr Kult 94. 98 104. 108,12. 116 7. 119 20. 1324. 136; vgl. Karthago und Rom etc.

Rouiulus und Remus 233 4

Romulus Maxentii filius 138 c

Bmikale 446 1

Ruteni 333

M. Rutilius Lupus, praef. Aeg. . . 478 Rutuler 2463. 247

Sabazios vGott) in Thera .... 221

Sabiner, ihre Vereinigung mit den Römern 230/1. 235

sacerdos, Kaiserpriester in Afrika 140; Fortdauer des Amtes in christl. Zeit 140 2; sacerdotes und sacerdotales provinciae der uachdioklet. Zeit . . . . 18646

sacrale Bedeutung der tribus . . . 242,3

Seite Säkularspiele des Aug. und Claudius 315/6 Sagartier, Aufstand der S. . . 27. 37. 47

Sagiir, Fluss 475

Sakäenfest {zagmuku Fest) .... 352 Saken , Aufstände der S. (der eine unter

Sakuhka) 27 8. 45

Salamis, Seeschlacht bei S. auf Kypros 291

Salar (Sabal) Ort 449

Sallustius, Vorbild des Tac. . . 304,15

Salmanassar II 263. 280. 481

saltus als techn. Begriff . . . 295. 299 Samaritaner im Makkab. Aufstand . 81 Samai; Sonnengott der Bab. . . . 2593 Sama^Sumukht 268. 270-2; Inschriften des

S. 2585; Mondfinsternis unter ihm 196 1

Samos 48. 54

Samosata 455 1. 457 6. 460 2

Samothrake 66; Göttin von S. in Thera 220 Sammuramat s. Semiramis. SamSi-Adad (nicht -Bammän) 261 3. 269. 2814. 481 Sanherib 267 8. 272. 277. 2s0 4; als Kg. von

Bab. . 32

Santoni 333

Sarapis 2612; S.-Isis in Halikarnassos 682;

S. in Thera 218

Sardanapaliegende 272 1

Sardes, Xerxes in S 271 1

Sardinien, Kaiserkult 127 8

Sardur III. von Chaldia 256 1

Sargon II 2803

Sari/kamysch, Ort 469

Sässchüden 456 ; ihr Jahr ein Sonuenjahr 37

Sathena 4492

Satrapieeneinteilung des Dareios . . '-'70 Sattagyden. Aufstand der S. . . 27. 45 Saturnus (Baal- kult in Afrika . . 115i

Savaria 131.2

Schaltcyklus in Athen 411.8

Schiffe des Antigonos und Hieron . 289 Schöpfuugsmythen der Bab. 358 3. 8682 schoinos (Parasang^ 390. 449. 450 1. 485/6.

488

Schritt 883

Schwur bei Vergötterten .... 60

Segni 3363

Segusiari . 335

Sekundenpendel . . . 355-2. 393,7. 487,8

Seleukeia (am Orontes) 68,9

Seleukiden: ihr Herrscherkult 78 84. 143;

S. im Wetteifer mit den Ptol. 2612; Ära

der S 1912. 192/4. 293-2. 299 1

15

Namen- tind Sachverzeichnis.

505

Scito

Seleukos I. Nikator 64 c. 66;'8. 782. 81/2.

89. 299 1. 404. 446. 472 i

Seleukos, Solin des Autiochos Soter 405

Seleukos IL Kallinikos . 81. 92 1. 299 1

Seleukos III. Soter 81

Seleukos IV. Philopator 81

Seuiiraitiis-tS'njimiMj'OH!«* 25681. 299 1. 481

Sempronius Densus 327 1

Senat als Gott 103; Senatsprotokolle, Quelle

des Tac. 323; Senatorenzahl . . 237

Senkereh, Tafeln von S. 349. 353 i. 355. 381.

384;91. 485

Sequaui 335. 336 3 5. 345

Serrhai (FtpeJi. n^QQn) 4553. 4714. 473 3

Ser-m, Ort . . 4692. 476

Scrüy 44S;-;ü7. 449. 451,17. 4602. 468.4692. 470 3. 474. 476

Severus imp 150. 181 2. 347 c

Sexagesimalsystem der Bab. 34954. 356.

359 1. 360 1. 381 400. 481 ;9; der Kelten

347 G

Siam und die ind. Astronomie 363 : ; S.

durch Bab. beeinflusst 369 2 ; Doppelmonat

in S 391

Sicilien, Heimat des Totenkult . . 53

Sides 4502

Sikyon 66. 84i

Silius Italicus 314 i. 828 i

Sillyon 185i

Silvanectes 337

Simitta 4492

Simonides, arch. Ath 417/8

Simos, Bildhauer 219

Sin, Mondgott 3594

Singara 4572

Sinna 458 3

Sinnaka 458

Sintflutsage der Bab. . . . 358 3.368 2

Sippar, Becken von S 2763

Sisenna, Vorgänger dos Sallust 304 i. 305 Stu s. Mondstationen.

Skirtos, Bach 463 lo. 464

Skythen = Goten 439 g. 441

Smerdis s. Gaumäta.

Smyrna 94. 99

sodales Tita 251/2

Sogdiana unter Dareios 46

Sonnenbewegung 351 ; ihre Berechnung bei

den Bab. 203/9 ; Sonnendurchmesser 3503.

384; Sonnenjahr bei den Persern 37;

Sonnenfinsternisse 194 6. 196 1. 208.377

Sophron, ptol. Admiral .... 289/91

Seite

Sosigenes, arch. Atli 401 j2

Sosistratos, areh. Ath 406

Soter, Beiname 66 3. 67. 78. 79 i ; tu/l. &to) aoirfjQeg.

Soterien, Fest 78 2. 85 3. 404

Spanien , Kaiserkult s. Asturica , Bracar-

augusta, Lucus Augusti, Tarraco. Sparta und Thera 214. 218; Heroisierung

der sp. Kgc 53

Spiele und Feste zu Ehren Vergötterter

54. 57. 66/8. 72/7. 85 3 5. 87 n. 91. 95 3.

99/101. 106. 137/8. 141. 1503

Sresat 472

Stadion 273 G. 383. 390. 450 i

Sterngruppierung der Bab. 4; bab. Stern- namen 4/6

Steuererhebung der Ptolemäer in Ag. 178. 424/6; Steuerthätigkeit der decemprimi

172/87; Steuerpacht 178/81

atolxoi, = Phylen in Thera. . . . 217 Strabo, Geogr. (IV 3, 2 C. 192) 331/8; (XVI, 1, 14. 20) 271 2; (XVI, 747) 462?; (XVI, 748) 454 4. 475 Stratonike, Gattin Autigono.s' I. . 292/8 Stratonike, Gattin Antiochos' I. 57 .5. 78 2.

299 1

Stratonikeia in Kar 1825

Strombichos 404

Stufentürme in Babylon 260; 1. 273/5; in

Kalach-Nimrud 260 1

Suaeuconi 337

Successianus 488

Suebi Toutoni 344 1

Suessiones 336

Suetons Komposition 309

Sullas Tod 305

Sumelocenua 343 .'> a

Suuuci 337 .'i. 338 1

Sura 474

Sürya-Siddhänta, ind. Komiiendium d. Math. 361/3

susceptor annonae 174. 186/7

sM.si (Finger, Maasseinheit) . . 888. 484 Susiana, Aufstand dort 26/8. 36. 44/5;

susische Monate 38/9

Synkellos u. seine Quellen . . . 432/42 Gvvvaog, TtdQtÖQog 55. 67. 71 2. 82. 86. 91. 94

Synopsis Sathas 480/1

Syrakusai 953

Syrer, ihre Planetenkenntuis . . . 190g Syros, Dekret von S. 292; Münze von S.

16

öOß

Namen- und Saclivcrzciclinis.

tabula Ppvitingerana 449. 451. 460. 470 3; Zahlen vortauschung in der t. P. 472 5; Linienführung in der t. P. 449 5; zuw. dieselbe Quelle wie it. Ant. . . . 451

tabularü 172 1

Tacitus, consul .311 1. 329i; proconsul Asiae .329 i; Stil des T. 302; Compositionskunst 307,8; Rücksicht auf Tageszustände 306; Anklänge an andere Schriftsteller 318 i; Kückverweisungen u. Selbstcitate 315,20; haud duhie bei Tac. 315 i; Excurse 316; Annalistische Anlage im Gegensatz zur biographischen 308 13 ; T. als Dramatiker 308 1; T. Quellen 3032. 304 1. 309 1. 3172. 323. 325. 328 i ; Annalen, Abfassungszeit 330; Plan der Annalen 301 3; Agricola und fTermania , Abfassungszeit 314 1 ; Agricola 308 i. 311. 327 i; Abriss über Britann. Kriege 303 2. 320 l; Entstehung

der Historien 300,330

Tafne 74/5

Tag, Einteilung des T. 353/4. 381. 386. 391 3; Tagesdaten der Behistünmsii\ix.

39 41; Tagemarsch 4652

Tarbelli 333. 339

Tarent, Kapitulation von T. im pyrrh.

Krieg 287

Tarquinius Priscus' Reformen . . 235/7

Tarracina 321

Tarraconeusis, Kaiserkult 101,3. 105. 110/2.

121 Tar-zi-ia (Haz-zi-ia), Prätendent 48 i. 271 1

Tatiuslegende 250/1

Taunensium civitas 343?

Teier, Gründer von Abdera .... 52

TeMeh, Gebirge 458,9. 463

Teil Hajn, Bach 464

Telokles, arcb. Ath. . . . 404,5. 416/8

Texuandri 337,5. 338 1

Thalama, Thatama .... 449 2. 460 6

Thaies, Sternkunde 9

Thamugadi, Deeurionenliste . 161/2. 164

Thapsakos 446 3. 457 c. 474

Thasier 55

Theodosius der Grosse 1723

Theon von Alexandreia 363 1

l'heophanes von Mytilene . . . . 87 li Theophilos, arch. Äth. . . . 419. 422/3

Theophrastos, Philosoph 358

Theophrastos, arch. Ath. . . . 412. 417/8

•S-tos , Beiname des vergött. Herrschers

68 2. 70. 81j2; »hol 'AäsXtpol 71/2 75;

Seite

■S'ioi EviQyhcii 72'5; &fol XonfjQfg 66.

70,2. 75

Thera 212/27

Theras in Sparta und Thera 213/4. 217

Theron von Akragas 53

Thessalien und Thera 218

Thiar s. Daiara.

Thilatikomum 455 i. 474$. 476

Tliillaamana , Thillacania , Tliillazamana

474 2 Thiltauri Phaltauri) . . . .470 3. 471 Thrakien, Heimat des Totenkult . . 53/4

Thrasyphon 402. 407. 420/3

Thyateira . . . 151. 153. 167/9. 182 3 Ticnnat Legende der Bab. 6. 368 2. 482 1

Tiberias, Stadt 152. 170

Tiberius 171. 318 i. 479; T. und der Kaiser- kult 103/5. 124. 132. 144

Tierkreis, seine Zeichen und Namen bei den Bab. 5.8. 11/2, babyl. Ursprungs 7. 8. 11. 25, Entstehung aus den Mond- stationeu 370/3, Zeitausetzung der Ein- führung der T.-Zeichen 7/8. 11/2; T. der Inder 361 i, der Ostasiaten . 370 i. 371

Tiglatpileser T 4. 204. 267

Tiglatpileser III 278. 2803

Tigrä, Scldacht .bei T. in Armenien 27. 38. 46

TU Barsip 446 .5. 455

Timesios von Klazomenai .... 52

TifirjT?}? 159 c. 100

Timocharis, Astronom 205

Timolaos 439

Timoleon 53

notae Tironianae 332. 336/8

Tities 228/9. 231/2. 235/6. 240. 249/50. 254/5

Titinius Capito s. Octavius Titiuius Capito.

Titulaturen der provincialen Kaiserpriester

108/113. 115; T. der babyl. Königinnen

299 1 ; T. der decemprimi . . .164/5

Titus inip 116

Totenkult und Heroenkult 52/4. 59/60. 62/3.

67 9 ; T. des Tatius 251 ; T. in Thera 224/5

Traianus imp. 134. 136. 3063. 314 1. 327.

341/2. 3463; T. und Ztvg i'lXiog in Per-

gamon 106; sein Feldzug von 115 p. C.

449. 4572. 475

civitas Traianensis 3424

transrhenana. Preisgebung der t. . . 3442 Trebellius Pollio und seine Quellen 436/9

Q. Trebellius Rufus 125

tresviri agris daudis, coloniae deduceudae 245

17

Kamen- und Sachverzeichnis.

507

Trevpri 335j6

Triboci 38fi :!. 337. 340

tribuni celeium 229. 242

tribuni militiim 229. 244

Tribus, die liri'i :ilti'.sti'ii röm. T. 228/55

tribiis und torritoriuiii 1142

tributii s. iinnoiiii.

TrieassCs 33.')

Trigouomotni' der Rab. und (JricHdwn 210

Triumviii 480

Troesmis 135

Trogus (epit. 27) 289/90

Tsclwrmelilc .... 447/8. 4512. 455 1

Tuihanti 337 ö

Tuldat Ninih 1 267. 277

Tungri 336. 337.5. 347

Turnus, Kg. der Rutulcr . . 2463. 247 Tu.scia et Umbria, Kaiserkult 1364. 137/9 Tuüpa s. Van. 'iyche, Agatbe Tyehe in Thoia 200/2;

Tvxn Personifikation des Königs 91/2 Tyros in den röm.-karth. Verträgen 288/4

Ubii 3375. 3.38/9. 480?; vyl. am Ubiorum.

utldu 3525

rhji'ima. Scldacbt bei LI. in Armenien 27. 38. 44. 46

Ulpianus 182

Ulpia Traiana 342

Umbria .s. Tuscia.

undecimprimi 1483. 1554

nrbs und civitas 342

Urfa s. Edessa.

Urios, arch. Ath. 404. 409/10. 415. 417/8

Ursus, praef. Aeg 478

Utier-Jittijä, pers. Stamm ... 28. 37 Uvachsatara-Kya.xa.Tes, Haus des U. 27. 45 Uvädaidaja, Stadt 28. 47

Yagoritum 3407

Vahjazdäta, Prätendent (angebl. Bardes)

27,8. 37. 39. 41. 47

Valentinianus I. 153 i. 186 3. 187; conse-

criert 140

Valerianus als princeps senatus 428; im

Orient 432/3 ; Gefangennahme des V. 434;8 Valerius Antias über Eomulus u. Remus 233 Valerius, L. Val. Asiaticus .... 479 Valerius Pirmus, praef. Aeg. . . . 478 Van, luscbrift dort 256 1 ; Erinnerungen au

Semiramis 2807

Vangiones 337 5. 340

Varro über die Stammtribus 229/32; über

Romulus und Remus 233/4

Vasates . . . . , 340

Vasio 342;!

Vaumisa, Feldherr des IJareios 27. 37. 43/4.

46/7

Velaeda 327 1

Veliocasses 3407

pagus Vellaus 336.'.

Vellavi 332/3

Velleiu.s' Komposition 309

Verus' Partherkrieg 303 i. 453. 467:.. 4721

Verginius llufus . Vespasianus 113/4.

116. 126.

Vesfalinuen

Vestricius Spurinna ... Veturius Macrinus, praef. Ai

311 1. 314 1

305/6. 317 a.

323 1

. 235. 240

314 1. 3282

;. . .477/8

. 478

C. Vibius Masimus, praef. Aeg.

vicus s. Bicum.

vicus4492; v. novus von Heddernheim 3434

Vieniia, Colonia Julia Augusta V. . 479

vigintiviri 1483. 1554. 163/4

ViMafrä, Feldherr des Darcios 28. 39. 49

Vinius 318 1

Vipstanus Messalla 322; seine iMemoiren

325; Quelle d. Tac 304 1

Viromandui 337

VüpauzatiS, Schlacht bei V. 27. 39. 46/7 Vitellius imp. . . .316.321.3231.324/6

L. Vitellius 321

Viväna, Satrap von Arachosien 28. 37. 47/8

Vocontii 342

Voluius. etrusk. Tnigödiendichter 231/2.

246. 250

Volsinii 137] 8

Wasserwägungen der Bab 3503

Widmungen, assyrische 258*

Wimpfen, caput der civ. Alisinensis .3432 Woche als Zeitmaass359; 10 tägige Woche

373; Bezeichnung der Wochentage, vicll.

babyl. Ursprungs 1906

Xenophon, arch. Ath. . . 403. 405. 418

Xenophon, der Schriftsteller, über Bab. u.

Assyrien 2713; Anabasis 111 4, 7 u. 10)

260 1; Cyropädie 2713

Xerxes und die Babylonier 32. 48 1. 267. 271 1. 273 (!. 275. 276.5

yard (Maass) 486 s

18

508

Namen- und Saclwcrzciclmis.

Zahl der gallischen civitafes 331,48; Zah- lensymholik 366 1 , Zahl- und Maassan- gahcn bei Herodot '27o0; Zahlangabcn hei Heeren der alt. röm. Gesch. 288, bei Diodor 285 ; Zahlsysteme und heilige Zahlen bei den Indogermanen 347i;; Zah- lenvertausehung in der tab. Pcut. 4725 Zazäma, Schlacht bei Z. . . . 27. 38. 45 Zeit- u. RaummessuDg d. Bab. 38i;400. 481/5

Zenobia 440. 471 1

Zenodotion 4553. 4673

Zenon, Stoiker 85. 145. 406

•Leugnvx-Bh-egik 444 9. 451. 454. 456 '8. 4602. 466 7. 4703. 471 2. 473^. 474

Seite Zeus beim Herrseherkult 57. 58 1.'^. 61. 82. 92. 93 2 3. 943; Zeus Eleutherios 413; Zeus Nikator (= Seleukos I) 68/9. 81/2; Zeus Soter 85 3 ; Ztvg 'I'iliog 106 ; Zeus, Z. Hikesios, Kataibates, Ktesios, Meli- chios, Soter, Stoichaios in Thera 216/7. 220,2. 225

Zima, Ort 446 1

Zonaras und seine Quellen . 430 1. 433/7

Zopyros 2703

Zosimos (I 1 40) benutzt Dexippos 427/42;

(III 12) 461 1

Ziiza, Sehlacht b^i Z. ... 27. 33. 46

Druck von G. Kreysing in Leipzig.

19

D 51 K6 Bd.l

Klio

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