Krieg und Frieden im Ameilenftaat. Tara Kosmos, @elellfchaft der Naturfreunde, Stuttgart. D > Gelellſchaft Kosmos will die Kenntnis der Naturwiffenfchaften und damit die Freude an der Natur und das Verftändnis ihrer Erſchei⸗— nungen in den weitelten Kreifen unferes Volkes verbreiten. — Dieles Ziel glaubt die Gefellfchaft durch Verbreitung guter naturwillenſchaftlicher Literatur zu erreichen mittelft des Kosmos, handweifer für Naturfreunde Jährlich zwölf Hefte. Preis m 2.80; ferner durch Herausgabe neuer, von erlten Autoren verfaßter, im guten Sinne gemeinverftändliher Werke naturwilfenfchaftlichen Inhalts. Es erſcheinen im Vereinsjahr 1908: Meyer, Dr. m. Wilh., Erdbeben und Uulkane. Reich illustriert. Geh. m 1.— = K 1.20 h ö. W. Dekker, Dr. Berm., Daturgelchichte des Kindes. Illustriert. Geh. m 1.— = K 1.2059. . $ajö, Profeſſor K., Krieg u. Frieden im Ameilenltaat. Reich illustriert. Geh. m 1.— = K 1.20 h ö. W. Teichmann, Dr. E., Vererbung als erhaltende Macht. Illustriert. Geh. m 1.— = K 1.20 h ö. W. Floericke, Dr. K., Säugetiere des deutschen Waldes. Reich illustriert. Geh. m 1. K 1.20 h 8. 0. | Dieje Veröffentlichungen find durch alle Buchhandlungen zu beziehen, dafelbjt werden Beitrittserklärungen (Jahresbeitrag nur M 4.80) zum Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde (auch nachträglich noch für die Jahre 1904/07 unter den gleichen günftigen Bedingungen) entgegen— genommen. (Satzung, Beftellkarte, Verzeichnis der erfchienenen Werke ufw. ſiehe am Schluffe diefes Werkes.) Geichäftsitelle des Kosmos: Franckh'sche Uerlagshandlung, Stuttgart. Rrieg und Frieden im Ameilenitaat. Uon Prof. Karl Sajo. Mit zahlreichen Abbildungen. Stuttgart Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde « Geichäftsitelle: Franckh'sche Uerlagshandlung. „m Stuttgarter Setzmaſchinendruckerei, G. m. b. Abb. 1. Aphaenogaster barbara L. D: Immenfamilie, die wir unter dem Namen „Ameiſen“ kennen, iſt heutzutage bei uns verhältnismäßig arm an Arten. In Nord- und Mitteleuropa gibt es etwa 50 Arten. Von dieſen kommen nur ungefähr 20 häufiger vor, die übrigen ſind ſpärlicher vertreten. In dieſer Statiſtik ſind auch die Ameiſenarten der dalmatiniſchen Adria-Ufer mit enthalten. Dies iſt bei einer ſo verbreiteten und allenthalben wim— melnden Inſektenfamilie jedenfalls auffällig, beſonders wenn man bedenkt, welchen Artenreichtum andere Immenfamilien aufweiſen, denen man viel ſeltener begegnet. Die mittel— europäiſchen Blattweſpen (Tenthredinidae) haben nämlich über 400 Arten; die Schlupfweſpen (Ichneumonidae) rund 1000, die Grabweſpen (Pompilidae und Sphecidae) rund 3000, die Bienen nicht ganz 600 Arten; ſogar die nur hin und wieder vorkommenden Goldweſpen (Chrysi- didae) weiſen in Mitteleuropa etwa 100 Arten auf. Aber hinſichtlich der Individuenzahl ſtehen die Ameiſen dennoch hoch über allen übrigen Inſektenfamilien, denn im freien Lande gibt es kaum einen Quadratmeter Erd— oberfläche, wo man nicht Ameiſen in größerer oder geringerer Anzahl fände, ſofern nämlich auf der betreffenden Stelle ein Pflanzenwuchs, alſo auch ein Inſektenleben überhaupt mög— lich iſt. Je weiter man nach Süden kommt, um ſo zahlreicher trifft man Ameiſen an. Insbeſondere iſt der lockere, haupt— ſächlich der warme Sandboden überreich an dieſem raſtloſen Volke. Sie niſten ſogar in menſchlichen ebenerdigen Wohn— häuſern, überhaupt überall, wo ſie irgendwelche Nahrung finden. — 6 Ihr zahlreiches Vorkommen hat ſie ganz volkstümlich gemacht. Von Urzeiten an hat wohl jeder Menſch die Ameiſen kennen gelernt. Nicht eigentlich dadurch, daß ſie ihn empfind- lich beläſtigten, vielmehr durch ihre raſtloſe Beweglichkeit, ihre nervöſe Unruhe, ihre Ausdauer in allen „ſtaatlichen“ Ameiſen— unternehmungen ſind ſie ihm aufgefallen. Ihre Lebensweiſe, ihr Gebaren erregte — obwohl ſie mitunter auch ſchädlich wer— den — die Sympathie der „Krone der Schöpfung“, weil ihre Lebensweiſe gewiſſermaßen ein Abbild der menſchlichen Ge— ſellſchaftsverhältniſſe im kleinen bietet. Sie laſſen in der Tat eine verblüffende Intelligenz er— kennen, um ſo überraſchender für uns, weil ihr Körper meiſt klein und ſchmächtig iſt. Vor allen anderen Eigenſchaften iſt es ihr geſellſchaftliches Leben, das ſchon im Altertum Bewunde— rung erregte, ebenſo wie das ſtaatliche Leben der Bienen. Bienen und Ameiſen galten von jeher als Sinnbilder des Fleißes. Man ſagt ja auch: „Emſig wie eine Biene“ — „Fleißig wie eine Ameiſe“. Die Ameiſen ſind aber außer dem Fleiße auch noch als Beiſpiele der Ausdauer, der unermüdlichen Geduld, die ſich durch ſchwierige Hinder— niſſe nicht abſchrecken läßt, ſeit Jahrtauſenden bekannt, und überbieten darin ſogar die Bienen. Ihre merkwürdigen Eigenſchaften und Gewohnheiten, die vielfach an menſchliche Handlungen erinnern, haben ſchon Cicero bewogen, den Ameiſen Verſtand (mens), Vernunft (ratio) und Gedächtnis zuzuſchreiben. In ſpäteren Zeiten iſt ihnen das — wie den Tieren überhaupt — wieder abge— ſprochen worden. Auch heute ſtreitet man noch darüber, ob die Ameiſen und die Tiere überhaupt Vernunft haben, etwas überlegen können und Erinnerungsvermögen beſitzen, oder ob ſie als bloße Reflexmaſchinen aufzufaſſen ſeien. Die in Nord- und Mitteleuropa verbreiteten Arten wer— den in drei Sippen eingeteilt, die zum Teil auch in der Lebensweiſe abweichen: 1. Die Stachelameiſen (Pone— ridae); 2. die Knotenameiſen (Myrmicidae); 3. die Drüſenameiſen (Formicidae). Dieſe deutſchen Benennungen ſind nicht alle glücklich gewählt. Nennt man nämlich die Poneriden „Stachelameiſen“, ſo läßt dies vermuten, daß nur die Vertreter dieſer Sippe Stacheln beſäßen, während doch dieſe Waffe auch bei den Knotenameiſen vorkommt. Die „Drüſenameiſen“ möchte ich lieber „Schuppenameiſen“ nennen; der Grund wird ſogleich DSI Se bei der Beſprechung der Sippenkennzeichen klar werden. Am treffendſten erſcheint noch die Benennung der Sippe der Knotenameiſen. Im folgenden ſeien in kurzem einige Kennzeichen an— geführt, mit deren Hilfe man leicht, bei kleineren Arten mittels einer Lupe (eines Handvergrößerungsglaſes), ermitteln kann, welcher der drei Sippen eine Ameiſe angehört. Man erkennt die Poneriden daran, daß ihr Hinterleib zwiſchen dem erſten und 5 zweiten Hinterleibſegment einge- I ſchnürt iſt. (Abb. 2.) Sie ſind in Mitteleuropa nur durch zwei kleine Arten, nämlich durch Ponera contracta Latr. und Ponera punctatissima Roger, vertreten und kommen ſpärlich vor. Sie find in den meiſten Gebieten recht ſelten; ich habe während 30 Jahren kaum fünf- oder ſechsmal Gelegenheit gehabt, der Ponera-Gattung zu begegnen. Im Hinblick auf den Zweck der vorliegenden Schrift dürfen wir daher von einer eingehenderen Schilderung dieſer Sippe wohl Abſtand nehmen. Die Knotenameiſen (Myrmicidae) ſind von den übri— TERN gen Sippen dadurch unterſchieden, daß een der Hinterleibſtiel, nämlich der = dünne Körperteil, der den Rücken und den Hinterleib verbindet, aus zwei Knoten beſteht. (Abb. 3.) Die Drüſenameiſen (Formicidae), beſſer „Schuppen— ameiſen“, haben den Hin- terleibſtiel nur aus einem — 1 KR Gliede gebildet, das oben / LAK ee eine (bei verſchiedenen Arten ab- — Ar weichend geformte) aufrechte Schuppe trägt. (Abb. 4.) Die Ameiſen, denen man in Nord- und Mitteleuropa begegnet, gehören beinahe durchweg entweder den Myr— miciden oder den Formieiden an. Die Knoten— ameiſen kommen in Nord- und Mitteleuropa in 13 Gat— tungen und 20 Arten vor, die Formiciden hingegen in 11 Gattungen und 26 Arten. Die letztere Sippe iſt daher in unſeren gemäßigten Erdzonen die an Arten reichere. Abb. 2. Abb. 3. Abb. 4. Die Knotenameisen (Myrmicidae), Unter den zu dieſer Gruppe gehörenden Formen will ich zunächſt auf die kleine ſchwarze Ameiſe hinweiſen, die überall in den Landwohnungen zu Hauſe iſt und außerdem auch in ganz Europa im Freien gefunden wird, beſonders auf be— ſonntem Gelände, auf Ackern und Hutweiden, im ſchwarzen Humusboden ebenſo wie auf dürrem, weißem Flugſand. Sie heißt in der Naturgeſchichte die Raſenameiſe (Tetramorium caespitum L.). Auf dem Lande und in kleinen Orten begegnet ſie den Hausfrauen oft in den Speiſe— kammern, und zwar nicht bloß in einzelnen Individuen, die man leicht überſieht, ſondern in großen Geſellſchaften, die ſich auf Butter, Schmalz und anderen Nahrungsmitteln einfinden und nicht ſelten eine wimmelnde Schicht gefräßiger Gäſte darauf bilden. Die kleinen Schnüffler ſind überall bei der Hand, wo es irgend etwas zu naſchen gibt. Nicht das winzigſte, wenn auch mikroſkopiſch kleine Krümchen von Nährſtoffen entgeht ihrer Aufmerkſamkeit. Dadurch werden ſie nicht nur läſtig, ſon— dern ſie können ſogar namhaften Schaden anrichten. So darf ich in meiner Landwohnung die Inſektenſammlungen nie— mals dem Boden nahe halten oder gar ins Fenſter zum Trocknen ſtellen. Tue ich es, ſo beſtraft die Raſenameiſe meine Sorgloſigkeit. Offne ich nämlich nach drei bis vier Tagen den Karton, der die ſo preisgegebenen Inſekten enthält, ſo finde ich z. B. den großen weiblichen Spinnenfalter ſchon vandaliſch verſtümmelt. Seine Flügel zeigen ſich allerdings noch ſchön, aber der Hinterleib iſt ſchon bis zur Hälfte ab— getragen, weil er maſſenhaft Eier enthielt, auf die die Raſen— ameiſe beſonders erpicht iſt. Von anderen Inſekten wählte ſie ſich hauptſächlich ſolche mit zartem Körper, vor allen die zu den Hemipteren gehörigen Capſiden, die ſo weich ſind, daß ſie ſchon bei unbehutſamem Auf ſſen mit den Fingern zerſtört werden. Auch auf andere Weiſe kann die Raſenameiſe un— ſerer Arbeit ſchädlich werden. Ich habe im Frühjahre in meiner Landwohnung verſchiedene Blumenſamen in Töpfe geſät und dieſe zwiſchen die Fenſter geſtellt. Die Raſen— ameiſen erſchienen ſchon am anderen Tage. Wie könnte ihnen überhaupt etwas verborgen bleiben? Die größeren Samen EN OR beſchnupperten ſie, fügten ihnen aber, ſowie deren Keim— pflänzchen keinen merklichen Schaden zu. Es gab aber unter den Töpfen auch etliche mit Petunienſamen, und dieſe win— zigen Körner ſchienen den Ameiſen eine willkommene Beute zu ſein. Sie begannen ſie wegzuſchleppen und ſpäter die Würzelchen ſowie die erſcheinenden Keimblättchen abzubeißen. Es dürfte ſomit das Urteil wohl berechtigt ſein, daß die Raſenameiſe (man könnte ſie auch „Hausameiſe“ nennen) in menſchlichen Wohnungen ſchädlich und läſtig ſei. Um ſie dort zu vernichten, ſucht man ihr Neſt und gießt ſiedendes Waſſer hinein. Noch wirkſamer iſt ſiedende Lauge oder Kalk— waſſer. Auch Petroleum, Benzin und Schwefelkohlenſtoff werden mit Erfolg angewandt. Letztere beiden Stoffe ſind aber inſofern recht gefährlich, als ihre flüchtigen, leicht entzündlichen Dämpfe Brände verurſachen können, die weit mehr Schaden anrichten als tauſend Ameiſengeſellſchaften. Manche ſuchen die Ameiſen dadurch auszurotten, daß ſie Zucker- oder Honigwaſſer aufſtellen, das mit Arſenik oder Pottaſche verſetzt wird; dies iſt aber wegen der Gefahr für Hund, Katze und Geflügel — von Kindern gar nicht zu ſprechen — nicht ratſam. Wieder andere emp— fehlen als harmloſeres Verfahren, in den von Ameiſen be— wohnten Räumen einige Hühner zu halten, die die Ameiſen aufpicken. Oder man ſtellt einen Teller mit gekochtem oder gebratenem Fleiſch oder mit ein wenig gezuckerter Milch auf und kehrt die ſich maſſenhaft anſammelnden Ameiſen mehr- . mals im Tage in heißes Waſſer. Nach einiger Zeit wird man ſo die ganze Kolonie los ſein. Obwohl ich aber meine Landwohnung mit der Raſen— ameiſe teile, ſah ich mich dennoch nicht bewogen, einen Ver— nichtungskrieg gegen dieſe ſechsfüßigen Eindringlinge zu führen. Weiß man, welchen Sachen ſie den Vorzug geben, ſo ſtellt man ſolche auf ein höheres Brett in der Speiſekammer. Meine Inſektenkartons ſtelle ich, bis ihr Inhalt gehörig ge— trocknet iſt, auf Schränke; nachher bringe ich ſie in Blech— büchſen unter, in die ich auch noch Naphthalin lege. Die Töpfe mit Petunien endlich kommen auf kleine Teller mit Waſſer. Die Raſenameiſe kriecht nicht gern in die Höhe; die Aufſtellung gefährdeter Gegenſtände in einer Höhe von 2 m iſt ein genügender Schutz. Nicht bloße Bequemlichkeit veranlaßt mich, gegen die Liliputanerſchar keinen mühevollen Krieg zu führen, ſondern ich habe andere Gründe. Be Ich habe nämlich einige Jahre hindurch die Lebensweise der Kirſchfliege (Spilographa cerasi) unterſucht und Zucht— verſuche mit dieſer Art, deren Larve die allbekannte Kirſch— made iſt, angeſtellt. Einmal ſtellte ich nun ein Gefäß mit Kirſchen auf den Boden meines Arbeitszimmers, damit die herauskommenden Maden ſich auf dem Boden des Gefäßes ungeſtört in die lichtgelben Puppentonnen (Puparien) ver- wandeln könnten. Als ich aber am anderen Tage nachſah, fand ich in dem Gefäße ringsherum ein ſehr reges Leben. Hunderte von Raſenameiſen marſchierten ab und zu. Die Ankommenden ſtiegen ohne Zaudern in das Innere des Kirſch— behälters. Anfangs glaubte ich, ſie intereſſierten ſich für das Obſt. Aber nein! — die Kirſchen waren alle unbenagt. Bald ſah ich jedoch, wie einige Ameiſen eine vollwüchſige Made der Kirſchfliege herausſchleppten und mit dieſer Beute davon— gehen wollten. Die eingehendere Unterſuchung des Gefäßes zeigte mir ferner zahlreiche Puppentonnen, die ein Loch hatten und deren Inhalt von den Ameiſen, die ich in klagranti er- tappte, ſchon ganz oder halb ausgefreſſen war. Ein andermal züchtete ich Larven von Blattweſpen, zu— meiſt die von Roſenblattweſpen (Hylotoma rosae und pagana) in Gläſern, die ich in einer Ecke des Laboratoriums auf den Boden ſtellte. Zwei Tage ſpäter fand ich das Zucht— material arg verwüſtet. Ganze Scharen der Raſenameiſe hatten ſich durch das Papier, mit dem die Gläſer zugebunden waren, durchgebiſſen und ein gut Teil der Larven getötet. Seitdem ſtelle ich Inſektenzuchtbehälter nicht mehr auf den Boden, ſondern auf Tiſche oder Schränke, wo ſie unbehelligt bleiben. Es iſt natürlich, daß dieſe kleine Ameiſe, die meine lebenden Studienobjekte ſo wacker angriff, ſich nicht auf die Larven von Blattweſpen und Kirſchfliegen beſchränkt, ſondern ſich auch an andere Inſekten wagt, die in menſchlichen Woh— nungen leben. Gewiß ſteht ſie in dieſer Hinſicht nicht allein da: auch ſonſtige Kerbtiere ſäubern unſere Landwohnungen von unwillkommenem Geziefer. Aber daß die Ameiſen wacker mit— helfen, davon bin ich überzeugt. Nicht nur Inſektenlarven ſind den Angriffen der Ameiſen ausgeſetzt, ſondern auch Inſekteneier, und dieſe vielleicht noch mehr als die Larven und Puppen. Nun laſſe ich alſo den Ameiſen freies Spiel. Gegen— ſtände, von denen ich weiß, daß ſie von dieſem forſchenden a Arbeiterſchwarm gefährdet find, ſtelle ich höher, und alles Getier, das ungebeten meine Wohnung mit mir teilen will, mögen die Ameiſen nach Belieben vernichten. In Großſtädten ſind die Einwanderungen gewiſſer ſub— tropiſcher und tropiſcher Myrmicidenarten berühmt geworden. Namentlich hat z. B. in London, Hamburg, Kopenhagen, Paris, Lyon die Pharaboameiſe (Monomorium Pharaonis L.) Un- annehmlichkeiten bereitet. Die Pharaoameiſe iſt, wie ſchon ihr Name andeutet, in wärmeren Ländern, z. B. in Kleinaſien, Agypten uſw., heimiſch. Handelsſchiffe haben ſie jedoch in alle Weltteile verſchleppt, ſogar in kalte Länder, z. B. nach Dänemark. Natürlich vermag ſie ſich in Gebieten mit ſtrengem Winter nur in den geheizten Häuſern zu vermehren, nicht aber im Freien. Sie wohnt übrigens auch im Süden gern in Gebäuden und kommt von den dortigen Waren— niederlagen mit Handelsartikeln auf die Schiffe. Die Pharao— ameiſe iſt bei weitem nicht ſo harmlos wie unſere Raſen— ameiſe; ſie begnügt ſich nicht mit der Reinlichkeitspolizei, ſondern niſtet ſich auch in das Holz der Möbel ein, das ſie zernagt. Sie greift ferner beinahe alle eßbaren Gegenſtände an, wodurch ſie ſchon recht bedeutenden Schaden angerichtet und von ſeiten der menſchlichen Bewohner einen erbitterten Vernichtungskrieg herbeigeführt hat. Es wird mir ſchwer, aus der überreichen Fülle der Tat— ſachen das auszuwählen, was in dieſem Bändchen Raum finden kann. Es ſollen eben nur ſolche Daten aufgeführt werden, die beſonders geeignet ſind, die Rolle dieſer hoch— begabten Immenfamilie auf der Naturbühne zu beleuchten. Laien pflegen ſich in erſter Linie dafür zu intereſſieren, ob ein Inſekt ſchädlich oder nützlich iſt. Dieſe Anſchauung wird in manchen Schulen noch weiter ausgebildet, weil die Vorſchrift für den naturgeſchichtlichen Unterricht dahin lautet, daß hauptſächlich nur ſolche Lebeweſen beſprochen werden ſollen, die mit dem Menſchen und ſeinen Arbeiten im Zuſammenhang ſtehen. Deshalb wählte ich als Ausgangspunkt dieſer Schrift unſere Raſenameiſe, die tatſächlich überall zu Hauſe iſt — intra et extra muros! In der freien Natur, alſo außerhalb unſerer Wohnſtätten, iſt die Raſenameiſe ebenfalls eine allgemein verbreitete Bür— gerin. Ja, ſie iſt ſogar eine Weltbürgerin, denn außer— halb Europas lebt ſie auch in Nordafrika, in Aſien und in Nordamerika. Nach Auſtralien ſcheint ſie noch nicht aus— ET gewandert zu fein, oder fie findet dort ſolche natürliche Feinde, daß ſie ſich nicht vermehren und ausbreiten kann. Jedenfalls hat dieſe unſere Art unter den mitteleuro— päiſchen Ameiſen die größte geographiſche Verbreitung ge— wonnen und daher wohl die größte Individuenzahl aufzu— weiſen. Die Handbücher bezeichnen ſie als ein waldſcheues Inſekt, das in Wäldern nicht gerne niſte. Das mag für ſehr düſtere, dunkle Wälder zutreffen. In Ungarn finde ich ſie jedoch allenthalben in Eichen- und Akazienwäldern, die frei— lich den Sonnenſchein nicht ganz entbehren. über ihre Rolle im Freien möchte ich folgendes be— richten. Im Jahre 1900 züchtete ich die Zierpflanze Salpi- glossis variabilis in Töpfen. Am 4. Mai verpflanzte ich die noch ſehr kleinen, nur mit je zwei Blättchen verſehenen Pflänz— chen ins freie Land. Schon nach vier Tagen fand ich im Boden zwiſchen dieſen Sämlingen gut bevölkerte Gänge der Raſenameiſe, die unmittelbar neben den Stämmchen angelegt wurden und bald das ganze Erdreich, in dem Salpiglossis wurzelte, völlig durchzogen. Dasſelbe zeigte ſich bei einer anderen Zierpflanze, nämlich bei Cosmea bipinnata, deren Pflanzen jedoch ſchon kräftiger waren. Anfangs wollte ich dieſe Kolonien mit Pyrethrum- (Inſektenpulver-) Tinktur vernichten. Ich unterließ es aber, weil der Fall auch als intereſſanter Verſuch gelten konnte. Die fortgeſetzte Beobach— tung zeigte mir, daß die Raſenameiſe dieſen Pflanzen, zwi— ſchen deren Wurzeln ſie unmittelbar hauſte, nicht den geringſten Schaden zufügte. Im Gegenteil: die Pflanzen blieben nicht nur durchweg am Leben, ſondern wuchſen ſogar auffallend kräftig und entwickelten ſpäter ſehr ſchöne und reichliche Blüten. Ich glaube beinahe, daß ihnen die Raſenameiſe eigent— lich nützlich war, indem ihre unterirdiſchen Gänge den Boden lüfteten und den Zugang der atmoſphäriſchen Luft, alſo auch des Sauerſtoffes, erleichterten. Vielleicht wurden auch durch dieſe biſſige Ameiſe Engerlinge und andere unterirdiſche ſchäd— liche Inſekten ferngehalten. Damit ſoll nicht geſagt ſein, daß die Ameiſen den Pflanzen überhaupt nicht ſchaden. Es gibt tatſächlich Arten, die ge— wiſſen Pflanzen nachteilig ſind; beſonders ſolche, die Blatt— läuſe als Melkkühe benützen und auf die wir ſpäter zu ſprechen kommen. Die oben erwähnte Tatſache, daß die Raſenameiſe mir die winzigen Samen von Petunia hybrida aus den Töpfen wegſchleppte, könnte auch als pflanzenfeindliches Betragen aufgefaßt werden. Da aber die meiſten Pflanzen ſehr reich— lichen Samen erzeugen, iſt dieſe Art von Schädigung für die Pflanzenarten ſelbſt minder wichtig, als eine etwaige Schädigung von entwickelten oder in Entwicklung begriffenen Pflanzen. Daß die Raſenameiſe mitunter Sämereien ſammelt und dieſe in ihren Neſtern anhäuft, iſt auch von anderen bereits beobachtet worden. Erneſt André, der eine Monographie über die Ameiſen geſchrieben hat, erhielt ſie aus Algier ſamt kleinen gelblichen Samen, die man dort in ihrem Neſte gefunden hat. Hiermit ſind wir bei einer ſehr intereſſanten Erſchei— nung des Ameiſenlebens, nämlich bei der Samenernte, angelangt, die lange Zeit hindurch ins Gebiet der Fabel ver— wieſen war. Auffallenderweiſe gehören, wie es ſcheint, alle Ameiſen— arten, die Sämereien ernten — auch die exotiſchen — in die gleiche ſyſtematiſche Sippe mit unſerer Raſenameiſe: in die der Knotenameiſen. Salomo nimmt auf dieſe Sammeleigenſchaft der Ameiſe in ſeinen Sprüchen mehrfach Bezug. So heißt es: „Gehe hin zur Ameiſe, du Fauler und betrachte ihre Wege und lerne Weisheit! — Sie hat keinen Führer noch Lehrmeiſter noch Herrn. — Und doch bereitet ſie im Sommer ihre Speiſe nd jammelt in der Ernte ihren Vor ral. Viere ſind ſehr klein auf Erden und dennoch weiſer als die Weiſen: — Die Ameiſen, ein ſchwaches Bolt, das ſich eie bereitet Ariſtoteles, Plinius, Virgil, Horaz und andere antiken Schriftſteller erwähnen teils als ernſte Naturforscher teils als Dichter die Körnerernte der Ameiſen. Plautus, der berühmte römiſche Luſtſpieldichter, läßt in ſeinem „Tri— nummus“ betitelten Stücke einen Sklaven auftreten, der eine größere, ihm anvertraute Summe Geld vertan hat. Als man ihn fragt, wohin das Geld geraten ſei, meint er: „Geld ver— ſchwindet ja ebenſo raſch wie die Mohnkörner, die du den Ameiſen vorſtreuſt.“ Man erſieht daraus, daß die Alten die Ameiſe nicht bloß als Sinnbild des Fleißes und der Ausdauer, ſondern auch als Sinnbild der weiſen Vorſorge betrachtet haben. Fu ve Letztere Eigenschaft iſt ihr jedoch in der neueren Zeit, bis auf die jüngſte Gegenwart, wieder abgeſprochen worden. tun iſt es doch offenbar leicht feſtzuſtellen, ob die Ameiſen wirklich Körner für die ungünſtige Jahreszeit ſam— meln oder nicht. Man braucht eben nur das Neſt der be— treffenden Art mit dem Spaten zu öffnen, und der Körner— vorrat, wenn es überhaupt einen ſolchen gibt, muß zutage treten. Auch iſt anzunehmen, daß die genannten alten Schrift- ſteller eine Erſcheinung, die ſich jeden Tag beobachten ließ, unmöglich als Tatſache hätten aufführen können, wenn ſie im Kreiſe des Landvolkes nicht allbekannt geweſen wäre. Vor rund hundert Jahren erſchien ein Buch über die Ameiſen der Schweiz, das lange Zeit hindurch das vorzüg— lichſte Quellenwerk war und deſſen naturgetreue Beſchrei— bungen noch heute als Muſter gelten. In Genf lebte die Naturforſcherfamilie Huber; Franz, der blind wurde, und ſein Sohn Peter befaßten ſich mit dem Leben der geſell— ſchaftlich lebenden Immen. Peter half ſeinem Vater und beobachtete ſpäter die Ameiſen ſelbſtändig; unter ſeinem Namen erſchien das raſch berühmt gewordene und auch heute noch hochgeſchätzte Buch: „Recherches sur les moeurs des fourmis indigenes.“ Darin wurde beſtimmt ausgeſprochen, daß bei keiner in der Umgebung von Genf heimiſchen Ameiſenart für den Winter eingetragene Körnervorräte zu finden wären. Dieſe Erfahrung hat man dann verallgemeinert, und über hundert Jahre hindurch wurde angenommen, daß die An— gaben jener griechiſchen, römiſchen und jüdiſchen Schriftſteller ins Reich der Fabel gehörten. Um ſo mehr, weil ein anderer Naturforſcher, Pierre André Latreille in Paris, vier Jahre vorher eine ähnliche kurze Außerung getan hatte. Er ſchrieb nämlich: „Legen wir der Ameiſe keine unnötige Vor— ſicht bei; zu welchem Zwecke ſollte ſie denn auch Kornkammern für den Winter anlegen, wenn ſie während dieſer Jahreszeit vor Kälte erſtarrt ſchläft?“ Wer hatte nun recht? Die Schriftſteller des Altertums oder Huber und Latreille? Recht hatten eigent- lich beide Parteien. Auch war der wirkliche Sachverhalt ſchon längſt klargeſtellt in einem Büchlein, das ein engliſcher Geiſtlicher, William Gould, 1747 in London unter dem Titel: „An account of English Ants“ veröffentlicht hatte. Er unterſuchte die Neſter aller engliſchen Ameiſen, die er fand, und machte ſogar Verſuche, kam aber zu demſelben Ergeb— EN RM niſſe wie ſpäter Huber: die Neſter enthielten in keiner Jahres» zeit Sämereien, und die Ameiſen ließen die hingeſtreuten Körner liegen. Gould ſagt nun auf Seite 67 ſeines Büchleins: „Es ſoll jedoch bemerkt ſein, daß die hauptſächlichſten darauf (näm— lich auf die Körnerernte) bezüglichen Schriftſtücke von Aus— ländern geſchrieben worden ſind; und es iſt ſehr wahr— ſcheinlich, daß die Lebensweiſe der Ameiſen, ſo wie die des Menſchen, in den verſchiedenen kli— matiſchen Verhältniſſen ſich ändert. Da nun meine Beobachtungen auf England beſchränkt ſind, ſo wird es nicht ſo wunderbar ſcheinen, daß man in ihrer Lebensweiſe und Haushaltung ſo beträchtliche Abweichungen findet.“ Noch klarer ſpricht er ſich auf Seite 93 aus: „Die Ge— wohnheiten exotiſcher Ameiſen mögen in dieſer wie in anderer Hinſicht von denen der unſrigen abweichen. . .. In der Tat, wenn wir in Erwägung ziehen, daß die öſt— lichen Teile der Welt erhöhte Wärme und dem— entſprechend verhältnismäßig mildere Jahres— zeiten haben, ſo wird es nicht unwahrſcheinlich vorkommen, daß die Ameiſen des Orients in dieſer (bezüglich der Ernte) und vielfach in anderer Hinſicht von den unſrigen verſchieden ſind.“ Damit hatte Gould den Nagel auf den Kopf getroffen. Die naturwiſſenſchaftlichen Schriftſteller, die ſich auf Hubers Beobachtungen ſtützten, zogen nicht in Erwägung, daß ſein Werk nur die „kourmis indigenes“, alſo die Schweizer Ameiſen, behandelte, wohingegen die Quellen des Altertums aus Aſien, Griechenland und Italien ſtammten. Latreille hatte ebenfalls recht: wozu würden Ameiſen, die in kälteren Erdzonen wohnen und die in der kalten Jahreszeit in Winter— ſtarre verfallen, einen winterlichen Körnervorrat brauchen? Ob die Alten recht hatten oder in Irrtum befangen waren, konnte nur in Ländern mit lauen Wintern ent⸗ ſchieden werden. Nach Huber und Latreille dauerte es anderthalbhundert Jahre, bis die Beobachtungen des Altertums wieder zu Ehren kamen. Ein franzöſiſcher Forſcher, Ch. Leſpéès, beſprach i. J. 1866 die Lebensweiſe von zwei ſüdlichen Myrmiciden— arten, von Aphaenogaster (Atta) barbara L. (Abb. 1) und Aphaenog. structor Latr., die er in Südfrankreich zu beobachten Gelegenheit hatte. Er ſagte über ſie: „Dieſe zwei Arten ſammeln Körnervorräte mit einer bewunderungswürdigen Tätig— keit; ſie gehen mitunter ſehr weit auf die Suche, aber ſie teilen die Arbeit unter ſich. Finden ſie unterwegs eine Pflanze mit großen, ausgebreiteten Blättern oder einen Stein, unter dem ſich ein freier Raum befindet, oder irgend— ein anderes ſchirmendes Dach, ſo gründen ſie dort eine vor— läufige Niederlage (Depot). Diejenigen Individuen, die das Körnerſammeln beſorgen, befördern die Sämereien in dieſes Depot; andere holen die Körner von hier ab und tragen ſie bis zum Eingange des Neſtes; eine dritte Arbeitergruppe trägt endlich die Ernte in den Bau hinab. Manchmal, wenn der Weg vom Ernteplatz zum Neſte zu lang iſt, richten ſie unterwegs zwei oder drei ſolcher vorläufigen Niederlagen ein.“ Hier haben wir alſo die erſte neuzeitliche beſtimmte Mit- teilung über die Körnerernte europäiſcher Ameiſen, und zwar, was das Wichtigſte an der Sache iſt, mit Angabe der zwei Arten, bei denen ſich dieſe intereſſante Tatſache bewahrheitet hat. Wie ſo oft, wurde dieſer Veröffentlichung jedoch keine Aufmerkſamkeit geſchenkt. Die Fachſchriften über Inſekten, damals beinahe durchweg nur mit ee gefüllt, nahmen keine Notiz davon. Die Angaben von Leſpès wurden im Jahre 1873 durch einen Engländer, namens J. Traherne Moggridge, be— ſtätigt, der aber von jenen keine Kenntnis hatte. Seine in Südeuropa geſammelten I: tizen ſind überaus wichtig, weil ſie nicht nur! die Beobachtungen von Leſpss bekräftigen, ſon⸗ Abb. 5. Bau der Ernteameife, dern ganz neue Tatſachen beleuchten und die Sachlage ziem— lich vollkommen erklären. Moggridge ſah, wie die Ernte— ameiſen A. barbara und structor auf die Fruchtſtände der Pflanzen emporklommen und dieſe ſchüttelten, ſo daß der Same auf den Boden fiel. Ging die Sache ſo nicht, dann biſſen ſie den ſamentragenden Fruchtſtand ab. Ihre Genoſſen warteten unten am Boden, rafften den hinabregnenden Segen ſogleich auf und trugen ihn zum Neſtbau, wo eine dritte Arbeiter- gruppe die Körner in Empfang nahm. Die Abfälle wurden aus dem Bau entfernt und in der Nähe zu einem kegelförmigen Haufen aufgeſchichtet. In Abb. 5 bringen wir die Moggridgeſche Zeichnung, in der der Eingang (E) des Baues und links vom Ein— gangsloch der große Schutthaufen, von Ab— fällen gebildet, ſichtbar iſt. Man ſieht die Arbeiter ab- und zugehen und nicht bloß Körner, ſondern auch ganz zarte Keimpflänz— chen daherſchleppen. Abb. 6 zeigt die zwei Knoten am Hinterleibſtiel dieſer Ameiſen. Moggridge öffnete eine Anzahl Neſter dieſer Ameiſen und fand dort flache, wagerechte Kornkammern, die in ver— ſchiedenen Tiefen übereinander eingerichtet waren. Je eine Kammer war von der ungefähren Größe einer Taſchenuhr. Er fand in dieſen Kornſpeichern die Samen von ſehr ver— ſchiedenen Pflanzen. Nicht weniger als 35 Gattungen waren in dieſer Samm— lung vertreten; es gab darunter öl- ſtärke- und ſtickſtoffreiche Samen, um allen möglichen Gelüſten zu genügen. Abbildung 7 auf Seite 18 gibt eine andere Zeichnung dieſes Forſchers wieder, nämlich den Durchſchnitt eines mit Kornkammern verſehenen Baues. Die einzelnen Linien be— deuten Tiefenunterſchiede von ca. 2 em. Der ſchwarze Streifen iſt ein Teil des Ganges, die länglichen Flecke ſtellen die Sämereienkammern dar. In Mentone, wo Moggridge ſeine Unterſuchungen an— geſtellt hatte, waren keine Getreidefelder in der Nähe; die Ameiſen nahmen daher mit ſolchen Sämereien vorlieb, die ſie unweit ihrer Neſter fanden. Es unterliegt alſo keinem Zweifel mehr, daß ſie dort, wo es die Verhältniſſe erlauben, auch Weizen und Roggen, ſowie Gerſte eintragen, wie es die Dokumente des Altertums verſichern. Sajö, Krieg und Frieden im Ameiſenſtaat. 2 Abb. 6. Hinterleibſtiel. A Die Bauten der Ernteameiſen verrieten ſich durch den Pflanzenwuchs der Umgebung. Daſelbſt ſproſſen nämlich Pflanzenarten empor, die auf jenem Gelände— fleck ſonſt nicht heimiſch und offenbar aus fallen gelaſſenen Samen entſtanden waren. Dieſe brachten die Arbeiter von einer Zitronenanlage, wo ihr hauptſächlichſtes Erntefeld war. Sogar die Wege, auf denen ſie ab- und zugehen, ſind von ſolchen Pflanzen bevölkert. Die Er⸗ klärung dieſer Er⸗ ſcheinung dürfte darin liegen, daß die Ameiſen, wenn ſie von einem Ge— witter oder einem plötzlichen Regen- guß überraſcht werden, die Sa— men fallen laſſen und in den Bau fliehen; der vom Regenwaſſer ge— triebene Schlamm bedeckt dann die Samen, ſo daß ſie vor den Ameiſen geborgen ſind und keimen können. Moggridge er— fuhr auch noch andere Tatſachen. Dieſe kräftigen, großen Ameiſen ernten nicht bloß von Pflanzen ein; ſie erſparen ſich mitunter dieſe Mühe, indem ſie ihr Neſt pfiffigerweiſe unter der Schwelle einer Getreideniederlage anlegen und die Körner ſammeln, die beim Füllen und Leeren der Säcke uſw. auf den Boden fallen. N Auch dann, wenn ihr Neſt vom Getreideſpeicher ent— fernt iſt, verſtehen ſie es wunderbar, die von Menſchenhand aufgehäuften Gaben der Ceres unbemerkt in ihre eigene Stadt zu eskamotieren. Sie legen nämlich unterirdiſche Gänge an, die von ihrem Neſt bis in die menſchlichen Getreidekammern unmittelbar unter das Getreide führen, und entwenden auf dieſem Wege größere Mengen Körner, als der Menſch ahnen würde. Die Frage, wie ſich die Ameiſen von Pflanzenſamen nähren, iſt noch nicht vollkommen genügend beantwortet. Dieſe Sache hat nämlich den Haken, daß die Ameiſen über— haupt nur flüſſige oder dickflüſſige Stoffe eſſen können. Moggridge hat den Magen von Aphaenogaster mikroſkopiſch unterſucht und fand darin keine Stärkekörner. Man weiß aber, daß die Samen, namentlich der Getreide— arten, ſehr viel Stärke enthalten. In dieſer Hinſicht hat in Amerika Henry Chriſtopher Me Cook, auf deſſen Unterſuchungen ich in der Folge noch zurückkomme, intereſſante Beobachtungen gemacht. Die Ameiſen können nicht im eigentlichen Sinne des Wortes kauen. Im Munde haben ſie keine Kauwerkzeuge. Ihre Kiefer dienen nur dazu, etwas zu benagen, die Hülle der Körner aufzu— beißen; natürlich werden ſie auch als Waffen gebraucht. Sie arbeiten wie Zangenſcheren, nicht als Mahlzähne. Die Auf— nahme der Nahrung in den Mund geſchieht ausſchließlich mittels der Zunge. Wenn die Ameiſen entweder Körner oder irgend etwas anderes eſſen, ſo belecken ſie den be— treffenden Gegenſtand mit fortwährender, ziemlich raſcher Be— wegung der Zunge. Auch die Pflanzenſamen behandeln ſie auf dieſe Weiſe; und es zeigte ſich, daß an der Stelle, wo eine oder mehrere Ameiſen einige Zeit mit ihrer Zunge ge— arbeitet haben, eine kleine Mulde entſteht. Es iſt allgemein bekannt, daß zahlreiche Samen recht viel Ol enthalten, andere weniger Ol, aber viel mehr Stärke. Das Ol lecken die Ameiſen ohne weiteres auf. Auf die Stärkekörner wird offenbar mit der Zunge ein Speichelſaft aufgetragen, in dem ſich bekanntlich die Stärke löſt und in Zucker übergeht. Es ſcheint alſo, daß die Ameiſen die Verdauung feſter Nährſtoffe nicht ganz im Magen bewerkſtelligen; die Auf— löſung feſter Nährſtoffe geſchieht, bevor ſie dieſe in den Mund nehmen, dadurch, daß Speichel und vielleicht auch noch andere auflöſende Sekrete auf die Nahrung mittels der Zunge auf— getragen werden, mit der ſie dann ablecken, was ſich auf— gelöſt hat. Moggridge glaubt, daß die ſüdeuropäiſchen Aphaeno- Ze saster-Arten die Körner vorher keimen laſſen und, wenn ſich während dieſes Prozeſſes Zucker bildet, dieſen und die auf— geweichten anderen Stoffe eſſen. Wenn ein Samenkorn vorn zu keimen beginnt und das kleine Würzelchen erſcheint, ſo beißen ſie dieſes durch (Abb. 8). Dies geſchieht wohl auch; wie ſchon geſagt, vermögen die Ameiſen i jedoch auch ſolche Samen zu genießen, bezw. i den Inhalt auch ſolcher Samenkörner auf- mit durchbiſſenem zulöſen, die noch nicht zu keimen begonnen Würzelchen. haben. Ich glaube, die Ameiſen ſind auch Aten de Fleiſch aufzulöſen, bevor ſie es eſſen. Das kann natürlich auf keine andere Weiſe geſchehen, als dadurch, daß ſie einen fleiſchlöſenden, pepſinartigen Verdauungsſaft mit der Zunge auftragen und, was ſich aufgelöſt hat, gleich auflecken. Man benützt bekanntlich die Ameiſen als anatomiſche Ge— hilfen, wenn man von kleineren Tieren Skelette haben will. Ich breitete einmal eine tote Fledermaus auf einem Garten— beet aus, und alsbald rückten die Ameiſen — in den Mund der Fledermaus ein. Zuerſt verzehrten ſie die flüſſigen und halbflüſſigen Teile, ſo daß bald nur hartes, ſozuſagen ge— dörrtes Fleiſch, Haut, Sehnen, Knorpel übrigblieben. Sie ließen aber auch dieſe Stoffe nicht liegen. Zunächſt verſchwand der untere, dem Boden zugekehrte Teil der Fledermaus mit Ausnahme der Knochen. Dann kehrte ich den Kadaver um, und nun, ich möchte beinahe ſagen: „verflüchtigte“ ſich auch der noch übrig gebliebene Rückenteil ſo, daß das Skelett ziemlich rein zuſtande kam. Ein andermal vernachläſſigte ich die Sache, und dann aßen ſie auch die Gewebe, welche die einzelnen Knochen verbanden, jo daß das Skelett auseinander- fiel. Es hatte tatſächlich den Anſchein, als hätten ſie ſogar die trocken gewordenen Fleiſchteile förmlich aufgelöſt. Einzelne Stücke trugen ſie in ihren Bau; hätten ſie dieſe nicht auf— weichen, d. h. mit einem aufgetragenen Verdauungsſaft mürbe machen können, ſo würden ſie die beinahe holzartig ſpröde gewordenen Fleiſchüberreſte wohl nicht in ihr Neſt getragen haben. Man hat auch die Frage aufgeworfen, wie die Ameiſen das Keimen der Samen verhindern, die in ihren unterirdiſchen Kammern lagern. Früher wurde an— genommen, daß zum Keimen der Samen nichts anderes nötig BE. DE ſei, als Wärme, Feuchtigkeit und Sauerſtoff. Alle drei Faktoren ſind in den unterirdiſchen Städten dieſer anarchiſtiſch— ſozialiſtiſchen Geſellſchaften vorhanden. Weshalb kommt alſo das Keimen dennoch nur ausnahmsweiſe vor? a Wir dürfen aber kaum noch daran zweifeln, daß die ſoeben genannten drei Faktoren zum Keimen nicht genügen. Immer augenſcheinlicher wird es, daß zum Keimen auch noch Mikro— organismen, kleine Lebeweſen der primitivſten Art, nötig ſind. Beſonders bei den Samen perennierender Gewächſe kommt man zu dieſer Überzeugung.“) Wenn dem ſo iſt, jo können die Ameiſen die Keimung ſchon dadurch verhindern, daß ſie die Samen irgendwie von den Bakterien, vielleicht mittels Ameiſenſäure, befreien. Die alte Methode, Getreide aufzu— bewahren, beſtand ja darin, daß man in Lehmboden ſenkrechte Gruben grub, die eine flaſchenförmige Form hatten: unten hatten ſie einen größeren Durchmeſſer, oben, bei der Mün— dung, waren ſie dagegen ſo eng, daß gerade nur ein Menſch durchzuſchlüpfen vermochte. Dieſe Gruben hatten eine Tiefe von etwa 3 m. Unmittelbar vor dem Gebrauche wurden fie dadurch desinfiziert, daß man ſie mit Stroh füllte und dieſes anzündete. Im Auguſt oder September ſchüttete man das Getreide ein, worauf die Mündung mit einem Brettdeckel geſchloſſen und obenauf noch ein kleiner Lehmhügel errichtet wurde. In dieſen ſenkrechten Höhlen hielt ſich das Getreide ganz gut, ohne zu keimen, bis zur nächſten Ernte. Wenn alſo das Getreide in unterirdiſchen Gruben auf— bewahrt werden kann, ſo erſcheint es ganz natürlich, daß es in Ameiſenbauten, die eine beträchtliche Tiefe haben, ebenfalls gut erhalten bleibt. Die Körner ſammelnden Arten legen eben ihre Neſter gern in feſtem Boden an, der das Waſſer nicht leicht eindringen läßt. Wenn aber gewaltige Regengüſſe dennoch bis in die Ameiſenkornkammern dringen, ſo beeilen ſich die ſorgſamen Tierchen, aus der überſchwemmten Kammer die Sämereien ins Freie zu tragen und dort zu trocknen. Die bei Klaudius Alianus (im zweiten Jahrhundert n. Chr.) und anderen alten Schriftſtellern zu findende Angabe, daß die Ameiſen in die aufzubewahrenden Samen je ein Loch bohren, um ſie der Keimfähigkeit zu berauben, hat man noch nirgends beſtätigt gefunden. Damit ſoll aber nicht beſtritten 5 ) Vgl. Prometheus, Nr. 587 (1901, 9. Jan.), Seite 236, „Rund- ſchau“: Sajö, Über Erſcheinungen beim Keimen der Samen. RO werden, daß bisher noch nicht genauer beobachtete Arten auch dieſe Arbeit verrichten mögen. Möglich iſt es. Aber ebenſo, daß die von den Alten bemerkten Löcher von ſolchen Inſekten herrührten, die als Larven in Getreidekörnern leben, z. B. die Calandra-, Anobium- (Byrrhus-), Bruchus- Arten und andere. Ich habe bisher immer nur von Arbeitern, alſo von ungeflügelten Ameiſen, geſprochen, weil man meiſtens nur dieſen begegnet. Außer dieſen Arbeitern, die verkümmerte Weibchen ſind, gibt es aber auch vollkommen entwickelte, geflügelte Weibchen, ſowie Männchen, die eben- falls flügge ſind. Dieſe zwei geflügelten Formen nennt man „Geſchlechtstiere“. Einmal war ich in einer Landwohnung auf Beſuch und fand dort große Aufregung. Die Wohnräume wimmelten von ziemlich großen geflügelten Inſekten, die auf Betten, Diwans und überhaupt auf allen Möbeln umherliefen, teils auch hin— und herflogen. Es wurden alle Fenſter geſchloſſen, denn man glaubte, daß das Getier von außen eindränge Aber anſtatt ſich zu vermindern, vermehrte ſich die Zahl von Viertelſtunde zu Viertelſtunde. Als ich eintrat, waren die Inwohner ſchon in einer Art Panik, und man beſtürmte mich mit Fragen und bat um Rat. Ich erkannte die wimmelnde flügge Schar ſogleich als die Geſchlechtstiere der Raſenameiſe (Tetramorium caespitum) und wußte auch ſofort, daß ihre Neſter ſich im Hauſe ſelbſt, unter den Dielen befänden, und daß es ſich um den ſogenannten „Hochzeitsflug“ handelte. Da wollen ja eben die „geflügelten Ameiſen“, d. h. die Weib— chen und die Männchen, hinaus in die freie Luft, wo die Paarung ſtattfindet. Man kann ſich alſo wohl denken, daß ſie noch viel erregter waren als die menſchlichen Inſaſſen des Hauſes, weil ſie bei geſchloſſenen Fenſtern nicht ins Freie gelangen konnten. Ich gab alſo das Kommando: „Alle Fenſter und Türen aufmachen!“ Da zog ſich dann der Schwarm allmählich hinaus. Das Schauſpiel wiederholte ſich noch einigemal in den folgenden Tagen. Wie geſagt, die Männchen und Weibchen der meiſten Ameiſen ſind an Form, noch mehr aber an Körpergröße von den Arbeitern ſo ſehr verſchieden, daß ich mich durchaus nicht wundere, wenn Laien ſie nicht als Ameiſen erkennen. Die Arbeiterform der Raſenameiſe z. B. iſt ein winziges, nur 2—3 mm langes Geſchöpf; ihre Männchen aber ſind 67 mm lang, und die Weibchen erreichen 8—9 mm! Dabei haben die Weibchen einen großen, breiten Bauch. Die Abbildung auf Seite 5 zeigt uns dieſe Verhält— niſſe bei Aphaenogaster. Die Diebsameiſe (Solenopsis fugax), die ebenfalls zu den Myrmiciden gehört, hat noch merk— würdigere Verhältniſſe. Die bräunlichgelben Arbeiter ſind ſo klein und dünn, daß weitſichtige Menſchen ſie mit freiem Auge gar nicht wahrnehmen. Ihre Länge beträgt nur 1—2 mm. Die Weibchen dagegen ſind ſtattliche, dicke Weſen von 6—7 mm Länge. Dieſe kaum ſichtbaren Liliput-Arbeiter, die kaum größer ſind als ein Sandkorn, bringen ſo viel Nahrung zu— ſammen, daß ſie aus einem Teile der Larven ſolche Rieſen züchten, die an Körpergewicht etwa 30 Arbeiter aufwiegen! Angeſichts ſolcher Verhältniſſe muß man ſchon zugeben, daß dieſe ſechsfüßigen Zwerglein aufopferungsfähig ſind. Ich emp- fehle jedem Naturfreunde, dieſe Tierchen mit eigenen Augen zu beſchauen. Die Solenopsis fugax kann man ja allenthalben aufſpüren. Man hebe Steine auf oder, wo ſolche fehlen, Reiſig, größere Aſte uſw., die ſchon längere Zeit auf dem Boden lagen, und man wird dieſe kleine gelbe Myrmicidenart finden. Ja, ſie lebt ſogar in wüſtem, dürrem Flugſande, wo ſich nur ein ſpärlicher Pflanzenwuchs entwickelt; ſie macht ſich daſelbſt unterirdiſche Gänge und Neſter, ohne andere Be- dachung als die vom Flugſand gebotene. Die heutige Naturforſchung gewöhnt uns daran, immer und immer wieder Fragen zu ſtellen, weil wir mit dem Ge— danken vertraut ſind, daß alles ſeine Urſachen hat. Größe oder Kleinheit des Körpers, Länge oder Kürze der Fühler, Füße und anderer Körperteile, Färbung und die übrigen äußeren ſowie inneren Eigenſchaften haben ſich gewiß aus ſehr triftigen Gründen ſo entwickelt, wie ſie jetzt ſind, und nicht anders. Je mehr Fragen wir beantworten können, um ſo mehr neue drängen ſich auf, die noch einer annehmbaren Beantwortung harren. Da fragen wir nun auch bei dieſer beinahe mikroſkopiſch kleinen Ameiſe mit vollem Recht, warum ſie denn in ihrer Arbeiterform ſo klein geworden iſt. Denn offenbar waren ihre Ahnen größer, und wir haben es hier mit einer ver— zwergten Form zu tun. Und man iſt ja doch berechtigt, an— zunehmen, daß eine Mittelgröße den ſtaatlich lebenden Ameiſen zugute kommen dürfte, weil ſie ihre Kolonie dann beſſer be— ſchützen könnten. Allerdings; — aber ebenſo gewiß iſt, daß Tiere, die lieber verborgen leben, ebenfalls gute. Ausſichten haben, den Gefahren zu entgehen. Bei der Solenopsis fugax kommt uns die Erklärung heute ſchon auf halbem Wege entgegen. Wir wiſſen nämlich, daß E dieſe Art gern innerhalb der Bauten größerer und I fräftigerer Ameiſen lebt — aber nicht ver- miſcht mit dieſen, ſon⸗ dern in abgeſonder— ten Gängen. Die größe— ren Ameiſen bauen näm⸗ lich, wie wir bei den Ernte— ameiſen ſchon erwähnten, ihre Neſter in zahlreichen Stufen übereinander, und dieſe Galerien und Stock— werke ſind voneinander durch verhältnismäßig ſtarke Zwiſchenwände ge— ſondert. Dieſe Liliput- Abb. 9. Die feinen Gänge der Diebsameiſe Ameiſe liebt es nun, im Bau einer größeren Art. ih re feinen Gän ge in den Zwiſchenwänden der Bauten größerer Arten anzulegen. (Abb. 9.) Wenn es außer uns großen Ge— ſchöpfen zwerghafte Primatenarten gäbe, die nicht größer wären als die Gnomen der Volksſage, ſo wären ſie vielleicht auch imſtande, in den dicken Mauern unſerer Gebäude kleine Gänge und Wohnungen einzurichten, wie es ja ſtellenweiſe auch die Mäuſe tun. Solenopsis fugax hat davon mindeſtens zwei Vorteile: 1. ſie genießt den Schutz der größeren Ameiſen, in deren Bau ſie ſich eingeniſtet hat; 2. ſie nimmt ihren Tribut von den Nährſtoffen, die ihre Wirte zuſammenbringen. Sie ſtiehlt alſo ebenſo, wie uns die Mäuſe beſtehlen. Sie hat nämlich aus ihren feinen Gängen feine Eintrittstüren in die Kammern ihrer Wirte geſchaffen, wie die Mäuſe in unſere Ge— mächer und Kammern. Durch dieſe winzigen Türen vermag ſie in die Gänge und Kammern der größeren Ameiſen einzutreten, während ihre viel größeren Wirte in dieſe kleinen Gänge ebenſowenig hineindringen können, wie die Katze in die Gänge der Mäuſe. Deshalb hat Erich Wasmann die Solenopsis I — 25 — fugax mit Recht „Diebsameiſe“ genannt. Allerdings könnten die unfreiwilligen Wirte der Diebsameiſe die Gänge der letzteren offenlegen und auch zerſtören; dann müßten ſie aber die Zwiſchenwände ihres eigenen künſtlichen Baues zer— ſtören, infolgedeſſen ihr Neſt unfehlbar einſtürzen würde. So naſcht denn die Diebsameiſe in geeigneten Augenblicken, im geheimen und unbeſtraft, von den Ergebniſſen des Fleißes der kräftigen Formica fusca und anderer rühriger Arten. Naht Gefahr, ſo flüchtet ſie in ihre Gänge zurück. Ich fand übrigens ihre Neſter neben denen größerer Arten; ſie hatte aber von ihrer eigenen Behauſung aus Gänge in den Bau ihrer mächtigeren Nachbarn angelegt. Ich traf eine Diebsameiſen-Kolonie in der Mitte zwiſchen zwei fremden Neſtern: nämlich einem von Lasius niger und einem anderen von Lasius alienus. Dieſe zwei Formicidenarten ſind zwar keine großen Ameiſen, aber die haarfeinen Gänge der Solenopsis kugax waren dennoch in die Bauten beider eingeleitet. So iſt denn die ſcheinbare Schwäche dieſer Zwergameiſe ihre Stärke geworden. Unter unſeren einheimiſchen Knotenameiſen finden wir noch die ſehr verbreitete Myrmica-Gattung. In Europa iſt ſie nur durch zwei Arten vertreten: durch die größere, in Arbeiterform 7—8 mm lange Myrmica rubida Latr. und die kleinere, in Arbeiterform nur 4—6 mm lange Myrmica rubra L., die in mehreren Varietäten vorkommt. Die Vertreter der Myrmica-Gattung ſind lichter oder dunkler roſtrot oder auch rötlichgelb, haben alſo etwa dieſelbe Farbe wie die vorher beſprochene zwerghafte Diebs— ameiſe (Solenopsis fugax), die dem oberflächlichen Be— ſchauer ſozuſagen als eine Miniaturausgabe der kräftigeren Myrmica-Gattung erſcheinen mag. Die große Art, nämlich die Myrmica rubida Latr., iſt vielen Hochtouriſten, wenn auch nicht dem Namen nach, ſo doch durch eine ſehr bemerkbare Eigenſchaft wohlbekannt und dadurch auch anrüchig geworden. Sie iſt nämlich unter den mitteleuropäiſchen Arten die einzige, die mit ihrem am Ende des Hinterleibes befindlichen Stachel recht empfindlich ſtechen kann, während die übrigen Ameiſen unſerer Fauna bekanntlich die menſchliche Haut wohl mit ihren Mundwerkzeugen beißen, aber nicht ſo ſtechen, daß man dadurch einen erheblichen Schmerz empfindet. Dieſer merkwürdigen Ameiſe begegnete ich in meiner 6 Jugend zum erſten Male auf den Gebirgsweiden der Hohen Tatra, oberhalb des Kurortes Tätrafüred. Ich war damals ganz verwundert darüber, daß eine Ameiſe einen ſo tüchtig entwickelten Giftſtachel beſitzt und mit ihm ſo kräftig und ſo ſchmerzerregend ſtechen kann. Allerdings iſt ihr Stich nicht ſo giftig wie z. B. der unſerer Honigbiene, immerhin aber ſo ſchmerzhaft wie der unſerer kleineren wilden Bienen aus den Gattungen Andrena und Halictus. In der Ebene kommt Myrmica rubida wohl niemals vor; ſie ſcheint ausſchließlich an die höheren Gebirge gebunden zu ſein. Manche meiner Bekannten, die Gebirgstouren gemacht hatten, ſtellten mir die Frage: „Wie kommt es, daß die Ameiſen im hohen Gebirge Giftſtachel beſitzen, in den niedrigeren Tälern und im Flach— lande hingegen nicht?“ Dieſe Frage können wir einſtweilen ſo beantworten: der Giftſtachel iſt auch bei der Myrmica rufa L., die im Gebirge ebenſo wie in der Ebene zu Hauſe iſt, entwickelt. Aber die Vertreter der Myrmica rubra ſind verhältnismäßig klein, oft nur halb ſo groß wie die nur im Gebirge wohnende Myrmica rubida. Jufolge der Kleinheit ihres Körpers iſt auch ihr Giftſtachel nur etwa halb ſo groß und dementſprechend auch nur halb ſo kräftig wie der der großen Art. Daher kann die allverbreitete Myrmica rubra nur Menſchen mit ſehr zarter Haut ſtechen; und wenn dies geſchieht, ſo kann ſie in die Stichwunde viel weniger Gift einſpritzen als die große rubida. Die kleine Art ver— urſacht alſo meiſtens nur ein Jucken, während ihre große Schweſter ſchon einen empfindlichen Schmerz herbeiführen kann. Aber gegen kleine Tiere mag auch Myrmica rubra ihre Giftwaffe mit Erfolg verwenden. Auch bei anderen ein— heimiſchen Knotenameiſen kommen Stechapparate vor, die jedoch ſchwach entwickelt ſind. Noch mehr zurückgebildet und zum Stechen ungeeignet finden wir den Stachel bei den Drüſen- oder Schuppen- ameiſen (Formicidae), wo der Apparat nur dazu dient, Ameiſenſäure auszuſpritzen; wir kommen bei jener Sippe darauf zurück. | Die Myrmica-Arten haben nicht umſonſt eine Stechwaffe: ſie ſind ſehr kampfluſtig und gleich bei der Hand, wo andere, größere Ameiſen in eine Schlacht geraten. Sie wagen es dann, bis zur Stelle des Gemetzels vorzudringen und die getöteten oder auch nur verwundeten Kämpfer in ihr eigenes Neſt zu ſchleppen. Die letzteren töten ſie natürlich. Die Stechapparate ſind durchweg nur bei den weiblichen Individuen, alſo auch bei den Arbeitern (die „Soldaten“ mit inbegriffen) entwickklt. Die männlichen Individuen ſind vollkommen unbewehrt; ſie haben auch keine Waffen nötig, weil ihr Leben von ſehr kurzer Dauer iſt, und weil nach dem Hochzeitsfluge das ganze, nun ſchon überflüſſig gewordene Geſchlecht der Männer dem unvermeidlichen Ver— derben entgegengeht. Die Wehrloſigkeit der Männer iſt übri— gens eine allgemeine Regel bei den Immen, wenn wir näm⸗ lich unter Wehrloſigkeit das Fehlen eines Giftſtachels ver— ſtehen. Alle Grabweſpen, wirklichen Weſpen, Bienen, Hum— meln uſw. ſind dieſem Geſetze unterworfen. Die Myrmica-Gattung bietet uns auch noch von einer anderen Seite Bemerkenswertes. Sie hat nämlich ihre Exiſtenz teilweiſe mit den Blattläuſen verbun- den, hält ſich dieſe als Melkkühe, die ihr einen ſüßen Saft liefern, und nähert ſich in dieſer Hinſicht der Lebensweiſe der Sippe der Formieiden, unter denen es die hauptſächlichſten „Blattlauszüchter“ gibt. Über dieſes intereſſante Schauſpiel des Ameiſenlebens werde ich ſpäter ausführlicher berichten. Die Myrmica-Arten pflegen den Blatt- läuſen nicht auf die Bäume und Geſträuche frei nachzulaufen, wie es bei den Formiciden häufig der Fall iſt; ſie halten ſich aber unterirdiſche, an den Pflanzenwurzeln lebende Blattläuſe als Melkkühe. Sie genießen übrigens den ſüßen Saft auch ſolcher oberirdiſcher Blattläuſe, die an den von Blättern bedeckten Stammteilen verborgen ſind. So fand ich in Ungarn junge Onopordon-Pflanzen und in Tirol andere Diſtelgewächſe, deren Stamm noch ganz von jungen Blättern umhüllt war; als ich dieſe Blätterhülle auseinandernahm, ent— deckte ich darunter Kolonien von Blattläuſen und zwiſchen ihnen ganze Scharen von Myrmica rubra, die nun eiligſt in ihre an der Wurzel der betreffenden Pflanze angelegten Gänge flohen. Eine beſonders eigentümliche Gattung der Knotenameiſen lebt in Südeuropa, die dadurch auffällt, daß der herzförmige, in eine Spitze auslaufende Hinterleib nicht an ſeinem vor— deren Teile mit dem aus zwei Knoten beſtehenden . Stiele verbunden ift, ſondern auf ſeinem oberen — Teile, wo ſich ein nabelartiger Eindruck befindet. — (Abb. 10.) Demzufolge kann dieſe Gattung den Abb. 10. 5 . 5 ß . \ interleib der Hinterleib nach oben wenden, wie die Kurz— ne flügler (die Staphyliniden) unter den Käfern, und zwar ſo, daß die Spitze des Hinterleibes den Kopf der Ameiſe berührt. Die übrigen Ameiſen wenden ihren Hinterleib, wenn ſie ſtechen wollen, ab- bezw. einwärts. Dieſe Beweglichkeit des Hinterleibes kommt dieſer Gattung, die den wiſſenſchaftlichen Namen Cremastogaster erhalten hat, und die ich „Nabelameiſe“ nenne, bei ihren Kämpfen zugute; ſie kann dann ihren Gegner nicht nur leichter ſtechen, ſondern auch leichter mit dem Gifte ihrer Drüſen beſpritzen, was be— ſonders gegen größere Feinde ein wirkſames Mittel iſt. In den Mittelmeerländern, ſchon von Fiume abwärts durch ganz Dalmatien und Italien, findet man die Cremastogaster scutellaris, eine ſchwarze Nabelameiſe mit blutrotem Kopf, die beſonders in den Olbaumanlagen überall vorkommt. Dal— matien beherbergt auch noch eine andere, aber winzige, ganz ſchwarzbraun gefärbte Art dieſer Gattung, nämlich Cremasto- gaster sordidula. K * * Dieſe Arbeit hat zwar den Hauptzweck, den Leſer mit dem Leben der europäiſchen Ameiſen bekannt zu machen. Wir dürfen aber die wunderbaren Erſcheinungen, die ſich im Leben der exotiſchen Ameiſen abſpielen, nicht ganz vernach— läſſigen, weil wir ſonſt nur ein ſehr unvollkommenes Bild der Rolle geben würden, die dieſen Tierchen im Naturhaushalte zugewieſen iſt. Das Ameiſenleben erreicht nämlich die volle Blüte ſeiner Entwicklung, die höchſten Stufen der Intelligenz, in den heißen Ländern. Die heute in Europa lebenden Ameiſen ſind nur geringe Überbleibſel jener Ameiſenfauna, die in uralten Zeiten hier geherrſcht hat. Als bei uns noch eine tropiſche Vegetation ſich ausbreitete, gab es auch ein regeres und mannigfaltigeres Ameiſenleben. Die bekannte Fundſtelle zu Radoboj in Kroatien beweiſt das zur Genüge. Man hat dort bisher mehr foſſile Ameiſenarten gefunden, als heute ganz Europa aufzuweiſen vermag. Wir werden daher das Wichtigſte über die exotiſchen Ameiſen ebenfalls mitteilen. Ernteameiſen ſind in verſchiedenen exotiſchen warmen Ländern bekannt; in Amerika ſind ſie ſogar noch um einen Schritt weiter gekommen: zu ihren Arbeiten gehört Sl: ee dort nicht bloß die Ernte, ſondern auch die Pflan— zenzucht. Deshalb nennt man dieſe intereſſanten Knoten— ameiſen „Agrikulturameiſen“ (agricultural ants). Buckley (1860) und Lincecum (1861) beſchrieben amerikaniſche Ameiſen, die nicht bloß Körner ernten, ſondern auch Körner ſäen und dieſe Saat jorgfältig pfle- gen. H. Chr. Me Cook, ein Prieſter der Presbyterianer— kirche in Amerika, las dieſe Abhandlungen, die man 16 Jahre hindurch für Fabeln hielt, und entſchloß ſich im Sommer 1877, ſeine Ferienzeit darauf bezüglichen Unterſuchungen im Staate Texas zu widmen. Er fand dort zahlreiche Kolonien der Art Pogonomyrmex barbatus und überzeugte ſich, daß ſie eine wirkliche Ernteameiſe iſt. Außerdem bemerkte er, daß bei den meiſten Neſtern innerhalb einer gewiſſen Zone immer nur eine Pflanzengattung wuchs, und zwar das ſogenannte „Nadelgras“ (Aristida). Pogonomyrmex barbatus ſammelt nämlich mit Vorliebe den Samen von Aristida stricta und Aristida oligantha. Es iſt jedoch zu bemerken, daß die Um— gebung nicht aller Neſter mit dieſer Pflanze beſtellt war; bei vielen Neſtern ſah man gar keinen Pflanzenwuchs, weil die Ameiſen die ganze Vegetation kreisförmig ausgerottet hatten. Abb. 11 entnehmen wir dem Werke dieſes Forſchers; man ſieht, daß in der Mitte eine kreis— förmige Stelle ganz kahl gemacht iſt, während ſich rund herum eine mit Aristida beſtandene Zone be— 8 findet. SE Wegen der Vorliebe der e Ameiſen für dieſe Pflanze heißt das Nadelgras auch „Ameiſenreis“. Es fragt ſich aber, weshalb bei manchen Neſtern der Boden in größerem Um— kreiſe von Pflanzenwuchs ganz geſäubert und nicht einmal mit „Ameiſenreis“ beſiedelt iſt. — Lincecum er- klärte dieſe eigentümliche Erſcheinung dadurch, daß weidende Rinder bei dieſen Neſtern die ſchon in Halm geſchoſſenen Nadelgräſer abweideten; da den Ameiſen die übriggelaſſenen Stengel vollkommen unnütz wären, rotteten ſie auch dieſe aus ſo daß der kreisförmige Hof des Neſtes ganz vflanzenler wurde. Me Cook überzeugte ſich davon, daß ſie den men der in ihrem kultivierten Garten gewachſenen Nadelgräſer ſorgfältig ſammelten und eintrugen. Ob nun die Ameiſen den Ameiſenreis vorſätzlich ſäen oder ob er beim Eintragen zufällig fallen gelaſſen wird und unter Erdkrumen gelangt, wo er dann keimt, mag dahingeſtellt bleiben. Als ich von Moggridges Beobachtungen ſprach, erwähnte ich, daß die Ameiſen bei ihren Ernte- zügen, wahrſcheinlich vom „Regen überraſcht, eine Anzahl Körner verlieren, de die — vom Regenguß ein— geſchlemmt — ſpäter kei⸗ men; die ſo entſtandenen Pflanzen laſſen in der Folge die Karawanen— richtungen dieſes vor— ſorglichen Volkes von weitem erkennen. Möglich, daß es mit den Nadelgraskulturen von Pogonomyrmex dieſelbe Be— wandtnis hat. Jedenfalls iſt aber als feſtgeſtellte Tatſache zu betrachten, daß ſie aus ihrem Garten alle anderen Pflan- zen ausjäten und nur jene einzige Gattung, die ihnen „Ameiſenreis“ liefert, ſchonen. Das iſt nun unbeſtreitbar ſchon an und für ſich eine Pflanzen- und Bodenkultur im buchſtäblichen Sinne des Wortes. Dieſe amerikaniſche Art iſt alſo um einen Schritt weiter gekommen als die ſüdeuropäiſchen und überhaupt die palä— arktiſchen Ernteameiſen. Und es wäre gar nicht zu ver— wundern, wenn wir in der Folge Nachricht erhielten, daß ge— wiſſe Ameiſen Samen ganz regelrecht in den Boden verpflanzen. Merkwürdig iſt aller— dings, daß Pogonomyrmex | | ! barbatus nur die Gattung Aristida in ihrer unmittel- | baren Nähe wachſen läßt, Abb. 13. r obwohl ſie den Samen auch vieler anderer Pflanzen in ihren unterirdiſchen Kammern aufſpeichert, z. B. den von Buchlae dactyloides, von Panicum, Croton, Paspalum, Polygonum, Evanogrostis, ferner von Wolfsmilcharten, Mal- vaceen uſw. Von den Me Coo kſchen Aufnahmen wollen wir hier noch einige den Leſer intereſſierende wiedergeben: eine Ameiſe, die gerade den Fruchtſtand einer Hirſenart abbeißt (Abbildung 12); eine, die aufrecht ſtehend, eine andere, die in gewöhnlicher horizontaler Stellung (Abbildung 13) Körner leckt. Dann die poſſierlichen Stellungen in Teil Abbildung 14, die uns hängende und ſich putzende Individuen vor- 4. führen. Je wärmer ein Gebiet iſt, um ſo reger, impoſanter und mannigfaltiger entwickelt ſich das Ameiſentum. Zwi— ſchen den Wende— kreiſen herrſchen in dieſer Hinſicht Ver— hältniſſe, die einem beinahe unglaublich Abb. 14. erſcheinen. Solche Beiſpiele von tropischen Wundern bieten uns unter anderen die Blattſchneiderameiſen. Die Reiſenden, die die Natur einer etwas eingehenderen Beachtung würdigen, bemerken oft, wie arg das Laub vieler Bäume im tropiſchen Amerika zerſtört und zerfreſſen iſt, wie wenn jahraus, jahrein ein ununterbrochener Maikäferfraß ſtatt— fände. Genauere Unterſuchung zeigt aber, daß die Urheber dieſer Schädigung keine Käfer, auch keine Raupen, ſondern Ameiſen ſind. Solche Blattverwüſter gibt es unter den europäiſchen Ameiſen nicht. Die Braſilianer nennen dieſe Blattſchneider Sauba- (Saivba-) Ameiſen; in der 300- logiſchen Nomenklatur hat die betreffende Gattung den Namen Atta erhalten. Die Prozeſſionen der Atta-Arten ſind im tropiſchen Amerika nicht ſelten zu ſehen; Hunderte von Saubaameiſen eilen nebeneinander heim, mit emporgehal— tenen Blattſtückchen, die ſie teils aus Baumkronen, teils von Geſträuchen, teils von krautartigen Pflanzen geraubt haben. Sie lieben es, dieſe Blattſtücke, die mitunter die Größe einer kleinen Münze haben, ſo über ihrem Kopfe zu halten, als trügen ſie Schirme, weshalb ſie ſcherzhafterweiſe auch „Sonnenſchirmameiſen“ genannt werden. Die ſich meiſt in einer Schlangenlinie bewegende Pro— zeſſion beſteht nicht bloß aus blatttragenden Individuen, die heimkehren, ſondern auch aus leer ausgehenden Individuen, die in der entgegengeſetzten Richtung, alſo zu dem Baume oder Strauche eilen, der geplündert wird. Dieſe Blattſchneiderameiſen bauen ſich mitunter Neſter, die, mit ihrem Körpermaße verglichen, rieſig groß erſcheinen; es kommen Erdhügel von 30 m Umfang vor, unter denen die Atta-Arten zahlloſe unterirdiſche Gänge haben. Über den Zweck dieſer Blattſchneiderei herrſchte bis in die letzte Zeit Ungewißheit. Bates glaubte, die eingetragenen Blattſtücke würden für Bauzwecke, namentlich zur Herſtellung unterirdiſcher Wölbungen verwendet. Me Cook war der Meinung, daß die Blattſchneider aus den zerkauten Blättern eine Art von Papiermaché (ebenfalls für Bauzwecke) bereiten. Th. Belt ſprach ſich in den ſiebziger Jahren dahin aus, daß die zuſammengetragenen und zerkauten Blätter das Sub— ſtrat für Pilze ſeien, und daß ſich dieſe Ameiſen von den ſo gezüchteten Pilzen nährten. Obwohl N auch A. F. W. Schimper bei Blumenau in Braſilien die von den Ameiſen eingetragenen Blattmaſſen von Pilzen durch— wuchert fand, glaubte er doch nicht, daß dieſe Pilzformationen den Ameiſen als Nahrung dienen könnten. Über die Beltſche Anſicht äußerte er ſich folgendermaßen: „Die etwas aben— teuerliche Vermutung entbehrt jedoch jeder Begründung.“ Die jüngſte Zeit hat nun dieſe Begründung herbeigeführt, und heute wiſſen wir, daß die Beltſche Anſicht richtig war und daß die in Verweſung übergehenden Blattmaſſen den Blattſchneiderameiſen tatſächlich als Pilzgärten dienen. Ein Botaniker, Alfred Möller, der ſich behufs myko— logiſcher Studien nach Braſilien begeben hatte, beobachtete daſelbſt in der Umgebung von Blumenau (Prov. Santa Caterina) drei Blattſchneiderarten (Atta discigera, hystrix und coronata). Dieſe tragen die Pflanzenblattſtücke in ihre unterirdiſchen Höhlen und zernagen ſie zu breiartigen, form— loſen Klümpchen, die ſie aneinanderreihen. In der kürzeſten Zeit wird dieſe Maſſe von zahlloſen dünnen Pilzfäden durch— drungen. Den Pilzfäden entſprießen rundliche Körperchen, meiſtens mehrere beiſammen, und dann ähneln ſie, mit dem Vergrößerungsglas betrachtet, kleinen Kohlrabihäufchen. Eben dieſe kohlrabiartigen Anſchwellungen bilden die Nahrung der Blattſchneider, und zwar, wie Möller beobachtet hat, die ausſchließliche Nahrung. Wenn ſie ohne ſolche Pilznahrung in Gefangenſchaft gehalten wer— den, ſo verhungern ſie lie— ber, als daß ſie irgendeine andere Nahrung genießen würden. Abb. 15 zeigt uns, hei Dr Jak Hubers Aufnahme, die Fäden die— ſes Pilzes und die kopf— artigen Gebilde an deren Enden, die den Ameiſen als Nahrung dienen. Wenn man von dem „Pilzgarten“ der Blattſchneider nur ein Stückchen wegnimmt und außerhalb des Neſtes legt, ſo kommen gleich einige Arbeiter herbei, tragen es in den Bau zurück und fügen es der pilztragenden Maſſe an. Über— Sajo, Krieg und Frieden im Ameiſenſtaat. 3 Abb. 15. ar jiedelt die betreffende Ameiſenkolonie an einen anderen Ort, ſo nimmt ſie die ganze Maſſe bis zum kleinſten Reſte mit ſich. Die pilztragende Maſſe oder — wie man ſie heute allgemein nennt — der „Ameiſenpilzgarten“ iſt im Inneren, wo die vollwüchſigen Ameiſen beſchäftigt ſind und wo auch ihre Larven und Puppen lagern, mit Höhlen und Gän— gen badeſchwammartig durchſetzt. In der tropiſchen Hitze wächſt der Pilz ſo ſchnell, daß die Blattbreiſtücke, die morgens der Maſſe angefügt werden, abends ſchon mit Pilzfäden durch— wuchert ſind. Möller überzeugte ſich, daß der von den Ameiſen ge— züchtete Pilz ein Hutpilz iſt, der auf 24 cm hohen Stielen Hüte entwickelt; dieſen Pilz nannte er Rozites gongylophora. Das Eintragen und Zerkauen der Pflanzenblätter iſt nicht die einzige Arbeit dieſer Ameiſengärtner. Denn auffallender- weiſe kommen in ihren Pilzgärten außer dieſem einzigen Pilze gar keine anderen Organismen vor, die ſich doch ſonſt in einem ſo günſtigen Nährboden gewiß zahlreich einniſten wür— den. Es kann alſo kaum bezweifelt werden, daß dieſe Atta— Arten ausſchließlich den genannten Nährpilz wuchern laſſen, hingegen alle übrigen, in verweſenden oder gärenden Stoffen ſonſt wachſenden Pilze fernzuhalten wiſſen. Wie ſie das er— reichen, bleibt vorläufig ein Rätſel; denn daß ſie mikro— ſkopiſch kleine Sporen und dergleichen entfernen, ſozuſagen ausjäten könnten, erſcheint uns unglaublich. Die letzten Jahre haben uns überaus merkwürdige Auf— klärung darüber verſchafft, wie die jungen befruchteten Köni⸗ ginnen der Blattſchneiderameiſen neue Kolonien grün- den. Die Erſcheinungen, die ſich dabei abſpielen, ſind ebenſo verblüffend, wie die Pilzkultur ſelbſt. Dieſe neueſten Verſuche und Beobachtungen hat Profeſſor E. Göldi in Para (Braſilien) im Jahre 1904 begonnen und deren Fortſetzung Dr. Jakob Huber zugewieſen, der ſie 1905 zu einem vorläufigen Abſchluß brachte. Als Verſuchstier wurde die allbekannte Blattſchneiderart Atta sexdens gebraucht. Da es kaum zu bezweifeln war, daß die jungen befruch— teten Königinnen, wenn ſie ſich behufs Gründung eines neuen Staates in die Erde vergraben, den Pilz Rozites gongylophora irgendwie mit ſich nehmen müßten, ſollte dies zunächſt klar— geſtellt werden. Schon 1898 unterſuchte v. Ihering ſolche jungen Königinnen, die ſich aus dem Mutterneſte behufs Gründung einer neuen Brut zu entfernen im Begriffe waren. Er fand, daß jedes junge Weibchen im hinterſten Teile der Mundhöhle eine 0,6 mm große, lockere Kugel, die aus zerkauten Pflanzenblättern und den damit verbundenen Fäden des Pilzes Ro— zites gongylophora beſteht, aus dem Mutter- neſte mit ſich nimmt. Die junge Königin trägt alſo das unentbehrliche „Pilzſaatgut“ im Munde, wie der Hamſter die geſammelten Körner. . N E. Göldi und Jak. Huber haben ſich von der Richtigkeit dieſer Angabe überzeugt, und der letztere Forſcher hat den Durchſchnitt des SP Kopfes einer ſolchen Königin abge- Abb. 16. zeichnet. Dieſe Zeichnung ſehen wir in Abb. 16 wiedergegeben; die Kugel in der Mitte birgt, das Pilzſaatgut Wenn nun die Königin von ihrem kurzen oberirdiſchen Leben, während deſſen ihr ſonniger Hochzeitsflug ſtattfand, Abſchied genommen und ſich für immer in den dunklen Schoß der Erde vergraben hat, um als „Staatsgründerin“ ans Werk zu gehen, ſo bereitet ſie ſich zunächſt eine kleine, rein— liche Höhle. Die vier Flügel, die ihren Brautflug in der herrlichen, von Sonnenſtrahlen tropiſch beleuchteten und er— wärmten Luft ermöglichten, hat ſie ſchon verloren. Von der Sonne, dem blauen Himmel, der blühenden, grünenden Pflan— zenwelt hat ſie für die Ameiſenewigkeit Abſchied genommen. Sie wird von nun an bis zu ihrem Lebensende ein Troglo— dytenweſen, eine Höhlenbewohnerin ſein. Ihre Kinder, Enkel und Urenkel werden als Arbeiter täglich hinausgehen ins lichte oberirdiſche Paradies — die Königin ſelbſt aber entſagt ſolchem Genuſſe fürs ganze übrige Leben, um ſich den ſchweren Pflichten der Staatsmutter zu opfern. Das iſt das Loos nicht nur der Blattſchneiderkönigin, ſondern aller Ameiſenweibchen überhaupt. Iſt ihre Erdklauſe fertig, ſo kommt die Reihe an den Pilzknäuel, den ſie mitgebracht hat: dieſer wandert aus dem Munde auf den Boden der neuen Behauſung. Er mißt nur etwa ) mm im Durchmeſſer, iſt alſo nicht größer als der Kopf einer dünnen Stecknadel; und da ſich in der Erdhöhle für den Pilz keine weitere Nahrung findet, ſo iſt einſtweilen von dieſer Seite das tägliche Brot der jungen Brut nicht zu erwarten. Die Nahrung für den Pilz und für die erſten 55 Kindlein muß vorläufig die Königin hergeben. Könnte ſie ſprechen, ſo dürfte ſie nun mit vollem Rechte ſagen: „Omnia mea mecum porto“ (Alles, was ich brauche, trage ich bei mir). Das führt auch uns zur Erkenntnis, daß es ſeine guten Gründe hat, wenn die weiblichen Ameiſen, nämlich die Königinnen, meiſtens ſo rieſig groß ſind im Verhältnis zu den Arbeitern. Ihr Hinterleib iſt eben ein geräumiger, großer Sack, vollgefüllt mit Eiern. Die Beobachtungen der letzten 3—4 Jahre haben hinſicht— lich der Verwendung dieſer großen Eiermenge einen allge— meinen Irrtum beſeitigt. Früher nahm man an, daß die Eier ausſchließlich dazu dienten, um aus ihnen Larven zu züchten. Heute wiſſen wir, daß die Königin, die ihre einmal bezogene unterirdiſche Wohnung nie mehr verläßt, folglich auch keine Nahrung eintragen kann, wenn ihr keine andere Hilfe geleiſtet wird, ſich ſelbſt und ihre erſte Brit mit den Eiern ernähren muß, die ſie in ihre Leibe mitgebracht hat. Göldi hat ſchon 1904 bei der neueingerichteten Königin von Atta sexdens neben unverſehrten Eiern auch viele zer— brochene gefunden und glaubte hieraus ſchließen zu dürfen, daß mit dem Inhalte dieſer Eier das mitgebrachte Pilzſaatgut genährt würde. Genauere Beobachtung mittels Vergrößerungs— glaſes überzeugte aber im darauffolgenden Jahre Dr. Jak. Huber, daß der mitgebrachte Pilz allerdings gedüngt wird, jedoch nicht mit dem Inhalte der zerbrochenen Eier, ſondern mit den Exkrementen der Königin. Dieſes Exkrement iſt im vorliegenden Falle bloß eine gelbliche Flüſſigkeit, die auf den Pilzballen gebracht wird, worauf der Pilz zu wachſen be— ginnt. Da die ſtrengſte Sparſamkeit angezeigt iſt, dienen Eier nur zur Brut und als Ameiſennährſtoff. Ein Teil der ab— gelegten Eier dient der Königin ſelbſt als tägliche Speiſe; ein Teil wird geſchont, und aus dieſem kommen die Jungen zum Vorſchein; der größte Teil dient aber sum Füttern dieſer jungen Brut. Dr. J Hubers, ſuchungen zeigten, daß, ſolange keine jungen Arbeiter zuſtande kommen, nur etwa ein Zehntel der abgelegten Eier als Brutmaterial dient, neun Zehntel dagegen werden als proviſoriſches rt I Futter verbraucht. ee Abb. 17 (von Dr. Jak. Hu- Abb. 17. ber) führt uns vor, wie die l Larven die Eier, die ihnen von der Mutter zum Munde hingeſteckt werden, ausſaugen. Eine größere Larve iſt im— ſtande, den Inhalt eines Eies binnen 3—5 Minuten ganz zu verzehren. Aus den erſten Larven bezw. Puppen entſtehen Arbeiter, die eine Art Zwergkaſte vertreten: ſie ſind nur 2—3 mm lang. Bei ihrem Erſcheinen erzeugt der Pilz, der bis dahin natürlich nicht energiſch zu wachſen vermochte, noch immer keine „Kohlrabihäufchen“. So werden denn auch noch die erſten kleinen Arbeiter ebenfalls von der Mutter mit Eiern gefüttert. Auch ſie düngen den Pilz mit ihren Exkrementen, damit er nicht abſtirbt. In den folgenden Tagen erſcheinen endlich einige größere Arbeiter; dieſe bereiten ſich alsbald einen Ausgang aus der Höhle zum Tageslicht, beginnen ober— irdiſch das Blattſchneiden, tragen die Blattſtücke heim, die von den Zwergarbeitern ſogleich zerkaut und dem noch primi— tiven Pilzgarten angefügt werden. Von nun an wächſt der Pilz natürlich raſcher, der unterirdiſche Ameiſengarten nimmt rapid an Umfang zu, die Kohlrabihäufchen beginnen ſich maſſenhaft zu bilden und liefern von nun an die ausſchließ— liche Nahrung der Larven, ſowie der erwachſenen Bürger des neuen Staates. Aus dem obigen iſt erſichtlich, daß die Arbeiter den jungen Weibchen, indem ſie dieſe ſchon vom Larvenſtadium an durch reichliches Futter zu Rieſengröße aufzüchten, ſo die für die erſte Brut nötige Nahrung gleich mitgeben; und zwar in der bequemſten, dauerhafteſten Form, nämlich in der von Eiern, deren Inhalt im mütterlichen Körper nicht verdirbt, ſondern täglich friſche Koſt liefert. Die Ernährung der erſten Brut mittels Eier ſcheint übrigens nicht auf die tropiſchen Blattſchneiderameiſen beſchränkt zu ſein. Auch bei europäiſchen Arten glauben Janet und Forel annehmen zu dürfen, daß alleinſtehende Königinnen die erſte Brut im Notfalle mit dem Inhalte ihrer Eier nähren, weil namentlich Forel ein Verſchwinden der abgelegten Eier beobachtete. i Das oben Mitgeteilte bezieht ſich auf ſolche Weibchen, die auf ſich allein angewieſen ſind. Es gibt aber viele Fälle, in denen gleich anfangs ſich einige Arbeiter der jungen Königin zugeſellen und ihr behilflich ſind. Dann wer— den gleich von Anfang an Blattſtücke eingetragen; ſomit braucht von den Eiern nur eine geringe Anzahl zur Nahrung FERN vergeudet zu werden, dafür kann um jo mehr als Brut- material dienen. . In neue, ferne Gebiete kann ſich aber die Art meiſtens nur mittels alleinſtehender Königinnen verbreiten, die in die neuen Gelände während des Hochzeitsfluges durch Stürme verſchlagen werden. Das Auswandern in größere Ent— fernungen, das Erobern neuer Gebiete bedingt die Ernährung der Erſtlinge der Brut mit den Eiern der Mutter. Die Blattſchneiderameiſen ſind den Bäumen in ihren Heimatländern ſtellenweiſe überaus ſchädlich. Im allgemeinen ſind die im tropiſchen Amerika einheimiſchen Bäume minder gefährdet als die aus anderen Weltteilen dahin eingeführten. Die hochgradige Schädlichkeit dieſer Ameiſen beſteht in ihrer rieſigen Zahl, die von dem tropiſchen Klima bedingt iſt. Die Braſilianer ſagen vielleicht nicht mit Unrecht, daß die Ameiſen die eigentlichen Beherrſcher ihres Landes ſeien, nicht die Menſchen. Von den in die Neue Welt eingeführten Pflanzen geben die Blattſchneider beſonders den Orangen-, Granat- und Kaffeebäumen, ferner Roſenſtöcken und dem Kohl den Vorzug. Überhaupt iſt die Mehrzahl der aus der Alten Welt ſtammen— den Pflanzen den Angriffen der Atta-Arten dermaßen aus⸗ geſetzt, daß die Kultur ſolcher Fremdlinge dort ſtellenweiſe, beſonders im Inneren des Reiches, ſogar unmöglich wird.“ Deshalb hat man die Vertilgung dieſer Ameiſen behördlich verordnet (jedoch ohne merkbaren Erfolg). Der Umſtand, daß die eingeführten Pflanzen von den Blattſchneidern mehr zu leiden haben als die einheimiſchen, weiſt ſchon darauf hin, daß die letzteren ſich einige Schutz— mittel erworben haben. Das führt uns zu dem intereſſanten Kapitel der ſogenannten Ameilenpflanzen hinüber. Es iſt möglich, daß die in Braſilien einheimischen Pflanzen teilweiſe ſolche Verbindungen enthalten, die dem Geſchmack— ſinne der Ameiſen minder angenehm ſind als die in den fremden Pflanzen vorkommenden. Dieſer Schutz iſt aber nicht vollkommen erfolgreich; für manche Bäume haben ſich viel energiſchere Retter in der Not gefunden, und zwar in der Form anderer Ameiſenarten. 3 Dieſe Bäume ſtellen alſo den Ameiſen, die ſie ſchädigen, gleichwertige Gegner entgegen, wie das von Belt, Fritz Müller und Schimper ausführlich beſchrieben worden iſt. Unter dieſen beſchützten Bäumen ſind in erſter Linie Arten der Gattungen Cecropia und Acacia zu nennen. Sehr intereſſant ſind die Verhältniſſe bei den in Braſilien ſehr gemeinen Kekropien, die volks— tümlich „Imbauba“-Bäume ee (Abb. 18) heißen, beſonders 4 8 * — = a 0 * bei Cecropia adenopus, scio- FRE N > daphylla, peltata uſw In ihnen pflegen Amei— ſen ihre Wohnung zu neh— men, die zur Gattung Azteca gehören, und zwar, nach Forel, die Arten: Azteca Emeryi For. und Azteca Mülleri Emery. Die befruchtete Azteken— königin dringt oberhalb eines Blattſtielanſatzes in einen jungen Aſt ein. In Abb. 19 ſehen wir ein Aſtſtück mit dem Bohrloch, durch das die Königin eingedrungen iſt. In Abb. 20 iſt der Längsauf- ſchnitt eines jungen Aſtes wiedergegeben, der uns zeigt, daß das Innere der Aſte hohl und durch Querwände in Kam- wir mern geteilt iſt. Eine 80 wirklich ideale Einrichtung 285 a für Ameiſenkolonien! 25 4 Hat ſich die befruchtete a 18. weibliche Ameiſe in eine ſolche Aſtkammer hineingearbeitet, ſo heilt das Bohrloch wieder zu; aber das Gewebe der Vernarbung bildet an der Innenſeite ein aufgedunſenes, ſaftiges Gewebe, das der Königin und den erſten Larven, die ſie dort zur Welt bringt, als Nahrung dient. Außerdem pflegen mit der weiblichen Ameiſe gleichzeitig weiße Schild— = BE N 2. läuſe einzudringen, die den Saft des Gewebes innerhalb der Kammer ſaugen und eine honigartige Flüſſigkeit ausſcheiden, von der ſich die Königin ebenfalls nährt. Haben ſich nun die erſten jungen Arbeiterameiſen ent— wickelt, ſo beißen ſie das vernarbte Eingangsloch wieder durch, ſuchen auch im Freien Nahrung und halten die Pforte in der Folge als ſtändigen Ein- und Ausgang immer offen. Dieſe Aztekenameiſen ſind ſehr kampfbereite Geſchöpfe. Wo ſie ſich eingeniſtet haben, erlauben ſie keinen fremden Ameiſen Zugang. Das Laub von Kekropien alſo, in denen fie wohnen, bleibt den Blattſchneider— ameiſen eine verbotene Frucht. Man darf daher die Azteca-Arten mit vollem Rechte „Schutzameiſen“ nennen, und unter dieſem Namen wollen auch wir ſie hier des wei— teren beſprechen. Nicht nur ſremde Ameiſen, ſon— dern auch die meiſten übrigen Inſelten werden ferngehalten, immerhin aber einige Kerfe, teils Käfer, teils Raupen, ge— duldet. Welche Bewandt— nis dieſe letztere Erſchei— nung hat, iſt noch nicht _ = aufgeklärt. Abb. 19. Abb. 20. Die meiſten Sms baubabäume ſind von Schutzameiſen bewohnt; nur ſelten fehlen ihnen dieſe Schutz— truppen. Und ſolche von Schutztruppen nicht bewohn— ten Bäume kann man größtenteils ſchon von fern erkennen, weil deren Laub von den Blattſchnei⸗ dern geraubt und ihre Krone kahlgefreſſen iſt. Wir ſind aber mit dieſen wunderbaren Verhältniſſen noch bei weitem nicht zu Ende! Schimper forſchte unermüdlich nach einer Cecropia-Art, die überhaupt keine Schutzameiſen hat. Bei einer Exkurſion, die er mit ſeinen Freunden Dr. Schenck und Dr. Schwacke in die Wälder des Corcovado— berges bei Rio de Janeiro machte, fand er endlich das Ge- ſuchte. Dort wuchs in zahlreichen Exemplaren eine Art, die ganz frei von Ameiſen war; aber wohl gemerkt: frei ebenſo von Schutz- wie von Blattſchneiderameiſen! Das letztere ſah man ſofort, weil das Laub unverſehrt war. 1 Die Urſache dieſer Immunität konnte leicht ermittelt werden: die Stamm- und Aſtbildungen dieſer Cecropia-Art haben nämlich mit Wachs überzogene, überaus glatte Oberflächen (ebenſo wie Rieinus), und dieſe Eigenſchaft macht den Ameiſen das Emporklettern unmöglich. Hier taucht nun unwillkürlich dieſe Frage auf: Leben dieſe Schutzameiſen nur deshalb in den Imbaubabäumen, weil ſie in ihnen eine bequeme Heimſtätte finden? Ahnliche Heim— ſtätten würden ſie ja doch auch anderwärts finden. Indem wir dieſe Frage im folgenden beantworten, führen wir dabei dem Leſer Tatſachen vor Augen, die noch über— raſchender und wunderbarer ſind als das, was wir über dieſe Verhältniſſe bisher mitgeteilt haben. Die Blattſtiele der von Ameiſen beſchützten Imbaubabäume ſind ſamtartig behaart. Dieſe Behaarung erſtreckt ſich nicht auf den ganzen Stiel, ſondern nur auf einige Quadratzentimeter an der Baſis der Unterſeite. Zwiſchen den Haaren entwickeln ſich kleine ei- oder birnförmige Körper, die Inſekteneiern ähneln. Sie fallen leicht ab. Schüttelt man einen Aſt und hält einen umgekehrten Schirm darunter, ſo rieſelt eine Art feiner Regen in den Schirm; aber kein Regen von Waſſer— tropfen, ſondern von zahlreichen ſolchen kleinen Körperchen. Dieſe eigentümlichen Gebilde hat man nach dem Ent— decker (Dr. Fritz Müller) „Müllerſche Körperchen“ benannt. Höchſt intereſſante Ergebniſſe hat die chemiſche Analyſe dieſer merkwürdigen Gebilde geliefert. Es zeigte ſich nämlich, daß ſie ſehr reich an Eiweißſtoffen, ſowie an fettem Ole ſind und in dieſer Eigenſchaft nur von den Samen, Sporen und Brutknoſpen der Pflanzen erreicht werden, alſo von Produkten, die zur Entwicklung junger Pflanzen beſtimmt ſind. Dieſe überaus nahrhaften Müllerſchen Körperchen bilden nun die Haupt— nahrung der Schutzameiſen, und mit dieſer köſtlichen Nahrung ketten die Cecropia-Bäume die Azteca-Arten — als Schutztruppen und Verbündete — an ihre eigenen Intereſſen. Daß die Müllerſchen Körperchen wirklich zum Anlocken der Ameiſen dienen, dafür ſpricht zum Überfluß auch noch der Umſtand, daß die glattäſtigen Kekropien, auf denen, wie oben erwähnt wurde, keine Ameiſen emporklettern können, keine ſolchen Gebilde erzeugen. Man nennt alſo die Müller— ſchen Körper mit vollem Recht und ſehr treffend auch „Ameiſenbrötchen“. 1 In Abb. 21 ſehen wir einen Kekropienblattſtiel (ver- größert) gezeichnet. Zwiſchen den Haaren zeigen ſich drei größere und zwei kleinere eiförmige Müllerſche Körper. Das Bild zeigt alſo zugleich, daß die Ameiſennahrung fortwährend nachwächſt; fallen die vollwüchſigen ab oder werden ſie von den Aztekenameiſen heimgetragen, ſo bilden ſich unter den Haaren immer wieder neue, die nach eini— gen Tagen ſchon reifen. An⸗ fangs haben ſie einen dünnen, ſehr feinen Stiel, der aber bei der Reife vertrocknet und infolge— deſſen zerreißt. So iſt alſo dafür geſorgt, daß dieſes Lockmittel ſich fort— während von neuem bildet, damit die Ameiſen ihre tägliche Nahrung ernten können und damit ſie bei dieſen fortwähren— den Erntearbeiten die geplan— ten Angriffe der Blattſchneider— ameiſen ſogleich bemerken und vereiteln. Auch an Acacia-Arten hat man nicht nur im tropiſchen Amerika, ſondern außerdem in verſchiedenen anderen Gebieten der Erde ähnliche Verhältniſſe entdeckt. Dieſe Bäume haben bekanntlich Stacheln, und zwar in der Regel kurze, die aus einem dichten, harten, hol— zigen Gewebe beſtehen. Gegen weidende Säugetiere können auch nur ſolche feſten und kom— pakten Stacheln zuverläſſigen Schutz gewähren. Ausnahmsweiſe gibt es aber Acacia-Arten, deren Stacheln abnorm groß, bei der Baſis ſehr ver— dickt und inwendig hohl ſind. AN ® A N 255 za l TRAIN N N * — (me _ SENT — CR u S Abb. 21. Abb. 22. 3 Gegen Säugetierfraß vermögen dieſe hohlen, dünnwan— digen Stacheln an und für ſich keinen erfolgreichen Schutz zu gewähren, um ſo weniger, als ſie in der Jugend längere Zeit weich bleiben. Tatſächlich haben aber dieſe Stacheln ihre urſprüngliche Rolle mit einer anderen vertauſcht, ſind jedoch dabei immerhin vorzügliche Schutzmittel geblieben. Dieſe ſozuſagen aufgeſchwollenen Stacheln beherbergen nämlich ebenfalls Ameiſenkolonien. Abb. 22 zeigt uns einen Aſt von Acacia spadicigera, die N N Abb. 23. Abb. 24. in den Tropengegenden Amerikas heimiſch iſt, mit ſolchen befremdend angeſchwollenen Stachelgebilden. An der Stachel— ſpitze ſieht man auch das Ein- und Ausgangsloch der Ameiſen. Eine andere Art dieſer Baumgattung, die ebenfalls amerikaniſche Acacia sphaerocephala, führen uns die Ab— bildungen 23 und 24 vor Augen. Das letztere Bild gibt ein Blatt dieſer Art wieder. Die Ameiſen, die in dieſen Stacheln niſten, gehören der Gattung Pseudomyrma an. Es leben aber anderwärts auch Ameiſen der Gattungen Cremastogaster, — 1 Cryptocerus, Camponotus und Prenolepis in ähnlichen Stachel— wohnungen. Sie ſchützen den betreffenden Baum nicht bloß gegen Blattſchneiderameiſen, ſondern auch gegen weidende Säugetiere. Trotz ihrer Kleinheit ſind die Pſeudomyrmen überaus kühn, wild und können empfindlich ſtechen. Bei jeder fremden Berührung des betreffenden Baumes ſtürzen ſie wütend hervor und überfallen den Störenfried, den zweifüßigen ebenſo wie den vier- und ſechsfüßigen. Ich bitte nun den Leſer, das Akazienblatt der Abb. 24 genauer zu betrachten. An der Spitze einer Anzahl der Blätt— chen wird er winzige eiförmige Gebilde finden. Nach dem Entdecker nennt man ſie die „Beltſchen Körperchen“. Sie entſprechen den Müllerſchen Körperchen der Imbauba— bäume, weil ſie, wie dieſe, reichlich Eiweißſtoffe enthalten und ſo eine ſehr geſuchte Ameiſennahrung abgeben. Sie ſind alſo ebenfalls richtige „Ameiſenbrötchen“. Außer dieſen eiweißhaltigen Gebilden der Blättchenſpitzen bilden ſich aber an der Baſis der Blätter auch noch napf— förmige Nektarien (Saft- oder Honigdrüſen). In dieſen ſammelt ſich eine zuckerhaltige Flüſſigkeit an, die in Ameiſen— kreiſen natürlich eine ebenfalls ſehr beliebte Leckerei iſt, denn die meiſten Ameiſen ſind in alles närriſch verliebt, was nach Zucker ſchmeckt. Die Blattnektarien ſcheiden einen ebenſolchen ſüßen Nektar aus, wie die Blüten ſo vieler Pflanzen, die von Bienen und anderen Inſekten beſucht werden. Dieſe Nektarien, die nicht in den Blüten vorkommen, nennt man „extranuptiale“ oder „extraflorale“ Nektarien. Die Pflanzen alſo, die durch „Ameiſenbrötchen“ und extraflorale Nektarien Schutz— ameiſen anlocken, haben ſich dieſem Zwecke ebenſogut angepaßt, wie die Blumenpflanzen überhaupt dem Inſektenbeſuche. Und umgekehrt: die Ameiſen haben ihre Exiſtenz mit den Pflanzen, von und in denen ſie leben und deren Beſchützer ſie ſind, ebenſo innig verbunden, wie die Bienen mit den Blütepflanzen, die ihnen Nahrung liefern. Die Pflanzen, die ihr Daſein irgendwie mit Ameiſen verknüpft und ſich dieſem Bündniſſe in bemerkbarer Weiſe angepaßt haben, nennt man im allgemeinen „Ameiſen— pflanzen“. In der neueren Zeit hat ſich eine umfangreiche Literatur entwickelt, die ſich mit dieſem Zweige der Natur— forſchung befaßt. Man überzeugt ſich von Jahr zu Jahr bei einer immer größeren Zahl von Pflanzenarten, daß ſie in dieſe Kategorie gehören. Wir haben in der obigen Beſprechung nur einige beſonders auffallende Beiſpiele angeführt. Viele Gewächſe bekommen durch den Reiz, den die ſie bewohnenden Ameiſen auf ihre Gewebe ausüben, an ober— irdiſchen Stengelteilen oder in ihren unterirdiſchen Teilen An— ſchwellungen, die inwendig hohl ſind und im buchſtäblichen Sinne „Ameiſenwohnungen“ genannt werden dürfen. Nicht bloß Bodenpflanzen, ſondern auch „Überpflanzen“, d. h. ſolche, die epiphytiſch (als Scheinſchmarotzer) auf Bäumen leben, weiſen überraſchende Anpaſſungen dieſer Art auf. Unter ihnen find beſonders Myrmecodia armata und Hydnophytum formicarium befanntgeworden. Wenn dieſe Pflanzen noch jung ſind, gründen Ameiſen in der Stengelbaſis eine junge Kolonie. In dem Maße, wie dieſe wächſt, bildet ſich an der betreffenden Stelle des Stengels eine Anſchwellung, die immer größer wird und ſogar die Größe eines Menſchenkopfes er— reichen kann. Ihr Inneres beſteht aus zuſammenhängenden Kammern, worin die Ameiſen wohnen; die Gewebe der Scheidewände ſowie die der Außenwand behalten ihre Lebens— fähigkeit und vermitteln die Saftzirkulation der Pflanze in normaler Weiſe. Der aufgedunſene Stamm erzeugt auf ſeiner Oberfläche kleine Aſte, und auf dieſen entwickeln ſich die Blätter und Blüten. Dieſe durch Tiere verurſachten An— ſchwellungen erinnern lebhaft an die von Gallweſpen und Fliegen herbeigeführten Gallen. Aber nicht alle Ameiſen— pflanzen bieten ihren Beſchützern auch Wohnungen an. Die meiſten beſitzen zwar Nektarien, die den Ameiſen ſüße Nah— rung liefern, aber ihre Schutzameiſen ſelbſt wohnen in unter— irdiſchen Neſtern und klettern von dort auf ihre Nährpflanzen. Offenbar befinden derartige Pflanzen ſich größtenteils in den tropiſchen und ſubtropiſchen Gebieten, weil eben dort die reichſte Mannigfaltigkeit im Ameiſenleben herrſcht. Auch die extrafloralen Nektarien trifft man in größter Zahl in der Pflanzenwelt der wärmeren Erdzonen. Solche europäiſchen Pflanzenfamilien, die in tropiſchen Floren keine Vertreter haben, beſitzen in der Regel keine Nektarien außerhalb der Blüten; und die wenigen bei uns heimiſchen Ameiſenpflanzen ſtammen größtenteils aus wärmeren Ländern oder haben we— nigſtens nahe Artverwandte daſelbſt, beſonders in der Mittel— meer- und pontiſchen Flora. So finden wir z. B. extraflorale Nektarien an mehreren Wickenarten, die Saatwicke mit inbegriffen, dann auf Prunus— a Arten, auf Holunder, Viburnum, Crataegus uſw., unter den Kompoſiten an der Berg-Flockenblume (Centaurea mon- tana), wo ſie auf der Außenſeite der Anthodialſchuppen, d. h. der ſchuppenartigen Hüllblätter, die den Blütenſtand unten umgeben, vorhanden ſind, aber nur ſo lange Nektar aus⸗ ſcheiden, bis die Blüten ſich entfalten. Auch bei anderen Korb- blütlern, z. B. Jurinea, Serratula, bei dem kultivierten Topi⸗ nambur (Helianthus tuberosus) kommt ähnliches vor. Sehr auffallend hat ſich der Ameiſenſchutz in Europa an der Eſpe (Populus tremula) beobachten laſſen. Bei dieſer Art tragen die zwei oder drei erſten Frühlingsblätter der friſchen Triebe an der Baſis Nektarien, die meiſtens prozeſſions⸗ weiſe von Ameiſen beſucht werden. A. N. Lundſtröm er⸗ zählt hierüber folgendes: „Bei Chriſtineberg, nahe am Hudiks⸗ wall, grub man vor einigen Jahren den Boden in einem Teil einer Eſpenallee um, wodurch die da wohnenden Ameiſen beunruhigt und vertrieben wurden. Ich konnte da wahr— nehmen, wie die Blätter an allen Bäumen in dieſem Teile der Allee ſchon frühzeitig von Inſekten gänzlich zerſtört waren, während die Bäume im übrigen Teile der Allee beinahe un- beſchädigt und von Ameiſen bevölkert waren.“ Unter den Roſen iſt die Rosa Banksiae, die weder Stacheln noch Drüſenhaare hat, mit extrafloralen Nektarien beſchenkt, die an den Kerbzähnen des Blattrandes angebracht ſind. Nach Beccaris Beobachtungen bleibt dieſe Roſenform von den gefräßigen und geſellſchaftlich lebenden Larven der Roſenblattweſpen (Hylotoma rosae und H. pagana) un⸗ behelligt, weil ſie, eben wegen ihrer Nektarien, von Ameiſen lebhaft beſucht wird. Beccari hat auf das Laub von Rosa Banksiae verſuchsweiſe Larven von Roſenblattweſpen ausge⸗ legt und geſehen, daß dieſe von den Ameiſen getötet wurden. Auch bei einer anderen Roſenart, nämlich bei der Rosa brac- teata, hat man Nektarien gefunden. Welche wirtſchaftliche Wichtigkeit ſolche Verhältniſſe ge— winnen können, dafür liefert uns der Baumwollenſtrauch ein Beiſpiel, der ebenfalls extraflorale Nektarien beſitzt. Dieſe Nutzpflanze kultiviert man bekanntlich auch auf großen Plantagen im Süden der Vereinigten Staaten Nordamerikas. Früher machte die Baumwollenkultur die dortigen Farmer, wie man ſich ausdrückte, „im Traume reich“. In neuerer Zeit ſind aber aus fremden Gebieten ſehr gefährliche Inſekten— ſchädlinge eingedrungen, die dieſen Kulturzweig auszurotten ·· . ⁵˙ ²ÜlLl U un drohen. Da ijt unter anderen aus Mexiko ein Rüſſelkäfer (Anthonomus grandis) herübergewandert, der die Baumwoll- farmer zur hellen Verzweiflung bringt. In den heißeren, mehr tropiſchen Gebieten Amerikas vermag dieſer Rüſſelkäfer nicht ſo verheerend aufzutreten; denn dort gibt es Ameiſen, die ſich mit den Nektarien des Baumwollenſtrauches beſonders befreundet haben, und die beim Suchen nach dieſem Nektar nebenbei auch die Larven und Puppen des Rüſſelkäfers ver— tilgen. Es iſt demzufolge auch der Gedanke aufgetaucht, daß man verſuchen ſollte, ſolche Tropenameiſen auch in den wär⸗ meren Baumwolldiſtrikten der Vereinigten Staaten zu akkli— matiſieren. Die Chineſen haben den Nutzen der Ameiſen ſchon längſt erkannt; in ihren Orangerien pflegen ſie ſchon ſeit Jahrtauſenden gewiſſe Ameiſenarten künſtlich anzuſiedeln. Die Erkenntnis dieſer Verhältniſſe, zumal bei den mit extrafloralen Nektarien verſehenen Pflanzen, hat eine Fülle von Tatſachen zutage gefördert. Federico Delpino hat in ſeinen Schriften rund 3000 Pflanzenarten angeführt, die mit Nektarien Ameiſen anzulocken vermögen und die beinahe 300 Gattungen angehören. In den letzten Jahren hat ſich aber dieſe Liſte noch bedeutend vermehrt.“ Die Beziehungen zwiſchen Pflanzen und Ameiſen müjjen ſich in verhältnismäßig ſpäter Zeit der Erdgeſchichte entwickelt haben, wahrſcheinlich erſt nach der Jurazeit, denn ſolche An— paſſungen findet man beinahe durchweg nur an höheren Pflanzen. Ausnahmsweiſe gibt es auch bei zwei Farnkräutern ſolche Anpaſſungen (Pteridium, Asplenium), jedenfalls ſind aber dieſe in ſpäterer Zeit nachträglich zuſtande gekommen. Bei Pteridium aquilinum (Adlerfarnart) hat z. B. Delpino an der Baſis der unteren Blattabſchnitte Nektarien gefunden, *) Wie beinahe alle Hypotheſen und Theorien, iſt auch die der pflanzenſchützenden Ameiſen angegriffen worden, und zwar in allerneueſter Zeit durch die von Dr. v. Üxküll⸗Güldenbandt-Leiden auf Java angeſtellten Forſchungen, veröffentlicht in den „Annales du Jardin Bo- tanique de Buitenzorg“ (Vol. VI., 2. Heft). Sie ſpricht ſich dahin aus, daß die in jener eigentlichen Heimat der myrmekophilen Pflanzen auf ihnen regelmäßig vorkommenden Ameiſen wegen ihrer unkriegeriſchen Natur von vornherein als Pflanzenſchützer durchaus ungeeignet jeien. Ein> gehend berichtet darüber ein Aufſatz von Dr. K. Ad. Koelſch- Bern: „Die Theorie der Ameiſenpflanzen — ein Irrtum der Biologie“ in Nr. 8 der Beilage zur „Allg. Ztg.“ (1908). Was von dieſen Mit- teilungen zu halten ſei, wird ja die Zukunft entſcheiden. er die in Braſilien von einer Cremastogaster-Art eifrig bejucht werden, wodurch ſie die Farnwedel vor den Blattſchneidern beſchützen. Unter den vielen intereſſanten Erſcheinungen dieſer An— paſſungsvorgänge wollen wir noch die bei dem Veilchen (Viola) vorkommende Anlockung der Ameiſen mittels der Frucht erwähnen. Die noch friſchen Veilchenſamen haben an einem Ende ein fleiſchiges Gebilde, das die Ameiſen mit Vor— liebe annehmen. Dabei tragen ſie den Samen natürlich hin und her und beſorgen ſo die Verbreitung der Veilchenart. Ich muß noch darauf aufmerkſam machen, daß ſolche Pflanzen, die auf Kreuzbefruchtung beſonders angewieſen ſind, nur mit dem Beſuch von flie— genden Inſekten dieſen Zweck erreichen können, weil nur ſolche flüggen Kerfe den Blütenſtaub von einem Baum oder Strauch zum anderen, von einer Pflanze zur anderen, weiter entfernten, hinübertragen. Der Nektar, der ſich in der Blüte ſolcher Pflanzen entwickelt, iſt natürlich für die fliegenden Inſekten beſtimmt und nicht für die Ameiſen, die jene in vielen Fällen ſogar verſcheuchen würden. Solche Pflanzen nun haben verſchiedene Abwehrmittel erworben, mit denen ſie den Ameiſen den Zugang zu den Blumen nektarien verweigern. Dieſem Zwecke dienen wieder zahlloſe Anpaſſungs— formen. Da aber dieſe Abwehrerſcheinungen kein Bündnis mit Ameiſen, ſondern eine Zurückweiſung der letzteren ſind, ſo ge— hören ſie auch nicht in eine Abhandlung über Ameiſen, ſon— dern ausſchließlich in ein Pflanzenwerk, wo ſie der Leſer auch finden wird. Dieſe Abwehranpaſſungen haben ebenfalls eine recht anſehnliche Literatur erzeugt. Ich brauche wohl nicht zu ſagen, daß auf einer Pflanze beiderlei Vorkehrungen vorkommen können, nämlich einer— ſeits extraflorale Nektarien, um Schutzameiſen zum Beſchützen des Laubes anzulocken, und andererſeits auch Mittel, um dieſe Schutzameiſen nicht zu den Nektarien in der Blüte zu laſſen. dE * * Bevor ich den Abſchnitt über die Knotenameiſen ſchließe, muß ich noch von einer in dieſe Sippe gehörigen, ſehr merk— würdigen Gruppe, nämlich von den Jagdameilen, ſprechen. ZA Es ſcheint, daß die Urameiſen hauptſächlich Raubinſekten waren, mit ſehr ſtark entwickelten Kiefern zum Beißen und fürchterlichen Giftſtacheln. Die heutigen Formen haben ſich größtenteils einer minder wilden Lebensweiſe angepaßt, be— ſonders die Vertreter der Hauptgruppe der Formieiden, die wir ſpäter behandeln. Überbleibſel des Raub- und Mordlebens kommen zwar in allen Sippen vor, aber die am meiſten typiſchen Mordgeſellen finden ſich doch nur unter den Knoten— ameiſen. In den Tropenländern gibt es nämlich unbändige Myrmieiden, die auch heute noch ein ausſchließliches Räuber— leben führen. Man nennt ſie wegen ihrer Lebensweiſe „Jagd— ameiſen“. Die Engländer nennen ſie auch „Driver ants““ (Treiberameiſen), weil fie die ganze Tierwelt des überrumpelten Ortes vor ſich hintreiben. In der Syſtematik haben die amerikaniſchen Formen den Gattungsnamen Eeiton erhalten, während die Anomma-Arten, namentlich die berühmte Anomma arcens, in Afrika herrſchen. In Amerika und Afrika gehören ſie zu den häufigen tropiſchen Ameiſen; ſie kennzeichnen dieſe fauniſtiſchen Gebiete ebenſo, wie die Blattſchneider ihre Heimatländer. Sie unternehmen große Wanderzüge, auf denen ſie alles Getier, dem ſie begegnen und das nicht groß genug iſt, um ihren Angriffen zu widerſtehen, unbarmherzig vernichten. Sie unterſuchen unterwegs alle Pflanzen, von den Bäumen und Geſträuchen bis hinab zu den Kräutern und Gräſern, ferner alle Löcher und Ritzen in Holz, Boden und Geſtein. Sie über— fallen und töten mit gieriger Wut alle kleineren Tiere, ſeien dieſe nun Würmer, Inſekten, Schnecken oder auch Lurche und Mäuſe. Die mit vereinter Kraft zur Strecke gebrachte Jagd— beute freſſen ſie mit vereintem Appetit bis auf die Skelett— teile auf. Wo ſolch eine Völkerwanderung einbricht, rettet ſich alles, was Fuß und Flügel hat, bezw. was raſch genug zu kriechen vermag. Die überrumpelten Opfer ſind unfehlbar verloren. Die Jagdameiſen Afrikas ſollen ſogar größere Schlangen beſiegen; ja, die Eingeborenen behaupten, daß die rieſige Pythonſchlange, wenn ſie ein größeres Tier verſchlungen hat und infolgedeſſen nicht kriechen kann, von Anomma— Ameiſen trotz ihrer Größe getötet und aufgefreſſen wird. Sie greifen auch den Menſchen an, dem nichts anderes übrigbleibt, als der Attacke auszuweichen, ſein Haus, falls es der wandernden Schar in den Weg fällt, zu verlaſſen, Haus— Sajô, Krieg und Frieden im Ameiſenſtaat. 4 tiere und Lebensmittel tierischer Herkunft rechtzeitig daraus zu retten und irgendwo abſeits von der Zugrichtung abzu— warten, bis die Plünderung vollzogen und die wilde Jagd vorüber iſt. Dieſe Plünderung hat inſofern auch ihre gute Seite, als dabei alles Ungeziefer, das im betreffenden Gebäude hauſt, Wanzen, Schaben, Mäuſe uſw., mit vernichtet wird, ſo daß das neu zu beziehende Haus durch die Jagdameiſen ſo ge— reinigt erſcheint, als hätte man es mit Blauſäure- oder Schwefelkohlenſtoff- Dämpfen desinfiziert. Wenn ſie — von den menſchlichen Bewohnern unbemerkt — ein Haus über— fallen, ſo ſind es auch meiſtens die Mäuſe, Schaben und andere ſolche Tiere, die, aus ihren Schlupfwinkeln heraus— ſtürmend, durch ihr kopfloſes, angſtvolles Herumrennen die Gefahr anzeigen. In Südamerika, wo ſie Bates zuerſt eingehend beobachtete, werden, die Eciton-Züge regelmäßig von einer Fliege (aus der Gattung Stylogaster) und von einer Vogelart: der Ameiſendroſſel begleitet. Die Fliege ſchwebt oberhalb der Ameiſenſchar und läßt ſich zeitweiſe plötzlich auf dieſe nieder. Die Ameiſendroſſeln flattern im Gehölze ſcharenweiſe um den Zug herum, und ihr Zwitſchern verrät dem er— fahrenen Menſchen die Nähe der Jagdameiſen, warnt ihn alſo zur Umkehr. Denn gerät er in einen ſolchen Zug, ſo laufen augenblicklich Hunderte der tollen Tierchen auf ſeinen Beinen empor, beißen ſich mit ihren nadelſcharfen Kiefern tief in ſeine Haut und ſtechen ihn auch noch mit ihrem tüchtig aus— gebildeten Giftſtachel. Will man ſie abſtreifen, ſo reißt ihr feſt eingebiſſener Kopf vom übrigen Körper ab und bleibt in der Wunde haften. Die einzelnen Individuen entfernen ſich nicht gerne weit von der Geſellſchaft und pflegen deshalb auch nicht hoch in die Krone der Bäume emporzudringen. Die hoch niſtenden Vögel bleiben alſo von den ſechsbeinigen Jägern verſchont. Merkwürdigerweiſe haben ſich die Augen dieſer Jagd— ameiſen ſehr zurückgebildet, ſo daß ſie nur kleine, punktförmige, verkümmerte Augen beſitzen, alſo keineswegs weit ſehen. Denn mit den punktförmigen Augen vermögen ſie nur die in ihrer unmittelbaren Nähe befindlichen Gegenſtände einigermaßen zu unterſcheiden. Man nennt ſie deshalb auch „blinde Ameiſen“. Jedenfalls leitet ſie hauptſächlich ihr Geruchsorgan. Da dieſe fleiſchfreſſenden tropiſchen Arten jede pflanzliche ER Koſt verſchmähen und die in ihre Nähe geratenen Tiere teils vertreiben, teils ſogleich töten, können ſie niemals längere Zeit an einem Orte verweilen. Ihr ſteter Hunger zwingt ſie zum ewigen Wandern; ſie ſind alſo echte Nomaden, die, von den übrigen Ameiſen abweichend, keine ſtändigen Neſter haben. Man ſagt, daß ſie ſich nicht einmal während der Brutzeit nieder— laſſen, ſondern ihre Larven und Puppen immerfort mit ſich ſchleppen. Die Drüfen- oder Schuppenameilen (Formicidae). Die Vertreter dieſer Sippe unterjcheiden ſich von den Myrmiciden unter anderem dadurch, daß ihr Hinterleibſtiel nicht aus zwei Knoten, ſondern nur aus einem Stücke beſteht und oben eine aufrechte Schuppe trägt (Abb. 4), die wenigſtens bei den Arbeitern entwickelt iſt. Ernteameiſen, Pilzzüchter ), Blattſchneider gibt es in dieſer Sippe nicht, dafür werden wir aber einige Eigentümlichkeiten kennen lernen, die bei den Knotenameiſen nicht vorkommen. Der Stachel der Drüſenameiſen hat ſich ſtark zurückgebildet, ſo daß die Vertreter dieſer Gruppe wohl beißen, nicht aber ſtechen können. Ihre Giftdrüſen ſind aber meiſtens gut entwickelt, und deren Inhalt pflegen ſie auf ihre Feinde zu ſpritzen. Bei einigen Myrmiciden hörten wir bereits von den Anfängen der Blattlaus zucht; dieſe eigentümliche Wirt— ſchaft entwickelte ſich im Kreiſe der Drüſenameiſen zum höchſten Grade der Vollkommenheit, ſo daß manche Formieiden ihre Ernährung beinahe ganz auf Blatt- und Schildläuſe gründen, wohingegen dieſe Lebensweiſe in der vorigen Sippe eine be— ſcheidene Rolle ſpielt. In Nord- und Mitteleuropa gehören die meiſten Formi— ciden den Gattungen Formica, Camponotus und Lasius an. Die ſechs übrigen Gattungen ſind ſeltener und beſitzen (Poly- *) Nämlich Pilzzüchter in dem Sinne, wie es die exotiſchen Blatt- ſchneider ſind. Eine europäiſche Schuppenameiſe (Lasius fuliginosus) ſoll jedoch — nach den 1900 veröffentlichten Mitteilungen von Lager- heim — den Pilz: Cladosporium myrmecophilum gewiſſermaßen züchten. DE ergus ausgenommen) eine mindere Wichtigkeit. Zunächſt be— trachten wir die Zucht der Blatt- und Schildläufe. Dieſe ſtellt eine Art Meierei dar und kann mit Recht unſeren Kühe Melkwirtſchaften an die Seite geſetzt werden. Die Pflanzenläuſe entwickeln nämlich in ihrem Hinterleibe größtenteils eine zuckerhaltige Flüſſigkeit, die ſie, wenn keine Ameiſen vorhanden ſind, in kleinen Tröpfchen fallen laſſen oder — was häufiger vorkommt — mit Kraft weit hinweg— ſpritzen. Man ſieht in dieſem Falle das Laub der betreffenden Pflanze mit einer glänzenden, klebrigen Schicht überzogen, die nichts anderes iſt, als der verſpritzte ſüße Saft der Blattläuſe. Volkstümlich heißt dieſe klebrige Schicht „Honigtau“, der Fliegen in Unzahl anlockt, die ſich an dieſer Süßigkeit gütlich tun, indem ſie auf den verzuckerten Blättern herumnaſchen. Aber auch Pilze ſiedeln ſich auf dieſer Honigtauſchicht an, namentlich die „Rußtau“-Pilze, die eine ſchwarze, pulverige, wie Ruß ausſehende Lage bilden. Wer in Gärten und Wäldern aufmerkſam herumzuwandeln pflegt, wird gewiß ſchon öfters bemerkt haben, daß Ameiſen prozeſſionsweiſe an Baumſtämmen auf und ab gehen. Dieſe Züge kann man auf der Erdoberfläche bis zum Ameiſenneſte verfolgen. Nicht ſelten bereiten ſich aber die Ameiſen ſogar eine unterirdiſche Straße bis zum Stamme des Baumes oder Strauches, den ſie beſuchen. Die meiſten Menſchen ſehen zwar dieſes Wandern, be— kümmern ſich aber nicht weiter darum; nur die wenigen, die dem Naturleben gern etwas ablauſchen, verfolgen die Marſch— richtung der emſigen Schar bis zu den Aſtſpitzen, was bei jungen, noch nicht hochgewachſenen Bäumen oder bei Sträu— chern mit keinen Schwierigkeiten verbunden iſt. Man kann dann ſehen, daß es überall, wo die Ameiſenkarawanen Sta— tionen halten, Blatt- oder Schildläuſe oder überhaupt ſolche Inſekten gibt, die ihnen Honigſaft liefern. Am häufigſten wird man Blattläuſe (Aphiden) finden. Die Ameiſe tritt zu einer Blattlaus und betrillert mit den Fühlern ihren Hinterleib (Abb. 25), worauf an ſeinem Ende ein klares Tröpfchen Flüſſigkeit erſcheint. Das iſt der zucker— haltige Nektar, den die Karawane ſucht; um dieſen Trunk zu erlangen, wandert ſie bereitwillig viele Meter weit, baut ſogar unterirdiſche Gänge bis zu dem Baume und klettert auf dieſem hoch, oft bis auf die Endſpitzen der Krone. Hat eine Blattlaus ihren Tribut gezahlt, jo wird eine zweite, eine dritte gekoſt, bis endlich der Ameiſenhunger und -durſt geſtillt und es daher Zeit iſt, die Heimreiſe an— zutreten. Denn was ſich die Ameiſenarbeiterin auf ſolche Weiſe geſichert hat, gehört nicht ihr allein, ſondern teilweiſe auch den Larven und Königinnen unten im Bau, wo dieſe ihren Teil von der heimkehren— den Arbeiterin fordern. . Nicht alle Blattläuſe lie— N die binnen kurzer Zeit rieſige Mengen vernichten können. Unter den vielen Blattlaus— feinden will ich beſonders auf die Marienkäferchen (Coc— einellidae) hinweiſen; außer dieſen gibt es aber noch Fliegen, Netzflügler, Hautflügler (Hymenopteren), die beim Rei— nigen der Pflanzen von den ſechsfüßigen Säuglingen eben— falls energiſch mitwirken. Solche Blatt- oder Schild— fern Ameiſennahrung; es gibt N welche, bei denen man nie N Ameiſen ſieht. Solche Arten, die | 9 von Ameiſen beſucht werden, 0 N genießen natürlich deren Schutz. 06 Su Und dieſer Schutz iſt für fie H N unzweifelhaft recht wichtig, * es weil ſie jehr viele Feinde haben, > SU läuſe, die keine Ameiſen an— Abb. 2s. 2 locken, ſind wahrſcheinlich nicht 1 imſtande, aus den Stoffen, 4 % e | 54 die ſie den Pflanzen abzapfen, ‚hl in ihrem Körper Zucker zu bereiten. Die mit den Ameiſen in innigem Verhältnis leben— den beſitzen dieſe chemiſche Fähigkeit, die deshalb merkwürdig iſt, weil die den Pflanzenläuſen als Nahrung dienenden Pflanzenſäfte ſelten Zucker (oder nur wenig davon) enthalten; ſie ſchmecken im Gegenteil meiſt herb und ſauer. Die Pflanzenläuſe machen es alſo ſo, wie viele Früchte (Beeren, Stein- und Kernobſt), die gewiſſe Pflanzenſtoffe ebenfalls in Zucker verwandeln, um mit dieſer Süßigkeit Vögel und Säugetiere, die Verbreiter ihrer Samen ſind, an— zulocken. Die Pflanzenläuſe bereiten den Zucker ebenfalls, um Tiere anzuziehen, und haben ſich in dieſer Richtung voll— kommen dem Geſchmacke der anzulockenden Schutztruppen, nämlich der Ameiſen, angepaßt. Da die Pflanzenläuſe Melkkühe der Ameiſen ſind und als ſolche nicht nur ſich ſelbſt, ſondern auch ihre Melker zu ernähren haben, müſſen ſie natürlich bedeutend mehr Pflanzen— ſäfte ſaugen, als ſie zum Unterhalte ihres eigenen Lebens nötig hätten. Und weil ſie von den Ameiſen als Gegenleiſtung beſchützt werden, ſo können ſie ſich — zum Schaden der be— treffenden Pflanzen — leichter maſſenhaft vermehren. Es iſt alſo unſchwer einzuſehen, daß ſolche Ameiſenarten, die ſich ihre Nahrung hauptſächlich oder gar ausſchließlich von Pflanzen— läuſen verſchaffen, den betreffenden Pflanzen nachteilig ſein müſſen. Man kann daher die Schädlichkeit oder Nützlichkeit der Ameiſen ebenſowenig mit einem allgemeinen Urteil feſt— ſtellen, wie die Schädlichkeit oder Nützlichkeit der Inſekten, der Vögel oder auch der Säugetiere im allgemeinen. Im Kreiſe dieſer Tiergruppen gibt es ſehr nützliche, mäßig jchadende, ſehr ſchädliche und auch ſolche, die ebenſoviel ſchaden wie nützen: genau ſo ſtehen die Verhältniſſe auch in der Ameiſenwelt. Ein Teil der Ameiſen, namentlich jene, die auf Inſekten Jagd machen, gehören zu unſeren ſchätzbaren Ver— bündeten; andere hingegen arbeiten gegen unſere wirtſchaft— lichen Intereſſen. Um in einzelnen Fällen unterſcheiden zu können, ob die betreffende Ameiſenart zu bekämpfen oder zu ſchonen ſei, muß man ſchon Fachkenntniſſe beſitzen; und da ſolche in Laienkreiſen meiſtens fehlen, kann man das Vor— gehen der preußiſchen Regierung, die das Vertilgen der Ameiſen verboten hat, an und für ſich nur billigen, denn es gibt mehr nützliche als entſchieden ſchädliche Arten. Eine zweckmäßige Neuerung wäre es allerdings, wenn man die— jenigen, die Ameiſen bekämpfen wollen, verpflichtete, ſich vor— her bei einer fachkundigen Stelle zu erkundigen, ob die (in Weingeiſt behufs Beſtimmung einzuſendende) Art tatſächlich zu den entſchiedenen Schädlingen gehört. Außer Pflanzen- und Schildläuſen wiſſen die Ameiſen ſich noch Zirpen (Zikaden) auf die oben beſchriebene Weiſe dienſtbar zu machen, wobei natürlich auch die letzteren ge— Abb. 26. Wurzelläuſe, von Ameiſen gepflegt. Wund waffenfertiger Freunde jedem Lebeweſen zugute kommt. Bei uns iſt es hauptſächlich die Zirpengattung Tettigometra, die mit den kleinen unterirdiſchen Freiſtaatlern ein Schutz- und Trutzbündnis eingeht. a ERBE: Aber nur während der Jugend— ſtadien der Zirpen: ſobald ſie flügge werden, gehen ſie ihre eigenen Wege. Noch merkwürdiger iſt die Tatſache, daß die Raupen einiger Schmetterlinge ebenfalls Nektar entwickeln und von den Ameiſen ebenſo beſucht werden wie Blatt- und Schild— läuſe. Namentlich ſind es die Bläulinge, nämlich die Ver— treter der Tagfaltergattung Lycaena, die ſich ſolchen Ver— hältniſſen angepaßt haben. In Europa z. B. leben die Raupen von Lycaena Argus und L. Dorylas in Ameiſengeſellſchaft. Sie haben auf dem elften Körperſegment oben eine Offnung, die den ſüßen Saft ausſcheidet. Dieſe kommt auch bei den Raupen anderer Bläulingarten vor und ſcheint überhaupt eine Anpaſſung an die Ameiſen zu ſein, deren Geſellſchaft ihnen natürlich Schutz gegen manche Feinde gewährt. Was wir bisher von der Melkwirtſchaft der Ameiſen ge— ſagt haben, iſt jedoch nur der weniger wichtige Teil dieſes Kapitels. Die intereſſanteſten Tatſachen ſind noch zu be— richten. Pflanzenläuſe leben nicht bloß auf den oberirdiſchen Teilen der Pflanzen, ſondern auch auf den Wurzeln: die ſogenannten „Wurzelläuſe“. Ihnen verfertigen nun die LIT 77 r Ameiſen bequeme unterirdiſche Räume, worin jene ruhig, von Feinden ungeſtört, den Saft der Wurzelgewebe ſaugen und dabei feiſt, kugelrund oder birnförmig werden. (Abb. 26.) Aber freilich unter der Bedingung, daß ſie den Überſchuß des Saftes, den - ihr bis zum Platzen gefüllter Leib enthält, den Ameiſen über— laſſen. Als Gegendienſt für dieſen Tribut entheben die Ameiſen ihre Schützlinge beinahe aller Sorgen des Lebens. Die ein— ſchlägigen Verhältniſſe ſind mannigfach verwickelt und teilweiſe noch nicht entſchleiert. Ich will hier nur einige merkwürdige Beiſpiele anführen. Die Ulmen- (Rüſter⸗⸗ Bäume (Ulmus campestris) tragen auf ihren Blättern oft eine überreiche Zahl von läng— lichen, innen hohlen, roten Gallen (Abb. 27). Dieſe haben nur auf der Unterſeite des Blattes eine enge Offnung, oben ſind ie ganz geſchloſſen. Sie entſtehen dadurch, daß eine Blatt- laus: Tetraneura ulmi (= gallarum ulmi) Deg. das Blatt- gewebe reizt. Wenn ſich die Galle aufgebaucht hat, ſo ver— mehrt ſich darin die Mutter- laus, indem ſie lebende Junge gebiert, die alle ungeflügelt ſind. Offenbar hatte dieſe Blattlaus viele gefährliche Feinde und wenige Freunde; deshalb war ſie darauf angewieſen, daß ihr aus dem Gewebe des Blattes eine gutgeſchloſſene Burg entſtehe. Mit fortſchreitendem Sommerwetter werden aber die Gallen hart und trocken, wobei die untere Offnung ſich vergrößert, indem der Saft des Ge— webes ſchwindet. Da können nun Feinde aller Art eindringen und mit den unbewehrten, unbehilflichen Inſaſſen aufräumen. Die Gallenläuſe wiſſen aber Beſſeres zu tun als dieſe ſchreck— liche Gefahr abzuwarten. Da kommen nämlich in der Galle auf einmal geflügelte Individuen zum Vorſchein, die, ſo— bald ſie flügge geworden ſind, aus der nunmehr klaffend offenen roten Burg flüchten und ſich dem Winde überlaſſen, der ſie in die Umgebung verweht. Kaum ſind ſie auf dem Boden angelangt, ſo kommen ihnen auch ſchon Ameiſen entgegen, meiſtens ſolche aus der Gattung Lasius, führen ſie zu Pflanzen aus der Familie der Gräſer, mit beſonderer Vorliebe zu Maispflanzen, falls es dieſe in der Umgebung gibt. Die Gallenläuſe würden ſich, weil ſie nur Saugwerkzeuge haben, ſchwer in die Erde hinein— Ne arbeiten können; aber die Ameiſen bahnen ihnen unterirdiſche Gänge zu den Wurzeln. Sie beißen ihnen die Flügel ab, und von da an entſtehen aus dieſen Müttern mehrere Generationen hindurch ungeflügelte Individuen, die alle lebendig geboren werden. Die Ameiſen minieren ihnen Wege von einer Mais— pflanze zur anderen, ſie tragen ſie ſogar, zart mit den Kiefern gefaßt, hin und her, ſorgen für gute Nährſtellen, d. h. für junge, friſche, ſaftige Wurzeln, auf die ſie die Pfleglinge ver— teilen. Dieſe brauchen ſich nunmehr um nichts mehr zu kümmern, ſondern nur zu ſaugen, um ebenſowohl ſich ſelbſt wie ihre Gaſtfreunde zu ernähren und ſich zu vermehren. Alles dies geſchieht denn auch oft in ſehr Sehe Maßſtabe. Im Sommer 1907 habe ich ſelbſt auf dieſe Weiſe einen nicht unbedeutenden 0 Teil der Maisernte eingebüßt. 00 Die unterirdiſche Form der Ul— mengallenlaus ſieht anders aus als die oberirdiſche. Der Hinterleib iſt bei— nahe birnförmig; die vollwüchſigen haben eine bläulich-violette Farbe, die jüngeren ſind lachsfarbig. Abb. 28 (nach der Natur gezeichnet) zeigt eine Maiswurzel mit dieſen Läuſen beſetzt, mit den Gängen und den Ameiſen. Im Herbſt entwickeln ſich ſolche Indivi— duen, die ſchon Flügelſtutzen haben. Man nennt dieſes Stadium die Nym— phenform. Aus den Nymphen ent- ſtehen durch nochmaliges Häuten geflügelte Individuen. Dieſe wollen natürlich ins Freie hinaus, und die Ameiſen laſſen ſie nicht nur ohne Hindernis auswandern, ſondern leiten ſie ſogar auf die Erdoberfläche hinauf. Nun beginnt der Wanderflug, zurück zu den Ulmenbäumen, um die herum in manchen Jahren der Boden förmlich bedeckt iſt mit den zurückgekehrten flüggen Individuen. Dieſe erzeugen nun Ge— ſchlechtstiere, d. h. männliche und weibliche Läuſe, die ſich paaren, und als Ergebnis dieſer Paarung entſteht das ſogenannte Winterei, das überwintert. Aus ihm kriecht im folgenden Frühjahr das Muttertier heraus, das die gallen— bewohnende Kolonie gründet. Tetraneura ulmi hat alſo zwei Formen, die in der Syſtematik zwei verſchiedene Namen erhalten haben. Der Abb. 28. Be Name der zweiten Form iſt Tetraneura coerulescens Pass.; beide gehören aber derſelben Art an. Faſt geradeſo lebt eine andere Ulmengallenlaus, die Tetraneura rubra L. Ihre roten Gallen wachſen ebenfalls auf der Oberfläche der Rüſterblätter, ſind aber nicht länglich, ſondern rund, etwas behaart und ſehen beinahe ſo aus wie Erdbeeren. Die Wurzelform von T. rubra lebt auf den— ſelben Gramineen wie die der vorigen Art, natürlich auch auf Maiswurzeln; ſie wurde früher als ſelbſtändige Art unter dem Namen Pemphigus zeae-maydis beſchrieben, iſt aber nach Mordvilkos neueſten Unterſuchungen mit J. rubra identiſch. eicht alle Wurzelläuſe bekommen im Herbſt Flügel; ein Teil der Individuen derſelben Art verharrt im Stadium der flügelloſen unterirdiſchen Form und überwintert als ſolche auf den Wurzeln. Das Wandern der Blattläuſe von einer Pflanze auf eine andere kommt bei vielen Arten vor. Wer ihr Leben auch nur in einem Garten beobachtet, wird bemerken, daß ſie z. B. von Bäumen und Geſträuchen im Sommer ſpurlos verſchwinden und erſt im Herbſt wieder, meiſtens ſpärlich, zurückkehren. Nicht alle wandern auf Pflanzenwurzeln; viele beſiedeln die oberirdiſchen Teile ihrer neuen Futterpflanze. Auf den Pfaffenkäppchen-Sträuchen (Evonymus) lebt im Frühjahr in Unmaſſen die ſchwarze Blattlaus (Aphis evonymi F.) und verurſacht das Krauswerden des Laubes. Plötzlich verſchwindet ſie ſpurlos, um auf Sauerampfer, Mohn, Zucker- und Futter- rüben, Melde und anderen Pflanzen als Aphis papaveris F. in großen ſchwarzen Maſſen zu erſcheinen. Manche Ameiſen haben ſich den Wurzelläuſen dermaßen angepaßt, daß ſie ſich ausſchließlich durch dieſe Melkkühe ernähren laſſen und oberirdiſch gar keiner Nahrung mehr nachgehen. Zu dieſen gehört z. B. Lasius klavus, eine blaß— gelbe Art, deren Arbeiter unterirdiſch leben und infolgedeſſen eine ſo bleiche Farbe bekommen haben. Wir ſind mit der Melkwirtſchaft noch immer nicht fertig! Die Ameiſen erachten es oft für angezeigt, nicht einmal ihre oberirdiſchen Melkkühe im Freien zu laſſen, ſondern für ſie förmliche Stallungen zu bauen, wo ſie vor den Wölfen der ſechsfüßigen Welt ſicherer ſind. Man findet nämlich nicht ſelten jene Pflanzenteile, an denen Blatt- oder Schildläuſe ſind, mit einem Gewölbe aus Erde überbaut, wo die Ameiſen ihre Süßmilchwirtſchaft vollkommen ungeſtört betreiben können. Es kommt auch vor, daß ſie ein Blatt, das über den Boden geneigt iſt, und auf deſſen Unterſeite eine Blattlauskolonie lebt, ganz auf die Erde hinabziehen und an ſeinem Rande mit Erde, wie mit einem Mörtel, dem Boden ankleben. ; Manchmal erſpart die Natur den Ameiſen ſolche Mühe. An tropiſchen Pflanzen, z. B. den Myristica- und Kibara- Arten, leben Schildläuſe in Zweighöhlungen. Durch Wuche— rung der Gewebe wächſt der Rand über die Höhle und läßt endlich bloß eine ganz kleine Tür offen, durch die nur die Ameiſen durchzuſchlüpfen vermögen. Natürlich findet man auch in dieſer Richtung die höchſte Intelligenz in den Tropenländern, wo hin und wieder tat— ſächlich Wunderbares geleiſtet wird. Wir wollen nun wieder ſo ein frappantes Ameiſenkunſtſtück beſchreiben; wäre es nicht von mehreren Forſchern beſtätigt worden, ſo könnte man es kaum glauben. Da leben nämlich in den tropiſchen Ländern die ſoge— nannten Weberameiſen. Die bekannteſte iſt wohl die im ſüdlichen Aſien und Polyneſien heimiſche Oecophylla smarag- dina. Im Jahre 1905 hat Göldi in Südamerika die Art Camponotus senex Smith ebenfalls als eine echte Weberameiſe erkannt. Dr. F. Doflein veröffentlichte 1905 im „Bio— logiſchen Zentralblatt“ über Oecophylla smaragdina nicht bloß wertvolle Beobachtungen, ſondern auch intereſſante Abbildungen, von denen wir hier drei ſehr lehrreiche bringen. Dieſe Weberameiſe, die Dr. Doflein auf Ceylon beobachtet hat, nährt ſich vom ſüßen Safte gewiſſer Schildläuſe, die auf Baumblättern leben. Dieſe Wirtſchaft ſcheint aber von anderen Tieren recht arg bedroht zu ſein, denn die Weberameiſe hat zum Schutze ihrer höchſt wertvollen Haustiere Kunſtſtücke er— ſonnen, die in der ganzen Tierwelt ohnegleichen daſtehen! Oecophylla smaragdina hat es nämlich fertiggebracht, die mit Schildläuſen beſetzten Blätter mittels ſeidenartiger Fäden zu— ſammenzuweben, ſo daß kugelige oder eiförmige Neſter ent— ſtehen (ſ. Abb. 29). Daß Inſekten Blätter zuſammenkleben oder mittels Fäden zuſammenſpinnen, iſt keine neue Sache. Es gibt ja in unſeren Gärten und Wäldern oft Raupenneſter in unlieb— ſamer Hülle und Fülle. Sogar Käfer verſtehen es, Blätter zu Neſtern zuſammenzudrehen, wie z. B. der zu den Rüßlern Re ae gehörige wohlbekannte „Rebenſtecher“. Aber den Raupen iſt dies ein leichtes, weil ſie, wie die Seidenraupen, aus ihrem Munde einen Seidenfaden von rieſiger Länge herausziehen können. Da iſt das Spinnen und Weben freilich keine allzu große Kunſt. Der Rebenſtecher macht ſich die Arbeit eben— falls etwas minder ſchwierig, weil er die jungen, zarten Blätter vorher am Stiele halb durchbeißt. Dadurch werden ſie welk und ſind dann leichter zu behandeln. Die Weberameiſen können aber aus ihrem Munde keinen Faden ziehen, auch beſitzen ſie kein geeignetes Klebmaterial; und die Blätter dürfen ſie auch nicht welk machen, weil ja die Schildläuſe ſich von dieſen nähren. Das wären nun gewiß triftige Gründe, um vollkommen zu verzich— ten. Aber den Mangel an eigenem Spinnfaden hat die Natur bei den Weberameiſen durch eine andere Gabe erſetzt. In ihr winziges Gehirn, das kaum größer iſt als ein Punkt, hat ſie eine Erfindungsgabe gelegt, die einem Weſen mit kilogrammſchwerem Gehirn zur Ehre gereichen würde.“) Die Sache geht folgendermaßen vor ſich: die Larven vieler Ameiſen können ſpinnen. Bei der Verpuppung ſpinnen ſie ſich einen aus feinen Sei— denfäden beſtehenden weißen oder gelb— lichen Kokon. Dieſe in Kokons ein— geſponnenen Puppen hat man in der Laienwelt irrtümlich mit dem Namen „Ameiſen— eier“ belegt, und unter dieſem Namen find ſie als Vogel- futter ein Handelsartikel der Märkte geworden. Die Larven der exotiſchen Weberameiſen verſpinnen ſich beim Verpuppen ebenfalls in ſolche Seidenkokons, wobei der überaus feine Faden ſich aus ihrem Munde herauszieht. Blätter zuſammen— ſpinnen können aber die Ameiſenlarven nicht, weil ſie keine *) Das iſt wieder ein Beweis dafür, daß der Grad der Intelligenz nicht allein von der Schwere des Gehirns abhängig iſt, ihn beſtimmen auch andere Faktoren. ) Ze: GR) — 4 7 RE * / 1 ö N RN 7 2 An N 0 W 2 . = 2 sr Abb. 29. EEE Füße haben und überhaupt gar nicht imſtande ſind, zu kriechen. Wo man ſie hinlegt, dort bleiben ſie liegen und verhungern daſelbſt (wenn ſie nicht von Arbeitern ernährt werden), ohne daß fie ſich auch nur 1 cm weit von der Stelle bewegen könnten. Hätten die Ameiſen eine Wortſprache, ſo dürften die erſten Erfinder unter den Weberameiſen ſo geſprochen haben: „Füße und Kiefer haben wir; die Blätter können wir ſchon zuſam— menziehen. Wir haben allerdings keinen Faden zum Spinnen, aber den hat ja unſere Jugend; da nun dieſe Jungen ganz un— behilflich ſind, ſo wollen wir ſie zu den nötigen Stellen tragen, und ſie werden ja dort gewiß einen Faden aus ihrem Munde geben. Mehr brauchen wir auch nicht; — das übrige iſt unſere Sache.“ Gedacht, getan! Sie nahmen ihre madenförmigen Larven behutſam zwiſchen die Kiefer, trugen ſie dorthin, wo der Faden nötig war, preßten den Mund dex Larve an die ge— eignete Stelle, drückten wohl auch das Kindlein ein wenig, worauf der Faden ſofort hervorquoll und ſich ans Blatt klebte. Es galt nun, dieſe Neuerung gehörig einzuüben, weil ja die übung den Meiſter macht. Zeit zum Einüben und Vervollkommnen dieſer Kunſt hatten ſie reichlich bemeſſen: vielleicht waren es hunderttauſend, vielleicht Millionen Jahre, in denen dieſe Ameiſeninduſtrie entſtanden iſt. Mit welcher Meiſterſchaft ſie heute dieſes Kunſtſtück aus— führen, zeigt „ uns die Abb. , ( 30. Dort ſehen Er wir, wie eine Reihe von fünf Arbeitern (es können auch mehr teilneh— men) auf einem Blatte feſtgeklammert ſteht, mit den Kiefern das gegenüber befindliche Blatt am Saume packt und herüber— zieht. Auf der Unterſeite gibt es andere Arbeiter; ſie haben Larven im Munde, drücken den Mund der betreffenden Larve abwechſelnd auf das eine, dann auf das andere Blatt und ſpinnen mit ſolchen Zickzackbewegungen beide Blattränder feſt zuſammen. Abb. 31 zeigt uns eine Weberameiſe mit der Larve zwi— ER ichen den Kiefern. Man fieht auch den Faden aus dem Larven— mund kommen. Die Weberameiſen gebrauchen alſo ihre Jun— gen im buchſtäblichen Sinne als Werkzeuge — gewiſſermaßen als Weberſchiffchen! Wer ſo etwas zum erſtenmal im Leben ſieht, den kann es wohl kalt und heiß zugleich überlaufen. Wir ſtehen hier vor einem Unikum, das in der ganzen Tier— welt kein Seitenſtück fin- Abb. 31. det. König Salomo nannte die Ameiſen „weiſer als die Weiſen“, weil ſie Samen für den Winter eintragen. Was hätte er aber geſagt, wenn er ihre Melkwirtſchaften und außer— dem noch ihre Weberwerkſtätten — mit Kindern als Werk— zeugen betrieben — kennen gelernt hätte? Ich möchte noch bemerken, daß die Weberameiſen ihre mit ſolcher Mühe hergeſtellten Blattneſter nur ſo lange be— wohnen, als es in ihnen Schildläuſe gibt. Haben dieſe die Blätter ausgeſogen und dürr gemacht, ſo wandern die Ameiſen aus. Und nun noch etwas aus dem rieſigen Material. Lu b— bock beobachtete, daß Ameiſen nicht bloß Wurzelläuſe pflegen, ſondern auch die Eier der Blattläuſe während des ganzen Winters ſorgfältig hüten. Und er über- zeugte ſich, daß die aus ſolchen Eiern im Frühjahr ausge— krochenen Blattläuſe ihre unterirdiſche Wiege ſogleich ver— ließen, ſich auf Gänſeblumen begaben, die in der Nähe wuchſen, und von da ab den Ameiſen als Melktiere dienten. Das ſcheint an und für ſich eine ganz einfache Sache zu ſein. Stellt man ſie aber in gehörige Beleuchtung, ſo iſt man wie— der bei einem „Ameiſenwunder“. Man bedenke nämlich, daß Ameiſen gern Inſekteneier eſſen. Und dennoch ſchonen ſie dieſe Aphideneier ſogar während des Winters, alſo in einer Jahreszeit, in der die Nahrung überhaupt ſo ſpärlich iſt. Mit kluger Vorausſicht ſparen ſie dieſe koſtbaren Eier vom Ok— tober bis März, alſo 5—6 Monate lang, damit ihnen daraus Melkkühe entſtehen. Dieſe Eier pflegende Ameiſe iſt Lasius flavus; daß ſie Eier von Blattläuſen während des Winters hütet, war jchon längſt bekannt; Lubbock beobachtete die Dr er Entwicklung der Blattläuſe, die dann von dieſer lichtſcheuen Ameiſe mit einem Erdgewölbe bedeckt wurden. Mordwilko machte Verſuche mit dieſer Art und mit anderen aus der— ſelben Gattung; er kam zu dem Endergebnis, daß eben nur Lasius flavus dieſen hohen Grad von Intelligenz an den Tag legt; Lasius umbratus, niger und brunneus bekümmern ſich um Blattlauseier nicht. Unter den Formiciden finden wir die zwei größten Arten unſerer Fauna, nämlich die zwei „Roßameiſen“: Campo— notus ligniperdus, deren Arbeiter eine Länge von 14 mm erreichen, ferner C. herculaneus, deren Arbeiter kleiner ſind, aber immerhin noch 12 mm lang werden können. Bei der Art ligniperdus iſt die vordere Hälfte des Hinterleibes in der Regel rot, bei der anderen Art ganz ſchwarz oder höchſtens vorn ein wenig gerötet. Die Königinnen ſind noch um 4—5 mm länger. C. herculaneus iſt die bekannte Gebirgsform, die meiſtens in Nadelholzwäldern in den Baumſtämmen niſtet. Die andere Art zieht die Ebene und das Hügelland vor. Unſere vier übrigen Camponotus-Arten (pubescens, silvaticus, marginatus und lateralis) ſind nicht größer als die Vertreter der Gattung Formica. Die Sippe der Drüſenameiſen enthält aber neben den Rieſen unſerer Fauna auch die zwerghafteſte: die beinahe mikroſkopiſch kleine ſchwarze Zwergameiſe, Plagiolepis pygmaea, die noch kleiner iſt als die Diebsameiſe. Unter den Formiciden kommen einige intereſſante Mi— mikryfälle vor. In Nord- und Mitteleuropa iſt nämlich Camponotus lateralis glänzend ſchwarz wie die Steinkohle. Ein furchtſames Geſchöpf, das ſich gegen Feinde kaum zu verteidigen vermag. Dieſe Art ſchließt ſich deshalb hier— zulande anderen, ganz ſchwarzen Ameiſen an, die ſich vor Kämpfen nicht ſcheuen, und beſucht die Pflanzen unter dem Schutze ſolcher Geſellſchaft. Im Süden dagegen, ſchon in Dalmatien, geht ſie in Geſellſchaft der bereits erwähnten tap— feren Nabelameiſe: Cremastogaster scutellaris herum, die zweifarbig iſt, d. h. auf einem kohlſchwarzen Körper einen blutroten Kopf aufgeſetzt bekommen hat. Um nun dieſer Verbündeten äußerlich ähnlich zu ſein, hat Camponotus late— ralis, die bei uns ganz ſchwarz iſt, im Süden eine Varietät gebildet, die einen roten Kopf beſitzt. Der andere Mimikryfall bezieht ſich auf die zwei Drüſenameiſen: Dolichoderus quadripunctatus und Colobopsis truncata. Dieſe gehören nicht nur zwei verſchiedenen Gat— tungen, ſondern ſogar zwei verſchiedenen Unterſippen an. Dennoch ſind ſie einander ſo täuſchend ähnlich, daß ſie nur Kenner unterſcheiden können. Unter allen bei uns vorkom— menden Ameiſen beſitzen nur dieſe zwei Arten auf dem Hinterleibe auffällige weißliche Flecke: Dolichoderus namentlich auf jeder Seite zwei weißliche Punkte, mit rotem Saume eingefaßt. Colobopsis hat minder regelmäßige weiße Zeich— nungen. Nun führen beide Arten dieſelbe Lebensweiſe, niſten in Bäumen und kriechen ſcheu auf Aſten von Nußbäumen, Flieder uſw. herum. Man findet ſie ſogar öfters vermiſcht auf denſelben Bäumen. Weshalb ſie einander ſo ähnlich geworden ſind, iſt noch nicht erklärt. Man kann ſie übrigens von— einander dadurch unterſcheiden, daß bei Dolichoderus am Hinterleibe, von oben geſchaut, vier Segmente ſichtbar ſind, bei Colobopsis dagegen fünf. Letztere Art hat ferner außer normalen Arbeitern auch noch großköpfige „Soldaten“. Unter den Knotenameiſen haben wir die Raſenameiſe als bei uns in Häuſern gerne niſtende Art erwähnt. Nun gibt es aber auch unter den Drüſenameiſen ſolche, die man „Hausameiſen“ nennen dürfte. In der Schweiz ſcheint die Raſenameiſe in den Häuſern minder häufig vorzukommen; nach Forels Mitteilungen übernimmt dort dieſe Rolle eine Lasius-Art, nämlich L. emarginatus (mit dunkelbraunem Kopf und Hinterleib, rotem Rückenteil). Dieſe 3—4 mm lange Art ſoll dort die eigentliche Hausameiſe ſein, die noch das Un— angenehme hat, daß ſie mit einem durchdringenden Geruch behaftet iſt, den ſie auf die beſuchten Eßwaren überträgt. Im Gebälke von Häuſern kommt, beſonders in Gebirgsgegenden, auch die Holzameiſe (Lasius fuliginosus), eine glänzend ſchwarze, 4—5 mm lange Art, vor. Dieſe zwei habe ich in Häuſern meiner Gegend nicht gefunden; ein weiterer Beweis, wie ſich die Lebensweiſe in verſchiedenen Faunengeländen ändert. Die Formiciden, beſonders die Vertreter der Gattung Camponotus, haben ſich im allgemeinen viel mehr auf den Genuß von Süßigkeiten verlegt als die Knotenameiſen. Die Camponotus-Arten eſſen beinahe gar keine Inſekten, ſondern nähren ſich von Pflanzennektar und vom Safte der Blatt— und Schildläuſe. Auch die Lasius-Arten lieben vorzugsweiſe dieſe Koſt, obwohl einige Arten (niger und fuliginosus) auch Inſekten jagen. Eigentliche Inſektenjäger ſind bei uns drei Formica— Arten (F. rufa, pratensis und exsecta). Im ſüdlicheren Europa iſt Liometopum microcephalum eine echte Mordameiſe, die, wie es ſcheint, ſich nur mit tieriſcher Koſt zufrieden gibt. Dieſe Arten ſind alſo entſchieden nützlich, hauptſächlich in Wäldern, wo ſie die Bäume auch von Borkenkäfern, bzw. deren Larven und Puppen ſäubern. Die Lebensweiſe der einzelnen Arten iſt übrigens je nach den Gegenden verſchieden, weil ſich dieſe Tierchen den ver— ſchiedenſten Verhältniſſen ſehr gut anzupaſſen wiſſen. In den trockenen Sandgebieten Mittelungarns z. B. iſt die Haupt— nahrung der meiſten hier vorherrſchenden Arten vom Mai bis Ende Juli der Nektar, den die Blüten der daſelbſt maſſen— haft wachſenden und überaus reichlich blühenden Wolfsmilch— art Euphorbia Gerardiana liefern. Ihre doldenartigen Blüten— ſtände ſind meiſtens von gemiſchten Scharen der Formica fusca, Lasius niger, alienus und Myrmecocystus cursor be— ſetzt, die friedlich, ohne einander zu behelligen, dieſe Nahrung genießen. Alle vier Arten findet man auf denſelben Blüten— ſtänden im beſten Einvernehmen. Iſt die Wolfsmilch verblüht, ſo ſieht man viel weniger Ameiſen oberirdiſch beſchäftigt; die meiſten ſcheinen ſich dann mehr um Pflanzenläuſe (nament— lich Wurzelläuſe) zu bekümmern. Unter dieſen vier Arten iſt in jenem Sandgebiet die Läuferameiſe (Myrmecocystus cursor) die auffallendſte: eine wie poliert ausſehende, ſchwarze Form. Ihr Name cursor iſt ſehr treffend; im raſchen Laufe mißt ſich mit ihr und mit den Arten dieſer Gattung überhaupt keine andere mitteleuropäiſche Art. Sie hat auch dementſprechend lange, fadendünne Beine, einen ſeitlich zuſammengedrückten, ſchlanken Hinterleib — lauter Zeichen, daß ſie zum behenden Lauf geboren iſt. Wenn dieſe Läuferinnen über den kahlen Sand dahinrennen, gewinnt man beinahe den Eindruck, als ob ſie flögen, obwohl ſie keine Flügel haben. Mich erinnern ſie immer an die Waſſerläufer, jene Wanzen, die auf der Waſſer— fläche mit Pfeilſchnelle hin und her ſchwirren. Das Laufen ſcheint für dieſe Läuferameiſe eine Lebensbedingung zu ſein; denn man ſieht ſie in den heißen Sommerſtunden oft ohne merkbaren Zweck hin und her rennen. Merkwürdig, daß bei dieſer Art auch die Geſchlechtstiere, die großen geflügelten Männchen und Weibchen, mit ungeduldiger Eile herumlaufen, Sajö6, Krieg und Frieden im Ameiſenſtaat. 5 BET jo daß man ſie nur mit Mühe fangen kann. Ich ſah einmal im Juli zur Mittagszeit beim Eingange eines Neſtes etwa 30 Männchen dieſer Art wie raſend im Kreiſe herumlaufen; ich beobachtete ſie eine halbe Stunde, während welcher Zeit dieſes raſende Kreiſeln, das man kaum mit dem Auge zu verfolgen imſtande war, keine Sekunde innehielt. Ob dies nicht ein Krankheitsſymptom war, vermag ich nicht zu ent— ſcheiden; Huber beſchreibt eine Drehkrankheit, die er bei einer anderen Art beobachtet hat. Bei den Drüſenameiſen hat ſich, wie eingangs erwähnt, der Stachel zurückgebildet. Die Giftdrüſen ſind aber gut entwickelt, und beſonders Ameiſenſäure bildet ſich reichlich; dieſe können manche Arten mit großer Kraft ausſpritzen. Vor allen anderen iſt als ſolche unſere Hügelameiſe (Formica rufa) bekannt; über ihre hohen Hügelbauten iſt es nicht ge— raten ſich hinzubeugen, weil die beängſtigte Schar die ſtark riechende Ameiſenſäure bis zu einer Höhe von 60 cm ins Auge des unvorſichtigen Beſchauers zu ſpritzen vermag. Ge— fährlich iſt's zwar nicht, aber es koſtet viele Tränen. Es gibt Formiciden, die ſüße Säfte nicht nur friſch ver— zehren, ſondern ſolche auch für Zeiten des Mangels aufzu— bewahren wiſſen. Sie machen es alſo ähnlich wie die Honig— bienen, weshalb man ſie auch honigameiſen (honey ants) nennt. Hutchinſon hat ſolche auch in Natal (Afrika) ent— deckt, die jedoch, wie es ſcheint, nicht ſo typiſch entwickelt ſind wie die neuweltlichen Formen, ſondern den Übergang von den gewöhnlichen Ameiſen zu den eigentlichen Honig— ameiſen vertreten. Die eigentlichen typiſchen Vertreter dieſer merkwürdigen Gruppe fand man in Mexiko (Myrmecocystus melliger), in Kolorado (Myrmecocystus horti- deorum) und in Auſtralien (Camponotus inflatus). Die Ameiſen machen aber die Sache weſentlich anders als die Bienen. Während dieſe die Süßigkeit in Wachszellen ſammeln, gebrauchen die Honigameiſen „lebende Zellen“, d. h. lebende Ameiſen ihresgleichen, die ſich frei— willig dazu herbeilaſſen, von ihren Geſchwiſtern als Honig— töpfe benützt und bis zum Platzen gefüllt zu werden. Das ſcheint, vom menſchlichen Geſichtspunkte aus geſchätzt, kein geringes Opfer zu ſein. Am beſten kennt man die Lebensweiſe der amerikaniſchen ** = 5 Honigameiſen. In jedem ſolchen Staate unterwerfen ſich dieſer Aufgabe etwa 500—600 Arbeiterinnen. Sie klammern ſich feſt an die obere Wölbung des Baues und bleiben von dieſem Zeitpunkte an unbeweglich. Sie dulden, daß von den übrigen normalen Arbeitern ein ſüßer Saft, den dieſe von Blattgallen des umgebenden Eichengebüſches ſammeln, in rieſigen Doſen in ihre Mäuler gefüllt werde. Sie verſchlucken dieſen Saft fortwährend mit ſolcher Bereitwilligkeit, daß ihr Körper eine ganz abnorme Form erhält: ihr Hinterleib ver— 6 Abb. 32. Honigträger am ungeglätteten Gewölbe einer Vorratskammer größert ſich ungeheuer, die Haut, welche die einzelnen Hinter— leibsringe verbindet, dehnt ſich aus, als beſtände ſie aus Gummielaſtikum, und der Hinterleib wird endlich zu einer großen Kugel. Der ganze Vorgang erinnert lebhaft an das Füllen eines Luftballons, nur daß hier der Füllſtoff nicht gasförmig, ſondern flüſſig iſt. Abb. 32 führt uns den Bau einer amerikaniſchen Honigameiſe vor, mit den an der Wöl— bung feſtgeklammerten, vollgefüllten Arbeitern. Fällt ein ſol— cher lebender Honigtopf auf den Boden des Neſtes, ſo bleibt er unbehilflich liegen. Die Arbeiter beginnen, wenn im Freien Mangel an Nahrung eintritt, dieſen in lebende Leiber gelagerten Notvorrat zu ver— zehren; ſie legen ihren Mund an den Mund der damit gefüllten Schweſter, die nun auf Wunſch die eingeheimſte Süßigkeit wieder DL uneigennützig zurückgibt (Abb. 33). Mit dieſer zurückgeforderten Nahrung ernähren die normalen Arbeiter nicht nur ſich ſelbſt, ſondern auch die Weibchen und Larven. Nach und nach wird der geſammelte Vorrat wieder verbraucht, und dementſprechend verkleinert ſich auch der Hinterleib allmählich bis zum nor— >= GL Abb. 33. Myrmecocystus-Arbeiter entnehmen den „Honigſchläuchen“ Honig. malen Umfange. Der ſo aufgeſpeicherte ſüße Nährſtoff lockt auch Menſchen an: in Amerika ſchätzen und ſuchen ihn die Eingeborenen als beſondere Delikateſſe. Der ſoeben beſchriebene Vorgang ſteht in der Tierwelt ebenfalls ohnegleichen da und iſt kein geringes Glied der langen Kette von verblüffenden Überraſchungen, die das Ameiſen— tum den Naturforſchern bereitet hat. Allgemeine Umſchau über das Ameilenleben. Die merkwürdigſte allgemeine Eigenſchaft der ſtaatlich lebenden Immen, beſonders aber der Ameiſen, iſt die gegen— ſeitige Freundlichkeit, das gegenſeitige Wohlwollen aller Individuen, die demſelben Staate angehören. Wenn ich nn — Dee Se Ameiſen beobachte, jo muß ich fortwährend von neuem dieſe wunderbare Eintracht bewundern. Dieſe gegenſeitige Milde iſt bei den Ameiſen noch mehr entwickelt als bei den Bienen; denn bei dieſen vertragen die entwickelten Weibchen, nämlich die Königinnen, ſich nicht miteinander. Bei den Ameiſen da— gegen leben auch die Weibchen in größerer oder kleinerer Zahl vollkommen friedlich im gleichen Neſte. Dieſe gegenſeitige Liebe iſt beſonders deshalb ſo merk— würdig, weil die Ameiſen im allgemeinen ſehr lebhafte, ner— vöſe Völker ſind. Bringt man verſchiedene Ameiſenkolonien zuſammen, ſo kennen ſie ſich vor Wut nicht aus: es entbrennt dann zumeiſt eine ſehr mörderiſche Schlacht. Das geſchieht in der Regel, beſonders anfangs, auch dann, wenn man Ameiſen, die derſelben Art, aber verſchiedenen Neſtern angehören, zuſammenbringt. Die ſoziale Frage iſt alſo im Ameiſentum im Kreiſe je einer Kolonie vollkommen gelöſt; man ſieht, daß dazu nur zwei Eigenſchaften nötig ſind: 1. das freiwillige Arbeiten, der zwangloſe Fleiß aller Individuen, und 2. das Fernhalten jeder Uneinigkeit. Beide Eigenſchaften haben die Ameiſen erworben: träge oder händelſüchtige Naturen gibt es unter ihnen nicht. Keine will der anderen etwas wegnehmen, keine will die andere beherrſchen, alle ſind höflich gegeneinander. Niemand hat bis jetzt geſehen, daß Individuen einer Kolonie je miteinander in Streit geraten wären. Wären die Men- ſchen untereinander ſo wohlwollend geſtimmt, dann wäre der Traum der Zukunft bereits verwirklicht. Die Ameiſen einer Kolonie ſind immer bereit, einander behilflich zu ſein. Hat eine Arbeiterin Hilfe nötig, ſo gibt ſie nur einigen ihrer Verwandten entſprechende Zeichen, und die Helfer kommen gleich herbei. Dieſe kleinen Weſen er— weiſen ferner einander die verſchiedenſten Liebesdienſte: fie. waſchen, kämmen, bürſten ſich gegenſeitig; man ſieht nicht ſelten, wie einige eine ihrer Schweſtern auf den Boden legen, freundlich mit den Fühlern liebkoſen, dann ſorgfältig waſchen und bürſten. Sind ſie z. B. mit der rechten Seite fertig, ſo kehren ſie das ruhig liegende Individuum auf die andere Seite, und die Toilette beginnt auf der linken Seite von neuem. Dieſe große Reinlichkeit iſt allen Ameiſen eigen. Man ſieht daher auch immer nur vollkommen reingekleidete Individuen. Trotzdem ſie fortwährend in und auf der Erde, auch im Staube herumarbeiten, nebenbei auch noch unaus— N geſetzt mit den klebrigen, ſüßen Säften der Pflanzen und ihrer Melktiere zu tun haben, und obwohl viele Arten be— haart ſind, dulden ſie doch keinen Schmutz. Die gegenſeitige Hilfsbereitwilligkeit geht übrigens bei vielen Arten ſo weit, daß eine die andere trägt, als wäre dieſe eine unbehilfliche Larve oder Puppe. In ihren unterirdiſchen Gängen orientieren ſie ſich haupt— ſächlich mit Hilfe ihrer Fühler. Der Ameiſenfühler (Ab. 34) it knieartig eingeknickt und verhältnismäßig lang. BER Die Fühler dienen ihnen zunächſt als Taft- organe, mit denen fie die umgebenden Gegen— ſtände ebenſo erkennen, wie die blinden Men— ſchen mit den Fingern. Aber eben dieſe Fühler ſind auch Organe des Geruches und wahrſcheinlich auch des Ge— höres. Der Geruchsſinn iſt bei den Ameiſen überaus fein entwickelt. Auch bei ihren oberirdiſchen Arbeiten werden ſie mehr durch ihre Fühler als durch ihre Augen geleitet. Den Weg, den ſie einmal gewandert ſind, erkennen ſie wieder mittels ihres feinen Geruches. So erkennen ſie auch alle Individuen, die zu demſelben Neſte gehören, denn jede Kolonie hat einen ſpeziellen „Neſtgeruch“, der ſie von den übrigen Kolonien, auch wenn dieſe derſelben Ameiſenart angehören, unterſcheidet. Und endlich ſind den Ameiſen ihre Fühler das, was uns Menſchen die Zunge als Sprechorgan iſt. Die Ameiſen können ſich untereinander nicht übel verſtändigen, und zwar durch Fühlerſchläge, die je nach dem Gegenſtande der Mitteilung verſchieden ſind. Sie haben alſo eine Fühlerſprache; je nach der Art des Schlages, des Trillerns, der Berührung iſt der Sinn dieſer Zeichen verſchieden. Naht eine Gefahr, ſo geben die freiwilligen Wachen den nächſtſtehenden mit den Fühlern ſogleich ein Alarmzeichen; dieſe geben das Zeichen augenblicklich weiter, und in unglaublich kurzer Zeit iſt das ganze Neſt alarmiert. Wenn ich ihre Fühlerzeichen, dieſe viel— fältigen Schläge, die nur ſie ſelbſt unterſcheiden können, be— obachte, werde ich unwillkürlich an die „Trommelſprache“ der Neger in Kamerun erinnert oder auch an das Klopfen des Morſeſchen Telegraphenapparates, das der geübte Tele— graphiſt, ohne die Punkte und Striche auf dem Papier zu verfolgen, beim bloßen Hören verſteht. Man ſieht alſo, daß den Ameiſen ihre Fühler eine gar weſentliche Lebensbedingung ſind; und Verſuche haben be— Abb. 34. W Wer 3 wieſen, daß Individuen, die ihre Fühler einbüßen, damit auch ihre Arbeitsfähigkeit verlieren. Das gilt übrigens nicht bloß für die Ameiſen, ſondern für die meiſten Inſekten überhaupt. Das Sehvermögen der Ameiſen ſteht zwar auf keiner hohen Stufe der Entwicklung, daß ſie aber auch die Augen — wenn dieſe überhaupt entwickelt ſind — gut gebrauchen können, iſt eine ziemlich bewieſene Sache. Wasmann machte eine intereſſante Beobachtung darüber. Er brachte eine An— zahl der Staphylinidenkäfer (Dinarda dentata) zu der Hügel— ameiſe (Formica rufa), die er in einem Beobachtungsneſte ge— fangenhielt. Dieſen Käfer pflegen ſie energiſch zu ver— folgen, obwohl er in Ameiſenneſtern verſteckterweiſe lebt. Viele Dinarda-Individuen verbargen ſich in den Ecken des Ameiſenneſtes und ſaßen dort, ſolange das Neſt bedeckt, alſo finſter war, ruhig und unbehelligt beiſammen, obwohl die Ameiſen neben ihnen oft vorbeiliefen. Sobald aber Was- mann das Neſt mit einer Lampe beleuchtete, bemerkten die Ameiſen die verſteckten Feinde augenblicklich und ſtürmten auf ſie los. Weitſehende Augen brauchen die Ameiſenarbeiter des— halb nicht, weil ſie ſich ja zeitlebens teils in engen Räumen, teils auf der Erdoberfläche bewegen, wo ſie wegen des Pflanzen— wuchſes keine Gelegenheit zu Fernblicken haben. Was mann glaubt, daß die Formica-Arten, die ein verhältnismäßig gutes Sehvermögen haben, Gegenſtände aus einer Entfernung von 10—15 em wahrnehmen können. Andere Ameiſen haben ſchwächere Augen; es gibt ſogar blinde Arten, die gar keine Augen beſitzen, weil ſie beinahe nie ans Tageslicht kommen und demzufolge auch kein Sehorgan nötig haben. Die Diebs— ameiſe kommt ſelten ans Tageslicht, deshalb hat ſie nur rudimentäre Augen. Die Ameiſen beſitzen, wie viele andere Hymenopteren, im allgemeinen zweierlei Augen: a) große, zuſammengeſetzte Netz— augen (Facettenaugen) und b) kleine, punktför— mige Augen. In Abb. 35 ſehen wir einen Ameiſen- 5° kopf (von vorne betrachtet) ſkizziert; die größeren, S zuſammengeſetzten Netzaugen befinden ſich ſeitlich im NT” Kopfe, die drei kleinen Punktaugen dagegen ſitzen Abb. 38.“ oben auf der Stirn. Wenn man dieſe drei Punkt— augen mit Linien verbindet, ſo entſteht ein Dreieck, deſſen Spitze vorwärts gerichtet iſt. Sie ſind ſo klein, daß weit— ſichtige Menſchen ſie nur mittels der Lupe unterſcheiden können. Unter dem Vergrößerungsglas ſehen jie jo aus, als wären ſie drei kleine, in den Ameiſenkopf eingefügte Glas- perlen. Die geflügelten, nämlich die weiblichen und männlichen Individuen (beſonders die letzteren) beſitzen immer beiderlei Augen, und zwar viel größere als die Arbeiter. Dieſe Ge— ſchlechtstiere brauchen auch vollkommenere Sehwerkzeuge, weil ſie ſich beim Hochzeitsfluge außerhalb des Neſtes paaren, wo— bei die männlichen Individuen die Weibchen (Königinnen) auf- ſuchen. Deshalb haben die Männchen die größten Augen; und da ſie beim Hochzeitsfluge außer dem Geſichte auch der Geruch leitet, ſind auch ihre Fühler, als Organe des Ge— ruches, verhältnismäßig ſehr lang. Bei manchen Gattungen, z. B. bei Camponotus, ſind zwar die ſeitlichen, d. h. die Netzaugen entwickelt, die Punkt- augen dagegen fehlen. Durch dieſen Mangel unterſcheidet ſich dieſe Gattung von der Gattung Formica, bei der die Punkt- augen immer vorhanden ſind. Ausnahmsweiſe kommt es vor, daß eine Ameiſenart, infolge ihrer abweichenden Lebensweiſe, die Fähigkeit des Fernſehens nötig hat. Die in Braſilien lebende Gigantiops destructor z. B. hat Springfüße und ſpringt von Zweig zu Zweig, wie es Alb. Schulz ermittelt hat. Da ſie die fernen Zweige ſehen muß, hat ſie enorm entwickelte, große Netz— augen bekommen, was auch ihr griechiſcher Gattungsname an— deutet (gigantiops = rieſenäugig) . Daß die Ameiſen hören, wurde mehrfach bezweifelt. Es iſt aber Tatſache, daß manche Arten zirpen können; und zirpende Inſekten hören auch im allgemeinen mehr oder weniger gut. Wasmann hörte einmal von einer größeren Geſellſchaft der Myrmica ruginodis ein beſtimmtes Zirpen. Auch Poneriden entwickeln einen zirpenden Ton durch Aneinanderreiben der Hinterleibſegmente. Camponotus-Arten ſtoßen, wenn ſie erregt ſind, ihren Hinterleib auf den Gegen— ſtand, der ihnen als Unterlage dient, und erzeugen damit ein vernehmbares Geräuſch. Wir haben vorher von den Geſchlechtstieren geſprochen; wir wollen daher jetzt das Kaſtenſyſtem der Ameiſen etwas eingehender behandeln. Männchen und Weibchen ſind beflügelt. Unter den europäiſchen Arten kennen wir nur eine Gattung (Anergates), bei der die Männchen keine Flügel haben. Auf dieſe kommen wir ſpäter noch zurück. 3 Die Weibchen (Königinnen) find die vollkommen ent— wickelten Individuen ihres Geſchlechtes. Die Arbeiter ſind ebenfalls weiblichen Geſchlechtes, aber nicht zur vollkommenen Entwicklung gelangt; ihre Geſchlechtsorgane ſind in der Regel nicht ganz entwickelt, und außerdem haben ſie auch keine Flügel. Das Größenverhältnis der Königinnen zu den Ar— beitern iſt ſehr verſchieden. Bei manchen Arten (3. B. bei Myrmica) ſind die erſteren nicht viel größer als die letzteren, bei anderen dagegen (Lasius, Solenopis, Tetramorium) wiegt das Weibchen wohl 20 und noch mehr Arbeiter auf. Die Kaſten der Weibchen und der Arbeiter ſind aber oft mit Zwiſchenformen überbrückt; d. h. es gibt Ar- beiter, bei denen die Geſchlechtsorgane nicht ver⸗ kümmert ſind und die auch Eier legen können. Es gibt ferner Individuen, die den typiſchen Körperbau von Arbeitern haben, aber mit Flügeln verſehen ſind. Dann gibt es mitunter ſolche, deren Körpergröße und auch Hinterleib den echten Königinnen entſpricht, die aber das ſchmale Bruſt- ſtück der Arbeiter (ohne Flügel) haben. Es gibt in dieſer Richtung zahlreiche Abſtufungen, Miſchformen, die bald den Königinnen, bald den normalen Arbeiterinnen näher ſtehen. Dieſe Zwiſchenformen nennt man ergatogyne Ameiſen, die Wasmann in der letzten Zeit eingehend ſtudiert und in ſechs Gruppen geteilt hat, die wir aber hier, wegen Raum— mangels, nicht weiter beſprechen können. Die Männchen ſind im allgemeinen ſchlanker als die Weibchen und immer dunkel gefärbt, ſelbſt bei ſolchen Arten, deren Königinnen und Arbeiterinnen gelb oder roſtrot ſind. Bei gewiſſen Arten ſind die Arbeiter, wenigſtens in einem Neſte, an Größe ziemlich alle gleich; z. B. bei der roten Knotenameiſe (Myrmica), bei Lasius mixtus und alienus, bei der Raſenameiſe uſw. Andere Arten haben dagegen Arbeiter von ſehr verſchiedener Größe. Myrmecocystus cursor, unſere ſchon erwähnte Läuferameiſe, hat teils ſehr kleine, ſchmäch— tig⸗dünne, teils mittelgroße, teils ſehr große Arbeiter; die letzteren ſind mitunter 3Z—4 mal größer als ihre kleinen Zwergſchweſtern. Auch die große ſüdeuropäiſche Ernteameiſe (Aphaenogaster barbara) variiert in dieſer Richtung innerhalb ſehr weiter Grenzen. Sehr auffallend ſind die bei einigen Arten vorkommen— den großköpfigen Arbeiter, die man im allgemeinen als „Soldaten“ anſpricht. Manche Ameiſenarten beſitzen Pr eine vollkommen geſchiedene „Soldatenkaſte“; bei ihnen gibt es eben nur Großköpfe oder Kleinköpfe, — Mittelköpfe haben ſie gar nicht. So ſteht die Sache bei der ſüdeuropäiſchen Pheidole pallidula, einer kleinen, gelbroten Art aus der Sippe der Knotenameiſen. Hier gibt es eine ganz abgeſchloſſene Soldatenkaſte, die von den Arbeitern nicht bloß im Bau des Kopfes, ſondern auch in der Lebensweiſe vollkommen abweicht. Die Soldaten (Abb. 36) tragen einen überaus monſtröſen 3 Kopf, deſſen Umfang beinahe ſo groß iſt wie jener der übrigen Teile des Körpers zuſammen— genommen. Es hat beinahe den Anſchein, als hätte ſich hier die Natur im Ausmeſſen der Körperteile verrechnet und aus dem verfüg— baren Nährvorrate zuerſt den Kopf einer großen Ameiſe konſtruiert. Als das vorrätige orga— niſche Baumaterial ausging, wurde hinter den Rieſenkopf der Körper einer winzigen Ameiſe angefügt. Monſtrös ſieht das kleine Weſen Abb. 36. allerdings aus. eg Die Natur hat ſich aber nicht verrech⸗ ee e e Der Rieſenkopf iſt im Laufe der Zei— 9 ten dadurch entſtanden, daß ein Teil der Ar- beiter vorwiegend die Kiefer gebrauchte, und ſamt den Kiefern iſt gleichzeitig der ganze Kopf mitgewachſen. Dieſe Ameiſenart beſitzt nun eine ſolche Armee, daß ſie ſich, trotz ihrer Kleinheit, frank und frei im Sonnenſchein zeigen und auf verhältnismäßig viel größere Inſekten Jagd machen darf. Dieſen Vorzug nützt ſie auch in vollſtem Maße aus; denn ſie liebt tieriſche Koſt und gibt ſich mit dem Nektar der Blüten und Blattläuſe wenig ab. Mit den normalen Arbeitern gehen auch die großköpfigen Schutzleute; entſteht ein Scharmützel mit ſtärkeren Feinden, ſo ziehen ſich die Kleinköpfe allmählich zurück, und die Großköpfe kämpfen allein mit einer unglaub— lichen Tollkühnheit. Sie greifen viel größere Ameiſen an und beißen deren Körper entzwei. Nebenbei verachten ſie aber auch das Handwerk des Fleiſchers nicht; gilt es, eine Jagdbeute zu zerteilen, ſo zerſchneiden ſie das Tier in ſo kleine Stücke, daß dieſe von den Arbeitern nach Hauſe ge— tragen werden können. Die Großköpfe ſelbſt tragen aber nichts, und zu Hauſe arbeiten ſie auch nicht; ſie ſpazieren im Neſte auf und ab und überlaſſen die Sorgen des Haushaltes, der Brutpflege, des Bauweſens uſw. durchweg den Klein— köpfen. Denn ſolche Beſchäftigung verträgt ſich nimmermehr mit der Standesehre dieſer Sechsfüßlerarmee. Bei anderen Ameiſen, die ebenfalls mit Großköpfen be— ſchenkt find, iſt die Soldatenkaſte noch nicht vollkommen iſoliert. Da haben wir z. B. die Ernteameiſe Aphaenogaster barbara, bei der von den Kleinköpfen zu den Mittelköpfen und von dieſen zu den Großköpfen alle erdenklichen Maße des Kopf— umfanges in demſelben Neſte gemiſcht vorhanden ſind. In meiner Sammlung 2 e ſteht von dieſer Art eine an erb . ganze Skala von Kopfgrößen. Drei Individuen dieſer Skala ſind hier wiedergegeben (Abb. 37). In der Gattung Camponotus findet man ebenfalls Groß— köpfe von verſchiedenem Kaliber, aber nicht bei allen Arten; bei C. lateralis z. B., die zu den kleineren Vertretern dieſer Gattung gehört, gibt es keine Individuen, die man mit Recht Soldaten nennen dürfte. Die großköpfigen Individuen dienen mitunter einem recht abſonderlichen Zwecke: ſie fungieren nämlich als lebende Türen. Ihr Kopf iſt gerade groß genug, um ein Eingangs— loch des Neſtes vollkommen auszufüllen; ſie ſtellen ſich dort auf, klammern ſich feſt und ſtemmen den Kopf wie einen Pfropfen in den Eingang. Bei manchen iſt der Kopf ſogar mimetiſch (nachahmend) ſo gefärbt und gezeichnet wie der Gegenſtand (Holz, Borke, Erde), in dem das Ausgangsloch ſteht, ſo daß ſie die Aus- und Eingangstür förmlich maskieren. Wahrſcheinlich hängt es auch mit einer Mimikry (Nachahmung zu Schutzzwecken) zuſammen, daß bei gewiſſen Blattſchneider— ameiſen zweierlei Soldaten vorkommen, nämlich ſolche mit behaarten und andere mit unbehaarten, glatten Köpfen. Bei Blattſchneidern ſollen die Soldaten überhaupt nicht kämpfen, ſondern nur Wache halten. Wenn nun zu ſo einer lebenden Tür eine fremde Ameiſe oder überhaupt ein fremdes Tier kommt und eindringen will, ſo drückt die großköpfige Wache ihren Kopf mit voller Kraft in den Eingang und widerſteht ſo dem Eindringling. Kommt dagegen eine ins Neſt gehörige Ameiſe an, ſo betrillert ſie mit freundlichen Flügelſchlägen den lebenden Pfropfen; auf dieſes bekannte Zeichen zieht er ſich ſogleich zurück und läßt die rechtmäßige Bürgerin ein. EI RE Wachen gibt es überhaupt in den Ameiſenſtaaten, und fie ſtellen ſich an den geeigneten Punkten freiwillig auf, ohne von Vorgeſetzten (die es bei ihnen nicht gibt) Order empfangen zu haben. Wasmann ſah, daß in ſeinem Beobachtungsneſte bei einem Eingange ſtets zwei Arbeiterinnen Wache hielten. Er nahm nun die eine heraus, worauf ſogleich eine andere an ihre Stelle trat. Es können alſo, wie wir geſehen haben, in einfachen Ameiſenkolonien fünferlei Kaſten vorkommen: 1. Königinnen, 2. Männchen, 3. gewöhnliche Arbeiter, 4. Soldaten und 5. bei den Honigameiſen die ſogenannten „Honigtöpfe“. Die Individuenzahl der einzelnen Kaſten iſt ſehr ver— ſchieden; als allgemeine Regel gilt, daß die Zahl der einem Neſte ſtändig angehörigen Weibchen ſehr gering zu ſein pflegt. Es gibt Kolonien, in denen nur 1—2 Königinnen ſind, in manchen ſteigt dagegen ihre Zahl auf 20—30. Die Sache verhält ſich natürlich ganz anders, wenn vor dem Schwärmen die jungen Weibchen und Männchen aus den Puppen zum Vorſchein kommen; zu ſolcher Zeit können in einem Neſte viele hundert Geſchlechtsindividuen vorhanden ſein. Dieſe bleiben aber nicht in der Heimat, und höchſtens ein kleiner Bruchteil der Weibchen kehrt nach der Paarung ins Mutterneſt zurück. Männliche Individuen gibt es in den Neſtern nur vor dem Schwärmen: alſo nur junge, vor kurzem aus den Puppen freigewordene. Dieſe wandern behufs Paarung aus und kehren nie mehr zurück; fie gehen nach erreichtem Lebens- zweck raſch zugrunde. Die Weibchen, die einem Neſte ſtändig angehören, ſind bereits zur Zeit des Schwärmens befruchtet worden und haben die Flügel verloren. Solche Königinnen alſo, die ſchon Eier legen, haben keine Flügel mehr und unter— ſcheiden ſich von den Arbeitern nur durch ihre Größe, den breiten Rücken und den viel umfangreicheren Hinterleib. Es ſcheint, daß jede Königin während ihres ganzen Lebens ſich nur einmal mit dem männlichen Geſchlechte paart. Dies iſt deshalb ſehr auffallend, weil ſie danach viele Jahre hin— durch befruchtete Eier legt. Lubbock hatte in ſeinen Zwingern unter anderen zwei Weibchen der ſchwarzgrauen Ameiſe (For- mica fusca), von denen die eine in der Gefangen-⸗ ſchaft 13 Jahre, die andere 15 Jahre gelebt hat. Wir kennen bisher keinen anderen Fall, daß entwickelte, ge— ſchlechtsreife Inſekten jo lange gelebt hätten. In Larven— ” et Ar form leben manche Inſekten allerdings noch längere Zeit: die ſiebzehnjährige Zikade Nordamerikas z. B. braucht 17 Jahre zu ihrer Metamorphoſe, — aber als entwickeltes Inſekt überlebt ſie den Sommer, in dem ſie flügge geworden iſt, nicht. Die zwei Ameiſen-Methuſaleme Lubbocks kamen im Zwinger während jener langen Zeit mit keinem Männchen mehr zuſammen, und aus ihren Eiern entſtanden dennoch Arbeiter. | Arbeiter leben im allgemeinen nicht jo lange; immerhin hatte Lubbock in ſeinem Zwinger einige ſieben Jahre lang. Man pflegt anzunehmen, daß Weibchen und Arbeiter nur aus befruchteten Eiern entſtehen; aus unbefruchteten, jungfräulichen Eiern hingegen nur Männchen. Dementſprechend würden Arbeiterinnen, die mitunter auch Eier legen, aber ſich nicht paaren, nur Männchen erzeugen können. Dr. H. Reichenbach hat aber vor einigen Jahren einen Fall ver— öffentlicht, der dieſer Anſicht widerſpricht. Er hatte nämlich in ſeinem Zwinger Arbeiterinnen der ſchwarzbraunen Ameiſe (Lasius niger), die Eier legten, und aus dieſen Eiern entſtanden teils Männchen, teils Arbeiterinnen. Die betreffenden Verhältniſſe erheiſchen noch mehrfache Be— obachtungen und Unterſuchungen. Die Eier der Ameiſen ſind im Verhältnis zur Mutter ſehr klein. Die der kleineren Arten unterſcheiden die meiſten Menſchen mit freiem Auge gar nicht. Sie ſind . (Abb. 38), ihre Farbe iſt meiſtens gelblich-weiß. Wir haben ſchon bemerkt, daß die Gebilde, die das Volk „Ameiſeneier“ nennt und auf den Markt bringt, keine Eier, ſondern Puppenkokons ſind, alſo eigentlich ſchon vollwüchſige, aber noch nicht freigewordene junge Individuen. Wir ſind daran gewöhnt, daß die Eier der Tiere, auch die der Inſekten, nachdem ſie vom Muttertier abgelegt wurden, nicht mehr wachſen. Es gibt aber Inſektengruppen, deren Eier, nachdem ſie gelegt wurden, noch größer werden. Das kommt bei ſolchen Eiern vor, die in ſaftige Gegenſtände, z. B. in Pflanzengewebe, gelegt werden; ſie ſaugen die umgebenden Säfte durch die zarte Schale ein und vergrößern ſich dadurch. Sie ſind alſo Eier, die im buchſtäblichen Sinne des Wortes eſſen. Ahnliches kommt auch bei den Ameiſen vor; die von den Weibchen gelegten Eier ſind, wie geſagt, ſehr klein; ſie wachſen aber fortwährend: ein Zeichen, daß auch ſie eſſende Eier ſind. Nun entſteht aber die Frage: „Was eſſen denn die Ameiſeneier, da ſie ja doch in keine Nährflüſſigkeit abgelegt werden?“ — Das Rätſel läßt ſich folgenderweiſe löſen. Die Königin legt ihre Eier während des Herumgehens ab und kümmert ſich weiter nicht um ſie. Die Ameiſenmutter iſt aber immer von Arbeiterinnen umgeben (Abb. 39), die jedes neugelegte Ei ſogleich in den Mund nehmen, im Munde hin und her bewegen, alſo offenbar mit einem nährenden Safte benetzen. Die Eier werden in beſonderen Räumen des Neſtes geſammelt, und eine Arbeiterſchar iſt fortwährend damit be— ſchäftigt, ſie zu belecken, d. h. eigentlich mit dem Nährſafte zu befeuchten. Dieſen Nährſaft ſaugt das Ei ein und wächſt davon recht bedeutend. Nimmt man Ameiſeneier aus dem Neſte und läßt keine Arbeiter hinzu, ſo gehen die Eier | zugrunde. Nach mehreren Wochen kommt aus dem Ei die weiße, beinahe durchſcheinende Larve zum Vorſchein; ſie hat weder Augen noch Füße, iſt 3 Daher eine vollkommen unbehilfliche Made, die darauf angewieſen iſt, von den Arbeiterinnen ge— pflegt und genährt zu werden (Abb. 41); ohne ſolche Pflegerinnen ſtirbt ſie unbedingt vor Hunger. Die Form der Ameiſenlarven iſt den Larven vieler anderer Immen ähnlich (Abb. 40): nach hinten iſt der Körper breiter, vorne verjüngt, und der Kopfteil hakenartig einwärts gebogen. N Abb. 40. Vergr. An * 0 = Rn ſtaat. ſen Brutpflege im Amei 41. Abb Das Larvenleben dauert mehrere Monate (bei manchen zwei, bei anderen ſogar neun Monate); dieſe Friſt iſt je nach der wärmeren oder kühleren Jahreszeit kürzer oder länger. Mit dem Nähren und Reinhalten der Larven iſt aber die Sache bei weitem noch nicht abgemacht; dieſe Kindlein ſind ſehr verzärtelt und verwöhnt. Sie brauchen Luft- und Sonnenkur! Steigt die Sonne höher am Firmament, ſo daß ihre Strahlen das Neſt voll beſtrahlen, dann laufen die Außenſtehenden in den Bau und geben mit ihrer Fühler— Trommelſprache den Nächſtſtehenden ein Zeichen. Dieſe raſen hinab, und im Nu ſind die ſechsfüßigen Ammen alarmiert. Nun beginnt eine ganze Völkerwanderung aus den Keller— räumen aufwärts zum Sonnenlicht. Mit fieberhafter Haſt tragen ſie ſämtliche Larven hinaus, ſetzen ſie wohl auch eine Viertelſtunde den direkten Sonnenſtrahlen aus, lagern ſie dann etwas unterhalb der Erdoberfläche, wo ſie die Sonnen— wärme und freie Luft noch immer erreichen kann. Neigt ſich die Sonne gegen die Abendſeite, jo richtet ſich der ganze Kindertransport wieder in die unterſten Räume, in die be— ſtimmten Kammern. Man ſieht alſo, daß die Ameiſen die Sonnenkur ſchon lange vor uns erfunden haben. Wenn die Larve vollwüchſig iſt, verpuppt ſie ſich. Bei einem Teile der Gattungen (3. B. bei Myrmica und der Raſen— ameiſe) verpuppt ſich die Larve frei, ohne Geſpinſt; bei anderen Gattungen ſpinnt ſie ſich aus feinen Seidenfäden einen gelblich-weißen, ſackartigen Kokon (Abb. 42), der bei vielen Arten an einem Ende einen ſchwarzen er Stel trägt. Wir wiſſen ſchon, daß in Ländern, Abb. 42. wo die Ameiſen nicht geſetzlich geſchützt ſind, Vergrößert. dieſe Puppenkokons unter dem irrtümlichen Namen: „Ameiſeneier“ als Vogelfutter auf den Markt ge— . langen. Es hängt zwar allgemein von der Art ab, ob ſich ihre Larven behufs Verpuppung verſpinnen oder nicht; aber die Grenzen ſind nicht ſcharf gezogen: man findet z. B. bei Formica-Arten nicht ſelten in demſelben Neſte ebenſowohl frei— liegende wie in Kokons verſponnene Puppen. Die Puppenruhe iſt bei den Ameiſen eigentlich keine Ruhe. Die Arbeiterinnen ſind eben unermüdliche Ammen, und wie die Larven, ganz ſo werden auch die Puppen an ſchönen Tagen der Luft⸗ und Sonnenkur teilhaftig. Die Leute, die die Kokons für den Handel liefern, legen an ſonnigen Tagen auf BE die Ameiſenneſter große Pflanzenblätter, unter welche die ge— ſchäftigen Ammen die Kokons gerne lagern. Mit einem ſchnellen Griff ſchaufelt dann der zweibeinige Feind die Früchte ſo vieler Sorgfalt und Mühe unbarmherzig ein. Wenn die unruhige Puppenruhe beendigt iſt, kommt der Zeitpunkt, in dem die junge Ameiſe erſcheinen, d. h. die Puppenhülle ſprengen ſoll. Aus nicht eingeſponnenen Puppen kann ſich das entwickelte Tier ſelbſt freimachen. In Neſtern aber, wo es verſponnene Puppen gibt, beginnen nun heiße Stunden — nicht für die Jungen, die der Hülle ledig werden wollen, ſondern für die Wärterinnen. Das iſt die mühevollſte Hebammenarbeit, die man ſich nur denken kann. Denn daß ſich die jungen Bürger und Bürgerinnen aus dem Geſpinſt ſelbſt freimachen könnten, wie andere Inſekten, davon kann hier gar keine Rede ſein! Sobald die Pflegerinnen merken, daß aus einem Kokon das junge Geſchöpf heraus will, beginnen ſie am Kopfende des Geſpinſtes die feinen Seidenfäden mit ihren Kiefern zu zerreißen. Zuerſt wird ein kleines Loch gemacht, dann in der Nähe ein zweites; durch jedes dieſer Löcher wird ein Kiefer eingeſteckt, und nun beginnt das Schneiden. Könnten ſie ganz ungehindert arbeiten, ſo wäre ihre Aufgabe leichter. Sie müſſen aber die Kiefer ſehr vorſichtig bewegen, ſonſt würde die eingeſchloſſene, noch weiche Ameiſe zu Schaden kommen. Bei dieſer Arbeit wird eigentlich jeder Faden einzeln durch— gebiſſen. Um das Geſpinſt zu öffnen, ſchneiden ſie endlich der Länge nach einen Streifen heraus. Eine Arbeiterin hebt dieſen Streifen in die Höhe, und andere ziehen jetzt die junge Ameiſe mit der größten Behutſamkeit heraus. Sie iſt noch immer ganz unbehilflich und hinfällig. Um ſie zu ſtärken, reichen ihr die Arbeiter Nahrung. Nach und nach wird ſie ſelbſtändig und geht dann ihren Pflichten nach. Dieſes Befreien der jungen Brut aus den Geſpinſten iſt ſo mühevoll, daß ſich die Arbeiter zwiſchendurch ausruhen, d. h. einander ablöſen müſſen. Man kann ſich vorſtellen, wie viel Arbeit bloß dieſe Aufgabe erheiſcht, da in größeren Neſtern zu gewiſſen Zeiten gleichzeitig mehrere hundert junge Ameiſen befreit werden wollen. Weibchen und Männchen entſtehen nicht zu jeder Zeit. Jede Art erzeugt dieſe Geſchlechtstiere nur in beſtimmten Zeit— abſchnitten. Bald nach dem Erſcheinen der jungen Königinnen und der Männchen tritt die Paarungszeit ein. Manche Sajö, Krieg und Frieden im Ameiſenſtaat. 6 BE Weibchen werden gleich in der Nähe des Neftes, einige mitunter ſogar im Neſte ſelbſt von Männchen befruchtet. Dieſe noch auf heimatlichem Boden gepaarten Weibchen werden von den Ar— beitern größtenteils ins Neſt zurückgeführt, damit jene im Mutterſtaate zu Müttern werden. Vor allem werden der jungen befruchteten Königin — ihre Flügel abgenommen. Mehrere Arbeiter zerren dieſe hin und her, bis ſie abreißen. Das iſt übrigens keine ſchmerzhafte Operation, weil die Flügel gleich nach der Befruchtung von ſelbſt loſe werden und leicht ab— fallen. Solche Weibchen, die fortfliegen und einen neuen Staat allein gründen wollen, nehmen ſich alsdann ihre Flügel ſelbſt ab. | Der größte Teil der jungen flüggen Weibchen entweicht und ſucht das Weite. Viele erheben ſich in die Lüfte und werden dort von den Männchen befruchtet. Manchmal ſieht man ganz anſehnliche geflügelte Ameiſenſchwärme in der Luft auf und ab tanzen. Andere begeben ſich auf Gräſer, Steine uſw., wo ſie von Männchen aufgeſucht werden. Von dieſen fortgeflogenen Geſchlechtstieren fallen ſehr viele den Vögeln, Mäuſen, Eidechſen und Raubinſekten zum Opfer. Auch Ameiſen anderer Art machen auf ſie Jagd. Nur einem kleinen Bruchteile glückt es, neue Gemeinſchaften zu gründen. Meiſtens gelingt es der jungen Königin, einige Arbeiterinnen ihrer Art ſich zuzugeſellen. André hat ſogar geſehen, daß ſich einige Arbeiter des Mutterneſtes mit ihren Kiefern an die Füße der fortfliegenden jungen Königin feſtgebiſſen hatten und mit ihr die Luftreiſe machten. Bei manchen Arten ver— mögen aber auch ſolche Weibchen, die ohne Hilfe bleiben, eine neue Kolonie zu gründen; ſie nähren in dieſem Falle die Erſtlinge ihrer Brut wahrſcheinlich alle mit ihren eigenen Eiern. Unter den Weibchen gibt es, meiſtens im Spätherbſt, ſolche, die nicht zur Paarung gelangen. Es iſt intereſſant, daß dieſe „Jungfrauen“ oft während des ganzen Winters im Neſte bleiben und die Flügel bis zum künftigen Frühling oder Sommer behalten. Der Hochzeitsflug, d. h. die Paarung der Geſchlechter, findet bei den verſchiedenen Gattungen in je anderen Teilen des Jahres ſtatt: bei der Raſenameiſe ſowie bei den Formica— und Camponotus-Arten meiſtens im Juni und Juli; bei den Myrmica-Arten ſpäter, nämlich vom Juli bis September; bei manchen Lasius-Arten, ſowie bei der Diebsameiſe (Sole- nopsis fugax) ſogar noch im Oktober. De Aus unbekannten Gründen werden die Männchen und Weibchen nicht gleichmäßig und auch nicht in allen Jahren in gleicher Menge erzeugt. Sogar das Klima ſcheint in dieſer Richtung abändernd zu wirken. In den Jahren 1906 und 1907 fand ich auf meinem zentralungariſchen Beobachtungs- gebiete in den Neſtern der Diebsameiſe zahlreiche Weibchen, aber nur ſehr wenige Männchen. Bei Lasius niger war es umgekehrt: beinahe nur Männchen, und zwar in überſchweng— licher Zahl, und nur einige Weibchen. Größere Schwärme von Geſchlechtstieren habe ich hier nur ſelten geſehen: binnen je zehn Jahren etwa ein- oder höchſtens zweimal. In ſolchen Fällen war die ſchwärmende Art meiſtens Lasius niger, einmal die Raſenameiſe. Von anderen Arten ſah ich Geſchlechtstiere oberirdiſch nur vereinzelt, ausgenommen einmal — wie früher angegeben — die Männchen der Läuferameiſe Myrmecocystus cursor), die von einer Art Drehkrankheit befallen zu ſein ſchienen. In anderen Ländern ſind die Schwärme häufiger und auch maſſenhafter (in den Alpenländern führt ſogar die Gattung Myrmica ſolche Schauſpiele auf). Dann iſt die Luft mehrere Tage hindurch voll von fliegenden Ameiſen; ja, ſie ſollen manchmal gleich Wolken das Sonnenlicht verdunkeln und nicht nur den Boden, die Gräſer und Steine, ſondern auch Tiere und Menſchen bedecken. Die Gattungen Formica, Camponotus und Liometopum bilden jedoch wahrſcheinlich nirgends fliegende e weil ſie zu ſchwerfällig fliegen. Der Neſtbau der Ameiſen iſt nicht ſo i wie der der Bienen und Weſpen. Gerade oder regelmäßig ge— krümmte Linien kennen die Ameiſen nicht. Ihre Stadt be— ſteht aus einem Wirrwarr von Gängen, die ſich launiſch hin und her krümmen, bald breiter, bald enger ſind und ſich ſtellenweiſe zu größeren Räumen, zu Kammern und Sälen, erweitern. Der fertige Bau an und für ſich bietet dem Laien a den erſten Blick nicht viel Auffallendes; wie fie aber ihre Städte zuſammenſtellen und aus welchem Material ſie bauen, hat manches Intereſſante. Sie dringen mitunter recht tief unter die Erde und türmen oft oberirdiſch nicht geringe Mengen von Erde und anderen Gegenſtänden kegel- oder kuppelförmig auf den unter— irdiſchen Bau. Die Ameiſen binden ſich nicht hartnäckig an gewiſſe 8141 Formen oder Methoden. Dieſelbe Art verändert ihr Ver— fahren je nach dem Klima, der Bodenart oder dem Material, das ihr zur Verfügung ſteht. Soeben erwähnte ich, daß ſie mitunter recht hohe Ober— bauten herſtellen: tatſächlich befinden ſich in dieſen manchmal zwanzig Stockwerke übereinander, und unter der Erdoberfläche nicht ſelten ebenſo viele. Vierzig Stockwerke ſind nun un— ſtreitig fürs Ameiſenvolk das, was für die menſchlichen Bau— meiſter etwa ſo ein amerikaniſcher Himmelskratzer iſt. Jedenfalls ſind die Oberbauten merkwürdiger als die Tiefbauten. Denn beim Tiefbau kommen ſie im allgemeinen auch mit bloßem Minieren aus. Ganz anders beim Oberbau: hier muß jedes Stück künſtlich hergeſtellt, jedes Körnchen hin— getragen und den übrigen angefügt werden. Betrachten wir ein Beiſpiel. Die ſchwarzbraune Ameiſe (Lasius niger) ſtellt in gebundenem Boden, beſonders in ſolchem, der beſchattet oder gar Regenfluten ausgeſetzt iſt, recht hübſche oberirdiſche Gebäude her. Sie baut bei oder unmittelbar nach Regen— wetter, weil einerſeits der feuchte Boden leicht zerteilbar iſt, andererſeits die feuchten Erdkrümchen gut aneinander haften. Die Arbeiter kommen da zu Hunderten und bringen zwiſchen ihren Kiefern Erdkrümchen herbei. Anfangs ſcheint es, als würden dieſe ohne jeden Plan unordentlich auf den Boden gelegt. Bald erſcheinen aber die Umriſſe von Gängen und Kammern verſchiedener Größe. Die Gänge entſtehen zunächſt aus zwei ziemlich parallelen Wänden, die durch Auflegen und Andrücken immer neu hergebrachter Erde ſich erhöhen. Haben dieſe Mauern eine gewiſſe Höhe erreicht, ſo kommt eine Wölbung darüber. Sie bringen das Gewölbe dadurch zu— ſtande, daß die Mauern oben ſeitlich verdickt werden; dieſe ſeitlichen Vorſprünge werden aufwärts immer breiter ge— macht, bis ſie endlich in Form einer Wölbung zuſammen— treffen. Gleich anfangs werden an den Stellen, wo Kammern oder Säle Platz finden ſollen, die Mauern unterbrochen. Anſtatt dieſer werden durch Auftürmen von Erdpartikeln Säulen, Pfeiler errichtet, die das Gewölbe der betreffenden Kammer ſtützen ſollen. Dieſe Wölbungen erfordern die größte Sorgfalt, weil die unteren den Druck von 10—15 oder mehr oberen Stockwerken aushalten müſſen, ohne zuſammenzuſtürzen. Außerlich kommt noch eine Kappe aus feſter Erde über das Ganze, in der einige Löcher als Tore dienen. 8 Die Oberbauten ſind ſehr verſchieden. Manche Ameiſen— arten arbeiten ziemlich regelmäßig in gut unterſcheidbaren Stockwerken, andere dagegen, wie z. B. die ſchwarzgraue Ameiſe (Formica fusca), recht unregelmäßig. Manche, jo die ſoeben beſprochene Art Lasius niger, ſtellen den Ober— bau aus reiner Erde her, wogegen andere allerlei Pflanzen— teile mit vermauern und die Wölbungen größtenteils mittels Pflanzenbruch— ſtücken herſtellen. a Sehr befannt 0 | jind die großen Neſter in Wäldern, die mitunter bis zur Höhe von Um mit trockenen Tannen⸗ nadeln, Aſtbruch— ſtücken uſw. bedeckt ſind und anſehnliche Hügel bilden; die größten errichtet die an Kopf und Rük⸗ ken rot gefärbte Formica rufa, die eben deshalbHügel— ameiſe genannt wird (ſ. Umſchlag— bild). An den Sei⸗ ten der älteren Hü— gel iſt der zuſam⸗ mengetragene Mulm ſchon zu Erde verrottet und mit Graswuchs bedeckt, — während oben noch immer loſe Bruchſtücke angehäuft werden. Überaus merkwürdig baut eine kleine, nomadiſierende Ameiſe (Tapinoma erraticum), die ihre Wohnſtätte öfters wechſelt. Sie errichtet aus Erde und Pflanzen dünne, zylindriſche, turmartige Zapfen, deren Durchmeſſer oft nur 2 em bei einer Höhe von etwa 6—7 cm iſt. Dieſe Türmchen (Abb. 43) benützt ſie nur zur Brutpflege; iſt die Brutzeit vorüber, ſo werden ſie zu Ruinen. Überhaupt ſcheint der Hauptzweck der Oberbauten der zu e ſein, daß die Larven und Puppen dort ihre „Luft- und Sonnenkur“ durchmachen können. Deshalb findet man Oberbauten nur dort, wo entweder der Boden beſchattet und kühlfeucht iſt, oder wo überhaupt ein rauhes Klima herrſcht. In der trockenen, regenarmen, heißbeſonnten Ebene Mittel— ungarns, z. B. da, wo ich wohne, ſind Oberbauten niemals zu ſehen, weil ſchon im Mai der Boden bis zu einer bedeutenden Tiefe erwärmt wird und niemals überfeucht iſt. Hier leben ſogar die Arten Lasius niger, L. alienus und L. flavus immer und ausnahmslos vollkommen unterirdiſch und er⸗ richten nicht die geringſten Bauten über der Erdoberfläche, ob— wohl gerade dieſe Arten es anderwärts beinahe immer tun. Wenn wir oberirdiſche Ameiſenneſter ſehen wollen, ſo müſſen wir ins Gebirge, in ſchattige Wälder gehen. In felſigem Gebirge benützen die Ameiſen die Fugen und Riſſe des Geſteins. Es kommt aber mitunter vor, daß ſie ſogar im Geſteine wirkliche, regelmäßige Tunnels bohren, wie es Moggridge bei der Ernteameiſe A. barbara be— obachtet hat. Im erſten Augenblick klingt dies unglaublich. Es handelte ſich aber um Sandſtein, der ſich bekanntlich aus Sandkörnchen bildet, die mittels eines Bindematerials zu— ſammengekittet werden. Enthält nun das Bindematerial Kalk, ſo vermögen die Ameiſen dieſen mit Hilfe der ihnen eigenen Ameiſen-Säure teilweiſe zu löſen, wonach ſich die Sand— körner einzeln abtragen laſſen. Das gleiche dürfte auch bei Kalkſtein vorkommen. Alſo nicht nur der Waſſertropfen höhlt den Stein aus, wie das Sprichwort beſagt, ſondern auch die Ameiſenzunge, die mit unerjchüt- terlicher Geduld arbeitet. Daß Ameiſen auch in Holz und ſtehen— den Bäumen niſten, iſt allbekannt; be— ſonders die Gattung Camponotus gründet ihre Kolonien gerne in Holzwerk, das zu dieſem Zweck durch und durch zernagt wird (Abb. 44). Morſche Baumſtrünke ſind vie— len ein wahres Dorado und werden gerne noch mit allerlei Mulm bedeckt. Bäume mit weichem Holz, hierzulande z. B. der Göt— terbaum (Ailanthus glandulosa), ſind nicht ſelten willkommene Burgen. Erſt wenn der Sturm einen er ſolchen durch und durch minierten Stamm niederbricht, ſehen die Menſchen die zahlloſen Ameiſengänge in dem morſch ge— wordenen Inneren. Manche Arten niſten in der Borke, andere zwiſchen der Borke und dem Holz. Der eigentümlichſte Neſtbau iſt der Kartonbau. Lasius fuliginosus, unſere größte, glänzend ſchwarze Art dieſer Gat— tung, iſt als Kartonfabrikant bekanntgeworden. Sie zernagt das Holz und fügt die zerkauten Stücke wieder aneinander, ſo daß eine Art Holzkarton entſteht, mit dem verwandt, woraus die Weſpen ihre Neſter herſtellen. Der Holzkarton dieſer Ameiſe iſt meiſtens rußſchwarz. In Ungarn ereignete ſich ein merkwürdiger Fall, der meines Wiſſens in Europa bis heute vereinzelt daſteht. Herr Leopold Bod6, Gutsbeſitzer zu Nagy-Szelezſény, hielt einen Teil ſeines Archives längere Zeit in Holzkiſten, die in einem unbewohnten Raume ſtanden. Als er im Jahre 1888 eine der längere Zeit hindurch unberührten Kiſten öffnete, fand er an der Innenfläche des Deckels ein merkwürdiges, über— raſchend großes, 35 cm breites und etwa 50 cm langes Ge— bilde befeſtigt. Es war offenbar ein Ameiſenneſt, und es ließ ſich gleich an Ort und Stelle feſtſtellen, daß das Ganze aus wirklichem Papiermaché beſtand, das die Ameiſen aus den Schriften bereitet hatten. Die zernagten Schriften wur— den ſamt dem Ameiſenbau der Königl. Ungar. Entomologi— ſchen Station nach Budapeſt geſandt, in deren Sammlung ſie aufbewahrt ſind. Zu jener Zeit war dieſer merkwürdige Bau nicht mehr bewohnt; die Unterſuchung, der auch ich beiwohnte, zeigte ausſchließlich überreſte der Raſenameiſe (Tetra- morium caespitum), die ja eben unſere regelmäßige Haus— ameiſe iſt. | Der am beiten erhaltene Teil des Papiermachébaues wurde photographiert (ſiehe Abb. 45). Die Wände ſind mörtelartig, brüchig, das Papiermaterial, aus dem es entſtand, wohl er— kennbar; die Farbe des Ganzen iſt graulich-weiß. Obwohl nur Überrefte der Raſenameiſe ſich fanden, iſt es dennoch nicht ausgeſchloſſen, daß dieſer Bau urſprünglich von einer anderen Art, vielleicht von Lasius kuliginosus, gemacht wurde, und die Raſenameiſe erſt nach Auswanderung der vorigen Art nachträglich eingezogen iſt. Wie dem auch ſei, wir ſtehen hier entſchieden vor einer Neuerung. Denn Papier gibt es in jedem Hauſe, und dennoch wurde es bis jetzt nicht von Ameiſen be= nützt. Wahr⸗ ſcheinlich waren einige erfinderiſche Köpfe in je⸗ Me nem Amei⸗ N Fr ſenſtaate, die e 2. F die Neuerung r erfanden, und die übri⸗ Abb. 45. gen folgten ſogleich dem Beiſpiele. Es wäre ein verhängnisvolles Unglück, wenn dieſe Erfindung im Reiche der Ameiſen Verbreitung fände, denn dann wären Bücher und Schriften in unſeren Käſten nicht mehr ſicher. Hoffentlich iſt das „papierne Zeitalter“ der Ameiſen noch nicht eingerückt! In Braſilien gibt es übrigens Ameiſen, die in den Wäldern Kartonneſter auf Bäumen bauen; in Häuſern haben ſie es aber, wie es ſcheint, noch nicht verſucht. — Große, flache Steine, die im Freien auf dem Boden liegen, ſind ebenfalls willkommene Schutzdächer; unter ſolchen findet man ſehr häufig Ameiſenkolonien. Oft verbreitet ſich die urſprüngliche Kolonie mit der Zeit ſtrahlenförmig in die ganze Nachbarſchaft. Die jungen Köni— ginnen ſiedeln ſich nämlich in unmittelbarer Nähe des Mutter- neſtes an und erhalten Hilfsarbeiter aus dieſem. Dieſe Ar— beiter halten den Verkehr mit der Urheimat dadurch auf— recht, daß ſie ſich mit ihr durch Gänge in Verbindung ſetzen. Forel erwähnt einen Garten zu Zürich, deſſen geſamte Fläche eine rieſige Kolonie der grauen Ameiſe (Formica cinerea) war. Der ganze Boden war förmlich unterminiert, ſo daß es kaum möglich war, einzutreten, ohne ſogleich von zahl— reichen kampfbereiten Tierchen dieſer Art angegriffen zu werden. | a Auch Wasmann erwähnt eine ſolche Rieſenkolonie der Hügelameiſe (Formica rufa). Bei der Ortſchaft Deren— bach (Luxemburg) fand er den Kamm und den ganzen öſt— lichen Abhang eines Berges in 200 m Länge und 70 m Breite vollkommen mit den Bauten dieſer Art beſetzt. Die einzelnen Wie 5 . N. . . Er 8 Ameiſenhügel waren meiſtens einige Meter voneinander ent— fernt, aber miteinander durch unterirdiſche Gänge verbunden. Es gab dort vorherrſchend Eichengebüſch, und die Ernährungs⸗ verhältniſſe mußten außerordentlich günſtig geweſen ſein. Ameiſen kann man nicht nur im Freien beobachten, ſon— dern auch in Zwingern, den ſogenannten „Formicarien“ oder „Myrmicarien“, die jetzt bereits einen Handels- und Induſtriegegenſtand bilden. Im weſentlichen beſteht ein Ameiſenzwinger in ſeiner einfachſten Form aus einem flachen Käſtchen, deſſen breite Seiten Glasplatten bilden. Die zwei Glasplatten müſſen einander ſehr genähert ſein, weil die Ameiſen ſonſt das Glas mit Erde verbauen. Die Glas— platten ſind mit je einer Platte aus ſtarker Pappe verfinſtert, dieſe Bedeckung kann aber abgehoben werden. Als Nahrung pflegt man ihnen Honig zu reichen. Es gibt verſchiedene Zwingerſyſteme (die von Lubbock, Janet, Wasmann), die hier zu beſchreiben der Raummangel verbietet. Wer zu Hauſe Beobachtungen machen will, wird von dem Verkäufer die Gebrauchsanweiſung erhalten. Solche Zwinger erlauben jedenfalls ein anregendes und angenehmes Studium; viele Einzelheiten des Ameiſenlebens laſſen ſich auch nur auf dieſe Weiſe beobachten. Andererſeits iſt es aber Tatſache, daß dieſe kleinen Völker ihre volle Ge— ſchicklichkeit und Intelligenz nur in der freien Natur entfalten. Im Zwinger wollen ſie nicht einmal Königinnen erzeugen, ſondern meiſtens nur Arbeiter, von Geſchlechtsindividuen höchſtens Männchen. Gemiſchte Kolonien und zufammengeletzte Nelter. Als der uns ſchon bekannte Schweizer Forſcher Peter Huber am 17. Juni 1804, zwiſchen 4 und 5 Uhr nach— mittags, ſich in der Umgebung von Genf erging, ſah er einen Wanderzug ziemlich großer, rötlicher Ameiſen ſich eifrig vorwärts bewegen. Sie begaben ſich auf eine Wieſe und eilten auch dort ohne Aufenthalt vorwärts, bis ſie zu einem Neſte der ſchwarzgrauen Ameiſe (Formica fusca) ge— langten. Die letztere Art wurde von einem paniſchen Schrecken ergriffen und flüchtete in die tieferen Räume des Baues. Die roten Ankömmlinge verloren keine Minute, drangen mit raſchen Füßen in das angegriffene Neſt und verſchwanden da— ſelbſt. Nach etwa vier Minuten ſah der erſtaunte Beobachter die ganze Schar wieder maſſenhaft aus dem Neſte heraus— kommen, aber nicht ohne Beute, denn die meiſten hielten eine Puppe oder eine Larve zwiſchen den Kiefern empor und ver— ließen das geplünderte Neſt ebenſo eilig, wie ſie gekommen waren, ordneten ſich in einen Zug und kehrten mit den ge— raubten Jugendſtadien zurück (Abb. 46). Da ſie in ein Ge— treidefeld eintraten, konnte Huber den Raubzug nicht weiter verfolgen. Am folgenden Nachmittag aber, um dieſelbe Zeit, ſah er neben einem Wege ein großes Ameiſenneſt, aus dem gerade eine gewaltige Schar Ameiſen heraustrat, die genau ſo ausſah wie die Räuber des vorigen Tages. Sie ordneten ſich auch jetzt in einen Zug, liefen raſch bis zu einem Neſte der Formica fusca, überfielen es, verſchwanden darin und kamen nach einigen Minuten wieder mit reicher Beute heraus. Diesmal verfolgte aber Huber den heimkehrenden Raubzug, weil kein Hindernis im Wege ſtand. Zu ſeiner größten Über— raſchung fand er außerhalb des Neſtes, aus dem die Räuber herausgezogen waren, mehrere ſchwarzgraue Ameiſen, ganz von derſelben Art (Formica fusca) wie die des beraubten Staates. Dieſe ergriff aber kein Schrecken beim Anblick der Plünderer; im Gegenteil, ſie empfingen die Heimgekehrten freundlich, betrillerten ſie mit ihren Fühlern, gaben ihnen 4 an ai ao Ferne ee kahrung in den Mund, nahmen ihnen ſogar die Schwere Beute ab und trugen dieſe in das Neſt hinein, wo auch die gelb— roten Plünderer alsbald verſchwanden. Huber unterſuchte nun das Neſt und überzeugte ſich, daß darin tatſächlich zwei Arten wohnten: die ſchwarzgraue Formica fusca und die größere gelblichrote Art, die er, da ihre Arbeiterinnen kriegeriſche Raubzüge unter- nehmen, kourmis amazones nannte; dieſer Name wurde ihnen bis heute belaſſen. In der wiſſenſchaftlichen Sprache heißt dieſe Amazonenameiſe heute Polyergus rufescens. „Niemals ergriff ein Rätſel meine Neugierde ſo lebhaft, wie dieſe eigentümliche Entdeckung“, ſchreibt Huber in ſeinem ausgezeichneten Buche. Mit ihr wurde der Grund gelegt zur. Kenntnis der ſogenannten „gemiſchten Ameiſengeſell— ſchaften“. Das Verhältnis, das zwiſchen der Amazone (Polyergus rufescens) und der in demſelben Neſte lebenden Formica fusca herrſcht, geſtaltet ſich folgenderweiſe. Von den geraubten und heimgebrachten Larven und Puppen der fusca werden im gemiſchten Neſte nur Arbeiterinnen gezogen, Männ— chen und Weibchen nicht. Daher iſt im Polyergus- Neſte die ſchwarzgraue Ameiſe immer nur durch die Arbeiter- kaſte vertreten. Die beherrſchende Art, nämlich die Ama— zone, beſitzt dagegen alle drei Formen: Königinnen, Männ- chen und Arbeiter. Deshalb kann ſich in einer ſolchen „Raub— kolonie“ immer nur die Amazone durch Brut vermehren; die ſchwarzgraue Art wird ausſchließlich mittels Raub und immer nur in Larven- oder Puppenform eingebracht. Des— halb ſpricht man die letzteren in der Regel als „Sklaven“ an und nennt die Amazone eine „ſklavenhaltende Art“. Sklaven im menſchlichen Sinne des Wortes ſind nun die kusca-Arbeiter allerdings nicht; denn ſie haben volle Frei— heit, tun alles nach eigenem Ermeſſen, gehen aus und ein, ohne irgendwelchen Zwang. Sie machen es ganz ſo, als wenn ſie ſich in ihrem eigenen Neſte entwickelt hätten; da ſie keine anderen Königinnen und keine andere Eierbrut kennen als die der Amazone, ſo nähren und pflegen ſie dieſe genau ſo, wie ſie es mit den Angehörigen ihrer eigenen Art tun würden. Die Amazonenameiſe hat ſich dagegen infolge ihres Raub— weſens mit der Zeit zu einer beinahe paraſitiſchen Art degradiert. Sie iſt eigentlich ganz unbehilflich und von ihren „Sklaven“ abhängig geworden. Ihre Arbeiterkaſte ar— e beitet zu Hauſe abſolut nichts. Sie geht keine Nahrung nach; ja, die Mundteile ſogar ihrer Arbeiter haben ſich ſo ſehr umgewandelt, daß ſie von ſelbſt gar keine Nah— rung zu ſich nehmen können. Sperrt man ſie allein in den Zwinger, ſo ſterben ſie Hungers, auch wenn ſie die beſte Nah— rung (Honig u. dgl.) vor ſich liegen haben. Sperrt man jedoch ihre Sklaven zu ihnen ein, ſo bleiben ſie am Leben, weil, wie man beobachten kann, die Sklaven ihren Mund an den Mund der Amazonenarbeiter anlegen und dieſen ſo die Nahrung fertig übergeben. Es iſt eigentlich ein trauriges Bild, das man da vor ſich hat: Arbeiter, die nicht mehr arbeiten, ſondern nur rauben können. Das Raubleben führt zur Arbeitſcheu, dieſe zum Schmarotzertum und dieſes zum Verluſte der vielſeitigen Intelligenz — zur vollkommenen Unbehilflichkeit. Wir werden dieſe Stufe ſogleich noch weiter abwärts verfolgen — in Ameiſenkreiſen geht es nicht anders zu als in Menſchenkreiſen. Nur einer einzigen Betätigung der Lebensenergie iſt die nicht arbeitende „Arbeiterkaſte“ von Polyergus rufescens fähig: nämlich des Puppenraubes, der jährlich im Som— mer, und zwar immer in den Nachmittagsſtunden, meiſtens mehrere Tage nacheinander ausgeführt wird. Ihre langen, großen Kiefer benützt die Amazone nur bei ſolchen Gelegen— heiten; Wacht- und eigentlicher Soldatendienſt ſind ihr fremd. Iſt ein Amazonenzug unterwegs, ſo kann man den Finger in ihre Mitte ſtecken, ohne gebiſſen zu werden: ſie weichen einfach aus. Die Amazone raubt als Sklaven nicht nur Formica fusca, ſondern auch F. rufibarbis, mitunter ſind dieſe beiden Arten als Sklaven in demſelben Amazonenneſt vorhanden und bilden eine dreifach gemiſchte Kolonie. Wir haben in Mitteleuropa noch eine zweite Puppen raubende Art, die ſchon Huber als Sklavenhälterin erkannt hat: es iſt dies die blutrote Raubameiſe (Formica sanguinea), die dieſen Namen erhielt, weil an ihr die rote Färbung ausgebreiteter und lebhafter blutrot iſt als bei den anderen Arten dieſer Gattung. Auch an den Füßen herrſcht zum Teil die rote Farbe. Dieſe Raubameiſe führt aber ein ganz anderes Leben als die Amazone; ſie iſt nämlich nicht unbedingt auf „Sklaven“ angewieſen, vermag ſelbſt zu ar— beiten, geht ſelbſt auf Nahrung aus und verrichtet auch Ar— beiten des Haushaltes. Sie hält ſich Sklaven als Hilfs— BR arbeiter in größerer oder geringerer Zahl, je nachdem fie deren bedarf. Wasmann fand, daß, je mehr Sklaven in ihren Neſtern ſind, deſto ärmer die herrſchende Art an Indi— viduen iſt. Es gibt ſehr ſtarke, individuenreiche Kolonien der blutroten Ameiſe, und in ſolchen ſind verhältnismäßig wenig Sklaven vorhanden oder — in ſeltenen Fällen — gar keine. In anderen Kolonien gibt es verhältnismäßig wenige Ar— beiter der herrſchenden Art, dann aber um ſo mehr Sklaven. Es iſt merkwürdig, daß die blutrote Ameiſe dieſelben Arten als Sklaven hält wie die Amazone: in erſter Linie die Formica fusca, in zweiter die F. rufibarbis, mitunter auch F. pratensis. Dieſe ſcheinen in der Ameiſenwelt dasſelbe Los zu haben, das in der menſchlichen Welt lange Zeit den Negern zugewieſen war. Die Raubzüge der blutroten Ameiſe geſtalten ſich weſentlich anders als die der Amazone. Schon die Zeit der Expedition iſt verſchieden, weil ſie bereits vormittags auf Puppenraub ausgeht. Ihr Heer zieht nicht auf ein— mal in geſchloſſenem Zuge aus; es geht zuerſt eine kleine Gruppe zu dem zu beraubenden Neſte und bleibt einſt— weilen dort ſtehen. Dann laufen Boten nach Hauſe, die neue Kämpfer holen. Auch die Inſaſſen des belagerten Neſtes be— nehmen ſich jetzt ganz anders als den Amazonen gegenüber. Sie treten aus dem Neſte heraus und greifen anfangs die Belagerer an. Wenn nach und nach immer mehr Raub— truppen anlangen, treten auch die Belagerten in immer größeren Mengen aus dem Bau, bis beinahe alle Verteidiger oben auf ihm verſammelt ſind. Die Räuber vergleichen nun ihr Heer mit jenem der F. kusca, und wenn ihre Truppen durch die nachgezogenen Abteilungen ſchon dermaßen verſtärkt ſind, daß ihr Sieg gewiß erſcheint, ſo greifen ſie mit aller Gewalt an. Inzwiſchen hat aber die bedrohte ſchwarzgraue Art ſo viele Larven und Puppen, als ihre Arbeiterſchaft tragen kann, auf der den Angreifern entgegengeſetzten Seite des Hügels verſammelt, wohin ſich auch die jungen Weibchen begeben. So— bald der Angriff tatſächlich beginnt, flüchten ſie mit dem rett— baren Gute in entgegengeſetzter Richtung und gründen ſich ein anderes Neſt, wohl wiſſend, daß die blutrote Art, ganz anders als die Amazone, ſich nicht mit dem Plünderangriffe begnügt, ſondern den eroberten Bau meiſtens in ihrer Macht behält. Die Räuber dringen tatſächlich ein und bemächtigen ſich des N Brutreſtes, der nicht gerettet werden konnte. Sie ſiedeln ſich ſehr oft in der eroberten Stadt an und bringen aus ihrem eigenen Neſte ihre Brut und ihre Sklaven herüber. Die blutrote Ameiſe liebt hauptſächlich tieriſche Koſt und jagt auf Inſekten; die Blattlauswirtſchaft überläßt ſie ihren Sklaven. Ihr Sklavenraub dürfte daher rühren, daß gerade ihre Neſter von einem gefährlichen Gaſte, einem Käfer aus der Familie der Kurzflügler, zum Standort gewählt und ihre Bruten von dieſem Eindringling teilweiſe vernichtet werden, wodurch ihre Kolonien dann wirklich fremde Hilfsarbeiter be— nötigen. Über dieſen heimtückiſchen Feind (Lomechusa stru— mosa) werde ich noch ausführlicher berichten. Wasmann glaubt, daß die Amazone (Polyergus rufes— cens) von der blutroten Ameiſe abſtammt. In Europa iſt die Gattung Polyergus von der F. sanguinea allerdings bedeutend verſchieden, es gibt aber in Nordamerika zwei Polyergus- Formen (breviceps und bicolor), die den Übergang zu der (auch in Amerika heimiſchen) blutroten Ameiſe vermitteln. Die blutrote Ameiſe hat alſo ihre eigene Arbeitsfähigkeit neben ihren Sklaven behalten. Die Amazone dagegen hat ſich ſchon zu einer ausſchließlichen Sklavenhälterin degradiert und iſt nicht mehr fähig, ihr Leben ſelbſt zu erhalten. Von dieſem Zuſtande zum eigentlichen ſozialen Paraſitismus ſind nur noch zwei Schritte übrig, und dieſe haben einige Gat— tungen der Knotenameiſen zurückgelegt. Unter den Myr— miciden befindet ſich nämlich die Gattung der Säbel— ameiſen (Strongylognathus), ſo genannt, weil ihre langen Kiefer die Form von zwei krummen, gekreuzten Säbeln ange— nommen haben. Dieſe Gattung iſt, gerade infolge dieſer Kiefer— form, ebenſo unfähig, ſich ſelbſt zu ernähren, wie die Ama— zonenameiſe. Die in Mitteleuropa lebende Art (Str. testaceus) lebt ſchmarotzend in den Neſtern der Raſenameiſe (Tetra- morium), aber ihre Zahl iſt verhältnismäßig ſo gering, daß ſie es nicht mehr wagen kann, Raubzüge zu veranſtalten, ob— wohl ſie noch eine Arbeiterkaſte hat. Sie muß ſich alſo auf irgendeine Art zu den Raſenameiſen einſchmuggeln. Noch tiefer ſank die Knotenameiſenart Anergates atra- tulus, die ebenfalls bei der Raſenameiſe ſchmarotzt und ihre Arbeiterkaſte ſchon vollkommen verloren hat. Bei ihr gibt es nur noch Weibchen und Männchen; und die letzteren ſind ſo verkümmert, daß fie gar keine Flügel beſitzen, ja kaum noch zu kriechen imſtande ſind. Dieſe Jammermännchen ſehen eher Puppen als entwickelten Ameiſenmännchen ähnlich und paaren ſich im Neſte. Anergates atratulus iſt alſo ſchon in eine wirk— liche ſozialle Schmarotzerei verſunken; fie vertritt die niedrigſte und elendeſte Stufe des ganzen Ameiſentums. Wir ſehen hier die ganze Stufenfolge der Dekadenz der Lebensenergie: bei der blutroten Ameiſe beginnt die Sklaverei; bei der Amazone hat das Sklavenhalten bereits die teilweiſe Unbehilflichkeit der herrſchenden Art herbeigeführt; bei der Säbelameiſe hört auch der Sklavenraub auf; bei Anergates verſchwindet die Arbeiterkaſte, und das männliche Geſchlecht verkümmert zu einer Jammergeſtalt. Die letztere Art iſt übri— gens ſchon recht ſelten und wird mit der Zeit wahrſcheinlich ausſterben. Denn die Arbeit iſt das entwickelnde, das erhebende Prinzip des Lebens! Von den gemiſchten Kolonien unterſcheiden wir die „zu— ſammengeſetzten Neſter“. In dieſen leben zwei oder drei Ameiſenarten örtlich zuſammen, aber dennoch nicht in gemein— ſamer Haushaltung. Als ich z. B. von der Diebsameiſe ſprach, erwähnte ich, daß ſie ihre Gänge gerne zwiſchen denen grö— ßerer Arten miniert, jedoch ſo, daß die beiderſeitigen Gänge nicht gemeinſam ſind. Auch kommt es nicht ſelten vor, daß zwei Königinnen verſchiedener Art ihre Kolonien unter dem— ſelben Steine gründen. Wenn ſpäter die zwei Familien wachſen, greifen oft die beiden Neſter ineinander über; aber beide Arten hüten ſich, tatſächlich in die fremden Gänge und Kammern einzudringen, und laſſen eine Zwiſchenwand, die mit— unter nur ½¼ cm ſtark iſt, unberührt. Ameiſen beziehen in Tropenländern oft Termitenbauten, und es wohnen in ſolchen manchmal mehrere Arten beiſammen, aber räumlich doch ſo weit geſchieden, daß ihre Haushaltungen geſondert bleiben. Ja, nicht ſelten bleibt ſogar noch die betreffende Termitenart als dritte im Bunde ebenfalls im Bau. Ameilengälte. Inſekten dringen überall ein, wo es überhaupt etwas von organiſcher Herkunft gibt, gleichviel ob Lebendes oder Totes. Es wäre daher wirklich merkwürdig, wenn es keine ſolchen Arten gäbe, die ihren Teil aus dem Haushalte der Ameiſen zu gewinnen ſuchten. en Allerdings find die Ameiſen ein „genus irritabile“ — ein recht nervöſes und leicht zu erzürnendes Geſchlecht. Auch die Bienen ſind nicht gerade lammfromm, wenn fremde Ge— ſchöpfe in ihre Wohnungen eindringen. Dennoch gibt es In— ſekten, die ebenſowohl zu den Bienen wie zu den Ameiſen ſich hineinwagen. Die Ameiſen beherbergen ſogar Hunderte von ehrlichen wie von verdächtigen und bösgeſinnten Gäſten allerlei Ge— lichters, deren größter Teil auf Koſten dieſer fleißigen Ge— ſchöpfe zu leben weiß. Die Ameiſengäſte ſind beſonders in der letzten Zeit ein Gegenſtand aufmerkſamer Beobachtungen geworden. Die mei— ſten auf ſie bezüglichen Daten hat Erich Wasmann ge— ſammelt und in ſeinen verdienſtvollen Arbeiten veröffentlicht. Es gibt Inſekten, die, obwohl keine eigentlichen Ameiſen— gäſte, doch ganz dreiſt unmittelbar bei den Mündungen der Ameiſenneſter, inmitten des ab- und zugehenden ſozialen Volkes, leben. Da findet man z. B. Laufkäfer aus den Gattungen Ophonus und Harpalus (O. griseus, H. smaragdinus, servus u. a.), dann Opatrum-Arten, ferner Pedinus femoralis, die unter den Blattroſetten der Königskerze, ſowie der Gattungen Echium (Natterkopf) und Anchusa (Ochſenzunge), von den ebenfalls darunter wohnenden Ameiſen förmlich umringt, ganz ruhig ihren Tagesſchlaf halten. Wenn ſich die betreffenden Ameiſen ſo gut an die unmittelbare Nähe dieſer Käfer ge— wöhnt haben, dürften ſich letztere wohl auch in den eigent— lichen Bau hineinwagen. Tatſächlich iſt es ſchon von einigen Käfern der Opatrum-Verwandtſchaftsgruppe erwieſen, daß ſie in Ameiſenneſtern nicht bloß im entwickelten, ſondern auch im Larvenzuſtande leben. Es ſcheint, daß die Ameiſen die frem— den Inſekten nach dem Geruche als Freund oder Feind taxieren. Iſt es alſo einem Käfer gelungen, bei der Mündung des Neſtes geduldet zu werden, ſo wird er wohl auch den Geruch der über und neben ihm hin und her laufenden Ameiſen, alſo deren „Neſtgeruch“, aufgenommen haben; und iſt er einmal auf dieſe Weiſe „geſalbt“, dann iſt er meiſtens auch genügend verkleidet, um im Heiligtum des Sechsbeiner— ſtaates einen Beſuch wagen zu dürfen. Gar oft ſind dieſe ge— duldeten, durch den Ameiſengeruch verkappten Eindringlinge durchaus nicht harmloſer Natur, ſondern Diebe, Räuber und Mörder. Offenbar ſind alſo die Ameiſen in ſolcher Hinſicht oft EI N allzu ſorglos; jo zwar, daß ihre Toleranz den Anſchein von Blödigkeit hat. Übrigens finden wir ja Ähnliches auch unter uns Menſchen, die wir doch viel geſcheiter und gebildeter ſind als die ſechsfüßigen Bürger der unterirdiſchen Sozietäten. Gibt es denn in unſeren Gemeinden nicht Spitzbuben, die, obwohl in voller Lebenskraft, weder arbeiten noch lernen noch lehren, die niemand als ſich ſelber Gutes erweiſen, die durch Lug und Trug, Wucher, Diebſtahl und allerlei Schlechtigkeiten rechtſchaffenen Leuten ihr mühevoll verdientes Vermögen weg— raffen und dennoch geduldet werden? — Geduldet? — Nein; nicht bloß geduldet; — ſie wiſſen ſich ſo zu drehen und zu wenden, dieſe menſchlichen Ameiſengäſte, daß ſie ſogar mit lauter Stimme den Schutz der Geſetze für ſich reklamieren können. Richten wir alſo nicht, damit wir nicht gerichtet werden, denn die Dummheit iſt kein ausſchließliches Privi— legium der Tierwelt. Soviel dürfen wir jedenfalls beſtätigen, daß die Ameiſen, obwohl ſie Salomo für weiſer hielt als die Weiſen, in dieſer Richtung nicht weiter gekommen ſind als die ober— irdiſche Art: Homo sapiens. In manchen anderen Dingen haben ſie uns aber hinter ſich gelaſſen. Etwa die Hälfte der Ameiſengäſte des gemäßigten Europas gehört zu den Kurzflüglern oder Staphyliniden. Dieſe Käfer, die nur kurze, verkümmerte Flügeldecken haben, unter denen ſie im Ruhezuſtand die eigentlichen Flügel (wenn ſie ſolche haben) zuſammengefaltet halten, ſind ſchon durch ihren Körperbau beſonders dazu befähigt, in den Ameiſengängen behend herumzulaufen. Ihr Körper iſt nämlich ſchmal, lang— geſtreckt, und den Hinterleib können ſie aalartig krümmen und winden. Natürlich ſind nicht alle Staphyliniden Ameiſen— freunde, und unter denen, die ſich in Ameiſenbauten aufzu— halten pflegen, ſind die meiſten teils unwillkommene, teils eben nur geduldete Eindringlinge. Nur zwei Gattungen der echten Staphyliniden, nämlich Lomechusa und Atemeles, ſind in Europa wirkliche, willkommene Ameiſengäſte. Dieſe zwei Gattungen haben ſich der Ameiſennatur ſo angepaßt, daß ſie wie verzogene Kinder gekoſt und ſchon in ihren Jugendſtadien verhätſchelt werden. Das vergelten dieſe heimtückiſchen Strolche dadurch, daß ſie, namentlich als Larven, die Eier und Larven ihrer Gaſtgeber maſſenhaft vertilgen. Die Lomechusa stru- mosa F. (Abb. 47) mietet ſich beinahe immer nur bei der blutroten Raubameiſe (Formica sanguinea) ein. — Es Sajö, Krieg und Frieden im Ameiſenſtaat. 7 a ee fragt ſich nun, wodurch dieſe Ameiſe bewogen wird, den un— dankbaren Gaſt zu beherbergen und zu pflegen. — Die Sache verhält ſich jo: Lomechusa strumosa hat gelbliche Haarbüſchel, die irgendeinen, den Ameiſen beſonders angenehm riechenden und ſchmeckenden narkotiſchen Stoff ausſcheiden. Dieſe Haarbüſchel haben der blutroten Ameiſe gegenüber eine unwiderſteh— liche Anziehungskraft. Mit lebhafter Gier beſchnuppert und beleckt ſie dieſe An— hängſel, mit denen die Lomechusa das Wohlwollen ihrer unvorſichtigen und leichtſinnigen Gaſt— geber ködert. Auch die Larven von Lomechusa werden von den Ameiſen fleißig und reichlich gefüttert und gekoſt. Wahr— ſcheinlich beſitzen auch ſie einen anziehenden Geruch, weil ihnen die Ameiſen noch mehr Sorgfalt widmen als den Larven ihrer eigenen Art, obwohl jene überaus gefährliche Feinde der rechtmäßigen Bewohner ſind; ſie vertilgen nämlich die Ameiſen— eier und Aarven mit unerſättlicher Gier. Entweder deshalb, weil die Ameiſen wegen der Lomechusa- Larven ihre eigene Brut vernachläſſigen, oder vielleicht auch deshalb, weil der narkotiſche Stoff ihre Lebensenergie ändert, ſcheint dieſe Gaſtfreundſchaft den Gaſtgebern verhängnisvoll zu werden. Wasmann verſichert, daß in ſolchen Ameiſen— geſellſchaften, wo die Lomechuſen überhandnehmen, die Ge— noſſenſchaft ſich vermindert, gegebenenfalls auch eingeht, indem anſtatt vollkommener Weibchen die ſogenannten „Pſeudogynen“ (Scheinweibchen) überhandnehmen. Daß die Art Lomechusa strumosa hauptſächlich nur bei der blutroten Waldameiſe ihr Glück macht, beweiſt, daß andere Ameiſen ſich zu ſolcher Abirrung durch die parfümierten Ver— führer nicht verleiten laſſen. Tatſächlich ſcheinen andere For— miciden wenigſtens dieſem Eindringling feindlich geſinnt zu ſein. Es taucht nun die Frage auf, wie es kommt, daß Formica sanguinea überhaupt noch nicht von der Lebensbühne der Natur verſchwunden iſt. Merkwürdigerweiſe verdankt ſie dies dem Umſtande, daß ſie nicht weiß, was dem Eindring— ling nützlich und ſchädlich iſt. Sie nährt und pflegt zwar die Lomechusa-Larven mit der größten Sorgfalt, und während dieſer Zeit geht es den Kuckuckskindern ausgezeichnet gut. Wenn aber die Verpuppung der letzteren eingetreten iſt, jo kommen ſchwere Zeiten über jie. Nicht als ob die Ameiſen ſich nicht um ſie kümmerten, im Gegenteil: die Gefahr für die Schmarotzer beſteht darin, daß die Ameiſen die Lomechusa- Puppen ebenſo behandeln wie ihre eigenen. Wir haben ſchon erzählt, daß ſie ihre Puppen nicht an einer Stelle liegen laſſen, ſondern je nach der Witterung auf- und abwärts ſchleppen. Dies können nun die Lomechusa- Puppen nicht vertragen. Sie haben nur einen zarten, loſe geſponnenen Kokon, der teilweiſe der Erde angeklebt iſt. Packen alſo die Ameiſen den Kokon, um ihn hinaufzutragen, ſo zer— reißen ſie ihn auch meiſtens; und wird die Käferpuppe hin— und hergetragen oder gar oben gelüftet, ſo ſchrumpft ſie zu— ſammen und geht zugrunde. Luft- und Sonnenkur iſt nicht für ſie erfunden worden. Nur ſolche Lomechusa-Puppen bleiben lebensfähig, die ſehr verborgen in einem wenig beſuchten Winkel liegen und von den Ameiſen nicht bemerkt werden. Wenn alſo die blutrote Ameiſe gewahr würde, daß ſie den Gaſtpuppen mit ihrer übermäßigen Sorgfalt ſchadet, bezw. wenn ſie die Puppen ruhen ließe, jo würde ſich Lomechusa strumosa übermäßig vermehren; es iſt ſogar möglich, daß ſie die Art Formica rufa ausrotten würde. Es iſt nicht ausge— ſchloſſen, daß hin und wieder einige Ameiſenkolonien die Gaſt— puppen ungeſtört liegen laſſen; wenn ſolches vorkommt, ſind ſie aber wahrſcheinlich dem Untergange geweiht. Für die blut— rote Ameiſe bleiben alſo nur zwei Exiſtenzmöglichkeiten offen: entweder den Lockungen der wohlriechenden und pikanten Aus— ſcheidungen ihrer Gäſte zu widerſtehen oder deren Puppen mit einer Art Affenliebe größtenteils zugrunde zu richten. Ich habe ſchon erwähnt, daß ſich die Formica sanguinea wahrſcheinlich deshalb auf Sklavenraub verlegt hat, damit ſie den durch ihre verhängnisvollen Gäſte verurſachten Verluſt erſetzt. Es ſcheint alſo, daß ihre Unfähigkeit, den gefährlichen Lockungen zu widerſtehen, den Anfang der Sklaverei eingeleitet hat. Wie dieſes Sklavenhalten im Laufe der Zeiten bei ge— wiſſen Formen bis zur vollkommenen Dekadenz geführt hat, haben wir im vorigen Abſchnitt geſehen. Bei dieſem Schauſpiel werde ich unwillkürlich an gewiſſe menſchliche Erſcheinungen erinnert. Die verführeriſchen Lome— chuſen erinnern mich nämlich an die menſchlichen Opium, Abſinthverkäufer u. dgl., dann an Haſardſpielhöllen-Wirte, Schmutzjournaliſten uſw., die mit allen möglichen Kniffen und „„ Überliſtungen am körperlichen und geiſtigen Untergange der Menſchengemeinde, innerhalb deren ſie geduldet werden, ar— beiten. Durch ihre Lockmittel verderben und ſchwächen ſie nicht bloß unmittelbar ihre leichtſinnigen Mitbewohner, ſondern mittelbar auch deren Nachkommenſchaft. Freilich hinkt der Ver— gleich: denn die Lomechusa weiß ja nicht, was ſie anſtellt; und das winzige Gehirn der Ameiſen iſt auch nicht ſo be— ſchaffen, daß ſie wüßten, welche Gefahr ihrer Nach— kommenſchaft droht, wenn ſie den lockenden Reizen nicht wider— ſtehen. Die Opium- und Abſinthverkäufer wiſſen aber ſehr gut, wie teufliſch niederträchtig ihr Geſchäft iſt; auch der Schmutzliterat, der Spalten mit abſcheulichen Dingen füllt, weiß ganz genau, wie er Geiſt und Gemüt ſeiner Leſer ver— dirbt und wie er ſie von beſſerer und ernſterer Lektüre ab— wendet. Auch die Morphiniſten und Säufer wiſſen, daß ihre Leidenſchaft ſie und ihre Nachkommen dem Verderben preisgibt; und die Leſer, die die kurze und koſtbare Zeit ihres Lebens mit Leſen von Produkten der kotigen Preſſe vergeuden, wiſſen ebenfalls, daß es höhere und edlere geiſtige Genüſſe gibt. Das iſt der große Unterſchied! Die andere, als echter Ameiſengaſt lebende Staphy— linidengattung, nämlich Atemeles, führt eine weſentlich ver— ſchiedene Lebensweiſe. Sie iſt nämlich zweiwirtig. Das heißt: ſie legt ihre Eier in Neſtern von Formica-Arten ab, wo ſie auch im Larven- und Puppenſtadium lebt. Wenn aber die jungen Käfer aus den Puppen kriechen, ſo wandern ſie in ein Neſt der Gattung Myrmica, alſo einer Knotenameiſe, hin— über und bleiben dort, bis ihre Brutzeit wieder eintritt. Was— mann hat, wohl mit Recht, die Urſache dieſes Wirtewechſels dadurch erklärt, daß die Myrmica-Gattung nackte Puppen hat, d. h. bei ihr verſpinnen ſich die Larven behufs Verpuppung nicht in Kokons. Da alſo die Myrmica-Puppen durch kein Geſpinſt geſchützt ſind, wären ſie ſehr gefährdet, wenn im Frühjahre und Vorſommer die Atemeles-Larven dort wären und dann natürlich unter den nackten Puppen große Ver— heerungen anrichten würden. Durch dieſes Wandern wird alſo die Myrmica-Brut geſchont. Die Atemeles-Arten haben ebenfalls Haarbüſchel an den Seiten des Hinterleibes und verfügen über ähnliche Lockſtoffe wie Lomechusa. N Die übrigen Staphyliniden ſind den Ameiſen keine will⸗ kommenen Gäſte. Teils ſind ſie nur geduldet, teils werden ſie ſogar verfolgt. Sie halten ſich daher im Baue verſteckt 55 auf und ſuchen nur dann Nahrung, wenn an der betreffenden Stelle gerade keine Ameiſen beſchäftigt ſind. Das gilt übrigens auch von den meiſten übrigen Käfern, die ſich in Ameiſen— bauten aufzuhalten pflegen. N Nur die kleinwüchſigen Keulenkäfer (Abb. 48) der Gattung Claviger bieten den Ameiſen ähnliche Reiz- und Genußmittel wie Lomechusa und Atemeles, weshalb ſie nicht bloß geduldete, ſondern beliebte, gepflegte und ge— nährte Mitbürger ſind, ob = wohl auch ſie die Gaſtfreund- >> - Ihaft damit belohnen, daß Abb. 48. ſie die Larven und Puppen ihrer Gaſtgeber verzehren. Die Claviger-Gattung wohnt bei— nahe immer nur bei der Ameiſengattung Lasius und iſt in Mitteleuropa hauptſächlich durch die kleine, rötlichgelbe Art: Cl. testaceus vertreten. Die Zahl der mit den Ameiſen irgendwie in Zuſammen— hang ſtehenden Inſekten iſt ſehr groß; diejenigen, die in Ameiſenkolonien vorkommen und teils willkommene, teils geduldete oder auch mißliebige Gäſte ſind, weiſen über tauſend Arten auf. Man erkennt aber von Jahr zu Jahr mehr ſolcher Arten, beſonders in exotiſchen Ländern, und es iſt vorauszuſehen, daß in dieſe Statiſtik binnen verhältnismäßig kurzer Zeit über 2000 Arten eingereiht ſein werden. Man nennt fie die „myrmekophilen Inſekten“. Außerdem gibt es natürlich noch eine kaum zu bewältigende Menge ſolcher Inſekten, auf welche die Ameiſen Jagd machen. Es iſt intereſſant, daß es bei Ameiſen ſogar Motten gibt, die eine ähnliche Rolle ſpielen wie bei den Bienen die berüchtigte Wachsmotte, deren Raupen die Wachs— bauten zerſtören. Die Ameiſen bauen nicht aus Wachs, wohl aber manche aus Kartonmaſſe. Dr. Gottfr. Hag— mann beobachtete in Braſilien die Ameiſe Dolichoderus gibboso-analis For., die aus Papiermaſſe frei an Bäumen hängende Neſter verfertigt. In dieſe ſchmuggeln ſich die Räupchen einer weinrot gefärbten Motte ein und halten ſich in muſchelförmigen, geſchloſſenen Gehäuſen auf, die ſie aus der Ameiſenpapiermaſſe herſtellen; dieſer Karton dient ihnen auch als Nahrung. Wenn die Motte aus der Puppe kommt, 5 hat ſie noch unentwickelte Flügel und muß jedenfalls raſch ins Freie flüchten. Sie iſt in dieſem Stadium über und über mit goldig ſchimmernden, nur loſe haftenden, langen Haaren bedeckt, die ſogleich abfallen, wenn ſie ins Freie gelangt iſt und ihre weinroten Flügel entfaltet. Die Haare dienen ihr offenbar als Schutz während ihrer Flucht; die ſie verfolgen— den Ameiſen packen natürlich zunächſt dieſe loſen Haare, die ihnen aber im Munde bleiben, während die verfolgte Motte entweicht. Sie wurde 1905 durch Hampſon Pachypodistes Goeldii genannt. | Es gibt nicht nur myrmekophile Inſekten, ſondern auch Spinnen, Milben und ſogar Aſſeln, die in Ameiſen— bauten wohnen. Schluhwort. Man hat viel darüber geſtritten und geſchrieben, ob die Ameiſen Intelligenz beſitzen, ob ſie imſtande ſind, zu denken, zu überlegen, oder ob ſie nur als Reflexmaſchinen arbeiten, ohne die Fähigkeit des Denkens, der Überlegung, der Er— innerung uſw. Es iſt aber ziemlich gleichgültig, mit welchen Namen man die Offenbarungen der Nerventätigkeit der Ameiſen an— ſpricht. Der Name ändert nichts an den Tatſachen. Wir haben in den hier ſkizzierten Bildern eine Reihe hervorragender Ergebniſſe der Nervenarbeit im Ameiſentum angeführt; möge ſie jeder in jene Kategorie einreihen, die ihm beliebt — oder aber ſich vom Prokruſtesbett der pſycho— logiſchen Syſtematik überhaupt fernhalten. Das menſchliche Kind iſt in den erſten Tagen ſeines Lebens noch kein überlegendes, denkendes Geſchöpf, ſondern wirklich nur eine Art Reflexmaſchine. Nach und nach klimmt ſeine Nerventätigkeit in die pſychiſchen Sphären der Intelli— genz empor. Wer wäre imſtande, die Grenze, d. h. den Tag oder die Stunde anzugeben, wo das Überlegen beginnt? Der Übergang ſelbſt iſt unmerkbar; es gibt zunächſt nur einzelne Augenblicke, in denen — zwiſchen den Erſcheinungen der reinen Reflexvorgänge — die erſten Funken der höheren Geiſtestätigkeit erglimmen: anfangs ſelten, ſpäter immer häu— figer. In der Tierwelt geht es ebenſo; es gibt keine ſcharfen Grenzen. Die Natur läßt ſich nicht ſchablonenartig zerſchneiden und in künſtlich vorgerichtete, getrennte Fächer einlegen. ne 1 Deshalb wollen wir dieſe Streitfragen über Reflex— mechanismus, Inſtinkt, Intelligenz u. dgl. dahingeſtellt ſein laſſen. Das Ameiſenleben regt uns aber zu anderen, weit wichtigeren Betrachtungen an. Ihre ſozialen Erſcheinungen erinnern unbeſtreitbar viel— fach an die der Menſchheit. Aber der Unterſchied iſt dennoch rieſig groß! Die Ameiſen, wie die ſtaatlich lebenden Inſekten überhaupt, haben es nämlich fertig gebracht, den Kampf ums Daſein aus ihren Geſellſchaften zu ver- bannen: den Kampf ums Daſein, der in der menſch— lichen Geſellſchaft noch immer wütet und Urſache des meiſten Jammers und Elendes iſt. Obwohl die Natur uns Menſchen bereits die geiſtige Macht gegeben hat, unſer Schickſal in ſchönere, höhere, glücklichere Sphären zu leiten, ſind wir noch immer dem Kampfe aller gegen alle, alſo der natürlichen Zuchtwahl, preisgegeben, die, wie wir täglich ſehen, für höhere Zwecke blind iſt und im Men— ſchentum zumeiſt der unedlen Schlacke die Macht erteilt, womit dieſer minderwertige Abſchaum die wirklich edleren Naturen unterdrückt und ihnen ſelten erlaubt, zur Geltung zu gelangen. Der Kampf ums Daſein herrſcht allerdings noch zwiſchen den verſchiedenen Ameiſenkolonien; das kleine Ameiſengehirn war noch nicht imſtande, ihn aus ihren internationalen Beziehungen auszuſchalten; aber vollkommen verſchwun— den iſt er aus dem inneren Leben jeder einzelnen Kolonie, auch wenn dieſe Hunderttauſende oder — wie in manchen Rieſenanſiedelungen — Millionen Köpfe zählt. Jedes Individuum iſt allen übrigen wohlwollend geſinnt, keines will die übrigen überliſten, übervorteilen, alle ſind frei und vor unwürdigen Übergriffen ihrer Mitbürger vollkommen geſichert. Wie ſie das zuſtande brachten, iſt uns ein unlös— bares Rätſel. Nicht unwichtig iſt der Umſtand, daß ſie der grenzenloſen Vermehrung Schranken geſetzt haben. Sie be— ſtimmen die Größen ihrer Bruten: ſie ziehen nur ſo viele Larven groß, als die zur Verfügung ſtehende Nah— rung erlaubt. Das ſtumpft gewiß ſchon an und für ſich den Stachel des grimmigen Kampfes ums Daſein ab. Daß aber alle ſo fleißig, ſo arbeitſam, ſo gutmütig und friedlich ſind, dürfte kaum anders als mittels künſtlicher Zuchtwahl erreicht worden ſein. Es wird anfangs jedenfalls Stören— friede, Egoiſten, „überameiſen“, Spitzbuben und Faulenzer unter ihnen gegeben haben; die ſind aber aus den Staaten, — 0 e als das geſellſchaftliche Leben begann, allmählich ausgemerzt worden, und nur die guten Individuen wurden behalten. Daß dieſer Ausmerzungsprozeß gegen die Taugenichtſe ſtattgefunden hat, dafür ſpricht ein Überbleibjel davon im Bienenleben: die Vertreibung der Drohnen. Und nun noch etwas! Das Ameiſengehirn iſt verhältnis— mäßig ſehr klein; bei kleinen Ameiſen jogar mikroſkopiſch winzig. Das Gehirngewicht beträgt bei Ameiſen nur etwa den dreihundertſten Teil ihres Körpergewichtes, viel weniger als bei der Honigbiene, deren Gehirn 10 des Körpergewichtes erreicht. Und dennoch haben die Ameiſen offenbar eine höhere Intelligenz erreicht als die Bienen, wahrſcheinlich des— halb, weil bei ihnen das ſtaatliche Leben viel früher begonnen hat. Unſtreitig hat ſich alſo die Leiſtungsfähigkeit der Ameiſen— nerven (verglichen mit der geringen Menge der Gehirnmaſſe) bis zu einem Grade potenziert, der in der ganzen irdiſchen Schöpfung kaum ſeinesgleichen hat. Das verheißt uns eine unglaubliche Geiſteshöhe für die ferne Zukunft. Denn unſer Gehirn iſt millionenmal größer als das einer kleinen Ameiſe. Wie unendlich hoch kann ein ſo rieſiges Nervenzentrum ſeine Leiſtungsfähigkeit ſteigern! Wir ſind gewiß erſt am Anfange unſerer geiſtigen Geſchichte; Unglaubliches ſteht unſerem Ge— ſchlechte bevor. Bedenken wir, daß Ameiſenſtaaten ſchon viele Millionen Jahre beſtanden und ſich vervollkommneten, als der Menſch noch immer nicht erſchienen war. Gut Ding braucht aber Zeit; und unſer Gehirn kann ſich auch nur langſam, allmählich entfalten wie eine Roſenknoſpe. Wer die Knoſpe gewalttätig entfaltet, verdirbt die Blüte; wer ſein Gehirn individuell überſpannt, richtet es zugrunde. Wenn wir den normalen Werdegang der Entwicklung über— ſtürzen und die geiſtigen Früchte künftiger Zeitepochen heute vorausnehmen wollen, bleibt die Strafe gewiß nicht aus. Der Fortſchritt richtet ſich nach Aonen ein, nicht nach individuellen Lebensbahnen. Wohl allen, denen es gegeben iſt, ſich nicht nur der bis— herigen geiſtigen Errungenſchaften zu freuen, ſondern auch die Hoffnungen weit entfernter Zukunft, die wir ſelbſt nicht erleben werden, in Bildern der Vorſtellungskraft zu genießen! Dieſe glorreiche Verheißung für unſer Geſchlecht iſt viel— leicht das Schönſte, was uns das Studium des Ameiſenlebens zu bieten vermag. nal pn a BA u rl Wr dr Acacia spadicigera, sphae- rocephala 43. Agrikulturameiſen 29. Alter der Ameiſen 76. Amazonenameiſe — Polyer- gus rufescens 90—92, Ameiſenbrötchen 41, 44. Ameiſendroſſel 50. Ameiſengäſte 95—102. Ameiſenpflanzen 38. Ameiſenreis = Aristida 29. Anomma arcens 49. Authonomus grandis 47. Aphaenogaster barbara 15, 78 176, 88. — structor 15, 17. Aphis evonymi, papaveris 58. Aristida strieta, olygantha 29. Atemeles 97, 100, Atta-Arten 32, 33. Augen 71. Azteca Emeryi, Mülleri 39, Baumwollenſtrauch 46. Beltſche Körperchen 44. Blattſchneiderameiſen 32— 37. Blatt⸗ und Schildlauszucht 52—59, Bläulinge = Lycaena 55. Blutrote Raubameije= For- mica sanguinea 92,97—100, Brutpflege 77—81. Camponotus-Arten 64 Camponotus hereulaneus 63, — inflatus 66. — lateralis 63. — ligniperdus 63. — marginatus 63, — pubescens 63. — senex 59. — silvaticus 63. Ceeropia adenopus, peltata, sciodaphylla 39. Cladosporium myrmecophi- lum 51. Claviger testaceus 101, Coceinellidae 53. Colobopsis truncata 63—64, Cremastogaster seutellaris 28—63. — sordidula 28. Diebsameiſe —= Solenopsis fugax 23, 24, 82. Dinarda dentata 71. Dolichoderusgibboso-analis 101. — quadripunctatus 63, Drehkrankheit 66, Sachregister. Drüſenameiſen 6, 7, 26, 51—68. Eeiton 49, Eier 77. Eier (Ameiſeneier) als Ameiſennahrung 36. Eintracht der Ameiſen 68— 869. Ergatogyne Formen 73. Ernteameiſen 13—22. Eſpe 46. Euphorbia Gerardiana 65. Evonymus 58. Farnkräuter 47. Fleiſchnahrung d. Ameiſen 20. Formica einerea 88. — exsecta 65. — fusea 25, 65, 85, 89—93. — pratensis 65. — rufa 65, 66, 71, 85, 88. — rufibarbis 92. — sanguinea 92, 97—100. Formicidae 6, 7, 26, 51—68. Formikarien 89. Fühler 70. Fühlerſprache 70. Gehörſinn 70. Gemiſchte Kolonien 89—95. Geruchsſinn 70. Geſchlechtstiere 22, 72. Gigantiops destructor 72. Graue Ameiſe = Formica einerea 88. Größenverhältniſſe zwiſchen den Kaſten 73. Großköpfe 73—75. Hausameiſen 9, 11, 64, Hochzeitsflug 82—83. Holzameiſe = Lasius fuli- ginosus 51, 64, 65. Holzbauten 86. Honigameiſen 66—68. Honigtau 52. Hügelameiſe = Formica rufa 65, 66, 71, 85, 88. Hydnophytum formicarum 45 Hylotoma pagana, rosae ’ Jagdameiſen 48. Imbaubabäume 39, Kartonbauten 37. Kaſtenſyſtem 72—76, Keulenfäfer = Claviger 101. Kibara 59, Kirſchfliege 10. Knotenameiſen = Myrmiei- dae 6, 7, 8- 51. Kohlrabihäufchen der Pilz⸗ gärten 33, 37. Kurzflügler = Staphylinidae 97. Larven 78. Lasius alienus 25, 65, 73. — brunneus 73. — emarginatus 64. — flavus 58, 62, 63. — fuliginosus 51, 64, 65. — mixtus 73. — niger 25, 63, 65, 84. — umbratus 63. Läuferameiſen & Myrmeeo- eystus 65, 73. Lebensdauer 76. Liometopum mierocephalum 65. Lomechusa strumosa 94, 97100. Lycaena Argus, Dorylas 55. Männchen 22, 72—73, Marienkäferchen 53. Melkwirtſchaft 52. Mimikry 63, 64, 75, Miſchformen 73 Monomorium Pharaonis 11. Motte als Ameiſengaſt 102. Müllerſche Körperchen 41. Myristica 59. Myrmecoeystus cursor 65, 73. — horti-deorum 66. — melliger 66. Myrmecodia armata 45. Myrmekophile Inſekten — Ameiſengäſte 95 —102. Myrmica-Gattung 27, 73, 100. Myrmica rubida, rubra 25, 26. Myrmieidae 6, 7, 8-51, Myrmikarien 89, Nabelameiſe 28. Nadelgras — Aristida 29, Nektarien, ertraflorale — ertranuptiale 44, Neſtbau 83—88. Nomadenameiſe — Tapino- ma 85, Nützlichkeit der Ameiſen 10, 12, 54, 65 Oecophylla smaragdina 59. Paarung 81. Pachypodistes Goeldii 102 Papiermachébau 87—88. Paraſitismus, ſozialer 94. Pemphigus zeae-maydis 58. Pfaffentäppchen 58. Pflanzenſchutz d. Ameiſen 38. Pharaoameiſe 11. Pilzgärten 33—37, 51. Pilzſaatgut 35. Pilzzucht 33—37, 51. Plagiolepis pygmaea 63. Pogonomyrmex barbatus 29. Polyergus rufescens 90-92. Ponera contracta, puncta- tissima 7. Poneridae 6, 7. Pseudomyrma 43. Puppen 80—81. Rafenameife=Tetramorium 8—13, 87, 94. Rieſenkolonien 88. Rosa Banksiae, bracteata 46. Roſenblattweſpen 10, 46. Roßameiſen 63. Rozites gongylophora 34. Rußtau 52. Säbelameiſe — Strongylo- gnathus 94. Samenernte 13—22, 106 Sauba-Ameifen — Blatt⸗ ſchneiderameiſen 32—37. Schädlichkeit der Ameiſen 8, 9, 54. Schmarotzerei, ſoziale 95. Schuppenameiſen — Formi- cidae 6, 7, 26, 51—68. Schutzameiſen 40. Schwarzbraune Ameiſe — Lasius niger 25, 63, 65, 84. Schwarzgraue Ameiſe — Formica fusca 25, 65, 85, 89—93. Sehvermögen 71. Sklaven und Sklavenraub 89—94. Soldaten 7375. Solenopsis fugax 23, 24, 82. Sonnenſchirmameiſen 32. Spilographa cerasi 10. Sprache der Ameiſen 70. Springfüße bei Ameiſen 72. Stachelameiſen = Poneridae 8.9; Staphylinidae 97. Stechapparate 26. Strongylognathus testaceus 94 Stylogaster 50. Autorenregister. Tapinoma erraticum 85. Taſtſinn 70. Tetramorium caespitum 813, 87, 94. Tetraneura coerulescens 58 — rubra 58. — ulmi 56. Treiberameiſen 49. Türen, lebende 75. Almengallenlaus 56. Veilchen (Viola) 48. Verpuppung 81. Wachen 76. Weberameiſen 59. Weibchen 22, 72— 73. Wolfsmilch, Gerardiſche 65. Wurzelläuſe 55. Zikaden 54, 55. Zirpen = Zikaden. Zirpende Töne 72. Zuſammengeſetzte Neſter 95. Zwergameiſe 63. Zwinger für Ameiſen 89. Zwiſchenformen 73. (Die den Namen folgenden Notizen bedeuten den beſprochenen Gegenſtand.) Hlianus, Kl. — Ernteameiſen 21. André, E. — Samenernte der Raſenameiſe 13. — Gründung neuer Kolonien 82. Ariſtoteles. — Ernteameiſen 13. Belt, Th. — Pilzzucht 32, 33. — Ameiſen⸗ pflanzen 39. Bod 6, L. — Kartonbau 87. Delpino, F. — Ameiſenpflanzen 47. Doflein, F. — Weberameiſen 59. Forel, A. — Ernährung der Ameiſen mit ihren eigenen Eiern 37. — Rieſenkolonien 88. Göldi, E. — Gründung neuer Kolonien bei Atta sexdens 34—35. Gould, W. — Ernteameiſen 14. Hagmann, G. — Motte als Ameiſengaſt 101. Horaz. — Ernteameiſen 13. Huber, Jak. — Pilzzucht 33. — Gründung neuer Kolonien bei Atta sexdens 34, 35. — Ernährung mit ihren eigenen Eiern 36. Huber, P. — Samenernte 14. — Dreh: krankheit 66. — Sklavenraub 89. Janet. — Ernährung der Ameiſen mit ihren eigenen Eiern 37. Ihering. — Pilzſaatgut 34. Lagerheim. — Pilzzucht 51. Latreille, A. P. — Samenernte 14. Leſpes, Ch. — Ernteameiſen 15. Lincecum. — Agrikulturameiſen 29. Lubbock. — Lebensdauer 76-77. — Sam: meln der Blattlauseier 62. Lundſtröm, A. N. — Pflanzenſchutz der Ameiſen 46, Me Cook, H. Chr. — Agrikulturameiſen 29, — Aufnahme der Nahrung 19. Moggridge, J. T. — Bauten in Felſen 86. — Ernteameiſen 16. Möller, A. — Pilzgärten 33, 34. Mord wilko. — Blattlauszucht 58. — Sammeln der Blattlauseier 63. Müller, Fr. — Ameiſenpflanzen 39. Plautus. — Ernteameiſen 13. Plinius. — Ernteameiſen 13. Salomo. — Ernteameiſen 13. Schimper, A. F. W. — Ameiſenpflanzen 39. — Pilzzucht 33. Schulz, A. — Springfüße 72. Axküll⸗Güldenbandt. — pflanzen 47. Virgil. — Ernteameiſen 13. Wasmann, E. — Ameiſengäſte 96. — Rieſenkolonien 88. — Sehvermögen 71. — Wachen 76. — Zirpen der Ameiſen 72. — Zwiſchenformen (ergatogyne Formen) 73, Ameiſen⸗ Geistige Preiheit una praktischer Sinn sind die Hauptwaffen im Lebenskampf unserer Zeit, man erwirbt sie durch Haturerkenntnis! jo o Zum Beitritt in den „Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde“, laden wir alle Natur: und Bildungsfreunde jeden Standes, fowie alle Schulen, Volksbibliotheken, Vereine usw. herzlich ein. — Außer dem geringen Jahresbeitrag von nur Mark 4.80 = K5.80 h ö. W. = Frs 6.40 (dazu kommen, wenn durch den Buchhandel bezogen, 20 J Bestellgeld extra, durch die Post das Porto) erwachsen dem Mitglied keinerlei Verpflichtungen, dagegen werden ihm folgende große Vorteile geboten: S 5. Die Mitglieder erhalten als Gegenleistung für ihren Jahresbeitrag i. J. 1908 kostenlos: I. Kosmos, Bandweiser für Naturfreunde. Erſcheint zwölfmal jährlich. Reich illuftriert, Preis für Nichtmitglieder M 2.80. II. Die ordentlichen Veröffentlichungen. — Nichtmitglieder zahlen den Einzelpreis von M 1.— pro Band. meyer, Dr. m. Wilh., Erdbeben und Uulkane. Dekker, Dr. Herm., Naturgeschichte des Kindes. Sajo, Prof. Dr. Karl, Krieg und Frieden im Ameisenstaat. Teichmann, Dr. Ernst, Die Vererbung als erhaltende Macht. Floericke, Dr. K., Die Säugetiere des deutschen Waldes. III. Das Recht, die augerordentlichen Veröffentlichungen des laufenden Jahres ebenso wie die Veröffentlichungen früherer Jahre oder sonstige im Kosmos den mitgliedern regelmäßig angebotene Werke (darunter Werke von W. Bölsche, Dr. K. Floericke, R. H. Srancg, Prof. Gustav Jaeger, Prof. Sauer, Dr. P. Schnee u. a.) zu einem ermäßigten Subskriptionspreise zu beziehen. jede Buckhandlung nimmt Beitrittserklärungen entgegen und besorgt die Zusendung. Gegebenenfalls wende man sich an die Geschäftsstelle des Kosmos in Stuttgart. jedermann kann jederzeit Mitglied werden; bereits Erschienenes wird nachgeliefert. Sam | Satzug [SONS] ES m 81, Die Geſellſchaft Kosmos will in erſter Linie die Kenntnis der Naturwiſſenſchaften und damit die Freude an der Natur und das Derjtändnis ihrer Erſcheinungen in den weiteſten Kreifen unſeres Volkes verbreiten. 82. Dieſes Ziel ſucht die Geſellſchaft zu erreichen: durch die Herausgabe eines den Mitgliedern koltenlos zur Verfügung geftellten naturwiſſenſchaftlichen Handweiſers ($ 5); durch Heraus⸗ gabe neuer, von hervorragenden Autoren verfaßter, im guten Sinne gemeinverſtändlicher Werke naturwiſſenſchaftlichen Inhalts, die fie ihren Mitgliedern unentgeltlich oder zu einem be- ſonders billigen Preiſe ($ 5) zugänglich macht uſw. Die Gründer der Geſellſchaft bilden den geſchäftsführenden Ausſchuß, wählen den Vorſtand uſw⸗ . Mitglied kann jeder werden, der ſich zu einem Jahresbeitrag von M. 80 = H 5 80 h 6. W. — Frs 6.40 (exkl. Porto) verpflichtet. Andere Verpflichtungen und Rechte, als in dieſer Satzung angegeben ſind, erwachſen den Mitgliedern nicht. Der Eintritt kann jederzeit er⸗ folgen; bereits Erſchienenes wird nachgeliefert. Der Austritt iſt gegebenenfalls bis 1. Oktober des Jahres anzuzeigen, womit alle weiteren Anſprüche an die Geſellſchaft erlöſchen. 85. Siehe vorige Seite. 5 8 6. Die Geſchäftsſtelle befindet ſich bei der Franckh'schen Uerlagshandlung, Stuttgart, Pfizerſtraße 5. Alle Suſchriften, Sendungen und Sahlungen (vergl. $ 5) find, ſoweit ſie nicht durch eine Buchhandlung Erledigung finden konnten, dahin zu richten. en m Po Kosmos — Handweiser für Naturfreunde. Erscheint jährlich zwölfmal und enthält: Original-Aufsätze von allgemeinem Interesse aus sämtlichen Gebieten der Naturgeschichte und Naturforschung. Reich illustriert. Regelmäßig orientierende Berichte über Fortschritte und neue Forschungen in den verschiedenen Zweigen der Natur— wissenschaft. Interessante Miszellen. Mitteilungen über Naturbeobachtungen, Vorschläge und Anfragen aus unserem Leserkreise. Bibliographische Notizen über bemerkenswerte neue €r- scheinungen der deutschen naturwissenschaftlichen Literatur Der Kosmos kostet Nichtmitglieder jährlich M 2.80. Probehefte durch jede Buchhandlung oder direkt. Dazu die illustrierten Beiblätter : Wandern und Reisen. « Aus Wald und Heide. = Photographie und MHaturwissenschaft. Technik und BHaturwissenschaft, rr war, 1 RRR RT NWALIRZN e N Br a Dr. M. Wilh. Meyer Erdbeben und Vulkane. Reich illustriert, in farbigem Umschlag. Preis für Nichtmitglieder geh. m I.— = K 1.20 h 5. W., fein gebunden M 2.— = K 2.40 h 8. W. Während der letzten Jahre find die Gewalten des Erdinnern in beſonders erſchreckender Weiſe zutage getreten. Die Kataſtrophe von Martinique, der große Ausbruch des Veſuvs im April 1906, die Erdbeben von San Francisco und von Valparaiſo ſind nur die mar⸗ kanteſten Ereigniſſe geweſen, die von einer beängſtigenden Unruhe der Erdrinde Kunde gaben, denen ſich aber noch eine ganze Reihe anderer anſchloß. Die Blicke der denkenden Menſchheit ſind deshalb mehr denn je auf das immer noch ſo ge⸗ heimnisvolle Erdinnere gerichtet, dem dieſe gewaltigſten Außerungen der Natur⸗ kräfte auf unſerem Planeten entſpringen. Das vorliegende Bändchen gibt nun auch dem Laien einen Überblick der mo⸗ dernen Anſichten über die Urſachen dieſer Erſcheinungen, die ſich namentlich in neuerer Zeit weſentlich geklärt haben, aus der Feder des unſern Leſern beſtens bekannten volkstümlichen Schriftſtellers Dr. M. Wilh. Meyer. Er war offenbar zur Löſung dieſer Aufgabe ganz beſonders berufen, da er nicht nur perſönlich viele Vulkangebiete der Erde bereiſt hat, ſon⸗ dern auch zu den ſehr wenigen gehört, Veſuvausbruch vom 10. April 1906. die den letzten großen Veſuvausbruch, der ſich als einer der gewaltigſten und zugleich lehrreichſten ſeiner Art geſtaltete, in allen ſeinen Phaſen aus größter Nähe zu beobachten Gelegenheit hatten. N Dr. Ernst Teichmann & als erhaltende Macht im Flusse Die Vererbung organischen Geschehens. Iustriert, in farbigem Umschlag. Preis für Dichtmitglieder M1.— = K l. 20 h ö. W., fein gebd. M 2.— = K 2.40 h ö. U. Vererbung nennen wir die Erſcheinung, daß die Jungen ihren Eltern gleichen. Das ſcheint einfach und klar. Und doch, welche Fülle von Fragen und Schwierigkeiten erhebt ſich bei dem Verſuch, tiefer in das Vererbungs⸗ problem einzudringen! Einem größeren Kreis einiges von dem mitzuteilen, was die Wiſſenſchaft über jenen Komplex von Tatſachen auszuſagen hat, den fie in dem Worte Vererbung zuſammenfaßt, will dieſes Bändchen unternehmen. Tatſachen und Theorien wird es dem Leſer vorführen. Die ſtofflichen Grund⸗ fagen zunächſt, auf denen Vererbung beruht, mußten beſchrieben werden: dort⸗ hin, wo die Kontinuität zweier Generationen noch nicht durchbrochen ift, wo unmittelbar die eine aus der andern hervortritt und mit ihr noch in feſteſtem Zuſammenhang ſteht, wenden wir unſere Blicke; dort vielleicht läßt ſich das Mittel auffinden, das die Übertragung der elterlichen Eigenſchaften auf das Kind bewirkt. Aber wer übt den beſtimmenden Einfluß auf die Geſtaltung des Kindes aus? Iſt es die Mutter oder iſt es der Vater? Hier bringen die Ergebniſſe der Baſtardierungsforſchung Aufklärung. Sie erheiſchten des⸗ halb eingehende Berückſichtigung. Und wie von ſelbſt ſchließt ſich daran die Frage nach den Arſachen der Geſchlechtsbeſtimmung — ſie wird gewiſſenhaft beantwortet nach dem Stand moderner Forſchung. Einen guten und not⸗ wendigen Dienſt will das Bändchen gerade damit vielen leiſten; denn aben⸗ teuerlich ſind die Meinungen, die über dieſen Punkt weit verbreitet ſind, und unheilvoll die Verwirrung, die ſie ſtiften. Auch mit den Theorien der Ver⸗ erbung muß ſich dieſes Bändchen befaſſen. Doch wolle der Leſer nicht be= fürchten, haltloſen Phantaſiegebilden gegenübergeſtellt zu werden. In engem Anſchluß an feſtſtehende Tatſachen und in logiſch-ſtrenger Herleitung aus ihnen ergibt ſich, was hier Theorie genannt wird. Auguſt Weismanns Name bürgt dafür, daß kein wiſſenſchaftsfremdes Moment ſich einſchleicht, denn der Darſtellung ſeiner Lehre iſt dieſer Abſchnitt vorzüglich gewidmet. Die ſchwierige und vielumſtrittene Frage der Vererbung erworbener Eigenfhaften findet in dieſem Zuſammenhang ihre Behandlung; ſie führt unmittelbar ins praktiſche Leben hinein; iſt fie doch von hoher Bedeutung für die Beurteilung der Über- tragung infektiöſer Krankheiten. So mündet die Darſtellung aus in eine Skizze der Bedeutung, die die Vererbungsforſchung für das Leben der Menjch- heit hat. Die Wiſſenſchaft ſoll ja letzten Endes ſtets ihre höchſte Aufgabe darin finden, der Menſchen Daſein zu erleichtern, ihr Glück zu fördern. N Prof. Karl Sajé ri d frieden in Ameisenstaat. 5 Reich illustriert, in farbigem Umschlag. Preis für Nichtmitglieder m 1.— =K120 h 5. U., fein gebd. M 2.— K 2.40 h ö. W. Die Inſektenwelt iſt wie ein Kaleidoſkop, das, wo immer man hineinblickt, die mannigfaltigſten und überraſchendſten Ver⸗ hältniſſe und Lebensbilder aufweiſt. Die Kerfe haben ſich tat⸗ ſächlich alle Möglichkeiten des Lebens zugeeignet, und wo über⸗ haupt ein tieriſches Leben beſtehen kann, dort ſind ſie gewiß an der Arbeit, ſich und ihren Nachkommen die Exiſtenz zu ſichern. Für den Laien ſind beſonders die wunderbaren Erſcheinungen äußerſt intereſſant, die ſich bei den Ameiſen und Vienen ab⸗ ſpielen, z. T. deshalb, weil die „Staaten“ dieſer Immentiere und das Gebaren der ſechsfüßigen „Bürger dieſer lebhaften Gemeinſchaften jo überraſchend an menſchliche Verhältniſſe erinnern. In dieſer Hinſicht ſtehen die Ameiſen allen übrigen Inſekten voran, und ſo manches, was man ihrem raſtloſen Tun e abgelaufcht hat, iſt für den erſten Augenblick geradezu unglaub⸗ . lich. Das Sajöſche Werkchen beſpricht dieſes rege Leben DIDI in feinen wichtigſten und feſſelndſten Erſcheinungen und . führt dem Naturfreunde in leicht verſtändlicher Weiſe N SE = diejenigen Betrachtungen vor, die ſich bis jetzt als be⸗ = ER gründet erwieſen haben. a AU Ze 2 8 Dr. Hermann Dekker Daturgeschichte des Kindes. Illustriert, in farbigem Umschlag. Preis für Nichtmitglieder M .— = K 1.20 h 6. U., fein gebd. M 2.— = K 2.40 h 8 U. Über „Die Seele des Kindes“ hat Ament ein Bändchen geſchrieben. Wenn Dr. Dekker dazu ein „körperliches“ Gegenſtück liefert, ſo tut er es nicht nur dem Zuge der Zeit folgend, die jetzt, im „Jahrhundert des Kindes“, in unzähligen Variationen Kind und Haus, Kind und Schule, Kind und Kunſt immer und immer wieder erörtert, ſondern weil überhaupt der Körper des Kindes eine ungeheure Fülle von naturwiſſenſchaftlichen Problemen in ſich birgt. Die Entwickelung vom befruchteten Ei durch das Stadium der Frucht, durch das Säuglings⸗, Kindes⸗ und Jünglingsalter bis zum „Typus“ des Menſchen bietet der biologiſchen Wiſſenſchaft reichen Stoff zum Forſchen und Grübeln. Zeit und Ort der Geburt, die Hilfloſigkeit der Neugeborenen, die allmähliche Erarbeitung der Fähigkeiten, die Mangelhaftigkeit der kind⸗ lichen Organiſation gegenüber den Unbilden der Welt bieten außerordentlich viel intereſſante Eigentümlichkeiten. Dieſe Eigentümlichkeiten verſtändlich machen kann nur biologiſche Betrachtung. Was iſt ein Kind? Wie verhält es ſich zum Erwachſenen? Wie iſt es zu verſtehen aus ſeiner hiſtoriſchen Ent⸗ wickelung heraus, als das Reſultat von Vererbung und Anpaffung? | Wenn man ſich darüber klar geworden iſt, wird man nicht in den Fehler verfallen, das Kind für einen Menſchen in kleinem Format zu halten, ſondern erkennen, daß es ein beſonderes, ganz anders geartetes Geſchöpfchen iſt. Und daß es fo ſein mu ß, will das Büchlein zeigen. —— Ein Blick ins Weſpenneſt. Illuſtrationsprobe aus dem Kosmos. | Im Herbst 1908 erscheint: Dr. Kurt Sloericke Die Säugetiere des deutschen Waldes. Reich illustriert, in farbigem Umschlag. Preis für hichtmitglieder geh. MI. — Kl. 20 h 8. U., fein gebd.M 2.— —=K 2.40 h ö. W. Der als feſſelnder Schilderer bekannte Verfaſſer des „Deutſchen Vogel⸗ buches“ und der „Vögel des deutſchen Waldes“ behandelt in dieſem Bändchen ebenſo anziehend die Vierfüßler unſerer Heimat Ob er den ſtolzen Hirſch bei ſeinen Liebeskämpfen belauſcht oder dem Meiſter Grimbart auf ſeinen nächt⸗ lichen Streifzügen folgt, partus einweiht oder das muntere Treiben der Haſel⸗ maus ſchildert: immer weiß der Verfaſſer den Stoff in lebendiger Dar⸗ ſtellungsweiſe zu meiſtern und dem Leſer das ſo wenigen bekannte Leben unſerer freilebenden Säu⸗ ger anſchaulich vorzu⸗ führen. Nicht vom Stand⸗ punkt des Jägers, ſondern mit den Augen des ſinni⸗ gen Naturbeobachters ſind die Bilder geſchaut, die namentlich auch für die reifere Jugend als bildende Lektüre geeignet ſind. ob er uns in die Geheimniſſe der Burg Male: Dumas fpannendjter — und — intereſſanteſte N \ Roman: Der Graf von Monte Christo koſtet jetzt: | flüher M. 7 90. — nur M. 58.80 Kr. 7.— ö. W. Beue vollſtändige, reich illuſtrierte Ausgabe. 6 Bände (1300 Seiten) in 2 hochfeine Geſchenkbände (Abbildung des Einbands oben) gebd. Su beziehen durch jede Buchhandlung. Probeheft a gerne gratis. \, Tranckh'ſche Verlags. handlung, Stuttgart.... Bestellzettel % Bei der Buchhandlung: 922 2 2 2ũ4 %ʒ‚4Ehh4444õö!:ãH Gent ůũ!„„„õũ½k) ů 44% dehnen mn nn ne a ana mu ne dern dee — RR RE A NEUE EN AR bestelle ich aus dem Verlag der Franckh'schen Verlagshandiung Stuttgart: #exander Dumas. BR ke... Arte. Feſtgabe zum 100. Geburtstage. Reich illuſtriert. Hochfein geb. M. 2.75 = K. 3.30 ö. W. S Frs. 3.70. ER Graf von Monte Chriſto. 6 Bände in 2 Bände gebunden. Reich illuſtriert (früher M. 10.—) jetzt nur noch M. 5.80 = K. 7.— ö. W. 5 Drei Musketiere. Sochf. geb. (fr. M. 4.50) jetzt nur M. 2.75 — K. 3.30 ö. W. Hierzu erſchien als Fortſetzung: 1 Zwanzig Jahre nachher (Drei Mustetiere U. Abteilung) Fein gebunden (früher M. 5.60) jetzt nur M. 3.75 — K. 4.50 5. W. Behn Jahre nachher oder Der Graf von Bragelonne (III. Abteilung und Schluß der Drei Musketiere. 7 Bände in 3 hochfeinen Geſchenkbänden (früher M. 15.—) jetzt nur noch M. 9.25 = K. 11.10 h. ö. W. Ben Denkwürdigkeiten eines Arztes: Joſef Balſamo. — Hiſtoriſcher Roman, das wechſelvolle Leben des berüchtigten Abenteurers Caglioſtro an dem verderbten franzöſiſchen Hofe behandelnd. 2 hübſche Ge⸗ ſchenkbände (früher M. 10.—) jetzt nur noch M. 6.50 — K. 7.80 ö. W. Das Halsband der Königin (Dentwürdigteiten II. Abteilung). Elegant gebunden (früher M. 5.60) jetzt nur noch M. 3.75 — K. 4.50 ö. W. 8 Ange Pitou oder Die Erſtürmung der Baſtille. (Oent- würdigkeiten III. Abteilung.) Hübſch geb. (früher M. 5.60) jetzt nur noch M. 3.75 = K. 4.50 5. W. Marie UAntvinette und ihr Ritter. Das unglückliche Ende Marie Antoinettes behandelnd. — Elegant gebunden (früher M. 4.50) jetzt nur noch M. 2.75 — K. 3.30 ö. W. Jeder Roman iſt für ſich abgeſchloſſen und einzeln zu den beigeſetzten ermäßigten Preiſen zu haben. damemrt . 2 Nichtgewünſchtes bitte zu durchſtreichen. , q ne yayyınApsno saıp 'u2j2gad pam SH 493023390 g061 Svapiagspanjärz mo —ı Jv unopuof ‘42/2728 spomysou 21/90 puvg aafaıp yafunyy /nv pam 0/ u M., sıaadjazuıg wnz uoyaf g0Ör söupd4yo[ sap puog u4apuv 42p0 ub u- Aassagiod 42P 10H uay2ız1j/yaanp nz Suvdayv[ usyafunmasıygıu usp ‘214 vl uvm 2sSv7+477un 2770] w2427273] ur "uad]0/43 Suvdayv[ sts un ana sonen 42p0 ap12qg an uur MA2T 427 8061 N (u 8 enen) Id sg uoguz % 2061 Sau 8 agupguız g arg an) Bojping nezaeueg (PNYPNAgSND sig uvm 370m ol "uagaaaı lunes uagung „ Pfand ueßunpypuallgaaq ueprmagıo 219 sus 'Söpleſn usqosinop sp lo bod “349119018 -Sundnyaz pun Bunzuejjdisos uur Jodie pun uspa3wo4 Au sul Aunodusssneus ‘1192 usidonlesseſn wi dbnz ens url 2001 uuns uep ie id "TI eee quog wee e een eee en ZI Ypunauliyerg Am] Is lohpureg Soluson 1 O' si = s d os's M= OST uoa Heinig usbilſel 31040] uep udo yuajaıaBpeu uaBunpipusyonn ip pun uduutousobusbebzus soiqvſ, sep nfs (peu (pne uapıam uebunſlollog 200l Suvsaqod wp e : eleiphf enrusßb pun zue 0 Gan plunmad usqunqes uus uam zöq n? ꝙppupnaesnuv Fun nenen aeg jeq nein mar "8 (Mu e wenne) Id gg guvqufz % agunguı 9 279 an) Borping ae e 447 “uagasar eee uagungad uadunpyyuallorsa ualpıyzuagao 219 syvg sIpgem uaaysınap sap saihebnEs ‘943119018 Bunq lie uuewmq)l) Areisussleiußf ‘oles sapu sap isses inen lend zuenlng pun usqoqp ig Au "quog u oppuozgz EZ on zuseꝙplae 806l avnuvg qx "8061 WOHUNAIIINILLHIIN Uudplo 510 "II "pyagpl wtf yuoplaz „esse DIEWSUASSImanger SOMSOM "I Sol denuef un due) ‘praßilalag K oc lönznz O' s Moss M OFF WW deunagsauge, 800l Hupsigng up somaloy uauıaplıy (peu Al edle pun aueyspauduug au] dne “og (S "ulıazuyg eee) Jırönns “punay ner ap Neglıolag ‘somsoy map Öunges jop punig me uin 19pulpIazıaun "pam He Zunpuafnz anf aıp YavSıyn]S ‘apunaafangoN 42p Moy3/ı2/?9 Sοẽjꝭuc , sap aırar/st/v 12/29 i, wo u "up Sunpupyyongsju2u1740S . — agtaayaf ip, uaydtasımy29S [no E A2p oM 2 0 ! Büch erzettel 18 Heller, falls ausser: 0 % :d. Namen der Buch-: ‘handlung u. der Un-; iterschrift d. Bestel-! lers keine weiteren! schriftlichen Mit- An die i teilungen auf die Karte kommen, —gj—— •——H—— — e,, ze. Den Ve Der „Warsmann“ ſchreibt: Ein Buch von 3 g = 5 : cf 75 8 * * 5 we (3 * 5 Tiererzählungen, wie dieſes, hat die e Welt noch nicht geſehen. „„ S aa ES 1 E #1 We N Si fi — — 1 . n 9 Tiergeſchichten Mit 200 Illuſtrationen, in orig., eleg. W n geb. M 4.80. am Das Buch enthält acht Erzählungen, die in packender Weife das Intime, das Heitere und Tragiſche aus dem Leben freier Wald. und Feldbewohner ſchildern. Der Autor, Naturforſcher, Dichter und Künſtler in einer Perſon, hat ſich in dieſen Biogra⸗ phien zum Anwalt der Tiere gemacht und deren Empfindungen, Gefühle und Gewohnheiten mit Feder und Stift meiſterlich wieder- gegeben. Das Buch iſt friſch und originell n und wird | jedem Freunde der Tierwelt und der Natur R | TR Erwachſenen wie Kindern 2 eine ſehr willkommene Lektüre bieten. Einen ganz befbndee | Reiz erhält das Buch durch ſeine höchſt originelle Art der Illu— * ſtration, teils im Text verſtreut, teils als Vollbilder die von der Hand des Verfaſſers ſelbſt herrührt. — Von . der engliſchen Original- N ausgabe wurden ſeit Er- 5 Dun ſcheinen weit über 100000 EZ, ER Exemplare abgeſetzt. g e Das Werk iſt in jeder PA „ Buchhandlung zu haben. Franckh ſche Verlagshandlung in Stuttgart. Jarbendruck von Carl Ulshöfer, Stuttgart.