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KINSTKRITISCHE STUDIEN
ÜBER
ITALIENISCHE MALEREI.
KUNSTKRITISCHE STIDIEN
ÜBER
ITALIENISCHE MALEREI.
DIE GALEKliiN
BOR(;ilESE UND DORM PWl-IIJ
IN ROM.
VON
IVAN LERMOLIEFF.
MIT62ABR"
LEIPZIG : BROCKHAUS.
1890.
MICROFILMEO BY WlVEfls/rv OF TORONTO
LIBRARY MASTER NEGATIVE NO •
■'^Sa.us.
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VORWORT.
V erliegendes Buch beschäftigt sich wesentlich mit zwei römischen Galerien sowie mit Gemälden, die sich in Italien befinden, und darf somit als ein für sich be- stehendes, selbständiges Werk betrachtet werden. In- dessen hoffe ich in der Lage zu sein, demselben in nicht gar zu langen Zwischenräumen zwei weitere Bände folgen zu lassen, welche den Galerien zu Mün- chen, Dresden und Berlin gewidmet sein und trotz ihres ebenfalls selbständigen Charakters mit vorliegen- dem Werke zusammen meine „Kunstkritischen Studien i'iber italienische Malerei", theils ergänzt, tlnils «/anz umgearbeitet enthalten werden.
Die Aufsätze über die Bildersammlung des Fürsten Borghese in Kom, welche ich nun vereint, bedeutend erweitert und , soweit es in meinen Kräften lag, auch verbessert wieder der Oeffentlichkeit übergebe, erschienen zuerst vereinzelt in den Jahren 1874, 1875 und 187H in der von Lützow'schen „Zeitschrift für bildende Kunst". Hat man mir damals die Wahr- heit gesajQ^, so sollen diesolbon in den Kreisen jüngerer und dabei unbefangener Kunstbeflissenen eine weit
VI Vorwort.
freundlichere Aufnahme gefunden haben, als ich bei der Trockenheit der darin behandelten Materie er- warten durfte. Ueber das Urtheil der meisten ältei-n Fachgelehrten konnte ich natürlich keinen Augenblick im Zweifel sein. Ich konnte es hier voraussehen, dass meine Ansichten und Vorschläge von diesen entweder ganz ignorirt oder doch mit mistrauischem Lächeln würden abgewiesen werden, wenn sie nicht gar, was ja auch vorgekommen ist, als eigene Waare ausgegeben wurden. Meine einzige Hoffnung bei der Veröffent- lichung jener Aufsätze war daher auf die Schar des Jüngern Nachwuchses unter den russischen, deutschen und englischen Kunstjüngern, sowie auch auf jene wenigen Kunstfreunde gerichtet, die, gleich mir, nach Italien kommen, in der Absicht sich für die Kunst- wissenschaft vorzubereiten, und die den Wunsch hegen, in einer Bildergalerie frei und selbständig sich bewegen zu lernen, anstatt, wie das Gebrauch ist, sich von An- dern am Gängelbande herumführen zu lassen. Es wäre mir jedoch gewiss nie in den Sinn gekommen, jene verfrühten Auslassungen über italienische Kunstwerke aufs neue zu publiciren, hätten nicht wohlgesinnte Leser meines ein paar Jahre später erschienenen „Kritischen Versuchs" über „Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin" mehrfach mir den Wunsch geäussert, wie dieses letztere, seit Jahren schon vergriffene Büchlein so auch jene Aufsätze über die Galerie Borghese aufs neue erscheinen zu lassen; dieser Aufforderung habe ich mit um so grösserer Be- reitwilligkeit Folge geleistet, als ich mir bewusst bin, in der Zwischenzeit etwas gelernt und somit einen Schritt vorwärts in der Kunstkenntniss gethan zu haben, was mich in den Stand setzte, auch gar manchen frühern Irrthum zu tilgen.
Vorwort. vu
Den ganz umgearbeiteten Aufsätzen über die Bor- ghese-Saminlung lüge ich bei dieser Gelegenheit auch «ine Besprechung über etliche Bilder in der Doria- Panfili- Galerie bei, sowie auch iiber Kunstwerke in andern römischen und italienischen Gemäldesammlungen, sodass diese Abhandlungen wol als neu betrachtet werden dürfen. Ausserdem hielt ich es für nicht un- passend, in einer „Einleitung" meinen Jüngern Kunst- genossen -zu erzählen , auf welche sonderbare Weise das Geschick mich zum Kunstkritiker hat werden lassen. Für diejenigen, welche in der Kunstgeschichte schon wohlbewandert sind, ist dieselbe nicht bestimmt; sie mögen sie getrost i'iberschlagen.
Ich muss auch hier wiederholen, dass ich weit entfernt bin, meine Ansichten und Urtheile für massgebend halten zu wollen; ich gebe im Gegentheil schon im voraus gern zu, dass auch in dieser zweiten, verbesserten Auf- lage noch gar mancher Fehler sich eingeschlichen haben wird. Bei dem grossen Wirrwar, der noch immer in der Bestimmung italienischer Kunstwerke besteht und der in neuester Zeit eher zu- als abzunehmen droht, wird es, glaube ich, auch mir nicht verwehrt sein, eine eigene Anschauung und Meinung zu haben und dieselbe der geringen Schar meiner Leser und Gönner zur Prüfiuig zu unterbreiten. Damit jedoch die Ver- antwortlichkeit der neuen, von mir vorgeschlagenen Bil- derbestimmungen allein auf mich falle, sollen dieselben jedesmal mit einem Kreuze (f) angemerkt werden. Auf diese Weise Weiss der Leser, mit wem er es zu thun hat und, erweist sich mit der Zeit die Taufe als un- richtig, so soll der Vorwurf mir allein und keinem andern zur Last gelegt werden; erweist sich aber die- selbe als richtig und sti<*hhaltig, nun dann soll auch mir allein, d. h. d mir anempfohlenen Experi-
VIII Vorwort.
mentalmethode, das Verdienst zufallen. Es ist wahr, einige meiner Widersacher in Italien werfen mir vor, dass diese Experimentalmethode gar nicht neu sei, sondern bereits vom Pater Lanzi und von den Brüdern de Goncourt in Paris anempfohlen worden wäre. Ich will dies durchaus nicht in Abrede stellen, ist ja unter der alten Sonne alles schon einmal dagewesen, und so könnte es sich mit der Zeit auch herausstellen,, dass irgendein chinesischer Kunsthistoriker schon vor drei- oder viertausend Jahren diese Experimentalmethode in Anwendung gebracht hätte. Nur, meine ich, kommt es bei Anwendung irgendeiner Methode immer auf das Wie an. Daher erlaube ich mir an jene Herren folgende Frage zu richten: wie kommt es, dass die nicht ge- ringe Zahl von Umtaufen italienischer Bilder, wie ich sie in den verschiedenen Kunstsammlungen Europaa vorschlug und wie sie zum grossen Theil nach meinem W^unsch auch von den dafür verantwortlichen Direc- tionen angenommen worden sind, — wie kommt es, frage ich, dass diese Umtaufen nicht schon längst vom Pater Lanzi, von den Brüdern de Goncourt und wie die Herren alle heissen mögen, vorgeschlagen wurden? Und wäre dieser letztere mir in Italien gemachte Vorwurf wirklich begründet, warum haben denn wieder andere meiner Gegner, besonders die in Deutschland, die von mir anempfohlene Methode zur sicherern Bestimmung der Meister dadurch lächerlich zu machen gesucht, dass sie mich darzustellen belieben als einen, welcher blind sei für den geistigen Gehalt eines Kunstwerkes und darum auf äussere Hülfsmittel, wie die Formen der Hand, des Ohres, ja sogar, horribile dictu^ der garstigen Nägel, ein besonderes Gewicht lege?
Wie man nun in rein physischer Beziehung zwischen einem weitsichtigen und einem kurzsichtigen Auge unter-
•Vorwort. ix
scheidet, so befiuden sich auch in der grossen Zahl der Freunde alter Kunst solche, welche Augen zum Sehen haben, und andererseits solche, denen auch das schärfste Vergrossenuigjiglas nicht den mindesten Dienst leistet; ich meine deshalb nicht, weil es eben auch zwei Arten desSehens gibt: die eine ist die Sache des äussern, die andere die des innern Auges. Die erste Art, die Dinge dieser Welt anzusehen, gehört jener grossen Menge an, auf deren grenzenlose Glaubensfähigkeit die meisten Kunstschriftsteller auch stets gerechnet haben; die andere ist das Privilegium einer winzig kleinen Zahl einsichtsvoller und unabhängiger Kunst- freunde und Kunstler. Kur diesen durch natörliche Anlugon und dun-li langes, freudiges Studium Bevor- zugten ist es vorbehalten, im menschlichen Antlitz, in der Form und Bewegung der Hand, in der Stellung des Korpers, kurz in der menschlichen Gestalt geistige Beziehungen wahrzunehmen, die den andern entweder ganz und gar entgehen oder aber, was dasselbe ist, ganz bedeutungslos erscheinen. Mit einem Wort: die äussere Form in den Werken der Kunst richtig auf- zufassen, auf deren Erkenntniss ich ein besonderes Ge- wicht lege, ist nicht jedermanns Sache; diese äussere Form der Menschengestalt ist nicht zufällig, wie viele meinen, sondern sie hängt von geistigen Ursachen ab, wogegen die sogenannten Schnörkel .,<ri(lf'ntf'11 nn«! Sache der Angewohnung sind.
Während nun die Grundform sowol der Hand als des Ohres bei allen selbständigen Meistern charak- teristihch inid daher bei der Bestinnuung ihrer Werke massgebend ist, dürften die sogenannten Schnörkel höchstens dazu dienen, die Wn' i charakterlosen
Künstlern leichter zu erkennen.
l nter der Zahl meiner Widersacher, welche gegen
X Vorwort.
die von mir aufgestellten Principien sowie gegen meine Bilderbestimmungen öffentlich aufgetreten sind, bean- sprucht ohne Zweifel Herr Director Wilhelm Bode in Berlin der hohen Stellung halber, die er als Director an den königlich preussischen Museen einnimmt, wie auch seiner rastlosen Thätigkeit wegen, die meiste Beachtung. Auch geniesst derselbe in Deutschland und Paris ein hohes Ansehen. Geheime Gegner und, wie Herr Director Bode selbst sagt, viel unbarmherzigere als er^ mag ich vielleicht gar manchen andern haben; ich hoffe es wenigstens. Denn Schriften kunstkritischen Inhalts,, die nicht leidenschaftlichen Widerspruch hervorrufen, können, wie die Dinge einmal liegen, in meinen Augen einen nur höchst geringen Werth haben. Ausser aus den sachlichen Grianden, die Herrn Dr. W. Bode veranlassten, gegen mich zu polemisiren, scheint der berliner Kunst- gelehrte mich auch deshalb ganz besonders aufs Korn genommen zu haben, weil ich den Muth hatte, gegen seine verehrten Lehrer und Gewährsmänner, die Herren Crowe und Cavalcaselle, aufzutreten und die Schriften dieser Herren für verderblich zu erklären. Dieser ritter- liche Zug macht wol seinem Herzen alle Ehre.
Vor allem beschuldigt er mich, als alten Mediciner, blos Empiriker zu sein; er wirft mir vor, indem er meine eigenen Studien auf Schritt und Tritt verfolgt^ weder den Lionardo da Vinci noch die mailänder Schule in ihren Hauptvertretern: Sodoma, Beltraffio, Giampie- trino, Solario, A. de Predis und Bernardino de' Conti zu kennen; weder den Timoteo Viti und Raffael in der umbrischen, noch die Pollajuoli, den Verrocchio und den Kaffaellino del Garbo in der florentinischen; weder den Jacopo de' Barbarj, noch den Mantegna in der vene- tianischen Schule verstanden zu haben, — mit einem Wort, er stellt mich seinem Leserkreis als einen ganz
Vorwort xi
unberufenen Eindringling in die italienische Kunstge- schichte dar, dessen oberflächliche Lehren noth wendig ^zuin verderblichsten Dilettantismus führen müssten". Und von si'inem Standpunkt aus hat wol Herr Director Bode auch vollkommen recht; denn ist meine Auffassung und Anschauung die richtige^ so ist die seinige grund- falsch., und umgekehrt^ da wir beide leider in allem die erklärtesten Antipoden sind. Was dem einen von uns schwarz erscheint, ist dem andern weiss, und was für Herrn Director Bode Meisterwerke sind, erscheint meinen Augen meist als mittelmässige Schularbeit. Und weder aus seinem, noch aus meinem Munde spricht Parteileidenschaft; sowol ihm wie mir ist es dabei lediglich um die Wahrheit zu thun, und seine Augen wie die meinen sehen die Dinge wirklich so, wie wir beide sie beurtheilen und beschreiben. Es ist dies, in der That, ein wunderbares psychologisches Phä- nomen, dessen Erklärung, wie ich meine, einerseits in der Einwirkung der Medien, d. h. des Bodens, der Luft, der Wärme, andererseits auch in der Verschiedenheit unserer beiderseitigen Erziehung — ich Mediciner, er Jurist — gesucht werden umss. Wäre nun der Aus- spruch des grossten Geographen unserer Zeiten, Karl Kitter, als absolute Wahrheit anzunehmen, dnss nämlich im Norden Deutschlands der voUkonuncnste Mensch er- zeugt wird, so konnte ninn daraus schliessen, dass mein Gegner in Berlin allein schon seiner Geburt halber einen grossen Vorsprung vor mir hatte. Da jedoch, wie ich glaube, die Beliauptung des eminenten norddeutschen Geographen nicht als absolut zu nehmen ist, sondern sich blos auf die Allgemeinheit und nicht aufs Individuum beziehen dürfte, so ist auch gegen ein solches Axiom nicht.s einzuwenden. Every one ha« hi« Jnncy,
Es sei mir hier verstattet, jenem Axiom ein anderes
xn Vorwort.
an die Seite zu stellen, das in diesem Zusammenhang keinen geringern Anspruch auf Geltung haben dürfte, dass nämlich auf dieser Welt jeder sich selbst für den Klügsten hält. Diesem Axiom zufolge ist fast mit Ge- wissheit vorauszusehen, dass diese schroffen Gegensätze in der Beurtheilung derselben Dinge zwischen dem nordischen Kunstgelehrten und mir schliesslich eine babylonische Verwirrung in der italienischen Kunst- wissenschaft hervorbringen würden, wenn es uns, und nicht vielmehr andern unparteiischen, sachverständigen und dazu berufenen Leuten zustände, in den Streitfrauen der Wissenschaft das letzte Wort zu sagen. Möge daher mein Gegner in Berlin meinem Beispiele folgen und die Entscheidung über Recht und Unrecht in den schwebenden Fragen dem Urtheile einsichtiger Schieds- richter anheimstellen. Wir können dann beide, Herr Director Bode und ich, uns der Hoffnung überlassen, dass, wie auch immer der Ausgang sein möge, er schliess- lich doch jener Kunstwissenschaft, die uns ja vor allem am Herzen liegt, zum Heile gereichen dürfte.
Aus diesem Grunde habe ich bei den fol^renden kritischen Untersuchungen jedesmal neben der eigenen Ansicht auch die meines verehrlichen Gegners ange- führt, wie dieselbe in der von ihm besorgten fünften Auflage von Jakob Burckhardt's „6^cero?^e" sich aus- gesprochen findet.
Doch sei erwähnt, dass bei der Anführung der Werke der Herren Crowe und Cavalcaselle stets die englische Originalausgabe gemeint ist: ,^A new Ilistory of Paintmg in Italif-'' (3 Bände, London 1866); mit der Fortsetzung: „J. Ilistory of Painting in North Italy'-^ (2 Bände, London 1871).-
Ferner: dass bei der Berufung auf das Raffael-Werk von Passavant die französische Ausgabe verstanden ist:
Vorwort. \iii
^^Raphael cTUrbtnet son p^re G.Santi par J.D. l\n>6avant. Edition fran^aue^ refaitty cot^gh et amsidirablenient aug- vientee par Vavteur et rerue et armotie par M, Paul Lncroijc"- (2 Bande, Paris 1860).
Die Citate nach Vasari beziehen sich auf die floren- tiner Ausgabe von Le Monnier (in 13 Bänden, 1846).
Es enibrigt mir noch über die von mir getroftene Auswahl der diesem Büchlein beigefügten Abbildungen ein Wort zu sagen. Manchem meiner Leser wird viel- leicht die Anz4ihl derselben zu gering, andern dagegen zu groiis erscheinen. Es war allerdings für mich eine nicht leichte Aufgabe, auch in dieser Beziehung die richtigen Grenzen zu wahren, welche einem Buche dieser Art gesetzt sein dürften. Bei der Auswahl solcher Illustrationen konnte ich, wie sich von selbst versteht, nur von dorn Gedanken geleitet sein, dem I^ser das Verständniss des Textes, soviel als dies eben möglich ist, dadurch zu erleichtern. Ich habe, mich jedoch nur an das gehalten, was mir als das allernothwendigste er- schien, in der Voraussetzung, dass diejenigen, welche die Lust in sich fühlen, mit dem Studium der Fonnen sich ernstlicher zu befassen, nothwendigerweise diese an den Originalwerken selbst beobachten und studiren werden, und zu diesem Zwecke glaube ich ihnen eine genügende Anzahl von Bildern vorgeführt zu haben.
Schliesslich sei mir noch vergönnt, ein Wort des wärmsten Dankes sowol an Herrn Dr. J. P. Richter, wie auch an meinen Herrn Verleger zu richten. Herr Dr. Richter hatte nicht nur die Güte, auch dieses mal mein Manusrript durchzusehen und mich auf manchen M:in^«'l darin aufmerksam zu machen, sondern wollte ülMnlie?» no. ' ' Merstellung < ii (Tihrlichen Orts-
und Nanieii hnisses über i. Dasselbe ist
auch mit solchem Verständnis« ausgeftihrt, dass es
XIV Vorwort.
wie mir scheint, nichts zu wünschen übrig lässt. An- dererseits hat mein Herr Verleger weder Kosten noch Mühen erspart, um meine Wünsche zu befriedigen, und seiner Sachkenntniss verdanke ich es auch, dass die Keproduction der Abbildungen so überaus befriedigend ausgefallen ist.
GoRLAW, im October 1889.
IVAN LERMOLIEFF.
INHALT.
Seit« |
|
Vorwort |
V |
Princip and Methode |
1 |
I. Die Galerie Bor^heie. |
|
L 1 ti 1 «.- i i, U 11 g . . |
81 |
Die Tosoaner . |
105 |
Alessandro Botticelli . |
105 |
LorcMo di Credi . . |
112 |
I u;i Signorelli . |
117 |
(jirolamo Genga . . |
HD |
Gioliano Bugiardini |
123 |
Franciabigio. |
. 124 |
Baochiacca . |
. 128 |
Pintoricchio |
142 |
Filippo Lippi) genannt Filippin- |
146 |
Raffaellino del Garbo |
147 |
Pier di Cosimo . . . |
141» |
Mariotto Albertinelli . |
153 |
Andrea del Sarto . . |
159 |
Jacopo da Pontormo |
161 |
Baldasaare Peruzzi . |
169 |
Raffael Sanzio . . |
172 |
Perino del Vaga . |
175 |
Giovan Antonio Baz/.i, ii .^o : |
190 |
Giampictrino oder Giampedi |
J02 |
Boltraffio .... |
•_*(m; |
Marco d*Oggionno |
L'OS |
Nicola Appian |
209 |
CeMure da Sesto |
210 |
Bcmardino 'Luini |
2U |
Andrea Solario . |
216 |
Lionardo da Vinci |
225 |
XVI Inhalt.
Seite
Lombardiscbe Meister 230
Ambrogio de Predis 230
Bernardino de' Conti 243
Francesco Francia 251
Sofonisba Anguissola 254
Die Ferraresen 258
Benvenuto Garofolo 258
Dosso Dossi 276
Correggio 288
Die Venetianer 304
Nordische Meister 320
II. Die Galerie Doria - Panfili.
Justus von Gent 328
Diego Velasquez 330
Francesco Pesellino 332
Die Venetianer 339
Giovanni Bellini 339
Niccolo Rondinelli 345
Andrea Mantegna 356
Antonio Vivarini 3G0
Carlo Crivelli 361
Cima da Conegliano 363
Boccaccio Boccaccino 365
Marco Basaiti 368
Girolamo Romanino 371
] Alessandro Moretto 373
Calisto da Lodi 376
Paris Bordone 379
Bonifazio Veronese 383
Palma vecchio 384
Lorenzo Lotto 390
Giovan Antonio da Pordenone 395
Giovan Battista Moroni 400
Tizian 402
Lionardo da Vinci 408
Correggio 409
Eaffael 414
Orts- und Namens verzeichniss 424
ABBILDUNGEN DU TEXT.
S«ite
Faun des S. Sebastiane del Piorabo 52
Johannes der Täufer in der Louvre-Galerie 54
Zwei Figuren Michelangelo's an der Decke der Sixtini-
schen Kapelle 55
Ohr bei Sebastiano del Piombo . 55
Tizian's Daumenballen 58
Hände (Fra Filippo Lippi. Filippino. Antonio Polla-
juolo. Bemardino dei Conti. Giovanni Bellini. Cosimo
Tura. Bramantino. Botticelli) 98
Ohren (Fra Filippo. Filippino. Signorelli. Bramantino.
Mantegna. Giambellino. Bonifazio. Botticelli 99
Ohr und Hände bei Botticelli 105
Ohr bei L. di Credi 114
Ohr bei Tommaao 115
Ohr bei Signorelli 118
Die Hände auf dem rorirut des Losimo Medici von Poutoi mo 162
Ohr bei Antonello. Ohr bei Giambellino 318
Der heilige Antonius der Wunderthäter (Akademie zu Florenz) 336
Runde Falten bei Pesellino . 339
SEPARATBILDER.
Die sogenannte Fomarina in der Tribuna der Uffizien-
Galerie 49
Die „Donna velata" im Pitti-Palaat 64
La Fomarina in der Galerie Barberini in Rom 68
La Vierg« au sein 133
Adam und Eva in der Sammlung Frizzoni in Muiluud . . 134 Carton von P. Perugino zum Bilde Apollo und Marsya«,
in Venedig 134
Ih*- Maddalena Str»??! ul« liriliae Kntlinrinn in Aor X\nV'
gheie-Galcrie 148 Federzeichnung von iiufiuci /u eitier Kreu/niMiniimo, ini iie-
»it/.c des Herrn £. Habich in Caatel 178
XVIII Separatbilder.
Seite Die Anbetung des Kindes, von Perino del Vaga, Zeichnung
in der Albertina in Wien 17G
Federskizze Raffael's zu den Fresken in der Farnesina, in
der Sammlung von Köln 181
Triumph des Silen von Perino del Vaga, in der Albertina 183 Studienblatt Perino's nach Entwürfen Raffael's zur Disputa,
in Windsor-Castle 183
Der Untergang Pharao's, Zeichnung von Perino, im Louvre 184 Joseph seinen Brüdern den Traum deutend. Zeichnung des
Perino nach einer Skizze Raffael's zum Gemäldecyclus
in den Loggien im Vatican 185
Ledabild des Sodoma in der Borghese-Galerie 193
Federzeichnung des Sodoma, in Weimar 196
Federzeichnung des Sodoma zu einem Ledabild, in der
Sammlung in Chats worth 196
Sodoma's Entwurf zum Ledabild der Borghese-Galerie in
Rom, in Windsor-Castle 197
Federzeichnung des Sodoma zum Kopfputze der Leda, in
Windsor-Castle 198
Federskizze zur Hochzeit Alexander's mit der Roxane, in
der Uffizien - Galerie 201
„La Colombina" in der kaiserl. Ermitage in St.-Petersburg 205 Studien des Cesare da Sesto zum Christkinde, Röthelzeich-
nuug, in Windsor-Castle 213
Marter des Heiligen Sebastianus, Rötheizeichnung des Ce- sare da Sesto, in Windsor-Castle 213
Porträt des Kaisers Maximilian von A. de Predis, in der
Ambraser-Sammlung zu Wien 230
Profilporträt einer unbekannten Dame aus dem Hause Sforza,
von A. de Predis, in der Ambrosiana zu Mailand , . 238 Profilporträt des Lodovico Sforza im „Libro del Jesus" in
der Bibliothek des Fürsten Trivulzio in Mailand. . . 239 Zeichnung von A. de Predis zu den Porträts des Kaisers
Maximilian und seiner Gattin, in der Akademie zu
Venedig 240
Madonna von Bernardino de' Conti, in St.-Petersburg. . , 249 Profilporträt des jungen Massimiliano Sforza, Silberstift-
zeiclmung, in der Ambrosiana 250
Madonnenbild aus der Frühzeit des Carlo Crivelli, in der
städtischen Galerie von Verona 362
PRINCIP UlSD METHODE.
Daus les choses du tnonde presque toute queation n'est qu'une question de möthode.
La Bruyere,
If^;*!!! älterer Mann in Florenz, dti . ^niui aus&eiii
I Erscheinung nach zu schliessen, dem gebildetem
^ ''^Stande der Italiener angehörte und den ich meh-
■x-^r-' rere male Gelegenheit gehabt hatte, in den Sälen
der dortigen Galerien, allein oder auch von Jüngern
Freunden begleitet, mit ungewöhnlichem Interesse die
Bilder sich betrachten und besprechen zu sehen, stieg
eines Nachmittags neben mir die Treppen des Pitti-
Palastes hinab.
Entzückt, wie ich an jenem Tage war, nicht nur über eine Landschaft von Rubens, die ich zuletzt mir ani,'<'!?(.'licn hatte, sondern auch über die schönen gross- artigen liäume, in denen alle jene Prachtbilder dort auf- gestellt sind, sowie über die herrlichen Pinien, Cypi'essen und Eiclien im Garten des Palastes, koinite ich nicht umhin, als wir zur Thüre in die freie Luft hinaustraten, dem unbekannten Herrn an meiner Seite meine Be- wunderung über den grossartigen Bau des Brunelleschi auszu(h'ücken. „Ich hätte nie geglaubt", sagte ich zu ihm, „dass solche Gewnltbauten in einer KepubUk entstehen könnti'u!" — „Warum denn nicht, mein Ilerr?*^ erwiderte er mir läcliehid. „(Hauben Sie denn etwa, l.KRxoLtxrr. \
• ) Princip und Methode.
dass die Kunst von der Staatsform abhängig sei und dass es somit eine republikanische und eine monarchische Kunst gebe oder je gegeben habe? Ich dächte doch, dass sowol die Kunst als die Religion in Ivepubliken ebenso wie unter Despoten gedeihen, vorausgesetzt dass der Boden und die äussern Bedingungen ihnen gimstig sind." „Da ich sehe", fuhr er fort, „dass Sie unsern o-rossen Baumeistei- zu schätzen wissen, so lade ich Sie ein, folls Sie nichts Besseres vorhaben, mit mii- die nahe o-elegene Villa Rucciano zu besuchen, ein Landhaus, das Brunelleschi ebenfalls für seinen reichen Mitbürger Luca Pitti erbaute." „Der heutige Abend", fügte er hin- zu, „ist so hell, die Luft so lau, dass Sie die kleine An- strengung des Weges gewiss nicht gereuen soll."
Ich dankte dem gefälligen Mann für sein freund- liches Anerbieten und sagte ihm, dass ich als Russe, der zum ersten mal nach Italien komme, nie etwas von dieser Villa gehört hätte, und dass dieselbe auch nicht in meinem Führer angegeben wäre.
„Die Führer", bemerkte er nicht ohne einen leichten ironischen Ton, „schreiben eben für das grosse Reise- publikum, und dieses ist zufrieden, wenn man es nicht gar zu sehr mit Sehenswürdigkeiten abplagt und er- müdet. Heutzutage betrachtet man ja das Reisen nicht sowol als ein Vergnügen, sondern vielmehr noch als eine leidige Forderung der sogenannten allgemeinen Bilduno-. Man reist eben, um anzukommen, und ist man da, so trachtet man so schnell als nur möglich mit den unumgänglich nöthigen Sehenswürdigkeiten fertio- zu werden, um sodann mit erneuter Resignation am nächsten Orte ein Gleiches zu thun. Das heutige Leben lässt den Menschen kaum zu sich selbst kommen. Die Begebenheiten des Tages ziehen in aller Hast, eine nach der andern, vor unserm Auge vorüber, ungefähr so als stünden wir vor einer Laterna magica, ein Ein- druck verwischt den andern, und in diesem endlosen
Kanstkexmer and Kunsthistoriker. 3
Wirbel und Wechsel ist keine Hube und obne Ruhe kein Kunstgenuss möglieb.'-
„Leider", sagte icb, „ist alles dies nur zu wabr. Aucb icb bin von Müncben über Verona und Bologna nacb Florenz gefahren, obne mir jene gewiss interessanten Städte aucb nur oberfläcblicb angeseben zu baben. Zu meiner Entscbuldigung muss icb jedocb hinzufügen, dass icb durch die vielen Bücher über Kunst und Aestbe- tik, die icb in Deutschland und in Paris gelesen, die Kunst und alles was damit zusammenhängt so herzlich siitt bekam, dass icb mir vorgenommen hatte, in Ita- lien gar keine Bildersammlung und Kirche mehr zu besuchen — ein Vorhaben, das ich jedoch hier in Flo- renz gar bald vergessen musste.''
„Sie waren also früher ein Verehrer der alten Kunst und sind in Deutschland und in Paris, wie Sie sagen, ein Feind derselben geworden?''
„Ich darf meine Abneigiuig nicht Feindschaft nennen, wol aber Ueberdruss/' — „Und dieser", versetzte mein Begleiter, „war wol veranlasst durch das zu viele Lesen, Die Kunst will eben gesehen sein, sollen wir uns Ge- nuss und wahre Belehrung von ihr versprechen."
„In Deutschland, mein lieber Herr", sagte ich, „ver- steht man das anders. Dort will jedermann blos lesen und die Kunst nirbt g<»inalt oder gemeisselt, sondern schwarz auf weiss gedruckt vor sich sehen."
„Leider", sagte der Italiener, „leben wir in einer Zeit, wo das Schreiben und Drucken in Euroj)a epi- di'Uiisch ist, gleich als ob ein jeder sich verpflichtet fühlte, die eigene Unwissenheit seinen Mitmenschen, kund zu thun." — „Ja wold", l)emerkte icb, ,.die alber- nen I^'ute verlieren ihre Augen und ihre beste Zeit mit Ivesen und Schreiben, und zu leben wissen nur wenige!" — „In Deutschland", meinte mein Begleiter, „mag schon das unwirthliclie, raulie Klima an diesem psychologischen Phänomen grosse Schuld tragen. Die
1*
4 Princip und Methode.
kalten, langen Winternäclite und die vielen Nebeltage laden den Menschen zum Lesen und zum Schreiben ein, und wie das Meer grosse Schiflahrer und Handelsleute erzeugt, so bringt die geographische Lage Deutschlands ein Volk von Denkern, von Schreibern und somit auch von Lesern hervor. Auch ich war mehrere Jahre in den deutschen Landen in meiner Jugend, und das ist leider schon sehr lange her; ich liebe die deutsche Na- tion gar sehr, es sind in der Mehrzahl höchst anstän- dige, zuverlässige und sehr gelehrte Leute, und kein Volk auf Erden studirt mit grösserm Eifer unsere Künstler aus der guten Zeit, als die Deutschen. Nur haben sie, wie ich glaube, die Schwäche, über das An- geschaute gar zu viel zu schreiben und leider auch drucken zu lassen, und dies zwar, ehe die Frucht ihrer Studien zur vollen Reife gelangt ist, uneingedenk des weisen Käthes, den Horatius dem Piso ans Herz legte: « nonumque prematur in mmum », ein Rath, der, wie mir scheint, noch viel mehr von den Kunstschriftstellern als von den Dichtern beherzigt zu werden verdiente. Denn eine schlechte Dichtung ist wie eine hohle Nuss, die man wegwirft — sie bringt keinen Schaden; wogegen die fVdsche Anschauung imd Beurtheilung eines Kunst- werks, wenn einmal gedruckt, unendlichen Schaden schon dadurch hervorbringen kann, dass sie von der un- wissenden Menge w^iederholt, von dem Urheber dersel- ben jedoch, schon aus Eitelkeit, nicht widerrufen wird."
„Sie haben vollkommen recht", sagte ich. „Auch mir kamen diese leichtsinnigen Kunstschreiber stets als die eitelsten Leute von der Welt vor."
„Scharenweise", fuhr der Welsche fort, „ziehen in unsern Tagen diese jungen, lernbegierigen Menschen über die Alpen zu uns herab, und da sehen wir sie bei schönem Wetter schon am frühen Morgen, vom Wissensdurst getrieben, mit ihrem rothen oder braunen Führer unter dem Arm die Kirchen und Kunstsamm-
Kunstkenner und Kunsthistoriker. 5
hingen mit unverwüstlichem Eifer durchmustern. Es ist eine walire Freude, ihnen zuzuschauen! Und dar- unter ti-iät man doch zuweilen auch sehr gut geschulte Kenner an, die die Werke unserer alten Meister viel besser zu würdigen wissen, als — ich muss es zu im- serer grossen Schande bekennen — die meisten von uns, die wir doch im I^ande selbst wohnen und es da- h«*r so bequem hätten, dieselben mit Müsse zu studiren."
„Ach. um Gottes willen^*, rief ich aus, „sprechen Sie mir nur nicht von Kunstkennern. Ich habe über die- selben in Deutschland so viele Streitschriften gelesen, dass mir davon die Ohren noch immerfort gellen." „Sie müssen nämlich wissen'', bemerkte ich noch dem über meinen Schreckensschrei erstaunten Mann, ,,dass die Kathederprofessoren, die da Bücher über Kunstgeschichte zu schreiben pflegen, gegen die Kunstkenner grimmig erbost sind, und dass die Maler ihrerseits über beide zugleich schimpfen und sich lustig machen, über die Kunsthistoriker sowol als über die Kunstkenner; ja, einige Spassvogel haben sogar die Behauptung aufge- stellt, der Kunstkenner unterscheide sich vom Kunst- historiker dadurch, dass er von der alten Kunst etwas weniges verstehe, indess, falls er zur feinern Sorte der- selben gehöre, nichts darüber schreibe, der letztere da- gegen viel darüber schreibe, ohne das geringste davon zu verstehen, während die 2ilaler, die mit ihrer Tech- nologie grossthun, im allgemeinen weder das eine noch das andere verständen."
Der Welsche, der von diesem Federkriege in Deutsch- land nichts zu wissen schien, musste laut auflachen über meinen Bericht, meinte jedoch, indem er im (lehen nachdenkend stille hielt, dass der (legenstand allerdings derart wäre, eine interessante Coutroverse zu nähren. Sodann ging er eine Weile sinnend vorwärts, ohne ein Wort zu sagen, bis wir endlich an einem grünen Platz am Arno angelangt waren, wo er mich zum Ausruhen
6 Princip und Methode.
einlud. — Es war ein glänzender Ilerbstabend; der schwarze Tliurm des Palazzo veccliio stieg schlank und stolz in den blauen Himmel hinauf, und in der Ferne sah man in lichtgotränktem Duft die bläulichen Berge von Pistoja und Pescia hervorragen. Als wir uns nie- dergelassen, sagte er: „Sie erzählten mir also, dass in Deutschland und Paris die Kunsthistoriker die Kunst- kenner und diese ihrerseits wieder jene als solche nicht gelten lassen wollen?"
„Nicht doch, mein Herr", erwiderte ich; „die Kunst- kenner sagen von den Kunsthistorikern, sie schrieben über Dinge, die sie gar nicht kennten, wogegen die Kunsthistoriker ihrerseits die Kunstkenner iiber die Achseln ansehen und blos als ihre Handlanger, die ihnen das Material zuführten, betrachten, die aber selbst von dem Lebensorganismus der Kunst keinen Begriff hätten."
„Ich denke doch", meinte mein Begleiter, „dass die Herren Kunstprofessoren in Deutschland und in Paris etwas zu weit in ihrem Urtheile gehen und dass sie die Sache, um die es sich handelt, nicht hinlänglich sich überlegt haben." „Die Streitfrage ist übrigens nicht von gestern her", fügte er hinzu, „sondern sie ist eine schon sehr alte. Mir scheint sie in der That nicht ganz ohne Interesse zu sein, und daher würdig, unpar- teiisch und vorurtheilsfrei gepriift zu werden." „Ein Kunstkenner", fuhr er dann fort, „was ist er anders als ein Kenner der Kunst?"
„Dem Worte nach allerdings", bemerkte ich. „Ein Kunsthistoriker dagegen ist ein solcher, welcher die Entwickelung der Kunst von ihrem ersten Athemzuge bis zu ihrem endlichen Verscheiden verfolgt und uns dann dieselbe erzählt — nicht wahr?"
„So wenigstens sollte es sein. Um aber die Ent- wickelung irgendeiner Sache darzustellen, ist es doch nöthig", meinte der Italiener, „dass man die Sache selbst, von der man spricht oder schreibt, genau kenne. Ohne
KuDstkenner and Kuusthisturiker. 7
sich vorher mit der Anatomie vertraut gemacht zu haben", lugte er hinzu, „können Sie doch scIiw.iTh h mit d«'r Physiologie sich befassen."
„Auch dies scheint mir khu'", sagte icli. — „\\ ic der Botaniker seine Pflanzen", fuhr er daiui weiter fort, „der Zoologe seine Thiere kennen mus^ damit er beim ersten Blick den jungen Löwen von der Hauskatze, die Feige von dem Kürbis zu unterscheiden wisse, so ist auch der Kunsthistoriker angehalten, mit seinen Ge- bäuden^ Statuen und Bildern vertraut zu sein,, will er vorerst sich selbst, sodann seinen Zuhörern oder Lesern einen richtigen Ueberblick über dieselben verschaffen. — Wer auf einen Berg steigt, sagt ein alter Schrift- steller, ohne vorher die Ebene kennen gelernt zu haben, der weiss, oben angelangt, nicht zu sagen, ob die Bäume dort unten Oliven oder Weiden, ob es Pappeln oder Cypressen sind, d. h. ob er eine nordische oder eine südliche Landschaft vor sich habe; daher, meine ich, sollte man sich zuvor etwas mit der Ebene be- kannt machen, will man von der Höhe herab das Ge- s:unmtbild der Gegend richtig auffassen und schildern. Ist dies nicht der Fall, so kann doch, wahrlich, die Beschreibung der Landschaft nur aus leeren, auf jede beliebige Landschaft passenden Phrasen und hochklingen- den Gemeinplätzen bestehen und wlid (l.ilici- kilnes- wegs zutreffend sein."
„Dieser Art sind aber die iiu'K>tcn der »ogcnaunten kunstgeschichtlichen Bücher", erwiderte ich.
„Vor Zeiten", antwortete der Italiener, „das gebe ich Ihnen gern zu, vor Zeiten war dies allen T Imt-
all in Kuropa d<'r Fall. Die Lehrer der Kun- . hte
waren in der Kegel ästhetische Literaten oder auch ge- lehrte Archäologen, die für die Kunst keinen wahren Sinn hatten und von ihr auch nichts anderes wussten, als was sie eben aus den Büchern ihrer Vorgänger aus- wendig gelenit ) • twn mündlich von Akademie-
g Princip uud Methode.
Professoren der Maleroi vernommen hatten. Ilentzn- tage jedoch soll es, wie ich höre, in Paris nnd in Eng- land und zumal in Deutschland in dieser Beziehung ganz anders bestellt sein. Da haben sie ja tüchtige, weltberühmte Docenten der Kunstgeschichte fast an jeder Universität, von denen jeder seinerseits jährlich treffliche Schüler heranzieht und zu zukünftigen Nach- folffern ausbildet."
„Ach, leider, viel zu viele", bemerkte ich ihm. „Die Lehrer, wie Sie dieselben sich vorzustellen belieben, sind selbst im gelehrten Deutschland die Ausnahme von der Regel, denn auch hier gilt das Sprichwort: An den Früchten erkennt man die Güte des Baumes, ^iun sehen Sie sich doch die Leute an, die dergleichen Vor- lesungen angehört haben und davon begeistert in eine Kunstsammlung treten. Entweder stehen sie da wie der Bauer in der Menagerie, oder aber, falls sie zu der wissenschaftlich gebildeten Klasse der Menschheit ge- hören, sieht man sie, in einer Art Kunstdusel beffuigen, an die Bilder herantreten, ohne dass sie recht wüssten, was sie mit denselben anfangen sollen. Dem einen ver- wehrt die soeben vom Lehrer gegebene schwunghafte Definition des « Schönen », das vor ihm stehende Ge- mälde Tizian's oder Correggio's schön zu finden; dem andern kribbeln die verschiedenen Malernamen im Kopfe herum und lassen ihn das Bild vor seinen Augen nicht sehen, denn der junge Mann erinnert sich nicht mehr recht, ob sein Lehrer den Perugino über den Botticelli oder. aber diesen über jenen, den Tizian über den Gior- gione oder diesen über den erstem gestellt hat; und ich spreche hier, wie gesagt, von den allergebildetsten unter den Kunstfreunden. Die grosse Menge jedoch, welche Bildergalerien besucht, findet keine andere Freude an einer Statue oder an einem Gemälde, als das Nach- gebildete mit dem Urbilde zu vergleichen, eingedenk des Lehrsatzes, dass die Kunst nichts anderes sein soll
Kunstkenner und Kunsthistoriker. 9
als der Affe der Natur. Und da vergessen die guten I^ute, wie sich dies von selbst versteht, vor einem Bild- niss des Denner oder des Seibold da«< dnnebt'n liaiijjende eines Tizian oder eines Holbein."
„Leider", meinte mein BegKiu i , .,i>i t> aui 1» bei uns ungefähr so, wFdirend doch jeder gebildete Mensch von seinem Lehrer wenigstens so viel gelernt haben sollte, um an einem Gemälde denselben Genuss zu haben, den ihm ein gutes Gedicht oder eine interes- sante Novelle bietet.**
,,Wie ist das möglich, mein lieber Herr**, unterbnich ich ihn, „wenn der Lehrer, selbst der Sprache der Kunst unkundig., entweder nur trockene Kunstlernanion und Daten oder nichtssagende Biographien aufzuzählen weiss oder seine Zuhörer mit allgemeinen ästhetischen ( f üi'inplätzen abspeist! Ich meinte doch, dass die l'tiulit eines Lehrers der Kunstgeschichte vor allem die sein sollte, seine Schüler auf das Charakteristische in einem Kunstwerk aufmerksam zu machen. Die S< lin- ier sollten lernen auch mitten unter den altmodiM li« u. eckigen Künstlern des Quattrocento sich heimisch zu ' ' ' 11. mit denselben geistig verkehren zu können. Um ■ lier würde dann ihr (ieiiuss sein vor den erhabenen Werken eines Kaffael, eines Tizian, eines Giorgione,
- CVirreggio. Warum weiss die grössere Zahl der leten Leute, selbst in Deutschland, nichts mit den Werken des g^rossen Dürer anzufangen? Darum, weil sie nicht gelernt haben zu sehen, weil das Eckige, oft Unschöne, jedoch stets Charaktervolle der Dürer'schen Ausdnicksweise ihnen unverständlich geblieben ist.** —
„Alles, was Sie mir erzählen, ist sehr traurig"*, be- merkte der Italiener. „Ich hätte geglaubt, dass es nur iH'i uns hier in Italien, w»» der Wahlspruch inertia nt §apietitia noch inmier Geltung hat, S(» übel um die künst- lerische Bildung der MensiluMi Ix^stellt wäre, dass man dnv'«'Lr*-M in den andeni gebildeten iJindern Europas,
10 Princip und Methode.
vornehmlich in Deutschhind, bedeutende Fortschritte, Avie in den übrigen Wissenschaften, so auch in der Kunstkenntniss gemacht hätte." „Ich fürchte jedoch" — fügte er lächehid hinzu — -, „dass Sie das Uebel mit gar zu schwarzen Farben darzustellen belieben. Dass die Dilettanten allenthalben, nicht nur hier in Italien, son- dern auch in Frankreich, Kussland, England und Deutsch- land, sowol in der bildenden Kunst als in der Literatur, nur dem sinnlichen Genuss fröhnen, das mag wol sein, da die hohen Freuden, die das Wissen dem Menschen bietet, im Schweisse unsers Angesichts erworben sein wollen. Haben wir es nicht so weit gebracht, vor allem ein Kunstwerk analysiren zu können, um von der Ana- lysis sodann zur Synthesis zu gelangen, so dürfen wir doch kaum sagen, dass wir im Stande sind, ein Ge- mälde zu begreifen. Und solch eine Bildung darf man, wahrlich, doch nicht von der grossen Menge verlangen. Das gebildete Publikum in Deutschland jedoch, das sehr gross ist, ja grösser als in allen andern Ländern Europas zusammen, würde gewiss kaum so viele Bücher über Kunst lesen, wäre es nicht von dem Wunsche be- seelt, in denselben etwas mehr als blos Sinnengenuss zu finden, und . . . ."
„Mein lieber Herr", fiel ich ihm ins Wort, „ein gebildeter Mensch, der die Geduld gehabt, die dicken Bände, die ihm jährlich über Kunst geboten werden, fertig zu lesen, weiss am Ende, wie dies auch mir er- ging, ungefähr soviel davon als zuvor. Er hat aller- dings dabei herrliche Phrasen und ästhetische Maximen zu lesen bekommen, die seine Ohren berauschten und seinen Geist kitzelten, und hat dabei vielleicht zugleich auch ein paar Dutzend nagelneuer Künstlernamen und Kunstwörter im Gedächtniss behalten, womit er etwa in einer Theegesellschaft sich brüsten kann; allein alle diese Namen und Daten, sind nichts als leerer Schall und können ihm daher ebenso wenig als die schwung-
Kuustkenner und Kunsthistoriker. 11
vollen Phrasen und ästhetischen Recepte irj^endpinoü geistigen Gewinn bringen."
^Darf ich demnach Ihren Worten trauen, >u u.ii. n wir riberall in Europa grossen Mangel an tüchtigen, sachkundigen Lehrern der Kunstgeschichte, und dies aus dtMU einfachen Grunde, weil man noch immer, nach altem Brauch, fortführt, diese Geschichte in den Bü- chern und nicht in den Kunstwerken selbst zu studiren."
yjDies mag allerdings auch ein Grund sein", sagte ich. „Viele und schlechte Lehrer erziehen Halbwisser und diese venirsachen überall, sowol in der \\ issen- schatt als in der Politik, Wirrwarr und Anarchie."*
„Sehr wahr'% bemerkte mein Begleiter, „deshalb habe ich auch immer gedacht, dass wer andern die Ge- schichte der Kunst beschreiben und erklären will, vor- erst doch sich selbst einen klaren Begriff von den Kunst- werken, aus denen ja die Kunst besteht, verschaffen sollte, oder mit andern Worten, dass er vor allem an- gehalten sein sollte, diese Werke, seien es Bilder, seien es Statuen oder Gebäude, mit dem Verstand anzuschauen und zu aualysireu, in denselben das Wichtige vom Un- bedeutenden zu erkennen, kurz sie verstehen zu lernen.*"*
„Sie sprechen hier", entgegnete ich ihm, „von der formalen Kunst, d. h. von der äussern Kenntniss der Kunstwerke. Und ich gebe Ihnen geni zu, dass Sie in gewisser Beziehung auch darin recht haben mögen. Allein der deutsche Kunstphilosoph würde seiner- seits Ihnen bemerken, dass vor dem formalen Kunst- werk im Kopfe des Künstlers die Idee dazu bereits existirt und dass giTade dit^e Idee zu erfassen, zu er- gründen und zu erklären der Ilauptgegenstand sei, der den echten Kunsthistoriker beschäftigen sollte, oder mit andern Worten, dass vornehmlich das innere oder a centrale» Verständniss der Kunstwerke die wahre Auf«^abe ist, die zu losen der Kunsthistoriker berufen
12 Princip und Methode.
sei. Der Kunstgeschichtschreiber aber würde seiner- seits Ihnen entgegnen, dass das Hauptinteresse der Kunstgeschichte nicht sowol auf die Kunstwerke selbst, sondern viehnehr auf die Cultur des Volkes, aus der diese Kunstwerke hervorgegangen und von der sie be- dingt wurden, gerichtet sein müsse."
„Dann hätten wir jedoch, abgesehen davon, dass man schwerlich eine Sache innerlich erkennen kann, ohne sie vorher auch äusserlich erkannt zu haben, dann hätten wir", sagte der Welsche, „keine Kunstgeschichte mehr, sondern auf der einen Seite eine Kunstpsychologie, auf der andern eine Geschichte der Civilisation; zwei allerdings sehr schöne Branchen der Philosophie, allein wenig geeignet, das Kunstverständniss und somit den w^ahren Kunstgenuss zu fördern. Nicht dass ich etwa leugnen wollte, dass über die Ursachen gewisser stilistischer Neuerungen einzig und allein die Cultur- geschichte uns genügende Rechenschaft geben kann. Diese Fälle kommen jedoch seltener vor, als man dies zugeben will." „Damit will ich durchaus nicht sagen", fügte er mit Lebhaftigkeit hinzu, „dass es nicht wün- schenswerth sei, dass der Professor der Kunstgeschichte von Zeit zu Zeit, wenn gerade eine passende Gelegen- heit dazu sich bietet, seine Schüler vom Studium der Form und der Technik ab in die höhern Regionen des Gedankens hinaufführe, oder mit andern ^Y orten, dass er vom einzelnen Theil absehe und die Zuhörer oder Leser auf das Allgemeine aufmerksam mache — dass er sie lehre, den Zusammenhang der Entwickelungs- epochen der Kunst zu verstehen und endlich über die Thatsachen sich zu erheben und dieselben zu beurtheilen. Allein meiner Ansicht nach dürfen solche Ascensionen nur mit Maass und zu rechter Zeit stattfinden, da sonst der Schüler nur zu leicht verleitet wird, in den alten Fehler zu verfallen und die eigenen Gedanken in das Object hineinzulegen, statt die das Object belebenden
Kunstkenner und Kunsthistoriker. 13
Gedanken aus demselben herauszulocken. Der Schüler sollte, meinte ich, vor allem lernen, d:i8 Kunstwerk so vernünftig und zugleich so liebevoll zu befragen, bb dus Hild oder die Statue, durch seine einsichtsvolle Liebe erwärmt, ihm Antwort gibt, und so muss doch die Cirundla<;e alles Kunststudiums die Form und die Tech* iiik bU-iben." „Alle Wissenschaften", fügte er hinzu, ^sind ja auf Beolwchtung und Erfahning gegründet: Per carios usvs /"•'-"• -.•,..,>.•.-. ../.■.. r\>..:t „...,..,.>/,. ...a;,-
strante viam.''*
„Das alles klingt st.'hr schön **, bemerkte ich ihm, ,^und mag auch ganz richtig sein; allein welche Kosten an Zeit und Geld würden Sie nicht dem Kunst beflissenen 11, falls er Ihren Rath befolgen sollte; gar \ - -. wären in der Lage Kunsthistoriker zu werden. Durch Ihre Vorschriften, mein lieber Herr, dürften Sie
^ i-is die jungen Leute vor der Kunst eher abschrecken .1 sie von ihr entfernen, als dieselben ihr zufüliren, und damit würden Sie ja hunderten und aber hunderten den ßroterw»»rb wegnehmen.'"'
„Lassen wir den Broterwerb aus dem Spiel« -. widerte trocken mein Begleiter; „wer die Kunst oder die Wissenschaft als eine Kuh ansieht, die ihn ernäh- ren soll, dem rathe ich eher zum Bankier, zum Advo- caten, zum Wirth oder zum Apotheker sich auszubilden. Das Studium der Kunst, wie ich es im Sinne habe, mag allerdings viele, viele Jahre Zeit in Anspruch nah- men, dies gebe ich Ihnen gern zu. Waa jedoch die (;.iji...,lpu anbelangt, so kommt es mir vor, als ol) Sie 1 gar zu s«'hr überschätzen. Wie der Botaniker uiiirr »einen Pflanzen, frischen und getrockneten, der Mineralog und Geolog unter seinen Steinen und Fossilen lebt und webt, so soll der Kunstkenner zwischen seineu l*hotn;rraphieu. und ist derselbe wohlhabend, womög- lich auch unter Ctemälden und Statuen leben. Das ist »eine Welt, worin er das Auge täglich zu üben und
14 Princip und Methode.
zu verfeinern hat; denn visits^ qid nisi est verus, ratio (juoqite falsa sit omnis. Es verstellt sich von selbst, dass der Kunstfreund dabei auch das Studium der um- gebenden Ncatur keinen Tag vernachlässigen darf; will er die Werke der Kunst verstehen, so muss er doch selbst Kiinstler sein, d. h. er nuiss lernen, die Menschen und Dinge um sich herum mit dem Auge des Künst- lers anzusehen."
„Gegen diese allzu grossen Forderungen, die Sie an den angehenden Kunstkenner stellen", sagte ich ihm, „wäre gar vieles einzuwenden. Erlauben Sie mir hier nur folgende Bemerkung zu machen: Wie wollen Sie, unter anderm, dass der Anfänger in der Kunstwissen- schaft im Stande sei, die Photographien der echten von denen der unechten Kunstwerke zu unterscheiden, pho- tographirt man doch heutzutage alles durcheinander, Kraut und Rüben, Echtes und Falsches?"
„Nun", entgegnete der Welsche, „weshalb besuchen wir denn die Vorlesungen des Kunsthistorikers, wäre es nicht, um von ihm Anleitung zu erhalten, selbst denken und sehen, das Echte vom Falschen, das Bedeutende vom Unbedeutenden unterscheiden zu lernen? Wir gehen doch nicht in die Schule, um uns vom Lehrer wörtlich das hersagen zu lassen, was wir zu Hause viel bequjemer gedruckt lesen könnten, sondern wir gehen in die Schule, um durch die lebendigen, anregen- den Worte des Lehrers für die Kunst begeistert zu werden, um durch seine Anleitung an Beispielen das Wahre vom Falschen, das Charakteristische in den Werken der grossen Meister, sei es in der Wahl und Aufiassung des Gegenstandes, sei es in der Eigenthüm- lichkeit der Darstellung dei" Formen und der Farben- harmonie, erkennen zu lernen."
„Wir haben aber", fiel ich ihm ins Wort, „bereits gesehen, dass solche Lehrer, wie Sie sie wünschen, in der ganzen Welt höchst seltene Vögel sein dürften.
KuDstkeDner ond Kunsthistoriker. 15
Ueberdies kommt es mir so vor, als ol> Sie in Ihren Forderungen an den Kunstliistoriker doch viel zu weit iringen. Wie darf man auch von einem Manne ver- hin;^»'n, er solle, bei unserer so knappen Lebensdauer, :ill«» alten Maler kennen und voneinander unterscheiden lernen, und nun gar ein vielbeschäftigter Director oder Professor, der ja ausserdem seine Kataloge und Bücher anzufertigen hat, wo ums Himmels willen soll er die Zeit hernehmen, um alles selbst zu untersuchen und zu prüfen, und sogar den Meistern zweiten und dritten U:in;r<s unrlr/ugehen? Wie wollen Sie, dass derselbe z. B. di«-* Ergrbnisse der Kunstkenner controlire, die guten von den schlechten scheide, wenn er nicht selber Kenner ist — ' nntlich unter den Kunstkennern fbenso viele N iis unter den Kunsthistorikern?! — Nein, was
man von ihm verlangen darf, ja fordern sollte, ist, dass er IIS mit den Bahnbrechern, mit denllauptmeistern iMstschule vertraut sei, um die Werke derselben von denen ihrer Schüler und Nachahmer unterscheiden zu kotnien. und nicht etwa, wie dies noch inmier geschieht, eine beliebige Statue für das Werk des Michelangelo oder zweideutige Bilder für die Arbeiten Verrocchio's oder gar Leonardo^s dem Publikum aufdrangt, welche, bei Lichte betrachtet, doch nur als Erzeugnisse schwacher Nachahmer der grossen Künstler sich heniusstellen.*''
„Das, was Sie da sagen, mein Herr, ist alles schon und gut*% antwortete lächelnd mein Begleiter, „nur fragt es sich, ob das eine ohne das andere zu erzielen iht. Ich kann ja doch die (trösse und Wesenheit eines Menschen nur dann richtig messen und beurtheilen, wenn ich denselben n«'ben einen andern, sei er grosser sei er kleiner, stelle und ihn mit demselben vergleiche. Nehmen wir z. B. an, was ja auch möglich ist, Ihr Kunsthistoriker besuche eine Bildergalerie, tun darin vornelimlich den Tizian zu studiren, wie konnte da der brave Mann, ist es ihm wirklich ernst um die Sache,
16 Triücip und Methode.
vor den in derselben Sammlung ihm ebenfalls entgegen- leuchtenden und zuwinkenden Gemälden der grossen Vorgänger und Zeitgenossen des Cadoriners sein Auge ganz und gar verschliessen? Sollte man nicht anneh- men diirfen, dass ihn sein Wissensdurst vom Studium der Werke Tizian's nicht auch zugleich auf das Stu- dium der Gemälde seiner Vorgänger und seiner Zeit- genossen, derBrüderBellini,desCarpaccio, des Giorgione, des Lorenzo Lotto, des Pordenone, des Palma u. s. w., leiten müsse? Doch lassen vv^ir diesen Streitpunkt fallen, genügt es mir doch vorderhand, dass Sie mir zugeben, man dürfe von einem Kunsto;eschichtschreiber weniir- stens verlangen, die Hauptmeister, die grossen Perso- nalitäten der verschiedenen Kunstschulen insoweit zu kennen, dass er dieselben von ihren Schülern und Nach- ahmern mit relativer Sicherheit zu unterscheiden wisse.''
„Ja, dies scheint mir eine billige Forderung zu sein", antwortete ich.
„Meinen Sie aber", fuhr mein Begleiter fort, indem er stille hielt und dabei lächelnd mir ins Auge sah, „meinen Sie, dass dies eine so leichte Sache sei? Ich kann mich doch nicht an das Studium der Werke z. B. Leonardo's oder RaffaeFs machen, ohne zuvor in allen andern Kunstschulen Italiens gründlich mich umgesehen zu haben. Und will ich sodann Leonardo oder Kaö'ael näher kennen, diese zwei Heroen der Kunst richtig auffassen und beurtheilen lernen, so muss ich nicht nur die Werke der Kunstschule, aus der sie hervorffecranofen, auch ins Auge fassen, sondern ich muss selbst ihre Vor- gänger und Zeitgenossen und ihre unmittelbaren Schü- ler zu beurtheilen gelernt haben, um sagen zu können, welche Vortheile durch den Meister seiner Schule ere- bracht wurden in der Auffassung, in der Darstellung, in der Technik. Steht mein Urtheil nicht auf dieser soliden und breiten Basis, so wird dasselbe stets doch nur einseitig und lückenhaft bleiben, mit einem Worte,
Kaü^tktnner urul Kunsthistoriker. 17
iih werde au: .... >...... .. •. ihl- Kunstv«TstriiHri«j'«'n
keinen Anspruch erheben dürfen."
^Aber, mein lieber Herr^, unterbrach ich ihn, „der- gleichen weitläulige und langwierige Studien, wie Sie sie dem Kunsthistoriker zumutheit, wurden ja denselben iiMcli und nach in einen blossen Kunstkenner ver- w.iüdeln! Auch bliebe ihm keine Zeit mehr übriir. die wahre Kunstgeschichte zti* betreiben.'*
..Si«* haben**, antwortete der Italiener mit Ijuheln- der Miene, .«den Nagel auf den Kopf getroften. Ja, ganz richtig, Ihr Kunstgeschichtschreiber würde all- mählich verschwinden — was ja, wie Sie mir zugeben werden, kein grosser Schaden wäre — und aus ihm würde, wie aus der Raupe der Schmetterling, der Kunstkenner sich nach und nach entpuppen.^'
„Was Sie mir da sagen*", bemerkte ich ihm, etwas unangenehm überrascht über seine triumphirende Miene, " -^ Sie da behaupten, kann ich Ihnen durchaus nicht •en. Und zum Heweise, dass Sie im Unrecht sind mier wenigstens in Ihren Ansprüchen an den Kunst- historiker viel zu weit gehen, wollen Sie mir erlauben, Ihnen die neuesten zwei Werke über Kaffael Sanzio 'tdialten. Das «'ine derselben, ein wahrer Praclit- .1 in Paris erschienen, das andere in Berlin, also in den zwei «Centralpunkten» aller geschichtlichen Kirnst forschung. Und hat das erstere in ganz Paris, und somit in der ganzen gebildeten Welt, Heifall bei alt und jung gefunden, so darf man vom Buche des 1 " K' KifesHom sagen, dass es wenigstens an
M I ree mit wahrem Jubel begrüsst wurde.
Nun kann ich aber versichern, dass beide Verfasser w.tl Kunsthistoriker, und zwar vom reinsten Wasser, :ill< III keineswegs Kunstkenner sind. Ja, beide Herren würden es Ihnen sogar sehr ül>el vermerken, wollten *^- -ie als Kunstkenner betrachten, denn das oBilder- rken« ist ihnen geradezu ein Dom im Auge."
I.r RM<>t,tt.rr *J
18 Princip und Methode.
„So etwas", unterbrach mich laut auflachend der Welsche, „so etwas würde mir auch nicht im Traume einfallen." Er fuhr dann mit sichtlicher Lebhaftigkeit fort: „Nein nein, mein Herr, nur durch eingehende, mit Ernst und Liebe gepflegte Studien wird der Kunst- freund, ohne es zu wissen, mit der Zeit zum Kunst- kenner, und dieser wieder, ohne sich dessen zu ver- sehen, zum Kunsthistoriker, falls nämlich, der Stoff dazu in ihm liegt, was doch, wie sich von selbst versteht, die conditio sine qua non ist. Jeder junge Mann kann wol a friori sagen: ich will Pfarrer, Ad- vocat, Professor, Feldmesser, Arzt, Ingenieur, ja sogar, hat er Geld, ich will Deputirter werden, es wäre aber lächerlich, wollte ein Jiingling von 20 oder 24 Jahren sagen: ich will Kunstkenner oder gar Kunsthistoriker werden."
„Und doch", bemerkte ich ihm, „geschieht dies täglich, und zwar wenn einer in andern Fächern des menschlichen Wissens stecken blieb und einsah, dass er damit zu keinem Broterwerb es bringen kann."
„Dies will gar nichts sagen", antwortete mein Be- gleiter, „vorausgesetzt, dass es die Ausnahme imd nicht die Regel sei. In jeder Branche des menschlichen Wis- sens ereignen sich ja solche Fälle, in den Wissenschaften sowol wie in den ausübenden Künsten. Kommen wir jedoch wieder zu unserm Thema zurück. Ich wollte also nur sagen, dass der Keim des Kunsthistorikers, falls eben einer da ist, nur im Kopfe des Kunstkenners sich entwickeln und da aufblühen kann, oder mit an- dern Worten, dass dem künftigen Kunstgeschicht- schreiber die Grundzüge seiner Geschichte in der Pina- kothek und nicht etwa in der Bibliothek aufgehen müssen; um es kurz zusagen, um Kunsthistoriker zu werden, muss man vor allem Kunstkenner sein."
„Auch mir", sagte ich, „wollte diese Ihre Ansicht
Kunstkenner nnd Kantthisioriker. 19
stets als die richtige erscheiuen, iiümlich, dass erstens ohne innern Trieb keiner sich kunstwissenschaftlichen ' > sollte, und zweitens, dass nur das N ike der Kunst selbst im Stande sei, den heruC, eine Geschichte der Kunst zu schreiben, im Menschen heranreifen zu lassen. Ich kann wol theo- retisch der ästhetisch gebildetste Mensch sein, ohne einen Funken Sinn für bildende Kunst zu besitzen. Exempia sunt odiota.'^
„Sehr wahr**, t)emerkte der Italiener, „und doch sind fast alle unsere neuern Kunstgeschichtschreiber hier in Italien nichts anders als Aesthetiker und mei> stens dazu noch Aesthetiker von einer nicht sehr kurz- weiligen Sorte, weshalb deiui auch die Kunstgeschichte bei uns ihre Aufgabe hauptsächlich darin sucht, durch pomphafte lieschreibung der Bilder, durch wohlklingende Phrasen, mehr oder weniger pikante Apervus und Ana- Ux/ien zu glänzen und den I^ser zu bestechen: eine I. liäftigung, die für den, der sich ihr unterzieht, viel- I» I» lit unterhnlteiid sein mag, dem ernsten I><»ser jedoch nicht nur keinen bleibenden (Jewinn bringt, sondeni ihm meist auch nur I^aiigeweile verursacht und seinen C. ipft. Au ' ' !•• Kunsthistoriker,
I. -iie IvOc;n IM* vom Staat b«»-
soldeten, mit strenger, ja peinlicher (iewissenhaftigkeit ' an dif l^eb. ' *' iiigen festzuk' n, mögen
auch nm^h > . < h und abg<- : klingen.^*
..Dies geschieht nicht mir bei Ihnen in Italien^S -.i:/t. ich ihm, „es geschieht geradeso auch bei uns in Uii-^land; denn wer ein Amt zu erha»<hen oder ein solches zu iM'halten strebt, der darf beileibe nicht an d«r relM»rlieferung Kitteln, wäre es auch nur um gegen die Vonirthfile seiner l'rotectoren und seiner dienten im Reich nicht zu Verstössen.^
.,Ich will nicht sagen", liemerkt* ;. . i iorentiner, „dass die Tradition ganz und gar zu verachten sei^ nur
2«
20 Princip und Methode.
darf man dieselbe nicht als Evangelium betrachten, sit' soll der Kritik nicht den Mund stopfen wollen. Bei der Bestimmung von Kunstwerken aber hat dieselbe fast allen Anspruch auf Geltung verloren. Wenn ich bedenke, welche absurde Sagen, selbst über Menschen und Ereignisse der Weltgeschichte unserer Tage, sei es aus Parteileidenschaft, sei es aus Leichtsinn oder gar aus der dem Menschen angeborenen Sucht, den einftxch- sten Voi'fjill, um ihn interessant zu machen, durch Ver- grösserung oder Verkleinerung zu entstellen, ja oft ge- radezu unkenntlich zu machen, in Umlauf gebi'acht worden sind und somit die Bedeutung der Tradition erworben haben; wenn ich ferner bedenke, wie andere diu'ch Tradition auf uns gekommene Sagen durch die neuere Kritik als Luftgespinste erkannt und aus der Völkergeschichte, wo dieselben sich eingenistet hatten, bereits ausgemerzt worden sind, so erscheint mir das grosse Mistrauen, das mir aus langer Erfahrung die sogenannte Tradition einflösst, die an die Persönlichkeit der alten Künstler, sowie auch an gar manches Kunst- werk gleich einem Pilz sich angeklammert hatte, nicht ganz unberechtigt. Ich glaube daher, dass die Tradi- tion in der Kunstgeschichte ungefähr denselben, wenn nicht vielleicht einen noch geringern Werth für den Forscher haben dürfte, als dieselbe in der Welt- geschichte verdient. Und davon mögen ein paar Bei- spiele genügen, um Sie zu überzeugen, dass auch dieses Hülfsmittel, über das so viel Lärm von den Kunsthisto- rikern gemacht wird, nur mit der grössten Vorsicht angenommen werden darf. Die Tradition Hess den Maler Andrea del Castagno als den Mörder seines Freundes und Arbeitsgenossen Domenico Veneziano so lange erscheinen, bis durch das Verdienst unsers be- kannten Archivars Milanesi ein schriftliches Document ans Licht gebracht wurde, aus welchem erhellt, dass der Mörder vor dem Ermordeten das Zeitliche gesegnet
Tradition. 1> 1
lial» . Nach der Tradition wäre Leonardo da Vinci in \ II dos kunstr ' ' u Königs Franzi. ^'« -
. V iiiend es nun :• i -arlie feststeht, dass > Majestät^ der König der Franzosen, am Sterbetage des ' ' • sich gar nicht an jenem Orte befand und >vahr-
I ganz anderes zu tinin hatte, als dem alten Künstler pietätsvoil die Augen zu schliessen. Die Tra- «lition berichtete uns durch Vasari, dass der *^ ^ ' !\att*nt 1 vi.n seinem Vater dem I^hrer Penigino v> .; uiitl
anempibhlen worden sei; nach der Tradition hätte der alte (lianbellino, als Senator verkleidet, dem Antonello da Messina die neue Weise in Gel zu malen verstoh- len abgelauseht: die Tradition lä*8t ferner noch immer- fort das niedliche, vielbewunderte Modellstudium eines hübschen romischen Mädchens in der Barberini-Galerie als diis nach dem Leben gefertigte Bildniss der Bea- trice ( enci gelten; die Tradition endlich will, d;iss der junge Baftäcl seinem Lehrer Pintoricchio die Cartons zu dessen Wandmalereien in der si n Dom-
bibliothek gemacht habe. Von den Li:.:... .^- ii Bilder- taufen, die durch Tradition bei uns noch immer Gel- tung haben, will ich gar nicht reden, da ich Sie damit L'ar /u sehr ermüden würde.**" ( ianz gewiss^ sagte ich.
..Hat nun eine vorurthcilsfreiere und somit im tigere Kritik", fuhr er fort, „in unsern Tagen eine I; m solcher fader, ja geradezu kindischer Erfindungen zu nichte p'macht, so ist damit keineswegs gesagt, dass ihr nielit gar viel noch zu thun übrigbliebe. Aber lassen wir diesen unt<*rgeordneten Gegenstand vorder- liand beiseite und wenden >vir uns wieder zu dem vor- hin ausgesprochenen (tnindsatz, nämlich, dass die Ge- M-hirhte der Kunst einzig und allein vor den Werken tler Kunst selbst studirt wenlen muss. Ueber den Büchern verliert der Mensch fast inuner sich selbst. Zwar gebe ich gern zu, cbss der Begriff, den wir uns
22 Princip und Methode.
durch gute Abbildungen und Durstellungen von dei- Kunst der Aegypter, der Hindus, der Assyrer, der Clial- däer, der Phönizier, der Perser u. s. f., sowie der An- fänge der griechischen Kunst verschaffen können, nicht blos förderlich für unsere allgemeine Bildung sei, son- dern ich bin auch überzeugt, dass dergleichen Studien den Kunstsinn in uns schärfen und erweitern, voraus- gesetzt natürlich, dass wir einen solchen haben. Die Kunst jedoch, die mit unserer eigenen Cultur im innigsten Zu- sammenhang steht, die allein können wir vollkommen verstehen und in uns aufnehmen, und diese Kunst miissen wir, wie gesagt, nicht sowol aus Büchern und aus schrift- lichen Documenten, sondern vor allem aus den Kunst- werken, und dies im Lande selbst, auf dem Boden und in der Luft, wo diese erzeugt wurden und gross ge- worden sind, kennen lernen. Wer den Dichter will verstehen, sagt Goethe, muss in Dichters Lande gehen." „Alles", erwiderte ich, „was Sie da vorbringen zur Unterstützung Ihrer Thesis, dass nämlich nur ein ein- dringliches, unausgesetztes Studium der Form und dei* Technik zur wahren Kunstkenntniss führen könne, und dass somit keiner an die Kunsto^eschichte sich wasren dürfe, ohne vorher Kunstkenner geworden zu sein, alles dies mag wahr und richtig sein, ich will es weder be- jahen, noch verneinen, da ich in meinen Studien noch nicht so weit vorgerückt bin, um mir erlauben zu dür- fen, Ihnen mit Nachdruck beizupflichten oder auch zu widersprechen. Was ich aber Ihnen schon im voraus versichern kann, ist, dass sowol die heutigen Kunst- kenner als die Kunsthistoriker in Europa, wenigstens wie ich dieselben zu kennen Gelegenheit hatte, über diese Ihre Zumuthungen Ihnen herzlich ins Gesicht lachen dürften. Diese Herren würden Ihnen entgegnen, dass der wahre, von der Natur prädestinirte Kunst- kenner und Kunsthistoriker allen diesen Geist und Zeit tödtenden Plunder, den zu besitzen Sie ihm ans Herz
Totaleiudruck. 23
! _ n. gar nicht nothig hat, sondern dass für ihn der i i laleindruck, den ein Knnstwerk, möge dies ein Bild oder eine StAtue sein, auf ihn macht, vollkom- nit-n hinreiche, um ihn den Meister, sei es des Ge- mäldes, sei es der Statue, auf den ersten Blick erkennen zu hissen, und dass sie ausser dem Totaleindruck oder der Intuition und ausser der Tradition nur noch das schriftliche Document gelten lassen, um zur volligen Gewissheit zu gelangen, dass ein Kunstwerk von diesem oder jenem Meister herrühre: alle anderen Ilfilfsmittel aber mochten höchstens blöden Augen einen Dienst leisten, etwa wie die Schwimmblase denen, die nicht schwimmen können — falls sie nicht sogar dazu dienten, in das Studium der Kunst eine heillose Ver- wirrung zu bringen und «den gefährlichsten Dilettan- tismus» gross zu ziehen.'^
„Diese Einwendungen", antwortete der Florentiner, „werden auch hierzulande gegen die Würdigung der Formen und der Technik, d. h. gegen eingehendere analytische Untersuchungen, erhoben und zwar mn lau- testen von denen, die zu allem ernsten Studium weder Anlage noch Lust haben. Ja, ich kenne sogar Leute, denen man weder Verstand noch Bildung absprechen darf, die da glauben, dass eine Sache in Unehre komme, sobald man sie begriffen hat, und die daher dem Stu- dium der Formen und der Technik in einem Kunst- werk ebenso abhold sind, als es etwa die Klerisei der Naturwissenschaft ist. Untersuchen wir nun, wenn Sie es erlauben, in aller Ruhe diese Ansicht. Sie sagten alst», habe ich Sie richtig verstanden, der Kunsthisto- riker in Deutschland und in Paris lege blos auf die Intuition und auf das schriftliche Document Gewicht, seht* dagegen das Studium der Kunstwerke selbst als zeitraubend und nicht zum Ziele fi'ihrend an. Ich will nun keineswegs in Abrede stellen, dass in sehr vielen Fällen einem feinen und sehr geübten Auge der Total-
24 Priucip und Methode.
eindruck oder die Intuition allerdings «illein hinreiche, um den Meister eines Kunstwerkes zu errathen — allein, wie bei uns ein Sprichwort sagt: aV apparenza ingannar>^ d. h. der Schein hat uns oft zum besten. Ich behaupte daher, und könnte es Ihnen durch hun- derte von Beispielen bekräftigen, dass, solange die Be- stimmung von Kunstwerken lediglich dem Totalein- druck anheimgestellt bleibt, ohne die Controle einer aus Beobachtung und Erfahrung gewonnenen Kennt- niss der jedem grossen Meister eigenthümlichen For- men, wir fortfahren werden mit Unsicherheit uns zu bewegen, und dass folglich die Kunsthistorie wie zu- vor auf wankendem Boden stehen wird. Der Ansicht jener Herren gemäss würde also der Kunstkenner, wie man zu sagen pflegt, ebenso gut als solcher geboren wie der Künstler?"
„Allerdings", sagte ich; „dies ist die herrschende Meinung bei vielen unter den tonangebenden Kunst- kennern unserer Tage."
„Ich dagegen halte dafür", erwiderte mein Beglei- ter, „dass sowol die eine wie die andere Thesis cum grano salis zu verstehen sei. Der Künstler wird aller- dings insofern geboren, als es viele Menschen gibt, die gar keinen Sinn für Kunst auf die Welt mitbringen, wie es andererseits wieder ebenso viele gibt, die gar keinen Sinn für Wissenschaft besitzen. Nun glaube ich aber, dass ohne günstige äussere Verhältnisse und ohne Studium wir es in keinem Fache, weder in der Kunst noch in der Wissenschaft, zu etwas bringen. Ein Mensch mag mit mehr Talent für die bildenden Künste, ein anderer dagegen für irgendeine Wissen- schaft auf die Welt kommen; ohne Studium und täg- liche üebung wird jedoch sowol der eine wie der an- dere ein Thor bleiben. Unsere grössten Künstler, wie z. B. Ghiberti, Pollajuolo, die Brüder Bellini, Correggio u. s. w., ja Raftael von Urbino selbst, waren
Totaleindrack.
litr Mehrzahl nach Sohne von Küii>ilrrii mm wuhpu von ihivn Vätern in ihrer frühesten Jugend für dii' Kunst bestimmt und in derselben unterrichtet: ohne (l«*n väterlichen Zwang würden mehrere unter ihnen, vielleicht Kaflael selbst, sei es zur Wissenschaft, sei es
um Handel oder zur Industrie sich gewendet haben. ^•> geht es ebenfalls mit den Kunstkennern. Diese
liU-ifu allerdings vor allem sinnlicher Natur sein, sie uiui^sen ein Auge haben für den Reiz der Können und der Farben, dürfen beileibe nicht den sogenannten Phi- losophenhocker am Schädel tragen; allein der ange- borene Kunstsinn, der durch Uebung zur Intui- tion wird, reicht doch nicht aus für die Kunst- wissenschaft, wenn er nicht durch langwieriges Studium der Kunst werke selbst verfeinert und ausgebildet wird. Fufjgi i precetti di quellt specula- torif che le loro ragioni non sono confermate dalla sperientia^ sagte schon Leonardo da Vinci (««Leonardo da Vinci» von J. P. Kicliter, II, 304: «verschmähe die Lehren jener Kunstforscher, deren Auseinandersetzungen nicht durch dieErfahning ' " ' t sind»). Ich spreche aus Erfahrung, mein Herr. In Lande aufgewachsen, wo leidiM* die- selben pedantischen Maximen von alters her gang und gebe sind, muss ich Ihnen oft'en gestehen, dass auch ich den nämlichen Ansichten huldigte, die, wie Sie mir sagten, in Paris und in Deutschland grassiren; sind wir ja hier in Italien seit alter Zeit von Jugend auf gewohnt, in allen Dingen das Losungswort jenseits der Berge uns zu holen. Und so tappte auch ich jahrelang, mich auf die blosse Intuition verlassend, im Nel>el herum, und gerieth jedesmal in Harnisch, wenn ich Leute fand, die nicht waren, meine von mir für unfehlbar ge- halten ung zu theilen; — es hängt ja unser Ur-
theil viel mehr von unserm Willen als von unserm Verstand abl Müde aller dieser Irifnhrtrn, fing ich diinii :in. dir Hilil«i' mii' •/'«•iiMiiri* mii/ii«.. Ii.n mim] <iii.n
26 Princip und Methode.
Meister mit dem andern zu vergleichen, und endlich glaube ich einen Weg gefunden zu haben, der, richtig verfoljrt, uns aus dem Nebel heraus in eine reinere Luft l^rinjren dürfte. Das einücehende Studium der Formen und der Technik fiihrte mich nämlich, zu meiner grossen Freude, bald zur Ueberzeugung, dass dieser der ein- zige Weg ist, der uns, ich will nicht sagen jedesmal, jedoch in sehr vielen Fcällen zum Ziele fiihren kann. Und in der That, haben nicht etwa alle Kunstkenner, von Vasari an bis auf unsere Zeit herab, jener zwei Hülfsmittel, d. h. der Intuition oder des sogenannten Totaleindrucks und des schriftlichen Documents, sich bedient, um Kunstwerke zu bestimmen? Wie weit die- selben damit gekommen, das sehen Sie ja selbst, nach- dem Sie, wie Sie mir sagten, in Paris und in Deutsch- land so viele Bücher der Kunstgeschichte und dei- Kunstkritik zu lesen Gelegenheit hatten und bald inne wurden, dass fast jeder Kritiker eine von seinem Col- legen verschiedene Meinung haben zu müssen glaubt." „Leider", sagte ich ihm, „ist dies sehr wahr; alle jene Bücher und Schriften dienten nur dazu, mir das Kunststudium zu verleiden."
„Dass der Totaleindruck", fuhr mein Begleiter fort, „in manchen Fällen allein hinreicht, um festzustellen, ob ein Kunstwerk der italienischen oder der vlämischen, oder aber der deutschen Schule angehöre, und wenn es z. B. italienische Arbeit ist, ob es der florentini- schen, der venetianischen oder umbrischen Maler- schule u. s. f. zukomme; ja, dass es zuweilen einem ergrauten Praktiker durch blosse Lituition gelingt, in einem Bild oder in einer Statue den Meister desselben zu errathen, das versteht sich doch wahrlich von selbst; es ist dies eine Weisheit, die Sie ja in der Bude jedes Kunsttrödlers vernehmen können; denn in allen intel- lectuellen Dingen ist das Allgemeine die logische Be- dingung des Besondern. Allein, ist diese Hauptfrage
ToUleindrack. 27
-inmal ('riedigt, und nehmen wir an, das Bild oder <lie Zeichnung gehöre der alten florentinit>chen Kunst- schule an, so handelt es sich weiter dann, mit rela- tiver Gewissheit zu bestimmen, ob es z. B. dem Fra Filippo Lippi oder dem Pesellino oder dem Sandro Botticelli oder dem Filippino Lippi oder aber irgendeinem der vielen Nachahmer der drei Meister zuzuschreiben sei. Sagt uns fenier der Totaleindruck, (las Bild gehöre der venetiauiseben Schule an, so kommt es weiter darauf an festzustellen, ob der Schule Venedigs, oder der von Padua, ob der ferraresischen, der vero- nesischen u. 8. w^ d. h. ob es z. B. das Werk des Giani- Iwllliio, des Vivarini oder des Mantegna, des Barto- iMiiiiueo Montagna, oder des Tura oder des Liberale da Verona u. s. w. sei. Und um diese, in vielen Fallen nicht ganz leicht zu losenden Fragen zu beantworten, da reicht, wie wir gesehen, der blosse Totaleindruck nicht immer aus. Ich spreche aus langer Erfahnmg, mein Herr. Wird ja denn nicht immer noch, und zwar in öftent- lichen Sammhuigen, so manches Bild des Giambellino dem Mantegna, in den Uflizien in jüngster Zeit sogar dem Basaiti (631), in der veronesischen Pinakothek Halbst der «florentinischen» Schule zugeschrieben (Nr. 77 ^ ' i Bemasconi)? Und geschieht es nicht, dass man IWui.-r aus der Jugendzeit Correggio's hier dem Tizian (Uflizien, 1002), dort dem F^rancia (Pavia), Werke des Fra Bartdlonuneo dem Albertinelli (Louvre 17), des Giulio Uonuuio dem Bagnacavallo (Louvre 1^9), Werke des Botticelli dem Filippino (Nat, Gallery), Werke des Sodonia hier dem I.«eonardo da Vinci, dort dem SebastiaiKi dcl Piombo, letzthin sogar dem Jan Score 1 (Frankfurt), in der Albertina' und in Pest (Hoxane) dem l{aff*a«*l Sanzio zuschreibt? Will man
iur .\lbertiiia erhielt jeCxt die tohöne UötbeUeiobuuDg >Mluma ihren richtigen Vtmen.
1>>^ Princip und Methode.
also die Arbeiten der Schiller und Nachahmer oder gär Copien von den Originalwerken der grossen Meister unterscheiden lernen, und zwar, ich will nicht gerade behaupten mit absoluter, so doch mit relativer Sicher- heit, so kann dies doch nur auf die Weise geschehen, welche ich soeben angedeutet habe, d. h. durch die ge- naue Kenntniss der jedem Meister, d. h. jeder Persön- lichkeit eigenthümlichen, für ihn charakteristischen For- men- und Farbenharmonie."
„Das mag sein", sagte ich, „allein, mein lieber Herr, jedes menschliche Auge sieht wieder die Form auf sejne eigene Weise an."
„Ganz richtig", fiel der Italiener mir ins Wort, „ganz richtig, und somit sehen alle grossen Kiinstler die Formen ebenfalls auf ihre eigene Weise an und gerade deshalb sind dieselben für sie charakteristisch geworden, da ja die äussere Form keineswegs, wie viele meinen, zufällig und willkürlich ist, sondern von innern Ursachen abhängt."
„Allein sagen Sie doch lieber", fuhr er dann lächelnd fort, „dass die meisten Menschen diese verschiedenen Formen gar nicht sehen, am wenigsten vielleicht die Kunsthistoriker und Kunstphilosophen, wie Sie sie heissen; denn diese Herren, welche die Abstraction der Beobachtung vorziehen, pflegen in ein Bild wie in einen Spiegel zu schauen und sehen darin gewöhnlich nur das für sie stets so interessante eij^rene Ich. — Ich ffebe Ihnen gern zu, dass es keine sehr leichte Sache ist, die Form richtig zu erfassen und zu sehen, ja, ich möchte fost sagen, richtig zu fühlen — hängt ja dies zum Theil auch von der physischen Construction des Auges ab ; allein ich bin fest überzeugt, dass mit einem liebevollen, anhaltenden Studium ein begabter Mensch auch darin es weiter bringen kann, als man meinen sollte. Alles Studium erfordert ja Zeit und Müsse, und die höchsten Güter werden von den Göttern uns nicht
Totaleindruck. 29
geschenkt, wir müssen dieselben uns durch Anstrengung und Entbehrungen aller Art verdienen. Das wussten schon die alten Griechen und auch der grosse Leonardo da Vinci musste bei seiner Arbeit oft ausrufen: « Ji/, oDio, ci vendi tutti It beni per prezzo di fatica.n (O Gott, die wahren Guter schenkst du uns nicht, sondern willst, dass wir sie uns durch Muhe und Anstrengung verdienen.) Wollte ich von meiner eigenen Erfahning Ihnen erzählen, so müsste ich gestehen, dass ein zwanzigjähriges Studium mich kaum ii])er die Anfangsgriinde der Formensprache gebracht hat; ich gebe jedoch gern zu, dass ein schnel- leres oder langsameres Fortschreiten auch in dieser wie in allen andern Wissenschaften von der grössern oder geringern Begabung, die wir dazu mitbringe^, abhängt. Ich z. B. habe diese so interessanten und so lohnenden Studien leider erst in meinen alten Tagren begonnen, wo der Gesichtssinn bereits etwas abge- stumpft zu sein pflegt und auch das Gedächtniss uns gar oft im Stiche lässt. Diese Formen- und Farben- sprache kann jedoch, geradeso wie die Lautsprache, nur im Lande selbst, wo sie entstand, gelernt und ver- standen werden. Man mache sich darüber keine Täu- schung. Sowol unser geistiges wie unser physisches Auge bringt nationale Vorurtheile mit sich — diese müssen nach und nach im fremden Lande abgestreift werden. Wir müssen mit der äussern sowol als auch mit der geistigen Atmosphäre des Landes uns so ver- traut maciien, dass wir uns daselbst einheimisch fiihlen."
..Kunst und Wissenschaft", fiel ich ihm ins Wort, ..ken- nen keine Nationalität, sie gehören der Menschheit an.*^
,.Gnnz wohl**, entgegnete mir der Welsche, „allein auch dieses Axiom ist cum grano saiis zu verstehen. Denn ich behaupte, dass jedes Volk sowol die Wissen- schaft als auch die Kunst und Religion auf seine eigene W^eise auffasst Schwört z. B. niclit jede Nation auf (Viv Weisheit der eigenen Doctoren, der eigenen
30 Princip und Methode.
Philosophen, sogar der eigenen Bilderrestiuiratoren, denen allen sie mehr Zutrauen schenkt als den fremden?"
„Damit sagen Sie mir also", bemerkte ich mit Er- staunen, „dass zum Studium der Formensprache fast ein ganzes Menschenalter erforderlich sei! Mit dieser Angelruthe, mein lieber Herr, werden Sie, das kann ich versichern, wenig Fische ködern, sowol in der Alten als in der Neuen Welt."
„Daran liegt auch gar nichts", erwiderte stolz der Italiener. „Fühlt einer nicht Lust und Kraft in sich, so eindringendem Studium sich hinzugeben, da mag er unten am Fusse des Berges bleiben, den Rauch- wolken seiner Pfeife brütend nachsinnen und dabei iiber die langsam den Berg Erklimmenden sich lustig machen. Für ihn haben die göttlichen Künstler nicht geschaffen. Oder versteht etwa einer die Feinheiten in den Werken der grossen Dichter der Vorzeit, wenn er nicht zuvor vor allem sich ihrer Sprache bemächtigt hat?"
„Ganz gut", sagte ich, „allein das grosse Publikum wird Ihre sogenannte Formensprache nie sich zu eigen machen. Die Menge, mein Herr, weiss ja kaum ein bedeutendes Gesicht eines Menschen von einem nichts- sagenden zu unterscheiden; höchstens wird sie merken, dass der eine an der Stirn eine Warze, der andere eine Hasenscharte, eine Stumpfnase oder statt blauer schwarze Augen hat; mehr als das beachtet sie gewöhn- lich an einem menschlichen Gesicht nicht."
„Ich weiss", sagte er, „dass es nur den von Gott Begnadigten gegeben ist, an der siissen Frucht der Kunst sich zu erlaben, und dass man nicht erwarten darf, dass die Bildung des grossen Publikums so inten- siv sei, um, sei es die Kunst der Griechen und Römer, oder die eines Dante, eines Shakespeare, eines Goethe, eines Ariosto,' oder eines Giotto, eines Masaccio, eines Leonardo da Vinci, eines Giorgione, eines Raifael, eines Dürer, eines Correggio in ihren Feinheiten zu empfinden
Totaleindruck. 31
und in sich aufzunehmen ; allein ich glaube trotzdem, dass ein vernirnftigerer Schulunterricht, als der von den Je- suiten überall in Europa eingeführte, auch in diesem Punkte viel mehr zu leisten im Stande wäre, als wir gegenwärtig erreichen."
„Die nach Ihrer Ansicht von Gott Begnadigten 'S entgegnete ich, „mögen zu allen Zeiten sehr seltene Vogel gewesen sein. Jede Epoche hat ja ihre Mode und folglich auch ihre Kunst. Versteht daher das grosse Publikum, das ja immer nur in seiner eigenen Zeit lebt und mit derselben denkt luid trachtet, die Kunst vergangener Zeiten nicht, so versteht es dafür um so besser die eigene, d. h. unsere gegenwärtige Kunst, den socialdemokratischen Roman, das Genre- und Land- schaftsbild, das Schlachtstuck, das Stillleben, das Vieh- stück — vor allem jedocFi die «Illustrirte Zeitung». Was die alten Meister anbetriift, so halte ich dafür, dass eine gute Copie ihrer ja meist auch sehr entstellten Bilder fürs grosse Publikum, d. h. für die Laien, den- selben Dienst thim würde, wie das Original bild selbst."
„Wenn nicht noch einen bessern", antwortete mir ganz gelassen mein Begleiter; „davon bin auch ich mehr als überzeugt. Je näher der Copist, in dessen Auge das Originalbild sich ja widerspiegelt, unserer Zeit, d. h. unserm eigenen Geschmack und unserer Sinnes- weise steht, desto besser wird uns, d. h. den Laien, auch seine Copie gefallen; und davon könnte ich Ihnen viele schlagende Beispiele anfiihren, unter andern auch die IIolbein-Madonna und die Magdalene des Correggio in der Dresdener Galerie."
„Und dies, mein Herr", fiel ich mit Le!)haftigkeit ihm ins Wort, „ist schon lange die Ansicht, die ich vom Publikum in den ött'cntliclien (ialerien gewonnen habe."
„Wir sind in unserm Gespräch auf Abwege ge- rat hen", sagte der Welsche, indem er von seinem Sitze sich erhob. „Uebcr den Werth der sogenannten Tra-
32 Princip und Methode.
dition, sowie über die Unsicherheit, in welcher bei Be- stimmung von Kunstwerken in den meisten Fällen der blosse Totaleindruck uns lässt, sind wir, denke ich, so ziemlich einig geworden."
„Sagen Sie nur «ganz und gar»", erwiderte ich ihm. „Das schriftliche Document jedoch", fuhr ich fort, „werden Sie hoffentlich doch gelten lassen?"
„Nur ein wissenschaftlich gebildeter Kunstkenner", antwortete er, „ist in der Lage, ein schriftliches Do- cument vollkommen zu verwerthen; einem blossen Ar- chivar, der von der Kunst nichts weiss, sowie auch dem Neuling in der Kunstwissenschaft hilft dasselbe nicht nur nichts, sondern es führt ihn in den meisten Fällen sogar auf Abwege."
„Wie?" rief ich erstaunt aus, „sogar den Werth des von allen Kunsthistorikern so hochgehaltenen schrift- lichen Documents wollen Sie in Zweifel ziehen?"
„Das einzige wahre Document", antwortete er ganz ruhig, „bleibt am Ende für den Kunstkenner doch nur das Kunstwerk selbst. Dieser Ausspruch klingt aller- dings sehr verwegen, ja arrogant, ist es aber durchaus nicht, wie ich dies an mehrfachen Beispielen Ihnen dar- zuthun trachten werde. Und in der That, wo wollen Sie etwa ein vertrauungsvolleres , in die Augen leuch- tenderes Document finden, als in dem auf des Meisters Werk gesetzten Namen, einem Document, das wir in Italien acartellinoy) zu nennen pflegen?"
„Nun ja", sagte ich, „wenn alle Bilder mit Auf- schriften versehen wären, dann wäre es wahrlich kein grosses Verdienst, Kunstkenner zu sein."
„Auch hierin kann ich Ihnen nicht beipflichten", sagte der Italiener, und fuhr dann fort: „Wie in der guten alten Zeit, als noch die Pässe im Schwange waren, gerade die durchtriebensten Spitzbuben sich die regelmässigsten, untadelhaftesten a Papiere» zu ver- schafi'en und mit diesen « schriftlichen Documenten »
Schriftliches Document. ^
die Polizeiagenten zu tauschen wussten, geradeso wur- deu und werden noch immerfort die Kunsthistoriker und Galeriedirectoren durch schriftliche Documente und Cartellini an der Nase herumgeführt. Ich konnte Ihnen, mein Herr, Dutzende solcher falscher Cartellini altern und neuern Datums anfuhren, die sich auf Bildern in weltberühmten Galerien vorfinden; die folgenden mögen vorderhand genügen, Sie von der Richtigkeit meiner Aussage zu überzeugen. Sie finden in der Doria-Galerie in Rom, im Louvre zu Paris ^ Bilder des Niccolo Ron- dinelli aus Ravenna, die wegen ihrer gefälschten Auf- schrift unter dem Namen des Giambellino gehen und als solche auch von den Kunsthistorikern beschrieben und besungen werden. Andere Bilder, die von andern Schülern und Nachahmern des Meisters verfertigt wur- den, tragen ebenfalls den Namen des Giambellino, so unter andern: das Madonnabildchen der Galerie Bor- ghese in Rom^; der u Ecce homo» in der Sammlung Poldi - Pezzoli in Mailand': zwei Madonnenbilder in der städtischen Galerie von Padua *; eine « Pietii » in der von Bergamo.'' So erblicken wir das Zeichen des Andrea del Sarto auf gar manchem Bild, das sich doch nur als schwache C'opie nach jenem grossen Meister erweist, wie Sie dies besonders in der Borghese-Galerie und in der des Fürsten Doria Pamphili in Rom zu sehen Gelegenheit haben. Und liat nicht etwa in neuester Zeit sogar der gefälschte Name auf einem Ma- donnenbild aus der Peruginischen Schule in der turiuer Galerie gar manchen oberflächlichen und vorwitzigen Kun^tkenner veranlasst, jenes schwarze und hässliche Gemälde fiir das Werk des Timoteo Viti zu halten und
' Crowe auil t'avalcuaclie, Uistory ol l'ainliuK m >urth luly, I, 185. :). > Ehend. 1. 198, 8. * Ebend. I, 144, 1.
« Nr. Vm und Nr. 1273 (Leg»to Crwcini). * Crowe and CaraloMelle I. 143« 3. LKaaoLiBrr. 3
34 Princip und Methode.
demnach den liebenswürdigen Meister von Urbino zu verdammen und ihn fiir unwürdig zu erklären, der Lehrer KatfaePs gewesen zu sein?
Noch ein anderes Beispiel, um Ihnen zu beweisen, welchen Werth solche Documente in den Augen der- jenigen haben dürfen, denen die Kunstsprache unbekannt ist, liefert mir auch* das grosse Glasfenster in der Kirche von S. Giovanni in monte zu Bologna. Dieses grossartige Bild, auf dem Johannes der Evangelist dargestellt ist, trägt die Bezeichnung C. A. F. Nun wird jeder mit der ferrare- sischen Kunstschule vertrauteKunstfreund keinen Augen- blick anstehen, in demselben den ernsten Geist und die breiten, von denen des Lorenzo Costa so verschiedenen Formen, sowie auch die charakteristischen, stark ge- schwungenen Falten des Ferraresen Francesco Cossa zu erkennen. Trotz alledem aber wurde und wird jenes Werk von den Führern von Bologna und somit auch von sämmtlichen Kunsthistorikern ^ dem Lorenzo Costa zu- geschrieben, und dies nur deshalb, weil sie eben nicht im Stande waren, das Bild selbst zu lesen und somit das schriftliche Document richtig zu deuten, vielleicht auch weil schon Vasari den ihm weniger bekannten Maler Francesco Cossa stets mit dem Jüngern, ihm be- kannter'n Ferraresen Lorenzo Costa zu verwechseln pflegte. Ebenso wurde auf das Bild eines andern Fer- raresen, auf dem der heilige Sebastianus dargestellt ist, von einem Gauner mit hebräischen Buchstaben der Name Laurentius Costa geschrieben und das Bild von alt und jung wieder diesem letztern Maler zugedacht, wo- gegen es sich für jeden Kenner als ein Werk, und zwar als ein sehr charakteristisches, des Cosimo Tura erweist. ^
^ Die neueste „Guida di Bologna'"''^ von Herrn Corrado Ricci verfasst, gibt LermoliefF recht und führt nun dieses Glasfenster als Werk des Francesco Cossa an.
2 Siehe Crowe and Cavalcaselle, I, 538.
Schriftliches Documeni 35
Es wäre ein Leichtes IVu miiii, iioili l)ui/.cude solcher von Unkundigen falsch gedeuteter Documeute anzu- führen, sowie auch eine Menge von schon vor Jahr- hunderten betrügerisch gefälschten Aufschriften, die von den Kunsthistorikern schon ihres hohen Alters wegen für echt gehalten wurden und auf die sie folg- lich ihre tiefen und hohen Betrachtung«Mi In .ill.r Zu- versicht basiren zu dürfen vermeinten.^'
„Je weniger wir eine Sache be^n.it n -. btuurkte ich ihm, „mit desto mehr Worten und (iih. rden pflegen wir unsere Bewunderung darüber auszudrücken."
„Lassen Sie mich nun Ihnen", fuhr mein Begleiter fort, „von einer andern Sorte von Documenten erzäh- len, auf die man heutzutage mit besonderm und löb- lichem Eifer fahndet, nämlich von den im Staube der Archive aufgefundenen. Es ist unstreitig eine sehr rühmliche Arbeit der Herren Archivare, namentlich in Italien und Belgien, dass sie sich alle erdenkliche Mühe geben, dergleichen Documenten, die auf Künstler und auf ihre Werke sich beziehen, nachzuspüren. Gar manches solcher Schriftstücke hat uns schon dazu gedient und wird uns noch oft dazu dienen, dunkle Stellen in der Kunstgeschichte aufzuklären, unbekannte Künstlernamen zu entdecken. Und in dieser Hinsicht kann die Kunst- geschichte dem gelehrten und kunstverständigen Dänen (laye, dem Herrn (iaetano Milanesi, dem verstorlnMien Michelangelo (iualandi aus Bologmi, dem ebenfalls ver- storbenen gelehrten Marquis C ampori, sowie dem ver- •llen Adolfo Venturi aus Modena, den Herren 1 >lli und Bertolotti in Mantua, dem vorsichtigen,
sachkundigen leider kürzlich verstorbenen Cecchetti in VrnrdiL' ' ' Beniühungi'U ni« ' ' '' In.
Andt-rei- >>cn ab^r vi««le d* 1 kg,
Ton den Archivaren selbst verdolmetscht, den gröasten Unsinn erzeugt und in Umlauf gebracht. H« i' *' " ich noch iH'nicrkrn, daas es sich vi>n S4>lt)st v< 1
36 Princip und Methode.
die meisten solcher archivarischen Documente sich doch nur auf bedeutende, grosse Werke, sei es für Kirchen odei* aber für Fürsten bestimmt, beziehen können. Die grössere Zahl der Bilder in den öffentlichen sowol als in den Pri- vatsamnilungen sind aber kleinere Staffeleibilder, für deren Herkunft und Autorschaft in den wenigsten Fällen schriftliche Documente aufgefunden werden dürften. Um diese Bilder zu bezeichnen, sind wir daher sei es auf die Tradition, sei es auf den Totaleindruck allein an- gewiesen. Da nun aber die Intuition bei jedem von uns eine andere zu sein pflegt, so musste ja auch das Resultat solcher Bestimmungen ein höchst verschiedenes sein, was bisher auch fast immer der Fall war.
„Erlauben Sie mir, Ihnen nun noch ein paar solcher Beispiele anzuführen, damit Sie einsehen, dass ich in jenem meinem Ausspruch über den relativen Werth der schriftlichen Documente nicht zu weit gegangen bin.
„Ums Jahr 1840 wurde hier in Florenz im Refec- torium des ehemalioren Klosters von S. Onofrio zufällig ein grosses Wandgemälde mit dem Abendmahl ent- deckt und von der weissen Tünche, die es verdeckte, befreit. Ueber die Autorschaft jenes Frescobildes waren sowol die Kunsthistoriker als die damaligen Kunst- kenner, sowie auch die Maler, der verschiedensten An- sichten. Einige Fanatiker wollten es sogar dem Rafiael Sanzio zugedacht wissen, und als das Werk desselben wurde es auch vom verstorbenen Kupferstecher Jesi gestochen; wenige Vernünftigere erklärten es jedoch blos für ein Werk aus der Schule von Perugia. Da fand ein Maler, wenn ich nicht irre in der Biblio- thek Strozzi, ein Document, woraus hervorging, dass im Jahre 1461 der florentinische Bilderverfertiger Neri di Bicci in jenem Kloster ein Abendmahl zu malen beauftragt wurde. Der gute Mann rief Heureka aus und veröffentlichte sein goldenes Schriftstück. Alle einsich- tigem Kunstfreunde lachten darüber. Selbst einem
Schriftliches Docameut. 37
unserer bekanntesten und in seinem Fache höchst ver- dienstvollen Archivar erschien diese Taufe doch zu absurd, sodass er sich verpflichtet hielt, dem unvorsich- tigen Maler oflfentlich den Text zu lesen, indem er ihm seine Unwissenheit vorhielt und dafür seinei-seits das bewusste Abendmahl als Arbeit eines spatern floren- tiner Malers, nämlich des Kaffaellino del Garbo, Schü- lers des Filippino Lippi, erklärte. Mit diesem Ur- theile bewies jedoch der treffliche Archivar, dass er in der Kunstkenntniss ungefähr auf derselben Stufe stehe, wie sein Gegner, der Maler, der seinem Documente zu Liebe auf Neri di Bicci geschworen hatte."
„Und welchem Meister wird das Frescobild heut- zutage zugeschrieben?*'' fragte ich ihn.
„Passavant gibt es dem Giovanni Spagiia und Ca- valcaselle dem Gerino da Pistoja, beide Forscher also einem Schüler des Pietro Perugino."
„Und was halten Sie von diesen Taufen?" „Auch ich bin der Ansicht, dass es das Werk eines Schülers desPerugino sei, der sich an einen florentinischen Stich des 15. Jahrhunderts hielt und nach Zeichnungen seines Lehrers das Gemälde ausfiihrte. Vielleicht ist es das Werk des Ginnnicola Manni^ des bekannten Gehülfen des Penigino. Aber lassen wir vorderhand diese Special- fragen beiseite, und erlauben Sie mir dafür, Ihnen noch ein anderes, noch schlagenderes Heispiel anzu- führen von dem sehr problematischen Werth eines schrift- lichen Documenta in den Händen eines Mannes, der mit der Kunstsprache nicht vertraut ist. Derselbe in seinem Fache ausgezeichnete Archivar, von dem ich Ihnen soeben sprach, hatte das Unglück, vor nicht vielen Jahren im Archive unserer Stadt auf ein Document zu stossen, aus dem erhellt, dass Fra Diainante., ein untergeord- neter Maler aus der Mitte des 15. Jahrhunderts und Schüler und Gehülfe de« Fra Filippo Lippi, den Auf- trag erhielt, im Vatican die «Verleihung der Schlüssel
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an Petrus» auf die Mauer zu malen. Entzückt über den aufgefundenen Leckerbissen rief sogleich der be- geisterte Archivar in alle vier Winde aus: Seht doch zu, was ihr Kunstkenner für blinde Leute seid! Ihr habt, von Vasari an bis auf unsere Tage, sammt und sonders das grosse Frescobild mit der «Verleihung der Schlüssel an Petrus » in der Sixtinischen Kapelle dem Pietro Perugino zugeschrieben und in demselben seine Art und Weise zu sehen vermeint; ihr alle wäret da- mit ganz im Irrthum. Jenes schöne Wandgemälde ge- hört keineswegs dem Umbrier an, sondern ist das Werk unsers Florentiners Fra Diamante. Ihr schüttelt laut auflachend den Kopf und wollt's mir nicht glauben? Seht da, schwarz auf weiss; mein schriftliches Docu- ment bezeugt es so klar wie die Sonne, und vor einem schriftlichen Zeugniss hört alle Kritik und Polemik auf."
„Da ich nicht in Rom war", bemerkte ich ihm, „so kann ich über jenes Gemälde kein Urtheil fällen. Und auch Sie halten es für das Werk des Perugino?"
„Ja, sogar für sein bestes", antwortete mir der Ita- liener mit dem schärfsten Accent der Ueberzeugung.
„Ich muss gestehen", sagte ich, „dass Sie mich mehr als zur Genüge überzeugt haben, dass das einzige wahre Document zur Bestimmung eines Kunstwerks am Ende doch nur das Kunstwerk selbst bleiben dürfte. Sie werden mir jedoch zugestehen müssen, dass auch die Maltechnik einem geübten Auge grosse Dienste leisten kann, um den einen von dem andern Meister zu un- terscheiden. In Deutschland gibt es nämlich eine Schule von Kunstkennern, die auf die Kenntniss der Maltech- nik ein ganz besonderes, wenn nicht das grösste Ge- wicht für die Bestimmung eines Gemäldes legen möchte."
„An Gemälden aus dem 15. und 16. Jahrhundert, die überdies noch der grössten Zahl nach verdorben und übermalt auf uns gekommen sind", antwortete er lachend, „noch die Maltechnik, d. h. die Palette,
Maltechnik. 3^
herausconstruirtMl zu wollen, wie dies allerdings seit den Zeiten des französischen Malers Largilliere bei vie- len Malern, Kunstkennern und selbst bei einigen Kunst- liistorikern auch bei uns Sitte geworden ist, scheint mir ein kühnes Waguiss zu sein, und in dieser Hinsicht diu-ften die vernünftigem unter den Malern nicht ganz unrecht haben, über die Prätensionen einiger Kunst- kenner und Kunstschreiber unserer Tage sich lustig zu machen. Auch mochten solche aus der Luft gegrifl'enen Auseinandersetzungen hauptsächlich nur dazu dienen, dem blöden Publikum Sand in die Augen zu streuen. Befragen Sie doch iiber diesen Gegenstand verständige, sachkundige und ehrliche Bilderrestauratoren und Sie — ."
„Gibt es deren?" fiel ich ihm ins Wort.
„Dieselben", bemerkte er lächelnd, „sind alK uiiiij^:? ><> selten wie die weissen Fliegen, allein ich hatte doch das Glück, in meinem Leben einige wenige solcher zu kennen, und keiner von ihnen getraute sich vor einem alten Gemälde mir zu sagen, welcher specieller Farben und Firnisse der Maler zu seinem Bilde sich bedient habe; ja oft waren sie sogar in Verlegenheit, mir die an sie gestellte Frage: ob nämlich das Bild ganz in tempera ausgeffdirt oder aber mit Oelfarben lasirt wäre, zu beantworten." —
Es war inzwischen dunkel geworden und wir stan- den bereits am Ponte vecchio. Mein Begleiter, der in der Via S. Frediano wohnte, hielt da inne, mir die Hand reichend und um Verzeihung bittend, durch sein langes Gespräch mich abgehalten zu haben, die Villa Kucciano zu besuchen, deren Besichtigung ja doch dor Zweck nn- sers Spazierganges gewesen wai
Ich dankte dem freundlichen aitrn Maim tui >fmt' gute Absicht, sowie (Tir die grosse Mühe, die er sich da- bei gegeben, seine Anschauungen über so manche Streit- frage in der Kunstwissenschaft mir begreiflich zu machen, und fragte ihn dann, ob er nicht vielleicht g4.>»onneu wäre.
40 Princip und Methode.
falls seine Zeit es ihm erlaubte, mich am folgenden Tage in die Säle der Uffizien und des Pitti-Palastes zu begleiten.
„Mit der grössten Freude", antwortete er. „Nur möchte ich nicht, dass Sie mich etwa fiir einen Mann des Faches und meine Ansichten daher für Orakelsprüche hielten! Meine Meinungen über die Kunstwissenschaft können natürlich keinen absoluten, sondern nur einen sehr relativen Werth haben. Auch traue ich mir wahr- lich nicht so viel Geist und Kenntnisse zu, um mich iiber andere erheben zu wollen. Wenn ich jedoch an- dererseits sehe, wie so mancher Tölpel über italienische Kunst als Kichter und Kritiker sich dem grossen Pub- likum aufdrängt, so denke ich, dass es doch auch mir, der ich so lange und gewissenhafte Studien durch- gemacht habe, erlaubt sein wird, wenigstens ebenso viel Urtheil mir zuzutrauen als jener oberflächlichen Schar von Kunstschriftstellern im In- und Ausland."
Wir bestimmten sodann die Stunde unsers Zusam- mentreffens in der „Tribuna" und verabschiedeten uns voneinander.
Am folgenden Morgen stieg ich zur festgesetzten Stunde die unbequeme Treppe der Uffizien-Galerie hinauf und traf, oben in der Tribuna angelangt, meinen gestri- gen Gefährten, der, mit freundlicher Miene entgegen- kommend, mir die Hand reichte, wahrscheinlich in der Hoffnung, an mir einen willigen Jünger seiner Kunst- theorie gefunden zu haben.
„W^ir befinden uns hier in einem Raum", sagte ich, rings um mich schauend, „wo viele Bilder — eins, zwei, drei, vier, fünf, ja sogar sechs — den Namen des Raffael Sanzio von Urbino tragen. Wollen Sie nun die Ge- fälligkeit haben, mir an denselben praktische Beweise von der Richtigkeit Ihrer Formenlehre zu geben?"
Florenz: Uffizien-Galerie. 41
„Sie stellen da", erwiderte lächelnd der Italiener, „eine sehr verfängliche Frage an mich; denn, sollten in diesen sechs dem KaÜael zugeschriebenen Bildern die Formen nicht nur nicht der Raffaerschen (rrund- form sich nähern, sondern sollten im Gegentheil in jedem dieser Bilder die Formen als sehr verschieden voneinander sich herausstellen, was würden Sie dann sagen?''
„Dass eine Theorie, die bei der Probe sich nicht bewährt, gar keinen praktischen Werth haben kann und folglich werthlos ist", entgegnete ich.
„Da Sie, wie Sie selbst sagen, nur Dilettant sind und noch nicht sehen gelernt haben, durfte ich auch von Ihnen keine andere Antwort erwarten. Uebrigens pflegen meine Gegner mir denselben Vorwurf zu machen. Darf aber derselbe in den Augen eines sachverständigen Forschers als begründet angesehen werden? Ich glaube nicht." „AVenn etwa zwei Hellenisten", fuhr er etwas verstimmt fort, „in der Auslegung der einen oder der andern Stelle eines griechischen Schriftstellers nicht übereinstimmen, so mag dies daher kommen, dass der eine mehr Scharfsinn als der andere besitzt. Nun mögen unter den Lesern die einen dem gescheiten, die an- dern dem einfältigen Commentator und Kritiker, je nach der Wahlverwandtschaft, recht oder unrecht geben, allein keinen von ihnen wird doch der mindeste Zweifel anwandeln, dass der eine oder der andere der beiden Gelehrten die Ci rammatik der griechischen Sprache nicht gründlich erlernt habe."
„Das versteht sich ja von selbst", bemerkte ich.
„Gut", sagte mein Führer. „Bei den sogenannten Kunstkritikern und Kunsthistorikern ist dies aber keines- wegs der Fall. Der erste beste Literat oder dilettan- tisrlieK' ■" r rümpft die 1 ' ^' ise über
meine !iii ^ i i.ilirung und • ^ ^ «lien be-
ruhende Theorie, welche zu begreifen er weder die
42 Princip und Methode.
not Ingen Kenntnisse noch das mindeste Talent besitzt, und so tritt er mir mit gewohnter Frechheit öfi'entlich entgegen, ohne dabei irgendwelche Gründe zur Unter- stützung: seines verneinenden Urtheils vorzubrino:en. Und das geduldige Lesepublikum, das vor allem Ge- druckten den grössten Respect hat, weiss, wie jener Bauer, welcher den Hut abnahm vor dem Papagaien, der vom Fenster herab ihm einen « guten Morgen » ge- wünscht hatte, natürlich nicht, wem von beiden zu trauen ist: mir, der ich ja mit grösster Mühe und durch jahrelangen Fleiss die Grammatik der Kunst mir zu eigen zu machen trachtete, oder dem improvisirten «Kunstkritiker», der meine Anschauungen und die Resul- tate meiner ernsten, jahrelangen Forschungen mit olym- pischer Sicherheit entweder bekämpft oder auch für die eigenen ausgibt.
„Für einen Anfänger, wie Sie zu sein gestehen", fuhr er dann nach einer kleinen Pause mit milderer Stimme fort, „würden wir besser thun, wenn wir zu diesem Zweck uns vorerst an einige Quattrocentisten hielten, wie etwa Antonio Pollajuolo, Signorelli oder Fra Fi- lippo Lippi oder seinen Schüler Botticelli, da in den Wer- ken dieser altern Maler das Knochengerüst schärfer durch die Fleischhülle durchscheint und somit die jedem Meister eigenthümlichen, für ihn charakteristischen For- men uns klarer vor die Augren treten als bei den Ma- lern des Cinquecento, zumal bei Kaffael, der die knö- cherne Unterlage, soviel als dies, ohne den Charakter der Form zu beeinträchtigen, möglich ist, mit seinem feinen Sinn für Anmuth zu verhüllen trachtet." „Ich will indess doch", fügte er hinzu, „Ihrer Aufforderung Folge leisten, so gut mir dies an diesem Orte eben möglich ist. Ehe wir aber an die kritische Betrachtung dieser sechs dem Urbinaten zugedachten Gemälde gehen, er- lauben Sie mir, Sie auf zwei Bilder aufmerksam zu machen, die hier in nächster Nähe hängen und die beide
Florenz: Uffizien-Galerie. 43
im Katalog deu Namen des Fra Filippo fuhren, ob- gleich das eine, meiner Ansicht nach, nicht dem Frate, sondern dessen Schüler Botticelli angehört.''
Ich t'olüfte nun meinem riihrijjen Führer ins nächste Zimmer, wo sich unter der Nummer 1179 ein kleines Bild befindet, auf dem der heilige Augustinus in seinem Stildirzimmer dargestellt ist.
,, Sehen Sie sich nun dieses Bildchen genauer an'*, i>iiaiQ er, indem er mich ins rechte Licht davor stellte. „Die charakteristischen Formen des Sandro Botticelli'', begann er, „sind unter andern: die Hand mit den aller- dings nicht sehr anmuthigen, allein stets lebendigen, knöchernen Fingern, deren Nägel, wie z. B. hier der Daumen, viereckig und schwarz umrissen sind; die stumpfe Nase mit den aufgetriebenen Nüstern, wie Sie dies hier in dem daneben hängenden berühm- ten Bild der Cahinnia (Nr. 1288) des Apelles, einem unbestrittenen Werk des Meisters, sofort finden können. Sehen Sie sich femer in beiden Gemälden die eigen- thi'imlichen Längsfalten an und die durchsichtige goldig rothe Farbe. Vergleichen Sie auch noch, wenn Sie wollen, den Nimbus dieses heiligen Augustinus mit dem Nimbus anderer- Heiligen in authentischen Bildern des Botticelli aus derselben Epoche, und Sie werden nicht umhin können, mir zuzugeben, dass der Maler dieser «(alunnia» und des grossen Kundbildes Nr. 25 im näclisten Saale der Urheber auch dieses kUMuen heiligen Augustinus gewesen sein müss*
< ^' ' !i mir diese unästhetische Art, um au»»'iu Hill: I die Werke der Kunst zu l)estinnnen^ mehr
die eines Natur- als die eines Kunstforschers und über- dies ganz gegen die hergebrachte Sitte zu sein schien, so gab ich doch zur Antwort: ,<>Sie scheinen mir mit die- sen Ihren Behauptungen recht zu haben. Wie konunt es aber', fugt«* ich hinzu, „dass man dieses Bildchen dem Fra Filippo und nicht dem Botticelli hat zuschreiben wollen?'*
44 Princip und Methode.
„Weil die Leute", sagte er, „welche die Bilder tniiften, nur dem sogenannten Totaleindriick folgten und eben nicht gewohnt waren, die Werke der verschiedenen Meister aus derselben Schule miteinander zu verglei- chen; vor allem aber weil Vasari im Leben des Fra Filippo uns berichtet, der Frate hätte dem Bernardo Vecchietti ein Bildchen mit dem heiligen Augustinus im Studirzimmer gemalt."
„Als ob nicht noch andere Maler", bemerkte ich, „denselben Gegenstand hätten darstellen können!"
„Sehr richtig! Sie sehen also auch aus diesem Beispiel, welchen Werth ein schriftliches Document oder die Tradition hat, wenn wir nicht in der Lage sind, das Kunstwerk selbst über seinen Urheber zu be- fragen. "
„Gut", sagte ich meinem sichtlich befriedigten Be- gleiter; „um Ihnen aber mit vollem Bewusstsein zu- stimmen zu diirfen, müssen Sie die Gefälligkeit haben, mich vor ein authentisches Gemälde des Fra Filippo zu führen, damit ich auch dieses mit dem kleinen Au- gustinus hier vergleichen könne."
„Folgen Sie mir." Er fasste mich an der Hand und führte mich in den letzten Saal jener Abtheilung der Galerie, woselbst wir vor ein Bild Nr. 307 traten, auf dem Maria dargestellt ist, wie sie das von zwei Engeln gestützte Christkind anbetet. ^ „Betrachten Sie nun", sagte er, „auf diesem Gemälde vor allem die Verschie- denheit der Farbenharmonie; stellen Sie diese hellblaue Farbe des Mantels der Maria mit der dunkeln Farben- scala des Botticelli zusammen; vergleichen Sie auch
^ Von diesem Bilde gibt es eine zwar alte, allein durch neue Restauration ganz und gar entstellte Copie in der Sammlung des Fürsten Torlonia in Rom, sowie in der Uffiziensammlung eine auf Betrug berechnete Zeichnung, die aber doch von den Herren Crowe und Cavalcaselle (II, 347 — 348) „an admirable drawing"^ genannt wird. — (Rahmen 39, 184.)
Florenz: Üffizien-Galerie. 45
die Formen auf diesem Bilde mit denen in den Ge- mälden des Botticelli, z. B. die Form der Hand, der Käse, des Ohres, des Schädels, der Falten, und sagen Sie mir dann oft'en Ihre Meinung darüber.'»
Ich beschaute mir nun das Bild des Frate Filippo so scharf als mir nur möglich war, und in einer Weise, wie ich vorher noch nie ein Gemälde mir angesehen hatte, und nuisste schliesslich doch eingestehen, dass, wer dieses Madonneiibild verfertigte, nie und niemals den kleinen heiligen Augustinus im Studirzimmer gemalt haben könne.
Zufrieden mit diesem meinem Zugeständniss gelei- tete mich mein Begleiter wieder in die Tribuna zurück, wo das reizende Bild Kaffaers mit der <• Madonna del Cardellino») uns zuerst anzog. Mich muthete dieses von jugendlicher Zartheit strahlende Bild vor allen andeni danebenhängenden Gemälden des Urbinaten an und ich konnte nicht umhin, mein Entzücken dem gefälligen Cicerone auszusprechen.
„Ich stimme Ihnen au^ volk-m Unzen bei", sagte er; „auch mir kam dieses Madonnenbild Itaflaels stets als vielleicht das reizendste Werk aus seiner Jugend- zeit vor, und ich hatte das Glück, fast alle Madonneu- bilder des Urbinaten von Angesicht zu Angesicht zu sehen und zu geniessen. Denken wir jedoch vorder- hand nicht an den ästhetischen Werth des Ciemäldes, sondern sehen wir uns, unserm Vorhaben gemäss, blos die Formen in demselben an, z. B. die de« Ohres und der Hand. Schauen Sie doch, wie dieses Raffaersche Ohr hier bei den Kindern rund und fett, wie es innig mit dem Backen verwachsen und nicht, wie in den Bil- dern vieler anderer Meister, blos an den Backen an- gesetzt ist; sehen Sie sich ebenfalls die Hand der Jung- frau an mit dem breiten Metacarpium, den noch etwas ungelenken Fingern, mit den nicht über die Finger- spitze hinausreichenden Nägeln, wie Sie dies ebenso auf
46 Princip und Methode.
den andern gleichzeitigen authentischen Bildern RaöaeFs gewahren werden, z. B. auf der «Verlobung der Maria» in der Brera; auf dem Bilde mit der Madonna de* Tempi in Mimchen, auf dem kleinen Madonnenbilde des Lord Cowper in England und anderwärts."
„Ums Himmels willen'^, rief ich lachend aus, „lassen wir doch die garstigen, unästhetischen Nägel beiseite. Die Kunstkenner in Deutschland und Paris würden sich über Sie lustig machen, wollten Sie ihnen selbst die Nägel als ein charakteristisches Zeichen eines grossen Meisters anführen."
„Man kann über alles lachen", bemerkte etwas ver- driesslich der Italiener, „besonders wenn man nichts von der Sache versteht. Und ist etwa, wenigstens in den Augen des Naturforschers, ein Nagel unästhetischer als das Haar oder irgendein anderer Theil des mensch- lichen Körpers? Kann uns vielleicht in manchen Fällen die Form und der Schnitt des Nagels nicht dazu be- hülflich sein, z. B. ein nordisches (vlämisches oder deut- sches) Bild von einem italienischen, ein Werk des Mariotto Albertinelli von einem seines Vorbildes Fra Barto- lommeo, die Hand des Bernardino de' Conti, des Barto- lommeo Montagna und anderer Meister mehr mit grösserer Sicherheit zu erkennen und von den Händen ihrer Schulgenossen zu unterscheiden?"^ „Ihnen und
^ In der Oxfordsammlung, um unter vielen ein paar Bei- spiele nur anzuführen, schreibt man ein Blatt, worauf der Kopf eines jungen Mannes und darunter eine Hand dargestellt sind, dem Urbinaten zu, und als Zeichnung Raffael's wurde das Blatt auch in der Publication der Grosvenor-Gallery reproducirt (Nr. 19). Nun ist es gerade diese Hand mit ihrem wie mit der Schere in drei Tempos scharf abgeschnittenen Daumennagel, der somit die Form eines Fragments von einem Octogon annimmt — wie dies in sehr vielen Händen nordischer, nie aber in denen italie- nischer Bilder wahrzunehmen ist — , gerade diese Hand ist es, die den nordischen Meister am deutlichsten verräth. — In der
Florenz: Uffizien-Galerie. 47
Ihren deutschen und französischen Freunden zu Ge- lallen", fügte er lächelnd hinzu, „will ich jedoch die hässlichen, unästhetischen Nägel aus dem Spiele lassen und Ihre Aufmerksamkeit dafiir blos auf die edlem Formen des menschlichen Körpers leiten. Ich bitte also jene Formen, die wir in diesem Bilde Kaflaers genau betrachtet und erfasst haben, mit den Formen auf dem andern Bilde hier in der Nähe, die «Madonna del pozzo» genannt (Nr. 1125), vergleichen zu wollen. Hat hier das Ohr nicht eine ganz andere Form, ebenso die Hand mit den dicken, kurzen Fingern? Gleicht etwa der Typus der Kinder auf diesem Bilde dem der Kinder auf jenem Gemälde Raöaefs? Und die glatte, etwas gläserne Farbe, ist sie nicht sehr verschieden von der blonden Hautfarbe, die wir, trotz der Kestauration, soeben in der «Madonna del Cardellino» beobachtet haben?"
„O ja'"', rief ich freudig aus, „das sehe auch ich ein; selbst die Landschaft mit dem dichten struppigen Strauchwerk ist gar nicht in der Art jener Landschaft Kafiaels, und dann gar diese unschöne Zusanunenstel- lung der Figuren und die hässliche Stellung des rech- ten Beines der Maria — gewiss hatte li^ifiael ein ganz anderes Liniengefühl! Auch die Farbensciila ist sehr verschieden von jener auf dem Bilde mit der Madonna del Cardellino."
„Dieses Gemälde", fuhr dann mein Begleiter fort, „wurde schon von Passavant, später von Mündler und zuletzt selbst von den Herren ( Vowe und C avalcaselle ftir unwürdig des Urbinaten erklärt, und es ist eine wahre Schande für unsere Galeriedirection, dass noch immer ' ^ ine Kaflaers unter dem Bilde zu lesen steht."
Stmmluog der Hrnndzeicbnangen in Cbat«worth befindet •ich ein Blntt. worauf zwei Binde daiifetteUt tind (Bniun, \Ml die troU- dem «tc <in ausgesprochen nordisches Ausschou hAl>cn, dort doch dem Psrmeggianino tugeschrieben werden.
48 Princip und Methode.
„Welchem Meister schreiben es denn die eben ge- nannten Herren zu?"
„Wicar, Passavant und Cavalcaselle erkannten es, und zwar sehr richtig wie mir scheint, als ein Werk des Franciabigio."
„Da nun heutzutage sowol Kenner als Nichtkenner einig sind, dass dieses Bild keinesfalls dem Raffael an- gehöre, so lassen wir das jetzt ruhen", bemerkte ich. „Haben Sie doch die Güte, mir Ihre Meinung über diese danebenhängende «Fornarina» mitzutheilen."
„Sehr gern", antwortete mein Begleiter. „Vor alleni müssen Sie wissen, dass dieses Frauenbildniss lange Zeit als Werk des Giorgione galt, bis zu Anfang unsers Jahrhunderts dem damaligen Galeriedirector Puccini, demselben der auch die soeben von uns betrachtete «Madonna del pozzo» für die Arbeit Raftaers erklärte, in den Sinn kam, die Züge der mythischen «Forna- rina» in diesem Porträt erkennen zu wollen und es daher dem Urbinaten zuzuschreiben. Die neuere, etwas weit- sichtigere Kritik hat jedoch auch dieses, wie auch noch gar manches andere Gemälde dem Sanzio abgesprochen und es wieder in die Schule Giorgione's versetzt."
„Ich kenne die Art und Weise des Urbinaten viel zu wenig", sagte ich, „um der neuen Kritik gegenüber mir ein Urtheil über dessen bestrittene Werke zu er- lauben. Soll ich aber den ersten Eindruck, den die- ses Frauenbildniss auch auf mich machte, Ihnen un- umwunden sagen, so muss ich gestehen, dass aus diesem Bilde auch mir ein Ratfaerscher Duft entgegenzuwehen schien."
„Zu wehen! Ganz wohl", meinte lächelnd der Italiener, „denn auch Sie, wie dies alle Dilettanten zu thun pflegen, urtheilen blos nach dem oberflächlichen Totaleindruck." „Ein KafFaeFscher Duft", fuhr er dann fort, „das ist etwas sehr Unschuldiges für einen ernsten Kritiker — doch will ich Ihnen denselben zugeben, da
Iiir f*rNiK?(AN5(TR roR^ARIXA IX tiRR TRItllXA t«RR JrrtXIRX OALKRIB. ■.
Der Violinspieler bei Sciarra - Colonna. 49
ja dieser römische Frauenkopf von weitem schon an gar manchen Modellkopf in den Werken Raffaers gemahnt Und wird vielleicht nicht auch Tizian von den Dilet- tanten gar oft mit Palma vecchio verwechselt? Doch nur deshalb, weil eben beide Venezianer denselben oder doch ahnliche venezianische Modellkopfe darstellten. Be- trachten Sie doch etwas genauer die Formen in diesem Bilde, z. B. den dicken, fetten Arm, die unvollkommene Modellirung des Mundes, die unraffaelische Stellung der Finger, dann diese tiefschwarzen Schatten, wie Sie auf keinem Gemälde RaffaeFs aus seiner florentinischen und römischen Zeit sie finden ; betrachten Sie. endlich noch die vereinzelten Spuren der Originalfarben in diesem Porträt, so werden Sie gewiss das erste oberflächliche Urtheil, das Sie über das Bild fällten, modificiren müssen. Und, in der That, aus dieser etwas akade- misch steifen Hand weht, scheint mir, weder der Geist des Giorgione, noch viel weniger der des Raflfael uns entgegen. Auch sprechen diese mit Gold aufgesetzten Verzierungen, sowie die vergoldete Jahreszahl 1512 keineswegs für llaftael, denn mir wenigstens ist, nach der im Jahre 1507 gemalten Grablegung in der. Bor- ghese- Galerie, kein authentisches Werk von ihm be- kannt, worauf die Jahreszahl zu finden wäre."
„Ist denn der Violinspieler der Galerie Sciarra- Colonna nicht vom Jahre 1518?" bemerkte ich ihm. „Ich kenne das Bild nur nach dem Kupferstich, allein ich glaube doch nicht zu irren, die Jahreszahl 1518 darauf gesehen zu haben."
„Sehr richtig", antwortete mein Begleiter, „allein jrin« Jahreszahl scheint mir spätem Ursprungs als das Cicniälde selbst zu sein.* Auch der Violinspieler wurde überdies erst viele Jahre nach dem Tode des Urbinaten
' BarOD von RumoLr iM-inmjitrt , <i;i«s in
in das „Impasto^* hineingemalt sei (III, 137).
I.KKMOLISFF.
50 Princip und Methode.
auf Eafiael getauft. Vasari wusste nichts von diesem Bilde. Selbst die steinerne Brüstung, an die der junge Mann sich lehnt und auf welche die verfängliche Jahreszahl gesetzt wurde, erinnert, ebenso wie die Modellirung des Gesichts und die Behandlung des Pelzwerkes, an die Schule Gior- gione's; ja, wenn Sie jenen hübschen, verführerischen Vio- linspieler mit dem Porträt unserer sogenannten Fornarina hier, sowie mit einzelnen Köpfen im Bilde in S. Giovan Crisostomo in Venedig vergleichen, so dürften Sie viel- leicht meine Meinung theilen, dass auch dieser Violin- spieler das Werk des jungen Sebastiano Luciani sei ^ und keineswegs von Rafiael herrühre. Auch treffen Sie so ge- formte steinerne Fensterbrüstungen nur auf Bildnissen der Venezianer an, so z. B. bei der sogenannten Bella di Tiziano von Palma vecchio in derselben Galerie Sciarra-Colonna; so auf dem weiblichen Bildnisse des B. Licinio vom Jahre 1524 bei den Erben Andreossi in Mailand und anderwärts mehr. Kommen wir jedoch wieder auf unsere sogenannte Fornarina hier zu spre- chen. Um 1512 malte Raffael seine berühmte Madonna di Foligno in der vaticanischen Bildersammlung. Wenn Sie nun die Hände auf diesem letztern Bilde mit der Hand dieser Fornarina vergleichen würden, so zweifle ich nicht, dass selbst Ihnen, der Sie sich doch nie ein- gehend mit Formenstudien befasst haben, der grosse Abstand auch in die Augen springen dürfte, der zwi- schen der Hand dieses bekränzten Weibes und der Madonna di Foligno besteht. Und, bitte, wollen Sie doch ausserdem noch sich diese saftigen, echt venezia- nischen Farben, nicht etwa im Gesicht, denn dieses ist ja ganz übermalt, sondern an dem hellblauen und dunkel- rothen Mieder besehen. Solche Farbenaccorde finden
^ Irre ich nicht, so war es Prof. Springer, der zuerst bei diesem Porträt den Raffaelischen Ursprung bezweifelte und Sebastian del Piombo als Urheber vermuthungsweise nannte.
Die „Fornarina" der Üffizien-Galerie. 51
Sie wahrlich weder auf einem Gemälde RaftaePs noch auf irgendeinem eines gleichzeitigen Florentiners, wol aber auf vielen andern Bildern des Fra Sebastiano aus seiner venezianischen Periode, wie z. B. auch auf seinem grossen Bilde hier in den Uffizicn, den Tod des Adonis darstellend (Nr. 590), das der Katalog dem Moretto da Brescia zuschreibt, ferner in den Lunetten im untern Saale der Farnesina in Rom. Vergleichen Sie dann noch die Behandlung des Pelzwerks auf diesem Frauen- porträt mit der Behandlung des Pelzes auf dem männ- lichen Porträt Sebastiano's (Nr. 409) in der Pitti-Galerie, — und Sie werden, hotte ich, nach diesen Vergleichen zur Ueberzeugung kommen, dass sowol diese sogenannte Fornarina als der Violinspieler nichts anders sind als Bilder von Fra Sebastiano del Piombo und mit llafiael nichts zu schaffen haben."
„Entspricht aber", fragte ich meinen Fuhrer, „die Form der Hand dieser sogenannten Fornarina auch wirklich jener auf allen beglaubigten Bildern des Fra Sebastiano?"
„Keineswegs", erwiderte der Italiener etwas er- staunt über meine Frage. „Die Formen in den Wer- ken des Sebastiano del Piombo sind in den verschie- denen Epochen seiner Wirksamkeit sehr verschieden, denn Sebastiano ist, ebenso wie Girolamo Genga, nach meinem Dafürhalten als einer der ersten Repräsentanten des Eklekticismus anzusehen. So wie Genga durch Luca Signorelli aus seinem natürlichen Fahrwasser gezogen ward, so wurde Sebastiano Luciani zuerst durch Ratt'ael, dann aber hauptsächlich durch Michelangelo aus seiner I iL'«non Bahn gerissen. In seinem Jugendbild, adie Be- u«inung Christi», in der Sanunlung von Sir Henry Layard in Venedig, ahmt er noch den strengen Cima da Conogliano nach, und seine Typen und Formen sind daher dort die des letztgenannten Meisters. Spater erfährt er den überwältigenden Einfluss des cnleln Giorgione, und
I*
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Princip und Methode.
seine Typen und Formen, sowie seine Maltecbnik er- innern dann an die des Barbarelli, wie z. B. in dem trefflichen eben genannten Bilde in S. Giovan Criso- stomo, in den vier Heiligen (Bartholomeus, Sebastia- nus, Sinibaldus und Lodovicus) in der Kirche von
Faun des S. Sebastiauo del Piombo.
S. Bartolommeo di Rialto in Venedig und beim Violin- spieler bei Sciarra-Colonna.^ Ums Jahr 1510, von
^ Aus dieser Epoche Sebastiano's besitzt die Liller Samm- lung eine charakteristische Federzeichnung unter dem falschen Namen Tizian's. Dieselbe stellt einen Faun dar (Braun, 39; siehe obige Abbildung). Die Form der Hand ist hier noch giorgio- nesk, die des Ohrs dieselbe, die wir noch in den Bildern seines ersten römischen Aufenthalts (1511 — 1513) finden.
^ebaatiano Luciani. 53
Agostino Chigi nach Rom benifen, wurde Sebastiano, aller Wahrscheinlichkeit nach, durch seinen neuen Gönner Chigi mit dem jungen llaftael, der gerade damals anfing, der Liebling der romischen Kunstfreunde zu werden, bekannt gemacht. Und so dürfen wir uns nicht wundern, dass in den Bildern des Sebastiano aus jenen Jahren die Typen und Formen sich denen des Urbi- naten nähern, wie wir dies auch in dieser Fornarina vom Jahre 1512 zu erkennen glauben, ebenso wie in dem schonen männlichen Porträt der Sammlung Scarpa in La Motta.* Nach dem Jahre 1512 tritt aber Luciani, zu seinem Unglück, in ein freundschaftliches Verhältniss mit dem gewaltigen, über den Ruhm Raftaers etwas unmuthi- gen Michelangelo, und seine Formen und Typen werden sofort michelangelesk. Kurze Zeit nach dieser Fornarina dürfte, irre ich nicht, Sebastiano das ebenfalls Forna- rina, auch Dorothea genannte Porträt, welches kürz- lich aus dem Schloss Blenheim ins berliner Museum gelangte, gemalt haben. Während auf diesem letztern Bild, das früher auch I^iftael zugedacht war, der land- schaftliche Grund durchaus noch giorgionesk ist, hat (Ini^cj^cii die Hand mit ihren überlangen Fingern schon fine an Micih'laiiLj'lo erinnernde Form erhalten. Und bei (li. -< r (l« 1. i/cnheit sei mir gestattet, Ihnen meine •etw.i Ansicht über ein anderes viel bespro-
rhei»L> i>iiü 1 '* iiiitzuthcilen, falls Ihnen das nicht
zu langweilig u sollte».''
..Durchaus nicht*^^ sagte ich, um den redseligen Mann nicht zu beleidigen, obschon ich dieser seiner weit- Kch weitigen Erörterungen müde zu werden begann.
' Dieses herrliche, aber loider etwas abermalto Porirftt, welches dort Raflscl zageschrieben and als das des Tibaldeo auflffcgeben winl, dürfte vielleicht eher das Bildnis des etwa 26 oder 27 jihrigen Raffaers selbst sein, tod seinem damaligen Ver- ehrer Sebastiano gemalt.
^ Princip und Methode.
„Bin ich namlieli", fuhr er fort, „nicht in einer argen Täuschung befangen, was ja uns armen Kunstkennern gar oft begegnet, so dürfte der auf einem Baumstamm sitzende Täufer, den Sie im Louvre unter dem Namen RaffaeFs gewiss auch betrachtet haben werden (Nr. 3GG), ebenfalls eines der ersten Werke sein, die Sebastiano in Rom, nach einem Entwurf seines neuen Freundes und Beschützers Michelangelo ausführte und diesmal wahrscheinlich im Wettstreit mit dem Ivatt'aerschen Ge- mälde desselben Gegenstandes, von dem Sie auch hier
Johannes der Täufer in der Louvre-Galerie, Nr. 336.
in der Tribuna (Nr. 1127) eine Schulcopie sehen. Wie also die Fornarina hier die Nachahmung Raffaers, so bedeutet in meinen Augen jener Täufer im Louvre den Uebergang Sebastiano's von der Raflaerschen in die michelangeleske Manier. Die Bewegung und die Kör- perstellung jenes Täufers im Louvre, sowie der Aus- druck gemahnen, scheint mir, an die Körperstellung jener Riesen des Michelangelo an der Decke der Sixti- nischen Kapelle, etwa an jene zwei nackten Jünglinge oberhalb der Erythräischen Sibylle. ^ Auch ist die Form
* Die Sammlung in Chats worth besitzt mehrere Zeichnungen des Sebastiano del Piombo, die eine unter dem Namen Giorgione's,
Sebastiano Luciani.
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und Biegung des Mittelfingers jenes Täufers durchaus micbelangelesk, die Landschaft jedoch noch immer vene-
Zwei Figuren Miohelangelo^e an der Decke der Sikttnitchen Kapelle.
tianisch und sehr verschieden von den idealen Land- schaften lliiftaers.*
die andere unter dem Tizian^< M>r. i.».-^;, fiut- urutf (Br. 190) einen der Prot)heten in der Kapelle der Kirche von S. Pietro in Montorio darstellend. Nun entspricht auf dieser letztem getaschten Zeichnung die Form des Ohres ganz und gar der Ohrform des Täufers im Louvre. Eine an- dere vorzügliche Zeichnung des Sebastiano, aus seiner michelangelesken Zeit, finden wir auch in ohTbel sebaetiano der Sammlung des Louvre (Braun 424). dei Ptombo.
* Herr Director W. Bode behauptet, beiläufig bemerkt, eine deutliche Verwandtschaft der Barberini^schen „Fornarina" mit der )>erliner „Dorothea** und setzt die Entstehung der erstem ins Jahr 1609 oder 1510, die Dccorationsmalcreien Sebastiano^s ia der Famesina ins Jahr 1500 und die „Dorothea" ins Jahr 1511, also ein Jahr vor der „Fomarina** in der Tribuna (Kunst- freund, Nr. 15, S. 228). Man lese über diesen Streitpunkt auch die glänzend geschriebene Abhandlung des Herm Geh. Regie- mngsraths Director Julius Meyer im ersten Heft der k. preussi-
56 Princip und Methode.
„Nun", fuhr er fort, indem er mich bei der Hand nahm und meine ganze Aufmerksamkeit wieder auf das vor uns stehende Frauenporträt der sogenannten For- narina lenkte, „nun ist die Form der Hand hier eben nichts anderes als die Uebergangsform von der gior- gionesken in die Rafiael'sche, es ist somit eine charak- terlose, akademische Hand.
„Ich will Sie jedoch nicht ermüden mit dergleichen etwas hyperkritischen Auseinandersetzungen, zumal es heutzutage wol kaum einen namhaften Kenner der EaffaePschen Kunst geben dürfte, der bei der Puccini'- schen Taufe noch Gevatter zu stehen geneigt wäre.'^
„Ich bin zwar nicht in der Lage, in solchen ver- fänglichen Fragen mitsprechen zu dürfen", sagte ich; „soviel ist jedoch gewiss, dass Ihre Einwürfe gegen die Ansicht jener Kunsthistoriker, welche dieses Frauen- bildniss hier als Werk Raffael's ansehen, es noch nicht vermocht haben, den ersten Eindruck zu verwischen, den dieses Bild auf mich machte."
lieber dieses mein Geständniss wurde der Italiener zuerst etwas unwillig, willigte jedoch zuletzt ein, dass ich nicht ganz unrecht hätte, und dass man Anfänger niemals vor dergleichen eklektische Kunstwerke führen sollte, um daran Formenstudien zu machen.
„Betrachten wir daher", sagte er dann, „dieses zweite hier ebenfalls auf Raffael getaufte Frauenbild- niss, Nr. 1120, in der Nähe. Leider ist dieses herrlich aufgefasste und ganz meisterhaft modellirte Porträt so stark übermalt worden, dass wir es nur noch nach der Farbenscala des Kleides und nach der Zeichnung des Gesichts und besonders der Hand mit dem ausgestreck- ten Zeigefinger zu beurtheilen im Stande sind.
sehen Kunstsammlungen vom Jahre 1886. Hen* Julius Meyer war, meiner Ansicht nach, zuerst auf dem rechten Weg, Hess sich jedoch durch seinen Freund und Collegen Bode wieder davon abbringen.
Unbekanntes Fi-auenporträt in der Tribuna. 57
,,Trotz aller Unbilden, die es erfahren, bleibt es doch noch immer ein bestechendes Bild und kann nur das Werk eines hervorragenden florentiner Meisters sein. Sehen Sie sich nun j^efälligstvor allem die Form der linken Hand mit dem ausgestreckten Zeigefinger an. Ist etwa diese Hand mit jener der sogenannten Fornarina dort verwandt, oder finden Sie, dass sie der Hand der «Madonna del Car- dellino» entspreche? Und nun erst, wenn Sie die Hand auf diesem Bild (1120) mit der Hand der Maddalena Doni in der Pitti-Galerie vergleichen wollten, durfte es Ihnen aufiallen, w4e Passavant dazu kommen konnte, gerade an den Händen in diesem Frauen port rät die Art und Weise Raftaers erkennen zu wollen.^ Ich meiner- seits halte dafür, dass diese Hand hier keinem der so- eben besprochenen Beispiele von Handformen in au- thentischen Werken des Urbinaten ähnlich sieht. Auch hat dieses Frauenporträt ein noch durchaus quattrocen- tistisches Aussehen. Hätte es demnach liaÜael gemalt, so müsste dies vor der Zeit geschehen sein, ab die Maddalena Doni im Pitti-Palast entstand."
Um nicht den Schein zu haben, als wenn alle diese spitzfindigen Erläutemngen mich gelangweilt hätten, fragte ich meinen Begleiter, welchem Meister er denn dieses Frauenpoiirät zuschreibe?
„Das ist eine sehr verfängliche Frage", erwiderte er. ^Dieses Bild, ich muss es Ihnen offen gestehen, bietet mir nicht hinlängliche Anhaltspunkte dar, um es mit einiger Sicherheit bestimmen zu duifen. Nur Neulinge in der Kunstwissenschaft oder Charlatane wissen jedem Kunstwerk einen Namen zu geben." „Ehe wir nun", fuhr er fort, „in die Säle de^ Pitti-Palastes hinüber- gehen, um auch dort die charakteristischen Formen iiaffael's in den daselbst ihm zugedachten Bildern ins Auge zu fassen, gestatten Sie mir, hier in dieser Tri-
> PMMfant, Raffael d'Urbin (franiöi. Aotg.), 11, 41.
58 Priucip und Methode.
buna Sie noch auf die dem Tizian eigenthiimlichen Formen des 01u*s und der Hand an diesem seinem vor- trefflichen Porträt des Prälaten Beccadelli (Nr. 1116) aufmerksam zu machen. Ich bitte, verlieren Sie ja nicht die Geduld, wenn ich Sie so lange bei Dingen aufhalte, die Ihnen jetzt sehr unbedeutend, ja vielleicht sogar lächerlich erscheinen dürften; ist es doch mir vor allem daran gelegen, Sie zu gewöhnen, bei Betrachtung eines Kunstwerkes auf alles, selbst auf die an und für sich geringfügigsten Dinge Ihr Auge zu richten; denn Sie werden mit der Zeit einsehen lernen, dass oft sogar ein einfjicher sogenannter Schnörkel dazu dienen kann, Sie auf die rechte Fährte zu leiten und das besonders bei Gemälden untergeordneter Meister. Betrachten Sie also auf diesem Tizian'schen Bildniss die Hand mit dem allzu stark accentuirten Daumenballen und lassen Sie auch die rundliche Form des Ohrs nicht unbeachtet. Tizian gibt nämlich in allen Bil- dern seiner Jüngern und in fost allen seiner mittlem Wirkungs- zeit, d. h. bis ungefähr in die vierziger Jahre des 16. Jahrhun- derts, dieselbe runde Form dem Ohr, z.B. in dem Bilde mit den drei Menschenaltern und dem
Tiziau'a Daumenballen. . i • i • t-\
andern mit der heiligen J^ a- milie bei Lord EUesmere in London, wo das letz- tere Gemälde fälschlich dem Palma vecchio zugeschrie- ben wird; in der a Herodias » in der Galerie Doria- Panfili, im Madonnenbilde Nr. 633 in den Offizien u. s. f., und so finden Sie ebenfalls sehr häufig in den Gemäl- den und Zeichnungen des Cadoriners den klobigen Daumenballen. Da nun sehr oft Bilder Tizian's mit denen von Giorgione (Pitti- Palast und Madrid), von Pordenone (Doria- Galerie), von Paris Bordone (Ga- lerie des Capitols in Rom), sogar von Andrea Schiavone
Madonna del Granduca. 59
(Dresdener Galerie, Nr. 1G8)* verwechselt werden, so können Ihnen auch diese Bemerkungen bei Beurtheihuig streitiger Bilder manchmal von Nutzen sein, insofern als sowol bei Giorgione als bei Pordenone, bei P. Bordone wie bei Andrea Schiavone die Formen der Hand und des Ohrs sehr verschieden von denen Tizian's sind."
„Sie mögen auch hierin recht haben", sagte ich mit schlecht verhehlter Ungeduld, „halten wir uns jedoch vorderhand an die Formen Itafl'aers, von denen ich schon etwas begriffen zu haben glaube; denn sonst mochte in meinem Kopf eine solche Konfusion entstehen, dass ich vor lauter Ohren und Händen und Nägeln nicht mehr im Stande sein dürfte, die Bilder selbst zu sehen."
Der Italiener lachte, stimmte mir jedoch bei und wir verliessen alsbald di«* Till m um und i/luL'in iu dm Pitti-Palaijt hinüber.
„Suchen wir", sagte er in d " hiiuin-
tretend, „sogleich die sogenannt* \i , i i, , i ; i Grnn- . duca auf; diese Madonna dürfte übrigens wol eher vcr- <li< iion, den Namen del Duca als den dt« Granduca zu tragen, da das Bild, aller AVahrscheinlichkeit nach, in Urbino (1504) entstanden ist und ftir den Herzog Guido- baldo gemalt wurde. Doch daran liegt nicht viel." Als wir nun vor dem Bilde standen, machte mein Führer vor allem mich auf das Gc«icht«oval der Maria aufmerk- sam, das, wie er meinte, viel mehr an Bafl'ael's ersten Lehrer Timoteo Viti, als an seine spätem Lehrer Pin- toricchio oder Perugino erinnerte. Auch sei, meinte er, der Ausdruck und dir Kopfstellung durt*haus Timoteisch. Sodann besahen wir uns natürlich die Form der Händ(% welche nach scMuer Ansicht zwar noch »ehr an j^'ue der Madonna del ( nrdcUino gtMuahuten, jedoch (knöcherner, d. h. c|uattrmH>ntistis4*h('r seien als jene. ,,Und hier diui Ohr des Kindes**, bemerkte er dann, „erinnert e« Sio
* Stphe Cn>wc und CaTmleatellt, nl^h^ Ttli•n*■^ II, 478.
60 Princip und Methode.
nicht lebhaft an das Ohr der Kinder auf der Madonna del Cardellino? Sehen Sie sich doch auch hier diese runde, fleischige Form an, betrachten Sie auch, wie fest das Ohr mit dem Backen verwachsen ist. Jammer- schade", bemerkte er zuletzt verächtlich, „dass der nichts- würdige Restaurator den blauen Mantel der Maria nur oberflächlich geputzt hat, sodass derselbe jetzt eher grün als blau aussieht und dabei auch den ursprünglichen Glanz ganz und gar einbüssen musste. Nun", fragte er mich dann, „gleicht diese Hand der Maria hier jener der «Madonna del pozzo», oder gar jener des Frauen- porträts mit der Nummer 1120 in der Tribuna?"
„Soviel", antwortete ich, „glaube auch ich schon jetzt einzusehen, dass der Künstler, welcher diese Hand hier geformt und gemalt, nicht die Hände auf jenen zwei Bildern in der Tribuna gezeichnet und gemalt haben kann. Der Unterschied in der Auflassung und Model- lirung ist ja in die Augen springend." Mein Begleiter lächelte bei dieser Bemerkung^ wohlo^efällis:. Wir traten alsdann wieder in den ersten grossen Saal hinein und gingen auf ein Frauenporträt, die sogenannte Donna gravida zu (Nr. 229), welches der Katalog als das Werk eines „Unbekannten" verzeichnet. „Passavant", sagte er, „gibt dieses weibliche Bildniss, wie mir scheint, mit Recht dem Urbinaten, nur versetzt er es, meiner Mei- nung nach, in eine zu späte Wirkungsepoche des Meisters, nämlich ins Jahr 1507. Irre ich nicht, so dürfte dieses Porträt ungefähr um dieselbe Zeit wie die Bildnisse der Eheleute Doni, d. h. ums Jahr 1505 entstanden sein. Dafür spricht vor allem die Form der Hände, die durchaus dieselbe ist, wie in diesen letzt- genannten Porträts. Das Gesicht der Frau hier, zumal die linke Seite, hat durch den Restaurator so arg ge- litten, dass man darin kaum noch die Spuren des RafiaeP- schen Pinsels zu erkennen vermag. Prägen Sie sich dafür recht scharf die Form der Hände hier ins Ge-
Porträts der Eheleute Doni. 61
dächtniss und lassen Sie uns nun sofort an die Betrach- tung der zwei Bildnisse der Doni gehen." Als wir nun vor dem Porträt der Maddalena Doni standen, konnte ich mich nicht enthalten auszurufen: „Ganz dieselbe Auffassung, dieselbe Behandlung des Aermels, dieselbe breite Form der Hand mit den kurzen, fetten Fingern, dieselben Nägel, denselben — wenn ich so sagen darf — etwas langweiligen, freudelosen Ausdruck des Ge- sichts, wie in jenem weiblichen Bildniss. Auch der landschaftliche Hintergrund entspricht der Landschaft auf der Madonna del Cardellino."
Mein Führer freute sich über mein williges Ein- gehen in seine Anschauungsweise und über meine Fort- schritte, wie er behauptete, in der Auffassung der Formen und rieb sich dabei vor Genugthuung die Hände. „Und die Stellung der Arme", sagte er dann, „sowie über- haupt die ganze Darstellung dieses Porträts, gemahnt sie Sie nicht an ein anderes, hochberühmtes weibliches Bildniss, das Sie während Ihres Aufenthalts in Paris gewiss oft im Louvre bewundert haben werden?''
„O gewiss", antwortete ich, „Sie meinen ohne Zwei- fel die «Mona Lisa» von Lionardo da Vinci?"
y,Colto nel segno^''^ rief er aus, „ — ins Schwarze ge- troffen. Wir dürfen denmach annehmen, dass Baffael, als er im Jahre 1505 diese Bildnisse malte, die Werk- statt des grossen T,«"""'l" ^»"^ '"••» r.ft.ru In-Hinlit haben dürfte.
„Nachdem wir iiiui diist' lüul lüUitr au«» dt-r Früli- zeit Itaffaels uns angeschaut", fuhr mein Führer fort, „liusen Sie uns noch ein anderes Bild in diesen Sälen ansehen, das ebenfalls in die florentinische Epoche des Meisters gehört, ich meine die grosse Altartafel, die Unffael im Auftrage der Familie Dei zu malen über- nonimrn hatte, jodoch unvollendet in Florenz zurück- lifs.H, da (T vom Papst Julius U. nach Rom berufen wurde."
62 Princip und Methode.
Als wir nun vor dieses Bild (Nr. 165) traten, machte mich mein Begleiter zuerst aufmerksam, wie auch dieses Gemiilde in spaterer Zeit vom Pinsel eines ungeschick- ten Malers ganz iibergangen ward, sodass man in seinem gegenwärtigen Zustande kaum noch die Originalzeichnung darunter zu errathen vermag. Das hat jedoch", fügte er hinzu, „bei den Formstudien, welche uns jetzt be- schäftigen, nicht viel zu sagen. Sehen Sie sich also auch in diesem Bild vornehmlich die Form des Ohrs und der Hand an. Nur muss ich Ihnen bemerken, dass Raffael dieses Bild etwa drei Jahre später als die bisher von uns betrachteten anfertigte, nämlich im Sommer 1508."
„Ich sehe auch in diesem Gemälde", rief ich freu- dig aus, „dasselbe fette, runde Ohr, wie in den andern, nur kommt mir die Form der Hand hier etwas ver- schieden von den Händen in den fünf andern Bil- dern vor."
„Ganz richtig", antwortete er, „blieb ja doch der junge Raffael nie stille stehen, sondern machte immer Fortschritte in seiner Kunst; allein die Grund- form der Hand ist, wie in allen seinen spätem Bil- dern, so auch in diesem, doch immer dieselbe geblie- ben, doch bitte ich Sie zu bedenken, dass die Hände hier auf dieser Tafel durch Uebermalung ganz ent- stellt sind."
„Mir scheint es", fügte ich nach einer Weile hinzu, „als ob dieses Gemälde ganz und gar an jenes grosse Bild des Fra Bartolommeo im ersten Saal (Nr. 208), ja selbst an dies andere dort (Nr. 159) erinnere, sowol in dem architektonischen Hintergrund und in der Composition, als auch in der Faltenlegung und selbst in den Typen jener zwei fliegenden Engel."
„Ich bin vollkommen mit Ihnen darin einverstan- den", sagte er, „und es scheint mir dies ein weiteres Zeichen zu sein, dass Fra Bartolommeo doch wol erst nur in dieser Zeit, d. h. im Jahre 1508, ein
Madonna di casa Dei und Madonna della Seggiola. 63
innigeres Verhältniss mit dem jungen Raffacl geschlossen haben durfte. Auch erlaube ich mir, in diesem Bilde auf die singenden Engel am Fusse des Tlirons Sie aufmerksam zu machen; der Brauch, musi- cirende Engelknaben unten am Thron der Madonna anzubringen, ist durchaus venetianisch, und Fra Barto- loinnieo mag ihn aus der Lagunenstadt nach Florenz mitgebracht haben.'*"
Aus diesem Zimmer führte mich mein Begleiter in die Sala di Marte und vor die a Madonna della Seg- giola», Nr. 79.
„Wenn Sie nun", sagte er, „die Formen der Hand und des Ohrs auf diesem berühmten Bild RaffaeFs sich naher besehen, so dürfte es Ihnen nicht entgehen, dass, während die Grundform des Ohrs auch hier dieselbe ist wie auf allen seinen Werken aus der peniginischen und florentinischen Epoche, die der Hand dagegen auf diesem Bild jene Naturwahrheit verloren hat, die wir z. B. an den Händen der zwei weiblichen Portrats (Nr. 229 und 59) und der Madonna del Cardellino wahr- genommen, sowie auch in mehrern Bildern der IVru- gini'schen Zeit, wie z. B. im oEcce homoi in der Tosio- Galerie vonBrescia, im heiligen Sebastianus in der st"-!*- sehen Galerie von Bergamo, in der Zeichnung zum «g« . den Engel» (zur Krönung Maria) im Britischen Museum (Braun, 70). In diesem Bild hier finden Sie nicht mehr jene «bürgerliche» Hand, die der junge Hafiael trou nach der Natur zeichnete, sondern Sie sehen hier - die feine «aristokratische» Hand, und zwar ist •. !>ei dem Künstler während seiner römischen Zeit _ radezu dio nonnalc geworden. Di«' Mittelhand ist /um auch Ihm dieser Madonna noch immer, nach dem \ "i- bild des Lehrers Tiuioteo, breit und etwas flach, wie in Hnfl'aels fnihern Bildern, allein die Finger tilld hier fein zugetipitzt, kurz, wir haben hier eine aogeminnte vornehme, oder wenn Sie lieber wollen, eine ideal o
64 Princip und Methode.
weibliche Hnnd vor uns. Dieses Rundbild mag ungefähr ums Jahr 1513 oder 1514 entstanden sein, und wenn Sie RiiffaeFs Bilder von dieser Epoche, wie unter an- dern auch die Madonna bei Lord EUesmerfe in Lon- don, bis zu seinem Tod unter diesem Gesichtspunkt betrachten, so werden Sie gewahren, dass sowol in den wenigen von seiner eigenen Hand ausgeführten, als auch in jenen blos nach seinen Cartons von den Gehiilfen ausgeführten Werken diese weibliche liandform stets sich wiederholt und somit conventioneil wird, so z. B. auch in dem herrlichen Bildniss seiner Geliebten."
„Und wo ist denn "^das wahre Porträt der Geliebten llaftaeFs?" fragte ich ihn.
„Hier in einem Seitencabinet, das wir schon ein- mal betreten haben."
Wir begaben uns nun sofort dahin, und vor dem Bilde angelangt, unterliess mein enthusiastischer Führer nicht, mich sogleich ins rechte Licht davor zu stellen. Dieses lebensprühende weibliche Antlitz machte einen so überwältigenden Eindruck auf mich, dass ich dabei gar nicht mehr an die langweiligen Studien der Ohr- und Handformen denken mochte.
„Ja", rief ich entzückt aus, „dies Weib und kein anderes war würdig von einem RaiFael geliebt zu wer- den und kein anderes als dieses konnte der göttliche Meister im Auge haben, als er die Madonnn di S. Sisto auf die Leinwand zauberte!"
„Wenn Sie", bemerkte der Italiener ironisch lächelnd, „die florentinischen Directoren der Galerie ausnehmen, die noch immer fortfahren, dieses Weib die aDonna ve- lata» zu benennen und das Gemälde einem «unbekann- ten» zuzuschreiben, so dürften heutzutage wol sämmt- liclie Kunstverständigen der Alten und der Neuen Welt in Ihr Urtheil einstimmen. Worüber jedoch nicht alle Kritiker miteinander einig sind, ist, ob dieses Bild Ori- ginal oder blos Copie sei."
*• IM PtTTI . rALAwT
Die sogenannte Donna velata. 65
„Wie, uins Himmels willen", rief ich erstaunt aus, „wie ist es doch möglich, ein so wunderbar schönes, jedes gesunde Auge fesselndes Antlitz für eine Copie zu nehmen? Welche Begriffe von Kunst müssen doch die Leute haben, die ein so wunderbar leuch- tendes Gesicht als mechanische Nachahmung ansehen können!"
In diesem Augenblicke trat ein noch junger Herr in unsere Nähe und, nachdem er meinen Führer freund- lich gegrüsst hatte, sagte er, seine Brille an die Augen setzend, in einem bedeutungsvollen Ton: „Nicht wahr, selbst in der Copie macht dieses weibliche Porträt noch immer einen gewissen Eindmck? Wie mag erst das Original ausgesehen haben!"
Ich bemerkte, dass meinem Begleiter bei diesen Worten des Fremden das Blut in den Kopf stieg. „Auch Ihnen", sagte er dann ganz trocken, „kommt also dieses Bild als Copie vor?"
„Darüber sind alle Kunstkenner der Welt einig'"*', antwortete mit Entschiedenheit der andere.
..Und Sie sind Professor der Malerei an unserer Akademie!" versetzte mein Begleiter mit unverhüUter Ironie.
„Und gerade als Professor der Malerei glaube ich, wenn Sie etwa im Irrthum darüber sein sollten, Sie eines Bessern belehren zu dürfen", erwiderte mit hohem Selbstbewusstsein der Professor und fuhr dann fort: „Sie sollten doch wissen, dass kein feinerer Kenner un- serer Kunst heutzutage, weder im gelehrten Deutsch- land, noch in Paris dieses Bild für Original annehmen will. Seilen Sie denn nicht hier an der Wange und da an der Stirn noch die Spuren der Pinselstriche des venetianischen oder, wenn Sie Heber wollen, bolognesi- schen Copisten?"
Mein Führer schien bei diesen Bemerkungen des • Akademieprofessors die Fassung fast zu verlieren.
LsKMOLttrr. 5
66 Priucip und Methode.
„^Vi^ sind jetzt", sagte er mit lauter Stimme, „weder im gelehrten Deutschland noch im alles besser wissen- den Paris, sondern wir sind gegenwärtig hier in Florenz und stehen vor dem Bilde selbst. Vor allem, Herr Professor, gestatten Sie mir, Ihnen zu bemerken", fuhr er dann in gemildertem Tone fort, „dass dieses Ge- mälde, welches nach dem Zeugniss des Vasari sich im Besitz der Familie Botti befand, daselbst noch im Jahre 1677 von Cinelli gesehen und als Original beschrie- ben wurde. Wäre es also eine bolognesische Copie, so müssten wir annehmen, dass aller Wahrscheinlichkeit nach diese Copie wol später, nämlich als das Bild in dieOeffent- lichkeit kam, von einem Bolognesen angefertigt wor- den sei. Welche Maler hatte damals Bologna, die im Stande gewesen wären, eine solche Copie herzustellen ? Betrachten Sie doch die bekannten Copien eines Don- duzzi und eines G. M. Crespi und Sie werden sehen, wie schwarz in den Schatten all jene Copien geworden sind. Auch müsste dieses Gemälde, wäre es Copie des vorigen oder auch des 17. Jahrhunderts, in einem viel bessern Zustande sein, als wir es hier sehen. Sehen Sie doch, wie an vielen Stellen die Farben abge- bröckelt sind, sodass man noch die helle Imprimitur wahrnimmt. — Und wo wäre denn das Originalgemälde hingekommen? Ein Bild Raffaers verlor man selbst im 18. Jahrhundert nicht so leicht aus den Augen. Nein, nein, mein lieber Professor, von solchen aus der Luft gegriffenen, ganz willkürlichen Behauptungen ir- gendeines confusen ausländischen Kunstprofessors lasse ich mich nicht irre machen! Und wie wollen Sie denn mir auch beweisen, dass da im Gesicht der Frau bo- lognesische Pinselstriche wahrzunehmen sind? Sind etwa diese Pinselstriche hier ganz anderer Art als jene im Antlitz der Madonna di S. Sisto in der dresdener Galerie? Uebrigens ist ja dies Gesicht so sehr ver- rieben, dass nur ein Phantast noch die einzelnen
Die sogenannte Donna yelata. 67
Pinselstriche . darin gewahren dürfte. Auch ist dies Gemälde, wie Sie sehen können, an mehrern Stellen re- touehirt worden, z. B. hier an der Stirn und hier an der Nasenwurzel, an der rechten Wange, am Nacken, am Halse; selbst der originale bräunliche Grund des Bildes wurde vom Bilderputzer überklext."
„Ja, das gebe ich Ihnen zu", murmelte der Pro- fessor. „Und ist dies nicht ein weiterer Beweis, wenn es dessen bedürfte, dass es keine Copie ist? Nein, mein guter Herr Professor, schauen Sie sich doch dieses herrliche Bild mit eigenen Augen an und überlassen Sie es den Herren in Paris und in Berlin, solche Dinge in der Wüste zu predigen. Lieber Himmel! Ein Copist soll dieses Auge mit dem wunderbaren Blick, diesen stolzen Mund, diese edle Stirn da gemalt haben? Niemals."
Der Professor steckte bei diesen Worten meines b(»- geisterten Führers seine Brille wieder in die Tasche und flüchtete sich, ohne ein Wort weiter zu sagen, ins Nebenzinuner.
„Sie haben vollkommen recht", sagte ich, als der Professor verschwunden war, „wenn Sie über solche Kunsturtheile, und noch dazu im Munde eines Aka- demielehrers, nicht nur sich wundern, sondern auch un- willig werden. Selbst mir, der ich doch nur Dilettant bin inid dieses Porträt bisher nur in der Photographie kannte, wollte es immer unerklärlich erscheinen, doss «•s Leute gäbe, ja Gelehrte, welche sich sogar lur un- fehlbare Kunstrichter halten, die •'•n ^..1.1,..^ ,T..n.l fTir eine Copie ausgeben koimen!"
„Diesem echt romischen Fraueiilypus", - in
Begleiter, „begegnen wir schon in der Magii.. ... auf dem Bilde mit der heiligen Cäcilie in Bologna, da» lJ:itT;M'l im Jahre 1510 für die Kapelle dalP Olio in der Kiitiie von S. Giovanni in Monte aut^tuhrte. Um diese Zeit etwa mag er auch diese« von ihm geliebte Weib
Qg Princip und Methode.
mit seiuem Pinsel verewigt haben. Dass er, nach seiner Gewohnheit von damals, die Ausführung des Kleides und der Hand einem seiner Gehiilfen überlassen habe, wie unter andern auch der verstorbene Passavant meinte, will auch mir als sehr wahrscheinlich erscheinen; allein diesen majestätischen, wahrhaft adeligen Frauenkopf' kann nur der göttliche Meister selbst so aufgefasst und so gemalt haben. Etwa fünf oder sechs Jahre später, wurde diese Geliebte des damals nicht mehr unter den Lebenden weilenden Künstlers von einem seiner Schüler und, wie ich glaube, von Giulio Romano aufs neue abconterfeit, und dies Bildniss befindet sich gegenwär- tig unter dem Namen RaffaePs in der Barberini-Galerie in Rom. Sie werden sehen, wie auf jenem Bilde dieses stolze Weib hier nicht nur gealtert und verkommen aussieht, sondern i\nc]i wie gemein und widerwärtig sie vom Maler dort aufgefasst und dargestellt wurde, man meint wahrlich, eine liederliche Dirne vor sich zu haben.
„Nun sehen Sie auch", fuhr er dann fort, indem wir nahe vor das Bild traten, „wie durchaus Rafiaelisch auch in diesem Porträt die Ohrform ist." . „Nein, nein, mein lieber Herr", antwortete ich, „ver- schonen Sie mich doch vor diesem Bild hier mit Ihren Ohr- und Handformen. Vor solchen Kunstwerken ist's für mich eine reine Unmöglichkeit, Detailstudien zu machen; RaffaePs göttlicher Geist hält mich noch zu sehr festgebannt, als dass ich sogleich mich selbst und zugleich jene Nüchternheit des Geistes wiederfinden sollte, die doch erforderlich ist, um an einem Werke der Kunst bei den einzelnen Formen und Schnörkeln sich aufzuhalten."
Nachdem ich an diesem Prachtbildniss noch eine Weile meine Augenweide gehabt hatte, forderte mich mein geduldiger Cicerone auf, mit ihm ein anderes Por- trät RaffaePs, ungefähr aus derselben Epoche, an-
UA iUK..\AUl.SA l.N
IS KOM fl. «.
Porträt des Papstes Leo X. 69
sehen zu wollen, und wir begaben uns demzufolge in den sogenannten Apollosani zurück, wo das berühmte Hildniss des Papstes Leo X., nebst denen der Car- dinale Giulio de' Medici und Lui^ Rossi aufge- stellt ist.
„Ungefähr dieselbe Behandlung der Stofie wie im vorigen Bild", bemerkte ich, „und", fugte er hinzu, „dasselbe runde, fleischige Ohr. Ueber dieses welt- bekannte Bild könnte ich Ihnen", fuhr er fort, „ein Langes und Breites erzählen; für diesmal müssen wir jedoch uns begnügen, auch in diesem Werke Raffaers blos die Identität der Ohrform mit der in seinen an- dern von uns heute betrachteten Bildern zu bestätigen. Hände inid Beiwerk wurden wol auch auf diesem Bild von Gehulfen ausgeführt."
„Wie stolz und edel", sagte ich, „sieht nicht die Geliebte des Meisters, die doch dem niedern Stand an- gehört haben soll, gegen diesen adeligen Papst aus! Hätte der Maler ihn nicht durch die aristokratischen Beiwerke, wie das Miniaturenbuch, die Lupe, die fein- ciselirte goldene Klingel, das reiche Priestergewand, die Teppiche u. s. w. zu veredeln getrachtet, so würde ja dieser Medici otwfi wif «»in roich geword^MMT i^('h»'iik- wirth aussehen.^*
Der Italiener lächelte dazu und zog mich vom Bilde weg in den Saturnussaal, wo wir einen Augenblick vor dem Porträt eines andern Papstes, Julius IL, still- hielten.
„Schauen Sie sich dagegen", sagi u ,,da8 leiden- schaftliche Bildniss dieses Vorgängers Leo's X. an. (xleich der Geliebten Raffaers war auch er ein Kind (los Volkes. Welch ein hochfahrender Charakter schaut nicht aus diesem edlen Antlitze heraus! Aus diesen von tieftMi Leidenschaften durchfurchten Zügen spricht männ- licher Stolz und selbstbewusste KraÜ; wie verschieden von jener sinnlichen, verschmitzten Indifferenz, die uns
70 Princip und Methode.
vorhiu aus den Gesichtern der zwei Mediceer ent- gegenblickte." *
„Das Studium der Porträts", bemerkte ich, „ist ge- wiss eines der interessantesten, das einem Kunsthisto- riker geboten werden kann."
„Unstreitig", antwortete er, „wenn der Kunsthisto- riker selbst interessant ist, was doch leider höchst selten der Fall ist. Wollen Sie", fügte er hinzu, „die Geschichte Italiens ganz verstehen lernen, so diirfen Sie ja nicht vernachlässigen, auch die Bildnisse, sowol die weiblichen als die männlichen, sich anzuschauen. In den Gesichtern der Leute steht immer ein Stück Ge- schichte ihrer Zeit zu lesen, falls man eben darin zu lesen versteht. Wenn Sie z. B. das Porträt der Ge- liebten RaffaePs neben jenes der vornehmen Maddalena Doni oder auch neben das der Eleonora Gonzaga della Kovere, der sogenannten «Bella di Tiziano» (Nr. 18 dieser Galerie) stellen, so werden Sie daraus sogleich ersehen, dass, w^ährend in den vornehmen Ständen, zur Zeit der llenaissance, alles Ideal schon völlig erloschen war, im Volke dagegen noch immerfort eine gesunde Lebens- lust und moralische Kraft sich erhalten hatten."
Nach dieser culturgeschichtlichen Abschweifung lud mich mein Begleiter ein, mir das an der Wand gegen- über hängende Bildchen mit der „Vision EzechieFs" anzusehen. Ich kannte natürlich längst dieses durch den Stich verewigte Werk Raffaers, dessen reizende und zugleich grossartige Composition mich jedesmal in Entzücken versetzte.
' In der Tribuna der Uffizien- Galerie dürfte vielleicht das Originalporträt dieses Papstes, obwol durch Uebermalung sehr entstellt, sich befinden. Vasari berichtet uns übrigens, im Schloss von Urbino wäre, ausser dem Originalporträt Julius' IL, auch noch eine Copie dieses Bildnisses von der Hand Tizian's (?) ge- wesen. Nun behauptet man, dass beide Bilder von Urbino nach Florenz gebracht worden seien.
Der „Traum Ezechiers". 71
„Vasari", sagte ich zu ihm, „bemerkt von diesem Bild, wenn ich mich recht entsinne, dass Kafiael es für den Bolognesen Ilercolani gemalt habe."
„Allerdings", antwortete er, „und daher folgerten einige nordische Kunstkritiker, lun etwas ganz Apartes zu sagen, dass das Bildchen, gleich der «Donna velata», nicht Original, sondern die von einem spatem bolog- neser Maler angefertigte Copie sei."
„Wo waro aber dann das Originalbild Kaffaers?" fragte ich.
„Die Antwoii aut dies» 1 im-«' hkMl)cu luij? jene weisen Herren schuldig. Da» du Ausführung dieses übrigens vorziiglich gemalten Bildes", iiihr er dann fort, „nicht dem Urbinaten selbst angehöre, davon bin auch ich überzeugt, denn sowol in der Form der Hand des Gottvaters und des Ohrs der Engel, wie auch in der Farbenscala und vornehmlich in der wulstigen Ober- lippe der kleinen Engel da, glaube ich sehr deutlich die Art und Weise des Giulio Romano, des Lieblings- schülers Kaftaers, zu erkennen; trotzdem aber spricht Uaflaers (reist zu uns noch frisch und lebendig aus diesem herrlich componirten Bildchen, das allerdings, wie einige Kunstkenner meiinn. iisf im^ Jahr 1517 entstanden sein mag.^
„Ist Ihr Urtheil zutreflenU'% wigte ich, „so muss doch (fiulio Romano die Technik und die Formen seines Lehrers und Vorbildes zum Täuschen nachzuahmen ge- wusst haben, denn mir wäre es wahrli " ' 't im Traum eingefallen, an der Echtheit dieses 1 ildihens zu
zweifeln.'-
..y ' li". Im II ' im-in i'uln'i. .."'iinl t.i^t alle
Stati 11 tj.H l II aus di« -( I >.m,i l.t/.ten
Wirkungszeit, d. h. vom Jahre 151G bb zu seinem Hin- ' ' jrossten Theil von seinen Schülern und
( limlich %'on Giulio Romano, ausgeführt;
war ja der Meister selbst in jenen Jahren so vielfach
72 Princip und Methode.
in Anspruch genommen als Maler, als Baumeister, als ArchUolog, dass, hätte er auch statt zwei, vier Hände gehabt, und hätte er statt über zwölf, über vierund- zwanzig Stunden am Tage gebieten können, es ihm den- noch unmöglich gewesen wäre, all den Aufträgen zu entsprechen, die ihm von allen Seiten zuströmten."
Wenig erbaut davon, dass ich dieses mich so sehr an- muthende Bildchen nicht ganz als Raffaers eigenes Werk sollte ansehen dürfen, begab ich mich kopfschüttelnd vor das an derselben Wand hängende Cardinalsporträt, Nr. 171, und wandte mich dann lächelnd zu meinem Cicerone mit den Worten: „Nun, ist vielleicht in Ihren Augen auch dieses herrliche Bildniss des schielenden Car- dinais nicht vom Meister selbst, sondern gleichfalls nur von einem seiner Schüler gemalt?"
„Und wenn ich Ihnen sagte", antwortete er lachend, „dass ich dieses Porträt nicht einmal für italienische Ar- beit, sondern für eine von einem Ausländer gefertigte Copie nach einem Originalbild RafRieFs halte!"
„Nun", rief ich aus, „wenn Ihre Experimental- methode zu solchen Ergebnissen führt, da wäre es für die Welt besser, wenn dieselbe möglichst wenig davon erführe, und wenn sie, einmal bekannt gemacht, mög- lichst bald wieder vergessen würde!"
„Und dies", erwiderte lächelnd der Italiener, „wird auch höchst wahrscheinlich der Fall sein."
„Lassen Sie uns jedoch", fuhr er dann fort, „dieses berühmte Porträt etwas genauer betrachten. Schon Passa- vant (I, 175) wurde durch die flüssige Art dieser Malerei an deutsche Meister erinnert, und er meinte sogar, Raffael dürfte dabei von irgendeinem Bilde Holbein's beeinflusst worden sein, was übrigens, beiläuiig be- merkt, schon chronologisch unmöglich gewesen wäre. Dass jedoch die Maltechnik in diesem Gemälde jedem Kenner als unitalienisch vorkommen muss, darüber, scheint mir, kann kein Zweifel mehr obwalten. Be-
Porträt des Cardlnal's iDghirami. 73
trachten Sie sich vor allem dieses stiere, metallene Auge, diesen schlecht modellirten Mund, diese ganz verfehlte Zeichnung des Daumens der rechten Hand, diese grellen Farben am Buch, und Sie werden mir doch wenigstens zugeben, dass, wer immer dies Bild gemalt haben mag, kein grosser Meister gewesen s^in kann. Um Sie jedoch aus aller Ungewissheit zu be- freien, will ich Ihnen nicht verheimlichen, dass das Originalbild noch immer in der Familie Inghirami zu Volterra sich befindet, zwar durch eine moderne Kt'stauration ganz und gar entstellt, allein an einzelnen Stillen immer noch als das Original erkennbar.*^
Gegen eine solche Thatsache vermochte ich, wie sich von selbst versteht, nichts einzuwenden und musste daher meinem Führer beistimmen, wiewol ich an dieser seiner zerstörenden Kritik ebenso wenig Gefallen fin- den konnte, als etwa Ariosto^s Roland an dem Feuer- gewehr.
„Dort", sagte der Italiener, indem er auf die Wand gegenüber deutete, „dort hängt noch ein anderes Car- dinalsporträt, das man hier noch immer dem Urbinaten zuzuschreiben beliebt, obgleich es schon der verstor- bene Passavant als das Werk eines Schülers erklärte, und zwar mit vollem Recht,'*
Wir traten nun vor jenes Porträt (Nr. 158) und ich konnte unschwer mich überzeugen, dass an diesem Bilde weder die Augen, noch die linke Hand richtig model- lirt waren und dass selbst das Ohr nicht jene ninde, volle Form hat, die wir an den echten Bildnissen Raffaers soeben wahrzunehmen zur Genüge Gelegen- h«Mt hnttrii. ' iliches Schüler|>orträt, den Cardinal
l*as!*<.Tini dai-: -. .1, befindet sich im Museum von NiapeH, 9Mgie er, indem er mir die Hand reichte und, all! ihr rhr * m1, sich > 'licdete. Und auch
uU war d«r \ . dass i« iiesor I^ction vor-
läufig genug batt«'. —
74 Priacip und Methode.
Ich verlängerte meinen Aufenthalt in Florenz noch um mehrere Wochen und benutzte denselben, um täg- lich in den verschiedenen Kunstsammlungen der Stadt nach der von meinem Führer mir angedeuteten Me- thode Formstudien an Gemälden, Statuen und Gebäu- den zu machen. Allein gar bald wurde es mir da klar, dass eine so niichterne, trockene, ja geradezu pedan- tische Art, die Werke der Kunst anzuschauen, den Geist auf die Länge der wahren, höhern Auffassung entfrem- den müsste, wennschon sie immerhin , dem persönlichen Geschmack eines „alten Mediciners" wol zusagen möge und etwa auch für den Kunsttrödler und Experten von einigem Vortheil sein diirfte. Und so verliess ich end- lich Florenz unbefriedigt.
Bei meiner Kückkehr nach Kasan vernahm ich zu meiner grossen Verwunderung, dass die im Lande weit und breit gepriesene Bildergalerie im Schlosse des Fürsten Smaranzoff, die zur grössern Hälfte aus Werken der besten italienischen Meister bestand, in nächster Zeit unter den Hammer kommen sollte. Ich hatte jene Sammlung, da das fürstliche Schloss nur wenige Werst von der Stadt entfernt war, in meiner Jugend gar oft besucht und darin meine ersten Kunststudien gemacht, sodass die sechs Madonnenbilder von Raffael Sanzio, die sich in derselben befanden, noch glanzvoll in meinem Gedächtniss fortlebten. Ich fühlte daher ein wahres Bedürfniss, jene Bilder mir noch einmal an- zusehen und scharf einzuprägen, bevor sie in alle Welt verstreut würden.
An einem heitern Decembertag Hess ich daher meine Droschke anspannen und fuhr vergnügten Sinnes nach dem Schloss, in dessen prächtigen Galerieräumen ich be- reits einheimische und ausländische Kunsthändler, Kunst- freunde und Galeriedirectoren vorfand, die alle mit lebhaf- tem Interesse und, wie es mir zuerst erschien, auch mit
i
Die Galerie des Fanten Smarauzoff. 75
ausserordentlicher Sachkenntnis&'die Gemälde eines nach dem andern prüften, bald vor diesem, bald vor jenem Bilde ihre volle Bewunderung ausdrückend und hier den Verrocchio, da den Melozzo da Forli, da selbst den Lionardo da Vinci auf den ersten Blick erken- nend. Ich hörte mit Neugierde und Staunen ihren ana- lytischen Bemerkungen über die vorzügliche Maltech- nik der Venetianer und die trefl'liche Erhaltung der KaÜ'ael-Bilder zu. Wie gross war aber mein Erstau- nen, als ich endlich selbst jene Raffael-Madonnen, die vor Jahren auch mich in so hohes Entzücken versetzt hatten, genauer untersuchte! Ich wagte kaum meinen Augen zu trauen, da ich noch lebhaft die Kafi'ael-Bilder im Pitti- Palast vor der Seele stehen hatte, diesmal auch nicht umhin konnte, die Kunstwerke nach der Methode, welche der Italiener in Florenz mich gelehrt hatte, mir anzusehen und zu prüfen. Es war mir da zu Muthe, etwa als wenn inzwischen eine Binde mir von den Augen gefallen wäre. Wie steif und lang- weilig erschienen mir jetzt diese Madonnen, wie ab- geschmackt, ja lücherlich die Kinder auf ihrem Arm oder an ihrer Seite, wie unraflaelisch die Formen! Kurz, die vor wenig Jahren von mir noch angestaunten Werke des „göttlichen'^ Urbinaten wollten mir nun durchaus nicht mehr gefallen, und ich glaubte bei näherer Prüfung deutlich einzusehen, dass all jene hoch- bewiuiderten und gepriesenen Kaffael-Bilder nichts an- • 1' I 'S als lauter C<»pien, ja vielleicht zum Theil sogar FiiLschungen waren. Ebenso erging es mir bei der Be- sichtigung der sogenannten Werke von Michelangelo, von Verrocchio, von Lionardo da Vinci, von Botticelli, von I^)rcnzo IjQtto und von Palma vecchio. Die Freude, in so kurzer ^it und nach so oberflichlichcn Studien schon zu dieser, wenn auch nur negativen Erkeiuitniss gekommen zu sein, war in mir so gross, dass ich auf dem Heimweg den Entschluss &8ste, sobald als nur mog-
76 Princip und Methode.
lieh Gorlaw und die Heimat wieder zu verlassen und abermals meine Schritte nach Deut^^chland, Paris und Italien zu richten, in der Absicht, in den dortigen Kunstsammlungen neuen, intensiveren Studien, und zwar nach der von mir zuerst misdeuteten Methode des Ita- lieners mich hinzugeben. Demzufolge brachte ich zum zweiten male ein ganzes Jahr theils in den deutschen Landen, theils in Paris und London zu und wanderte dann voller Zuversicht über die Alpen nach dem son- nigen Italien, dessen dunkle Cypressen und Pinien mit dem blauen Himmel darüber ich diesmal mit wahrem Jubel begrüsste. Nachdem ich mehrere Monate hindurch in der Lombardei und ebenso im Venetiani- schen emsig dem Studium jener Localschulen , sowie der italienischen Sprache und Literatur mich gewidmet hatte, kam ich endlich wieder nach Toscana, dem seli- gen Lande der Kunst. In Florenz angelangt, fragte ich sogleich nach meinem ehemaligen Führer, dem ich meine Dankbarkeit für die freundliche Mühe, mit der er vor Jahren sich mit mir befasst hatte, ausdrücken wollte.
In der üeberzeugung, von irgendeinem Beamten der florentiner Kunstsammlungen die Wohnung des alten, un- ermüdlichen Galeriebesuchers leichter als irgendwosonst erfahren zu können, wandte ich mich sofort an den Inspector der Galerie mit der Bitte, mir sagen zu wollen, ob gegenwärtig Herr . . . noch in Florenz und wo er da zu treöen sei. Wie erstaunt jedoch war ich, als der königliche Beamte mir trocken antwortete, dass er mit jenem, ihm antipathischen Kritiker der alten Bilder nichts zu schaffen habe. Ueberdies, fügte er hinzu, sei jener abgeschmackte Wiedertäufer ein ausgemachter Feind der Freiheit und ich müsste mich daher an einen ^^Codino'-^ wenden, wenn ich seine Wohnung erfahren wolle.
Erst nach langem Herumfragen und Suchen gelang es mir endlich eine Person ausfindig zu machen, die
Mein ehemaliger Führer. 77
in der Lage war, über ihn einige Auskunft mir zu er- theilen. Es war die^ ein Apotheker, ein hagerer Mann mit blassem Gesicht, scharfem dunkeln Auge und langer, spitzer Nase. Ich fragte ihn, ob er mir sagen konnte, ob der alte Mann noch immer am Leben sei.
„Falls er nicht ganz kürzlich gestorben ist, so lebt er noch", erwiderte er mir in kaltem Tone.
„L^nd wissen Sie nicht, wo er jetzt wohnt. Jahren", fugte ich hinzu, „war seine Wohnung in der Via San Frediano."
„Ja, ja, ich weiss es", sagte der mürrische Mann. „Ich glaube aber, er hat seit Monaten die Stadt Ter- lassen und sich aufs Land zurückgezogen. Wie ich hörte", fugte er spöttisch lächelnd hinzu, „soll er seine Mitmenschen, die eben nicht nach seiner Pfeife tanzen wollen, satt bekommen haben. Ausser einigen wenigen politischen Spiessgesellen von hier empßnjft er aiu-h niemand mehr."
„Und doch", sagte ich, „schien er mir, als ich ihn kennen lernte, ein heiterer, lebensfroher Mann zu sein."
„Es war stet» eiu Feind der Ordnung und des Ge- setzes", fiel mir der Apotheker ins Wort, ,,ein Mensch ohne Gewissen. Alle diese RevQlutionsmänner und Welt- verbesserer in unserm Italien sind nichts» als freche, eitle Egoisten, ohne alle Pietät vor dem Bestehenden und ohne Religion; was Wunder, dass sie mit den Jahren menschen- scheu werden! Gott möge ihnen das Unheil vergeben, das sie über unser schönes Land gebracht haben."
Aus diesen bissigen Bemerkungen des hagem Man- nes erkannte ich unschwer, dass er zur klerikalen, mein ehemaliger Begleiter in den florentinischen Bilder- galerien aber zur Partei der Patrioten gehören müsm*. Mich wunderte es jedoch, dans *>in Mann, der noch vor kurzem so begeistert war für Kunst und Wissenschaft und namentlich ftir die Regeneration seine« Landes, sich
78 Princip und Methode.
nun plötzlich von der Welt gänzlich habe zurückziehen wollen.
Ich dankte meinem griesgrämigen Berichterstatter und verabschiedete mich sobald als möglich von ihm. Beim Nachhausegehen konnte ich mich nicht erwehren, über die Wandelbarkeit unserer Freuden und Leiden in dieser Welt Betrachtungen anzustellen.
Nach einem zweijährigen Aufenthalt in Toscana kam ich endlich in der Ewigen Stadt an, wo ich es mir seit vielen Monaten angelegen sein lasse, die Werke dei- Kunst in Kirchen und Galerien zu studiren, und wo ich schliesslich dem iibermüthigen Gedanken Folge leistete, einen Theil der llesultate dieser meiner Studien den jungen Kunstbeflissenen meines Vaterlandes mitzuthei- len. Mögen sie diese Versuche mit demselben Wohl- wollen aufnehmen, mit dem ich sie ihnen darbiete.
I. DIE GALERIE BORaHESR
EIKXEITÜXG.
Sin T»9 tohtt dM «adOTB.
»n diesen unsern Tagen, wo die Demokratie ihre alles und alle gleich- und seligniachende Fahne auch auf den verlotterten Mauern der Haupt- und Residenzstadt des Katholicismus aufgepflanzt hat, und wo es demnach zu erwarten steht, dass mit der Aufhebung der verhassten Familienstiftungen auch hier, wie es überall anderwärts geschehen, die Kunstschätze der grossen Patricierfamilien und zugleich wol auch manches Kleinod in Taschenformat aus den vaticanischen Sammlungen in alle Welt zerstreut werden, möchte es wol an der Zeit sein, die bedeutenden und bekanntesten dieser Kunstsammlungen uns noch einmal anxusehen, solange dieselben beisammen sind, und die darin ent- haltenen Hauptwerke kritisch zu besprechen. Die Auf- gabe ist weder ganz leicht noch ist sie sehr angenehm. Auch hätte ich, im Beginne meiner Lehrjahre, mich niemals von der Anmassung anwandeln Ussen, eine so schwere und drückende Last auf meine schwachen Schul- tern zu nehmen, wäre ich nicht bei einem langem Aufenthalt in Rom zu der Ueberzeugiuig gekonunen, dass die meisten der bedeutenderen einheimischen Kunst- golehrton in den gegenwärtigen Zeiten ihre koi^tbaren Studien, ihre Gelehrsamkeit und ihren Scharfsinn mit weit grosserm Nutzen für sich selbst, sei es in der Politik sei es allenfalls auch in der Leitung von Aus-
LKRMOLIKrr. 0
32 Die Galerie Borghese.
grabungen etruskischer oder römischer Trümmer, ver- werthen können, und dass sie es daher einem Fremden schwerlich veriibehi werden, wenn er diese verführer- ische Gelegenheit benutzt, seine, wenn auch mit ge- ringen Kräften, so doch gewiss mit grosser Gewissen- haftigkeit gemachten Studien auf die Probe zu stellen. Bedenkt man wieder andererseits, welch eine langwie- rige und in den Augen der meisten auch geringfügige Arbeit die Compilation eines Galeriekatalogs ist, so wird man wol ebenfalls zugeben miissen, dass man einem namhaften, vielbeschäftigten Kunsthistoriker oder Gale- riedirector doch nicht wohl zumuthen darf, sich mit derlei Dingen zu befassen. Es ist dies also die eigent- liche Arbeit eines Anfängers und Lehrlings, einer Sorte Menschen, zu denen ich mich bekenne, die in der Kunst- wissenschaft noch die Sporen sich verdienen wollen, während es dem Kunsthistoriker und Kunstphilosophen vorbehalten bleiben muss, in reineren, erhabeneren Re- gionen zu walten, damit er, gleichsam zwischen Erde und Himmel schwebend, dem Genius der Kunst un- beirrt folgen könne. Alle diese Betrachtungen und Vor- aussetzungen haben meine angeborene Schüchternheit nach und nach eingeschläfert und meiner Eitelkeit so- mit freie Zügel gelassen. Mögen die gütigen Götter es verhüten, dass die dreiste Probe nicht der des Frosches in der Fabel gleichkomme!
Ich hielt es für rathsam, diese wenigen Worte der Entschuldigung vorauszuschicken, auf dass man diese Arbeit für nichts anderes ansehen wolle, als für was ich sie selbst halte, nämlich für einen mehr oder minder anspruchslosen Versuch eines Anfängers, seinen Witz an den grossen italienischen Malern der Vor- zeit zu prüfen, und dieselben kritisch zu bestimmen, wo es ihm eben däucht, dass eine passendere Taufe als die des Katalogs am Platze sein dürfte. Diese und keine andere Aufgabe habe ich mir gestellt.
Einleitung. g3
Ein solches Unternehmen mochte daher niemand an- ders interessiren können, als etwa irgendeinen eben- bürtigen Fremden, der in den römischen Kunstsamm- lungen, solange dieselben noch bestehen werden, ähn- liche Studien zu machen Lust hätte; denn, da meine Urtheile in einigen Fallen von den hergebrachten und allgemein vom kunstliebenden Publikum anerkannten abweichen, so ist derselbe angehalten, seinen Scharf- sinn zu üben, beide Urtheile zu prutVn und gegeneinan- der abzuwägen, um sich sodann entweder an das eine oder das andere, oder auch, wenn er will, an keines von beiden zu halten. In diesem Sinne können ja selbst meine Fehltritte, und daran wird es keinen ]^Iangel haben, manchem zu Nutzen kommen, und ihm viel- leicht dienlich sein, den rechten Weg aufzufinden. Hat ja doch auch das kühne Wort des Engländers Wornuni über die Holbein-Madonna zu Dresden, trotzdem es von den orthodoxen Kunstgelehrten Deutschlands anfäng- lich als Häresie betrachtet und gebrandmarkt wurde, zuletzt doch durch das Erkenntniss des ehrenwerthen Kunstgerichts in der Hauptstadt Sachsens selbst die glänzendste Anerkennung und Hekräftigung gefunden.
Ich werde vorderhand nur zwei der bedeutendsten unter den Gemäldegalerien Roms vornehmlich ins Auge fjissen, die Borghesische und diejenige des Fürsten Doria Pamfili, was mich aber nicht abhalten soll, wenn die Ge- legenheit sich darbietet, einige Blicke auch in die an- dern Bildersammlungen, und zwar nicht nur Koma, sondern auch des übrigen Italien zu werfen.
Ueber die Entstehung dieser Galerien kann ich nichts Zuverlässiges berichten, da ich ' il icherweise mit
keinem der hohen inid höchsten i "in personliche
Berührung gekommen hin, und da, sorviel mir bekannt» die meisten Führer darüber schweigen. Dem Studium der Kunstwerke selbst, wenigstens wie ich i»s verstehe, geschieht dadurch jedenfalls kein Abbnich. Die meisten
g4 Die Galerie Borghese.
»
dieser Sammlungen verdanken ihren Ursprung, wenn ich nicht irre, der Kunstliebe oder, wie andere meinen, der spanischen Prunksucht des 17. Jahrhunderts: die Grundlage zu der Borghesischen wurde in den ersten Decennien jenes Jahihunderts durch den Cardinal Scipione Borghese gelegt, die andern Sammlungen, mit Ausnahme der Colonnesischen und der des Hauses Chigi, entstanden später. Die Galerie Barberini, welche durch den Papst Urban VIII., bei der Annexion des Fürstenthums Urbino an den Heiligen Stuhl, einen bedeutenden Zuwachs aus dem Schlosse von Urbino erhielt, traf später das üble Los, in zwei Hälften getheilt zu werden, von denen die eine der Familie Barberini -Colonna verblieb, die andere dem Hause Sciarra-Colonna anheimfiel.
Was nun die Aufstellung und Anordnung der Bil- der in diesen Galerien betrifi't, so wurde dieselbe in den allermeisten Fällen keinem leitenden Gedanken, sondern, wie dies leider in Italien gäng und gebe ist, der Grösse und der Form des Bildes, ja zuweilen auch des Rah- mens unterworfen, sodass die Gemälde in den Zinnnern eher untergebracht, als geordnet sind. Eine beher- zigenswerthe Ausnahme davon macht die Borghesische Pinakothek, die ihre gegenwärtige Aufstellung ihrem ehemaligen langjährigen Custoden verdankt, nämlich dem in neuester Zeit so hoch gefeierten Archäologen Commendatore Kosa, welcher in der jetzigen Anord- nung derselben die Absicht zu erkennen gab, die ver- schiedenen Kunstwerke nach Schulen aufzustellen und zu vertheilen. Die Wahl der meisten Namen, die man unter die Bilder gesetzt hat, sowol in diesen Privat- galerien Koms, als auch in allen öffentlichen Kunst- sammlungen Italiens, datirt aus dem Ende des 16. oder dem Anfänge des 17. Jahrhunderts, also aus einer Zeit, wo die Kunstkritik meist von Akademikern und kunstliebenden Prälaten zwischen einer Prise und der
EiDleitong. 85
andern ausgeübt wurde, und wo danu die jedesmaligen Erkenntnisse jener Herren als endgültig anerkannt, keiner weitern Instanz unterbreitet werden durften. Derartige Urtheile nun, die in den meisten Fällen nicht nur das gutwillige Kunstpuhlikum, sondern auch die Mehrheit der modernen Kunstschriftsteller unbesehen angenommen haben, kritisch anzutasten, nach so langen, hingen Jahren einer ungefährdeten friedlichen Existenz, mag den gläubigen Kunstfreunden als ein Frevel er- scheinen und in gewisser Hinsicht wol mit Hecht, da dies ja dahin fuhren konnte, den lieblich gemüthlichen Kunstdusel vieler ästhetischen Seelen unangenehm zu unterbrechen.* Ein solcher Gedanke hätte auch fiir mich peinlich sein müssen, wenn ich nicht im voraus die Gewissheit hätte, dass meine Worte, wie sie ja nicht für jenes Publikum niedergeschrieben sind, so auch schwerlich an das Ohr desselben gelangen wer- den. Ich mochte wahrlich um keinen Preis dem In- fallibilitätsglauben der kunstliebenden Touristen und Bildergalerie -Beflissenen der Alten und Neuen Welt den mindesten Anstoss geben! Denn, wehe allen den grossen und berühmten Kunstsammlungen P^uropas, falls das bisher gläubige Publikum anfangen sollte, die Ka- taloge und rothbändigen Führer mit dem Auge des Zweifels und des Mistrauens anzusehen! Der ästhe- tische Genuss wäre dahin, der Drang nach den Glypto- und Pinakotheken Hesse nach, und der Gewinn und Nutzen fTir die sogenannte allgemeine Bildung dürften somit sehr in Frage kommen. — Damit aber hat es, wie gesagt, nicht die mindeste Gefahr. Von einem hohem oder höchsten Standpunkte aus die Sache an- gesehen, ist es auch in der That ganz gleichgültig, ob
' „La coutume", »aRt VMctkl irgendwo, „/ail I0«<« VI- 'initc par cette seuh raison qnUUe ett re^ne; c^est U fomdiment
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tique de aon autoriU ! Qui la ramkne A «oh principe, VamkmUV*
gß Die Galerie Borghese.
ein Kunstwerk mir unter diesem oder unter jenem Namen Genuss und Belehrung gewährt, die Hauptsache bleibt ja doch immer, dass es iiberhaupt mir Freude bringt, d. h. dass es meinen Geist auf angenehme Art beriihrt, dass es, wie die Deutschen sagen, die zartesten Saiten oder Fäden meiner Seele erzittern macht. Und zum Gliick der Menschheit geschieht dies täglich in allen Bildergalerien Europas, allen Mängeln zum Trotz, welche pedantische Kunstkritiker in den Katalogen aufzufinden sich abplagen. Ein Gemälde, sagt ja ein alter Pro- fessor der Aesthetik, ist gleich einer Blume des Feldes : zarte, reine Seelen freuen sich derselben, unbekümmert darum, ob gelehrte Botaniker sie zu den Kosaceen oder zu den Malvaceen zu klassificiren sich gefallen.
Und nun treten wir, ohne weitere Worte zu ver- lieren, in die Borghesische Galerie ein. Dieselbe ver- dient die Ehre unsers ersten Besuches, da sie trotz mancher bedeutenden Verluste, die sie während der langen Jahre ihres Bestandes erfahren musste, doch noch immer unter allen Privatsammlungen der Welt, nach meinem Dafürhalten wenigstens, weitaus die erste Stelle einnimmt. Und wenn man in neuester Zeit das Ge- rücht verbreitet, dass die russische Regierung 25 Mil- lionen Franken flir dieselbe geboten habe, so hat man damit nur dem grossen unschätzbaren Werthe dieser Sammlung durch eine runde Zahl einen Ausdruck, und damit dem kunstsinnigen Publikum einen fasslichen, un- abweisbaren Beweis dafür an die Hand geben wollen, dass die in diesen Räumen aufgestellten Bilder wirk- lich theuer, und somit seiner Bewunderung werth sind. — Ich werde mich in meiner kritischen Musterung der Gemälde nicht an die Nummerfolo-e des Katalogs halten und derselben nachgehen. Diese Methode ist zwar nicht die praktischste, wol aber die logischste und wird jenen wenigen, die gesonnen sind, mir in dieser Rundschau zu fol*]cen, die Sache erleichtern.
Einleitung. g7
Erstes, zweites und drittes Zimmer.
Die in dem ersten Gemache enthaltenen Bilder sind fast ausschliesslich Werke von Meistern, die ihrer Geburt nach dem 15. Jahrhundert angehören, die aber noch lange Jahre hindurch im 16. Jahrhundert fortgewirkt haben, wie Sandro Botticelli, Francesco Raibolini, Pinto- ricchio, Pier di Cosimo, Lorenzo di Credi, Giovan Antonio Bazzi und andere mehr, und die somit in jene Kategorie einzureihen sind, welche Pater Lanzi mit einem für seine Zeit und seinen Orden charakteristi- schen Ausdrucke die Modernsten unter den Alten oder die Aeltesten unter den Modernen zu nennen beliebte.
Ehe wir die einzelnen Bilder näher betrachten, erlaube man mir einige Worte der Verstandigimg an den berühm- ten franzosischen Kunstkritiker Herrn Charles Blanc, Membre de V Institut^ zu richten.* Dieselben sollen nicht nur als Entgegnung auf eine von ihm wiederholte und von den meisten Aesthetikern und Kunsthistorikern unserer Tage anerkannte Maxime dienen, sondern sie sollen m- gleich ein Massstab sein für die von mir befolgte Methode. Plus les mattres sont grands^ plus leur ante est emgagie dans leurs ouvrages^ sagt also, wenn auch nicht gerade su* erst, so doch gewiss ganz richtig Herr Charles Blanc in einem seiner Artikel der „Gazette des Beaux-Arts", 1861, „ üne peinture de Uonard de Vinci^ betitelt, worin derselbe beweisen mochte, dass ein heiliger Sebastian, den sein Besitzer, Herr Moreau, für 60000 Francs an den Kaiser von Russland verkauft hatte, nichts anderes sein könne, als ein echtes Werk des Lionardo. Und,
* Dieser geistreiche, aber tahr oberfliehHelM Kunstschriftsieiler ist inswisohen gestorben.
^ Die Galerie Borghese.
fährt er fort, pour juger de Vauthenticite d^un tableau^ il Importe de connaitre Vesprit du peintre plus encore que 868 procedes, car les procedh s'apprennent^ le faire se traiumet et s'hnite, maü Väme ne saurait se trans- mettre; eile est essentielle ment inimitable, Ainsi^ ä Vin- verse (!f) de la plvpart des connaisseurs qui regardent principalement dans Vceuvre d''un artiste aux habitudes de 8011 pinceau^ faimerais mieux m'^enquerir avant taut de la tournure de son esprit. Vesprit de Leonard ou plutot son genie etait singulih'ement co7nplexe etc. etc. — Und eben, weil dieses ^e'wie des Leonardo so complex war, glaubte Herr Blanc den obengenannten heiligen Sebastian, von dem er ein Facsimile seinem Artikel beifügt, dem Lionardo da Vinci zuschreiben zu dürfen. Was würde nun Herr Blanc sagen, wenn ich meiner- seits ihm entgegnete: Man eher Monsieur Blanc ^ auch ich glaube, wie Sie, la tournure., le genie singulierement complexe des Lionardo, wenn auch nicht erfasst, so doch wenigstens nach besten Kräften studirt zu haben, aber neben diesem Studium der geistigen Persönlichkeit des Künstlers, die ja immer in einem echten Kunstwerke steckt, ja die das eben ist, was aus dem Bilde heraus- schauend zu uns spricht und unser Herz und unsern Geist ergreift, — neben diesem psychologischen Studium, sage ich, habe ich doch nie das der procedes und des faire des Meisters vernachlässigt, aus langer Erfahrung wohl wissend, welch üble Streiche die Einbildungskraft uns zu spielen sich gefällt. Und gerade weil ich in meinen Kunststudien sowol dem Geiste gelauscht habe als der Form nachgegangen bin, glaube ich mit Zuver- sicht sagen zu können: der von euch als ein Werk des Lionardo gepriesene heilige Sebastianus ist, meiner An- sicht nach, keineswegs die Arbeit des grossen Floren- tiners, sondern scheint, dem schlechten Facsimile nach zu urtheilen, nur seiner Schule anzugehören und zwar höchst wahrscheinlich dem Cesare da Sesto, wenn
Einleitung. g9
es überhaupt erlaubt ist, nach einem sehr schwachen Stiche ein Gemälde zu besprechen und zu beurtheilen. Doch daran liegt vorderhand nichts, wollte ich doch damit nur sagen, dass eben jeder Kunstforscher in der Einbildung lebt, den Geist und die besondere Art des Meisters, über den er sich vernehmen lässt, erfasst, ja besser als alle seine Vorganger ergründet und begriffen zu haben. Und eben weil seit Väsari die Kunst- geschichte diesen so breiten, so bequemen und doch so schlüpfrigen und bodenlosen Weg gegangen ist, ge- rade deshalb hat dieselbe seither so wenige Fortschritte gemacht, da ja doch wahrlich kein besonnener Mann den Einfall haben kann, jenen ästhetischen Kunstdilet- tantismus, der in neuester Zeit in Europa in allen Ton- arten sich vernehmen lässt, und in dicken Bänden, Bro- schüren und öffentlichen Vorträgen, zum Entzücken namentlich der Damenwelt, sich Luft macht, als eine Wissenschaft betrachten zu wollen, sondern eben für nichts anders halten wird, als für ein unschuldiges Amü- sement, von den Geistreichen mit Geist und Witr. von .den Einfältigen aber einfältiglich betrieben.
Herr Blanc wird daher hoffentlich einsehen, dass mit dem sogenannten Studium der toumure de Petprit^ de Vdme eines Meisters noch nichts oder doch sehr wenig gethan ist, wenn es sich darum handelt, mit mehr oder minder wissenschaftlicher Sicherheit den Autor eines Kunstwerks zu bestimmen.' Ist der ver-
' Wie gefahrlich es ist, blos auf seine Intuitionsgmbe, so fein
dieselbe auch immer sein mag, sich verlassen so woUan, davon
liefert ans derselbe mit der .^toumure de Veeprit* des Lionardo da
80 vertraute französische Kunstsohriftsteller ein anderas
;rcnde8 Beispiel in seinem Urtheil über die Federskiita (Nr. 268) der Thiers'schen Kunstsammlong im Lonvre. War den Muth bat, eine so ekelhaft grobe F&lsohnng einam Lionardo da Vinci zuzuschreiben, der bitte wahrlich bemr gtibao, Ober
90 I^ic Galerie Borghese.
storbene Graf von Lepel auf diesem iiämliclieii Wege, d. h. indem er blos nach dem Totaleindruck urtlieilte, doch dahin gekommen, im Jahre des Herrn 1825 noch die Echtheit der Madonna di San Sisto in der dresdener Galerie zu bezweifeln! Der edle Graf führte als Haupt- grund seiner Zweifel eben auch an: dass die Kunst nicht leicht in Worte gefasst werden könne, denn sie rühre und wirke aufs Gefühl. Und, auf diese schlüpfrige Maxime gestützt, erklärte derselbe die dresdener Madonna di San Sisto für ein Werk aus der Schule Raffael's, etwa des Timoteo della Vite, während es Hofrath Aloysius Hirt als eine Arbeit ,des Fattore betrachtet wissen wollte.^
Ich meinerseits bin immer mehr zu der Ueberzeu- gung gekommen, dass man nur durch ernste, unaus- gesetzte Studien der Form nach und nach dazu ge- langen kann, den Geist, der sie belebt, zu erkennen luid zu erfassen. Freilich lassen sich solche Studien nicht in ein paar Wochen oder Monaten, ja selbst nicht in einigen Jahren abthun. Jedes echte Werk eines Meisters, bemerkt ein indischer Kunstkritiker, wird dir antworten, wenn du es verstehst es zu befragen. Bleibt es dir die Antwort schuldig, so rechne darauf, dass ent- weder deine Frage unverständig war, oder aber dass die Seele, der Geist, das Wesen des Meisters nicht in jenem Werke lebt. Folglich, füge ich hinzu, dass das vermeintliche Kunstwerk entweder Copie oder Fabrik- arbeit war. Und wenn ich nun zum Beweise dieser von mir hier wiederholten Wahrheit mich sozusagen ge- zwungen sehe, einzelne materielle Zeichen und For- men (die aber doch wieder nicht so materiell oder auch zufällig sind, wie sie vielleicht manchem erscheinen
andere Dinge auf dieser Welt zu discouriren, als über „Vame et la toiirnure de Vesprit^'^ des grossen Florentiners.
^ Siehe Graf von Lepel, Verzeichniss der Werke Raffael's.
Einleitung. 91
möchten) näher anzugeben^ so darf ich wol hofieu, von meinen gütigen Lesern nicht misverstanden zu wer- den. Schon Lionardo da Vinci sagt: y^Chi s% prometfe dalla sperienza quel che non k in lei si discosta dalla ragione''\ auf deutsch: Wer von der £xpenmental- methode sich das verspricht, was zu leisten nicht in ihrer Macht liegt, ist unvernünftig (Codex Atlrin- ticus).
Niemand, der einigermassen mit deui muuiuiu ua- lienischer Kunstwerke befreundet ist, wird in Abrede stellen wolle«, dass es manchmal nicht so leicht ist wie es scheint, Werke des Schülers von denen des Meisters zu unterscheiden, und, da wir bei der floren- tinischen Malerschule stehen, ein Werk z. B. des Ma- solino von dem des Masaccio * (Crowe und Cavalcaselle, I, 521, 528), ein Werk des jungen Filippino Lippi von dem eines Sandro Botticelli, oder ein Jugendwerk des letztem von dem des Fra Filippo Lippi, oder eine tüch- tige Jugendarbeit des KaÖaellino del Garbo von einer schwächern Arbeit des Filippino zu unterscheiden. Han- delt es sich ja hier doch immer um Werke der näm- lichen Schule oder der nämlichen Kunstrichtung. Denn wie Masolino das Vorbild des Masaccio, und Fra Fi- lippo der Lehrer des Botticelli, so war dieser der Meister des Filippino, der seinerseits wieder den Kafiael- lino del Garbo zum Schüler hatte. Ja manchmal gi*- schieht es sogar, dass der Grossenkel in der Kunst mit seinem Urgrossvater verwechselt wird, wie dies, um einige Beispiele anzuführen, in der Galerie dolle belle arti in Florenz goschchen ist, woselbst zwei Bilder (den heiligen Johannes den Täufer und die heilige Magdalena
* So wird, sowol in der Brtncmcci-Kapellc ain nuou m ^un demente in Rom, Masolino von den Herren Crowe und C«%*al- catelle und auch von Director W. Bode (Cicerone, II, 5C3 und 564) immer noch mit Masaooio verwechselt
92 J^ie Galerie Borghese.
darstellend)*, welche zweifellos dem Filippino angehören^ zuerst dem Masaccio, also dem Vorbild Fra Filippo's, später dann dem Andrea del Castagno zugeschrieben wurden, während man in Florenz noch immer fortfährt, den in der Mitte derselben Bilder aufgestellten heiligen Hieronymus^, ebenfalls ein Werk des Filippino, als ein Werk des Andrea del Castagno dem gutwilligen Publikum vorzustellen. ^
Es wäre mir leicht, noch mehrere andere Beispiele der Art aus andern Kunstschulen anzuführen zum Be- weise dafür, dass es selbst anerkannten Kunstkennern nicht immer gelingt, mit einer gewissen Sicherheit die Werke des Schillers von denen des Meisters, oder um- gekehrt, zu unterscheiden, wenn sie bei einer solchen Beurtheilung nur den sogenannten ästhetischen Mass- stab der .^tournure de Vespnt'-'- und den der „ame" eines Künstlers mitbringen oder auf den sogenannten „Total- eindruck" sich allein verlassen wollen.
Andererseits reicht manchmal auch die grosste Praxis und Routine nicht aus, ein Originalwerk von einer guten Schulcopie zu unterscheiden, und davon Hessen sich schlagende Beweise aus öfientlichen Galerien so- wol Italiens und Frankreichs, als namentlich auch Deutschlands anführen. Der Schreiber dieser Zeilen muss sich bei dieser Gelegenheit vor allem dagegen verwahren, als ob er auch im mindesten die Anmas- sung hätte, die tournure de Vesprit^ Väme irgendeines der grossen Kiinstler Italiens erfasst zu haben. So weit wahrlich versteigt er sich nicht in seiner Selbstüber-
1 Nr. 57 und 59.
» Nr. 58.
' So wurde auch im Britischen Museum vor Jahren, bevor Herr Prof. Colvin die Leitung jenes Departements übernahm, eine Zeichnung des Filippino dem Masaccio zugeschrieben (Vol. XXXIV, bez. 1860, G, 16, 64).
Einleitung. 93
hebung. Er weiss gar wohl, dass es ihm, dem Sohne einer iinwirthlichen Steppe, schon von der Mutter Natur versagt wäre, die Seele eines italienischen Künstlers, hiesse er auch nicht liafl'ael oder Michelangelo, Lio- nardo da Vinci oder Correggio, vollkommen zu ver- stehen und zu der seinigen zu machen. Auch wandelt denselben gar oft der Gedanke an, als ob er nach seinem vieljährigen Studium der italienischen Meister kaum über die ersten Anfangsgründe der Kunstsprache hinaus- gekommen sei. Worüber aber in seinem Herzen kein Zweifel mehr waltet noch walten kann, ist, dass man bei solchen Studien zuerst und vor allem durch die Form in den Geist dringen muss, um sodann von diesem zurück zur wahren Erkenntniss der Form selbst zu ge- langen.* Solch eine philosophische Phrase klingt un- gefähr wie ein Recept, und muss dem modernen Lese- publikum, welches überhaupt an dergleichen ästheti- schen Verordnungen und Recipes grossen Gefallen zu finden scheint, nicht ganz verwerflich vorkommen. Was aber mich selbst anbetrifft, so kann ich ihm aus lang- jähriger Erfahrung die Versicherung geben, dass die praktische Anwendung einer solchen Verordnung eine nicht so leichte Sache ist, wie sie eben zu sein scheint, und zudem keine geringe Zeit und Mühe kostet. — Was ist aber z. B. in einem Gemälde die Form, wo- durch der Geist, Pdme^ la tournure tU Vetprit des Ma- lers sich ausspricht? Doch nicht blos die Stellung und Bewegung des menschlichen Körpers, die Form des Antlitzes, das Colorit, der Faltenwurf? Das sind aller- dings bedeutende Theile dieser Form, aber nicht die ganze Form. Dazu gehören z. B. noch die Hand, als einer der geistigsten, charakteristischsten Theile des menschlichen Körper», das (^hr. die Landschaft im
* j^Lg tiaiurd nicummcm roi rm/i «»»ifi »«fwlo € (ff»*»«»! umi cji|»t- rienza^'j lehrte »chon Lionnnlo da Vinci.
94 I^ie Galerie Borghese.
Hintergrunde, wenn eine da ist, die Farbenaccorde oder die sogenannte Farbenharmonie.^ In dem AVerke eines echten Künstlers sind alle diese einzelnen Theile des Bildes charakteristisch, individuell und daher von Be- deutung — denn, wie gesagt, nur durch die Erkennt- niss derselben vermag man zur „a??««" und zur ^^tour- nure de Vespnt'-^^ zum Geiste des Schöpfers selbst zu dringen. Der Charakter oder Stil eines Kunstwerks entsteht gleichzeitig mit der Idee, oder, um deutlicher zu reden, es ist des Künstlers Idee, die ja die Form erzeugt und somit den Charakter oder Stil bedingt. Copisten können durchaus keinen Charakter oder Stil haben, da es nicht ihre eigene Idee ist, die die Form in ihren Werken schafft.
Das ist aber noch nicht alles. Wie die meisten Menschen, sowol die redenden als die schreibenden, beliebte Worte und Phrasen, angewöhnte Redensarten haben, die sie, ohne dessen sich zu versehen, absichts- los oft anbringen, und nicht selten auch da, wo sie gar nicht hingehören, so hat auch fast jeder Maler solche angewohnte Manieren, die er zur Schau trägt und die ihm gleichsam entschlüpfen, ohne dass er derselben ge-
* Ich kann nicht umhin, hier eine Stelle aus dem interes- santen Buch: „Louis Agassis^ sa vie et sa correspondance^^, aus dem Englischen übersetzt von Auguste Mayor (Paris 1887), anzuführen. S. 443 heisst es: „Les premieres legons d'histoirc naturelle n'etaient guere encouragecmtes ; V Observation et la comparaison etant , suivant Agassiz, les qualites fondamen- tcdes du naturdliste (und icl^ füge liinzu, auch des Kunstkenners), il commenQait par enseigner ä ses eleves ä hien voir; il ne les aidait pas directement , 7nais les j^lci^^it en face dhm specimen^ en leur recommandant avant tont de faire hon usage de leurs geux et de lui rendre compte de ce qii'ils avaient observe etc. — le professeur exigeant que Veleve distinguät non seidement les differentes parties de Vanimal, mais decouvrit le rapport des detaih quHl avait observes lui-meme avec les traits typiques plus generaux etc.^^
Einleitang. 95
wahr wird. Ja es geschieht selbst, dass der Künstler manche seiner physischen Gebrechen und Unarten in sein Werk übertragt,* Wer nun die Absicht hat, einen Meister näher zu studiren, besser keimen lernen eu wol- len, der muss auch auf dergleichen materielle Kleinig- keiten — ein Kalligraph würde sie Schnörkel nennen — sein Auge richten und dieselben aufzufinden wissen, wozu natürlich die Beschauung eines einzelnen oder nur einiger seiner Werke nicht genügt, sondern itets eine grössere Zahl derselben erforderlich ist, und zwar aus allen Perioden seines künstlerischen Wirkens und Schaffens. Herr Charles Blanc, und mit ihm mancher deutsche Kunstgelehrte und Kritiker, werden die§e kleinlidum Zumuthungen und Rathschläge eines An- fängers vielleicht mit dem Lächeln des Mitleids auf- nehmen, an solche grosse Herren sind dieselben aber auch nicht gerichtet. Gebe ich ja auch gern zu, dasa «'S viele bevorzugte, eminente Geister gibt, welche durch ])losse Divination und mit einem einzigen Blicke das erkennen und durchschauen, wozu unsereiner entweder gar nicht oder doch nur nach langen Jahren und mit vieler Mühe zu gelangen vermag, — ja auch, daas es Leute unter der Sonne gegeben hat und noch gibt, deren Auge so scharfsichtig und eindringend ist, dass sie mit einem Blicke ein altes Gemälde darauf bestimmen kön-
' Lionardo 4» Viuci Mugi, i\ii|.jn;i XLlll; „i^*ui ^^tttore ehr ncrä goffe mani, h farä simili neUe »ue opert^ e cos* gli tHUr- verrä in quahtnque membro, sc il lutiffo ntiidio non glielo l'nd im Kapitel LXV seines „Trattato dcJla PiltHra'' bem abermals, dass die Künstler sehr lefcht in den Fehler vorfallcu. die Gebrechen ihres eigenen Körpers in die von ihnen dargr- Htellten Figuren überzutragen, und warnt sehr davor: „concio*- siacKegli e mancamento, cht h naio insieme cot giudisio: perchk Vanima k macsira del iuo corpo, e qutüo (d. h. mancnmtnto) äeJ Uto proprio giuditio h ehe eolentieri n dileUa ntttt opert iimtli a quelle che etfsa (d. h. ranima) operb fiel compom i7 tmo eorpo**.
96 I^ie Galerie Borgbese.
nen, ob es a tempera oder in Oel gemalt ist, ja es gleich- sam chemisch zu analysiren vermögen, und die da im Stande sind, genau und mit grosser Bestimmtheit zu sagen, wie der Maler dabei verfahren ist, ob er sich dieses oder jenes Firniss, des Eiweiss oder aber des Feigen- saftes, ob er einer mineralischen oder vegetabilischen Farbe u. s. w. sich bedient habe, geradeso als ob sie hinter der Staffelei des alten Meisters selbst gestanden und ihm mit der Brille auf der Nase i'iber die Schul- tern zugesehen hätten, als er das Bild verfertigte. Wohl ihnen, und noch wohler denen, die ihren Worten Gehör schenken! — Was von solchen grossen Aesthe- tikern, Kunsthistorikern und Universalkennern gilt, das soll auch auf alle lebenden Heroen der Maler- zunft, wie sich von selbst versteht, bezogen werden. Grosse, geniale Maler können ja nur von ihren Kunst- genossen richtig beurtheilt und verstanden werden. Dieses sehr alte und deshalb ehrwürdige Axiom der Chinesen hat auch in jüngster Zeit, namentlich in Deutsch- land, seine Bekräftigung gefunden, und ich beuge daher mit verdoppelter Demuth vor der Wahrheit die Stirn; was mich aber durchaus nicht abhalten soll, auf jenem steilen mühsamen Wege mit gewohnter Beharrlichkeit weiter aufwärts zu klimmen, in der Hoffnung, wenn der Tod nicht schon vorher mich ereilt, endlich auf einen Punkt zu gelangen, von wo aus auch uns armen Eindringlingen die Aussicht, wenigstens auf den zu- nächst unter unserm Blicke laufenden Thalweg der Kunst, gestattet sein mag!
Doch kehren wir wieder zu unserm Thema zurück. Es ist also gerade das Studium aller der einzelnen Theile, welche die Form eines Kunstwerks bilden, das ich denjenigen empfehlen möchte, die da nicht gesonnen sind blos kunstfaselnde Dilettanten zu bleiben, son- dern die wirklich Lust haben, durch das verworrene Gestrüppe der Kunstgeschichte mit Axt und Beil durch-
Einleitung. 97
zudringen, um womöglich zu einer Kunstwissenschafl zu gelangen. Denn wie es eine Schriftsprache gibt, so gibt es auch eine Sprache, die sich durch Formen ausdrückt. Nun lernt das Kind seine Muttersprache bewusstlos der Mutter nachlallen, und diese Sprache reicht für seine beschränkten Bediirfnisse aus, geradeso wie der Totaleindruck, den das Kunstwerk auf das grosse Publikum macht, tur die Bedürfnisse desselben auslangen mag. Wird jedoch das Kind älter und soll es dann in den Stand gesetzt werden, dereinst die grossen Meister der eigenen Literatur lesen und wür- digen zu lernen, so muss es vorerst in die Schule gehen und sich da die Grammatik seiner Muttersprache zu eigen machen. Dasselbe gilt auch für den Kunstbeflis- senen. Ohne vorerst sich mit der Sprache, in der die Kunst sich vernehmen lässt, vertraut gemacht zu haben, wird ein solcher nie und nimmermehr im Stande sein, ein Kunstwerk vollkommen zu verstehen luid somit auch zu geniessen.
Versuchen wir durch vm Im i^pi*! uiisem leider sehr mangelhaft ausgesprochenen Gedanken dem geduldigen Leser zu veranschaulichen. Ich habe oben bemerkt, dass nach dem Antlitze die Hand der vergeistigtste, charakteristischste Theil des menschlichen Korpers sei.
Es sind die meisten Maler, inid mit vollem Recht, gewohnt, den Ilauptaccent ihrer Kunst auf das Gesicht zu legen, und dasselbe so bedeutungsvoll wie möglich darzustellen, wobei es bei Schülern oft vorkonunt, dass sie Seitenblicke auf die Werke ihres Meisters werfen. Das Nämliche geschieht aber wol nicht, oder doch nur srhr selten, bei der D/n " der Hände und der
Ohren, die in jedem Indi . doch wieder versc*hic-
den gestaltet sind. Während nun der Typus der Hei- ligen meistens der Schule angehört, die Art die Fal- ten zu Ingen durch die Vorbilder des Meisters den Schülern und Nachahmern überliefert wird, so hat da-
»8
Die Galerie Borghese.
gegen jeder selbständige Maler seine eigene Art, die Landschaft und, was noch mehr sagen will, die Form
Fra Filippo Lippi.
Filippino.
Antonio rollajuolo.
Bernardino dei Conti.
Giovanni Bellini,
Cosimo Tura.
:!5)W*^"
Bramantino.
Botticelli.
der Hand ^ und des Ohres aufzufassen und darzustellen.
^ Ausser dem Antlitz ist wol kein anderer Körpertheil so charakteristisch, so individuell, so geistig belebt und sprecbend wie gerade die Hand. Aucb ist es für den Künstler eine der schwierigsten Aufgaben, dieselbe befriedigend darzustellen, und war es zu allen Zeiten nur den Heroen der Kunst vorbehalten, diese schwierige Aufgabe vollkommen zu lösen, wovon uns so- wol die Werke der Maler als die der Bildhauer genügende Be- weise liefern. Es mögen hier einige Beispiele charakteristischer Hände meinen verehrlichen Lesern vorgestellt werden, damit sie sich von dieser Wahrheit überzeugen.
Einleitung.
99
Jeder bedeutende Maler hat, sozusagen^ seinen ihm eigenthümlichen Typus von Hand und Ohr." Mftn
Fra Filippo. Filippino. SlgnoralU. BrmaaBtiao.
Mantagna.
OiambelUoo.
BoBifaalo.
BotUMlIi.
* Einige meiner erbittertaten Gegner behaupten, datt auf ein nnd demselben Bilde eines Meisters gar oft Tertohiedene Formen von Ohren und H&nden vorkommen. Ich kann dttt durchaus nicht zugeben. „In der Dämmerung*', sagt Goethe ir- gendwo, „wird auch die deutlichste Schrift nniichtbar.** Jene Herren müssen wahrscheinlich irgendein Atalierbild oder gar eine schwache Copie für ein Originalbild angeeehen haben. Ich er» laube mir bei dieser Gelegenheit sogar ra bemerken, dait die den grossen Meistern eigenthümliche Grundform der Hand und des Ohres nicht nur auf ihren Bildern , sondern telbsi auf den von ihnen nach dem Leben gemalten Portrits iieb tot* findet. Zum Beweise davon mA^ren folgende Beifpiele dienen:
1) Fra Filippo's S üt auf deeaea Bilde in der
florentinisohen Akau «nd und Ohr).
100 Die Galerie Borghese.
vergleiche z. B. die Hände in den Bildern des jugend- lichen Rnffael — von 1504 etwa bis 1515 — mit den Händen in den Werken seiner Lehrer P. Perugino und Pintoricchio, und man wird in denselben einen sehr merklichen Unterschied finden zwischen dem Schüler und dem Meister. Namentlich in den Bildern seiner florentinischen Epoche, wie z. B. in der Madonna di casa Tempi in Miinclien, in der Madonna del Granduca
2) Die Bildnisse des sogenannten Pico della Mirandola, Nr. 1154 in den Uffizien (Hand); und das eines Gold- schmieds in der Galerie des Fürsten Corsini in Florenz (Hand), von Sandro Botticelli.
3) Das Porträt des Pandolfini auf Filippino's Altartafel in der Badia zu Florenz (Hand und Ohr).
4) Ein männliches Bildniss von Raffaellino del Garbo in der Sammlung von Sir Henry Layard in Venedig (Hand).
5) Die Bildnisse des Navagero und des Beazzano in der Doria-Galerie in Rom (Ohr) ; das des Papstes Leo X. und jenes der sogenannten Donna velata von Raffael im Pitti-Palast (Ohr).
6) Die Porträts der zwei Mönche von Vallombrosa von P. Perugino in der florentinischen Akademie (Ohr).
Die Porträts der Gonzaga von Mantegna in der so- genannten Camera degli sposi im herzoglichen Palast zu Mantua, sowie auch das Porträt eines Cardinais, Nr. 9 im Berliner Museum (Ohr).
8) Das Bildniss des Massimiliano Sforza auf der grossen Tafel von Bernardino dei Conti in der Brera-Galerie (Hand und Ohr).
9) Die Porträts des L. Lotto in der Brera-Galerie, in Hamp- ton-Court, in der Belvedere-Galerie in Wien (Hand).
10) Das Porträt eines Malteserritters von Giorgione, in den Uffizien (Hand).
11) Andrea Doria's Porträt in der Doria-Galerie von Seb. del Piombo (Hand), (aus seiner Michelangelesken Epoche).
12) Männliches Porträt von Girolamo Romanino, Nr. 32 in der Galerie Tosi zu Brescia (Ohr).
Diese Beispiele, deren Zahl ich sehr vermehren könnte^ dürften vorderhand hinreichen, meine etwas zu voreiligen Wider- sacher eines Bessern zu belehren, falls dies möglich sein sollte.
EiDleituDg. 101
im Pitti- Palast, in der Madonna del Cardellino in den Uffizien, in jener bei Lord Cowper in Panshanger, im Porträt der Maddalena Doni, der sogenannten Donna gravida im Pitti -Palast u. s. w., ist die Mittelband breit und platt, sind die kurzen fetten Finger noch etwas leblos. Die Hand hat dn einen, wenn ich mich so ausdrücken darf, noch sehr hausbackenen, bürgerlichen Charakter. Nach dem Jahre 1509, als ItafFael in Rom mehr mit Leuten aus den hohem Standen in Berüh- rung gekommen war, veredelt er auch die Hand, wie z. B. in seinem Carton zur Schule von Athen in der „Ambrosiana^^ in Mailand, um nach und nach zur ele- ganten, aristokratischen Hand der Madonna di casa d'Alba, der Madonna della Soggiola, der Galatea u. s. w. zu gelangen. Und wie die Hand, so ist auch in jenen Bildern RaftaeFs, deren Ausführung ganz ihm an- gehört, das Ohr stets charakteristisch und unterschei- det sich ebenfalls in der Bildung von dem Ohre in den Bildern des Timoteo Viti, des P. Perugino, des Pin- toricchio u. a. m.
Nach diesen sehr flüchtigen Vorbemerkungen über die Bedeutung der einzelnen Theile im allgemeinen und der Hand im besondern in den Werken der Meister aus der guten Zeit, sehen wir uns nun z. B. die Hände der obengenannten drei florentinischen Meister Fra Fi- lippo, S. Botticelli und Filippino genauer an.
Fra Filippo hat seine Hand derjenigen seiner Vorbilder Fra Beat' Angelico » und Masaccio geradem nachgebildet und bis ans Ende seines Lebens beibe- halten. Dieselbe wurde schon von seinen Zeitgenossen^ wio Vasari erzählt, bekrittelt * V ' (1t Thtt,
* Den EinfluBs de« Fra b. Adrcüco aul Utu juugeu Fra Fi- lippo sieht man vielleicht nirgendwo deailioher alt aaf einem „Tondo" dieses leUtem in der Sammlung ton Sir Francis Cook in Kichmond.
« Siehe Vasari (ed. Le Monnier, IV, 180): „A>r« da CnWo Mar-
102 Die Galerie Borghese.
sie ist eben nicht schön geformt, sondern plump, schwer- lallig und schlecht in der Modellirung; auch dtis Ohr hat bei ihm eine runde, klotzige Form und ist gewöhn- lich einwärts gebogen. Für dergleichen Studien ist freilich die Stadt Rom zu arm an Werken des Meisters; wer daher von der Wahrheit meiner Beobachtungen sich besser zu überzeugen wünscht, dem würde ich rathen nach Florenz zu gehen, woselbst er in jenen drei Ga- lerien über ein halbes Dutzend Bilder des Fra Filippo finden wird. In llom jedoch befinden sich noch zwei Tafeln dieses bedeutenden Meisters: die eine in der Ga- lerie Doria-Pamfili, die andere in der Bildersammlung des Lateran. Auf der ersten ist die Verkündiofun«: dar- gestellt (II. Saal, Nr. 28) : die heilige Jungfrau sitzt vor einem Lesepulte, ihr gegenüber der Erzengel mit einer Lilie in der Hand, Goldgrund. Aehnliche Verkündi- gungen von ihm sieht man auch in der Kirche S. Lorenzo in Florenz und in der münchener Pinako- thek. Das Bild Fra Filippo's im Lateran ist ein Triptychon: in der Mitte die Krönung Maria's, rechts zwei heilige Olivetaner-Mönche , die den Besteller des Bildes, Carlo Marsuppini von Arezzo, der Madonna em- pfehlen, im Hintergrunde drei Engel mit musikalischen Instrumenten; links zwei andere heilige Mönche, die ebenfalls einen gläubigen Erdensolm der Mutter Gottes vorstellen und ihrer Gnade anempfehlen, und im Hinter- grunde ebenso drei Engel. Dieses Gemälde hat stark durch Retouchen gelitten und wurde 1842 durch den Bilderhändler Baldeschi von Arezzo nach Rom gebracht und an Papst Gregor XVI. verkauft. Ausser seinen Bildern in Rom und in Florenz und seinen berühmten
tsuppini (jU fü detto, che egli avvertisse alle mani che dipingeva per che molto le sue cose erano biasimate" (wobei ihm von Carlo Marsuppini bemerkt wurde, er solle auf die Hände, die er malte, Acht geben, denn diese würden sehr getadelt).
Einleitung. 103
Gemälden in Prato und Spoleto sind mir von ihm in Italien nur noch die zwei Tafeln mit den vier Kirchen- vätern in der Akademie zu Turin bekannt.^
Bei Botticelli ist dagegen die Uand sehr knochig und, wenn ich so sagen darfi plebejisch, — mögen die Herren Demokraten mir diesen Ausdruck vergeben, — die Nägel sind breit, viereckig, mit scharfen dunkeln Umrissen. Diese seine Hand, dabei seine angeschwol- lenen Nasenflügel, sein bewegter länglicher Faltenwurf nebst der leuchtenden Durchsichtigkeit seiner Farben, wo das goldige Kirschroth die vorherrschende Note ist, während in den Gemälden des Fra Filippo das Hell- blau und Hellgrau die Grundtone bilden, lassen des Botticelli Bilder leicht von denen seiner Nachahmer auch schon an der Aussenseite unterscheiden.'
Die Hand des Filippino Lippi endlich hat eine ganz eigenthümliche und unschöne Fingerbildung. Der Ansatz der Finger an der Hinterhand (^Metaearpium) ist so scharf angegeben, dass diese zwei Theile nicht in- einander gewachsen, sondern fast wie ineinander ge- schraubt aussehen. Die Finger sind lang, hölzern und wenig belebt. Und wie die Gamme der Farben bei diesen drei verwandten Malern eine verschiedene ist, so weichen sie auch in ihren landschafllichen Hinter- gründen stark voneinander ab, und selbst die Form de%
» Herr Director W. Bode (II, 572) stellt dat tchöne und echte Bild des Frate (Nr. 1307) in den Uffisien (von dem im Heute des Fürsten Torlonia in Rom eine alte Copie tich vorfindet) mit dem Madonnenbildchen im Museum von 8. Maria nuova in Floreni ungefähr auf dieselbe Stufe, wfthrend, nach meiner Ansicht, diee letztere Bildchen doch nur der Schule angehören kann.
« Die meisten Galeriedirectoren, die gewöhnt sind der Tra- dition zu folgen oder auch blot nach dem flaohtigen Totalein- druck die Bilder ru bestimmen, pflegen jedoeh fast allenthalben sowol die Atelierwerke als auch die der Nachahmer des Botti- celli mit den Originalbildem des Meisten tu verweehteln.
104 Die Galerie Borghese.
Nimbus oder Heiligenscheins auf ihren Bildern ist ver- schieden. Die Landschaft des Fra Filippo und seines Schillers Francesco Pesellino gleicht der seiner Zeit- genossen und besteht, wie auf den Bildern des Beat' Angelico, meist aus einer Reihe kugelförmiger Iliigel oder auch spitzer Felsen; Botticelli hat dagegen ideale Landschaften mit zackigem Gefelse und sehr oft auch tief eingeschnittenen Fluss- und Meerbuchten ; Filippino Lippi studirte seine landschaftlichen Grimde schon mehr nach der Natur und gibt gewöhnlich toscanische baum- bepflanzte Hügelgegenden. Auch sind seine Landschaf- ten dunkler gefärbt als diejenigen des Botticelli. Ein feines Gefühl fiir landschaftliche Linien hatte sein be- gabter Schüler Kaftaellino di Bartolommeo del Garbo, dessen landschaftliche Hintergri'mde besser aufgebaut imd feiner, wärmer getönt sind als die des Meisters.
Einzelne Werke dieser drei obengenannten Meister findet man zwar in Roms öffentlichen Galerien; um die- selben aber genauer kennen zu lernen, muss man, wie oben gesagt, nach Florenz wallfahrten. Von Filippino Lippi sieht man in Rom nur noch seine bekannten Fresken in S. Maria sopra Minerva, die in unsern Tagen unter den Auo;en des Ministers des öffentlichen Unterrichts auf die gewissenloseste Weise „ res tau - rirt", d. h. entstellt wurden, — geradeso wie es später mit dem Wandgemälde RaffaeFs in Perugia, mit denen Tizian's in der Scuola del Santo in Padua und nament- lich mit denen Mantegna's im Palazzo ducale in Mantua, unter den Auspicien des Generalinspectors G. B. Caval- caselle, geschah.
DIE TOSOANER.
ach dieser dem Leser vielleicht allzu laiig schei- nenden Einleitung gehen wir nun zur Musterung der einzelnen Bilder der Borghese-Gnlerie über, und da das mit Nr. 1 bezeichnete Rundbild dem 8aiidro Botticelli, also einem Florentiner, zugesi'hrio- ben wird, so sehen wir uns vor allen andern die in diesen Sälen enthaltenen Werke der Toscaner an.
ALESSANDRO BOTTICELLI.
Alessandro Botticelli (wir geben hier das Facsimile der Form, d. h. der Grundform sowol der Hand als
Ohr and Hlad« M BottteeUI.
des Ohres bei Sandro Botticelli) ist ab Schüler toii Fra Filippo Lippi zu betrachten und war in der zwei- ten Ilältle des 15. Jahrhunderts gewiss einer der genial- sten und charaktervollsten Künstler Italiens (1446 f 1510). Das ihm hier zugeschriebene Rundbild stellt Maria mit dem Jesuskinde dar; auf beiden Seiten Engel. Die ('om Position, ja vielleicht auch der Carton su diesem
106 Die Galerie Borghese.
Gemälde, gehören wahrscheinlich dem Meister selbst an, allein die Ausführung des Bildes darf doch nur einem seiner Gehülfen zugeschrieben werden. Ich vermisse nämlich in diesem Tondo nicht nur die dem Meister eijrenthüm- liehe Lebendigkeit der Aä'ecte, sondern auch jene Durch- sichtigkeit der Farbe, die die Werke des Botticelli vor denen seiner vielen Nachahmer kennzeichnet. Und in der That, wir sehen hier wol die Form seiner Hand mit den unschönen knöchernen Fingern und 'den vier- eckigen, schwarzumrissenen Nägeln, allein dieser Hand fehlt das Leben; auch ist das Haar ohne Geist behan- delt. Ein Vergleich dieses Gemäldes mit den herrlichen Rundbildern in den Uffizien in Florenz dürfte wol jeden, der da sehen will, von der Wahrheit meiner Bemer- kung sogleich überzeugen.! Es versteht sich von selbst, dass, wie schon Mephistopheles dem Schüler bemerkte, „ein jeder lernt nur das, was er lernen kann".
Mit Ausnahme der trefflichen Fresken in der Sixti- nischen Kapelle und einem ganz vorzüglichen Madon- nenbilde im Besitz des Fürsten Mario Chigi (Maria mit dem Kind, welchem ein Engel einen Büschel Korn- ähren darbringt) befindet sich in Rom, soviel wenig- stens mir bekannt ist, kein anderes echtes Werk dieses energischen Florentiners. Sowol das Bildchen (die Jung- frau mit dem unbekleideten Christkind im Arm) im letzten Saal der Colonna-Galerie^, als auch die „kleine
* Die Herren Crowe und Cavalcaselle (II, 425) und Director W. Bode (II, 580) halten dagegen auch dieses Gemälde für ein Originalwerk.
2 Im letzten Saal der Galerie Colonna befindet sich ein Bild- chen, worauf der heilige Jacobus dargestellt ist und das dort svunderlicherweise demMelozzo daForli zugemuthetwird. Täusche ich mich nicht sehr, so ist jenes Machwerk nichts anders als die Copie eines schwachen nordischen Malers nach einer Heiligenfigur aus der Schule des Botticelli. Man betrachte unter andern Merk- malen auch die nordische hackenförmige Falte am Mantel, (f)
Die Toscaner: S. BotticelH. 107
Verkündigung*' der Barberinrschen Sammlung * sind ge- wiss nur schwache Erzeugnisse der Schule, (f)
In Erwägung des Umstandes, dass so viele Atelier- bilder und Arbeiten von mehr oder minder glücklichen Nachahmern des grossen Meisters ihm selbst zuge- schrieben werden, bitte ich meine lernbegierigen Freunde es mir nicht verargen zu wollen, wenn ich zu ihrer Be- lehrung bei dieser Gelegenheit ein paar Dutzend sol- cher Zwitterwerke anführe, die selbst in Italien als Originalbilder des Botticelli noch immer den Leuten prä- sentirt und von in- und ausländischen, berufenen und unberufenen Kunstschrif^stellem als solche angenommen werden. Nur durch solche ins einzelne gehende Ver- gleiche werden Anfänger in der Kunstwissenschaft mit der Zeit in den Stand gesetzt, diesen so seelenvollen, so energischen und doch so liebenswürdigen Künstler besser kennen und somit auch würdigen zu lernen und seine echten Werke von den ihm mit Unrecht zugeschriebenen zu unterscheiden.
Meiner Ueberzeugimg nach w^erden folgend«^ "Rn.l.^r tulschlich dem Botticelli selbst zugeschrieben:
In der Uffizien- Galerie:
1. Eine allegorische Figur, Nr. 1299 (Crowe und Cavalcaselle, II, 417). (f)
2. Die „Verkündigung". Xr. mn. nach einer Skizze (?) des Meisters, (f)
3. Die heilige Jungfrau, die dein Kiml iincn (fraii.it- apfel darreicht, Nr. 1303. (f) (Herr Dr. W. Bode nennt es, wie wir bereits gesehen, im „Cicerone" ein Jugend werk des Botticelli (II, 579). Weder die Form der Hand noch die des Ohres sind die de« Meisten, auch ist der
* Dies Bildohen wird von den Herrsn Crowe ond Cavaka- selle (II, 860, Anmerkung) unbegreiflicherwet»« J«ni Maröo Zoppo Eagcschrieben.
108 Die Galerie Borghesc.
Leib des Kindes viel zu schwach in der Modellirung, ist der Ausdruck und die Bewegung der Madonna und des Kindes viel zu wenig beseelt.
Im Pitti-Palast:
4. Die heilige Jungfrau von Engeln umgeben,Nr. 348 (t) (Crowe und Cavalcaselle, II, 424); auch Director Bode stimmt dem bei.
5. Das sogenannte Porträt der schönen (?) Simo- netta (?), Nr. 353. (f) (Crowe und Cavalcaselle, II, 424, und Dir. Bode a. a. O.) Herr Bode findet übrigens mit Recht dieses Porträt „ohne grössern Keiz".
6. Die heilige Familie, Nr. 357 (Crowe und Caval- caselle II, 424). (t)
In der Akademie der schönen Künste daselbst:
7. Die drei Erzengel mit dem Tobias (Vasari, V, lll,2).i(t)
^ Dieses unbedeutende Kunstwerk kam unter dem Namen Bot- ticelli's aus der Kirche S. Spirito in die Akademie und wurde dort auf Antonio del Pollajuolo umgetauft, von den Herren Crowe und Cavalcaselle aber (II, 424) als Werk der Gebrüder Pietro und A. Pollajuolo uns präsentirt. Neuerdings jedoch trat Herr Director W. Bode in Berlin gegen diese Taufen mit lebhafter Entschiedenheit auf und erklärte das Bild für ein ganz vorzüg- liches Werk seines Andrea del Verrocchio, ja er em- pfahl es sogar unserer ganz besondern Bewunderung als eins der „bedeutendsten Tafelbilder des Quattrocento". Ich werde mich wohl hüten, gegen die ästhetische Würdigung des Bildes seitens des berliner Gelehrten Einwendungen zu erheben und dies um so mehr, als Herr Director W. Bode mir vorwirft, über „die äussern Kennzeichen den Innern Gehalt der künstlerischen Erscheinung der betreffenden Kunstwerke ganz und gar zu ver- kennen". Es sei mir jedoch hier erlaubt, gegen diese Neutaufe tu bemerken, dass in diesem Bilde die Formen keineswegs denen entsprechen, die sowol in den Sculpturen als auch in der „Taufe Chnsti", sowie selbst auch in den andern seinem Andrea del
Die Toscaaer: S. Bottioelli. 109
s. Die thronende Madonna mit den Ueiligen Cosmas und Damianus (Vasari, V, 123). (f)
Im Oratorioxn 8. Jacopo di Bipoli:
(Seit einigen Jahren in einem Saal de« Mideh<>niii*tittitr« ..1» Uuirt«*" ant«rg«br»olii.)
VI. Die ., Krönung der Jungfrau im lirij»viti \iiicr Heiligen", (f) In der Ausgabe dea „Cicerone" vom Jahre
Verroccbio von ihm zuerkannten Gemälden ( iu Berlin und Lon- don) uns entgegentreten. Was die Thatsache anbelangt, auf die Herr Dr. Bode ein ganz besonderes Gewicht xu legen tcheint, dass nämlich sowol in der „Taufe Christi** wie aooh in dieaem Gemälde hier derselbe sogenannte Sandarakfimiss angewandt wurde, so dürfte der berliner Kunstgelehrte, falls er Lust und Müsse zu solchen Vergleichen hätte, die nämliche Farbe in manch anderem Gemälde der gleichzeitigen Florentiner, z. B. in denen ans der Werkstatt des S. Botticelli, der Pollajuoli und des C. Rosselli antrefifen. Nicht zufrieden jedoch, dieses ganx unbedea- tende Kunstproduct dem Verrocchio vindiciren xa wollen, glaubt Herr Director Bode in der florentinischen Akademie noch ein an- deres und zwar früheres eigenartiges Gemälde seines A. Verrocohio entdeckt zu haben. Dieses „noch ganz m tempera^ ausgeführte Stück trägt die Nummer 26 und stellt el>enfalls den Tobias mit dem Erzengel auf der Reise dar. Jeder vorurtheilsfreie Kunst- freund möge selbst entscheiden, üb es erlaubt ist, blo« dem darin vermutheten „geistigen Gehalt" zu Liebe, einem Meister von der Bedeutung des Verrocchio in allem Ernst dergleichen impotaotaa Zeug zuzuschreiben. Mit derselben Sachkenntniss Uom das fkat aus lauter Malern bestehende florentiner Comit^ xur „Erhaltung der einheimischen Kunstwerke** aus dem Depot der Uffisien- Galerie das schwache Machwerk eines toskaniaohen K&nttlers aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts henrorholen und unter Nr. 1335 als Werk des A. del Verrocchio dem Poblikum vorstellen. Auch an dieser Taufe mögen wol die Annmatkeln, die wie ein Bündel Rettiche anetehen, vielleicht auch der San* «larakfimiss, die meiste Schuld gehabt haben. Viel klOfer wlre es auch in diesem Falle gewesen, bei der Ansicht «Icr Vorgiagtr zu verharren und Bilder, die für nnwOrdig gehalten wnrdao, MTant- lich ausgestellt zu w- ' •• •-^»v" ••• '^♦•r Rumpelkammer itAhen zu lassen.
HO I^ie Galerie Borghese.
1879 (Seite 545) nahm auch Herr Director Bode dies Bild noch für ein Originalwerk des Botticelli an; in der spätem Ausgabe jedoch folgt der berliner Gelehrte zu meiner grossen Genugthuung dem Lermolieft' und stellt es uns blos als Atelierarbeit vor (a. a. O. 580), während die Herren Crowe und Cavalcaselle (II, 424) es sogar eine ^^carefnl jproduction of BotticelWa fine time'-'- ge- nannt wissen wollen.
10. In der Kirche S. Feiice, 1. Altar links: Tafel mit den Heiligen Antonius, Rochus und Katharina; von einem von Filippino beeinflussten Schüler des Botticelli, doch gewiss nicht von Filippino Lippi selbst, wie Herr Di- rector Bode meint (II, 581). (f)
Im Oratorium von S. Ansano:
(Bei Fiesole.)
11. Vier kleine Tafeln, von den florentinischen Heraus- gebern des Vasari (V, 124) für „unzweifelhafte" Bilder des S. Botticelli erklärt, (f)
In der Galerie Corsini in Florenz:
12. Tondo mit der von Engeln umgebenen Madonna (Crowe und Cavalcaselle, II, 578) und ebenfiills von Di- rector Bode für eigenhändiges Werk des Botticelli ge- nommen (11,580). (f) In derselben Sammlung befindet sich überdies ein zwar echtes, wiewol stark verputztes Werk des Botticelli; es ist dies das Porträt eines Goldschmieds, ähnlich dem höchst verunstalteten Medailleur (Nr. 1154) in den Uffizien. (f)
In der Galerie von Turin:
13. Die drei Erzengel mit dem Tobias, Nr. 98. (f)
14. Die Jungfrau mit dem Christkind, dem kleinen Johannes und einem Engel, Nr. 99. (f )
15. Allegorisches Bildchen, den Triumph der Keusch-, heit darstellend, Nr. 369 (Crowe und Cavalcaselle, II, 426); der gebundene Amor erinnert an Filippino, die
Die Toscaner: S. Botticelli. 1 1 1
dem Triumphwagen folgende Mädchenschar mehr an Botticelli. 1 (f)
In der Sammlung Poldi-Pezzuoli in Mailand:
16. Die „Beweinung Christi", (f)
Diese Sammlung besitzt übrigens in einem leider zu stark geputzten Madonnenbilde ein echtes Werk von Botticelli. Ueberdies finden wir in Mailand ein anderes überaus köstliches Madonnenbild des Meisters in der Ambrosiana, wie auch in der Sammlung des Herrn Giovanni Morelli weitere drei echte Werke des Sandro: die Geschichte der römischen Virginia^, einen „Salvator mundi" und endlich das Original2)orträt des Giuliano de' Medici, von dem der Fürst Strozzi in Florenz eine Schulcopie besitzt.' Doch genug für heute von Botti- celli's Nachahmern, deren Werke, gute und schlechte, unter dem Namen des Meisters den Leuten von den Katalogen und somit auch von den roth- und braun-
* Von demselben florentincr Meister, der wol Mitschüler des Filippino gewesen sein mag, besitzt der Marquis Adorno in Genua vier Bildchen ; ein sechstes, den „Kampf zwischen Amor und der Keuschheit" darstellend, wurde vor kurzem von der National Gallery in London erworben. Diese sechs Bildchen scheinen ein und derselben Reihenfolge anzugehören und dereinst zur Zierde eines Möbels gedient zu haben. Director Bode gibt diese Bilder dem Botticelli (II, .579).
* Vielleicht dürfte dieses Bild eins von denen sein, welche, wie Vasari berichtet, der Meister für Giovanni Vespucci malte: „con moUe ßgure vivissime e fteü«". Die Längstafel zählt in der That an 50 Figuren, von denen man nicht eine einzige ver- missen möchte, mit solchem Feuer sind sie alle empfunden, mit solcher Liebe ausgeführt. Wenige Werke legen, neben den Unarten, so auch die hervorragenden küoatlerisohen Eigen- schaften des Botticelli so klar an den Tag, wie diese meisterhaft dargestellte Tragödie.
* Alle Kunstwerke der fürstlichen Familie Strozii wurden von der Witwe verkauft. Das Porträt des Giuliano gelangte ins berliner Museum.
112 Die Galerie Borghese.
bändigen „Führern" empfohlen werden. Hier möchte ich meinen jungen Freunden noch einige Zeichnungen des Meisters zum Studium der eigenthiimlichen Aus- drucks- und Da rstelhmgs weise dieses grossen Künstlers anempfehlen :
In der Uffizien- Sammlung :
Rahmen 41: der heilige Johann Baptist, Feder, Tusche und Gips; Rahmen 43: der heilige Hieronymus, Silberstift und Gips.
In der Sammlung des Herrn John Malcolm in London:
Eine allegorische weibliche Figur mit Putten (Braun, B. arts, Nr. 21), Rötheizeichnung. Nach dieser Zeich- nung malte ein Schüler Botticelli's das bekannte Bild, das aus der Sammlung des Herrn Reiset in die des Her- zogs von Aumale überging. Crowe und Cavalcaselle (II, 429) geben auch dieses Bild dem Meister selbst.
LORENZO DI CREDI.
Unter der Nr. 2 ^ begegnen wir in der Galerie des Fürsten Borghese einem Jüngern Zeitgenossen des San- dro Botticelli, nämlich dem Lorenzo di Credi, den ich den Carlin Dolce des 15. Jahrhunderts nennen möchte (Lorenzo di Andrea di Credi wurde zu Florenz 1459 geboren und starb daselbst 1537). Er war als Künst- ler der Antipode des Botticelli. Seit den Rundbildern in Terracotta des Luca della Robbia scheint besonders in Florenz diese Bildform in Aufnalime gekommen zu sein. Es ist hier die Maria dargestellt, die das Christkind auf ihren Knien hält. Der kleine Jesus sitzt auf einem Kissen und ertheilt mit dem rechten Händchen dem kleinen
* Leider wurde neuerdiogs dieses vorzügliche Bild mit andern Gemälden, welche die Hauptzierde der Galerie bildeten, in die obern Räume des Palastes gebracht, doch, wie zu hoffen ist, nur auf kurze Zeit.
Die Tosoaner: Lorenzo di Credi. 113
Johannes den Segen, während er mit der Linken eine Frucht hält. Hintergrund Landschaft. Auf dem Ge^ sims, zur Rechten der Jungfrau, machte der gewissen- hafte Lorenzo sich die Freude, 'mit miniaturartigem Fleiss und grosser Kunst einige Bhimen in einem Trink- glas nach der Natur zu malen, so treu und so niedlich, wie nur ein Niederländer den Gegenst^md behandelt hätte. * Dieses Bild, das nach meinem Dafiirhalten zu den voll- kommensten Werken des Lorenzo zu zählen ist, ist a tempera gemalt und mag wol noch in den letzten De- cennien des 15. Jahrhunderts entstanden sein. Die Far- ben sind sehr klar, die Modellirung des Kindes erin- nert an den putto des Verrocchio im Hofe des Palazzo vecchio in Florenz, sowie ebenfalls an die Putten auf einer echten Federzeichnung des Verrocchio im Louvre (SaalX, im Fächer ausgestellt), (f) Lorenzo mag in seinen jungem Jahren mehr mit der Sculptur. d. h. mit Modol-
' Nach Vasari soll auch Lionardo da Vinci iu einem Ma- donnenbild aus seiner Frühzeit ein solches Glas mit Blumen an- gebracht haben (Vasari, ed. Le Monnier, VII, 17) : „/ece poi Lio- nardo una nostra Donna in un quadrOy che era appresso papa demente VIT, molto eccellevte e fra V nitre cose, che v^eran fatte^ contraffece una caraffa pietrn d^ acqua con aicuni ßori dentro^ (lote nitre Ja meran'fjlia deUa vivtzza, arera imitato la rugiada delV acqua sopra, 8i che parcva piü viva che la virezza.^' Vasari beschreibt, wie man sieht, das Bild vom Hörensagen, und es wäre daher nicht unmöglich, dass er damit dieses borghesische Bild ge- meint hätte, welches also schon damals für die Arbeit Lionar- do's angesehen und als solche gepriesen worden wäre. Deshalb darf man sich auch nicht wundern, dass der gelehrte Bibliothekar Amr)retti es als solche in seiner Monographie über Lionardo {Metnorie storicJie un la rrto, gli studi e le opere äi JJonardo du Vincij scritte da Carlo Amoretti, Milano 1804) citirte, noch dass die florentinischen IlerauNgcber des Yatari (VII, 17) auch in diesem Falle den FuHRHiaprca anderer willig gefolgt sind. Wie oft wird man nicht in Büchern über Kun«t an jene Parabel er- innert, die der trefTliche alte Bruogcl Buf meinem Bild im Museo von Neapel so köstlich darstellte.
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J^J4 I^iß Galerie Borghese.
lireii, als mit der Malerei sich beftisst haben. Und so durfte auch sein Lehrer Verrocchio in seinem letzt- willigen Gesuch an die Signoria von Venedig die Bitte richten, die Vollendung seines Colleoni-Monuments sei- nem Gehülfen Lorenzo überlassen zu wollen.
In diesem nämlichen Saal sieht man an der Wand gegenüber unter der Nr. 54 ein anderes, etwas kleineres Rundbild, im Katalog ebenfalls als Werk des Lorenzo di Credi aufgeführt, während Herr Jansen in seiner Mo- nographie über den Sodoma es diesem letztern Maler zuzuschreiben für gut erachtete. Dieses Bild stellt die heilige Jungfrau und Joseph dar, kniend vor dem Jesuskindchen, welches auf einem Kissen am Boden liegt; Hintergrund Landschaft. Vergleicht man nun beide Bilder miteinander, so wird man ohne viele Mühe erkennen, dass, während Composition und Zeich- nuno; allerdino^s an Lorenzo erinnern, die Far- benscala in diesem Gemälde eine viel tiefere ist, als die des Lorenzo di Credi und eher an die des Botticelli und des Signorelli gemahnt. Weder die Form des Ohres und der Hand, noch die Falten entsprechen den Formen, die wir ge- wohnt sind, auf den authentischen Bildern des Lo- renzo di Credi zu sehen. Auch die scharfen Lichter auf dem Nasenrücken, auf der Oberlippe und anderwärts scheinen mir charakteristisch für diesen Meister zu sein. Solche scharfe Lichter finden sich auf keinem Gemälde des Lorenzo. Die Farbenaccorde und die Längsfalten weisen vielleicht mehr auf Signorelli hin als auf Botti- celli, die Faltenlage ist jedoch ungefähr die des Botticelli; alles übrige, zumal die Landschaft, deuten auf Lorenzo hin. Wir schreiben daher dieses vorzügliche Bild einem tüchtigen florentiner Maler zu, der bei Botticelli wahr- scheinlich in die Schule gegangen, später aber sich eng an Lorenzo angeschlossen und möglicherweise auch in dessen Werkstatt thätig war, und freuen uns, dass die
Die Toscaner: Lorenzo di Credi. 1 1.)
Herren Crowe und Cavalcaselle ein, wenn wir sie rich- tig verstanden, ahnliches Urtheil (III, 412) darüber ab- gegeben haben.* Von diesem letztern Meister, den wir Tommaso nennen wollen, finden wir andere Werke, bessere und mittelmässige, ebenfalls unter dem Namen des Lorenzo di Credi in der Pitti-Galerie Nr. 354 (f); im Palaste des Cav. G. Giuritini in Florenz (f); in der Galerie von Modena, unter dem Namen des Lippo Fiorentino, Nr. 43 (f); im ohr bei Tomc-o. Hause der Gebrüder Prinetti-Esengrini in Mailand (f); in den Sammlungen der Herren Dr. Gustavo Frizzoni und Giovanni Morelli, ebendaselbst.
Von Lorenzo di Credi ist in den übrigen Galerien Roms, ausser einem Bild aus der späten Zeit des Meisters in der capitolinischen Galerie, kein echtes Werk mir zu Gesicht gekommen. Allerdings besitzt die Samm- lung im Palast Colonna (1. Saal) ein Bildchen: mit Maria, die das nackte Jesuskind auf dem Schos hat und ihm Erdbeeren darreicht, welches dort schlechtweg einem Lippo (?) zugeschrieben ist, von einem neuern deutschen Kunstschriftsteller jedoch (Mündler, Beiträge zu J. Burckhardt's Cicerone, 4) für eine reizende Arbeit unsers Lorenzo di Credi erklärt wurde*. Meiner Ansicht nach gehört dieses Bild doch wol eher einem frühen Nach- ahmer des Lorenzo an, und zwar, wie ich vermuthe, einem tlämischen (f), wahrscheinlich demselben oder wenig- stens einem Zeitgenossen jenes Malers, dem in der Dres- dener Galerie ebenso voreilig wie naiv der Name Lio- iiardo's gegeben wurde. Die besten Bilder des Lorenzo di Credi sieht man in den Galerien der Ufßzien und der
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8*
116 Die Galerie Borghese.
florentinischen Akademie, sowie auch in der Pinakothek Ton Turin (Nr. 356 B) und im Louvre (Nr. 156). Auch in der Kirche delP Olivella in Palermo befindet sich unter dem Namen Raffael's ein Madonnenbildchen von Lorenzo di Credi. (f)
Ich bitte meine jungen Freunde, in diesem schönen Bilde der Galerie Borghese sowol die Landschaft als auch die eigenthiimliche Form des Ohres und der Hand mit der bei diesem Meister fast immer wiederkehren- den etwas steifen Biegung der Finger sich ansehen zu wollen, da beide Eigenthümlichkeiten sehr charakteri- stisch für unsern Meister sind und daher in allen seinen echten Werken sich wiederholen. In den Uffizien wer- den sie dann sich überzeugen können, dass das dort dem Lorenzo zugerechnete Madonnenbild (Nr. 1287) nicht ihm selbst, sondern blos einem seiner Gehiilfen oder Nachahmer, der den Carton des Meisters benutzte, angehören muss.^ (f) Director Bode hebt jedoch gerade dieses Bild hervor (II, 585). Die Farben der Landschaft sind nicht die des Lorenzo di Credi, noch entsprechen die Formen der Hand und des Ohres in diesem schwachen
* Ausser den Gemälden des Lorenzo empfehle ieli auch et- liche seiner auf uns gekommenen Zeichnungen dem Studium der Kunstbeflissenen, unter andern den Carton in der florentinischen Akademie; in der Uffiziensammlung: Rahmen 125, Nr. 476; die Rötheizeichnungen im Louvre (Katalog Reiset: Nr. 199, 200, 202; auf dem Blatt Nr. 200 ist die Ohrform des Meisters besonders deutlich angegeben) ; die Federzeichnung im Briti- schen Museum (Braun 26), sowie auch das Porträt eines alten Mannes, das in der Sammlung von Chatsworth unter dem Namen des Daniele da Volterra geht (Braun, Nr. 30); diese letztere ganz vorzügliche Zeichnung, an der man auch die dem L. di Credi charakteristische Form des Ohres sieht, stellt, täusche ich mich nicht, den Kopf des Bildhauers Mino da Fiesole (gestorben 1486) vor. Man vergleiche dieses Porträt mit dem Conterfei des Mino, welches der Biographie desselben im Werke des Vasari vorgesetzt ist. (f)
Die Toscaner: Luca Signorelli. 117
Bilde denen des Lorenzo; auch mangelt den Gesichtern Leben und Ausdruck.
LUCA SIGNORELLL
Vom grossen, edeln Luca Signorelli, diesem Vor- läufer des Michelangelo, habe ich ausser seinem Wand- gemälde in der Sixtinischen Kapelle, in den Samm- lungen Roms nichts gefunden, mit alleiniger Ausnahme zweier kleiner Bilder. Das eine davon, welches im Hause Patrizi war, wurde inzwischen sammt allen übrigen künstlerischen Habseligkeiten dieser Familie ins Aus- land verkauft; das andere, eine heilige Familie, befindet sich noch immer im Casino Rospigliosi. Das erstere war ein Rundbild und stellte Maria Heimsuchung dar: links steht der heilige Zacharias mit dem kleinen Jo- hannes auf dem Arm, rechts hält der heilige Joseph das kleine Christuskind auf den Knien; bezeichnet-: LVCHAS SIGNORELLVS • DE • CORTONA. Ge- hört wol zu den späten Werken des Meisters.* Jene schmalen, länglichen Bilder aber mit Heiligen, welche in der Lateranischen Sammlung zum Theil dem Signo- relli, zum Theil der Schule von Murano zugeschrieben werden, sind, w^ie ich glaube, von der Hand des Cola delTAmatrice (f), eines verwilderten und rohen Ma- lers aus der Ascolanischen Nachblüte der Schule des Carlo Crivelli.
Denjenigen aber unter meinen jungen Freunden, die da Lust hätten, den L. Signorelli, diesen wahrhaft grossen Meister näher kennen zu lernen, würde ich rathen, vor allem seine Frescocykltii im Dom von Or- vieto zu Studiren. Nirgendwo sonst, will es mir scheinen, hat es die Kunst im 15. Jahrhundert vermocht, der menschlichen Gestalt so viel Leidenschaft, eine so über- wältigende Willens- und Thatkrafl einzuhauchen, als
Diese« Bildchen wurde vom Berliner Museum erworben.
118 Die Galerie Borghese.
in einigen jener gewaltigen Figuren, welche Luca mit seinem Pinsel dort in Orvieto auf die Wand gezaubert hat. Gute 'Werke Signorelli's sind ferner die Fresken im Klosterhof von Mont' Oliveto; seine grosse Altar- tafel in der Domsakristei von Perugia; seine Proces- sionsfahne im Municipalgebäude von Borgo S. Sepol- cro. Auch in Cortona, in Urbino und Volterra trifft man charakteristische Werke unsers Meisters an. In der florentinischen Akademie sieht man eine grosse Altar- tafel von ihm, sowie auch eine Predella, und in den Uffizien einige vorzügliche Staffeleibilder und ebenfalls eine Predella; die Pitti-Galerie besitzt desgleichen ein Bildchen von Signorelli, und zwei sehr interessante Jugendwerke des Meisters, die „Geiselung Christi" und eine Madonna mit dem Christkind, hängen in der Brera zu Mailand; ein männliches Porträt in der Sammlung Torreggiani zu Florenz, und einige treffliche Madonnen- bilder ebendaselbst in der Galerie Ginori und Corsini diirfen ebenfalls nicht imerwähnt bleiben. Auch bei Signo- relli sind, wie bei allen grossen Meistern, sowol die Form der Hand und die des Ohres als auch die Landschaft sehr charakteristisch. ^ Zeichnungen des Signorelli finden sich in allen bedeutenden Sammlungen Europas: mehrere in den Uffizien (Rahmen 459, Nr. 1246—1250); der Louvre besitzt nicht weniger als sieben Blätter von Luca (Nr.340 — 347, Br. 140, 141), w^ogegen die vom verstorbenen Moris Moore geschenkte Zeichnung, Nr. 347 (Bravui 142) daselbst augenscheinlich nichts anderes als eine plumpe Copie oder auch Fälschung ist. (f ) Im Britischen Museum in London sah ich ebenfiills drei gute Zeichnungen von
* Wer die dem Meister charakteristischen Formen der Hand und des Ohres studiren will, beobachte sie z. B. im Bilde Nr. 1291 der Uffizien-Galerie.
Die Toscaner: Girolamo Genga. 119
ihm (Vol. 32) und in der Bibliothek von Windsor Castle ein Blatt des Signorelli unter dem Namen des Ma- saccio. (+)
Fast alle Zeichnungen des Signorelli sind mit der Kohle flüchtig hingeworfen, zuweilen bedient er sich sowol der schwarzen als der rothen Kreide. Aus all denselben scheint mir hervorzuleuchten, dass Antonio del Pollajuolo einen stärkern Einfluss auf ihn gehabt haben dürfte, als man dies bisher hat annehmen wollen, wovon auch in den Uffizien die zwei Zeichnungen Adam und Eva des A. del Pollajuolo (f), die dort dem Signorelli zugeschrieben werden, uns einen Beweis liefern.
GIROLAMO GENGA.
Dem Girolamo Genga, der das Unglück hatte, Signorelli's Schüler und Gehülfe zu werden, erging es ahnlich wie später allen Schülern oder vielmehr Nach- ahmern des Michelangelo: er wurde die Caricatur seines Vorbildes. Und was würde wol gar aus der schmieg- samen, leicht empfänglichen Natur des jungen Raffael geworden sein, falls auch er, wie viele seiner unbedacht- samen Biographen uns glauben machen möchten, unter die einseitige, eiserne Leitung des Signorelli, statt unter die des sanften, anmuths vollen Timoteo Viti gerathen wäre? Auf diese Frage gibt uns eine sehr lehrreiche Antwort das Beispiel des Girolamo Genga. Auch er war aus Urbino und auch er war gewiss ein vielbegabter Schüler. Man vergegenwärtige sich aber bei der Be- trachtung seiner Bilder und Zeichnungen, was unter dem erdrückenden Einfluss seines grossen Lehrmeisters Signorelli aus ihm geworden ist. In seinem Jugendwerk .,die Marter des heiligen Sebastianus^^ (t) (Nr. 1182), (las in der Ufßzien -Galerie als unbekannt ausgestellt ist, von den Herren Crowe und Cavalcaselle (III, 370) dem Domenico und Orazio Alfani zugeschrieben . wird, mir jedoch als Jugendarbeit (etwa um 1498—99) des
120 I^ie Galerie Borghese.
G. Geuga erscheint, in diesem Bild, sage ich, ist die Kachahmung oder besser die NachäflPung des Signorelli noch kaum erkennbar. Um so greller tritt uns dieselbe in seinen Gemiilden und Zeichnungen aus spätem Jahren vor Augen. Ich will einige davon hier anführen :
1. Die z\v^ei Frescobilder in der Akademie von Siena, welche aus dem Palazzo Petrucci stammen und die Mum- mern 224 und 225 führen. Auf dem einen derselben ist Aeneas mit seinem Vater Anchyses, auf dem andern die Auslösung von Gefangenen dargestellt. Die Com- position zu diesen Bildern muss allerdings auf Signo- relli zurückgeführt werden, allein die Ausiührung ge- hört unstreitig dem Schüler und Gehülfen Genga an.^ Eine kleine Tuschzeichnung des Genga zur „Auslösung der Gefangenen" befindet sich, unter dem Namen des Jacopo Francia, in der Liller Sammlung (f ) (Braun 102). In derselben Sammlung, und zwar diesmal unter dem Namen des Giulio Romano, begegnen wir einer andern Zeichnung des Genga (f) (Braun 133), auf welcher mit der Feder die „Enthaltsamkeit" Scipio's dargestellt ist.
2. Die Galerie von Siena besitzt überdies unter dem Namen des Girolamo delPacchia (Nr. 31 ''^) ein Madonnen- bild, das ich ebenfalls für Arbeit Genga's halte (f), ebenso wie das andere Madonnenbild dort (Nr. 38*) (f), welches
* Director Bode nimmt sie dagegen für eigenhändige Werke Signorelli's , II, 603. Auch die heilige Barbara der Sammhing Poldi in Mailand gehört doch nur einem Schüler und nicht dem Signorelli selbst an, ebenso wie die heilige Magdalena unter dem Kreuz in felsiger Landschaft (Nr. 6) in der Akademie zu Florenz, (f)
2 Dieser sienesische Maler muss allerdings zuerst von Genga, sodann von M. Albertinelli und erst später ganz besonders vom Sodoma Einflüsse in sich aufgenommen haben. Del Pacchia wird seinerseits öfters auch mit Andrea delBrescianino verwech- selt, so z. B. im Bilde dieses letztern, Nr. 115 der Turiner Galerie, (f)
Die Toscaner: GiroUmo Genga. 121
vom Katalog in die florentinische Schule gesetzt wird. Auch in der Bildersammlung von Lille finden wir, unter der BezeicluHuig: ecole italienne primitive^ ein Werk Genga's. (f) In demselben ist die Madonna kniend vor dem Christkind dargestellt, das vom heiligen Joseph gehaltene Kind anbetend. Der kleine Christus umarmt den jungen Johannes; rechts zwei Hirten. In der Opera del Duomo in Siena befindet sich eine grosse „Auf- erstehung Christi" (ehemals Orgelflügel), die von Genga im Jahre 1510 ausgeführt wurde. Einige Schriftsteller verwechselten in diesem Bild den Genga mit dem So- doma, ein gut pro quo^ das, wie mir scheint, dem Genga auch in seinem männlichen Porträt in der Pitti-Galerie (Nr. 382) (f) begegnet ist.* Neben diesen sei mir noch gestattet, das berühmteste Werk des Girolamo Genga hier zu erwähnen, das er um 1517 — 18 für den Haupt- altar der Kirche von S. Agostino in Cesena malte und das jetzt in der Brera-Galcrie aufgestellt ist Die Pre- della dazu befindet sich in der städtischen Sammlung von Bergamo und die Zeichnung in den Uffizien, unter dem Namen KaffaeFs (Philpot, Nr. 2610) (f). Die grosse liöthelzeichnung aber zum Bild in der Brera besitzt die Louvre- Sammlung (Braun 223). Eine andere für (ienga höchst charakteristische Zeichnung in schwarzer Kreide fand ich vor Jahren, unter einem ebenfalls wohl- klingendem Namen, in der interessanten Sammlung des Herrn Ileseltine in London. Dieselbe stellt die Madonna mit dem Kind und den kleinen Johannes dar.(f ) Und nun genug über diesen von seinem Freund Vasari so hoch bewunderten Meister, der, dank seinem Lehrer, vor allen andern Künstlern Italiens den beginnenden Verfall der Kiuist niikündet.
' In jener Sammlung gibt man dafQr dem Genga di« heilige I uiiilie, Nr. 349. die mir als eine alt« Copie nach Filippino Lippi i-r>ihcint, jedenfalls aber mit Gcuga uichtt zu thun hat (f).
122 I^i® Galerie Borghese.
Nach dieser Abschweifung wollen wir wieder zur Musterung der Florentiner zurückkehren.
Von jener Schule des 15. Jahrhunderts, welche von Paolo Uccello und später von Domenico Veneziano be- rührt, durch xVlesso Baldovinetti, Cosimo Rosselli, Do- menico Ghirlandaio, Mainardi und Granacci vornehm- lich repräsentirt ist, sind mir in den römischen Bilder- sammlungen keine erheblichen Werke vorgekommen.^ Und nun kommen wir, der Nummerreihe folgend, auf ein Bild zu sprechen, das die Nummer 3 führte und dem Paris Alfani von Perugia zugeschrieben ward. Nach meiner Ansicht ist dieses sehr verdorbene Gemälde mit mehr Wahrscheinlichkeit dem Franciabigio zuzu- theilen.2 (f)
Es gibt unter den florentiner Malern aus den ersten Decennien des 16. Jahrhunderts etliche, wie Francia- bigio, Giuliano Bugiardini, Francesco Granacci, Ridolfo del Ghirlandaio und andere mehr, deren Werke in den Galeriekatalogen und somit auch in andern Büchern sehr oft miteinander verwechselt werden. Dies ist darum wohl verzeihlich, weil jene Künstler keinen scharf aus- geprägten Charakter (Stil) hatten, sondern, wie dies eben bei Halbnaturen zu gehen pflegt, sich bald an diesen, bald an jenen hervorragenden Meister anschlössen und dessen Art und Weise nachzuahmen und zu der ihrigen zu machen trachteten. Bei einem aufrichtigen Studium ihrer angewöhnten und daher für sie bezeichnenden Ma- nieren und Unarten dürfte man jedoch, scheint mir, dazu kommen, selbst die Werke dieser Zwitterkünstler mit einer gewissen Sicherheit voneinander zu unter-
* Die zwei Breittafeln in der Galerie Colonna, dort dem Dom. Ghirlandaio gegeben, sind gewiss nicht von ihm, sondern gehören nur der Schule an. Director W. Bode (II, 58G) schreibt diese zwei Tafelbilder dem Pier di Cosimo zu. (!)
2 Auch dieses Bild wurde in neuerer Zeit in den obern Stock des Palastes versetzt.
Die Toscaner: Giuliano Bugiardini. \'j:\
scheiden. Auch ein solches untergeordnetes Studium hat seineu Reiz, indem es unser Auge schärft, und lohnt daher die Muhe, die man darauf wendet. Wenn der treuliche O. Mündler in diesem Bild (Nr. 3) die Hand des Bugiardini sah, so verfuhr derselbe wenigstens mit strenger Consequenz, da er als Werke desselben Malers auch die „Verkündigung'' in der Turiner Galerie, sowie die sogenannte „Madonna del pozzo'' in der Tribuna der üffizien erklärte.* Nun gehören allerdings, wie ich dafür halte, die ebengenannten zwei Bilder ein und dem- selben Meister an, nur möchte ich dem Namen des Bu- i/laidlnl den des Franciabiffio substitninn.
GIULIANO BUGIARDINI.
Von Giuliano Bugiardini haben, soviel ich weiss, in den öffentlichen Sammlungen Roms nur drei Bil- der sich noch erhalten. Das eine davon, bezeichnet mit seinem Namen: IVLIANl • FLORENTINI . OPVS, und durch die Restauration hart mitgenommen, im Pa- last Colonna (I. Saal); das andere, mit der gefälschten Aufschrift Andrea del Sarto, in der Galerie Corsini (III. Saal, Nr. 9).^ Das dritte Werk Giuliano's (?) ist im zweiten Saal dieser Borghese-Galerie unter der Be- zeichnung: Schule RaffaePs und der Nr. 30 aufgestellt. Dasselbe stellt die Madonna mit dem Jesuskind und dem kleinen Johannes dar. Bugiardini, von dem in der Pinakothek von Bologna drei gute Werke sich vni-
* Herr Director W. Bode (II, 682) gibt dagegen die ,, Ma- donna del pozzo** dem Ridulfo del Gbirlandaio.
' In der Bibliothek desselben Palastes hat sich merkwür- «ligerweise die flQchtige Skizse erhalten, die, wie ans Vasari er- zäblt, Michelangelo, um seinem Freund Giuliano aus der V«r* legenheit zu helfen, zn dessen Bild für die Kapelle Kuoellai (in <li't' Kirche von S. Maria Novella), „die Marter der heiligen Katharina", componirte (CoL 167, G. 7, Nr. 125514).
124 I^i® Galerie Borghese.
finden *, und in der Kirche von S. Maria delle Grazie in Mailand ein mit dem Namen bezeichneter Johannes der Täufer, ist unter anderm in seinem Farbenauftrag flüssiger als Franciabigio, auch hat bei ihm das Incar- nat weniger smalto, als dies in den Gemälden des letz- tern der Fall ist. Eine Zeit lang war Bugiardini in der Werkstatt und unter dem Einfluss des M. Alber- tinelli luid ahmte diesen nach, wovon man deutlich an einem Bilde mit der heiligen Familie, Nr. 106 der Turiner Galerie, sich überzeugen kann.
FRANCIABIGIO.
Franciabigio, geboren 1482 und gestorben 1525, soll, dem Vasari zufolge, sich zuerst an Mariotto Al- bertinelli angeschlossen- haben, was auch bei Bugiardini der Fall war. Meiner Ansicht nach dürfte derselbe aber einen Theil seiner Lehrjahre auch in den Werkstätten des Granacci und des Pier di Cosimo zugebracht haben. Dafür spricht seine ganze Auffassungsweise, seine Art die Falten zu legen, und dafür sprechen seine landschaft- lichen Gründe, die an diejenigen des Pier di Cosimo erinnern. Später lehnte er sich allerdings an A. del Sarto, seinen ehemaligen Mitschüler unter Pier di Co- simo, an und diese Berührung tritt namentlich in den Werken seiner letzten Jahre zu Tage. Zu den frühern, von Albertinelli beeinflussten Bildern des Franciabigio gehören unter andern die soeben genannte „Verkün- digung" in Turin; gehört die Altartäfel, die er für die Kirche S. Giobbe in Florenz malte und die jetzt unter Nr. 6 im zweiten Saal der Uffizien - Galerie hängt; ferner die kleine „Calunnia d' Apelle" (Nr. 427) in der Pitti-Galerie ; endlich das Bild in dieser unserer Borghese-
^ Madounenbild mit dem Namen bezeichnet; die Madonna mit dem Kind und Heiligen, mit dem Namen bezeichnet; „Jo- hannes der Täufer", ohne Namenbezeichnung.
Die Toscaner: Franciabi^'o. 125
Galerie (II. Saal, Nr. 16), welches die Vermählung der heiligen Katharina darstellt.* (f) Zu den "Werken seiner mittlem Zeit scheinen mir folgende zu gehören: das Kundbild mit der heiligen Familie und dem kleinen Johannes in der Uffizien-Galerie, Nr. 1224 (f ), dort dem Kidolfo del Ghirlandaio zugeschrieben und, wie wir so- eben gesehen, als solches auch von Herrn Director W. Bode angenommen; ferner das Breitbild ebendaselbst mit dem Herculestempel, Nr. 1223; ebenso im ersten Gang jener Galerie das kleine Bild, Nr. 35, mit der Madonna und dem Jesuskind, sowie das andere Nr. 37 und unter dem falschen Namen des Kafiaellinodel (rarbo (f); sodann die zwei Bilder unter den Nrn. 1282 und 1249 (f) im zweiten Saal. Auf dem einen dieser zwei letztern Breitbilder, die im Katalog dem Pontormo zu- geschrieben werden, sieht man, wie Joseph in den Kerker geführt wird; auf der andern Tafel stellt Jo- seph seine Brüder dem Pharao vor.* In seine mitt- lere, von A. del Sarto stark beeinflusste Manier würde ich ebenfalls das Frescogemälde im Hofe der heiligen
* In diesem Urtheil stimmt Director Bode (II, 680) mit Ler- moliefif übercin, während es diesem letztem andererseits wieder unmöglich ist, vor dem ganz übermalten weiblichen Bilduiss der sogenannten Nonne des Lionardo da Vinci (Nr. 140) im Pitti- Palast an Franciabigio zu denken. Man betrachte die Form der Hand jener Nonne, und wer mit den Händen des Pietro Peru- gino befreundet ist, wird nicht anstehen, jenes Porträt als sein Werk zu erkennen, (f)
' Studien zum Bilde Nr. 1249, unter dem richtigen NameiT des Franciabigio, befinden sich in der Uffixien-Sammlung (Phil- pot, löOT)). Diese zwei Werke dem Pontormo jsu nehmen, um sie dem Franciabigio zurückzuerstatten, bestimmte mich sowol der landschaftliche Grund, die Form des Ohres und der Hand, welche von der des Pontormo verschieden ist, sowie auch die Gesiohts- typen. Auch finden wir auf diesen iwei Bildern nicht jene ein- gesackten Augen, die dem Pontormo so eigenthümlich sind. Ich 1>itt<- in dieser Beziehung diese zwei Gemälde mit dem andern Kk ithild des Franciabigio, Nr. 12S8, Tergleiohen zu wollen.
126 I^J6 Galerie Borgliese.
Anuunzinta in Florenz, die beiden Wandgemälde in den ,,Scalzi", sowie die stark nachgedunkelten männ- lichen Porträts, das eine im Pitti-Palast , Nr. 43, das andere in Windsor Castle, das dritte bei den Erben des Marchese Gino Capponi \ setzen. Und ungefähr in dieselbe Epoche stelle ich auch das Madonnenbild (Nr. 294), das wieder unter dem Namen des Pontormo, in der Pinakothek von Bologna sich befindet, (f ) Zu den Werken seiner letzten oder dritten Epoche endlich rechne ich die sogenannte Madonna del pozzo in der Tribuna; ein schönes Rundbild mit der Jungfrau und dem Christkind im fürstlichen Palast Corsini (al Prato) in Florenz; den „Uriasbrief" in der Dresdener Galerie (Nr. 75) ; daS schöne männliche Porträt im Berliner Mu- seum; das Frescobild in der „Calza" (Abendmahl) in Florenz und das Wand<]cemälde in der Villa von Poofffio a Caiano. Franciabigio starb 1525. Sein Leben er- füllt dieselbe Zeitspanne wie das R^iffaePs. Er hiess nicht, wie seit Baldinucci die Kataloge, sogar jener der Pitti-Galerie, angeben, • Marcantonio, sondern Francesco (im Dialekt Francia) Bigi; der Name seines Vaters war Christoph, daher sein Monogramm mit einem F, einem K, einem C und einem P, d. h. FRanciscus, Christo- phori (Christoph's Sohn) Pinxit.^ Die fast gleichzei- tigen Meister Granacci, Franciabigio und Pontormo werden in ihren kleinen Predellenbildchen, wie wir ge- sehen, selbst von Kennern gar oft miteinander verwech- selt, da sie Familienähnlichkeit haben, d. h. man sieht, dass zu einer gewissen Zeit der ältere Granacci (geb. 1477) auf die beiden Jüngern Zeitgenossen einen mehr oder minder grössern Einfluss ausgeübt haben muss.
* Von den Erben neuerdings nach Deutschland verkauft.
' Eine gute Zeichnung von Franciabigio besitzt auch die Louvre-Sammlung (Braun, 93); eine andere ist im Museum von Lille, unter dem Namen RafFael's (Braun 91) (f).
Die Toscaner: Franciabigio. 127
Die sechs Predellenbilder des Granacci in der floren- tinischen Akademie mit den Martyrien der heiligen Ka- tharina, ApoUonia, Agnes u. s. w., gemahnen z. B. in den Gesichtstypen etwas an Pontormo, während die Landschaft sehr verschieden von denen des Pontormo und des Franciabigio ist Anf dem grossen Tafelbilde des Granacci ebendaselbst sind die Gesichtstypen der fliegenden Engel fast dieselben, wie in den Breitbildern des Franciabigio in der Uffizien -Galerie (1249 und 1282). Im Pitti- Palast wird dagegen, unglaublicher- weise, Granacci (f ) in seinem Bild mit der heiligen Fa- milie (Nr. 345) selbst von Director Bode, der auch in diesem Urtheil den Herren Crowe und Cavalcaselle mehr Vertrauen schenkte als seinen eigenen Augen, mit B. Peruzzi verwechselt.^ Der Marchese Covoni in Flo- renz besitzt vielleicht das beste Werk des Granacci: die aufrecht stehende Madonna hält auf ihrem linken Arm das unbekleidete Kind, in der rechten Hand ein Bufh, zu ihren Füssen der kniende Thomas und die Heiligen Zenobius und Franciscus, oben zwei Engel. Dieses Bild wurde im Jahre 1505 auf Bestellung der Maria Francesca di Zonobio de' Girolami für die Kirche von S. Gallo ausgeführt.
Ehe wir nun zur Besprechung der Werke von Fran- ( i.iMi^io's bekanntestem Schüler, Francesco Ubertini, iil"i gehen, wollen wir uns noch das kleine Porträt an- sehen, welches unter der Nr. 4 ausgestellt ist. Es ist dies die Copie des vorzüglichen Bildnisses, das im Ka- talog der Galerie degli Uffizi (Nr. 1217) als das Con- terfei des „Alessandro Braccesi", Sekretärs der Balia, angegeben inid dem Lorenzo di Credi zugedacht ist,
' Die II« rreu Crowe und Cavalouelle bemerkten jedoch, um klup^rweise Mich den Uüekzug zu ermöglicheu: „<Ai> is a Siennese tcork icithout tht tiact stamp of Ptruztx'' (III, 401, 2). Eine jrute l'hoto^aphie dieneff Bildes findet man bei «l« ?» T^ni-l..-.. Alinari in Florenz.
128 Die Galerie Borghese.
welcher ganz verfehlten Taufe, zu meiner nicht geringen Verwunderung, auch die Herren Crowe und Cavalca- selle ihre Zustimmung nicht versagen wollen ^ (III, 412). Meiner Meinung nach ist jenes Porträt für Lorenzo di Credi viel zu lebendig aufgeftxsst, auch zu warm in der Farbe. Ich trage meinerseits kein Bedenken, das- selbe für ein gutes Jugendwerk des Pietro Perugino (f ) (etwa um 1485 — 90), ungefähr aus derselben Epoche wie die sogenannte Nonne des Lionardo im Pitti- Palast, anzusehen und es meinen Freunden zum Studium anzu- empfehlen. Messer Alessandro Braccesi ist schon 1474 als Notaro della Signoria verzeichnet, musste also da- mals schon in den Zwanzigern seines Alters stehen. Unser Porträt stellt aber einen Knaben von etwa 14 — 15 Jahren dar. Der Name des Dargestellten wie der des Malers scheint also auch bei diesem Bild, wie bei so vielen andern, ganz willkürlich und blos nach dem sogenannten Total eindruck aufgestellt worden zu sein.
BACCHIACCA. Die Nrn. 3, 5, 67, 12 und 19 gehören sämmtlich demselben Meister an, nämlich dem im allgemeinen sehr wenig bekannten Maler Francesco übertini, Bacchiacca genannt.^ (f) Sie stellen Episoden aus dem Leben Joseph's, des keuschen Hebräers, dar — ein wie es scheint im dritten Decennium des 16. Jahrhunderts in Florenz sehr beliebtes Sujet zur Ausschmückung des Schlafgemachs der Neuvermählten. Werke dieses nicht talentlosen Malers, dessen Vasari mehrere male, obwol nur im Vorbeigehen Erwähnung thut, so unter andern in den Biographien des Perugino, des Granacci, des
^ Auch Director W. Bode stimmt in das Urtheil seiner Ge- währsmänner ein (II, 580).
2 Der neue Director dieser Galerie hat, zu meiner grossen Genugthuung, meine Bestimmung dieser fünf Bilder als richtig anerkannt, das Hauptgemälde auch in besseres Licht gebracht.
Die Toscaner: Bacchiacca. 129^
Franciabigio, des Aristotele da San Gallo, sind ziem- lich selten. Deshalb vergönne man mir etwas länger, als vielleicht die gute Sitte bei Durchmusterung einer Bildergalerie es erlaubt, bei diesem nicht uninteressanten Meister zu verweilen, der in der Kunstgeschichte weniger bekannt ist, als er es, meiner Meinung nach, verdient, und dessen Werke, wie ich Gelegenheit gehabt habe zu beobachten, in den Sammlungen sogar mit den Namen Dürer's, Lionardo's, RaftaeFs und Michelangelo's beehrt werden.
Francesco Ubertini muss ums Jahr 1494 in Flo- renz geboren sein. Auf dem grossen Bild des Angelo Bronzino vom Jahre 1552, Nr. 1271 in den Uffizien, das Christus in der Vorholle darstellt, befindet sich, laut Vasari (XIII, 165), nebst den Porträts des Pontormo und des Giovan Battista Gello auch das des Bacchiacca. Derselbe scheint nun, seinem Gesicht nach zu scldiessen, etwa ein Sechziger damals gewesen zu sein. Einige Jahre später, d. h. im Jahre 1557, starb er in Florenz. Er hatte zwei Brüder, von denen der eine, Baccio, Schüler und Gehülfe des Perugino war, der andere, An- tonio, zu seiner Zeit in der Teppichstickerei sich aus- zeichnete.
Dass Bacchiacca eine Zeit lang mit seinem Bruder Baccio auch bei Pietro Perugino, wahrscheinlich ums Jahr 1505 — 1506, in die Lehre gegangen und sich dami später an Franciabigio angeschlossen und bei diesem Meister wol die letzte Zeit seiner Lehrjahre durch- gemacht und vielleicht als Gehülfe bis zum Tod Francia- bigio's (1525) in dessen Werkstatte gearbeitet habe, wird von Vasari berichtet, der ihn personlich gut ge- kannt und sowol als Menschen wie als Künstler schätzte. Passavant lässt die Brüder Baccio und Francesco Uber- tini von Florenz nach Perugia übersiedeln, um dort von Pietro in der Malerkunst unterrichtet zu werden. Mir erscheint es jedoch wahrscheinlicher, dass die bei-
Lbbmolibfp. 9
130 Die Galerie Borgbese.
den Florentiner in Florenz selbst die Werkstatt des Perugino besucht haben mögen. Periigino hielt sich ja im ersten Decennium des 16. Jahrhunderts mehr in Florenz als in Perugia auf. Dass Bacchiacca aber später auch sehr vieles von seinem Freunde Andrea del Sarto und in seiner letzten Periode auch von Michelano-elo angenommen, scheint mir ebenfalls einleuchtend zu sein. Nach der Art, wie er in seinen Bildern den Körper zu be- wegen pflegt, wie er die Hände zeichnet, die Falten legt und namentlich wie er die meist sehr sorgfältig auso-e- fuhrten landschaftlichen Griinde'darstellt, bin ich geneigt, mehr den Einfluss von A. del Sarto zu sehen, als den des Perugino oder des von Andrea selbst abhängigen Francia- bigio, von welchem letztern er wol das geleckte Colorit und die kalten Fleischtöne angenommen haben murr. Bacchiacca scheint nach dem Tode Franciabigio's nach Rom gegangen zu sein; wenigstens befand sich derselbe um die Mitte der zwanziger Jahre in der Ewigen Stadt und lebte dort auf freundschaftlichem Fusse mit Giulio Romano, Francesco Penni und Benvenuto Cellini, der im Anfang seiner Selbstbiographie uns von ihm be- richtet. Vasari rühmt, und mit Recht, den grossen Fleiss und die Sauberkeit, womit er seine meist nicht über eine Spanne hohen Figürchen malte, lobt auch die Ara- besken mit nach der Natur gemalten Thieren und Pflan- zen, womit Bacchiacca das Cabinet des Herzogs Cosimo de' Medici ausgeschmückt hatte, und fügt noch hinzu, dass von diesem Meister gar mancher Carton zu den herzoglichen Teppichen geliefert wurde. In der Samm- lung der Arazzi in Florenz sieht man noch heute drei grosse mit Gold gestickte Teppiche, worauf die zwölf Monate dargestellt sind und in denen ich den Geist des Bacchiacca und dessen Art und Weise zu formen zu erkennen glaube, (f) Wahrscheinlich sind es jene Teppiche, die der vlämische Teppichsticker Rost nach Zeichnungen des Ubertini anfertigte (siehe Vasari dar-
Die Toscaner: Bacchiacca. 131
über). Bacchiacca soll auch ein vorzüglicher Thiermaler gewesen sein {era ottimo pittore in ritrarre tutte le sot'ti {Tanimali). Und in der That waren die Thiere, die ich auf einigen seiner Bilder (z. B. auf dem in der Sammlung Giovanelli in Venedig) zu sehen Gelegen- heit hatte, musterhaft dargestellt Da ich nun diesem so wenig gekannten Meister mit einigem Interesse nach- gegangen bin, so sei mir gestattet, in chronologischer Folge die Bilder des Bacchiacca, die ich auf meinen Kunstfahrten entdeckte oder, um bescheidener zu reden, entdeckt zu haben glaube, hier anzuführen. Mochten diese fluchtigen Angaben seiner Werke irgendeinen Kunsthistoriker veranlassen, diesem sonderbaren floren- tinischen Künstler, der uns in manchem seiner Werjce durch geistreiche Züge und ungesuchte Anmuth über- rascht, scharfer ins Auge zu fassen und den Kunst- freunden ein historisches Porträt desselben zu bieten. Vorerst wollen meine gutwilligen Freunde mir erlauben^ ihnen einige charakteristische Merkmale hier anzugeben, an denen man seine Werke von denen anderer seiner ihm nahe kommenden Zeitgenossen leichter zu erkennen vermag.
1. Im Vorgrund seiner Landschaften pflegt er fast immer einen hellgrauen, mit Bäumchen und Strauchwerk bewachsenen, keilförmigen Felsen anzubringen (wie wir dies auch auf dem Bilde dieser Galerie, Nr. 67, ge- wahren); im Mittelgnmd eine reichbethürmte Stadt.
2. Die Iland hat bei ihm lange, zugespitzte Finger.
3. Auch er, wie sein Lehrer Franciabigio, zeigt eine Vorliebe für die blaue Farbe.
4. Die llaarmasse pflegt er bräunlich zu unternmlen und dann die einzelnen Haarbüscliel gelblich darauf zu lasiren, wovon wir uns auch hier in diesem Bilde, Nr. 67, überzeugen können.
5. Wie alle Zwitterkünstler hat auch Bacchiacca keine für ihn charakteristische Form de^ Ohres; bald
132 I^ie Galerie Borghese.
ist dasselbe rundlicher, bald länglicher geformt, je nach dem Vorbilde, das er zufallig vor sich hatte.
6. Seine am Vorderarm mit dichten steifen Quer- fältchen bedeckten enganliegenden Aermel der weib- lichen Kleider pflegen bis i'iber den Knöchel hinauszu- reichen; ein Brauch, den er wol dem Lukas von Lei- den, dessen Kupferstichen er gar mancherlei entnahm, abgesehen haben mag.
7. Auf seinen Gewändern erscheint sehr oft eine Falte von der Form eines Q) ^ wie z. B. am rechten Oberam der „Vierge au sein" des Professor Nicole in Lausanne; an einigen Stellen des Bildes beim Priester Bertoldi; ebenso im Bilde der Sammlung Giovanelli, sowie auf den Zeichnungen bei Herrn Giovanni Mo- relli, im Louvre und anderwärts.
In Bacchiacca's früheste oder Peruginische Epoche setze ich:
a) Ein Bildchen, Nr. 55, auf dem das „Noli me tangere" dargestellt ist, und das sich, wie auch das folgende Bild, in dem Museum von Oxford (Christ- Church College) befindet, (f)
b) Die „ Auferweckung des Lazarus" in Gegenwart der zwei Schwestern Martha und Maria kniend vor Christus; ebendaselbst, (f)
Beide Bildchen erinnern noch an die Schule des P. Perugino.
c) Ein kleines Bild, das vor Jahren noch im Besitz des Priesters Don Giacomo Bertoldi von Carpenedo, bei Mestre, sich befand und von ihm, mit Zustimmung einiger Kunstfreunde Venedigs, Kaö'ael Sanzio zuge- muthet ward. In jenem Bild, auf dem die in einer Landschaft zwischen der heiligen Elisabeth und dem kleinen Johannes sitzende Maria dargestellt ist, wie sie das unbekleidete Christkind auf ihren Knien hält, ist die Composition noch die eines unerfahrenen Künst- lers, auch erinnert die Haltung der Jungfrau noch an
IJl VIKRUS AV BUS.
Die Toscaner: Bacchiacca. 133
die Perugiuiscbe Schule, während die Landschaft und die Farbenscala schon lebhaft an seinen zweiten Lehrer Franciabigio gemahnen, (f)
d) Ein anderes kleines Bild (ganz und gar über- malt), das in eine spätere Zeitperiode des Künstlers fällt, schien mir die vielgewanderte „ Vierge au »ein, ricemment dicouverte'-'' mit der Herr Professor Ni- cole aus Lausanne in Europa herumzog, allenthalben vergeblich nach einem gläubigen Käufer spähend. Die Composition dieses Bildchens, das man in der Photo- graphie, wie dies ja oft der Fall ist, besser als in seinem durch Uebermalung verunstalteten Originaltext zu lesen im Stande ist, hat Aehnlichkeit mit der des eben ge- nannten Bildes; die Madonna hält das an ihrer Brust säugende Christkind auf dem Schos, links von ihr der kleine Johannes, Hintergrund Landschaft mit dem für den Meister charakteristischen keilförmigen Felsen und der reichbethiirmten Stadt im Mittelgrund. Die Com- position sowie die Stellung der Jungfrau erinnern an die sogenannte „Madonna del pozzo" des Franciabigio in der Uffizien- Galerie. Es ist meinerseits vielleicht allzu gewagt, in einem solchen durch Uebermalung so sehr entstellten Gemälde noch die Hand des Meisters erkennen zu wollen, allein ich trage in mir die Ueber- zeugung, mich ebenso wenig in der Bestimmung die- ses wie der obengenannten dn'i Bildclifti getauscht vw haben, (f)
In die letzten Jahre dieser ersten Periode Bacchiacca ^i, die etwa bis zum Jahre 1518 gedauert haben mag, setze ich auch:
e) Das interessante Bildchen mit Adam und Eva in der Sammlung des Herrn Doctor G. Frizzoni in Mai- land. Dieses kleine Gemälde galt vor Zeiten als von der Hand des Giulio Romano. Nach Rom verkatift, wurde es dort auf B. Peruzzi umgetauft. Zu diesem höchst merkwürdigen Bildchen, in welchem die Correctheit der
134 I^i® Galerie Borghese.
Zeichnung manches zu wünschen übrig lässt, benutzte Bacchiacca augenscheinlich den kleinen Carton seines Lehrers Pietro Perugino, welcher diesem zu seinem welt- bekannten Bilde „Apollo und Marsyas" (gegenwärtig unter dem ihm von seinem frühern Besitzer octroyirten Namen Raffael im Salon carre des Louvre aufgestellt) gedient hatte. Der Carton des Perugino (f), ganz in der Art und Weise behandelt wie die Zeichnung in Oxford (Sammlung der University) mit dem Erzengel Raftiel und dem kleinen Tobias (Robinson's Katalog Nr. 16), befindet sich in der venetianischen Akademie, wie sich von selbst versteht auch dort als Werk IlafiaeFs be- zeichnet. Bacchiacca machte nun aus dem Apoll eine Eva und aus dem Marsyas einen Adam.
In die mittlere Epoche der künstlerischen Thätig- keit des Bacchiacca, also ungefähr in die Jahre 1518 — 1536 würde ich setzen:
f ) Das niedliche, ansprechende Porträt eines Knaben^ der den Kopf auf die rechte Hand stützt und uns mit jugendlicher Heiterkeit ansieht; ein Bildniss, das im Louvre ebenfalls unter dem hochklingenden Namen RaffaePs die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zieht und so im voraus schon alle Herzen gewinnt. Das Bildchen führt die Nummer 372 und wurde vielfach ge- stochen. Bailly in seinem Inventarium vom Jahre 1709^ — 1710 bemerkt zu diesem Porträt: ^^tahleau estime de Raphael representant son portrait''^. Schon vor vielen Jahren erschien mir dieses anziehende Bildniss des sym- pathischen Jünglings als Arbeit irgendeines florentiner Malers aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, mit der Zeit jedoch gestaltete sich in mir jene Yermuthung zur Ueberzeugung, dass es nämlich nicht nur das Werk eines Florentiners, sondern auch bestimmt des Bacchiacca sei; und dies sowol wegen der Form der Hand, als auch wegen der Technik, mit der die Haarmasse gemalt ist (gelblich lasirt auf bräunlichem Grund), eine Technik^
ADAM tnro STA w DU SAiocLiTirQ FEinom nr Mailand.
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IX VKXXOIO. g. m.
Die Toscaner: Bacchiacca. 135
die wir unter andern auf dem Bild bei Herrn G. Friz- zoni ebenfalls zu beobachten die Gelegenheit hatten. Das linke Auge in diesem Porträt ist fehlerhaft in der Zeichnung. Die Tafel ist später vergrössert worden, (f)
g) In diese Jahre gehört auch das Breitbild in den Uffizien (Nr. 1296), worauf Thaten aus dem Leben des heiligen Ascanius dargestellt sind, und das als Predella der Altai-tafel seines Lehrers Franciabigio in der Kirche von S. Lorenzo diente. Zu diesem Bild entnahm augen- scheinlich unser Bacchiacca mehrere Figuren den Stichen von Lukas von Leiden: ein Brauch, der damals in Flo- renz auch bei andern Künstlern statthatte, wie z. B. auch bei Franciabigio und Pontormo, die beide sehr oft sich der Stiche Dürer's zu ihren Compositionen bedien- ten, wie uns dies auch Vasari berichtet.
h) Auch das fleissig ausgeführte, vielfach noch an seinen Lehrer Franciabigio gemahnende Bild, Nr. 80, in der Dresdener Galerie gehört wol in diese Mittel- zeit, sowie ebenfalls:
i) Das Breitbild mit der Taufe Christi im Museum zu Berlin; ferner:
k) Die Tafel in der k?aininlung dt's Herrn (Tiovauni Morelli in Mailand, mit dem Tod Abel's, und
1) und m) Die zwei jüngst von der National Gallery in London erworbenen Gemälde mit Darstellungen aus dem Leben Joseph's.*
Zu den reifsten und treft'lichsten Werken dieser Wirkungszeit des Bacchiacca gehört jedoch, meiner An- sicht nach, das mit grosser Sorgfalt und Liebe ausge- führte Bild im Palast Giovanelli in Venedig. Dieses noch vor nicht langer Zeit fin' ein«' Arb«'lt Djipt's ir<'lt«'iHlo
* Stadien zu diesen zwei Bildern finden sich im Louvre, Nr. 352 nnd 868 des Reiset'sohen Katalogs. Aach die Sammlung des Christ-Charch College in Oxford besitzt das Fragment einor Zeichnung zn dem einen dieser Bilder, (f)
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Gemälde hatte der Schreiber dieser Zeilen das Gliick zuerst als Werk imsers Bacchiacca zu erkennen (photo- graphirt von Naya in Venedig), (f ) Es zählt ungefähr vierzig grossere nebst einer Menge kleinerer Figuren im Hintergrund*, ist auf Holz gemalt und misst un- gefähr SVa Fuss in der Höhe und 273 in der Breite. In der Mitte kniet Moses mit einem goldenen Stab in der Hand vor einem hohen Felsen, aus dem eine Quelle sprudelt. Von allen Seiten strömt das Volk herbei, sich den Durst zu stillen. Doch nicht nur die Men- schen kommen herbei, sondern auch vielerlei Gethier: Luchse, Katzen, Rehe, Papagaien, Ziegen, Ochsen, Mar- der, Esel u. s. w. Einzelne Köpfe, namentlich weib- liche, hat Bacchiacca mit miniaturartigem Fleiss aus- geführt. Die Costüme sind hier und da sehr phan- tastisch und etliche darunter ofl'enbar wieder Stichen Von Lukas von Leiden entlehnt, weshalb wol auch das Bild früher für die Arbeit eines Deutschen gehalten wurde. Der landschaftliche Grund mit dem charakteristischen keilförmigen grauen Felsen ist kalt im Ton. Drei mit schwarzer Kreide gezeichnete Studien zu verschiedenen weiblichen Köpfen auf diesem Gemälde finden sich auf einem Blatt in der Uffizien- Sammlung, unter dem Namen des Michelangelo Buonarotti (Rahmen 183, Nr. 599). (f ) Auch die Sammlung in Lille besitzt von Bacchiacca eine Rötheizeichnung mit sieben Studien zu Masken, wahrscheinlich zur Randverzierung von Ta- peten bestimmt, die dort ebenfalls dem Michelangelo zugeschrieben wird (Braun 35). (f)
Zu den Werken dieser mittlem Epoche würde ich auch rechnen:
* Ich bitte auf der rechten Seite dieses Bildes unter an- derm auch den Kopf eines Jünglings, dem eine alte Frau ein Gefäss überreicht, sich genauer anzusehen und ihn sodann mit dem Knabenporträt Nr. 372 im Louvre vergleichen zu wollen.
Die Toscaner: Baochiacca. 137
o) Die fünf zusammengehörigeQ Tafeln der Borghese- Galerie. (f ) Eine gute Kötlielzeichnung zum Benjamin auf zweien dieser Bilder besitzt Herr Giovanni Morelli.^
Der spätesten oder dritten £poche des Baochiacca dürften, meiner Meinung nach, etwa die folgenden Ar- beiten des Meisters angehören:
p) Die Predigt Johannes des Täufers im Hause des Marchese Bacciocchi in Florenz. Johannes steht auf einer Erderhohung und hat auf seiner rechten Seite die männlichen, auf der linken die weiblichen Zuhörer um sich versammelt.
q) Die leider etwas übermalte „Anbetung der Kö- nige" in der an guten Bildern reichen Sammlung des rühmlichst bekannten Kunstfreundes Herrn Edward Ilabich zu Cassel.
r) Ein grosses Madonnenbild (unbenannt) in der Sammlung von Sir Francis Cook in Kichmond. (f)
Vasari erzählt uns (Biographie des*Tribolo), dass beim Einzug der Eleonore von Toledo in Florenz Bacchiacca in Gesellschaft des Bronzino, des Pier Fran- cesco di Sandro (Schüler des A. del Sarto), des Bat- tista Franco und anderer, an den Malereien im Hofe des Medicei'schen Palastes theilgenommen und sodann bei der Feier der Hochzeit des Herzogs Cosimo zu einer dramatischen Darstellung des Poeten Landi „die Reise des Lorenzo il magnifico nach Neapel" und „die Kück- kehr aus der Verbannung des alten Cosimo de' Me- dici" gemalt habe (siehe die Biographie des Aristotele da San Gallo). Ferner lässt Vasari den Bacchiacca ebenfalls an der Bemalung von Triumphbögen für Fest- lichkeiten thätig sein. Aus allem diesem erkennt man,
* Wurde pablicirt im Werke des Ilcrro Qustavo Frizzoui: CoUmone di quaranta disegni scelti dalla liaccoUa del Senatore Oiovanni MoreUif riprodotti in Eliotipia^ descritti '-'^ fii...t,:.t. dal DoU. Ousiavo Friezoni (Milano, lloepli, 1884>
13g Die Galerie Borghese.
dass Francesco übertini im dritten und vierten Decen- niiini des 16. Jahrhunderts ein Maler war, dessen Kunst in Florenz vielfach in Anspruch genommen wurde.
Die Figuren in seinen Bildern messen, wie schon bemerkt, in sehr seltenen Fällen, wie z. B. im Madon- nenbild bei Sir Francis Cook und im Porträt im Louvre, mehr als eine Spanne, gewöhnlich sind sie noch kleiner.
Es mögen noch gar viele andere Bilder dieses Meisters in der Welt zerstreut sein und die meisten wol unter fremdem Namen gehen. ^^Fece anco molti altH quadH per diversi^ che furono mandati in Francia e in Inghilterra'-^^ sagt Vasari.
Bacchiacca scheint übrigens grösstentheils Predellen, d. h. Altaraufsätze und sogenannte Cassoni, die im 14., 15. und 16. Jahrhundert in Italien unsere heutigen Kommoden und Schränke ersetzten, bemalt zu haben. Die Kunst hatte in jenen glücklichen Zeiten in jedem Hause Italiens freien Zutritt und mischte sich so in fast alle menschlichen Angelegenheiten, sie wollte in allen Begebenheiten und Festlichkeiten des Lebens zu- gegen sein und daran Antheil nehmen. Die vor- nehmen und reichen Leute hatten nicht nur die Freude und den rühmlichen Stolz, ihre Paläste in der Stadt, ihre Villen auf dem Lande, ihre Kapellen in den Kir- chen mit Bildern und Statuen ausgeschmückt zu sehen, sie wollten auch, dass ihre Hausmöbel durch schöne, dem Zweck entsprechende Verhältnisse, durch Zier- rathen in Metall und Holz, durch Farbenpracht das Auge anzögen und den Geist ergötzten. Und doch existirten zu jenen Zeiten noch keine öffentlichen Bil- dergalerien zur Belehrung des Publikums, gab es noch keine öffentlichen Vorträge und Unterweisungen, waren gute Anleitungen zur richtigen Kunstkenntniss, wie wir sie heutzutage glücklicherweise in Hülle und Fülle be- sitzen, noch nicht in Aufnahme gekommen. Auch waren die jährlichen Kunstausstellungen jenen unmündigen Ge-
Die Toscaner: BUcchiacca. 139
schlechtem noch gänzlich unbekannt Wir müssen da- her, der Ansicht eines norddeutschen Philosophen bei- pflichtend, annehmen, dass in jenen Leuten die Freude und der Genuss an den Erzeugnissen der Kunst „keine bewusste positive, sondern blos eine unbegrenzte, in ihrem Gemüth schlummernde, die Intelligenz wenig oder gar nicht afficirende Sensation" war.
Sei dem nun wie ihm wolle, sicher ist es, dass in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts Baccio d'Agnolo, ein in Florenz höchst beliebter Baumeister, oft von vornehmen Herren um Ratli angegangen wurde, wenn es sich darum handelte, schön geschnitzte Möbel zu bekommen. So erzählt uns Vasari im Leben des Pontormo, dass der reiche Florentiner Pier Francesco Borgherini bei seiner Vermählung mit dem Gretchen des Hauses Acciajuoli sich an den ebengenannten Baccio gewandt habe, um reich verzierte Cassoni von ihm ge- schnitzt zu haben, und diese sodann dem Andreii del Sarto, dem Pontormo, Franciabigio, Bacchiacca und dem Granacci zur Bemalung anvertraute. Allen diesen Ma- lern wurde, wie es scheint, die Darstellung von Ge- schichten aus dem Alten Testament aufgetragen. So malte Pontormo, wahrscheinlich auch fin* den Borghe- rini, Joseph mit seinen Brüdern und Verwandten (jetzt in der National Gallery in London, Nr. 1131); Andrea del Sarto stellte seinerseits ebenfalls zwei Episoden aus dem Leben Joseph's dar und zwar auf die liebens- würdigste Art. Diese letztern herrlichen Compositionen befinden sich gegenwärtig im Pitti-Palast unter Nr. 87 und 88, während die von unserm Bacchiacca bemalten Cassoni aller Wahrscheinlichkeit nach die zwei ebenfalls n der National Gallery aufgestellten sein dürften.
Bei dieser Gelegenheit vergönne man mir, eine be- herzigenswerthe Geschichte dem Vasari, diesem naivsten und liebenswürdigsten aller Kunsthistoriker, dessen Bü- cher noch immer die Hauptquelle aller neuern Kunst-
140 I^ie Galerie Borghese.
forschling sind, nachzuerzählen. Nachdem Vasari im „Leben des Pontormo" in lebendigen Worten die Pracht der Zimmer mit den eben beschriebenen Cassoni im Hause Borgherini uns veranschaulicht hat, erzählt er Folgendes: Als Pier Francesco Borgherini, der, wie es scheint, zu den Medicis hielt, bei der Belagerung von Florenz (1529) nach Lucca geflüchtet war, wusste der florentinische Bilderspeculant Giovanni della Palla von der florentiner Stadtbehörde die Erlaubniss sich zu ver- schaften, die eben bezeichneten Bilder aus dem Hause Borgherini gegen eine Entschädigungssumme an die Familie wegzunehmen, unter dem Vorwand, dieselben König Franz I. als ein Geschenk darzubringen, im Grunde aber, um sie nach Frankreich zu schleppen und dort ein gutes Geschäft damit zu machen. Als der- selbe nun, von einigen Gemeindedienern begleitet, zu diesem Zweck in den Palast Borgherini sich begab und der Gemahlin des Pier Francesco, Margarita Acciaioli, welche allein in Florenz zurückgeblieben war, seine Ab- sicht kundgegeben, gerieth die naive Frau in Ent- rüstung über eine so schamlose Zumuthung und brach in folgende Worte aus: „Du, Giovanni, hättest also die Unverschämtheit, Hand anzulegen an den edelsten Schmuck, der die Häuser der Edelleute ziert? Schnöder Mann, der du bist, über dein schmähliches Ansinnen wundere ich mich keineswegs, denn du bist zu nichts Besserem geboren und Ruhm und Ehre deines Vater- landes können dich nicht kümmern; was mich empört, ist nicht deine eigene, sondern die Niedrigkeit unserer Stadtbehörde, einem solchen Menschen wie du bist willig Gehör zu leihen! Dieses Bett, das deine Habgier zum Vertrödeln fortschleppen möchte, ist mein Hochzeits- bett, mir verehrt von meinem geschätzten Schwieger- vater; diese durch die Kunst unserer besten Meister geschmückten Truhen, auf die du deine gierigen Blicke geworfen hast, sind das Brautgeschenk meines geliebten
Die Toscaner: Bacchiaoca. 141
Mannes. Wiese, dass ich aus Verehning und Liebe zu ihnen mit meinem Blute diese Kleinodien vertheidigen werde. Packet euch daher aus diesem Hause, du und deine Helfershelfer; kehrt zurück zu denen, die euch hergeschickt haben, und sage ihnen in meinem Namen, dass ich niemals dulden werde, dass man den gering- sten Gegenstand in. diesem Haus antaste. Mögen sie doch ihre eigenen Häuser ausplündern, falls sie damit, wie sie sagen, den König von Frankreich beschenken wollen. Solltest du aber noch einmal dich vermessen, die Schwelle dieses Hauses zu betreten, so soll es dir wahrlich nicht zum Heile gereichen." Dieses etwas barsche Benehmen der altmodischen Frau wird viel- leicht manchem meiner Leser ein spöttisches Lächeln ablocken; ich bitte jedoch zu bedenken, dass dazumal die „Bildung" noch in der Wiege lag und dass daher unsere heutigen Begriffe von einer vernünftigen Ilausöko- nomie den Leuten noch abgingen. Später, als jene ein- fachen Bürger zu Baronen, Grafen, Marquis und Her- zögen erhoben wurden, da hatten die della Pallas so- wol Italiens als anderer Länder keine so unkluge und unfreundliche Aufnahme seitens der Besitzer von Kunst- werken zu erwarten.
Wir haben bereits gesehen, wie mehrere Arbeiten Bacchiacca's einerseits dem Raffael (Nr. c und d un- serer chronologischen Folge), sowie das Knabenporträt im Louvre und wie andererseits einige seiner Zeich- nungen dem Michelangelo zugeschrieben wurden. Nun bleibt mir noch übrig, meine vorurtheilsfreien Leser mit einer Zeichnung bekannt zu machen, die zwar den hohen Namen Lionardo's führt, in der ich jedoch alle Kigenthümlichkeiten des Bacchiacca zu erkennen glaube. Es ist dies die hübsche Rötheizeichnung in den Uf- fizien mit dem Portrat einer schönen, noch jungen Dame (Rahmen 103, Nr. 4U, Braun 434). Schon die Tracht der Frau spricht für eine spätere Zeit als die
142 Die Galerie Borghese.
Lionardo's; die feine Ausführung des Kleides, die Form der Hand und jene des Ohres (an die des Lehrers Franciabigio erinnernd), die langen an den Knöchel reichenden Aermel, sowie die charakteristische Falte V auf dem Oberärmel, die harten Querfältchen auf dem Unterärmel, bestimmen mich, dieses Frauenbildniss dem Lionardo da Vinci zu nehmen, um es unserm Bacchiacca zu geben, (f) Doch will ich nicht durchaus fiir diese Taufe gutstehen.
Francesco Ubertini gehörte, wie wir gesehen, zu jener Gruppe florentinischer Künstler der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, die wie Franciabigio, Ridolfo del Ghirlandaio, Bugiardini, Pontormo sich unter der Lei- tung Albertinelli's und Granacci's und später unter der des Andrea del Sarto gebildet, manche Einflüsse von Lionardo, von ivaffael und zuletzt auch von Michel- angelo in sich aufnahmen.
PINTORICCHIO.
Bevor wir zu den andern florentinischen Bildern übergehen, wollen wir in diesem ersten Saal noch zwei andere solcher Breitbilder, welche ebenfalls zur Verzie- rung von Truhen dienten, betrachten. Dieselben stellen wiederum Geschichten aus dem Leben Joseph's dar und werden im Katalog als Werke des Pintoricchio bezeich- net, Nr. 49 und 57. Für diesen Meister ist die Aus- führung jedoch viel zu roh und ungeschickt. Wir wer- den daher besser thun, sie mit den Herren Crowe und Cavalcaselle blos der Werkstatt des vielbeschäftigten Malers zuzuschreiben.* Hier dürfte vielleicht mancher
^ Auf Tafel .57 liest man einigemal „sogno di Faragone^^. Noch heutzutage pflegen die Bewohner der Abruzzen zwei auf- einander folgende Vocale durch ein g zu trennen [idega für idea, lagonde für Jaonde, Magometto für Maometto u. s. f.), woraus ich schliessen möchte, dass dieser Gehülfe Pintoricchio's aus den
Die Toscaner: Pintoricohio. 143
Leser mit Erstaunen ausrufen: sollte denn wirklich in einer so reichhaltigen romischen Bildersammlung wie die Borghesische auch nicht ein einziges echtes Bild des liebenswürdigen Pintoricchio sich befinden? Aller- dings gibt es auch hier echte Werke dieses bisher so allgemein verkannten, ja verleumdeten Meisters, und beide befinden sich in diesem ersten SaaH; nur werden dieselben auch an diesem Orte, wie dies dem armen Pintoricchio fast überall ergeht, nicht ihm, sondern an- dern gefeiertern Malern zugeschrieben. Das eine dieser Bilder trägt die Nummer 44 und fuhrt unsinnigerweise den Namen des Venetianers Carlo Crivelli. Es stellt den Gekreuzigten dar, an dessen rechter Seite der hei- lige Hieronymus kniend aufwärts blickt, an der linken der heilige Christophorus mit dem Christkind auf der Schulter. In diesem Bilde, dem ältesten mir bekann- ten Werk des Meisters, steht Pintoricchio seinem Lehrer Fiorenzo di Lorenz© noch sehr nahe, und zwar so sehr, dass mancher Kunstjünger in Versuchung kommen könnte, hier den Lehrer mit dem Schüler zu verwechseln.^ Bei Beurtheilung dieses Gemäldes kann ich mir übrigens das Zeugniss geben, in demselben sowol den Geist als die Hand des Künstlers erkannt zu haben, ohne zu wissen, dass es schon von Vermiglioli als Werk des Ber- nardino Betti angeführt ist.' (f ) Das andere Bild, Nr. 37,
Abruzzen •tammte. Auch diese zwei Bilder wurden seit kurzem aus der Galerie verbannt.
* Beide Bilder traf leider dasselbe Los wie die vorigen, sie wurden nämlich ins obere Stockwerk des Palastes gebracht.
' Der zu lange Oberleib des Christkindes, der fliegende Mantel de« heiligen Christophoms sind durchaus den Vorbildern des Lehrera abgesehen, während der Kopftypus des Christophorus, die Form seiner Hand mit dem gebogenen Zeigefinger, die Fal- tenansätze im Mant«»l di« St(*11iing der langen Beine des Christo- phorus den V 'lon.
•Oio. Bat M$mori€ di Bemardino Pintu-
riechiOf S. 109, llU. i>as Bild gehörte damals einem Dottore Monaco.
144 Die Galerie Borgheso.
aus einer etwas spätem Zeitepoche des Pintoricchio stellt den heiligen Bartholomäus dar. Der Katalog schreibt es dem Giovanni Spagna zu. Der Typus sowie die Modellirung des Gesichtes verrathen jedoch sogleich den Geist und die Technik des Pintoricchio. Die Schatten- partien sind in derselben Weise schraffirt wie auf seinen Federzeichnungen, (f)
Wenden wir uns nun nach der Fensterwand zu, so fällt unser Blick auf das Porträt des Fra Savonarola (Nr. 36), das unglaublicherweise hier dem Filippino Lippi zugemuthet wird. Das ganz imbedeutende Mach- werk ist gewiss nichts anderes als eine der vielen schwa- chen Copien (von denen eine auch in der florentinischen Akademie sich befindet) des vorzüglichen Bildnisses von Savonarola, das sein Freund und Parteigenosse, der junge Bartolommeo della Porta malte und das gegen- wärtig im Besitz der Erben des Herrn Ermolao Ru- bieri ist.^ In diesem Saal hängt aber noch ein zweites Bild, das unrechtmässigerweise vom Katalog unserm Filippino zugerechnet wird. Es trägt die Nummer 71, ist über der Eingangsthiir aufgehängt und stellt „die Be- weinung Christi" dar. Dieses Gemälde ist sehr beschä- digt und gehört, soweit dasselbe noch beurtheilt werden kann, eher derWerkstatt des Meisters als diesem selbst an.^ Von diesem sehr begabten und liebenswürdigen Maler, von dem man in Florenz, Prato, Lucca so viele gute Werke findet, hat sich ausser den Fresken, die er mit Hülfe seines Schülers KafFaellino del Garbo in der Kapelle Caraffa in S. Maria sopra Minerva ausgeführt und die, beiläufig gesagt, nicht gerade zu seinen bessern Arbeiten
^ Bei dieser Gelegenheit will ich bemerken, dass die Feder- zeichnung des Lionardo da Vinci in der „Albertina" in Wien (Braun 97), die dort als Porträt des Savonarola gilt, wol eher einen andern Mönch darstellen dürfte, als den Fra Savonarola.
2 Wurde glücklicherweise aus der Galerie entfernt.
Die Tosoaner: Pintoricchio. 145
zu rechnen sind, in der Stadt Rom, soviel ich weiss, nichts mehr erhalten. Wer jedoch den geist- und an- muthsvollen Filippino näher kennen zu lernen wünscht, dem rathe ich nach Florenz zu wallfahrten, woselbst er in der Badia, in der Galerie degli üffizi, in der des Fürsten Corsini, in der Kirche S. Spirito, im Carmine, in S. Maria Novella, zur Genüge Gelegenheit haben wird, diesen geistvollen Künstler zu studiren. Auch die Sammlung im Pitti-Palast besitzt ein Werk des Filippino, zwar nicht wie uns die Direction mit ihrem Katalog glauben machen will in der Nr. 88 (der Tod der Virginia, ein Bild, das augenscheinlich die Arbeit eines andern, viel schwächern Schülers des Botticelli ist) (f ) und noch viel weniger in der Nr. 347 (Heilige Fa- milie mit Engeln), die wol eher von einem Nachahmer des Ghirlandaio herrühren dürfte, sondern in der Nr. 336. Dieses Bildchen, welches eine Allegorie dar- stellt, ist dort als „unbekannt" bezeichnet; ich bitte' meine gutwilligen jungen Freunde, in demselben die längliche Ohrform, die Hand mit den langen, an der Spitze breiten Fingern, den Gesichtstypus, sowie auch die Landschaft sich genauer ansehen zu wollen, und ich zweifle keinen Augenblick, dass sie meiner Bestimmung beipflichten und in dem Bilde sowol den Geist als auch die Hand unsers Filippino erkennen werden. *(f) Auch das Städtchen Prato besitzt in einem Tabernakel eine gute Arbeit des Filippino; ebenso die Kirche S. Domenico in Bologna, sowie auch die Sammlung des Seminario Vetjcovile in Venedig (dort unter dem sonderbaren Namen des Crespi). Da die Zeichnungen des Filippino gar oft von Anfängern mit denen seines Schülers, des soge- nannten Raffaellino di Bartolommeo del Garbo
* Bei den Oebrfldem AUnari in Florenz findet man eine gute Photographie diese« Bilde*.
LsaaoLiBrr. |q
146 Die Galerie Borghese.
verwechselt werden ^, so erachte ich es für Fcathsam, hier einige charakteristische Blätter sowol des einen als des andern Meisters anzuführen, damit der Kunstbeflissene sich mit dem Genius auch die dem Meister eigenthüm- liche Form sowol des Fusses als auch des Ohres und der Hand scharf ins Gedächtniss präge:
FILIPPINO.
In der XJffizien-Sammlung:
(Rahmen 37, Nr. 171 und 172; Rahmen 460, Nr. 1253 und 1257).
1. Rahmen 32 (32), Nr. 139, Studie zum Kopf der Maria im Bilde der Badia (Ohr).
2. Rahmen 40, Nr. 186, Skizze zu einem seiner Wand- gemälde der Cappella Strozzi in S.Maria No vella in Florenz.
Ambrosiana-Sammlung in Mailand:
3. Studie zum Kopf des einen der drei Könige in seiner „Anbetung" der Uffizien- Galerie (Ohr) (dem Lionardö da Vinci zugeschrieben), (f)
In der Sammlung von Lille:
4. Braun Nr. 9, unter dem Namen des Masaccio. (f )
In der Dresdener Sammlung:
5. Studie zu einem heiligen Johannes (unter dem Namen des Cosimo Rosselli), Braun 40. (f)
6. Sitzender Mann (unter dem Namen des Cosimo Rosselli), Braun 41. (f)
In der Louvre-Sammlung :
7. Ein sitzender Mann, den Kopf auf seine linke Hand gestützt (Katalog Reiset, Nr. 230, unter dem Na- men des Fra Filippo Lippi). (f)
^ Das kleine Bild, die „Communion des heiligen Hieronymus" darstellend, im Hause Balbi in Genua, das Director Bode (II, 581) dem Filippino zuschreibt, ist wol nichts anderes, denke ich, als eine alte Copie des Originalbildes von Botticelli bei den Erben des Marchese Gino Capponi in Florenz.
Die ToBcaner: Raffaellino del Garbo. 147
RAFFAELLINO DEL GARBO.
In der Uffizien- Sammlung: 1. Rahmen 83, Nr. 350 und 352.
In der Sammlung von Chrlst-Church College in Oxford:
•2. Photograpbirt im Werke der Grosvenor-Galerie, Nr. 44.
Im Britischen Museum:
3. Photograpbirt von Braun, Nr. 113 (Hand u. Fuss).
In der Sammlung von Lille:
4. Photographirt von Braun, Nr. 23 und 24, unter dem Namen des Domenico del Ghirlandaio. (f)
Auf der rechten Wand dieses Saales hangt ein weib- liches Porträt (Nr. 38), bei dessen Anblick jeder Kunst- freund sogleich ausrufen wird: dies Gesicht kommt mir wohlbekannt vor. Der Katalog sagt uns nichts weiter darüber, als dass es im „Stil des Perugino" gemalt sei. Gegenwärtig trägt es den der Wahrheit näher kommen- den Namen des Ridolfo del Ghirlandaio, den ich in meinen frühern Besprechungen der Bilder dieser Galerie vorgeschlagen hatte. Weder die Modellirung, noch der Farbenaccord und noch viel weniger der landschaftliche Grund erinnern an die Schule des Perugino, wol aber an die florentinisch(> aus dem ersten Deoennium des 16. Jahrhunderts.^
* Dm Auge desselben oder der Faltenansats ist nicht rund- Hob, wie es die Schüler des Pemgino and Pintoricchio zu bilden pflegen, sondern viereckig, wie wir ihn namentlich bei Oranaoci und bei Ridolfo Ghirlandaio finden. Die Haarmasse ist mit wenig Geschmack hingemslt; die Landschaft in ihrem kalten r !) <len Bildern des Oranacci , als an
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148 I^iö Galerie Borghese.
Diese voUbackige, etwas nüchtern in die Welt hinein- blickende junge Frau ist, wie mancher meiner verehrten Leser wol errathen haben diirfte, niemand anders als die Maddalena Strozzi, des reichen und, wie die bösen Zungen meinten, etwas geizigen Florentiners Angelo Doni Lebensgefährtin, dessen Bekanntschaft wir durch die Vermittelung des jungen Raffael Santi schon im Pa- last Pitti in Florenz gemacht haben. Die Raffaelische Federzeichnung zu diesem Frauenbild befindet sich in der „Salle aux boites" des Louvre. Ein tüchtiger, dem Francesco Granacci sehr nahe stehender Künstler, wenn nicht Granacci selbst, mag nun, wie mir scheint, die RaffaeTsche Zeichnung^ benutzt haben, um ein Heiligenbild daraus zu machen, wahrscheinlich für irgendeinen Verwandten, vielleicht sogar für einen from- men Anbeter der pausbackigen Maddalena, die durch den Maler hier in eine heilige Katharina verwandelt worden ist.^ (f) Dergleichen Kanonisationen hübscher oder für hübsch gehaltenen Weiber durch die Maler, ohne Zustimmung des Heiligen Vaters, kommen in der Kunstgeschichte Italiens gar oft vor.
So schrieb, um ein Beispiel davon hier anzuführen, im Jahre 1594 Arnolfini an seine geliebte Nonne Lu- crezia Buonvisi von Lucca, sie möchte ihm ja eine „ge- wisse Leinwand" schicken, worauf sie als heilige Ur- sula abgebildet ist (in figura di S. Orsola)^ „ damit er sich wenigstens am Anblick des Bildes erlaben könne" (^perche possa almeno bearmi nella vista della immagine).^
^ Auf unserm Bilde hier sind nämlich wie auf der Feder- zeichnung Raffael's im Louvre die zwei Säulen an den Seiten des Fensters angebracht, welche auf dem Porträt im Pitti-Palast fehlen.
* Siehe Passavant, II, 278. Dieses Bild gehörte dem Mar- chese Letizia von Neapel und galt für das Werk Raffael's.
^ Siehe das gut geschriebene Büchlein: Storia di Lucrezia Buonvisi, raccontata da Salvatore Bongi (Lucca 1864), p. 114.
KATBAftlJIA tir On BOlOHSnOALnOL 8.1A
Die Toscaner: Pier di Cosimo. 149
PIER DI COSIMO.
Wenden wir uns nach der gegenüberliegenden Wand, so begegnet unser Blick einem Rundbild (Nr. 16), auf dem die Jungfrau das vor ihr liegende Kindlein mit gefalteten Händen verehrt, während daneben zwei Engel an der mütterlichen Andacht der Maria theilnehmen. Der Katalog weist dieses sehr verdorbene Gemälde der Schule RaffaePs zu, ja, derselbe drückt sich eigentlich viel bestimmter aus: ^^abbozzo di RafaellOy fatto nei primi anni sulla maniera del Petntgino'''', Quante parole^ tafiti apropositi (jedes Wort ein Unsinn) sagen die Ita- liener. Gegenwärtig trägt sowol dieses Bild (Nr. 16) als das andere kleinere (Nr. 60) den Namen des Pier di Cosimo. Das Colorit des höchst interessanten Bildes gemahnt uns, namentlich das Hochroth des Kleides der Maria, wieder an Filippino's herrliches Bild in der Badia in Florenz, während die zwei Putti uns eher an die Putti des Sodoma und des Cesare da Sesto erinnern. Nun waren sowol Sodoma als Cesare da Sesto im An- fang des Jahres 1500 in Florenz.^ Geht man nun näher auf die Form der einzelnen Körpertheile ein, wie z. B. der unschönen, hölzernen Hand, der Gesichtsbildung, betrachtet man sich namentlich noch die Landschaft und die Faltenlage genauer, so dürfte man bald und mit Sicherheit den wahren Meister dieses Bildes finden. Dieser ist nämlich kein anderer als Pier di Cosimo (f),
* Nach einem Rundbild des Cesare da Sesto (von dem in diesem Saale eine Copie, Nr. 26^ hängt und eine andere unter dem Namen des B. Lnini in der Uffizien-Galerie, Nr. 1018), im Besitze der herzoglichen Familie Melzi d'Eril in Mailand, sowie besonders nach einem Bild mit der „Anbetung der Könige" in der Galerie Borromeo in Mailand (f) zu schliessen, muss Cesare da Sesto in den 'ersten Jahren des 16. Jahrhunderts in Florenz sich aufgehalten und manchen Einfluss von dortigen Künstlern, namentlich auch von Lorenzo di Credi und Alber- tinelli, in sich anfgenommen haben.
150 I^iß Galerie Borghese.
von dem uns Vasari eine sehr knappe, ungenügende Biographie hinterlassen hat. Pietro di Lorenzo, Pier di Cosimo genannt, wurde ums Jahr 1462 in Florenz ge- boren und starb daselbst 1521. Dass derselbe Schüler des Cosimo Rosselli gewesen, von welchem letztern sein Beiname herrührt, ist festgestellt; dass er folg- lich in näherer Berührung mit dem jungen Barto- lommeo della Porta (geboren 1475) und mit Mariotto Albertinelli (geboren 1474) gestanden, auf die er als alterer und somit geübterer Ateliergenosse auch einen Einfluss gehabt haben mag, namentlich im Landschafts- fache, ist ebenfaUs sehr wahrscheinlich; dass er ferner in seiner trefflichen Altartafel (Stanza del Commissario degli Innocenti in Florenz) ein nahes Verhältniss so- wol in den Gesichtstypen seiner Figuren wie auch in Nebendingen mit Filippino Lippi verräth, wird man, wie ich hoffe, nicht in Abrede stellen wollen. Unter den Malern des 15. Jahrhunderts hat, wenn wir Benozzo Gozzoli, Pintoricchio und Lorenzo Costa ausnehmen, vielleicht keiner mit solcher Liebe der Landschaft sich hingegeben wie Pier di Cosimo, und in der That liefern uns vollen Beweis davon auf gar manchem seiner Bilder jene oft etwas phantastischen landschaft- lichen Hintergründe, die jedoch immer geistreich ge- dacht und mit Fleiss ausgeführt sind, wovon man in den Uffizien reichliche Gelegenheit hat sich zu über- zeugen. ^ Auch mag Andrea del Sarto diese Vorliebe
^ Die Landschaft auf dem Bilde von Pier di Cosimo, Nr. 124G, worauf die Befreiung Andromeda's dargestellt ist, ist durchaus identisch mit derjenigen auf diesem Rundbild der Galerie Bor- ghese. Im Inventarium der Galerie degli Uffizi, vom Jahre 1580, heisst es, dass das Bild von Lionardo da Vinci gezeichnet und von Pier di Cosimo nur gemalt sei (Vasari, VII, 119, 2). Ich halte gewöhnlich sehr wenig auf dergleichen „Traditionen", dies- mal jedoch scheint mir dieselbe doch einiger Beachtung werth. Denn in jenem Bilde des Pier di Cosimo haben allerdings meh-
Die Tosoaner: Pier di Cosirao. 151
für schöne landschaftliche Grunde von seinem Lehrer Pier di Cosimo ererbt haben. Bei dieser Gelegenheit gestatte man mir, zumal die Werke dieses Meisters so selten sind, noch zwei Werke Piero's zu erwähnen, von denen das eine in Rom, das andere im Louvre sich befindet. Das erstere stellt in halber Figur eine hei- lige Magdalena dar, ist gut erhalten und erinnert in der Gesichtsbildung an Filippino Lippi. Das Kleid ist dunkelgrün, der Mantel hochroth mit schwarz schraffir- ten Schatten, die bräunlichen Haare sind, wie immer bei Piero, glatt über die Schläfe gezogen und mit einer Perlenschnur geschmückt, der Ausdruck der schonen Büsserin ist von einer milden, liebenswürdigen Melan- cholie, Hintergrund dunkel. Dieses herrliche Gemälde gehört dem ehrenwerthen Baron Giovanni Barracco aus Neapel, Mitglied des italienischen Senats, einem der gebildetsten Kunstfreunde, die ich in Italien kennen zu lernen Gelegenheit hatte. Das Bild wurde von ihm vom romischen Monte di Pieta erworben, woselbst es thörichterweise für ein Werk des Mantegna galt. Das andere Bild stellt die Madonna mit dem Kind dar und befindet sich in der Louvre-Galerie, Nr. 497, unter den y, Unbekannten". Der verstorbene Galeriedirector V. Both de Tanzia wurde bei Betrachtung des Bildes an L. Signorelli erinnert. Herr Doctor Gustavo Frizzoni erkannte jedoch darin sogleich die Hand des Pier di Cosimo.* Noch ein anderes Werk unsers Pier di Co-
rere Köpfe nicht nur da« ^^sfumato** des Lionardo, londem auch einen an die f,Oioconda** gemahnenden Ausdruck. Pier di Co- simo dürfte folglich jenes sein Bild etwa um 1506 gemalt haben, als nämlich Lionardo das Portr&t der Mona Lisa vollendete. Dass aber auch die Composition dem Pier di Cosimo und nicht Lio- nardo gehöre, versteht sich von selbst.
> Die Herren Crowe und Cavaloasellc (III, 421) wollen die Mitwirkung des Pier di Cosimo in all jenen Altarlafeln in der Kirche von S. Spirito in Florens erblicken, die dort bald dem
152 I^i« Galerie Borghese.
simo haben wir hier zu verzeichnen. Dasselbe ist zwar nicht dem jugendlichen Rafi'ael, sondern einem Schüler oder Nachahmer seines eigenen Schülers Andrea del Sarto zugeschrieben, nämlich dem Franciabigio, der uns schon als Lehrer des Bacchiacca bekannt ist und der, wie gesagt, vielleicht auch in der Werkstatt des Pier di Cosimo gelernt haben mag. Dies Bildchen stellt das „Urtheil Salomonis" vor und ist im Katalog unter Nr. 60 aufgeführt, (t) Auch diese hübsche kleine Tafel hier dürfte von Piero zum Schmuck irgendeines Möbels gemalt wor- den sein. Man ersieht daraus, dass die reichen Floren- tiner im zweiten und dritten Jahrzehnt des 16. Jahr- hmiderts derlei Arbeiten mit Vorliebe jener Gruppe gfistreicher Maler übertrugen, die direct oder indirect sicli in der Werkstätte unsers Pier di Cosimo gebildet hatten, wie Andrea del Sarto, Franciabigio, Pontormo, Bacchiacc« u. a. m.
Die älteren Werke des Piero, wie z. B. Nr. 1250 in der Galerie degli Uffizi; das grosse Bild in der Stanza del Commissario degli Innocenti daselbst; die heilige
Ghirlaudaio, bald dem P'ilippino Lippi oder, mit grösserer Sach- keuntniss, dem Cosimo Rosselli zugeschrieben werden. Ich will dies Urlheil dahingestellt sein lassen, kann aber einige Zweifel au der Richtigkeit desselben kaum unterdrücken, und dies um 80 weniger, als jene Herren auch von diesem Meister keinen klaren Begriff sich gebildet zu haben scheinen, da sie sonst die Werke des Pier di Cosimo nicht nur in dieser Borghese-Galerie, sondern auch jene im Museum von Berlin und in der Dresdener Gfilerie sogleich würden erkannt haben, wogegen sie über alle diese Bilder das tiefste Stillschweigen beobachten. Was die drei Bilder in der Kirche S. Spirito anbelangt, so kommen mir die- selben als Atelierwerke des Cosimo Rosselli vor, und himmel- weit entfernt von denen des Pier di Cosimo. Auch die Kohle- zeichnung mit dem nackten, liegenden Kind in der Sammlung in Weimar (Braun, 19) ist gewiss nicht von der Hand des Pier die Cosimo und ebenso wenig das Porträt im ersten Gange der Uffizien (Nr. 32), jetzt unbegreiflicherweise Pietro Rosselli ge- tauft — augenscheinlich ein Werk des Ridolfo del Ghirlandaio. (f)
Die Toscaner: Pier di Cosimo. 153
Magdalena des Senators Barracco; das „tondo" der Dresdener Galerie; die Bilder unter den Nrn. 107 und 204 im Berliner Museum; das trefiliche Bild iu der National Gallery (Tod des Procris); das Madonnen- hildchen im Louvre: alle diese Bilder deuten auf einen Einfluss Filippino's und gehören wahrscheinlich den letz- ten Jahren des 15. Jahrhunderts oder den ersten Jahren des 16. an. Das Bild des Pier di Cosimo dagegen, welches in der üffizien -Galerie unter Nr. 1246 aufge- stellt ist und worin am deutlichsten ein leiser Einfluss Lionardo's zu Tage tritt, hat jene hellere Farbengamme, wie sie später zum Theil Andrea del Sarto und viel mehr noch Bacchiacca zu den ihrigen gemacht haben. Auch jene dem Piero eigenthümliche rundliche, fast ge- quetschte Schädelform zeigt sich erst in seinen spätem Bildern, wie z. B. in den Nrn. 28, 38, 1246 der Ufßzien- Galerie und in Nr. 60 unserer Borghese-Sammlung. Es sind dies lauter kleine, zur Verzierung von Möbeln oder Zimmerwänden bestimmte Bilder. Die freigewordene Kunst fing dazumal schon an, die Wände der Gottes- liäuser zu verlassen und, ihre volle Freiheit benutzend, in die Wohnungen der Menschen einzukehren.
MARIOTTO ALBERTINELLI.
Um nun den übrigen Bildern florentiner Meister innerhalb dieser Galerie uns zuzuwenden, müssen wir uns ins zweite Zimmer begeben und da finden wir an der linken Wand unter der Nr. 40 eine heilige Familie mit der vergoldeten Jahreszahl 1511 bezeichnet. Die Composition dieses Bildes scheint von Fru Bartolommeo dclla Porta herzustammen, indess die flüchtige Aus- führung derselben gehört unbedingt dem Mariotto Albertinelli an. (f) Das Bild stellt die Madonna mit dem Jesuskind und dem kleinen Joiiaunes dar. Ausser der goldenen Jahreszahl ist noch das bekannte rothe Kreuz mit den zwei ineinander verschhuigenen Ringen
154 Die Galerie Borghese.
darauf angebracht. Das Kreuz soll das Kloster von S. Marco in Florenz bedeuten, die zwei Hinge die beiden Freunde und Mitarbeiter Fra Bartolommeo und Ma- riotto. Solcher schwachen Erzeugnisse aus den Jahren 1510, 1511 und 1512 bekam ich mehrere zu Gesicht, sowol in Privatliäusern (in Florenz im Hause des Mar- chese Bartolommei, in Rom im Hause Guerrini-Antinori) als auch in öffentlichen Sammlungen, wie z. B. in der des Belvedere in Wien mit der Jahreszahl 1510, in der des Fürsten Corsini in Florenz vom Jahre 1511. (f) Das Kloster von S. Marco, behauptet man, lieferte das Material zu solchen Fabrikbildern, deren Erlös sodann in zwei Hälften getheilt wurde, wovon die eine dem Fra Bartolommeo und somit dem Kloster, die andere dem Albertinelli anheimfiel. Ein dem oben beschrie- benen Bilde der Borghese-Galerie ähnliches Werk mit der gleichen Jahreszahl sah man früher auch in der jetzt unzugänglichen Galerie Sciarra-Colonna in Rom, woselbst es, wie sich dies von selbst versteht, ebenfalls dem Fra Bartolommeo zur Last gelegt wurde, (f ) Die Herren Crowe und Cavalcaselle möchten dagegen diese so bezeichneten Bilder (III, 478 und 482) dem Fra Paolino da Pistoia vindiciren. Ich kann beim besten Willen auch diesmal ihre Ansicht nicht theilen. Fra Paolino erscheint in seinem Wandgemälde vom Jahre 1516, „den Gekreuzigten nebst mehrern Heiligen zur Seite" darstellend, im Hof von S. Spirito in Siena^, als ein höchst ungelenker, schwacher Maler 2; ja selbst
* Die Zeichnung zu diesem Wandgemälde in den Uffizien: Rahmen 484, Nr. 1402.
2 Man besehe sich doch in jenem Wandgemälde, wie dick und ohne alle Anmuth die Köpfe der Magdalene und des Jo- hannes, wie hart die Hände mit den kurzen klobigen Daumen, wie schlecht modellirt der Körper des Christus ist, wie roh die Aermelfalten sind. Kurz man sieht, dass im Jahre 1516 Fra Paolino noch Anfänger war, während die Gemälde des Albertinelli
Die Toscaner: Mariotto AlbertinellL 155
in seinem grossen Bild vom Jahre 1519 in der Aka- demie von Florenz ist er noch klotzig und steif und nur in seinen spätem Werken (1528) in S. Domenico und in S. Paolo zu Pistoia ahmt er mit grösserer Ge- schicklichkeit den Fra Bartolommeo nach. Fra Paolino war, wie uns Vasari berichtet, der Sohn eines schwa- chen Schülers des Domenico Ghirlandaio, nämlich des Bernardo del Signoraccio und hatte aller Wahrschein- lichkeit nach seine Lehrjahre in der Werkstatt seines Vaters durchgemacht, ehe er mit Fra Bartolommeo in Berührung kam. Man vergleiche aber diese soeben an- geführten Madonnenbilder aus den Jahren 1510, 1511 und 1512 mit dem höchst sorgfältig ausgeführten Ge- mälde der „Verkündigung", aus der nändichen Zeit von der Hand des Mariotto Albertinelli, gleichfalls in der florentinischen Akademie aufgestellt, und selbst mit der 1503 ausgeführten Predella, Nr. 1259, in der Uffizien- Galerie mit demselben Madonnentypus, und man wird in allen diesen Werken die nämliche Modellirung des Auges mit den scharf beleuchteten Rändern der Augen- lider, dieselbe Form der Hand mit dem kurzen eigen- thümlich geformten Daumen und den graugefärbten Nägeln, ja sogar denselben Nimbus wahrnehmen, nur mit dem Unterschied, dass diese in der Klosterfabrik ausgeführten und wahrscheinlich für wenig bemittelte Besteller gefertigten Malereien höchst fahrlässig behan- delt sind. Um aber in dieser Streitfrage zwischen den
aoB den Jahren 1510—1512 die Hand eines Praktikers verrathen. Ausser den bekannten Werken des Fra Paolino in Pistoia be- sitzt auch die dortige Spitalkirche eine „thronende Madonna" mit den Heiligen Hieronymus, Sebastianus, Maria Magdalena, dem klei- nen Johannes und einer andern Heiligen. In demselben Kirch- lein befindet sich noch ein trefiliches grosses Tafelbild von Lo- renzo di Credi: thronende Madonna mit dem Christkind, welches der vor ihm knienden Magdalena den Segen ertheilt, dabei die Heiligen Katharina, Johannes der Täufer und Hieronymus.
156 I)ie Galerie Borghese.
Herren Crowe und Cavalcaselle und mir mit einem Schlage ein Ende zu machen, sei hier noch das grosse Bild mit der „Verkündigung" im Genfer Museum er- wähnt. Jenes Tafelbild trägt folgende Aufschrift:
1511. FRIS. BARTHO. OR. P. ET MARIOTTI FLORENTINOR OPVS.
Wäre dieses Bild in Genf dem Herrn Director W. Bode bekannt gewesen, so würde er, denke ich, doch Anstand genommen haben, auch in diesem Urtheil seinen Lehrern zu folgen (II, 675). Sowol Bartolommeo della Porta als auch sein um wenige Monate älterer Schul- und Arbeitsgenosse Mariotto machten in der in den achtziger Jahren des 15. Jahrhunderts vielfach besuch- ten Werkstätte des Cosimo Rosselli ihre Lehrzeit durch. Gegen das Jahr 1485 dürfte, neben dem Meister selbst, Pier di Cosimo in jener Werkstatt thätig gewesen sein, sodass es, wie gesagt, sehr wahrscheinlich erscheint, dass die Aufsicht und die Leitung der Schüler diesem letz- tern vom Meister Rosselli überlassen wurde. Und in der That, wenn wir die Federzeichnungen des Fra Bar- tolommeo und des Mariotto in den Uffizien mit der Federzeichnung des Pier di Cosimo „die Anbetimg des Christkindes" (Nr. 343, Rahmen 80, Braun 211) ver- gleichen, so stellt sich deutlich heraus, dass dieser letz- tere in der Technik einen starken Einfluss auf die bei- den ersten ausgeübt haben muss. In der Folge jedoch wurde das Vorbild des Albertinelli der begabtere und auch gediegenere Fra Bartolommeo, und dieses sein Stre- ben ist ihm auch so gut gelungen, dass noch heutzu- tage mehrere Werke aus der Frühzeit des Albertinelli unter dem Namen des Fra Bartolommeo gehen, wie z. B. das schöne kleine Triptychon aus dem Jahre 1500 in der Sammlung Poldi-Pezzoli in Mailand (f); das Ma-
Die Toscaner: Mariotto Albertinelli. 157
donnenbild iü der Sammlung des Serainario Vescovile zu Venedig (f); die zwei Tafeln mit den Heiligen Katha- rina und Magdalena (Nr. 91 und 99) in der Akademie von Siena * (f) ; während andererseits eine Jugendarbeit von Bnrtolommeo della Porta, das „Noli me tangere'** im Louvre (Nr. 17) (f) fTw .In Werk des Mariotto Al^ bertinelli gilt.^
In den letzten Jahren den 15. Jahrhunderts, als Albertinelli in Gesellschaft seines Freundes Bartolommeo della Porta im Kloster von S. Maria Nuova thätig war, muss das grosse Triptychon mit den Porträts der Por- tinari-Familie von Hugo van der Goes, das sich in jener Kirche befand, einen starken Eindruck auf ihn aus- geübt haben. Offenbar trachtete er in etlichen Bil- dern aus jener Zeit jenen YJamländer, schwerlich den Memling wie Herr Director Bode (II, 676) meint, nachzuahmen und zwar nicht nur in der Farbenharmonie und in der Kleidertracht, wie im Triptychon des Museo Poldi, sondern auch in der sorgfältigen Ausfuhrung seiner landschaftlichen Gründe, wie in der „Verbannung aus dem Paradies" bei Basseggio in Rom.^ Mario tto's
* Die Herren Crowe und Cavalcaselle (III, 473) schreiben dieae zwei Tafeln ihrem Fra Paolino zu.
' Die Herren Crowe und Cavalcaselle, die das Bild als Ar- beit des Albertinelli ansehen, setzen es ins Jahr 1494 (!). In diesem Bild ist die Form der Hand sehr bezeichnend für Bar- tolommeo; die Landschaft erinnert an die auf dem Bilde des Fra Bartolommeo in der florentinischen Akademie, vom Jahre 150(j(?): der heilige Bernhard, welchem die Maria mit dem Christkind er- scheint. Die schöne Kreidezeichnung zum heiligen Bernhard ist im Besitze Sr. Ko it des Grossherzogs von Weimar (Braun 25).
' Dieses I des Albertinelli, welches neuerdings nach
England verkauft wurde, wird von den Herren Crowe und Ca- valcaselle als Jugendwerk Raffael*s angenommen. (!) Passavant (II, 814) sagt von diesem Bilde, in welchem er richtig die Hand AI- bertinelli's erkannte: „L9 pap$age eH riche, mais froid de ton^'^ (d. h. niederländisch).
158 I^ie Galerie Borghese.
Bilder aus den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts, wie die treft'liche „Heimsuchung" vom Jahre 1503 in den UfTfizien, die zwei Heiligen Johannes der Evangelist und Magdalene (Bruchstücke in der Sammlung des Herrn Giovanni Morelli), kommen der Art und Weise des Fra Bartolommeo sehr nahe, mit dem Unterschied je- doch, dass die Figuren weniger schlank und edel sind als die des Frate und dass das Laubwerk der Bäume mit der sorgfältigen Feinheit des Miniators ausgefiihrt ist, was in den Landschaften Fra Bartolommeo's nie statthat. Kurz vor dem Tode des Filippino Lippi (1504) und als sein Freund Bartolommeo schon seit Jahren sich in die StiUe des Klosters zurückgezogen hatte, muss Mariotto in ein innigeres Verhältniss zu Filippino ge- treten sein. Einige seiner Bilder aus jenen Jahren, wie das schöne Tondo (Nr. 365) im Pitti-Palast, sowie auch sein Bild im Dom von Volterra, tragen den Einfluss Filippino's an der Stirn. Auch war es Albertinelli und kein anderer, dem beim Tode Filippino's der Auftrag wurde, die grosse Altartafel (Nr. 16 im Louvre), welche Filippino kaum begonnen hinterlassen hatte, zu voll- enden. Die Figur des heiligen Hieronymus auf diesem letztern Bild wurde augenscheinlich noch von Filippino selbst auf die Tafel gezeichnet. ^ Aus der spätem Zeit Albertinelli's besitzt die florentinische Akademie einige gute Bilder.
Die besten Werke des Fra Bartolommeo befinden sich wol in Lucca; die grössere Zahl derselben ist jedoch leider durch abscheuliche Uebermalung entstellt. In Rom selbst ist mir, ausser dem Bilde in der Corsini-Galerie, kein anderes Werk dieses grossen Meisters bekannt.
In Florenz dagegen sieht man sowol in der Uffizien-
' Der Typus des Heiligen sowol als die Form der Hand und die des Ohres sind ohne grosse Mühe als Arbeit des Filippino zu erkennen.
Die Toscaner: Andrea del Sarto. 159
Galerie, wie auch in der Akademie und im Palazzo Pitti mehrere charakteristische Bilder von ihm. Eins der vorzüglichsten aus des Meisters Frühzeit gelangte jüngst aus dem Hause der verstorbenen Grafen Baldelli in Florenz in die schone Sammlung des bekannten Staatsmannes Marchese £milio Visconti-Venosta in Mai- land. Es ist dies ein Tondo mit der heiligen Familie, die das am Boden liegende Kind anbetet; der Carton zu diesem Bilde befindet si«}» in il.r florentinischen Akademie.*
Ausserhalb Italiens sind die W erko des Fra Barto- loniiiR'o und des Albertinelli von grosser Seltenh<Mt.
ANDREA DEL SARTO.
Von Fra Bartolommeo werden wir unwillkürlich auf Andrea del Sarto geführt, dessen vermeintliche Werke im folgenden, dritten Saal aufgestellt sind. Unter Nr. 39 sehen wir eine heilige Familie (lebens- grosse Figuren), mit dem echten Monogramm des Malers versehen, d. h. mit den zwei verschlungenen A. Ehe die florentinischen Commentatoren des Vasari aus- findig gemacht, dass der wahre Name des Malers An- drea del Sarto nicht, wie Baldinucci angab, Vannucchi, sondern Andrea d'Agnolo war (heutzutage würde man
' Die Zeichnaogen aus der Frübzeit des Bartolommeo della Porta sind meist mit feiner Feder ausgeführt, wie man deren gar manche in den Uffixien (Rahmen 457, Nr. 1233—1239) und auch in der Sammlung de« British Museum findet (Braun 1, 2, 3 und 4) ; jene aus seiner sp&tem Zeit dagegen sind fast alle mit der Kohle oder auch mit der schwanen Kreide ausgeführt. Nicht seilen werden Fedeneichnungen seines Nachahmers Andrea del Brescianino ihm selbft sngeachrieben , so z.B. in der Uffizien- Sammlung, Rahmen 468, Kr. 1244. (f) Andrea del Brescianino copirte nicht nur die Zeichnangen, sondern auch die Bilder des Fra Bartolommeo, so i. B ••• .i— r-'-'-^r Akadon ■ 1 ■ heilige Familie**, Nr. 138. (t)
160 I^ie Galerie Borghese.
also Angeli oder de Angelis sagen), fand man gewöhn- lich auf den Bildern, die in den Sammlungen dem An- drea zugeschrieben wurden, ein A und ein V ineinander verschlungen, welche Buchstaben eben als Monogramm des Andrea Vannucchi oralten. Nach der Entdeckuno- des echten Namens des Malers aber wurde jenes Mono- gramm meist corrigirt, d. h. es ward dem V ein Quer- strich hinzugefügt und dieser Buchstabe \^^ W^ damit in ein A verwandelt, sodass auf ^^^A^ yv\^ diese bequenie Art wieder das echte Mo- nogramm des Andrea del Sarto, aus zwei verschlungenen A, hergestellt wurde. Solche verbes- serte Monogramme sehen jedoch alle sehr aufgefrischt und neu aus, wie z. B. dasjenige, das wir hier vor Augen haben. ^ Die Composition dieses Bildes ge- hört allerdings dem Andrea, die Ausführung desselben ist indess zu hart und viel zu geistlos für den Meister. Ich halte es daher für eine der vielen Copien, die man von diesem trefflich componirten Bild zu sehen bekommt. Von den andern ebenfalls dem Andrea del Sarto zugemutheten Bildern lässt sich ungefähr dasselbe sagen und es möge sowol mir als nament- lich meinen verehrlichen Lesern die Mühe erspart blei- ben, uns bei denselben aufzuhalten. Eine Ausnahme davon macht jedoch die in der Nähe des Fensters auf- gestellte heilige Magdalene^, ein Bild, welches vielfach
^ Auch in der Doria-Galerie sieht man im Braccio I, unter Nr. 37, ein Madonnenbild mit dem Täufer, auf dem das Mono- gramm des Andrea del Sarto gezeichnet ist. Nach meiner An- sicht ist jenes Bild das Werk eines deutschen Malers, der die Madonna mit dem Kind dem Andrea del Sarto, den Täufer mit seinem mit Pelzwerk verbrämten Rock jedoch wahrscheinlich dem A. Dürer entnahm. Die Form der Hand, sowie der Kopf jenes Täufers kommen mir sehr Dürerartig vor. (f)
' Aus derselben Wirkungszeit des Puligo besitzt Marchese Covoni in Florenz das Porträt einer jungen Frau.
Die Tosoancr: Jaoopo da Pontormo. 161
copirt wird.* Meinem Dafürhalten nach gehört das reizende Gemälde zwar nicht dem Andrea, jedoch einem seiner fleissigsten Nachahmer, ich meine dem Domenico Puligo an (f), von dem ein paar andere Werke in diesem nämlichen Zimmer aufgestellt sind, sowie auch eines in der Galciic (^t»l<nina. Nr. 17.
JALui^j DA i^uNiOKMU.
Ein anderer von Andrea vielfach beeinflusster flo- rentiner Maler war Jacopo da Pontormo (1494 — 1556). Ihm und nicht seinem Schüler Angelo Bronzino, wie der Katalog angibt, gehört das gute Porträt Nr. 44 im dritten Saal an.^ (f) Es stellt einen altern Mann dar in rothsiimmtenem Unterkleid und mit einem Buch in der Ilnnd, Kniestück in Lebensgrosse.
Lassen wir jedoch all dieses Mittelgut florentinischer Kunst beiseite und richten wir dafür unser Auge auf ein Werk aus jener Schule, das unsere ganze Aufmerksam- keit verdient. Ich sage florentinischer Schule, obwol der Katalog das lebensgrosse Bildniss eines Cardinnls keinem andern Meister zuschreibt, als dem „göttlichen^^ Kaffael selbst, und als solches wird es natürlicherweise auch vom kunstliebenden Publikum angesehen und be- wundert.' Heilige Macht des Namens! Dies schone
* Eine alte Copie dieses Bildes sieht man auch in der Tu- riner Akademie. Nr. 148.
* Dasselbe wurde vom neuen Director der Galerie in meinem Sinne kürxlioh neu benannt.
* Passavant (U, 3.58) glaubt, der Kopf und die Hände (!)• hätten das Raffaersohe Gepräge, alles übrige wäre von einem Scliöler ausgeführt, und weist dabei namentlich auf den Teppich hin^ der die Hand desselben Malers verrathe, welcher den Tep- pich auf dem Porträt dos CardinaU Inghirami in der Pitti-Galerio gemalt Wir sahen jedoch, dass dieses letztere sogenannte Raffaer- sche Bildniss von andern Kunstforschern als vlämische Copie angesehen wird.
L««oM.rr. II
162 Die Galerie Borgbese.
Bildniss hängt im zweiten Zimmer der Galerie und ft'ihrt die Nummer 21. Der Cardinal, ein Mann in mittlem Jah- ren, sitzt an einem mit türkischem Teppich bedeckten Tisch, auf welchem eine kostbar ciselirte Klingel steht, ähnlich derjenigen, die wir im classischen Porträt Leo'sX. von Raffael im Pitti-Palast finden. Der hohe Herr sitzt mit vornehmem, jedoch sehr natürlichem Anstand da und blickt uns mit grosser Sicherheit an. Die Farben des Gemäldes sind harmonisch, allein weder umbrisch noch römisch -Raffaelisch, sondern durchaus florenti- nisch. Betrachte ich nun den Cardinal genauer, so will es mir scheinen, als ob aus dieser Gestalt der Ge- nius des Pontormo herausschaue, da doch niemand leug-
Die Hände auf dem Porträt des Cosimo Medici von Pontormo.
nen wird, dass in allen echten Kunstwerken etwas vom Wesen des Künstlers selbst steckt. ^ Die Modellirung der tiefliegenden, eingesackten Augen ist durchaus die des Pontormo, auch die Zeichnung der Hände mit der diesem Meister ganz eigenthümlichen verfehl- ten Modellirung der ersten Phalanx des Zeige- fingers^, sowie das schwammige Incarnat und eben-
^ üeber die Persönlichkeit, die wir in diesem Bilde vor Augen haben, weiss ich nichts Positives mitzutheilen ; Passavant (II, 358) meint, es könnte vielleicht den Cardinal Borgia vorstellen.
^ Diesen Fehler scheint Pontormo von seinem Vorbild An- drea del Sarto überkommen zu haben , nur dass er, wie dies bei
Die Toscaner: Jacopo da Pontormo. 163
falls der florentinische, an A. del Santo erinnernde Hinter- grund, lassen mir wenigstens keinen Zweifel mehr übrig, dass der Rafiael dieses trefflichen Porträts kein anderer sei, als unser Jacopo Carucci da Pontormo. (f) Wer aber den Wunsch hätte, sich davon gründlicher zu über- zeugen, der möge dieses Porträt mit dem Bildniss des alten Cosimo de"* Medici vergleichen, welch letzteres ein unbestrittenes Werk des Pontormo und in den Uffizien unter Nr. 1266 aufgestellt ist, sowie auch mit den an- dern zwei Bildnissen daselbst, Nr. 1270 und 1267.
Ein anderes Werk des Pontormo, welches in Rom unter dem Namen des Peruzzi geht, ist der Pygmalion in der Barberini- Galerie (II. Saal, Nr.. 64). (f) — Die besten Werke dieses Meisters sind in Florenz: im Pitti- Palast und in der Uffizien-Galerie; im Palast des Mar- chese Farinola; in den Kirchen von S. Michelino und S. Felicita ; in der Villa Poggio a Cajano. Gute Zeich- nungen: in der Ufßzien-Sammlung, Rahmen 224, Nr. 671 und 672; Rahmen 226, Nr. 675, und ebendaselbst: Rah- men 147, Nr. 526, die Federzeichnung mit Gottvater der dem Noah die Arche zu bauen befiehlt, wahrschein- lich eine vom Pontormo gefertigte Copie nach der Originalzeichiumg R;ifl'uers; die Bibliothek Corsini in Rom besitzt an 27 Zeichnungen des Pontormo, darunter einige sehr gute, besonders die Nummern: 124173, 124182, 124183, 124187, 1241228, 1241254.
allen Nachahmern der Fall ist, den Fehler des Lehrers über- treibt Jacopo mag allerdings, wie Yasari berichtet , in seinen Knabenjahren die Werkstatten des Lionardo, des Albertinelli und des Pier di Cosimo eine Zeit lang, etwa als Fattorino, be- sucht haben, sein eigentlicher Lehrer war jedoch .\udrea del Sarto; daffir spricht, ausser seinem Frescobild im Yorhof der Kirche der ,fheiligen Annnnziata" zu Florens, gar manchog Tor- trit aus «cinpr frühem Zeit, wie x. B. das männliche Profilbild- niss im Pitti-Palast (249), sowie auch jenen cinrH iuiiLnn Künst- lers in der Sammlung Morelli in Mailand.
164 I^i^ Galerie Borgliese.
In der Sammlung in Chatswortli treffen wir auch, unter dem Namen des Michelangelo, zwei Zeichnungen Jacopo's an: die eine in schwarzer Kreide stellt die Madonna mit dem Kinde (Braun 47), die andere (eine Rötheizeichnung) eine Figur in der Decke der Sixti- nischen Kapelle dar (Braun 25). (f)
In der Nähe dieses berühmten Cardinalporträts begegnen wir einem sehr fraglichen, unbedeutenden weiblichen Bildniss des Angelo Bronzino(?) (Nr. 28), des eminenten Schülers des Pontormo, welcher, wie Vasari uns erzählt, die ersten Schritte in der Kunst unter der Leitung des Raffaelino del Garbo gethan, ehe er sich an Jacopo Carucci da Pontormo anschloss. Angelo Bronzino (1502, f 1572) hat eine grosse An- zahl Schüler und Nachahmer in seiner Vaterstadt Florenz gehabt, von denen ich nur einige hier in Er- innerung bringen will, da es gar zu oft zu geschehen pflegt, dass namentlich Bildnisse von diesen Leuten verfertigt, dem Bronzino selbst zugemuthet werden, der jedoch, sowol was Geist und Eleganz in der Zeich- nung, als Gediegenheit in der Ausführung anbelangt, sehr erhaben ist über alle seine Nachahmer, die da heissen: Cristoftino delP Altissimo, Lorenzo dello Scio- rina, Stefano Pieri, Alessandro Allori, Bronzino's Neffe, u. a. m.
Von Angelo Bronzino selbst, den ich seiner Eleganz halber den florentinischen Parmeggianino nennen möchte, sehen wir schon im ersten Saal dieser Galerie eine vor- zügliche „Lucrezia" (Nr. 50), ein Bild, das ich ebenso wie die noch vorzüglichere Cleopatra (Nr. 2) in diesem zweiten Saal, der Jugendzeit des Künstlers zuschreibe. Diese seine frühen Werke sind alle streng: in der Zeich- nung, allein sehr schwarz in den Schatten. Zu den besten Bildnissen dieses Künstlers rechne ich auch das des Giannettino Doria in der Galerie Doria-Panfili in Rom; das des Bildhauers (Nr. 1263) und der Ehe-
Die Tosoaner: Jacopo da Pontormo. 165
galten Panciatichi in der Uffizien-Sammlung, und vor allen jenes im Salon carre des Louvre.
PORTRÄT DES CESARE BORGU.
\\ .1 alter hat das stattliche, etwas elegani -i. liu ou- genannte Porträt des Cesare Borgia in der Nähe ge-* fertigt (Nr. 26)? Diese Frage wird vielleicht einigen meiner Leser dreist, ja vorwitzig erscheinen, da ja dad vielbewiinderte Porträt im Publikum nicht nur als das Conterfei des Duca Valentino gilt, sondern gemein- hin auch als Werk Raftaers angestaunt wird.* Meh- rere neuere Kritiker haben zwar diese letztere Attri- bution belächelt und der Einsichtsvollste unter ihnen,, der zu früh verstorbene O. Mündler 2, schrieb dies Por- trat ohne Bedenken dem Parmeggianino zu. Der geist- volle J. Burckhardt' hält es dagegen für ein treff- liches deutsches Bild, vielleicht von Georg Pencz. Solchen eminenten Kennern gegenüber ist es für mich sehr gewagt, meine schwache Stimme* hören zu lassen. Wenn jedoch das italienische Sprichwort wahr ist, dass nämlich y^fra due liticanti il terzo gode^ so darf ich mich der Hoffnung überlassen, bei solchem Zwiespalt der Grossen auch vernommen zu werden. Sollte auch ich fehlschiessen , nun so geschieht es wenigstens in guter Gesellschaft.
Sehen wir uns also diesen weltberühmten, durch Stich und Photographie vervielfältigten Duca Valen* tino genauer an.^ Dass das Gemälde nicht das Werk Raffaers sein kann, das, meine ich, dürfte selbst der
> Herr Geheimrath Carl von Ruland lohreibt es jedoch blot der Sohule RaffaePs eu (a. a. 0.).
* Siehe a. a. 0., 8. 80.
* Siehe „Cicerone", 1. Aufl., S. 910.
* Ceaare Borgia wurde im Jahre 1499 vom Kunig Ludwig \il. zum HenOg von Valentinois eroannt, and heirathete in jenem Jahr Charlotte d'Albret, Schwester de« Jean d' Albret, Königs von Navarra.
IQQ Die Galerie Borghese.
kurzsichtigste Galeriebesucher erkennen, braucht er doch bloö die Mühe sich zu geben, dieses Bild mit der in der Nähe aufgestellten „Grablegung" des Urbinaten zu ver- gleichen, was freilich gegen die herkömmliche Sitte der Steeple-chase in den Bildergalerien Verstössen möchte. Auch darf man solche Pedanterien einem genuss- und lernbegierigen Touristen, bei der Eile und Kostbarkeit seiner Zeit, nicht wohl zumuthen. Untersuchen wir zuerst, ob dieser junge Mann wirklich das Ebenbild des Cesare Borgia sei oder auch nur sein könne. Die süffi- sante Pose und der ihr entsprechende etwas gemeine, ja sinnlich rohe und wenig sagende Ausdruck des regel- mässigen Gesichts geben dem jungen Cavalier etwas, *fur mich wenigstens, eher Abstossendes als Anziehendes. "Würde dieser Cesare lebendig, so wäre es eben nicht der Mann, dessen nähere Bekanntschaft ich zu machen wünschte, und in diesem Sinne lasse ich die Taufe gern gelten. Es ist zwar nicht zu leugnen, dass es ein „bild- schöner" Cavalier ist, der auch in einem modernen Salon sein Glück in der Damenwelt machen dürfte. Die Sage geht nun allerdings, dass der berüchtigte Herzog von Valentinois ein schöner, ja geradezu der schönste Mann seiner Zeit, wie sich dies bei Prinzen von selbst ver- steht, gewesen sei, und dies mag auch ein Grund, viel- leicht der Hauptgrund für die Direction der Galerie gewesen sein, in diesem Porträt das Ebenbild des Ce- sare Borgia zu erkennen. Es ist nur schade, dass man dabei nicht bedacht hat, dass die politische Laufbahn jenes Helden in Italien schon im Jahre 1508 abgeschlossen war. Wie bekannt starb Cesare Borgia vier Jahre später vor der Stadt Viana im Navarresischen. Wären nun seine Züge durch die Hand KaffaeFs auf diese Tafel hier festgebannt, so müssten sowol Zeichnung als Malweise, ganz abgesehen von der Auffassung, die peru- ginische Manier des Urbinaten verrathen, wovon in die- sem Bild auch nicht eine Spur wahrzunehmen ist. Man
Die Toscaner: Portrat des Cesare Borgia. 167
konnte zwar dagegen einwenden, dass Raffnel das Por- trat nicht nach dem Leben, sondern später, frei nach irgendeiner vorhandenen Zeichnung oder nach einem altern Bildniss gemalt habe. Die Einwendung wäre an- nehmbar, wenn sie die historische Wahrscheinlichkeit ftir sich hätte und wenn, was doch die Hauptsache dabei ist, das Gemälde selbst für die Hand R^ifiaePs spräche.
Hat sich der „Duca Valentino" je abconterfeien lassen, so möchte er diese Ehre wol am ehesten dem Hofmaler seines Vaters, dem Pintoricchio, zugedacht haben, welcher, nachdem er vom Jahre 1492 — 97 fiir Papst Alexander VI. in Rom gearbeitet, 1501 in die Dienste des Sohnes Cesiire Borgia getreten war.'
Auch Lionardo da Vinci, der wie bekannt ebenfalls in den Jahren 1501 und 1502 als oberster Kriegsingenieur beim Borgia angestellt war, möchte eher als andere Maler den Auftrag erhalten, allein schwerlich ausgeführt haben, seinen Herrn und Gönner durch den Pinsel zu verewigen.
Sehen wir uns dtis Porträt noch «genauer an. Der
* Yasari erzählt im Leben des Pintoricchio, dass dieser in der That in einem Gemach des Castel S. Angelo auch die Por- träts Isabella der Katholischen, des Niocolo Orsini, des Gian-Gia- como Trivalzio, des Cesare und der Lucrezia Borgia al fresco gemalt habe. Femer sagt uns derselbe Schriftsteller (VII, 113), dass auch Pier di Cosimo das Bildniss des Duca Valentine ge- macht: ,,ritra88e <mcora poi ü duca ValentittOf figliuolo di papa Aleisandro FJ, la qttal pitiura oggi cKio sappia non st trova, wta bene ü eartone di 8ua nuntOf ed b appresso il revtrendo di. Ootimo Bartoli propo$to di S. Oiocanni**. Was ist wol ans diesem Carton geworden? Der bekannte italienische Kunst- forscher Dr. Gustavo Frixzoni behauptet, vier Porträts von Pier di Cosimo^s Hand aufgefunden lu haben: zwei davon in der Bildersammlung vom Haag (Braun 816**^, 816^"***^, ein drittes in der Kational-Gallery in London, und endlich das von Vaaari be- schriebene Bildniss der „bella Simonetta" in der Gestalt einer Kleopatra, in der Sammlung Sr. Hoheit des Herzogs von Aumale.
Ißg Die Galerie Borghese.
Cavalier trägt ein schwarzbefiedertes Baret und ein ebenfalls schwarzes Wams mit Schlitzärmeln, aus denen die Manschetten hervorschauen. Die Rechte hält er auf den Degengriff gestützt, die Linke an der Hüfte. Der Tracht nach muss dieser „Pseudo-Cesare" irgendeinen florentinischen Junker aus dem vierten Decennium des 16. Jahrhunderts vorstellen. Und Avürde der dichte gelbgewordene Firnis von der Oberfläche entfernt, so glaube ich nicht zu irren, wenn ich vermuthe, dass ein den Bronz in o 'sehen sehr nahe kommendes Porträt sich unsern Blicken zeigen würde, mit jenem, den Ge- mälden des Angelo Bronzino eigenthümlichen „Smalto", mit den kalten Fleischtönen und mit den scharf und etwas hart eingesackten Augen. ^ (f) Die steif elegante Pose weist mehr auf den Bronzino hin als auf irgend- einen andern gleichzeitigen Florentiner und erinnert an jene der Panciatichi in den Uffizien. Die Modellirung und Stellung der Hand ist fast die der rechten Hand auf jenem kleinen hübschen Porträt in der National- Gallery in London, Nr. 649, das zwar dort den Namen des Pontormo führt, mir jedoch ebenfalls als ein treff- liches Werk unsers Angelo Bronzino erschienen ist. (f ) Man findet in mehrern andern Bildersammlungen Ita- liens sogenannte Porträts des Cesare Borgia, so z. B. in jener von Forli, Nr.151, dort dem Giorgione zugeschrieben ; dasselbe hat jedoch weder mit Cesare Borgia noch mit Giorgione irgendetwas zu thun, sondern ist wahrschein- lich irgendein Bildniss von der Hand des Palmezzano da Forli. (f ) Jener vom verstorbenen General Pepe im Jahre 1849 der Stadt Venedig geschenkte „Cesare Borgia" von Lionardo da Vinci, der gegenwärtig im Museo Correr aufgestellt ist, scheint eher den Don Ferdinando Avalos von Aquino vorzustellen; übrigens ist das schwache
^ Es ist zuweilen äusserst schwer, Bildnisse des A. Bronzino von denen des Fr. Salviati zu unterscheiden.
Die Toscaner: Baldassare Pernzzi. 169
Profil porträt so stark überaialt, dass es keine nähere Beachtung verdient.
Ein dritter „Cesare Borgia" ist in der Communal- sammlung von Bergamo (Abtheilung Lochis, Nr. 36) zu sehen, wo das Bild als Werk des Giorgione gilt, während die Herren Crowe und Cavalcaselle es demCalisto daLodi zuschreiben. ^ Meiner Ansicht nach dürfte jenes höchst lebendige Porträt der ferraresisch-bolognesischen Maler- schule angehören und wahrscheinlich dem Giacomo Francia' (f), auf keinen Fall jedoch weder dem Calisto da Lodi noch dem Romanino, wie die Herren Crowe und Cavalcaselle meinen. Bei den nach der Natur gemalten Bildnissen in dieser Epoche der sinkenden Kunst in Ita- lien ist es übrigens eine sehr heikle und gewagte Sache, jedesmal den Urheber desselben feststellen zu wollen. Ein viertes Porträt des sogenannten „Cesare Borgia" besass vormals die Bildersammlung des Grafen Castel- barco in Mailand. Das Bild wurde dort ebenfalls dem Kaifael zugemuthet. Meiner Meinung nach gehörte das stark übermalte Porträt flom AikIppm Solnrio. (f)
BALDASSARE PERUZZI.
In der Nähe dieses selbstzufriedenen florentinischen Salonhelden jener Tage fallt unser nach Edlerem sich sehnender Blick auf die unbekleidete Gestalt eines jungen Weibes, das unwillkürlich das Auge fesselt durch das echt künstlerische Gefühl, das sowol in der Bewegung als auch im Ausdruck dieser weiblichen Gestalt sich auaspricht Der Katalog nennt sie „eine aus dem Bade steigende Venus '^ und gibt als Maler derselben den Giulio Romano au. Doctor G. Frizzoni vindicirte dieses
» VoL II, 168.
' Man vergleiohe dieses Porträt mit deu zwei geharnischten Heiligen im grossen Bilde Nr 17'> des Giaoomo Franoia der Breni-Oalerie.
170 Die Galerie Borghese.
Bild jedoch schon, und wie mir dünkt mit voller Sachkenutniss, in seinem Aufsatz über Baldassare Peruzzi diesem letztern Meister. Dieser höchst fein- sinnige sienesische Künstler und Freund des Agostino Chigi hat, wie bekannt, mehr als Baumeister denn als Maler gewirkt und sich ausgezeichnet, ja in dieser letz- tern Kunst darf er nur jenen grossen Decoratoren bei- gezahlt werden, deren glänzende Reihe mit Bramante und Melozzo da Forli anhebt.
Auf den Maler Peruzzi (geboren 1481) haben nun besonders, wie mir scheint, drei Künstler einen sehr leicht erkennbaren Einfluss ausgeübt: Pintoricchio zu- erst, sodann vornehmlich Sodoma und zuletzt Ratfael. Von den decorativen Malereien Peruzzi's in Rom, wo er den grössten Theil seiner künstlerischen Laufbahn durchmachte, sind uns, besser oder schlechter erhalten, noch manche Proben aufbewahrt. Wandgemälde von ihm finden wir in der Chornische der Klosterkirche von S. Onofrio, ganz in der Weise, ja wahrscheinlich nach Skizzen des Pintoricchio ausgeführt; die drei Grazien im Palast Chigi ; die Darstellungen aus der römischen Ge- schichte in den Sälen des Conservatoren-Palastes auf dem C'apitol (Einfluss des Sodoma), dort auf einem Denkstein, um die romische Unwissenheit in der Kunstkenntniss zu verewigen, dem B. Bonfigli von Perugia zugeschrieben; die Fresken in der ersten Kapelle links in S. Maria della Pace, worin die Art und Weise des Sodoma am deutlich- sten zu Tage tritt, sowol in der Farbenharmonie und in den Gesichtstypen, als auch selbst in dem dem Sodoma eigen- thümlichen geschlängelten Gefälte. Unter seine Staffelei- bildcr der Pintoricchio'schen Epoche rechne ich ebenfalls zwei Breitbilder im Madrider Museum (Nr. 573 und 574), von denen das eine den Raub der Sabinnerinnen \ das an-
» Director W. Bode (II, 733, 1884) gibt, wie schon bemerkt, mit Unrecht das Bild im Palast Chigi, den Raub der Sabinerinnen
Die Toscaner: Baldassare Peruzzi. 171
dere die Enthaltsamkeit des Scipio Africanus darstellt, (f) Zu den Werken seiner zweiten oder Sodoma'schen Periode scheinen mir unter andern, ausser dem oben angeführten Frescobild in S. Maria della Pace, auch die zwei ganz vorzuglichen Federzeichnungen im Louvre zu gehören: Triumph deö Vespasianus, Nr. 437 im Reisetaschen Kata- log, Braun 363 *, und eine andere Episode aus der römi- schen Geschichte (Fächer, im X. Saal), unter dem Namen des Sodoma aufgestellt (Katalog Tauzia Nr. 1967). (f) In den Deckengemälden der Farnesina, 1511 vollendet, ist Peruzzi sehr antikisirend. Man wird beim Anblick jener weiblichen Gestalten unwillkürlich an griechische oder romische Gemmen erinnert. Unter dem Einfluss des Raftaerschen Genius aber scheint diese dem Bade ent- steigende Venus entstanden zu sein. Das anmuthige Weib, wahrscheinlich nach der Natur gezeichnet, sitzt unbekleidet auf einem Stein; ein hellblau schillerndes Tuch fällt ihr vom rechten Arm herab, ursprünglich nur die Hüfte erreichend. Das verletzte Schamgefühl
darstellend, dem Peruzzi, es gehört dem Sodoma an; in jenem Palast befindet sich indessen, wie eben bemerkt, ein Frescobild von Peruzzi. Auch J. C. Robinson in seinem Katalog der Malcolm - Sammlung in London verwechselt in einer Zeichnung (Nr. 31G), auf welcher Sibyllen dargestellt sind, den Peruzzi mit Sodoma. (f) ( Descriptive Catalogtu of Drawinga etc.^ hy J. C. Bobinson, p. 113.) * Herr Reiset weiss nicht, ob er diese Zeichnung dem Francia oder dem L. Costa oder aber dem Pellegrino da S. Daniele zu- schreiben soll. Passavant gibt sie mit grösserer Sachkenntniss dem Sodoma. Andererseits wird dieser letztere in einer guten getuschten Zeichnung zu einer Deckendecoration in den Uffizieu, Nr. 1644, den Sturz des Phaeton darstellend, mit Peruzzi ver- wechselt. Auf diese treffliche Zeichnung des Sodoma wurde ich zuerst durch Herrn Dr. Frizzoni aufmerksam gemacht. Den Pe- ruzzi erkennt man leicht an der übergrossen L&nge seiner Beine, einem Fehler, den er von seinem ersten Lehrer Pintoricchio erbte, welcher letrtere teineneits ihn von Fiorenzo di Lorenzo überkommen hatte.
172 I^ie Galerie Borghese.
irgendeines spätem Besitzers dieser ganz im classischen Geist des römischen Hofes zur Zeit Leo's X. gedachten Venus Hess jedoch durch einen willigen Restaurator das Tüchlein um einige Spannen verlängern und verdeckte damit, im Interesse der Moral, auch die linke Hüfte. ^
RAFFAEL SANZIO. Baldassare Peruzzi fiihrt uns zu Raffael Sanzio, von dem das berühmteste Werk aus seiner florentinischen Epoche in diesem zweiten Saal aufgestellt ist, ich meine die weltbekannte „Grablegung" vom Jahre 1507. Raffael führte den Carton zu diesem seinem ersten dramatischen Bild wahrscheinlich in Florenz aus und zwar nach viel- fachen sehr mühsamen und gewissenhaften Studien. Das Bild selbst, von Atalanta Baglioni aus Perugia wahr- scheinlich schon im Jahre 1503 bestellt, muss er im Sommer 1507 mit Beihülfe einiger Gehülfen in Perugia vollendet haben. Dass Raffael schon damals Gehülfen hatte, ersehen wir, so scheint es mir, nicht nur aus dem Gemälde selbst, sondern auch aus mehrern Federzeich- nungen zu dieser Grablegung, Zeichnungen, die aller- dings von seiner eigenen Hand mit dem Silberstift ent- worfen, von seinen Gehülfen aber, zur Sicherung der Zeichnung, mit der Feder übergangen wurden. Dies können wir deutlich erkennen, unter vielen andern, auch an der grossen „Grablegung" oder „Beweinung Christi" in der „Salle aux boites" des Louvre, ferner in der qua- dratirten Zeichnung in den Uffizien und in mancher andern Federzeichnung mit demselben Gegenstand in den Sammlungen von Oxford, des Britischen Museums, des Herrn John Malcolm ^ in London, des Herzogs
^ In der Gemäldesammlung des Seminario Vescovile in Ve- nedig schreibt man ein Bild mit der Penelope des Beccafumi von Siena dem B. Peruzzi zu. (f)
* Die aus der Sammlung Antaldi zuletzt in die Sammlung des HeiTu John Malcolm gelangte Skeletzeichnung (Nr. 179 im
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Die Toscaner: Raffael Sauzio. 173
von Aumale, der „Albertina" in Wien und anderwärts mehr. ^
Wie gesagt, auch mir fallt in diesem „akademischen" Gemälde gar manches auf, worin ich die Hand sowol als auch das feine Liniengefuhl I{aft*aers durchaus ver- misse, sodass ich nicht umhin kann, dem Urtheil Ku- mohr's beizustimmen, welcher in der Ausfuhrung dieses mit zu grossem Studium zusammencomponirten Bildes eine fremde Hand gewahr ward. Sei jedoch dem wie ihm wolle, gewiss ist es, dass diese „Grablegung" nicht nur mich, sondern auch manch andern Kunstfreund stets viel kälter lassen wollte, als viele andere gleich- zeitige Werke RaffaeFs. Dieses Bild, vom Papst Paul V. (Borghese) im Jahre 1607 von den Franciskanern in Perugia erworben, gehört zu den ältesten Bildern dieser Sanunlung. Winckelmann betrachtete es als eins der vollkommensten Werke des Ürbinaten und hebt nament- lich die Kraft und Wahrheit der Bewegungen und des Ausdrucks und das Dramatische der Composition her- vor. Die Kälte, die für mich und manchen meiner Be- kannten aus diesem sogenannten classischen Werke herausweht, rührt vielleicht gerade von dem allzu grossen Studium her, das der junge Künstler an die Compo- sition dieses Bildes gewendet hat. Auch in andern Werken liaffaePs, die aus dieser Epoche stammen, wie
Robimon'schen Katalog) scheint mir nichts anderes als eine der Fälschungen za sein, an denen die Antaldi- Sammlung so reich war (t); die andere sogenannte Raffaelzeichnung, Kr. 14, zu diesem Bilde, ebendaselbst, dürfte blos Copie sein. Man vergleiche da- gegen, mit all den soeben citirten Zeichnungen und Skizzen KafTaers zu diesem seinem Bilde, die herrliche Federzeichnung, die der bekannte Kunstfreund und Sammler Herr Edward Habich aus Cassel aus der Klinkosch^sohen Sammlung in Wien werben das Glück hatte.
* Siehe darüber den mit Saohkenntniss verfassten AufsaU des Herrn Doctor W. Koopmann in von Lützow^s „Zeitschrift für bildende Kunst".
174 Die Galerie Borghese.
z. B. in der sogenannten Madonna di casa Colonna im Berliner Museum und in der der Casa Niccolini bei Lord Cowper in Panshanger, haben feinere Kenner die Hand von Gehiilfen zu entdecken geglaubt, und wie ich meine mit vollem Recht.
In diesem Zimmer, und zwar neuerdings nahe am Fenster aufgestellt, befindet sich ein anderes Eafftieli- sches Werk, falls ich mich nicht sehr täusche. Dasselbe führt die Nr. 53 und trug früher den Namen Hol- bein, wurde aber vom neuen Director nach meiner Be- stimmung, freilich nur dubitativ, dem Sanzio zuge- schrieben. Das Bild stellt einen Mann mit langen braunschwarzen Haaren vor, der ein angehender Fünf- ziger zu sein scheint; er hat ein schwarzes Baret auf dem Kopfe und trägt ein schwarzes Kleid mit Pelz- werk. Das Kleid scheint blos untermalt zu sein. Die Züge des Mannes erinnern an die des Pintoricchio auf dem Wandgemälde der sienesischen Dombibliothek. Es gehört allerdings ein gewisser Muth oder wenn man lieber will eine ungewöhnliche Dreistigkeit dazu, in einer der besuchtesten Bildersammlungen der Welt heut- zutage noch ein unbekannt gebliebenes Werk RaffaeFs entdecken zu wollen, und doch stehe ich nicht an, oö'en zu erklären, dass mir dieses Bild gleich beim ersten An- blick den Eindruck einer RafiaePschen Arbeit aus seiner Frühzeit, etwa um 1502, machte. Ich kann daher nicht mit dem verstorbenen Mündler dieses Porträt für ein Selbstporträt des Pietro Perugino halten. Die Haar- masse ist durchaus mit Raffaelischem Gefühl, mit seiner ihm eigenthümlichen Grazie geordnet, die Augen haben eine Lebendigkeit, einen Glanz, den wir in den Köpfen des Perugino meistens vermissen, auch sind Nase und Mund schärfer modellirt, als dies in den Bildnissen Pie- tro's der Fall zu sein pflegt. Und dazu noch diese dem Urbinaten ganz eigene Leuchtkraft des Incarnats. Ich bitte meine Freunde, dieses Porträt mit dem einen oder
Die Toscaner: Perino del Vaga. 175
andern Apostelkopf auf der „Krönung Maria*' K^ifiaePs in der vaticanischen Pinakothek zu vergleichen, (f)
Das Bild hat übrigens gelitten, die Oberhaut des- selben ist verrieben. Die Stellung der Mütze wurde vom Meister selbst geändert, wie dies noch deutlich wahrzunehmen ist. Ueberhaupt scheint dies Bildniss nicht ganz vollendet zu sein.*
Ueber das kleine Bildniss eines Knaben, das am Fenster des ersten Saales, unter Nr. 35, aufgestellt ist und im Katalog ebenfalls fiir Arbeit, ja als Selbstpor- trat (!) Kafi'aers ausgegeben wird, ist wenig zu sagen, so sehr ist dasselbe durch Uebermalung entstellt. Die Herren Crowe und Cavalcaselle sehen es als die Arbeit etwa des Ridolfo del Ghirlandaio an. Sollte ich einen Namen für dieses ganz unbedeutende Machwerk vor- schlagen, so würde es der des Domenico Alfani sein, (t) Man vergleiche in diesem Betracht dies Bildniss mit dem „Präsepium*** des Domenico, Nr. 24 in der Communal-Galerie von Perugia.
PEKING DEL VAGA. KaÖ'ael fuhrt uns jedoch zu einem andern seiner Zeit- genossen und Nachahmer, welcher eine ganz andere Bedeutung in der Kunstgeschichte hat als Donienico Alfani, ich meine Perino del Vaga. Wie Giulio Romano bald nach Itafi'aers Tod, so verwilderte, eben- fiüls/TOQ Michelangelo verleitet, auch Perino.^ Wer
* Unter den neuem RafTaelisten sind, soviel ich weiss, nur der verstorbene Maroo Minghetti und Prof. Karl von Lützow meiner Ansicht beigetreten. Die berliner Raffaelkenuer fahren iedocb zu meinem Leidwesen noch immer fort dagegen zu pro- testiren, und mit ihnen protestirt auch Professor M. Müntz.
' Einen beweis davon liefern uns seine Wandmalereien im Doria-Palast zu Genua. In einer ,,Anbetung der Hirten'' bei Lord Dudley in London erkennt man anderenoits auch Einflüsse des Venetianers 0. A. Pordenone auf Perino. Jenes Bild ist mit dem Kamen und der Jahreszahl 1684 bezeichnet.
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diesen höchst talentvollen, echt florentinischen Künstler besser kennen zu lernen wünscht, der muss die Werke seiner frühen Jugend aufsuchen, zumal diejenigen, die er unter dem unmittelbaren Einfluss seines Lehrers und vaterlichen Freundes Uaft'ael ausführte. Diese seine Werke aus der Frühzeit bestehen sammt und sonders aus Zeichnungen und aus den Wandgemälden im Va- tican und gehen, wie ich darzuthun mich bemühen werde, fast alle unter dem Namen des Urbinaten. Und da die Biographen dieses letztern unsern Perino nur in den Werken aus seiner zweiten römischen Epoche zu beurtheilen gewohnt sind, so möge es mir erlaubt sein, bei der hier sich bietenden Gelegenheit, diesem so interes- Siinten frühreifen Künstler nachzugehen, die Werke aus seiner Jugend, etwa vom Jahre 1514 bis zum Jahre 1527, aufzusuchen und sie den Kunstfreunden vorzustellen. So sehr nun alle selbständige, mit Liebe und Ausdauer gepflogene Forschung, die uns zu überraschenden Re- sultaten und, wie uns vorkommt, der Wahrheit näher bringt, in der stillen Einsamkeit des Studirzimmers unsern Geist erfreut und ermuntert, so schwer fällt es uns andererseits, Thatsachen vor die Oeffentlichkeit zu bringen, die gar manchen unter unsern hochgefeierten Brüdern inRaffaello höchst unangenehm berühren müssen. Und dies ist leider auch hier der Fall mit Perino del Vaga, von dem ich im ersten Saal dieser Borghese- Galerie ein Werk aus dessen erster römischer Epoche entdeckt zu haben glaube, (f ) Das Bild führt die Nr. 40 und wird mit Recht im Katalog als aus der Schule liaffaers bezeichnet. Es stellt das „Praesepium" dar. Joseph stützt mit beiden Händen das auf dem Boden liegende nackte Christkind, dem die Jungfrau den kleinen Johannes vorstellt. Eine gute aquarellirte Zeichnung dazu befindet sich in der Albertina und wurde von Braun unter dem Namen des Luca Penni und der Nr. 53 photographirt. (f)
Die Toscaner: Perino del Yaga. 177
Perino del Vaga ward um 1500 in Florenz ge- boren und starb in Rom im Jahre 1547. Die Werke seiner ersten romischen Epoche, d. h. von 1513 unge- fähr bis 1527 sind kaum bekannt, da seine Biographen nur seine Arbeiten in Genua und die aus seiner zweiten romischen Epoche (1535 — 1547) in Betrachtung zu ziehen und den Künstler nach derselben zu beurtheilen gewohnt sind. Das gleiche Los traf ja auch den Hol- länder Frans Hals, dessen Gemälde aus der Frühzeit, d. h. bis zum Jahre 1616, bisher unbekannt geblieben sind und höchst wahrscheinlich unter andern Namen gehen. Vasari, der den Perino persönlich wohl kannte und als Kfmstler schätzte, lässt ihn luigefahr in seinem elften Jahr in die Werkstatt des Ridolfo del Ghirlan- daio eintreten und sich dort vornehmlich im Zeichnen üben, in welcher Kunst er alle andern Mitschüler weit übertraf*, sodass der florentiner Maler Vaga, der gerade einen tüchtigen Zeichner für die Wandgemälde brauchte, welche er in Toscanella auszuführen hatte, den jungen Perino zu seinem Gehülfen dahin mit sich nahm. Nach- dem nun Vaga mit der Beihülfe des Perino dort seine Arbeit erledigt hatte, führte er den strebsamen, wiss- begierigen Jüngling nach Rom, wo derselbe mit un- verwüstlichem Fleiss und unter den grossten Entbeh- rungen Tag und Nacht, wie Vasari sagt, seinen Kunst- studien oblag. Ferner erzählt uns der Aretiner, dass, während Perino die Decke des Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle copirte, seine Naclibildungen und Studien mehr die Art und Weise Raffael's, als die des Buonarotti verriethen {^^seguitava piü gli andari e la maniera di Raffaello che non quella del Buonarofti^^). Und so geschah es denn, fügt der Ilistoriograpli hinzu, dass Perino als der beste und anmuthigste Zeichner von
* it^ f^ A^ ^^^^^ * giovani suoi pari riieniUo il miglior di- segnatore di quanti itudiaasero con tut nella bottega di RidoJfo.^' hu»MOtitrr. 12
178 I^ie Galerie Borgliese.
Rom augeseben ward („?7 piü hello e miglior clisegnatore che ci fo88€^'-). Mit Giulio Romano und namentlich mit seinem Landsmann Francesco Penni, il Fattore genannt, scheint Perino schon früh in ein freundschaftliches Ver- hältniss getreten zu sein, und der eine oder der andere von ihnen mag ihm, wie es damals unter den jungen lernbegierigen Künstlern Sitte war, Skizzen und Zeich- nungen ihres eigenen Vorbildes und Lehrers Raff'ael zum Copiren verschafi't haben. ^
Mehrere solcher Copien Perino's nach RaffaePschen Skizzen sind nun, meiner üeberzeugung nach, uns noch erhalten geblieben und wir werden sie später hier an- geben. Dieselben sind wie fast alle Zeichnungen Perino's aquarellirt und erinnern in der Technik an den Rosso Fiorentino, in dessen Gesellschaft Perino mit vielen andern florentiner Künstlern die nackten Figuren des berühmten Cartons (zur sogenannten Schlacht von Pisa) des Michelangelo . studirt und nachgezeichnet und sich unter allen seinen Mitschülern, wie der Aretiner be- merkt, ausgezeichnet hatte. Es verging daher nicht lange Zeit, dass der junge Florentiner seiner treflPlichen, geistvollen Zeichnungen halber unter den Künstlern Roms so bekannt wurde, dass Rafiael den etwa vierzehn-
^ Vasari erzählt uns im „Leben des Garofolo", den er eben- falls persönlich kannte, Folgendes : „Benvenuto, in seinem 19. Jahre in Rom angelangt (1499), trat dort in Verbindung mit dem flo- rentiner Maler Giovanni Baldini, welcher viele schöne Hand- zeichnungen verschiedener ausgezeichneter Meister besass. An diesen Zeichnungen, die ihm Baldini lieh, trachtete nun Garofolo sein Auge zu bilden und, indem er sie nachts copirte, seine Hand zu üben" (Vasari XI, 223) — und im „Leben des Cristo- fano Gherardi" (XI, 2): „capitb al Borgo il Eosso, col quäle avendo il Gherardi fatto amicizia, ed avuto de' suoi disegni, studio sopra quelli con molta diligenza^' etc. — Siehe auch im „Leben des Michelangelo" (XII, 159): „amando il Granacci Michelangelo e vedutolo violto atto al disegno, lo serviva giornalmente de' disegni del Grillandaio^'- etc.
Die Toscaner: Perino del Vaga. 179
jährigen Wunderknaben kennen zu lernen wünschte und, als er dessen Zeichnungen und Studien gesehen, ihn dem Giovanni da Udine, welchem eben die Direction der Ma- lereien und Verzierungen der Loggien anvertraut worden war, empfahl und diesem auftrug, dem jungen, so viel- versprechenden Perino unter seiner Leitung Arbeit zu verschaffen. Vasari (X, 88) citirt uns auch folgende W and- Mldor in den Loggien, die Perino del Vaga nach Skizzen Katlaers auszufuhren beauftragt wurde*: Die Hebräer ziehen mit der Arche über den Jordan; der Stunn auf Jericho; der Kampf Josua^s; Josua hält die Sonne in ihrem Laufe auf; die Geburt und die Taufe Christi; das Abendmahl und viele andere noch. (Alle diese Wandgemälde, und zumal das „Abendmahl", sind so stark übermalt, dass sie blos noch als Compositionen geniessbar sind.) Sodann berichtet uns Vasari, dass die allegorischen Sockelbilder in der Stanza d' Eliodoro ebenfalls dem Perino angehören.^ Und als später Papst Paul IIL den Kamin aus der „Camera del fuoco" (d. h. Ileliodor's, nicht zu verwechseln mit der „Camera deir Incendio di Borgo" oder auch „Torre Borgia") in die der Segnatura versetzen und hier das von Fra Giovanni da Verona gearbeitete Holzgeländer wegneh- men Hess, bekam Perino del Vaga den Auftrag, auch die allegorischen Sockelbilder unter den Wandgemäl-
* Der Aretiner führt folgende Maler an, die in den Loggien nach Skizzen Raffael's gearbeitet hätten: Giulio Romano, Penni, Pellegrino da Modena (?), Bagnacavallo (?), Vinoenzo da S. Gimig- nano, Polidoro dm Caravaggio (?) und Perino del Vaga. Titti fügte im Jahre 1674 den Obengenannten noch den Gaudenzio Ferrari hinzu, und Taja im Jahre 1754 wollte, dass auch Raffaele del Colle an jenen Malereien theilgenommen hätte.
* Siebe die aquarellirte Skizze zu einem dieser Sockelbilder „Die Argonautonfabrt'* im Werke des Herrn Dr. Gustavo Frizzoni : (Quaranta ditegni scelti dalla Baccotta <kl Senatore G. MortUi (.Milane 1886).
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180 I^ie Galerie Borghese.
den RaffaePs, gleich denen in der Stanza d'Eliodoro^ mit bronzefarbenen Geschichten zu verzieren. Vergleicht man nun diese letzteren, während Perino's zweiten rö- mischen Aufenthalts ausgeführten Arbeiten mit denen im angrenzenden Zimmer, die er unter dem unmittel- baren Einfluss seines Lehrers Raffiiel anfertigte, so ge- wahrt man, scheint mir, wie die Schule des ürbi- naten wenige Jahre nach des Meisters Tode ihrem Ver- fall entgegenging. Auch meinem Gefühl nach hat Vasari vollkommen recht, wenn er (a. a. O., S. 156) be- hauptet, dass, wenngleich Giulio Romano und Francesco Penni den Namen von Schülern Ratfaers führten und auch die Erben von Raffael's Skizzen und Zeichnungen wurden, dieselben doch nicht die Kunst und die An- muth {V arte e la grazia) miterbten, die Perino seinen Figuren zu verleihen wusste. Gewiss ist es allerdings, dass die Technik Giulio's und auch die des Fattore sDwol in den Zeichnungen wie auch in den Malereien der Technik ihres Lehrers sehr nahe kommt, ja so nahe, dass nicht nur gar manches Bild Giulio's, sondern auch sehr viele Zeichnungen, welche beide nach Skizzen des Meisters ausführten, noch immerfort dem Urbinaten selbst zugemuthet werden^; allein den Geist und die
^ Man gestatte mir einige wenige dieser Bilder und Zeich- nungen des Giulio Romano als Beispiele hier anzuführen:
Bilder.
1. Die „Vision Ezechiel's" im Palast Pitti zu Florenz.
2. Die „Fornarina" in der Galerie Barberini in Rom.
3. Die „Madonna del divino amore" im Museum von Neapel.
4. Die „Madonna della Perla" im Museum von Madrid.
5. Das Bild genannt „Lo spasimo di Sicilia" im Museum von Madrid.
6. Die „Madonna della Rosa" im Museum von Madrid.
7. Die „Madonna di Francesco I." im Louvre zu Paris.
8. Der grosse „heilige Michael" ebendaselbst.
Zeichnungen, welche allgemein Raflfael zugeschrieben sind, die mir jedoch als
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Die Toscaner: Perino del Vaga. 181
Grazie Raflaers Laben, meiner Ansicht nach, weder Giulio Romano noch Francesco Penni, noch irgendein anderer
von der Hand des GiulioRomano nach Skizzen des Meisters ausgeführt erscheinen:
a) Za den Fresken in der Farnes ina:
In der Sammlung von Köln befindet sich ein höchst interes- santer von Raffael mit der Feder leicht hingeworfener Entwurf (den wir hier reproduciren) zu einer Lunette im ersten Saal der Famesina. Diese Federskizze dürfte uns über den Antheil des ürbinaten sowol an jenen Fresken, als auch an denen iu der Stanza dell'Incendio di Borgo, in der Kirche della Pace u.s.f., Aufschluss geben. Raflfael entwarf nämlich, wie ich glaube, in leichten Skizzen die Bilder. Diese Entwürfe des Meisters wur- den sodann von seinen Schülern und Gehülfen an jenen Werken in Zeichnungen ausgeführt, ehe sie auf die zum Durchpausen be- stimmten Cartons in grössern Verhältnissen übertragen wurden. Der Carton ward dann dem Meister zur Begutachtung unter- «tellt, von ihm corrigirt und der Gehülfe machte sich sofort ans Werk. So begreift man, wie Raffael, der in jener Zeit sowol als Archäolog als auch als Baumeister der Sanct-Peterskirche in An- spruch genommen war, in sechs Jahren eine solche Menge von Gemälden und Zeichnungen anzufertigen im Stande war. Ya- • ari bemerkt (VIII, 38): „weW« quali saJe del continuo teneca (Baffael) deUe genti (d. h. Gehülfen) che con i disegni 8uoi medesimi gli tiravano innanzi Topera (d.h. das Gemälde aus- führten) ed egli, continuamente rivedendo ogni eosay suppUva con tutti quegli aiuti migliori, che egU piu potevüy ad un peso cosi fatto^^. Dies bemerkt der Aretiner bei Besprechung der Male- reien in der Stanza dell' Incendio di Borgo; und bei Bespre- chung der Wandgemälde der Farnesina sagt er dann wieder (VIII, 54): „Parimenie non soddisfeciono affatto gli ignudi (d. h. die nackten Figuren) che furono similmente (d. h. mit Hülfe der Schüler) fatti da lui (Raffael) nella roUa del palazzo d'Ago- siino Chigi in Trastecere (Famesina), perche mancauo di quella grazia e dolcezza che fit propria di Baffaello, del chefü in gran parte cagiont Vavergli fatti colorire ad altri col 8uo disegno".
Die meisten dieser nach Raffaers Skizzen aoagpeführten Zeich- nungen gehören, meiner Ansicht nach, dem Oiolio Romano an, ao z. B.:
182 I^ie Galerie Borghese.
seiner vielen Schüler und Nachahmer so rein und so frisch wiederzugeben verstanden, wie Perino del Vaga
1. „Venus und Psyche", Rötheizeichnung iniLouvre, Braun 257.
2. Die „drei Grazien", Rötheizeichnung in Windsor, Publi- cation der Grosvenor Gallery, R. 14.
3. Nackter junger Mann, der mit beiden Händen einen Krug hält, Rötheizeichnung. Ambrosiana, Mailand, Braun 129.
b) Zeichnungen Giulio's zu den Wandgemälden in der Stanza dell' Incendio di Borgo im Vatican:
4. Die „Wasserträgerin", Rötheizeichnung in den Uffizien, Braun 493. Prof. A. Springer hat zuerst an der Echt- heit dieser sogenannten Rafifaelzeichnung gezweifelt. Die Originalskizze zu dieser Figur, mit schwarzer Kreide leicht auf blauem Papier hingeworfen, befindet sich in der Sammlung Morelli in Mailand.
5. Zwei aufrechtstehende nackte Männer, Rötheizeichnung in der Albertina, Braun 176. Die Aufschrift auf dieser Zeichnung ist, meiner Ansicht nach, Fälschung. Die Schriftzüge entsprechen erstens nicht denen Dürer's und zweitens hätte der gebildete Maler aus Nürnberg schwer- lich „Raffahel" geschrieben. Auch war ihm gewiss bekannt, dass Raffael vom Papst Leo X. nicht weniger geachtet wurde, als er es von seinem Vorgänger Julius II. gewesen war. Die Hauptsache jedoch bleibt immer, dass die Zeichnung selbst die Hand des Giulio Romano ver- räth und nicht die RafTael's.
c) 6. Die Rötheizeichnung zum Bilde „lo spasimo di Sicilia"
(jetzt im Museum von Madrid), in den Uffizien, Braun 491.
d) 7. Die Rötheizeichnung zur sogenannten Madonna di Fran-
cesco I. (im Louvre), in den Uffizien, Braun 486.
8. Die Rötheizeichnung zum Christkind auf dem ebenge- nannten Bilde, in den Uffizien, Braun 487.
Die drei Rötheizeichnungen zur „Transfiguration", von denen die eine im Louvre (Braun 254), die andere in der „Albertina" (Braun 139) , die dritte in der Ambrosiana (Braun 128) sich be- findet, dürften vielleicht dem Francesco Penni, il Fattore genannt, angehören. (?) Die Formen in diesen drei Zeichnungen sind nämlich weder die des Giulio Romano und noch viel weniger die Ra£fael's, dem sie zugeschrieben werden.
Welches, wird man mich fragen, sind denn aber die äussern
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Die Tosoaner: Perino del Vaga. 183
in seiner ersten romischen Epoche. Und so darf es uns nicht wundem, dass auch die Zeichnungen Perino's, 80 verschieden sie auch in den Formen und in der Tech- nik von denen llafiaers sind, bis auf den heutigen Tag fast ausnaiimslos ebenfalls dem Urbinaten selbst zuge- niuthet werden, was ein fernerer Beweis ist, wie ober- flächlich bisher die italienischen Kunstwerke angesehen wurden.
Kommen wir jedoch zur Sache und betrachten wir uns vor allem einige jener Zeichnungen aus der Mittel- zeit Perino's, die als solche in den öffentlichen' Samm- lungen anerkannt sind, und trachten wir das Charakteri- stische in denselben festzustellen. In der Albertina: Triumph des Silen, Braun 25; im Louvre (Salle aux boites), Triumph des Bacchus, Braun 70. Diese zwei trefflichen Blätter gehören beide beiläufig in dieselbe Wirkungszeit des Meisters und sind, wie auch Herr Reiset in seinem Katalog angibt, mit der Feder Muf
charakteristischen Merkmale, an denen man die Zeichnungen Giuiio's von denen Raffael's erkennen kann?
Die jedem Auge sichtbaren sind unter andern folgende: ' a) Das Ohr ist bei ihm nie so fleischig und so rund wie bei Raffael.
b) Die Oberlippe ist stets wulstig, wie angeschwollen.
c) Die Knochen des Ellenbogens und des Kniegelenkes sind bei ihm stets überaus accentuirt.
d) Die Form der Hand ist verschieden von der der Hand bei Raffael.
e) Die Kanten der Falten sind schärfer als bei Raffael. Diese charakteristischen Merkmale finden sich vornehmlich
auf den Zeichnungen seiner römischen Periode. Man stndire diesen Meister in seinem Madonnenbilde in der Kirche von S. Maria deir Anima in Rom; in der „Madonna della Gatta** im Museum von Neapel; in der „Co nstantins- Schlacht** im Vatican; in seiner ihm richtig zugeschriebenen, fleissig ausgeführten Zeich- nung in Chatsworth (Braun 66) zu seinem Bilde im Louvre (die ..Vorstellung im Tempel **, Nr. 309), welches dort den falschen Namen des Bagnacavallo führt, (f)
184 I^ie Galerie Borghese.
graulich gruudirtem Papier gezeichnet, mit dem Bister schattirt und weiss gehöht. Die Köpfe haben alle einen iiboraus starken Schädel im Verhältniss zum Gesicht, sodiiss sie ein Dreieck bilden, mehrere der Figuren im Hintergrunde fallen uns durch das zu lange Oval ihres Kopfes in die Augen; die Arme iiberaus lang und zu fleischig, besonders der Oberarm am Schulteransatz; der Zeigefinger oft hackenartig gebogen; die Augen^ höhle so tief beschattet, dass man das Auge darin kaum gewahrt. Die nämlichen charakteristischen Merkmale finden wir auch in einer andern Zeichnung im Louvre, Braun 275, die sowol Herr Reiset in seinem Katalog als der verstorbene Passavant (H, 180 und 465) dem Rafiael zuschreiben, während sie schon von Vasari (X, 154) als eine Zeichnung des Perino, die er zum Bilde für den Kaplan der Kirche von S. Lorenzo in Florenz im Jahre 1522 anfertigte , angeführt wird. Dieselbe stellt den Untergang Pharao's vor und Moses, der durchs Rothe Meer zieht, (f ) Niemand wird hofi'entlich in Abrede stellen, dass derselbe Künstler, welcher die zwei ersten der drei ebengenannten Zeichnungen ausführte, auch der Urheber der letztgenannten sein müsse.
Von diesen drei Zeichnungen des Perino kehren wir nun zu jenen Zeichnungen und Skizzen zurück, die der Florentiner in seinen frühern Jahren in Rom machte. Unter diesen scheinen mir die friihesten zwei Blätter zu sein, von denen das eine im ersten Bande der Rafiael- zeichnungen in Windsor, das andere in der Sammlung der University Galleries (Nr. 60, Robinson) in Oxford sich befindet, (f ) Beide Blätter enthalten Skizzen und Stu- dien zur „Disputa del Sacramento" und dürften, meiner Ansicht nach, wahrscheinlich Nachbildungen sein, die der junge Perino zur eigenen Belehrung, sei es nach dem Wandgemälde selbst, sei es nach ihm geliehenen Skizzen Raffiaers, gefertigt haben könnte. Ueber die Zeichnung inWindsor-Castle ist selbst Passavant (II, 491)
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nicht recht im klaren, ob er sie Kaffael lassen oder ihm nehmen solle, wahrend die Zeichnung in Oxford sowol ihm als andern Kaflaelisten als echtes Werk des Urbinaten erschien. Nun bitte ich meine Freunde z. B. die rechte Hand der äussersten Figiu* links auf dem Windsorblatt mit der linken Hand des äussersten obern Weibes rechts auf dem Blatt der Albertina, Braun 25, vergleichen zu wollen, und sie werden hoflfentlich schon daran erkennen, dass beide Blätter demselben Meister angehören, dass sie ausserdem vom nämlichen Geist be- seelt sind und die nämliche Technik an den Tag legen.
Betrachten wir nun einige andere Blätter, die eben- falls dem Urbinaten zugeschrieben werden, die jedoch denselben Geist und dieselbe Technik aufweisen und die folglich nach meiner Ansicht dem Perino angehören. Unstreitig sind dieselben nach Skizzen Kaftaers aus- geführt und durften vielleicht von Perino auch auf die Wand in den sogenannten Loggien KaffaePs gemalt worden sein.
In der Albertina: Abraham kniend vor den drei Engeln, (f) Passavant (II, 176) gibt, der Tradition fol- gend, das Gemälde dem F. Penni, die Zeichnung aber Kafiael (II, 430).
Ebendaselbjsi; Jakob und Kahel. (f) Pa8>a\..iii (II, 177) lässt das Gemälde von Pellegrino da Modena ausgeführt sein, schreibt aber die Zeichnung eben- falls llaffael zu (II, 430).
Ebendaselbst: Joseph seinen Brüdern den Traum deutend, (f) Passavant (II, 178) weiss nicht, wem die Ausführung dieses Bildes angehört, gibt jedoch die Zeichnung dem Urbinaten (II, 430).
Im Louvrc: Gottvater übergibt dem Moses die Gesetzestafeln, (f) (Pnssavnnf TT. 4nr> mul TT. 180, Braun 270.)
Ebendaselbst: Die Apostel Petrus uiul l'aulus dem Attila ersjcluMncnd. (+) (Stan/a (riCllddoro.^ TPassavant
186 Die Galerie Borghese.
II, 470, Braun 235.) Bereits im Jahre 1530 galt dieses Blatt in Venedig als von der Hand RaffaePs, wie uns der Anonymus des Morelli berichtet, was uns wieder einen Beweis liefert, wie wenig der Tradition zu trauen ist.
Ebendaselbst: Die „Calunnia d'Apelle". (f) (Passavant II, 469.)
Ebendaselbst: Die Schlacht Constantin's. (Passavant II, 470, Braun 236.)
In der Sammlung der Uffizien werden vier Zeich- nungen Perino's dem Urbinaten zugeschrieben : die An- betung des goldenen Kalbes (Passavant II, 180), Rahmen 138, Nr. 510; der sogenannte Morbetto^ (Br.484), eine Zeichnung, deren Erfindung nach meiner Ansicht durch- aus dem Perino angehört und die er wahrscheinlich in den zwanziger Jahren, nach dem Tode seines Meisters Raffael, dem Marcanton zu dessen Stich geliefert haben dürfte. Denn damals scheint Perino derjenige Künstler gewesen zu sein, an den sich die Kupferstecher mit Vor- liebe um Vorbilder wandten. ^ (•)•) So stach Caraglio oder Bonasone das Blatt, die Hochzeit Alexander's des Grossen mit der Roxane darstellend, nach einer Zeichnung, die Perino ihm, nicht nach dem bekannten Wand- gemälde des Sodoma in der Farnesina, sondern nach der Rötheizeichnung (jetzt in der Albertina), welche damals noch in Rom, ja vielleicht sogar selbst im
^ Die zwei andern Zeichnungen sind: Nr. 509 (Rahmen 138) und Nr. 536 (Rahmen 152) ; eine fünfte Zeichnung aus derselben ersten Epoche des Künstlers ist ihm richtig zugeschrieben und trägt die Nr. 533 (Rahmen 150).
^ Ein geistreicher RafFaelist aus Berlin bemerkt zu diesem Blatt: „Ich sehe das Blatt nie ohne eine Art Schauder an, aber die Idealität der Auffassung erhebt mich über das Gefühl; man fühlt, der Künstler stand über dem allen" (H. Grimm, Zehn aus- gewählte Essays, S. 101). Würde dieses Blatt denselben Eindruck auf den phantasiereichen Mann gemacht haben, hätte er ge- wusst, dass es nicht von Raffael herrührt?
Die Toscaner: Perino del Vaga. 187
Besitze Perino's war. Von der O riginalzeichnung des Perino zum Stiche des Caraglio sind uns leider nur noch zwei schwache Copien erhalten geblieben, von denen die bessere im Louvre, die andere in der Sammlung von Windsor sich befindet (f) (siehe Braun Nr. 144—178).
Auch die Devonshire-Sammlung in Chats- wort h besitzt mehrere schone und charakteristische Zeichnungen unter dem richtigen Namen des Perino (Nr. 12, 17, 21, Braun), dann aber auch einige andere, die ihm ebenfalls angehören, allein dort den Namen Kafiael's fuhren, so z. B. das Blatt mit der Auferstehung des Lazarus, jenes mit Constantin's Ansprache an seine Krieger (für den Constimtins-Saal im Vatican); ein drittes mit einem bekränzten Fiirsten auf dem Thron, vor dem zwei junge Männer flehen, rechts vier, links fünf andere Figuren, (f) In derselben Sammlung schreibt man dagegen ein interessantes Blatt aus der Friihzeit des Giambellino (vier Figuren von Heiligen) dem Perino zu und ein anderes Blatt desselben mit der heiligen Familie, der Elisabeth und Joachim sogar dem Lionardo da Vinci, (f)
Um aber meine Leser nicht allzusehr mit solchen Aufzählungen zu ermüden, erlaube man mir zum Schluss nur noch ein paar Federzeichnungen Perino's an- zuführen, die ebenfalls unter dem Namen Raft'aers gehen: die eine ist das bekannte Blatt in Dresden mit dem Neptunszug, das, wie Passavant (II, 450) meint, Rafi'ael dem Agostino Chigi zur Verzierung eines silbernen oder bronzenen Tellers anfertigte. Die andere Zeichnung befindet sich in der Oxford-Sammlung (Katalog Robin- son Nr. 76) und stellt die Anbetung der Hirten dar (Passavant II, 512, c. c); endlich befindet sich eine Feder- zeichnung Perino's in Oxford in der Sammlung der Tailor Institution. Diese stellt einen Zug von Tritonen und Nymphen vor. (f) Weder Herr Robinson (Katalog Nr. 83) noch Passavant haben dieses Blatt dem Ur-
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binaten selbst zuschreiben wollen. Der letztere Raffue- list (Passavant II, 507, Nr. 523) nimmt an, diese Zeich- nung sei von Francesco Penni ausgeführt.
Kach diesen wonigen Fingerzeigen mögen meine wissbegierigen Freunde in den verschiedenen Samm- lungen Europas die vielen Blätter selbst herausfinden, welche unsenn Perino angehören, die aber bisher ge- wohnlich unter dem Namen seines Vorbildes Rafiael angeführt werden.
Ehe ich diesen liebenswürdigen florentiner Meister verlasse, der, was natürliche Anmutli und Leichtigkeit anbelangt, seinen altern Landesgenossen Lionardo, Fra Bartolommeo und Andrea del Sarto an die Seite gestellt werden darf, möchte ich hier noch ein kürzlich von Bertolotti veröfientlichtes Document aniühren, das wol auf unsem Perino del Vaga Bezug haben könnte. Es ist dies ein Bericht des Pandolfo di Pico della Miran- dola, politischen Geschäftsträgers des Herzogs von Man- tua in Rom, an seine Herrin, die wohlbekannte Mar- chese Isabella Gonzaga. Der Bericht ist von Rom aus, den 29. Januar 1520 datirt, also wenige Monate vor dem Tode Raffaers:
^^lllustrissima Madama: In Roma evvi un giocane de 20 aniii^ fiorentinOy quäle in arte de pictura^ sotto V opera de Michelangelo^, s'^ fatto grande che ognuno che se intende de taVarte se meraviglia che in quell a etade sia
' Vasari berichtet (X, S. 139): „E Perino disegnando in com- pagnia d* altri giovani , e ßorentini e forestieri, al cartone di Michelangelo, vinse e tenne il jn'imo grado fra tutti gli altri; di nianiera che si stava in quella aspcttazione di lui, etc. etc.^^ — und S. 141 (wie schon oben bemerkt): „Perino comincib a di- segnare nella cappella di papa Giulio (Sixtinische Kapelle), dove lavolta di Michelangelo Bonarotti era äipinta da lui, segui- tando gli andari e la nianiera di Raffaello da Urbino^^ ; d. h. er copirte die Figuren des Michelangelo in der Art und Sinnes- weise Raffael's.
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tanta sufßcientia, et perM Raphaello cognosce quanto i per revsir, lo tiene basso in modo che^ avendo pigliato io sua amicitia^ V ho persuaso a voler andar fuor de Roma, per farsi conoscere; esso mi ha promesso che^ ßnite alcune cose (che) ha nelle mam\ che sarä a Kaiende de Giugno^ che ad ogni modo vole andar fori, donde che io ho pen- sato che (se) V, Exe, volesse far dipingere di posto (d. h. an die Stelle, auf die Wand?), come meriterehbe quel loco, io lo invierö et sarä cosa da pocht giorni et da poche spese, perchh se contenterä in pocha cosa. La pro- fessione del ditto giovane k de dipingere a fresco sopra mtiro ovvero a tempera, non havendosi usato a colonre a olio. Nondimeno tanto h grande el disegno, ma che tutto farä bene pur ch^el se exerciti. Io gli facio fare un quadro colorito a olio per mandarlo a V, Blxtia,^ acciö quello indichi V arte sua quanto ^ grande in quella etä de 20 anni^^
Auf deutsch dürfte der Brief ungefähr so lauten: „Erlauchteste Herrin : In Rom gibt es einen jungen Menschen von zwanzig Jahren, einen Florentiner, der in der Malerkunst unter dem Einfluss des Michelangelo sich sehr henrorgethan hat, sodass jeder Kunstkenner sich wimdert, dass er in so jungen Jahren schon zu solcher Meisterschaft gelangt ist; und weil Raffael wol einsieht, welche Höhe in der Kunst dieser junge Mensch erreichen dürfte, so gibt er ihm nur unbedeutende Ar- beiten auszuführen; und da ich nun mit demselben in ein freundschaftliches Verhältniss getreten bin, so habe ich ihn beredet, ausserhalb Roms sein Glück zu ver- suchen und sich bekannt zu maclien. Auch hat er mir versprochen, dass, sobald er die Werke die er unter den Händen hat, vollendet haben wird, was im Juni geschehen soll, er auf jeden Fall Rom verlassen will. Weshalb ich gedacht, dass falls Ew. Excellenz gedenken sollte, ein Wandgemälde, wie jener Ort es wohl ver- diente, ausfuhren zu lassen, so würde ich ihn hinschicken
190 I^iß Galerie Borghese.
und die Sache würde wenig Zeit und auch wenig Geld kosten, da der junge Mann mit Wenigem sich begnügen wird. Die Profession des genannten Jünglings ist die Wand- oder Temperamalerei, da er im Oelmalen sich noch nicht versucht hat. Nichtsdestoweniger wird er, da er im Zeichnen so stark ist, alles zum Besten machen, wenn er nur vorher sich darin etwas geübt hat. Ich lasse ihn jetzt ein Oelgemälde ausführen, um es Ew. Excellenz zu senden, damit er darin seine Kunst an den Tag lege und zeige, wie weit er es schon in diesem Alter von zwanzig Jahren darin gebracht liat."^
Wer die Zeichnungen des Francesco Mazzola, Par- meggianino genannt, aus den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts genau betrachtet, wird leicht ein- sehen, welch grossen Einfluss Perino auf den ihm geistig verwandten Parmensen ausgeübt liat.^
Wir haben der toscanischen Malerschule zu Liebe die Nummerfolge der Bilder im ersten Saal für eine Zeit lang verlassen müssen und kommen nun, nach einem vielleicht viel zu langen, allein wie ich hoffe nicht ganz werthlosen Excurse über Perino del Vaga, wieder zur Betrachtung der Bilder im ersten Saal dieser Galerie zurück.
GIOVAN ANTONIO BAZZI, IL SODOMA.
Und da unter Nr. 2 des Katalogs ein Gemälde aufgestellt ist, das jetzt richtig seinem wahren Ur- heber, dem Sodoma, zugeschrieben ist, so wollen wir
^ Siehe Bertolotti, Artisti in relazione coi Gonzaga (1885), S. 155.
' Und hat nicht P. J. Mariette, gewiss einer der grössern, wenn nicht der grösste Kenner von Handzeichnuugen und Stichen in, Frankreich, die Louvre-Copie einer getuschten Zeichnung Perino 's für eine Zeichnung des Parmeggianino genommen? (Abecedario, I, 89.)
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mit diesem bisher kaum nach seinem vollen Verdienst gewürdigten Meister den Anfang machen und so der Reihe nach die lombardischen Meister besprechen, von denen sowol in dieser wie in andern Galerien Roms und Italiens Werke sich vorfinden. Das Bild unter Nr. 2 ist ein schwarzes, sehr nachgedunkeltes Gemälde und stellt eine sogenannte „Pietä" oder Beweinung Christi dar. Die heilige Jungfrau halt den Leichnam ihres göttlichen Sohnes auf dem Schos. Bis noch vor kur- zer Zeit wurde dieses trotz seiner Schwärze noch immer höchst werthvolle Bild blos der Schule Lionardo's zuge- wiesen. (Der neue Galeriedirector erkannte es jedoch, dem in meinem Zeitschriftaufsatze gemachten Vorschlag folgend, als echtes Werk des Sodoma an.) Dass der Meister dieses Bildes der lombardisch- mailändischen Malerschule und zwar jener Richtung derselben ange- höre, die unter dem unmittelbaren Einfluss Lionardo's wirkte, habe ich nicht nur gern zugegeben, sondern ich stimme auch ohne Bedenken dem sachkundigen Urtheil des Herrn Doctor G. Frizzoni bei, welcher zuerst dieses Gemälde dem Giovan Antonio Bazzi vindicirt hatte. Sowol die Formengebung als auch die Gesichts- typen und der Faltenwurf, sowie ganz besonders noch die dem Sodoma so eigenthiimliche Landschafl lassen auch mich keinen Augenblick im Zweifel über den Autor dieser „Pieta". Und da in den Werken aus seiner Frühzeit, d. h. vom Jahre 1501 bis etwa zum Jahre 1512, wie unter andern in jenem schönen Rundbild mit der „Geburt Christi" (Nr. 85 in der städtischen Galerie von Siena) und in der trefflichen „Kreuzabnalune^ (Nr. 336 ebendaselbst), die Schatten klar und hell sind, so dürfen wir schon aus diesem (irunde unser Bild hier zu den Werken aus des Meisters reifster Wirkungszeit setzen. Nachdem nun Bazzi durch seine Tafelbilder in Siena und namentlich durch seine geistreichen Wandgemälde im Klosterhof von Montoliveto (1505) sich einen Namen
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gemacht, wurde er gegen Ende des Jahres 1507, wie bekannt, nach Rom berufen und beauftragt, die Decke der Camera della Segnatura, wo Bramantino arbeitete, mit Malereien auszuschmiicken. Bartolommeo Suardi, Bramantino genannt, war von Mailand her schon mit Sodoma wohlbekannt und es ist daher nicht unwahr- scheinlich, dass auch er zu Bazzi's Berufung nach Rom beigetragen hat. Aus einem schriftlichen -Document wissen wir, dass im Sommer 1508, als Raffael nach Roni. kam, Sodoma noch immer im Vatican beschäftigt war.: Und seine wahrhaft herrliche Deckendecoration der Ca- mera della Segnatura wurde ja von Raffael so trefflich befunden, dass er sie nicht nur, soweit es ihm eben möglich war, stehen Hess, sondern überdies seine Ach- tung vor dem lombardischen Meister noch dadurch be- zeugen wollte, dass er dessen Porträt neben dem eige- nen in der Scuola d'Atene anbrachte.^ Im Jahre 1513 war Sodoma wieder in Rom, vielleicht zur selben Zeit als auch Lionardo, sein Lehrmeister und sein Vor- bild, in der>JEwigen Stadt sich befand. Aller Wahr-
* Der Mann im weissen Gewand und mit der weissen Mütze neben Raffael stellt nämlich keineswegs, wie man allgemein an- zunehmen beliebt, den Pietro Pemgino vor, der ja in diesem Zimmer zum Glück nichts zu schaffen hatte, sondern den Bazzi, dem die Deckendecoration angehört , und es . freut mich , dass diesmal sogar Herr Director Bode (II, 707, 1884) diese meine An- sicht zu theilen scheint. Aus derselben liebevollen Rücksicht porträtirte Raffael im folgenden Zimmer, d. h. in der sogenannten Camera d'Eliodoro, unter die Träger des Papstes nicht, wie die Kunsthistoriker, von Vasari an, anzugeben pflegen, den im Jahre U)14i kaum 22jährigen Giulio Romano, sondern vielmehr, wie ich glaube, den Balthasar Peruzzi, dem ja ein grosser Theil der Decoration jenes Zimmers angehört und der folglich hier eben- falls als Mitarbeiter des Urbinaten angesehen werden muss. Will man sich davon überzeugen, so vergleiche man den Kopf des ersten Trägers links mit dem Porträt Peruzzi's auf seiner grossen getuschten Zeichnung (Nr. 438) in der Uffizien-Sammlung.
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scheinllclikeit nach wurde er von seinem reichen Gönner, dem Sienesen Agostino Chigi, dahin berufen, um in dessen neu erbautem Villino, der Farnesina, diis Ge- mach im obem Stockwerk mit Gemälden auszuschmücken.
Doch hierüber werde ich später Gelegenheit haben, mich weitläufiger auszusprechen; vorderhand mögen meine jungen Freunde mir erlauben, sie vor ein anderes Werk des Sodoma zu fuhren, das in diesem nämlichen Saal sich vorfindet und das mir ebenfalls als ein höchst werthvolles Bild des Meisters erscheint. Das Gemälde trägt die Nr. 19 und wurde vordem im Katalog gleich- wie das vorige Bild blos der Schule Lionardo's zuge- theilt.^ Es stellt die Leda mit ihren Zwillingen und dem Schwane dar. Die Composition dieses treft'lichen Bil- des ist zwar im Lionardo'schen Sinn 2, allein ganz und gar im Geiste des Sodoma erfunden, (f ) Es mag wol sein, wenn wir dem Lomazzo {^^Trattato della pittura''^) trauen dürfen, dass Lionardo „/ßc« Leda tutta ignuda col cigno in (jrembo che vergognosamente abbassa gli occhi'-^^ allein bisher ist, wenigstens mir, keine einzige Zeichnung Lionardo'^s zu Gesicht gekommen, die auf diesen Gegen- stand irgendeinen Bezug hätte. Baron von Rumohr glaubt allerdings in Cassel eine Leda von Lionardo ge- funden zu haben, und in Hannover soll sich ebenfalls ein solches Bild des grossen Florentiners befinden. Da- her will ich durchaus nicht die Möglichkeit bestreiten, dass auch Lionardo ein Ledabild gemalt haben könne.
Betrachten wir nun das schöne Bild der Borghese-
' Der neue Galeriedirector stimmte auch in diesem Urtbeil mit mir überein und gegenwärtig führt das Bild den Namen des Sodoma.
' Lionardo sagt nämlich in seinem ^^Trattato (Ulla Pi' (Cap. liXIV): „L« donne ai devono ßgurar con atti reryi' le gambe imieme riatreite^ le braccia iusieme raccolte, teste basse, t piegate in traverao.^* BIbenso J. P. Richter, „ The Literary \rork8 of Leonardo da Vinci", I, 291, Nr. 583.
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Galerie genauer. Im Vorgrunde schauen, wie es in jener Schule Brauch war, Veilchen und Gänseblümchen aus dem Grase hervor, ein Distelfink, eine Turteltaube, eine Drossel sitzen ganz vertraulich unter den kleinen Halbgottern Castor und Pollux, welche da schon ganz heiter und frischen Muthes in die Welt hinausschauen, obwol sie kaum dem Ei entschli'ipft zu sein scheinen. In der Mitte des Bildes steht die unbekleidete Leda, an die der göttliche Schwan sich inbrünstig anschmiegt. Sie schlägt halbverschämt lächelnd die Augen nieder. Die Bewegung ihres schönen, wohlgebauten Leibes ist fein sinnlich und voll höchsten Reizes; sie erinnert leb- haft an die herrliche Eva auf dem Frescobild Sodoma's (Nr. 334), „Christus in der Vorhölle" in der städtischen Bildersammlung von Siena. Der Schwan könnte für- wahr nicht geistreicher dargestellt sein, sowol in seiner leidenschaftlich zudringlichen Bewegung als in der Mo- dellirung. Man stelle diesen wahrhaft künstlerisch auf- gefassten und geformten Schwan mit einem realistischen zusammen, etwa eines Hondekoeter, ja selbst mit jenem berühmten allegorischen Schwan des Asselijn im Amster- damer Museum, und man wird sofort erkennen, welch tiefe Kluft die grosse italienische Kunst von der rea- listischen der Holländer trennt. Mögen die Manen Thore's, jenes geistvollen und der holländischen Maler- schulen so kundigen Mannes, mir diesen harmlosen Seitenblick vergeben! Die reiche Landschaft im Hinter- grund dieses Bildes ist ebenfalls ganz im Geiste So- doma's gedacht und aufgebaut ^, und ebenso erinnern
* Wer die Landschaften auf den Bildern des Sodoma mit denen aus der Frülizeit des Cesare da Sesto und Giampietrino's vergleicht, der wird unschwer erkennen, dass auch in dieser Hin- sicht eine enge Verwandtschaft zwischen den drei Künstlern be- steht. Ihr gemeinschaftlicher Lehrer soll nämlich der tüchtige Landschaftsmaler Bernazzano, wie uns Vasari berichtet, ge- wesen sein.
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uns die kleinen Halbgotter sowol an jene der Farne- sina, wie auch an jene, die man im freilich sehr be- schädigten Zustande an der Decke der Camera della Segnatura im Vatican noch sieht*
So dachte und schrieb ich über dieses Ledabild des Sodoma vor etwa fünfzehn Jahren, und auch später, als ich wieder vor dieser anziehenden Leda stand, fand ich nie an meiner ersten Auflfassung etwas zu ändern. Das Bild hing nämlich, zu meiner Entschuldigung, bis noch vor kurzem etwas weit ab vom Fenster, sodass man es nur im Halblicht sehen konnte. Als es nun neuerdings durch die Galeriedirection ganz in die Nähe des Fen- sters gestellt wurde, sah es Herr Dr. J. P. Richter, und dieser hatte die Güte, mich sogleich aufmerksam zu machen, dass es wol blos eine alte gute Copie des Sodoma'- schen Originalbildes sein dürfte. Und in der That, als ich dann auf diesen Wink des Freundes hin diese Leda mir wieder näher besah, da fielen auch mir
* Einige nordische Kunstgelchrte behaupten noch immer nachdrücklich, dass, wie die Roxaue-Zeichnung in der Albertina dem Raffael und nicht, wie ich bewies, dem Sodoma angehöre, 80 auch dass die Putten an der Decke der Camera della Segna- tura nicht dem Lombarden, sondern dem Melozzo da Forli (!) zugeschrieben werden müssen, und zwar hauptsächlich aus dem Orunde, sagt Herr Director Bode (II, 596, Anmerkung), weil in der Mitte auf blauem Himmel das Wappen der della Rovere, welchem Hause Papst Sixtus IV. angehörte, angebracht sei. Allein auch Julius II. war ja aus der Familie della Rovere! Es ist mir wirklich unerklärlich, wie der berliner Gelehrte vor jenen Putten des Sodoma an Melozzo nur denken konnte. Braun in Domach hat nun sämmtliche Gemälde des Sodoma an der Decke der Camera della Segnatura photographirt (Nr. 115, 114, 113, 112, 111). Meine Freunde wollen sich diese schönen Blätter ver- schaffen und mögen dann vor Blatt 115 entscheiden, ob jene Putten, so sehr sie auch durch ücberraalung entstellt sind, nicht alle noch den Charakter der übrigen Putten des Sodoma haben, braucht man sie doch blos mit d«- "-!•-• ?■.♦♦'" nuf den Blät- tern 113 und 114 zu vergleichen
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plötzlich die Schuppen von den Augen und ich erkannte sogleich die Richtigkeit des Richter'schen Ausspruchs. Dieses eine Beispiel möge allen Kunstkritikern zur "Warnung dienen, dass man nämlich nie ein Urtheil ab- geben darf über Kunstwerke, die man nur im Halb- dunkel sah. Ob das Originalbild sich noch immer ir- gendwo vorfindet, ist eine Frage, auf die ich keine Ant- wort habe. Dagegen bin ich in der Lage, meinen Freun- den mehrere Zeichnungen anzufiihren, welche unserm Sodoma zu diesem seinen Bilde gedient haben. Drei derselben werden dem Lionardo, eine vierte dem Ur- binaten und eine fünfte endlich richtig dem Bazzi selbst zugeschrieben. Die eine der zwei ersten, dem Lionardo zugemutheten Federzeichnungen befindet sich im gross- herzoglichen Schloss zu Weimar. Sie stellt die Leda dar mit nach links dem Schwane zugewendetem Ge- sicht (Braun 148). (f)
Auf der zweiten, die in der Sammlung von Chats- worth aufgestellt ist (Braun 51), ist die Leda ebenfalls kniend dargestellt, wie sie mit ihrem linken Arm den Hals des liebeerfüllten Schwans umfasst. (f)
Eine dritte Federzeichnung zu diesem Bilde befindet sich in der Windsor-Sammlung im zweiten Bande der Rafiaelzeichnungen (Grosvenor Gallery Publication, 50). Dieses merkwürdige Blatt stellt die nackte Leda stehend dar, wie sie mit beiden Armen den Schwan umarmt, ungefähr in der nämlichen StelUmg wie hier auf un- serm Bilde. Diese letztere Federzeichnung hat allerdings einen Raffaerschen Anflug, sodass man es Dilettanten nicht verargen darf, wenn sie dieselbe für die Arbeit des Urbinaten ansehen. Wer jedoch mit dem Geist und der Technik Sodoma's näher vertraut ist, dem, glaube ich, muss auch dieses Blatt als ein untrügliches Werk des Bazzi erscheinen, (f ) Wir sehen darin einen fernem Be- weis, dass der Lombarde in jenem Jahre in Rom, als er das Ledabild und die Hochzeit Alexander's mit
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Hoxane malte, zu Raffael in näherer Beziehung gestan- den haben muss. Das nackte Kind z. B. neben der Leda auf dieser Windsorzeichnung ist sehr Raflfaelisch oder besser Lionardisch-Raffaelisch.^ Prüfen wir jedoch diese Federzeichnung genauer, so erkennen wir ohne Mühe an der Form der Füsse, an den vollen dicken Knien, an den mandelförmigen Augen, am durchaus unrafFaelischen Kopfputz und an den spitzigen Feder- strichen, die Hand und den Geist des Sodoma.* Die nicht ganz fehlerfreie Modellirung des Korpers ist die- selbe wie in den vorigen zwei Zeichnungen und ent- spricht andern Federzeichnungen und Skizzen, die in öffentlichen Sammlungen als unbezweifelte Arbeiten des Sodoma angesehen werden. Die Federzeichnung der aufrechtötehenden Roxane in der Esterhazy-Sammlung zu Budapest, sowie die Zeichnung zum Ruhebett der Roxane in der üniversitätssammlung von Oxford (Ka- talog Robinson 177) mögen zur selben Zeit, d. h. im Jahre 1514, entstanden sein, (f)
' Zuweilen geschieht es ja, dass auch Zeichnungen seines Lehrers, d. h. Lionardo's , Raffael zugemuthet werden , wie z. B. in der Sammlung His la Salle im Louvre (Katalog des V* Both de Tanzia, Nr. 101), wo eine Federzeichnung Lionardo^s dem Raffael zugeschrieben wird.
' Die jedem Auge sichtbaren charakteristischen Merkmale in den Werken des Sodoma sind ungefähr die folgenden:
1) Die Hand hat bei ihm f""» "«mpr zugespitzte Finger '^1^*^ affusolaU).
2) Sehr oft sind die Wurzcm (ior Finger an der Hanu mu Grübchen angedeutet.
3) Das Auge ist mandelförmig.
4) Das Knie voll und stark.
5) Seine Landschaft stellt cameist eine weite, von GewlMem durchzogene Ebene mit niedern Baamgmppen vor, welche auf der einen Seite durch einen Hügel mit reichbethürm- ten Ortschaften, römischen Tempeln and Bogen einge- rahmt wird.
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Eine vierte Federzeichnung (Grosvenor-Gallery, Nr. 50) zum Ledabild befindet sich ebenftills in Windsor- Castle, allein nicht unter dem Namen IvafiaeFs, sondern unter dem Lionardo's. Auf diesem Blatt ist der Kopf der Leda viermal dargestellt, in der Vorder- und in der Hinteransicht und zwar mit besonderer Rücksicht auf ihre gekünstelte Haarfrisur, (f)
Eine fünfte und zwar überaus herrliche Zeichnunsr zum Kopfe unserer Leda hier besitzt endlich das Museo civico in Mailand. Diese fein ausgeführte Röthelzeich- nung erinnert in der Mache durchaus an die Roxane- zeichnung in der Albertina und wird an Ort und Stelle richtig dem Sodoma zugeschrieben. Der Kopf hat dieselbe Haarfrisur wie die auf dem Blatt in Windsor.
Von Sodoma sehen wir im zweiten Zimmer dieser Borghese-Galerie unter Nr. 44 noch ein drittes Werk, eine heilige Familie, ein immerhin gut gemaltes Bild, aus dem jedoch die frische Lust seiner lombardischen Jugendzeit nicht mehr herausschaut.
Ausser seinen herrlichen Wandgemälden in der Far- nesina, einem übel zugerichteten heiligen Christoph im Palast Spada und einem Bilde mit dem Raub der Sabi- nerinnen im Palast Chigi sind mir von ihm in Rom keine Werke bekannt.^ Will man diesen geistvollen, hoch- begabten Künstler, der in seinen besten Werken den Grössten an die Seite gestellt werden darf, näher kennen lernen, so muss man ihn in Siena aufsuchen: in S. Spi- rito, in S. Domenico, in S. Bernardino, in der städtischen
^ Ein stark ' übermaltes Madonnenbild (Nr. 54) in der Bar- berini-Galerie wird dort allerdings dem Bazzi zugemuthet. Für jene Kunstfreunde, die es gesehen, wird es kaum nöthig sein, gegen eine so abgeschmackte Taufe zu protestiren. Jenes Bild gehört wahrscheinlich demselben" Maler aus der Bolognesischen Schule an, der in der Doria- Galerie (Nr. 79) den Namen Lodi (soll wol Calisto da Lodi heissen?) erhielt, und der dem Inno- cenzo da Imola und dem Bagnacavallo nahe steht.
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Akademie, im Palazzo publico, in Montoliveto. Auch Florenz besitzt vorzügliche Werke von ihm, danmter namentlich den herrlichen heiligen Sebastianus in den Uffizien und das Wandgemälde in Montoliveto. Als Frescomaler zumal ist Sodoma, wenn er nur will, un- übertrefflich. Auch in Oberitalien befinden sich gute Werke von ihm, doch fast ausschliesslich Tafelbilder: drei davon in der Pinakothek von Turin; mehrere in Privatsammluugen in Mailand: bei Herrn Cereda-Bo- nomi, beim Grafen Borromeo, bei Herrn Ginoulhiac, in der Sammlung des Herrn G. Frizzoni, und ein ganz im Frans Hals'schem Sinne gemalter männlicher Kopf in der Sammlung des Herrn Giovanni Morelli; femer die grosse sogenannte Madonna (il Madonnone) des „Lionardo da Vinci" im Hause Melzi in Vaprio, das ein- zige Wandgemälde des Sodoma, das mir in Oberitalien bekannt ist, vom verstorbenen Mündler noch immer als Werk Lionardo's angesehen (M.'s Beiträge zu Jakob Burckhardt's Cicerone, S. 32). Dieses ziemlich hudelig behandelte, allein grossartig aufgefasste Frescobild ge- hört meiner Ansicht nach keinem andern Meister an, als unserm Sodoma, welcher es höchst wahrscheinlich während seines Aufenthalts in der Lombardei (in (1«mi Jahren 1518 — 21?) ausgeführt haben dürfte, (f)
Auch die städtische Galerie von Bergamo besitzt, unter dem Namen Lionardo's, ein kleines, sehr nachge- dunkeltes Madonnenbild des Sodoma Nr. 183. Im Vene- zianischen bin ich keinem einzigen Werk unsers Meisters begegnet, ausser einem Madonnenbild in der Sammlung Scarpa in la Motta. Es ist dies ein Rundbild, auf dem die Madonna kniend vor dem auf der Erde liegenden Christkind darg(>stellt ist, der kleine Johannes, von <inem Engel unterstützt, beugt sich vor dem Christ- kind; hinter der heiligen Jungfrau Joseph. Dieses Bild, das dort dem Cesare da Sesto zugeschrieben wird, ist übrigens sehr verdorben.
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Betrachtet man nun die Menge der doch so mannich- fachen Werke dieses verschieden gestimmten Ki'instlers, so, glaube ich, werden viele Kunstfreunde mit mir zur Erkenntniss kommen, dass im grossen und ganzen So- doma als der bedeutendste und geistvollste Maler der Lionardo-Schule angesehen werden darf. Von keinem andern der mehr oder weniger begabten Schüler und Nachahmer des grossen Florentiners werden so viele Werke dem Meister selbst zugeschrieben, als wie vom Sodoma. Lebensfroh und eitel, sorglos lustig, ja oft ausgelassen bis zur Liederlichkeit wie er war, fehlte es ihm vor allem an Ernst und an Ehrgeiz. Auch war ihm andererseits als echtem Künstler die Kunst fremd, den Leuten zu imponiren und auf Stelzen in der Welt einherzumarschiren, und wer diese Kunst nicht besitzt, der wird hier unter der Sonne entweder niemals oder wenigstens doch sehr spät zu seinem Verdienst gelangen. In den guten Stunden, in denen Sodoma seine Kräfte zusammennahm, brachte er Werke hervor, die unsere ganze Bewunderung verdienen und die auch zum Schön- sten gehören, was die italienische Kunst aufzuweisen hat. Naturwüchsig wie er war, hat die Michelangeleske Strömung seiner Zeit ihn nie aus seinem Fahrwasser zu bringen vermocht. Seina weiblichen Köpfe sind, wie schon Vasari, sein Widersacher, hervorzuheben sich ge- zwungen sah, unübertrefi'lich. In einem gewissen Sinn darf Sodoma in mehrern seiner Werke neben L. Lotto und Correggio, d. h. in jene Schar hochbegabter Maler gestellt werden, welche, gleich Lionardo, vornehmlich die „Anmuth der Seele" darzustellen bemüht waren. Man beobachte z.B. in der Ekstase der heiligen Katharina (S. Domenico in Siena) selbst die Hände, zumal die linke, der Heiligen. Sind sie nicht empfunden, wie sie etwa Correggio empfunden und dargestellt hätte? Und jene lieblichen Engelknaben über dem Bogen, gemahnen sie nicht an die des L. Lotto und auch an die des Cor-
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reggio ? Dem. von Viisari unwürdig behandelten Giovan Antonio Bazzi erging es wie dem bescheidenen Lotto, dem ebenso bescheidenen Moretto von Brescia, dem Bonifazio Veronese und andern trefflichen Meistern der ersten Hälfte des IG. Jahrhunderts — seine besten Werke wurden nämlich berühmtem Zeitgenossen zugemuthet und vom Publikum als solche angestaunt.* Von diesen Verwechselungen sei es mir erlaubt, hier einige anzu- fi'ihren. Wir haben schon oben gesehen, wie vier von den Zeichnungen zu jenem Ledabild, ebenso wie das grosse Wandgemälde in Vaprio dem Lionardo zuge- schrieben werden. Andere Zeichnungen Sodoma's wur- den dagegen auf Riiffael getauft, so alle diejenigen (in Budapest, in der Albertina, in den Uffizien), die auf die Hochzeit Alexander's mit der Roxane Bezug haben; ebenso der schone männliche Kopf im Britischen Museum (Braun 94) und der aiidon» m (\*^r Albertina, während
* Von den Zeichnungen Sodoroa's ist die Mehrzahl noch in Italien, und die Uffizien-Sammlung allein besitzt über ein Dutzend derselben, unter den Nrn. 105 (dem Lionardo zugeschrieben); 563, 565, 1506, 1507, 1644, 566, 1479, und in den Mappen des Kupferstichcabinets: die Nrn. 1932, 1935, 1936, 1938, 1943, 1944, 1945. Auch die Sammlung der königl. Bibliothek in Turin hat zwei Zeichnungen des Sodoma und zwei besitzt auch Herr Giovanni Morelli in Mailand. Es wird kaum nöthig sein zu bemerken, dass die Röthelzcichnung mit dem weiblichen Kopf, welche in der Liller Sammlung dem Sodoma zugeschrieben wird (Braun 43) blos Copie nach ihm sein kann.
In der Louvre- Sammlung fand ich drei echte Zeichnungen des Bazzi, unter den Nrn. 87, 88 und 94 des Reisetaschen Kata- logs, während die kleinlichen Blätter unter den Nrn. 89, 90, 91, 92 und 93 von Herrn Reiset mit grossem Unrecht dem Sodoma zugemuthet werden und zwar blos deshalb, weil auf Blatt 93 der Name des (Miniaturmalers?) Antonius Vercellonsis gesetzt ift. (t) Es ist dies ein anderes Beispiel, zu welch groben Irr- thümem das Vertrauen auf sohriftlicho Dooumente selbst einen ergrauten Kenner führen kann. Auch die Ambrosiana in Mailand besitzt eine heilige M. Magdalena von Bazzi (Braun 191).
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man in der Sammlung des Städel'schen Instituts noch immer fortfährt, das herrliche Frauenporträt (f ) dem Se- bastian del Piombo zu geben! ^ Bei solchem Zwiespalt der Ansichten ist daher zu hoffen, dass recht bald ein der italienischen Malerschulen kundiger Mann sich auch des Sodoma erbarmen und, die Gesammtzahl seiner Werke ins Auge fassend, uns ein treues Bild seiner wahrhaft künstlerischen Personalität darbieten möge.
GIAMPIETRINO ODER GIAMPEDRINO.
Unter Nr. 15 hängt in diesem ersten Saal der Bor- ghese-Galerie ein zwar stark beschmutztes, allein trotz- dem noch immer wunderherrliches Madonnenbild, wel- ches im Katalog ebenfalls namenlos blos als zur Schule Lionardo's gehörig eingeschrieben ist. Und in der That gemahnt uns das süsse Lächeln der Jungfrau an die Fraueriköpfe Lionardo's und Sodoma's, mit welchem letztern Giampietrino, dem unserer Ansicht nach die- ses Werk angehört, nicht selten verwechselt wird.^ (f)
Spricht man von der mailändischen Malerschule vom Ende des 15. und von den ersten Decennien des 16. Jahr- hunderts , so wäre es wünschenswerth, dass man einen Unterschied machte zwischen den eigentlichen Schülern Lionardo's, d. h. jener wenigen, die unter seiner un- mittelbaren Leitung standen, und jenen Malern, auf die der grosse Florentiner einen nur allgemeinen, mehr ästhe- tischen als technischen Einfluss ausgeübt hat. Wenn zu den erstem unter andern Boltraffio, Marco d'Og- giono, Salaino, Giovan Antonio Bazzi, Giam-
* Von Director W. Bode neuerdings sogar dem Jan Scorel zugeschrieben (Repertorium für Kunstwissenschaft, XII, 1. Heft, S. 72).
2 Im Jahre 1860 galt die Lucrezia, Nr. 376 , in der Pinako- thek von Turin noch als Werk des Giampietrino, bis der Schrei- ber dieser Zeilen das schöne Bild auch dem Sodoma vindicirte. (f)
Die Toscaner: Giampietrino oder Giampedrino. 203
pietrino, Cesare da Sesto und vielleicht auch Fran- cesco Napoletano* zu zählen sind, so gehören zu den letztem Andrea Solario, Ambrogio de Pro- dis, Bernardino de'Conti, Bernardino Luini, Gaudenzio Ferrari, der Miniaturmaler Antonio da Monza und andere mehr, deren Werke man zwar kennt, deren Namen aber bisjetzt aus Documenten noch nicht ermittelt wurden.
Giampietrino wird von Lomazzo Pietro Rizzo Mi-
^ Von diesem: nicht talentlosen Nachahmer Lionardo's sind in Italien nur wenige Arbeiten bekannt und auch diese, wie es scheint, lauter Werke aus seiner Frühzeit, da Francesco schon in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts in Valencia sich niedergelassen hatte und wahrscheinlich Spanien nicht mehr ver- liess. Von diesen seinen Jugendwerken besitzt Herr Bonomi- Cereda ein mit dem Namen bezeichnetes Bildchen: die thro- nende Madonna mit dem Kinde, an den Seiten die Heiligen S. Sebastianus und Johannes der Täufer. Ein anderes Madonnen- bildchen kam durch Tausch aus der Akademie von Venedig in die Brera-Galerie und zwar unter dem Namen des Cesare da Sesto. Nach gütiger Mittheilung des Herrn Prof. Carl Justi, des geistvollen Kenners der Kunstgeschichte Spaniens, befinden sich in Valencia mehrere Werke dieses Francesco Napoletano, das bedeutendste darunter in der Kathedrale. Dieses letztere Werk besteht aas zwölf Lionardesken Gemälden mit lebensgrossen Figuren, die so- wol die innem als auch die äussern Seiten der Flügel des grossen plastischen Retablo ausfüllen. Diese Bilder, Darstellungen aus dem Leben der Maria, wurden von Francesco Neapoli (sie) in Gemeinschaft mit Paolo von Arezso im Jahre 1506 voll- endet. Die Farben in diesen Gemälden, fügt Professor Justi hin- zu, sind sehr gesättigt; ein warmer brauner Ton herrscht im Vordergrund, in den Gebäuden und im Incamat. Die Erzählung ist voll Anmuth und Heiterkeit. Im Nackten jedoch crsohienen ihm beide Meister schwach. Ein Madonnenbild mit der heiligen Anna soll sich, nach Angabe desselben competenten Gewährs- mannes, in der Kirche von S. Nicolas, ebendaselbst, vorfinden; ein anderes Bild, die „Vermählung der Maria**, in der Kathe- drale von Murcia, dürfte ebenfalls diesem Francesco Napoletano zugeschrieben werden.
204 Die Galerie Borghese.
lanese genannt. Weder sein Geburtsjahr noch das semes Todes sind bekannt, noch gibt es von ihm, soviel ich weiss, mit dem Namen bezeichnete Werke. Dass er unmittelbar von Lionardo herkommt, scheint mir am deutlichsten aus einer dem Lionardo selbst zugemutheten Kohlezeichnung in der Sammlung des Christ-Church College in Oxford her- vorzugehen. Leider ist jene ganz vorzügliche Zeichnung, die das nackte Christkind auf dem rechten Knie seiner gottlichen Mutter ruhend darstellt, von der Stirn auf- wärts durch Restauration verdorben, (f ) Giampietrino malte zumeist Halbfigurenbilder, höchst selten grössere Altarwerke. Die Mehrzahl der unter seinem Namen gehenden Bilder gehört nur der Werkstatt an.^ In den Werken seiner Frühzeit ist das Incarnat stets kalt im Ton, die Hände sehr lebendig modellirt im Gegensatz zu den stets steifen leblosen Händen bei Marco d' Og- giono, mit dem er oft verwechselt wird.^ Auch möchte ich meine Freunde noch auf das sehr gesättigte Orange- gelb in den Gemälden des Meisters aufmerksam machen, da diese Farbe für ihn sowie fiir seine Schule bezeich- nend ist. Von diesem wahrhaft schönen Bilde hier gibt es viele alte Copien: eine davon auch in Rom, im Pa- last Rospigliosi; eine andere in der Münchener Pina- kothek (Nr. 1047), dort friiher dem Luini zugeschrieben, im neuern Katalog jedoch als Originalbild des Giovanni P e d r i n i (sie) angeführt.
Zu den bessern Werken des Giampietrino rechne ich neben diesem Madonnenbild der Borghese-Galerie aoch ein anderes Bildchen mit demselben Gegenstande
^ So z. B. auch die heilige Katharina, Nr. 381 im Pitti-Palast, wo sie dem Aurelio Luini zugeschrieben wird, und ein grosses Bild in der Turiner Akademie „Ecce homo", Nr. 240. (f)
' So unter andern im kreuztragenden Christus (Nr. 107) der Turiner Pinakothek, (f) Einen kreuztragenden Christus von Giam- pietrino besitzt auch Sir Henry Layard in seiner ausgewählten Sammlung zu Venedig.
LA CX>LOMBI.NA IM DER KAIMKU BftlllTAOI IN tT.-PBTBMBVBO. B, t».
Die Toscaner: Giampietrino oder Giampedrino. 205
in der Sammlung der Villa Albani in Rom (Nr. 9), wo es dem Salaino zugeschrieben wird und auch als sol- ches vom verstorbenen Professor Minardi besprochen wurde.* Es stellt die Madonna mit dem Kinde auf den Knien dar. Die heilige Jungfrau hält Veilchen in der Rechten, das Kind eine Lilie, (f )
Die vorzüglichsten Werke Giampietrino^s befinden sich in Mailand: ein heiliger Rochus im Besitz von Donna Laura Visconti -Venosta; eine „Flora" in der Sammlung Borromeo; eine herrliche Nymphe Egeria beim Marchese Brivio; zwei heilige Magdalenen, die eine in der Brera-Galerie, die andere im Museo civico; die Madonna mit dem Christkinde und dann die Jung- frau mit beiden Kindern (nach dem Lionardo'schen Car- ton zum Bild der sogenannten heiligen Anna im Salon carre des Louvre) in der Sammlung Poldi-Pezzoli, dort dem Cesare da Sesto zugeschrieben.
Eins der allerbesten Werke unsers Meisters jedoch besitzt der bekannte Verlagsbuchhändler John Murray in London, (f ) In jenem Madonnenbildchen kommt Giam- pietrino dem Sodoma sehr nahe. Auch Sir Francis Cook zu Richmond hat in seiner interessanten Samm- lung, unter dem Namen des Lionardo, ein Werk von Giampietrino. (f) Die sogenannte Colombina in der Ermitage zu St.-Petersburg, die früher Lionardo selbst zugemuthet wurde, nun aber den Namen Luini fuhrt, ist nach meinem Dafürhalten ebenfalls ein untrügliches Werk Giampietrino's (f), obwol die Herren Crowe und
> Minardi, „Scritti ddte quaiitä essentiaH deUa pittura*-*- (Rom 1864). Minardi nennt das Bild „dt una esecuzione sten- tata, povera dt sefitimento e di sapere, mediocre dd tutto". Da derselbe Kunstprofessor den ^^MedusenkopP* in den Uffizien für i'in „vorzügliches" Werk des Lionardo da Vinci erklärte, so habe ich auch nichts gegen seine Würdigung nniers Giampietrino ein- zuwenden. Es ist eben da« gewöhnliche Urtheil der meisten mo- dernen Maler über alte Meister.
206 Die Galerie Borghese.
Cavalcaselle (II, 58) jenes Bild als eine der schönsten „Productionen" von Andrea Solario, ja der ganzen Lio- nardischen Schule erklären. In diesem Bilde \ das ich nur in der Photographie kenne, lässt sich der Meister hauptsächlich an der Form der linken Hand erkennen, welche von der bei Luini und bei A. Solario abweicht. Zu den grössern Altarbildern des Giampietrino ge- hören die Tafel vom Jahre 1521 in der Kirche von S. Marino in Pavia, dort Sala'ino getauft 2, (f) und das „Präsepium" mit musicirenden Engeln in der Sakristei der Kirche von S. Sepolcro in Mailand. Die Werk- statt Giampietrino's mag vielfach besonders von nieder- ländischen Malern, die nach dem Tode Lionardo's häufig nach Italien pilgerten, besucht worden sein. Dies be- weisen uns mehrere Bilder von einem vlämisch-ffiam-
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pietrinischen Aussehen, wie z. B. das Porträt der Gio- vanna von Aragon im Braccio II der Doria- Galerie; eine ähnliche Giovanna finden wir in der Sammlung Balbi zu Genua; sowie auch die vlämische heilige Cä- cilie der Münchener Pinakothek.
BOLTRAFFIO. Von Boltraffio finden wir, wenn wir das sehr ver- dorbene Mauergemälde im Klostergang von S. Onofrio in Rom ausnehmen, in ganz Mittel- und Süditalien, so- viel mir bekannt ist, kein einziges Werk. Das Ma- donnenbild in S. Onofrio, das zuerst von Doctor G. Frizzoni und, wie ich glaube mit vollem Recht, als von der Hand des Boltraffio und nicht des Lionardo erklärt wurde, ist schon an dem hohen, für Boltraffio höchst charakteristischen Oval des Kopfes der Jungfrau als
^ Braun Nr. 74, unter dem Namen des B. Luini.
^ Eine Eöthelzeichnung Giampietrino's , die als Skizze zu diesem seinem Bild gedient haben dürfte, besitzt die Louvre- Sammlung, unter dem falschen Namen des Lionardo da Vinci (Braun 187). (f)
Die Toscaner: Boltraffio. 207
sein Werk erkennbar. In seinem gegenwärtigen Zu- stand ist jedoch leider dieses Frescobild als fast ver- loren zu betrachten. Wer den edeln Boltraffio näher kennen zu lernen wünscht, trifft seine meist kleinen Bilder in seiner Vaterstadt Mailand an: in der Samm- lung Poldi-Pezzoli, im Hause del Maino, beim Grafen Sola, in den Sammlungen der Herren Frizzoni und Mo- relli,in der Ambrosiana (Zeichnungen); auf der Isola Bella; in Bergamo sieht man in der städtischen Galerie ein vorzügliches Madonnenbild des Meisters und ebendort bei Herrn Federico Antonio Frizzoni einen kleinen heiligen Sebastianus im Profil dargestellt. Auch die Halbfiguren von Märtyrerinnen im hintern obern Gange der Kirche von S. Maurizio zu Mailand mögen nach Cartons des Boltraffio von seinen Schülern auf die Mauer gemalt worden sein; einige von diesen Rundbildern sind von grosser Schönheit.
Das beste Werk des Meisters ist jedoch, wie ich glaube, das grosse Madonnenbild in der englischen Natio- nalgalerie ', dem in der Esterhazy-Galerie zu Budapest
* Ausser den paar ganz vorzüglichen Pastellzeichnungen in der Ambrosiana, dort dem Lionardo zugeschrieben, kenne ich nur noch eine Zeichnung, welche man im Louvre ebenfalls dem Lionardo zuschreibt, die mir jedoch von Boltraffio herzurühren scheint. Es ist dies die Silberstiftzeichnung (Braun 17G), welche einen mit Eichenlaub bekränzten Jünglingskopf im Profil vor- stellt, und die dem Boltraffio zu dem obengenannten Sebastians- bildchen im Besitz des Herrn Antonio Federico Frizzoni in Ber- gamo gedient hat. Director Bode wolle es mir erlauben, ihm bei dieser Gelegenheit zu bemerken, dass das männliche Bild- nisg in der Ambrosiana, welches ihm als eine „tüchtige" Arbeit unsers Boltraffio vorkam (II, 746), mir dagegen nicht einmal der mailändischen, sondern vielmehr der Malersohule von Parma an- zugehören scheint. In der Ambrosiana wird jenes Porträt aller- dingt dem Boltraffio zugeschrieben, allein es ist das wieder eine jener vielen willkürlichen Bilderattributionen aus dem vorigen Jahrhundert, die aus Unkenntniss oder Indolenz der Galerie- directionen in Italien noch immer fortdauern.
20B I^ie Galene Borghcse.
die Madoima (Nr. 175) sehr nahe kommt (von Director Bode, wenn ich mich recht besinne, dem Bernurdino de' Couti zugeschrieben).
MARCO D'OGGIONNO.
Von Salaino gibt es kein einziges beglaubigtes Werk, und jene Gemälde, die man ihm in den öfientlichen Ga- lerien zumuthet, sind alle sehr fraglich. Dagegen be- sitzt unsere Borghese-Galerie unter Nummer 33 einen „Salvator mundi" von der Hand des Marco d'Og- g i o n n o ( 1470 [?] — 1 540 [?] ). Dieses fleissig ausgeführte Bildchen ist in der Nähe des Fensters aufgestellt, wo- durch die Direction zu verstehen gab, dass auch sie es zu schätzen wisse. Und wie sollte sie es nicht, da ja das Bild seit beinahe drei Jahrhunderten als ein Werk Lionardo's gilt. Für ein solches hielt es schon Se. Heiligkeit Papst Paul V., der es über seinem Bett hatte aufhängen lassen und es nur mit schwerem Herzen end- lich seinem Neffen, dem Cardinal Scipione Borghese, dem Gründer dieser Sammlung, überliess, nachdem des Cardinais langjährige Bemühungen, für seine damals be- ginnende Bildersammlung ein Werk des grossen Floren- tiners aufzutreiben, gescheitert waren. Das Bildchen stellt den Heiland dar, welcher mit der Rechten den Segen ertheilt und in der Linken die Weltkugel hält; Halbfiguren. Das Pendant zu diesem Bildchen ist im Besitze von Giovanni Morelli in Mailand; es stellt einen ähnlichen „Salvator mundi" ungefähr von der- selben Grosse dar und ist von der Hand Boltraffio's. Wie es scheint wurden beide Bilder zur selben Zeit von den zwei Schülern und Kostgängern Lionardo's ausgeführt. Das Kleid auf unserm Bildchen hier ist kirschroth, einer von Marco, Boltraffio und zuweilen auch von Giampietrino mit Vorliebe angewandten Farbe, der Mantel dunkelblau. Die Hand mit ihren steifen, knochigen und leblosen Fingern ist, nebst den weit
Die Toscaner: Nicola Appiani. 209
auseinanderstehenden Zygomen, charakteristisch ftir die- sen Meister. Die zackigen Aermelfalten sowie die schwarzen Schatten und die scharfen Lichter finden sich ebenfalls in allen Werken Marco's; der Grund ist dunkel wie in fast allen Ilalbfigurenbildern und Por- träts der lombardisch- mailändischen Malerschule. Die grössere Zahl der Werke von Marco d'Oggionno be- findet sich noch immer in Mailand und im Mailändi- schen: in der Kirche von S. Eufemia, in der Ambro- siana, in der Sammlung Bonomi-Cereda, in der Brera- Galerie und anderwärts noch.
NICOLA APPIANLi
Zeitgenosse und Nachahmer des Marco d'Oggionno war der wenig bekannte und allerdings auch wenig be- achtungswerthe Nicola Appiani, von dem man ein paar Bilder in der Brera-Galerie (eine „Anbetung der Konige" und die „Taufe Christi", Nr. 84 und 85) sehen kann. Auch das Altarbild in der Sakristei der Kirche von S. Maria delle Grazie gehört dem Appiani an, wie ich glaube, und nicht dem Marco d'Oggionno, wie dort behauptet wird, (f)
Ebenso dürfte das Bild in der Turiner Pinakothek mit der „Vermählung der heiligen Katharina", Nr. 104, eher von Nicola Appiani als von Marco d** Oggionno her- rühren, (f) Andere kleinere Bilder dieses untergeord- neten Meisters findet man rmdi nocli in Privntsanim- lungen in Mailand.
* Die zwei Bilder in der Brera sind schon im „Kitratto di Milano" des Canonious Carlo Torro als Werke des Nicola Ap. ]>iani angeführt, ob mit Recht wüiste ich nicht zu sagen, da kein mit dem Namen des Meisters bezeichnetes Bild bekannt ist. Weder Vasari noch Lomauo erwähnen den Appiani, wol aber Carlo Amoretti auf Seite 156 seiner „ Memorie storiche suHa vita, gli studi e le opere di Lianardo da Ktitct".
LxBiioi.nnT. 14
210 I^i« Galerie Borghese.
CESARE DA SESTO.
Von Cesare da Sesto ist mir merkwürdigerweise kein einziges Werk in Rom, wo er sich doch lange aufhielt, vorgekommen. In der vaticanischen Bildersammlung begegnet man allerdings einem grossen Madonnenbild mit dem Namen des Meisters und der Jahreszahl 1521 versehen, das der in der Kirchengeschichte besser als in der Kunstgeschichte bewanderte Herr Rio (^«^ Leonard de Vinci et son ccoler>^ S. 216) für baare Münze an- genommen, das jedoch jedem auch nur einigermassen mit den Werken der oberitalienischen Malerschulen ver- trauten Kunstfreund als ein höchst schwaches Mach- werk aus der spätem lombardisch-mailändischen Schule erscheinen wird. Die italienische Aufschrift Cesare da Sesto sowie das Datum sind evident modernen Ursprungs und von irgendeinem Fälscher darauf ange- bracht worden. 2 (♦)•)
Dieses Tafelbild stellt die sitzende Madonna mit dem Jesuskinde auf dem Schose dar, das Kind hält den Gürtel der Mutter in den Händen, rechts ein heiliger Bischof, links Johannes der Täufer.
Cesare da Sesto wurde wahrscheinlich um 1480 in Sesto Calende am Lago Maggiore geboren; wann und wo er gestorben, ist unbekannt. Vasari erwähnt seiner im Band IX, 25, und sagt: „Bernazzano, ausge- zeichnet in der Landschaft, allein schwach als Figuren- maler, verband sich mit Cesare da Sesto, der die Figuren gut darzustellen wusste"; und in Band XI, 274, bemerkt er noch, dass ausser Marco Uggioni (d'Oggionno) noch viele andere den Lionardo da Vinci gut nachzu- ahmen wussten, unter ihnen namentlich Cesare da Sesto, und citirt bei dieser Gelegenheit von ihm die „Taufe
* Auch Herr Director W. Bode (II, 751) sieht dieses Rund- bild als von der Hand des Cesare da Sesto an.
Die Toscaner: Cesare da Sesto. 211
Christi^*, eine „Herodias" und ein grosses Bild mit dem heiligen Rochus. Das früheste Werk, das von Ce- sare da Sesto mir bekannt ist, befindet sich in der Ge- mäldesammlung der gräflichen Familie Borromeo in Mailand : es stellt die „Anbetung der Könige" dar. In diesem höchst interessanten Bilde, das der Meister in den ersten Jahren des 15. Jahrhunderts gemalt haben dürfte, treten klar die Einflüsse hervor, die der junge Lombarde in Florenz theils von Lorenzo di Credi, theils von M. Albertinelli, sowie auch in Siena von Pinto- ricchio in sich aufgenommen hatte. ^ Ein anderes Werk aus seiner Frühzeit möchte ebenfalls das Tondo mit der Madonna und den beiden Kindern sein, welches sich im Hause des kürzlich verstorbenen Herzogs Lo- dovico Melzi d'Eril in Mailand befindet, von welchem Bilde eine Copie unter dem Namen des B. Luini in den Uffizien, Nr. 1013, aufgestellt ist. Eine andere Copie jenes Tondo sah man früher auch in der Bor- ghese-Galerie. (f)
Jener „Cesare Milanese", der um 1506 wahrschein- lich im Auftrag des kunstliebenden Castellans von Ostia, Baldo Magini (Vasari X, 222), in Gemeinschaft mit B. Peruzzi in der „Rocca" von Ostia al fresco malte (Va- sari VIII, 221), dürfte wol kein anderer sein, als unser Cesare da Sesto. Während der Jahre 1507 bis ungefähr 1512 wirkte Cesare, aller Wahrscheinlichkeit nach, in Mailand und unter dem directen Einflüsse des Lionardo da Vinci. Dafür zeugen, wie mir scheint, unter andern
^ Die t^Taofe Christi" befand sich 1595, nach Moriggia, im Hanse des Senators Galeazzo Visconti und ist gegenwärtig im Palast des Herzogs Scotti in Mailand.
' Ich bitte meine Freunde, in diesem Bilde, das ich dem Cesare da Sesto vindiciren zu dürfen glaube, sich vornehmlich die diesem Meister eigenthümlichen Stellungen und Bewegungen, so- wie die Form der Hand und des Obres genau ansehen zu wollen, um von der Richtigkeit meiner Bestimmung sich lo überzeugen, (f)
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212 ^^6 Galerie Borgbese.
seine sogenannte „Vierge aux Balances", Nr. 465, in der Louvre- Galerie (von Passavant, II, 345, dem Sa- laino zugeschrieben); seine „Herodias" (jetzt im Bel- vedere zu Wien) ; ein heiliger Hieronymus bei Sir Francis Cook in Richmond^; das schöne Madonnenbild, Nr. 172, der Esterhazy-Galerie in Budapest und auch die grosse Tafel „Anbetung der Könige", jetzt im Museum von Neapel, die Cesare für eine Kirche von Messina ausführte. Alle diese hier angeführten Bilder stellen uns Cesare da Sesto als Nachahmer Lionardo's dar, wogegen das grosse Bild mit dem heiligen Rochus, das er für die gleichnamige Kirche in Mailand malte, uns einen Be- weis gibt, dass später RafFael, mit dem er in Rom, nach Lomazzo, auf sehr freundschaftlichem Fusse gestanden haben soll, sein Vorbild wurde. ^ Aus einer seiner Zeich- nungen im Louvre dürfen wir fast schliessen, dass ums Jahr 1520 Cesare sich noch immer in Rom befjind. Jenes interessante Blatt findet sich im sogenannten Lionardo-Buch des Vallardi und führt die Nr. 6782. Auf demselben ist der von Lomazzo schon erwähnte „Kampf mit dem Drachen" dargestellt. Auf der Rück- seite des Blattes sieht man drei Figuren, und darunter auch die Mutter des Besessenen aus der von Raffiiel um 1519 — 20 ausgeführten „ Transfigurati on" nach- gebildet, (t)
Zu den Werken aus der spätem Zeit unsers Künst- lers glaube ich die drei Tafelbilder mit der Madonna, das Christkind in den Armen haltend, und den zwei Heiligen an den Seiten, rechnen zu dürfen. Von diesen drei Bildern befindet sich eines in der Ermitage in
^ Im Jahre 1595, als Moriggia sein Buch „La Nobiltä di Milano" herausgab, befand sich dieses Bild bei Herrn Guido Mazenta.
* Dieses gi'osse Rochusbild befindet sich gegenwärtig im Palast des verstorbenen Herzogs Lodovico Melzi zu Mailand.
AirtlA^t;!!.
Die Toscaner: Cesare da Sesto. 213
St.-Petersburg, unter dem Namen des Lionardo da Vinci *, ein zweites in London bei Lord Monson, und das dritte endlich, unter dem richtigen Namen des Cesare da Sesto, in der Brera-Galerie. Auf diesem letztern Bilde sieht man, ausser der Madonna mit dem Christkind und den Heiligen Joseph und Joachim an den Seiten, noch den kleinen Johannes darorestellt.
Ausser diesem besitzt die Brera-Sammlung noch ein zweites, höchst elegantes Madonnenbildchen, Nr. 323, aus einer frühern Zeit des Meisters.^
» Von P. Moriggia: „La Nobiltä dt Milano'' (1595, Libro quinto, p. 277) als Werk des Cesare da Sesto im Besitze des Senators Galeazzo Visconti citirt: „Una Madonna col figUuolo in braccio con San Gitts^pe ed una Martire^^. Erst in einer spätem Zeit wurde also das Bild auf den Namen des Lionardo da Vinci umgetauft.
* Zur Belehrung der Anfänger seien hier einige Zeichnungen des Cesare da Sesto angeführt, welche zum Theil wieder dem Lionardo zugemuthet werden, so unter andern jüngst auch noch in der „Gazette des beaux-arts^^ {Les demiers travaux de Lio- nard da Vinci) die Rötheizeichnung in Windsor mit dem an einen Baumstamm gebundenen heiligen Sebastianus mit den zwei Schergen an der linken Seite (Grosvenor Society, Nr. 86). (f) Diese Zeichnung diente dem Cesare da Sesto zu einem Wand- gemälde, das, wie der oben citirte Moriggia uns berichtet, in einer Villa der Grafen Resta in der Nähe von Mailand im Jahre 1595 noch sichtbar war. Eine alte Copie jenes jetzt zu Grunde gegangenen Frescobildes befindet sich in der Galerie Malaspina in Pavia. Der Einfluss Miohelangelo's ist in diesem Blatt des Cesare nicht zu verkennen. Ausser dieser Rötheizeichnung des Cesare will ich noch zweier anderer Rötheizeichnungen der Windsor-Sammlung erwähnen, welche dort ebenfalls den Namen Lionardo's führen: es sind dies zwei Kinderstudien auf einem und demselben Blatt (Grosvenor Society, Nr. 66). (f) Auch in der Sammlang des Britischen Museums sah ich unter dem Namen des Lionardo eine treffliche Zeichnung des Cesare da Sesto: ein Blatt im 16. Band mit der Bezeichnung 1862, 10, 11, 196; das- selbe enthält twei Federzeichnungen nach der sogenannten Ma- donna di Casa d'Alba und auf der Rückseite den Kopf eines alten
214 Die Galerie Borghese.
Aus dem eben Gesagten geht hervor, dass Cesare zwar ein trefflicher Techniker, gleich allen Schülern Lionardo's, allein kein naturwüchsiger, selbständiger Künstler, wie etwa Sodoma, gewesen ist.^
Als Werke der Schule Lionardo's werden sodann in diesem ersten Zimmer der Borghese -Galerie noch fol- gende Bilder bezeichnet:
Eine allegorische Gestalt „die Eitelkeit" darstellend (Nr. 8), Copie nach B. Luini.
Ein „Ecce homo" (Nr. 17), in der Auffassung und Technik dem Andrea Solario verwandt.
Ein Halbfigurenbild, das die heilige Agatha darstellt (Nr. 32), eine spätere und schwache Copie nach B. Luini.
BERNARDINO LUINI.
Von Bernardino Luini (ungefähr um 1475 geboren^ 1533 noch am Leben) selbst besitzt also diese Galerie kein Originalwerk. Ein herrliches, wenn auch von einem dichten Firnis bedecktes Bild des Meisters sieht man da- gegen in der Galerie Sciarra Colonna (Nr. 43). Ich meine damit, wie man leicht errathen wird, die weltberühmte^
Mannes in rother Kreide. Ebenfalls unter dem Namen Lionar- do's befindet sich im sogenannten Lionardo-Bucb des Vallardi im Louvre ein Blatt mit Studien zu einem Madonnenbilde ; unter- halb eine sitzende allegorische Figur (Nr. 6, 781, Braun 189). (f) Zwei schöne Studien zum Christkinde besitzt mit richtiger Be- nennung die Sammlung der königl. Bibliothek in Turin; auch die venetianische Akademie hat mehrere gute Rötheizeichnungen des- Cesare da Sesto und überdies die Federzeichnung zu dessen grossem Bilde „die Anbetung der Könige" im Museum von Neapel {Perini 196).
* Der geistreiche „Improvisator" Andrea Sabbatini von Salemo dürfte statt des Rafifael, wie Dominici uns glauben machen möchte, wol eher unsern Cesare da Sesto zum Lehrer gehabt haben, (f) Die Werke des Andrea da Salemo muss man im Mu- seum von Neapel und in einigen Kirchen daselbst aufsuchen.
Die Toscaner: Bemardino Luini. 215
unter dem Namen „Bescheidenheit und Eitelkeit" be- kannte, dort dem Lionardo da Vinci zugeschriebene Tafel. Vielleicht dürfte „Irdische und göttliche Liebe" eine ebenso passende Benennung sein für dieses Ge- mälde, welches, beiläufig bemerkt, um dieselbe Zeit wie das ungefähr denselben Gegenstand behandelnde Bild Tizian's im zehnten Saal der Borghese- Galerie ent- standen sein dürfte. Auch andere Maler jener Epoche haben dasselbe, wie es scheint, damals sehr beliebte Sujet behandelt, was für die Culturgeschichte mir nicht ohne Interesse zu sein scheint. Wie schon oben angedeutet ist dieses Werk des Luini in dessen zweiter Manier, der sogenannten maniera grigia gemalt (von 1508 — 1520 ungefähr), als derselbe nämlich, von Lionardo beein- flusst, die Werke dieses Meisters studirte und sich be- mühte, namentlich die Formen des Antlitzes plastischer darzustellen, als dies in seinen frühern Werken der Fall war.
Noch eines andern Bildes von Luini, das sich in Rom befindet, sei mir erlaubt hier zu gedenken: es ist dies die liebliche Madonna mit dem Jesuskind in den Armen, das liebevoll sich herabneigend eben im Be- griÖ' steht den kleinen Johannes zu küssen, ein Motiv, das von diesem Meister öfters wiederholt wurde; hinter dem Täufer die heilige Elisabeth. Dieses schön auf- geftisste Bildchen hängt im letzten Saale des Palazzo Colonna, ist jedoch so arg übermalt, dass es fast un- geniessbar geworden. Auch die Corsinische Sammlung in Rom hat ein weibliches Porträt (Nr. 31), dem der Name des B. Luini angehängt wurde, was jedoch, wie ich denke, wol nur aus Versehen geschah.
In Unter- und Mittelitalien finden wir, in den öffent- lichen Sammlungen wenigstens, keine andern Bilder Luini's, mit Ausnahme der stark restaurirten „Ilero- dias" in der Tribuna der UfBzien-Galeric und des zwar für den Meister charakteristischen, allein wenig an-
216 I>ie Galerie Borghese.
sprechenden Madonnenbildes im Museum von Neapel (Nr. 15).
Diesen nicht gerade phantasiereichen, doch höchst gewissenhaften und lieblichen Meister kann man nur in Mailand und im Mailändischen (in den Kirchen der Passione, von S. Giorgio in Palazzo, S. Maurizio, in der Ambrosiana, der Brera-Galerie, in den Sammlungen Poldi-Pezzoli und Borromeo; in Legnano, Saronno, im Dom von Como, in Lugano und anderwärts) kennen lernen. Seine Formen sind rund und etwas schwerfällig, die Füsse meist zu lang und die Hände, wie bei Giovan Bellini, zu stiirk und zu breit. Auch Luini steht als schöpferischer Kimstler dem Sodoma weit nach.^ Er hatte viele Schüler und Nachahmer, deren Arbeiten, sogar in der Brera-Galerie, noch immer ihm selbst zu- geschrieben werden, wie, unter manchen andern, z. B. auch die Wandgemälde unter der Nr. 13 und die von Nr. 23—42. (f)
ANDREA SOLARIO.
In der Borghesischen Galerie finden wir jedoch noch ein Werk eines andern mailändischen Kiinstlers aus der
* Die auf uns gekommenen Zeichnungen dieses Meisters sind selten, daher mögen einige davon hier bezeichnet werden:
a) Ein Blatt mit drei getuschten Kinderstudien in der Am- brosiana (Braun 175).
b) Getuschte Zeichnung mit Gips gehöht, „den kleinen To- bias vor seinem Vater" darstellend, ebendaselbst (Braun 179).
c) Rötheizeichnung einer Madonna, ebendaselbst.
d) Die „Vertreibung aus dem Paradies", Kreidezeichnung in der venetianischen Akademie.
e) In der Uffizien-Sammlung (Küpferstichcabinet , Nr. 1940) ein aquarellirtes Blatt.
f) Auch die von Herrn Reiset nur dubitativ dem Meister selbst zugeschriebenen zwei Kinderköpfe in der Louvre- Sammlung, Nr. 237 und 238, sind meiner Ansicht nach echt.
Die Toscaner: Andrea Solario. 217
„goldenen Zeit" und zwar ebenfalls in diesem ersten Saiil, unter Nr. 42 und unter dem Namen des Andrea Solario. Es stellt Christus mit dem Kreuz und zwei grinsenden Schergen dar. Kalt in der Farbe, geleckt in der Ausfuhrung, dunkel in den Schatten, ist es doch mit grossem Fleisse ausgeführt. Die Häscher sind ca- rikirt und haben ein sehr vlämisches Aussehen, sodass ich keinen Augenblick anstehe, dieses Bild für die Ar- beit eines Niederländers (f) zu erklären. Die Figur des Christus ist allerdings dem Solario entlehnt, allein die die Zähne zeigenden Häscher mit dem abscheu- lichen Daumen na gel des einen sind die Zuthat eines in Italien weilenden Malers der Antwerpener Schule, wie mir scheint.*
Der nämliche Gegenstand wurde von Andrea Solario oft behandelt, so unter anderm in einem Bildchen der Communal - Galerie von Brescia und auf zwei Tafeln, die einst der Maler Galgani in Siena besass. In all diesen Werken ist Christus edler, würdiger aufgefasst, als in diesem Bild der Borghese- Galerie, das Colorit ist wärmer, die Farben sind pastöser aufgetragen, alles Eigenschaften, die wir in seiner treÖ'lichen „Ruhe auf der Flucht" vom Jahre 1515 in der Sammlung Poldi- Pezzoli in Mailand bewundern.
Andrea Solario nimmt in der lombardisch -mailän- dischen Schule eine ganz eigenthümliche Stellung ein und ist, was Technik betriflft, vielleicht der vorzüglichste Maler derselben. Da nun über diesen Maler unter den
' Andere vlämische Copien oder Nachbildungen derart nach Solario finden wir in der Tariner Pinakothek ; in der städtischen Galerie von Siena (Nr. 60); im Belvedere in Wien (Saall, Nr. 76). Alle diese Bilder stellen die ^Uerodias*^ dar. Aach das Bild im Lonvre mit dem Haupte des Täufers auf einem Prisen tirteller (Nr. 397), ist, meiner Ansicht nach, (f) nichts anders als vlä- mische Nacbl>>l<1'i><r ddch A. Solario.
218 Die Galerie Borghese.
Kunstschriftstellern noch immer nicht die erwi'inschte Uebereinstimmiing herrscht, so sei mir erlaubt, bei dieser Gelegenheit mich doch weiter über ihn auszu- sprechen. Die Künstlerfamilie der Solari (Architekten und Bildhauer) stammte, wie auch die Familie der Lom- bard! in Venedig, aus dem Dorfe Solaro in der Pro- vinz von Como, war aber schon in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Mailand ansässig; es erscheint daher als sehr wahrscheinlich, dass der Maler Andreas, der ums Jahr 1460 geboren sein dürfte, in Mailand selbst das Licht der Welt erblickt habe. Sein älterer Bruder hiess Christoph, war Bildhauer und Baumeister, und da er etwas buckelig war, so bekam er den Zu- namen il gobbo, d. h. der Buckelige.^
Andreas war diesem Bruder sehr zugethan, auch scheint er ihm auf dessen Hin- und Herzügen gefolgt zu sein. Daher dürfte es wol kommen, dass die Bilder des Malers bald Andreas Mediolanensis bald Andreas de Solario bezeichnet sind; die erstere Aufschrift steht auf denjenigen Bildern, die er fern von Mailand ge- malt, die zweite auf jenen, die er in Mailand selbst ausführte. Andreas wird bei allen altern Schriftstellern auch Andreas del Gobbo genannt, woraus zu schliessen wäre, dass Christoph beim Jüngern Bruder Andreas gleichsam Vaterstelle vertreten habe. Einige Kunst- historiker verwechselten ihn mit Andrea Salaino, dem Famulus Lionardo's. Der verstorbene Otto Mündler hat in seiner trefflichen ^^ Analyse critique de la notice des tableaiLv du Louvre'-'- das Verdienst gehabt, zuerst über den Charakter auch dieses italienischen Künstlers Licht zu verbreiten. Ihm sind sodann die Herren Crowe
^ Villot machte in seinem Louvre- Katalog dagegen den Andrea selbst zum Buckeligen, was nicht artig von ihm war, während im neuesten Katalog der Louvre-Galerie Christoph so- gar zum Vater des Andreas erhoben wird.
Die Toscaner: Andrea Solario. 219
und Cavalcaselle gefolgt, haben jedoch in dem Kapitel, das sie diesem Maler widmen, einiges Neue hinzugetugt, das mir durchaus unhaltbar erscheint. Wer sein eigent- licher Lehrer gewesen, ist noch nicht ermittelt. In der ausgezeichnet feinen Modellirung seiner Köpfe darf man wol die Schule sehen, die er bei seinem Bruder, dem Bildhauer', durchgemacht hat. Kein lombardischer Maler kommt dem Lionardo so nahe wie er in der Model- lirung, keiner hat in dieser Beziehung so vollendete Köpfe zu Stande gebracht, wie z. B. der des „Ecce homo" der Poldi-Sammlung (Mailand); in der Darstel- lung der Hand aber bleibt Solario weit hinter Lionardo luid Sodoma und selbst Giampietrino zurück. Zwei kleine Madonnenbilder, das eine in der Poldi-Samm- lung, das andere in der Brera- Galerie, Nr. 310, sind die ältesten mir bekannten Werke von ihm. Dieses letztere dürfte uns auch auf den Einfluss des Barto- lommeo Suardi, Bramantino genannt, schliessen lassen.^ Im Jahre 1490 begleitete er seinen Bruder Christoph nach Venedig, und dort mag er das schöne Bildniss seines venetianischen Senators (jetzt in der National Gallery in
^ Ausser dem Cristoforo gab es nooh einen andern Bild- haaer in der Familie der Solari, nämlich einen Pietro Solari, von dem in dem Seiteneingange zur Kirche di S. Angelo in Mai- land ein mit seinem Namen bezeichnetes Hochrelief (Madonna und Kind) sich vorfindet.
* Die Madonna auf dieeem Bilde , daa fraher die gefälschte Aufschrift Johannes Bellinus trti^ und deshalb nooh von den Commentatoren des Vasari (\ < Werk des Giambellino an-
fcefuhrt wird, hat eine alt« i > ue Haube in der Art der-
jenigen, die Bramantino seinen Frauen aufsetzte und mit wel- cher auch Qaudenzio Ferrari seine weiblichen Köpfe tu schmücken beliebte. In der Sammlung des Fürsten Qiangiacomo TrivuUio in Mailand sieht man andererseits ein m&nnliches Porträt (Bas- relief) von Christoforo Solan, das sehr an die gemalten Bild- nisse seines Bruders Andreas erinnert
220 ^iß Galerie ßorghese.
London, Nr. 923) gemalt haben, etwa um 1492 — 93. In diesem Gemälde ist der Einfluss des Giambellino und mehr noch der des Antonello da Messina sichtbar; auch galt dasselbe im Hause Gavotti zu Genua, wo dieses Bild sich früher befand, als Werk des Giovanni Bel- lini. Im Jahre 1493 scheinen beide Briider wieder nach Mailand zuriickgekehrt zu sein. Ob nun Andreas das Altarbildchen für die Kirche von S. Pietro Martire in Murano (vom Jahre 1495), jetzt in der Brera-Galerie (Nr. 103), in Venedig selbst oder anderswo ausgeführt, bin ich nicht in der Lage anzugeben. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass er ein zweites mal die Lagunen- stadt besucht und das Bild dort gemalt habe. Das Madonnengesicht in diesem Gemälde ist durchaus Lio- nardisch und erinnert in der Zeichnung an die Madonnen Boltraffio's, was uns vermuthen lässt, dass Solario nach seiner Rückkunft von Venedig, also in den Jahren 1493 und 1494, von dem grossen Florentiner stark beeinflusst worden sein muss. Die Herren Crowe und Cavalca- selle sehen jedoch in diesem Bilde, ausser den Lionar- dischen Einflüssen, auch noch den von Andrea del Ver- rocchio (!) und der venetianischen Schule; für sie ist dieses Gemälde ein Conglomerat von florentinischen, lombardischen und venetianischen Einflüssen; ja, der landschaftliche Hintergrund erinnert sie ganz speciell an die Landschaften des Bergamasken Previtali, der 1495 höchstens 15 Jahre gezählt haben dürfte.
Auf diesem schlüpfrigen Wege der Beeinflussungen und Analogien will ich diesen Herren nicht folgen, denn derselbe pflegt gewöhnlich entweder in ein Dorngestrüpp oder in einen Morast zu führen.
Vom Jahre 1499 besitzt die Poldi-Sammlung zwei Täfelchen mit dem Täufer und der heiligen Katharina, (Fragmente eines Triptychons), bezeichnet: Andreas Me- diolanensis, also nicht in Mailand gemalt. Auch kamen die beiden Täfelchen von Venedig nach Mailand. Der
Die Toscaner: Andrea Solario. 221
Täufer ist ganz und gar Lionardiscb, die Katharina da- gegen einheimisch lombardisch.*
Zeitlich folgt nun die kleine „Kreuzigung", Nr. 396^ in der Louvre- Galerie aus dem Jahre 1503, ebenfalls Andreas Mediolanensis bezeichnet. Aus derselben Epoche ungefähr, d. h. aus den Jahren 1503—1504 mag wol auch das männliche Bilduiss, Nr. 395, in derselben Ga- lerie stammen. In neuer Zeit wurde es als das Por- trät von Charles d'Amboise, des französischen Statt- halters in Mailand, erklärt und merkwürdigerweise dem A. Solario blos attribuirt. Das Bild stellt einen Mann hoch in den Dreissigen dar, auf dessen Baret der Or- den des heiligen Michael angebracht ist; im Hintergrund die Aussicht, die man von Mailand aus auf die beschneiten Alpen hat. Die malerische Ausführung ist fein, aber ein dichter, schmutziger Firnis lässt dieselbe kaum noch erkennen. Auch dieses Porträt mag von Solario in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts in Mailand ausge- führt worden sein. Vom Jahre 1505 ist auch der kreuz- tragende Christus beim Maler Galgani. Dieses Bild wurde wahrscheinlich gleichfalls in Mailand ausgeitihrt und keineswegs in Florenz, wie Calvi anzunehmen scheint, um daraus seine weitern Schlüsse zu ziehen; denn A. "Solario malte in demselben Jahre 1505 das Porträt seines Freundes, des Mailänders Cr. Longoni (gegenwärtig in der National Gallery in Jjondon, Nr. 734). In dieselbe Zeit, d. h. in die mailändische Epoche, die seiner Abreise nach Frankreich vorausging, setze ich noch ein Frauen port rät im Besitze des Mar- chese Emmanuele d'Adda in Mailand.
In der Mitte des Jahres 1507 reiste Solario von Mai- land nach Frankreich mit Kinpfehlungen des französi-
' Eine heilige Katharina in einem Bilde des Maorino d^Alba vom Jahre 1506 in der Tnriner Pinakothek gemahnt lebhaft an diese Katharina des Andrea Solario.
222 I^i© Galerie Borghese.
sehen Statthalters im Mailändischen, Charles de Chau- mont, in Italien Ciamonte genannt, an seinen Onkel, den Cardinal Georg von Amboise, für welchen Solario dann zwei Jahre lang in Gaillon beschäftigt war. Der ehrsüchtige Cardinal, der nach dem Tode Pius' III. sich einige Zeit lang mit der Hoffnung getragen hatte die Papst würde zu erlangen, hatte nämlich seinem Neffen, dem Stellvertreter Ludwig's XII., den Wunsch geäussert, dem berühmten Lionardo da Vinci die Ausschmückung seiner Schlosskapelle in Gaillon anzuvertrauen. Allein Lionardo war in jener Zeit so sehr mit fortificatori- schen und hydraulischen Arbeiten im Mailändischen in Anspruch genommen, dass er nicht einmal die Zeit finden konnte, für König Ludwig ein Madonnenbild- chen auszuführen (siehe Gaye, ^^Carteggio^\ II, 94 — 96). Chaumont sendete ihm daher statt den Lionardo den Andreas Solario, den er nach dem grossen Florentiner für den besten damals in Mailand lebenden Meister zu halten berechtigt war. Andreas vollendete seine Wandgemälde in der Schlosskapelle von Gaillon im Sep- tember des Jahres 1509.
Vor seiner Abreise nach Frankreich oder gleich nach seiner Ankunft in Gaillon mag die sogenannte „Vierge au coussin vert", gegenwärtig in derLouvre-Galerie, Nr. 394, entstanden sein. Bisjetzt ist es noch nicht ermittelt, ob So- lario nach vollendeter Arbeit im Schlosse Gaillon längere Zeit noch in Frankreich sich aufgehalten hat. Mir er- scheint die Hypothese nicht unwahrscheinlich, dass er vor der Rückkehr in die Heimat einige Zeit auch in Flandern, wahrscheinlich in Antwerpen, dessen Malerschule da- mals in hoher Blüte stand und mit deren Vertretern er höchst wahrscheinlich schon in Italien nähere Bekannt- schaft gemacht haben dürfte, verweilt habe. Denn gar manches seiner Gemälde, wie unter andern auch ganz besonders die „Ruhe auf der Flucht" vom Jahre 1515, sowie auch der fein ausgeführte, allein kalte „Ecce homo"
Die Toscaner: Andrea Solario. 223
in der Sammlung Poldi-Pezzoli in Mailand, haben einen so ausgesprochen flandrischen Charakter, erinnern selbst in der violetten Farbe und auch in der Composition so sehr an die Schule von Antwerpen und namentlich an Patinir, dass sie beim ersten Anblick wie viamische Arbeiten erscheinen.^ Im Jahre 1515 scheint Solario wieder in Italien, wenn auch nicht in Mailand, gewesen zu sein. Dies geht aus dem eben erwähnten Bild mit der „Ruhe auf der Flucht nach Aegypten" hervor, wel- ches die Aufschrift hat: Andreas do Solario mediolanen: f. 1515.
Von dieser Zeit an wissen wir niehts mehr von ihm. Dass er das grosse Altarbild für die Kartäuserkirche bei Pavia (jetzt in der neuen Sakristei daselbst aufgestellt) nach dem Jahre 1515 gemalt, ist mehr als wahrschein- lich, zumal da es heisst, dass der obere Theil des Bildes von Solari unvollendet gelassen, durch Bernardino Campi, etwa um 1576, zu Ende geführt worden sei. (Wahr- scheinlich hat Bernardino Campi den obern Theil des Bildes, der damals vielleicht gelitten hatte, blos restau- rirt, da soviel mir bekannt, die Maler von oben und nicht von unten ihre Bilder zu bemalen beginnen.*)
Durchaus unhaltbar erscheint mir auch die von G. Calvi wiederholte Behauptung, dass Andrea Solari etwa um 1513 den Andrea da Salemo nach Süditalien be- gleitet (von wo aus?) und in Neapel, in Gesellschaft desselben, eine Kapelle in der Kirche von S. Gaudioso gemalt habe.' Hier mag vielleicht eine Verwechselung mit Cesare da Sesto stattgefunden iiabon.
* Director W. Bode (II, 745) sieht dagegen in diesem Bilde det Solario Einflüsse von Rom. (?)
* In der That sieht man noch die Uebermalungen Campi*s besonders an den Gesichtern der Madonna und der xwei sie be- krönenden Engel.
' G. Calvi, „Notisie suHa rita e sttüe opere dei prindpaU architettij scuUori e pitiori cht fiorirono in MUano duranU il
224 I^ie Galerie Borghese.
Dreier männlicher Porträts des Solario möchte ich hier noch Erwähnung thiin. Das eine derselben muss nach 1515 entstanden sein. Es ist dies das Bild- niss, das unter dem Namen Lionardo's in der Ge- mäldesammlung des Herzogs Scotti in Mailand auf- gestellt ist. Der dargestellte Herr hat ein feines Gesicht, einen scharfen Blick und einen sehr entschie- denen Mund. Im Hause Scotti gilt das Bild für das Porträt des Kanzlers Morone.^ Dieser wurde aber erst im Jahre 1518, wenn ich nicht irre, zum Gross- kanzler erhoben.
Das zweite Porträt besitzt Graf Castelbarco in Mai- land; es soll Cesare Borgia vorstellen und wird im Haus Castelbarco dem Urbinaten zugeschrieben. Beide Gemälde sind durch Uebermalung sehr entstellt.
Das dritte, ganz vorzügliche, obwol sehr verdorbene Porträt eines vornehmen Cavaliers befindet sich im Hause Perego zu Mailand.
Von Andrea Solario ist mir nur eine einzige Zeich- nung bekannt. Sie befindet sich in der venetianischen Akademie und ist die Federskizze zu seinem Bilde in der Sakristei der Certosa von Pavia. An dieser Feder- zeichnung sieht man, wie mir scheint, dass Andrea das Zeichnen von seinem Bruder Cristoforo (von dem in der Ambrosiana mehrere Federzeichnungen sind) er- lernt hat.
regno dei Visconti e degli Sforza, raccoUe ed esposte da S. Calvi^^ (Milano 1865), p. 277. An diesem Büchlein sieht man , wie ein aller Kunstkenntniss barer Documenten Jäger von seinen Induc- tionen sich irreführen lassen kann.
' Hieronymus Morone, geboren 1470, starb 1529. Dieses Bild- niss stellt aber einen Mann von annähernd fünfzig Jahren vor. Solari müsste ihn also um 1518—20 gemalt haben. Danach könnte allerdings hier der Kanzler Morone dargestellt sein. Der Vergleich mit der Medaille scheint diese Bestimmung noch zu bestätigen.
Lionardo da Vinci. 225
LIONARDO DA VINCI.
Vom grossen Lionardo selbst besitzt die vaticani- sche Sammlung ein höchst interessantes, allein blos untermaltes Bild, den knienden und sich kasteienden heiligen Hieronymus darstellend; für Kunstforscher von höchstem Interesse, den Laien meist ein Greuel. Ausser diesem Bilde und der ebenfalls blos untermalten Tafel mit der „Anbetung der Hirten" in der üffizien-Galerie, und dem vielfach übermalten, weltberühmten „Abend- mahl" in Mailand, kenne ich kein anderes Gemälde in Italien, das man dem grossen Florentiner in allem Ernst zuschreiben dürfte.
Da in der Auffassung der grossen sowol als der weniger grossen italienischen Meister zwischen Herrn Director Bode und mir, wie wir bereits gesehen, eine «benso breite als tiefe Kluft besteht, so werden meine Freunde auch diesmal sich nicht wundem, wenn ich die vom berliner Gelehrten (II, 668) als Arbeit Lio- nardo's, Nr. 73 im achten Saal dieser Borghese-Galerie, angesehene Zeichnung (weiblicher Kopf) meinerseits nur als das Machwerk eines untergeordneten Nach- ahmers des Bernardino de' Conti betrachten kann. Echte Zeichnungen des Lionardo gibt es, soviel mir bekannt ist, weder in Rom noch in Neapel, und von den siebenundzwanzig in der Uffizien- Sammlung ihm zugeschriebenen gehören, nach meinem Dafürhalten, kaum fünf ihm selbst an.^ Dagegen besitzt die vene-
* Da über diese meine dreiste Behauptong selbst unter meinen Freunden and Gönnern gar mancher ungläubig den Kopf sohüt> teln dürfte, sehe ich mich vor ihnen verpflichtet, hier die Zeich- nungen anzugeben f die in der Uffixien- Sammlung nach meiner Ueberzeugung mit Recht den Namen Lionardo^s tragen, sowie jene, die dort mit Unrecht dem grossen Florentiner zugeschrieben werden. Nach meiner Ansicht also sind echt: die Zeichnungen unter den Nrn. 423, 436, 446, 449, und endlich die Federzeich-
LsBXOLisrr. 1 5
226 I^i® Galerie Borghese.
tianische Akademie etwa fünfundzwanzig, die königL Bibliothek in Turin zwölf, die Ambrosiana, die vielen im sogenannten Codex atlanticus enthaltenen nicht mit eingerechnet, etwa zehn echte Zeichnungen des gros- sen Florentiners. Auf allen diesen Zeichnungen Lio- nardo's gehen die Strichzüge, wie schon bemerkt, von links nach rechts, denn Lionardo pflegte mit der linken Hand nicht nur zu schreiben, sondern auch zu zeichnen und nur bei Darstellung runder Körper bediente er sich zuweilen auch der rechten Hand. Will man sich von der Richtigkeit dieser meiner Be- merkung überzeugen, so beschaue man unter diesem Gesichtspunkt alle Zeichnungen im sogenannten Codex atlanticus-^ man prüfe daraufhin ferner die Zeichnungen auf den verschiedenen Manuscripten Lionardo's in Paris, in England, in Italien; man betrachte sich auch die von Dr. J. P. Richter in seinem mustergültigen Werk über Lionardo („ The literary works of Leonardo da Vinci'^^
nung mit der Landschaft vom Jahre 1473, im ganzen also fünf^ für unecht halte ich dagegen die Zeichnungen unter den Nrn. : 414 (gehört einem spätem Künstler an);
419 (Copie);
420 (viel zu schwach für Lionardo);
421 (Sodoma), Br. 448;
422 (Schülerarbeit);
424 (Copie);
425 (Schülerarbeit) ;
426 (Schülerarbeit);
427 (A. de Predi8[?]);
428 (niederländische Copie nach Verrocchio), Br. 429;
429 (Schülerarbeit);
430 (Schülerarbeit); .431 (Schülerarbeit);
432 (Copie nach Lorenzo di Credi);
433, 434 (Nachahmungen);
435, 437 (Nachahmungen);
447 (Fälschung);
448, 450, 451 (Nachahmungen).
Lionardo da Vinci. 227
London 1883) mit grosser Sachkenntniss uns darge- botenen Zeichnungen, und ich zweifle nicht, dass jeder Unbefangene sich überzeugen wird, dass ich nicht un- recht habe, gegen die Masse von entweder aufs gerathe- wohl oder auf den sogenannten „geistigen Inhalt" hin, ja nicht selten auch ganz willkürlich dem Lionardo zugeschriebenen Zeichnungen und Getnälden zu pro- testiren. Die bessern von diesen sogenannten Lionardo- Zeichnungen gehören, wie wir bereits gesehen, seinen Schülern an: dem Boltraffio, dem Sodoma, dem Cesare da Sesto, dem Giampietrino, oder auch seinen Nachahmern: dem Ambrogio de Predis (Ve- nedig), dem Bernardino de' Conti (Ambrosiana, Louvre u. a. m.); die geringern, wie z. B. dieser weib- liche Kopf der Borghese-Galerie, sind Copien spaterer Kiinstler oder auch Fälschungen und von dieser letz- tern Sorte gibt es nicht wenige.*
^ Zar Belehrung für Neulinge in der Kunstwissenschaft will ich hier ein halbes Dutzend solcher, nach meiner Ansicht* fal- scher Lionardo-Zeichnungen anführen:
1) Windsor: Federzeichnung, eine Madonna in liegender Stellung mit dem Kinde ; überdies vier Kinderstudien mit einer Katze spielend (Grosvenor Gallery, Nr. 57).
2) Albertina: ein grosses Blatt, vormals in den Samm- lungen Yasari und Mariette; die sechs Köpfe auf den Seiten sind echt, während der weibliche Kopf und der kleine Johannes in der Mitte des Blattes unecht sind (Braun 102—109).
:\) Louvre: {Solle atus boHes)^ Federzeichnung mit dem Profilkopfeines Jünglings, von recht« nach links gewandt; daneben Caricaturen (Katalog Reiset, 882; F&bchong. Braun 174). Man betraohte besonders die Zeichnung des Auges und der Haare.
4) Albertina: Federzeichnung mit fünf Carioataren nnd zwei Profilköpfen (Braun 98).
r>) Britisches Musenm: Fedcrsaiohniiiiir mit drei Carica- turen, oben der Name des I.i la Vinci und das Jahr 1476; von einem vl&miscl. r (Braun 49) und
lo*
228 I^io Galerie Borghese.
Es wäre wol eine unverzeihliche Anmassung meiner- seits, wenn ich als Südländer einen Nordländer und jxar einen Mann in der Stellung des Herrn Director W. Bode der Oberflächlichkeit zeihen wollte; bedenke ich jedoch andererseits, welch grosses Unrecht der berliner Kunst- gelehrte einem Künstler von der Bedeutung des Lio- ■nardo da Vinci zuzufügen sich angelegen sein lässt durch die von ihm mit der Zähigkeit der vollen üeberzeu- gung demselben octroyirten Werke, sowol Zeichnungen als Bilder, so kann ich nicht unterlassen (und als „un- parteiischer" Mann wird er hoffentlich mir dies nicht übel nehmen), bei dieser Gelegenheit öffentlich gegen solche Profanationen Protest einzulescen. Stellte man alle die von Herrn Director Bode dem grossen Floren- tiner zugedachten Bilder, wie z. B. die „Verkündigung" in den üffizien, den „auferstandenen Christus" im Ber- liner Museum, den weiblichen Profilkopf und den un- vollendeten männlichen Kopf in der Ambrosiana, die
ebendaselbst auch der Kopf eines alten, die Vorderzähne zeigenden Mannes; ebenfalls die Arbeit eines Vlamlän- ders (Braun 27). 6) Britisches Museum: Allegorische Darstellung, Tusch- zeichnung; das Originalblatt in der Salle anx hohes im Louvre (Braun 53). Es ist merkwürdig , wie die grossen Personalitäten der ita- lienischen Kunst, sowol im Lande selbst als auch anderwärts, schon in der Mitte des IG. Jahrhunderts den Kunstfreunden so nebelhaft vor den Augen schwebten, dass, wie wir soeben ge- sehen, selbst ein Vasari seinen grossen Landsmann, dessen sämmt- liche Werke, sogar die unbedeutendsten, allein schon durch ihren geistigen Ausdruck fesseln, so sehr verkennen konnte, dass er ihm die zwei Zeichnungen in der Mitte jenes Blattes in seinem eigenen Besitz zuschrieb. Im Venetianischen traf dasselbe Los den Giambellino, den Giorgione u. a. m. ; denn, wie in Mittelita- lien Michelangelo alle seine Vorgänger in Schatten gestellt hatte? BO wurden alle Augen in Venedig vom Glänze Tizian's, Tinto- retto's und des Paolo Veronese geblendet.
Lionardo da Vinci. 229
„das Kind säugende Madonna" in der Ermitage in St.-Petersburg u.a.m. neben die „Anbetung der Hirten" in den Uffizien, den „heiligen Hieronymus" im Vatican, die „Mona Lisa" im Louvre, die „Vierge aux rochers" ebendaselbst, so bin ich schon im voraus überzeugt, dass selbst die Freunde und Anhänger des Herrn Di- rectors sich sträuben würden, alle diese Werke als vom Geist und von der Hand ein und desselben Meisters anzuerkennen. Herr Director Bode, dem es um die Wahrheit gewiss ebenso ernst ist wie mir, möge mir diese meine vielleicht zu heftigen Expectoration nicht übel deuten, denn sie ist gut gemeint.
Von Gaudenzio Ferrari besitzt weder Florenz noch Rom, weder Palermo noch Neapel irgendein Gemälde; es ist dies, wie mir scheint, ein fernerer Beweis, wenn auch nur ein negativer, dass dieser Künst- ler niemals den Apennin überschritten hat und dass somit seine behauptete Schülerschaft; unter Pietro Peru- gino und die persönliche Freundschaft mit Raffael nur eine leere Erfindung ist, wie ich später dies zu beweisen versuchen will. Die grosse Altartafel, eine Apotheose des heiligen Bcrnardinus von Siena im Palast Sciarra- Colonna, dort lächerlicherweise dem Gaudenzio zu- geschrieben, gehört ihm nicht nur nicht an, sondern stammt nicht einmal aus einer Malerschule Oberitaliens. Wie mir scheint, ist dies das Machwerk irgendeines Sienesen vom Ende des 16. Jalirhunderts. Die kleine Madonna mit dem Christkinde in der Capitolinischen Sammlung (Saal 1, 44) verdankt, wie noch andere Bilder dort, hüclist wahrscheinlich ihre sonderbare Taufe einem ergötzlichen (juid pro quo. Man hatte nämlich, wie ich vermuthe, auf der Rückseite der Tafel den Namen „Fer- rara" angebracht, als das Bild von der Stadt Ferrara nach Rom kam, und dieser Name wurde dann von dem damaligen Galcriedirector für den des Malers Ferrari genommen. Jedem auch nur oberflächlichen Kuustver-
230 I^i« Galerie Borghese.
staudigen stellt sich jenes Bildchen auf den ersten Blick als ein Werk aus der Schule des Garofolo dar. So wenigstens sollte man meinen; dem ist aber nicht so. Der kürzlich verstorbene Professor Tommaso Minardi uahm^ wie viele andere, so auch diese hergebrachte Be- nennung für baare Münze an und schrieb darauf hin über Gaudenzio Ferrari und die mailändische Schule. Ich würde dieses Minardi nicht gedacht haben, hätte er nicht bei seinen Lebzeiten in Rom sowol als auch im ganzen päpst- lichen Staate für die grösste Autorität in der Kunst- wissenschaft gegolten und gäbe es der Minard is nicht so viele auch bei uns im heiligen Kussland, ja vielleicht selbst im gelehrten Deutschland. Minardi war Pro- fessor der Malerei und überdies „Fachmann" und nicht etwa ein blosser Dilettant.
LOMBARDISCHE MEISTER.
Nun bleibt mir noch übrig, meinen Lesern das wenige mitzutheilen , was ich über die zwei mailänder Maler Ambrof^rio de Predis und Bernardino de' Conti
AMBROGIO DE PREDIS.
Vor ungefähr zehn Jahren hatte ich die Freude, den Freunden italienischer Kunst den trefflichen, bisher völlig unbekannt gebliebenen Porträtmaler aus der mai- ländischen Schule namens Ambrogio Predi vorzu- stellen. Ein mit dem Namen: Ambrosius de pdis (predis) melanensis (mediolanensis) 1502 ^ bezeichnetes Bildniss des Kaisers Maximilian in der Ambraser- Sammlung zu Wien hatte mich im Jahre 1873 zuerst auf diesen von den Kunstschriftstellern bisher ver-
* Siehe Nagler's Monogrammisten, I, 414.
roRTRlT DU KAIMM MAXIMILIAN VON A. DB rRBDIfl. IN D«a AMBRA^P»« -»»«Ml I «wü »I u ii/v
Lombardische Meister: Ambrogio de Predis. 231
kannten Maler aufmerksam gemacht. Die Herren Crowe und Cavalcaselle (II, 50) erwähnen zwar auch dieses Porträt des Kaisers, versetzen es aber in die Schönborn- Sammhmg und schreiben es überdies zwar nicht dem Ambrogio Bevilacqua wie Nagler, wol aber dem Am- brogio Borgognone zu. Nachdem ich nun damals die charakteristischen Merkmale in diesem etwas übennalten Porträt des Ambrogio Preda oder Predi scharf ins Auge gefasst hatte *, war ich in der Lage auch anderwärts
* Ich schrieb vor diesem Porträt folgende charakteristische Merkzeichen in meinem Notizbuch nieder:
a) Der schwarze Rand des obem Augenlides läuft in gerader Linie seiner äussern Spitze zu und wird da von der Spitze des Bandes des untern Augenlides durch einen hellen Lichtstreifen geschieden. (Diesen Lichtstreifen zwi- schen der schwarzen Linie des obern Augenlides und dem accentuirten Schlagschatten desselben fand ich sodann in allen nicht übermalten Profilporträts des Ambrogio de Predis. Es ist dies also ein höchst charakteristisches Merkmal für den Meister.)
b) Die Augenwimpern sind einzeln angezeigt.
•c) Die Contour der Oberlippe ist steif, die Unterlippe voll und wulstig. (In einigen gut erhaltenen Bildnissen sind die kleinen Längsfaltchen darauf augegeben, so im weib- lichen Profilporträt in der Ambrosiana, im Porträt eines Pagen in der Sammlung Morelli, und auch im Bildnisse des Kaisers Maximilian.)
d) Der Nasenrücken ist sehr scharf beleuchtet.
e) Auf die schwerfallig herabfallende Haarmasse sind die Lichter mit einzelnen Strichen aufgesetzt.
f) Die Kette mit dem goldenen Vlies ist in der Weise eines Miniaturmalers ausgeführt. Alle diese charakteristischen Merkmale, die mir im Profilportr&t des Kaisers Maximilian aufgefallen waren, fand ich dann wieder nicht nur auf dem weiblichen Profilporträt in der Arabrosiana, sondern auch auf dem Profilporträt in der Poldi-Pezzoli*SammIang in Mailand, auf dem Profilporträt eines alten Herrn bei Herrn Dr. Frizzoni, in den Porträts des Lodovico Sforza und seines Sohnes Maximilian im „Libro del Jesus" der Bibliothek des Fürsten Trivulzio , und in dem vorzüglichen
232 I^iö Galerie Borghese.
Werke dieses ganz vergessenen Meisters aufsuchen zu können. Meine Nachforschungen blieben in der That nicht ohne Erfolg, und ich hatte die Genugthuung, schon im Jahre 1880, in meinem kritischen Versuch über „die Werke der italienischen Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin" (S. 456 — 458), ausser dem Porträt des Kaisers Maximilian meinen jungen Freunden noch drei andere Bildnisse sowie auch eine Zeichnung anführen zu können, die zwar alle den Namen Lionardo's führten, mir jedoch als Werke von der Hand unsers Ambrogio de Predis erschienen.
In einer, ich gestehe es gern, vielleicht etwas über- müthigen Stimmung wähnte ich damit der Kunstwissen- schaft, wenn auch keinen erheblichen, immerhin doch einen Dienst geleistet zu haben. Doch es sollte anders kommen. Herr Director W. Bode schien auch diese Freude mir durchaus nicht gönnen zu wollen und trat — aus Liebe zur Wahrheit, ich will ihm dies gern zu- geben — meiner Behauptung mit offenem Hohn ent- gegen, indem er mir unter vielem andern vorwarf, den grossen Lionardo da Vinci, den er ja so gründlich studirt zu haben behauptet, mit dem trockenen lom- bardischen Bildnissmaler Matteo de Pretis ver- wechselt zu haben. Ich will gegen meinen verehr- lichen Widersacher grossmüthiger sein, als er es gegen mich zu sein pflegt, und ihm daher gern verzeihen, wenn er in seiner wissenschaftlichen Kampflust den mittelmässigen calabresischen Seicentisten Matteo Preti für den Mailänder Ambrogio de Predis — derjasowol ihm wie allen andern Kunstgelehrten unbe- kannt war, bevor ich ihn wieder aus dem Grabe auferweckte — genommen hat. Ich w^ill also anneh- men, dass der von ihm begangene Fehltritt nicht aus
Profilporträt desselben Massimiliano Sforza, als Herzog von Mailand dargestellt, in der Sammlung Morelli.
Lombardische Meister: Ambrogio de Predis. 233
Mangel an Kenntniss der italienischen Kunstgeschichte herrühre, sondern blos ein lapsus calami war. Herr Director Bode schloss die mir ertheilte Strafpredigt mit folgenden mich überraschenden Worten: „Ein echtes und köstliches Bildniss, der sogenannten «Belle Feron- niere im Louvre» nahe, ist das angebliche Bildniss der Isabella von Aragon (jetzt auch als Bianca Maria Sforza, Gemahlin Kaiser Maximilian's angesprochen) Gemahlin des Giovanni Galeazzo Sforza, welches sich neben dem des Gatten in der Ambrosiana zu Mailand befindet, um 1485.^ Dieses Profilporträt, von höchster Einfachheit und Anspruchslosigkeit der Auffassung, ist über alle Beschreibung schön und reizend und von einer Vollendung in der Ausführung, welche, wie man glauben sollte, gar keinen andern Gedanken als an Lionardo aufkommen lässt, auch wenn es nicht alle charakteristischen Züge (?) der frühern Werke Lionardo's zeigte. ^ Dennoch hat man (d. h. Lermo-
^ Gian Galeazzo Maria Sforza starb 1494, fünfundzwanzig- jährig, war also im Jahre 1485 kaum 16 Jahre alt, während der auf diesem Porträt dargestellte Mann doch das Alter von ungefähr 30 Jahren zeigt. Ein bischen Weltgeschichte dürfte zuweilen selbst den Kunsthistorikern nicht schaden.
* In der Ausgabe seines „Cicerone" vom Jahre 1879 schreibt Herr Director Bode (626) „ein echtes, schönes Bildniss aus Leonardo's früherer Zeit besitzt der Palast Pitti, den Gold- schmied (Nr. 207)". In der Ausgabe von 18$4, also vier Jahre nach dem Erscheinen meines „kritischen Versuchs", schrieb derselbe Gelehrte (11,681): „Die schlagendste Uebereinstimmung mit diesem beglaubigten Altarwerke des RidolfoGhirlandaio (dem Ler- molieff zuerst den «Goldschmied» im Pitti-Palast vindicirt hatte), lasst auch die Bestimmung des bekannten «Goldschmieds«, wel- cher vielbewundert als Lionardo im Palast Pitti hängt (Nr. 207) als ein Werk des Ridolfo kaum zweifelhaft erscheinen". „11 tempo b gakmtuomo^f sagen die Italiener. Wenn also auch in der Be- stimmung dieses von ihm früher für ein feines Jugendwerk Lionardo^s gehaltenen and bewunderten Bildes Herr Direotor Bode durch Lermoliefif sich anders belehren liess, so darf ich
234 Diö Galerie Borghese.
lieff) dies «Wunderwerk» neuerdings einem trockenen lombardischen Bildnissmaler zugeschrieben." „Das Bild des Herzogs Giovanni Galeazzo", fährt Herr Director Bode fort, „welches sich neben dem der Gemahlin Isa- bella befindet, ist gleichfalls echt aber leider unvoll- endet, wodurch es jedoch für den Einblick indieTech- nik des Lionardo ein ganz besonderes Interesse hat." ^ Verblüfft über diese derbe Zurechtweisung, die mir der berliner Kunstgelehrte wieder zutheil werden liess, wusste ich zuerst nicht recht, ob ich dem seiner Sache so sichern nordischen Kunstkenner, der mit unerschütter- lichem Selbstbewusstsein mich über meine Verblendung so hart angelassen hatte, oder aber meinen eigenen langjährigen und mit so grosser Liebe und Ausdauer gepflogenen Studien eher trauen sollte? Mit gutem Gewissen entschied ich mich für das letztere, und so bin ich es nun mir selbst und meinen Glaubensgenossen in der Kunstwissenschaft schuldig, die im Jahre 1880 von mir öffentlich ausgesprochene Ansicht über das
die Hofifnung nicht aufgeben, dass der unbefangene berliner Ge- lehrte mit der Zeit und auf Grund ernsterer Studien auch das Profilporträt in der Ambrosiana nicht mehr als „Wunderwerk" des grossen Lionardo seinen Lesern vorstellen werde. Denn was sollten sonst diese von seiner Auffassung der Lionardischen Kunst denken, wenn er noch länger fortführe, auch dieses Bild eines „trockenen, handwerksmässigen" lombardischen Bildniss- malers durchaus dem grossen Florentiner zuschreiben zu wollen? * Ist es auch einem Laien, wie ich bin, erlaubt, über die Maltechnik in den Bildern der alten Meister Italiens ein Wort zu sagen, so möchte ich meine verehrlichen Leser bitten, die Technik auf diesem unvollendeten Porträt in der Ambrosiana mit der Technik auf dem gleichfalls unvollendeten „heiligen Hieronymus" in der vaticanischen Galerie, sowie mit der Technik der „Anbetung der Hirten" in den Uffizien vergleichen zu wollen. Ich glaube, dass sie dann bald mit mir zur Einsicht kommen dürften, dass der Urheber des Porträts in der Ambrosiana un- möglich auch der der andern unvollendeten zwei Bilder sein kann.
Lombardische Meister: Ambrogio de Predis. 235
ganz vorzügliche Profilporträt in der Ambrosiana, sei es mm das der Isabella, der Bianca Maria oder das einer andern Person, abermals und zwar mit Nachdruck als das Werk des Ambrogio Predi aufrecht zu er- halten.
Was das andere unvollendete Bildniss daselbst an- belangt, 80 ist es, nach meinem Dafürhalten, das Por- trät eines unbekannten Mannes luid hat weder mit Ambrogio Predi und noch viel weniger mit Lionardo da Vinci etwas zu schaffen, sondern dürfte, wie ich glaube, demselben Schüler und Nachahmer Lionardo's ange- hören, der die Copie der „Yierge aux rochers" in der National Gallery und die zwei dazu gehörigen Engel (im Besitze des Herzogs Giovanni Melzi in Mailand) anfertigte. ^ Damit jecjoch mein verehrlicher Wider- sacher in Berlin sofort einsehe, dass ich weit entfernt bin, die mir von ihm, gewiss in der besten Absicht, gegebene Lection übel zu nehmen, will ich hier zu seiner Entschuldigung das Urtheil anfuhren, das über die Bildnisse in der Ambrosiana ein anderer und zwar ebenfalls berühmter Kenner der italienischen Kunst aus Berlin, Baron von Rumohr, vor vielen Jahren zu veröffentlichen beliebte: „Merkwürdig noch'', sagt Kuiiiohr auf Seite 73 seines Büchleins: „Drei Reisen in Italien", „merkwürdig in der Ambrosiana die Bildnisse des Lodovico Sforza (nämlich des Giangaleazzo des Herrn Director Bode) und seiner Gemahlin (der Isabella
^ Vielleicht könnte man diesem anbekannten hervorragenden Nachahmer Lionardo's auch einige Zeiohnangen tasohreiben, welche bisher unter dem Namen de« grossen Florentiners gingen, wie unter andern die Silberstiftxeichnung mit dem weibliohen Kopf in den UfBzien (Rahmen 107, Nr. 426) (»raun 436), und eine andere SilberstifUeeichnung in der Ambrosiana (Fraaenkopf mit Perlenschnur um den Hals, Dreiviertelansicht), sowie auch deu jugendlichen Kopf im grotshersogUohen Schlosse xu Wei- mar (Braun 149) (?).
236 I^ie Galerie Borghese.
des Herrn Director Bode); er in Dreiviertelansicht, etwas violett im Tone, in den Schatten noch gedeckt, überhaupt noch von alterthümelnder Kunstart, doch fein und verstandvoll in den Formen. Seine Gemahlin geringer. Diesen Bildern gegenüber drängte sich mir die Vermuthung auf, dass Lionardo zu Mailand mit niederdeutschen Malern sich berührt, von ihnen die Oelmalerei gelernt habe, welche zu Florenz vor seiner mailändischen Keise nicht üblich, ja kaum historisch bekannt war. Hierin bestärkt mich ein allerliebstes kleines Bild beim Grafen Alberto Litta, «Madonna mit dem Kinde». (Gegenwärtig in der Ermitage zu St.- Petersburg.) Das Motiv dieses Bildes zeigt sich in einer stark retouchirten Zeichnung in der Uffizien- Galerie (?). Auch das Bild selbst hat in einigen Theilen gelitten, die Hand des Kindes die Lasuren eingebüsst, doch sieht man um so deutlicher, dass Lionardo damals die Schatten pastös unterlegte, wie überhaupt an der fein abgeriebenen Farbe, der sorgfältigen und hellen Unterlage, der Reinlichkeit und Behandlung, sehr viel Altniederländisches." ^
Dass nun die beiden Porträts in der Ambrosiana schon zu den Zeiten des Cardinais Federigo Borommeo als Werke ein und desselben Meisters galten, darf uns wahrlich nicht wundern, denn die Kunstkritik, wie überhaupt jede Kritik, lag damals noch im tiefsten Schlummer und jedes Bild und jede Zeichnung, die den leisesten Anflug Lionardischer Art hatte, wurde begreiflicherweise dem Meister selbst zugemuthet. Un- begreiflich ist dagegen, dass man in Mailand in dem einen dieser beiden Bildnisse die Züge des Moro, im
^ Nach meinem Dafürhalten gehört jenes niedliche Madon- nenbildchen keineswegs Lionardo da Vinci an, sondern ebenfalls einem „trockenen" lombardischen Maler, nämlich dem Ber- nardino de' Conti.
Lombardische Meister: Ambrogio de Predis. 237
andern die seiner Gemahlin Beatrice d'Este erblicken wollte, während doch die Porträts sowol des Moro als seiner Ehehälfte zu Dutzenden sowol gemeisselt als ge- malt in der Stadt und auf dem Lande, in Kirchen und in Privathäusern zu sehen waren. Die liebe Tradition brachte nun diese wunderlichen Taufen bis auf uns und selbst die hervorragendsten Kunstkritiker dieses Jahr- hunderts, sowol die einheimischen als die fremden, nahmen dieselben mit geschlossenen Augen an. Nicht nur die Patres Amoretti und Lanzi in Italien, sondern auch Baron von Rumohr und Otto Mündler in Deutsch- land, ja, 40 Jahre später, selbst Herr Director W. Bode gingen, ohne sich dessen zu versehen, in die Falle, die ihnen die perfide Tradition gestellt hatte; für sie alle sind nicht nur die beiden Porträts in der Ambrosiana, sondern auch das Madonnenbild in St.-Petersburg Werke ein und desselben Meisters, nämlich des Lionardo da Vinci. Baron von Rumohr stellt jedoch und, wie mir scheint, mit vollem Recht das unvollendete männliche Bildniss in der Ambrosiana hoher als das weibliche Profilporträt, das „Wunderwerk" des Herrn Director Bode. Ausser in diesem kommen jedoch die zwei ber- liner Kunstkritiker noch in einem andern Punkte mit- einander in Collision, nämlich in der Bestimmung der Zeitepoche, in welcher die Oelmalerei in Toscana üblich wurde. Director W. Bode mochte, mit Hinweis auf seinen neuerdings entdeckten „auferstandenen Christus", beweisen, dass man schon im Jahre 1478 zu Florenz in Oel malte; Baron von Rumohr behauptet dem ent- gegen, dass im 15. Jahrhundert die Oehnalerei in Tos- cana nicht nur nicht üblich, sondern kaum historisch bekannt war. Wer von beiden ist nun auch in dieser letztern Streitfrage der Wahrheit näher gekommen? Nach meiner Ansicht der verstorbene Baron von Rumohr. Ich denke nun in aller Kürze von den Bildern zu handeln, die ich mit Zustimmung meiner Freunde in
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Mailand: der Herren Giistavo Frizzoni, Mnrchese E. Visconti -Venosta und des rühmlichst bekannten Bil- derrestaurators Cav. Cavenaghi, als von der Hand des Ambrogio de Predis anzusehen mich berechtigt erachte. Vorher sei es mir nur noch vergönnt mitzutheilen, dass Ambrogio schon im Jahre 1482 der begünstigte Por- trätmaler des Lodovico Sforza war. Dies geht aus folgendem vom verstorbenen Marchese Campori publi- cirten Document hervor: A di 22 Mazo (Mai) 1482: A Zoane Ambroso'di predj de Milano (depintore) de lo lll. S. Lud. Sforza^ Braza 10 de razo alexandrino de campione de la Ex. de Madama^ la quäle gie dona la Ex. del nro. Sig. (Archivio di Stato in Modena ; Libro : Ricordi de la Salvaroba de Castello^ ö. c. 65.) Auf Deutsch heisst das: „Dem Johann Ambrosius di Predj aus Mailand, Maler des Erlauchten Herrn Ludwig Sforza, zehn Ellen vom alexandrinischen Atlas, von derselben Sorte wie der Ihrer Excellenz der Madama (d. h. der Herzogin), welche (nämlich das zehn Ellen lange Stück) ihm S. Excellenz unser Herr zum Ge- schenk macht."
Im Jahre 1482 war also An^brogio de Predis bereits ein ausgelernt er Maler; er dürfte somit etwa zwi- schen 1450 und 1460 geboren sein. Das älteste der mir bekannten Bilder von ihm ist wol das Profilporträt des Herzogs.
1. Giangaleazzo Maria Sforza, Graf von Pavia^ im Besitze des Grafen Porro in Mailand.^ (f)
2. In derselben Epoche ungefähr dürfte auch das andere oben besprochene Profilporträt (sei es der Isa-
* Man vergleiche dieses Porträt mit der Medaille des unglück- lichen jungen Fürsten. Der hier auf dem Bildnisse etwa wie ein Zwanziger aussehende Jüngling trägt einen goldenen Ring am Daumen. Wie bekannt starb Giangaleazzo 1494 in seinem fünfundzwanzigsten Lebensjahre. Er heirathete 1489 Isabella von Aragon. Unser Porträt dürfte also um jene Zeit gemalt sein.
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Lombardische Meister: Ambrogio de Predis. 239
bella, wie Herr Bode meint, sei es einer andern Fürstin aus dem Hause Sforza) in der Ambrosiana entstanden sein. Der Schädel dieser hübschen höchst sympathischen jungen Frau ist nicht ganz richtig in der Zeichnung^ auch fällt die Linie vom Nacken auf den Rücken zu jäh herab. Lionardo hätte sich nie solche Fehler zu Schulden kommen lassen.^ (f)
3. Das feine Porträt des Francesco di Bartolommeo Archinto (geboren 1474, gestorben 1551), zur Zeit Lud- wig's XII. Gouverneur von Chiavenna. Dieses Bild war vordem im Besitze der gräflichen Familie Archinto in Mailand und gehört gegenwärtig Herrn FuUer-Mait- land in England, wie mir Dr. Frizzoni, der es dort sah, mittheilte. Es ist mit der Jahreszahl 1494 und mit der Chiffre M^ (Ambrogio Preda) F. bezeichnet.
4. Die Miniatur mit dem Profilporträt des Lodovico il Moro im sogenannten „Libro del Jesus" in der Biblio- thek des Fürsten Trivulzio in Mailand, (f)
5. Die Miniatur mit dem Profilporträt des etwa fürifjährigen Massimiliano Sforza, ebendaselbst, (f) Alle die Miniaturen in diesem weltbekannten Codex werden dem Lionardo zugemuthet. Die oben von mir als charakteristisch angeführten Merkmale für Ambrogio de Predis dürften jedoch sogleich jeden Kunstver- ständigen, und unter ihnen vielleicht sogar meinen Gegner, Herrn Director W. Bode, überzeugen, dass auch diese zwei Bildnisse im „Libro del Jesus", etwa im Jahre 1497 gemalt, dem lombardischen Meister Am- brogio angehören und keineswegs, wie man früher all-
* Wen dieses Porträt vorstelle will ich dabingestellt sein lassen. Was icb behaupte und worauf ioh Nachdruck lege, ist: ersten», dass es nicht die Beatrice d'Este, Gemahlin des Moro, wie man sie in der Ambrosiana von alters her nennt, vorstellt, und zweitens, dass dieses hübsche Bild nicht von der Hand des Lionardo sein kann, wie man allgemein annimmt, sondern dass e9 ein Werk des verkannten Ambrogio de Predis ist.
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gemein behauptete, dem grossen Florentiner. In diesem Codex wird nun unter andern Persönlichkeiten auch ein Messer Bruno ro Preda erwähnt, welcher 1499 die herzogliche Familie auf ihrer Flucht von Mailand nach Innsbruck begleitete. Ob dieser Brunoro ein Ver- wandter des Malers Ambrogio war, wüsste ich nicht zu sagen, dagegen erscheint es mir als sehr wahrschein- lich, dass der in den folgenden Versen des Codex ge- nannte Maestro Ambrosio kein anderer gewesen sein dürfte als unser Maler. ^^Qui maatro Ambrosio dice: Da de ughette al Conte^ E lui con lieta fronte Dimanda del Cappone'-'- u. s. w.^ Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Maestro Ambrogio de Predis, der die Söhne des Moro im Zeichnen (damals ein Requisit der Erziehung eines vollkommenen Edelmannes) unterrichtet haben dürfte, die Prinzen im September des Jahres 1499 auf ihrer Flucht nach Innsbruck begleitete und sodann meh- rere Jahre am kaiserlichen Hof lager dort verblieben sei. In Innsbruck wird er auch 1502 das Porträt des Kaisers Maximilian und das seiner Gemahlin gemalt haben. ^
6. Das Porträt eines jungen blonden Mannes, Brust- bild auf dunkelm Grunde, wie alle Bildnisse des Am- brogio de Predis. Früher wurde auch dieses Bild Lio- n?irdo zugeschrieben. Im Besitze der Familie Maggi in Mailand, (f )
7. Das Porträt eines Jünglings mit langen blonden Haaren, im Costüme eines Pagen. Vorderansicht. In der Sammlung Morelli in Mailand. Auf der Rückseite des Bildes liest man in alter Schrift: DI LEONARDO PITOR Fiorentino. (f)
\,Da sagt Meister Ambrosius — Gib Rosinen dem Grafen t- Und dieser mit heiterer Stirne — Verlangt Kapaunen." Die Verse be- schreiben nämlich den jungen Massirailiano Sforza bei Tische.
2 Die hier reproducirte Zeichnung zu diesem Bildniss fand ich später unter dem Namen Lionardo's in der Sammlung der venetianischen Akademie. •
Lombardische Meister: Ambrogio de Predis. 241
8. Das Porträt eines jungen Mannes mit einem Pfeile in der Hand (Sebastianus). Vorderansicht. Bei Herrn Dr. Gustavo Frizzoni in Mailand. Dieses Bild galt ehedem als von der Hand des Boltraffio.
Die eben erwähnten Werke, welche alle der frühern Zeit des Ambrogio de Predis angehören, sind hell in der Carnation und haben einen ganz eigenthümlicheu Smalto, gleich dem im Profilporträt in der Ambrosiana, wogegen die folgenden Bildnisse, die der spätem Wirkungszeit des Malers (von etwa 1510 — 15) angehören, eine vollkom- menere Modellirung und ein bräunlicheres Incarnat aufweisen. Zu diesen letztern Bildern rechne ich:
9. Das männliche Profilporträt des Francesco Brivio, Sohn des Jacopo Stefano, herzoglichen Raths und im Jahre 1514 Herr von Melegnano. In der Saumilung Poldi-Pezzoli in Mailand, wo das Bild dem V. Foppa zugeschrieben wird.
10. Das Profilporträt eines alten vornehmen Herrn, in der Sammlung des Herrn Dr. G. Frizzoni. Auch dieses Bild galt als Werk Lionardo's und wurde im Jahre 1848 als solches von der florentinischen Akademie be- stätigt, (t)
11. Das Profilporträt eines zwanzigjährigen Jüng- lings mit der goldenen Fürstenkette um den Hals, in der Sammlung Morelli. (f) Täusche ich mich nicht, so stellt dieses treulich modellirte Bildniss den Massimiliano Sforza vor, welcher den herzoglichen Thron in Mailand vom Jahre 1512 bis zum Jahre 1515 innehatte.
12. Vielleicht dürfte auch das Profilporträt im Gange der Uffizien-Galerie (Nr. 30 ''*•), dort dem Antonio del Pullajuolo zugeschrieben, als das W^erk unsers Ambrogio sich herausstellen, wenn es nämlich von der dichten Maske, die das Gesicht bedeckt, befreit würde. Der Mund scheint mir ganz in der Art des de Predis mo- dellirt zu sein, ebenso werden wir durch die Weise, wie die Lichter auf die schwerfällig herabfallende Haarmasse
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aufgetragen und wie die einzelnen Wimi^ern angegeben sind, an Ambrogio erinnert. Selbst die Augenpartie ist durchaus so modellirt, wie wir dieselbe auf den eben angeführten Bildnissen des Ambrogio de Predis ge- wahren. Dieses letztere Porträt in Florenz ist jedoch so stark übermalt, dass eine positive Bestimmung desselben mir etwas gewagt erscheint.
Wie das Jahr der Geburt, so ist auch das des Todes des Ambrogio Predi unbekannt. Er wurde wahrscheinlich von dem berühmten »Miniaturmaler Christop ho rus de Predis, wol einem Verwandten, zuerst im Zeichnen unterrichtet. ^ Nach einigen seiner Miniaturen im „Libro del Jesus" zu schliessen dürfte Ambrogio später von der Schule des V. Foppa, im Anfange des 16. Jahrhunderts jedoch von Lionardo da Vinci stark beeinflusst worden sein. Ambrogio ist ?illerdings ein gewissenhafter, feiner Maler, seine Zeichnung und Modellirung sind jedoch gar oft mangelhaft, wie z. B. in der Auffassung und Dar- stellung der Hand; in dem Bildnisse bei Herrn Friz- zoni, in dem des Gian Galeazzo Sforza beim Grafen Porro, in jenem des Archinto bei Herrn FuUer-Maitland sind die Hände plump und leblos. ^
^ Von diesem modenesischen, iu Mailand ansässigen Miniatur- maler besitzt die königliche Bibliothek in Turin eine vorzügliche Miniatur, bezeichnet;
— n n_
GZ. MA
DUX MDL. QVINTVS
OPVS XOFORI DE PREDIS
MVT. DIE 3. APRILIS. 1474.
Andere seiner Miniaturen befinden sich im Hause der Erben des
Marchese Girolamo d'Adda in Mailand, in der Kirche Madonna
del Monte bei Varese und anderwärts noch.
* Dieser Excurs über den Bildnissmaler des Lodovico Sforza war seit Wochen niedergeschrieben, als Herr Director W. Bode die Gewogenheit hatte, mir einen Sonderabdruck des von ihm im Heft II (1889) des „Jahrbuchs der königl. preussischen Kunst- sammlungen" veröffentlichten Aufsatzes über ein im Privatbesitz
Lombardische Meister: Bernardino de' Conti. 243
BEUNAKDINO DE' CONTI.
Da mm die frühem Bilder des Ambrogio de Predis eine grosse Verwandtschaft mit den spätem Porträts (von 1505 an) des Bernardino de' Conti haben, so
zu Berlin befindliches weibliches Profilporträt zukommen zu lassen. Indem ich es für meine Pflicht erachte, dem berliner Kunstgelehrten meinen Dank auch für sttne Zuvorkommenheit auszusprechen, möge der freundliche Herr mir gestatten, ihm zugleich meine Glückwünsche hier darzubringen zu der von ihm gemachten Entdeckung des wahren Conterfeis der Bianca Maria Sforza, zweiten Gemahlin des Kaisers Maximilian. Und ich ent- ledige mich dieser meiner Schuld gegen ihn mit um so grösserer Bereitwilligkeit, als bei der Beurtheilung dieses von ihm als Porträt der Bianca Maria bezeichneten Bildes ich diesmal die höchst seltene Genugthuung habe, nicht nur über die Persön- lichkeit der dargestellten Frau, sondern sogar auch in der ästhe- tischen Werthschätzung des Kunstwerks mit ihm vollkommen einverstanden zu sein. Zu meiner grossen Beruhigung finden sich auch auf diesem Profilporträt der Bianca Maria in Berlin, wie die Heliogravüre beweist, fast alle jene Merkmale vor, die ich auf Seite 238 als charakteristisch für Ambrogio de Predis angab. Denn abgesehen von der Zeichnung des Auges mit den einzeln angezeigten Wimpern, abgesehen von der steifen Gontour der Oberlippe, abgesehen von dem scharf beleuchteten Nasenrücken und der trockenen, miniaturartigen Behandlung der Nebendinge, der Juwelen, Schnürchen u. s. w., erblicke ich, zum Glück, auf diesem Porträt der Bianca Maria auch jenen hellen Lichtstreifen am äussern Augenwinkel, welcher sowol auf dem mit dem Namen des Meisters bezeichneten Porträt des Kaisers Maximilian als auch auf dem Profilporträt in der Am- brosiana sich vorfindet — ein Lichtstreifen, tlen man vergebens auf den Profilbildnissen anderer gleichzeitiger italienischer Maler suchen wird. £s ist wahr, das auf dem Profilporträi der Am brosiana dargestellte weibliche Antlitz ist viel anmuthiger und geistreicher als das der Bianca Maria, wie dies Herr Director Bode richtig bemerkt, dürfte aber das nicht wol eher das Ver- dienst der Mutter Natur als der des Malers selbst sein? Der ber- liner Kunstgelehrte ist keineswegs dieser Meinoog. „Der Abstand
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244 JDie Galerie Borghese.
erscheint es sehr wahrscheinlich, dass Bernardino ausser von Lionardo auch von Ambrogio de Predis beeinflusst •worden sei. Es sei mir nun erlaubt, auch über diesen
dieses Porträts der Bianca Maria", sagt er, „von dem Profilporträt in der Ambrosiana ist so gross, wie er nur zwischen den Werken eines der grössten Maler aller Zeiten und den Arbeiten eines fleissigen, handwerksmässigen Nachfolgers sein kann". Ich bin wahrlich ein zu warmer Freund der Gedankenfreiheit, als dass ich mich durch ^en herben Vorwurf, den mir hier mein verehrlicher Gegner macht, aus meiner Gemüthsruhe sollte brin- gen lassen. Ich überlasse, wie immer, auch in diesem Falle die ästhetische Würdigung der Kunstwerke den Kunstfreunden selbst; ich kann jedoch nicht unterlassen, abermals den freund- lichen Leser auf die ungeheure Kluft aufmerksam zu machen, di3 selbst in der ästhetischen Beurtheilung der italienischen Kunstwerke zwischen dem berliner Gelehrten und mir besteht. — Einen fernem Grund, meine Freunde zu ersuchen die italienischen Autorbestimmungen des Herrn Director Bode stets in jene Reihe von Sentenzen stellen zu wollen, die Monsieur de Pourceaugnac „sujettes ä caution'-'' nennen würde, liefert mir wieder der Herr Director des Berliner Museums in dieser seiner Abhandlung in welcher er mir über den Unterschied zwischen den Werken des A. de Predis und denen des Lionardo da Yinci eine Lection zu ertheilen die besondere Gefälligkeit hat, indem er mir zwei andere Bildnisse als Originalwerke vorhält, die in meinen Augen nur Copien sind. Das eine ist das Bild bei Herrn George Salting in London, welches Director Bode auf Seite 9 erwähnt ; das an- dere ist das weibliche Profilporträt im Palazzo Pitti (Nr. 371, dort Pier della Francesca benannt). Zum Glück sah auch ich jenes Bild bei Herrn Salting und zwar nicht allein, sondern im Beisein mehrerer kunstverständiger Freunde, unter andern auch des Herrn Dr. J. P. Richter, und wenn wir alle auf den ersten Blick in jenem Bilde eine kümmerliche Copie des Profilpor- träts in der Ambrosiana erkannten, so konnte wahrlich keinem von uns in den Sinn fallen, dabei mit Herrn Director Bode an Ambrogio de Predis zu denken ; sieht man doch ähnliche schlechte Copien von Bildnissen des zu seiner Zeit gefeierten de Predis auch im Museo civico zu Mailand und anderwärts noch. Auch soll Herr Salting nach jenem unserm Besuch sich des vermeint- lichen Juwels baldmöglichst entledigt haben.
Lombardische Meister: Bernardino de' Con _'45
Bernnrdino de** Conti, den kaum gekannten mailändischen ^Maler, dessen Bilder gar oft in den Augen der Laien den Namen des Lionardo fuhren, einige Worte hier zu
Das andere weibliche Profilportrat, welches Director Bodo aaf Seite 6 seiner Abhandlung bespricht, stellt die Beatrice Sforza, Gemahlin des Moro, dar. In den Aagen des berliner Directors ist auch jene langweilige Copie im Palazzo Pitti ein „schönes ferraresisches'' Bild und zwar von der Hand des Lorenzo Costa. Hätte Director Bode sich das ganz yorzög- liche Porträt des Bentivoglio von Lorenzo Costa, das an der- selben Wand hängt, sich angesehen, so würde er schwerlich za dergleichen im Munde eines Kunstverständigen ganz unbegreif- lichen Behauptuugen gelangt sein. In der Zaversicht nun, mich für immer zu entwaffen und für die Zukunft unschädlich zu machen, beruft sich der berliner Kunstgelehrte auf das Urtheil meines verstorbenen Freundes Otto Mündler, den er mit vollem Recht den ,,feinfühligen Kenner alter Kunst" nennt. Wenn jedoch Mündler in Gegenwart des Ambrosianabildes feinfühlig war in den Augen des Herrn Director Bode, weil er jenes Werk als von der Hand des Lionardo erklärte, wie kommt es, frage ich, (lass derselbe feinfühlige Kenner alter Kunst vor dem Porträt •ler sogenannten „Donna velata" im Pitti-Palast für Herrn Di- rector Bode auf einmal aufhört „feinfühlig" zu sein? Meine freundlichen Leser müssen nämlich wissen, dass jenes herrliche Hafi"aelbild im Palast Pitti vom berliner Director für eine Copie und zwar für die eines spätem Bolog^nesen erklärt wird. (Cic. II, 704.) Mündler aber, der feinfühlige Kenner alter Kunst, dachte ganz anders über jenes weibliche Bildniss. „Mir erneuerte sich", sagt er (Beiträge zu J. Burckhardt's Cicerone, 41), „so oft ich das Bild wiedersah, der erste Eindruck: «Raffael» ruft jeder Pinselstrich, und welchem Autor als ihm gelang dieser aner- reichbare Adel und dieser Zauber? Das linke Auge, unter an- (lerm, ist ein wahres Wunder von Zeichnung, von Helldunkel und von malerischer Behandlung." Und Otto Mündler war nicht nur feinfühlig, weil die Natur ihn mit den Gaben einea Künst- lers beschenkt hatte, sondern aach weil er eine allgemeine ftathe- tische Bildung besass, eine Bildung, die leider so vielen Kaost- kennem unserer Tage gans und gar abgeht Mir ward das (ilü'k, den treffliehen, von mir bochgesohitzten , feinfQhligen Kuiibtforscher aus Bayern gewiss ebenso gut, wenn nicht viel-
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sagen. Kein Kunstschriftsteller, ausgenommen die wenig zuverlässigen Lomazzo und Orlandi, bericliet uns über diesen Meister. Derselbe soll ein Pavese gewesen sein
leicht besser als Herr Director Bode zu kennen, denn ich ver- lebte zwei volle Jahre in Paris im vertrautesten Umgange mit ihm und wir machten zusammen unsere Studien in der Louvre- Galerie zu einer Zeit, als der berliner Director, der Glückliche, wahrscheinlich noch in den Windeln lag und weder von Lio- nardo noch von Kafifael träumte. Ich kann daher ihm mit gutem (iewissen bezeugen, dass zu seiner Zeit, d. h. vor etwa 40 Jahren kaum ein anderer Kunstfreund mit der italienischen Kunst so vertraut war wie Mündler, was jedoch den braven Mann nicht abhielt, mit bewunderungswürdiger Bescheidenheit auch von an- dern, weniger competenten Kennern als er war, wenn der Enthu- siasmus ihn zuweilen zu Fehltritten verleitet hatte, sich eines Bessern belehren zu lassen. Denn, wie alle Menschen von feinerm Schrot und Korn, so war auch Mündler ein abgesagter Feind aller Stelzenlauferei. Stets lernbegierig kam es ihm nie in den Sinn, andern das vordociren zu wollen, was er selbst nicht wusste. Ich bin daher überzeugt, dass, weilte Mündler noch unter den Lebenden, er es für seine heilige Pflicht gehalten hätte, die von ihm begangenen und im damaligen Zustande, der K urstwissenschaft sehr verzeihlichen Irrthümer durch ein offenes Bekenntniss wieder gut zu machen, und dass er somit heutzu- tage weder das Profilporträt in der Ambrosiana, noch das Wand- gemälde in Vaprio (il Madonnone), noch die „Vierge aux rochers" in der Londoner National Gallery immerfort noch als Werke Lio- nardo's ansehen würde. Denn seit jener Mündler'schen Zeitepoche hat ja doch die Kunstwissenschaft, und wenigstens dies wird Herr Director Bode mir nicht bestreiten wollen, wenn auch nicht sehr grosse, immerhin doch Fortschritte gemacht, und zwar nicht nur in der Kenntniss der holländischen Malerschulen, in denen ja, wie bekannt, der berliner Kunstgelehrte so manchen Lorber- kranz sich gepflückt hat — nein, auch das Studium der Kunst- schulen Italiens, mitErlaubniss meines verehrlichen Widersachers, ist nicht zurückgeblieben und hat zu mancher Eroberung ge- führt: Eroberungen, die zwar, wie dies in fast allen Wissen- schaften zu geschehen pflegt, von vielen Seiten noch immer be- stritten werden, welche aber in der Mehrzahl, wie ich denke, die harte Prüfung siegi*eich bestehen dürften.
Lombardische Meister: Bernardino de* Conti. 247
und als solcher dürfte er wol seine erste künstlerische Erziehung dem Vincenzo Foppa oder dem Civerchio verdanken. Das rothlich -braune Incarnat sowie auch das Faltensystem auf seinem Bilde vom Jahre 1496 in der Brera- Galerie deuten wenigstens auf die Schule Foppa's hin. Später jedoch muss Conti, in Mailand ansässig, theils von Lionardo theils von Ambrogio de Predis beeinflusst worden sein. Die Herren Crowe und Cavalcaselle (II, 67) fertigen diesen lombardi- schen Maler kurz ab, indem sie ihn ohne weiteres als einen Schüler ihres Zenale uns vorstellen und so- dann einige w^enige Werke von ihm anführen, nämlich das mit dem Namen bezeichnete Porträt eines Prälaten im Berliner Museum vom Jahre 1499; eine das Kind säugende Madonna in der Münchener, ehemals Schleiss- heimer Galerie; eine „Wiederholung" davon in der städtischen Sammlung von Bergamo; eine „Vermählung der heiligen Katharina" ebendaselbst, und endlich ein Madonnenbild in der Sammlung Poldi-Pezzoli zu Mai- land. Das Madonnenbild in München ist nach meiner Ansicht eine alte Copie, und die beiden Bilder in Bergamo können doch wol nur als Atelierwerke des Meisters angesehen werden; die Aufschrift mit dem Jahre 1501 auf dem einen derselben wurde schwerlich vom Maler selbst darauf gesetzt. Dem Beispiele seiner bewährten Führer, der Herren Crowe und Cavalcaselle, folgte auch diesmal Herr Director Bode und schilderte <laher mit einigen geringschätzigen Bemerkungen den Conti als einen ganz untergeordneten Meister. Ueber die ästhetische Werthschätzung von Kunstwerken Hesse sich gar vieles sagen, denn, wie die Peripatetiker richtig bemerkten : omne quod recipüur ad modum recipientie re- cipitur. Stellen wir daher lieber, unserer materialistischen Methode folgend, vorerst die charakteristischen Zeichen fest, nach denen die Werke, sowol Gemälde als Zeich- nungen, auch dieses Meisters sich von denen anderer
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gleichzeitiger mailändischer Maler, und zumal Lionar- do's da Vinci, mit dem Conti besonders in seinen Zeich- nungen verwechselt wird, unterscheiden lassen.
1) In seinen Bildern aus dem 15. Jahrhundert, wie in der grossen Altartafel der Brera- Galerie, ehedem dem Zenale zugeschrieben, und auch im Prälatenporträt vom Jahre 1499 im Berliner Museum, ist die Carnation röth- lieh; in seinen spätem Werken, wie in dem Bildnisse vom Jahre 1505 bei der Gräfin d'Anfrrogna in Turin^ in dem weiblichen Porträt bei Herrn A. Morrison in London, in der das Kind säugenden Madonna in der Ermitage in St.-Petersburg ist dagegen das Incarnat kalt und hell und von einem Smalto, der an die Porträts au& der ersten Wirkungszeit des Ambrogio de Predis erinnert-
2) Die Antihelix des Ohres ist bei ihm sehr breit, sodass dadurch das Ohrloch schmal wird.
3) Der Schlagschatten des Auges an der Nasen- wurzel ist scharf angezeigt.
4) Die Haarmasse an den weiblichen Köpfen ist glatt über die Schläfe gezogen.
5) Die Finger sind unschön in ihrer Bewegung, ähn- lich denen an den Händen des Antonio del Pollajuolo, und die Nägel daran kurz und breit.
6) Seine Zeichnungen sind fast alle fleissig und zier- lich mit dem Silberstift ausgeführt, die Striche gehen nicht, wie bei Lionardo, von links nach rechts sondern von rechts nach links.
7) Der Mund ist bei ihm weniger hart als in den Porträts des Ambrogio de Predis.
Demnach dürften folgendeWerke, meiner Ansicht nach^ dem Bernardino de' Conti zugeschrieben werden:
1) Die grosse Altartafel (Nr. 499) in der Brera- Galerie. Auf derselben ist die thronende Jungfrau mit dem Kinde und den vier Kirchenvätern (Caricaturen Lionardischer Köpfe) nebst der am Fusse des Thrones knienden Familie des Lodovico Sforza dargestellt. Dieses
MADONXA VON liKI'.N U'.MI N-ijnr (tJjTTI , IJC KT i :i i -lUEO.
Lombardische Meister: Bemardino de' Conti. 249
Bild galt vor Zeiten in Mailand für ein Werk des Lio- nardo da Vinci, wurde sodann, als es in die Brera- Galerie versetzt ward, ohne allen Grund auf Bemar- dino Zenale getauft, ungefähr auf dieselbe Weise, wie in Berlin das Giovanni Santi-Bild des Herrn Rumohr auf einmal in ein Hauptwerk des Timoteo Viti ver- wandelt wurde. Gegenwärtig führt es seinen richtigen Namen, d. h. den des Bemardino de' Conti, (f )
2) Das sogenannte Selbstbildniss des Lukas von Ley- den in der Uffizien -Galerie, Nr. 444, scheint mir eher eine alte Copie als Originalbild des Bemardino de' Conti zu sein, (f )
3) Das grosse weibliche Porträt bei Herrn A. Mor- rison in London. Dieses Bild war ehedem im Hause Castelbarco in Mailand und galt dort für »in Werk Lionardo's. (f)
4) Das mit dem Namen des Meisters und der Jahres- zahl 1505 bezeichnete Porträt des Catcllanus Trivulcius bei der Gräfin d'Angrogna in Turin.
5) Die niedliche, das Kind stillende Madonna, einst im Hause Litta zu Mailand, jetzt in St.-Petersburg. Dieses Bild ging und geht noch immer unter dem Namen Lionardo's da Vinci. Charakteristisch auf diesem Ge- mälde sind die kleinen breiten Nägel, sowie auch das Incamat und das glatt über die Schläfe der Jungfrau gestrichene Haar, (f)
6) Das Madonnenbild in der Poldi-Pezzoli-Sammlung. Von den vielen Zeichnungen des Bemardino de'
Conti, die unter dem Namen Lionardo's in den öffent- lichen Sammlungen uns vorgestellt werden, will ich eben- falls hier etliche anführen, auf dass meine Freunde sich von der Richtigkeit meiner Behauptungen überzeugen mögen, gilt doch bei allen emsten Forschem der Grund- satz, dass das was man behauptet in der Wissenschaft keinen Werth haben kann, wenn man nicht in d^r Lage ist, es durch triftige Grunde zu beweisen.
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7) Die Profilzeiclmung des Kopfes des jungen Massi- niilinno Sforza, eine Studie zu Conti's grossem Altar- werk (Nr. 499) in der Brera-Galerie. Diese Zeichnung, die wir hier reproduciren, damit der Leser auch die charakteristische Form des Ohres mit der breiten Anti- helix sich merken könne, befindet sich unter dem Namen Lionardo's in der Ambrosiana. Braun hat dieselbe unter Nr. 38 photographirt. (f )
8) Die grosse Silberstiftzeichnung im Britischen Mu- seum, Braun 45, unter dem Namen Lionardo's. Es ist dies ebenfalls eine Studie zum Madonnenbilde Conti's in der Brera-Galerie. (f)
9) Der männliche Kopf, Dreiviertelansicht, Silber- stiftzeichnung im Louvre, ebenfalls unter dem Namen Lionardo's, Braun 169. (f)
10) Der Lionardeske Kopf eines alten Mannes im Britischen Museum, Vol. 36, P. p. 1, 35. (f)
11) Der herrliche männliche Kopf, Silberstiftzeich- nung, Nr. 39, unter den Lionardo-Zeichnungen im Kata- loge der an guten Zeichnungen reichen Sammlung des Herrn John Malcolm in London, (f )
12) Der weibliche Kopf mit aufgelösten Haaren in der Sammlung des Christ Church College in Oxford, dort ebenfalls Lionardo da Vinci zugeschrieben, (f)
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass, wie Ambrogio de Predis, so auch Bernardino de' Conti in den ersten Decennien des 16. Jahrhunderts ein in Mailand sehr be- liebter Porträtmaler war. Man darf zwar auch ihn nicht zu den grossen Meistern rechnen, allein zuweilen glückt es auch ihm Werke zu schaffen, durch welche, wie dies z. B. mit dem Madonnenbilde in St.-Petersburg der Fall ist, selbst die sogenannten Kenner der mailändischen Kunstschule und Lionardo's getäuscht werden können.
Ich habe leider bei diesen zwei alten „handwerks- mässigen" lombardischen Meistern länger mich aufhalten
PBOPILPORTKAT DRM Jt'NORS MAHHIMII.IAXO HPDIIXA . «ILBBRrrKTUK'II.VrXd IN' DER AMBROaUNA.
Lombardische Meister: Francesco Francia. 251
müssen, als es in meinem Wunsche lag, da mir der Vor- wurfgemacht wurde („Deutsche Litteraturzeitung'', 1886, Nr. 42), die Kenntniss sowol des Predi als des Conti (die vor mir doch sozusagen ganz vuid gar unbekannt waren) nur „durch den Widerspruch, den meine An- sichten über dieselben hervorrufen müssen, gefördert zu haben".
FRANCESCO FRANCIA.
Und nun muss ich noch des Francesco Francia ge- denken, dem in diesen zwei ersten Zimmern der Galerie mehrere Bilder zugedacht werden. Das eine darunter ist, meinem Gefühle nach, eins der empfundensten Werke des Meisters und gehört wol zu den Arbeiten aus der Frühzeit (1490—96) dieses wahrhaft frommen und liebenswürdigen Mannes; ich meine die mit Nr. 50 bezeichnete Tafel. ^ Auf derselben ist der heilige Ste- phanus kniend und mit gefalteten Händen dargestellt. Sein. Kopf blutet aus einer klaftenden, eben erhaltenen AVunde, sein Auge blickt voll Gottvertrauen dem nahen Tode entgegen. Hintergrund Landschaft. Auf oinem unten angebrachten Zettel {cartellind) liest man:
VINCENTH . DESIDERII • VOTVM • FRANCIE • EXPRESSVM . MANV.
W eilige Bilder hauchen so rein, so voll das Arom jener goldenen Kunstblüte aus, wie dieser Stephanus des Francia.
Die Madonna mit dem Kinde mitten unter Rosen* dürfte dagegen, in der Ausfühnnig wenigstens, eher einem der bessern Schüler und Nachahmer, deren ja Francia so viele linttr. als ihm selbst angehören. Als
* Leider ist auch dieses Bild, eine der Perleu der Samm- lung, ins obere Stockwerk des Palastes gewandert. ' Hängt jetst im ersten Saal.
252 ^*® Galerie Borghese.
von der Hand des Meisters selbst ausgeführt betrachte ich dagegen das ganz vorzugliche Bild mit der „Lucrezia romana^^ im ersten Saal der Galerie.^
Die übrigen Madonnen bilder sowie auch der heilige Antonius, die gegenwärtig in diesem ersten Saale auf- gestellt sind und zwar noch immer unter dem Namen des Francesco Francia (Nr. 55, 56, 57), sind nach meiner Ueberzeugung nur Werke der Schule, ebenso wie die Madonnenbilder in der Galerie Doria und in der des Vaticans. Ein echtes, obwol unvollendet gelassenes Werk des Francesco Francia scheint mir dagegen das grosse Tafelbild im ersten Saal der Capjtolinischen Galerie zu sein. Eä ist dies vielleicht das letzte Werk des Mei- sters und stammt wol aus demselben Jahr wie jenes in der Kapelle Facci der Kirche von S. Stefano in Bo- logna.^ Uebrigens wurde das Tafelbild in der Capito- linischen Galerie von Francia blos untermalt (man er- kennt darin sehr leicht die von ihm selbst gezeichneten Figuren). Es dürfte wol im 17. Jahrhundert von einem bolognesischen Maler mit Hinzufügung mehrerer an- derer Figuren, des Hundes und anderer Zuthaten fertig gemalt worden sein.
Im nämlichen Saale der Galerie hängt ein anderes ebenfalls dem Francesco Francia zugemuthetes Bild, auf welchem die thronende Jungfrau mit dem Kinde dargestellt ist, zur rechten Seite des Throns die Hei- ligen Petrus, Paulus und Johannes der Täufer, zur
* Auch die Lucrezia wurde in die obern Gemäclier des Pa- lastes gebracht. Jenes Bild ist wol das von Vasari beschriebene (VI, 11). „77 duca Guido Baldo parimente ha nella sua guar- darobüj dt mano del Francia, in un quadro una Lucrezia ro- niana, da lui molto stimata.^^ In der Sammlung von Lord North- brook in London befindet sich eine alte und gute Copie der Bor- ghesischen Lucrezia.
' Die Herren Crowe und Cavalcaselle (I, 574, 3) geben jenes Bild der Kapelle Facci dem Giacomo Francia.
Lombardische Meister: Francesoo Francia. 253
linken Andreas, Johannes der Evangelist und Francis- cus. Die mit Gold reich verzierte Architektur lässt uns im Autor des Bildes einen vom Palmezzano be- einflussten Maler vermuthen. Der Gesichtstypus der Madonna, die Form der Hand und des Ohres des Christ- kindes, sowie die Landschaft sind augenscheinlich dem Francia entlehnt, wogegen der Typus des heiligen Fran- ciscus sowie die carrikirten Gesichtstypen der übrigen Heiligen an Palmezzano erinnern; die auf dem Thron- sessel angebrachten Früchte lassen uns an die Schule des Carlo Crivelli denken. Das Bild ist mit der Jahres- zahl 1513 bezeichnet und dürfte einem Künstler aus der Marca d' Ancona angehören.
Hatten wir soeben Gelegenheit, in diesem Saal der Capitolinischen Gemäldesammlung eins der letzten Werke des Francia zu sehen, so bietet uns dagegen, meiner Ueberzeugung nach, die Galerie Corsini in Rom im kleinen Tafelbilde mit dem heiligen Georg im Kampfe mit dem Drachen einen der ersten Versuche in der Malerei des Meisters dar. Jenes Bildchen wird all- gemein für die Arbeit des Ercole Grandi di Giulio Cesare gehalten und als solche wurde es vor Jahren auch von mir angeführt. Bei einer nähern Besichti- gung jedoch fielen mir auch vor diesem Bilde die Schuppen von den Augen und ich erkannte es als Jugend- werk des Francesco Francia, etwa aus derselben Epoche, in der das Bildchen mit dem Gekreuzigten im Arciginnasip von Bologna (f), das Madonnenbildchen Nr. 1040 in der Münchener Pinakothek, die Bilder für den Bianchini (im Museum von Berlin) und für den Felicini (in der Pinakothek von Bologna) entstanden, d. h. in den Jahren 1490—94. (f)
Florenz besitzt ein Porträt des Evangelbta Scappi, in der Tribuna der Uffizien-Galerie aufgestellt, ein zwar vorzügliches, allein stark restaurirtes Werk des Francia. Die grossere Zahl der Bilder dieses Meisters, und dar-
254 I^io Galerie Borghese.
unter auch seine besten, müssen in seiner Vaterstadt Bologna nufgesucbt werden : in der Pinakothek, in den Kirchen S. Jacopo mnggiore, S. Martino, S. Vitale, in der Kapelle der heiligen Cäcilia.
Francesco Francia verhält sich zu Lorenzo Costa un- gefähr so wie Pietro Perugino zu Pintoricchio. So- wol Costa als Bernardino Betti sind phantasiereichere, lebendigere, dramatischere Künstler als Francia und Pe- rugino. Diese letztern waren jedoch strengere Zeichner und gewissenhaftere Maler als jene, wenigstens in den Arbeiten aus ihrer Frühzeit. Die einzelnen Figuren in ihren Bildern sind mit grösserer Sorgfalt ausgeführt, allein alle diese Figuren stehen gleichsam fiir sich da, der Lichtstrahl ein und derselben Idee erleuchtet und erwärmt sie nicht, mit einem Wort, sie sind nicht bei der Sache. Trotzdem erfreuen sie den Beschauer durch ihren sanften, innigen Ausdruck.
SOFONISBA ANGUISSOLA.
Es erübrigt mir noch von einem zwar spätrem, allein zu seiner Zeit weitberühmten lombardischen Bildniss- maler, dem im dritten Saal dieser Borghese -Galerie ein kleines weibliches Porträt zugeschrieben wird, mei- nen freundlichen Leserinnen und Lesern einiges mit- zutheilen. Das Bild führt die Nr. 14 und gehört keinem männlichen, sondern einem weiblichen Porträtmaler an. Der Katalog schreibt es der Sofonisba Anguis-^ sola, der mütterlichen Freundin von A. van Dyck, zu. Sofonisba stammte aus der cremonesischen Patricier- familie der Anguissola und wurde von ihrem Vater Ilamilcar schon in ihrem siebenten Jahre dem cremo- neser Maler Bernardino Campi anvertraut, damit der- selbe sie im eigenen Hause zur Malerei ausbilde.
Welcher aristokratische Vater und zumal welche adelige Frau Mama würde in unserer demokratisch sich geberdenden Zeit ihrem vornehmen Töchterlein eine
Lombardisühe Meister: Sofonisba Anguissola. 255
solche ^^education^^ zuniuthenl Als aber nach einigen Jahren (1550) Bernardino Campi nach Mailand berufen ward, übernahm der in Cremona ansässige Bernardino Gatti, il Sojaro genannt, ein Nachahmer des Correggio und des Parmeggianino, die weitere künstlerische Er- ziehung und Ausbildung der jungen Sofonisba, welche 1559 schon zu solchem Ruf gelangt war, dass Philipp II. sie an seinen königlichen Hof nach Madrid berief.
Das älteste mir bekannte Gemälde der jungen vor- nehmen Malerin ist das Porträt einer schwarzäugigen Nonne bei Lord Yarborough in London, mit dem Namen der Malerin und der Jahreszahl 1551 bezeichnet. So- fonisba hätte also das wirklich hübsche Bild in ihrem elften oder höchstens zwölften Jahre, wahrscheinlich mit Beihülfe des Lehrers, gemalt. Denn auf ihrem Selbst- porträt im Belvedere in Wien sieht das grossäugige Mädchen etwa vierzehn- oder fünfzehnjährig aus. Jenes Bild trägt die Aufschrift: SOPHONISBA • ANGVIS-. SOLA . VIRGO . SE • IPSAM • FECIT • 1 554. Ausser diesem sind mir noch' etwa ein halbes Dutzend anderer Selbstporträts von ihr bekannt. Ein solches befindet sich auch in der an guten Bildern reichen Sammlung der Sienesischen Akademie. Die Malerin sieht darauf etwa wie ein 18- oder 19 jähriges Mädchen aus, und das Bild muss daher ums Jahr 1558 von ihr gemalt sein. Sofonisba hat neben sich einen Mann mit dem Stift in der Hand hingestellt, wahrscheinlich ihren ehemaligen Lehrer Bernardino Campi, welcher, 1522 geboren, auf dem Bilde auch wirklich wie ein naher Vierziger aus- sieht. Die Figuren sind in Lebensgrosse. Auch der verstorbene Herzog Melzi in Mailand besass ein frei- lich sehr beschädigtes Selbstporträt der Anguissola; ein späteres befindet sich in der florentinischen Künstler- porträtsammlung der Uffizien. Dasselbe ist bezeichnet: SOPHONISBA . ANGVISSOLA • CREM^s (Cremo- nensis) AET • SVAE • ANN • XX, wurde demnach
256 ^i® Galerie Borghese.
wabrscbeinlich von ihr in Madrid gemalt, was auch die Beifügung ihrer Heimat in der Inschrift andeuten dürfte. Andere Porträts von ihrer Hand finden sich in Eng- land beim Grafen Spencer, bei Herrn Danby Seymour, bei Herrn William Stirling; in Deutschland unter an- dern das schöne Bild mit den Porträts ihrer drei Schwe- stern in der im Berliner Nationalmuseum aufgestellten Sammlung des Grafen Raczynski in Berlin; ein anderes in der Ermitage in St.-Petersburg, aus der Leuchtenberg'- schen Sammlung erworben; ein anderes im Museum von Neapel. Herr Giovanni Morelli in Mailand besitzt auch ein sehr niedliches Bildchen von ihr, worauf die heilige Familie dargestellt ist. Auf demselben liest man fol- gende Aufschrift: SOPHONISBA • ANAGVSSOLA (sie) . ADOLESCENS • P. 1559, also aus dem Jahre, in dem die etwa 19- oder 20jährige Sofonisba an den Hof Philipp's n. nach Madrid berufen wurde. ^
lieber das Geburts- und Todesjahr dieser höchst interessanten, selbst von Michelangelo belobten und von Vasari hochgepriesenen Malerin herrscht noch immer unter den Kunstschriftstellern eine grosse Confusion. Nach meinem Dafürhalten also wurde Sofonisba etwa im Jahre 1539 in Cremona geboren. Ihr Selbstporträt in Wien vom Jahre 1554 stellt, wie gesagt, ein etwa 14- bis 15 jähriges Mädchen vor.' Auch hätte sie im Jahre 1559 schwerlich sich noch als adolescens qualifi- cirt, wie dies auf dem Bilde bei Herrn Morelli der Fall ist, wäre sie damals schon nahe an die Dreissig ge- wesen und hätte sie daher das Tageslicht schon im Jahre 1530 erblickt, wie die Mehrzahl ihrer Biographen behauptet.
* Eine Replik dieses Bildchens sah icli vor Jahren in der Sammlung des verstorbenen Grafen Varano in Ferrara. Andere Madonnenbilder von der Hand dieser Malerin sind mir nicht zu Geaicht gekommen.
Lombardische Meister: Sofonisba Anguissola. 257
Vom Jahre 1559 bis etwa 1570 scheint Sofonisba Jim spanischen Hof verweilt zu haben. Sie heirathete dort einen sicilianischen Edelmann, Namens Moncada, dem sie später nach Palermo folgte, wo derselbe starb. In zweiter Ehe an den genuesischen Patricier Lomellini vermählt, liess sie sich sodann in Genua nieder. Im Jahre 1624 machte der junge van Dyck, von Palermo in Genua ankommend, die persönliche Bekanntschaft So- fonisba's und soll dort im folgenden Jahre das Porträt der damals schon erblindeten alten Dame gemalt haben, -die ein Jahr später, also 1626, ungefähr 86 Jahre alt starb.
Die Bildnisse der Sofonisba gehen meistens unter fremden Namen. Sie sind alle sehr naiv und frisch aufgefasst und solid gemalt. Im Museum von Ma- drid ist mir kein einziges Gemälde ihrer Hand vor- gekommen, wol aber fand ich dort das lebensgrosse Por- trät des cremoneser Arztes Piermaria (Nr. 15) mit der Aufschrift: LVCIA • ANGVISOLA . AMILCARIS • F . ADOLESCENS. Diese Lucia, von der auch die städtische Bildergalerie von Brescia das sehr naive Por- trätchen einer dritten Schwester Anguissola, nämlich der Europa besitzt, war, wenn ich nicht irre, die zweite Schwester der Sofonisba und auch ihre Schülerin.
Von dieser Lucia nun und nicht von der Sofo- nisba wurde, nach meiner Ansicht, das kleine weibliche Bildniss der Borghese-Galerie gemalt, (f) Aber auch Europa, die dritte Schwester, war Malerin, wie uns Vasari berichtet, der dieselbe im Jahre 1568 in Cre- mona besuchte (XI, 260). Die vierte und jüngste Schwester^ hiess Anna Maria und gab sich ebenso
^ Ausser diesen gab es nooh zwei andere Schwestern der
Sofonisba, von denen die eine jong verstarb, die andere sich
ins Kloster zurückzog. Siehe darüber auch Gh^sselli's yjÄbeee-
dario biografico dei Pittori^ ScuUori ed Architetti OnmoneH",
hmuuovtnrr. i'j
258 ^i^ Galerie Borghese.
wie ihre drei altern Schwestern mit Malerei ab. Von ihrer Hand sah ich vor Jahren im Hause des Vicars von S. Pietro zu Cremona ein wenig erfreuliches Bild- chen, worauf die heilige Familie dargestellt ist, nebst dem heiligen Franciscus, welcher ein Körbchen voll Trauben und Maulbeeren dem Christkinde darbringt. Auf dem Bilde ist der Name der Künstlerin in Goldbuch- staben folgendermassen bezeichnet: ANNAE • MARIAE . AMILCARIS . ANGVSOLAE • FILIAE.
Italien ist wol das einzige Land Europas, in wel- chem so viele Jungfrauen sich der Malerkunst wid- meten und es darin auch zu einer gewissen Meister- schaft gebracht haben. Ich nenne hier unter andern die fromme Catharina Vigri* aus Bologna; die Irene von Spilimbergo, Tizian's Schülerin; die Schwestern Anguissola; die Marietta Robusti^; die Barbara Longhi aus Ravenna; die Agnes Dolci aus Florenz; die Lavinia Fontana aus Bologna; die Galizia Fede aus Trient u. a. m.
DIE FEERAEESEK
Nachdem wir einen Blick den Werken der floren- tinischen, sowie anderer Malerschulen Italiens, geschenkt haben, wollen wir nun einige unter den vielen Bildern aus der ferraresischen Malerschule betrachten.
BENVENUTO GAROFOLO.
Die Bilder von Benvenuto Garofolo und von DossoDossi leuchten uns ja von allen Wänden dieser
^ Ein Bild von ihr befindet sich in der Akademie von Venedig, * Das Museum von Madrid besitzt mehrere Bildnisse von ihrer Hand.
Die Ferraresen: Benvenuto Garofolo. 259
Räume entgegen und unter denselben sind einige, die zu den schönsten Stücken der Borghese-Galerie gerech- net zu werden verdienen. Beginnen wir mit der Be- sprechung der Werke des Garofolo und seiner Schule. Benvenuto war zwar um einige Jahre jünger als sein Landsmann Dosso, auch steht er diesem, wenigstens in meinen Augen, als Künstler in mancher Hinsicht nach, die Anzahl seiner Werke ist aber hier so überwiegend, dass er schon deshalb den Vorrang verdient.
Wer diesen Meister kennen lernen will, der muss nach Kom kommen. In keiner andern Stadt, selbst Ferrara nicht ausgenommen, findet man ihn in allen Tonarten, in allen seinen künstlerischen Entwickelungs- stufen so reichlich vertreten, wie dies in den verschie- denen Sammlungen der Ewigen Stadt der Fall ist. Die meisten dieser ferraresischen Bilder mögen schon im Anfang des 18. Jahrhunderts nach Kom gebracht wor- den sein, als nämlich durch die Aldobrandini die Reihe auch an Ferrara kam, dem päpstlichen Staate annectirt zu werden. Wie über die Völkerwandeningen, so wal- tet auch über die Bilder ein politisches Fatum.
Die Biographie des Garofolo, welche uns Vasari mittheilt, der ihn personlich kennen zu lernen Gelegen- heit hatte, leidet zwar sehr an Anachronismen, wie fast alle Biographien im Werke des Aretiners, scheint mir jedoch in der Hauptsache wahr zu sein. Sie enthält beiläufig folgende Thatsachen: Benvenuto Tisi wurde in Ferrara im Jahre 1481 geboren und starb daselbst 1559, erreichte somit ein Alter von 78 Jahren. Obgleich er ungefähr in seinem 50. Lebensjahre fast ganz die Seh- kraft des einen Auges eingebüsst haben soll, so wurde er dadurch keineswegs in der Ausühuni^ seines Berufs gehindert, und Garofolo war ein Mann von grossem Fleiss. Bei einer künstlerischen Thätigkeit von un- gefähr 50 Jahren konnte er demnach sicherlich eine grosse Anzahl Arbeiten ausführen und davon kann man,
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260 I^ie Galerie Borghese.
wie gesagt, in den römischen Sammlungen zur Genüge sich überzeugen. Sein Vater Pietro Tisi (seines Zei- chens ein Schuhmacher, gleich dem Vater des Sodoma) stammte aus dem kleinen Ort Garofolo, im paduani- schen Gebiet liegend, weshalb sein Sohn gewöhnlich Benvenuto da Garofolo zuweilen auch schlechtweg Benvenuto Garofolo genannt wurde. Ums Jahr 1491, also zehnjährig, ward Benvenuto vom Vater zu dem ferraresischen Meister Domenico Panetti^ in die Lehre gegeben. Dieser war, wenn auch ein trockener, zuweilen selbst ein nicht sehr kurzweiliger, doch immerhin ein ganz tüchtiger und gewissenhafter Maler, wovon man sich besonders in der Pinakothek von Fer- rara, wo mehrere Bilder von ihm aufgestellt sind, über- zeugen kann. Er mag damals der beliebteste unter den in der Stadt Ferrara lebenden Malern gewesen sein. In der Geschichte der ferraresischen Malerschule neh- men, wie mir scheint, Panetti, Francesco Bianchi und Lorenzo Costa ungefähr denselben Platz ein, den in der Schule von Perugia Fiorenzo di Lorenzo, Pinto- ricchio und Pietro Perugino, in der von Verona etwa Francesco Morone, Girolamo dai Libri und Bonsignori behaupten.
Nach ungefähr sieben Jahren war die sogenannte Lehrzeit vorüber, und um 1498 beginnen nun die Wan- derjahre des jungen Garofolo. Zuerst begab er sich nach Cremona, wo er an dem Maler Soriani einen Verwandten oder Freund gehabt zu haben scheint und wo auch Boccaccio Boccaccino, den er wahrscheinlich schon von Ferrara her kannte, thätig war. Boccaccino, ein Schüler mehr der venetianischen als der mailändischen Schule,
* Panetti (1512 gestorben) war, meiner Ansicht nach, in der Schule des Cosimo Tura Mitschüler jenes Francesco Bianchi (1510 ▼erstorben), der, wie die Geschichte berichtet, die Ehre hatte den jungen Correggio in der Malerei zu unteiTichten.
Die Ferraresen: Benvenuto Garofolo. 261
wurde schon damals, und mit Recht, für den vorzüg- lichsten Maler Cremonas gehalten. Von diesem letztern mag nun Garofolo in dessen Werkstätte wol Bilder ge- sehen haben, die ihm schon ihrer herrlichen Farbe halber zusagten, allein auf keinen Fall jene, welche Vasari und Baruffaldi, der den Vasari copirt, angeben, da ja die Tribuna des Doms von Cremona erst 1505 und 1506 von Boccaccino al fresco bemalt wurde und seine Ge- schichten aus dem Leben der Maria, ebenso wie die Wandgemälde des Romanino und seines Schülers Alto- bello Meloni in jener Kirche erst ungefähr zehn oder zwölf Jahre später, d. h. in den Jahren 1513 — 18 ent- standen sind. Benvenuto aber fand Arbeit bei Boccac- cino, wie dies uns auch durch folgenden Brief bestä- tigt wird, welchen Boccaccino an den Vater des Ben- venuto geschrieben haben solH:
„Hochzuverehrender Herr Peter!
„Hätte Euer Sohn Benvegnü die guten Sitten eben- sowohl erlernt als das Malen, so würde er mir gewiss nicht einen so schlimmen Streich gespielt haben. Denn, nachdem am 3. Januar sein Onkel und Euer Schwager (?) Herr Niccolö (Soriani) starb, hat er keinen Pinsel mehr angerührt, und doch wusste er gar wohl an was für einem schönen Werke er arbeitete. Das ist aber noch gar nichts. Er ist, ohne auch nur «hoP dich der Henker» zu sagen, davongelaufen, ich weiss aber nicht in wel- cher Richtung. Ich hatte ihm Arbeit verschafft, er hat aber alles unvollendet im Stiche gelassen und ist auf und davon, nachdem er alle seine eigenen Geräthschaflen nebst denen des Herrn Niccolö bei mir hatte liegen lassen. Das diene Euch zur Richtschnur um ihn auf-
> Von oinigt^n neuem Kritikern wird dieser Brief für apo- kryph gehalten, jiMl«>ch, wie icli glaube, ohne hinreichenden Grund.
262 ^^^ Galerie Borghese.
zutreiben. Durfte man ihm Glauben schenken, so sagte er, er wolle Rom sehen; möchte wol sein, dass er sich nach jener Stadt begeben hat. Und nun sind es schon zehn Tage her, dass er abgereist ist bei einer Kälte und bei einem Schnee, dass es kaum zum Aushalten ist. Ich küsse Euch die Hände und verbleibe Euer brüderlich gesinnter Boccaccino."
Cremona, 29. Januar 1499.
Diesem Brief zufolge erscheint uns Benvenuto als ein etwas unartiger, aber entschlossener Bursche. Am 19. Januar des Jahres 1499 also verliess der 18jährige Garofolo die Werkstätte des Boccaccino und Cremona, und begab sich im tiefsten Winter auf den Weg nach Rom. Diese Reise scheint die Folge eines plötzlichen Entschlusses gewesen zu sein. In Rom angekommen miethete er sich, wie Vasari berichtet, in der Wohnung des florentinischen Künstlers Giovanni Baldini (wol ein Verwandter des berühmten Baccio Baldini) ein, bei welchem er Gelegenheit hatte, viele Zeichnungen be- rühmter Meister aus Florenz zu sehen und zu copiren. Die Nachricht, dass sein Vater schwer krank danieder- liege, rief ihn jedoch plötzlich von Rom wieder nach Ferrara zurück. Dort angekommen scheint er dann kürzere Zeit unter dem Einfluss der Brüder Dossi ge- arbeitet zu haben. ^ Benvenuto schloss, wie es scheint, innige Freundschaft mit den Brüdern Dossi (Giovanni und Battista) und ward später in ihrer Gesellschaft viel- fältig vom Herzog Alfonso und seiner anmutliigen Gattin Lucrezia Borgia, die damals in ihrem 24. Jahre stand.
* Mancher Zug in seinem Bilde aus der Frühzeit „die An- betung der Hirten", im ersten Saal der Borghese- Galerie, erin- nert mehr an Battista wie an Giovanni Dosso. Leider ist auch dieses Bildchen neuerdings ins obere Stockwerk des Palastes ge- bracht worden.
Die Ferrareaen; Benvenuto Garofolo. 263
in Anspruch genommen. Der ältere Dossi, Giovanni, zählte in jener Zeit auch 24 — 25 Jahre, Garofolo 22 oder 23, fürwahr die schönste, heiterste Zeit für einen begabten Künstler! Standen Masaccio, Filippino Lippi, Mantegna, Andrea del Sarto und selbst der göttliche Rafl'ael nicht auch im Anfange ihrer zwanziger Jahre, als sie herrliche Werke schufen! Und an Arbeit fehlte es gewiss nicht zu Ferrara bei dem kunstliebenden Luxus der regierenden Herrschaften!
Vergleichen wir nun die grosse „Kreuzabnahme'' im zweiten Saal (Nr. 9) dieser Borghese- Galerie mit der sogenannten „Circe" und mit der „Calisto" des Dosso im dritten Saal, so gewahren wir in diesen drei cha- rakteristischen Gemälden eine nahe Verwandtschaft zwi- schen dem einen und dem andern Künstler. Welcher von beiden hat nun auf den andern eingewirkt, Garo- folo auf den Dosso, oder dieser auf den jungem Ga- rofolo? Meinem Gefi'ihle nach haben wol beide Maler in einem ähnlichen Verhältnisse zueinander gestanden, wie etwa Fraucia und Lorenzo Costa, d. b. ein jeder von beiden mag etwas vom andern genommen, etwas dem andern gegeben haben. In allen seinen Werken, den guten wie den flüchtigen, erscheint uns Dosso als ein höchst phantastischer, heutzutage würde man sagen „romantischer" Künstler, der sich im grossen und ganzen stets gleich bleibt, den gleichen künstlerischen Charak- ter bewahrt, sei es in der würzigen Herbe seiner Jugend- zeit, wie hier in der „Circe" und der „Calisto", sei es in seinen spätem Jahren, als er durch einen längern Auf- enthalt im nahen Venedig die Malweise des Giorgione und des Tizian sich zu eigen gemacht hatte. Dasselbe lässt sich aber vom nüchternen, roaass- und geschmack- vollem, besonnenem Garofolo nicht sagen.
Auch dieser Künstler bleibt zwar in allen seinen Werken stets Ferrarese, allein in den verschiedenen Epochen seiner Wirksamkeit bemerkt man h\or i\rn
264 ^^® Galerie Borghese.
Einfluss seiner altern Vorbilder, des Panetti und de» Boccaccino und den der Gebrüder Dossi, dort den de& Lorenzo Costa und zuletzt selbst den des Urbinaten.
Betrachten wir uns vorerst diese seine grosse „Kreuz- abnahme" im zweiten Saal.^ Wir haben hier etwa neun fast lebensgrosse, innerlich bewegte Figuren vor uns» Den Hintergrund bildet auch in diesem Bilde eine ganz^ im Sinne der Dossi gedachte phantastische Landschaft,. in der man den heiligen Christoph gewahrt, wie er, mit dem Jesuskind auf der Schulter, durch einen Fluss watet. Der kalte Ton dieser Landschaft mit den kreide- weiss beleuchteten Felsen und Landesstrecken hebt sehr kräftig die braunen, warmen Fleischtöne der Figuren im Yorgrunde ab: ein Kunstmittel, dessen unter den Venetianern viele Maler sich bedienten. Garofolo's gelbe,. sehr gesättigte Farbe, sowie das der gekochten Zucker^ rübe ähnliche Roth sind fast allen Gemälden aus dieser
^ Von diesem wahrhaft grossartigen Bilde des Garofolo gibt es im Museum von Neapel eine modif icirte Copie aus dem Jahre 1521 (?): eine Arbeit, die von einem höchst schwachmüthi- gen Gesellen herrührt, die aber dort unglaublicherweise für Originalwerk ausgegeben wird. Man betrachte doch in jenem widerlichen Bilde unter anderm die vor Schmerz grinsende Mag- dalena zu den Füssen des todten Christus und die plumpen Waschweiber im Mittelgrund ! Selbst in der Linienperspective ist jene Copie ganz und gar verfehlt ! Nichtsdestoweniger hat selbst Director Bode (II, 737) zu meiner nicht geringen Verwunderung keinen Anstand genommen, das Bild in Neapel für Originalwerk Garofolo's hinzunehmen. Da jedoch derselbe Kunstschriftsteller auch den „Reiterzug" des Bagnacavallo im Palast Colonna für ein Werk des Garofolo seinen Lesern präsentirt, so muss ich an- nehmen, dass er auch mit den Meistern der ferraresischen Schule nicht so innig vertraut sein dürfte, wie er zu glauben scheint. Das Leben ist eben zu kurz und die Kunst zu lang, als dass ein einzelner Mensch, so begabt und dauerhaft er auch bei seinem kritischen Bestreben immer sein mag, im Stande sein sollte, die- selbe ganz zu umfassen und in allen ihren vielfältigen Erschei- nungen und Wandlungen zu beherrschen.
Die Ferrareeen: Benvenato Garofolo. 265
seiner Frühzeit eigenthumlich, sein Blau und sein Weiss sind dagegen klar und hell. Ein Glück für seine Kunst wäre es, wie ich glaube, gewesen, wenn er stets in dieser seiner echt ferraresischen Art hätte fortwirken können, denn gewiss gehören den fünf oder sechs Jahren, in denen er oft in Gemeinschaft der Brüder Dossi arbei- tete, seine frischesten und kräftigsten Werke an. Sehen wir uns nun in chronologischer Hinsicht, soweit dies eben thunlich ist, mehrere seiner in Rom befindlichen Bilder an.
Für das älteste der mir bekannten Werke des Ga- rofolo halte ich die kleine „Anbetung der Hirten", Nr. 67 im ersten Saal.* In diesem Bilde erscheint alles noch sehr jugendlich; das gilt sowol von der Empfin- dung als auch von der Technik. So sind z. B. die schweren Knittelfalten am blauen Mantel der Jungfrau noch durchaus quattrocentistisch, und wie überlang ist nicht der Oberleib des heiligen Joseph! Die Carna- tion ist bräunlich wie die der Figuren in der „Kreuz- abnahme", die phantastische Landschaft ist ebendieselbe. Ehe wir jedoch weiter schreiten in dieser Musterung, trachten wir, unserer Methode getreu, die charakteri» stischen Merkmale auf diesem Jugendwerk des Garo- folo festzustellen, damit wir es dann mit grösserer Ein- sicht mit den andern Werken aus spätem Zeiten des Malers vergleichen können:
1) der heilige Joseph hat einen Kopftypus, der auf den Bildern dieser seiner Frühzeit öfters wiederkehrt;
2) die Nasen sind geradlinig;
3) auf dem Vorderärmel sind steife Querfältchen angebracht;
4) die Form der TTmiwI mit dem auswärts gekehrten
' Leider wurde inzwischeOi wie getagt, auch dieses in bisto- risoher Hinrioht so interetsante Bildchen ins obere Stockwerk des Palastes gebracht.
266 I^iö Galerie Borghese.
Daumen und dem gebogenen Zeigefinger ist ebenfalls charakteristisch ;
5) das Ohr ist länglich und gleichförmig breit;
6) die Landschaft mit den geradlinigen, auf der einen Seite schroff abfallenden Bergrücken, den kreidegelb beleuchteten Strecken Landes im Mittelgrund, mit dem röthlichen Horizont, mit der dunkelgrünen Baum- gruppe, hinter welcher andere hellbraun belaubte Bäume hervorschauen, mit den kleinen runden Steinchen auf dem Boden des Vordergrundes; diese Landschaft ist höchst bezeichnend für die Jugendwerke unsers Meisters.
Nach diesem Bildchen, freilich mehrere Jahre später, würde ich die jugendfrische, wahrhaft schöne „Anbe- tung" oder „Geburt Christi", Nr. 61, in der Doria- Galerie, setzen, (f) Sie wird dort dem Ortolano zu- geschrieben. Auch hier finden wir, nebst demselben Typus des Joseph wie im vorigen Bilde, all die an- dern soeben als charakteristisch angeführten Merkmale, nämlich die geradlinigen Nasen, dieselbe Ohr- und Handform, dieselbe eigenthümlich beleuchtete Landschaft mit dem röthlichen Horizont, dasselbe Faltensystem — alles dies jedoch schon mit grösserer Gewandtheit ausge- führt, als dies im vorigen Bilde des Garofolo der Fall ist. Auch der oben in den Lüften singende Engelchor, wie wir ihn gar oft auf den Gemälden des Garofolo antreffen, scheint mir auf dem Bilde der Doria-Galerie charak- teristisch für diesen Meister zu sein. Man vergleiche z.B. dieses Bild, Nr. 61, mit dem einer viel spätem Zeit des Garofolo angehörigen Gemälde im Braccio I (Nr. 2) dieser Doria-Galerie und man wird auch dort denselben röthlich-gelben Horizont, dieselbe Handform, dieselben Gesichtstypen, dieselbe Behandlung finden, wie hier in der „Anbetung des Christkindes" (Nr. 61). Ueberdies steht in demselben Braccio I ein anderes und zwar grosses Werk des Garofolo aus dem Jahre 1519, die „Heim-
Die Ferraresen: Benvenuto Garofolo. 267
suchuug", und auch auf diesem Bilde finden wir die- selben runden Steinchen am Boden, dieselbe Land- schaft, dasselbe Faltensystem mit den steifen Querfält- chen auf dem Vorderärmel der Elisabeth, denselben Kopf- putz u. s. w.
Der chronologischen Reihenfolge nach kämen, wie mir scheint, nach der „Anbetung des Christkindes" der Doria- Galerie die zwei Tafeln mit den Heiligen Se- bastianus und Nicolaus von Bari, die in der Capitoli- nischen Galerie die Nrn. 70 und 87 führen und dort un- glaublicherweise auf Giovanni Bellini getauft wurden, (f) Auch auf diesen zwei Bildern trefien wir die oben an- geführten, für unsern Meister charakteristischen Merk- male an.
Gegen das Jahr 1508 nun, also in seinem 27. Jahre dürfte Garofolo seine grosse „Kreuzabnahme" in un- serer Borghese-Galerie * und vielleicht ein Jahr später das herrliche Bild in der englischen National Gallery, dort dem Ortolano zugeschrieben (f ), ausgeführt haben. Dieses letztere Gemälde stellt den heiligen Sebastianus zwischen zwei andern Heiligen vor. Die Figur des Sebastian erinnert an die desselben Heiligen des Dosso Dossi in der Brera-Galerie. Auch in jenem Bilde in Lon- don begegnen wir derselben Form der Hand, demselben braunen Incamat, demselben Faltensystem, derselben Landschaft, denselben Steinchen am Boden, wie in all den soeben von uns betrachteten Werken des Garofolo. Auch der andere kleine heilige Sebastianus von Garofolo, Nr.39, in der Sala Veneziana des Museums von Neapel hat noch ein sehr an Dosso erinnerndes Aussehen, ebenso das herrliche kleine Madonnenbildchen in der stadti- schen Galerie von Bergamo: die thronende Jungfrau mit
' Ans dieser nämlichen Epoche des Garofolo besitct auch Marchese £. Visoonti-Venosta in Mailand das Brustbild des hei- ligen Antonius.
268 ^^^ Galerie Borghese.
dem Christkind und den Heiligen Rochus und Se- bastiauus.
Gleich nach diesen Bildern dürfte Garofolo das „Noli me tangere" (Nr. 23) im zweiten Saal dieser Borghese- Galerie und die einfältigerweise im zweiten Saal der Doria-Galerie dem Basaiti zugeschriebene „Santa con- versazione" (Nr. 18) gemalt haben. Auf diesem letzten trefflichen Bilde finden wir ebenfalls dieselbe Handform, wie auf der „Anbetung der Hirten" (Nr. 67) in der Borghese-Galerie, dieselbe strohgelbe Farbe am Schuh- werk des heiligen Zacharias, dasselbe Faltensystem, die- selbe Landschaft, denselben Kopfputz bei der heiligen Elisabeth, dieselben Steinchen am Boden, dieselben steifen Längsfalten auf der Brust der Madonna und denselben Gesichtstypus beim heiligen Zacharias. Dieses letztere Bild und ebenso das „Noli me tangere" und der „Christus mit der Samariterin am Brunnen" (Nr. 42) in der Borghese-Galerie gehören, wie ich glaube, der Uebergangsperiode an zwischen der Dossi'schen Malweise und der dritten oder Costa'schen Manier des Garofolo. Im selben zweiten Saal der Doria-Galerie sehen wir unter Nr. 90 und unter dem Namen des Lo- renzo Costa ein kleines Bild des Garofolo mit der hei- ligen Familie. Dieses Gemälde erinnert allerdings, namentlich im Kopf der Madonna, gar sehr an Lorenzo Costa, und es ist daher wahrscheinlich, dass Garofolo, der, wie wir wissen, im Jahre 1511 längere Zeit mit Dosso Dossi, sich in Mantua aufhielt, daselbst von den Bildern des Costa beeinflusst wurde. Bald nach diesem Bildchen, d. h. im Jahre 1512, malte Benvenuto das schöne Tafelbild der Dresdener Galerie „Poseidon und Athene". ^ Sodann kommt die heilige Familie vom
^ Sowol dieses Bild als auch die heilige Familie aus dem Jahre 1513 in der Pinakothek von Ferrara gemahnen gewiss mehr an Lorenzo Costa als an Raffael. Braun in Dornach hat
Die Ferraresen: Benvenuto Garofolo. 269
Jahre 1513, Nr. 93 in der Pinakothek von Ferrara, dort dem Ortolano zugeschrieben.* Von jener Zeit an bleibt sich Garofolo fast immer gleich und schaflPt bis in die dreissiger Jahre hinein meistentheils ganz vorzügliche Werke. Ich würde jedoch meine Leser gar zu sehr ermüden, wollte ich mir die unfruchtbare Mühe geben, die mehrern Dutzende von kleinern und grössern Bil- dern des Garofolo und seiner Nachahmer, welche in diesen beiden Sälen und in den andern Galerien Roms und Italiens sich vorfinden, eins nach dem andern zu be- schreiben oder auch nur flüchtig zu erwähnen. Es dürfte sich aber wol der Mühe lohnen für einen Kunstbeflis- senen, der etwa Lust hätte diesem sehr gut gearteten Maler in seinen Werken Schritt für Schritt nachzu- gehen, sowol in dieser als in den andern Gemäldesamm- lungen Roms und Italiens die Werke aus der Früh-, der Mittel- und der Spätzeit des Meisters aufzusuchen.
sowol das Bild in Dresden (Nr. 156) als auch das in der National Gallery in London dem Ortolano zugeschriebene Gemälde mit dem heiligen Sebastianus in der Mitte und den zwei Heiligen Kochus und Demetrius an den Seiten photographirt, Nr. 669. Man halte nun die beiden photographischen Blätter nebeneinan- der und man wird hoffentlich sowol an der Landschaft mit den kreideweissen Lichtem, der grünen Baumgruppe im Mittelgrund und den runden Steinchen am Boden des Vorgrundes, wie auch an dem Faltensystem, an der Form der ü&nde und Füsse und an den Gesichtstypen den Geist und die Hand ein und desselben Meisters in beiden Bildern erkennen. Das Bild in London ge- hört noch der Dossi'soben Wirkungszeit, das um etwa drei Jahre später entstandene Gemälde der Cotta*sohen Uebergangsperiode des Meisters an.
^ Auch auf diesem Bilde finden wir dieselben Steinohen am Boden, dieselbe grüne Baumgmppe, hinter welcher hellbraun be- laubte Bäumchen hervorschauen, dieselbe Ohr- und Handform; bezeichnet M. DXIil, IVLL Die Beseichnang des Monats ist ebenfalls charakteristisch für Garofolo. Neben dieeem hängt dort ein anderes Bild des Oarofolo, Nr. 66, mit dem Jahre 1614 nnd dem Monat December bezeichnet
270 I^ie Galerie Borghese.
Kehren wir wieder zur Biographie unsers Künst- lers zurück, den wir, mit den Brüdern Dossi wetteifernd, in Ferrara vollbeschäftigt verliessen. Gegen Ende des Jahres 1509 ungefähr wurde Benvenuto von seinem Landsmann, dem Ritter Hieronymus Sagrato, nach Rom eingeladen. 1 In die Ewige Stadt zurückgekehrt sah Garofolo die Decke der Sixtinischen Kapelle zum Theil vollendet und, wenn auch nicht die Fresken selbst, so mag er doch vielleicht die Zeichnungen und die Gar- tens zu Gesicht bekommen haben, die Raffael für die Stanza della Segnatura damals anfertigte. Es muss in der That in jenen Jahren, als der 29jährige Benvenuto nach Rom zurückkam, ein gewaltiges Kunstleben, ein grosser Enthusiasmus und ein brennender Wettstreit unter den Künstlern, die in Rom um den Thron des greisen Julius II. versammelt waren, gewaltet haben. Und man begreift gar wohl, dass der noch jugendliche Garofolo, das Kunstleben Roms mit dem in Ferrara, in Bologna oder gar Cremona vergleichend, dem Auf- enthalt in der Weltstadt den Vorzug geben mochte. In diesem Sinne, wenn man überhaupt den Vasari ent- schuldigen will, möchten wol die „maledizioni" der „maniere di Lombardia", die der Aretiner dem Ferra- resen in den Mund legt, zu verstehen sein.^ Die flo- rentinischen Herausgeber und Commentatoren des Va-
^ Vasari lässt, wahrscheinlich aus Versehen, den Garofolo schon im Jahre 1505 nach Rom zurückkehren (XI, 224). Da- mals hätte Benvenuto schwerlich die Werke Michelangelo's und RafiFael's sehen können!
* Die Aesthetik Vasari's war derart, dass ihm alle Kunst „wmMta, secca e di poco disegno^'- erschien, die sich nicht an Michelangelo herangebildet hatte. So geht es auch einigen Kunst- schreibern unserer Tage, die sich in irgendeinen Meister des Quattrocento verlieben, die Spuren desselben überall wittern, auch da wo sie nicht sind, und die dann die grossen Künstler aus der Blütezeit unleidlich finden!
Die Ferraresen: Benvenuto Garofolo. 27l
sari suchen den Biographen* auch bei dieser Gelegen- heit vom Vorwurf seiner Vorliebe, ja Parteilichkeit für die Toscaner und namentlich für die sogenannte romi- sche Schule rein zu waschen, aber sie fugen, wie das bei gutgesinnten aber nicht eben sonderlich gut unter- richteten Leuten zu geschehen pflegt, den lombardischen und venetianischen Kunstschulen dabei ein viel grösseres Unrecht zu, als Vasari selbst durch seinen unbedachten ihm wol in der Flüchtigkeit des Schreibens entschlüpften Ausdruck, indem sie naiv hinzufügen : ^^certamente il Vasari intese di alludere alla grettezza delle scuole primitive (?) in- nanzi che Leonardo ne fondasse una nuova''^. „Troppa grazia, S. Antonio", dürften mit jenem Bauer, der den Heiligen um Regen gebeten hatte, statt dessen aber Hagel erhielt, wol die Lombarden und Venetianer da- bei ausrufen und jenen Herren etwa antworten: Hatten wir damals nicht etwa schon unsern Giovanni und Gen- tile Bellino, unsern Alvise Vivarini, unsern Mantegna, unsern Bartolommeo Montagna, unsern Domenico Mo- rone, unsern Giorgione und Tizian, vieler anderer grosser Künstler zu geschweigen? Vasari fügt sodann noch hinzu: „joer lo che mutd (d. h. Garofolo) in tanto la pratica cattiva in buona^ che rCera tenuto dagli artefici conto'-^^ d. h. mit andern Worten: Er verlor durch seinen zweiten Aufenthalt in Rom, wie dies manch anderm Künstler von noch grosserer Fähigkeit «erging, seinen localen ferraresischen Charakter zum Theil, seine wür- zige und gesunde Herbe aber ganz und gar. Es ist zwar nicht zu leugnen, dass er in mancher Hinsicht, und namentlich was äussere Form und Geschmack be- triff, gewann; andererseits kann man aber auch nicht leugnen, dass er zugleich etwas flach, süsslich und hier und da auch leer und conventioneil wurde. Dosso da- gegen, der sich an Venedig hielt und dort in der prak-
Antgabe Le Monnier, XI, 225.
272 ^iö Galerie Borgliese.
tischeo Kunst des Malens sich umgesehen hatte, ent- wickelt seinen eigenthiimlichen Charakter viel unge- störter und erhält sich daher auch stets originell.
Während nun Garofolo in den eben bezeichneten Werken seiner ersten Epoche als eine echte Künstler- natur sich bewährt, kühn, entschlossen und zuweilen selbst grossartig, ebenso entfernt von jenem philiströsen prosaischen Realismus, der dem Kleinbürger in der Kunst so absonderlich zu Herzen geht, als von jenem nebelhaften Idealismus, der vornämlich die brillenbe- schlagenen Philosophen und Aesthetiker in einem Werk der Kunst anzieht und sie zu ihren Luftfahrten ein- ladet, sehen wir dagegen denselben Mann in dem all- gemein bewunderten Bild (Nr. G) im Saal II unserer Borghese-Galerie, worauf die heilige Familie mit meh- rern Heiligen dargestellt ist, in seinen Zügen schon verändert. Garofolo ist zwar auch in diesem Bilde noch ein liebreicher, gewissenhafter Maler, ja man gewahrt deut- lich, dass seine Technik in mancher Beziehung Fort- schritte gemacht hat, allein seine Zeichnung ist flauer ge- worden, seine Pinselführung schwammiger, seine Auf- fassung der menschlichen Charaktere kleinlicher, fader, konventioneller. Die Farbenaccorde sind zwar in diesem Bilde noch ähnlich denen in den Bildern aus der Frühzeit des Meisters, allein sie sind doch schon viel realistischer als jene, die wir z. B. in der „Anbetung des Kindes" der Doria-Galerie, in der grossen „Kreuzabnahme" hier da- neben, in der kleinen „Anbetung der Hirten" im ersten Saal wahrgenommen. Hier finden wir auch die Schat- ten, die in jenen Jugendbildern Garofolo's saftig braun erscheinen, schwärzlich geworden.
Benvenuto Garofolo's Aufenthalt in Rom scheint etwa ein und ein halbes Jahr gedauert zu haben, denn 1511 war er in Mantua und 1512 finden wir ihn in seiner Vaterstadt Ferrara niedergelassen, und von da an verliess er sie, wie ich glaube, nie wieder auf längere
Die Ferraresen: Benvenuto Garofolo. 273
Zeit. In der Pinakothek von Ferrara treffen wir Werke von ihm vom Jahre 1513 bis zum Jahre 1549 an.^ Die grossen Altarbilder, die derselbe nunmehr bis an sein Lebensende dort zu malen Gelegenheit hatte und von denen einige im zweiten und im dritten Decennium gemalte ganz vorzüglich sind, tragen fast alle, wenn auch nicht den Namen, so doch das Jahr und sogar meist auch den Monat, in dem sie vollendet wurden. Von dieser Zeit an entstand jene grosse Anzahl von Werken, aus welchen man sich das gewöhnlich bekannte Bild des Malers Garofolo abstrahirte.^
Garofolo wird von seinen Landsleuten der Ferra- resische Raffael genannt, wie die Mailänder ihren Luini den lombardischen Raffael genannt haben. Richtig ver- standen haben beide Bezeichnungen einen guten Sinn, insofern nämlich sowol Luini in der Mailändischen, als Garofolo in der Ferraresischen Malerschule unge- fähr denselben Platz einnehmen, wie Raffael Santi in der Umbrischen, Francesco Carotto in der Veronesischen, A. del Sarto in der Florentinischen u. s. f. Die indi- viduelle Begabung war freilich in allen diesen Männern
* Als Maler bleibt, wie gesagt, Garofolo selbst nach seinem zweiten römischen Aufenthalt immer ferraresisch , als Künstler aber bringt er von Rom classische Eindrücke mit; er erscheint zahmer, dafür hat sein Geschmack sich in Rom geläutert. Den Einfluss, den Raffael auf ihn gehabt, wird man am klarsten ge- wahr in jenen schönen grau in grau gemalten Fresken, womit er zwei Gemächer im einstigen Palazzo Trotti und gegenwärtigen Seminarium in Ferrara (im Jahre 1517) ausschmückte und worin Geschichten aus der griechischen wie aus der christlichen My- thologie dargestellt sind. Man wird in Italien nicht leicht Räume finden, die mit mehr Verstand, Geschmack und Geist auBgeschmückt sind wie diese.
' Garofolo zeichnet sich auf einigen seiner Bilder : BEN VEGNV; auf andern: BENVEGNV DE GAROFOLO, MDXXXV; auf andern: BENVEGNV GARüFALO, MDXXXIV; und wieder auf andern: BENVENVTO GAROFALO.
274 I^^® Galerie Borgheae.
eine rerechiedenei Benvenuto Garofolo starb zu Fer- rnra im Jahre 1559. Seine Mutter hiess nicht Giro- lama Soriani, wie man bisher behauptete, sondern An- tonia Barbiani; seine Frau war Caterina di Ambrogio Scoperti, della Grana genannt, und Witwe des Niccolo Besuzzi. Im Jahre 1536 wurde ihm Girolamo, sein letzter Sohn, geboren, welcher den Wissenschaften sich widmete, 1576 Kanzler der Universität von Ferrara wurde und zu der Ausgabe des „Orlando furioso" von 1584 eine Biographie des Ariosto lieferte. ^
Habe ich nun, vielleicht allzulange, mich bei der Be- schreibung der Bilder des Garofolo aufgehalten und war ich dabei genöthigt, selbst die geringfügigsten Merk- male in seinen Bildern anzugeben, an denen man den Meister erkennen kann, so geschah dies unter anderm auch aus Riicksicht darauf, dass Herr Director W. Bode alle jene Bilder, die ich in die Frühzeit des Meisters setzte, wie z. B. auch die grosse „Kreuzabnahme" der Borghese-Galerie, nicht als Werke des Benvenuto Garo- folo anerkennen will. Vor Zeiten schrieb der berliner Gelehrte sie dem Giovanni Battista Benvenuti, FOrto- lano genannt, zu (II, 737), später aber einem unbe- kannten ferraresischen Maler, den er den „Meister der Borghesischen Kreuzabnahme" genannt wissen möchte. Freilich erwähnt Vasari mit keiner Silbe weder den Ortolano, noch den Meister der Borghesischen Kreuz- abnahme, dem Herr Director Bode das „grossartigste Werk der Ferraresen jener Zeit" zuschreibt; auch spricht kein anderer Zeitgenosse von diesem, also dem „bedeu- tendsten, ferraresischen Meister im Anfang des 16. Jahr- hunderts". Ja, der unlängst verstorbene Graf Laderchi, einer der fleissigsten und intelligenteren Kunsthistoriker der ferraresischen Schule, ging so weit, an der wirk- hchen Existenz eines Malers Ortolano zu zweifeln, und
Siehe: „Memorie di L. Napoleone Cittadella" (Ferrara 1872).
Die Ferraresen: Benvenuto Garofolo. 275
war daher geneigt, sie für Mythus zu halten. Was jedoch noch mehr in die Wagschale fällt als die persönliche Meinung Laderchi's, ist der umstand, dass der gewissenhafte, jungst verstorbene Bibliothekar von Ferrara, Napoleone Cittadella, nicht im Stande war, irgendein Document ausfindig zu machen, durch welches die künstlerische Thätigkeit des G. B. Ben- venuti, l'Ortolano genannt, bestätigt würde. Diesem letztern Forscher zufolge fungirte allerdings als Zeuge in Ferrara, im Jahre 1512, ein Maler Namens Giovan Battista Benvenuti, dessen Bruder Schuster und dessen Schwager Fruchthändler war. Aller Wahrscheinlich- keit nach mag sein Vater die Fruchtjjärtnerei betrieben haben und sein Sohn, der Maler, daher Giovan Bat- tista deir Ortolano (d. h. Sohn des Fruchtgärtners) ge- nannt worden sein. Die wenigen Bilder in der zweiten Sakristei des Doms von Ferrara, die man ihm dort zuschreibt, lassen ihn als einen stumpfen, geistlosen Nachahmer Garofolo's erscheinen.* Hätten mich daher nicht innere Gründe schon bewogen, dieses herrliche Bild der „Kreuzabnahme", die „Anbetung des Christ- kindes" im Palast Doria-Panfili, die zwei Heiligen in der Capitolinischen Galerie, das grosse und ganz vorzügliche Bild in der englischen National Gallery dem Garofolo zuzuerkennen, so würden die eben an- geführten äussern Gründe mehr als hinreichen, lun alle diese Werke aus der Frühzeit des Meisters dem Orto- lano abzusprechen. Allerdings ist manches Bild des
* Andere Bilder, die den Tafeln in der zweiten Domsakrisiei •Dt sprechen and folglich dem Ortolano angehören dürften, schei- n> n mir zu sein: das Frescobild mit Madonna und ChriHtkind im Atrium des Palast Crispi (dort dem Gir". da Carpi zuge- muthet); femer die Fresken mit den Halbfigurcn von Heiligen beim Cavaliere Santini (cinnt im Kloster von S. Giorgip); andere Fresken mit Heiligen im Palast Massari (einst in S. Francesco) ; sowie die ,, Verkündigung" (Nr. 44) in der Pinakothek von Ferrara.
18»
276 I^ie Galerie Borghese.
Garofolo, zumal im vorigen Jahrhundert, dem Beneve- nuti zugeschrieben worden, vielleicht aber nur deshalb, weil darauf der Vorname des Garofolo „Benvegnü" für den Familiennamen des Ortolano genommen wurde. ^
Mögen unparteiische Forscher nun entscheiden, wer von uns beiden, Herr Director Bode oder ich, auch in dieser Streitfrage recht oder unrecht hat.
In den öffentlichen Sammlungen Italiens, die von Rom und Ferrara ausgenommen, ist Garofolo nicht gut vertreten; im Pitti -Palast schreibt man ihm z. B. die Copie eines Apostelkopfes des Dosso Dossi (Nr. 5), und ein hübsches Bildchen, die „Zingarella" (Nr. 246) des Boccaccio Boccaccino zu. Die Galerie von Modena besitzt dagegen mehrere gute Stücke von ihm. Auch in der Pinakothek von Mailand begegnet man einigen lobenswerthen Bildern des Garofolo.
DOSSO DOSSI.
Merkwürdig ist es, dass sein grosser Landsmann Lodovico Ariosto mit keiner Silbe des Garofolo ge- denkt, während er doch, obwol erst in der 1532 ver- anstalteten Auflage seines „Orlando" in jener bekannten Octave die Dossi sogar über Verdienst erhebt, indem er sie mit Lionardo, Mantegna, Giambellino, Michel- angelo, Raffael und Tizian zusammenstellt. Doch da- zu mag wol der etwas spiessbürgerliche Charakter des Garofolo, welcher dem des Dichters wenig sym-
* Es wird wol kaum nöthig sein zu bemerken, dass das von Baruffaldi {Vite de^ Fittori ecc. I, 168) angeführte „Skizzenbuch" mit dem Titel: Studio di me Zoane Bapta d^. Benvegnii fatto in Bologna Suxo le dipinture del Bagnacavallo et del Sanzio da Urbino a li anni MD VII et MD VIII, nichts anderes sein dürfte als eine der vielen, wahrscheinlich zu Bologna im 17. Jahr- hundert erfundenen Fälschungen von sogenannten Documenten. Wo hätte auch Ortolano in jenen Jahren Werke Raffael's in Bologna finden können?!
Die Ferraresen: Dosso Dossi. 277
pathisch sein mochte, der Anlass gewesen sein. Dosso dagegen, wenngleich zuweilen etwas ungehobelt und liederlich in seinen Werken, hat in seiner Natur viele dem Ariosto verwandte Züge.^ Man betrachte z. B. seine Circe im III. Saal dieser Borghese-Galerie. Sieht dieses phantastische, geistvolle Bild nicht wie eine in Farben gesetzte Ariostische Dichtung aus? Und da, wie ich allen Grund habe zu vermuthen, dieses Werk der Frühzeit Dosso's angehört und etwa im Anfange des zweiten Decenniums des 16. Jahrhunderts entstanden sein mag, so dürfte diese Circe des Dosso etwa gleichzeitig mit dem Erscheinen der ersten Aus- gabe des „Orlando" (1516) gemalt worden sein. Später hat Dosso wol bedeutendere und, was Glut der Farbe betrifft, unübertroffene Werke hervorgebracht, ich er- innere mich jedoch kaum, dass eines derselben, viel- leicht jene herrliche Gestalt des heiligen Georg in der Galerie von Modena ausgenommen, einen so frischen, einen so poetischen Eindruck auf mich gemacht, meinen Geist in so hohem Grade entzückt hätte, wie diese Zauberin der Galerie Bor'ghese. An der Wand gegen- über sehen wir, unter Nr. 45, die Nymphe Calisto eben- falls durch den Pinsel Dosso's verewigt, obwöl der Katalog dieses Bild dem Garofolo zumuthet.* (f ) Auch hier ist der landschaftliche Hintergrund höchst poetisch empfunden. So gehören nach meiner Ansicht dem Dosso mehrere andere Werke in dieser Borghese-Galene an, die im Katalog unter verschiedenen Namen verzeichnet stehen. Im ersten Saale sehen wir Nr. 67 Apollo, liebes-
> Vasari sagt von ihm: „Fii t7 Dosso moUo amato dal duca Alfonso di Fefrara^ prima per h sue qualiiä neW arte della pit- turoj e poi per essere uomo affabiU moUo e piacevole^^ (IX, 22).
* Schon im 17. und 18. Jahrhundert gab man gar manches Bild des Dosso dem .Garofolo ; so unter andern auch mehrere von denen, die aus der Galerie von Modena nach Dresden kamen.
278 ^^^ Galerie Borghese.
truuken auf einer Felsenbank sitzend; er spielt auf einer Violine in der HoflPnung durch seine schmachtenden Tone die vor ihm fliehende Daphne zu bannen, (f) Mit zu beherzigender Bescheidenheit begnügt sich der Kata- log, dies zwar verdorbene allein hochpoetische Bild blos der Schule von Ferrara zuzuweisen. ^ Der lebensgrosse Apollo ist sehr energisch und lebendig gedacht, die Landschaft auch hier phantastisch und sehr charakte- ristisch für den Meister, ebenso wie die runden For- men der Hand und des Ohres. Unter Nr. 20 sehen wir eine grosse Tafel mit zwei niedergebeugten Kranken, einem Mann und einem Weib, die sich an die Heiligen und Doctoren Cosmas und Damianus um ärztliche Hülfe wenden, (f) Im Katalog ist dieses flüchtig gemalte Bild der Schule des Paolo Veronese zugeschrieben. ^ Dosso scheint diesmal sogar seinen Namen auf einem unten angebrachten medicinischen Gefäss in humoristischer Weise angedeutet zu haben. Man liest nämlich darauf:
ONTÜ D , d. h. unto, Fett, D'[osso] Knochen, also
Knochenfett. Aller Wahrscheinlichkeit nach diente diese Tafel als Apothekerschild. Die Figuren sind lebens- gross.
Aus diesem ersten bitte ich die gewiss inzwischen sehr gelichtete Reihe meiner freundlichen Begleiter mir bis hinab in den Saal X der Galerie zu folgen. Da- selbst finden wir nämlich, mit dem Namen des Gior- gione bezeichnet, ein Bild, auf welchem David und Saul mit dem Haupte seines plumpen Feindes in der Hand dargestellt sein soll, (f) Wir sehen auf dieser allerdings ganz im Giorgionischen Sinn colorirten
* Wurde jetzt vom neuen Director der Galerie, zu meiner Genugthuung, als Werk Dosso's anerkannt, ebenso wie auch das vorige Bild.
' Wurde neuerlich ebenfalls, meinem Vorschlage gemäss, vom neuen Director dem Dosso zugeschrieben.
Die Ferraresen: Dosso Dossi. 279
Tafel einen mannhaften Krieger, mit Schwert und Panzer ausgerüstet, der den abgehauenen Kopf eines Riesen vor sich hat; hinter demselben steht ein junger Knappe mit rother, weissbefiederter Mütze auf dem Kopfe. Ob dieses Bild gerade David, Saul und den Demokraten Goliath oder nicht eher irgendeinen Helden des „Or- lando furioso" vorstellen soll, lassen wir dahingestellt. Jedenfalls gehört es zu den spätem und somit flauern Werken des Dosso. ^ Nach den Mittheilungen des ver- storbenen N. Cittadella {Notizie relative a Ferrara^ 1864) scheint es, dass Giovanni (Sohn des Niccolö de Lutero), der 1528 im, herzoglichen Schlosse von Fer- rara seinen Wohnsitz au%eschlagen hatte, damals noch nicht den Beinamen Dosso führte; wenigstens findet man denselben noch nicht in öffentlichen Acten ver- zeichnet. Erst im Jahre 1532 fand ihn Herr Cittadella als Magister Dossus, J. Nicolai de Lutero, bezeichnet. Jene Bilder des Dosso, auf denen als Monogramm ein von einem Knochen durchbohrtes D steht, wie z. B.
* Jakob Burckhardt lässt dieses Werk als Giorfl^ione gelten. Da derselbe geistvolle Schriftsteller aber den schönen heiligen Sebastianus in der Brera-Galerie, der unstreitig dem Dosso und nicht den Brüdern Dossi, wie die Herren Crowe und Caval- caselle behaupten, angehört, ebenfalls als ein gutes Bild des Giorgione bezeichnet, so bleibt er sich diesem Bilde der Boro ghese-Galerie gegenüber wenigstens consequent. Schon der wenig kritische Ridolfi hatte die beiden ebengenannten Bilder des Dosso dem Giorgione zugeschrieben. (Ridolfi I, 130.) Die Herren Crowe und Gavalcaselle (II, 164) wollen dagegen in diesem Bilde den Pinsel des Pietro della Veochia, namentlich in der „Rüntung, im* Kopfe des Goliath und in den Händen des Saul** wahrnehmen, während dieselben Kunsthistoriker die sogenannte „Schiava'^ der Galerie Barberini für ein Werk des Palma vecchio nehmen!! Dieser unser „David und Goliath** wurde allerdings vom Pietro della Veochia manches Mal oopirt und diese Copien befinden «ich im Belvedere in Wien (Ital. Schulen, VII. Saal, Nr. 56; in der städtischen Galerie von Padoa, Nr. 531, und anderwärts noch.
230 ^iö Galerie Borghese.
die kleine Tafel der Galerie Doria-Paniili (Braccio I, Nr. 51), auf welcher Christus dargestellt ist, wie er die Speculanten und Börsenmänner jener Zeiten aus dem Tempel hinaustreibt, gehören somit der spätem Epoche des Meisters an: 1525 — 1540.
Wie wir gesehen, ist auch dieser Meister in Rom wenig gekannt und studirt, denn von den fünf Bildern, welche diese Galerie von ihm besitzt, wurden vier an- dern Meistern zugeschrieben.^ In den andern Galerien Roms, Italiens, Deutschlands und Englands ergeht es dem armen Dosso nicht besser als hier. So werden, um nur einige Beispiele anzufülyen, in der Capitolini- schen Galerie mehrere Bilder dem Dosso zugeschrieben, die seiner durchaus unwürdig sind und auch keines- wegs von ihm herrühren, wie das schwache männliche Porträt (I. Saal, Nr. 85) und die „Vermählung der Maria (I. Saal, Nr. 23), wogegen die grosse heilige Familie (II. Saal, Nr. 145), welche jedenfalls nicht zu den erfreulichsten Werken des Dosso gehört und über- dies durch unverständiges Putzen verdorben worden ist,. dem Giorgione zugemuthet wird, (f)
In der Galerie Doria-Panfili sieht man von Dosso, ausser dem oben angeführten mit dem Monogramm be- zeichneten Bildchen, ein ganz im Ariostischen Sinne aufgefasstes Weib. Sie ist in einen rothen Mantel ge- hüllt, hat die Stirn mit einem reichen Diadem ge- schmückt und hält einen kolossalen Helm in den Händen. Wahrscheinlich stellt diese schöne, junge und aggressive Frau ebenfalls irgendeine Heldin aus dem „Orlando furioso" vor. Im Katalog erhielt dieses Bild folgende lächerliche Bezeichnung: Porträt der Katharina, Van- nozza genannt, von Dosso. Nun war die Vannozza
^ Das sogenannte „Präsepium" (II. Saal, Nr. 27) gehört, meiner Ansicht nach, nicht dem Giovanni an, wie der Katalog meint, sondern doch wol eher dem Bruder Battista. (f)
Die Ferraresen: Dosso Dossi. 281
nichts anders als das Kebsweib des später zur Papst- würde erhobenen Cardinais Borgia und folglich die Mutter des Cesare, der Lucrezia und der andern Kin- der Alexander's VI. ; sie lebte also um 1470, als Dosso noch nicht geboren war. Ich erinnere mich nicht, in den Galerien Roms andern Bildern des Dosso, mit Ausnahme eines bedeutenden grossen Altarwerkes mit der Madonna und Heiligen im Palast Chigi, begegnet zu sein.
In den Sammlungen der UfQzien und des Palast Pitti in Florenz gibt es keine namhaften Bilder des Dosso; der Johannes der Täufer, Nr. 380 daselbst, gehört dem Dosso und nicht dem Giorgione an, dem er dort zugeschrieben wird, und ebenso urtheile ich über die Copie des Porträts des Herzogs Alfonso nach Tizian, Nr. 311, das uns der Katalog als das Bildniss von Karl V. und als das Werk Tizian's vorstellt.
In den einst zur llepublik Venedig gehörigen Län- dern sind mir, ausser dem grossen, nicht gerade sehr gelungenen Werke des Dosso in der Galerie von Rovigo* und dem kleinen höchst poetischen Bildchen in der städtischen Galerie von Bergamo', keine andern Werke von diesem Meister zu Gesicht gekommen.
Auch in Mailand kenne ich von Dosso nur den herrlichen, oben schon erwähnten heiligen Sebastianus in der Brera-Galerie, ein Bild, das früher den Namen des Giorgione führte. Die „Fusswaschung^' in der Am- brosiana dagegen, welche Herr Director Bode (II, 736) als ein Werk aus der romischen (?) Zeit des Dosso
> Dai Bild tr> die Nammer 185 and den Namen des öa- rofolo. Es stellt eine thronende Madonna mit dem Kinde und « '^^ Heiligen an den Seiten dar.
Abtheilang Lochia, Nr. 204. Es stellt die heilig^ Jung- irau und das Kind dar, vor dem an den Seiten der heilige Georg and ein heiliger Bischof knien.
282 ■ I^i® Galerie Borghese.
Dossi erwähnt, ist meiner Meinung nach sicher nicht von ihm, sondern dürfte wahrscheinlich von einem vlämischen Eklektiker herrühren, der in diesem lang- weiligen Bilde auch dem Urbinaten mehreres ent- lehnte, (t)
Selbst Dosso's Vaterstadt Ferrara hat nur wenige Gemälde von ihm aufzuweisen: nämlich das grosse leuchtende Altarwerk in der Pinakothek, das jetzt durch eine heillose Restauration fast ungeniessbar geworden ist, und vielleicht die durch Uebermalung ganz und gar entstellten Wandgemälde in einem Cabinet des einst her- zoglichen Schlosses. (?) Modena hingegen besitzt mehrere und darunter ganz vorzügliche Bilder des Dosso.
Fast alle seine Fresken im Schlosse zu Ferrara, so- wie diejenigen im fürstbischöflichen Schlosse zu Trient haben entweder das Feuer oder der Zahn der Zeit zer- stört oder aber der Stumpfsinn der Menschen hat sie zu Grunde gehen lassen. Armer Dosso! So hat man, viribus unitis^ allerorts, was noch von deinem grossen Werk auf uns gekommen, zerbröckelt und zerstückelt, und mit diesem Stück den einen, mit jenem den an- dern Meister geschmückt. Hier den Giorgione, dort den Parmeggianino, hier den Pordenone, dort den Fran- cesco Penni oder den Garofolo. Er verdient es wohl, dass man ihn wieder zu Ehren bringe und ihn in das richtige Licht stelle. . Steht doch seinem vielbewun- derten Landsmann und Freund Ariosto kein anderer Künstler so nahe wie gerade dieser begabte Maler mit seinem heitern, gesunden und oft so glänzenden Geiste. Allerdings geberdet er sich zuweilen etwas ungebun- den, zu Zeiten manchmal auch fahrlässig und leicht- sinnig, doch niemand darf von ihm sagen, dass sein Sinn roh und alltäglich gewesen sei.
Vasari hat den Dosso nicht persönlich gekannt. Wenn also dieser sonst feinsinnige und . liebenswürdige Bio- graph in der knappen Lebensgeschichte, die er dem
Die Ferraresen: Dosso Dossi. 283
Dosso widmet, nicht den ihm gewohnlichen Sinn für Gerechtigkeit und Unparteilichkeit bewährt, so mag dies vielleicht aus zwei Gründen herzuleiten sein: erstens weil Dosso nicht für gut befunden hatte nach Ivom zu pilgern, um dort seine heimatliche ^^maniera ^ecca^^ zu erweitern, und zweitens weil wahrscheinlich Yasari's Freund Girolamo Genga ihn gegen Dosso, des- sen Nebenbuhler er im Palazzo Imperiale bei Pesaro gewesen war, ebenso sehr eingenommen haben mochte, wie ein anderer seiner Berichterstatter, der neidische Beccaftimi aus Siena, ihm über den Sodoma Uebles berichtet hatte. Weder von den glänzenden und um- fangreichen Wandgemälden, womit der Liebling Al- fonso's von Este die Räume der Lustschlösser um Fer- rara ausgeschmückt hatte, noch voui den Gemälden Dosso's im Schlosse der Gonzaga in Mantua weiss Vasari uns etwas zu sagen. Von den spätem Nach- treten! des Aretiners durfte man auch nicht erwarten, dass sie die Lücken im Werke des Meisters ergänzten und -die von ihm begangenen Fehler wieder gut zu machen gesucht hätten. Auch dürften wol wenige Künstler der Sinnesweise der folgenden Jahrhunderte so wenig zugesagt haben, so unverständlich geworden sein, wie gerade Dosso. P>ging es etwa dem Ariosto nicht ebenso nach dem Auftreten des Tasso?
Dosso starb nicht im Jahre 1560, wie allgemein be- richtet wird, sondern schon um 1541, und daher un- gefähr sieben Jahre vor seinem Bruder Battista. Er hinterliess drei Töchter.*
Von Battista Dossi finden wir mehrere Bilder in unserer Borghese-Galerie, zwei davon über den Thüren des ersten Saales, und ein kleines Präsepium im Saale III; ein viertes im ersten Saale der Doria-Galerie, über der Thür aufgestellt
Siehe Cittadella, a. a. 0.
284 Die Galerie Borghese.
Ein Zeitgenosse, vielleicht auch Mitschüler Dosso's bei Lorenzo Costa (?), war der Ferrarese Lodovico Mazzolini, dieser Glühwurm unter den Malern. Sein Vater war auch Maler und hiess Giovanni. Mehr für das Genrefach als für die „historische" Kunst geschaffen, ob- wol er in seiner Frühzeit auch viel al fresco gemalt haben soll, wurde er schon seiner herrlich glänzenden Farben halber ein Liebling aller kunstliebenden Prälaten der fol- genden Jahrhunderte. Daher sind auch die römischen Galerien mit seinen Bilderchen reichlich versehen. Die Borghesische hat von seiner Hand, ausser den beiden im ersten Saal hängenden, noch ein drittes Bildchen: eine „Anbetung der Könige", mit prächtigem architektonischen Hintergrund, Saal H, Nr. 58. Hier ist Mazzolini klar und leuchtend in der Farbe und nicht so manierirt wie gewöhnlich.
Wenn ich nun noch zwei Bilder des Scarsellino erwähne, die im dritten Saal der Galerie (Diana im Bade und Venus dem Bade entsteigend) aufgestellt sind, so glaube ich ungefähr aller ferraresischen Maler gedacht zu haben, von denen Werke in dieser Galerie sich vorfinden. Es bleibt mir nur noch übrig, der be- kannten, ja weltberühmten Danae des Correggio einige Worte zu widmen.
Mit derselben Ungerechtigkeit und Oberflächlichkeit, mit welcher man bisher den Dosso behandelt, ist man überhaupt mit der ganzen Malerschule Ferraras ver- fahren. Wer diese interessante, energische Schule mit Liebe studirt, derselben ohne Vorurtheile in ihrer or- ganischen Entwickelung nachgeht , der wird leicht er- kennen, dass dieselbe in der zweiten Hälfte des 15. Jahr- hunderts eine weit grössere Bedeutung gehabt hat als man ihr bisher einräumen wollte. Ihre drei Haupt- träger sind der ernste, eckige vmd knochige Cosimo Tura, Cosme genannt; der naive, energische und trotz seiner Griesgrämigkeit liebenswürdige Francesco
Die Ferraresen. 285
Cossa oder del Cossa* und Ercole Roberti. Der erstere lebte und wirkte stets in seiner Vaterstadt, und seiner Schule mögen, unter vielen andern, auch die Maler Francesco Bianchi (in Modena, wo er sich niederliess, Frare, d. h. der Ferrarese, genannt)*, Do- menico Panetti und Lorenzo Costa angehören.
Francesco Cossa dagegen verliess schon im Jahre 1470 den Hof seines Herrn Borso und setzte sich in Bologna fest, woselbst er nicht erst gegen Ende des Jahrhunderts, wie ich früher annahm, sondern schon im Anfange der achtziger Jahre, also in seinem besten Mannesalter, verstarb.' Diesem seinem Landsmann und dessen Mitarbeiter in Bologna Ercole di Ro- berto, hatte es wahrscheinlich Lorenzo Costa zu verdanken, dass er in seinen Jugendjahren, d. h. um 1483, von Ferrara an den Hof des kunstliebenden Ben- tivoglio kam, woselbst er dann später eine blühende
* Die meisten der auf uns gekommenen Werke des Cossa gehen in Italien unter dem Namen des Lorenzo Costa, mit welch letzterm Cossa schon von Vasari verwechselt wurde. So z. B. der herrliche, in seinem Lehnstuhle sitzende heilige Hieronymus in S. Petronio; die zwölf stehenden Apostelfiguren in der Kapelle Marsilj, ebendaselbst, wahrscheinlich nach dem Tode des Meisters von einem seiner Schüler nach Cartons des Cossa gemalt; die zwei Glasfenster in S. Giovanni in Monte, ebenfalls in Bologna. Im Ausland werden die wenigen sich dort befindenden Bilder des Cossa bald dem Mantegna, bald dem Marco Zoppo von Bologna zugeschrieben.
* Viele meinen, er hätte Bianohi-Ferrari geheissen; warum denn zwei Familiennamen? üeberdies schrumpft, soviel ich weiss, selbst im modei^sischen Dialekt der Familienname Fer- rari niemals in Frare zusammen. Uebrigens hat die Frage, ob Bianchi in Modena oder in Ferrara geboren sei, gar keinen wissenschaftlichen Werth; als Künstler gehört Franoesoo Bianchi der Malerschule Ferraris an.
* Cosimo Tura dagegen starb nicht im Jahre 1469, wie man gewöhnlich annimmt, sondern, wie Cittadella uns beriobtet, nach 1495.
286 I^ie Galerie Borghese.
Schule heranzubilden Gelegenheit hatte, nämlich jene, als deren Haupt man den Francesco Francia anzu- nehmen gewohnt ist. Ja, ich bin fest überzeugt, dass ausser dem Chiodarolo, Cesare Tamarozzo^ und andern mehr, selbst der um 1488 in der Goldschmiedekunst zu höchster Blüte gelangte Francesco Raibolini, il Francia genannt, das Malen von keinem andern als von seinem Freunde Lorenzo Costa erlernt haben kann. Man vergleiche die Werke dieses letztern vom Jahre 1488 (in der Kapelle Bentivoglio) mit seinen zwei Wand- gemälden, vom Jahre 1506, in der Kapelle der heiligen Cäcilie, und man wird darin nirgends eine Spur von Francia's Einfluss, wol aber den des Ercole Roberti entdecken können, während dem entgegen die frühesten Werke des Francia, wie z. B. die kleine Kreuzifjunsc
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(in der Bibliothek (f ) des Arciginnasio 2) und die Altar- tafel vom Jahre 1494 (in der Pinakothek), so wol im Tone als in gar manch anderm Zuge noch lebhaft an L. Costa erinnern. Ich gebe zwar gern zu, dass Fran- cia als eminenter Plastiker auch seinerseits einen vor- theilhaften Einfluss auf den Ferraresen ausübte, verkenne auch durchaus nicht, dass er ein feineres Liniengefühl, ein grösseres Verständniss der menschlichen Formen besass, ja dass er, namentlich in seinen Werken aus der frühern Zeit, seinen Köpfen einen tiefern, edlern Ausdruck zu verleihen im Stande war (man besehe sich
^ Von Cesare Tamarozzo sieht man zwei Wandgemälde in der Kapelle der heiligen Cecilia (Kirche S. Jacopo Maggiore), von einigen fälschlich dem Giacomo Francia zugeschrieben ; ferner ein anderes Wandgemälde „S. Agostino mit. einigen Ordensbrüdern" in der Kirche della Misericordia in Bologna (f); und ein mit dem Namen bezeichnetes Tafelbild „Madonna mit dem Christ- kind" in der Sammlung Poldi-Pezzoli in Mailand.
^ Dort früher dem L. Costa, von andern auch dem Ercole Grandi di Giulio Cesare zugeschrieben. Director Bode hat jedoch meine Bestimmung jenes Bildchens angenommen und es in die Frühzeit des F. Francia gesetzt.
Die Ferraresen. 287
z. B. den zum Tode verwundeten Stephanus dieser Galerie)* als Lorenzo Costa den seinigen; andererseits bin ich jedoch derUeberzeugung, dass dieser letztere sei- nen Pinsel mit viel grösserer Meisterschaft und Freiheit handhabte, und auch bei einem feurigem, lebhaftem Naturell in einem hohem Grade mit jenen Gaben aus- gerüstet war, die den vollendeten Maler kennzeichnen, als dies eben bei Francesco Francia der Fall war. Wie nun Cossa, Ercole Roberti^ und hauptsächlich Lo- renzo Costa als die eigentlichen Gründer jener Maler- schule anzusehen sind, welche in den zwei letzten De- cennien des 15. und im Anfange des 16. Jahrhunderts in Bologna blühte, so ist auch der Einfluss Dosso's und Garofolo's unverkennbar in den frühem Werken des Bagnacavallo, des Niccolö Pisani', des Biagio Puppini und in späterer Zeit sogar in dem des Gia- como und Giulio Francia« Mit einem W^orte, die Malerschule Ferraras war es, die während etwa fünfzig Jahren, von 1470 bis etwa 1520, die ganae Uoniagna mit ihrem Lichte erleuchtete und erwärmte. Ich hätte den Lesern diese flüchtig hingeworfenen kunstgeschichtlichen Vorbemerkungen erspart, wäre' ich nicht durch die Gelegenheit, die uns die Betrachtung der „Dauae" des Correggio darbietet, verlockt worden , in aller Kürze meine Ansicht über einen Punkt in der Kunstgeschichte Italiens auszusprechen, über den noch eine grosse Unklarheit herrscht, nämlich über die
* Auch dieses herrliche Bild wurde leider in vo.-^^o,. /o;< in den obern Stock des Palastes gebracht
' Als Schüler des Roberti dürfte dooh wol eher Amico uiui nicht 6uidoAspertini,wie Vaaari berichtet, betrachtet werden.
* £in Bild aus seiner Frühxeit befindet sich in der Pinako- thek von Bologna (Pieta) „Nicholo** bezeichnet, und dort fillsoh- licli il* in Niccolö Soriani zugeschrieben; ein Gem&lde ans semer Bpätcru Zeit ist in der Brera-Oalerie; in diesem letstem tritt Niccolö uns als Nachahmer des Oarofolo entgegen«
288 I>ie Galerie Borghese.
Lehr- und Wanderjahre des Malers Antonio Allegri da Correggio.i
* In einem der interessanten Aufsätze, die Herr Director Bode in der „Gazette des beaux-arts" über die italienischen Bilder des Berliner Museums publicirt, in der Absiebt seine neuen Ideen über die italienische Kunstgeschichte sowie die eigenen, gewiss nicht geringen Verdienste um die Sammlungen der Berliner Museen auch einem französischen Publikum bekannt zu machen, bemerkt er: „^. Venturi, dont les recherches ont poseles fonde- ments de la connaissance des ecoles de Ferrare, de Bologne et de Modene"' (V. Heft vom 1. Februar 1889, Seite 118).
Nun kann es mir gewiss nicht im Traum einfallen, die wirk- lichen Verdienste des jungen und vielversprechenden modene- fiischen Kunstforschers Herrn Venturi irgendwie schmälern zu wollen ; Herr Director Bode wird mir aber erlauben, meinerseits ihm zu bemerken, dass, als ich im Jahre 1875—76 diese nun aufs neue erscheinenden Artikel über die Malerschule von Fer- rara und Bologna veröffentlichte, noch ein dichter Nebel über jenen beiden Malerschulen lag, wovon uns selbst noch die Aus- gabe von 1879 des Bode'schen „Cicerone" (11,579—587) Zeugniss ablegt. Es ist wahr, Herrn A. Venturi glückte es, den wahren Autor des grossen Bildes, das in der Brera-Galerie bisher als von einem sonst ganz unbekannten Stefano da Ferrara gegolten hatte, aus- findig zu machen. Er fand nämlich in einer alten „Guida", dass jenes Bild, ehe es nach Mailand kam, den Altar einer Kirche in der Nähe von Ravenna zierte und dort als "Werk nicht des Stefano, sondern des Ercole da Fen-ara galt, und bei näherer Prüfung des Bildes hat sich auch wirklich bestätigt, dass es dem Ercole di Roberto angehöre. — Ausserdem verdanken wir Herrn Venturi die Entdeckung mancher wichtigen Documente, die dazu dienen, uns mit den Malern von Ferrara, Bologna und Modena vertrauter zu machen. Dies alles erkenne auch ich und mit der grössten Freude an. Allein das eigentliche Verhältniss ■der alten Bologneser Schule zu der von Ferrara, die Bedeutung des Fr. Cossa und des Lorenzo Costa in jener ehedem sogenannten -,Schule des Marco Zoppo und des Francia", sowie die künstlerische Entwickelungsgeschichte des Garofolo und des Dosso Dossi, und ebenso die des Correggio, glaube ich doch etwas früher als die Herren Bode und Venturi erkannt zu haben. — Mögen diese wenigen Worte der Abwehr, die ich mir selbst schuldig war,
Die Ferraresen: Correggio. 289
Dem Vedriani folgend, lassen nämlich die Schrift- steller über italienische Kunst den Correggio seine ■ersten Lehrjahre unter der Anleitung des Francesco Bianchi in Modena zubringen und lassen ihn dann, nach dem im Jahre 1510 erfolgten Tode des Bianchi, nach Mantua übersiedeln, um sich dort beim grossen Andrea Mantegna weiter auszubilden, bis er etwa zwan- zigjährig 1514 von den Mönchen in Carpi den ehren- vollen Auftrag erhielt, das grosse Altarbild auszuführen, welches gegenwärtig die Dresdener Galerie ziert, und worin, wie sich dies von selbst versteht, die meisten Schriftsteller noch ganz deutlich die Art und Weise seines Lehrers Mantegna zu erkennen behaupteten. Freilich, als man später ausfindig machte, dass Man- tegna schon im Jahre 1506 gestorben war, behalf man sich damit, dem Vater einen seiner zwei Sohne, sei es -den Lodovico sei es den Francesco, als Lehrer und Kathgeber des jungen Correggio zu substituiren. Zum Belege fiir diese Annahme und zum Beweise der per- sönlichen Gegenwart des jungen AUegri in Mantua führte man sogar einige Fresken an, die da und dort an den Mauern jener Stadt noch sichtbar wären und worin jeder Sachkundige di<' TTmiuI des Correggio er- kennen müsste.
Diese ganze Entwickelungsgeschichte jedoch ist auf Sand gebaut; sie wird weder durch irgendein Gemälde ■des Correggio, noch weniger durch schriftliche Docu- mente begründet, sie ist nichts mehr und nichts weniger als eine leere „supposition" des Vedriani, welche, da sie dem Localpatriotismus der Mantuaner schmeichelte, bald zu einer sogenannten „Tradition" wurde.
Betrachten wir uns dio Sache ohne vorgefasste Mei-
von meinen freundlichen Lesern mir dkIii uU Si l)>stüberhcbung gedentet werden. Das italienische Sprichwort s.i^rt ''^ • : vora si fa ü lupo lo mangia".
LBKMousrr. ^9
290 I^iß Galerie Borghese.
nungen. Das obengenannte Bild in Dresden mag also vom jungen Correggio 1515 beendigt worden sein. Der- selbe, in den letzten Monaten des Jahres 1493 oder in den ersten des folgenden, wie man gewöhnlich annimmt,, geboren, hätte also, als er jenes Bild den Mönchen nicht von Carpi, sondern von Correggio vollendet über- lieferte, etwa 21 Jahre gezählt. In jenen für die Kunst glücklichen Zeiten hatte aber ein Maler gewöhnlich schon in seinem 15. oder 16. Jahre die Lehrzeit durch- gemacht und die technischen Handgriffe erlernt, und von einer in so hohem Grade begabten Natur, wie die des Corregio war, ist man um so mehr berechtigt eine solche Frühreife zu erwarten. Es ist daher wol anzu- nehmen, dass er schon vor 1514 Bilder gemalt habe, die ihn als einen guten Maler bekannt gemacht und ihm daher jenen so ehrenvollen Auftrag von den Mön- chen von Correggio verschafft haben werden. Betrach- ten wir nun dieses Bild mit kritischem Auge, so werden wir durch den Ton und die Harmonie der Farben, durch den Auftrag derselben, durch die architektonische Form des Thrones und endlich auch durch das Medaillon, mit dem der Thron verziert ist, eher an Costa und die Fer- raresische Schule erinnert, als an die Weise des Man- tegna. Für diese meine Ansicht spricht jedoch noch deutlicher das schöne Bild bei Lord Ashburton in Lon- don. Wer an der Echtheit desselben zweifelt, der bekun- det, wie mir scheint, wenig Verständniss für das Eigen- thümliche der künstlerischen Auffassung und Darstel- lungsweise des Correggio. Ueberhaupt, sei mir erlaubt im Vorbeigehen zu bemerken, pflegen gar viele, ja die meisten Kunsthistoriker sich den Begriff vom Charakter und der Ausdrucksweise eines Künstlers von den spä- tem Werken desselben zu abstrahiren. Wer daher im sogenannten Bilde des heiligen Georg oder in dem der „Nacht" der Dresdener Galerie oder im sogenannten Hieronymusbild in Parma den Inbegriff der Kunst des
Die Ferraresen: Correggio. 291
Antonio Allegri zu sehen gewohnt ist, der wird natür- lich anstehen, im Bilde Ashburton die Hand desselben Künstlers zu erkennen. Und doch sind in jenen Werken aus der Frühzeit des Correggio, nämlich der Madonna des heiligen Franciscus zu Dresden und dem Bilde bei Lord Ashburton, im Keime schon dieselben Licht- und Schattenseiten sichtbar, die in den spätem Ge- mälden des Meisters uns theils anziehen, theils abstossen. Dieselbe Form, dieselbe Empfindung in der Darstellung der Hände, dieselbe dem Correggio eigenthümliche Form des Ohres, dieselben ihm eigenen Faltenbrüche; nur die Färbung ist in diesen Bildern aus der Frühzeit eine andere, sowol im Tone als auch in der Harmonie, und gemahnt uns an Lorenzo Costa und an dessen Schule. Wie ich nun das Bild bei Ashburton für früher gemalt halte, als das Bild vom Jahre 1515 in Dresden, so er- scheint mir dagegen die sogenannte Flucht nach Aegyp- ten (in der Tribüne der Üftizien-Galerie) als um mehrere Jahre später ausgeführt, als die Madonna des heiligen Franciscus, also ums Jahr 1517 — 18. Auch in diesem letztern Bilde ist der Ton durchaus noch ferraresisch, und zwar nicht so sehr an Costa und Ercole Grandi di Giulio Cesare erinnernd, als vielmehr an Dosso und Garo- folo. Das helle Strohgelb in der Bekleidung des hei- ligen Joseph in jepem Bilde ist eine Farbe, deren sich Dosso und Garofolo mit Vorliebe bedienten. Im klei- nen, rechts an die Tribüne der Uftizien- Galerie an- stossenden Zimmer hangt ein Bildchen, das man früher der ferraresischen Schule, später aber geradezu dem Tizian zuzuschreiben beliebte. Es führt die Nr. 1002 und stellt die Madonna mit dem Kind im Arme zwi- schen zwei musicirenden Engeln vor. Wer nun den Formen in diesem Bilde näher nachgeht, zumal der Hände, des Ohres, der Falten, ganz abgesehen von der dem Correggio ganz eigenthümlichen Leuchtkraft der Farbe, der wird darin überall den Geist und die Hand
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292 JÖie Galerie Borghese.
des Correggio erkennen; allein mehr noch als die äussere Form spricht auch in diesem Gemälde für den Meister der ihm ganz eigene Ausdruck der Madonna und des Jesuskindes, und namentlich der des Engels auf der rechten Seite der Jungfrau, während der Engel auf der linken Seite mehr an Giorgione und an Tizian's Jugend- werke erinnert.
Jenes höchst interessante, bisher wenig beachtete Bildchen halte ich nun ebenfalls für die Arbeit aus der Erühzeit des Correggio, und zwar als von ihm unter dem Einfluss der Werke Giorgione's, Tizian's und Lotto's gemalt, (f) Denn ich stehe nicht an anzunehmen, dass der junge Antonio an Ort und Stelle, d. h. in Venedig, gar manches Werk jener grossen venetianischen Colo- risten sich angesehen und beherzigt habe, ehe er sich in Parma niederliess. Um meine Thesis fester zu be- gründen, als dies eben durch die angeführten Beispiele geschehen konnte, hätte ich gewünscht, noch eines andern Bildchens Erwähnung zu thun, das einst in der Galerie Costabili in Ferrara sich befand, seit etlichen Jahren aber in den Besitz des Herrn Dr. G. Frizzoni über- gegangen ist. Da ich nun weiss, dass der glückliche Inhaber dieses Kleinodes gesonnen ist, in naher Zeit dem kunstwissenschaftlichen Publikum seinen kleinen Juwel vorzustellen und die Gelegenheit benutzen wird, mehrere andere Jugendarbeiten des Correggio mit ge- wohnter Sachkenntniss zu erörtern, so unterlasse ich es, an diesem Orte das liebliche Bildchen eingehender zu beschreiben. Dasselbe stellt die „Vermählung der heiligen Katharina" vor und hat eine so scharf ausge- sprochene ferraresische Färbung, dass es mehrern nor- dischen Dilettanten als ein Werk des Mezzolini erschien.
Mag nun Correggio den in Modena ansässigen Maler Francesco Bianchi zum Lehrer gehabt oder mag der- selbe selbst die Technik des Malens in Mantua bei
Die Ferraresen: Correggio. 293
Lorenzo Costa oder in Ferrara selbst die Technik des Malens erlernt und sich später an den Werken der Venezianer ausgebildet haben, daran liegt nicht vieL Woran es mir hauptsächlich lag, war, meinen P^reunden zu beweisen, dass Correggio mit der Schule des An- drea Mantegua nichts zu schaffen hat, sondern durchaus und unbedingt der Malerschule Fer- raras angehört.* Es ist hier nicht der Ort, diese Ansicht eines weitem auszuführen und zu begründen; ich hoffe aber, dass diejenigen meiner Leser, welche der italienischen Kunst in ihrer Entwickelung nachgegangen sind und dieselbe nicht im Sturmschritt, sondern mit Liebe und ohne vorgefasste Meinung studiren, meine Gedanken nicht höhnisch abweisen werden; ja, ich schmeichle mir sogar, dass mancher unter ihnen, früher oder später, seine Zustimmung mir nicht versagen wird. Nach dieser Abschweifung betrachten wir nun das herrliche Werk des Meisters, das die Galerie Borghese besitzt, die „Danae". Es ist ein vielgewandertes Bild. Von Italien kam es nach Spanien und sodann wieder nach der Lombardei zurück. In den achtziger Jahren des 15. Jahrhunderts beschrieb es Lomazzo als in Mai- land befindlich und zwar im Hause des Bildhauers Leoni Aretiuo: ^^Danae e Giove che gli piove in grembo in forma dt pioggia d*oro^ con Cupido ed altri amori^ c6* lumi talmente intesi^ che tengo sicuro^ che niun altro pit- tore in colorire ed allurtiare possa agguagliargli; man" dato di Spagna da Pompeo suo ßglio statuario,^' Von Mailand aber gelangte es sodann an den Hof Kaiser Rudolfs nach Prag, von wo aus es durch die Politik nach Stockholm verschlagen ward, um vom hohen Nor- den, wo die arme Danae sich fast zu Tode gefroren haben
' Dass Correggio in Mantna die eine oder die andere Figur defi Mantegna copirt haben mag, thot wahrlich meiner Behanpinng nicht den mindesten Abbruch.
294 Die Galerie Borghese.
mag, wieder nach Süden, und zwar nach Paris gebracht "ZU werden. Von da später nach London verkauft, iehrte das Bild bald wieder nach Paris zurück, wo es im dritten Decennium unsers Jahrhunderts glücklicher- ■weise als Copie angesehen wurde und daher vom Für- sten Borghese um einen Spottpreis angekauft werden konnte. So bekam denn, nach zwei und einem halben Jahrhundert, unsere D^nae abermals ihr sonniges Vater- land wieder zu sehen. Nur die Götter mögen es wissen, wo diese weitgereiste Freundin des alten Jupiter am Ende unsers Jahrhunderts sich befinden werde!
Nach allen den Wanderungen ist es nicht zu ver- wundern, dass dieses Wunderwerk der Malerei vielfach gelitten hat. Jedenfalls ist es jedoch den heillosen so- genannten Restaurationen entgangen, welche die Bilder des Correggio in Dresden, den heiligen Franciscus etwa ausgenommen, erfahren mussten und die, mir wenig- stens, jene gepriesenen Correggio-Bilder fast ungeniess- bar machen. Trotzdem, dass die Oberhaut dieses Bil- des verloren gegangen, bleibt es doch immer vielleicht das correggeskeste Werk des Antonio Allegri, und wie Otto Mündler sehr richtig bemerkt, der Triumph der Luftperspective und des Helldunkels. Die kindliche, naive Geschäftigkeit der die Pfeile spitzenden Liebes- götter, sowie das etwas verdutzte ängstliche Geschehen- lassen und zugleich die echt weibliche, sinnliche Glück- seligkeit, die den ganzen Körper der Danae durchzittert, bis in die Fusszehen hinab, scheinen mir unübertreff- lich. Es mag wol sein, dass die naive, natürliche Freude dieses Mädchens den Superlativen Aesthetikern und den principiell „Reinen" allzu sinnlich erscheint. Auch gebe ich gern zu, dass die Kunst des Correggio in diesem Bilde sich auf der Schneide eines Rasirmessers bewegt. Diese Danae wurde für den Markgrafen von Mantua gemalt, und schon Giulio Romano, nach dem Zeugniss Vasari's, erklärte dieses Bild für so schön,
Die Ferraresen: Correggio. 295
dass er kein anderes kenne, das diesem gleichkomme. Was die darin so meisterhaft veranschaulichte Empfin- dung des Meisters betrifft, so finde ich sie so wahr, so menschlich, ja so keusch im wahren Sinne des Wortes, so fern von all der unsittlichen Prüderie un- serer Tage, dass mir kein Werk modemer Kunst be- kannt ist, welches in dieser Hinsicht mehr Recht hätte, •den Kunstschöpfungen der Griechen an die Seite ge- setzt zu werden. Freilich hat Corregio seine Danae keineswegs für ein Mädcheninstitut gemalt. Jedenfalls ist es eine der Perlen der Borghese-Galerie, und, meinem Dafürhalten nach, das einzige Werk des Correggio, das sich in Rom befindet *, da anerkanntermassen der wüste' „Christus in der Glorie" der Vaticanischen Bil- dersammlung wahrscheinlich einem schwachen Nach- ahmer aus der spätem bologneser Schule zuzuschreiben ist. Es ist wol kaum nöthig zu bemerken, dass die Danae auf Leinwand und nicht wie die bewunderte und vielbesungene „Magdalena" der Dresdener Galerie (f) auf Kupfer gemalt ist, ein Gebrauch, der, wenn ich nicht irre, erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts durch die Niederländer in Italien eingeführt wurde, in diesem Lande jedoch wenig Anklang fand.*
Von dieser „gemein sinnlichen" Gestalt des Correggio,
* Das Madonnenbild im Hanse des Fürsten Torlonia (Lun- gara) ist, ebenso wie jenes in St.-Petersbarg, nichts anderes als Copie des in der Esterhazy- Galerie in Budapest befindlichen Oriprinals. (f)
' Soviel ich weiss, haben erst in der zweiten Hälfte des !<;. Jahrhunderts Niederländer, wie Brill, Jan Bmeghel der Ael- tere, Pourbus u. a. m., sich des Kapfers zu ihren Malereien be ' dient. Mir wenigstens ist kein italienisches Bild aus der ersten Hälfte jenes Jahrhunderts bekannt, das auf Kupfer ge- malt wäre; spätere Copien, die fClr Originale gelten« sah ich allerdings mehrere.
296 Die Galerie Borghese.
wie die Danae von einem sonst hochsinnigen deutsche« Kunsthistoriker genannt wurde, wenden wir uns alsa schleunig weg und treten in die folgenden Säle ein, wo wir die Ehehälfte Potiphar's von drei oder vier keuschen Malern vom Ende des 16. und 17. Jahrhun- derts, zur grossen Freude der Fastenprediger in der Kunst, dargestellt sehen. Doch wir überlassen es dem diese Art von Kunst liebenden Publikum, jene Bilder sich selbst aufzusuchen und sich daran zu ergötzen. Für unsere Studien ist nichts in denselben zu lernen. Auch möge man es mir nicht verargen, wenn ich die im IV., y., VI., VII. und VIII. Saale ausgestellten- Gemälde für diesmal ganz übergehe. Für die Geschichte der Kunst und der Cultur haben dieselben allerdings das- selbe und für das grössere Publikum ein noch viel stär- keres Interesse und eine grössere Anziehungskraft, als die von uns bisher betrachteten Werke, allein für un- sere Studien sind, wie gesagt, die Eklektiker von sehr untergeordneter Bedeutung.
Das weitaus schönste Gemälde in diesen Sälen ist jedenfalls Domenichino's berühmte „Caccia di Diana "► Aus diesem an schönen, ja reizenden Details so reichen Bilde schaut noch eine so naive Lust und Freudigkeit heraus, dass man sich in für die Kunst glücklichere Zeiten versetzt glaubt. Kein Bild aus dem 17. Jahr- hundert, die herrliche Aurora des Guido, die Fresken des Annibale Caracci im Palast Farnese und jene de& Guercino im. Casino Ludovisi etwa ausgenommen, ge- niesst aber auch eines solchen Rufes, ist so allgemein bekannt, wie diese wirklich anmuthige, mit Freude ge- dachte und gemalte und daher auch Freude erweckende weibliche Jagdpartie des liebenswürdigen Domenichino. Im nämlichen Saal hängen noch Rundbilder des Fran- cesco Albani, die Jahreszeiten darstellend, die als Decorationsstücke werthvoll und beachtenswerth sind^ und überdies eine grosse Madonna mit dem Kinde vom
„Die Hochzeit Alexander's mit Roxane." 297
unerquicklichen, aber höchst talentvollen Michelangelo da Caravaggio.
Im letzten untern Saale der Galerie befinden sich Fragmente von Wandmalereien, welche drei verschie- denen Meistern angehören. Diejenigen, in denen die Geschichte des Apoll und Marsyas dargestellt ist, rühren vom Domenichino her und zierten dereinst einen Saal der Villa Borghese in Frascati. Die andern, welche Legenden aus der römischen Geschichte zum Vorwurfe haben und von neuern Schriftstellern dem Giulio Ro- mano zugeschrieben wurden *, befanden sich ehemals in der Villa Laute auf dem Janiculus. Dieselben haben allerdings noch einen Anflug Kaffaerschen Geistes, denn die Villa Lante wurde von Giulio Romano erbaut und die malerische Ausschmückung derselben von den Gehülfen und Schülern, Pappacello, Pagni u. A. aus- geführt.
Die übrigen drei Fresken endlich wurden ehedem dem Urbinaten selbst, von Passavant jedoch blos dem Perino del Vaga zugeschrieben. ^ Sie zierten dereinst das im Jahre 1849 zerstörte Casino di Rafiaello auf dem Pincio und stellen das eine eine Gruppe von Schei- benschützen, ein anderes „die Hochzeit Alexander^s mit Roxane^^ dar. Meiner Ansicht nach sind es schwache Copien eines spätem talentlosen Nachahmers Raffaers, das „Bogenschi essen" nach einer Zeichnung in der Sammlung von Windsor, die dort dem Michelangelo zugeschrieben wird; die „Hochzeit Alcxauder's" nach dem Stiche des Caraglio oder wie andere wollen des
> Passavant: Raffael d'UrbiD eto. I, 288: „Voriginalite (jrandiose de Julet. Romain reuort auasi äatu les pUiUs fresques de la Villa Lante; ce 8oni des tujtU tiris des legendes et de Vhistoire rowMine, qui ae rapporte au Janicuie etc."
* Passavant a. a. 0. (II, 236): .^UexicuUim de cetU fresqut, en bon H<U dt conservation t est traiUe avec toute la düicaiesse particulihre (?) ^ Perino del Vaga,""
298 ^^® Galerie Borghese.
Bonasone^, den einer von diesen nach einer ihnen von Perino delVaga angefertigten getuschten Zeichnung ausführte, (f)
Meinen eigenen Studien zufolge dürfte der Hergang der Sache sich ungefähr so herausstellen. Vasari er- zählt (IX, 275) uns, dass unter den Schülern Marcan- ton's sich besonders Marco da Eavenna und Agostino Veneziano auszeichneten und dass beide Stecher Zeich- nungen RaffaeFs als Vorlage zu ihren Blättern benutzten. Unter derartigen von Agostino ausgeführten Stichen führt Vasari nun mit seiner gewöhnlichen Leichtfertig- keit auch den mit der Hochzeit Alexander's an, ^Jece ancora Alessandro con Rosana ^ a cui gli presenta una Corona reale ^ ecc. ecc.'"' Und dieses unbedachtsam hin- geworfene Wort des Aretiners reichte hin, den groben Irrthum herbeizuführen, der später in der Bestimmung aller auf das Freskobild Sodoma's bezüglichen Zeich- nungen und Skizzen sich einschlich und der noch immer besteht. Raffael Santi und kein anderer musste sie alle angefertigt haben, und dem armen Sodoma blieb an seinem herrlichen Frescobilde kein anderes Verdienst
^ P. J. Mariette („Abecedario", I, 89) sagt, es gebe zwei Stiche mit diesem Gegenstand, der eine sei von Caraglio, der andere vom altern Beatricet. Die getuschte Zeichnung dazu befand sich damals in der Sammlung Crozat und scheint jene gewesen zu sein, die L. Dolce als von der Hand Rafifael's citirt (eine mit Gips gehöhte Bisterzeichnung), mit der Bezeichnung: Baffaello da Urbino. Diese Zeichnung befindet sich in den Mappen des Louvre und ist, meiner Ansicht nach, nichts anderes als eine Copie der Originalzeichnting Perino's, die jetzt verloren zusein scheint. Mariette erklärte jene Zeichnung bei Crozat als von der Hand des Parmeggianino, und Zanetti desgleichen; dem Abbe Marolle dagegen schien das Blatt von keinem andern herzu- rühren, als von Raifael selbst. Die Herren Montaiglon und Mar- quis de Chennevieres endlich erklärten die Louvre-Zeiohnung als von der „Schule des Urbinaten".
„Die Hochzeit Alexander's mit Roxane/' 299
iibrig, als dasselbe nach den Vorlagen RaffaePs aus- geführt zu haben. An der ganzen Sache ist jedoch, davon bin ich überzeugt, kein Wort wahr und auch bei dieser Gelegenheit werden wir wieder an die tief- sinnige Parabel erinnert, die der alte Brueghel in seinem Bilde im Museum von Neapel so witzig darzustellen wusste.
Dem Giovanni Antonio Bazzi kann man viele Mängel vorwerfen, nur nicht Mangel an Erfindungs- gabe, wovon sich ja jeder Unbefangene überzeugen kann, der seine Wandgemälde im Klosterhof von Mont- oliveto und in den Kirchen von S. Domenico und S. Bernardino in Siena betrachtet. Uebrigens hat die be- kannte Rötheizeichnung in der Albertina ausser den für den Meister sehr charakteristischen Merkmalen in der Technik ^ dieselben Mängel in der Composition, die wir auch in dem Wandgemälde des Sodoma „die Fa- milie des Darius vor Alexander" finden und über dessen Erfindiuig, bisjetzt wenigstens, soviel ich weiss, die kritischsten Kunstkritiker keinerlei Zweifel haben laut werden lassen. Zum Frescobilde der „Hochzeit Alexan- der's mit Roxane" sind vier Zeichnungen des Sodoma uns erhalten geblieben, jiämlich:
1) Die treffliche „Rötheizeichnung" in der Alber- tina in Wien.2 (f)
* Man beobachte als oharakteriatische Merkmale des Sodoma z. B. am rechten Bein der Roxane das runde volle Knie ge- rade wie auf den zwei Ledazeichnungen in Weimar und in Chats- worth (Braun 51 und 14H, falschlich dem Lionardo da Vinci su- gesohrieben); die zu stark acoentuirte grosse Zehe; die Form der Hand und des Ohres; den dem Sodoma eigenthümliohen Kindertypus; die dichte Strichführung, so verschieden von der «uf den echten Zeichnungen Rafiiael's; die Behandlung der Haare u. a. m.
* Ueber diese Röthelzelchnung bemerkt Mariette: ^^tTy re- connais tout le faire de Baphael; Ut expremons en tont bien
300 I^ie Galerie Borghese.
2) Ein Entwurf zu dieser Composition in der Feder- skizze in den Uffizien (Rahmen 495, Nr. 1479).
3) Eine Federzeichnung zur Roxane, dieselbe nackt und stehend darstellend, in der Esterhazy- Sammlung in Budapest (f), von Herrn von Pulszky als Raffael- zeichnung besprochen in seinem Aufsatz iiber die „Un- garische Reichsgalerie", Seite 41 — 47.
4) Eine Federskizze zum Ruhebett der Roxane (f), in der Universitätssammlung von Oxford (Robinson's Katalog, Nr. 177, S. 311).
Die Zeichnungen 1, 3 und 4 werden, wie gesagt, alle drei Rafiael zugeschrieben, die Skizze in Florenz wurde friiher einem Schüler Rafiael's gegeben, in neuester Zeit jedoch als Zeichnung des Sodoma erkannt, allein unbegreiflicherweise hat man dazu bemerkt, sie stelle einen Theil des Frescobildes dar, das Sodoma in der Farnesina nach einer Zeichnung RaffaePs aus- führte. Letzteres ist in doppelter Hinsicht unwahr, denn erstens führte Sodoma sein Wandgemälde mit grossen Modificationen der Albertina- Zeichnung aus, und zweitens würde diese Federskizze in Florenz, falls sie Copie wäre, nicht dem Frescobild, sondern der Albertina-Zeichnung entnommen sein.
plus fines (als in der andern Zeichnung, die er, wie wir soeben gesehen, dem Parmeggianino zuschrieb) et le detail en est ex- cellent. Baphael le dut faire pour lui servir d^etude et de pre- paration au dessin drappe." Die Rötheizeichnung kam nun, nachdem sie vorher durch mehrere andere Sammlungen gewandert war, endlich in die Albertina und zwar, wie sich dies von selbst versteht, unter dem Namen Raflfael's. Passavant (II, 441) be. schreibt sie folgendermassen: „Ce dessin, que Buhens avait achete ä Borne, passa depuis daris la possession du Cardinal BentivogliOy qui en fit present au graveur en medailles Melan. Crozat Veut en- suite au sortir de la colleciion Vanrose, et le duc Albert de Saxe- Teschen Vacquit d'un amateur. 11 2'^'*'^^ aussi V estampille du prince Charles de Ligne. Toutes les figures sont nues et de la plus delicate execution u la sanguine."
„Die Hochzeit Alexander's mit Roxane." 301
Mehrere Jahre nun nach dem Tode des Urbiuaten mag höchst wahrscheinlich der Stecher des Blattes der „Hochzeit Alexanders mit Roxane" (sei es Caraglio oder Bonasone) etwa den Perino del Vaga angegangen haben, ihm als Vorlage zu einem Stiche die Zeichnung anzufertigen. Zwei solcher Zeichnungen, die an Perino's Technik erinnern, sind nun auf uns gekommen: die eine bessere davon befindet sich im Louvre^ die andere viel geringere in der Sammlung von Windsor.* Ob und wo die Originalzeichnung Perino's sicli erhalten hat, kann ich nicht sagen. Der Stich sowol als die zwei Copien der Zeichnung des Perino, die als Vor- lage dem Stecher diente, reproduciren die Composition, wie wir dieselbe auf der Rötheizeichnung der Al- bertina, nicht aber wie wir sie auf dem Wandgemälde ^ehen. Perino copirte folglich die Rötheizeichnung und nicht das Frescobild, mit nur der einen Abänderung, dass er die Hüften der Roxane mit einem Tuch be- deckte und Alexander mit einem Kleide und einem Helm 2 ausstattete, und überdies einige andere unbe- deutende Modificationen noch in seine Copie einführte. So viel scheint mir jedenfalls in dieser Frage ausser allem Zweifel zu sein, dass nämlich all die vier oben von mir bezeichneten Blätter, die zumWandgemälde des Sodoma in Bezug stehen, diesem Meister und keinem andern angehören, (f)
Man darf wol sagen, dass das Studium der Hand- zeichnungen, wahrlich noch sehr in der Wiege liegt. Erst in neuern Zeiten haben ernstere Forscher in Deutsch-
* Auch Passavant ist dieser Ansicht (II, 498): „Les noeu d'Altxtmdre et de Roxane: figure$ vHue$, denin a la plmme et tehaiMse de blanc. On connait plusieura etquisses de cetie bette compoaitionf mais dont aucune est Voriginal**.
* Man vergleiche die Form dieses Helmes mit dem Helm des änssersten Kriegers recht« auf Perino*! Zeichnung im Loavre <Braun 71).
302 I^iö Galerie Borghese.
land, England und Italien vielfach mit Raffael sich be- schäftigt und namentlich die Darstellung seiner Jugend- erziehung einer kritischen Revision unterstellt. Dadurch wurde gar manches bisher dem Meister zugemuthete Werk ihm genommen und andern Meistern, den wahren. Urhebern, zurückerstattet. Die Personalität des gött- lichen Urbinaten ist durch solche Läuterungen uns näher gebracht worden und konnte dabei nur gewinnen. Es- ist selbstverständlich, dass die Resultate solcher kriti- schen Studien im Anfange von den Orthodoxen mit grossem Unmuth aufgenommen wurden, und zur Ver- theidigung ihrer fossilen Vorurtheile wurde von den- selben gar manche harmlose Bombe gegen die ketzeri- schen Neuerer in die Luft geworfen. Ihre Nothschüsse- verhallten indessen und die Göttin der Wahrheit schritt auf ihrem Siegeswagen sicher und unbehindert vorwärts, unbekümmert um die Zöpfe, die sie unterwegs mit ihrer Fackel in Brand gesetzt hatte. Das Publikum lachte laut auf, wie dies zu gehen pflegt, zu den langen Nasen> der heisern Kathederhelden und Galeriedirectoren und begann an ihrer „Berufenheit" und Unfehlbarkeit zu zweifeln. Inzwischen haben sich jüngere Kräfte in die Streitfragen gemischt und es ist zu hoffen, dass binnen kurzer Zeit all diese offenen Fragen allgemein für ge- schlossen gelten werden.
Zur Aufmunterung, vielleicht auch zur Belehrung der Anfänger in der Kunstwissenschaft will ich jene Zeichnungen in der Uffizien-Sammlung, die nach meiner Ueberzeugung dem Urbinaten angehören, neben jenen, die ihm, wie ich glaube, dort mit Unrecht zugeschrie- ben werden, hier angeben:
Die Zeichnungen RaffaePs in Florenz, die mir als echt erscheinen, sind die folgenden:
Nr. 496 Skizze. „ 497 (Madonnenbild). „ 505 (Madonna del Granduca).
Die Zeichnangen Raffaers.
3oa
Nr. 529) Der heilige Georg zu Pferd im Kampf mit „ 530J dem Drachen. „ 539 Madonna und Kind (zum unvollendeten
Bilde in Budapest). „ 538 Beweinung Christi (Zeichnung zum Bor- ghese-Bild), diese Zeichnung von einer an- dern Hand ausgeführt, wurde von Raffael selbst jedoch an mehrern Stellen mit der Feder übergangen. „ 541 Adam (zur Disputa).
In der Mappe befinden sich, als Zeichnungen der umbris chen Schule bezeichnet, zwei der herrlichsten Zeichnungen Raffaers (schwarze Kreide). Die eine der- selben stellt einen Häscher (im bethlehemitischen Kinder- mord), die andere den heiligen Stephan (in der Dis- puta) dar.
In allem also zehn Zeichnungen.
Jene, die nach meiner üeberzeugung dort mit Un- recht Raffael zugetheilt werden, sind folgende: Nr. 531.
" FilOi ^^""^^ ^®^ Vaga.
„ 514 Giulio Romano. Perino del Vaga.
525
521
545
544
543
534
535 j
143
54 540| 515(
Giulio Romano.
Der Reiterzug des Aeneas Sylvias, Pinto-
ricchio.
Timoteo Viti.
Copie nach Raffitel.
304 I^ie Galerie Borghese.
Nr. |
516 von einem florentiner Meister. |
9? |
424 Copie. 498 Fälschung. |
9? 11 |
-^^1 Nachahmungen. 501 Fälschung. |
15 |
504 Schule des Perugino. |
Zehntes, elftes und zwölftes Zimmer.
DIE YENETIANEE.
In den Sälen X und XI sind die Repräsentanten <der venetianischen Schule versammelt. Da ich mir vor- genommen habe, bei der Musterung der Doria-Galerie denselben eine eingehendere Besprechung zu widmen, so begnüge ich mich hier, nur bei jenen Bildern länger zu verweilen, über deren Authenticität meine eigenen Anschauungen mit der Bestimmung des Katalogs nicht iibereinstimmen.
Im zehnten Saal ist unter Nr. 1 ein männliches Por- trät als Arbeit des Giovanbattista Moroni von Al- bino bezeichnet. Der bergamaskische Schüler des sil- berfarbigen Moretto von Brescia war jedoch ein ganz anderer Mann, als der Autor dieses ziemlich langweiligen Bildnisses gewesen zu sein scheint; auch gehört das Bild nicht einmal der venetianischen Schule an.
Gehen wir daher schnell zu dem ganz vorzüglichen daneben hängenden Gemälde Tizian's über. Es trägt die Nr. 2, ist auf Leinwand gemalt, misst ungefähr 4 Fuss in der Höhe und 6 Fuss in der Breite und hat leider an vielen Stellen durch Retouchen gelitten. Dieses Bild stellt, wie der Katalog besagt, die drei Grazien (?)
Die Venetianer. 305
vor und ist schon von Ridolfi als im Hause Borghese befindlich angeführt. Es ist ein gar herrliches, farben- reiches Bild und gehört wol der reifsten Zeit des Künst- lers an. Modificirte Copien dieses Gemäldes sind mir mehrere vorgekommen, eine sehr schöne unter andern im Palast Balbi in Genua.
Unter Nr. 2 folgt ein Bildchen, das die heilige Ca- cilie und ihren Gatten Valerianus darstellt. Anstatt des Paolo Veronese, dem es der Katalog zumuthet, dürfte dasselbe vielmehr dem Domenico Feti (f) an- gehören. So wie hier den Paolo, so hat Feti, im zweiten Saal der Galerie Sciarra-Colonna, den Schidone nach- zuahmen getrachtet.
Mit Nr. 9 ist ein ganz vorzügliches, fesselndes Porträt bezeichnet, Kniestück, lebensgross, auf Leinwand. Die dargestellte Persönlichkeit hat zwar kein einnehmendes Aeussere, jader Ausdruck des Gesichts ist geradezu alltäg- lich, trotzdem hat es jedoch der Künstler verstiinden, den Blick des Vorübergehenden auf diesen schwarzen Mann festzubannen. Der noch junge Cavalier ist imTrauerkleid. Sein feuriges Auge, durch Schwermuth getrübt, scheint dem Verluste einer geliebten Person nachzusinnen. Er hält die linke Hand auf einen Tisch gestützt, auf wel- chem unter Rosen- und Jasminblättern ein elfenbeiner- nes Todtenköpfchen liegt. In voller Unschuld und Liebe hat sie also der Tod erreicht! Auf dem reizenden land- schaftlichen Hintergrund sieht man den heiligen Georg zu Pferde, im Begriff den Drachen zu erlegen. Im Ka- talog wird dieses Bildniss als Werk des Giovan An- tonio da Pordenono bezeichnet*, allein schon der ver- storbene O. Mündler' schrieb dieses schöne Porträt seinem wahren Urheber, d. h. dem Lorenzo Lotto
* Wurde neuerdings vom neuen Director dem L. Lotto rich- tig zugeschrieben.
* Beiträge sn J. Burokhardt's „Cioerone**i S. 58. Lbrmoubtf. 20
306 I^ie Galerie Borghese.
zu. Und in der That genügt es, wenn man auch nur die Art und Weise wie die Hände geformt und eremalt sind, sich näher betrachtet, sowie die dem Lotto ganz eigene Bewegung und Stellung des Kopfes, das wun- derbare Lichtspiel auf dem schwarzen Gewände und überdem die Landschaft, um keinen Augenblick anzu- stehen, nicht nur die Hand, sondern auch „/a tournure de Pesprif-' dieses geistvollen und originellen Lands- mannes und Zeitgenossen des Giorgione in dem Bilde zu erkennen. Von demselben Meister befindet sich in dieser Sammlung Borghese noch ein anderes Werk, und zwar ein gar köstliches aus seiner Frühzeit; es hängt im elften Saal, ist mit Nr. 1 bezeichnet und trägt die Auf- schrift: LAVKEN . LOTVS • M • D • VIII. Es stellt die Madonna dar, die, etwas griesgrämig gestimmt, das Christkind auf dem Arme hält; rechts steht ein hei- liger Bischof, an der linken Seite der heiligen Jung- frau der alte ehrsame Onuphrius. Das Kind ist mit einem Hemdchen bedeckt, ein Umstand der darauf deutet, dass dieses Madonnenbildchen für irgendein Nonnen- kloster, sei es Roms, sei es der Marca d'Ancona, wo in jener Zeit Lotto längere Zeit sich aufhielt, gemalt wurde. Das Kleid der etwas ältlichen und, wie schon be- merkt, übelgelaunten Madonna ist scharlachroth, in einer Farbe, die bei keinem seiner Zeitgenossen, wie Gior- gione, Tizian, Palma u. s. w. vorkommt, wol aber bei etwas altern venetianischen Malern, wie Boccaccio Boc- caccino, Marco Marziale, Lattanzio da Rimini, Rondi- nelli und andern mehr. Ueberhaupt ist der Farben- accord auch in diesem Bilde des Lotto ganz originell und ihm eigenthümlich, die Bewegung des Christkindes ist sehr naiv; in spätem Werken hat Lotto oft diese kindliche Unruhe und Hast ein wenig übertrieben und dieselbe erscheint denn auch manchmal etwas affectirt. Der Kopf und die Schultern der Madonna sind mit einem graugelblichen Tuche (der Lieblingsfarbe Tizian's
t
Die Venetianer. 307
in seiner Fruhzeit und hier und da auch des Palma vecchio) bedeckt. Sie schaut links hin auf den alten OnuphriusS während das Kind beide Händchen aus- streckt nach dem Herzen, das ihm mit andächtiger, wie- wol etwas pfaffisch-mürrischer Miene und Geberde der beilige Bischof darreicht. Das Gefälle ist hier noch ziemlich eckig und hart, allein man bemerkt schon in diesem Jugendwerk des liebenswürdigen Meisters die Tendenz zum Bauschigen, die in seinen spätem Bildern für ihn charakteristisch wird. Die rechte Hand der ^laria ist noch ganz Bellinisch geformt, die Lichter sind scharf und kalt, das Colorit strahlend, die Zeichnung höchst sorgfältig, die Ausführung fein und liebevoll. Der Ausdruck der zwei Heiligen ist wahr und warm, und dieselben sind ganz bei der Sache, unbekümmert um das, was etwa die Zuschauer dazu sagen möchten. Der verstorbene geistreiche Professor M. Thausing be- merkt in seiner Biographie Dürers von diesem Bilde ganz richtig, dass der heilige Onuphrius durchaus an Dürer erinnert und es ist, wie gesagt, wol möglich, dass L. Lotto im Jahre 1506 den grossen Nürnberger in Venedig persönlich gekannt und die dort von dem- selben gemalten Bilder genauer studirt hat. Werke aus der nämlichen Kunstperiode des Lotto enthalten die Galerien von Neapel und München, die Pfarrkirche von Asolo, die Dominikanerkirche von Recanati und die an vorzüglichen Bildern reiche Sammlung von Lord Ellesmere in London. Wer jedoch diesen nicht nach seinem vollen Werth gewürdigten, höchst phantasie- reichen und feinen Künstler näher zu kennen wünscht, der muss ihn in Venedig und im Bergamaskischen auf- suchen. Das kleine Madonnenbild, das die UfBzien-
* Der Kopf dieses Heiligen erinnert an Darer*sohe Köpfe, und es ist wol möglich, dass beiden Malern derselbe venetiani- sehe Alte als Modell gedient hat.
308 I^ie Galerie Borghese.
Galerie von ihm besitzt, spricht nicht zum Vortheil des Meisters; dagegen finden wir in der Brera in Mailand drei ganz vorzügliche Porträts von L. Lotto.
Im nämlichen elften Saal hängt unter Nr. 19 ein grösseres Bild, das sehr an unsern Lotto erinnert, und das mir nichts anders als eine gleichzeitige gute Copie nach einem jetzt verschollenen Werk des Meisters zu sein scheint. Der Katalog wies es früher schlechtweg der venetianischen Schule zu; neuerdings wurde es, nicht eben sehr glücklich, auf Previtali getauft. Die Ma- donna sitzt unter einem Orangenbaum auf einem stei- nernen Thron, dessen Basis, nach Art des Correggio, mit zwei in Grau gemalten Reliefs verziert ist. Maria hält das nackte Kind auf ihren Knien, auf den Seiten des Throns stehen die Heiligen Justina und Barbara, die erstere eine kniende Matrone, die andere einen knien- den Herrn dem göttlichen Kinde empfehlend; Hinter- grund Landschaft. Ein Aveisses Tuch fällt, nach Art des Giambellino, vom Haupte der Madonna auf ihre Schultern herab, der Mantel ist von himmelblauer Farbe, die Innenseite gelb, das Kleid malvenroth, was sehr an Catena erinnert. Maria segnet mit der Linken, ihre Rechte hält das ganz in Correggio's Sinne bewegte Kind fest. Die Landschaft ist durch ein Schloss und durch eine Mühle belebt und gleicht der Landschaft auf dem Bilde Lotto's vom Jahre 1506 in Asolo. Auf dem Boden zwischen den andächtigen Donatoren liegen Rosenblätter, ganz in der Art Lotto's, neben einer vom Baume gefallenen Apfelsine. Das meisterhaft gezeich- nete Porträt der andächtigen Dame ist mit sehr viel Geist gemalt. Das Original dieses schönen Bildes muss meiner Ansicht nach, wie gesagt, dem Lotto an- gehört haben; wer jedoch der Autor dieser trefflichen Reproduction gewesen sein mag, bin ich nicht im Stande mit Bestimmtheit zu sagen, „a genuine Car'iani''' je- doch, wie die Herren Crowe und Cavalcaselle (II, 553,
Die Venetianer. 309
Anm. 1) meinen, scheint mir das Bild auf keinen Fall zu sein.
Kehren wir jedoch nach dieser Abschweifung wie- der zurück in den zehnten SjuiI, wo wir, unter Nr. 14, auf einer ziemlich grossen Leinwand die Predigt Jo- hannes des Täufers in der Wüste dargestellt sehen. Die Predigt lässt uns kalt, obwol die Malerei von einem sehr tüchtigen, veronesischen Frescomaler herrührt, näm- lich von Battista Zelotti, dem Landsmann und Mit- arbeiter des Paolo Veronese, dem im Katalog dieses Bild zugeschrieben wird.* (f) In der Nahe, unter Nr. 16, ist ein heiliger Dominicus, gemalt vom alten Tizian, aufgestellt. „F^ce", sagt Ridolfi, „i7 ritratto del 8U0 confessore, deW ordine dei Predicatori; era tra le cose del Gamberato^' (d. h. das Bild war im Besitze des Gamberato).
Mit Nr. 19 bezeichnet hängt ein anderes gutes Porträt daneben, es stellt einen Alten mit weissem Bart und schwarzem Barett auf dem Kopfe dar. Der gute Mann ist in der angenehmen Beschäftigung begriffen, Geld zu zählen. Der Katalog schreibt das Bild dem Giacomo da Ponte zu; nach meiner Ansicht dürfte es aber vielleicht eher ein vorzügliches Werk seines Sohnes Francesco Bassano sein, (f)
Unweit dieses Geizhalses hängt unter Nr. 20 „Venus
' Es geschieht gar oft, dass die Werke des Zelotti mit denen des Paolo Veronese von den Dilettanten verwechselt werden, so unter vielen andern selbst in seiner Vaterstadt Verona, wo ein allegorisches Wandgemälde auf die Mosik (Nr. 277, V. Saal) des Zelotti dem Paolo Caliari cageschrieben wird; ebenso in der Uffizien-Oalerie „die Verkündigung** (Nr. 578), ungefähr um die Zeit entstanden wie dieser predigende Johannes in der Wüste der Borghese- Galerie. Ueber diesen interessanten Maler aus Verona, sowie über die fi^anse veronesitche Sohule wird jedoch Herr Dr. J. P. Richter, als der weitaus oompetenteste Kenner der veronesischen Kunstschule, hoffentlich uns alle recht bald eines Bessern belehren, (f)
310 Die Galerie Borghese.
mit Amor", ein schwaches Bild, das der Katalog mit grossem Unrecht dem Paolo Veronese selbst zuschreibt; es ist, wie ich glaube, nichts anderes als eine Copie nach Paolo. Und nun kommen wir endlich zu Nr. 21, einem Hauptbilde dieser ganzen Sammlung, ein Bild, das wol zu den berühmtesten Bildern der Welt gezählt werden darf. Dieses Wunderwerk Tizian's ist unter dem Titel „die himmlische und die irdische Liebe" all- gemein bekannt, wurde von ihm, wie ich glaube, etwa um 1510 — 12 gemalt und ist ganz und gar noch im Giorgionischen Geist gedacht. Ein kostbares allegori- sches Novellenbild mit dem poetischsten landschaftlichen Hintergrund, den man sich nur träumen kann. Man halte dagegen die berühmten Landschaften der gleich- zeitigen Niederländer, etwa die des Civetta, des Mabuse, des Patenir, welchen letztern Dürer den „guten" Land- schaftsmaler nennt (siehe Dürer's „Tagebuch der Reise nTdie Niederlande", S. 118), und sehe dann zu, was für ein ganz anderer Mann, auch in diesem Fache, der Ita- liener war. Derselben goldenen Zeit des Meisters dürfte wol auch das Bild angehören mit den sogenannten drei Lebensaltern des Menschen, von dem sowol in dieser, wie in der Doria- Galerie Copien sich befinden. Die rechte Seite des Antlitzes des die irdische Liebe dar- stellenden Weibes wurde leider ungeschickt restaurirt.^ Im ganzen jedoch ist dieses köstliche, „traumhaft schöne" Bild leidlich erhalten. Die dicht gedrängten Längs- falten auf den Gewändern erinnern unwillkürlich an das ganz ähnliche Gefälte auf dem Mantel der Salome in einem zweiten nicht minder herrlichen Bild aus der Früh- zeit Tizian's in der Doria-Galerie, früher dort dem Gior-
* Auch bei diesem Bilde Tizian's sei mir erlaubt, meine jungen Freunde auf den zu stark accentuirten Daumenballen der rechten Hand des die „reine Liebe" vorstellenden Weibes als charak- teristisch für den Meister aufmerksam zu machen.
Die Venetianer. 311
gione zugemuthet, jetzt aber als „Herodias" des Por- denone verzeichnet und allgemein unter diesem Namen auch bekannt.* Auch die Haare sind auf diesem Tizian'- schen Gemälde hier geradeso behandelt wie dort. Merk- wiirdig, dass Vasari dieses Prachtbild mit keiner Silbe erwähnt!
Ridolfi (1650), der das Bild nur vom Hörensagen kannte, bemerkt blos: „Im Hause des Fürsten Borghese befinden sich, von Tizian gemalt, zwei Weiber an einem Brunnen, in dem sich ein Kind spiegelt".
Unter Nr. 36 hängt in der Nähe des Fensters ein Bildchen, das die Maria mit dem Christkinde darstellt und das auf einem Cartellino folgende Aufschrift hat:
^^ Joannes hellinua faciebat}^ Diese Aufschrift hat nicht den Charakter der echten Namensbezeichnungen des Giambellino.^ Das unbedeu- tende Bildchen kann nur von einem Schüler und Nach- ahmer des Giambellino herstammen. Francesco Bis- solo ist unter allen Schülern und Nachahmern des grossen Meisters derjenige, dem ich am ehesten diese kleine Madonna zuschreiben möchte, (f) Die Herren Crowe und Cavalcaselle (I, 193) halten jedoch auch dieses Bild für ein Werk des Giambellino.'
* In der BestimmuDg dieses letztem Bildes gibt Direotor Bode (II, 758), zu meiner Verwunderung, mir recht und seinen Gewährsmännern Crowe und Cavalcaselle unrecht.
* Dergleichen falsche Cartellini und Namensbezeichnungen des Giambellino auf Bildern seiner Schüler und Nachahmer gibt es mehrere, so z. B. auf einem Madonnenbilde in der städtischen Galerie von Padua, Nr. 755, auf einer sogenannten Pieta oder Beweinung Christi in jener von Bergamo (Abtheüung Loohis); in der Sammlung Poldi-Pezzoli in Mailand und anderwärts noch. Auch Director Bode sieht, seinen Führern Crowe und Cavalca- selle folgend, alle diese sohwaohen Prodaotioncn für Werke des grossen Bellini an (II, 684).
* Das Originalbild des Giambellino wurde auch von Roooo Marconi, allein in grossem Verhältnissen als hier von Bis-
312 I^ie Galerie Borghese.
Die mit Nr. 30 bezeichnete „Dreifaltigkeit" ist ein gutes, farbenreiches, durch die Namensbezeichnung des Meisters bejjlaubijjtes Werk des Francesco Bassano. Die sogenannte Geburt eines fürstlichen Kindes (Nr. 35) gehört nicht in die venetianische Schule, der es der Ka- talog einreiht, sondern ist nichts anders als die Copie eines im Pitti-Palast befindlichen Bildes des Scarsel- lino (394) von Ferrara. Es ist wol kaum nöthig zu bemerken, dass die Bilder unter den Nrn. 4, 6, 23, 28, 33 und 38 falsche Bezeichnungen erhielten; das sind lauter Findelkinder.
Im elften Saale begegnet unser Auge unter Nr. 2 dem heiligen Antonius von Padua, wie er den stummen Fischen die Predigt hält, welche die Menschen von Rimini nicht anhören wollten. Dieses Bild wird dem Paolo Veronese selbst zugeschrieben, dürfte jedoch eher Arbeit der Schule sein. Unter Nr. 5 sieht man die rö- mische Lucrezia dargestellt. Das stark gebaute, volle Mädchen hat seine blonden Haare aufgelöst und ist eben im Begriffe, sich die Brust zu durchbohren. Ihr Ausdruck ist gar zu sehr gelassen, ja indifferent für einen so tragischen Augenblick. Das Weib scheint nach dem Leben gemalt zu sein. Der Katalog schreibt es mit Recht der Schule Tizian's zu.^ Diese Lucrezia gehört, nach meiner Ueberzeugung, unstreitig dem Palma vecchio an (f), und zwar jener Epoche des Meisters, in der er sich eng an Lorenzo Lotto ange- schlossen hatte (1510—14).
solo copirt. Der ehrlichere Marconi bezeichnete jedoch seine Copie mit dem eigenen Namen. Das Bild des Rocco Marconi befand sich noch im Jahre 1888 im Besitze des bekannten Anti- quars Comm. M. Guggenheim in Venedig. Auch Giulio Cam- pagnola aus Padua scheint gar manches Bild des Giambellino copirt zu haben (siehe „Archivio storico dell' arte", Fase. V, 184). ^ Wurde neuerdings als Werk des Palma vecchio in den Katalog eingetragen.
Die Venetianer. 313
In der üffizien- Galerie befindet sich vom Palma vecchio eine zweite Lucrezia, die aber einer viel spä- tem Zeit des Malers angehört und auch wol nichts an- ders als das Porträt irgendeines dicken, fetten und ge- rade nicht schönen venetianischen Weibes ist, das ihm auch zu andern Bildern Modell gestanden. Ueberhaupt war die Darstellung solch stürmischer Seelenzustände nicht eben die Sache des trefflichen Bergamasken. Trotz- dem hat er dreimal diesen Gegenstand behandelt, jedes- mal jedoch ohne besonderes Glück. Ausser den eben genannten beiden Gemälden findet sich auch in der Galerie des Belvedere in Wien eine Darstellung der rö- mischen Heldin von seiner Hand.
Das mit Nr. 11 bezeichnete schwache Bild mit Venus, Amor und einem Satyr (Schule Tizian's) scheint mir nichts anders als eine schlechte Copie nach Paris Bor- don e zu sein. Die Nrn. 15, 16 und 18 bezeichnen drei grosse Gemälde, die im Katalog ein und demselben Maler, nämlich dem Bonifa zio Veneziano beigelegt werden. Das erstere, Nr. 15, führt uns die Mutter der Zebedäer vor, wie sie ihre Söhne Christo empfiehlt. Dieses farbenreiche, obwol schmutzige Gemälde scheint mir dem altern Bonifazio Veronese anzugehören.
Auf dem Bilde Nr. 16 sehen wir die „Heimkehr des verlorenen Sohnes" dargestellt; dieses Werk würde ich dem Bonifazio Veronese jun. zuweisen. Die „Ehe- brecherin" (Nr. 18) aber erscheint mir als ein schwaches Atelierwerk; vielleicht ist es auch nur eine ältere Copie. Schon der verstorbene O. Mündler machte in seinem oben angeführten kritischen Büchlein („Beiträge zu J. Burckhardt's Cicerone", S. 62) darauf aufmerksam, dass es in Venedig eine Malerfamilie Namens Bonifazio gab, welche fast durch das ganze 16. Jahrhundert wirkte. Diese Entdeckung verdanken wir jedoch nicht ihm, sondern zwei italienischen Forschem. Der Venetianer Moschini bemerkte nämlich schon in seiner 1815 erschienenen
314 I^ie Galerie Borghese.
y^Guida di Venezia^''^ dass es zwei Maler Namens Boni- fazio gegeben haben müsse, und der vor mehrern Jahren verstorbene Doctor Cesare Bernasconi aus Verona wies in seiner löblichen „Geschichte der veronesischen Malerschule" durch Documente nach, dass wenigstens drei Maler Bonifazio existirt haben, wovon der älteste aus Verona gebürtig, sich jedoch schon in seiner Jugend, wie es scheint, in Venedig niedergelassen hatte, woselbst er im Jahre 1540 verstarb. Der zweite, jüngere Boni- fazio, ein Verwandter, vielleicht Bruder des altern, jeden- falls dessen Schüler und Nachahmer, verschied im Jahre 1553, während ein dritter Bonifazio noch im Jahre 1579 malte. Diese zwei letztern Bonifazio hielten sich strencr an die Mal- und Compositionsweise des erstem, so- dass man, ohne das Auge geübt zu haben, sehr leicht, wie dies ja auch bei den drei oder vier Bassano ge- schieht, die Werke des einen Bonifazio mit denen des andern verwechselt; was übrigens kein grosser Schaden ist. Der zweite oder der dritte dieser Bonifazio mag nun in Venedig das Licht der Welt erblickt haben, und es wäre somit die Existenz eines Bonifazio Veneziano ebenso berechtigt, als es die eines Bonifazio V er onese ist, von welchem letztern schon der „Anonimo" des Morelli spricht. Es ist hier noch zu bemerken, dass der jüngste dieser drei Bonifazio in seinen spätem Wer- ken sich auch als Nachahmer des damals allmächtigen Tizian erweist, während der erste oder grosse Bonifazio unstreitig als Schüler und Nachahmer des Palma vecchio zu betrachten ist. Ich werde bei einer andern Gelegen- heit länger bei dieser Malerfamilie verweilen. Betrach- ten wir für jetzt nur noch das mit Nr. 32 bezeichnete Bild. Dasselbe stellt die Madonna mit dem nackten Kinde dar, welches einer andächtigen Frau den Segen ertheilt; auf den Seiten der heilige Antonius, dessen Ausdruck wahr und seelenvoll ist, und der heilige Hie- ronymus, in der Art Lotto's beleuchtet. Die Maria aber
Die Venetianer. 315
sieht ganz wie ein bergamaskisches Bauermädchen aus. Die Zeichnung ist noch ziemlich gebunden, der Falten- wurf hart und etwas unbeholfen. Es ist dies wol ein Werk des Palma vecchio aus seiner Mittelzeit (1514 — 18) S einige Jahre früher entstanden als das vorzügliche Bild des Palma im Pahist Colonna agli Apostoli.
Die heilige Familie, Nr. 30, gehört nicht, wie der Katalog angibt, der venetianischen Schule an, sondern ist wahrscheinlich die Arbeit des Ramenghi, Bagna- cavallo genannt. Von einem andern Bergamasken und sogenannten Schüler des Giorgione rührt das Madonnen- bild unter Nr. 31 her, welches vom Katalog dem Gio- vanni Bellini zugeschrieben wird.^ Es stellt dar in Halbfiguren: rechts die Madonna, in der Mitte das auf einem Gesimse stehende nackte Christkind, welches dem heiligen Petrus nach links den Segen ertheilt. Ein grauer Vorhang bildet den Hintergrund. Die Zeich- nung ist schwach, die Charaktere sind trivial und bäue- risch, das Kind plump und ohne alle Aumuth in der Be- wegung, die Wolken baumwollenartig. Das Colorit dagegen ist fein und glühend. Wie schon Mündler (Beiträge zu Burckhardt's Cicerone, S. 64) richtig be- merkte, gehört dieses Gemälde dem Bergamasken Gio- vanni Cariani oder besser Giovanni de' Busi, Cariani genannt, an, welcher nach meiner Ueberzeugung Schü- ler seines Landsmannes Palma vecchio und Nachahmer des Giorgione war. Derselbe muss zwischen 1480 und 1490 geboren sein, und zwar in Fuipiano, in der Valle Brembana, bei Bergamo. Im Jahre 1541 war er noch am Leben. Wer diesen trtft'liilicn Coloristcn kennen
* Diese Madonna des Palma vecchio erinnert an jene nut dem bekannten Bilde beim Herzog d' Aumale, mit dem gef<oh- ten Cartellino and der ebenfalls gefälschten Jahrestahl 1500: einem Bilde , das, wie bekannt, dnreh seine falsche Aufschrift eine grosse Yerwiming in die Knnstgesohiohte einzuführen drohte.
' Neuerdings richtig als Cariani bezeichnet.
316 ^^^ Galerie Borghese.
zu lernen wünscht, muss Bergamo besuchen, wo sowol in der städtischen Gemäldesammhmg wie auch in Privat- häusern gar manches gute Bild von ihm zu sehen ist.^ Unter Nr. 33 sehen wir ein grosses Familienbild, auf dem die Porträts einer zahlreichen Künstlerfamilie, wol die des Bernardino Licinio selbst, dargestellt sind. In der Mitte die fette, blonde Mutter in einem weisslichen Kleide mit ziegelrothen Aermeln; sie hält auf ihrem linken Arm den jüngsten Sprössling, noch ein Wickelkind, auf ihrem rechten das zweitjüngste Kind; die andern fünf Knaben, von denen der eine ein Bildhauer zu werden verspricht, sind alle gleich als wie Küchlein um die Henne versammelt; im Hintergrund steht der Vater, es ist der Maler des Bildes. Bernar- dino Licinio von Pordenone stellt sich uns hier un- gefähr als ein Fünfziger dar; der Grund, wie in fast allen seinen Bildern, ist bräunlich-grau. Dieses ganz vor- zügliche Familienbild ist mit dem Namen des Meisters be- zeichnet: B. Lycinj opus. Demselben Bernardino, nicht Bartolommeo, wie der Katalog behauptet, gehört auch die „Santa conversazione", Nr. 42, an. In der Mitte sitzt die Madonna in ziegelrothem Kleide, den Kopf mit einem weissen Tuch bedeckt; sie hält das nackte, jedoch nicht sehr anmuthige Christkind vor sich hin, während der kleine Johannes, auf einem Lamm sitzend, ihm ein Kreuz darreicht. Hinten sieht man noch den heiligen Joseph und die heilige Anna, rechts den hei- ligen Hieronymus und die kniende Katharina; Hinter- grund Landschaft. Auch in diesem wie in allen Ge-
* Von Cariani finden sich auch in Mailand mehrere Bilder: zwei in der Brera- Galerie, eins in der Ambrosiana, eins im Museo civico, eins in der Sammlung Bonomi-Cereda, zwei in der Sammlung Giovanni Morelli, ein männliches Porträt und eine heilige Familie in freier Landschaft. Auch die Gemälde- galerie in Vicenza besitzt ein Madonnenbild des Cariani (I. Saal, Nr. 41). (t)
Die Venetianer. 317
mälden des Meisters finden wir die rosenrothen Lasuren auf dem kalten Inciu-nat, sowie auch seine Lieblings- farben Ziegelroth und Himmelblau. Das' Bild gehört übrigens zu den rohem Arbeiten des Licinio.* Von Ber- nardino besitzt auch die Galerie Sciarra-Colonna, unter dem Namen Giorgione's, eine sogenannte Herodias, (t) Endlich mag noch bemerkt werden, dass Bernardino Licinio keineswegs, wie Mündler meinte, Bruder des Giovan Antonio Regillo da Pordenone war; sein Schüler und vielleicht auch ein Verwandter von ihm mag er wol gewesen sein. Von einem seiner Schüler, dem Francesco Beccaruzzi, befindet sich, meiner An- sicht nach, ein männliches Porträt in der Galerie Sciarra- Colonna unter dem Namen des Carletto Caliari.
Das hübsche Bildchen „Christus im Tempel predi- gend", Nr. 26, gehört einem guten venetianischen Meister aus der Schule des Paolo Veronese an, der hier mit geringen Modificationen ein in der National Gallery zu London befindliches Bild des Pedro Campaiia, eines in Sevilla ansässigen Niederländers, copirte. (f)
Im zweiten Saal dieser Borghese- Galerie ist nahe am Fenster noch ein Porträt aufgestellt, das wol auch in die venetianische Schule gehört, obwol es von einem Sicilianer herrührt. Es trägt die Nummer 54.* Wir
* Die Herren Crowe und Cavalcaselle wagen nicht in ihrem Urtheil so weit zu gehen und erkennen daher in diesem Gem&lde blos „den Stil von Bemardino's Schule'* (II, 294); 0. Mündler (a. a. 0., p. 75) hingegen ist meiner Ansicht. Wie jedoch der- selbe feine Kunstforscher das herrliche Jugendwerk Tizian's im Palast Balbi-Piovera in Genua diesem B. Licinio zuschreiben konnte I ist mir ebenso unbegreiflich wie ebenfalls sein Urtheil über das weibliche Profilportr&t in der Ambrosiana.
* Dieses Bild ging früher unter dem Namen des Giovanni Bellini, ein fernerer Beweis, dass Antonello den Venetianem mehr schuldet als diese ihm. Ein anderes Portr&t und swar ein ganz vorzügliches der letzten 2^it (14S5— 1493) dcs,Antonello befindet sich im Museum von Neapel, ebenfallt unter dem fialiohen
I
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Die Galerie Borghese.
haben hier das Brustbild eines Mannes von einem, mir wenigstens, sehr unangenehmen Ausdruck vor uns. Derselbe trägt ein rothes Kleid und hat eine schwarze Mütze auf dem Kopfe. Das Auge ist, wie in fast allen Bildnissen desAntonello da Messina, dem diesesBild unstreitig angehört, ausserordentlich lebendig, die Fleisch- farbe röthlich- braun, die Augenbrauen mit der Sorg- falt eines Miniaturmalers ausgeführt, der Mund scharf in der Zeichnung. Im Katalog führte das Bild früher, wie schon bemerkt, den Namen des Giovanni Bellini, allein schon Mündler und nach ihm auch die Herren Crowe und Cavalcaselle gaben es seinem wahren Autor zurück. Dem Ausdruck des Mundes nach zu schliessen, scheint dieser Yenetianer eben kein freundlicher und angenehmer Ehegatte gewesen zu sein, doch war er wol ein trefflicher Geschäftsmann. Ein anderes Por- trät, das in demselben Jahre wie das eben genannte entstanden sein mag, befindet sich im Palast Trivulzio in Mailand und trägt ausser dem Namen des Meisters auch die Jahreszahl 1476.
Namen des Giambellino (grosser Saal, Nr. IG), (f) Schon die Ohrform, so verschieden von der bei Giambellino, würde hin- reichen, den Meister zu erkennen. — Die Linienperspective des
Ohr bei Antonello.
Ohr bei Giambellino.
Auges ist in diesem Bildnisse nicht so sehr übertrieben wie in den frühern Porträts des Sicilianers, sodass es vielleicht diesem Umstände seine gegenwärtige Taufe verdanken dürfte.
Die Venetianer. 319
Kehren wir jedoch wieder in den elften Saal zurück, wo noch ein anderes venetianisches Porträt sich vorfindet, auf das ich meine Freunde aufinerksam machen möchte. Es ist dies das Profilporträt eines jungen Mannes, das hier die Nr. 9 fuhrt. Wie man dieses Bildniss demselben Maler zuschreiben konnte, dem man im zehnten Saal das Porträt unter Nr. 1 zumuthete, nämlich dem Giovan Battista Moroni von Albino, ist wahrlich unbegreiflich. Sowie aber jenes Porträt, wie wir bereits gesehen, nichts mit dem trefllichen Bergamasken zu thun hat, so gehört auch dieses Bild im elften Saal auf keinen Fall dem Moroni an^, sondern ist augenscheinlich ein Werk des Girolamo Savoldo von Brescia, eines Schülers, wie es scheint, des Romanino und sodann Nachahmers des alten Giambellino und später besonders des Tizian, (f ) Dieses schöne Porträt verdiente in ein besseres Licht gestellt zu werden, zumal die Bilder dieses ausgezeich- neten Dilettanten selten sind. Die Uffizien-Galerie be- sitzt ein BildcheVi von ihm, die Turiner Pinakothek zwei und die Brera- Galerie sein bedeutendstes Werk.* Ausser diesem befindet sich in Rom noch ein anderes Porträt des Savoldo. Es hängt im ersten Saal der Capi- tolinischen Galerie unter dem Namen des Giorgione imd stellt ein weibliches Bildniss mit den Emblemen der heiligen Margarethe vor. (f)
Treten wir nun in das zwölfte und letzte Zimmer dieser Borghese-Galerie.
* Wurde jetzt auf Savoldo umgetauft.
* Man vergleiche dieses Profilporträt der Borghete-Gtleri« mit dem Profil eine« in der Luft schwebenden Elngels auf dem Brera- bilde des Savoldo. Andere Bilder des Savoldo befinden sich in der städtischen Sammlung von Brescia, in der Kirche S. Maria in Organo zu Verona and in der von S. Oiobbe in Venedig.
320 I^ie Galerie Borghese.
N^ORDISOHE MEISTER.
In diesem eben nicht reichlich mit Licht versehenen Räume finden wir einige kostbare Bilder der hollän- dischen, der vlämischen und selbst der deutschen Schule. Die Aufmerksamkeit und Bewunderung des kunstsinnigen Publikums wird hier vor allem durch ein Bild angezogen, auf welchem Wenzeslaus Peters eine Henne mit ihren Küchlein darstellte, und besagtes Meisterstück mag auch der Galeriedirection ganz char- mant erschienen sein, da sie es nahe ans Fenster und ins beste Licht zu stellen für gut befand. Lassen wir dies Bild beiseite und betrachten wir uns vielmehr die hier vorhandenen Werke hervorragender Meister.
Unter Nr. 44 leuchtet aus dem Dunkeln eine fast lebensgrosse Venus mit Amor uns entgegen. Ausser dem gewöhnlichen Monogramm des treflPlichen deutschen Meisters Lukas Cranach des Aeltern trägt das Bild die Jahreszahl 1531; es ist ganz vorzüglich in der Farbe.
Das kleine Porträt des jugendlichen Karl V. (?) führt die Nr. 26 und den Namen Holbein's. Mir scheint es eher die Arbeit eines Flamländers zu sein.
Auf dem Bilde Nr. 22 erblicken wir das Atelier eines vlämischen Malers, vielleicht dasjenige des altern Fr. Franken selbst. Dieser etwas steifleinene Künstler, dem Herr Director W. Bode die dresdener Copie der Holbein'schen Madonna vindiciren möchte, hat mehrere mal denselben Gegenstand dargestellt. Das Bild hier trägt folgende Aufschrift: FRANS. FRANK INVEN- TUR et fecit.
Wenden wir uns nun zu der gegenüberliegenden besser beleuchteten Wand des Zimmers, so blicken uns da vorerst einige hübsche Bildchen aus der hollän-
Nordische Meister. 321
dischen Schule entgegen. Auf Kr. 9 sehen wir einen Quacksalber in voller Arbeit; es handelt sich darum, eine chirurgische Operation am Oberarm eines unglücklichen Patienten und zwar mit möglichster Bravour auszufüh- ren. Der Bauer, welcher den Worten des Chirurgen traute, sitzt auf einem Sessel im Freien und brüllt unter dem Messer des Herrn Professors laut auf, während eine alte Frau, als Gehülfin des Chirurgen, dem Mär- tyrer Muth und Vertrauen in sein Geschick zuspricht. Der Katalog schreibt dies joviale Bildchen dem A.Brower mit grossem Unrecht zu, da ja der wahre Name des Malers auf dem Bilde selbst zu lesen ist, nämlich: G.Lun- ders 1648. In diesem Gemälde hat Gerrit Lunders offenbar den Brower nachzuahmen getrachtet, während er acht Jahre später in seinem Bilde der Dresdener Galerie vom Jahre 1656 den Dusart oder, wenn man lieber will, den A. Ostade selbst sich zum Muster ge- nommen hatte und in einem guten Bildchen der einst Ilausmann'schen Sammlung in Hannover (Nr. 283) (?), ebenfalls eine chirurgische Operation vorstellend und vom Jahre 1660, den Metsu und Mieris nachahmte. Gehen wir zu Nr. 10 über: „Opera d** un Fiammingo" meinte der frühere Katalog. Wenn ich aber den Herren Galeriedirectoren in Italien sagen würde: „Meine Herren, es ist nicht das Werk eines Fiammingo, wol aber eines Holländers", so würden dieselben achs^lzuckend ant- worten: „^ tutf uno''^^ d. h. es ist ein und dasselbe. Und den italienischen Galeriekatalogen zufolge ist^s aller- dings ganz dasselbe, denn in Italien scheint man aus Holland blos die Heringe und den Stoccofisso zu ken- nen. Was stellt aber diese y^Opera (Tun Fiammingo^^ vor? Schwer zu sagen. Wir sehen hier sechs Kriegsmänner in verschiedenen Attitüden, was sie aber eigentlich wollen und treiben, das konnte ich wahrlich nicht er- rathen. Es ist übrigens ein recht gutes Bildchen aus der Harlemer Schule des Frans oder Dirk Hals und sieht
LBEXOLtsrr. 21
322 ^i® Galerie Borghese.
man genauer nach, so entdeckt man auch den Namen des Malers, der kein anderer ist als Pieter Codde, über dessen Werke Herr Director Bode in seinem Buch: „Frans Hals und seine Schule" uns hinlänglich und mit Sachkenntniss belehrt hat.^ Das andere Bildchen daneben, Nr. 8, zeigt uns das Innere einer vlämischen Dorfschenke mit einem Bauern, der gemüthlich vor seinem Bierkruge sitzt, während die andern Schenk- und Gesinnungsgenossen hinten am Herde sich wärmen. Es ist, wie ich glaube, blos Atelierarbeit; eine Copie dieses Bildchens besitzt unter Nr. 28 die Galerie Cor- sini in Rom.
Oberhalb dieses Teniers'schen Bauern hängt unter Nr. 1 ein gekreuzigter Christus, den der Katalog dem A. van Dyck zuschreibt. Auch dieses Bild dürfte jeden- falls blos Copie sein, wie auch die „Kreuzabnahme", Nr. 7 , nur das Werk eines Nachahmers des steif ele- ganten van Dyck ist. Die im Freien badenden nackten Weibspersonen, Nr. 2, müssen, statt dem Poelenburg, dessen Nachahmer A. Cuylenborch zugeschrieben wer- den, (f) Die weidenden Kühe, die unter Nr. 22 dem P. Potter zugedacht sind, werden jedem Sachkundigen sogleich als moderne Copie erscheinen. Als echt dürfte dagegen das dem Pieter Wouwerman zugeschriebene Bildchen betrachtet werden; ich wenigstens finde es zu fein im Tone, um Copie zu sein. Daneben hängt eines der vielen, ziemlich langweiligen Seestücke von Ludolf Backhuysen.
^ Werke von P. Codde sind nicht selten in italienischen Sammlungen ; in Mailand allein sind deren drei : eines im Palast Trivulzio, eines in der Sammlung des verstorbenen Grafen Lodo- vico Belgiojoso, ein drittes in der Sammlung Bonomi-Cereda.
Giorgione. ^3
Die sonstigen mehr oder weniger unbedeutenden Bilder, welche noch in diesem Zimmer aufgestellt sind, will ich der Kürze halber übergehen imd will dafür imsere Musterung mit der eingehendem Besprechung eines Porträts schliessen, das unter Nr. 30 im zweiten Saal der Galerie sich befindet und das seit langer Zeit schon meine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog.
Im Katalog wird dieses wunderbare Frauenbildniss als von der Hand eines unbekannten Meisters dem Pub- likum präsentirt. Das Bild stellt eine noch junge Frau von etwa 28 Jahren vor. Ihre intelligente kurze Stirn wölbt sich leicht über zwei schwarze Augen von leiden- schaftlich feurigem Blick; das braunschwarze Haar ist an den Schläfen ungefähr so geordnet wie das des Malteserritters in der Uffizien- Galerie; das dunkle Kleid hat an den Aermehi harte Längsfalten. Sie steht vor einer steinernen Fensterbrüstung, hält mit beiden Händen ein weisses Tüclilein und schaut dabei mit sehnsuchtsvoll träumerischem Blick in die Ferne, gleich als ob sie jemand, den sie erwartet, zu erspähen trachtete. Die einfache Auffassung dieser mysteriösen Frau verräth einen grossen Künstler; wer kann es sein? Bevor ich dies 80 sehr ansprechende Bild mit kritischen Auge mir an- sah, vermuthete ich den Dosso Dossi darin zu erkennen, allein der dunkle Grund, die steinerne Fensterbrüstung, die Einfachheit der Darstellung selbst, schienen mir den ferraresisch-venetianischen Maler auszuschliessen. So- dann dachte ich an den jungen Sebastiano Luciani, jedoch auch für diesen Meister erschien mir das Bild zu tief- sinnig aufgefasst und auch die Form der Hand noch zu quattrocentistisch. Eines Tages jedoch, als ich wieder fragend und entzückt vor dem mysteriösen Bilde stand, begegnete mein eigener Geist dem des Künstlers, welcher aus diesen weiblichen Zügen heraussah, und siehe da, in der gegenseitigen Berührung zündete es plötzlich wie ein Funken und ich rief in meiner Freude aus:
21 •
324 I^ie Galerie Borghese.
Nur du, mein Freund, Giorgione kannst es sein, und das Bild antwortete: Ja, ich bin's.
Dieses Auge mit den leicht geschwungenen Brauen, mit -dem tiefen, sehnsuchtsvollen, mysteriösen Blick, die geradlinige, niedere Stirn, der feine Mund, sie alle sprechen für den Giorgione, sie sind gerade so model- lirt wie die des Malteserritters in Florenz. Leider sind einige Stellen am Hals und an der Brust des Bildes retouchirt, im übrigen ist jedoch das Gemälde gut er- halten. Das reizende Weib trägt auf dem Kopf eines jener braun-gelblichen Häubchen, wie man solche nicht selten auf den Madonnenbildern aus der Frühzeit Ti- zian's gewahrt. Je öfter ich nun seitdem vor dieses Frauenbild zu stehen kam, desto mehr hatte es jedes- mal mir zu sagen. Was die Auffassung anbetrifft, scheint es mir ein Wunderwerk der Kunst zu sein. Nur ihm, dem Giorgione, gelang es, solche Porträts, die uns so viel zu sinnen, so viel zu ahnen geben, mit solcher Einfachheit auf die Leinwand zu zaubern! (f)
Mit diesem neuen Werk Giorgione's, das ich hier- mit den Freunden italienischer Kunst vorzustellen die Freude habe, seien nun unsere Besprechungen der Bilder dieser Borghese-Galerie abgeschlossen.
n. DIE GALERIE DORIA-PANFILI.
uf das lange Pontificat PauFs V., aus dem Hause Borghese, folgte das um etliche Jahre längere 'Urban's VIII., aus dem Hause Barberini. Man konnte demnach vermuthen, dass, wie die Galerie Borghese nicht nur der Zeit sondern auch der Be- deutung nach der erste Platz gebührt, der zweite Ehrenplatz in der Rangordnung der römischen Gemälde- sammlungen von derjenigen des Hauses Barberini ein- genommen würde. Dem ist jedoch nicht so.
Urban YIIL hat bei der Besitznahme der Schlosser der Herren von Montefeltro und della Rovere wol auch manches Kunstwerk nach Rom in die Barberini'schen Paläste bringen lassen, unter andern auch die neun Tafelbilder mit dem Apoll und den acht Musen ^, so-
* Diese nenn Bilder wurden von Baldi (Vita e Fatti dt FedericOy duca di ürbino) dem Timoteo-Viti zugesohrieben. Sie hingen, als ich dieselben zum ersten mal sah, hoch in einem überdies dunkeln Saal und kamen mir damals als Arbeiten des mythischen Francesco Bianchi vor, den ich unbesonnenerweise lange Zeit mit dem Ferraresen Cortellini Terweohselte. „Es irrt der Mensch, so lang er strebt/* Nach dem vor wenigen Jahren erfolgten Tode des Fürsten Barberini, Duca di Castelvecchio, kamen, nebst andern, auch diese Bilder in die Galerie Corsini zu Florenz. Dort bei Lichte besehen erschienen mir zwei jener Tafeln wirklich als Werke des Timoteo: Apollo und eine Muse (wie Vasari berichtet); die übrigen Mohs (eine Mose fehlt) rühren,
328 I^i® Galerie Doria-Panfili.
wie ebenfalls jene Reihenfolge „berühmter Männer des Alterthums", die einst den grossen Bibliotheksaal im Schlosse von Urbino zierten und deren eine Hälfte im Palast Barberini, die andere im Louvre aufgestellt ist ^ ;
meiner jetzigen Ansicht nach, von mehrern und zwar viel schwächern Malern aus der Schule des Giovanni Santi her. Eine getuschte Zeichnung, welche als Vorlage zu einer dieser Musen diente, befindet sich, unter dem Namen des Botticelli, in der Sammlung von Windsor. (Grosvenor Gallery Nr. 17.) Ist nun diese Zeichnung wirklich, wie ich anzunehmen geneigt bin, von der Hand des Giovanni Santi, so dürfte man hieraus die Folgerung ziehen, dass der Vater Eaffael's auch bei Fiorenzo di Lorenzo in die Lehre gegangen ist. (f)
^ Bei der Theilung des Besitzthums der Familie Colonna- Barberini kam die eine Hälfte der Bilder an das Haus Sciarra- Colonna (14 an der Zahl), die später alle an den Herrn Campana verkauft und sodann mit der ganzen Sammlung Campana vom Kaiser Napoleon III. für den Louvre erworben wurden. Die Barberinische Hälfte (15 Stück) ist bisjetzt noch immer in den Wohnzimmern des fürstlichen Palastes aufgestellt. Auf diesen letztern Tafelbildern sehen wir dargestellt : Homer, Scotus, Cicero, Petrarca, Moses, Hippokrates, Salomo, Bartolus, Euklides, Alber- tus Magnus und zwei andere, deren Namen ich mich nicht mehr entsinne, endlich das Porträt Friedrich's von Montefeltro, im Panzer und Herzogsmantel auf einem Throne sitzend. Der greise Herr mit der übergrossen Adlernase hält mit beiden Händen ein grosses Buch vor sich hin, während sein Söhnlein Guido- baldo (geboren 24. Januar 1471; der Knabe sieht auf diesem Bilde etwa vierjährig aus) auf ein Knie gestützt dem Vater den her- zoglichen Scepter vorhält. Dieses letztere grössere Bild schien mir besser als die andern erhalten, allein von derselben Hand wie die übrigen gemalt zu sein, d. h. von der des Justus von Gent. Dieser Justus (Josse Sneevoet) war vom Jahre 1464 bis zum Jahre 1476 in Urbino ansässig und hinterliess dort, ausser den angeführten Tafelbildern mit den Porträts berühmter Män- ner, auch noch ein sehr mittelmässiges „Abendmahl", das nun seit dem Jahre 1865 in der Akademiesammlung von Urbino sei- nen Platz gefunden hat. Dass in einigen jener Tafelbilder auch die Hand des Girolamo Genga wahrzunehmen sei, wie dies die Herren Crowe und Cavalcaselle (II, 565) behaupten, kann
Justus von Gent. 329
im übrigen aber scheinen die Nepoten jenes Kirchen- fiirsten sich nicht besonders um die schönen Künste bekümmert zu haben.
Statt der Barberini'schen nimmt viehnehr die Doria- Panfili'sche Bildersammlung den zweiten Platz unter den römischen Galerien ein. Kurz nach dem Tode Urban's VIII. (1644) gelangte der Cardinal Giovan Battista Panfili, unter dem Namen Innocenz X., auf den päpstlichen Stuhl (29. September 1644). Die Schwägerin dieses Papstes, Donna Olimpia, eine ge- borene Maldachini aus Viterbo, war, wie man sagte, eine prachtliebende und herrschsüchtige Frau, die also wol schwerlich geduldet haben würde, dass das eigene Haus irgendeinem andern Haus in Rom nachstehe. Eher als dem Kunstsinn mag demnach, wie schon be- merkt, auch diese Sammlung ihre Entstehung der Mode sowie der Prunksucht jener sonst sehr habgierigen Frau zu verdanken haben. Einige der bedeutendem Bilder dieser Sammlung stammen jedoch aus der Zeit des
ich in keinem Fall zugeben, und zwar vor allem deshalb nicht, weil ich in keinem einzigen jener 29 Gemälde Spuren von der Art und Weise des Genga zu sehen im Stande war, und zwei- tens weil ich vermuthen muss, dass die obengenannten Decora- tionsstücke im Jahre 1476, dem Geburtsjahre Genga's, bereits vollendet waren. Und da ich hier auf den Maler Justus von Gent zu sprechen kam, so will ich diese Gelegenheit benutzen, um einen weitem Irrthum zu berichtigen, der in unserm Jahrhun- dert mit so vielen andern sich in die Kunstgeschichte einge- schlichen hat. Mehrere neuere Kunstschriftsteller, unter andern auch der federgewandte Monsieur Alfred Michiels {Histoirt dt la pcinture flamande, III, 149), haben nämlich diesen Justus von Gent mit jenem Justus deAlemania identificirt, der im Klosterhof von S. Maria di Castello in Genua im Jahre 1451 die „Verkündigung** auf die Wand malte. Dieser letztere Justus ist kein Flamländer, sondern ein Schwabe aoa Ravens- burg, und hat daher mit dem Justus von Gent, der erst 1464 nach Italien kam, gar nichts zu sohafifen.
330 I^ie Galerie Doria-Panfili.
grossen Aduiirals Andrea Doria und wurden erst später von Genua nach Rom gebracht. Wenn also die Galerie Doria Panfili, was Zahl und Bedeutung der Gemälde anbetrifft, sich auch nicht mit derjenigen des Fürsten Bor- ghese messen darf, so hat sie doch wenigstens vor der letztern das voraus, dass ihre Räume, wenn auch kein besseres, so doch immer volleres Licht haben, als jene Kellerräume, in denen die Borghesischen Bilder einge- kerkert scheinen. Was Licht und verniinftige Auf- stellung und Ordnung anbelangt, so kann man wol von den meisten öffentlichen Bildersammlungen Italiens sagen, dass keine Grund hat i'iber ihre Schwestern sich zu erheben. Im ganzen können alle von sich selbst sagen: Wir haben keine Ursache uns gegenseitig zu beneiden, wir alle tragen ja dasselbe Los, das Un- wissenheit und unverantwortliche Indifferenz uns be- schieden haben.
Im dem grossen Vorsaal, der in die den Bildern überlassenen Zimmer und Gänge des fürstlichen Palastes führt, finden wir unter manchen andern unbedeutenden Productionen der Kunst des 17. Jahrhunderts mehrere trefflich componirte Landschaften desGasparo Dughet, auch Poussin genannt; ein grosses, ziemlich triviales „Opfer desNoah" vonPietro daCortona; eine „Sünd- flut" von Scarsellino; eine Landschaft mit reicher Staffage von Battista Dossi, dem Bruder des Gio- vanni, sowie andere Decorationsstücke. Allein die ita- lienische Kunst des 17. Jahrhunderts muss, für dies- mal wenigstens, aus unserm Studienplan wegfallen.
Ehe wir aber diesen Saal verlassen, ist es mir un- möglich, meine Begleiter nicht einzuladen, eine Weile vor dem Velasquez'schen Porträt des Papstes Panfili still zu halten. Es ist dies ein weltberühmtes Bildniss des grossen spanischen Künstlers und wol auch des originellsten aller Porträtmaler der Welt.
Karl Justi, der geistvolle und gediegene Kunst-
Diego Velasquez. 331
Historiker, bemerkt in seiner gelehrten und muster- gültigen Monographie über „Diego Velasquez und sein Jahrhundert" (II, 183), dass „wie zu Hause dem grossen Maler wunderlicherweise der unheimlichste aller Minister- köpfe, der uninteressanteste aller Fürstentypen beschie- den war, ihm in Rom der abstossendste Kopf unter den Nachfolgern des Menschenfischers zufiel". Und in der That, in diesem Papstgesicht findet sich auch nicht ein Zug weder jener gelehrten Feinheit, noch jener welt- männischen Vornehmheit, die wir gewohnt sind in den Köpfen der meisten Kirchenfürsten aus jener Zeit zu sehen. Der Typus dieses Papstes ist unbedeutend, ja vulgär; sein Blick ist der eines verschmitzten Advo- caten. Man ist froh, wenn man diesen abstossenden Blick vergessen hat. Und doch war Innocenz X. trotz seines verschlossenen, mistrauischen Charakters der Spielball seiner Schwägerin Olimpia. Wie lässt sich dies erklären? Unter allen Bildnissen, mit Ausnahme von einigen der vorzüglichsten Rembrandt's, düi-fte diesem Papstporträt des Valasquez wol kein anderes aus jenem Jahrhundert vortheilhaft an die Seite gestellt werden. Hat man nun im ^^hlue hoy^^ des Gainsborough ein blaues, in jenem männlichen Porträt von der Iland des Paul Veronese im Palast Colonna ein grünes Porträt, 80 gab uns hier Velasquez ein rothes. Dürfte man einigen sachkundigen Kunstfreunden unbedingt ver- trauen, so hätten wir in Rom noch ein anderes Bild- niss des grossen Spaniers und zwar sein Selbstportrat. Es hängt unter den Bildern der Capitolinischen Samm- lung. Ich selbst bin mit den spanischen Malerschulen zu wenig vertraut, um in dieser heikeligen Streitfrage ein Urtheil mir erlauben zu dürfen, zumal der grosse Kenner des Velasquez, Professor Karl Justi, selbst sich scheute, mit Bestimmtheit darüber sich auszusprechen. Dies letztere Bildniss müsste jedenfalls der ersten Manier des Velasquez angehören.
Die Galerie Doria-Panfili.
Treten wir nun ein in den zweiten Saal der Galerie. Und da in dieser Sammlung die Venetianer besonders reichlich vertreten sind, so möchte ich diese Gelegen- heit nicht voriibergehen lassen, ohne mich etwas länger bei den Werken derselben aufzuhalten, in der ffuten Absicht, das wenige, was ich über dieselben zu sagen weiss, meinen wissbegierigen Freunden mitzutheilen ; was mich übrigens keineswegs abhalten soll, auch dieses oder jenes Werk aus andern Malerschulen mit ihnen zu besprechen. Um diesem Vorsatz sogleich Genüge zu thun, will ich hier zunächst von einigen florentinischen Bildern reden, denn unter allen in diesem zweiten Zim- mer aufgestellten Bildern leuchten uns besonders drei in die Augen, die nicht venetianischen, sondern floren- tinischen Ursprungs sind; ich meine die trefi'liche „Ver- kündigung", ein Werk aus der Frühzeit des Fra Fi- lippo Lippi, und an den Seiten derselben die beiden Bildchen seines Schillers Pesellino.
FRANCESCO PESELLINO. Francesco Pesello, il Pesellino genannt, so ge- nannt um den Meister von seinem Onkel Giuliano Pesello zu unterscheiden, wurde 1422 in Florenz ge- boren und starb 1457 daselbst, also kaum 35 Jahre alt. Gewiss müssen auf ihn, wie auf 'die meisten Florentiner aus der guten Zeit, die Wandgemälde des Masaccio im Carmine einen grossen und bleibenden Eindruck ge- macht haben, und davon kann sich jedermann über- zeugen im Hinblick sowol auf die Einfachheit der Dar- stellung wie auf manch einzelne Figur in den Bildern Pesellino's. Als sein wahrer Lehrer muss jedoch Fra Filippo, wie Vasari uns berichtet, angesehen werden. Dies schliesst aber nicht die Vermuthung aus, dass Pesellino die Anfangsgründe seiner Kunst von seinem Onkel Giuliano erhalten haben könnte. Und in der That gewahrt man, scheint mir, in Pesellino's Längs-
Francesco Pesellino. 333
tafel in der Casa Buonarotti in Florenz, wol das älteste mir bekannte Werk des Meisters*, eine Art und Weise, die durchaus nicht die des Fra Filippo ist. Vasari schreibt zwar mit Unrecht jenes Bild dem Giuliano selbst zu, allein es könnte doch sein, dass Pesellino es unter der Leitung seines Onkels ausgeführt hätte. Von Giuliano Pesello ist, soviel ich weiss, kein beglaubigtes Werk auf uns gekommen.^ Da nun Vasari uns von einer „Anbetung der Könige", die Giuliano gemalt haben soll, berichtet, so glaubte der gute Pater Lanzi dieses Bild in einer denselben Gegenstand vorstellenden Tafel der üffizien- Galerie entdeckt zu haben, und die Herren Crowe und Cavalcaselle trugen sonderbarer- weise kein Bedenken, dem Lanzi darin beizustimmen und jenes Bild uns als Werk Giuliano's zu präsent i reu. ^
* Dieses Bild, welches früher in der Kapelle Cavaloanti in S. Croce war, stellt Wunderthaten des heiligen Nikolaus von Bari vor.
' Eine Längstafel, die aus dem Palast Ruocellai in die Samm- lung von Giovanni Morelli gelangte und auf welcher die Ueber- gabe einer befestigten Stadt an einen florentinischen Feldhaupt- mann dargestellt ist, könnte vielleicht von Giuliano Pesello her- stammen. Der landschaftliche und architektonische Hintergrund auf jenem Gemälde erinnert sehr lebhaft an die Art und Weise des Pesellino, während die jugendlichen und höchst unschuldigen Gesichtstypen der Kriegsleute mehr an Fra G. Angelico gemah- nen, die Gestalt der Rosse aber die Pferderasse des Paolo Ucoello uns ins Gedächtniss ruft.
' Die neuere Direction der Galerie, besser berathen als die ältere, hat nun jenes Bild (Nr. 26) nach meinem Vorschlag sei- nem wahren Autor, d. h. Cosimo BosselH, zurückerstattet Herr Direotor W.Bode fährt demungeacbtet fort, auch in diesem Punkt seinen Gewährsmännern Crowe und Cavalcaselle recht und mir unrecht zu geben, und ich habe natürlich nichts dagegen ein- zuwenden. Was jedoch die neue Firnismalerei anbetrifft, die der berliner Gelehrte auch in diesem Gem&lde wahrnimmt und auf die er ein grosses Gewicht tu legen scheint, so dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach dieselbe — ebenso wie die ,,Oel:
I
334 I>ie Galerie Doria-Panfili.
Betrachten wir uns nun etwas genauer die zwei Bildchen, die von diesem bisher sehr verkannten und doch, wie mir scheint, so überaus talentvollen florentiner Meister in diesem Saale aufgestellt sind. Diese Bilder haben die Nummern 29 und 39. Das eine davon stellt Papst Sylvester in Gegenwart des Kaisers Maximilian vor, das andere Papst Leo IV. im Begriff einem bösen Drachen Fesseln anzulegen, um ihn unschädlich zu machen. Beide Tafelbildchen erhielten hier den richti- gen Namen des Autors und gehören, wie mir scheint^ der spätem Wirkungszeit des Meisters an.
In der unmittelbaren Nähe dieser zwei florentini- schen hängen zwei andere kleine Bildchen, die wunder- licherweise im Katalog dem grossen Yeronesen Vittor Pisano, Pisanello genannt, zugeschrieben sind. Das eine derselben stellt die „Geburt", das andere die „Ver- mählung Maria" vor. Täusche ich mich nicht, so sind beide Bilder Erzeugnisse der Schule von Siena und dürften vielleicht dem Bartolo di Maestro Fredi an- gehören, (f) Unerklärlich war es mir immer, wie das sonst so feine Kennerauge des verstorbenen O. Mündler in diesen schwachen Bildern nicht nur die Art und Weise^ sondern selbst den Farbenton des Pisanello zu sehen vermeinte. (Siehe a. a. O., S. 6.)
Kehren wir jedoch zu Pesellino zurück. Seine Werke sind von der grössten Seltenheit. Trotz meiner lang- jährigen Nachforschungen ist es mir nicht geglückt, ausser den zwei eben genannten Bildern, mehr als etwa ein Dutzend Werke aufzufinden, die man mit Sicher- heit ihm zuzuschreiben ein Recht hätte. Ich will die- selben hier anführen.
mal er ei" auf der „Taufe Christi" des Verrocchio, die Herr Bode dem jungen Lionardo da Vinci zuschreiben möchte — von kei- nem andern Meister herrühren, als von dem Restaurator, der durch seinen Firnis und durch sein Oel jene beiden Bilder in später Zeit verunstaltet hat.
Francesco Pesellino. 335
Als das älteste unter diesen Werken Pesellino's sehe ich, wie schon gesagt, die Längstafel im Hause Buo- narotti an.
Ebenfalls aus seiner Frühzeit, indessen schon ganz und gar in der Weise des Lehrers Fra Filippo Lippi, scheint mir die kleine, von Vasari citirte Tafel in der Sammlung Morelli in Mailand zu sein; ^^fece ai /an- ciulli della Compagnia dt S. Giorgio un S, Girolamo e nn S. Francesco'-'' (Vasari, IV, 183). Mitten in einer Felsschlucht kniet der heilige Hieronymus vor einem Todtenschädel, in der Rechten einen Stein, in der Linken ein Crucifix haltend. Der obere Theil seines Korpers ist entblösst, den untern bedeckt der rothe Cardinals- mantel. Unten an der Felsschlucht sitzt ein anderer Mönch im grauen Ordenskleide und spielt mit einem Löwen, neben dem eine Löwin kauert, ihren Blick auf den heiligen Hieronymus gerichtet. Hinter den Felsen sieht man das rothe Dach des Klosters hervorschauen. Alles in diesem Bilde ist noch sehr jugendlich und naiv, sowol in der Darstellung als in der Ausfuhrung; der Kopf des heiligen Hieronymus ist seinem Lehrer Fra Filippo entlehnt.
In derselben Morelli'schen Bildersammlung befindet sich ein anderes Tafelbild Pesellino's, worauf ein Floren- tiner aus der sogenannten ^^borghesia grassa''^ (dem fetten Burgerstand), d. h. ein Patricier, dargestellt ist, wie er, von Demokraten angeklagt, vor den auf hohem Thronsessel sitzenden Richter geführt wird. Auch dieses durch Lebendigkeit der Darstellung und Schärfe der Charakteristik ganz ausgezeichnete Bild trägt an der Stirn noch immer den Stempel des Lehrmeisters Fra Filippo.
In eine nicht viel spätere Wirkungszeit des Pesel- lino dürften auch die drei Täfelchen im Palast Ales- sandri in Florenz gesetzt werden.- Das eine davon stellt Simon den Zauberer dar, das andere PauFs Be-
336
Die Galerie Doria-Panfili.
kehrung, das dritte den heiligen Zenobius, welcher den todten Sohn einer Witwe wieder ins Leben ruft.
Von den zwei vorzüglichen^ Längstafeln, die, einst vereint, den Altaraufsatz (Predella) eines grossen Bildes des Fra Filippo bildeten, befindet sich die eine noch im Besitz der florentinischen Akademie, die andere wurde nach Frankreich entführt und ist jetzt unter Nr. 287 im Louvre ausgestellt. Auf der erstem dieser Tafeln sind das Präsepium, eine Wunderthat des heiligen Antonius und der Märtyrertod der heiligen
Der heilige Antonius der Wnnderthäter (Akademie zu Florenz).
Cosmas und Damianus dargestellt; auf der letztern die- selben zwei Heiligen Cosmas und Damianus, wie sie als Aerzte einem Kranken beistehen, und endlich der hei- lige Franciscus mit den Wundmalen.
Zu den Arbeiten der Spätzeit unsers Meisters würde ich eine grössere Längstafel rechnen, auf welcher, nach der bekannten Novelle des Boccaccio, die Vermählung der
^ Schon Pater Lanzi bemerkte mit Recht über diese Predella : ^,che Vistorico (d. h. Vasari) chiamb maravigliosissima, e forse non la lodb per quel secolo oltre ü dovere" (I, 103).
Francesco Peselliüo. 337
Griseldis mit dem Marchese di Saluzzo dargestellt ist. Dieses köstliche Bild gelangte aus dem Palast Gherardi in Florenz in die Sammlung des Herrn Giovanni Mo- relli. Es ist dies wol eine der charakteristischsten und auch anziehendsten Darstellungen, die wir von dem geistreichen, feinen und stets liebenswürdigen Erzähler Pesellino besitzen. In diesem Werke ist der Meister ganz er selbst und wir sehen hier kaum noch Spi»en von Erinnerungen an seinen Lehrer Fra Filippo, ebenso wenig wie in den zwei andern ebenfalls höchst feinen Längstafeln mit dem Sieg und dem Triumph David's, in der Sammlung der Familie Torrigiani in Florenz. Die zwei letztern Tafelbilder werden zwar dort noch immer dem Benozzo Gozzoli zugetheilt, dürften jedoch, wie ich meine, jedem Kenner der florentinischen Maler- schulen sogleich als Werke unsers Pesellino sich er- weisen. * (f)
Ausser diesen dreizehn soeben angeführten Werken Pesellino's befindet sich noch ein grosses Tafelbild in der National Gallery zu London, das man dort mit um 80 grÖsserm Recht unserm Meister glaubt zuschrei- ben zu dürfen, als jenes Bild bereits von Vasari als Werk des Pesellino citirt worden ist (IV, 182). Auf demselben ist die Dreieinigkeit mit den heiligen Jacobus und Zeno dargestellt. Das Bild war ehedem in einer Kirche von Pistoja. Ich gestehe jedoch, dass es mir unmöglich ist, in jenem Gemälde den Geist und noch viel weniger die Art und Weise des Francesco Pesello wahrzunehmen, und ich vermuthe daher, dass es wol eher die Arbeit des Piero di Lorenzo Pratese, des Gehülfen Pesellino's, sein dürfte. Auch hat, soviel mir
* Herr Direotor W. Bode (11, 575) steht vor diesen zwei Bildern wie Heroales am Sobeidewege, er weiss nämlich nioht, ob er sie dem Pesellino nehmen oder ob er sie ihm lassen soll. LsBHouvnr. 22
338 I^ie Galerie Doria-Panfili.
bekannt ist, Francesco Pesello sich nie in der Dar- stellung grosserer Figuren versucht.^
Von diesem seltenen, durch und durch florentinischen Meister mögen wol noch andere Bildchen in den Privat- sammlungen Europas sich vorfinden; doch da ich die- selben nicht gesehen habe, bin ich nicht im Stande darüber zu berichten.
In Erwägung nun, dass Neulinge in der italienischen Kunstwissenschaft nicht selten Gefahr laufen, Werke des Pesellino mit denen seines Lehrers Fra Filippo oder gar mit denen seines Zeitgenossen Benozzo Gozzoli, wie dies den Herren Crowe und Cavalcaselle erging (III, 107), zu verwechseln, sei es mir erlaubt, in aUer Kürze einige für unsern Meister höchst charakteristische Merkmale hier anzuführen.
Die Figuren Pesellino's sind stets fein und schlank und von grosser Anmuth, im Gegensatz zu den vollen, nicht selten klotzigen Gestalten seines Lehrers Fra Fi- lippo, mit dem man ihn zuweilen verwechselt.
Pesellino hat eine besondere Vorliebe für die graue, blaue und violette Farbe.
Die Form der Hände bei ihm ähnelt der plumpen Form der Hand bei Fra Filippo, sowie auch der Typus mancher Köpfe in den Bildern aus seiner Frühzeit.
Das Ohr hat bei Pesellino eine zwar rundliche, allein doch immer länglichere Form als bei Fra Filippo und charakteristisch an demselben sind die sehr scharf mit dunkelbrauner Farbe bezeichneten Contouren des äussern Ohrrandes oder der sogenannten Helix.
^ Allerdings sieht man in der Uffizien-Galerie, unter Nr. 25, eine „Verkündigung" ausgestellt, welches Bild früher den Namen des Giuliano Pesello führte, neuerdings aber dem Neffen Pesellino zugeschrieben wurde. Allein jenes Gemälde gehört untrüglicher- weise dem Allesso Baldovinetti an, was selbst Herr Director W. Bode zugibt (II, 576).
Die y«netiAner: GioTanai Belli dl 3S9
Bemerkenswertii sind bei ihm ebenfalls die zwei oft wiederkehrenden (besondere am Ellenbogengeleiik) run- den Falten.
Der Fussboden ist auf seinen Bildern gewöhnlich ziegelroth- lich, die Säulen an den Gebäuden grünlich, die Dächer an den Iläu- serB hochroth. Wie wir also ge- m sehen, befinden sich die bekann- Im/- l^/ /// ten, auf uns gekommenen Werke ^ y^S^X^^ dieses überaus anmuthigen Mei- ^^"''^ sters fast sämmtlich in Italien,
nämlich zwei in Rom, sieben in Florenz, drei in der Sammlung Morelli in Mailand, eins im Louvre und eins aus der Werkstatt Pesellino's in der National Gallery in London.
DIE VEÜTETIANER
Kach dieser Abschweifung gehen wir nun, unserm Vorhaben gemäss, an die Betrachtung der sowol in dieser als auch in andern Galerien Roms ausgestellten Werke der venetianischen Malerschulen. Dieselben sind hier nicht zusammengestellt wie in der Borghese-Galerie, sie hängen vielmehr zerstreut in den verschiedenen Sälen und Gängen, welche in diesem fürstlichen Palast als Bildergalerie dienen. Suchen wir also diesellMB auf in Geduld und Triebe und beginnen wir unsere Mustemng mit den Werken der Altmeister, deren Namen wir im Katalog der Sammlung angefulirt finden, nämlich mit denen des Giovanni Belli »li mm'I des Andrea Mantegna.
GIOVANNI BELLINI.
Keine unter den hervomigeiideii Sammlungen Eu- ropas mochte heutzutage den Naneo des Giambeüino
22*
340 Die Galerie Doria-Panfili.
in ihrem Katalog vermissen, und doch dachte man seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bis etwa um die Mitte des unserigen kaum noch an denselben, wenn von den venetianischen Malern die Rede war, sondern man hatte da nur Sinn für seine grossen Schüler und Nachfolger: den Giorgione, den Tizian vor allen andern, den Sebastiano del Piombo, den Palma vecchio, den Paris Bordone, den Tintorretto, den Paolo Veronese. Ueberdies war Giambellino in den letzten drei Pecennien seines Lebens dermassen mit der Ausführung grosser Werke, sei es für den Senat sei es für die Kirchen seiner Vaterstadt in Anspruch genommen, dass selbst die kunstliebende Markgräfin von Mantua, Isabella Gon- zaga, trotz ihrer directen und indirecten Bitten und Mahnungen, lange Jahre warten musste, bis sie endlich das ihr vom Meister versprochene Bild erhielt.^ Diesem Umstand ist es denn auch zuzuschreiben, dass damals Werke des Meisters ausserhalb seiner Vaterstadt Venedig, selbst in Italien, eine grosse Seltenheit waren. Denn mit Ausnahme einer für Sigismondo Malatesta von Rimini gemalten „Pieta", der grossen Altartafel für die Fran- ciscaner von Pesaro, des Bacchanals für den Herzog von Ferrara, des Altarbildes für die Kirche von Santa Co- rona in Vicenza und eines reizenden Madonnenbildes für ein Nonnenkloster in Alzano bei Bergamo 2, wüsste ich
^ Siehe darüber: Gaye, Carteggio d'artisti, II, 71 — 82. Die Briefe datiren aus den Jahren 1505 und 1506.
" Das schöne Bild mit der „Beweinung Christi" ist gegen- wärtig im Stadthause von Rimini, die Altartafel von Pesaro be- findet sich in einer andern Kirche der Stadt, das Bacchanal soll im Besitze des Herzogs von Northumberland sein, die Altartafel von S. Corona ist noch immer an Ort und Stelle, das von Ri- dolfi citirte Madonnenbild für Alzano befindet sich jetzt in der Sammlung Morelli in Mailand. Es ist dies eins der bester- haltenen Gemälde des Meisters (um 1496 — 98), auch wurde es zweimal von Giovan Battista Moroni copirt. Von diesen Copien
Die Yenetianer: Giovanni Bellini. 341
kaum ein anderes Werk anzugeben, das der venetianische Meister auf auswärtige Bestellung hin ausgeführt hätte.
Ausserhalb Venedig finden wir gegenwärtig in Ita- lien beiläufig noch folgende Werke des Giambellino:
In der Uffizien- Galerie die „heilige Allegorie" unter Nr. 631. Dieses wunderliebliche, geist- und an- muthsvolle Bildchen kam nach Florenz unter seinem rich- tigen Namen ; später wurde es auf Giorgione umgetauft und bekam in neuester Zeit, zur Verwunderung aller Kenner der venetianischen Meister, ich meine die von der feinern Sorte, den Namen des Marco Basaiti. (Auch Director W. Bode, II, 641, nahm es für ein Werk des Basaiti.) Allein auch schon die Formen des Ohres und die allzugrosse, für Giambellino so charakteri- stische Hand verrathen sogleich den Meister. Der Typus der Madonna, ihre Stellung, sowie auch die Felsenland- schaft auf diesem Bilde erinnern an die „Anbetung der Könige" seines Bruders Gentile in der Sammlung von Sir Henry Layard in Venedig.
Der kleine Apostelkopf, Nr. 177, in den Uffizien gcliört einem Schüler an, ebenso wie das sogenannte tSeibstporträt des Giambellino, Nr. 354, mit der gefälsch- ten Aufschrift; die blos untermalte „Beweinung Christi", Nr. 581 ebendaselbst, ist durch die Restauration der- massen entstellt, dass das Bild in seinem gegenwär- tigen Zustande für jeden feinern Kunstfreund fast allen Werth verloren hat.
Die Pinakothek von Turin besitzt ein durch Ueber- malung zwar ganz und gar verdorbenes, allein echtes Madonnenbild unsers Meisters, Nr. 779. Das andere in jenem Galeriekatalog ebenfalls dem Giambellino zu- geschriebene Madonnenbild, Nr. 105 B, ist Copie.
ist die eine im Besitze der griflichen Familie Agliardi in Ber- gamo, die andere siert den Altar einer Kirche im Seriothal, in der Nähe von Albino.
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342 I>»e Galerie Doria-Panfili.
In Mailand findet man in der Brera-Galerie drei Werke und zwar aus drei verschiedenen Epochen des Gijinibellino. Das älteste davon, etwa um 1464 — 67, ist die „Pieta", Nr. 220. Der Schmerz einer Mutter über den Verlust ihres Sohnes hat wol in keinem an- dern Werk der Kunst einen so tiefen, so tragischen Ausdruck gefunden, als in diesem Bilde. Das für eine griechische Kirche gemalte Madonnenbild, Nr. 293, dürfte um ein Jahrzehnt später entstanden sein. Ich kenne kein anderes Madonnenbild, das auf mich einen so tiefen Eindruck gemacht hätte. Die sanfte Melancholie, die sowol aus dem Antlitz des Christkindes wie aus dem Auge der göttlichen Mutter spricht, ist wahrhaft er- haben. Ein drittes Madonnenbild daselbst trägt die Jahreszahl 1510 und die Nr. 297. Dasselbe hat viel- fach gelitten. Ausser diesen drei Bildern in der Brera besitzt Dr. G. Frizzoni in Mailand ein höchst interes- santes an Alvise Vivarini erinnerndes Madonnenbildchen aus der Frühzeit des Giambellino und Giovanni Morelli hat, ausser der oben angeführten Madonna mit dem Kinde, ein zweites Madonnenbild des Meisters, etwa aus den Jahren 1475 — 78.
In der städtischen Bildersammlung von Bergamo sieht man (Abtheilung Lochis) ein echtes, allein stark restaurirtes Madonnenbildchen ebenfalls aus der Früh- zeit Giambellino"' s, Nr. 47, und im Dom daselbst ein an- deres Madonnenbild aus den letzten Jahren ties Meisters (um 1512).
In Brescia ist, soviel ich weiss, kein Werk des Bellini zu sehen. Die ihm in der Kirche von S. Gio- vanni Ev. zugemuthete „Kreuzabnahme" gehört wahr- scheinlich dem V. Civerchio aus Crema an, einem Schüler des Foppa. (f) Dafür findet man unter den im Palast Tosi aufgestellten Zeichnungen eine dem Mantegna fälschlich zugeschriebene Federskizze (zu einer „Pieta") von Giambellino's Hand, (f)
Die Yenetianer: GioTttnni Bellini. 343
In Verona befindet sich in der etädtischen Pina- kothek (Abtheilung Bemasconi, Nr. 77) ein sehr ver- dorbenes, allein echtes und herrlich gedachtes Madonnen- bild (um 1477) des Giambellino, dort unsinnigerweise in die florentinische Schule verwiesen, (f)
Vicenza besitzt in der Kirche von S. Corona noch immer das grosse Altarbild des Meisters aus dem Jahre 1510.
In Padua, Ferrara, Bologna, Treviso, sowie auch in Friaul war es mir nicht vergönnt, irgendein echtes Werk des Giambellino aufzufinden.
Dagegen besitzt die stadtische Sammlung von Ro- vigo ein echtes, allein ganz und gar verunstaltetes Ma- donnenbild unsers Meisters unter Nr. 109.
Die zahlreichen Werke, grössere und kleinere, die seine Vaterstadt Venedig noch von ihm zu wahren das Glück hat, sind jedoch leider zum grössten Theil durch sogenannte Restauratoren so schändlich zugerichtet wor- den, dass der Genuss an denselben dadurch sehr ver- mindert wird. Zahlen wir nun dieselben auf:
Aus der Frühzeit des Meisters besitzt das neuer- dings so unsinnig geordnete Museum Corr^r einige kost- bare Werke: eine „Beweinung Christi'* (Saal IX, Nr. 27), von Director W. Bode (II, 771) zwar noch immer dem Pier Maria Pennacchi zugeschrieben, nach meiner üeberzeugung jedoch ein echtes und zwar tief empfun- denes Werk Giambellino's (f); ferner ein kleines Bild mit dem gekreuzigten Christus, von der göttlichen Mutter und dem treuen Johannes beweint (Saal IX, Nr. 4B), noch ganz in der Art des Vaters Giacomo (f); drittens die „Transfiguration" (Saal VII, Nr. 23).
Die Galerie der Akademie besitzt ihrerseits aus der Frühzeit des Meisters eben&lls ein Madonnenbild Nr. 372. In derselben Sammlung finden wir überdies noch manches interessante Werk ans den versohiedenen spatem £pocken des Giambellino, m» die grosse Altar-
344 ßie Galerie Doria-Panfili.
tafel, Nr. 38, aus dem zweitletzten Decennium des 15. Jahrhunderts; sodann mehrere Madonnenbilder im Contarini-Saal V, unter den Nrn. 94 und 101 ; im Saal VI die vier Tafelbildchen allegorischen Inhalts (Nr. 235 — 238). Das Madonnenbild (Saal IX) dürfte wol dem letzten Decennium des 15. Jahrhunderts angehören, ebenso wie die andern zwei Madonnenbilder, Nr. 424 und 436 (Saal XIII). Ein ganz vorzügliches Werk unsers Meisters vom Jahre 1488 sieht man auch in der Sakristei von S. Maria dei Frari ; ein anderes Madonnen- bild aus der Frühzeit des Giambellino besitzt die Kirche „Madonna delFOrto" (mit einem vom Bilderputzer ent- stellten CarteUino); ein grosses und sehr berühmtes Altarblatt, vom Jahre 1505, die Kirche von S. Zaccaria; in S. Francesco della Vigna ist ein Längsbild mit der Madonna, dem Christkinde und vier Heiligen, der Do- nator wahrscheinlich erst im 17. Jahrhundert darauf ge- setzt (vom Jahre 1507).
In S. Grisostomo endlich befindet sich eins der letz- ten Werke des Meisters, vom Jahre 1513; Bellini malte das grossartige Bild in seinem 85. Lebensjahre!
Es erübrigt mir noch ein anderes grosses Altar- blatt vom Jahre 1488 zu erwähnen, das Giambellino im Auftrag des Dogen Agostino Barbarigo für die Kirche S. Pietro Martire in Murano malte.
Dass in Venedig noch gar manch anderes Werk dem Giovanni Bellino zugemuthet wird, ist selbstverständ- lich, ich glaube jedoch unter den meiner Ansicht nach echten Bildern kaum eines in dem obigen Verzeich- niss ausgelassen zu haben.
Was es mit dem Madonnenbildchen des Giovanni Bellini in der Borghese- Galerie auf sich hat, darüber habe ich mich bereits bei der Besprechung der Bilder jener Sammlung ausgesprochen. Auch in der Capitoli- nischen Bildersammlung werden mehrere Gemälde, nicht weniger denn fünf, dem grossen Meister zugemuthet.
Die Venetianer: Niccolo Rondinelli. 345
Die zwei Figuren von Heiligen dort, Nr. 79 und 87, gehören jedoch, wie wir gesehen, dem Garofolo an; das hübsche Mädchenporträt (Nr. 207) ist, täusche ich mich nicht, die Arbeit des Amico Aspertini (f), eines Schülers des Ercole Roberti von FeF*rara, und die an- dern zwei Bildnisse (Nr. 129 und 132) scheinen mir ebenfalls nicht von der Meisterhand des Giambellino zu stammen. Zu einem ähnlichen Resultat wird uns auch die Betrachtung zweier in dieser Doria- Galerie dem Giovanni Bellini zugeschriebenen Bilder führen. Das eine davon hängt im zweiten Saal unter Nr. 47, und hat die „Darstellung im Tempel" zum Gegenstand; es ist nichts anderes als eine der unzähligen Copien von dieser Composition mit dem widerlichen Gegen- stand, denen man sowol in Italien als anderwärts be- gegnet. Das Originalbild des Giambellino soll sich in England befinden.^
NICCOLÖ RONDINELLI.
Um das andere sogenannte Bellinibild zu sehen, müssen wir uns in den Braccio II der Galerie be- geben; dort hängt es unter der Nr. 3. Das Bild hat allerdings einen Anflug Bellini'scher Art, obwol ein auch nur oberflächlich mit den venetianischen Malerschulen vertrauter Kunstfreund kaum dabei an den grossen Meister Giovanni selbst denken könnte, stünde nicht unten auf der Tafel das verführerische schriftlicheDo- cument, d.h. die Aufschrift: lOANNES • BELLINVS. Auf demselben ist die Maria dargestellt, welche das unbedeckte, auf ihrem Schos liegende Christkind an- betet; der kleine Johannes steht zuschauend dabei. Man vergleiche nun diese Madonna hier mit den zwei Bil- dern des Niccolö Rondinelli, eines Schülers und Ge-
* Eine solche Copie, mit dem Namen des Marco BELLI be* zeichnet, ist in der stadtischen Sammlung von T^^vi.r.v
346 Die Galerie Doria-Panfili.
hülfen des Giambelliiio , im zweiten Saal der Galerie und mau wird ohne Mühe zu der üeberzeugung kommen, dass alle diese drei Gemälde von ein und demselben Meister herrühren. Das eine der zwei letztern Ma- donnenbilder (Nr. 43) hat überdies die Aufschrift: NICOLAVS • RONDINELO. Beide Bilder in diesem zweiten Saal, sowol das mit der Nr. 43, als das andere mit der Nr. 12, sind übrigens so verdorben, dass man das Antlitz des Malers kaum noch darin zu erkennen vermag. Die Hand auf allen diesen Bildern ist noch immer sehr Bellinisch geformt, die Augenbrauen sind, wie immer bei Rondinelli, voll und schwarz, die breite goldene Borde am rothen Kleide der Madonna, sowie die steifen senkrechten Brustfalten an demselben sind in dieser seiner spätem Manier, ebenfalls bezeich- nend für ihn. Wie wir nun in dieser Doria-Galerie •ein Gemälde des Rondinelli mit der gefälschten Auf- schrift des Giambellino gefunden haben, so könnte ich noch andere Bilder angeben, welche, von Schülern oder Nachahmern ausgeführt, die Namensaufschrift ihres grossen Meisters haben. So befindet sich in der Louvre- Galerie, unter Nr. 61, ein anderes Madonnenbild des N. Rondinelli mit den Heiligen Petrus und Sebastia- nus mit der gefälschten Namensbezeichnung des Gio- vanni Bellini ; auch das sogenannte Selbstporträt, Nr. 354, in den Uffizien, hat eine falsche Aufschrift; das andere männliche Porträt in der Capitolinischen Galerie eben- falls, und auch das Madonnenbild in der städtischen Bildersammlung in Padua, Nr. 1273, gehört in diesen Zusammenhang. Francesco Bissolo, ein anderer Schiller und Nachahmer des Bellini, versah desgleichen manches seiner Madonnenbilder mit der gefälschten Aufschrift seines Meisters. Auf seinen Cartellini ist jedoch der Name des Giambellino nicht wie auf jenen des Rondinelli mit lateinischen Buchstaben, sondern stets in Cursivschrift gezeichnet, Joannes bellinus^ wie
Die Venetianer : Niocolo RondinellL 347
2. B. auf dem Madonnenbildchen der Borghese-Galerie, auf dem Bilde vom Jahre 1515 mit dem nackten Weibe, das sich das Haar ordnet, Nr. 60, in der Belvedere- Galerie in Wien und anderwärts mehr.
Wir dürfen daher annehmen, dass solche Fälschungen wol erst nach dem Tode des Meisters Bellini stattfanden und dass sie in der Absicht gemacht wurden, die eigene Waare leichter und theurer an den Mann zu bringen. Ich will hier nur an die mit dem Dürer-Zeichen bezeich- neten Copien des Marcanton erinnern. Mehrere nor- dische Kunstgelehrte, auf den hartnäckigen Widerstand sich stützend, den solche gefälschte Aufschriften den Reagentien entgegensetzen, möchten gern sich und an- dern glauben machen, dass dieselben vom Meister selbst auf die Bilder der Schüler und Gehülfen ge- setzt worden seien! Wem Selbsttäuschung Freude macht, dem will ich sie auch von Herzen gönnen. Was wäre das Leben ohne sie? Auch schadet es am Ende gar nichts, dass dergleichen Betrügereien von den Dilet- tanten, denen ja ein falsches Kunstwerk denselben Spass macht wie das echte, für baare Münze angenommen werden. Im entgegengesetzten Falle wäre ja den Gau- nern, die ja auch leben wollen, Thür und Thor zu ihrem Handwerk fiir immer verschlossen.
Ein dem Doria-Bild, Nr. 3, ganz ähnliches Madonnen- bildchen des Niccolö Rondinelli besitzt auch Senator Giovanni Barraceo in Rom; ein anderes aus derselben Wirkungszeit des Meisters kam aus dem Hause Buri in Verona in die Sanunluiig des verstorbenen Fürsten Giovanelli in Venedig. Andere Werke aus dieser Spät- zeit des Rondinelli trifft man in Ravenna, sowol bei Privaten als in den Kirchen an, wie z. B. das grosse Altarblatt in der Kirche von S. Croce und den heiligen Sebastianus im Dom von Forli. Die Brera-Galerie be- sitzt hingegen ein sehr tüchtiges Werk aus der Früh- zeit unsers Meisters, Nr. 177. Auf demselben sieht man
348 Die Galerie Doria-Panfili.
den heiligen Johannes, welcher in einem Tempel der vor ihm knienden Galla Placidia erscheint. Ausser diesem hat die Brera, nach meiner Ansicht, noch eine zweite Altartafel des Rondinelli aufzuweisen; dieselbe trägt die Nr. 176 und stellt die thronende Madonna mit dem Christkind vor, im Beisein der Heiligen Nikolaus, Augustinus, Petrus und Bartholomeus, nebst drei musi- cirenden Engelknaben. Der Brera-Katalog schreibt das Bild dem Baldassare Carrari aus Forli zu^; vom ver- storbenen O. Mündler (a. a. O., S. 9) wurde es dagegen dem Parmensen Cristoforo Caselli gegeben. Weder das Jahr der Geburt noch das des Todes dieses Meisters sind bekannt. Rondinelli gehört zu jener Schar von Künstlern, welche, wie Cima da Conegliano, Cristoforo Caselli, Jacopo da Montagnana, Lattanzio da Rimini, Pier Maria Pennacchi, Francesco Bissolo u. a. m., in den letzten zwei Decennien des 15. Jahrhunderts in der Werkstätte des Giambellino arbeiteten. Aus der Schule des Rondinelli gingen dann die Brüder Francesco und Bernardino Zaganelli aus Cotignola hervor, Girolamo Marchesi, ebenfalls aus Cotignola, sowie auch der Ravennate Luca Longhi. Dass Rondinelli, wie Di- rector W. Bode meint (II, 643), von Marco Palmezzano, dem Schüler und Gehülfen des Melozzo von Forli, be- einflusst worden sei, scheint mir kaum der Wahrheit zu entsprechen. Ich halte dafür, dass das Gegentheil wahrscheinlicher sei und dass wol eher der schwächere Palmezzano gar manches von Rondinelli angenommen haben dürfte.
Mit Ausnahme eines einzigen, durch Uebermalung
^ Schon Pater Lanzi gibt dieses Bild dem Baldassare Carrari (IV, 35), allein es freut mich, dass ich in der Beurtheilung dieses Gemäldes mit der Ansicht der Herren Crowe und Cavalcaselle (I, 594, 2) übereinstimme, die schon vor mir dieses Bild dem N. Rondinelli vindicirt haben.
Die Venetianer: Niccolo Rondinelli. 349
ganz und gar verunstalteten Madonnenbildes beim Fürsten Torlonia ^, ist mir in Rom kein einziges Werk des Giovanni Bellini zu Gesicht gekommen. Dagegen besitzt das Museum von Neapel in der „Verklärung Christi" ein kostbares Bild aus der Friihzeit des Mei- sters. Dasselbe kam mit der farnesischen Erbschaft von Parma dahin.
Vasari wurde von seinem venetianischen Bericht- erstatter nicht nur sehr unvollständig, sondern auch un- richtig über die Malerfamilie der Bellini berichtet. So zählt er z. B. das Porträt der Catarina Cornaro, Königin von Cypern, und die Darstellungen der Wunder des heiligen Kreuzes zu den Werken aus der Frühzeit des Vaters Ja CO po Bellini, während jene Bilder der spä- tem Wirkungszeit des Sohnes Gentile angehören.^ Der A retiner schreibt ferner die Werke des Gentile da Fab- briano und des Pisanello im Dogenpalast den Brüdern Bellini zu, während diese letztern mit Alvise Vivarini im Jahre 1474 beauftragt wurden, dieselben blos zu restauriren.
Vasari lässt ferner, auf die Einladung des Sultans hin einen guten Maler von Venedig geschickt zu er- halten, statt Giovanni Bellini, der seines „hohen Alters wegen, schwerlich die Keisestrapazen von Venedig nach Konstantinopel ohne Gefahr für seine Gesundheit er- tragen hätte", den Gentile dahingehen. Nun war dieser letztere um einige Jahre älter als Giovanni, welcher übrigens 1479, als jene Reise stattfand, die fünfziger
* Da8 unbedeckte Christkind steht auf einem Gesims vor der Madonna ; an den Seiten die Apostel Petrus und Paulus, be- zeichnet : ,
JOANNES. BELLiNVS.
* Das iiiiiiniNH der bereits alternden Catamia Cornaro be- findet sich in der Esterhazy* Galerie zu Budapest; die Bilder mit den Wundem des heiligen Krauses aus dem letzten Decennium des 15. Jahrhunderts sind in der venetianischen Akademie.
350 Die Galerie Doria-Panfili.
Jahre kaum überschritten hatte. Es ist dies, scheint mir, ein klarer Beweis dafür, dass in der Mitte des 16. Jahrhunderts selbst bei den Venetianern das An- denken an die Familie Bellini bereits im Erlöschen war.
Alles in allem ist in meinen Augen Giambellino im 15. Jahrhundert der grösste Künstler Oberitaliens. Vittor Pisano war zwar für seine Zeit, d. h. in der ersten Hälfte jenes Jahrhunderts, in gewisser Beziehung ebenso bahnbrechend, wie jener in der zweiten es war; man sehe sich sein ganz vorzügliches Wandgemälde in S. Anastasia in Verona an, den heil. Georg vor dem Sieg über den Drachen vorstellend; man betrachte ferner seine höchst interessanten Federzeichnungen, welche, unter vielen andern der alten veronesischen Schule, sich im sogenannten Vallardi-Buch im Louvre befinden; seiner herrlichen Medaillen ganz zu geschweigen.
Andrea Mantegna ist allerdings energischer, im- ponirender, gelehrter als Giambellino, auch führt er den Moment des Geschehens mit grösserer Evidenz und rea- listischer Wahrheit uns vor die Augen. Während je- doch sowol Pisanello als Mantegna eine gewisse Ein- förmigkeit in Auffassung und Darstellung an den Tag legen, entfaltet dagegen Giovanni Bellini als Künstler die grösste Mannichfaltigkeit. Seine künstlerische Er- ziehung verdankten sowol Giovanni als sein älterer Bruder Gentile vor allen andern ihrem Vater Gia- como, dessen ganze Bedeutung als Künstler uns erst aus seinem kürzlich von der Direction der Louvre- Galerie erworbenen Zeichnungsbuche vor die Augen tritt. In jenen mannichfaltigen Federzeichnungen er- scheint Giacomo Bellini als einer der bedeutendsten venetianischen Künstler aus der ersten Hälfte des 15. Jahr- hunderts. ^
* Seine Wandgemälde, deren Giaoomo Bellini gewiss meh- rere ausgeführt haben muss, sind, soviel mir bekannt ist, alle
Die Venetianer: Niccolö Rondinelli. 351
Von seinen zwanziger Jahren an, also etwa um 1450, bis zu seinen letzten uns bekannten Werken von 1513 und 1514 (S. Giovanni Grisostomo in Venedig und dem Bachanal beim Herzog von Northumberland) ist Giambellino in stetem Wachsen, in einer nie inne- haltenden Evolution begriffen, und zwar so, dass Dürer ganz recht hatte, als er im Jahre 1506 denselben fiir den y,besten" Maler in Venedig erklärte.
Giambellino ist grossartig und ernst, anmuthig und liebreich, naiv und einfach, und dies stets am rechten Platze und wenn es der Gegenstand erheischt. Seine Frauen und Kinder, seine Greise und Jünglinge sind nie dieselben und haben nur selten den gleichen Typus oder Ausdruck. Manchmal ist er sogar phantastisch wie sein eminenter Schüler Giorgione; so z. B. in jenem herr- lichen allegorischen Bildchen in den Uffizien (Nr. 631).
Dies alles sei jedoch bemerkt, ohne damit den grossen Verdiensten des gewaltigen Mantegna den geringsten Abbruch thun zu w^ollen; gehöre ich doch wahrlich nicht zu jenen Kritikern, die in einer ausserordentlichen Individualität alle Eigenschaften suchen und verlangen. Ja, ich glaube sogar, dass gewisse Geistes- und Ge- müthsgaben geradezu andere ausschliessen, und dass so-
entweder 2u Grunde gegangen oder vielleicht anoh nnr über- tüncht worden. Von seinen Tafelbildern kann ioh nur den stark übermalten Christus am Kreuz in der Pinakothek von Verona, Nr. .344, das noch schlimmer restaurirte Madonnenbild, Nr. 443, in der Akademie von Venedig, und endlich das ebenfalls rettau- rirte Madonnenbild in der Galerie Tadini in Lovere in der Pro- vinz von Bergamo anführen. Bilder, die an seine Art und Weise lebhaft erinnern, sind nach meiner Ansicht die dem Fra b. Angelico zugeschriebene „Verkündigung" in der Kiroh« von S. AleaMUüdro in Bresoi» ond dM Madonnenbild, Hr. 160, in der •iidtiaoken Bildersammlung von Bergano (Abiktihng Looki»), dort dem Gentile da Fabriano lugeibeilt. (Sitk* Wkn aaden Werke des Giacomo Bei Lisi die Mittheil«ng«n des Prof. Mol> menti im ^rcAirto storico vmuto, 1888).
352 Die Galerie Doria-Panfili.
mit Mantegna sowol wie Michelangelo nicht jene Höhe in ihrer Art erreicht hätten, wenn an ihrer Wiege die Grazien gestanden haben würden. Um meine Gedanken verständlicher zu machen, möchte ich sagen : besässe Bis- marck alle jene Eigenschaften, die mancher seiner Wider- sacher an ihm vermisst, so wäre schwerlich die Ein- heit Deutschlands eine Wahrheit geworden.
Zu den allerfrühesten Werken, die ich von unserm Meister kenne, rechne ich das höchst interessante Bild- chen in der englischen National Gallery mit dem stehen- den Christus, der das Kreuz mit dem linken Arme hält, während rechts ein Engelknabe auf dem Knie in einer Schale das aus der Brustwunde Christi spritzende Blut auffängt; den Hintergrund bildet eine reiche Hügel- landschaft mit zahlreichen Gebäuden und mit einer in der Art des Gentile da Fabbriano beleuchteten Hügel- kette. Bald nach diesem Bilde dürfte er die „Kreuzi- gung" mit der Maria und dem Johannes im Museo Correr^ gemalt haben.
In der Epoche, in der die Kunst vornehmlich den Charakter darzustellen bemüht war, ist Giambellino, nach Mantegna, der grösste Charakterzeichner in Ober- italien; später, als zur Hauptaufgabe der Kunst die Dar- stellung der menschlichen Seelenregungen gehörte, steht er keinem andern nach in der Versinnlichung der Mutter- liebe, der Frömmigkeit, des naiven kindlichen Frohsinns, sowie der religiösen Demuth bei den heiligen Frauen, eines gotterfüllten Ernstes bei den Männern. Drama- tisch ist Bellini zwar nie, seine Heiligen sind jedoch alle voll Lebenskraft, Energie und Würde. ^
1 Saal IX, Nr. 46.
^ Der verstorbene venetianische Archivar Cecchetti veröflfent- lichte im Archivio veneto (XXXIV, 204) ein merkwürdiges Do- cument, aus dem erhellt, dass Maria, die Witwe des Giambellino, im Jahre 1554, also 38 Jahre nach dem Tode ihres 88jährigen Gatten, ihr Testament gemacht hat.
Die Venetianer: Niccolö Rondinelli.
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Während nun einerseits gar manches von seinen Schü- lern und Nachahmern ausgeführte Bild dem Meister selbst zugewiesen wird, so werden andererseits noch heutzu- tage, und dies selbst von berühmten Kunstgelehrten, viele seiner Jugendwerke bald dem Mantegna oder dem Ercole di Roberto, und dies noch im besten Fall, bald aber auch viel geringern Meistern, wie F. Maria Pen- nacchi, Zaganelli, Rondinelli, Lattanzio da Rimini, in jüngster Zeit sogar dem Basaiti u. s. f. zugemuthet.'
Um den Unterschied der Werke des Giambellino von denen des Mantegna, mit dem er in einer gewissen Epoche seines Wirkens (1460—1480) am meisten ver- wechselt wird, meinen jungen Freunden zu erleichtern, will ich hier für Anfänger in der Kunstwissenschaft, unserer Methode gemäss, einige materielle, jedem Auge erkennbare Zeichen anführen, wie dieselben während meiner Studien in Venedig mir eben in die Augen ge- fallen sind. Wie gesagt, diese Fingerzeige sind nur Neulingen gewidmet, wäre es doch lächerlich von mir, dergleichen ABC-Uebungen dem grossen gebildeten
* Ich hatte schon bei Besprechung des Madonnenbildohens in der Borghese-Galerie Gelegenheit, meine Leser auf die That- Sache aufmerksam zu machen, dass erstens die Gartellini des Giambellino in Cursivschrifl insgesammt gefälscht sind, und zweitens, dass auf den echten, von ihm selbst auf seine Bilder gesetzten Aufschriften das eine der zwei L stets höher als das andere gebildet ist. In den aufgefrischten echten Gartellini ist übrigens nicht selten durch den Restaurator das höhere L verkürzt worden, sodass beide L schulgerecht dieselbe Höhe haben.
Facsimile eines echten Gartellino:
LsRMOLiBrr.
S8
354 I^ie Galerie Doria-Panfili.
Kunstpublikum des civilisirten Europa zu bieten. Hand- und Ohrform also sind bei beiden Meistern sehr ver- schieden. Während bei Giambellino das Ohr rundlich und fleischig erscheint, ist es bei Mantegna länglich und sehr knorpelig gebildet; die Hand und die Finger dagegen sind bei Mantegna fleischiger und kürzer, bei Giambellino (in seiner Frühzeit) knochiger, mehr zu- gespitzt und mit stark accentuirten Gelenken versehen. Auch ist die Hand bei Bellini fast immer allzu gross. Der landschaftliche Hintergrund auf den Bildern dieses letztern stellt bis ungefähr in die ersten Jahre de& 16. Jahrhunderts, wo seine Landschaft realistisch wird, gewöhnlich eine Ebene vor, mit Gewässer, mit befestig- ten Orten im Mittelgrund und Gebirgen in der Ferne; zumeist zieht ein Weg in Schlangenwindung durch Vor- und Mittelgrund. Ursprünglich waren die Farben dieser Landschaften ftihlgrün im Vordergrund und dunkelgrün im Mittelgrund, mit der Zeit jedoch oxydirten diese Farben, sodass sie gegenwärtig gewöhnlich schwarz, aussehen.
Mantegna hatte wenig Sinn weder für die Linien noch für die Farben in der Landschaft. Meistens stellen seine landschaftlichen Gründe einen befestigten Ort vor^ auf steilem Hügel, zu dem ein gewundener Weg führt ; zuweilen auch blos zackige Felsen.
Da nun, wie schon bemerkt, die grössere Zahl der Bilder des Giambellino leider stark übermalt oder ver- putzt wurde, so sind durch solche Kestaurationen gar oft gerade die charakteristisch accentuirten Formen des Meisters nach den Vorschriften der Akademieschule ab- geschwächt worden und springen deshalb nicht sogleich in die Augen. Will man daher den Meister in der Auffassung seiner Formen studiren, so suche man die Werke aus seiner Jugendzeit auf, welche alle a tempera gemalt und daher auch weniger entstellt wurden, al& <liejenigen der spätem Epoche, die alle mit Oelfarbe
Die Venetianer: Niccolö Rondinelli. 355
laßirt waren und somit fast sämmtlich durch den Restau- rator verputzt worden sind. Diese Bemerkung soll nicht nur für die Werke des Giambellino gelten, sondern sie gilt ebenfalls für die aller grossen venetianischen Maler aus der goldenen Zeit. In den Jugendwerken treten die Eigenthümlichkeiten des Künstlers, sowol die guten als die schlimmen, scharf und unverblümt hervor. Wären die „Pieta" in der Brera- Galerie (Nr. 284) und die „Transfiguration" im Museum von Neapel nicht mit dem Namen des Meisters bezeichnet, so würden aller Wahrscheinlichkeit nach diese Bilder des Giambellino dem Mantegna zugeschrieben worden sein, wie dies ja so manch anderm Gemälde des Bellini aus derselben Wirkungszeit ergangen ist; ich brauche hier nur auf den „Christus am Oelberg" in der englischen National Gallery (Nr. 726) und auf das Bild mit demselben Gegenstand im Museo Correr in Venedig ^ als Beispiele solcher Verwechselungen hinzuweisen.
Sind nun, wie wir gesehen, die Gemälde Giambel- lino's noch in verhältnissmässig grosser Anzahl uns er- halten geblieben, so ist dies keineswegs mit seinen Zeich- nungen der Fall. Ich kann daher leider meinen Lesern nur einige wenige derselben anführen.
In dem Sjiale der venetianischen Akademie, wo die Zeichnungen ausgestellt sind, befinden sich unter dem Namen des Mantegna eine Federskizze zu einer „Beweinung Christi" und eine Federzeichnung mit einer stehenden Apostelfigur, die mir dem Giovanni Bellini an- zugehören scheinen; auch in der Sammlung des verstor- benen Grafen Tosi in Brescia findet man eine Feder- zeichnung Giambollino's zu einer „Grablegung", gleich- falls unter dem Namen des A. Mantegna. Eine andere Federzeichnung unsers Meisters mit der „Boweinung Christi" sieht man im Louvre, Abtheilung Ilis de la
» Saal VU, Nr. 23.
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356 Die Galerie Doria-Panfili.
Salle, Nr. 20; in der reichen Sammlung von Zeich- nungen italienischer Meister in Chatsworth schreibt man sonderbarerweise eine Federzeichnung des Giambellino dem Perino del Vaga zu. (f ) Dieselbe stellt vier stehende Figuren vor.
ANDREA MANTEGNA.
Von Andrea Mantegna, der nach einem neuer- dings aufgefundenen Document nicht in Padua, wie man bisher geglaubt hat, sondern in Vicenza das Licht der Welt erblickte, ist in den öffentlichen Sammlungen Roms kein einziges Werk zu sehen. Der Katalog der Doria- Galerie führt allerdings nicht weniger als vier Bilder an, die man hier dem grossen Paduaner zuschreiben möchte, wie ich jedoch glaube mit grossem Unrecht. Sehen wir uns nun in aller Müsse dieselben an.
Eins dieser Bilder hängt hier im zweiten Saal unter Nr. 55. Auf demselben ist eine der vielen „Ver- suchungen" oder Plackereien dargestellt, mit denen der böse Geist die Geduld des frommen Einsiedlers An- tonius auf die Probe stellen wollte. Der alte weise Klausner, der an nichts Böses dachte, sieht sich hier plötzlich vom Teufel und seinen Helfershelfern umringt und bedroht. Antonius verliert jedoch keineswegs seine Fassung, sondern durchschaut sogleich die Tücken des Erbfeindes und blickt ihm daher unverzagt, ja sieges- bewusst ins Fratzengesicht. Ist er hier in seiner be- drohlichen Lage nicht etwa dem scharfblickenden und sachkundigen Kunstforscher vergleichbar, der mit Sicher- heit den Fallen zu entgehen weiss, welche Gauner und Betrüger auf allen Wegen und Stegen ihm, sei es mit den falschen Cartellinos sei es mit vlämischen Co- pien, zu legen trachten?
Zwei andere Bilder, die demselben Meister ange- hören, wie das soeben besprochene, befinden sich im Braccio III, unter den Nrn. 8 und 17. Auf dem einen
Die Venetianer: Andrea Mantegna. 357
derselben sehen wir den heiligen Lodovicus aus Tou- louse, den Armen Almosen spendend; auf dem an- dern begegnen wir wieder iinserm unverzagten Ein- siedler Antonius, von seinem unermüdlichen Erbfeind, dem Teufel, diesmal unter der Gestalt eines Raubers, angefallen und bedroht. Allein auch in diesem Falle weiss der weise Antonius sich glücklich aus der Schlinge zu ziehen.
Die drei höchst charakteristischen und geistreichen Darstellungen werden von den Herren Crowe und Ca- valcaselle dem Maler Parentino zugeschrieben (I, 359), in welchem Urtheil es mir unmöglich ist ihnen beizu- stimmen. Diese drei Bildchen haben in meinen Augen ein so ausgesprochenes veronesisches Aussehen, dass Dr. G. Frizzoni mir recht zu haben scheint, in den- selben sowol die Hand als den Geist eines dem Libe- rale da Verona sehr nahe stehenden Künstlers zu vermuthen. (?)
Das vierte Bild endlich, das in dieser Doria-Galerie demMantegna zugeschrieben wird, findet sich imBraccio I und stellt den kreuztragenden Christus dar, Nr. 5. Bei Herrn Lombardi in Ferrara sah ich eine Replik dieses Gemäldes auf feiner Leinwand und, wie mir schien, von demselben Meister ausgeführt. Täusche ich mich nicht, so rühren diese beiden Bilder von der Hand eines vlämischen Meisters her (f), der dabei wahrschein- lich sich an ein italienisches Original gehalten haben dürfte. >
Die in der vaticanischen Sammlung dem Mantegna zugeschriebene „Deposizione" gehört auf keinen Fall diesem Meister an, sondern ist wahrscheinlich eine von Gioyanni Bonconsigli (+) aus Vicenza angefertigte
* Die Herren Crowe und Cavaloaaelle sehen dagegen in diesem Bilde die vom Palmezsano da Forli beeinflosste Hand des Bon- signori (I, 478, 4).
358 I>ie Galerie Doria-Panfili.
Copie nach einem verschollenen Bild seines Vorbildes Bartolommeo Montagna.
Buonconsigli, von dem in seiner Vaterstadt mehrere Werke zu sehen sind, wird auch in der Louvre-Zeich- nung zu einer stehenden Christusfigur (Br. Nr. 409) mit Mantegna verwechselt, obgleich er als Schüler des Giambellino und als Nachahmer des Bartolommeo Mon- tagna zu betrachten ist. Werke von diesem Vicentiner befinden sich auch in Venedig in der Kirche S. Gia- como dairOrio (die Heiligen Sebastianus, Lauren- tius und Rochus); in jener von S. Spirito (Christus zwischen den Heiligen Erasmus und Secundus) ; in der Akademie: die Madonna zwischen den Heiligen Cos- mas und Damianus; in der Sammlung von Sir Henry Layard, ein Johannes der Täufer.
Dass Giovanni Bonconsigli im Jahre 1539 schon längst nicht mehr unter den Lebenden weilte, geht aus einem von dem jüngst verstorbenen Archivar Cecchetti im Archivio veneto (XXXIV, S. 205) veröfi*entlichten Document hervor.^
Allein nicht nur mit Giambellino und dessen Schüler Bonconsigli wird Andrea Mantegna sehr oft von den Dilettanten verwechselt, manchmal werden ihm sogar Zeichnungen des Luca Signorelli zugeschrieben, wie z. B. in dem berühmten Stich des Marcanton (f): Mars, Venus und Amor (Bartsch, 345).^
Aus Mantegna's Mittelzeit besitzt die Uffizien-Galerie
^ „7o Vitruvio de honconsejo depentor q. miser Zuane de Vicenza habüante qui in Venetia in contrada de S. S. ApostoU in casa propria, 1539.
^ „Cette helle estampe, gravee d^ apres un dessin du Man- tegna, porte la date de 1508"- sagt Passavant {„Peintre-Graveur^^ VI, 25). Schon die steife, eckige Bewegung der Venus, die Form ihrer Hände, sowie die des Mars , die Kopftypen u. s. w., lassen selbst im Stiche den Geist und die Ausdruoksweise des Luca Signorelli leicht erkennen.
Die Venetianer: Andrea Mantegna. 359
zwei köstliche Bilder unter den Nrn. 1025 und 1111. Das eine stellt die in einer Felsenlandschaft mit dem Christkinde sitzende Madonna vor, das andere Bild ist «in Triptychon, in der Mitte mit „Anbetung der Konige" und auf den Seiten „Auferstehung" und „Vorstellung im Tempel". Unter den Staffeleibil- dern des Mantegna dürfte wol dieses Triptychon eins der allervorzüglichsten sein. Das sehr verdorbene weib- liche Bildniss, Nr. 1121, welches der Katalog jener Galerie ebenfalls dem Paduaner zuschreibt, gehört da- gegen ihm sicher nicht an, sondern möchte eher vom Veronesen Giovanni Francesco Carotto her- rühren.* (f)
Wer jedoch den vollen Werth dieses wahrhaft grossen Künstlers erkennen und bemessen will, der muss ihn in seinen Wandgemälden in den Eremitani in Padua^ und ganz besonders in denen der sogenannten Camera degli sposi im herzoglichen Schlosse von Mantua be- trachten.' Da sieht man den ganzen Mann in seiner vollen Kraft!
Auch die Brera-Galerie besitzt drei höchst interes- sante Werke des Mantegna, darunter insbesondere das Triptychon mit dem heiligen Lucas, aus dem Jahre 1452. Der obere Theil des mit grosser Sorgfalt und Liebe bis
* Die Herren Crowe und Cavalcaselle schreiben dagegen jenes Portrat, das sie für das der Isabella d'Este (I) halten, dem Francesco Bonsignori, also doch auch einem Veronesen, zu (I, 479). Man vergleiche dieses Frauenportrftt mit der herr- lichen Zeichnung des Lionardo da Vinci im Louvre (Braun 162), welche das Profilporträt der Isabella darstellt.
* Eins dieser Gemälde hat eine sinnlose „Reparation^* last ganz zu Grunde gerichtet.
' Auch diese im Jahre 1474 bereits fast vollendeten Wand- gemälde wurden im Jahre 1876 und 1877, unter der Direotion des Herrn Generalinspectors Cavalcaselle , durch eine schmach- volle „Restauration" vielfach verdorben, besonders die „Familie Gonzaga** auf der grossen Wand.
360 Die Galerie Doria-Panfili.
ins feinste Detail ausgeführten Bildes muss, wie ich glaube, um mehrere Monate früher als der untere Theil entstanden sein. Kein Flamländer iibertrifft im Rea- lismus den Mantegna in diesem seinem Jugendwerke vom Jahre 1452!
Verona besitzt ebenfalls im Triptychon in S. Zeno eins der besten Werke Mantegna's; ein anderes Madonnen- bild mit Heiligen sieht man dort noch in der Pinako- thek, Abtheilung Bernasconi. Ein diesem letztern ähn- liches Madonnenbild befindet sich in der Galerie von Turin. Die Akademie von Venedig hat einen köst- lichen kleinen heiligen Georg; die Herren Scarpa in la Motta (bei Treviso) einen überlebensgrossen unschönen heiligen Sebastianus; die städtische Sammlung von Ber- gamo ein überaus herrliches Madonnenbildchen i, und zwei andere Werke des Mantegna befinden sich auch, noch in Mailand. Das eine davon ist ein grosses Altar- bild (aus dem Jahre 1497) im fürstlichen Palast Tri- vulzio, das andere, ein kleines Madonnenbild, in der Sammlung Poldi-Pezzoli. Diese vier letztern Bilder sind auf Leinwand gemalt und gehören in das letzte Decennium des 15. Jahrhunderts.
ANTONIO VIVARINI.
Sind wir nun in den öffentlichen Sammlungen der Ewigen Stadt keinem einzigen echten Werk des grossen Paduaners begegnet, so finden wir dafür sowol in der Bildersammlung des Lateran, wie auch in der des Va- tican einige gute Werke zweier venetianischen Zeit-
^ Das Porträt des Vespasiano Gonzaga in jener Galerie, da» Director W. Bode (II, 618) seinen Lesern als von der Hand des Mantegna präsentirt, ist meiner Ansicht nach ein vorzügliches Werk des Veronesen F. Bonsignori. Die Zeichnung mit schwar- zer Kohle zu diesem Porträt befindet sich im Kupferstichcabinet unter Nr. 1702 der Uffizien-Sammlung (Venetianische Schule), (f)
Die Venetianer: Carlo Crivelli. 361
genossen des Mantegna: eins von Antonio Vivarini ausMurano und zwei von Carlo Crivelli. Das erstere ist ein Polytychon und hat in der Mitte die in Holz^ geschnitzte Figur des heiligen Antonius, an den Seiten die Heiligen Christophorus, Sebastianus, Venantius und Yitus, und darüber in Halbfiguren Gottvater und die Heiligen Petrus und Paulus, Augustinus und einen from- men Bischof; bezeichnet 1464: Antonius DE MVRÄO (Murano) Pinxit. Es ist somit ein Werk aus der Spät- zeit des Meisters. Um diesen alten Venetianer jedoch kennen zu lernen, muss man ihn in der Marca d'An- cona, z. B. in der Pfarrkirche von Pausola (Sakristei)^ vor allem aber in Venedig selbst aufsuchen: in der dor- tigen Akademie, in den Kirchen von S. Zaccaria, von S. Pantaleone, in S. Francesco della Vigna (Sakristei). Die Bildersammlungen von Bologna, von Bergamo, der Brera in Mailand besitzen ebenfalls einzelne Werke von ihm. Das bischöfliche Seminarium in Brescia hat ein Tafelbild mit der heiligen Ursula und ihren Ge- fährtinnen, welches dort zwar, schon seit der Zeit des Carlo Kidolfi, dem Lombarden V. Foppa zugeschrieben wird, das mir jedoch ein untrügliches Werk unsers An- tonio Vivarini zu sein scheint.* (f) Aleiner Ansicht nach verdankt Antonio seine künstlerische Ausbildung haupt- sächlich dem Gentile da Fabbriano und dem Pisanello oder, wenn man lieber will, dem von diesem letztern beeinflussten Giambono.
CARLO CRIVELLI. Von Carlo Crivelli sind zwei Bilder im Lateran' und eine ^Pietk^' im Vatican. Carlo und sein jüngerer
* Auch der verstorbene Passavant gab, in seinem lebr ober- flächlichen Aufsatz über die lombardischen Maler im „Kunst- blatt", diese« Werk dem Vincenzo Foppa.
' Das eine dieser Bilder ist ein Polyptychon, das aus fünf Abtheilungen besteht In der einen sieht man die Madonna mit
362 I>i« Galerie Doria-Panfili.
Bruder (?) Vittore wirkten fast ihr ganzes Leben lang in der Marca d'Ancona und brachten dort den grössten Theil dieser Zeit im Ascolanischen zu. Auch befanden sich ehedem in jenen Gegenden fast alle die hellglän- zenden Tafelbilder des Carlo, von denen er viele mit Beihülfe des Vittore ausführte. Obwol die bessern jener Altarwerke theils nach Mailand, theils nach Rom, theils nach London in die National Gallery gebracht wurden, so verblieben doch noch immer mehrere derselben an verschiedenen Orten der Marca d'Ancona; ein kleines in Ancona selbst, ein Jugendwerk (1468) in Massa; ein anderes in Penna di S. Martino; ein anderes in As- coli und anderwärts noch. Das in geschichtlicher Be- ziehung interessanteste Madonnenbild des Carlo Cri- velli befindet sich jedoch in der Pinakothek von Verona. Aus diesem Bildchen glauben die Herren Crowe und Cavalcaselle schliessen zu dürfen, Carlo Crivelli habe seine Lehrjahre unter den muraneser Malern Antonio und Bartolommeo Vivarini (I, 82) durchgemacht. Dieser Ansicht seiner Gewährsmänner schliesst sich auch Di- rector W. Bode (II, 630) an, indem er überdies auch noch den Einfluss des Niccolö da Foligno und selbst den des Luca Signorelli in den Werken Carlo's ge- wahren will. Ich kann auch diesmal, mit dem besten Willen, den Ansichten des berliner Kunstgelehrten nicht beistimmen. Ich meinerseits halte dafür, dass in dem Madonnenbild der Pinakothek von Verona die Jugend- erziehung Crivelli's hauptsächlich auf die Schule des
dem Christkind, das einen Distelfinken an einer Schnur festhält, unter ihr ein andächtiger Mann; in den andern vier Abtheilungen sind vier Heilige dargestellt. Sehr energisch in der Zeichnung. Bezeichnet: 1481, VLTIMA IVLII.
Das andere ist aus dem Jahre 1482 datirt und stellt die thronende Madonna mit dem Jesuskinde dar, das einen Apfel in seiner Rechten hält; [am Fusse des Throns sieht man einen an- dächtigen Franciscanermönch.
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Die Yenetianer: Cima da Conegliano. 363
Squarcione in Padua sich zurückführen lasse, glaubt mau doch beim ersten Anblick jenes Bildes ein Werk des Gregorio Schiavone, eines unbestrittenen Schülers und Nachahmers des Squarcione, vor sich zu haben! Die Engelkinder darauf sind ja ganz und gar dieselben, wie wir sie auf den Bildern des Schiavone gedacht und geformt antreffen! Dass später auch die Maler von Murano auf Crivelli einigen £influss ausgeübt haben mögen, will ich übrigens durchaus nicht bestreiten. Ein- flüsse des Niccolö Alunno und gar die des Luca Signo- relli in den Bildern Crivelli's zu sehen, muss ich aber wieder als den Ausfluss einer ungeregelten hochnordi- schen Phantasie betrachten. Von Carlo Crivelli stammt auch Pietro Alemanni her, von dem in Ascoli manches unbedeutende Werk zu sehen ist. Auch der jüngere Lorenzo da Sanseverino, von dem die National Gallery ein gutes Werk besitzt, dürfte Ein- flüsse von Carlo Crivelli empfangen haben.
Kehren wir jedoch jetzt wieder zu den Schülern des Giovanni Bellini zurück, von denen diese Doria-Galerie mehrere ganz vorzügliche Werke uns darbietet. Dar- unter zähle ich freilich weder das Bild mit der Nr. 95 in diesem zweiten Saal, noch jenes ohne Nummer im Cabinet, am Ende des Braccio III.
CIMA DA CONEGLIANO.
Das erstere dieser zwei Bilder, mit Nr. 95, stellt die Madonna mit dem Christkinde auf dem Arme dar und ist nichts anderes als eine der vielen Copien nach einem Bilde des Cima da Conegliano, denen man in den Sammlungen Italiens begegnet.
Von diesem zwar etwas einförmigen, allein stets ge- wissenhaften, ernsten und in manchem seiner Werke selbst grossartigen Schüler und Ateliergenossen Giam- bellino's finden sich weder in Mittel- noch in Süditalien echte Werke vor. Die Uffizien-Galerie hat allerdings
364 Die Galerie Doria-Panfili.
in neuerer Zeit im ersten Saal der Venetianer ein Ma- donnenbildchen unter dem Namen des Cima ausgestellt^ allein dasselbe ist, meiner Ansicht nach, nur das Werk eines Nachahmers des Meisters von Conegliano, wahr- scheinlich jenes Pietro da Messina, dem es ja so oft gelingt, in seinen Nachbildungen hier für Antonello, dort für Giambellino (Scalzi, in Venedig), anderwärts wieder für Jacopo da Valenza (Pinakothek von Padua, Nr. 181 und Nr. 23) genommen zu werden, (f)
Die Werke des Cima müssen aufgesucht werden ia den Sammlungen von Bologna, von Modena, von Parma (ganz vorzügliche), in der Brera-Galerie (auf den Nrn. 191 [vielleicht sein grossartigstes Bild]^ 300, 286, 289 und 302), in Vicenza (das älteste von ihm bezeichnete Werk, 1489), in Conegliano, und dann vor allem in den Kirchen Venedigs: S. Giovanni in Bragora, S. Maria delP Orto, Carmine, und in der Akademie daselbst. Auch die kleine Dorfkirche des Bergdörfchens Olera bei Bergamo besitzt ein vorzüg- liches Polyptychon aus der Frühzeit des Meisters.
Als Nachahmer des Cima erweisen sich Sebastiano Luciani (siehe dessen „Pietä" aus seiner Frühzeit in der Sammlung von Sir Henry Layard in Venedig) ;
Giovan Maria da Carpi, von welchem Herr An- tonio Piccinelli in Bergamo ein mit dem Namen bezeich- netes Madonnenbildchen besitzt;
Cristoforo Caselli aus Parma;
Pietro da Messina;
Girolamo da Santa Croce, Akademie von Ve- nedig, Nr. 256, und städtische Galerie von Bergamo, Nr. 66 (Abtheilung Lochis), mit der gefälschten Auf- schrift: BATT . CIMA . CONELIANENSIS • M. D. XV.
Der unbekannte Meister, der in der Dorfkirche von Sanfiore (bei Conegliano) die gute Altartafel da- selbst malte, und andere Zeitgenossen mehr.
Die Venetianer: Boccaccio Bocoaccino. 365
Cima da Conegliano ist gewiss ein ganz vorzüg- licher, allein kein origineller Meister. Die meisten Typen seiner Heiligen entnahm er seinem Lehrer Giovanni Bellini. Auch ist er nicht dramatisch begabt gewesen. Unter allen seinen Zeitgenossen ist er aber der beste und sorgfaltigste Zeichner der Bellini'schen Malerschule. Selbst in den Werken seiner Spätzeit, wie in dem köst- lichen Bilde der venetianischen Akademie, Tobias mit -dem Engel, bleibt er ein Quattrocentist im Gegensatz zu seinem grossen Lehrer Bellini, der noch in seinen achtziger Jahren immer fortschreitet.
Dieser etwas zu lange Excurs über den Meister von Oonegliano, zu dem uns das Madonnenbild unter Nr. 95 <ien Anlass gab, Hess uns das andere Bild im letzten Cabinet der Galerie fast übersehen. Dasselbe stellt die Madonna mit dem Kinde vor, von den vier Heiligen Petrus, Johannes dem Täufer, Nikolaus von Bari und einer Märtyrerin umstanden. Der Katalog schreibt dieses Werk dem Basaiti zu. Während man also hier im zweiten Saal dem Basaiti ein Werk des Garofolo (Nr. 18) zumuthet, gibt man ihm in diesem Madonnenbild im letzten Cabinet der Galerie eins aus der Werkstätte 4e8 Boccaccio Boccaccino von Cremona. Wie sollte nun vor diesen zwei Bildern ein Kunsthistoriker, wenn er nicht zugleich Kunstkenner ist, den Charakter des Basaiti feststellen? Wahrscheinlich würde er sein Heil unter dem Deckmantel der Beeinnussungen suchen müssen.
BOCCACCIO BOCCACCINO.
Auch von diesem lombardisch -venetianischen Mei- ster Boccaccio Boccaccino trifft man, ausser der schon besprochenen Zingarella, Nr. 246 im Pitti-Palast, weder in Sud- noch in Mittelitalien Werke an. In Venedig dagegen begegnet man ihm unter den verschiedensten 2^amen: in der Kirche S. Giuliano unter dem des
366 I>ie Galerie Doria-Panfili.
Cordegliaghi; in der Sakristei von S. Stefano; in S. Pietro Martire in Murano unter dem Namen des Palma vecchio (jenes Bild ist freilich sehr über- malt); (f) im Bibliotheksaal des Dogenpalastes unter dem des Giambellino. (f) In der Akademie daselbst nennt man ihn bald einen alten Ferraresen (Saal XIV, Nr. 457), bald Schüler des Lionardo da Vinci (Saal XIII, Nr. 432), bald Pietro Perugino (Saal VIII, Nr. 265). 1 In seinem Bilde „Christus in Emmaus", im Hause des Herrn Sergianotto, wird Boccaccino uns sogar als Lionardo da Vinci vorgestellt. Es erging also diesem alten Cremonesen ungefähr so wie seinem Landsmann^ dem sogenannten Bartolommeo veneto, der auf einem seiner Jugendwerke sich auch „Bartolommeo mezzo cremonese e mezzo veneziano" bezeichnete und dessen Bilder ebenfalls unter den verschiedensten Namen gehen, Boccaccio Boccaccino ist übrigens ein ganz anderer, viel charaktervollerer Meister als jener Protheus von Bartolommeo veneto. Boccaccino dürfte seine Lehrjahre theils in Ferrara theils in Venedig durchgemacht haben, wo er gar manches, ja sein Bestes von der Schule der Brüder Bellini, von der des Alvise Vivarini und zu-
* An diesem letztem Bilde mag übrigens wol auch sein Bruder mitgearbeitet haben. Die Herren Crowe und Cavalca- seile bemerken über dieses höchst mittelmässige Werk (II, 447): „TFe are reminded in this picture of ihe schools of Lombardy^ and Leonardo, of Umhria and Pinturicchio, yet at ihe same tim& of those of Ferrara and Ercole Roberti as illustrated hy Pa- netti, Costa, Timoteo Viti, and the Zaganelli.'-'' j,E se potran con- tar8i^\ sagt Ariosto, „anco fian pochi!^^ Um die Herren Crowe und Cavalcaselle richtig zu verstehen, müssen meine Leser wissen, dass B. Boccaccino in Rom und auch in Ferrara war, und das» man überdies aus einem andern Documente erfahren hat, dass er eine Zeit lang sich auch in Mailand aufhielt. An allen diesen Orten erhielt also Boccaccino jene vielfältigen Eindrücke und Beulen, die die obengenannten Kunsthistoriker in dieser „Fuss- Waschung" der venetianischen Akademie bemerkt haben wollen.
Die Venetianer: Boccaccio Boccaccino. 367
letzt auch von Giorgione erhielt. Eines seiner vorzüg- lichen Bilder besitzt die Akademie von Venedig (Saal 11^ Nr. 55). Die Madonna sitzt mit dem Jesuskinde in einer reizenden Landschaft, neben ihr die Heiligen Petrus, Katharina, Rosa und der Täufer, bezeichnet: Bochazinus.^ Seine Vaterstadt Cremona hat, ausser den guten Wandgemälden im Dome, von ihm auch eine Altartafel vom Jahre 1518 aufzuweisen. Ein anderes, viel vorzüglicheres, farbenglänzendes Werk des Boccac- cino ist in Mailand bei Herrn Giulio Prinetti; es stellt den „englischen Gniss" dar. Auch die städtische Bilder- sammlung von Padua besitzt unter der Nr. 3 ein ech- tes und treffliches Bild dieses Meisters. Auf demselben ist die Madonna mit dem Kinde im Beisein der Hei- ligen S. Lucia und Katharina dargestellt.
Sein Sohn Camillo war auch Maler und unter den lombardischen Künstlern aus dem 3. Jahrzehnt des 1 6. Jahr- hunderts gewiss nicht einer der geringsten, wie man sich in seinem grossen Bilde der Brera-Galerie, Nr. 82, über- zeugen kann. In diesem Werke gewahrt man deutlich den starken Einfluss, welchen Giovan Antonio da Por- denone während seines Aufenthalts in Cremona und in Piacenza auch auf diesen Lombarden ausgeübt hat. Wegen seiner Fresken in der Kuppel der Kirche von S. Sigismondo bei Cremona wurde Camillo von seinen Lands- leuten und somit auch von Pater Lanzi in den Himmel er- hohen. Es war dagegen, meiner Ansicht nach, ein Glück für ihn, dass er in seinem 31. Lebensjahre und bald nach- Vollendung jener Arbeiten in eine bessere Welt hinüber- ging! Die Boccaccini- Familie hat mich indessen ver- leitet, von ihr in diesem Zusammenhange ausftihrlicher zu handeln, als es hier wol am Platze gewesen wäre.
> Er zeichnet sich bald: Bochazinas, bald Boccaccinus de Boccacciis. (S. Grasselli» Äbecedario hiografico^ etc. p. 64.) Auch im Maseo Correr ündet man ein chtrmkteristtsches Bild des Boo- oaccino (Saal VII, Nr. 22).
368 Die Galerie Doria-Panfili.
Ich wende mich nun zur Besprechung eines andern venetianischen Meisters. Wenn jenes Madonnenbild im Cabinet keineswegs, wie wir gesehen haben, dem Ba- saiti angehört, so ist dagegen in diesem Saal II der Oalerie das Tafelbild Nr. 96, mit dem heiligen Seba- stianus, Perugino genannt, ein echtes Werk von diesem Meister, ich meine den Marco Basaiti, und ihm ward es zu meiner grossen Genugthuung auch von den Herren Crowe und Cavalcaselle zuerkannt.
MARCO BASAiTI. Ueber die Jugenderziehung dieses in manchem Werke seiner Spätzeit nicht unbedeutenden venetiani- schen Meisters haben wir leider fast gar keine Kunde. Vasari hat ihn mit wenig Worten abgefertigt. Er wusste so wenig von ihm, dass er aus der einen Person zwei Maler gemacht hat, nämlich einen Basarini und einen Bassiti (VI, 102); es ist dies ein Zeichen, dass in der Mitte des 16. Jahrhunderts selbst im Venetianischen auch dieser Meister schon fast ganz vergessen war. Dass Marco Basaiti vornehmlich in der Werkstatt des Alvise Vivarini sich zum Künstler ausbildete, geht nicht nur aus seinen Bildern selbst, sondern auch aus dem Umstände hervor, dass er nach dem im Jahre 1503 «rfolgten Tode des Vivarini die von diesem für die Kirche S. Maria dei Frari begonnene Altartafel zu Ende führte und folgende Aufschrift darauf setzte i^ i^uod Vivarine tua fatali nece nequisti, Marcus Baxitus
nobile promsit opus. M. D. III.
^ Die Historiographen Crowe und Cavalcaselle (I, 261—263) sehen in den Werken Basaiti's das eine mal Einflüsse des Peru- gino, des Timoteo Viti, des Simon da Cusinghe, des Matteo und Antonio Cesa, sogar die des Antonio da Tisoio, das andere mal werden sie an die Vivarini, dann an Previtali und an Giorgione, ja selbst an Lotto und Solario, ein anderes mal an Cima, an Carpaccio, an die Bellini und an die Lombarden erinnert.
Die Yenetianer: Marco Basaiti. 369
War mm die Persönlichkeit dieses Meisters seinen spätem Landes- und Zeitgenossen so wenig bekannt, und machten selbst die gefeiertsten neuern Historio- graphen eine Art Chamäleon aus ihm, so darf es uns nicht wundernehmen, wenn im vorigen Jahrhundert <ler Verfasser des Katalogs dieser Doria- Galerie den Basaiti hier mit Garofolo (Saal II, Nr. 18), dort mit Boccaccino (Cabinet) und endlich sogar mit Pietro Perugino verwechselte. Ging es ihm doch ander- wärts nicht besser. In der Uffizien-Galerie nahm man ja den Basaiti noch in jüngster Zeit, wie wir gesehen, für Giambellino; in Mailand und in London für Cima da Conegliano,^ und anderswo sogar für den Vero- nesen GianfrancescoCarotto. Auch die grosse „Him- melfahrt Maria" in S. Pietro zu Murano dürfte wol «her ein von Bissolo, unter der Leitung des Giambel- lino, ausgeführtes Gemälde sein, als das Werk des Marco Basaiti, wie Herr Director Bode (II, 641) behauptet, (f ) Dagegen besitzt sein eigenes Museum in Berlin ein gar köstliches Bildchen unsers Basaiti (Nr. 40 des Meyer'- schen Katalogs), welches indessen selbst von den Herren Crowe und Cavalcaselle als Jugendwerk Carotto's be- Htätigt wurde (I, 482). Plerr Director Julius Meyer kam jedoch in der zweittn Auflage sein«vs K it'ili.tr^ «],.r
* Auch Herr Director lio.i.' ^i, 641) entging mein (iiescni ■qui pro quo, indem er den kleinen sich kasteienden heiligen Hieronymus (Nr. 302) der Brera- Galerie als Werk des Basaiti seinen Lesern vorstellt. Schon die Formen der Hand und des Ohres sowie auch die für den Cima so charakteristische Land- Hchaft in jenem Bildchen sagen jedem Kenner der renetianisohen Meister, dass et das Werk des Malert von Conegliano und keines- wegs des Basaiti ist. Auch hat es die neue Direction dem erstern zurückerstattet. Ein ganz ähnliches Bildchen des Cima kam vor Jahren aus der Sammlung Hamilton ebenfalls unter dem falschen Namen des Basaiti in die National Oaliery, wo es jedoch von Sir F. Burton, Director jener Galerie, sogleich als Arbeit des Cima da Conegliano erkannt wnrde.
l.KBiioi.iBrr. 24
370 J^ie Galerie Doria-Panfili.
Wahrheit insofern näher, als er es aus der Schule von Verona in dievenetianische des Alvise Vivarini versetzte. Ich wage aber noch einen Schritt weiter zu gehen und er- kläre, wie schon bemerkt, jenes ganz vorzügliche Ma- donnenbildchen mit den zwei musicirenden Engelknaben für ein untrügliches Werk des Marco Basaiti. (f)
Die Gemälde dieses nicht uninteressanten Meisters sind in Italien nicht selten; die meisten davon befinden sich, wie sich erwarten lässt, in Venedig: zwei in der Kirche von S. Pietro in Castello, ein anderes in der Sakristei der Salute. Das Museum Correr daselbst besitzt ein mit dem Namen bezeichnetes Madonnenbild (Saal IX, Nr. 24), Auch in der Akademie der schönen Kainste begegnen wir zwei grössern Werken des Meisters aus den Jahren 1510 — 12: die Berufung des Jacobus und des Johannes zum Apostelamt und das „ Gethsemane ", und überdies noch andere kleinere Werke. Ausserhalb der Lagunen- stadt finden wir Bilder des Marco Basaiti in der Com- munal-Galerie von Padua^; in jener von Verona, in der Ambrosiana in Mailand (Sala Pecis); in der Sammlung des Herrn Giovanni Morelli in Mailand, ein männliches, nicht weibliches Porträt wie Herr Director Bode sagt, mit der Bezeichnung M. BAXITVS. F. M. D. XXI. Die breitere Maltechnik auf diesem schönen Bilde er- innert mehr an Cima da Conegliano und an Giambel- lino, als an Alvise Vivarini.
Auch die städtische Galerie von Bergamo hat, ausser einem zwar mit dem Namen des Meisters bezeichneten allein stark übermalten männlichen Porträt, noch einen „Ecce homo" vom Jahre 1515 und einen sich ka- steienden heiligen Hieronymus, bezeichnet: MARCVS BAXAITI. Dieses letztere übrigens sehr verdorbene
^ Dieses gute Bild aus der spätem Zeit (1515—20) des Meisters stellt die Jungfrau mit dem Kinde zwischen den Heiligen Petrus und Liberalis und drei Engeln dar; es ist bezeichnet: MARCHVS. BAXAITI, und führt die Nr. 139.
Die Venetianer: Girolamo Romanino. 371
Gemälde erinnert an Cima da Conegliano. Ausserdem finden wir dort auch noch im Hause Agliardi ein Ma- donnenbild, bezeichnet MARCVS. BAXAITI, und bei Herrn Antonio Piccinelli einen andern stark übermalten sich kasteienden heiligen Hieronymus, ebenfalls mit dem Namen des Meisters bezeichnet.
Allem nach zu schliessen, diirfte M. Basaiti um 1470 geboren und bald nach 1521 gestorben sein.
GIROLAMO ROMANINO.
Sehen wir uns nun in diesem zweiten Saal der Doria- Galerie noch weiter um, so fällt unser Auge auf ein grösseres Madonnenbild von ebenfalls ausge- sprochen venetianischem Colorit. Das Bild hat zwar die Nr. 50, allein wunderbarerweise keinen Namen erhalten. Ein namenloses Bild hat aber, wie die klügern Galeriedirectoren wol wissen, gar keinen Werth in den Augen eines wissbegierigen Publikums, weshalb ich mir die Freiheit nehmen will, dieser „Madonna^' einen Namen zu geben, und ich glaube dies mit gutem Gewissen thun zu dürfen, da mir der farbenprächtige Girolamo Romanino von Brescia her schon ein alter und lieber Bekannter ist. Auch würde, falls man dieses Bild einer verständigen Reinigung unterzöge, die diesem Meister eigenthümliche glänzende Originalfarbe zu Tage treten. Von diesem kräftigen, originellen und nicht selten selbst grossartigen, obwol hie und da auch sehr fahrlässigen Künstler trifft man ausserhalb der Provinz und der Stadt Brescia nur eine höchst geringe Anzahl Bilder an. Um so reichlicher ist der Meister in den Kirchen seiner Vaterstadt und in denen der ganzen Provinz von Brescia vertreten.* In den Galerien des
* In den Kirchen von Monteohiari, Calvitano, Prealboino, S. Feiice, SaI6, Capriolo (anter dem* Kamen Tizian's) and andere wärU noch.
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372 I^e Galerie Doria-Panfili.
Auslandes, die englische National Gallery ausgenommen, begegnet man ihm fast nie. Weder das Museum des Prado in Madrid, noch der Louvre in Paris, noch die Belvedere-Galerie in Wien, noch die Pinakotheken von München und Dresden besitzen Werke von Romanino. Und doch kommen nur wenige Maler im Glänze und in der Pracht der Farben, in der geistreichen Lebendig- keit der Auffassung und in der Schärfe der Charakte- ristik dem Romanino gleich. Sein grosses Altarwerk in S. Francesco von Brescia, das andere in S. Maria Calchera daselbst sowie jenes in der städtischen Galerie von Padua, gehören zum Glanzvollsten, was die vene- tianische Malerkunst überhaupt aufzuweisen hat. Ueber- aus geistvoll sind ebenMls die vier Orgelflügel vom Jahre 1540 in S. Giorgio zu Verona, in welcher Kirche, und zwar ganz in der Nähe der Bilder des Romanino, sich auch ein höchst anmuthiges Altarwerk aus dem- selben Jahre 1540 von der Hand seines Jüngern Lands- mannes und Nebenbuhlers Alessandro Moretto be- findet. Als tüchtigen Frescomaler lernen wir den Romanino besonders im Dome von Cremona, in der Unterkirche von S. Giulia und in der städtischen Ga- lerie von Brescia sowie an mehrern Orten der heimat- lichen Valle Camonica kennen. Girolamo Romanino war eine wahrhaftige, höchst einfache, aller Affeetation bare Natur; auch entspricht daher seine Kunstsprache durchaus der Dialektsprache seiner Landsleute. Die wenigen Bildnisse, die er uns hinterlassen hat, sind mit einer Naturtreue und Naivetät aufgefasst und darge- stellt, dass man es den Leuten ansieht, dass . der Maler ihnen nicht geschmeichelt, sondern dass sie in ihrem Thun und Lassen so und nicht anders gewesen sein müssen, wie der Künstler sie eben dargestellt hat. Diese Porträts des Romanino sind, meiner Meinung nach, in der Auffassung noch einfacher als die des Tintoretto und Tizian und die vorzüglichsten darunter, wie unter
Die Venetianer: Alessandro Moretto. 373
andern dasjenige eines reichgekleideten Cavaliers, wel- ches aus dem Hause der verstorbenen Gräfin Fenaroli von Brescia in den Besitz ihrer Erben gelangte, stehen selbst im grossnrtigen Schwünge der Linien den besten Porträts eines Tizian und eines Velasquez kaum nach. Romanino verhält sich zu Alessandro Moretto ungefähr so wie in der mailänder Schule Gaudenzio Ferrari zu B. Luini sich verhält. Sind die erstem zwei phantasie- vollere, dramatischere, energischere Künstler als Mo- retto und Luini, so sind dafür diese letztern liebreicher und anziehender als jene ihre Nebenbuhler.^
ALESSANDRO MORETTO.
Von Alessandro Moretto befindet sich in Rom, soviel ich weiss, nur ein einziges Werk und auch dieses so stark übermalt, dass man darin den sonst an seinen feinen, silbertönigen Farbenaccorden so leicht erkenn- baren Meister nicht mehr gewahren kann. Dieses Bild ist in der Galerie des Vaticans und wurde, zu meiner
> Die Zeichnungen, die von Girolamo Romanino uns erhal- ten geblieben, sind in höchst geringer Zahl vorhanden. Mir wenigstens ist es nicht geglückt, mehr als vier oder fünf davon aufzufinden. Dieselben sind alle mit der Feder sehr leicht und sicher aufs Papier hingeworfen. Zwei dieser Ilandzeichnungen befinden sich in der Uffizien-Sammlung, die eine davon, spielende Putten darstellend, trägt die Nr. 1465; die andere, ein getuschtes männliches Porträt, die Nr. 215. Eine andere ganz vorzügliche Federzeichung, die „Ehebrecherin** darstellend, ist in der Am- brosiana ausgestellt; (f) und eine vierte fand ich im Schlosse von Cbatsworth unter dem Namen des Giolio Romano. Diese letztere sehr charakteristisohe Federseichnung stellt „ChristoB und die Samariterin" vor. (f) In allen diesen Zeichnungen erweist sich Romauiuo als ein viel geistreicherer und gewandte- rer Zeichner als Moretto in den seinigen, die swar sämmtlich sehr sorgfältig ausgeführt sind, in denen jedoch der Zug der Feder nicht jenen lebendigen und sichern Schwung hat, den wir in den Federzeichnungen Romanino's wahrnehmen.
374 I>ie Galerie Doria-Panfili.
Verwunderung, von den Herren Crowe und Cavalcaselle seiner guten Erhaltung halber ganz überschweng- lich gepriesen. Zwar trägt auch im Palast Colonna das Porträt eines jungen Cavaliers mit einem Hund an der Seite den Namen des Moretto, allein mit grossem Unrecht. Mir scheint jenes Bild nicht einmal der Schule von Brescia anzugehören.
Bildnisse des Moretto, mit Ausnahme der zwei ganz vorzüglichen in der National Gallery zu London, sind mir nur sehr wenige zu Gesicht gekommen. Die zwei Porträts, welche von Herrn Director Bode (H, 779 und 780) als solche angeführt werden, nämlich der sogenannte Arzt im Palast Brignole-Sale in Genua (A. B. bezeichnet) und ein anderes in der stadtischen Galerie von Brescia, sowie auch dort das grosse Reiter- bild der Casa Martinengo, dürften sich blos als Ar- beiten von Nachahmern des Moretto herausstellen, (f)
Das Museum von Neapel besitzt ein kleines, vor- zügliches Bild von unserm Brescianer; die Uffizien- Galerie hingegen hat nichts von Moretto aufzuweisen, denn das grosse dort ihm zugemuthete Bild, den „Tod des Adonis" darstellend, Nr. 590, gehört, wie schon bemerkt, dem Sebastiano Luciani an, was auch die Ansicht der Herren Crowe und Cavalcaselle ist (II, 416); das männliche Porträt (Nr. 639) ebendaselbst dürfte wol eher das Werk aus der Frühzeit des Cremonesen Giulio Campi sein; (f) und das kleine Bildchen end- lich, „Christus in der Vorhölle" darstellend, Nr. 1009, erinnert, wie mir scheint, mehr an die Art des Vero- nesen Feiice Brusasorci als an Moretto. (f) Die besten Werke des Alessandro Bonvicino sind fast alle noch immer in der Provinz und in der Stadt Brescia ver- blieben. ^ Wer also diesen höchst anziehenden Meister
* In den Kirchen von Castenedolo, von Prealboino, Maguz- zano, Orzinuovi, Paitone, Calvisano, Auro, Mazzano u. a. m.
Die Venetianer: Alessandro Moretto. 375
kennen zu lernen wünscht, muss ihn in der Stadt Bres- cia und im Brescianischen aufsuchen. Dass Moretto einen starken Einfluss von dem in Venedig lebenden Palma vecchio erhalten habe, wie die Herren Crowe und Cavalcaselle auf Grund ihrer Beeinflussunijstheorie behaupten, wundert mich nicht;, was mir aber unerklär- lich scheint, ist. dass Herr Director Bode, welcher doch mit der Maltechnik der Venetianer ganz vertraut zu sein glaubt , selbst in dieser, meiner Ueberzeugung nach, so grundfalschen Anschauung seinen Gewährsmännern Crowe und Cavalcaselle treu bleibt. Eine solche Be- einflussung lässt sich, wie mir scheint, vor keinem ein- zigen echten Gemälde Moretto's rechtfertigen. Meiner Ansicht nach ist Moretto stets Brescianer geblieben. Nach seinen bei Ferramola durchgemachten Lehrjahren studirte er vornehmlich die Malweise seines Mitbürgers Romanino und bildete dann dieselbe zur höchsten Voll- kommenheit aus. Es kommt allerdings nicht selten vor, dass fremde Kunstfreunde und Dilettanten, welche nur einige Werke der grossen venetianischen Coloristen sich in der Eile zwischen dem ersten und zweiten Früh- stück ansahen, die Einflüsse derselben dann in allen Werken der gleichzeitigen Maler aus andern stamm- verwandten Schulen gewahren wollen. Ich kann auch hier die Anfänger in der Kunstwissenschaft vor dieser zwar sehr geistreich und gelehrt klingenden, allein un- wahren und geistlähmenden Beeinflussungstheorie, mit der man seit einiger Zeit so grossen Unfug treibt, nicht genug warnen. Dieselbe gleicht dem glänzenden Strei- fen, den die Schnecke hinter sich lässt und der den Kurzsichtigen wie Silber vorkommt, während er für die Sehenden nichts anders als Schleim ist.
Nicht weit vom Madonnenbilde des Romanino hängt, unter Nr. 60, ein anderes Bild mit der Madonna, dem Kinde, dem kleinen Johannes und dem heiligen Fran- ciscus, welches im Katalog als Arbeit des Lodi ange-
376 Die Galerie Doria-Panfili.
fuhrt wird. Wahrscheinlich hat mau damit Calista da Lodi, den bekannten und zu seiner Zeit auch be- rühmten Schiller des Roman ino gemeint. Nach mei- ner Ansicht dürfte dieses kümmerliche Bild eher einem bolognesischen Nachahnier des Bagnocavallo oder de& lunocenzo da Imola angehören.
CALISTO DA LODI.
Calisto Piazza, gewöhnlich unter dem Namen Calisto da Lodi bekannt, gehörte der Malerfomilie der Piazza, Toccagni zugenannt, von Lodi an.i Sein Vater hiess Martino und sein Onkel Albertino. Calista hatte zwei Brüder, Scipione^ und Cesare, die auch Maler und gewöhnlich seine Mitarbeiter waren. Schon früh- zeitig scheint sein Vater ihn dem Romanino in Brescia in die Lehre gegeben zu haben. Ausserhalb Brescia und jener Umgegend, dem Lodigianischen und dem Mailändischen, ist dieser sehr talentvolle Maler kaum bekannt. In jenen Gegenden jedoch trifi't man ihn sehr oft an, zumal in der Valle Camonica: in Breno, in Esine,. in Cividale und anderwärts noch. Einigen Werken au& seiner Frühzeit nach zu schliessen scheint Calisto sich vorerst an Alessandro Moretto, seinen Altersgenossen (er wurde um 1500 geboren und starb im Jahre 1561) und auch Schulgenossen bei Romanino, eng angeschlos- sen zu haben, wie dies aus einem Längsbilde in der Galerie Poldi-Pezzoli erhellt, das dort dem Moretto selbst zugeschrieben wird.^ (f) Ein anderes etwas^
* Siehe darüber: Memorie originali italiane, risguardanti le helle arti, von Michelangelo Gualandi (Bologna 1840), Serie prima, p. 171.
2 Von Scipione Piazza sieht man auch in der Kirche von S. Spirito in Bergamo ein mit dem Namen bezeichnetes Bild. Scipione starb im Jahre 1551 in Lodi.
' HeiT Director Bode (II, 778) möchte dagegen jenes Bild dem Romanino vindiciren, allein schon der Typus der Engel
Die Venetianer: Calisto da Lodi. 377
späteres Werk aus der Fruhzeit unsers Calisto scheint mir ebenfalls das Altarbild in der städtischen Galerie von Padua zu sein — ein Bild, das mit dem Namen des Komauino und der Jahreszahl 1521 bezeichnet ist. (f) Wahrscheinlich hat es Calisto in der Werkstätte und unter der Leitung Komanino's ausgeführt. In der mit dem Namen und dem Jahre 1524 bezeichneten „An- betung der Hirten" der städtischen Galerie von Brescia (ehedem in der Kirche S. Clemente daselbst) gewahrt man sowol Einflüsse des Romanino als auch des Mo- retto. In der „Heimsuchung" vom Jahre 1525 in S. Maria Calchera dagegen ahmt Calisto ausschliesslich seinen Meister Romanino nach, mit dem er denn auch in den folgenden Jahren gar oft verwechselt wird. Ja, in der Brera- Galerie geht man in dergleichen Verwechselungen so weit, dass man sogar ein gutes Bild Calisto's (die „Taufe Christi", Nr. 425) dem schwächlichen Maler Carlo ürbino aus Crema zu- schreibt, (f)
Nachdem nun unser Meister Calisto manches Werk für die Kirchen der Valle Camonica angefertigt hatte, kehrte er im Jahre 1529 wieder in seine Vaterstadt Lodi zurück, wo ihm bald der ehrenvolle Auftrag wurde, in Gemeinschaft mit seinen Brüdern Scipione und Cesare das Octogon der Kirche S. Maria Incoronata,
oben, sowie die Landschaft hätten ihn belehren sollen, dass er vor einem Werk des Calisto da Lodi stehe. Wenn man übrigens nicht selbst im Lande des Künstlers weilt und mit Liebe und Ausdauer der Jugenderziehung desselben nachgebt, so ist es be- greiflicherweise selbst bei dem gl&nzendsten Talente gans un- möglich, den Meister in seinen Jugendwerken zu erkennen. Herr Staatsrath Paul Dclaroff in St. • Petersburg besitzt von Calisto iMazza ein liebliches Madonnenbildchen in Temperafarben, das sich als Copie nach einem Jugendwerk Moretto's im Besitze von Sir Henrv Layard herausstellte und weluhes grosse Aehn- lichkeit mit dem Längsbilde in der Poldi*Sammlung hat.
378 I^iß Galerie Doria-Panfili.
WO die Orgel zu stehen kam, auszumalen. Ein Jahr später, d. h. 1530, führte Calisto die ganz vorzüglichen Bilder mit den Darstellungen aus dem Leben des Täu- fers für die gleichnamige Kapelle jener Kirche aus. Diese letztern Gemälde, die zu den besten des Meisters gezählt werden müssen, sind in der That so glänzend in der Farbe, dass in Lodi später die Sage entstand, Tizian hätte auf einer Durchreise in jenen Bildern diesen und jenen Kopf gemalt. (Lanzi, a. a. O., III, 151.) Und auf Grund dieser albernen Tradition wird vielleicht irgendein zukünftiger Kunsthistoriker aus Finland den Einfluss Tizian's auf Calisto da Lodi constatiren wollen. Ein anderes vorzügliches Werk Calisto's aus dieser seiner frühen Wirkungszeit besitzt auch die Brera-Galerie im Bilde Nr. 450 (thronende Madonna mit dem Kinde, den Heiligen Hieronymus und Johannes dem Täufer und einem Engel). In jenen Sälen sieht man noch zwei andere Werke von ihm, darunter das sehr be- achtenswerthe Porträt des Lodovico Vistarini (Nr. 373). Ein ebenfalls vorzügliches Werk unsers Meisters mit den Bildnissen der Gatten Trivulzio befindet sich in einer Kirche von Codogno. Vom Jahre 1535 an war Calisto in Mailand ansässig, woselbst er in mehrern Klosterkirchen (S. Maurizio, S. Francesco, S. Nazzaro e Celso) Wandgemälde ausführte. —
Ich habe mich, meiner eben nicht sehr lobenswerthen, einem alten Manne jedoch verzeihlichen Gewohnheit gemäss, wieder viel zu lange in diesem Saal II auf- gehalten und es ist somit hohe Zeit, dass wir unsere Wanderung nach dem dritten Zimmer der Galerie fort- setzen. Ich kann indessen nicht umhin, vorher noch in aller Eile zu bemerken, dass ebenso wenig wie die zwei nicht eben sehr anmuthigen Bildnisse mit den Nummern 42 und 45 dem grossen Ilolbein angehören, dem sie hier zugeschrieben werden, so auch das Porträt einer mit ihrem Los unzufriedenen Edeldame unmöglich
Die Venetianer: Paris Bordonc. 379
die Arbeit Tintoretto's sein kann^ (unter dessen Namen noch mehrere andere Bildnisse in dieser Galerie mit Unrecht aufgestellt sind); vielleicht rührt dieses weibliche Porträt vom Scipione da Gaeta her.
PARIS BORDONE. Ueber der Eintrittsthür des dritten Zimmers erglänzt, von der in diesem Raum herrschenden Finstemiss kaum behindert, eines jener herrlichen Decorationsstücke, deren Paris Bordone gar manches geschafien hat. Das Bild stellt Mars und Venus mit dem tückischen Liebesgott dar. Das Leben des Paris umfasst ungefähr dieselbe Zeitspanne, wie das des Moretto und des Calisto da Lodi ; er wurde nämlich um 1495 in Treviso geboren und starb bald nach 1570. Der Archivar Cecchetti theilt uns folgende Unterschrift von ihm mit: „Jb. Paris Bor- don de Treviso, hahitante in Venetia in contra de S, Marcilian, 31 Agosto 1563 J-'- Er hatte vier Kinder: Jobannes, Angelica, Cassandra und Ottavia, ,und war wohlhabend. Sein Vorbild war, mehr noch als Gior- gione, wie Vasari behauptet, Tizian, in dessen Werk- statt der etwa 14jährige Paris ums Jahr 1509 eintrat und an dessen Bildern aus jener Gorgionesken Epoche des Cadoriners er vornehmlich seine Studien machte, wovon uns unter andern auch das Jugendwerk Tizian^s in der Capitolinischen Galerie (durch eine neue Ver- putzung leider ganz verdorben) einen augenfälligen Be- weis liefert. Jenes Bild stellt die „Taufe Christi" Tor und galt stets und wie ich glaube mit dem vollsten Recht für das Werk Tizian's, bis in neuerer Zeit die Herren Crowe und Cavalcaselle es dem Paris Bordone zuzuweisen für gut erachteten. Auch in diesem, nach
* Wer ganz vorzügliche Portrftta und Bilder des Tintoretto in Rom zu sehen wünschtf findet sie in den Sälen der Galerie Co- lonna. Dort lernt man diesen Meister auch noch als ausge- zeichneten Landschaftsmaler kennen.
380 Die Galerie Doria-Panfili.
meiner Ueberzeugung , verfehlten Urtheil folgte gut- willig Herr Director W. Bode seinen Gewährsmännern (II, 764, Anmerkung).*
Ein anderes Bild, wo Paris ganz besonders Tizian sich zum Vorbild nahm, befindet sich im fünften Zimmer dieser Doria-Galerie. Dasselbe führt die Nr. 22 und stellt die heilige Familie mit der Märtyrerin Katha- rina dar. Indess nach meinem Dafürhalten ist dieses Bild nur eine alte Copie eines Jugendwerks von Paris Bordone.^ Wünschen wir noch ein anderes Werk unsers Trevisaners unter dem Namen Tizian's zu sehen, so müssen wir uns in den Braccio II der Galerie be- geben. Dort hängt ein zwar durch Restaurationen stark verdorbenes männliches Bildniss, an dessen dem Paris eigenthümlichen Hand mit den steifen Fingern sowie an den ebenso charakteristischen rosenrothen Lasuren des Incarnats man doch, wie ich glaube, den wahren Autor des Gemäldes noch erkennen kann, ich meine den Paris Bordone. Jenes Bild führt die Nr. 57 und ist offen- bar das Conterfei eines Poeten, obwol der dargestellte Mann trotz seines Lorberkranzes durchaus kein poe- tisches Aussehen hat. Andere Werke dieses edeln, stets vornehmen, allein nicht selten allzu wandelbaren und oberflächlichen Künstlers finden sich in der Galerie Colonna, von denen das eine (die heilige Familie im Beisein der Heiligen Elisabeth, Hieronymus und Jo- hannes des Täufers), wie bekannt, irrthümlich dem Bonifazio Veneziano zugemuthet wird ; das andere, eine sogenannte Santa conversazione, verdiente zu den
^ Man betrachte in diesem Gemälde besonders die dem Cado- riner in seinen Jugendwerken ganz eigenthümlichen Formen des Ohres und der Hand sowie auch das durchaus in seinem Sinne aufgefasste Porträt des Donators und die Giorgionesk beleuchtete Landschaft.
^ Herr Director Bode gibt dieses Bild dem Bernardino Licinio, „mit Anklängen an Paris Bordone" (II, 775).
Die Venetianer: Paris Bordone. 381
besten Werken des Meisters gezahlt zu werden, wäre das Bild nicht durch eine barbarische Uebermalung un- geniessbar gemacht. Im Pitti- Palast kommt der ent- entgegengesetzte Fall vor. Dort gibt man nämlich die „Ruhe auf der Flucht nach Aegypten" (Nr. 89), sowie die „Sibylle mit Augustus" (Nr. 257) dem Paris, wäh- rend doch beide Bilder, wie schon der verstorbene O. Mündler mit Sachkenntniss nachwies, den Boni- fazios angehören. Vorziiglich sind dagegen die zwei Porträts, die Florenz von der Hand des Bordone besitzt: das eine ein Jünglingsporträt in den Uffizien, Nr. 607, das andere, die sogenannte „Balia di casa Medici", im Pitti-Palast, Nr. 109. Auch die Galerie im Palast Brignole-Sale zu Genua hat ein sehr schönes Bildniss unsers Meisters aufzuweisen.
Die Hauptwerke dieses liebenswürdigen und farben- prächtigen Malers befinden sich jedoch noch immer im Venetianischen und in Venedig. Die dortige Akademie hat deren mehrere und darunter wol sein schönstes, ich meine jenes mit „dem glücklichen Fischer des Ringes vor dem Senat"; ein Gemälde, das schon seiner aus- nahmslos guten Erhaltung halber einen unbeschreib- lichen Reiz auf jeden feinfühligen Kunstfreund ausübt. Ein zweites Prachtwerk des Bordone, in dem der Meister von seinem Mitbürger Lorenzo Lotto inspirirt zu sein scheint, befindet sich in der Gemäldesammlung Tadini in Lovere, am L.'igo d'Iseo. Die« letztere Gemälde, von einer ganz besondom Leuchtkraft, stellt die Jungfrau mit dem Christkinde, umgeben von den Heiligen Christo- phorus und Georg, vor. Vasari, welcher das Bild er- wähnt (XIII, 50), berichtet, der Maler habe im heili- gen Georg Giulio Manfroni von Crema, den Besteller der Altartafel, dargestellt.* In s«»Inrr Vaterstadt Tre-
^ Siehe auch im Anonimo dea MorcUi {'J'^ editiotu rnimctt- lata per cura di &uttato Fruttmij Bologna, 1884), p. 14:').
382 Die Galerie Doria-Panfili.
viso hat sich noch etwa ein halbes Dutzend seiner Werke erhalten^; auch die Communal- Galerie von Padua be- sitzt ein zwar sehr verputztes, allein nach meiner An- sicht echtes Bild von Paris ^ (Christus der von seiner göttlichen Mutter Abschied" nimmt, Nr. 93); im Kata- log jener Sammlung wird das Bild blos in die Schule des Meisters gesetzt. Ausser Venedig findet man auch in Mailand eine grössere Anzahl von Werken des Paris Bordone: in der Kirche von S. Celso, in der Brera- Galerie, im erzbischöflichen Palast^ und einige herrliche Porträts in Privatbesitz. Wir wissen durch Vasari, dass die Fugger aus Augsburg, welche auch in Venedig ansässig waren, den Paris nach ihrer Vater- stadt kommen liessen und dort vielfach seine Kunst in Anspruch nahmen. Im Jahre 1538, berichtet der Are- tiner, wurde Paris von König Franz I. nach Frankreich berufen und beauftragt, die schönsten Frauen am Hofe des kunstliebenden Monarchen durch seinen Pinsel zu verewigen. Jene Porträts scheinen jedoch verloren zu sein, denn, so viel mir bekannt ist, sind in Frankreich nicht nur die Bildnisse des Paris, sondern seine Werke überhaupt von der grössten Seltenheit. Im Privatbesitz ist mir dort kein einziges zu Gesicht gekommen und von den drei in der Louvre-Galerie ihm zugeschriebenen Bildern wurde das Porträt des Hieronymus Crofi't aus Augsburg (Nr. 82) erst zur Zeit Ludwig's XIV. erwor- ben; das Decorationsstück (Nr. 81) mit Vertumnus und Pomona kam nicht früher als im Anfange dieses Jahrhunderts nach Frankreich, und Nr. 83 endlich
^ Darunter eine „heilige Familie" in der Communal-Galerie, welche dort dem Palma vecchio zugemuthet wird (Nr. 53).
2 Es ist merkwürdig, dass derselbe Gegenstand ungefähr gleichzeitig von Correggio, von L. Lotto und dann auch von Paris Bordone behandelt wurde.
3 Das schöne Bild des Paris stellt die heilige Familie mit einem frommen Bischof und dem Donator dar.
Die Yenetianer: Bonifazio Yeronese. 383
(die Bildnisse eines Mannes und eines Kindes ent- haltend) ist nach meiner Ueberzeugung die Arbeit eines Niederländers und keineswegs das Werk des Trevisaners. (f)
BONIFAZIO VERONESE. Ein Zeit- und Gesinnungsgenosse des Paris Bordone war der Veronese Bonifazio I.*, von dem im Saal V ein durch unsinnige Verputzung allerdings sehr verdor- benes allein dennoch höchst anziehendes Bild, unter Nr. 52, aufgestellt ist (die heilige Familie im Bei- sein von zwei Märtyrerinnen). Da Porträts von der Hand dieses heitern, farbenreichen Künstlers eine Selten- heit sind, so bitte ich meine Begleiter, mir in den Brac- cio III dieser Galerie zu folgen, wo ich unter Nr. 27 eins derselben entdeckt zu haben glaube. Es ist dies das Bild eines jungen Mannes mit schwarzer Mütze auf dem Kopfe; im Katalog wird es als Arbeit des Giorgione angegeben, (f) Leider wurde auch dieses Bild Boni- fazio's gleich dem vorigen, und wahrscheinlich von der Hand desselben Barbaren, durch Verputzung seiner Ober- haut gänzlich beraubt. Trotzdem übt es noch immer eine besondere AnziehungskraR auf den Beschauer aus, sowol durch die Einfachheit der Auffassung als auch durch die Anmuth der Darstellung. Von diesem glänzenden Coloristen besitzt die Galerie Colonna ein ganz vor- zügliches Madonnenbild mit den Heiligen Hieronymus und Lucia unter dem Namen Tizian's (Saal I).' An
^ Aus einem vom yentorbenen Archivar Cecohetti veröffent- lichten Docoment erhellt, dass die Familie Bonifazio sich de Pittatis nannten: 1558, 26 luglio, De Pittatit BonifaeiOf abitante neUa contra di San Mareuola^ m le case dtU monache dt S. Alvise und Jo. Bonifaiio di PiUati da Verona pitorf fb (fü) di Ser Marzio (d. h. Sohn des ventorbenen Herrn Marsio) {Ärchivio veneio, T. 84, p. 207).
* Während also in der Doria - Galerie Bonifaxio mit Qior- gione verwechselt wird, wird er in der Galerie Colonna einmal
384 Die Galerie Doria-Panfili.
diesem letztem Bilde mögen die Anfänger die diesem Meister eigenthümliche Form der Hand und des Ohres Studiren* Auch im Palast des Fürsten Mario Chisri trifft man ein kleines farbenglänzendes Bildchen unsers Bonifazio Veronese, jedoch nicht so glänzend und fein wie die kleine, im Saturnussaal des Pitti-Palastes unter Nr. 161 und dem Namen des Giorgione aufgestellte „Auf- findung Mosis" ist. Wer jedoch diesen vielleicht farben- prächtigsten aller venetianischen Maler ganz kennen und schätzen will, der muss die Galerien von Venedig und Mailand besuchen, wo die Hauptwerke dieses eminenten Künstlers sich befinden.
PALMA VECCHIO.
Ein anderer grosser Colorist aus der Schule des Giambellino und des Giorgione, dessen Werke nicht selten dem Giorgione (Dresden und Braunschweig) oder auch Tizian zugeschrieben werden, ist Jacopo Palma, Palma vecchio genannt.^ Von ihm hatten wir bereits in der Borghese- Galerie Gelegenheit zwei Werke zu betrachten; in diesem Doria- Palast dagegen ist der treff- liche Bergamaske gar nicht repräsentirt, weder durch falsche noch durch echte Bilder. Dafür besitzt die Galerie Sciarra-Colonna ein prachtvolles Frauenbildniss des Palma, unter dem Namen der „Bella di Tiziano". Diese berühmte venetianische Schöne, deren Zügen wir öfters in andern Bildern des Palma, in denen Tizian's und anderer gleichzeitiger Maler Venedigs begegnen, wurde erst in neuerer Zeit auf Tizian umgetauft. Im
mit Tizian, ein anderes mal mit Paris Bordone verwechselt, im Pitti-Palast aber mit Palma vecchio und auch wieder mit Giorgione.
^ Ein neuerer Kunstschriftsteller, Herr Elia Fornoni aus Bergamo {Notizie hiograßche su Palma vecchio, Bergamo 1886) behauptet, der wahre Familienname des Palma sei Nigreti ge- wesen, was ich dahingestellt lassen will.
t
Die Venetianer: Palma vecchio. 385
17. Jahrhundert befand sich das Bild in der Sammhmg des Erzherzogs Leopold Wilhelm zu Brüssel. Bekannt- lich hat der Conservator jener Sammlung, der Maler David Teniers, im Auftrag seines Herrn und Gönners die meisten bedeutendem Gemälde der ihm anvertrauten Sammlung in kleinern Verhältnissen reproducirt, welche Copien durch Vorsterman, J. van Kessel und andere gestochen wurden fi'ir das grosse Werk, welches unter dem Titel: ^^Theätre des peintvres de David Teniers, didie au Prince Leopold-Guillaume^ archiduc etc.% 1660 in Brüssel erschien. Viele von jenen Bildern nun, in welchen der trefl'liche Teniers die italienischen Origi- nale ins Vlämische übersetzt hatte, wurden dereinst, wie es scheint, dem Herzog von Marlborough zum Geschenk gemacht und befanden sich noch vor Jahren in einem obern Zimmer des herzoglichen Schlosses von Blenheim. Unter diesen Teniers'schen Copien sah ich nun auch die imserer „Bella di Tiziano'*. Dort trug dieselbe jedoch noch immer den wahren Namen des Autors, denn sie war auf der Rückseite bezeichnet als „Copie d'apres Palma vecchio'S
In ihren jungen Jahren war dies stattliche Weib höchst- wahrscheinlich nichts anders als eine jener berühmten ve- netianischen Courtisauen, die Musen des Pietro Aretino, welche den Malern gar ofl als Modell dienten. Und in der That erinnert in den Bildern Tizian^s mancher weib- liche Kopf an diese „Bella" der Galerie Sciarra-Colonna, in welch letztorm schönen Gemälde jedoch jeder auch nur oberflächliche Kenner der venetianischen Schule die Hand des Palma vecchio erkennt und zwar aus jener Epoche des Meisters, in der er sich an seinen altem Nrlnil.r.ni wnen Lorenzo Lotto angeschlossen hatte. » T^:-«
* Die Herren Crowe and Cavaloaselle (II, 478) oitiren eben- falls dieses Bild als Werk des Palma vecchio. Für die floren- tinischen Commentatoren des Vasari ist et dagegen noch immer
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38(5 Die Galerie Doria-Panfili.
sogenannte „Bella di Tiziano" gemahnt sowol in der Heiterkeit der Farben, in den hellgrünen Schatten, als auch in der Modellirung der Hand an Lotto. Ein ähn- liches Frauenbildniss des Palma besitzt auch die Samm- lung Poldi-Pezzoli in Mailand; dies letztere Gemälde ist freilich durch den Restaurator so sehr modernisirt worden, dass es fast wie eine Copie aussieht; früher war es dem Giorgione zugeschrieben. Meinem Geschmack sagt das reizende weibliche Porträt des Palma, Nr. 197, im Berliner Museum viel mehr zu, als diese weltberühmte „Schöne" im Palast Sciarra-Colonna. Ein für Palma höchst charakteristisches Werk befindet sich auch im Palast Colonna in S. S. Apostoli. Auf jenem Bilde sehen wir die Madonna mit dem Christkinde, welchem der Donator durch* den heiligen Petrus empfohlen wird. Wer die dem Palma eigenthümlichen Formen des Ohres und der Hand kennen lernen will, betrachte sie auf diesem letztern Gemälde, in welchem die Landschaft mit dem röthlichen Horizont für den Meister ebenfalls bezeichnend ist.
Ein anderes Werk des Palma vecchio, das in Rom unter dem Namen Tizian's geht, befindet sich in der Capitolinischen Galerie und stellt die „Ehebrecherin" dar, ein Bild, das der Anonymus des Morelli im Jahre 1528 in der Sammlung des Francesco Zio (Giglio) zu Venedig sah.^ Ausser diesen vier sind mir in Rom keine andern Werke von Palma vecchio zu Gesicht ge- kommen. Die sogenannte „Schiava di Tiziano" in der
die Arbeit Tizian's (XIII, 45). Ueberbaupt sind die um so manche wicbtige Frage in der italienischen Kunstgeschichte sonst so hoch verdienten Herren Herausgeber des Vasari in der Bestimmung von Kunstwerken und namentlich der aus den venetianischen Malerschulen nicht gut berichtet und ihre Commentare sind daher meistens nicht nur schwach, sondern gar oft auch irrig.
^ Siehe im Anonimo des Morelli (2* edizione, aumentata per cura di Gustavo Frizzoni), p. 180.
Die Venetianer: Palma vecchio. 387
Galerie Barberini, von den Herren Crowe und Caval- caselle dem Palma zugetheilt (II, 478), ist höchst wahr- scheinlich nichts anderes als eine jener vielen Nach- äffungen, mit denen Pietro Vecchia im Anfange des 17. Jahrhunderts die Verehrer des Giorgione zu be- glücken pflegte. Das Museum von Neapel hat dagegen in einer sogenannten „Santa conversazione" eines der herrlichsten Staffelei bilder, die Palma je geschaffen, ein Bild, das würdig ist neben Palma's Bild der Louvre- Galerie gestellt zu werden. Von den vier dem Palma im Pitti-Palast zugemutheten Bildern gehört kein ein- ziges unserm Bergamasken an, und nicht viel besser sieht es mit den fünf Palma vecchio-Bildern aus, welche die Uffizien-Galerie zu besitzen sich rühmt. Unter den- selben scheint mir blos die dicke Judith (Nr. 619), die dort ehemals unter dem Namen des Pordenone aufgestellt war, ec h t zu sein. Die heilige Familie mit derMagdalene dagegen (Nr. 623) dürfte bei miherer Besichtigung blos als eine alte Copie nach Palma sich herausstellen. Das sogenannte Porträt eines Geometers (Nr. 650) ist ebeur falls Copie, und zwar nicht einmal nach Palma vecchio.* Das Madonnenbildchen (Nr. 1019) kann nur als das Machwerk eines untergeordneten Nachahmers Tizian^s betrachtet werden; das andere kleine Bild (Nr. 1037), „Christus in Emmaus", gehört augenscheinlich der Werk- statt des Bonifazio an, und was endlich das ganz ver- dorbene Frauenporträt (Nr. 1087) anbelangt, so würde.
* Das Origmalbild diesei sogenanntea Geometers befindet sich unter dem Namen des Giorgione in der Sammlung von Sir Francis Cook in Richmond. Täusche ich mich nicht, so ge- hört jedoch jenes Bild dem Bartolommeo Veneto an. (f) Es ist augenscheinlich Portr&t. Der dargestellte Cavalier statzt auf jenem Bilde in Richmond seine Iteohte aaf den Degengriff, wäh- rend er in der Linken einen Kompass hält Im Musenm Corr^r zu Venedig sieht man eine andere Copie des Bildes in der Uffizien- Galerie, mit der Jahrestahl 1555. (t)
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glaube ich, der Uffizien-Galerie kein erheblicher Scha- den geschehen, wenn man jenes Bildchen in die Rumpel- kammer verwiese.
"Weder die öffentlichen Bildersammlungen von Bologna und Ferrara noch die von Padua besitzen Gemälde des Palma vecchio. In dieser letztern Sammlung trägt aller- dings ein Madonnenbild die gefälschte Aufschrift: lACOMO. PALMA. Jenes Bild verdient jedoch dem trefflichen Bergamasken ebenso wenig zugetheilt zu werden, als sein Zwillingsbruder (f) im Berliner Museum (Nr. 31), auf dem ein Fälscher sich den Spass machte, eine ähnliche Aufschrift anzubringen, wahrscheinlich um damit künftige Kunstkritiker und Galeriedirectoren in Verlegenheit zu bringen. Dagegen würde die städtische Bildergalerie von Rovigo im Madonnenbild Nr. 39, mit den Heiligen Hieronymus und Helena, ein Werk aus der besten Epoche des Palma besitzen, wenn jenes Gemälde nicht durch Uebermalung so grausam entstellt wäre, dass man den Meister kaum noch darin zu er- kennen vermag. Deshalb erwähnen klugerweise auch die Herren Crowe und Cavalcaselle mit keiner Silbe jenes Bildes, wogegen sie ein männliches Porträt (Nr. 123) in derselben Galerie anführen, in dem sie noch die Hand des Palma gewahren wollen (II, 484). Ich kann jedoch beim besten Willen in jenem Porträt nicht mehr als eine Copie erkennen, (f)
Zwei andere Copien nach Palma vecchio befinden sich, meiner Ansicht nach, ebenfalls in der Bildersamm- lung von Modena; die eine unter dem Namen des Palma, Nr. 129, die andere, Nr. 123, unter dem Namen Giorgione's. (f ) Auch die Pinakotheken von Parma und von Turin besitzen keine Werke unsers Bergamasken; die Brera- Galerie hingegen ein Triptychon (Nr. 79) mit den Heiligen Helena, Constanstin, Rochus und Sebastian, und ein grosses Altarbild „Die Anbetung der drei Könige", welches, nach meiner üeberzeugung.
Die Venetianer: Palma vecchio. 389
wol die letzte Arbeit des damals (1526) schon kranken Meisters gewesen sein dürfte, weshalb er auch die Aus- führung des Bildes fast ganz einem seiner Gehülfen überlassen musste. Die städtische Bildersammlung von Bergamo hat nur ein einziges Werk des Bergamasken aufzuweisen und auch dieses kam von auswärts in die Galerie. Dafür birgt sein heimatliches Brembothal in den grossen Polyptychons von Peghera, Dossena und Serinaita drei werth volle Werke von seiner Hand.*
Unter den grössern Altarwerken unsers Meisters sind jedoch jenes in der Kirche von S. Stefano in Vi- ce nza und jenes in S. Maria Formosa in Venedig als die vorzüglichsten des Meisters zu betrachten. Ich würde auch noch das andere grosse Bild, Saal IX, Nr. 8, in der Akademie von Venedig dazu rechnen, wäre jenes Gemälde durch Rest;iuration nicht so abscheulich ent- stellt. Bildnisse scheint Palma nur wenige gemalt zu haben. Zwei davon befinden sich in der Sammlung Querini-Stampalia (die Querini waren die Protectoren Palma's); freilich hat eine neuere Restauration auch jene zwei Porträts fast ganz zu Gnuide gerichtet.
Palma vecchio, der von seinem um einige Jahre
* Das Polyptychon in der Pfarrkirche von Serinalta, dem Geburtsorte Palma's, besteht aus neun Tafelbildern : in der Mitte die „Auferstehung Christi" und darüber die „Vorstellung im Tempel*'; an tlen Seiten die Heiligen Joseph, Franciscus, Jo- hannes, Jacobus, Albertus, Apollonia und ein anderer Heiliger. Ausser diesem Altai*werk befinden sich dort noch zwei andere Tafelbilder des Meisters mit den Figuren des Pietro martire und des heiligen Adalbcrt.
Das Polyptychon in der Pfarrkirche von Peghera (im Seiten- thal Taleggio) besteht aus sieben Abthoilungen; in der Mitte die Heiligen Jacobus, Rochus und Sebastianus und darüber eine sogenannte Pieta: der von einem Fogel beweinte todte Christus, rechts der heilige Antonius, links der heilige Ambro- sius und ganz oben Gottvater. Aehnlioh ist das Polyptychon in der Pfarrkirche von Dossena.
390 I>ie Galerie Doria-Panfili.
altern Stiidiengeiiossen Lorenzo Lotto in einer ge- wissen Epoche (etwa in den Jahren 1510 — 1515) be- einflusst wurde \ fi'ihrt uns naturgemäss zu diesem letzt- genannten, geist- und phantasiereichen Schüler des Giam- bellino.
LORENZO LOTTO.
Lorenzo Lotto ward, wie ich glaube, nicht 1480, sondern schon etwa um 1475 in Venedig geboren, Hess sich jedoch schon in den ersten Jahren des 16. Jahr- hunderts in der Stadt Treviso nieder und wurde bald, wie es scheint, Bürger daselbst, sodass er von da an sich fast immer „de Tarvisio" zu bezeichnen pflegte. ^ Von seiner Hand finden wir zwei Bilder in dieser Doria-Galerie. Das eine derselben (Braccio II, Nr. 15) stellt den heiligen Hieronymus in einer meisterhaft ge- malten Landschaft dar und wird im Katalog als Werk des Caracci (!) angeführt. Die Leidenschaftlichkeit in der Bewegung des sich kasteienden alten Mannes ist durchaus Lottisch. Ein diesem ganz ähnliches Bild, doch in grösserm Format, besitzt auch das Museum von Madrid, dort Tizian zugeschrieben. Doch schon Otto Mündler (a. a. O.^ S. 58) und nach ihm auch die Herren Crowe und Cavalcaselle haben beide Bilder als Werke
^ Dies gewahrt man am deutlichsten im Bilde des Palma im Louvre, sowie auch im schönen Frauenporträl (Nr. 197A) im Museum von Berlin.
2 Siehe: Gustavo Bampo, Spigolature dalV archivio nota- rile di Treviso:
1504, 24. Febr. „Tarvisn in domo hdbitationis mag. Lau- rentii LoH de Venetiis pictoris Tarvisii^^ etc.
1504, 25. Novb. „Tarvisii — inesentihus .... et m. Lau- rentio Loto de Venetiis q. S. Thome, pictore hahitatore Tarvisii.'^
1505, 7. Aprilis. „ Tarvisii in domo hahitationis m. Laurentii Loti de Venetiis, q. S. Thome, pictoris celcherrimi"' etc. Im Jahre 1505 war Lotto also schon ein berühmter Meister.
Die Venetiauer: Lorenzo Lotto. 391
Lotto's erkannt. Ich hatte vor zelten Gelegenheit in Paris bei dem verstorbenen Otto Mündler ein anderes Bildchen mit demselben Gegenstand zu sehen, worauf der Name des Meisters und das Jahr 1515 mit Goldbuchstaben ge- zeichnet standen. Jenes Bildchen mag wahrscheinlich dasselbe gewesen sein, das der Anonymus des Morelli als im Hause des Domenico dal Cornello (d. h. Tassi) zu Bergamo befindlich erwähnt*: ^.el quadretto de S. (rieronimo^\ Das andere Bild des Lotto in dieser Samm- lung hängt in demselben Braccio II unter Nr. 34 und ist im KatiUog als Porträt eines Richters (!) von L. Lotto angeführt. Was der „Richter^' mit diesem Bilde zu schaflen haben mag, mögen gelehrtere Männer als ich bin erklären. Doch daran liegt ja nicht viel; besehen wir uns das Bild selbst. Der noch im besten Alter stehende Mann scheint von Gemüthsleiden niederge- schlagen; sein Antlitz ist blass, er hält die Hand auf dem Herzen, gleich als ob der Schmerz dort seinen Sitz hätte; sein Auge scheint etwas zu suchen, was nicht mehr in dieser Welt ist. Seine Figur ist zwar nicht elegant in der heutigen Bedeutung des Wortes, allein die ganze Haltung dieses noch jungen Mannes entspricht dem tiefbetrübten Ausdruck seiner Gesichtszüge. Der Mann zählt blos 37 Jahre und doch bedeckt schon der Epheu den Stein, auf welchem seine Lebensjahre ein- gegraben sind. Auf einem danebensteheuden Pilaster sieht man ein Basrelief, auf dem der Gott der Liebe dargestellt ist, wie er, gen Himmel blickend, mit seinen Füssen die Schalen einer Wage im Gleichge- wicht erhalt — vielleicht eine Andeutung, dass, wie jene Wage nicht mehr vom Liebesgott auf- und nbg<*- worfen wird, so auch das Herz des Mannes nun nicht
* Die Familie Tausi besä«« im Brcmbothal ein Schloss mit Uem Namen Cornello , weshalb die MitgUeder jener Familie blos „dal Cornello" genannt wurden.
392 Die Galerie Doria-Panfili.
mehr von der Liebe bewegt wird. Diese nämliche Darstellung Amor's auf der Schale einer "Wage stehend findet man auch auf einer jener schönen Tarsien des Capodiferro in der Kirche S. Maria maggiore zu Ber- gamo, wozu im Jahre 1523 L. Lotto die Zeichnung lieferte.^ Unter jenem Amor dort liest man: „iVosce te ipsum^'-. Der verstorbene Mündler mit seinem feinen Kunstsinn konnte nicht umhin, auch diesem seelen- vollen Bilde des Lotto der Doria- Galerie in warmen Worten seine Bewunderung zu zollen (a. a. O., S. 58); nur scheint er mir darin fehlgegriffen zu haben, dass er dieses Porträt als das des Malers selbst ansah. L. Lotto ist gewiss schon vor dem Jahre 1480 geboren ; er müsste folglich das Bild, falls es Selbstporträt wäre, ungefähr 1512 gemalt haben. Jener Epoche seiner Wirksamkeit aber entspricht weder die Malart in diesem Bildnisse, noch die darauf gesetzte Bezeichnung L. LOTTO, da auf allen Werken Lotto's in Bergamo, also vom Jahre 1515 bis zum Jahre 1524 der Name auf lateinisch LAV. LOTVS gezeichnet steht. Erst später bezeich- nete er seinen Namen auf italienisch. Die Werke dieses Meisters, welche die Galerie des Fürsten Borghese be- sitzt, haben wir bereits besprochen; es erübrigt uns nun, einen Blick in die andern Sammlungen Roms zu thun, woselbst wir noch mehrern Gemälden dieses stets interes- santen und originellen Vorgängers des Correggio be- gegnen werden. So finden wir in der Galerie Colonna das Bildniss des Cardinais Pompeo Colonna, ein Ge- mälde, das in seinem gegenwärtigen Zustande mir eher als Copie denn als Original erscheint. Im Casino oder Gartenhaus des Fürsten Rospigliosi, wo die Aurora des Guido glänzt, sieht man ebenfalls ein Bildchen des Lotto, welches uns Zeugniss gibt, wie dieser religiöse Mann
^ Siehe : Vite dei pittori, scultori e architetti Bergamaschi, scritte dal Conte Fr. Maria Tassi, I, 64.
Die Venetianer: Lorenz© Lotto. 393
und Freund aller Dominicanerklöster die griechische Mythologie aufgefasst und dargestellt wissen wollte. Mündler hat auch dieses geistreich gedachte und mit grosser Feinheit ausgeführte Gemälde des Lotto zu wür- digen verstanden und es den „Sieg der Wollust über die Keuschheit" genannt (a. a. O., 59). Vielleicht könnte er ebensogut damit „die Rache dermitliecht eifersüchtigen Juno an Venus" haben darstellen wollen. Wir sehen hier nämlich die Juno in einen grünen Mantel gehüllt, den Kopf mit einem weissen Tuch bedeckt, wie sie den zerbrochenen Bogen Amors schwingend, zorn- sprühend auf Venus losstürmt. Die Göttin der Liebe, mit perlengeschmückten blonden Haaren, einen leuch- tenden Stern auf der Stirn, mit goldenen Ketten am Hals und violettem Mantel über den Schultern, sucht den hinter ihr sich schirmenden buntbefiederten Amor mit verweinten Augen vor dem Zorn der Himmels- königin zu schützen. Auf einem Cartellino kann man noch deutlich den Namen : Laurentius Lotus lesen. Der Malweise nach gehört auch dieses Werk des Meisters in seine bergamaskische Zeitepoche (1515 — 1524). Aus der nämlichen Wirkungszeit des Lotto sah man vor dem Jahre 1870 auch im Quirinal ein schönes Werk Lotto's vom Jahre 1524. Dasselbe stellte die Jungfrau Maria mit dem unbedeckten Christuskind auf dem Schos dar, von den Heiligen Antonius, Katharina, Johannes dem Täufer, Hieronymus und einem heiligen Bischof umstanden; prachtvoll in der Farbe. Bei der grenzen- losen Indifferenz in Sachen der Kunst^ die in den ober- sten wie in den untersten Kegionen der constitutionellen Regierung Italiens vorwaltet, würde es mich gar nicht wundern, wenn auch jenes Bild auf die eine oder auf die andere Art verschwunden wäre.
Auch in der CapitoKnischen Bildersammlung gibt es ein Werk von L. Lotto, freilich unter einem fremden Namen aufgestellt. £s ist dies ein Porträt im zweiten
394 I>ie Galerie Doria-Panfili.
Saal, mit der Nr. 74. Das Bild stellt einen jungen vorneh- men Mann in Lebensgrösse, mit schwarzer Mütze, schwar- zemWamsundschwarzenBeinkleidern dar; derselbe stützt sich leicht mit dem linken Ellenbogen auf einen mit grau- bläulichem Teppich bedeckten Tisch und hält in den Händen ein Feuergewehr. Dieses Bildniss, das einst gewiss glänzend gewesen sein mag, ist gegenwärtig leider nur noch eine Ruine. Die eigenthümliche Körper- bewegung des Mannes ist auch auf diesem Porträt Lotto's sehr fein empfunden und meisterhaft wiedergegeben, die Zeichnung der Hände charakteristisch für den Meister, das reich verzierte Feuerojewehr mit grosser Liebe aus- geführt. Das Bild wird wunderlicherweise: ^^ritratto di un Monaco^' (Porträt eines Mönchs) und als Werk des Giorgione im Katalog aufgeführt, (f)
Die Galerie Spada endlich hat eine Copie des Originalbildes mit der „Ehebrecherin" von L. Lotto, das im Louvre sich befindet. Eine andere und zwar vlä mische Copie desselben Bildes befindet sich in der Dresdener Galerie. Während das Museum von Neapel in einem Madonnenbildchen ein höchst interessantes Jugendwerk (1507) des Lorenzo Lotto besitzt, gibt uns dagegen das andere Madonnenbildchen vom Jahre 1534 in den Uffizien (Nr. 575) keinen besonders vor- theilhaften Begriff von diesem Meister. Wer jedoch wünschen sollte, den Lotto, diesen so feinsinnigen und erfindungsreichen, vom verstorbenen Baron von Ilumohr so ganz verkannten Künstler vollkommen kennen, ihn nach seinem Verdienst würdigen und lieben zu lernen, dem rathe ich, die Werke desselben in Recanati (1508), in Jesi (1512), in Bergamo (1515—1524), in Mailand und Venedig aufzusuchen. Dort wird er, zumal vor seinen Bildern in Bergamo: in der Communalgalerie daselbst, in den Kirchen von S. Bartolommeo, von S. Spirito, von S. Bernardino, in der Pfarrkirche von Alzano, in Trescorre, vollkommen einsehen, welch eine
Die Venetianer: Giovan Antonio da Pordenone. 395
lebendige, reiclibegabte, liebenswürdige Künstlernatur dieser Meister ist; er wird aber auch darüber sich wun- dern, dass bisher so wenige Kunsthistoriker ihn erkannt und nach seinem wirklichen Verdienst darzustellen ver- standen haben, üebrigens begreife ich wohl, dass so- wol für angehende Kunstkenner als auch für systema- tische Kunstästhetiker, deren beschränktem Geschmack einzig und allein die charakteristische Herbe und Härte der Formen, sowie die Schlichtheit der Darstellungs- weise der Quattrocentisten zusagen, die Gemälde eines Lorenzo Lotto nicht nur keinen Reiz haben können, sondern dass dieselben sogar eher abstossend als an- ziehend auf deren Auge und Sinn wirken müssen. Denn wie alle nervös erregbaren, in sich gekehrten Naturen von uns verlangen, dass wir ihnen freundlich und ohne Vorbehalt entgegenkommen, sollen sie uns ihr Herz er- schliessen, so wollen auch die Werke Lotto's mit liebe- voller Nachsicht für seine, übrigens stets liebenswür- digen Schwächen betrachtet sein. Wer ihm mit der Brille und dem ästhetischen Katechismus der Akademiker entgegentritt, dem wird der Keiz seiner Werke sicher verschlossen bleiben. Lorenzo Lotto war melancholi- schen Temperaments; den meisten seiner Bildnisse theilte er den schwermüthigen Zug des eigenen Gemüths mit. Bereits in seinen dreissiger Jahren scheint er, weltmüde, die Einsamkeit und Stille der Klosterzelle aufgesucht zu haben. Auch ist zu bedenken, dass ebenso wie Tizian den Giorgione, so hat Correggio später auch seinen Vor- läufer Lotto in Schatten gestellt.
GIOVAN ANTONIO DA PORDENONE.
Ein jüngerer, durch und durch weltlich gesinnter Zeitgenosse und Antipode des Lotto, sowol in seiner Empfindungs- als in seiner Darstelhingsweise, ist der ritterlich vornehme, hochfahrende (iiovan Antonio
396 Die Galerie Doria-Paufili.
da Pordenone, geboren in der Stadt Pordenone 1483, gestorben in Ferrara 1539. Otto Mimdler verglich diesen Friulaner, und wie ich glaube mit Recht, in Rücksicht auf die lebhafte Energie seines Naturells und auf seine Vorliebe zum Schwülstigen und Kolossalen, mit P. P. Rubens. Der Vlamländer war jedoch andererseits ein diplomatisch berechnender, schmiegsamerWeltmann, wäh- rend das ungestüme, leidenschaftlich erregbare, von Stolz und Ehrgeiz stets aufgeregte Gemüth den Friulaner nie zu jener behaglichen, fürstlich vornehmen Ruhe in seiner künstlerischen Wirksamkeit kommen Hess, die der kluge Rubens sich zu verschaffen wusste und welche er auch in vollem Maasse bis an sein Lebensende genoss. Da- her mag es denn vielleicht auch kommen, dass Porde- none nie conventionell wurde. Dieser geniale, phan- tasiereiche und nicht selten selbst grossartige Künstler, welcher eine Zeit lang in Venedig, und zwar nicht ohne Erfolg, mit Tizian um die Palme rang, nannte sich bald Sacchiense, bald de Cuticellis oder auch Corticellis, bald wieder Regillo, und lässt uns auch schon durch diesen beständigen Wechsel seines Namens die Unruhe seines stolzen, ehrgeizigen Charakters erkennen. Mehr für die Wandmalerei als für kleine Staffeleibilder geschaffen, hinterliess er uns jedoch auch eine grössere Anzahl von Oelgemälden, von denen einige zum Erfreulichsten gehören, was die venetianische Kunst erzeugte. Ich brauche hier blos an die Bilder, welche die Stadt Porde- none selbst von ihm besitzt, an die zwei grossen Altar- werke (Saal VII, Nr. 22 und 25^) in der Akademie von Ve- nedig, an das Madonnenbild in S. Giovanni Elimosinaro und an den heiligen Martinus zu Pferde in S. Rocco eben-
^ Unter den Bildnissen der Familie Ottoboni von Pordenone, für welche Giovan Antonio 1526 dieses schöne Bild ausführte, sind etliche, die, meinem Gefühl nach, neben die besten Porträts aller Zeiten gestellt werden können. Leider ist jenes Bild sehr schadhaft.
Die Venetianer: Giovan Antonio da Pordenone. 397
daselbst, an die herrliche Altartafel in der Pfarrkirche von Sussigana, an die ebenso vorzügliche „Anbetung der Hirten" in S. Maria de' miracoli von Motta (bei Treviso), sowie auch an das glanzvolle Madonnenbild am ersten Altar rechts im Dome von Cremona zu er- iimern.
Von diesem seltenen Meister nun darf, wie ich glaube, auch die Doria- Galerie sich rühmen, ein gutes Werk zu besitzen. Es ist dies ein männliches Porträt, Nr. 11 im Braccio II. Der Katalog bezeichnet es als y^ritratto di un giudice^^^ also wieder als das Conterfei eines Rich- ters, und zwar wahrscheinlich nur darum, weil dei^ schöne junge Mann im rothen Kleide und dem schwarzen Mäntelchen eine Papierrolle in der Iland hält. Wie aber, wenn dieses Blatt statt eines Gerichtsactes ein Liebes- brief wäre? Doch daran liegt nicht viel. Einer meiner kunstsinnigen Freunde meinte dieses Bildniss durchaus dem Pordenone absprechen zu müssen, um es dem Dosso Dossi zu geben. In der That hat der eigenthümliche Farbenglanz des Incarnats etwas, das uns an das so- genannte Porträt der Vannozza von Dosso, Nr. 32 im Braccio III, erinnert; allein die Carnation ist bei Por- denone stets heller und die Zeichnung straffer als bei Dosso, wie dies sich auch hier bestätigt, wenn wir dieses sogenannte Porträt eines Richters mit dem der soge- nannten Vannozza vergleichen, und ich kann daher nicht umhin, diesmal mit voller Ueberzeugung der Ansicht des Verfassers des Katalogs beizustimmen, welcher dieses Bild dem Pordenone zuschreibt Ausser diesem Por- trät in der Doria-Galerie sah man vor Jahren in Rom noch ein anderes und zwar weit bedeutenderes W^erk dieses eminentesten aller friulanischen Künstler. Jenes Gemälde befand sich damals in einem Vorsaal des quiri- nalischcn Palastes; es stellte den heiligen Georg vor, der auf weissem Rosse mit gezücktem Schwert auf ein wildes Ungethüm losstürmte. Im Mittelgrund des Bil-
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des, welcher von einer reizvollen Landschaft gebildet ist, sah man unter grünem Gebüsch die in einem orange- gelben Kleid gehüllte Prinzessin mit geftilteten Händen auf den Knien Gott für ihre Rettung danken. Zu den Füssen des vor Wuth schnaubenden Drachen lag, umringt von den Knochen der verschiedensten Thiere, die noch frische Leiche eines jungen Ritters. Jenes phantastische, glanzvolle Gemälde, aus dem das volle Arom der Blüte- zeit der venetianischen Kunst uns entgegenwehte, war leider durch Restaurationen etw^as getrübt; es trug den Namen des Malers in folgender Fassung: I • A • REG • PORD • F. (Joannes Antonius Regillus Pordenonensis fecit).^ Wie man nun diesem, um mich eines stereo- typen Ausdrucks zu bedienen, durchaus Giorgionesken Maler so lange Zeit hindurch Werke des Brescianers Alessandro Moretto, einem von ihm so durch und durch vorschiedenen Künstler, hat zuschreiben können, wäre fast unglaublich, würden uns nicht neueste Bilderbestim- mungen belehren, dass wir, falls es so fort gehen sollte, für die nächste Zukunft in dieser Beziehung uns aufs Aeusserste gefasst machen dürfen. Nicht zufrieden da- mit, das grosse Altarbild Moretto's, welches ehedem in der Sammlung des Cardinais Fesch in Rom war und gegenwärtig eine der Hauptzierden der Bildergalerie im StädePschen Institut bildet, unserm Giovan Antonio da Pordenone zugeschrieben zu haben, haben einige Kunst- schreiber kürzlich auch noch ein anderes, viel vorzüg- licheres Altarwerk des Brescianers in der Belvedere- Galerie in Wien ebenfalls als Arbeit des Pordenone zu
* Gegenwärtig soll das Bild sich im Vorsaal des Privat- gemachs Sr. Heiligkeit Papst Leo's XIII. befinden. Ich kann nur wünschen, dass die kampflustigen Prälaten, die sich dort versammeln, am Anblick des tapfern Ritters der Vorzeit ihren Muth stählen mögen, um siegreicher, als dies bisher der Fall war, den Kampf gegen den sie bedrohenden Drachen der Geistesfrei- heit zu bestehen.
Die Venetianer: Giovan Antonio da Pordenone. 399
beschreiben und anzupreisen versucht.* Und ein sonst achtungswürdiger italienischer Kunstforscher gefiel sich vor wenigen Jahren noch, in der heiligen Justina das Ebenbild der Signora Laura Eustocchia von Ferrara und in dem vor ihr knienden bärtigen Donator das Conterfei des in sie verliebten Herzogs Alfonso I. d'Este zu er- blicken.- Ein anderer Kunstschriftsteller, Monsieur Viar- dot, in der Voraussetzung, dass beide ebengenannte Ge- mälde von der Hand des Pordenone seien, geht dann so weit, zwischen dem Bilde des Moretto im Belvedere und dem wirklichen Bilde des Pordenone (Saal VH, Nr. 25) in der venetianischen Akademie eine „grosse Analogie" wahrnehmen zu wollen. Was uns schwache Sterbliche die Vorurtheile doch alles sehen lassen!
Unter den Wandgemälden unsers Meisters von Por- denone erscheinen mir als die interessantesten jene in der Kapelle des Schlosses S. Salvadore der Grafen Col- lalto (bei Conegliano), jene in S. Maria di campagna bei Piacenza und die im Dom von Treviso. Ich würde ebenfalls noch die Fresken im Hofe von S. Stefano zu Venedig hinzufügen, wären nicht auch jene Gemälde in neuerer Zeit durch eine einfältige Restauration voll- kommen ungeniessbar gemacht worden!
Da Pordenone in keiner einzigen der bedeutendem Bildergalerien Europas vertreten ist, weder in der des Leu vre, noch in der von Dresden, weder im Museum
* Die heilige Justina, Nr. 310. Der Gesichtstypus dieser Hei> ligen kommt auf mohrem andern Bildern des Moretto vor, so z. B. auf zwei Altarwerken in S. demente zu Brescia. Damit wird die Annahme hinfallig, dass es das Ebenbild einer bestimm- ten Person sei. Früher schrieb man in Wien jenes Bild dem Tizian zu.
* Sogar der verdienstvolle und vorsichtige Graf Pompeo Litta hat in seinem bekannten Werk: „Le famiglie iUmtri d'Ra* 7fa'S den Donator in diesem Bilde Moretto's für den Henog Alfonso genommen und in seinem .Werk tlt solchen ihn auch re- producirt.
400 Die Galerie Doria-Panfili.
von Madrid, noch im Belvedere zu Wien, noch in der National Gallery in London, so erscheint es mir nicht unpassend, einige seiner Handzeichnungen hier anzu- geben, damit meine jungen Freunde sich wenigstens nach Photographien einen, wenn auch nur oberfläch- lichen Begriff von der Art dieses höchst interessanten venetianischen Künstlers machen können:
1) Die Akademie zu Venedig besitzt von der Hand des Pordenone eine aquarellirte Zeichnung mit der „Vor- stellung im Tempel". Von Perini photographirt, Nr. 155.
2) Das Britische Museum hat eine ganz vorziigliche Zeichnung in schwarzer Kreide, den „heiligen Christoph mit dem Christkind auf der Schulter" vorstellend; Braun Nr. 103.
3) Eine ebenüills gute RÖthelzeichnung des Porde- none, „die heilige Jungfrau mit dem Kind auf ihrem Arm" (f), kam vor Jahren aus dem Besitz des Mar- quis de Chennevieres in Paris in den Handel ; sie wurde von Braun unter dem Namen des Palma vecchio re- producirt. Braun, Beaux-arts^ Nr. 212.
4) Eine andere charakteristische Tuschzeichnung, wie ich glaube aus der Frühzeit des Meisters, wurde von Braun photographirt und zwar unter dem Namen des Giambellino. (f ) Dieselbe stellt den heiligen Mar- cus (?) in einer Nische sitzend dar, wie er einer um ihn versammelten Schar von Gläubigen guten Rath ertheilt. Braun, Beaux-arts^ Nr. 144.
5) Auch die reiche Sammlung des Herzogs von De- vonsliire in Chatsworth besitzt (f), unter dem Namen des Giörgione, eine, wie mir scheint, ebenfalls echte RÖthelzeichnung des Pordenone: „Petrus den Märtyrer" vorstellend.
GIOVAN BATTISTA MORONI.
In der Nähe des schönen Porträts von Giovan An- tonio da Pordenone in der Doria-Galerie blickt uns ein
Die Venetianer: Giovan Battista Moroni. 401
schielender Mann an, der ein Buch in der Hand hat. Der Verfasser des Katalogs, dem, wie wir bereits ge- sehen, der Name Tizian über alles geht, verlieh wie so manchem andern Bilde dieser Sammlung so auch •diesem Portrat den Namen Tizian's, und es war dies gewiss nicht der gröbste Fehler, den er beging; findet man ja in andern, noch viel berühmtem Galerien Eu- ropas Bildnisse des Giovan Battista Moroni, welche -den Namen des Cadoriners führen.
Ausser diesem hier besitzt Rom, soviel mir bekannt ist, von dem berühmten bergamaskischen Porträtmaler nur noch ein einziges Bild, ich meine jenes im ersten Saal der Galerie des Fürsten Colonna. In den öffent- lichen Sammlungen von Süditalien begegnet man kaum diesem Meister. Dagegen hat Florenz eine ziemliche An- zahl Bilder von der Hand des Moroni aufzuweisen, und <larunter einige sehr gute. Zwei echte Porträts von seiner Hand befinden sich unter den Nrn. 121 und 128 im Palast Pitti, dort unglaublicherweise noch immer dem grossen Veronesen Domenico Morone zugeschrieben, und fünf andere männliche Porträts, wenn ich recht ge- zählt habe, besitzt die Uffizien-Galerie. Darunter gilt jenes mit der Nr. 360 für das Selbstporträt des Malers. Dasselbe wurde 1684 in Venedig von Matteo del Teglia, Agenten des Herzogs von Toscana, für die Florentiner Sammlung erworben.* Das Selbstporträt des Moroni, welches in Bergamo dafür gilt, stimmt jedoch keines- wegs mit jenem in der Portratsammlung von Florenz überein. Wir müssen uns daher sei es an das eine, sei es an das andere der zwei Selbstbildnisse des Ber- gamasken halten, oder was vielleicht klüger sein dürfle, nn keines von beiden.
In den Galerien von Bologna, Modena, Ferrara,
* Siehe Michelangelo Quaianai , n^'" ' / ' <i' Lfücre
^uUa Pittura, ScüUura e Arehiiettura'' (13 . i - • V. III, 192.
LsBMOusrv.
402 Die Galerie Doria-Panfili.
Padua, Vicenza, Verona, ja selbst in der von Venedig* sieht man sich vergebens nach einem Werke des Giovan Battista Moroni um. Wer übrigens diesen Meister in allen Phasen seiner Wirksamkeit kennen lernen will, der findet ihn in der Stadt und in der Provinz Ber- gamo reichlich vertreten. Auch die National Gallery in London besitzt ein paar seiner vorzüglichsten Bildnisse»
In keiner andern Sammlung der Welt machte man vielleicht einen so freigebigen Gebrauch von den glän- zenden Namen des Giorgione und des Tizian, wie in dieser Doria- Galerie. Sollte man dem Katalog vollen Glauben schenken, so müssten fast bei jedem Schritt und Tritt und von jeder Wand herab, Werke entweder des einen oder des andern der zwei grossen venetia- nischen Meister uns entgegenwinken. Damit hat e& jedoch keine Gefahr, und ich warne meine Freunde, bei dergleichen Bilderattributionen die Sache nicht gar zu ernstlich nehmen zu wollen. Sie müssen nämlich be- denken, dass die verehrlichen Verfasser von Galerie- katalogen, wenn auch nicht alle, so doch im Durch- schnitt zwar sehr brave und respectable Leute sind, aber meistens von sehr sanguinischem Temperament. Sind diese Herren nun einmal in ihr Amt eingesetzt und fühlen sie sich nach und nach da zu Hause, so scheint in ihnen eine Art platonischer Liebe zu irgendeinem der grossen Meister, von denen sie in ihrem Leben reden gehört haben, zu erwachen. Von dieser Liebe nun be- geistert, pflegen sie dann, der eine den Raffael, der an- dere den Michelangelo, ein dritter den Lioi^rdo da Vinci oder den Verrocchio zu seiner besondern Ver- ehrung sich zu erkiesen. So gibt es wieder andere^ deren Losungswort Giorgione und Tiziano Vecellio ist.
* Die zwei ihm dort zugeschriebenen Bildnisse haben nichts mit Moroni zu schaffen.
Tizian. 403
Die meisten dieser Herren erhitzen dann nach und nach ilire Phantasie so sehr, dass sie in fast jedem der ihrer Fürsorge anvertrauten Bilder oder Statuen die Gesichts- züge ihrer Lieblinge zu erblicken wähnen.
Und ungefähr so mag es auch unserm Verfasser des Katalogs der Doria-Galerie mit Giorgione und mit Ti- zian ergangen sein. Ich darf daher, ohne befürchten zu müssen auf Widerspruch zu stossen, meine freundlichen Leser versichern, dass, wenn einerseits Giorgione auf kein einziges der ihm hier zugedachten Bilder Anspruch machen darf, andererseits von dem anderthtilb Dutzend der auf Tizian getauften Bilder, nach meiner Ueber- zeugung, nur eins mit voller Sicherheit dem grossen Cadoriner zugeschrieben werden kann.
Dieses eine aber gehört zu den allerköstlichsten Jugendwerken des Meisters; es ward ehedem dem Gior- gione und wird in neuerer Zeit dem Pordenone zuge- muthet. In meinen Augen ist dieses Gemälde eine der reizendsten Schöpfungen Tizian's und wiegt allein reich- lich die 15 oder 16 andern Bilder auf, die hier ganz willkürlich dem Cadoriner zugetheilt werden. Das Bild, das ich im Sinne habe, stellt die „Herodias" dar und hängt unter Nr. 40 im Braccio H. (f) Meinem Ge- fühl nach gibt es wenige Kunstwerke, die solch einen Zauber ausüben, wie dieses vornehm feine Jugendbild Tizian's. Und es ist mir kaum erklärlich, wie die Herren Crowe und Cavalcaselle, die bekannten Biogra- phen Tizian's, dieses holdselige junge Weib von einem 80 ausgesprochenen Tizianischen Gesichtstypus dem stets viel derbem Pordenone haben zuschreiben können! Aus diesem Grunde wurden sie wol auch vor diesem Bilde selbst von Dircctor Bode im Stich gelassen. Der berliner Kunstgelchrte ist nämlich, zu meiner nicht ge- ringen Verwundening, diesmal mir nachgf'foljrt (II, 758). Man beachte, wie gesagt, in dieser „Ilorodias" den durchaus Tizianischen Gesichtstypus der Salome, dieses
26*
404 I^ie Galerie Doria-Panfili.
runde charakteristische Ohr der Magd, so verschieden von der länglichen Ohrform bei Pordenone; man be- achte ferner jene bei Tizian sehr oft wiederkehrende scharfwinkelige Falte /\ (hier auf der Schulter der Salome), sowie auch die dem Cadoriner eigenthümlichen Farbenaccorde; ich darf daher wol hoffen, dass selbst An- fänger in der Kunstwissenschaft nicht anstehen werden, in diesem Gemälde mit mir den Geist und die Hand desselben Meisters zu erkennen, der das Bild mit den drei Lebensaltern bei Lord Ellesmere in London schuft Wie nun Lord Northbrook in London von dieser He- rodias eine alte und gute Copie besitzt, so vorzüglich, dass der verstorbene Dr. Waagen dieselbe für ein Werk des Giorgione glaubte erklären zu dürfen, so finden wir in dieser Doria-Galerie eine ebenfalls gute alte Copie (Braccio I, Nr. 20) vom Originalbilde bei Lord Elles- mere. ^ Allein in diesem Braccio I hängt noch ein anderes Bild, das allgemein für ein Werk Tizian's gilt. Es trägt die Nr. 14 und stellt einen alten Herrn von sehr leidenschaftlichen Gesichtszügen dar. Der weiss- bärtige Mann hat ein schwarzes Kleid an und hält die ausgestreckte rechte Hand auf einem Tische, zwischen einer weissen Rose und einem kostbaren Frauen- geschmeide, wahrscheinlich eine Anspielung auf den Verlust einer jungen Tochter. Es ist ein interessantes, lebendiges, geistreich gedachtes Bild. Wenn ich nun gern zugebe, dass dieses Porträt nicht unwürdig wäre, in die grosse Reihe der Tizian'schen Bildnisse gestellt zu werden, so ist es mir doch andererseits unmöglich die Hand des Cadoriners in diesem Gemälde mit voller
1 Siehe Vasari, XIII, 25.
^ Auch auf diesem Bilde Tizian's sehen wir dieselbe runde Ohrform, ja im jungen Schäfer sogar denselben Gesichtstypus, wie auf der „Taufe Christi" Tizian's in der Capitolinischen Ge- mäldesammlung. Beide Bilder mögen daher etwa in derselben Wirkungszeit des Meisters entstanden sein.
Tizian. 405
Klarheit zu erkennen.* Um nun diesem Bilde ein grös- seres Interesse zu verleihen, taufte man den darauf dar- gestellten Mann auf Marco Polo, ebenso wie man im Braccio II ein anderes, dem Tizian sicher nicht an- gehöriges Bildniss, auf Jansenius getauft hat. Alle diese gar zu einfältigen Namen, die man der im Bilde dargestellten Persönlichkeit gab, wurden erst im 17. Jahr- hundert, als man diese Sammlungen zusammenbrachte, erfunden, in der löblichen Absicht, den Bildern eine grös- sere Bedeutung zu geben. Und in der That beküm- mert sich ja das gewöhnliche Kunstpublikum stets viel- mehr um das, was in einem Bilde, als um das, wie es dargestellt ist. So gab man denn dem einen Porträt den Namen des Marco Polo, einem andern den der Vannozza, einem dritten den des Jansenius, einem vier- ten den „Tizian's mit seiner Frau." Würde man wol in der Barberini-Galerie das hübsche weibliche Modell- studium, sei es nun des Guido, sei es des Guercino, mit solcher Inbrunst in Augenschein nehmen, wie dies wirklich geschieht, trüge jenes weltberühmte Bild nicht den Namen der unglücklichen Beatrice Cenci? Mundus vtUt decipi. Ein anderes und zwar sehr grosses Bild, das, man weiss nicht wie, zum Namen Tizian's gelangte, ist das „Opfer Abrahams", Nr. 26, im Braccio IL Wie allgemein bekannt, gehört dieses Gemälde dem Jan Livens an, von welchem Maler in der Sammlung von Braunschweig ein diesem ähnliches Bild sich vorfindet. Ausser den drei Bildern also in der Borghese-Galerie, der „Taufe Christi" der Capitolinischen Sammlung, den zwei allgemein bekannten Gemälden in der vaticani- schen Pinakothek, dieser köstlichen „Herodias" hier und einem durch die Einfachheit der Auflassung und der Darstellung ganz vorzüglichen Porträt des bereits
^ Allerdings erinnert es an dM Portrit des sogenannten Arztes Parma im Belvedere zo Wien (Saal II, Nr. 40), das ein untrügliches Werk Tician*8 ist
406 Die Galerie Doria-Panfili.
sehr gealterten Pietro Aretino beim Fürsten Mario Chigi, ist mir in Rom kein anderes Werk zu Gesicht gekommen, das nach meiner Ueberzeugung mit voller Sicherheit dem grossen Cadoriner zugeschrieben werden dürfte. Es ist wahr, sowol in der Galerie Barberini als auch in der des Fürsten Corsini befinden sich Bilder, die man als Werke Tizian's in den Katalog eintrug, jedoch, wie mir scheint, mit Unrecht.
In den unfreundlichen, kellerartigen Gemächern des Palastes Barberini tragen zwei Bilder den Namen Ti- zian's: das eine davon ist die hässliche sogenannte Schiava di Tiziano, Nr. 72, von der schon oben die Rede war; das andere ist das Porträt des Cardinais Pietro Bembo, Nr. 35. Wie bekannt porträtirte Tizian den eiteln Mann auch zweimal, bevor derselbe den Car- dinalshut erhielt. Eins von jenen Bildnissen befand sich noch am Ende des vorigen Jahrhunderts im Hause, welches dereinst Pietro Gradenigo, der Schwiegersohn Bembo's (er hatte dessen Tochter Helene geheirathet), bewohnte. Ein anderes Tizianeskes Porträt Bembo's in kleinem Format besass Paolo Ramusio" in Venedig. Wenn wir dem Anonimo des Morelli trauen dürfen, so hätte auch Raffael den Bembo in dessen Jugend ab- conterfeit; „e/ retratto piccolo de esso M. Pietro Bemho^ allorche giovine stava in corte del duca d* ürbino, in ma- tita^^ (das kleine Porträt des Messer P. Bembo mit der Kreide gezeichnet, als derselbe noch jung am Hofe des Herzogs von ürbino weilte).
Auch im Hause Bembo's in Padua befand sich sein Bildniss im Profil von der Hand des Yenetianers Jaco- metto; „e? retratto delV istesso (d. h. Pietro Bembo) allora che Vera d^anni undici fic de mano de Jaco- metto^ in proßlo'-''^ (das Profilporträt desselben, als er
* Siehe: Notizia d^opere di disegno etc., 2^ edizione, riveduta ad aumentata per cura di Gustavo Frizzoni^', S. 46.
Tizian. 407
elf Jahre zählte, war von der Hand des Jacometto). Yalerio de"* Belli und später Benvenuto Cellini mussten ebenfalls den Prälaten in Silber und Erz verewigen. Es geht daraus hervor, dass Bembo grossen Gefallen zu haben schien, sein Antlitz der Nachwelt zu hinterlassen. Das Porträt, welches im zweiten Zimmer der Galerie hängt, erscheint mir in seiner harten Zeichnung und in seiner geistlosen malerischen Behandlung nur als eine schwache Copie.^ (f) Eine andere Copie nach einem Tizian'schen Porträt Bembo's wurde im Jahre 1673 von Marcantonio Foppa der Stadt Bergamo vermacht. Es be- findet sich gegenwärtig in der dortigen Communalgalerie. In der fürstlichen Galerie Corsini zu Rom sind ebenfalls zwei Bilder unter dem Namen Tizian's aufgestellt: das eine im achten Saal, Nr. 30, „die Ehebrecherin vor Christus" ist augenscheinlich die Arbeit des llocco Marconi aus Treviso (f), ein Gegenstand, den dieser phantasielose aber farbenreiche Nachahmer des Paris Bordone öfters behandelt hat; das andere ist das lebensgrosse Porträt in ganzer Figur von Philipp II. und darf, wie mir scheint, blos als Atelierwerk betrachtet werden. Tizian liat mehrere male seinen hohen spanischen Gönner ge- malt. Das weitaus vorzüglichste Bildniss desselben und gewiss eines der herrlichsten Porträts der Welt be- findet sich im Prado-Museum (Nr. 454) in Madrid. In meinen Augen ist jenes Bild vielleicht noch kostbarer als das etwas beschädigte grosse Keiterbild KarFs V. in derselben Sammlung. Die Kunst, mit welcher der Cadorincr aus der schwächlichen, unansehnlichen, ja widerwärtigen Gestalt Philipp's ein Bild zu schaffen wuHHte, das unser Auge und unsere Phantasie mit so unwiderstehlicher Macht zu fesseln vermag, ist wahr- haft wunderbar. Man kann sich an der geistreichen
* Die Herren Crowe und Cavalcaselle halten dagegen das Bild für Original, und derselben Ansicht sohliestt sich aach Di- roctor W. Bode an (II, 761).
408 I>ie Galerie Doria-Panfili.
Zeichnung und an der feinen kunstvollen Farbenharmonie jenes Bildes nicht satt sehen. Alles lebt in jenem Porträt. Die aristokratisch feinen Hände allein sind eine ganze Biographie; die belebte Zeichnung der Beine, der glän- zende Harnisch, dabei das bleiche, schweigsame Antlitz mit dem düstern stummen Blicke, wahrlich ein Wunder- werk der Kunst! Bilder Tizian's, wie jene Philipp's H, und Karl's V. in Madrid, sind Shakespeare'sche Darstel- lungen. Sie ergreifen unsere Phantasie mit solcher Ge- walt, dass man alles übrige dabei vergisst. Sie geben nicht blos den dargestellten Menschen, sie geben auch seine ganze Umgebung, die moralische Atmosphäre, u\ der er lebte, kurz seine ganze Zeit.
Wir wollen uns jedoch nicht länger bei den Vene- tianern aufhalten, sondern schliesslich noch ein paar andere Werke dieser Doria-Galerie betrachten, welche unter den Namen der grössten Meister Italiens auf- gestellt sind. Im Braccio II hängt, unter Nr. 53, ein Tafelbild, welches im Katalog als Werk des Lionardo da Vinci angeführt wird. Es ist das Porträt einer vornehmen Dame in rothsammtenem Kleide. Aus der Ferne gesehen erinnert das schöne Gesichtsoval der noch jungen Frau an das RafiaePsche Bildniss der Jo- hanna von Aragon, Gemahlin des Ascanio Colonna, in der Louvre- Galerie; die Farbenscala des Kleides ge- mahnt jedoch mehr noch als an die Schule RaflPael's- an die Lionardo's in Mailand und ganz besonders an jene des Giampietrino. Treten wir aber ganz in die Nähe des Bildes, so erkennen wir auf den ersten Blick,, sowol an der leblosen, steifen, akademischen Zeichnung der Hände und an der kleinlichen, handwerksmässigen Be- handlung des blechernen Weisszeugs, als auch an dem hölzernen Vorhang (ähnlich demjenigen auf dem so- genannten Lionardo-Bildchen der Dresdener Galerie), so- wie an dem geleckten, elfenbeinernen Incarnat und an
Lionardo da Vinci. 409
den hackenförmigen Falten, dass wir wieder vor einem jener sogenannten ^^pasticci''^ stehen, die in den dreissiger und vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts besonders in Mailand entstanden zu sein scheinen und durch die so mancher Kunstforscher sich verblenden lässt. Soviel ich weiss, war Otto Mündler (a. a. O., S.41) der erste, welcher dieses Bild, von dem man früher ebenso viel Aufsehens machte als heutigentags von andern niederländischen sogenannten Lionardo-Bildern, für eine geistlose nieder- ländische Nachahmung erklärt hat; wogegen Passavant (II, 269) es zwar nicht für das Werk des Lionardo selbst, allein doch immer für die Arbeit eines seiner Schüler hielt. In neuester Zeit jedoch getraut sich sogar ein römischer Cicerone kaum noch, diese steife Giovanna II der Doria-Galerie seinem Publikum als Werk Lionardo"» anzupreisen.* Vielleicht werden in nicht allzu ferner Zeit die Aufgeweckteren unter den Kunstbeflissenen end- lich auch zur Einsicht gelangen, dass es in den öffent- lichen Sammlungen Europas eine unendlich viel grössere Anzahl solcher vlämischer „jocwftm" und Nachahmungen von italienischen Vorbildern gibt, als man dies bisher hat zugeben wollen.
Nach der flüchtigen Betrachtung dieses dereinst so hochberühmten Lionardo-Bildes sei es mir gestattet, noch ein nicht minder berühmtes Werk eines andern grossen italienischen Meisters kurz zu bespreclien. Das Bild befindet sich im selben Braccio II unter Nr. 69. Im Katalog wird es folgendermassen beschrieben: Der Ruhm der die Tugend krönt, Entwurf vom Correggio.
Als ich mich unlängst dem Bilde mit einigen jungen Kunstfreunden näherte, warf eben ein glattgeschorener Herr noch einen letzten Blick dem Gemälde zu. Eine
* Selbst chronologitoh wftre et unmöglich, daM Lionardo da Vinci, welcher im Jahre 1616 Italien TerlieM, die Gemahlin des Ascauio Colonna hätte malen können.
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ältere Daine, die unweit von ihm stand und zum Fenster hinaussah, sagte: „Ein charmantes Bild, nicht wahr?" „Admirable", antwortete er, indem er sein Lorgnon vom Auge entfernte, und fügte dann hinzu, der Dame den Arm anbietend: „Nach dem «Moulin» von Claude ist mir dies das liebste Bild der ganzen Galerie; Correggio ist hier der Vorläufer von Prudhon." Nachdem sich das französische Ehepaar entfernt hatte, stellte ich das Werk dieses Correggio in günstigeres Licht und wir be- gannen das zum Theil unvollendet gebliebene Tempera- bild auf der noch ziemlich neu aussehenden Leinwand mit dem Auge des Kritikers uns anzuschauen. Dem einen von uns fiel nun sogleich die undurchsichtige Farbe auf, dem andern die rohen, plumpen Falten, einem dritten die geistlos behandelte schwerfällige Haarmasse, besonders am Kopfe des unschönen Kna- ben rechts im Vorgrunde, während ja Vasari an Cor- reggio gerade die hohe Kunst hervorhebt, mit der er die Haare warm und luftig hinzuzaubern verstand.^ „Und nun gar das Mädchen, das hier links im Vorgund sitzt", sagte ich, „macht es nicht den , Eindruck einer jener «Bergeres», die man auf Fächern und auf Por- zellantassen aus der Zeit Ludwig's XIV. sieht? Und doch", bemerkte ich, „gilt dies Bild in den Augen der berühmtesten Kritiker sowol des vorigen als unsers Jahr- hunderts für ein Wunderwerk der Malerei!" Mengs,
^ Vasari, VII, 99: „E oltra di cib, capegli si leggiadri di co- lore e con wfinita pulitezza sfilati e condotti, che meglio di quegli non si pub vedere" (und überdies Haare von so reizender Farbe und mit solcher Sauberkeit geordnet und ausgeführt, dass man nichts Schöneres sehen kann) ; und auf Seite 103 : „perche mostran- doci i suoi capegli faiti con tanta facilitä nelle difficoltä del fargli, ha insegnato come e* si ahhino a fare^' (denn, indem er [d. h. Correggio] uns wies, mit welcher Leichtigkeit er seine Haare, welche doch so schwer darzustellen sind, hinmalte, lehrte er uns, wie man dieselben zu machen hat).
Correggio. 41 1
der zu seiner Zeit für den grössten Kenner der Werke Correggio's gehalten wurde, bewunderte an diesem Bilde, „wie sich schon in der blossen Anlage die An- muth und das Verständniss des Meisters nicht minder als in seinen vollendeten Werken bekundet, wie in an- dern kaum angemalten Theilen schon die Wirkung der Natur vollkommen erreicht sei". Es gibt viele Male- reien Correggio's, fugt er noch hinzu, die schöner sind als diese, aber in keiner tritt die Grösse des Meisters deutlicher zu Tage. Selbst Otto Mündler fand, „dass dies nicht vollendete Bild das ausgeführte im Louvrc an Freiheit und Beseelung der Köpfe weit übertrifiV». Herr Geheimer Regierungsrath Julius Meyer, Director der Berliner Bilder-Galerie, endlich nennt es in seinem in ganz Deutschland wohlbekannten Buch über den Correggio: eine etwas veränderte Wiederholung des Temperabildes im Louvre, zwar unvollendet geblieben, aber unzweifelhaft echt.
Es gehört allerdings eine an Anmjissung grenzende Dreistigkeit dazu, ein Kunstwerk, das von so vielen ehrenwerthen und hochgestellten Kunstkennern nicht nur als unzweifelhaft echt, sondern selbst als bewunde- rungswürdig gehalten und beschrieben wurde, ohne weiteres für Copie zu erklären. Damit soll jedoch keineswegs gesagt sein, dass, wie in manch anderm Falle, ich mich nicht auch diesmal getäuscht haben könnte.
Wie allgemein bekannt, wurden die zwei Originalbilder (L,^<'genwäi-tig im Louvre) von Correggio für die Herzogen Isabella Gonzaga gemalt. Später kamen dieselben nel)8t dem „Jupiter und der Antiope" (ebenfalls von Correggio) und dem „Triumphzug Cäsnr's" von Mantegna (jetzt in Ilamptoi^ Court), durch Vermittelung eines belgischen Unterhändlers in die Sammlung KarFsI. von England. Bei der 1650 abgehaltenen Vcrsteigonmg der Kunstwerke jenes unglücklichen Königs en^'arb sie der kölner Bankier
412 I^ie Galerie Doria-Panfili.
Jabach in Paris, welcher seinerseits später die beiden Bilder des Correggio, somit auch das Originalbild dieses soge- nannten Entwurfs in der Doria-Galerie, an Ludwig XIV. verkaufte. Nun berichtet P. J. Mariette, nach meiner Ueberzeugung der feinste und sachverständigste Kunst- kenner, den Frankreich je gehabt hat, in seinem „Abe- cedario" i, Band III, S. 2, Jabach hätte in seinem Hause unter andern auch die Brüder Johann Baptist und Michael Corneille, Pesne, Masse, Rousseau und mehrere andere Maler gehalten. Und im Artikel, den derselbe Mariette im zweiten Bande, S. 7, dem Michael Cor- neille widmet, erzählt er uns dann, dass Jabach den jungen Maler und dessen Bruder Johann Baptist ebenso wie andere junge Leute gebrauchte, um Copien nach den Handzeichnungen berühmterMeister in seiner Samm- lung zu machen, welche Copien Corneille sodann als Originale an den Mann zu bringen pflegte. Dieser Betrug, fügt der ehrliche Mariette hinzu, war gewiss verwerflich und schimpflich, allein der junge Corneille fand seine Rechnung dabei. ^
Wäre es nun nicht im Bereiche der Möglichkeit, dass auch dieser „Entwurf^' des Correggio eine von den im Hause Jabach's verfertigten Copien sei? Würde diese meine Vermuthung sich bestätigen, so hätte unser Cor-
^ Ahecedario de P. J. Mariette, ouvrage public par Ph. de Chennevieres et A. de Montaiglon (Paris 1854 — 56).
* „Mais une des choses qui aiderent davantage ä lui (d. h. dem Michael Corneille) former le goüt, et ä lui faire accorder la preference aux ouvrages des meilleurs maitres d'Italie et sur- tout ä ceux des Carraches et de leurs eleves, fut Voccupation que lui fournit dans sa premiere jeunesse le sieur Jabach, qui avait la plus belle collection de dessins qui fut alors, et qui employait le jeune Corneille et son frere Jean Baptiste ainsi qiw plusieurs autres jeunes gens ä en faire des copies, qui souvent il vendait pour des originaux. Cette supercherie etait veritablement blamable et honteuse; mais le jeune Corneille y irouvait son proßt.'^
Correggio. 413
reggio-Bild in der Doria- Galerie ungefähr dasselbe Schicksal gehabt wie die berühmte Holbein-Madoona in Dresden. Die Originalbilder nämlich, sowol das des Holbein als das des Correggio, gelangten um die Mitte des 17. Jahrhunderts in die Hände von Specu- lanten: das Bild Holbein's an den Bankier Cromhart Losknrt in Amsterdam, das des Correggio an Jabach in Paris. Beide Bilder hatten wahrscheinlich die Ehre, im Hause ihrer neuen Besitzer verdoppelt zu werden. Die Copien beider Bilder kamen später nach Italien: <lie Holbein's nach Venedig ins Haus Dolfin, die des Correggio nach Rom in den Palazzo Panfili. Beiden Bildern endlich wurde dieselbe Auszeichnung zutheil, bis in unsere Tage von gross und klein, von Klugen und von Thoren, für wunderbar schöne Original- bilder gehalten zu werden. Da nun aber, nachdem «in verehrliches deutsches Schiedsgericht die Holbein- Madonna zu Dresden für Copie erklärt hat, heutzutage jeder Fachmann beim ersten Blick schon bereit ist, in diesem letztem Gemälde nicht nur eine moderne, sondern sogar eine vlämische Malweise zu erkennen, so will auch ich mich nicht der Hoffnung verschliessen, dass nach einigen 20 Jahren es keinen Sterblichen, der auf den Namen eines Kunstkenners Anspruch macht, geben wird, welcher im Doria -Bilde des Correggfio nicht sogleich den Geist und die Hand eines franzo- sischen Malers aus der zweiten Hälfte des 17. Jahr- hunderts wahrnehmen sollte! Jedesmal, wenn ich vor diesem Bilde stehe, muthet es mich an, als ob etwas von einem Vorläufer Watteau's oder I^ncret's darin steckte. Uebrigens finde ich es ganz in der Ordnung, dass üowol diese Correggio -Copie im Palast Doria -Panfili wie auch jene Holbein-Madonna in Dresden unser Kunst- puhlikum mehr anspricht, demselben, wenn ich so sagen darf,^ familiärer vorkommt, als die Originalbilder selbst; liegt es doch in der Natur der Dinge, dM8 je moderner
414 Die Galerie Doria-Panfili.
die Copie eines alten Bildes ist, je näher sie also dem Geschmack und der Sinnesweise des Beschauers steht, sie ihm auch um so besser zusagen müsse. Ja, selbst berühmte Maler unserer Zeit bilden hier keine Aus- nahme. Herr A. Teichlein aus München, der Schüler und Reisegefährte Wilhelm von Kaulbach's, berichtet uns in seinem Aufsatze: „Zur Charakteristik Wilhelms von Kaulbach" (1876), dass dieser berühmte deutsche Maler in der Pinakothek von Bologna an der heiligen „Cäcilie" von Rafiael nur die Farbe zu loben hatte, das Uebrige im Bilde scharf von ihm kritisirt wurde. Dagegen hätten die Fresken von Overbeck in S. Maria degli Angeli bei Assisi grosse Anerkennung bei ihm gefunden. Nun wurde bekanntlich die heilige Cäcilie RaffaeFs zur Zeit Napoleon's I. in Paris zuerst von der Tafel auf Leinwand übertragen und sodann ganz über- malt, d. h. restaurirt, und zwar so sehr, dass jedem feinern Kunstfreund dadurch der reine Genuss an jenem herrlichen Bilde verdorben wird. Die Arbeit Raffael's also, d. h. die Composition und die Zeichnung, misfiel: die Arbeit des modernen Bilderrestaurators dagegen fand den vollen Beifall Wilhelms von Kaulbach.
Als wir von dem mysteriösen „Correggio-Entwurf" Abschied genommen, begegnete uns das französische Ehepaar, welches, wie dies auf ihren Gesichtern zu lesen war, von dem Raffaelbilde, vor welchem sie so- eben gestanden hatten, ebenso unbefriedigt sich ent- fernte, als wir unsererseits den „Correggio- Entwurf" verlassen hatten. Die braven Leute wollten nun sozu- sagen „pour la bonne bouche" sich noch einmal am Anblick dieses ihres Lieblingsbildes erlaben. Wir da- gegen näherten uns mit nicht geringerer Befriedigung dem Doppelporträt RaffaeFs, in meinen Augen das interessanteste Prachtstück der Doria- Galerie. Es war uns jedoch nicht möglich, sogleich an eine eingehende
Raffael. 415
Betrachtung des Gemäldes zu gehen, weil zwei deutsche Herren, im lebhaftesten Zwiegespräch vertieft, davor sich aufgestellt hatten.
„Ich wiederhole Ihnen", sagte der eine, der seinem Accent nach ein Wiener zu sein schien, „ich wieder- hole Ihnen: es ist durchaus venetianische Arbeit"
„Und ich", entgegnete der andere, seiner Aussprache nach ein Norddeutscher, „ich sage Ihnen, dass diese Copie von keiner andern Hand sein kann als von der des Polidoro da Caravaggio."
Im selben Augenblick lief eilenden Schrittes ein römischer „Cicerone", von vier hochblonden Amerika- nern gefolgt, an dem Raffaelbilde vorbei, und indem derselbe dann in einer gewissen Entfernung von uns still stand, schrie er, mit der Rechten auf das Bild deutend: „Ce«^ Bartolo et Baldo, chef-cTceuvre du Raffaello d^Ur- hin^ peintre de Pape Leon dei Medici''^. Die Amerikaner nickten mit rL-m Kopfe und zogen mit ihrem Fnbror von dannen.
„Diese nichtswürdigen italienischen Cicerones!*' be- merkte der Norddeutsche. „Diese Ignoranten scheinen nur dafür da zu sein, um bei der grossen Menge der Unwissenden die traditionellen Albernheiten von einer Generation auf die andere fortzupflanzen."
„Was anders thun denn die nicht italienischen Cice- rones?" meinte der Wiener. „Auch diese predigen ja mit unerschütterlichem Selbstvertrauen all das al- berne Zeug in die Welt hinaus, da« sie von andern gehört haben."
„Das sagen Sie", entgegnete pikirt der andere. „Wie es scheint haben die Herren in Wien keine Kunde von der neuern Kunstkritik, wie sie bei uns in Berlin betrieben wird. In Oesterreich ist man, scheint mir, viel zu ober- flächlich oder, wenn Sie lieber wollen, zu lebenslustig, als dass man sich da für den organischen innem Werde- process eines Künstlers intercssiren könnte." •
416 Die Galerie Doria-Panfili.
„Gehen Sie mir doch mit Ihrem innern Werdepro- cess! Was geht mich der an", entgegnete der Oester- reicher. „Ich sage Ihnen blos, dass der verstorbene Passavant der allergrösste Raffaelkenner war, den es je gegeben hat, und dieser Gelehrte, der ja über zwölf Jahre lang die Werke des Sanzio aufs allergründlichste studirte und der also diesen Maler besser kennen musste als irgendein anderer, hat dies Bild hier für eine vene- tianische Copie erklärt."
„Der Standpunkt Passavanfs", antwortete trocken der Norddeutsche, „ist in Berlin ein schon längst überwundener. Heutzutage dürfte kein einigermassen gebildeter Mensch bei uns in Preussen vor diesem Bilde hier noch an einen venetianischen Pinsel denken. Bitte, sehen Sie sich doch gefälligst dieses dunkel- braune, russige Incarnat des Navagero an, betrach- ten Sie ferner hier am Auge die Firnislasuren über den Oellasuren und diese flotte, breite Pinselführung da am Munde, ganz und gar wie sie Polidoro im Brauche hat."
„Was wollen Sie doch von der Maltechnik des Cara- vaggio zu sagen haben? Wir wissen ja davon so gut wie gar nichts, mein lieber Herr", sagte der Wiener. ^,Die wenigen hässlichen Bilder, die man von Polidor im Museo Borbonico zu sehen bekommt, lassen uns den- selben als einen höchst geschmacklosen und rohen Maler <irkennen, und seine jetzt ganz übermalten Hausfa9aden hier in Rom können iins doch in ihrem gegenwärtigen Zustande schwerlich noch interessiren, wenn sie auch für seine Erfindungsgabe nicht unvortheilhaft sprechen. Vasari hat auch diesen brutalen Lombarden sehr über- schätzt und übermässig gelobt, wahrscheinlich aus keinem andern Grunde, als weil in seinen letzten Jahren auch Polidoro ins Fahrwasser des von dem Aretiner ver- götterten Michelangelo einlenkte."
„Sie in Wien", versetzte mit verdrossener Stimme
RaffaeL 417
der andere, „mögen über den Caravaggio denken wie Sie wollen; wir in Berlin werden, auch ohne vorher uns die Erlaubniss dazu von Ihnen einzuholen, fort- fahren, der neuern Kritik zu folgen und in Polidoro einen grossen, vom Raflfaerschen Geist beseelten Künst- ler zu erblicken."
„Ich wiederhole es Ihnen nochmals", entgegnete der "Wiener, „Polidoro ist in meinen Augen halt gar nichts anderes, als ein ganz gemeiner Stubenmaler."
„Und ich erlaube mir Ihnen zu bemerken", erwiderte der Berliner, „dass die Kunstgelehrten an der Donau von der wahren historischen Kunst gar V"»""»^ VlMren Begriff sich gebildet zu haben scheinen.
„Was", rief der Wiener aus, „glauben Sie denn etwa, weil Sie Directorialassistent an der Spree sind, dass Sie das Recht hätten, alle andern Leute in der Welt in die Schule zu nehmen?"
„Sie müssen doch gestehen, lieber Baron", sagte lächelnd und mit herablassender Stimme der Nord- deutsche, „dass Sie ja blos Dilettant und keineswegs Mann des Fachs sind."
„Fach oder nicht Fach", rief jener mit Leb- haftigkeit, „ich sage Ihnen, dass die Dilettanten bei Ulis, denen die Kunst am Herzen liegt und die über- dies wie ich das Glück haben, selber Bilder zu be- sitzten, ebenso viel, wenn nicht noch mehr, Recht haben, über Kunstwerke ihre eigene Meinung zu äus- sern, als sogenannte Fachmänner, die an den Bildern selbst nicht mehr Freude haben als etwa der Anatom an dem Cadaver, den er secirt; Leute, die am Ende mit der Kunst nur deshalb sich abgeben, um jedem Bilde und jeder Statiif* in der Welt fiiifMi beliebigen Namen zu geben. '^
.,Lieber Baron", erwiderte der Norddeutsehe, indem er den Kopf in die Hohe hob, ^^gestatten Sie, das8 ich Sie abermals daran erinnere, dass es in allen Fäc|iern
LiKxoLnnrr. 27
418 I>ie Galerie Doria-Panfili.
der AVissenschaft und folglich auch in der Kunstwissen- schaft Berufene imd Unberufene gibt." Mit diesen Worten knöpfte er den grauen U eberrock zu und schritt, von seiner Würde getragen, von dannen.
Der Baron aber, der sich in der entgegengesetzten Kichtung fortbewegte, rief ihm nach: „Ganz wohl, es gibt gescheite und es gibt langweilige Leute."
Eine blonde, noch junge Dame von sehr intelligen- tem Blicke, welche sehr aufmerksam der gelehrten Dis- cussion der beiden Herren zugehört hatte, näherte sich lächelnd, als jene fort waren, mit sichtlichem Interesse dem Bilde und sagte dann, sich an mich wendend: „Ver- zeihen Sie, wenn ich es wage, die Frage an Sie zu richten, ob auch Sie die Ansicht der beiden Herren theilen, dass nämlich dieser herrliche Kopf hier", in- dem sie mit dem Finger auf dea Navagero hindeutete, „nicht von der Hand RaffaePs gemalt sei? Ist es nicht das Werk Raffael's", fügte sie sogleich hinzu, ohne meine Antwort abzuwarten, „so kann es, scheint es mir, doch nur von einem der allergrössten Maler der Welt herrühren! Oder sage ich vielleicht eine Albernheit?"
„Meine Dame, ich theile von ganzem Herzen Ihre Meinung", rief ich freudig bewegt aus. „Vor solch einem Meisterwerk, wie es ja in der Welt kaum ein zweites gibt, an eine Copie zu denken kommt mir wie eine Blasphemie vor. Diese zwei Männer da sind doch so grossartig aufgefasst, sind mit einer solchen Meister- schaft auf die Leinwand hingebannt, dass ich mich kaum- erinnere, andere Bildnisse, weder von Tizian, noch von Velasquez, noch von irgendeinem andern der berühm- ten Bildnissmaler gesehen zu haben, die diesem Doppel- porträt gleich kämen; die einzige «Gioconda« Lio- nardo's im Louvre vielleicht ausgenommen. Auch ich glaube, wie Sie, mein Fräulein, dass es nur einem Meister wie Kaftael gegeben ist, solche zwei menschliche Exi-
BaffaeL 419
stenzen so wahr, so natürlich, so voller Lebenslust in einem Guss alla prima auf die Leinwand hinzu- malen!" (t)
„O ja", sagte sie, „es sind wirklich zwei leuchtende, lebensvolle Gesichter. Je mehr man sie ansieht, desto lebendiger werden sie."
„Und schauen Sie doch auch", fuhr ich fort, „mit welcher Feinheit dieser Mund hier modellirt ist, be- trachten Sie dieses wunderbare Lichtspiel des Auges, «eben Sie doch, wie lebendig dieses fleischige, für Kaffael so charakteristische Ohr hier mit dem Backen verwachsen ist, wie frei und leicht diese Barthaare hin- gemalt sind!"
„Es freut mich unendlich-, sagte die hübsche Dame, ., mein eigenes Urtheil, welches doch nur von der Em- pfindung herrühren kann, von dem Ihrigen, mein Herr, der Sie, wie ich sehe, sich ernstlich mit der Kunst be- schäftigt zu haben scheinen, genehmigt, ja bekräftigt zu hören. Wir Frauen beurtheilen ja die Werke der Kunst doch meist nur nach unserm Gefühl."
„Und gerade deshalb", sagte ich, „dürfle das Ur- theil gebildeter Frauen ofl viel richtiger sein, als das der hölzenien Kunstgelehrten."
„Sie mögen vielleicht recht haben", erwiderte sie nicht ohne einen leichten Anflug von Genugthuung. „Zu viel Gelehrsamkeit verdirbt gar ofl den Kunst- genuss, wie auch zu viel Salz die beste Brühe ungeniess- bar macht. Bei uns im Norden studirt man gar zu viel in den Büchern, zumal in Berlin."
„Berlin", sagte ich, „ist gei^^-iss die gelehrteste Stadt der Welt, und ich bin daher um so mehr befriedigt, meine Ansicht über dieses Doppelportrat RafBiers von einer so feingebildeten Dame aus Berlin getheilt zu sehen."
Bei diesen Worten schante sie mir etwas mis- iranisch in die Augen.
27*
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„Es ist dies nicht das erste mcal", fuhr ich fort, .,dass mir die Gelegenheit geboten wird, die Bemer- kung zu machen, dass begabte und gebildete Frauen, wenn sie sich mit Liebe und Ernst Kunststudien hin- geben, darin eine viel feinere Beobachtungsgabe an den Tag legen, als dies in den meisten Fällen bei uns Män- nern der Fall ist. Auch haben die Frauen gewöhnlich den grossen, unberechenbaren Vortheil vor uns, keine vorscefassten Meinuno:en und dünkelhafte Schulansichten vor das Kunstwerk mitzubringen."
Die junge Dame fragte mich dann zuletzt:
„Sagen Sie mir doch gefälligst, wie hiess denn der Kunstgelehrte, der zuerst den guten Einfall hatte, dieses Prachtbild RafiaePs für eine Copie zu erklären?"
„Täusche ich mich nicht",, antwortete ich, „so war es der berühmte frankfurter Biograph des ür- binaten."
„Passavant?" sagte sie.
„Ja, mein Fräulein. Ihm folgten dann, wie dies in der Welt zu gehen pflegt, die meisten Fachgenossen nach, denen man ja stets einen grossen Gefallen erweist, wenn man ihnen das Selbstdenken erspart. Der ver- storbene Passavant, der sonst gewiss ein sehr gelehrter und verdienstvoller Mann war, hatte nämlich in einem alten italienischen Büchlein, das als aNotizie di urC Anonimo)) allgemein bekannt ist, gelesen, dass dieses Doppelporträt von Beazzano und Navagero auf Holz gemalt sei, und mit dieser Notiz im Kopfe trat er dann vor das Bild hin. Statt nun vor allem das Gemälde von vorn sich anzusehen, wollte der brave Mann, um sich zu vergewissern, ob es auf Holz gemalt sei, es von hinten schauen. Und da er zu seinem Schrecken ge- wahrte, dass dasselbe wirklich auf Leinwand gemalt ist, so folgerte er sofort daraus, es müsse Copie sein, und zwar eine venetianische."
„Warum denn gerade eine venetianische und nicht,
Raffael. 421
wie man in solchen Fällen gewohnlich annimmt, eine bolognesische?" fragte die Dame.
,,Weil das Bild", antwortete ich, „dem Pietro Bembo in Padua angehört hatte, der es dann im Jahre 1538 dem Beazzano selbst zum Geschenk machte. Daraus glaubte nun Passavant berechtigt zu sein den Schluss zu ziehen, dass ein Gemälde, welches so lange im Vene- tianischen geblieben war, nur von einem Maler aus Venedig konnte copirt worden sein."
„Wäre es aber nicht möglich", fragte das wissbegie- rige Fräulein, „dass jener venetianische Kunstfreund, von dem Sie mir sprachen, beim Niederschreiben jener Notiz sich getäuscht und daher die Leinwand für eine Holztafel genommen habe?"
„Gewiss", antwortete ich, „und es wäre mir ein Leichtes, mehrere Verwechselungen der Art Ihnen an- zuführen. Hat denn nicht z. B. selbst Vasari behauptet, die a Madonna von S. Sisto» in Dresden wäre auf Holz gemalt? Jedermann kann sich jedoch selbst überzeugen, dass jenes berühmte Gemälde RaffaeFs auf Leinwand gemalt ist."
„Nun ja", bemerkte die Dame, „dergleichen in der Flüchtigkeit der Besichtigung von Bildersammlungen begangene Irrthümer sind sehr verzeihlich."
„Allerdings", sagte ich. „Was mir jedoch durch- aus keine Entschuldigung zu verdienen scheint, ist, ein so vorzügliches Meisterwerk wie dieses Doppelporträt für eine Copie genommen und es dann leichtfertig als solche öffentlich erklärt zu haben. V ' ' u Begriff sollen wir uns machen vom Kunstvi i i>s eines
Gelehrten, der zwölf Jahre lang die Werke eines Mei- ster» studirt, um zuletzt zu solchen Ergebnissen zu gelangen?"
„Ich glaube", sagte lächelnd die Dame, „dass solche Fehlgriffe bei den gelehrten Kunsthistorikern und Kunst- kennern nicht selten sind. Aber erlauben Sie mir noch
422 ^i^ Galerie Doria-Panfili.
eine andere Frage an Sie zu richten. Ist es denn wahr^ dass Raffael, wie man mir sagte, seine Bildnisse stets auf Holz gemalt habe?"
„In seiner Frühzeit allerdings", antwortete ich. „Sa ist das von ihm gemalte Porträt seines Lehrers und altern Freundes Pintoricchio in der Borghese - Galerie auf Holz. Die Porträts der sogenannten Donna gravida und der Eheleute Doni im Pitti-Palast sind ebenfalls auf Holz gemalt, desgleichen sein eigenes in Florenz und jenes des Papstes Leo X. ebendaselbst; auch das herrliche Bildniss des Cardinais Bibbiena in Ma- drid ist auf eine Tafel gemalt. Vom Jahre 1516 an scheint dagegen Raffael der Leinwand den Vorzug vor dem Holz gegeben zu haben, und er bediente sich der Leinwand nicht nur zu seinem grossen Bilde der Madonna di S. Sisto in der Dresdener Galerie, son- dern auch zu den in den letzten vier Jahren seines Daseins von ihm gemalten Porträts der sogenannten «Donna velata» im Pitti-Palast, zu jenen des Grafen B. Castiglione und der Giovana II im Louvre, wie auch zu diesem Doppelporträt des Beazzano und Na- vagepo hier: ein Bild, das er im April 1516 gemalt haben muss."
„Wie weiss man dies?" fragte die Dame.
„Aus einem Briefe, den Pietro Bembo an seinen Freund, den Cardinal Divizio da Bibbiena, schrieb und worin von der Anwesenheit dieser zwei Venetianer in Rom die Rede ist", antwortete ich.
Sie dankte mir und überliess sich noch eine Weile der ungestörten Betrachtung des Gemäldes.
„Wie langweilig", sagte sie dann, „erscheint mir jetzt unser Porträt des Navagero in Berlin gegen diesen prachtvollen Kopf da! Macht es nicht auch Ihnen den Eindruck, als ob der stattliche Mann auf diesem Bilde mit seinem durchdringenden Blicke auf unsern Gesich- tern lesen wollte, ob wir wirklich würdig seien, ein
RaffaeL 423
solches Meisterwerk anzusehen? Was würden", fugte sie mit feinem Lächehi hinzu und indem sie sich zum Weggehen anschickte, „was würden diese zwei ge- scheiten Venetianer denken, wenn sie all die verschie- denen Urtheile und die gelehrten Bemerkungen anhören könnten, die über ihre Bildnisse wöcli^ntli« li hier ge- macht werden!"
Und leicht sich verneigend verschwand sie dann.
Orts- und Namens verzeichniss.
Die Malern amen sind unter den gebräuchlichen Benennungen nachzu- sehen; also Francia (und nicht Raibolini), Tizian (und nicht Vecellio) u. s. f. Die Parenthese bei Seitenzahlen deutet an, dass an der betreffenden Stelle der Ktlnstler als Urheber der ihm dort zugeschriebenen Werke vom Verfasser nicht anerkannt wird.
Die Sammlungen sind unter dem Namen der Städte aufgeftlhrt, in denen sie sich befinden. Hier stehen an erster Stelle die öffentlichen Galerien; es folgen die Kirchen, dann die Sammlungen von Privaten. Die Sammlungen in London, Oxford und andere englische Sammlungen sind unter England nachzusehen. (J. P. R.)
Agassi z, Louis 94.
Albertinelli, mit Fra Barto- lommeo verwechselt 27. 46. 156 fg.; Einfluss auf Bugiar- dini 124; beeinflusst von Pier di Cosimo 150; Bild in Bor- ghese-Gal. 153 fg.; Verbindung mit Fra Bartolommeo 153 fg. 156. 158; mit Filippino Lippi 158; Uebersicht der Werke 154—159.
Alb an i, Franc, in Borghese- Gal. 296.
Alemanni, Pietro, in Ascoli 363.
Alfani, Domenico, Bilder in Rom und Perugia 175.
A n g e 1 i c o , Fra, da Fiesole, Ein- fluss auf Fra Filippo 101.
Anguissola, Sofonisba, Cha- rakteristik und Uebersicht der Werke 254—257; Werke ihrer Schwestern 257 fg.
Amoretti 113.
Antonello's Oelmalerei 21; sein Stil 318; Bild in Bor- ghese-Gal. 318.
Appiani, Nicola, Bilder in Mai- land und Turin 209.
Aragonien, Johanna von, Por- trät in Doria-Galerie 408 fg.
Arezzo, Paolo von, Bilder in Spanien 203.
A s o 1 o , Pfarrkirche, Lotto 307 fg.
Aspertini, Amico 345.
Aumale, Herzog von, Samm- lung in Chantilly: Botticelli (112). Palma vecchio 315.
Bacchiacca (Francesco Uber- tini), seine künstlerische Ent- wickelung 128 — 130; sein Por- trät 129; sein Stil 131 fg.; Uebersicht seiner Werke 132 —139.
Bagnacavallo 264; Bild in Borghese-Gal. 315; mit Giulio Romano verwechselt imLouvre 27; beeinflusst von Dosso und Garofolo 287.
Baldeschi 102.
Bartolommeo, Fra, verwech- selt mit Albertinelli 27. 46; Verhältniss zu Rafi'ael 62. 63; beeinflusst von Pier di Cosimo 150; Verbindung mit Alberti-
Orts- und Namensyerzeichniss.
425
nelli 153 fg. 156. 158; Werke in Lucca, Florenz und Mai- land 158. 159.
Bartolommeo, Veneto, 366.
Basaiti, verwechselt mit Giov. Bellini 27. 311. 341; — mit Garofolo 268 ; seine Entwicke- lung 368.
Bassano, Franc., in Borghese- Gal. 309.
Beccaruzzi 317.
B e 1 1 i n i , Gent., Ausbildang 24 fg. 349.
B e 1 1 i n i , Giov.(Gianbellino),Ver- liältniss zu Antonello 21; Aus- bildung. 24 fg.; Bilder unter anderm Namen 27; im Louvre mit Rondinelli verwechselt 33 ; sein Stil 98. 99. 354; beeiu- flusst Solario 220; copirt von
• Bissolo in Borghese- Galerie 311; verwechselt mit Cariani ebenda 315; seine Bedeutung 339—341. 350; Uebersicht sei- ner Werke 341—345. 348 fg.; Schulcopien mit seiner Na- mensbezeichnung 346 fg. 353; verglichen mit Mant«gna 350 —355.
Bellini, Jac. (349). 350 fg.
Bergamo, Galerie: Basaiti 370 fg. Bellini, Giov. (311). 342;
Schule B.'s 33. Bcrnardino de' Conti 247. Boltraffio 207
1)0880 281.
Francia, Giac. l-.-.
Garofolo 267 fg.
Genga 121.
Gentile da Fabriano (351).
Lotto 394.
Mantegna 360.
Palma 389.
Raffael 63.
Sodoma 199.
Viv:iriiii, Ant. 361.
— San Hartolommeo: Lotto 394.
— San Bcrnardino: Lotto 394.
— Dom: Giov. Bellini 342.
Bergamo:
— S. Maria M;t"j:"4iorc: Intarsien nach Lotto :ii«-2.
— S. Spirito: Lotto 394.
— Sammlung Agliardi: Basaiti 371; Moroni 341.
— Sammlung Frizzoni: Boltraf- fio 207.
Bembo, Cardinal 422; sein Por- trät 406 fg. Berlin, Galerie:
Bacchiacca 135.
Bemardino de' Conti 247 fg.
Botticelli (111).
Francia 253.
Franciabigio 126.
Lionardo da Vinci (228).
Sebastian del Piombo 53. 55.
Signorelli 117.
Palma (388).
— Nationalmuseum:
Anguissola 256. Bernasconi 314. Hernazzano 194. Bertolotti 35. 188. Bianchi, Francesco 260. 285.
289. 292. B i 8 s o 1 o , Francesco, copirt Giov.
Bellini 346 fg. Blanc, Charles 87—95. Boccaocino, Lehrer des Garo- folo 261 fg.; Uebersicht der
Werke 365—367. Bodc, Wilh. 55. 91. 103. 106.
107. 108. 109. 110. IM. 116.
122. 123. 125. 127. 128. 146.
156. 157. 170. 195. 202. 207
208. 210. 225. 228 fg. 232. 233.
234. 236. 236. 237. 239. 242.
243. 244. 245. 94G. 247. 2G4.
272. 276. 281. 286. 288. 311.
320. 834. 337. 338. 341. 343.
348. 862. 369. 870. 874. 376.
880. 403. 407. Bologna, Arciginnasio : Franota
268. 286. Galerie: Bagiardini 123. Cima 864. Francia, Fr. 261 fg. 286.
426
Orts- und Namensverzeichniss.
Bologna, Galerie: Franciabigio 126. Pisani, Nie. 287. Pontormo (126). Raffael G7.
— S. Domenico : Filippino Lippi 145.
— S.Giov. inMonte: Fr.Cossa34.
— S. Jac. Maggiore: Francia 254; Tamarozzo 286.
— Misericordia: Tamarozzo 286.
— S. Stefano: Francia 252.
B o 1 1 r a f f i o , Verhältniss zu Lio- nardo 202; Uebersicht seiner Werke 206—208.
Bonifazio, Malerfamilie 313 — 315; Stil 99; Uebersicht der Werke 383 fg.
Borgherini 139—141.
Borgia, Cesare 165—169.
Borgo San Sepolcro 118.
Bordone, Paris, Uebersicht seiner Werke 379—382.
Borghese, Cardinal Scipione 84. 208.
B o 1 1 i c e 1 1 i , verwechselt mit Fi- lippino 27 ; mit Fra Filippo 43 ; sein Stil 27. 42. 98. 99. 103 fg. 105. 106; in Borghese -Gal. (87. 105); in Sixt. Kapelle 106; Schulbilder 107—111; Bilder bei Giov. Morelli 111; Zeich- nungen 112.
Braccesi, Aless. 128.
Braghirolli 35.
Bramantino, sein Stil 98. 99; in Rom 192; Einfluss auf So- lario 219.
Brembothal, Bilder von Palma 389.
Brescia, Galerie:
Bellini, Giov. 342. 355. Calisto da Lodi 377. ' Moretto 374. Raffael 63. Romanino 372. Savoldo 319. Solario 217.
— S. Alessandro: Fra Angelico (351).
Brescia, S. Francesco: Roma- nino 372.
— S. Giov. Evang.: V. Civerchio 342.
— S. Giulia: Romanino 372.
— S. Maria Calchera:
Calisto da Lodi 377. Romanino 372.
— Bischöfl. Seminar:
Ant. Vivarini 361.
— Sammlung Fenaroli:
Romanino 372.
— Sammlung Martinengo:
Moretto 374. Breughel 113. Bronzino, Schüler Pontormo's
161. 164; seine Nachahmer 164;
seine Werke 164 fg. 168. Brunelleschi 2. Bugiardini, Charakteristik u.
Uebersicht seiner Werke 123.
124. Buonconsigli, seine Werke in
Venedig 357 fg. Burckhardt, Jac. 165. 279.
Campana, Pedro (317). Campi, Bernardino 223. 25. Campi, Giulio 374, Campori, Marchese 35. 239. Capodiferro, Intarsien von398. Caravaggio, in Borghese-Gal.
297. Cariani 315 fg. Carpi, Giov. Maria da 364. Caselli, Crist. 364. Castagno, Andrea 20. Cavenaghi, Luigi 238. Cecchetti 35. Cenci, Beatrice 21. Chigi, Agostino 170. 187. 193. Chiodarolo 286. Cima da Conegliano, seine
Werke und seine Schüler 363
—365. Cinelli 66.
Cödogno: Calisto da Lodi 378. Como, Dom: Luini 216. Conegliano 364. 399.
Orts- und Namensverzeichniss.
427
Conti, Beroardiuo de\ sein Stil 46. 98; beeinflusst von Lionardo 203. 244; Schulbild in Borghese-Gal. 214. 225; verwechselt mit Lionardo 227. 245. 248. 240; Verwandtschaft mit A. de Predis 243; künst- lerische Entwickelung^ Ueber- sicht der Bilder und Zeich- nungen 243—251.
Correggio, Ausbildung 24. 25. 289—293; mit Tizian verwech- selt 27. 291; — mit Francia 27 ; die „Danae" in Borghese- Gal. 284. 287. 293-296 ; Jugend- werke 290—293; Skizze (?) in Doria-Gal. (409—411); sein Stil 410.
Cortona: Signorelli 118.
Cortona, Pietro da, in Doria- Gal. 330.
Cossa, Fr. 285. 287; Glasfenster in Bologna 34.
Costa, Lorenzo 285; mit Fr. Cossa verwechselt 34; — mit Tura34 ; Verhältniss zu Francia 287.
Cremona, Dom:
Boccaccino, B. 261. 367. Meloni, Alt. 261. Pordenone 397. Romanino 261. 372.
— S. Pietro:
Anguissola. An. Maria 258.
— S. Sigismondo:
Boccacino, C. 367. Crespi, G. M. 66. Crivelli, C, Uebersicht seiner
Werke 361—363. Crowe und Cavalcaselle 33.
34. 37. 44. 47. 48. 59. 91. 104.
106. 107. 108. 110. 112. 115.
119. 127. 128. 142. 151 fg. 164.
156 fg. 169. 205. 218 fg. 220.
231. 247. 252. 279. 308. 311.
317 fg. 328. 333. 338. 348. 357.
362. 366. 368. 374 fg. 379. 385.
387 fg.' 390. 403. 407.
Di am ante, Fra, Schüler des
Fra Filippo 37 fg. Domenichino, in Borghese-
Galerie 296. Donduzzi 66.
Doria, Andrea, Admirai 330. D o 8 8 0 , Battista, Werke 280. 283. Dosso Dossi, Einfiuss auf Gkt- rofolo 262; Bilder in Borghese- und Doria-Gal. 258. 277-281; die „Circe" 263. 277 ; sein Cha- rakter 276 fg. 282 fg.; Ueber- sicht seiner Werke 281—283. Dresden, Galerie:
Correggio 289. 291. 294. 295. Filippino Lippi 146. Franciabigio 126. 135. Garofolo 268. Holbein 83. Lionardo (115. 408). Lotto (394). Lunders 321. Raffael 66. 90. 421 fg. Rosselli, Cos. (146). Dyck, Ant. van, Beziehung zu Sof. Anguissola 257.
England: London, National Gallery: Bacohiaooa 135. 139. Bellini, Giov. 352. 355. Boltraffio 207. Botticelli 27. Bronzino 168. Campaäa, P. 317. Garofolo 267. 269. 275. Lionardo (235. 246). Moretto 347. Moroni 402. Ortolano (267). Petellino (337. 339). Pier di Cosimo 153. Piero di Lorenzo Pratese 337. Pontormo 139. (168). Romanino 372. SanaeYerino, Lor. da 363. SoUrio 319—221.
428
Orts- und Namens verzeicliniss.
England, London, British Mu- seum Handzeichnungen: Cesare da Sesto 213. Conti, Bern, de' 250. Credi, Loreuzo di 116. Filippino 92.
Garbo, Raffaelino del 147. Lionardo (227 fg. 250). Masaccio (92). Pordenone 400. Raffael 63. Signorelli 118. 119. Sodoma 201.
— Ashburton, Lord: Correggio
290 fg. — Chatsworth, Handzeichnungen: Bellini, Giov. (187). 356. Credi, Lorenzo di 116. Lionardo (187). Michelangelo (163). Parmeggianino (47). Pontormo 163. Pordenone 400. Romanino 373. Romano, Giulio 183. Sebastian del Piombo 54 fg. Sodoma 196.
— Cowper, Lord, Sammlung in Panshanger: Raffael 34. 101.
— London, Dudley House:
Perino del Vaga 175.
— — EUesmere, Lord:
Lotto 307.
Palma (58).
Raffael 64.
Tizian 58. 404. Heseltine,J.P., Sammlung:
Genga 121. Malcolm of P., Sammlung:
Botticelli 112.
Conti, Bern, de' 250.
Raffael 172 fg.
— — Monson, Lord, Sammlung:
Cesare da Sesto 213.
— — Morrison, A., Sammlung:
Conti, Bern, de' 248 fg.
Murray, John, Sammlung:
Giampietrino 203.
— F. Maitland Sammlung:
Ambrogio de Predis 239. 242.
England, London, Northbrook, Lord :
Francia 252. Tizian (404).
— Northumberland, Herzog von :
Bellini, Giov. 340. 351.
— Oxford, Universitäts-Galerie, Handzeichnungen :
Perino del Vaga 184 fg. Perugino 134. Raffael (46. 184). Sodoma 197. 300.
— — Christ Church Gallery:
Bacchiacca 132. 135. Conti, Bernardino de' 250, Giampietrino 204. Lionardo (204). Raffaellino del Garbo 147.
— Richmond, Sir Fr. Cook:
Bacchiacca 137. Fra Filippo 101. Giampietrino 205.
— Seymour, Danby, Sammlung:
Anguissola 256.
— Spencer, Lord, Sammlung-
Anguissola 256.
— Stirling, William:
Anguissola 256.
— Windsor-Castle , s.d.
— Yarborough, Lord:
Anguissola 255.
Ferrara. Galerie: Dosso 282. Garofolo 269. 273. Ortolano (269). 275.
— Dom: Ortolano 275.
— Seminar: Garofolo 273.
— Varano, Sammlung:
Anguissola 256. Feti, Dom.,inBorghese-Gal.305. Florenz, Akademie der schönen Künste :
Albertinelli 155.
Bartolommeo, Fra (144). 159.
Botticelli (108).
Castagno, Andrea del (92).
Credi, Lor. di 116.
Filippino 91 fg.
Orts- and Namensverzeichniss.
429
Florenz, Akademie: Filippo, Fra 99. Granacei 127. Lionardo (334). Masaccio (92). Pesellino 336. Signorelli 118. Verrocchio 108. 109. 334. — Pitti-Galerie, Gemälde: Albertinelli 158. Bartolommeo, Fra 159. BoocacciDO, B. 365. Bonifazio 381. 384. Bordone, Paris 381. Botticelli (108). D088O 276. 281. Filippino 145. Franciabigio 124. 126. Garofolo (276). Genga 121.
Ghirlandajo, Schale 145. Granaeci 127. Lionardo (125). Laini, A. (204). Moroni 401. Palma (387). Perugino 125. 128. Pontormo 163. 168. Pordenone (387). Raffael: Doni M. 57. 60 fg.
70.101. 148.422; Madonna
del Granduca 59 fg. 100 fg. ;
Donna gravida 60. 101.
422; Altarbild für Dei
61 fg.; Mad. d. Sedia 63.
101; Donna velata 64 —
68. 245. 422; Leo X. 60.
422: Julius 11.69.70; Vi- ior8 70fg.;Car-
• i !. (72 fg. 161).
Ridolto dei Ghirlandigo 233. Romano, Giulio 180. Sarto, A. del 139. Scarsellino 312. Sebastian del Piombo 51. Signorelli 118. Sodoma (121). Tizian: la Bella 70; Copie
des Porträts Alfonso's 281. Tommaso 115.
Florenz, Üffizien-Gal., Bilder: Albertinelli 155. 158. Anguissola. Sof. 255. Bacehiacca 135. Baldovinetti 338. Bartolommeo, Fra 158 fg. Bellini, Giov. 27. 341. (346).
351. 369. Bordone, P. 381. Botticelli 43—45. 106.
(107 fg.). Bronzino 129. 164 fg. Brasasorci, Fei. 374. Campi, Gialio 374. Carotto 359. Cima (364). Conti, Bern, de' 249. Correggio 27. 291 fg. Credi, Lor. di 115. (116.
127 f^.). Fra Filippo, (43—46). Francia 253. Franciabigio 47. 48. 124.
125—127. Genga, Gir. 119. Giorgione 323 fg. Lionardo 225. (228. 229). Lotto 307 fg. 394. Lukas V. Leydcn (249). Luini (149. 211). 215. Mantegna 359. Moretto (51. 374) Moroni 401.
Palma veochio 31». w. . „. Pier di Cosimo 150. 152 fj^. Pietro di Messina 364. Pollajuolo (241). Pontormo (125). 163. Predis, Ambr. de 241 fg. Raffael: Madonna del Car-
dellino 45. 47. 57. 101 j
(Mad. del pnrro 47. 48.
123); (sog. 1 48-
61); (unbek , «'itr.
66); Julius 11. 70; bcibst-
porir. 422. RafTa •• !. 1 Garbo (126). Hi<i iirUndajo(126.
15.: I.
Romanino 37a.
430
Orts- und Namensverzeichniss.
Florenz, Üffizien-Gal., Bilder: Rosselli, Cos. 333. Savoldo 319. Sebastian del Piombo 48 —
51. 55. 56. 374. Sesto, Cesare da (149). Signorelli 118. Sodoma 199. Tizian 58. Verrocchio (109). Zelotto 309.
— Uffizien, Handzeichnungen:
Baccliiacca 136. 141 fg. Bartolommeo, Fra 154. Botticelli 112. Brescianino, A. del 159. Credi, Lor. di 116. (226). Filippino 146. Filippo, Fra (44). Franciabigio 125. Genga 121.
Lionardo (141. 201). 225 fg. Luini 216. Michelangelo (136). Paolino, Fra 154. Perin del Vaga 186. 303. Peruzzi 171. 192. Pier di Cosimo 156. Pollajuolo, A. del 119. Pontorino (125). 163. Predis, A. de 226. 235. Raffael (121). 302 fg. Raffaellino del Garbo 147. Romano, Giul. 182. 303. Signorelli 118. Sodoma (171). 201. 226. 300. Viti, Tim. 303.
— Galerie Corsini :
Albertinelli 154.
Botticelli 110.
Santi, Giov., Schule 328.
Signorelli 118.
Viti, Tim. 327 fg.
— Museo degli Arazzi:
Bacchiacca 130.
— Museo Buonarotti:
Pesellino 333. 335.
— Museo di S. Maria Nuova:
Fra Filippo, Schulbild 103.
Florenz, Kirchen:
SS. Annunciata: Franciabi- gio 125 fg.; Pontormo 163.
La Calza: Franciabigio 125.
S. Felicita: Pontormo 163.
Fiesole, bei, Oratorium von S.Ansano: Botticelli (HO).
S. Jacopo a Ripoli siehe : La Quiete.
La Quiete: Botticelli (109).
S. Lorenzo : Fra Filippo 102.
S. Maria Novella : Bugiar- dini 123.
S. Michelino: Pontormo 163.
S. Onofrio : G. N. Manni 36 fg.
Chiostro degli Scalzi: Fran- ciabigio 126.
S. Spirito : C. Rosselli, Schule 152.
— Privatsammlungen:
Alessandri, Pal.: Pesellino 335 fg.
Bacciocchi, March.: Bac- chiacca 137.
Bartolommei, March.: Al- bertinelli 154.
Corsini, Pal. al Prato : Fran- ciabigio 126.
Covoni , March. : Granacci 127; Puligo 160.
Farinola, March. : Pontormo 163.
Ginori, March.: Botticelli 146; Signorelli 118.
Giuntini, Pal. 115.
Innocenti, Stanza del Com- raiss.: Pier di Cosimo 150. 152.
Torrigiani, March.: Signo- relli 118; Pesellino 337.
— Pal.Vecchio: Verrocchio 113.
— Poggio a Cajano (bei Flo-
renz): Franciabigio 126; Pontormo 163. Forli, Dom: Rondinelli 347.
— Galerie: Palmezzano 168.
F r a n c i a , Franc.(Raibolini) : ver- wechselt mit Correggio in Pa- via 27; in Borghese-Gal. 87. 251 — 253: sein Künstlercha-
Orts- and Namensverzeichniss.
431
rakter 254; Verhältniss zu L. Costa 286 fg.
Francis, Giacomo u. Giulio 287.
F r a n c i a b i g i o, mit Rafiael ver- wechselt in Uffizien- Galerie 47 fg.; in Borghese-Gal. 122; Charakteristik und Uebersicht der Werke 124—128; copirt Dürer - Stiche 135.
Frankfurts. M., Stadt. Galerie; Moretto 398. Sodoma 27. 202.
Franz I. von Frankreich 21.
Frizzoni, Gustavo 137. 151. 169 fg. 191. 206. 238. 292. 357. Dessen Gemäldesamm- lung siehe unter Mailand.
Galgani, Sammig.: Solario 221. Garofolo, Benvenuto, seine Lehrzeit 260—263 ; Aufenthalt in Rom 262 fg. 270 — 272; Bilder in Borghese- u. Doria- Gal. 263. 265 — 269; Einfluss des Dosso 263; die Merkmale seines Stils 265 fg.; Ueber- sicht der Werke 276; seine künstlerische Natur 272 fg.; mit Ortolano verwechselt 274 fg.; seine Familie 274. GaudenzioFerraribeeinflusst von Lionardo 203; ihm zu- geschr. Werke 229 fg. Gaye 35.
Genf, Museum: A" llil56.
Genga, Gir., 1 r 51 ;
Charakteristik miu u< Mcrsicht der Werke 119—123; Neben- buhler Dosso's 283. Genua, S. Maria di Castello:
Justus de Alemania 329. — Adorno, March., Sammlung: Botticelli (111). Balbi Pal.: I (146);
vlimischci 206.
Balbi Piovera Pal.: Tixian
317. Doria Pal.: Penn del Vagi 175.
Genua, Adorno, March., Samm- lung:
— Bngnole Sale Pal.: Bordone 381; Moretto 374.
Ghiberti*8 Ausbildung 24 fg.
Giambono 361.
Giampietrino oder Oiampe- drino, seine Landschaften 194; Bild in Boi-ghese - Gal 202; Charakteristik u. lieber sieht der Werke 202 — 206 verwechselt mit Lionardo 227
Giorgione mit Dosso verwech seit in Borghese-Gal. 278 fg.; Original in Borghese • Gal. 323 fg.
Goethe 99.
Granacci, sein Stil 126; Bil- der in Florenz 127; in Rom (?) 147 fcr.
Gregor XVL, Papst 102.
Gualandi 33.
Guidobaldo von ürbino 69.
Habicb, Edw., Sammlung:
Baochiaoca 137.
Raffael 173. Hals, Frans 177. Hirt, Aloysius 90.
Innooenz X., Papst 329. 331. Isola Bella: Boltraffio 207.
Jansen 114. Jesi: Lotto 394. Julius IL, Papst 69. Jnsti, Karl S03. 330 fg.
Kaulbach, Willi, von 414. Köln: Raffael 18L
La Motta, Gal. Scarpa: Man- i%gaA 360; Pordenona 893: Sodoma 199; Sebastian del Piombo 53.
432
Orts- und Namensverzeichniss.
Lanzi 87. 333.
Largilliere 39.
Lausanne, Sammlung Nicole:
Bacchiacca 132 fg. Legnano: Luini 216. Leo X., Papst, von Raffael ge- malt 69. Lepel, Graf 88. Liberale da Verona 357. Licinio da Pordenone, Bild in Mailand 50; in Borghese-Gal. 316 fg. Lille, Galerie:
Bacchiacca 136. Francia (120). Franciabigio 126. Filippino 146. Genga 120. 121. Ghirlandajo (147). Masaccio (146). Micbelangelo (136). Raffael (126).
Raflfaellino del Garbo 147. Romano, Giulio (120). Sebastian del Piombo 52. Lionardo daVinci 21; Citate aus seinen Schriften 25. 91. 93. 95; mit Sodoma verwech- selt 27; „Mona Lisa" 61; St. Sebastian (87—88); Zeich- nung in Sammlung Thiers (89); Bild bei Clemens VII. 113; Zeichnung in Dresden (146); mit Ges. Borgia 167; Zeichnung im Louvre 197 ; Verhältniss zur Mailänder Schule 202 fg.; seine Zeich- nungen und Bilder 225—229. 234; Bild in Doria - Galerie (408 fg.); Bilder der Schule L.'s in Borghese-Gal. 204. Lippi, Fra Filippo, sein Stil 27. 42. 98. 99. 101 fg. 104; erwähnt 91 ; Bilder in Rom, München, Prato und Spoleto 102; in Turin und in den Uf- fizien 103; in Doria-Gal. 332. Lippi, Filippino, sein Stil 27. 98 fg. 103 fg.; verwechselt mit Botticelli 27; erwähnt 91;
Bilder in Rom 104. 144; in Florenz 145 ; Zeichnungen 146.
L o d i , S. Maria lucoronata : Cal. da Lodi 377 fg.
iLodi, Calisto Piazza von,
' Charakteristik und Uebersicht der Werke 376—378.
Longhi, L. 348.
Lorenzo di Credi, in Bor- ghese-Gal. 87. 112—117.
Lotto, Lor., in Borghese-Gal. 305—308; Charakteristik und Uebersicht der Werke 390 — 395.
Lovere, Gal. Tadini: Giacomo Bellini 351; Bordone 381.
Lucca, Galerie: Fra Bartolom- meo 158.
Lugano: Luini 216.
Luini, Bern., beeinflusst von Lionardo 203; Aufzählung der Gemälde und Zeichnungen 214—216.
Lützow, K. von 175.
Anguissola, Lucia 257.
Lotto 390.
Peruzzi 170.
Romano, Giulio 180.
Tizian 407 fg. Macrino d'Alba, von A. Solario
beeinflusst 221. Mailand, Galerie der Brera:
Appiani, Nie. 209.
Bellini, Giov. 343. 355.
Boccaccino, C. 367.
Bordone 381.
Cariani 316.
Cijna 364.
Conti, Bern, de' 248 fg.
Dosso 267. 279. 281.
Garofolo 276.
Genga 121.
Giampietrino 205.
Lotto 308,
Luini, Schule 216.
Mantegna 359 fg.
Marco d'Oggionno 209.
Orts- und KamensTerzeiohiiiss.
433
Mailand, Galerie der Brera: | Palma 318 fg. Pisani, Nie. 287, Rondinelli 347 fg. Savoldo 319. Solario 219 fg. Vivarini, Ant. 361.
— Museo Poldi-Pezzoli: Albertinelli 156 fg. Bellini, Giov., Schule 33. 31 1. Boltraffio 207. Botticelli 111.
Conti, Bern, de' 247. 249. Giampietrino 205. Lodi, C. da 376 fg. 378. Luini 216. Mantegna 360. Predis, Ambr. de 231. 241. Solario 217. 219. 220. 222. Tamarozzo 286.
— Ambrosiana:
Basaiti 370.
Boltraffio 207.
Cariani 316.
Conti, Bern, de' 250.
D088O (281).
Filippino 146.
Lionardo 226. (228). (250).
Luini 216.
Predis, Ambr. de 233—235.
238 fg. Raffael 101. Romanino 373. Sodoma 201. Solano, Cristoforo 224.
— Museo Civico:
Giampietrino 205. Sodoma 198.
— Kirchen:
S. Angele: Solario P. 219. S. Eufemia: Marco d'Og-
gionno 208. S.Giorgio in Palazzo: Luini
216. S. Maria delle Grazie: Bu-
giardini 124; Appiani, M.
209. S. Manrizio: Boltraffio 207;
Luini 216. La Passione: Luini 210.
LBKMOLtBrr
Mailand, Kirchen:
S. Sepolcro: Giampietrino 206.
— Privatsammlongen :
d'Adda^March.: Solario 221.
Andreossi: Licinio 60.
Belgiojoso , Graf L. : P.
Codde 322.
Bonomi-Cereda: P. Codde
322.
Francesco Napoletano 203.
Marco d'Oggionno 209.
Sodoma 199. Borromeo, Graf :
Giampietrino 205.
Luini 216.
Cesare da Sesto 149. )11.
Sodoma 199. Prinetti-Esengrini:
Tommaso 115. Brivio, Marob.:
Giampietrino 206. Castelbaroo:
Solario 169. 2S4. Erzbischöflicher Palast:
Bordone 882. Frizzoni, Gustave :
Bacchiacca 133 — 186.
Bellini, Giov. 842.
Boltraffio 207.
Correggio 292.
Predis, Ambr. de S81. 241 fg.
Sodoma 199.
Tommaso 115.
— — Ginoulhiac:
Sodoma 199.
— — Maggi:
Ambr. de Predis 240.
— — del Maino:
Boltraffio 807.
— — MeUi, Henog:
Angoiasola S66.
Cetare d« Setio 149. 21 1 fg.
Lionardo, Schule 236.
Morelli, Giov.:
Albertinelli 168. AngniMoU 266.
BnroliJarft« |82. 136. 137. 70. <>iov. 340. 842.
28
434
Orts- und Namensverzeichniss.
Mailand, Privatsammlungen: 1 Boltraffio 207. 208. !
Botticelli 111. !
Cariani 3l(i. Perin del Vaga 179. Pesello, Giul. 333. Pesellino 335. 337. 339. Pontormo 163. Predis, Ambr. de 231. 232.
240 fg. Raffael 182. Sodoma 199. 201. Tommaso 115.
— — Perego:
Solario 224.
— — Porro, Graf:
Ambr. de Predis 238. 242.
— — Prinetti:
Boccaccino, B. 367.
— — Scotti, Herzog:
Cesare da Sesto 211. Solario 224.
— — Sola, Graf:
Boltraffio 207.
Trivulzio, Princ:
Antonello 318. Codde, P. 322. Mantegna 360. Predis, Ambr. de 231.
— — Visconti -Venosta:
Fra Bartolommeo 159. Garofolo 267. Giampietrino 267.
Manni, Giannicola, in S. Ono- frio, Florenz 37.
Mantegna, verwechselt mit Giov. Bellini 27; sein Stil 99. 354; Fresken in Mantua 104; sein künstlerischer Charakter 350; Bilder unter seinem Na- men in der Doria-Gal. 356 fg.; mit Signorelli verwechselt 358 ; Uebersicht der Werke 359 — 360.
Mantua, Fresken des Mantegna 104. 359.
Marchesi , Girol. 348.
Marconi, Rocco, coj^irt Bellini 311 fg. 407.
Mariette 190. 412.
Marsuppini, Carlo 102. Masaccio 91; Lehrer des Fra
Filippo 101. Masolino 91. Mazzolino, Bild in Borghese-
Gal. 284. Medici, Giuliano de' 111. — Giulio de', Cardinal 69. Mengs 410 fg. Mestre, Carpenedo bei: Bac-
chiacca 132. Meyer, Jul. 55. 3G9 fg. Michelangelo, Einfluss auf Seb. del Piombo 54; Zeichnung in Windsor 297. Milanesi, Gaet. 20. 35. Minghetti,. Marco 175. Mino da Fiesole 116. Modena, Galerie: Cima 364. Dosso 282. Garofolo 276. Lippo, Fiorent. (115). Palma 388. Tommaso 115. Montagna, Form der Hand 46 Mont'Oliveto (bei Siena): Signorelli 118. 191. Sodoma 199. 299. Monza, Ant. da, beeinflusst vod
Lionardo 203. Moreau 87.
Moretto, Charakteristik und Uebersicht der Werke 373 — 375. 399. Morone, Hieron. 224. Moroni, Giov. Batt., in Bor- ghese-Gal. 304; copirt Giov. Bellini 340 fg. ; Charakteristik und Uebersicht der Werke 400 —402. Morris Moore 118. Moschini 313 fg. München, Galerie:
Conti, Bernard. de' 247. Filippo, Fra 102. Flämischer Meister 206. Francia, Fr. 253. Giampietrino 204. Lotto 307.
Orts- and KamensTerzeichniss.
435
München, Galerie:
Kaffael 46. Müudler,0tto47. 115. 123. 165. 174. 199. 218. 245. 294. 313. 318. 334. 381. 390 fg. 392. 396. 409. Murano, S. Pietro Mariire: Bellini, Giov. 344. Bissolo 369. Boccaccino, B. 366.
Neapel, Galerie:
Anguissola 25G.
Antonello 317.
Bellini, Giov. 349. 355.
Breughel 113.
Garofolo (264). 267.
Luini 215 fg.
Lotto 307. 394.
Moretto 374.
Palma 387.
Raflfael, Schule 73.
Romano, Giul. 180. 183.
Sesto, Cesare da 212. 214. Napoletano, Francesco, Ver- hältniss za Lionardo, Bilder in Mailand und Valencia 203. Keri dl Bicci (36).
Oggionno, Marco d', Verhält- niss zu Lionardo 202. 210; Bil- der in Rom und Mailand 208 fg.
Olera bei Bergamo: Ciraa 364.
Ortolano 274. 275.
Orvieto, Dom: SignorellillTfg
Padua, (iaierie:
Basal ti 370.
Belliui, Giov. 33.311.(946).
Boccaccino, B. 867.
Cal. da Lodi 377.
Palma (388).
Pietro da Messina 864.
Pietro della Vecchia «79.
Romaninu 372. (377). •^ Scuolu del Santo: Tizian 104. ~ Eremitani: Mmntegn« 869.
Palermo, Kirche deir Olivella:
Lor. di Credi 116.
Palma vecchio, mit Tizian
verwechselt 49. 50; Werke in
Borghese-Gal. 312. 314 fg.
P a n e 1 1 i , Lehrer Garofolo's 260.
Pandolfo di Pico della Miran-
dola 188. Paolino, Fra, Stil und Werke
154 fg. Paris, Louvre, Gemäldegalerie:
Albertinelli (157). 168.
Bacchiacca 134. 135. 136.
Bartolommeo, Fra 27. 157.
Bellini, Giov. (346).
Bordone, P. 382.
Corregffio 411.
Credi, Lor. di 116.
Filippino 158.
Justus von Gent 328.
Lionardo 229.
Lotto 394.
Palma 387.
Perugino 134.
Pesellino 336. 339.
Pier di Cosimo 151.
Pontormo 165.
Raffael (54).
Romano, Giul. 27. 180. 182.
Rondinelli SS. 346.
Sebastian del Piombo 54.
Sesto, Cesare da 212.
Solano 221. 222. — — Handzeiohnungeu:
Baochiaoca 135.
Bellini, Giov. 355 fg.
Conti, Bern, de' 250.
Boltraffio 207.
BaoDOonsigli 858.
Credi, Lor. di 116.
Filippino 146.
Füippo, Fra (146).
Franciabigio 12<v
Genga 121.
Lionardo(89). 197. (212.227). 359.
Luini 216.
MantagnA (358).
Penni 182.
Perin del Vaga 183— 187.301.
28»
436
Orts- und Namensverzeichniss.
Paris, Louvre, Handzeichuung.
Peinizzi 171.
Pordenone 400.
Raffael 148.
Sesto, Cesare da 212. 214.
Sebastian del Piombo 55.
Signorelli 118.
Sodoma (171). 201.
Verroc hio 113. Parma, Galerie:
Cima 364.
Correggio 290. Parmeggianino, beeinflusst
von Periuo del Vaga 190. Passavant 37. 47. 57. 60. 72. 129. 161 fg. 184 fg. 297. 301. 361. 409. Paul V., Papst 208. 327. Pausola (Marca d'Ancona):
Vivarini, Ant. 361. Pavia, Galerie:
Correggio 27.
Sesto, Cesare da (213).
— Kirche S. Marino:
Giampietrino 206.
— Certosa:
Solario 223.
Penni, Franc. 178. 180. 188.
Perino del Vaga, Werke der Frühzeit und künstlerische Entwickelung 175—188; wird der Isab. Gonzaga empfohlen 188—190; beeinflusst den Par- meggianino 190 ; Zeichnung für Fresco in Borghese-Gal. 298. 301.
Perugia, Fresken Raffael's 104.
— Dom: Signorelli 118.
— Schule von 36.
P e r u g i n o , Lehrer Rafifael's 2 1 ; sein Stil 100. 101 ; „Apollo und Marsyas" im Louvre 134."
Peruzzi, seine Entwickelung 170; Bild in Borghese-Gal. 169—172; von Raflfael porträ- tirt 192.
Pesellino, sein Stil 27. 104. fg. 338; seine künstlerische Entwickelung und Aufzählung der Werke 332—337. 339.
Pesello, Giuliano 332 fg. Pest, Galerie:
Bellini, Gent. 349.
Boltraffio 207.
Correggio 295.
Sesto, Cesare da 212.
Sodoma 27. 197. 201. 300. Petersburg, Ermitage:
Giampietrino 205.
Lionardo (229).
Sesto, Cesare da 213.
— Staatsrath DelarofF, Samm- lung:
Calisto da Lodi 377.
P h i 1 i p p IL, porträtirt von Tizian 407.
Piacenza, S. Maria d. Cam- pagna :
Pordenone 399.
Pier di Cosimo, Bilder in Borghese-Gal. 87. 149; Be- deutung als Landschaftsmaler 150 fg.; beeinflusst von Lio- nardo 150 fg.; Gemälde 151 — 153; bei C. Rosselli 156; Zeich- nung 156.
Pinto ricchio, Verhältniss zu Raffael 21; in Borghese-GaL 87. 142—144; Stil 100. 101; Hofmaler Alexander's VL 167 ; Zeichnung in Uffizien 303.
Pisani, Nie. 387.
Pisano, Vittore, Bilder und Zeichnungen 350.
Pistoja, S. Domenico: Fra Paolino 155.
— Spitalkirche:
Lor. di Credi 155. Fra Paolino 155.
Pitti, Luca 3.
Pollajuolo, Ausbildung 24 fg.; sein Stil 42. 98.
Pontormo, sein Stil 126. 162 fg.; sein Porträt 129; copirt Dürer- Stiche 135; Bild in National Gallery 139; — in Borghese- Gal. 161—163; Uebersicht sei- ner Werke 163 fg.
Pordenone, Bilder des Giov. Ant. da P. daselbst 396.
Orts- und NamensTeneiohniss.
437
P 0 r d e n o D e , Giov. Ant, Charak- teristik und Uebersicht der Werke 395—400.
Poussin (Dughet), Gaspar, in Doria-Gal. 330.
r r e d i s , Ambrogio de, beeinflusst von Lionardo 203 ; verwechselt mit Lionardo 227. 232; Zeich- nung in üffizien 226; Charak- teristik und üebersicht der Werke 230—242.
Predis, Cristoforo de 242.
Predis, Mateo de 232.
Puligo, Werke in Rom 161.
Puccini 48.
Pulsky, von 300.
Puppini, Biagio 287.
Raffael, Schüler Perugino's 21. 59; — Pintoricchio's 21. 59; — des Tim. Viti 34. 59; Künst- lerberuf 24 fg.; mit Sodoma verwechselt 27. 196 fg. 198 fg.; (in S. Onofrio, Florenz 36); sein Stil 42. 45. 47. 100 fg.; Bilder in Üffizien 40 fg.; „Ma- donna del Cardellino" 45. 47. 61. 63; („Madonna del Pozzo" 47. 48. 60); (sogen. Fomarina 48 — 51); („Violinspieler'* in Pal. Sciarra Colonna 49—51); Einfluss auf Sebastian del Piombo 53; sein Porträt 53; mit Seb. del Piombo verwech- selt im Louvre 54; Bilder in Pitti-Gal. 59 fg.; „Madonna del Granduca" 50 fg. 100; Portr. Doni 61; Altarbild für Dei 61 — 63; „Madonna della Sedia" 63; „Donna Velata" 64 — 71. 245; „Leo X.'* 69; «.Vision Ezeobiers" 70; Ein- diMS Lionardo't 61; Verhält- niss zu Fra Bartolommeo 62 fg. ; Fresco in Perugia 104; Ver- hältniss zu Giul. Romano und Perino del Vag« 178—187; copirt von Cetare da Sesto
212; Doppelporträt in Doria- Gal. 414 fg.
Raffaellino del Garbo 91; sein Stil 104; in S. Onofrio, Florenz (37); mit Filippino verwech- selt 145; Zeichnungen 147 fg.
Ravenna, S. Croce: Rondinelli 347.
Recanati, Dominicanerkirche: Lotto 307. 394.
Richter, J. F. 25. 193 fg. 226 fg. 309.
Reiset 112.
Ricci, Corrado 34.
Rio 210.
Robbia, Lnca della 113.
Roberti, Ercole 285. 287 fg.
Rom, Albani, Villa: Giampietrino 205.
— Barracco, Giov., Baron, Samm- lung:
Pier di Cosimo 151. 153. Rondinelli 347.
— Barberini, Galerie: Entstehung derselben 84. 86. 328.
Botticelli (107).
Cenci, Beatrice (?), Porträt
derselben 21. 404. Fomarina, Porträt derselben
68. Palma (387). Peruzzi (163). Pietro della Vecchia 387. Pontormo 163. Sodoma (198). Tizian (406).
— Palazzo Barberini:
Justut von Qent 388 fg.
— Galerie Borghete, Entstehung derselben 83 fg.
Albani 296.
AllxMtint-lIi 153.
Alf
.\i S. (354); Luoia
;io 317 fg. Bacchiaooa 138. 131. 137. BMSftoo 309. 313. Bellini, Qiov. (33 n
347).
438
Orts- und KamensverzeichnisB.
Rom, Galerie Borghese: Bissolo 311. Bonifazio 313. Bordone, Paris 313. Botticelli (87. 105 fg.) Bronzino 164. Brower (3->l). Bugiardini 123. Caravaggio 297. • Codde, P. 322. Correggio 284.287.293—296. Cranach, Lukas 320. Crivelli (143). Domenichino 296. Dosso, B. 280. 283. Dosso Dossi 258. 263. 277—
280. Feti, Dom. 305. Filippino (144). Francia, Fr. (Raibolini) 87.
251 fg. 287. Franciabigio 122. 124 fg. Francken, Fr. 320. Garofolo 258 fg. 263 — 265.
268. 272. 275. (277). Genga, Girol. (119). Giarapietrino 202. Giorgione 323 fg. Hals, D. 321. Holbein (320). Lionardo (113. 225. 227). Lorenzo di Credi 87. 112 —
117. 155. Lotto 305—309. Lunders, G. 321. Luini (214). Mazzolino 284. Moroni 304. (319). Oggionno, Marco d' 208. Palma vecchio 312. 314 fg. PerindelVagal75.(287fg.). Peruzzi 170. Peters, W. 320. Pier di Cosimo 87. 149 fg.
153. Pintoricchio 87.(142). 143 fg. Pontormo 161—163. Puligo 161. Raffael (161. 165). 172—175.
(297). 422.
Rom, Galerie Borghese:
Ridolfo del Ghirlandajo (147). Sarto, Andrea del (33. 159—
161). Savoldo 319. Scarsellino 284. (312). Sesto, Cesare da (211). Signorelli (117). Sodoma (Bazzi) 87. 190 fg.
193—198. Solario, A. 216 fg. Spagua, Giov. (144). Tizian 215. 304. 310 fg. (312). Tommaso 114 fg. Veronese, Paolo (305. 309 fg.
312). Zelotto 309.
— Galerie des Capitols:
Aspertini 345.
Bellini (267. 345 fg.).
Bordone, P.-(379).
Credi, Lor. di (115).
Dosso 280.
Ferrari, Gaud. (229).
Francia 252.
Garofolo 267. 275.
Giorgione (319. 394).
Lotto 393 fg.
Palma 386.
Savoldo 319.
Tizian 58. 379. (386). 404.
— Chigi, Entstehung der Ga- lerie 84.
Bonifazio 384. Botticelli 106. Dosso 281. Peruzzi 170 fg. Sodoma 170 fg. 198. Tizian 406.
— Doria, Galerie, Entstehung derselben 83 fg. 327—330.
Bartolo di Maestro Fredi
334. Basaiti (268. 365). 368. Bellini, Giov. (33. 345). Boccaccino, B. 365. Bonifazio 383. Bordone P. 379 fg. Bronzino 164. Caracci 390.
\
Orts- und XamensTerzeiohniss.
439
Kom, Doria, Galerie: Cima (363). Correggio 409 fg. Cortona, P. da 330. Costa, L. (268). Dosso, B. 283. 330. D088O Dossi 280. Francia, Fr. 252. Filippo, Fra 102. 332. Garofolo 266. 267 fg. 275. Giorgione (383). Holbein (378). Lionardo (206. 408). Liberale 357. Livens 405. Lodi (?) 375 fg. Lotto 390—392. Idantegna (356). Moroni, G. B. 401. Ortolano (266. 275). Pesellino 332. 334. Pisanello (334). Pordenone (58. 311). 397. PouBsin (Dughet), G. 330. Raffael 414 fg. Romanino 371. Bondinelli 33. 345 fg. 34: Sarto, A. del (33. 160). Scarsellino 330. Scipione da Gaeta 379.
Tizian 58. 310. (401). 403-
405. Velasquez 330 fg.
— Farnese Pal.:
Caracci, An. 20G.
— Famesina:
Peruzzi 171. Raffael 101. 181. Seb. del Piombo 51. Sodotna 193. 299. 300.
— Haus Gucrrini-Antinon:
Albertinelli 154.
— Lateran-Galene:
Cola deir Amatrice 117. Crivelli 361. Filippo, Fra 102. Signorelli 117. Vivarini, Ant. 360 fg.
Rom, Ludovisi Casino: Guercino 296.
— Patrizi Sammlung:
Signorelli 117.
— Quirinal (?):
Lotto 393.
— Rospigliosi Casino:
Giampietrino 204. Lotto 392 fg. Reni, Guido 296. Signorelli 117.
— SciarraColonua-Galerie: Ent- stehung derselben 84.
Albertinelli 154. Beccaruzzi 317. Feti 305. Licinio, B. 317. Luini 215. Palma 384. •
„Violinspieler** von Se^ ^' ' Piombo 49—52.
— Spada Pal.:
Lotto (394). Sodoma 198.
— - Torlonia :
Bellini, Giov. 349. Correggio (295). Filippo, Fra 44.
— Yatioan, Galerie:
BuoiinoiisiLrlio .'».ST
Co!
Cn.
Lionardo 225.. 329.
Maniegna (357).
Moretto 373.
Sesto, Cesare da SIC.
Tixian 405. '■ Loggien:
Penn del Vaga 179. Stanxen:
Perin del Vaga 179.
Raffael 181. Gemiober det Papstes:
Pordenone 398. Sixtinische Kai- :"
DUmante, Fra {■>■
Parugino 38.
SigDOKlU 117.
440
Orts- und Namensverzeichniss.
Rom, Kirchen:
S. Maria della Pace: Pe-
ruzzi 170 fg. S. Maria sopra Minerva: Fi-
lippino 104. S. Onofrio: Boltraffio 206; Peruzzi 170.
Romanino, Charakteristik und Uebersicht der Werke 371 — 373.
Romano, Giulio, mit Bagna- cavallo verwechselt im Louvre 27. 183; »malt die Fornarina 68. 180; führt Raffaelische Bil- der aus 71 fg.
Rondinelli, Bilder in Doria- Gal. 345 fg.
Rosselli, Cos. 333.
Rossi, Luigi Car. 69.
Rovigo Galerie:
Bellini, Giov. 343. Dosso 281. Palma 388.
Rucciano, Villa, von Brunel- leschi 2. 39.
Ruland 165.
Rumohr, von, Baron 49. 193. 235. 237.
Salaino, Verhältniss zu Lio- nardo 202; seine Werke 208; verwechselt mit Solario 218.
Salerno, Andrea da, Malereien in Neapel 223.
Salviati, Fr., Porträts 168.
Santa Croce, Gir. da 364.
Santi, Giov., Lehrzeit bei Fio- renzo di Lorenzo 328.
Sanseverino, Lorenzo da 363.
Saronno: Luini 216.
Sarto, Andrea del, sein Mono- gramm 33. 160; Bilder in Pitti 139; Bilder in Borghese-Gal. (160).
Scarsellino, Bilder in Bor- ghese-Gal. 284. (312); Bilder in Doria-Gal. 330.
Scorel, mit Sodoma verwech- selt 27.
Sebastian del Piombo (Lu-
ciani), verschiedene Gemälde 49—56; 364. Sesto, Cesare da, mit Lionardo verwechselt 88. 227; sein Auf- enthalt in Florenz 149; seine Landschaften 194; Verhältniss zu Lionardo 203; Charakte- ristik u. Uebersicht der Werke 210—214. Sforza, Gian. Gal. 233 fg. 238. Siena, Galerie:
Anguissola, S. 255.
Albertinelli 157.
Genga 120.
Girol. del Pacchia (120).
Sodoma 191. 194. 199.
— Opera del Duomo :
Genga 120.
— Pal. Publice: Sodoma 199.
— S. Spirito:
Fra Paolino 154; Sodoma 198.
— Kirchen von S. Bernardino, S. Domenico: Sodoma 299.
Signorelli, Stil 99; Ueber- sicht der Werke 117 — 119; Einfluss auf Genga 119. 120.
Sodoma, verwechselt mit Lio- nardo 27; mit Sebastian del Piombo 27. 202, und Scorel 27. 202; in Borghese-Gal. 87. 190 fg. 193-196. 198; Jugend- werke 191, in Rom 192; von Raffael porträtirt 192; Male- reien im Vatican 192. 195; die „Leda" und Studien dafür 193—198; die Merkmale sei- nes Stils 197. 299; Uebersicht der Werke 198 — 199; sein künstlerisches Naturell 200. 299; seine Zeichnungen 196 —198. 201. 226. 298; Verhält- niss zu Lionardo 202 ; Zeich- nungen zur Hochzeit Alexan- der's u. der Roxane 298—301.
Solario, Andrea, beeinflusst von Lionardo 203; Schulbild in Borghese-Gal. 214. 216 fg.; Charakteristik und Uebersicht der Werke 216—224.
Orts- and Namensverzeichniss.
441
Solario, Cristoforo 218. — Pietro 219. Springer, A. 60.
Tamarozzo, Bilder in Bologna und Mailand 286 fg.
Teniers copirt Palma 385.
Thaussing 307.
Tizian, verwechselt mit Cor- reggio in den Uffizien27 ; — mit Palma 49; sein Stil 58; Fres- ken in Padua 104; Bilder in Borghese-Gal. 304 fg. 309 — 311; „Herodias" in Doria-Gal. 403 fg.
Tommaso, Schüler des Botti- celli u. des Lorenz© di Credi 114. 115.
Treviso, Werke des Bordone daselbst 382.
— Dom: Pordenonc 399. Tura 34; sein Stil 98; seine
Bedeutung 284 fg. l'urin, Galerie: Appiani, N. 209. Bellini, Giov. 341. Botticelli HO fg. Brescianino 159. Credi, Lor. di 116. PVanciabi^io 123 fg. Giampietnno 202. 204. Macrino d'Alba 221. M -na 360.
o'g Schule 33.
SoU..iini ».».'. Viti, Tim. (33).
— königl. Bibliothek, Uandxeich- nun^en :
Lionardo 326. Sesto, Cesare da 214. Sodoma 201.
— Angrogna, Grafin, Sammlung: Bemardino fle' Conti 248 fp.
ürban VÜl., l'apst h4. 327. Urbino: Signorclli 138.
Talen oia: Bilder Yon Franc. Napoletano and Paolo von Arezzo 203. Vaprio: Sodoma 199. Vasari 21.34.64.70.89. 101 fg. 111. 113. 121. 129 fg. 137 fg. 177 fg. 210. 259. 270 fg. 349. 382. Vecchia, Pietro della, copirt
Dosso 279. Vecchietti, Bernardo 44. Velasqnez, Doria-Gal. 330 fg.;
Capitol. Gal. 331. Venedig, Gemäldegalerie: Bacohiacca 134. Basaiti 370. Bellini, Gent. 349. Bellini, Giov. 355. Boccaccino, B. 366 fg. Bordone, P. 381. Buonoonsigli 358. Cima 364.
Lionardo 226. (240). Luini 216. Moroni (402). Pahna 389. Pordenone 396. 400. Predis, A. de 240. Raffael (134). Sesto, Cesare da 214. Solano 224.
— Maseo Correr
Basaiti 370. Bellini, Giov. .m3. a.i.>. Portr. des Don F. Avalos 168.
— Dogenpalast:
Bocoaooino, 1.. ..i.^.
— Qaerini Stampalia • Galerie :
Palma 389.
— Seminario vesoonle-Qalerie:
AlbertioolU 157. Beocafuroi 172. Filippino 145. Peruzii (172).
— Kirchen: S. Bartolommeo di Iliilto:
^ ))astiaD dcl Piombo 52.
Carmioe:
Cima 364.
442
Orts- und Nameusverzeicbniss.
Venedig, Kirchen: S. Fran- cesco della Vigna:
Bellini, Giov. 344.
Vivarini, Ant. 361. S. Giacomo dell'Orio:
Buonconsigli 358. S. Giobbe:
Savoldo 319.
— — S. Giovanni Grisostomo:
Bellini, Giov. 344. Sebastian del Piombo 52.
— — S. Giov. Elemosinario :
Pord^none 396.
— — S. Giuliano:
Boccaccino, B. 365.
— — Madonna dell'Orto:
Bellini, Giov. 344. Cima 364.
— — S. Maria Formosa:
Palma 389.
— — S. Maria di Frari:
Basaiti 368. Bellini, Giov. 344.
— — S. Pantaleone:
Vivarini, Ant. 361.
— — S. Pietro in Castello:
Basaiti 370.
— — S. Rocco:
Pordenone 396.
— — Scalzi:
Pietro da Messina 3G4.
— — S. Spirito:
Buonconsigli 358.
— — S. Stefano:
Boccaccino, B. 366. Pordenone 399.
— — S. Zaccaria:
Bellini, Giov. 344. Vivarini, Ant. 361.
— l'rivatsammlungen: -r- — Pal. Giovanelli:
Bacchiacca 131. 135 fg.
Rondinelli 347.
M. Guggenheim:
. K. Marconi 311 fg. Sir H. A. Layard:
Bellini, Gent. 34.
Buonconsigli 358.
Giampietrino 204.
Moretto 377.
Venedig, Privatsammlungen: Sir H. A. Layard:
Sebastian del Piombo 51. 364.
— — Sergianotto:
Boccaccino, B. 366. Veneziano, Domenico 20. Venturi, Adolfo 35. 288. Verona, Galerie:
Basaiti 370.
Bellini, Giov. 27. 343.
Bellini, Jac. 351.
Crivelli 362.
Mantegna 360.
Zelotto 309.
— S. Giorgio:
Eomanino 372. Moretto 372.
— S. Maria in Organo :
Savoldo 319.
— S. Zeno:
Mantegna 360. Verrocchio 334; Bilder in Florenz 108 fg.; Verhältniss zu Lorenzo di Credi 113. 114. Vicenza, Galerie: Cariani 316. Cima 364. 368.
— S. Corona:
Bellini, Giov. 340. 343.
— S. Stefano :
Palma 389.
Visconti-Venosta, Marchese 238.
Viti, Timoteo, in Gal. von Tu- rin (33); Lehrer Kaffael's 34. 59. 63; sein Stil 101; Bilder in Gal. Corsini, Florenz 327 fg.
Vivarini, Aut., Uebersicht sei- ner Werke 361.
Vlämische Copisten in Ita- lien: nachBaffael 72. 73. 282. 408 ; nach Lorenzo di Credi 115; nach Giampietrino 206; nach Solario 217; nach Verrocchio 226. 357; alsP. Bordone 383; nach Lotto 394; nach Holbein 413.
Volterra, Dom: Albertinelli 158. Signorelli 118.
Orts- und Namensyerzeichniss.
443
Weimar, Schloss :
Albertinelli 157.
Lionardo (1%).
Pier di Cosimo 162.
Predis, Ambr. de 235.
Sodoma 196. Wicar 48. Wien, Belvedere-Galerie :
Albertinelli 154.
Anguissola 255 fg.
Bissolo 347.
Moretto 399.
Palma 313.
Pietro della Vecchia 279.
Sesto, Cesare da 212.
Tizian 405. — Albertina, Handzeicbnüngen :
Lionardo. (227).
Penni (17G).
Wien, Albertina, Handzeich- nuDgen:
Penn del Va^ 176. 183.
Romano, Ginlio 182.
Sodoma 27. 1«5 fg. 201. 299 fg. WindsorCastle, Sammlangen:
Franciabigio 126.
Lionardo (198).
Perino del Vaga 184. 187.
Romano, Giulio 182.
Sesto, Cesare da 213.
Signorelli 119.
Sodoma lv^6. 198. 301. Wornnm 83.
jZaganelli 348.
.Zelotti in Borghese-Gal. 309,
Berichtigungen:
Seite 46, Zeile 7 v. u., statt: auch in der Publication der Gros-
venor-Gallery reproducirt (Nr. 19), lies:
• auch von Braun (Nr. 19) photographirt
)) 147, » 7 V. u., st.: Das Auge desselben, 1.: Das Auge
der Falten » 334, » 6 V. o., st.: Maximilian, 1.: Maximinian » 36G, Anmerkung füge hinzu: Die hier angeführten Bilder des Boccaccio Boccaccino hängen jetzt nach dem neuen wenig befriedigenden Katalog im Saal V unter Nr. 7 und in der Sala Paladiana VI unter Nr. 36 und 149. » 369, Zeile 10 v. o., st.: In der Üffizien-Galerie nahm man ja den Basa'iti . . . für Giambellino, 1.: In der Üffizien-Galerie wurde Giambel- lino . . . für Basaiti genommen » 370, » 7 V. u., St.: 1515, 1.: 1517 » 376, » 5 V. 0., St.: Bagnocavallo, 1.: Bagnacavallo
Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.
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UNIVERSITY OF TOROIMTO LIBRARY
N Morelli, Giovanni
2820 Kunstkritische Studien
K6 über italienische Malerei
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