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PRESENTED TO

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BY

PROFESSOR MILTON A. BUCHANAN OF THE DEPARTMENT OF ITALIAN AND SPANISH

1906-1946

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Digitized by the Internet Archive in 2011 with funding from University of Toronto

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Die Spaniſchen Schelmenromane Herausgegeben von Hanns Floerke, Friedrich Frekſa und Karl Theodor Senger

IN Vicente de Espinel

Marcos von Obregon

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Vicente de Espinel Leben und Abenteuer

des Escudero Marcos von Obregon

Muͤnchen und Leipzig Bayeriſche Verlagsanſtalt Karl Theodor Senger -M-C-M-X-111-

Copyright 1913 byBayerifche Verlagsanſtalt München Karl Theodor Senger.

Überſetzt von Ludwig Tieck ö 1827.

Bearbeitet und ergänzt von Hanns Floerke mit Einleitung von Friedrich Frekſa und 10 Abbildungen nach Originalholzſchnitten von Max Unold.

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Einleitung

as Geſtalten von Erlebniſſen, Geſchehniſſen und Tatſachen D iſt der Nerv der epiſchen Dichtung. Die großen Epen ſtam— men darum zumeiſt aus dem Jugendalter der Völker, aus den Tagen, wo eine Fülle von Erlebniſſen die Gemüter er: ſchütterte. In den Zeiten, da der Lebensſtrom der Menſchen ruhiger dahinfloß, begann ſich die Epik mit lyriſchen Stim— mungen, mit innerlichen ſeeliſchen Erlebniſſen zu ſättigen, und naturgemäß entſtand eine Erzählungskunſt für das Volk, das auf einer primitiveren Stufe zurückblieb und eine Erzählungs⸗ kunſt für die Menſchen, deren geiftiges Leben ſich mit om plizierteren Vorſtellungen geſättigt hatte.

In unſeren Tagen, in denen die Spezialiſierung der Berufe und Kaſten die Menſchen ſtark voneinander ſondert, macht ſich die Scheidung im Erzählertum beſonders bemerkbar. Es gilt für den Epiker faſt als Schande, wenn er auf größere Volksmaſſen rechnen kann. Es wird ihm als Zeichen eigener Roheit und Primitivität ausgelegt.

So kommt es, daß das Volk, das noch immer die naive und ungebrochene Freude am bunten Wechſel von Erlebniſſen und Geſchehniſſen hat, ſich eine beſondere Art von Schrift— ſtellerei herausbildete, die als Detektivs und Schauerroman jetzt offiziell unterdrückt werden foll.

Aber iſt dies nicht vielmehr ein Zeichen für die Tatſache, daß in dem gebildeten Menſchen, der in ſeinem geſonderten engen Kreiſe lebt, das epiſche Gefühl als ſolches kraftlos ge⸗ worden iſt? Die Dichter erleben keine Abenteuer mehr und darum verwenden ſie ihre Kraft darauf, ſeeliſche Regungen in der Verfeinerung bis in die letzte Veräſtelung darzuſtellen, ſtatt die großen Energien, die großen Gefühle, die ſie nicht

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kennen, zu beſingen. Neuromantiſche Richtungen wurden in unſerer Zeit nachgewieſen, aber wir kamen zur Romantik zu⸗ rück aus einem anderen Grunde als unſere Großväter zu ihr gelangten.

Unſere Großväter beſannen ſich vor hundert Jahren, nach⸗ dem auch die letzten Reſte der geiſtigen franzöſiſchen Invaſion aus Deutſchland getilgt wurden, darauf, was die geiſtige Art ihrer Väter war. Durch das Rückblicken in die deutſche Vor⸗ zeit ward der Sinn auf die Zeiten des Rittertums gerichtet, dieſes Rittertums, deſſen Bräuche und Sitten in ganz Europa Geltung hatten und ſo in einer idealeren Form das vorweg⸗ nahmen, was die nachrevolutionäre Zeit von ihrem Ideal eines Weltbürgertums heiſchte.

In dieſen Zeiten der Jahre 1815 —40, da die Gemüter unter politiſchem Druck ſtanden und die Polizeibüttel als erſte Bürgerpflicht Ruhe forderten, ſehnte ſich die Jugend nach Taten, nach bewegtem Leben, nach Buntheit und nach Aben⸗ teuern.

All das zeigte ſich dem ſehnſüchtig in die Vorzeit ſchweifenden Blick in jenen Jahrhunderten, die vor dem Unglücksjahre 1618 lagen, und nicht ohne Grund war es gerade die ſpaniſche Lite⸗ ratur, aus der die Romantiker die reichſte Nahrung zogen, war doch das alles, was ſie vom Leben forderten, in den Schätzen jener Literatur verborgen.

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Unter all den neueren europäiſchen Völkern hat keines ein ſo gewaltſames eruptives Leben geführt wie das ſpaniſche zwiſchen den Jahren 1350 bis 1650. In dieſen drei Jahr⸗ hunderten geſchah es, daß ſich ein Volk aus den Ketten einer Fremdherrſchaft freimachte und einen Feind aus einem Land vertrieb, deſſen Glauben es nicht teilte, geſchah es, daß dieſes XII

Volk das erſte Seefahrer- und Entdeckervolk der Erde ward und die größten Reichtümer durch die Eroberung einer neuen Welt gewann, geſchah es, daß dieſes Volk, das zum mäch— tigſten Volke der Erde ward, an dem Aufſtand einer kleinen Nation ſich langſam verblutete und durch ſeine größeren Gegner binnen fünfzig Jahren ſeines Glanzes entkleidet ward.

So ſchnell wohl hat ſich kaum noch eines anderen Volkes Schickſal entfaltet und erfüllt. Dieſe drei Jahrhunderte ſpani⸗ ſchen Heroentums führten zu gleicher Zeit eine ungeahnte Blüte geiſtigen Lebens herauf. Das geiſtige Leben Spaniens erhielt ſeinen größten Glanz, als der Zauber ſpaniſcher Macht ſchon zu verbleichen begann. Den Stolz, der dieſes Volk er— füllte, und ſeinen Hunger nach Ruhm und Macht hat der größte Dichter Spaniens, der größte epiſche Dichter der neuen Zeit, den wir kennen, Cervantes, in feinen unſterblichen Ge: ſtalten Don Quixote und Sancho Panſa verſpottet.

Aber neben dieſer großen Sonne der ſpaniſchen epiſchen

Literatur gab es eine Fülle von kleineren Epikern, die alle als Kinder ihrer Zeit Erzählungen ſchufen, die von Erleb— niſſen ſtrotzten. Dieſe ſpaniſchen Erzählungen, Lebensbefchrei= bungen und Romane wurden die Quelle für die franzöſiſchen Romanciers des 17. und 18. Jahrhunderts, die unbekümmert ihre ſpaniſchen Vorbilder benutzten, nach Belieben Partien überſetzten, aufnahmen und kombinierten. Beſonders zeichnete ſich darin der große franzöſiſche Dichter Le Sage aus, der in ſeinen beiden epiſchen Werken dem „Hin— kenden Teufel“ und dem „Gil Blas“ ungeheure Maſſen ſpani⸗ ſchen Novellen und Romangutes und ſpaniſcher Dramenſtoffe zuſammenfließen ließ.

Am Ende des 18. Jahrhunderts, im Jahre 1787, über: ſetzte der Spanier Isla den franzöſiſchen Gil Blas ins Spaniſche, und in einer Vorrede behauptete er, das Buch ſei den Spaniern XIII

geftohlen worden und Wort für Wort aus dem Spanifchen überfeßt. Es entbrannte darum eine heftige Fehde, die bis in die Romantikerzeit nachwährte, und erſt Ludwig Tieck hat den eigentlichen Sachverhalt feſtgeſtellt.

Einer der viel geplünderten ſpaniſchen Autoren war Vicente Espinel, der das epiſche Buch hinterlaſſen hat „Leben und Begebenheiten des Escudero Marcos de Obregon“.

Espinel war (ich folge hier Tieck) im Königreich Granada zu Ronda geboren. Er ſtudierte in Salamanca und erhielt die Stelle eines Almoſeniers in ſeiner Geburtsſtadt Ronda. Nach⸗ her trieb er in der Welt herum. Er lebte eine geraume Zeit in Madrid, doch brachte er es nicht zu einem bedeutenden Poſten oder einem anſtändigen Auskommen, was beweiſt, daß er kein ſehr lebensgewandter Menſch geweſen ſein kann. Be⸗ rühmt wurde ſein Name in Spanien dadurch, daß er die Dezimen verbeſſerte und eine neue Stellung der Reime ein⸗ führte; dieſe Verſe wurden auch nach ihm Espinellen genannt.

In ſeiner Heimat hatte er einen großen Ruf als Muſiker, und er ſang nach der Sitte der Renaiſſance ſeine Gedichte bei Feſtmahlen ſelbſt zur Gitarre, auf der er ein Virtuoſe war und der er die fünfte Saite beifügte.

Als beſondere Werke wurden von ihm gedruckt nur die Gedichte, die im Jahre 1591 herauskamen und die Geſchichte des Marcos de Obregon, die am 12. Dezember 1617 in Madrid taxiert und im Januar des folgenden Jahres von dem Biſchof von Barcelona, dem Regens des Jeſuitenkollegiums, dem Abte von S. Bernardo und dem Bruder Hortenſio Felix Paraveſin approbiert wurde.

Bekannt von ihm iſt ſonſt noch eine Überſetzung der Ars poetica des Horaz, mit der der Parnasso Espagnol beginnt, eine Arbeit, die heute als ſchlecht gilt.

Der Marcos de Obregon, das Hauptwerk des Dichters, iſt XIV

dem Kardinal-Erzbifchof von Toledo, Don Bernardo de San- doval y Royas, amparo de la virtud y padre de los pobres (Hort der Tugend und Vater der Armen) gewidmet, und er zeichnet: Maestro Vicente Espinel, Capellan del Rey nue- stro señor en el Hospital Real de la ciudad de Ronda.

Der Marcos de Obregon enthält den Lebensroman Espinels. Wahrheit und Dichtung vermiſchen ſich, aber Espinel geht durchaus nicht darauf aus, ſich als einen tollen Abenteurer zu ſchildern im Gegenteil, mit Humor weiß er von manchem Mißgeſchick und manchem Reinfall zu berichten.

Eingewebt und eingeſtreut ſind Lebensläufe und Abenteuer anderer Menſchen, die des Helden Lebensweg kreuzten. Manche dieſer Erzählungen erhalten ihre Färbung durch die Beleſen— heit Espinels, der als Kenner der Alten auf Reminiſzenzen aus der Odyſſee und Lukian nicht verzichtet und gewiſſe antike Liebes⸗ und Abenteuerromane mit der Naivität des Renaiſſance⸗ ſchriftſtellers mit benutzt zu haben ſcheint.

Aber die Färbung des Romans bleibt eine echt ſpaniſche. Fühlbar wird in den Abenteuern des Dr. Sagredo der Druck, den noch immer von Afrika die Mauren auf das einſt von ihnen eroberte Land ausüben, fühlbar aber wird auch der un: erhörte ſpaniſche Hochmut, der ſich mit einer manchmal voll⸗ endeten Unverfrorenheit äußert.

Auch ſonſt zeigt der Roman die Merkmale des damaligen ſpaniſchen Lebens, das Unterducken unter den Willen der Geeiſtlichkeit, vor der ſich Espinel befliſſen verbeugt, und der er ſtändig Weihrauch ſtreut.

Aber in den Einzelzügen iſt das Buch reich an feinen Beob: achtungen von Menſchen und der Natur. Ich weiſe beſonders auf das venezianiſche Abenteuer hin. Kaum in einem Buch iſt das Courtiſanentum der Lagunenſtadt in ſeiner ſpekulativen

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und verfchlagenen Art fo gut gezeichnet worden, wie von dem erfahrenen Espinel; aber ebenſo reich iſt das Buch an feinen Naturbeobachtungen. Ich ſetze hier nur den Anfang des 16. Ka⸗ pitels her, der eine faſt moderne Impreſſion zeigt: „Am folgenden Tage ging die Sonne mit einem Lichte auf, das zwiſchen grün und gelb ſpielte, ein Zeichen, daß Regen kommen würde, und ich war immer noch ohne meinen Mauleſel.“

Dieſes unbekümmerte Sehen, das ſich nicht an die tradi: tionelle Auffaſſung und Beſchreibung von Naturereigniſſen und Menſchenweſen hält, bildet für den Kenner einen der feinſten Reize dieſes Dichters.

Die vorliegende Bearbeitung iſt etwa ein Sechſtel ſtärker als die Tieckſche Überſetzung. Manches, was Tieck übergangen hatte, ſchien dem Herausgeber der Beachtung wohl wert. Im übrigen hat er eine größere Genauigkeit der Überſetzung zu geben geſtrebt und dabei eine nicht ganz kleine Summe von Mißverſtändniſſen, die manchmal auf eine franzöſiſche Über⸗ ſetzung zurückzuführen ſcheinen, berichtigen können.

München 1912. Friedrich Frekſa.

Vorrede des Verfaſſers.

Seit vielen Tagen und einigen Monden und Jahren war ich zweifelhaft, ob ich dieſen armen, elternloſen und ge— plagten Escudero ins Publikum ſchicken ſollte. In dieſem innerlichen Kriege von Vertrauen und Mißtrauen teilte ich meine Zweifel dem Lizentiaten Tribaldos von Toledo mit !, einem ſehr großen lateiniſchen und ſpaniſchen Poeten, gelehrt in der griechiſchen und lateiniſchen Sprache und im Leben die Wahr: haftigkeit ſelbſt; ebenfo dem Bruder Hortenſio Felix Para: vieino ?, in göttlichen wie in weltlichen Wiſſenſchaften hoch— gelehrt, der ein gar großer Dichter und Redner iſt. Ich fragte um Rat den Pater Juan Luis de la Cerda;, deſſen Wiſſen— ſchaften, Tugenden und Wahrheitsliebe gleich ſehr berühmt find; den göttlichen Lope de Vega !, deſſen Urteil ich mich in meinem Alter unterwerfe, ſo wie er mir in ſeiner Jugend Verſe zu verbeſſern anvertraute; den Domingo Ortiz, Sekretär des höchſten Rates von Aragon, einen Mann von hervorragen— dem Geiſte und bewährtem Urteil; den Pedro Mantuano?, einen vortrefflichen jungen Mann von vieler Beleſenheit in den Schriften ernſter Autoren, welche Männer insgeſamt meinen Mut zu ſtärken ſuchten. Meine Abſicht war, zu verſuchen, ob ich in Proſa etwas ſchreiben könne, was meinem Vaterlande nützlich ſei, und was, nach dem bekannten Rate meines Lehrers Horaz, ſowohl ergötzte als belehrte. Denn es ſind einige Bücher von höchſtverdienten Gelehrten erſchienen, die ſo mit bloßer Belehrung erdrücken, daß ſie dem Geiſte keinen Spielraum, ſich zu erheitern, übrig laſſen; andere ſind wieder ſo ſehr von ihren eingebildeten Ergötzlichkeiten hingeriſſen, daß ſie nichts als Poſſen und luſtige Geſchichtchen vortragen, die ſich, wenn man ſie geleſen, wiederholt, geprüft und geſichtet hat, als ſo eitel 1 1

und nichtig zeigen, daß fie dem Leſer keine Art von Nutzen und ihren Verfaſſern nur geringen Ruhm einbringen s.

Der Pater Fonfeca ſchrieb erhaben über die Liebe Gottes 7; aber ſo groß auch ſein Gegenſtand war, weiß er ihn doch ſo zu behandeln, daß auf die Erheiterung des Gemütes Rück⸗ ſicht genommen wird.

In der Zeit, in welcher ich noch keinen Entſchluß faſſen konnte (ebenſowohl wegen der Gicht, die mich plagte, als auch wegen Mangel an Selbſtvertrauen), meinen Escudero öffent— lich bekannt zu machen, erbat ſich ein befreundeter Ritter einige Bogen des Buches, und da ein gewiſſer Edelmann (den ich nicht kenne) von jener Novelle des Grabes des Sankt Gines Kenntnis erhielt, und er glaubte, daß ſie nie gedruckt werden würde, ſo erzählte er ſie als ſeine eigene und ver— ſicherte, daß ſie ihm einſt begegnet ſei.

Es kann nicht auffallen, daß ich von lebenden Männern ſpreche und mich auf Dinge beziehe, die in unſern Tagen geſchehen ſind; denn die Monarchie Spanien beſitzt ſo aus⸗ gezeichnete Geiſter in Waffen und Wiſſenſchaften, daß Rom, wie ich glaube, niemals größere und, wie ich zu wünſchen wage, nicht ſo viele und ſo große hervorgebracht hat. Ich über— gehe die Taten, die die Spanier in Flandern vollbracht haben, die ſo hoch über denen des Altertums ſtehen, wie Luis de Cabrera in ſeinen „vollkommenen Fürſten“ ſchriebs; ich will nur an das erinnern, was unſere Augen täglich geſehen und unſere Hände gegriffen haben, wie das, was mit unerhörtem Mut Don Pedro Enriquez, Conde de Fuentes? ausgerichtet. Die Ein- nahme und Plünderung von Amiens, welche Don Diego de Villalobes 10 in feinen Kommentaren beſchrieben hat: denn mit einem Wagen Heu und einem Sack mit Nüſſen haben ſechs Hauptleute dieſe große Stadt, die Stütze von ganz Frankreich, erobert 11. Wie leicht und mit welchem Heldenmut wagen die

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Spanier ihr Leben für ihren König, wie wir jetzt bei La Marmora geſehen haben, wo ſo viele Tapfere die ganze Nacht durch ſchwammen, ohne Schiffe oder Land anzutreffen, Taten, denen Rom nichts an die Seite zu ſtellen hat 12. Welche alten Autoren übertreffen wohl diejenigen, welche Spanien in den wenigen Jahren hervorgebracht hat, in denen es frei von Kriegen war? Welche Redner waren wohl größer als Don Fer— nando Carillo 1s, Don Francisco de la Cueva , der Lizentiat Berrio und andere? Weil man die geſtorbenen Schriftſteller nicht lieſt und bei den Lebenden die Geheimniſſe nicht beachtet, welche ſie in ſich verſchließen, gibt man ihnen den Beifall nicht, den ſie verdienen; denn man muß nicht nur die äußere Rinde betrachten, ſondern das Auge des Geiſtes muß tiefer ſchauen können. Die Alten ſind nicht deswegen beſſere Schrift— ſteller, weil ſie alt ſind, die Neuern ſind aber nicht deswegen weniger hoch zu achten, weil ſie jünger ſind. Wer ſich mit der Rinde allein begnügt, erhält keine Frucht von der Bemühung des Autors; wer aber mit dem Auge des Geiſtes tiefer forſcht, entdeckt die köſtlichſte. Zwei Studenten wanderten von Sala— manka nach Antequera, der eine ſehr gleichgültig, der andere ein Forſcher; der eine ein Feind aller Arbeit und Wiſſenſchaft, der andere auf alles achtend und ein eifriger Ergründer der lateiniſchen Sprache. Doch waren ſie ſich beide, ſo unähnlich ſie ſich ſonſt ſein mochten, darin ähnlich, daß ſie beide arm waren. Als ſie an einem Sommerabend durch jene flachen Gegenden gingen, erhitzt und durſtig, gelangten ſie zu einem Brunnen, bei welchem ſie, nachdem ſie ſich erfriſcht hatten, einen kleinen Stein gewahrten, mit gotiſchen Lettern bedeckt, welche durch die Zeit und durch die Fußtritte des Viehes, das dort vorbeikam und trank, halb verlöſcht waren; zweimal war wieder— holt: conditor unio, conditor unio. Der Unwiſſende ſagte: Warum hat der Narr doch zweimal dasſelbe eingehauen? Der ¿de 3

andere ſchwieg; denn er begnügte fich nicht mit der Rinde und ſagte: Ich bin müde und fürchte den Durſt, ich will mich dieſen Abend nicht von neuem ermüden. Nun, ſo bleibt hier, Ihr fauler Menſch, ſagte der erſte. Jener blieb, reinigte den Stein, betrachtete dann die Buchſtaben und ſagte, den Sinn enträtſelnd: Unio heißt Vereinigung, und wieder heißt unio eine ſehr koſtbare Perle, ich will ſehen, welch Geheim⸗ nis hier verborgen liegt. Er hob mit Aufbietung aller Kraft den Stein weg und fand unter ihm die Vereinigung der Liebe der beiden Liebenden von Antequera, und an ihrem Halſe eine Perle, die größer als eine Nuß, und einen Halsſchmuck, der viertaufend Escudos wert war. Er legte den Stein wieder hin und ſchlug einen andern Weg ein 15. Die Geſchichte iſt zwar ein wenig lang, aber bedeutungsvoll; denn ſie lehrt, wie man die Autoren leſen müſſe, find doch die Zeiten weder ein: ander gleich, noch bleibt das Leben ſtehen. Ich wünſchte, daß niemand ſich mit der Rinde deſſen, was ich ſchreibe, ge— nügen laſſe; denn in meinem ganzen Eseudero iſt nicht ein Blatt, das außer dem Wortlaut nicht noch etwas Beſonderes enthielte.

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Einleitung.

wärtigkeiten und Unglücksfälle darftellt, ſetze ich zum

Teil auf, mich in meinen Leiden zu erheitern, zum Teil auch, um zu zeigen, wie notwendig es für die armen oder wenig begüterten Escuderos iſt, ſich durch die Drangſale der Welt zu arbeiten, um mit Ehre ihr Leben zu erhalten. Obgleich ich dieſen Vorſatz in den letzten Jahren meines Lebens auszuführen ſuche, als ein Greis, dem man ſeiner Schwäche wegen einen ſo ehrenvollen Platz, wie den der heiligen Katharina von den Laien— brüdern in dieſer Reſidenz Madrid (wo ich beſtehe, ſo gut ich kann) verliehen hat 16, ſo will ich mich doch beſtreben, in den Zwiſchenräumen, welche mir die Gicht geſtatten wird, meine Erzählung in einer kurzen und anſtändigen Schreibart fortzu— führen. Ich werde mich bemühen, den Leſer zugleich zu unter— richten und zu unterhalten, die Natur nachahmend, die, ehe ſie die Frucht erzeugt, die ſie zur Erhaltung des Individuums hervorbringt, ſie vorher als freundliches Grün und Blume ſehen läßt. Oder ich werde es den großen Arzten nachtun, die nicht gleich den Kranken mit ſtarken Heilmitteln beſtürmen, ſondern ihn auf dieſe durch ſanfte und leichte Mittel vorbereiten, um dann die Purganz anzuwenden, die ihn reinigen und von den ſchlechten Stoffen befreien ſoll, die ihn quälen. Mit den Arzten kann ich mich um ſo billiger vergleichen, da ich ein Geheimnis beſitze, durch gewiſſe Beſchwörungen zu kurieren, durch welche Geſchicklichkeit ſowie durch meinen großen Roſen— kranz, durch Handſchuhe von Seehund und ſo große Brillen, die mehr die eines Pferdes als eines Menſchen ſcheinen, ich mich ſo in Anſehen geſetzt habe, daß die gemeinen Leute hier in der Stadt ſowie von den benachbarten Dörfern die kleinen Kinder zu mir bringen, welche an kranken Augen leiden,

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Do Erzählung meines Lebens, die vielfältige Wider—

Mädchen, deren Regel ausſetzt oder die Wunden am Kopf und an andern Teilen des Körpers und tauſend andre Lei— den haben, welche ich alle wieder herſtellen ſoll. Ich bin in meinen Kuren ſo glücklich, daß von denjenigen, welche ich be— handle, nur die Hälfte ſterben, wodurch ſich eben mein Ruhm aufrecht erhält: denn die Geſtorbenen ſagen kein Wort, und die Geheilten ſprechen nur in Lobeserhebungen von mir, ob— gleich ſie nicht ſicher ſind, in ihr voriges Übel zurückzufallen. Diejenigen aber, welche mich am meiſten ſegnen, ſind die, denen ich ihr Augenlicht wegkuriere, denn die meiſten von dieſen ſind arm und bedürftig, und mit einer gewiſſen Miſchung, die ich aus Ofenbruch und Grünſpan und anderen einfachen Mitteln zu bereiten weiß, verſchaffe ich ihnen nach fünf oder ſechs Beſuchen ein Einkommen, von welchem ſie anſtändig leben, Gott und alle Heiligen mit vielen frommen Gebeten lobend, die ſie auswendig lernen, ohne leſen zu können.

Erftes Kapitel,

Als ich vor einigen Tagen die Augen fromm gen Himmel gerichtet, mit ernſtem und heiterem Antlitz, die Hände auf ein ſchlohweißes Tuch gelegt, die Ohren eines Kranken berührte und feierlich die Worte der Beſchwörung ſprach, ging ein gewiſſer Hofmann vorbei und ſagte: Ich kann die Heuchelei dieſer Be— trüger nicht ſehen. Ich ſchwieg und ſetzte mit meiner gewohn— ten Ruhe mein hilfreiches Gebet fort, und als ich geendigt hatte, ſagte mein Gefährte zu mir: Habt Ihr es nicht ge— hört, wie jener Edelmann Euch einen Betrüger nannte? Er ſprach nicht mit mir, antwortete ich, und was man mir nicht gradezu ſagt, darauf zu antworten oder darauf zu achten bin ich nicht verpflichtet. Man ſoll keine Beleidigungen auf ſich deuten, wenn ſie nicht ganz offenbar geſchehn, und auch dieſen ſoll man ausweichen, wenn es geſchehen kann, indem man ſich von Leidenſchaftlichkeit frei zu erhalten ſucht und das Für und Wider ruhig überlegt, ſo wie es Don Gabriel Zapata machte, ein Ritter und feiner Hofmann von hervorragen— dem Geſchmack, dem des Morgens früh um ſechs ein andrer Ritter, mit welchem er am Abend vorher einen Wortwechſel gehabt hatte, eine Herausforderung ſchickte. Seine Bedienten, die da glaubten, es könne ein wichtiges Geſchäft betreffen, weckten ihn, und als er das Blatt geleſen hatte, ſagte er zu dem Überbringer: Meldet Euerm Herrn nur, daß ich ſelbſt um Dinge, die mir das größte Vergnügen machen, niemals vor zwölf Uhr aufzuſtehen pflege, und er verlangt, daß ich ſo früh aufſtehen ſoll, um mich umbringen zu laſſen? Mit dieſen Worten legte er ſich auf die andere Seite und ſchlief wieder ein, und obgleich er nachher als Edelmann ſeinem Worte nach— kam, war dieſe Rede doch für ſehr verſtändig zu achten 17.

Als Don Fernando von Toledo, der Oheim (den man wegen ſehr witziger Streiche, die er geſpielt hatte, den Schelm

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nannte) 18, von Flandern kam, wo er als tapferer Soldat und Feldmarſchall gefochten hatte, und zu Barcelona, von ſeinen Hauptleuten umgeben, aus einer Feluke an das Land ſtieg, ſagte einer von zwei Schelmen, die am Strande waren, ſo laut, daß er es hören konnte: Dies iſt Don Fernando, der Schelm. Don Fernando kehrte ſich zu ihm und fragte: Woran ſiehſt du das? Der Schelm antwortete: Bis jetzt habe ich es nur ſagen hören, jetzt ſehe ich es daran, daß Ihr nicht böſe geworden ſeid. Don Fernando antwortete unter lautem Ge— lächter: Du erzeigſt mir große Ehre, da du mich für das Haupt eines ſo ehrenvollen Standes, wie der deinige, hältſt.

Dies führt mich darauf, zu erzählen, was mir begegnete, als ich dem unvernünftigſten Choleriker von der Welt diente; denn nach ſo vielen Unglücksfällen, die ich in meinem Leben erduldet hatte, kam das Leid hinzu, daß ich mich in meinem Alter ohne Verſorgung ſah; um alſo nicht für einen Vaga- bunden zu gelten, empfahl ich mich in meiner Not einem meiner Freunde, einem Sänger an der Kapelle des Biſchofs (den ſie alle kennen, wie nur ſich ſelbſt), und dieſer brachte mich unter als Escudero und Aufſeher bei einem Arzte und ſeiner Frau, welche ſich beide in der Eitelkeit auf Vortrefflichkeit und Schön⸗ heit ſo ähnlich waren, daß ſie ihren Überfluß den Nachbarn umher hätten mitteilen können, und mit dieſen beiden begeg⸗ neten mir Dinge, die wohl würdig ſind, erzählt zu werden.

Zweites Kapitel.

Dieſer Arzt hieß der Doktor Sagredo; er war jung, von guter Geſtalt, etwas geſchwätzig, und obgleich einfältig, höchſt choleriſch und leicht zu reizen wie ein Bäckerhund, anmaßend und auf ſich eingebildet. Dieſer (damit nicht zwei Häuſer, ſondern nur eins zugrunde gerichtet würden) war mit einer 10

Frau gleicher Gemütsart verheiratet, die ebenfalls jung war, ziemlich ſchön, groß, ſchlank, aber nicht mager, gerade, die ſich mit vieler Anmut bewegte, ſchwarze, große Augen und lange Augenwimpern hatte und kaſtanienbraunes Haar, welches etwas ins Rötliche fiel; dabei war ſie nicht wenig eitel, anmaßend und auffahrend. Der gute Doktor führte mich in ſein Haus, und das erſte, was ich da ſah, war ein höchſt dürres Maul- tier in einem Stalle, der es ſo knapp umſchloß, daß ich ſelbſt nicht mit Flügeln hätte hinein fliegen können. Wir ſtiegen ein kleines Treppchen hinauf, und gleich war ich in dem Saal, wo ſich mir die Donna Mergelina von Aybar zeigte (denn dieſes war ihr Name), die ich, obgleich ich ſchon ein alter Mann war, mit gar großem Wohlgefallen betrachtete, denn obſchon ein alter Knabe und durch Vernunft wie durch meine Jahre nicht imſtande, lüſterne Gedanken zu haben, ſchaute ich ſie an wie einen ſchönen Gegenſtand, iſt doch die Schönheit allen Augen angenehm.

Der Doktor ſagte zu mir: Seht da diejenige, die Ihr be— dienen ſollt, dies iſt meine Frau. Ich erwiderte: Gewiß, ein ſo ſchöner Mann verdient eine ſo ſchöne Frau. Und was geht Euch das an? führ fie mich an; ich kann es nicht aus: ſtehen, wenn man mir Artigkeiten ſagen will. Sie iſt die Tugend ſelbſt, fuhr der Doktor fort, bedient fie mit Aufmerk- ſamkeit, und ich werde es Euch vergelten.

Ich betrachtete mir nun die Wohnung genauer (die man bald überſehen konnte), und fand nichts als einen großen Spiegel über einem kleinen Tiſchchen am Fenſter, auf welchem einige Flaſchen nebſt einem Käſtchen ſtanden; in einem Winkel ſah ich ein großes Schwert, Rapiere, kurze Degen ſowie geſchärfte Stoßklingen, einen größeren und einen kleineren Schild. Der Doktor fragte mich: Nun, wie gefällt Euch meine Möblierung? Betrachtet dieſen Degen genau, denn der hat

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fich in Alcala Achtung erworben. Ich ſah nicht darauf, ant wortete ich, ſondern wo die Bücher wohl ſtehen möchten, die ich ſehr hoch halte. Dieſe Waffen da, rief er aus, ſind mein Galenus und mein Avicenna: denn in der geſtumpften und ſcharfen Klinge kam mir kein Menſch in Alcala gleich; in der Nacht durfte ſich keiner vor mir ſehen laſſen, der nicht wäre gezeichnet worden. So ſeid Ihr wohl, erwiderte ich, ge⸗ ſchickter geworden im Umbringen als im Erhalten des Lebens? Ich habe alles gelernt, fuhr er fort, was die übrigen Arzte lernen, und weil ich erſt kürzlich von der Akademie gekommen bin, habe ich mich noch nicht auf Bücher eingelaſſen, die ſchicken ſich für die Profeſſoren, von denen jeder die von ſeiner Fakul— tät beſitzen muß. Doch laſſen wir das jetzt, und führt Eure Gebieterin in die Meſſe, denn es iſt ſchon ſpät.

Donna Mergelina legte ihren Mantel um, und ich beglei⸗ tete ſie nach St. Andreas, denn ſie wohnte in dem alten Mauren⸗ viertel. Wie es Sitte iſt, ſagten ihr die Vorübergehenden manche Artigkeit über ihr ſchönes Geſicht oder ihren Wuchs, worauf fie immer irgendeine Grobheit in Bereitſchaft hatte, die jeg- lichen beleidigte. Ich ſagte zu ihr: Ei, Sennora, wenn Ihr auch auf dergleichen keine freundliche Antwort geben wollt, ſo iſt es doch für eine Frau von Stande wenigſtens ſchicklich, ſtill⸗ zuſchweigen. Man ſoll nicht, antwortete ſie, die Achtung gegen mich aus den Augen ſetzen. Sagte einer, ſie ſei reizend, ſo antwortete ſie: er ſei ein reizender Pinſel, und dergleichen Unanſtändigkeiten mehr. Ich erinnerte fie, daß fie ihre Schön: heit auf das ſchlimmſte gebrauche, denn ſie beſtrebe ſich, von allen gehaßt und verachtet zu werden, während ſie doch durch dieſe das Lob und die Verehrung aller Menſchen genießen könnte. Verhüte der Himmel, ſo ſchloß ich, daß ſich dieſer Übermut nicht ſelber beſtraft, da Ihr auf Eure Perſon gar zu eingebildet ſeid. Dieſe und ähnliche Dinge ſagte ich ihr 12

jeden Tag, aber fie beharrte immer auf ihrem Sinne; und da ſie durchaus nicht Rat annehmen wollte, ſo folgte ihr die ſonderbarſte Strafe auch auf dem Fuße nach.

Des Abends kam gewöhnlich ein junger Barbierburſche, mit dem ich bekannt war, zu mir, der eine recht hübſche, geübte Stimme hatte; dieſer brachte ſeine Gitarre mit und ſetzte ſich auf die Türſchwelle, um Liederchen zu ſingen, die ich ihm, ſo gut ich konnte, akkompagnierte; dieſe Singübung zog uns immer die Aufmerkſamkeit und den Beifall der Nach— barſchaft zu. Der Burſche klimperte immer auf der Gitarre, nicht ſowohl um ſeine Geſchicklichkeit zu zeigen, als um durch die fortwährende Bewegung die Handgelenke etwas zu reiben, weil er an einer trockenen Krätze litt.

Meine Gebieterin ſtellte ſich jedesmal auf den kleinen Korri— dor, um die Muſik zu hören, und der Doktor, wenn er von ſeinen Beſuchen (deren er freilich nur wenige hatte) ermüdet nach Hauſe kam, achtete weder auf den Geſang noch auf die Aufmerkſamkeit, die ſeine Frau dieſen Übungen ſchenkte. Da der Burſche nun jeden Abend kam, ſo vermißte ihn die Dame, wenn er einmal ausblieb, und fragte nach ihm, indem ſie zeigte, daß ſie an ſeiner Stimme Gefallen fand. Seine Stimme gefiel ihr, wie es ſchien, ſo ſehr, daß ſie von der Treppe bis zur Schwelle herunterkam, um ihn mehr in der Nähe zu hören.

Jetzt blieb der Burſche etwa fünf oder ſechs Abende aus, weil er wohl eine Kur brauchte; da aber das Alltägliche, wenn es uns fehlt, grade am meiſten auffällt, ſo fragte meine Dame auch gleich, wo er bliebe. Ich antwortete: Sennora, dieſer Burſche iſt bei einem Barbier in Dienſten, kann alſo nicht immer müßig ſein; außerdem braucht er auch jetzt eine Kur

gegen ein wenig trockene Krätze, an der er leidet. Wie kommt Ihr dazu, rief ſie aus, ihn ſo herabzuſetzen und ihn 13

Burfche zu nennen und von Krätze zu ſprechen? Ich verſichere Euch, es gibt Menſchen, die ihn, ſo ſehr Ihr ihn auch gering machen wollt, gern ſehen.

Das kann wohl ſein, erwiderte ich, denn der arme Junge iſt ſehr demütig und nimmt gern Befehle an; oft hebe ich ihm vom Meinigen einen Biſſen zum Abendbrot auf, denn er hat nicht allemal zu Nacht gegeſſen.

Wahrhaftig! Zu ſolch gutem Werke, erwiderte ſie, will ich Euch auch meine Beiſteuer geben. Seitdem hob ſie ihm immer irgendeinen guten Biſſen auf.

Eines Abends trat er klagend herein, denn man hatte ihm aus einem Fenſter etwas Übelriechendes auf den Kopf ge⸗ worfen; ſogleich kam meine Gebieterin aus ihrem Zimmer und ſtieg zu uns herab, um mir, während ich den Burſchen abtrocknete, voll Mitleid dabei zu helfen, worauf ſie Räucher⸗ werk verbrannte und die tauſendmal verwünſchte, die ihn ſo übel behandelt hatten. |

Der junge Burſche entfernte ſich wieder, und der Zorn der Donna Mergelina war ebenſo groß als ihr Mitleid, was fie beides deutlicher zu erkennen gab, als mir lieb war, in⸗ dem ſie die Geduld des Jünglings übertrieben lobte und die Beleidiger ebenſo ſchalt, ſo daß ich ſie endlich fragen mußte, warum fie die Sache fo wichtig nähme, da es doch unvor— ſätzlich und ohne Bosheit geſchehen ſei. Sie antwortete: Die Beleidigung ſoll ich nicht wichtig nehmen, die einem ſolchen Lämmchen geſchieht? Einer ſolchen Taube ohne Galle, einem zar⸗ ten Jünglinge, der ſo ſanftmütig und friedlich iſt, daß er ſich über ſolche Kränkung nicht einmal beklagt? Wahrlich, auf einen Augenblick möcht' ich ein Mann ſein, um ihn zu rächen, und dann wieder Frau, um ihn zu belohnen und zu liebkoſen.

Sennora, ſagte ich, was bedeutet das? Wie ſeid Ihr ſo aus Härte in Mitleid verwandelt? Seit wann ſeid Ihr denn ſo 14

ſehr mitleidig, fo ſehr zärtlich und liebreich? Seitdem Ihr, erwiderte ſie, in das Haus gekommen ſeid und dieſes Gift in der Gitarre mitgebracht habt, ſeitdem Ihr mir meinen ſpröden Stolz vorgeworfen habt, ſeitdem habe ich mich beſ— ſern wollen und bin nun von einem Außerſten auf das andere geraten: ſtatt der Hoffärtigen, Unfreundlichen, bin ich jetzt zu einer Zärtlichen, Demütigen geworden.

O ich Armer! rief ich aus, mir ſoll alſo jetzt die Laſt davon aufgelegt werden? Welche Schuld könnte ich wohl an Euren Neigungen haben? Ach! wer iſt Herr über unziemliche Wünſche? Ach! wer vermag vorauszuſagen, was auf die Neigung und die Begierde folgen wird? Wenn daher die Verſchuldung wirk— lich von mir anhebt, ſo ſoll auch der Schaden durch mich aufhören, ehe er größer geworden iſt, denn ich will machen, daß er nicht mehr in dieſes Haus komme, das ich ſonſt ver— laſſen muß: denn wenn die Gelegenheit das verurſachte, was ich nicht vermuten konnte, ſo wird dadurch, daß ich dieſe ab— ſchneide, alles wieder in feinen alten Zuſtand zurückkehren.

Ich ſage es ja nicht darum, rief ſie, mein liebes Väterchen, nein, ich habe die Schuld, wenn von einer Schuld bei den Außerungen der Zuneigung die Rede ſein kann: ſeid über meine Unbedachtſamkeiten nicht böſe, denn ich bin in der Stim— mung, ihrer viele zu ſagen und zu tun. Wundert Euch viel— mehr darüber, daß ſie nicht häufiger ſind, und tut ja nicht, was Ihr geſagt habt, wenn Ihr mein Leben wie meine Ehre erhalten wollt: denn ich bin ſo geſtimmt, daß ich durch ein wenig mehr Widerſpruch meinem Rufe einen Flecken anhängen könnte, der ebenſo ſchwarz als mein Schickſal ſein würde. Ihr dürft mich nicht verlaſſen, Ihr dürft mich nicht ſchelten, nein, Ihr müßt mir Rat und Hilfe geben. Ja, wohl hattet Ihr Recht, daß mein Übermut und meine Anmaßung von ihrer Höhe herabſtürzen würden, ich gebe Euch alles zu, was Ihr

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mir wiederholen könntet, nur verlaßt mich nicht in dieſer Lage und bringt mich nicht dadurch in Verzweiflung, daß Ihr ſagt, Ihr wollet dieſes Haus verlaſſen. Sie fing hierauf ſo kläglich an zu weinen, indem ſie mit dem Tuche die Augen verdeckte, daß nur wenig fehlte, ſo hätte uns allen beiden ein Tröſter not getan. Schalt ich ſie vormals ihres Stolzes wegen, ſo tröſtete ich ſie jetzt noch mehr über ihre Bekümmernis. Nachdem ich mich aber wieder zur Vernunft ermannt und mich meiner Pflicht erinnert hatte, ſagte ich ihr ſo ernſthaft, als ich nur konnte: Iſt es denn möglich, daß eine ſo außer⸗ ordentliche Verwandlung hat vorgehen können? Konnten dieſe ſonſt ſo ſtolzen Augen dieſe Tränen der Zärtlichkeit vergießen, konnte über dieſe ſo züchtigen Wangen ein ſo koſtbares Naß rinnen, daß es Gottes Herz zu rühren vermocht hätte, und das um einen ſo armſeligen Menſchen? Wolltet Ihr Euch von Eurer Höhe herabſtürzen, warum geſchah es nicht wenigſtens für einen Gegenſtand, der es durch ſeine Vorzüge verdienen mochte? Aber die Schönheit ſoll ſich der Häßlichkeit, die Sauberkeit dem Schmutz ergeben? Ich weiß nicht, was ich von ſolcher Wahl und ſolchem beklagenswerten Geſchmack ſagen ſoll.

Wie irren doch die Männer, rief ſie aus, wenn ſie glauben, daß ſich die Frauen aus Wahl verlieben, daß Anmut des Kör⸗ pers, Schönheit des Geſichtes, Vorzüge, Geburt, hoher Stand oder Reichtum ſie bezaubern: nein, bei den Weibern iſt die Liebe ein fortgeſetztes Wohlwollen, das durch den Anblick wächſt und durch Umgang ſich erzeugt und erhält, und diejenige, die ſich davor nicht bewahren kann, wird ohne Zweifel fallen. Aus dieſer Wiederholung iſt meine Flamme entſtanden, durch dieſe hat ſie ſich vergrößert, bis ſie nun ſo mächtig angewachſen iſt, daß meine Augen nichts anderes ſehen können, daß mein Ohr jedem Tadel verſchloſſen und mein Wille unfähig iſt, eine andere 16

Richtung zu nehmen. Je mehr Ihr ihn herabſetzen wollt, um ſo mehr wird meine Zuneigung und Begier entzündet. Sind denn vielleicht die Barbiere aus anderem Stoff als die übrigen Männer geſchaffen, daß Ihr ein Gewerbe ſo verächtlich machen wollt, dem die Männer ſo zu Dank verpflichtet ſind, indem es die alten verjüngt? Ihr nennt ihn krätzig, wegen einiger durch Reibung entſtandener kleiner Flecken, die ſo zart ausſehen wie die Blumenblätter einer Nelke? Seht Ihr denn nicht die Sittſamkeit in ſeinem Geſicht? die Demut in ſeinen Augen? Fühlt Ihr nicht die Lieblichkeit ſeiner Stimme und ſeines Tre— molo? Darum ſagt nur kein Wort mehr, meinen Geſchmack zu ſchelten!

Da es ſo weit gekommen iſt, antwortete ich, ſo muß ich es mit Euch ſo machen, wie ich es mit meinen Freunden zu machen pflege: wenn ſie wählen, ſo gebe ich ihnen den beſten Rat, den ich kann, und wenn ſie gewählt haben, ſo helfe ich ihnen, ſo viel als in meinen Kräften ſteht. Dieſes ſagte ich nur, um ſie nicht zur Verzweiflung zu bringen, damit ſie nach und nach ihre Leidenſchaft verlöre.

Drittes Kapitel.

Am folgenden Tage kam der Burſche früher als gesähnti, angetan mit einer Halskrauſe nach der Mode, wie ein Mann, der ſich von einer ſo ſchönen Frau begünſtigt ſieht. Nach drei oder vier Tagen geſchah es, daß man den Doktor Sagredo zu einem auswärtigen Ritter berief, der in Caravanchel krank lag, indem man ihm eine anſehnliche Summe für die Kur bot, worüber beide Eheleute erfreut waren: er über den Gewinn, und ſie noch viel mehr ihrer Leidenſchaft wegen. Er machte ſich auf mit ſeinem Maultiere, einem Lakaien und einem Jagdhunde, welcher ihn immer begleitete, und um vier Uhr nachmittag begab er ſich auf den Weg nach Caravanchel.

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Als fie dieſe gute Gelegenheit ſah, hieß fie mich, das Beſte zum Abendeſſen zurichten, was nur möglich war, indem ſie mich mit Worten und Verſprechungen beſchwichtigen wollte, damit ich ſie in ihrem ſchlimmen Vorhaben nicht ſtören möchte. Der Burſche kam mit der Dämmerung und fing, wie gewöhn— lich, an zu ſingen, ſie aber ſagte, es ſchicke ſich der Nachbarſchaft wegen nicht (da ihr Mann nicht zu Hauſe ſei), daß vor der Türe geſungen würde, und deshalb ließ ſie ihn hereintreten. Sie ließ den Jungen ſich an den Tiſch ſetzen und wünſchte nur die Mahlzeit bald beendigt; aber kaum hatte man angefangen zu eſſen, als der Jagdhund hereinkam und ſeiner Gebieterin tau— ſend Liebkoſungen machte. Der Doktor kommt! rief ſie aus, o ich Unglückliche! Was fangen wir an? Er muß ganz nahe fein, da der Hund ſchon hier iſt. Ich nahm den Burſchen und packte ihn in einen Winkel des Saales, worauf ich ihn mit einem kleinen Schrank verdeckte, auf dem man wohl Bücher hatte aufſtellen wollen, ſo daß er nicht geſehen werden konnte, als der Doktor in das Haustor einritt. Gibt es eine größere Schelmerei? rief dieſer aus, da ſchicken ſie nach einem Manne wie ich bin, und zugleich laſſen fie einen anderen Doktor kom— men! Beim Himmel, ich will ihnen zeigen, daß man mich nicht zum beſten haben darf! Darüber, lieber Mann, ſagte ſie, biſt du ſo verdrießlich? Iſt es denn nicht beſſer, ruhig in deinem Bett zu ſchlafen, als einer Krankenwache wegen auf— zubleiben? Haſt du denn Kinder, die dich ſo ſehr ums Brot anſchreien? Du kommſt gerade recht, denn obgleich ich die Nacht anders zuzubringen dachte, ſo hat mir doch eine innere Stimme geſagt, wie es kommen würde, und darum habe ich auch auf jeden Fall das Abendeſſen zurecht gemacht. Das iſt eine Frau, rief der Doktor, du haſt mir ſchon allen Arger be— nommen. Hol' ſie der Teufel mit ihrem Gelde! Dich ver— gnügt zu ſehen, gilt mir mehr als alle Schätze der Welt.

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Der Doktor ftieg von feinem Tiere, welches der Lakai ein— ſtallte, und begab ſich zu ſeiner Frau in die Wohnung, wo ihm Koſt und Lohn winkte. Er ſetzte ſich fröhlich mit ihr zu Tiſche, indem er ihre Aufmerkſamkeit ſehr lobte. Der ver— dammte Hund aber tat nichts anderes, als den Schrank be— riechen, welcher den jungen Burſchen verdeckte, wobei er ſo ſehr kratzte und knurrte, daß der Doktor es bemerkte und fragte: Was gibt es denn hinter dem Schranke? Ich ant— wortete ſchnell: Ich glaube, daß ein Stück Fleiſch dahinter liegen wird. Der Hund kratzte und knurrte von neuem und ſchlug laut an, und mein Herr ſah aufmerkſamer hin als vor— her; ich ſah das Unheil, welches ſogleich eintreten müſſe, wenn man kein Mittel entdeckte, und da ich den Charakter des Doktors kannte, verfiel ich auf einen guten Ausweg; ich ſagte nämlich, daß ich einige Sevillianiſche Oliven (welche beide ſehr liebten) herauf holen wolle, und ſo ſtand ich unten an der kleinen Treppe ſtill. Der Hund kratzte, bellte und lärmte indes fort, ſo daß mein Herr nachſehen wollte, was das Tier ſo unruhig mache. In demſelben Augenblicke ſtellte ich mich in die Tür und ſchrie laut: Herr! Sie nehmen mir den Mantel! Herr Doktor Sagredo! Spitzbuben reißen mir den Mantel weg!?! Er, nach ſeiner gewöhnlichen choleriſchen Art, ſprang auf, faßte im Vorüberlaufen einen Degen, war mit zwei Sätzen an der Tür und fragte nach den Dieben; ich antwortete, daß, ſowie ſie den Namen des Doktors Sagredo gehört hätten, ſie wie ein Blitz die Gaſſe hinunter geſtürzt wären. Er lief ihnen ſogleich nach, und ſie ſchaffte ohne Mantel und Hut den jungen Menſchen aus dem Hauſe, worauf ſie ein Stück Fleiſch hinter den Schrank warf, ſo wie ich ihr den Wink gegeben hatte.

Bis ſo weit ging alles gut. Der Burſche aber war von Furcht und Schrecken ſo verwirrt, daß er nicht ſo ſchnell auf die Gaſſe or 19

kommen konnte, daher ſtieß mein Herr auf ihn, als er zurück kehrte. Hier mußte nun die ſchnellſte Hilfe geſchafft und dieſer zweite Schaden beſeitigt werden, der noch auffälliger war als der erſte; ehe er alſo noch eine Frage tun konnte, ſagte ich zu ihm: Auch dem armen Jungen hier haben fie den Mantel ges nommen und ihn noch dazu umbringen wollen, deswegen iſt er hier herein geflüchtet und hat nun nicht den Mut, nach Hauſe zu gehen. Da die Choleriſchen meiſt mitleidig ſind, ſo ward mein Herr auch gerührt und ſagte: Fürchte dich nicht, denn du biſt im Hauſe des Doktors Sagredo, wo dir kein Menſch etwas tun wird. Gewiß nicht, antwortete ich; denn ſowie ſie nur den Doktor Sagredo nennen hörten, wuchſen ihnen Flügel an die Füße.

Ich verſichere euch, antwortete der Doktor, hätte ich ſie nur eingeholt, fo hätte ich dich und meinen Stallmeiſter fo ges rächt, daß ſie zeitlebens keine Mäntel mehr hätten rauben ſollen. Als meine Gebieterin, die bis jetzt auf dem Gange zitternd geſtanden hatte, ſah, daß das Unglück ſo ſchnell verhütet wor⸗ den war und der nahe Zorn des Mannes ſich in Mitleid vers wandelt hatte, ſuchte ſie dieſe Teilnahme noch zu vergrößern und ſagte: Laßt den armen Burſchen nicht gehen, die Angſt, die er ausgeſtanden hat, iſt ſchon genug, dieſe Spitzbuben dürfen ihn nicht noch umbringen. Ich laſſe ihn nicht anders fort, ſagte der Doktor, als daß ich ihn begleite. Wie trug es ſich denn aber zu, mein guter Freund?

Ich wollte, antwortete der Burſche, für meinen Herrn, Juan de Vergara, ein Geſchäft verrichten, nämlich eine ge: wiſſe Dame am Fuß zur Ader laſſen, da aber der Böſe immer Unglück ſchickt, ſo begegnete mir das, was Ihr geſehen habt. Geht nur hinauf, ſagte der Doktor, denn wenn ich gegeſſen habe, will ich Euch nach Hauſe bringen. Der Hund war auch den eingebildeten Dieben nachgelaufen, kehrte aber jetzt mit 20

demſelben Eifer zu feinem Schranke zurück und kratzte und bellte jetzt noch mehr, da er nunmehr wirklich das Fleiſch wit— terte. Als mein Herr ſah, daß der Hund bei ſeinem Verhalten beharrte, ging er hinter den Schrank und fand dort das Stück, womit er ſich beruhigte und die Witterung ſeines Hundes ſehr lobte. Sie, obgleich ſie nun aus der Verlegenheit gerettet war, gab doch darum ihren erſten Vorſatz nicht auf, gab mir viel— mehr zu verſtehen, ich ſollte den Burſchen nicht fortlaſſen, und das war gerade das, was mir am unangenehmſten war. Sie aßen, und der, der vorher am Tiſch die Hauptperſon ge— weſen war, mußte nun ſtehend aus der Hand verzehren, was man ihm gab. Als ſie abgegeſſen hatten, wollte ihn mein Herr nach Hauſe führen, aber meine Gebieterin ſagte, obgleich ich ihm beiſtimmte, daß er ſich nicht in die Gefahr begeben ſolle, wieder auf die Mantelräuber zu ſtoßen, beſonders da er durch die enge Gaſſe St. Andreas müſſe, wo ſie ſich gern verborgen halten; und obgleich dieſes, fuhr ſie fort, bei Eurem Mute wenig zu bedeuten hat, ſo könnte es mir doch zum größten Nachteil gereichen, denn ich habe die Vermutung, daß ich mich in anderen Umſtänden befinde, und ſo könnte ich einen Schrecken haben, der mein Leben in Gefahr ſetzte; der Junge kann hier beim Escudero ſchlafen, der ſein Bekannter iſt, und morgen früh nach Hauſe gehen.

Gut denn, ſagte der Doktor, da Ihr es ſo wünſcht, mag es geſchehen; ich will mich niederlegen, denn ich fühle mich etwas ermüdet. Hierauf ging er zu Bette, ſie aber blieb wach, um etwas auszuführen, das ihr Schmerzen eintrug und ſehr ge— fährlich für ſie hätte endigen können. Der Saal war ſo klein, daß von meiner Schlafftelle zur ihrigen nur vier Schritte waren; alles was man in dem einen Zimmer tat, konnte man im anderen hören, und daher war es ſchwer, hier etwas zu unter— nehmen. Das Maultier war von ſo unruhigem Weſen, daß,

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wenn es einmal frei wurde, die ganze Nachbarſchaft in Auf: ruhr geriet, ehe man es wieder fangen konnte. Es ſchien nun der Donna Mergelina möglich, daß ſie es losbinden und wie— der in das Bett kommen könne, ehe ihr Mann erwache und aufſtände, um es wieder in den Stall zu bringen, und dieſe Zwiſchenzeit könne ſie zu ihrem Vorhaben benützen. Als ſie da— her ſah, daß ihr Mann ſchlief, ſtand ſie, ſchnell entſchloſſen wie die Weiber ſind, leiſe aus dem Bette auf, ging nach dem Stalle, band das Maultier los und wollte ſich ſchnell zurück begeben, bevor der Mann aufgewacht ſei. Das Maultier ſchien aber mit ihm einverſtanden, denn gleich ſprang es, mit den Füßen tram⸗ pelnd, aus dem Stalle, und alsbald hörte er es auch und ſprang in demſelben Augenblicke vom Bette auf, das Tier und den, der es ihm verkauft, zum Teufel wünſchend; die Frau mußte daher in den Stall hineinfchlüpfen, um nur nicht ihrem Manne zu begegnen. Er ergriff eine tüchtige Gerte von Quittenholz und ſchlug damit auf das Maultier los, das nach ſeinem engen Stalle flüchtete und kaum Raum genug für fich antraf, weil ſeine Gebieterin ſich ſchon darin befand. Sie konnte ſich wegen der Engigkeit nirgends anders hin verbergen als unter das Maultier ſelbſt, ſo daß ſie alſo notwendig, da die Gerte ſehr geſchmeidig war, einen Teil der Schläge zugleich mit ihrem weißen, zarten Körper auffing. Ich ſtand oben auf der Treppe und ſah alles, was geſchah, in der größten Angſt, ohne irgend Rat und Hilfe zu wiſſen. Als der Jagdhund den Lärm hörte und in meinem Bette einen Fremden witterte, fing er an zu bellen und dem Burſchen mit ſeinen Zähnen zuzuſetzen, ſo daß die Frau unter den Händen des Mannes und der junge Menſch unter den Zähnen des Hundes die Strafe für das er— litten, was ſie noch nicht begangen hatten. Als ich den Mann ſo in der Wut ſah, der nicht wußte, was er tat, rief ich ihm zu: Seht, mein Herr, was Ihr tut: denn alle die Schläge, 22

die Ihr dem Tier verabreicht, gebt Ihr meiner Gebieterin ins Geſicht, die es ſo außerordentlich liebt, weil Ihr es reitet, daß ſie es ſelbſt gern vor der Sonne beſchützen möchte. Bedank dich, du Beſtie, ſprach er, für das, was man mir ſoeben von meiner Frau geſagt hat, ſonſt wollte ich dich bis morgen früh geprügelt haben. Iſt denn nichts da, das Vieh anzubinden? Ich antwortete: In dem kleinen Hofe werdet Ihr einen Strick finden, ich habe Seitenſtechen und kann nicht hinausgehen. So— wie er danach ging, ſtellte ich mich in die Tür, um die Frau zu verdecken, und ſie ging ſchweigend und betrübt in ihr Bett. Ich nahm dem Doktor das Seil ab und ſchickte ihn hinauf, band das Maultier an und ging wieder zu Bett. Dort fand ich den Burſchen über den Hund klagend und ſie in ihrem Zimmer weinend; der Mann fragte ſie um die Urſache, und ſie antwortete erzürnt: Eure Heftigkeit iſt ſchuld daran, denn ich war eben im beſten Schlaf, als Ihr fo auffubrt; erſchreckt darüber, fiel ich aus dem Bette und ſchlug mit dem Geſicht auf tauſenderlei Krempel auf, der am Boden lag, wodurch ich mich ſehr verletzt habe. Der Mann beruhigte und tröſtete ſie, ſo gut er konnte, und es gelang ihm gut; denn wenn die ehrbaren Frauen ſtraucheln und vor dem Fallen bewahrt bleiben, kommen ſie wieder zur Vernunft. Als ſie ſah, daß es ihr dreimal miß— glückt war, wollte ſie es nicht noch ein viertes Mal verſuchen. Dem Burſchen war indes die Liebe und Einbildung durch die Gefahr und die Biſſe des Jagdhundes gänzlich vertrieben worden 20,

Viertes Kapitel.

Da die ganze Nacht durch Sorge, Unruhe und Verdruß ge— ſtört und zugebracht worden war, ſo ſchlief ich gegen meine Ge— wohnheit bis tief in den Morgen hinein, und ich erwachte nicht eher, als bis man ſtark an die Tür klopfte, um den Doktor

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zu einem dringenden Krankenbeſuche abzuholen. Als ich auf: ſtand, ſah ich die Sonne ſchon in meinem Zimmer. Ich rief den jungen Menſchen an, der noch wie betäubt ſchlief, und da ich ihn geſtimmt fand, nie wieder zu ſeinen Torheiten zurück— zukehren, ſo ſagte ich ihm: Befeſtige dich in deinen guten Vorſätzen, und hüte dich, von dieſer Sache jemals zu ſprechen, wozu du vielleicht, als ein Burſche ohne Erfahrung, ein Ge— lüſt empfinden könnteſt. Das meiſte Unglück in der Welt ent⸗ ſteht aus der Ungezähmtheit der Zunge; willſt du alſo auch nicht aus Vernunft ſchweigen, ſo wirſt du es wenigſtens aus Furcht vor der Gefahr tun müſſen, da es hier die Ehre eines ſo tapferen und jähzornigen Mannes, wie der Doktor iſt, be— trifft. So ſchickte ich ihn nach ſeinem Hauſe, indem er vor Angſt zitterte und jeden Gedanken an Liebe vergeſſen hatte.

Der Doktor kleidete ſich ſo eilig an, daß er nicht Zeit fand, das blutrünſtige Geſicht ſeiner Frau zu bemerken; das erſte aber, was ſie tat, noch ehe ſie ſich ankleideie oder die Füße in die Pantoffel ſetzte, war, in den Spiegel zu ſehen, und da ſie ſo viele Schmarren bemerkte, ging ſie viele Tage nicht ohne Schleier, was aber, da ſie ſo anmutig und lieblich war, ihr mehr den Anſchein gab, daß ſie es aus Eitelkeit, als aus Not tue. Als ſie angekleidet war, ging ich zu ihr und ſagte mit ſo freundlicher Stimme, als ich nur immer konnte: Wie ſcheint Euch nun dieſe Begebenheit ausgegangen zu ſein? Freut es Euch nicht, daß bei aller Gefahr und allen ſchlimmen Vor— ſätzen Eure Ehre ſich unbeſcholten erhalten hat? Wenn Ihr in einen tiefen Strom ſtürztet und gerettet würdet, ſelbſt ohne nur die Kleider naß zu machen, würdet Ihr es nicht für ein Wunder halten? Stürztet Ihr Euch zwiſchen tauſend ent— blößte Schwerter und würdet nicht verwundet, müßtet Ihr da nicht denken, daß Gott Euch geholfen hätte? Dieſen Bei— ſtand habt Ihr auch jetzt, wie ich ſicher glaube, auf wunder: 24

bare Weiſe erfahren, und Ihr ſeid nun fo glücklich, daß Ihr durch echte Reue Euch wieder mit Euch ſelbſt verſöhnen und alles gut machen könnt.

Bei dieſen und andern Ermahnungen, die ich ihr gab, zer— floß ſie in Tränen, die den härteſten Henker gerührt hätten, und nachdem ſie dieſe getrocknet hatte, antwortete ſie: Wenn ich Euch mein Herz zeigen könnte, ſo würdet Ihr ſehen, welchen Eindruck Eure Reden ſowie mein Vergehen auf mich gemacht haben, welch gute Vorſätze mich jetzt beleben. Ich fühle, daß ich jetzt den, der die Urſache meiner Schwäche war, ebenſo haſſe, wie ich ihn vorher übertrieben und ohne Ver— nunft liebte. Außer dieſen Gefühlen hat mich ein Traum dieſe Nacht erſchüttert, der mich in der kurzen Zeit ängſtigte, in welcher ich ſchlafen konnte. Mir dünkte nämlich, daß ich einen ſchönen und duftenden Apfel vom Baume pflückte; indem ich ihn aber aufbrach, ſtieg ein dicker Dampf und alsbald eine große Schlange heraus, die ſich mit ihren Ringen zwei— mal um meinen Körper ſchlang und mir das Herz ſo ſchmerz— haft drückte, daß ich zu ſterben dachte. Von den Umſtehenden hatte keiner den Mut, mich zu befreien; nur ein alter Mann trat herzu und rettete mich, indem er nichts tat, als ſeinen Speichel der Schlange auf den Kopf werfen, wovon ſie als— bald tot niederfiel und mich losließ; worauf ich aus dem Traume erwachte. So habt Ihr mich durch Euern Beiſtand und guten Rat vom tödlichſten Übel gerettet, und wie Ihr bisher mein Escudero waret, ſollt Ihr jetzt mein Vater und Ratgeber ſein; und wenn Ihr irgend etwas an mir bemerkt habt, was Euch angenehm iſt, ſo verlaßt mich niemals wieder, ſolange Ihr oder ich leben, denn ich liebe Euch mit derſelben Liebe, die Ihr zu meiner Tugend und Ehre mir bewieſen habt.

Sie wollte noch weiter ſprechen, als der Mann ſich an der Türe hören ließ. Der Doktor trat herein, und ſie ſtellte ſich

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böfe, indem fie ihr ſchönes Geſicht verdeckte; er ſchmeichelte ihr zärtlich und ſuchte ſie über ihre Verletzung zu tröſten. Er betrachtete das Geſicht mit vieler Rührung und entſchul— digte ſich wieder; endlich ſagte er: Liebes Kind, laß dich ein wenig zur Ader. Warum das? fragte ich. Wegen des Falles, erwiderte er. Iſt ſie denn etwa, verſetzte ich, vom Sankt⸗Salvator⸗Turm heruntergefallen, daß ſie ſich des— wegen brauchte zur Ader zu laſſen? Ihr verſteht das nicht, fuhr der Doktor fort, dieſe Kontuſion vom Lapsus, indem ſie die hypochondriſchen Teile zurückgedrückt hat, könnte ein ſo unheilbares prokluvium sanguinis veranlaſſen, daß durch den Livor des Geſichtes eine beſtändige Cicatrix zurückbleiben könnte.

Und alsbald, ſagte ich, wird dann der Arcturus meridionalis zur metaphyſiſchen Circumferenz des korporiſchen Vegetativs ſchlagen, und das Blut wird ſich aus dem Hepar evakuieren.

Wie? Was? rief der Doktor, ich verſtehe Euch nicht.

Nicht? erwiderte ich; dann verſteht Eure Frau Euch noch weniger; denn ſtatt ihr zu ſagen, daß von dem Falle ein Zu: fluß des Blutes entſtehen kann, welcher eine Narbe zurück— laſſen könnte, ſprecht Ihr mit ihr in unverſtändlichen Yatei- niſchen Ausdrücken. Legt etwas lindernde Salbe oder Balſam oder Saft von Rettichblättern auf, und laßt alles übrige fahren.

Ich glaube auch, ſagte ſie lachend, daß dies das Beſte ſein wird. Schlimmer aber iſt, daß ich den Appetit verloren habe.

Lege, ſagte der Doktor, etwas Wermut auf die Magen⸗ grube und nimm ein Kliſtier. Damit und mit einer Maſſage der unteren Teile, verbunden mit dem gehörigen Stuhlgang, wird alles wieder in Ordnung ſein.

Das laſſe ich mir gefallen, rief ich, aber wenn die jungen Arzte in ihrem Jargon reden, ſo könnte man ſterben, bevor man ſie verſtünde.

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Sollen denn, fragte der Doktor, die gelehrten Leute wie Ignoranten ſprechen?

Was den Inhalt betrifft, antwortete ich, gewiß nicht; aber warum ſollen ſie übrigens nicht ſo reden, daß man ſie ver— ſteht? Als der Graf von Lemos, Don Pedro de Caſtro, ſeine Herrſchaft in Galizien aufſuchen wollte, bekam der große, ſchwere Mann, der ein ſtarker Waſſertrinker war, unterwegs infolge der Ermüdung eine Krankheit, welche die Arzte Hämorrhoiden nennen, und da er ſeinen Arzt nicht bei ſich hatte, ſagte Diego de Osma zu ihm: Es iſt hier einer, der Euer Gnaden den Puls zu fühlen wünſcht. So ruft ihn! er— widerte der Graf. Er wurde gerufen, und der gute Mann, der erfahren hatte, um welche Krankheit es ſich handelte, gedachte ſich ſeines mediziniſchen Wortſchatzes ausgiebig zu bedienen, weil er ſich dadurch der Gunſt des Grafen zu verſichern meinte. Er zog ſich ein ſehr abgeſchabtes, zwiſchen Blau und Schwarz ſpielendes Gewand und einen altmodiſchen Überrock an, trat in den Saal, wo der Graf ſich befand und ſagte: Ich küſſe Eurer Herrlichkeit die Hand. Willkommen, Doktor! begrüßte ihn der Graf. Ich höre, fuhr der Arzt fort, daß Eure Herr— lichkeit am Orificium leiden. Der Graf, der ausnehmend viel Vergnügen am Scherzen fand und ihn ſogleich durch— ſchaute, fragte: Doktor, was bedeutet das, Orificium? Gold— ſchmied? Oder was? Herr, erwiderte der Arzt, Orificium iſt jener Teil, durch den ſich die interioren Unreinigkeiten inundieren, exonerieren und expellieren, die von der Dekoktion der Nah— rung zurückbleiben. Erklärt Euch deutlicher, Doktor! ſagte der Graf; denn ich verſtehe Euch nicht. Herr, erwiderte der Arzt, Orificium kommt von os oris und facio facis, bedeutet alſo ſozuſagen os kaciens; denn wie wir einen Hauptmund haben, durch den die Nahrung eintritt, ſo haben wir auch einen andern, durch den die Rückſtände hinausgehen. Der Graf, obwohl krank,

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wollte fich ausſchütten vor Lachen und fagte zu ihm: Von dieſer Eigenſchaft heißt es auf kaſtilianiſch alſo (und er nannte es bei ſeinem Namen). Geht, Ihr ſeid kein guter Arzt; denn Ihr ergeht Euch in leerem Wortgeklingel. Der Doktor machte ſich beſchämt davon, und der Graf lachte dermaßen, daß Bett und Saal davon erzitterten. Und ich bin überzeugt, daß es für die Kranken eine Erleichterung iſt, wenn der Arzt in einer Sprache redet, die ſie verſtehen; dazu müſſen die Arzte auch freundlich und geſprächig ſein; es ſchadet nicht, wenn ſie einige Schwänke und Märchen mit Heiterkeit vortragen, wodurch der Kranke zerſtreut wird. Manche ſind aber ſo unwiſſend, daß ſie, um ihre Kur nur wichtig zu machen, das Übel jedesmal übertreiben und gefährlicher darſtellen. Der Nachläſſigkeiten im Erkennen der Krankheit und der Anwen dung der falſchen Medikamente nicht zu erwähnen.

Das iſt die Manier der alten Arzte, antwortete mein Herr, ſo umſtändlich zu ſein und auf Nebenſachen zu achten; wir jüngeren machen es anders: wir laſſen zur Ader und purgieren und brauchen dann einige empiriſche Mittel 21.

Darum, ſagte ich, hüte ich mich auch, mich jungen Arzten anzuvertrauen. Ein Freund von mir, jung und ohne Erfab: rung, aber fleißig in ſeinen Studien, der ſich bei mir mit einigen Aphorismen des Hippokrates in Kredit geſetzt hatte, die er auswendig und bei Gelegenheit paſſend anzubringen wußte, bekam mich in ſeine Hände, als mich das erſtemal die Gicht befiel. Er ließ mich zweiundzwanzigmal ſchwitzen, und würde noch länger fortgefahren ſein, wenn ich nicht ſelbſt bemerkt hätte, daß mein Puls intermittierend ſei, worauf er denn ſagte, wir hätten uns in der Kur geirrt (als wenn ich auch damit zu tun gehabt hätte), und mich verlegen und beſchämt verließ. Dank der Konſtitution, die ich habe, und durch ſtrenge Diät wurde ich beſſer, und ſo begegnete ich ihm 2

unvermutet auf der Gaſſe, er rot vor Verdruß, und ich gelb von Krankheit, wo meine Zunge ihn dann noch übler zurichtete, als ſeine Kunſt mich behandelt hatte. Die großen Arzte, die ich genannt habe und kenne, ſuchen den Urſprung, die Ur— ſache und den Zuſtand der Krankheit zu erkennen, ebenſo das vorherrſchende Temperament des Kranken, auf daß ſie den Choleriſchen nicht wie den Phlegmatiſchen, oder den Sangui— niſchen wie den Melancholiſchen behandelten.

In meinem Leben, ſagte der Doktor, habe ich keinen ſo gelehrten Escudero geſehen. Was wißt Ihr vom intermittie— renden Puls, und welche Zeichen habt Ihr von der Gicht, da ich kein Symptom an Euch wahrnehme, daß Ihr an einem von beiden leiden könntet?

Den intermittierenden Puls, antwortete ich, habe ich ſchon öfter in ſchweren Krankheiten gehabt; ein junger Arzt in Malaga, der mich in einem hitzigen Fieber behandelte, erſchrak darüber ſo, daß ich, der Kranke, dem Geſunden Mut einſprechen mußte. Von dieſem Fieber befreite ich mich, indem ich eine große Flaſche kaltes Waſſer hinuntertrank. Dieſer Arzt wollte meiner nachgebliebenen Schwäche damit helfen, daß er mir verbot, in meinem Leben je einen Tropfen Waſſer zu trinken, was mir, einem Choleriſchen und in einem heißen Lande Ge— bornen, ſchlecht bekommen würde. Gegen die Gicht hilft mir ein guter Rat des Cicero: daß die wahre Geſundheit nämlich darin beſteht, zu genießen, was uns bekommt, und die Nahrung zu vermeiden, die uns ſchadet. Ich genieße keine wäßrigen Speiſen, ich trinke nicht zwiſchen den Mahlzeiten, ich eſſe nicht zu Abend, ich trinke Waſſer und keinen Wein; alle Morgen, ehe ich aufſtehe, reibe ich mir den ganzen Körper vom Kopfe bis zu den Füßen und nehme ein Brechmittel, wenn ich mich überladen fühle; hiermit und mit Mäßigkeit in allen Dingen bewahre ich mich vor der Gicht.

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Um des Himmels willen, rief der Doktor aus: fagt mir doch, habt Ihr ftudiert? Und wo? Eure Ausdrücke und Euer ganzes Weſen gefallen mir ſo ſehr, daß, wenn ich ein großer Fürſt wäre, ich Euch niemals von meiner Seite laſſen würde. Sie ſagte dasſelbe und fügte hinzu: Ich bitte Euch, liebſtes Väterchen, erzählt uns die Geſchichte Eures Lebens; dadurch würdet Ihr mir und dem Doktor das allergrößte Vergnügen verurſachen.

Unglücksfälle, antwortete ich, indem man ſie erzählt, be— trüben nur von neuem; darum erzählt nur der Glückliche gern ſeine Geſchichte; meine Schickſale ſind nicht von der Art, daß ich ſie meinem Gedächtniſſe gern wiederholte.

Fünftes Kapitel.

Seit dieſem Vorfalle war mir die Frau ſehr gewogen und ſuchte mir dies, da ſie von großmütiger Geſinnung war, bei jeder Gelegenheit zu beweiſen. Ich wurde dadurch um ſo mehr in Verlegenheit geſetzt, weil mich das Bewußtſein drückte, daß ich um ein Geheimnis wiſſe, das ſie beſchämen müſſe, und daß ich ihr bei dieſer Gelegenheit nützlich geweſen; auch fürchtete ich, ſie könnte auf den Argwohn geraten, daß ich dieſes Ge— heimnis vielleicht nicht immer verſchweigen würde. Sie wieder: holte ſehr oft, daß ſie darauf denke, mich als ihren Vater be⸗ ſtändig im Hauſe zu behalten, und deshalb wollte ſie mich endlich mit einer Verwandten, die reizend und noch jung war, verheiraten. Als ſie mir im Verein mit ihrem Manne dieſen Vorſchlag machte und ſie das Mädchen ſehr lobten und mir ſagten, wie ſehr ſie mich in meinem Alter pflegen könne, antwortete ich: Sennora, dieſen Schritt werde ich um nichts in der Welt tun; denn als ein alter Mann heiraten, heißt nur, ſich ſelbſt ſein Grab graben. Als ſie hierüber lachte, fuhr ich fort: In Italien haben ſie ein artiges Sprichwort, 30

daß, wer ſich alt verheiratet, die Krankheit des Böckleins hat: er ſtirbt entweder bald, oder er wird zum Bock.

Iſt es möglich, rief ſie aus, daß ein ſo achtbarer Mann, wie Ihr, auf dergleichen fallen kann? Sennora, antwortete ich, ich habe noch immer bemerkt, daß, wenn ein alter Mann ſich mit einem jungen Mädchen verheiratet, ihm alle andern Glieder des Körpers wegſchwinden, außer der Stirn, welche immer größer wird. Die jungen Mädchen ſind fröhlich, tanzen und ſpringen wie die Hirſchkühe, und die Männer, wenn ſie alt ſind, ſtehen neben ihnen wie die Hirſche. Kein Haſe wird von den Hunden ſo verfolgt, wie die junge Frau eines alten Mannes von allen Müßiggängern; jeder junge Burſche iſt ihr Verwandter, jede alte Botenfrau ihre Bekannte, in allen Kirchen hält ſie Andachten, entweder um ihrem Gatten zu entfliehen, oder um die Gevatterinnen zu beſuchen, uſw. Ich habe in meiner Jugend dieſe Laſt nicht auf meinen Schultern tragen wollen, und ſollte ſie jetzt auf meinen Kopf nehmen?

Der Doktor lachte gewaltig, und ſie ſann auf eine Antwort, die mich überreden könnte; ſie führte mir manche glückliche Ehe an, daß alles Geſellſchaft ſuche und finde, daß die Einſam— keit zur Melancholie und Verzweiflung führen könne, und daß mein Entſchluß ihr zur Freude und mir zum großen Troſte gereichen würde. Da ſie mich aber auf keine Weiſe bewegen konnte, fragte ſie endlich: So ſeid Ihr alſo niemals verliebt geweſen? Und zwar ſo ſehr, antwortete ich, daß ich Verſe gemacht und Händel gehabt habe, denn die Jugend iſt voll von tauſend Unvorſichtigkeiten und Torheiten. Das wird mit Euch nicht der Fall geweſen ſein, erwiderte ſie, denn die verſtändigen Menſchen treiben alle Dinge auf eine andere Weiſe als diejenigen, die es nicht ſind.

Das iſt mit mir nicht der Fall geweſen, fuhr ich fort, denn wer Kälte, Furcht und alle Unbequemlichkeiten der Nacht aus—

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ſteht, zu einer Zeit, wo kleine Schrecken als große, und un⸗ bedeutende Kleinigkeiten als wichtige Dinge erſcheinen, der iſt nicht weiſe zu nennen. Was das letzte betrifft, ſo erinnere ich mich einer lächerlichen Geſchichte, die mir in meiner Jugend begegnet iſt. Im Viertel San Gines hatte ich eine Liebſchaft, und am Faſtnachtsdienstag trug mir meine Dame auf, ihr etwas Gutes zu bringen, um von den Fleiſchſpeiſen Abſchied zu nehmen; denn an dieſem Tage iſt es gebräuchlich, dergleichen zu fordern, aber auch erlaubt, es abzuſchlagen. Ich aber, um mich hervorzutun, weil es der erſte Dienſt war, den meine Dame von mir forderte, verkaufte einige Kleinigkeiten, die ich nachher ſehr entbehrte; und nachdem alles Geſchrei und Toben ſowie das Martern der Hunde vorüber war (denen man Töpfe und andere Dinge an den Schweif bindet, womit ſie wie toll herumlaufen), begab ich mich in eine Garküche, band in ein ſauberes Tuch eine Paſtete, zwei Rebhühner und ein Kaninchen und machte mich um elf Uhr in der Nacht auf den Weg, um es nach elf Uhr durch ein Fenſter hinein— zureichen. Da am folgenden Tage Aſchermittwoch war, ſo war, nachdem die Jungen ihr Geſchrei und ihre Späße mit den Hunden getrieben hatten, die Nacht ſehr ruhig; es konnte mich daher niemand ſehen, weil alle ſchon in den Häuſern waren. Als ich auf dem kleinen Platz San Gines ankam, hörte ich die Scharwache; ſchnell zog ich mich dort unter das Vordach zurück, wo gewöhnlich für das Totengedächtnis und die Exequien ein leerer Sarg zu ſtehen pflegt. Noch ehe die Scharwache zu mir kommen konnte, ſteckte ich das zuſammen⸗ geknüpfte Tuch durch ein großes Loch, das ſich unten in der Totenbahre befand, worauf ich einen Roſenkranz nahm, den ich immer bei mir trug, und ſo tat, als wenn ich betete. Die Wache kam, und da ſie mich für einen Flüchtling hielt, ſo nahm ſie mich feſt und fragte mich, was ich dort mache. 32

Der Alkalde trat auf mich zu, und als er meinen Roſenkranz und meine Ruhe ſah, befahl er, daß man mich loslaſſen und ich nach Hauſe gehen ſolle. Ich tat, als wenn ich fortginge, und als die Wache vorüber war, kehrte ich nach meinem Tuch und Abendeſſen zu dem unſeligen Sarge zurück; und obwohl ich wegen der nächtlichen Stunde und der Einſamkeit einige Furcht hatte, ſo ſtreckte ich doch, ſo weit ich nur reichen konnte, Hand und Arm aus, traf aber nirgend auf mein Tuch und deſſen Inhalt. Darüber überfiel mich Zittern und Froſt, und eine ſo ſchreckliche Begebenheit mußte mir wohl auf einem Kirchhofe, neben einem Sarg, zwiſchen elf und zwölf Uhr in der Nacht, bei einer ſolchen Ruhe, als wenn die Welt unter— gehen ſollte, tödliche Angſt verurſachen. Außerdem aber hörte ich noch in dem Sarg ein ſolches Klirren von Eiſen, daß es mir vorkam wie tauſend Ketten, die wohl von tauſend Seelen geſchüttelt würden, die hier ihre Qual des Fegefeuers er— duldeten. Ich erſchrak ſo heftig, daß ich Liebe und Abend— eſſen vergaß und mich tauſend Meilen weit wegwünſchte; ſo gut meine ſchreckgelähmten Glieder es zuließen, retirierte ich und entfernte mich, Schritt vor Schritt dicht an die Mauer gedrängt: denn mir war, als wenn ein Heer Verſtorbener hinter mir drein zöge. Indem mich dieſe Angſt gepackt hielt, wurde ich hinten am Mantel geriſſen, und dies entſetzte mich ſo, daß ich, wie vom Blitze gerührt, auf die Erde ſtürzte. Doch drehte ich den Kopf, um zu ſehen, ob mich ein Gerippe er— griffen hätte; ich fand aber nichts weiter, als daß mein Mantel ſich an einem Nagel der Kreuzigung, die dort iſt, verfangen hatte: darüber ermunterte ich mich etwas und faßte ein Herz, indem ich nun wohl wegen des Mantels und des Nagels beruhigt war, aber noch nicht wegen des Sarges. Ich ſetzte mich nieder, um auszuruhen, denn ich war ſo matt, als wenn ich hundert Meilen in der Sierra Morena auf- und niedergegangen 3 33

wäre. Ich dachte über den Vorgang nach, und wie ich am folgenden Tage beſtehen würde, wenn ich erzählen ſollte, was mir begegnet ſei, ohne etwas Bedeutendes geſehen zu haben. Denn wenn ich von einem Dinge, das mich ſo außerordentlich erſchreckt hatte, nicht den Grund entdeckte, ſo ſetzte ich mich in die Gefahr, für einen Feigling oder Lügner gehalten zu werden; wollte ich aber den ganzen Vorfall verſchweigen, fo erſchien ich in den Augen der Sennora Daifa als ein Geiziger, da ich nicht ſagen konnte was aus meinem Einkauf geworden war. Auf der andern Seite bedachte ich, daß eine unglückliche Seele meines armen Abendeſſens nicht bedurfte; ein Menſch konnte aber ſich unmöglich ſo klein machen, daß ich ihn nicht er— reicht hätte, als ich den Arm ausſtreckte. Endlich ſtellte ich folgende Betrachtung an: Iſt es ein Teufel, ſo wird er vor dem Zeichen des Kreuzes entfliehen, iſt es eine Seele, ſo werde ich von ihr erfahren, ob ſie Hilfe bedarf; und iſt es ein Menſch, ſo habe ich ebenſogut Hände und einen Degen wie er. Nun machte ich mich entſchloſſen an den Sarg, ich zog den Degen, wickelte den Mantel um meinen Arm und ſprach mit feſter Stimme: Ich beſchwöre dich und gebiete dir im Namen des Pfarrers dieſer Kirche, daß, wenn du ein böſes Weſen biſt, du dich von dieſem geheiligten Orte entferneſt; biſt du aber eine gequälte Seele, daß du mir ſagſt, was du wünſcheſt oder bedarfſt. Bei meiner Beſchwörung wurde das Geraſſel noch ärger, und je öfter ich dieſe Worte wiederholte, um ſo lauter erſchollen die Eiſenſchläge in dem Sarge, ſo daß ich zu zittern begann. Da ich merkte, daß meine Beſchwörung ohne Wirkung blieb, und daß, wenn ich meinen Eifer erkalten ließe, ich ohne Zweifel in meine vorige Angſt verfallen würde, ſo nahm ich denn den Degen zwiſchen die Zähne, faßte mit beiden Händen in die Offnung des Sarges hinein und hob ihn auf, worauf alsbald ein großer, ſchwarzer Hund mit einer Schelle am Schwanze 34

mir zwiſchen den Beinen hindurchlief, der, vor den Jungen flüch— tend, an dieſem heiligen Orte ſeine Sicherheit geſucht, und wie er hier die Fleiſchſpeiſen gerochen, ſich darüber hergemacht und ſie verſchlungen hatte. Das laute und unerwartete Geräuſch aber, das er im Hervorſpringen machte, entſetzte mich ſo, daß, ſowie er auf der einen Seite fortlief, ich mich auf der andern davongemacht haben würde, wenn er mir nicht mit der Schelle einen Schlag an das Schienbein gegeben hätte, daß ich mich nicht ſogleich fortbewegen konnte. Als ſich aber der Schmerz verloren hatte, mußte ich in das heftigſte Gelächter ausbrechen, und ſeitdem, ſo oft ich daran denke, ob ich mich nun allein oder auf der Straße befinde, wird es mir ſchwer, das Lachen zu unterdrücken.

Der Doktor und ſeine Frau mußten ebenfalls lachen, und ich fuhr dann fort: Es war mir ſehr lieb, dieſem Vorfalle auf den Grund gekommen zu ſein, weil ich ſonſt wahrſcheinlich jene Stelle übel berüchtigt gemacht hätte, wie es ſo manche andere getan haben, die dieſen und jenen Ort in den Ruf eines ver— dächtigen bringen, weil ſie nicht unterſuchen, was ſie dort zu— fällig erſchreckte, und lieber tauſend Tollheiten und Narren— poſſen davon erzählen. So erzählte einer einmal, er habe ein Pferd voller Ketten und ohne Kopf geſehen, und es war nichts, als ein Tier, das von der Weide nach Hauſe ging, mit der Sperrkette an den Beinen. Unendlich iſt die Zahl der Albern— heiten, die in dieſer Beziehung erzählt werden, und es gibt kein Dorf, das nicht einen Ort hätte, der als nicht geheuer ver— ſchrieen wäre. In Ronda wird eine Stelle für geſpenſtiſch gehalten, ſeitdem einmal eines Nachts ein Affe auf das Dach geklettert iſt und Ziegel auf die Vorübergehenden herunter— geworfen hat. Ich kenne nur zweierlei, was nächtlicherweile zu fürchten iſt: die Menſchen und der Nachttau; die erſteren können einem das Leben und der andere die Sehkraft rauben.

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Sechſtes Kapitel.

Wie ich nun eben am beſten mit dem Doktor Sagredo und der Donna Mergelina de Aybar ſtand, bekam er einen Ruf nach einem Orte in Alt-Kaſtilien, wo ihm ein großes Gehalt an⸗ geboten wurde. Dieſen konnte er nicht ausſchlagen, teils weil er in ſeiner Lage dieſer Verbeſſerung bedurfte, teils weil er nun auch Gelegenheit hatte, ſein Talent mehr zu üben und die unentbehrlichen Erfahrungen, die ihm noch mangelten, ſeinen Kenntniſſen hinzuzufügen. Das Angebot ward alſo ange— nommen, und beide baten mich aufs dringendſte, ſie zu begleiten, was ich auch getan haben würde, wenn ich mich nicht vor dem kalten Klima von Alt-Kaſtilien gefürchtet hätte, da ich ſchon zu alt war, um mich noch daran gewöhnen zu können. Sie reiſten alſo ab, und ich blieb allein und ohne Unter— ſtützung.

In dieſen Umſtänden wurde ich mit einem Hidalgo bekannt, der auf einem Dorfe in der Einſamkeit lebte, und der jetzt ge— kommen war, um einen Hofmeiſter oder Aufſeher für ſeine beiden jungen Knaben zu ſuchen. Er fragte mich, ob ich fie auf- ziehen wollte. Kinder aufzuziehen, antwortete ich, iſt das Amt einer Amme, und nicht eines Escudero. Er lachte und ſagte: Ihr ſeid ſpaßhaft; auf meine Ritterehre, Ihr ſollt mit mir gehen; werdet Ihr Euch in meinem Hauſe nicht gut befinden? Ich antwortete: Jetzt wohl; wie es in Zukunft ſein wird, weiß ich nicht. Warum? fragte der Hidalgo. Weil man, ſagte ich, auf dergleichen keine beſtimmte Antwort geben kann, bis man es verſucht hat; man ſollte Diener niemals fragen, ob ſie dienen wollten, ſondern ob ſie dienen könnten; denn daß ſie dienen wollen, beweiſt nur ihre Not; aber daß ſie dienen können, Geſchicklichkeit und Erfahrung in bad Rn dem fie ſich unterziehen.

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Ich glaube, fagte der Hidalgo, daß Ihr die nötige Geſchick— lichkeit beſitzt, und mein älteſter Sohn wird in der Lage ſein, Euch einmal viel Gutes zu tun; denn er hat die Ausſicht, von ſeiten ſeiner Mutter ein großes Vermögen zu erben, welches jetzt noch die Großmutter verwaltet; von dem älteren Sohne von dieſer, an welchen es fällt, ſind nur zwei ſchwächliche Enkelchen vorhanden; wenn dieſe und der Vater ſterben, ſo bleibt mein Sohn der Erbe.

Das iſt ſo wie mit jenem, antwortete ich, der Luſt hatte, ſich einmal an Datteln recht ſatt zu eſſen; dieſer ging nach der Berberei, kaufte dort ein Stückchen Landes, pflanzte einen Dattelbaum darauf und wartet nun noch immer, daß er Früchte tragen ſoll. So ſoll ich auch auf drei Todesfälle warten, wo ich doch wahrſcheinlich von allen dem Tode am nächſten bin. Zur Hoffnung gehört ein langes Leben; eine zu weit geſteckte Hoffnung verkürzt es, und darum bin ich von jeher lieber arm geblieben, als daß ich ſolchen Träumen huldigen wollte.

So ſprechen die Verzweifelnden, ſagte der Hidalgo, die lieber, anſtatt zu hoffen und zu dulden, ihr ganzes Leben hindurch arm bleiben. |

Und gibt es eine größere Armut, rief ich aus, als fid) bes ſtändig nur vom Winde zu nähren? Sein Leben ſelbſt zu ver— lieren und immerdar von jenem unerſättlichen Durſte nach Reichtümern gequält zu werden?

Siebentes Kapitel.

Wir haben aber, fuhr der Hidalgo fort, wie mir ſcheint, den erſten Gegenſtand unſerer Unterhaltung aus den Augen verloren, nämlich die Erziehung und den Unterricht meiner Kinder.

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Was die Erziehung betrifft, erwiderte ich, fo find dabei un— zählig viele Dinge zu beachten. Am ſchwierigſten iſt es in vielen Fällen, böſe Sitten und Gewohnheiten auszurotten, die ſich in der Familie ſchon vererbt haben und oft ſchon auf Großvater und Vater und von dieſem auf den Sohn ge— kommen ſind. So wie es auch im Gegenteil Familientugen— den gibt, ſo daß in den Kindern ſich vortreffliche Eigenſchaften ohne Nachhilfe entwickeln können. Was den erſten Fall be— trifft, ſo wäre es dann am dienlichſten, daß die Kinder ihre Eltern gar nicht kennen lernten und entfernt von dieſen erzogen würden. Umgang und Umgebung wirken überhaupt auch an ſich ſelbſt auf junge Gemüter, und die Gewohn— heit, die hieraus entſteht, wird zur zweiten Natur; der Lehr— meiſter ſelbſt aber muß von der Art ſein, daß ſein Beiſpiel mehr als ſein Unterricht belehren kann.

Wenn es Euch gefiele, ſagte der Hidalgo, ſo ſollten wir dieſen Gegenſtand noch weitläufiger beſprechen. |

Wenn ſich ein anderes Mal die Gelegenheit findet, antwor— tete ich; denn dieſe Materie iſt gar zu weitläuftig, um ſie ſo kurz abzuhandeln, wie uns die Zeit und der Ort, wo wir uns befinden, doch zwingen würden.

Achtes Kapitel.

Dieſes ganze Geſpräch fiel vor, während dieſer Hidalgo und ich uns über das Geländer der Segovianiſchen Brücke lehnten und in das Feld hinausſahen. Es kam eine anſehnliche Herde von Rindern, worauf ich zu ihm ſagte: Dieſe Rinder werden in großer Eile und dicht gedrängt über die Brücke ge— trieben; wir wollen ihren Ungeſtüm nicht abwarten. Fürch— tet nichts, ſagte der Hidalgo, denn ich werde Euch und mich beſchützen. Beſchützt Euch nur ſelbſt, ſagte ich, denn mich ſoll dieſe Mauer ſicherſtellen, die von der Brücke bis zum 38

Fluß hinabgeht; ich laſſe mich nicht gerne mit Volk ein, das nicht ſpricht, auch kämpfe ich nicht mit ſolchen, die doppelte Waffen auf der Stirne führen.

Er aber blieb feſt ſtehen, und ich verbarg mich hinter der Bruſtwehr. Vorher trabte ein Maultier über die Brücke mit zwei Weinſchläuchen, und zwiſchen beiden ein Neger reitend. Die Ochſen aber, die ſchnell liefen und von ihren Führern noch mehr angetrieben wurden, holten bald das Maultier ein, und als dieſes ſich von allen Seiten von den gehörnten Tieren umgeben ſah, wurde es ſcheu und ſchlug ſo heftig von hinten aus, daß es den Neger und die beiden Weinſchläuche zwiſchen die Hörner eines jungen, muntern Bullen warf. Der Stier ſprang umher und ſchleuderte den einen Schlauch über die Brücke in den Fluß, zwiſchen viele Wäſcherinnen hinein. Der Hidalgo, um den Neger zu befreien und ſich ſelbſt zu ver— teidigen, zog den Degen, und indem er dem Stiere einen Stoß beibringen wollte, durchſtach er den andern Schlauch an zwei Stellen, worüber ſich das Volk der Lakaien außerordentlich freute. Er ſelbſt aber empfing von dem Stiere einige Stöße, ſo daß er ſich mit verſchiedenen Beulen am Kopfe nach dem Ge— länder der Brücke zurückziehen mußte. In einem Augenblicke war die Herde vorüber, und eilig machten ſich die berittenen Führer an den Schlauch, der auch ſchnell verſchied, ohne einen Tropfen Bluts in ſich zu behalten. Die Wäſcherinnen machten ſich indes an den andern, welcher in den Fluß gefallen war, und jede kam mit ihrem Töpfchen herbei, ſo daß auch dieſer in wenig Augenblicken ausgeleert war. Den zerſtoßenen Neger ſetzten ſie auf ſein Maultier, und ich weiß nicht, was aus ihm geworden iſt.

Ich ging zu meinem Hidalgo, nicht um ihm vorzuwerfen, daß er meinem Rate nicht gefolgt ſei, ſondern um ihn abzu— wiſchen und ihn zu tröſten, indem ich ihm ſagte, daß er ganz

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wie ein mutiger Hidalgo gehandelt habe. Er war über meinen Zuſpruch ſehr aufgeblaſen, obgleich die Verwirrung in ſeinem Geſichte nicht zu verkennen war. Um ihn aufzuheitern, machte ich ihn darauf aufmerkſam, wie das Geſindel den Schlauch zurichtete, und wie vergnügt die Wäſcherinnen wären, die dem jungen Stiere tauſend Segenswünſche nachriefen und zum Himmel flehten, daß alle Tage dasſelbe geſchehen möchte. Und nachdem die beiden Gruppen den Schläuchen die Seele ausgetrieben hatten, kehrten ſie zu ihren alten Gepflogenheiten zurück: die Lakaien ſchlecht von ihren Herren und der Re— gierung zu ſprechen, und die Wäſcherinnen Jungfrauen und Mönchen Übles nachzuſagen.

Der Hidalgo, obwohl er über dieſen Vorfall etwas verſtimmt war, fuhr doch fort, mir ſehr ernſthaft zuzureden und in mich zu dringen, mit ihm zu gehen. Ich konnte mit mir ſelbſt nicht einig werden. Auf der einen Seite ſchien es mir unanſtändig, mich als Müßiggänger umherzutreiben; auf der andern aber überlegte ich auch, ob es klug getan ſei, Madrid zu verlaſſen, wo man alles im Überfluß hat, um nach einem Dorfe zu gehen, wo es an allem fehlt. Drittens ſah ich, wie geneigt und freundſchaftlich ſich mir dieſer Hidalgo bezeigte; aber ich wußte auch, daß er nicht ſehr reich ſein konnte, und ſein Weſen zeigte deutlich, daß er nichts weniger als freigebig, ſondern im Gegenteil geizig ſei. Demungeachtet aber wollte ich ihm ſeine Bitte nicht geradezu abſchlagen. Ich ging mit ihm in ein vornehmes Haus, mit deſſen Beſitzer er verwandt oder befreundet war; denn es tat ihm not, ſich nach dem überſtandenen Kampfe etwas zu erfriſchen. Indem wir hinein— gingen, ſagte er dem Haushofmeiſter, daß er mich bewirten möge, und dieſer verſtand es ohne Zweifel ſo, daß er mir nichts geben ſolle, was auch geſchah, ſo daß ſich mir infolge des langen Faſtens beinahe die Bruft mit dem Rückgrat ver: 40

máblte. Es war fchon fpát, und ich ward in einen Speiſe— ſaal gewieſen, wo die vornehmſten Diener des Hauſes, die Edelleute und die Pagen aßen. Es war ſchon die Zeit des Abendeſſens, aber das Speiſezimmer war noch ſo finſter wie der unterſte Schiffsraum. Da trat ein Herrchen herein, zwar nicht groß, aber doch ziemlich gut gewachſen, mit bräunlichem Geſicht und hochgewölbten Augenbrauen, äußerlich beinahe einem Seidenſchmetterling gleich, reich an Worten und arm an Gedanken, und ebenſo hungrig als aufgeblaſen eitel; dieſer rief, als er das Gemach ſo finſter fand: Holla! Licht! Es kam ein Junge, mehr voller Lumpen als eine Papiermühle, und ſteckte eine Kerze in ein Loch, welches im Tiſche war. Man deckte ein Tiſchtuch auf, das ſo abgeſchabt ausſah wie das Schurzfell eines Gerbers. Der galante Herr zog eine kleine Serviette aus der Taſche, die zwar nicht ſonderlich rein war, aber doch weit mehr Löcher als Flecken hatte, und ſagte mit wichtiger Miene: Seit mehr als zwanzig Jahren trage ich ſie bei mir, teils damit ich mich nicht am Tiſchtuche beſchmutze, teils auch, weil ſie mir eine gewiſſe Dame gegeben hat, die ich nicht nennen will.

Man ſetzte jedem einen Rettich vor, deſſen Blätter den Salat darſtellten, während er ſelbſt den Magenſchluß bildete. Ich konnte mich nicht enthalten zu ſagen, ſie ſeien vor dem ſchmerzhaften Harnleiden ſicher, ſowohl infolge des Genuſſes der Rettichblätter wie dank ihrer Mäßigkeit im Eſſen; denn man ſetzte ihnen nichts weiter vor als eine Ochſenlunge und Salz und Pfeffer. Da antwortete jener junge Menſch im hohen Ton: Im Hauſe meiner Eltern rühmte man immer die Tugend der Mäßigkeit, und weil man mich dazu erzogen hat, bin ich auch in allen meinen Handlungen mäßig. Außer im Sprechen, bemerkte ein anderer Edelmann. Mein Vater, fuhr jener fort, hat nie mehr als einmal am Tage gegeſſen, und alsdann mit

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der größten Mäßigkeit, außer wenn ihn der Herzog von Alba, ſein vertrauter Freund, zu ſich einlud; denn alsdann er mehr als alle die andern am Tiſche; er war der größte Hof— mann, ſo verſtändig und beredt, daß er allein einen ganzen Saal voll Leute unterhalten konnte; aber ungeachtet ſeiner Gaben hat er uns doch kein Vermögen zurückgelaſſen. Darüber verwundere ich mich nicht, antwortete ich, Worte waren das Kapital, ſo mußten die Zinſen wohl Wind ſein.

Ich wartete indeſſen noch immer auf mein Abendeſſen. Ein Gericht Hammelkaldaunen aber beſchloß nun die Tafel, die zerriſſen wurden, weil nichts da war, ſie zu zerlegen. Mir ſchienen ſie dem Geruche nach unſauber, aber der Schwätzer machte ſich mit dem größten Heißhunger darüber her. Ich ſchickte ihm deshalb meine Portion auch noch, indem ich ſagte, daß ich ſchon gegeſſen hätte, und er verzehrte ſie ebenfalls unter Lobſprüchen auf ihre Vortrefflichkeit. Indeſſen war auch die Kerze herabgebrannt, und er rief: Du, Junge, bringe Licht! Was denn für Licht? fragte dieſer; geht jetzt in Gottes Namen, fo habt Ihr keins nötig. Auf meine Ehre, rief jener hier- auf, ich werde machen, daß man dir deinen Lohn nimmt. Das ginge wohl an, ſagte der Junge, wenn man mir welchen gäbe; aber was man nicht bekommt, kann einem nicht genommen werden, und es iſt ja bekannt, daß man ſchon ſeit mehr als vier Monaten in dieſem Hauſe nichts erhalten hat. O Schurke! ſagte der andere, mußt du mit ſolchen Reden vornehme Leute zu verunehren ſuchen? Fehlt es ſolchem Geſindel nur einen einzigen Tag, ſo fehlt ihnen auch die Geduld; ſie verlieren die Achtung und begnügen ſich nicht mit dem Anſehen, das fie ger nießen, indem fie einem fo hohen Herrn dienen; ſolche ver- ſtehen es nicht, bei vorfallenden Gelegenheiten zu lügen, wie ich gelogen habe, und das zu dulden, was ich erduldet habe; und doch weiß man, daß, wenn die großen Herren heute nichts 42

geben können oder wollen, ihre Gaben morgen um fo reich licher ausfallen.

Ich habe auch Eure Kenntniſſe nicht, ſagte der Junge, und kann deswegen nicht in die Spielhäuſer gehen. Der Edel— mann wollte ihn nicht weiterreden laſſen, ſondern unterbrach ihn mit den Worten: Es iſt wahr, daß ich gewöhnlich ſpiele; denn ich habe noch heute abend Geld, einige Kleinode und ein goldenes Kettchen gewonnen. Und habt doch nichts, um Licht zu beſchaffen? ſagte der Junge. Weil ich, antwortete jener, alles Geld denen gebe, die zuſehen. Das iſt nichts Beſonderes, ſagte der Junge, wenn es richtig iſt, daß der auch einmal gibt, der gewöhnlich immer bekommt. Ich? fuhr der Aufgeblaſene auf. Grade wie es Euer Vater machte, fuhr der Küchen— junge fort. Mein Vater, ſagte der galante Herr, nahm es, weil man es ihm gab und er es verdiente. Und Ihr, ſagte der Junge, weil Ihr darum bittet und es nicht verdient??,

Während dieſer Zänkerei blieb das trübſelige Zimmer immer finſter, und ich ſagte zu dem Burſchen, er möchte ſchweigen und ſich nicht ſo ſehr gegen einen Vornehmen vergeſſen. Laßt es gut ſein, ſagte ein anderer Edelmann; denn wenn der Küchenjunge ſpricht, ſo ſpricht er nur für alle. Denn der Menſch verſchwärzt uns alle bei unſerm Herrn; er belacht und bewundert jedes Wort, was dieſer ſagt, trägt ihm zu und klatſcht über die ganze Welt. Alles dies und noch mehr habe ich ihm ſchon einmal ins Geſicht geſagt und ihn auf Degen gefordert. Ich er— wartete nun einen heftigen Zank, als der Schwätzer eine laute Lache aufſchlug, worüber der andere ſich heftig erzürnte und fragte: Iſt denn nicht alles wahr, was ich geſagt habe? Jener aber ſagte mit erzwungenem Lachen: Das und noch weit mehr iſt die Wahrheit, und Ihr verſteht es nur nicht, daß Doppelzüngigkeit und Lüge im Palaſt notwendig und recht ſind; alles iſt hier Schmeichelei und Unwahrheit, und wer damit

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nicht umzugehen weiß, wird es nie zu etwas bringen. Schon von meinem Vater habe ich es gelernt und geſehen; er war nur geliebt, wenn er von Abweſenden übel ſprach, und da er ſeine Verleumdungen auf eine anmutige Art vorzubringen wußte, ſo war er ungemein beliebt.

Verdammt ſei, rief ich aus, wer ſie ſagt und wer ſie anhört und wer zu ihnen Aufmunterung gibt!

Ei wie altfränkiſch! ſagte der Schwätzer. Und wie neu— fränkiſch Ihr! erwiderte ich ihm. Und ſchon wollte ich meinem zornigen Eifer in Worten die Zügel ſchießen laſſen, als ein heller Fackelſchein durch einige Offnungen fiel und den Tiſch der zwölf Pagen erleuchtete; alle wurden zu ihren verſchiedenen Dienſtgeſchäften abgerufen, und ich blieb ſo allein, daß ich die meinigen in dem Speiſeſaal verlaſſen und mich davonſchleichen konnte, was ich ſo heimlich wie möglich tat, ohne mich von irgendjemand zu verabſchieden oder mit jemand zu reden. Von Zeit zu Zeit blickte ich mich um, um zu ſehen, ob man mir folge wegen der Koſten, die ich durch die herrliche Kaldaunen⸗ mahlzeit, die ich nicht verzehrt, verurſacht hatte. Und als ich mich aus dieſer Grube der abgenagten Knochen befreit ſah, hatte ich das Gefühl, einem der unterirdiſchen algeriſchen Ge— fängniſſe entronnen zu ſein. Ich flüchtete mich in mein kleines Zimmer, wo ich von einem Dutzend Freunden meine Heiterkeit und Freiheit wieder erhielt, denn die Bücher machen den frei, der ſie liebt. Bei ihnen tröſtete ich mich und ſtillte meinen Hunger mit einem Stückchen Brot, das ich mir aufbewahrt hatte.

Ich ſchlief in der Nacht nur wenig, weil ich den Tag über faſt nüchtern geblieben war, und um ſechs Uhr morgens war ich ſchon angekleidet. Ich machte mich auf den Weg nach einer kleinen Kapelle des Schutzengels, die jenſeits der Sego— vianiſchen Brücke liegt.

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Der Tag war hell heraufgekommen, und die Sonne ftand groß und von gelber Farbe am Himmel. Außerdem ſah ich, daß in einer Schafherde, welche mir in der Nähe der Brücke begegnete, die Hämmel ſich aneinander drängten und von Zeit zu Zeit nach dem Himmel ſahen, woraus ich ſchloß, daß ein Ungewitter herannahe, und mich daher beeilte, zurückzukehren. Ich betete, und als ich vollendet hatte, trat der Eremit zu mir, der ein verſtändiger Mann zu ſein ſchien, und ſagte: Heute werden wir nicht einen ſo ſchönen Tag haben wie den des heiligen Iſidor, wenn Ihr damals vielleicht hier geweſen ſeid. Wohl war ich hier, antwortete ich, und habe auch ſchon aus verſchiedenen Anzeichen abgenommen, daß wir heute bei weitem ſchlechteres Wetter haben werden.

Mich erinnerten, ſagte der Eremit, an dieſem Tage die vielen Kutſchen und Wagen an große Flotten, die ich ſonſt wohl in Spanien und außerhalb geſehen habe.

Derſelbe Gedanke fiel mir bei, antwortete ich, als ich mit einigen Gichtſchmerzen langſam hierher ſpazierte; ich erinnerte mich der Flotte von Santander, die ſo prächtig ausſah und der es ſo übel erging. Als ich auf die Mitte der Brücke gekommen war, nahmen mich zwei Edelleute in geiſtlichem Gewande in ihre Kutſche, ebenſo verſtändige wie verehrungswürdige Männer. Kaum war ich eingeſtiegen, ſo wurden die Pferde durch einen Streich wild, welchen ein Mann zu Pferde einem Hidalgo zu Fuß ſpielte, weil dieſer ihm hinderlich geweſen war, nach aller Bequemlichkeit mit einer Verſammlung von hundert Weibern ſprechen zu können, die in einer Mietkutſche fuhren, in welcher ſich immer gern eine ganze Verwandtſchaft nebſt ihrer Nachbar— ſchaft einzupacken pflegt. Als nun die Wagen in Unordnung gerieten, kam der Urheber dieſer Verwirrung, ſehr eitel auf das, was er ausgerichtet hatte, zu uns. Bernardo von Oviedo, einer der beiden Ritter, ſagte zu ihm: Wäre den Menſchen erlaubt,

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alles zu tun, was fie könnten, fo würdet Ihr über das Unrecht, das Ihr begangen habt, nicht lachen. Der andere antwortete: Ihr müßt wohl nicht wiſſen, was das heißt, verliebt zu ſein. Wenigſtens, ſagte Bernardo, weiß ich ſo viel, daß die Liebe uns nicht ungeziemende Dinge lehrt. Magiſter Franco ritt eben auf ſeinem Maultiere vorüber und ſagte zu dem Angreifenden: Grämt Euch nicht, mein Herr, denn wenigſtens habt Ihr durch den Streich, namentlich wenn Ihr noch ein Dutzend Biskuits dranwendet, die gute Meinung von zwölf Weibern gewonnen, die Euch für einen Alexander und Scipio halten werden. Scherzt man über mich? fragte der tapfere Mann; beim Himmel, wenn die Herren nicht Geiſtliche wären, ſollte die Geſchichte wohl andere Folgen haben. Darum hat es Gott eben beſſer ge— fügt, ſagte Magiſter Franco, denn ohne daß Ihr in den Bann zu geraten braucht, habt Ihr uns etwas zu lachen gegeben. Über alles dieſes war ein Edelmann, der ſich in der Nähe be— fand, ſehr erzürnt und ſagte: Wie konnte jener Hidalgo nur ſo viel Geduld haben, ſich nicht zu rächen, und wenn ſie ihn auch in Stücke geriſſen hätten? Er tat vernünftiger, ſagte Bernardo, die Sache fallen zu laſſen, da ſeine Ehre nicht dadurch gekränkt wurde.

Während ich alſo mit dem Eremiten ſprach, hatte ſich der Himmel ſchon verfinſtert, und die ſchwarzen Wolken jagten ſich untereinander. Ich nahm ſchnell Abſchied von ihm; er aber hielt mich zurück und ſagte, daß das Ungewitter mich überfallen würde, ehe ich noch die Brücke verlaſſen hätte. Alsbald praſſelte unter Donner und Blitz ein ſo heftiger Ge— witterregen hernieder, daß in weniger als einer halben Stunde die Flut faſt die Gewölbe der Brücke anfüllte. Wir wurden gezwungen, uns in der Einſiedelei zu verſchließen, gegen welche die Winde ſo ſtürmten, daß es ſchien, als wenn ſie das Ge— bäude umwerfen wollten. Hier ſeid Ihr beſſer dran, ſagte 46

der Eremit, als unterwegs. Freilich, antwortete ich; kann man irgendwo ſich beſſer befinden, als im Hauſe des Beſchützers unſerer Leiber und Seelen? Aber Himmel, welche ſchrecklichen und ununterbrochenen Donnerſchläge! Welcher Platzregen! Wel— cher Sturm und Hagel! Seit ich nach Kaſtilien kam, habe ich es nicht geſehen, daß dieſes Land dergleichen Unwettern aus— geſetzt ſei, wie ſie wohl bei mir nichts Seltenes ſind, wo ſich hohe und ſteile Gebirge befinden, die uns oft Sturm, Regen und Wirbelwinde ſchicken.

Aus welcher Gegend ſeid Ihr denn, fragte der Eremit.

Ich, mein Herr, antwortete ich, bin aus Ronda, einer Stadt, die auf hohen und ſteilen Felſen liegt, und die ſehr den ſtürmi— ſchen Oft: und Weſtwinden ausgeſetzt iſt, fo daß, wenn die Ge— bäude nicht ſtärker als dieſes wären, die Sturmwinde ſie fort— führen würden.

Ich habe bisher nie gewußt, ſagte der Eremit, aus welchem Lande Ihr gebürtig ſeid, obgleich ich Euch in Sevilla ge— kannt und in Flandern und in Italien Umgang mit Euch gehabt habe.

Ich betrachtete ihn genauer und erkannte ihn wieder (er hatte nämlich in jenen Ländern als Soldat gedient). Ich umarmte ihn daher ſehr erfreut und erfuhr, daß er ſich, um Gott zu dienen, in die Einſamkeit eines Gebirges zurück— gezogen hatte; da er aber erkrankte, hatte er ſich wieder in die Nähe einer Stadt begeben, um hier als Eremit den Reſt ſeines Lebens zuzubringen.

Die Wut des Ungewitters dauerte zwar nicht länger als eine Stunde, aber der Regen goß noch ununterbrochen bis zum folgenden Tage. Der gute Eremit hatte Kohlen; er zündete ein Feuerbecken an und lud mich ein, mit ihm von dem zu eſſen, was Gott ihm durch fromme Menſchen zugeſendet, deren es in Madrid gar viele gibt.

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Neuntes Kapitel.

Nachdem wir die Türen der Einfiedelei gegen den An: drang des Windes verſchloſſen und das Feuerbecken gegen die Kälte angezündet hatten, war uns, während draußen der Sturm und die Waſſer unaufhörlich rauſchten, der Aufenthalt darin ſehr angenehm. Wir aßen, und bei dem verſchloſſenen Hauſe war der Tag uns ſo finſter wie die Nacht. Der Eremit wiederholte ſeine vorige Frage, und da wir Muße hatten, eingeſchloſſen waren und uns mit nichts anderem be— ſchäftigen konnten, verweilten wir bei dem, was ſich uns dar— bot. Er fragte mich, wo ich ſtudiert habe, und wie ich ſo weit in der Welt herumgekommen, da ich doch an einem ſo einſamen und entlegenen Orte geboren ſei.

Ich antwortete: So ſehr auch jene hohen und (reifen Felſen abgelegen ſind, und ihre Bewohner von den übrigen Menſchen abſondern, ſo leben demungeachtet Gelehrte dort, die mit manchen auf den Univerſitäten wetteifern können. Wir hatten dort einen Lehrer in der Grammatik, mit Namen Juan Can⸗ ſino, der nicht zu jenen gehörte, die man nur gewöhnlich Präzeptoren nennt, ſondern zu denen, welche das Altertum mit dem Namen der Grammatiker beehrte. Er war erfahren in allen Wiſſenſchaften, gelehrt in den humanen Kenntniſſen, von muſterhaften Sitten; und dieſer Mann, der uns in der lateiniſchen Sprache unterrichtete, machte ſelbſt ſehr elegante lateiniſche Verſe. Ihm fehlten von Geburt beide Hände; ſein muſtergültiger Wandel bewirkte aber, daß man die größte Ehrfurcht und Scheu vor ihm hatte. Er lehrte, man ſolle viel ſchweigen und wenig reden; denn, ſo ſagte er oftmals, das Reden iſt für die dringenden Fälle, das Schweigen für immer. Ich war in ſeinem lateiniſchen Unterrichte, wenn auch nicht der beſte, ſo doch keiner von ſeinen ſchlechteſten Schülern. Ich hatte auch ſchon in der römiſchen Sprache ziemliche Fort— 48

fchritte gemacht, fo daß ich nicht nur ein Epigramm verftand, ſondern wohl felbft eins dichten konnte, und hiermit und mit einiger Kenntnis der Muſik, die immer mit der Poeſie eine gewiſſe Verwandtſchaft gehabt hat, von meiner mich immer verfolgenden Unruhe angetrieben, faßte ich den Wunſch, mich irgend wohin zu begeben, wo ich meine Kenntniſſe wie meine Talente vervollkommnen möchte. Mein Vater, der meine Begier ſah, legte mir nichts in den Weg, vielmehr ſagte er zu mir mit der in jener Provinz gewöhnlichen Aufrichtigkeit: Mein Sohn, mein Vermögen erlaubt mir nicht, mehr für dich zu tun, als ich getan habe; gehe nun ſelbſt, dein Glück zu ſuchen. Hiermit gab er mir ſeinen Segen, überreichte mir ſo viel er mir geben konnte, und zugleich ein Schwert von Bilbao, das mehr wog als ich ſelbſt und mir auf der ganzen Reiſe nur zur Laſt fiel.

Ich begab mich nach Cordoba. Dorthin kommt der Maul: tiertreiber von Salamanka, und alle aus den dortigen Gegen— den, die nach dieſer Univerſität reiſen wollen, verſammeln fic) in dieſer Stadt. Ich kehrte im Gaſthofe zum Potro? ein, wo der Eſeltreiber auch anhielt, und war, als ein junger Menſch, der zum erſten Male reiſt, ſehr erfreut, die Ebene von Cordoba zu ſehen. Ich ging ſogleich aus, die Haupt— kirche zu betrachten und um die Muſik zu hören. Hier ſprach ich mit verſchiedenen Menſchen, denen ich mich zu er— kennen gab, teils in der Abſicht, mir in der Fremde eine Zerſtreuung zu machen, als auch, um etwas zu hören und zu lernen, das mir nützlich ſein könnte.

Ich begab mich hierauf in meine Herberge zurück und ließ mir zu eſſen auftragen, was es eben gab, denn es war ein Faſttag. Indem ich mich niederſetzte, machte ſich ein Gauner an mich, deren es in Cordoba ſehr abgefeimte gibt, und der wohl meinen Geſprächen in der Hauptkirche mußte zugehört 4 49

haben. Er fagte zu mir: Der Herr Soldat meint vielleicht, daß er hier ſo ganz unbekannt ſei; aber wißt nur, daß Euer Ruf ſich ſchon vor geraumer Zeit hier verbreitet hat. Ich bin ein wenig eitel, ja etwas mehr als ein wenig, glaubte ihm ſogleich und ſagte: Wie? Ihr ſolltet mich kennen? Er antwortete: Dem Namen und dem Rufe nach ſchon ſeit lange. Er ſetzte ſich zu mir nieder und ſagte: Ihr heißt N. N., ſeid ein großer Lateiner, ein Poet und Muſiker. Darüber blies ich mich nicht wenig auf, und fragte ihn, ob er nicht mit mir eſſen wolle. Er ließ ſich nicht lange bitten, langte zu und verzehrte etliche Eier und einige Fiſche. Ich ließ mehr auftragen, und er rief: Frau Wirtin, Ihr wißt nicht, wen Ihr in Eurem Hauſe beherbergt: dieſer junge Herr iſt der geſchickteſte Mann, den wir in ganz Andaluſien haben! Dieſe Worte gaben mir mehr Eitelkeit und ich ihm mehr Speiſen; er fuhr fort: Da hier in der Stadt ſelbſt immer viele talent: volle Männer leben, ſo haben ſie auch Kenntnis von allen denen, die ſich in den benachbarten Gegenden aufhalten; aber trinkt Ihr keinen Wein? Nein, mein Herr, antwortete ich. Daran tut Ihr nicht gut, erwiderte er, denn Ihr ſeid ja ſchon ein erwachſener Mann; und auf Reifen und in den Schenken, wo man meiſt nur ſchlechtes Waſſer findet, iſt es notwendig, Wein zu trinken: überdies begebt Ihr Euch nach Salamanka, einer ſehr kalten Gegend, wo ein Trunk Waſſer den Menſchen auf ſehr lange krank machen kann. Wein, mit Waſſer gemiſcht, gibt dem Herzen Mut, dem Ges ſichte Farbe, vertreibt die Melancholie, ſtärkt auf dem Wege, macht den Feigen tapfer und mäßigt die Hitzigen; zugleich vergeſſen wir durch ihn alle Verdrießlichkeiten. Er ſprach ſo viel über den Wein, daß ich ein halbes Maß vom beſten bringen ließ, das er austrank, weil ich nicht den Mut hatte, mitzutrinken. Der gute Mann trank und fing von neuem

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meine Lobeserhebungen an; ich hörte ihm ſehr gern zu, und mein Wohlgefallen daran ließ wieder mehr Speiſen auftragen. Er fuhr fort zu trinken und andere Dabeiſtehende auch einzu— laden, indem er ſagte, ich ſei ein Alexander. Ich kann mich nicht ſättigen, Euch anzuſehen, rief er, indem er mich ſcharf betrachtete, denn Ihr ſeid ja der N. N.; hier lebt ein Hidalgo, der die Männer von Talent ſo ſehr liebt, daß er gern zwei— hundert Dukaten darum geben würde, wenn er Euch in ſeinem Hauſe ſehen könnte. Auch dieſe großen Worte ließ ich mir glatt eingehen, und als die Mahlzeit beendet war, fragte ich ihn, wer denn dieſer Ritter ſei. Er ſagte: Begleitet mich in ſein Haus, denn ich will Euch dieſem Herrn vorſtellen. Wir gingen; jene, ſeine und des Weines Freunde begleiteten uns, und als wir nach dem St.-Peters-Viertel gekommen waren, trafen wir in einem großen Hauſe einen blinden Mann, der von Stande zu ſein ſchien. Der Schelm fing nun an zu lachen und ſagte zu mir: Dieſer iſt der Hidalgo, der gern zweihundert Dukaten geben würde, wenn er Euch ſehen könnte. Ich war über den Spaß ſehr böſe und ſagte: Ich würde ſie auch ſehr gern geben, um Euch am Galgen zu ſehen?“.

Sie gingen fort, und ich fühlte mich ſehr beleidigt, ob— gleich das, was er vom Blinden geſagt hatte, wohl nicht die Unwahrheit ſein mochte. Ich dachte aber nach, ob ich nicht etwas erſinnen könne, um dem Schelm ſeinen Streich mit einem anderen zu vergelten. Noch andere Studenten warteten in der Stadt auf den Maultiertreiber; ich machte Bekannt— ſchaft mit ihnen, und wir gingen in Geſellſchaft ſpazieren. Ich legte meine Reiſekleider ab und zog ein Studentenkleid an und darüber einen ſchwarzen Mantel von ſehr gutem Zeuge aus Segovia, den ich ſo trug, daß die Studenten ihn genau unterſcheiden konnten. Am Abend kam der Schelm wieder zu uns; er lachte noch, ich aber noch mehr, damit er nicht qe ; 51

glauben follte, daß ich erzürnt ſei; ich ſagte ihm im Gegenteil, daß ich mir einen Mann von ſo feinem Verſtande zu meinem Freunde wünſche, worauf wir mit ſeinen Freunden von neuem darüber lachten, was er alles geſprochen und gegeſſen hatte.

Er war in einem Hauſe bekannt, wo man um einen billigen Preis ziemlich gut aß; er forderte mich auf, für immer dort zu ſpeiſen, weil man mich dort höflich behandeln würde. Ich antwortete: Ich tue es gern, aber nur unter der Bedingung, daß ich in Eurer Geſellſchaft eſſen kann; ich muß nämlich einen Kaufmann erwarten, der auf den Jahrmarkt nach Ronda reiſt und mir einen Wechſel von hundert Dukaten auszahlen ſoll, und bis dieſer angekommen iſt, kann ich es nicht tun. Seid darüber unbeſorgt, antwortete er, der ſchon gewonnen zu haben glaubte, ich will es ſchon machen, daß fie Euch fo lange borgen. Nein, ſagte ich, ſchon der bloße Name des Borgens und Schuldenmachens verſetzt mich in die größte Angſt; ich will Euch auf ſo lange, bis der Kaufmann kommt, ein gutes Pfand geben, damit mir die Leute vertrauen können. Tut wie Ihr wollt, ſagte der Biedermann.

Ich ging nach meiner Herberge, und nachdem ich meinen guten Mantel wohl zuſammengefaltet hatte, rief ich ihn bet: ſeite, worüber er ſehr vergnügt war, und ſagte ihm, daß er dieſen als Pfand nehmen möge. Ich ging mit ihm und ſah, wie er ihn ablieferte, worauf wir auf ihn zu zehren anfingen, der Gauner ſowohl wie die beiden Studenten. Ich war aber immer ſehr aufmerkſam, daß er nicht ohne mich in dies Speiſehaus gehen könne, damit er mir nicht einen Streich ſpiele. Jetzt kam der Eſeltreiber von Salamanka an, und wir beredeten mit ihm unſere Reiſe. Da der Betrüger fab, daß meine Wachſamkeit es ihm unmöglich machte, mir einen Streich zu ſpielen, ſo ließ er ſich wenigſtens von der Wirtin ein Dutzend Realen auf den Mantel geben, weil er raſch nach 52

auswärts müſſe. Ich hörte dieſen Handel und fagte: Wenn Ihr fortgeht, mein Herr, ſo ſagt auch noch dieſer Frau, daß, wenn ich mit dem Gelde komme, um den Mantel ab— zuholen, ſie mir ihn auch ausliefert. Dies tat er, denn ſeine Abſicht war, ſich ſo lange verborgen zu halten, bis der Eſeltreiber abgegangen ſei, um ſo das Pfand zu erbeuten.

Er machte ſich unſichtbar, und ich ging zu einem Richter und ſagte zu dieſem, der ſelber ſtudiert hatte, mit großer Betrübnis: Mein Herr, ich bin ein Student und auf dem Wege nach Salamanka; während ich hier vierzehn Tage auf die Reiſegelegenheit gewartet habe, hat man mir einen Mantel geſtohlen, der mich zwanzig Dukaten gekoſtet hat; ich weiß aber, daß dieſer ſich in einem gewiſſen Hauſe befindet, und nun erſuche ich Euch, mein verehrter Herr, weil ich die Reiſe— gelegenheit nicht verlieren darf, daß Ihr mir, da Ihr ſelbſt ein Studierter und großer Gelehrter ſeid, beiſtehen möget, damit ich durch Hilfe der Juſtiz meinen Mantel wieder be— komme; denn der ihn mir geſtohlen hat, will nur den Augen— blick der Abreiſe abwarten, damit ich ihn ds nicht mebr belangen könne.

Das ſoll ihm nichts nützen, antwortete der Richter, denn die Juſtiz ſoll Euch ſchleunig zu Hilfe kommen. Seht doch die Bosheit, einen armen Studenten, der vielleicht nichts anderes hat, um ſich in Salamanka mit Anſtand zu zeigen, ſo be— trügen zu wollen! Er gab ſogleich einem Alguazil und Schreiber Befehl, mir Recht zu ſchaffen. Ich teilte acht Realen zwiſchen dieſe beiden, um ſie in ihrem Geſchäft noch eifriger zu machen. So ging ich mit den beiden Studenten zu der Frau (was mir Gott verzeihen möge!), ließ den Schreiber und den Alguazil vor der Tür, und ſagte, daß ſie mir den Mantel herausgeben möge. Sie holte ihn, die Studenten be— trachteten ihn und erkannten ihn für den meinigen. Der Algua—

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zil und der Schreiber kamen herein, und als man die Zeugen vernommen hatte, ſagte die Frau: ſie wolle den Mantel nur demjenigen geben, der ihn ihr als Pfand gebracht habe, welcher ein ehrlicher und ihr wohlbekannter Mann ſei. Der Schreiber brachte dies zu Papier und trug es dem Richter vor, der aber den Befehl gab, mir ſogleich meinen Mantel auszuliefern und jenen Schurken in das Gefängnis zu werfen. Hatte ſich dieſer aber erſt verſteckt, wegen deſſen, was er tun wollte, ſo tat er es nun um ſo mehr wegen deſſen, was man mit ihm vorzunehmen wünſchte.

Wir reiſten mit dem Maultiertreiber ab und lachten unter: wegs darüber, wie wir auf ſeine Koſten gezehrt hatten. Ich billige dieſen Streich aber nicht, der ungeziemend und unedel war, und zu dem mich freilich in meinen jetzigen Jahren nichts würde bewegen können.

Zehntes Kapitel.

Der Maultiertreiber ließ uns ſo oft zu Fuße gehen, als es ihm nur einfiel. Er war ein roher, junger Kerl und hatte überhaupt nicht die mindeſte Achtung für angehende Studenten. In einem kleinen Orte fiel er daher darauf, uns einen Streich zu ſpielen, zum Teil, um uns zu zwingen, noch mehr zu Fuß zu laufen, hauptſächlich aber, um bei einem Frauenzimmer, das ziemlich hübſch war, ſein Glück zu verſuchen und uns ſo lange aus ihrer Geſellſchaft zu entfernen. Sie war auf der Reiſe, um ſich mit einem gewiſſen Beamten zu verheiraten. Er ſtellte ſich daher, als wenn ihm ein Beutel mit Geld geſtohlen worden wäre, und als wenn die Häſcher ſchon kämen, uns ins Gefängnis zu führen und zu foltern, bis es heraus— gebracht wäre, wer ihn hätte; dabei ſchwur er, uns im Ge— fängnis zu laſſen und ſich mit ſeinen Tieren ſo ſchnell als 54

möglich davonzumachen. Für junge Leute ohne Erfahrung waren dieſe Drohungen mehr als hinreichend; er verſetzte uns in ſolche Angſt, daß wir, die wir ſchon am Tage viel gewandert waren, noch die ganze Nacht hindurch liefen, fünf oder ſechs Meilen, und zwar in keinem gemäßigten Schritte, ſondern in eiliger Flucht über Wieſen und Hügel, fern von der Landſtraße hinweg, ohne einen Führer, der uns hätte zurechtweiſen können.

Er lachte hinter uns drein und machte ſich nun mit ſeiner Zärtlichkeit und ſeinen plumpen Liebkoſungen an das Frauen— zimmer, das jetzt allein und ohne Hilfe war. Es geriet ihm aber nicht ſo, wie er gedacht hatte. Mit Hilfe eines arm— ſeligen Alguazils, der ſein Freund war, hatte er vorher die Komödie geſpielt, die uns alle vertrieben hatte; das Frauen— zimmer aber, das Mut und Kräfte hatte, verteidigte ſich gegen ſeine Gewalttätigkeiten ſo gut, daß ſie Mittel fand, ſich von ihm loszumachen, worauf ſie ſich ſogleich zum Alkalden ſelber begab. Dieſem erzählte ſie in der höchſten Erregung die ſchänd— liche Liſt, deren ſich der Maultiertreiber bedient hatte, um allen Beiſtand von ihr zu entfernen und ſich ihrer zu bemächtigen. Der wackere Mann, der des Eſeltreibers Unverſchämtheit und Sittenloſigkeit ſchon kannte, die arme Frau auch vor jedem künftigen Unheil beſchützen wollte, nahm die Sache ſehr ernſt und nannte es Unmenſchlichkeit, arme Studenten ſo zu behandeln. Er befahl ihm daher, eine Summe als Bürgſchaft nieder— zulegen, das Frauenzimmer unterwegs gut zu behandeln und ſie nicht im mindeſten zu beleidigen: nur unter dieſen Be— dingungen wolle er ihm die ſchwere Strafe erlaſſen, die er dafür verdient habe, daß er den Studenten auf ihrer Reiſe hinderlich geweſen ſei. Er drohte ihm dabei, ſich ja in acht zu nehmen, denn er wolle ihn, ohne alle Rückſicht, auf das ſchwerſte beſtrafen, wenn er ſich unterwegs Unverſchämtheiten zuſchulden kommen laſſe. Zugleich befahl er ihm, ſehr früh

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aufzubrechen, um die ermüdeten und ausgehungerten Stu: denten bald wieder einzuholen 25.

Wir flohen in der größten Eile davon und trennten uns, damit man uns um ſo weniger hören ſollte. Ich verfolgte einen Nebenweg, der von Bäumen verdeckt war, und ſtrengte mich an, ſo viel ich nur konnte, um hinter den andern nicht zurückzubleiben; aber meine Ermüdung war ſo groß, daß ich nach kurzer Zeit von keinem mehr etwas hörte. Ich legte das Ohr auf die Erde, aber ich konnte nichts ſpüren. Ich ruhte mich einen Augenblick aus und fing dann von neuem an zu laufen, aber rückwärts, während ich vorwärts zu kommen dachte; je weiter ich daher lief und je mehr ich vorwärts ſtrebte, je weiter entfernte ich mich von meinen Kameraden. Nun war mir, als wenn ich hinter mir in ziemlicher Entfernung Hunde bellen hörte, welche von meinen Gefährten im Vorbeilaufen wohl mochten unruhig gemacht worden ſein. Da ich dieſe Anſtrengung nicht gewohnt war, auch am Tage ſchon viel hatte wandern müſſen, fing der Schlaf ſich um die Zeit an zu melden, die ihm gehörte, und da ich durchaus nicht weiter konnte, ſo war ich gezwungen, ihm nachzugeben. Ich ent— deckte einen Korkbaum mit breitem Stamme, deſſen Rinde auf der einen Seite etwas ausgehöhlt war, ſo daß er eine Art von Lehne bildete. Dort ſetzte ich mich ermüdet nieder. Ich ſchlief ein; da man aber im Sitzen ſchlecht ſchläft, ſo fiel ich nach einer Seite wie ein Toter um. Endlich wachte ich auf; denn es kam mir vor, als liefen mir Ameiſen übers Geſicht. Ich wiſchte mit der Hand darüber und wandte mich auf die andere Seite. Dann wachte ich aus derſelben Urſache abermals auf; da aber die Müdigkeit ſo groß war, und der Schlaf ſo drückend, ſo ließ ich mich bald, obgleich mich an dieſer einſamen Stelle eine kleine Furcht anwandelte, wieder hinfallen. Nicht lange nachher, ſo wenig ich auch ſchon ausge— 56

fchlafen hatte, erweckte mich der Ton und das Seufzen einer höchſt kläglichen Stimme, welche aus der Erde zu kommen ſchien und die mich ſo entſetzte, daß ich faſt Atem und Leben verlor. Ich ſammelte mich, um den Klageton deutlicher zu hören, der mir jetzt näher zu ſein ſchien; da aber hohe Gebüſche um mich herum ſtanden, konnte ich den Urheber nicht ent— decken. Meine Angſt nahm zu, als zum dritten Male die Stimme in noch größerer Nähe erſchallte und ich auch das Weſen jetzt in der Finſternis gewahr ward. Wehe mir! ſo klagte es, die ich unglücklicher bin als die Sklaven in den unter— irdiſchen Kerkern der grauſamen Mauren! Wehe mir, die ich elender bin als diejenigen, die ihre Kinder vor ihren Augen zerfleiſchen ſehen! Jammervoller bin ich als alle, über die ein ſtrenger Richter das Todesurteil ſpricht! O du heilloſe Stelle! O du fluchwürdiger Baum! Ihr, die Zeugen von zwei Morden, die ich mit tauſend Leben zurückkaufen möchte! O warum flieht der Tod vor mir, da ich ihn ſuche?

Ich ſtand auf, und ſie blieb in meiner Nähe ſtehn, ohne ſich zu bewegen; ſagte aber, während ich heftig zitterte, zu mir: Du biſt vielleicht ein Schatten, aus dem Totenreiche herauf— geſandt, um mich in die Geſellſchaft meines Gatten und meines Freundes einzuführen? Biſt du von dort, ſo weißt du es wohl, wie hier an dieſer Stelle mein Geliebter, ohne meinen Willen, meinen Gatten ermordete, um mich ungehindert zu beſitzen, und daß hier an dieſem nämlichen Baume der Lie— bende, welcher mir noch zu meinem Troſte geblieben war, die Strafe ſeines Verbrechens erlitt. Sieh ihn dort über dir

hängen, ein Raub der Vögel!

Da der Tag ſchon dämmerte, blickte ich auf und ent— deckte das ſchreckliche Schauſpiel: den Gerichteten, deſſen Würmer über mein Geſicht gekrochen waren und die ich für Ameiſen gehalten hatte, und ſowohl davon, als von dem Anblick des f 57

verzweifelnden Weibes durch und durch erſchüttert, wäre ich faſt ohne Bewußtſein niedergeſtürzt. Aber tröſtlich drang jetzt der Ton von den Schellen und Glocken der Tiere des Eſel— treibers in mein Ohr, der ſchon aus dem Orte kam, und dem ich in der Nacht, ohne es zu wiſſen, entgegen gelaufen war; er hatte früher aufbrechen müſſen, um die Studenten wieder einzuholen. Die Unglückliche fuhr indeſſen in ihren Reden fort: Biſt du aber von dieſer Welt, ſo fliehe dieſen abſcheulichen Ort, ſtöre nicht meine Klage, die Nahrung meiner Verzweiflung, die ich jeden Morgen genieße. Die Unſelige durfte mich wohl für ein Geſpenſt oder eine Er— ſcheinung aus dem Grabe halten; denn aus Furcht waren meine Wangen eingefallen, das Geſicht war verlängert und die Farbe bleich; der Mangel an Schlaf hatte die Augen tief in den Kopf geſenkt, der Hunger den Hals lang gemacht, und die Ermüdung Arm und Beine erſchlafft; den Mantel hatte ich wie einen Turban um den Kopf geſchlagen, ſo daß ich in der Tat einen ſcheußlichen Anblick gewähren mußte. Ich war nicht imſtande, ihr ein Wort des Troſtes zu ſagen, weil ich deſſen ſelber bedurfte. Wie eingewurzelt, blieb ich vor dem Bilde des entſetzlichen Weibes ſtehen, immer betrachtete ich die großen roten Augen, die lange Naſe, das eingefallene Geſicht, die gelben Zähne, die blauen Lippen, den ausgemergelten Hals; ihre dürren Arme ſchienen mir gewundene Schlangen, und alles an ihr war furchtbar. Alle meine Glieder waren ohne Bewegung, doch ſchleppte ich mich endlich langſam wie ein Stier, dem man die Kniekehlen zerſchnitten, aus ihrer Nähe, die dunkle Nacht und Einſamkeit verwünſchend.

Elftes Kapitel.

So geriet ich auf den Weg, wo der Maultiertreiber mich fand und mit höflichen Worten ſeine Tiere anhielt, mit artigen 58

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Redensarten mich zum Aufſteigen einlud, und es ſehr be— dauerte, daß wir die Nacht ſo übel hätten zubringen müſſen. Ich fragte nach der Urſache dieſer Verwandlung, und die Frau erzählte mir, wie es zuſammenhing. Wir fanden bald die andern, und obgleich man mich fragte, wie es mir ergangen ſei, ſo ſagte ich doch nichts weiter, als daß ich mich verirrt habe. Ich verſchwieg aber mein Abenteuer, um nicht, weil es ſo ſeltſam war, ausgelacht zu werden, weil die übrigen hätten glauben können, ich wolle ihnen eine Lüge aufheften; darum bezwang ich meine Neigung, die ſehr ſtark war, ihnen die ſonderbare Begebenheit zu erzählen.

Wir ſetzten unſere Reiſe fort, ohne daß uns etwas Be— merkenswertes begegnete; ich war immer ſtill, und wenn man mich um die Urſache fragte, ſo antwortete ich, daß meine Art und Weiſe ſo ſei. Aber immer ſah ich noch das gräßliche Weib, den fürchterlichen Baum, die Frucht, die daran hing und das Lager voller Würmer vor mir, bis wir nach Salamanka kamen, wo die Größe dieſer Univerſitätsſtadt mich alles übrige vergeſſen ließ. Ich ſah nun jene berühmten Gelehrten, deren Ruf ſich über ganz Europa verbreitet hat. So lernte ich den Pater Mancio kennen, deſſen Name überall genannt wird. Ich ſah den Abt Salinas, den Blinden, den größten Gelehrten in der Theorie der Muſik, der jemals gelebt hat, nicht allein im diatoniſchen und chromatifchen, ſondern auch im harmo— niſchen Fache 28; dieſem folgte nachher in feiner Stelle Ber: nardo Clavijo, ein ebenſo großer Theoretiker als Praktiker, der jetzt Organiſt Philipps des Dritten iſt.

Vom Genuß des ſehr kalten Waſſers des Tormes und des dortigen köſtlichen Brotes befiel mich die Krätze, was allen ſtarken Eſſern begegnet; denn die ungewohnte Nahrung macht, unvorſichtig genoſſen, krank, namentlich in Salamanka; ſo wirkt die große Kälte und Leichtigkeit des Waſſers. Ich

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hatte mich mit diefem und dem Brote fo überfüllt, daß ich am Weihnachtstage in ein heftiges Fieber verfiel. Ich ließ den berühmten Doktor und Profeſſor Medina rufen, und das erſte, was er verordnete, war, daß er mir das Waſſer ver— bot. Ich wandte ihm ein, daß er auf mein choleriſches Tem— perament und mein entzündetes Blut Rückſicht nehmen möchte, und er antwortete mir, als wenn er einen überaus weiſen Spruch von ſich gegeben hätte: Man weiß es ſchon, daß der Doktor Medina den Kranken das Waſſer verbietet. Das Fieber nahm zu; er gab mir einige ſtärkende Arzneien, die gar nichts halfen; denn den Choleriſchen muß man im Fieber mit Waſſer, zur rechten Zeit getrunken, und mäßigen Aderläſſen zu Hilfe kommen: mir aber war das Waſſer ſo unterſagt, daß ich keinen Tropfen in meinem Zimmer haben durfte. Man ver: ordnete mir Bäder mit zwanzig verſchiedenen Sachen darin, und ſtellte zu dieſem Behufe eine Wanne in meine Stube. Ich war ſo ungeduldig und vom Durſte ſo gequält, daß ich aufftand, fo gut ich konnte, um Waſſer zu ſuchen, und da ich nirgends etwas fand, ſtieß ich auf die Wanne, die voll Waſſer war, ſo kalt wie Eis; ich tat einige ſtarke Züge, die mir den Leib ſo wie ein lateiniſches Segel bei rückwärtigem Winde aufblieſen. Bald aber ſtellte ſich eine ſolche Unruhe und ſolches Úbelbefinden ein, daß ich in ein heftiges Erbrechen verfiel, wodurch mir der Unterleib wieder ſo leer wurde, daß ich den Bauch übereinander falten konnte. Am Morgen kam der Doktor und ſah die Wanne voller als er ſie verlaſſen hatte; denn ich hatte in ſie das Donnerwetter entladen. Er erkundigte ſich nach meinem Befinden, und ich ſagte ihm, daß ich vor Hunger umkomme. Er unterſuchte den Puls und fand ihn ohne Fieber; ſehr verwundert über dieſe plötzliche Veränderung, rief er aus: O wundertätiges Bad! Nie iſt in der Welt ein beſſeres Mittel erfunden worden; ich habe es noch niemand gegeben, dem es nicht 60

äußerſt heilſam geweſen wäre. So werden fie es wohl, ſagte ich, ſo wie ich genommen haben? Dieſes Bad, ſagte der Doktor, belebt und erfriſcht, indem es die inneren und äußeren Teile ſtärkt. Und wie verordnet Ihr es denn andern? fragte ich. Lau, antwortete er, und den ganzen Körper von außen gebadet. So gebt es ihnen lieber kalt und zum Trinken, antwortete ich; denn ſo habe ich es ge— nommen, und es wird ihnen weit heilſamer ſein; worauf ich ihm den Fall erzählte. Er ſagte: Rectum ab errore! welchen Satz er fünf- oder ſechsmal wiederholte, vor Ver— wunderung ein Kreuz ſchlug und von mir ging, während ich geſund zurückblieb.

Zwölftes Kapitel.

Die Studenten könnten unmöglich all die Leiden und Drang— ſale überſtehen, welche ſie zu überwinden haben, wenn dieſe nicht in jene Zeit der Jugend fielen, in welcher man ſelbſt über das Unangenehmſte ſcherzen kann, ſo daß man gern erduldet, während der Geiſt ſich mit Kenntniſſen anfüllt, und mit der Ausſicht auf künftige Belohnung alle Übel erträglich ſcheinen. Aber dennoch muß ich geſtehen, daß meine natür— liche Ungeduld, zugleich mit der geringen Unterſtützung, die ich fand, oft die Kräfte meines Willens brachen, mich ſo anzuſtrengen, wie es wohl nötig geweſen wäre. Da die Jugend ſo viele Nahrung zum Wachstum und zur Erhaltung braucht, ſo iſt man in jenen Jahren nie geſättigt. Ich erinnere mich, daß, nachdem ich meine Portion verzehrt hatte, die ich am Freitiſch erhielt, ich noch ſechs Paſtetchen, deren jedes vier Maravedis koſtete, ohne Anſtand genießen konnte.

Einmal war ich und drei Freunde im Viertel von San Vincente in der größten Not; doch war ich derjenige, der noch am erſten einiges Geld hatte, weil ich Stunden im

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Singen gab, die mir freilich ſchlecht genug bezahlt wurden. Wir tröſteten uns gegenſeitig in unſerer Bedrängnis, und ich kann nicht umhin, einen Vorfall zu erzählen, der, wenn er auch zu geringfügig und unbedeutend ſcheinen ſollte, doch die Lage ſchildert, in welcher wir uns befanden. Eines Abends waren wir ſo ſehr ohne Geld und Geduld, daß wir halb verzweifelt aus dem Hauſe liefen; denn wir hatten kein Abend— eſſen, um den Hunger zu ſtillen, kein Licht, um uns zu leuchten, kein Feuer, um uns zu erwärmen, und es war eine Kälte, daß das Waſſer, welches auf die Straße geſchüttet wurde, gleich zu Kriſtall gefror. Ich war bei einem meiner Schüler, der mir ein paar Eier und ein kleines Brot gab; hiermit begab ich mich ſehr zufrieden nach Hauſe und fand meine Kameraden vor Froſt zitternd und halbtot vor Hunger, fo daß ſie gar nicht den Mut hatten, die Aſche umzurühren und einen Funken zu ſuchen. Ich ſagte ihnen, was ich mitbrächte, und ſie gingen, um einige Späne zu finden und die Glut wieder anzufachen. Sie kamen bald und ſehr vergnügt zurück, denn ſie hatten ein großes Stück Holz gefunden; dies legten ſie auf die wenigen Funken, die noch übrig waren, und nun blieſen wir alle drein, was wir nur vermochten, aber vergeblich, denn das Holz wollte nie in Brand geraten. Wir blieſen einer um den andern von neuem, aber das Stück entzündete ſich nicht, ſondern erfüllte das Zimmer mit einem ſtinkenden Dampf. Ich zündete an der geringen Glut ein Papier an, um das Gemach zu erhellen, und nun zeigte ſich's, daß das vermeintliche Holz das abgenagte Bein eines Maultiers war, welche Entdeckung uns alle mit würgendem Ekel erfüllte, ſo daß, hatten wir vorher nicht eſſen können, weil wir nichts beſaßen, wir jetzt, wo wir etwas hatten, vor Widerwillen nicht eſſen mochten. Damit war aber an jenem Abende unſer Un— glück noch nicht zu Ende; denn während wir vor der Tür 62

ftanden, weil wir den abſcheulichen Geſtank des Maultierholzes nicht ertragen konnten, ging der Corregidor Don Enrique de Bolaños, ein gar großer Herr, der für einen Spaß ſehr wohl zu haben war, mit der Wache vorüber. Dieſer fragte: Wer da? Ich zog ſogleich den Hut ab, machte eine tiefe Verbeugung und ſagte: Wir ſind Studenten, die von unſerm eignen Hauſe auf die Gaſſe geworfen ſind. Meine Freunde behielten die Hüte auf, ohne dieſem vornehmen Manne eine Höflichkeit zu erzeigen. Der Corregidor wurde unwillig und ſagte: Führt einmal dieſe groben Menſchen ins Gefängnis. Sie wollten ſich verantworten, ich aber ſagte mit der größten Höflichkeit: Ich bitte, gnädiger Herr, dieſe Armen nicht ins Gefängnis zu werfen, denn wenn Ihr ihren Zuſtand kenntet, würdet Ihr ſie nicht ſchuldig finden. Ich will doch ſehen, ſagte der Corregidor, ob ich ſolche Studenten nicht Höflichkeit lehren kann. Wenn man dieſen, antwortete ich, zu eſſen geben und den Froſt nehmen wollte, ſo würdet Ihr ſie höflicher machen als einen mexikaniſchen Indianer. Da er mir gern zuzuhören ſchien, ſo erzählte ich ihm unſer Abenteuer mit den Eiern und der Eſelfeuerung. Er lachte, und auf Unkoſten einiger Degen, die er vagabundierenden Scheinſtudenten ab— genommen hatte, füllte er ihnen den Magen mit Paſteten, Schweinefleiſch und Wein, und mir war er von dieſer Zeit an ſehr gnädig.

In dieſem Leben brachte ich drei bis vier Jahre zu, bis man mir eine Stellung am Collegio de San Pelayo gab. Damals waren dort Don Juan da Llanos de Valdes, der jetzt Mitglied des höchſten Rates der Ingquiſition tft, mit feinen gelehrten Brüdern, und der Herr Vigil de Quinnones, der durch ſeine Verdienſte das Bistum von Valladolid erhalten hat. Alle Sonnabend unterwies er uns im Disputieren, und ich war auf dem Wege, viel zu lernen, als die Not meiner Eltern und

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das Verlangen, ihnen hilfreich zu fein, mich abriefen; denn man ſchrieb mir, ich ſollte ein kleines Vermögen erben, das mir ein Verwandter vermachen wolle, oder die Stelle eines Kaplans erhalten.

Dreizehntes Kapitel.

Ich verließ Salamanka mit ſo wenig Geld, daß ich nicht anders als zu Fuß reifen konnte; da ich aber an die Eins ſamkeit der Sierra Morena dachte, auf welche man trifft, wenn man den Weg nach Hinojoſa nimmt, wo man fünfzehn Meilen machen muß, ohne je über einen Ort zu kommen, und zugleich auch, um Madrid und Toledo zu ſehen, ging ich über die erſtgenannte große Stadt, dann über Toledo und Ciudad Real, wo eine tugendhafte und vornehme Nonne, Donna Anna Carillo, für meine Aufnahme ſorgte und mir zur Fort— ſetzung der Reiſe half.

Als ich Ciudad Real verließ, ſtieß ich auf einen hübſchen jungen Menſchen, der ein Fremder zu ſein ſchien. Wir man: derten miteinander bis Almodovar del Campo, wo wir zwei feine Männer auf dem Wege einholten, die gemeinſchaftlich ein gutes Maultier hatten, und abwechſelnd darauf ritten. Wir fingen ein Geſpräch mit ihnen an, und es ſchien, daß ſie gern in unſerer Geſellſchaft bleiben wollten. Aus einzelnen Reden wurde mir deutlich, daß ſie es auf zwei Kaufleute anlegten, die mit einer ziemlichen Summe den Jahrmarkt von Ronda beſuchen wollten, was mir große Freude machte, weil mein Weg auch dahin gerichtet war. Gegen dieſe beiden Herren aber faßte ich Mißtrauen und ſah ihnen beſtändig auf die Finger und den Mund.

Wir kehrten in dasſelbe Wirtshaus ein, und da ich ſchon Argwohn gefaßt hatte, ſo verlor ich kein Wort von ihrem Geſpräche, indem ich mich ſchlafend ſtellte. Der eine von ihnen 64

ging unaufhörlich in der Schenke ein und aus, bis endlich die Kaufleute angekommen waren. Beim Anbruche des Tages mietete der eine von ihnen ein Tier zum Reiten und machte ſich voran, indem er zu einer gewiſſen Abſicht einen ſehr ſchönen Ring mit ſich nahm. Dieſer ging als Diener vorauf, und der zweite blieb als Herr zurück. Früh am Morgen ſattelte letzterer ſein Maultier und wartete ſorgſam, bis die Kaufleute aufbrachen. Als dies geſchah, machte er ſich mit großer Höflichkeit an ſie und fragte, wohin ſie reiſten? Und da ſie antworteten, daß ſie nach dem Jahrmarkt von Ronda gingen, ſtellte er ſich ſehr erfreut und ſagte: So habe ich denn mehr Glück, als ich mir vorſtellen konnte, da ich ſolche vor— nehme Geſellſchaft antreffe; denn ich reiſe zu demſelben Jahr— markte, um eine Herde von zwei- oder dreihundert Kühen zu kaufen, und da ich dieſen Weg noch nie gemacht habe, wenigſtens nicht weiter als bis Ventasnuevas, ſo habe ich ſchon Angſt wegen der Gefahren ausgeſtanden, die denen wohl zu begegnen pflegen, welche Geld bei ſich haben; da ich nun aber euch, meine Herren, angetroffen habe, werde ich ſehr wohl— gemut reiſen, ſowohl wegen der angenehmen Geſellſchaft, als auch wegen des guten Rates, den ihr mir dort werdet geben können, weil ihr in Kaufmannsgeſchäften geübter ſeid als ich. Sie verſprachen ihm alle Hilfe und Freundſchaft auf dem Jahrmarkte, weil ſie in der Stadt viele Bekannte hätten.

Dieſe beiden Schelme, die, wie ich ſah, der beiden Kauf— leute wegen auf der Lauer gelegen hatten, waren falſche Spieler ?7. Auf dem Wege wurde viel gelacht, denn der Spieler war ein großer Schwätzer und erzählte Geſchichtchen, mit welchen er ſeine Begleiter ſehr angenehm unterhielt. Um nicht den Ausgang der Sache zu verſäumen, lief ich ſo ſchnell mit, als mir möglich war, indem ich mich von Zeit zu Zeit am Steigbügel hielt; denn da ich erzählt hatte, daß ich auch 5 65

nach Ronda wolle und von dort gebürtig fet, fo warteten Die Kaufleute zuweilen auf mich, bis ich nachkam.

Als wir an eine gewiſſe Schenke gelangten, die das halbe Jahr über leer ſteht, auf der rechten Seite eines Abhanges, nahm der Spieler, während wir hinaufſtiegen, eine Art Zucker— werk aus ſeiner Taſche, welches, da es ſehr viel Gewürz ent— hält, den Durſt auf Büchſenſchußweite herbeiruft. Er gab jedem Kaufmanne etwas davon. Wir waren im Mai, und als wir an die Schenke kamen, die verfallen und ohne Menſchen war, wurden fie ſchon vom Durſt ſehr gequält, worauf der Spieler ſagte: Hier drin iſt eine ſehr friſche Quelle; wir wollen hineingehen, das Gebackene anzufeuchten, und wenn es euch gefällt, ſo habe ich hier einen Schlauch mit ſehr gutem Wein von Ciudad Real, womit wir unſern Durſt ſtillen können.

Sie ſtiegen ab, und der Spieler ging voran in die Schenke; er machte ſich an die Quelle, und während ihm die Kaufleute folgten, bückte er ſich, um zu trinken, und rief plötzlich mit großer Verwunderung aus: Ei, was find ich hier? Mit dieſen Worten hob er den Ring auf, den der Schelm, ſein Begleiter, bei dieſer Quelle hingelegt hatte. Ein allerliebſter Ring, ſagten die Kaufleute; gewiß muß er irgendeinem Ritter gehört haben, der ſich hier die Hände wuſch und ihn dann vergaß; jedermann würde ſich freuen, ihn gefunden zu haben. Wir alle drei, ſagte der Beutelſchneider, haben ihn gefunden, und er ſoll auch allen dreien gehören. Wie fangen wir das an? fragte der eine Kaufmann. Ihn auf ein Quinolaſpiel ſetzen, ſagte der Bes trüger, wenn wir nach der Schenke kommen; und wem ihn Gott dann gönnt, dem möge ihn Sankt Peter ſegnen. Vor: trefflich! ſagten die Kaufleute. Der Ring war anſehnlich ge— nug, die Habſucht zu erregen, denn er war rundum mit zwölf Diamanten beſetzt, die, wenn ſie auch nicht groß, doch von reinem Waſſer waren, und in der Mitte war ein Rubin, in 66

Form eines Herzens gejchnitten, und die Arbeit am Ringe überhaupt vortrefflich. Alle wünſchten ſich den Ring, indem die Kaufleute unterwegs viel über die Nachläſſigkeit desjenigen ſprachen, der ihn verloren hatte; und während der Schelm dieſen verſpottete, machte er tauſend Späſſe mit dem Ringe, um ihre Habſucht noch mehr zu erwecken.

Sie kamen in Ventasnuevas an, kehrten aber nicht in die erſte dieſer Schenken ein, ſondern begaben ſich zur zweiten, um dem Paſſe näher zu ſein. Sie ſtiegen ab, und der Beutel— ſchneider brachte ſeinen kleinen Schlauch mit dem alten feurigen Ciudad Real, dem ſie ſehr wohlgemut zuſprachen. In Eile aßen ſie nur eine Kleinigkeit, ſo gierig waren ſie alle auf den Ring, und noch mit dem Biſſen im Munde fragten ſie den Wirt, ob er ein Spiel Karten habe? Dieſer ſagte nein, der andere Spitzbube aber, der ſich dumm ſtellte, ſagte: Ich habe hier wohl etliche Spiele, die man mir in meinem Dorfe mit— gab; wenn man mir die bezahlt, will ich ſie wohl hergeben.

Zeigt her, ſagte der Beutelſchneider; ich und dieſe Herren werden ſie Euch gern bezahlen. Er gab ihnen ein ſchon zu— gerichtetes Spiel, und da der Saft des Ciudad Real ſich ſchon des Herzens bemeiſtert und den Kopf mit Dunſt angefüllt hatte, ſo waren ſie ſehr fröhlich und ſetzten ſich wohlgemut zum Spiele nieder. Der Spieler ließ ihnen erſt die Wahr— ſcheinlichkeit zu gewinnen, aber plötzlich hatte er die ent— ſcheidenden Karten, bemächtigte ſich des Ringes und ſtimmte ein lautes Freudengeſchrei an. Die andern waren hierüber empfindlich und ſagten: Laßt uns um Geld ſpielen! Der Spieler weigerte ſich anfangs liſtig und ſagte, er wolle ſein Geld oder die Rinder, die dafür gekauft werden ſollten, nicht in Gefahr bringen; endlich aber ließ er ſich überreden und ſpielte dennoch. Er verlangte, man ſolle ihnen von dem er— quickenden Schlauche zu trinken geben, der an einen kühlen se 67

Ort geftellt war, und nachdem fie ſich die Ohren erhitzt hatten, ſtreuten ſie die Geldſtücke wie Hagel umher, ſo daß ſie den ganzen Abend mit Spielen zubrachten. Einmal gewann der Schelm, ein andermal ließ er wieder die Kaufleute gewinnen, um ſein falſches Spiel zu verbergen; dann beklagte er ſich und ſagte: Ihr werdet mir heute abend noch vier- oder fünf— tauſend Taler abgewinnen, ſo ſehr bin ich auf das Spiel ver— ſeſſen!

Als ich und der junge Burſche in die Schenke traten, ſagte man uns, daß Leute zu Fuß dort kein Nachtquartier finden könnten. Mit Demut nahmen wir dieſe Nachricht auf und blieben, um nur ein wenig auszuruhen. Mein Gefährte fragte mich traurig: Was ſollen wir nun anfangen? Ich antwortete: Laßt mich nur machen; ich will die Wirtin ſo beſchwören, daß ſie uns nicht aus der Schenke werfen werden. Iſt ſie denn etwa beſeſſen oder eine Hexe? fragte er. Sie ſieht faſt ſo aus, war meine Antwort; meine Meinung iſt aber nur, die allgemeine Beſchwörung für Weiber bei ihr anzu⸗ wenden. Und welche iſt das? fragte er. Gleich werdet Ihr es ſehen, erwiderte ich.

Ich ging zur Wirtin, welche ein hinkendes und ſchlecht— gebautes Weib war; ihre Naſe war ſo klein, daß, wenn ſie lachte, man nichts davon gewahr wurde; die Augen waren. trübe und ſchmal, die Zähne lückenhaft und ſchwarz, ein An⸗ blick, abſchreckend genug, alle Vipern der Sierra Morena zu verjagen, ihr Atem roch nach Knoblauch und Wein; die Hände waren knotig, und ihre Kleidung war außerdem ſchmutzig genug. Trotz alledem ſagte ich zu ihr: Das muß doch ein böſes Schickſal geweſen ſein, welches eine ſo hübſche Frau, wie Ihr ſeid, hierher in dieſe Einſamkeit geführt hat. Ihr beliebt zu ſpaßen, Herr Student, ſagte ſie. Nein, wahrlich, antwortete ich, ſowie ich nur hereintrat, heftete ſich 68

mein Auge auf Euch, um nach der Ermüdung der Reife einen Troft zu ſuchen. Es iſt nicht recht, fagte fie, ſchlechten Anzug zu verſpotten. Das tu' ich auch gar nicht, ſondern Ihr kommt mir ſehr hübſch vor. Hübſch? ſagte ſie, daß Gott erbarm'! Da ich ſah, daß ſie anfing, mir zu glauben, fuhr ich fort: Was das für eine allerliebſte Art zu antworten iſt; alles paßt zu dem lieben Geſicht, und es iſt dieſelbe Luſt, zu hören wie zu ſehen. Wenn Ihr meine Schweſter kenntet, fagte fie, die in der Schenke von Arcolea Wirtin iſt, ſo ſprächet Ihr die Wahrheit; denn alle Reiſenden kehren da auf einen Trunk ein, bloß um ihre luſtigen Einfälle zu hören. Aber warum wohnt Ihr nicht näher an Cordoba? fragte ich. Mein Herr, antwortete ſie, ein Menſch hat Brot, der andere Not. Iſt es aber möglich, ſprach ich weiter, daß ſich noch niemand ſollte gefunden haben, der Euch aus dieſer traurigen Lage hätte helfen wollen? Sie antwortete: Jeder Menſch hat an ſeiner eigenen Naſe zu putzen. Wäre ich in der Lage, fuhr ich fort, ſo würde ich mir wahrſcheinlich eine Freude daraus machen, es zu tun; denn es tut mir weh, eine Frau von ſo ſchönen Gaben hier zwiſchen dieſen Bergen und Felſen zu ſehen. Nur ſtill, erwiderte ſie, mein Mann und ich nehmen denen Geld ab, die welches haben, und dann wird ſich bei Gelegenheit alles finden. Wenn mein Mann Euch heut abend vielleicht noch einmal ſagt, daß Ihr aus der Schenke ſollt, ſo geht nur nach der Hintertür des Hofes, die ich offen laſſen werde.

Sie ging weg, und mein Gefährte fragte: Nun, und die Beſchwörung? Was wollt Ihr denn noch für eine größere, erwiderte ich, als daß man ein ſolches Scheuſal, das ausſieht wie das Eingeweide einer Kuh, ſchön nennt?

Indem war die Nacht herbeigekommen, und die Kaufleute waren in Verzweiflung; denn durch die Kunſt des falſchen

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Spielers und durch die wiederholten Züge vom Ciudad Neal hatten fie alles Gold und Silber und auch die Geldkatzen, in welchen es aufbewahrt war, eingebüßt. Die Kaufleute wünſchten ſich zum Teufel und verwünſchten die Schenke und denjenigen, der ſie hineingeführt hatte, worauf ſie ſich nach der Schenke zurückbegaben, an der ſie erſt vorbeigegangen waren, um dort zu ſchlafen und dann nach Toledo zurückzu⸗ kehren. Der Wirt, der von den Ausgelernten war, hatte die Schelmerei wohl durchſchaut; ich aber konnte vor Unruhe nicht bleiben, wegen deſſen, was ich in der vorigen Nacht gehört und was ich jetzt geſehen hatte. Ich war entſchloſſen, die Spitzbüberei zu entdecken; denn wenn die Kaufleute umkehrten, ſo entging mir die Unterſtützung, die ſie mir auf der Reiſe verſprochen hatten; ich bedachte aber wieder, daß ich mich großer Gefahr ausſetzte, wenn ich den Spieler anklagte, da ich ihm ſeine Schelmerei doch eigentlich nicht ausdrücklich beweiſen konnte.

So ſchwieg ich gegen meinen Willen, und der Wirt, der ein ausgemachter Schelm war, verſtellte ſich und ſchwieg ebenſo, wie ich und der andere. Die Herren Spieler aber waren ſehr vergnügt, jedoch ſo geizig, daß ſie keinem für das Zuſchauen etwas gaben ?s, was beim Wirt das Verlangen vermehrte, ihnen ihren Gewinſt zu ſtehlen, und bei mir die Luſt, das Geld ſeinem rechtmäßigen Herren wieder zuzuſtellen. Der Wirt bezeigte, wie es auch ſein Ernſt war, eine große Freude darüber, daß die Kaufleute ſo geplündert worden waren, und indem er ihnen vielfältig Glück wünſchte, gab er den Spielern ein Gemach, das er fchon für die Kaufleute zurecht gemacht hatte, in welchem ſich ein großer, mit drei Schlüſſeln verſchließß⸗ barer Schrank befand. Dieſe Schlüſſel gab er ihnen, um ihr Geld und ihre Sachen zu verwahren. Der Schrank war von ſehr maſſivem Holz und von dicken Brettern; er war in die Wand des Stalles eingebaut, ſo daß ich nicht begriff, wie das Geld 70

aus einem Schranke könne geftohlen werden, der mit drei Schlüſſeln verſchloſſen ſei, und der auch auf keine Weiſe von ſeiner Stelle gerückt werden könne. Er ſprach heimlich mit ſeiner Frau und gab ſehr acht, ob man ihn auch nicht mit ihr ſprechen ſähe. Als die falſchen Spieler eine reichliche Mahlzeit von Rebhühnern gehalten und vielen Wein von Ciudad Real dazu getrunken hatten, begaben ſie ſich in ihr Gemach und riegelten ſich ſo ein, daß nicht einmal Hexen zu ihnen hätten kommen können.

Als nun ungefähr eine Stunde von der Nacht verfloſſen war, ſagte der Wirt: Diejenigen, die zu Fuß gekommen ſind, müſſen jetzt die Schenke verlaſſen, denn wir wollen in Ruhe ſchlafen. Der junge Menſch und ich gingen fort, und als wir um die Schenke herumgingen, fanden wir die Tür des Hofes offen und begaben uns in den Stall. Ich dachte nach, auf welche Weiſe jene jetzt den Spielern wohl einen Streich ſpielen könnten; denn in das Zimmer konnten ſie nicht hinein, weil es ſo gut verſchloſſen war; der Wandſchrank aber war ebenſo gut verwahrt; andere Räuber heranzuziehen und ſo mit Ge— walt einzubrechen, war ein gefährlicher Handel; ſie ſelber konnten jene aber nicht umbringen, weil die Fremden ſtärker waren als ſie; gar das Gemach zu unterminieren und in die Luft zu ſprengen war das Gefährlichſte von allem.

Ich konnte durchaus keine Möglichkeit entdecken; aber zwi— ſchen elf und zwölf, als die Fremden eben im tiefſten Schlafe lagen, kamen der Wirt und die Wirtin ganz leiſe herbeigeſchlichen, ſie mit einem Lichtſtümpfchen in der Hand; ohne alles Geräuſch fing der Mann an, einen Haufen Dünger wegzuräumen, der im Stalle an der Wand lag, wo die Spieler ſchliefen. Bald zeigten ſich nun die Bretter des Schrankes, die dem Zimmer zugleich zur Wand dienten. Ich ließ nichts außer acht und ſah, daß die Bretter des Schrankes oben in einigen Fugen

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liefen und unten mit Schrauben feftgemacht waren, Die genau in ihre Löcher paßten. Der Wirt entfernte dieſe Schrauben, und indem er ſie wegnahm, befahl er der Frau, das Licht zu beſeitigen, damit kein Schein in das Zimmer hineinfiele. Sie ging mit dem Lichte fort, und ich ſchlich mich ſacht an den Wirt heran, als er eben das Brett aufgehoben und die Geldkatzen ſchon in der Hand hatte, und ſagte ganz leiſe, nur zwiſchen den Zähnen hervor, zu ihm: Gebt mir nur die Geldkatzen her und ſetzt die Schrauben wieder ein. Er gab ſie mir, weil er mich für ſeine Frau hielt, und ich ging mit ihnen und meinem Gefährten aus der Hoftür, wozu wir Zeit genug hatten, weil er den Düngerhaufen wieder an ſeine vorige Stelle bringen mußte. Eine kleine Weile liefen wir, jeder mit ſeinem Geldbeutel, in der größten Eile zurück, nicht auf der großen Straße, ſondern auf einem Seitenwege, und mit ſo wenig Geräuſch, als nur möglich. Wir waren der andern Schenke beinahe ſchon gegenüber, nach welcher die Kauf— leute zur Nachtherberge zurückgegangen waren, als wir uns niederſetzten, um ein wenig auszuruhen; denn Furcht und Angſt vermehren die Ermüdung. Darauf ſagte ich zu meinem Ge— fährten: In dieſem erbeuteten Gelde ſchleppten wir die aller⸗ größte Lebensgefahr mit uns, wenn wir es behalten wollten; denn wir können nirgends hinkommen, wo man uns nicht weitläufig ausfragen würde, wie wir zu dem Gelde gekommen wären; und aus Habſucht und um etwas davon zum Lohne zu bekommen, würde jedermann den Gerichten Nachricht da— von geben, daß zwei junge Leute zu Fuß, ermüdet und hungrig, zwei große Geldbeutel beſäßen; und man würde uns mit der Folter zum Geſtändnis zwingen. Das Geld aber ver— graben wollen und etwa nachher abholen, iſt ebenſo ge— fährlich; denn wenn wir uns viel hier herumtreiben, iſt das Wahrſcheinlichſte, daß wir den Spitzbuben in die Hände 72

fallen, die uns Geld und Leben nehmen. Wie töricht wäre es alſo, um dieſes Metall Ehre und Leben auf das Spiel zu ſetzen? Vom erſten Augenblicke an war meine Abſicht, dieſe Summe ihren rechtmäßigen Beſitzern wiederzubringen, um nur den Anteil davon zu haben, den dieſe uns vielleicht, ohne Nachteil für unſer Gewiſſen, gönnen wollen. Alles dieſes ſagte ich, weil ich glaubte, bemerkt zu haben, daß ſich in dem jungen Menſchen eine leidenſchaftliche Begierde erzeugt hatte, dieſe Summe zu behalten. Er ſtimmte mir aber ſchließlich bei.

Wir begaben uns an die Schenke, und ſo früh es auch noch war, pochten wir doch heftig an das Tor, indem wir riefen, wir brächten den Herren Kaufleuten von Toledo, die hier wohnten, eine äußerſt wichtige Nachricht. Sie hörten uns und ver— mochten den Wirt dahin, daß er uns aufmachte. Man zündete Licht an, und wir traten mit unſerer Laſt in das Zimmer, wo wir, ohne ein Wort zu ſprechen, die Geldkatzen auf den Tiſch warfen, deren Klang die Kaufleute in ein ſtaunendes Entzücken verſetzte. Was iſt das? riefen ſie aus. Euer Geld, antwortete ich; denn man ſoll dem Kaiſer geben, was des Kaiſers iſt. Ich erzählte ihnen die Sache und riet ihnen, durch den Paß zu eilen, ehe die in der andern Schenke aufgeſtanden wären. Zu meinem Glücke kamen Maultiere an, die nach Sevilla zurückgingen. Die Kaufleute, erfreut und dankbar, mieteten für mich und den jungen Menſchen zwei Maultiere, und ſo kamen wir durch den Paß, ohne daß die in der Schenke uns bemerkt hätten.

Wir ſtiegen zur Höhe des Paſſes hinauf und begaben uns dann in die Schenke, die unten in der Tiefe liegt, wo wir alle Bequemlichkeit fanden und den ganzen Tag mit Ausruhen und Schlafen zubrachten.

Am Abend erfuhren wir, daß der Wirt, der von unſerm Diebſtahl nichts wiſſen konnte, ſeine Frau gemißhandelt habe,

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die es nicht fagen durfte, daß wir im Haufe geblieben waren; er geriet hierauf auf den Argwohn, daß die falſchen Spieler ihn auf irgendeine Weiſe überliſtet hätten, die er nicht ein— ſehen könne, und deshalb gab er der Hermandad von der Lebensweiſe dieſer Menſchen Nachricht, und daß ſie durch falſches Spiel zwei Geldkatzen gewonnen hätten. Die Her— mandad kam, fand aber weder das Geld noch die Beutel, von denen der Wirt geſprochen hatte, im Schranke; worauf ſie ihn für aberwitzig hielt, die Spieler aber für verdächtige Leute, weil ſie ſich noch ſo ſpät in der Schenke aufhielten, und das Weib für boshaft, weil es nicht Red' und Antwort geben wolle, und verurteilte ſie alle in die Gerichtskoſten, ohne dem Ge— heimnis auf die Spur zu kommen.

Wir freuten uns ſo ſehr über den glücklichen Erfolg, daß die Kaufleute alle Augenblicke die Erzählung hören wollten, um ſo mehr, da ſie mehr Geld in den Beuteln fanden, als ſie hinein getan hatten, und einer von ihnen ſagte im Scherz: das wolle Gott nicht, daß ich fremdes Geld mit mir nehmen ſollte; das muß unterwegs für Rebhühner und Kaninchen aus: gegeben werden! Das geſchah auch zum allgemeinen Ver— gnügen, und ſo ſetzten wir unſere Reiſe mit der größten Heiterkeit fort.

Vierzehntes Kapitel.

Wenn eine Reiſe auch noch ſo angenehm iſt, ſo verurſacht ſie doch oft eine gewiſſe Langeweile, die wir auf alle Weiſe zu zerſtreuen und uns zu unterhalten ſuchten. Die Maultier⸗ burſchen folgten ihrer Gewohnheit, und der eine machte Späße, der andere verſpottete die Reiſenden, ein anderer ſang alte Ro— manzen; wir ſuchten uns mit allem zu unterhalten, was ſich unſern Blicken darbot. Ein Schäfer begegnete uns, der ſeine Herde aus ſeinem Diſtrikt in einen andern trieb, und er ſowohl 74

wie feine Hunde ſchienen vor Durſt verſchmachtet; denn in der Sierra Morena ſind im Mai und den ganzen Sommer hindurch die Nächte zwar kühl, aber am Tage verbrennen die Bäume vor Hitze. Der gute Mann war ſo unwiſſend, daß, obgleich er Durſt hatte, er doch die Hunde angebunden hielt, damit ſie ſich nicht verliefen. Er fragte uns, ob wir nicht irgendwo Waſſer wüßten. Ich antwortete ihm: Ihr habt Hunde bei Euch und fragt noch nach Waſſer? Laßt ſie nur los, ſie werden bald welches finden. Iſt dem ſo? fragte ein Kaufmann. Es iſt eine bekannte und oft erprobte Sache, ant— wortete ich. Ich wendete mich zum Schäfer und ſagte: Bindet die Hunde oder einen von ihnen los und laßt ihn an einem langen Seile laufen, ſo daß Ihr ihm folgen könnt, und er wird bald eine Quelle, einen Bach, oder ein ſtehendes Waſſer finden. Der Schäfer tat es, er ließ ihm die Leine nach, und der Hund lief eine Anhöhe hinab, indem er die Schnauze aufreckte, und ſprang grade auf ein dichtes Gebüſch zu, das unten an einem Felſen war, wo er Waſſer fand, welches den Schäfer erfriſchte und der Herde gut zuſtatten kam.

Bei dieſer Gelegenheit, fing ich wieder an, will ich euch, meine Herren, eine Geſchichte mitteilen, die mir in Ronda ein ſehr verſtändiger und gebildeter Ritter erzählte, der Juan de Luzon hieß. Außer vielen andern liegen zwei kleine Ortchen in dem Gebirge von Ronda, von denen der eine Balaſtar, und der andere, wenn ich mich nicht irre, Chucar heißt. Zwiſchen dieſen beiden weidete ein mauriſcher Ziegenhirt ſeine Herde, und da ihn der Durſt ſehr peinigte, er aber kein Waſſer fand, auch keine Spur, wo er etwas antreffen möchte, ließ er einen Hund los, der nach einiger Zeit ganz durchnäßt und ſehr ver— gnügt zurückkam, an ſeinem Herrn hinaufſprang und ihn voller Freude liebkoſte. Der Ziegenhirt, hierüber verwundert, gab ihm reichlich zu eſſen und band ihn wieder an, um

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die Zeit abzuwarten, bis er wieder vom Durſte leiden würde. Nun nahm ihn ſein Herr an einer langen Leine und ließ ihn gehen, indem er ihm folgte; er mußte über Büſche und Steine ſpringen und ſich die Hände und das Geſicht zerkratzen laſſen; er folgte ihm aber durch alle ſchwierigen Stellen, bis er endlich zwiſchen dichtem Geſträuch in eine tiefe Höhle gelangte, die die Natur unterhalb hoher Klippen gebildet hatte, in welche durch einige Löcher ein ſchwacher Schimmer des Tages von oben fiel. In der Mitte der Höhle entſprang ein klarer Bach, welcher ſich in zwei Arme teilte. Der Maure trank und füllte ſeinen Schlauch an. Über die neue Entdeckung verwundert, verfiel er auf einen Gedanken, der ihm ſehr gut ſchien, ihn aber nachher das Leben koſtete: er verbaute nämlich mit Steinen den einen der beiden Bäche, wodurch er alles Waſſer auf die eine Seite trieb, um am folgenden Tage zu ſehen, was daraus werden würde. Er ging wieder zu ſeiner Herde, und am folgenden Tage zeigte ſich's, daß das Waſſer in Chucar ausblieb. Der Maure, der das Geheimnis wußte, begab ſich nach dieſem Ort und ſagte, daß, wenn man ihn gut bezahle, er das Waſſer, ja mehr als vorher, wieder: ſchaffen wolle; wobei er alles erzählte, wie es ſich zugetragen hatte. Die kurze Zeit, in der ihnen das Waſſer gemangelt hatte, bedrängte ſie ſo ſehr, daß ſie ihm zweihundert Dukaten gaben, wofür er ihnen nicht nur ihr Waſſer, ſondern auch das des nächſten Ortes verſchaffen ſollte. Er nahm ſein Geld und begab ſich in die Höhle, wo er das Waſſer frei ließ und alles nach dieſer Seite leitete. Da die Leute ihr Waſſer ſo reichlich ſtrömen ſahen und den Wankelmut und die Habgier des Ziegen⸗ hirten in Erwägung zogen, verfielen ſie darauf, damit die von Balaſtar ihn nicht mit einer noch größeren Summe be: ſtechen könnten, ihn zu erdroſſeln, wodurch ſie alles Waſſer behielten und der Maure ſein Leben verlor, ohne daß man bis 76

jetzt noch den geheimen Urſprung jener Quellen hat entdecken können. Es iſt aber noch heutzutage die Spur an Kieſeln und Steinen, daß ehemals dort ein Waſſerſtrom gelaufen ſei. Dieſe verborgene Höhle alſo fand die Naſe des Hundes.

Dieſe Spürkraft iſt außerordentlich, ſagte ein Kaufmann, da das Waſſer doch keinen Geruch von ſich gibt, und der Hund es demungeachtet ohne weiteres mit der Naſe, dem Organ des Geruches, entdeckt. Die Eigenſchaften und Talente des Hundes ſind überhaupt zu bewundern, denn ohne mich auf die vielen albernen Märchen von ihm berufen zu wollen, welche Treue, welche Anhänglichkeit, welche Gabe, wieder zu erkennen, zeichnet ihn aus!

Wenigſtens, ſagte ich, hat er zwei bewundernswürdige Tu— genden (wenn man ihnen anders dieſen Namen geben will), die, wenn die Menſchen ſie eben ſo feſt in der Seele, wie jene im Inſtinkt hätten, machen würden, daß ſie im beſtändigen Frieden lebten; und dieſe ſind die Demut und die Dankbarkeit.

Sehr richtig bemerkt, ſagte der Kaufmann. Da wir, fuhr ich fort, auf eine ſo edle Tugend, wie die Dankbarkeit iſt, gekommen find, fo will ich, bis wir nach Adamuz kommens, eine denkwürdige Sache vortragen, die dem Verfaſſer dieſes Buches begegnete, als er einmal von Salamanka kam. Die Studenten in Salamanka hatten ſich zerſtreut, wegen gewiſſer Händel, die der Corregidor D. Enrique de Bolanos mit der Univerſität oder vielmehr mit den Studenten, einem lebhaften, leicht erregbaren Völkchen, bekommen hatte, und da alle Stu⸗ denten die Stadt verließen, ſo entfernte ſich der Autor auch mit den übrigen, um ſich nach ſeiner Vaterſtadt zu begeben, da die Vakanzen überdies ſehr nahe waren. Seine Dürftigkeit war aber ſo groß, daß er auf apoſtoliſche Weiſe die Reiſe zu Fuß machen mußte. Eines Tages kam er, als es ſchon Abend werden wollte, an die Schenken von Murga, und da man ihn

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nicht aufnehmen wollte, weil man fich von ihm keinen Vorteil verſprechen konnte, ging er einſam weiter, und ſang, um ge— wiſſermaßen in Geſellſchaft zu ſein. Es kamen vier Menſchen mit Armbrüſten auf ihn zu und fragten ihn, woher er komme. Er antwortete: Von Salamanka. Bleibt Ihr denn nicht in den Schenken? fragten ſie. Er antwortete: Da ich kein Geld und kein Reittier habe, man ſich alſo keinen Vorteil von mir verſpricht, ſo hieß man mich aus der Schenke gehen. Der kleinſte von den Schützen ſagte hierauf: Wir fragen Euch nur, Herr Student, um zu erfahren, ob nicht jemand hinter Euch kommt, der uns Wild abkaufen möchte? Denn deſſen haben wir im Überfluß, aber wenige Käufer. Er wendete ſich zu ſeinen Begleitern und ſagte: Großes Mitleid hat mir die grauſame Behandlung erregt, die ſich die Schenkwirte gegen Fußgänger erlauben, und noch mehr, da ich die Not dieſes Studenten geſehen habe; laßt ihn uns in unſere Behauſung führen; Gott wird uns wohl einmal dieſes Werk der Barm⸗ herzigkeit vergelten. Beſſer wäre es, ſagte der eine (was der Autor aber erſt nachher erfuhr), ihn umzubringen, damit er nicht ſagen könne, daß er auf uns geſtoßen ſei, und dadurch die Reiſenden verſcheuche. Das Bürſchchen überredete ſie aber doch endlich, daß ſie ihn mit ſich nahmen; denn dies ſchien ihnen für ihren Handel das ſicherſte. Er ging mit ihnen, oder vielmehr ſie ſchleppten ihn durch dichte Geſträuche, Finſterniſſe und verwickelte Steige, voller Hinderniſſe und Schlangengänge. Es war Nacht; Waſſerfälle, die ſehr hoch herabſtürzten, rauſchten gewaltig, ein heftiger Sturm ſchüttelte brauſend die Bäume, und der Student fürchtete bei jedem Schritte, von dieſen wilden, bewaffneten Menſchen in die ſchreckliche Tiefe hinabgeſchleudert zu werden. Drum heftete er andächtig ſeine Augen an den Himmel, während er auf der Erde ſtolperte; aber dennoch war er mutig und zeigte in ſeinem Geſpräche keine Spuren 78

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von Furcht. Endlich gelangten fie in ihre Wohnung, die mehr der Aufenthalt wilder Tiere, als eine menſchliche Behauſung zu ſein ſchien; und indem ſie einen Haufen Kohlen umrühr— ten, die von gutem Eichenholze waren, zündeten ſie einige Kienſpäne an, die ihnen die Nacht über hinlängliches Licht ver— liehen. Das Abendeſſen war ſehr gut und beſtand aus Wild— bret. Er gab ſich alle Mühe, ſich bei ihnen beliebt zu machen: bald erzählte er ihnen Märchen, dann unterhielt er ſie wieder mit Geſchichten, oder er lobte ihre Lebensweiſe in dieſer Ein— ſamkeit, vom Getümmel der Menſchen entfernt. Er ſagte ihnen, die Jagd ſei eine Beſchäftigung für Ritter und große Herren, und ſie müßten wohl, nach ihrer Vorliebe dafür zu ſchließen, von guter Familie abſtammen. Wenn irgendeiner eine Dummheit ſagte, ſo pries er ſie außerordentlich als einen vorzüglichen Einfall. Dem einen ſagte er, daß er ein gutes Geſicht habe, den zweiten lobte er ſeiner Füße wegen, am dritten rühmte er den Verſtand, und den vierten wegen ſeiner klugen Art, ſich auszudrücken. Nach dem Abendeſſen gaben ihm dieſe Geldkatzenjäger zwei Felle, um darauf zu ſchlafen; und vor Tagesanbruch, damit er nicht bei der Helle von ihnen ginge, gaben ſie ihm Frühſtück, und während der junge Menſch, der kleinſte von den vieren, ihn auf den Weg brachte, ſagte er ihm, in welcher Gefahr er ſich ohne ſeinen Beiſtand be— funden haben würde; zugleich bat er ihn, zur Vergeltung nieman— dem zu ſagen, was ihm begegnet ſei. Der Student dankte ihm und ging ſeine Straße, indem er ſich oft umſah, weil er ſich noch nicht ganz ſicher vor ihnen glaubte. Wenn ihm ein Reiſender begegnete, ſagte er ihm, daß er jenen Weg nicht gehen möchte, denn ihn habe eine ſehr große Schlange ver— folgt; etwas anderes wagte er nicht zu ſagen, weil es ihm war, als wenn ſie ihn hören könnten. Nachdem dieſer Mann um die Erzählung abzukürzen durch Spanien und außer—

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halb Landes länger als zwanzig Jahre gewandert war, kam er in den Beruf, den Gott für ihn beſtimmt hatte: er begab ſich in ſein Vaterland, Ronda, wurde Prieſter, indem er die Stelle eines Kaplans bekleidete, mit welcher ihn der hochweiſe König Philipp der Zweite begnadigte. Zwei- oder dreiund— zwanzig Jahre nach jener Begebenheit mit den Straßenräubern war man im Aufſuchen von drei berüchtigten Spitzbuben bez griffen, von denen man erfuhr, daß ſie ſich in Ronda auf— hielten. Sie bedienten ſich, um zu ſtehlen, der Liſt, daß ihre Weiber (denn fie waren alle verheiratet) Kleinigkeiten verkauf: ten; dieſe liefen mit ihren Waren in die Häuſer, betrachteten alle Gelegenheiten genau, und beſchrieben nachher den Män— nern das ganze Haus, welches dann am Morgen ausgeraubt war. Dieſe geheime Bezeichnung der Diebe kam nach Ronda; man bemächtigte ſich ihrer, und ſie wurden in das Gefängnis geführt, auf Befehl des Lizentiaten Morquecho de Miranda, welcher damals die Stelle des Corregidors vertrat, weil er oberſter Alkalde war. Dieſer ließ ihnen die Tortur geben, worauf ſie alles bekannten; er bat den Autor, ihre Beichte zu hören, und indem dieſer ſich dem einen von ihnen näherte, fühlte er eine beſondere Ahnung in ſeinem Innern, und ſo— wie er ihn näher betrachtete, fand er, daß es derſelbe ſei, der ihm in der Sierra Morena das Leben gerettet hatte. Er dachte über die Möglichkeit nach, wie er ihm ſeine Wohltat vergelten könne; und da es ihm ſchien, daß der Handel ſchon zu weit gediehen ſei, um für einen Menſchen zu bitten, der durch ſein eigenes Geſtändnis überführt war, ging er zum Richter und ſagte ihm, daß, wenn er dieſen hinrichten ließe, er das Mittel, große Geheimniſſe zu erfahren, verlieren würde. Der Richter übergab die beiden andern dem Tode, ließ dieſen aber noch leben, damit er jene Geheimniſſe entdecken ſollte, von denen ihm der Beichtvater geſagt hatte, und als er dieſen 80

drängte, daß er den Miſſetäter dazu bewegen folle, ſprach der Beichtiger: Gnädiger Herr, erſchüttert von Mitleid, und von Dankbarkeit bewogen, erſann ich das, was ich Euch geſagt habe. Dieſer Menſch hat mich vom Tode errettet, und nun möchte ich ihm dieſe Wohltat vergelten. Da den Richter das Mitleid ebenſo ſchön ziert, als die Gerechtigkeit, ſo bitte ich Euch um Gottes Barmherzigkeit willen, Euch das Schickſal eines ſo mitleidigen Menſchen, wie dieſer iſt, erbarmen zu laſſen. Er antwortete: Ich denke nach, wie ich Eurer Bitte und meinem Amte Genüge leiſten, und zugleich gegen dieſen Men— ſchen gütig ſein kann, der es ſeines Mitleids wegen wohl ver— dient. Nach den Geſetzen des Königreichs iſt uns nämlich er— laubt, in Kriminalfällen die Todesſtrafe in Galeerenſtrafe zu mildern; da ich nun ſehe, wie viel Euch daran liegt, ihm, der Euch Gutes tat, Eure Dankbarkeit zu beweiſen, ſo will ich mich dieſes Geſetzes bedienen und ihn auf die Galeeren ſchicken, wo er ſeine Sünden büßen mag. Der Prieſter dankte fußfällig Gott und dem mitleidigen Richter. Er brachte hier— auf dem ſchon faſt Geſtorbenen dieſe Nachricht, wodurch er vom Tode wieder zum Leben kam, und der Autor war ſehr zufrieden daß er auf dieſe Weiſe ſeine Dankbarkeit hatte zeigen können. Eine höchſt ſonderbare Begebenheit, ſagten die Kaufleute.

Indem zeigte ſich uns Adamuz, ein anmutiger Ort am Ende der Sierra Morena, unter der Gerichtsbarkeit des Mar— quis del Carpio; zugleich zeigten ſich auch die fruchtbaren Gefilde von Andaluſien, im Altertume ſo hoch wie die elyſäi— ſchen Felder, der Ruheplatz der Seligen, gefeiert. Wir kehrten ein und ruhten dieſe Nacht in Adamuz.

Fünfzehntes Kapitel.

Am folgenden Tage mußte ich mich (da mich gewiſſe Rück— ſichten zwangen, den Umweg über Malaga nach Ronda zu 6 81

machen) von den Kaufleuten trennen, indem ich über Carpio ging. Sie waren gegen mich ſo gütig, daß ſie mir Geld gaben und mir einen von ihren Maultierhengſten überließen, indem fie feſt darauf vertrauten, daß ich ihn zur rechten Zeit zum Jahr— markt wieder brächte; ſie aber reiſten mit jenen zurückkehrenden weiter, von denen ich bis jetzt auch eins gebraucht hatte. Mein jetziges Maultier war ſo wild, daß es ſich weder beſchlagen, noch ſatteln ließ, und zuweilen warf es ſich auf den Boden. In der Geſellſchaft hatte es ſeine Bosheit weniger merken laſſen; jetzt aber, als ich aus dem Orte ritt, und es ſich allein ſah, zeigte es ſeine Tücken und warf ſich mit mir in die erſte Pfütze, ſo daß eins meiner Beine unter ihm zu liegen kam. Hätte ich mich nicht im Fall plötzlich auf die andere Seite geworfen, ſo hätte ich großen Schaden nehmen können; ſo aber konnte ich mich erheben, und indem ich das Tier gegen ſeinen Willen ein Weilchen am Zügel führte, verlor ſich der Schmerz, wodurch ich zugleich die Erkältung vermied, die mir drohte, wenn ich mich nicht bewegte. Jetzt ſah ich ein, welch verwünſchtes Tier ich zu meinem Fortkommen hatte; ich nahm daher einen Knüttel, um mir mit einem Mittel zu helfen, welches ich von alten Reitern hatte empfehlen hören. Ich gab ſehr genau auf den Augenblick acht, da es ſich wieder hinwerfen wollte, und indem es ſtürzte, ſchlug ich ihm mit ſolcher Ger walt auf die Stirn zwiſchen den Augen, daß es das Weiße hervordrehte, als es dalag; ich erſchrak, denn ich glaubte wirk- lich, daß ich es totgeſchlagen hätte; ich nahm aber ſchnell etwas Brot, das ich ihn Wein tauchte und gab es ihm, worauf es ſich wieder erholte und von nun an ſo gebeſſert zeigte, daß es ſich auf meiner übrigen Reiſe niemals wieder niederwarf, wenn es auch einladende Stellen fand. |

Ich ſetzte meinen Weg fort, und als ich an ein kleines Gebüſch vor Carpio kam, welches am Ufer des Guadalquivir 82

liegt und voller Kaninchen und andern Wildes iſt, ftieg ich, eines dringenden, natürlichen Bedürfniſſes wegen, ab. In dem: ſelben Augenblicke aber ſcheute das Maultier und lief davon, von dem Geräuſche erſchreckt, welches eine große Schlange und ein Fuchs erregten, die aus einem dichten Gebüſche ſchoſſen, welches hart am Wege war. Wahrſcheinlich kamen beide aus einer Höhle, denn die Schlange verträgt ſich mit keinem andern Tiere, außer mit dem Fuchs. Der Fuchs lief nach einer Seite fort, und die Schlange auf der andern dem Mauleſel nach, den ſie, wie ich nachher von Vorübergehenden erfuhr, verfolgte, weil man ihr die Gefährtin getötet hatte. Ich warf mit einem Steine nach ihr und glaubte nicht, daß dieſer Wurf, der ihr Rückgrat traf, die Folge haben könne, die er hatte; denn die Schlange wandte ſich nun mit ſolcher Wut nach mir um, daß wenn ich nicht auf die andere Seite des Weges hinüber geſprungen wäre, ſo daß dadurch eine große Strecke Sandes zwiſchen uns war, es mir übel ergangen wäre. Im Sande aber konnte ſie ſich mit ihren Schuppen, die ihr als Füße dienen, nicht ſo ſchnell fortwälzen als auf dem harten oder glatten Boden, und darum wagte ſie es nicht, über den Weg zu gehen. Nun aber liefen wir beide, ich auf der einen, ſie auf der andern Seite der Landſtraße, indem ſie den Kopf höher als eine Elle über der Erde erhob, und die Zunge hin und wieder ſchnellte. Ich hatte das Maultier ganz vergeſſen und ängſtigte mich nun wegen der Schlange, ſo daß ich den Atem verlor, matt und in Schweiß gebadet war. Die Schlange ziſchte nicht in hohen ſpitzen Tönen, ſondern es war ein fortwährendes, tiefes und heiſeres Gurgeln, wie wir Spanier das X ausſprechen. Jetzt kam ich zu einer Stelle, wo viele Steine auf dem Wege lagen. Ich ſtand ſtill, ſowohl um auszuruhen, als auch mich mit Steinen zum Wurf zu verſorgen. Als ſie aber meine Furcht ſah, wollte ſie über den Sand gehen, um mich anzugreifen,

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wodurch ich Hoffnung faßte, mich von ihr zu befreien: denn fie konnte ſich jetzt nur langſam bewegen, und ich ſammelte meinen Mut und warf ſo viele Steine nach ihr, daß ich ſie faſt darunter begrub. Mit einem Wurf gelang es mir, ſie an der Stelle oberhalb des Schwanzes zu treffen, wo die hauptſäch— lichſte Bewegung iſt, ſo daß ſie ſich nicht mehr rühren konnte; hierauf ging ich näher und zerſchmetterte ihr mit andern Steinen den Kopf. Dann ſetzte ich mich nieder, um auszuruhen. Es kamen zwei Männer vorüber, die nach Adamuz gingen; dieſe erzählten mir, was ich oben ſagte; ſie maßen die Schlange und fanden, daß ſie länger als zehn Fuß und dicker als eine gewöhnliche Fauſt war. Sie öffneten ſie und fanden zwei recht ſtattliche junge Kaninchen in ihr.

Jetzt machte ich mich eilig auf, um mein Maultier wieder zu ſuchen, nachdem ich mich ein wenig erholt und mir den Schweiß vom Geſicht gewiſcht hatte. Ich lief am Ufer des Guadalquivir hinauf, aber niemand konnte mir Nachricht Daz von geben. Ich trug meinen Mantel, den Degen, ein kleines Felleiſen und den Vorratsbeutel; denn alles, außer dem Sat: tel, den es unter dem Bauche trug, hatte das Tier abgeworfen. So, mit allem bepackt, was das Maultier hatte tragen ſollen, mußte ich noch die Neckereien aller derer ertragen, die mich ſo in ein Poſtpferd verwandelt ſahen. Ehe ich über den Fluß ging, ruhte ich ein wenig aus und ſah dort am Ufer eine ungez heure Anzahl von Kaninchen, welche ſcharenweiſe kamen, um zu trinken. Ich ging über den Fluß und trat, um mich zu erholen, in ein Haus ein, welches außerhalb des Ortes liegt, wo man mir auch von dem Unglückstier keine Nachricht geben konnte, obgleich ich dem Finder eine Belohnung verſprach.

Ich erquickte mich, ſo gut ich konnte, durch Speiſe, Trank und Ruhe. Dann ſtellte ich mich in die Haustür, um viel⸗ leicht meinen Mauleſel oder einen Menſchen zu ſehen, der mir 84

fagen könnte, was aus ihm geworden ſei. Ich betrachtete jenes Gefilde, das bezüglich der Fruchtbarkeit, des milden Himmels, der Schönheit der Erde und des Waſſers das lieb— lichſte iſt, welches ich in ganz Europa geſehen habe.

Ich erfuhr an dieſem Tage von dem Maultiere nichts, und blieb dieſe Nacht in dem Hauſe dort, ohne Hoffnung, es je— mals wieder zu finden.

Sechzehntes Kapitel.

Am folgenden Tage ging die Sonne mit einem Lichte auf, das zwiſchen Grün und Gelb ſpielte, ein Zeichen, daß Regen kommen würde, und ich war immer noch ohne meinen Maul— eſel. Um neun oder zehn Uhr ging ich in den Ort und ſah, daß ein Zigeuner ein Maultier verkaufte, das Schwanz und Mähne mit Bändern durchflochten und ſehr aufgeputzt trug, mit Saumſattel und dem übrigen Zubehör, indem er ſehr die Ruhe und Sanftmut des Tieres mit tauſend betrügeriſchen Worten herausſtrich. Der Zigeuner pries das Tier in ſeinem Kauderwelſch fo ſehr, daß einige ſchon Luft bezeigten, es zu kaufen. Ich ging näher und ſah, daß es die Farbe des meinigen hatte; aber ich konnte es unmöglich für dasſelbe halten, da es ſo ſanft und ruhig war, und an Mähne und Schweif um ſo vieles jünger. Ich ſah, daß es ſich allenthalben anfaſſen ließ, ohne zu ſcheuen, ſo daß ich es mir nicht durfte einfallen laſſen, daß es das meinige ſein könne. Ich ging aber heimlich auf der einen Seite herum und ſtellte mich, während der Zigeuner hinten war, gerade vor den Mauleſel, und ſowie er mich ſah, ſpitzte er die Ohren, entweder weil er mich wieder erkannte, oder aus Furcht, die er vor mir hatte. Ich erſtaunte über dieſe plötz— liche Verwandlung und war nun überzeugt, daß es wirk— lich mein Maultier ſei. Ich wußte nicht, wie ich es wieder— bekommen ſollte, da ich keine Zeugen oder Beweiſe herbeibringen

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konnte; daher wagte ich nicht, es laut zu jagen, daß es ges ſtohlen ſei. Iſt es möglich, ſagte ich zu mir ſelber, daß die Zigeuner ſo große Schelme ſein können, daß ſie in weniger als vierundzwanzig Stunden dieſen Mauleſel ſo verändert haben, daß ich ihn ſelbſt nicht gleich erkannte; daß ſie ihn ſanfter machen konnten als ein Lamm, da er doch böſer als ein Tiger iſt, und daß ich jetzt durchaus nicht weiß, wie ich meine ge— rechte Sache durchführen ſoll? Ich beſann mich ein wenig und ging dann mit den übrigen heran, das Tier zu beſehen; ich lobte es ſehr und fragte, ob es ein galiziſches ſei. Der Zigeuner antwortete: Mein Herr verſteht ſich ſehr gut auf die Tiere und hat gleich geſehen, daß dies das beſte iſt, das in ganz Andaluſien auf vier Beinen läuft; aber es tft nicht aus Ga: lizien, ſondern von Illescas, wo ich es gegen ein kardoveſiſches Pferd vertauſchte: ich habe auch das Zeugnis darüber. Das wird ein falſches ſein, ſagte ich zu mir ſelber, während er den Schein vorwies. |

Jetzt fiel mir ein Mittel ein, das Tier leicht wieder zu erhalten. Ich näherte mich einem Hidalgo, den ich von allen umher mit Hochachtung behandeln ſah, und ſagte zu ihm: Mein Herr, dieſes Maultier hat mir dieſer Zigeuner ge— ſtohlen, und obgleich es jetzt anders aufgezäumt iſt, ſo iſt es doch zum Sattel gewöhnt; das Zeugnis, welches der Menſch vorzeigt, iſt falſch.

Worauf der Hidalgo zu mir ſagte: Beſinnt Euch, Herr Student, denn wir kennen hier dieſen Zigeuner ſchon lange, und wir haben ihn immer wahrhaft befunden. Diesmal aber, antwortete ich, hat er ſich nicht ſo betragen; wollt Ihr mir ſo gefällig ſein und die Mittel anwenden, um welche ich Euch bitte, ſo wird ſich die Wahrheit meiner Ausſage bald beſtätigen. Ihr wollt das Tier kaufen, weil es ſo ſanft heit aber es iſt ſchlimmer als ein Teufel.

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Diefe Sanftmut und Frommheit, fragte der Hidalgo, wäre ihm alſo nicht natürlich? Nein, mein Herr, antwortete ich, denn ſie haben das Tier betrunken gemacht! Es gibt kein ſo wildes und ſcheues Vieh, das nicht wie ein Schaf würde, wenn man ihm in Güte eine Kanne Wein beibringt oder ihm dieſe mit Gewalt in den Leib gießt; darum tut, mein Herr, worum ich Euch bitten will, und Ihr werdet Euren Irrtum aufgeben und einſehen, daß das Tier böſe und das meinige iſt. Seid ſo gefällig und ſtellt Euch, als wenn Ihr es kaufen wollt, und ſagt dabei das und das, worauf ich ihm in das Ohr ſprach und ihm vorſchlug, wie er ſich zu verhalten habe. Nachdem der Hidalgo von allem unterrichtet war, ging er zum Zigeuner, betrachtete das Maultier noch einmal und ſagte: Das Tier gefällt mir ſehr, und ich möchte es wohl kaufen, wenn es nur Sattel und Zaum hätte, denn ich muß eine weite Reiſe machen. Der Zigeuner war hierüber ſehr erfreut und brachte den Reitſattel und den Zaum herbei, ſagte, das Tier ſei der ſtärkſte Läufer der Welt, und daß man ihm nur den Saum— ſattel aufgelegt habe, weil man geglaubt, daß es ſich ſo auf dem Lande ſchneller verkaufen würde. Als der Hidalgo den Sattel und Zaum ſah, fand er, daß es dieſelben Stücke ſeien, die ich ihm beſchrieben hatte, und da er dem noch weiter folgte, was ich ihm heimlich geſagt hatte, nahm er das Tier mit nach Hauſe, indem er dem Zigeuner ſagte, daß er es verſuchen wolle. Er hielt es in ſeinem Hauſe ein— geſchloſſen, bis die Dünſte des Weines verraucht waren. Dann ließ er den Zigeuner kommen und befahl ihm, das Maultier zu beſteigen und eine Viertelmeile vor den Ort hinauszureiten. Dieſem wurde es, ſo behende er war, ſehr ſchwer, hinauf— zukommen, weil ſich das Tier ſo unbändig bezeigte, welches nun, da es die Sanftmut verloren, die ihm der Wein gegeben hatte, wieder zu ſeiner natürlichen Wildheit zurückgekehrt war.

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Als man es aus dem Haufe ließ, flog es wie der Wind dahin und ſtürzte gleich in dieſer Furie mit dem Zigeuner zur Erde, deſſen Bein unter ihm zu liegen kam, und warf ſich ſo umher, daß die ganze Geſchicklichkeit des Zigeuners nötig war, damit ihm ſein Bein nicht zerbrochen wurde. Der Hidalgo, der nun ſchon von der ganzen Schelmerei überzeugt war, kam mit Lachen hinzu und ſagte: Was iſt das, Freund Maldonado? Herr, ſagte der Zigeuner, da es zu leicht bepackt und ſchlecht beſchlagen iſt, iſt es gefallen. Der Hidalgo lachte noch mehr und ſagte: So hebt ihm die Füße auf; wir wollen ſehen, ob es neue Eiſen nötig hat. Er hob ihm das eine Bein auf, und das Tier gab ihm einen ſolchen Schlag auf die linke Backe, daß Huf und Nägel darauf abgeprägt wurden. Da ſagte der Hidalgo: Ein Tier, das man noch nicht lange hat, kennt man auch noch nicht genug, Freund Maldonado; hättet Ihr es länger beſeſſen, würdet Ihr weder Euch noch uns getäuſcht haben. Aber ungerechtes und fremdes Gut kommt dem Beſitzer niemals zuſtatten. Ihr wollt das Tier beſchlagen, aber es hat Euch beſchlagen; geſtern habt Ihr es auf: gefangen, und heute wollt Ihr es uns verkaufen. Ich ſehe, daß Ihr auch ein Zauberer ſeid, weil Ihr ſeit geſtern habt von Illescas kommen können.

Gnädiger Herr, ſagte der Zigeuner, ich habe wie ein Zi— geuner gehandelt, und Ihr müßt mir wie ein Ritter ver— geben: es zeigt fic) nun wohl, daß der Herr da ſich auf Maul⸗ tiere verſteht.

Da nun der Diebſtahl ganz offenbar entdeckt war, gab man mir mein Maultier, und ſo machte ich mich auf den Weg nach Malaga, indem ich über Lucena ging. Hier kam ich ziemlich fpát an, ruhte aus und ein Weniges. Ich hatte mir vorgenommen, dieſen Abend noch nach Benamexi zu kommen; ich kannte aber den Weg nicht und mußte mich nach der Be— 88

fchreibung richten, die man mir gemacht hatte. Die Meilen waren länger, als ich mir vorgeftellt hatte, die Wege kotig, weil es die Nacht vorher ſehr ſtark geregnet hatte. So ſehr ich auch mein Maultier antrieb, ſo überfiel mich doch die Nacht, als ich noch eine Meile von einem kleinen Fluſſe ent— fernt war, der zwiſchen Lucena und Benamexi fließt. Ich war in Verlegenheit, weil die Nacht ſehr finſter war, ich keinen Boten hatte, mir auch kein Menſch begegnete, den ich nach dem Wege fragen konnte, denn es war Sonntag, und alle Bauern blieben in ihren Häuſern. Endlich aber, im langſamen Schritt, indem ich oft ſtolperte und manchmal fiel, kam ich an den Fluß. Als ich hinüber geritten war, fand ich auf der andern Seite keinen Weg; denn die Bauern dort haben die Gewohn— heit, um die Reiſenden abzuhalten, ihnen über die Saat zu gehen, daß ſie da zu graben pflegen, wo die Reiſenden ſich gewöhnlich ihre Fußſteige machen. So gut es anging, arbeitete ſich mein Maultier aus dem Fluſſe heraus und kletterte dann zur rechten Hand einen Hügel hinauf, wo Steige für Schafe oder Ziegen waren. Es ging ſo hoch hinauf als möglich, doch der Hügel war ſo ſteil, daß, wo der Steig aufhörte, es weder vor- noch rückwärts konnte. Ich ſah mich in großer Gefahr; denn wenn ich mit dem rechten Fuß abſteigen wollte, ſo ſtürzte ich wahrſcheinlich den ganzen Berg hinab, bis in einen ſalzigen Bach, wo ich noch von Glück ſagen konnte, wenn ich mit einem Kopfe voll Beulen davonkam. Ich gab daher dem Maultier die beſten Worte, ſich ruhig zu halten, bis ich verkehrt abgeſtiegen wäre; indem ich mich aber anſchickte, es den Pfad hinunterzuleiten, den wir heraufgeklommen waren, fiel es vor Müdigkeit nieder, und weil der Berg ſo ſteil war, rollte es bis zu dem Salzbache hinunter. Ich ging auf dem Steige bis zum Bache hinab zu meinem armen Maultiere und half ihm auf, ſo gut ich konnte; es war ſo zerſchlagen, daß ich

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ihm mit einem Biſſen Brot, in Wein getunkt, zu Hilfe kommen mußte, und indem ich es dann am Zügel langſam führte, überlegte ich, daß alles dies mir nur begegne, weil ich die Feier des Sonntags nicht beobachtet hatte, ſondern an dieſem Tage gereiſt war, was ich auch an einem andern hätte tun können. Es wurde mir nun doch möglich, langſam und vor— ſichtig wieder hinaufzuklettern, bis ich oben auf dem Hügel eine Meierei entdeckte, der ich mich mit der größten Demut näherte. Ich pochte an, aber man hörte mich nicht, weil, als an einem Sonntage, viele Menſchen drinnen verſammelt waren. End⸗ lich klopfte ich ſo heftig, daß mich ein junger Burſche ver— nahm, dem ich meine Not vortrug, der mir aber antwortete, ich ſolle nur in Gottes Namen weitergehen. Da ich indes von neuem rief, kam der Meier ſelber herbei, der in ſeinem ganzen Weſen den Anſchein eines rechtlichen Mannes hatte. Dieſer machte auf und ſtand mir und meinem Maultier bei, indem er ſagte: Verzeiht, mein Herr, denn da ich eben wegen eines Korbes mit Feigen zankte, den dieſe Burſchen mir ge— ſtohlen haben, konnte ich Euch nicht gleich antworten.

Wenn es weiter nichts iſt, antwortete ich, ſo ſeid ohne Sorgen, denn ich will Euch den Dieb anzeigen. So wäret Ihr ja ein Engel und kein Menſch, rief er aus, wenn Ihr das herausbringen könntet. Laßt mich nur erſt ausruhen, ſagte ich, und es ſoll geſchehen.

Ich ſetzte mich nieder, und mein Maultier ſättigte ſich, ſo gut es konnte; ich eine köſtliche kalte Sauerſuppe, die mir fo, wie fonft nichts in meinem Leben, ſchmeckte, fo herr⸗ lich würzten ſie mir Hunger und Ermüdung. Außerdem aber ſind das Ol, der Wein und Weineſſig dieſes Landes die beſten in Europa.

Nachdem ich gegeſſen hatte und alle die jungen Burſchen um uns herſtanden, ſagte ich zum Meier: Dieſe hölzerne 90

Schüffel, aus welcher wir gegeſſen haben, ſoll den Feigen: dieb entdecken. Einer von ihnen ſagte halb leiſe: So wäre ja wohl der Teufel in dieſem Studenten gekommen. Ich ließ mir von dem wackern Manne etwas Ol und Ocker geben, und ohne daß die Burſchen es gewahr wurden, beſchmierte ich die untere Seite der Schüſſel mit einer Miſchung, die ich aus dem Ole und Ocker gemacht hatte; dann ließ ich mir eine Glocke geben, wie ſie die Kühe tragen, ſtellte dieſe unter die Schüſſel und ſagte dann, daß alle es hören konnten, nachdem ich die Schüſſel weiter hinein, nämlich in die Stroh— kammer getragen hatte: Einer nach dem andern gehe nun vorbei und ſchlage unten an die Schüſſel; wenn der, der die Feigen geſtohlen hat, dies tut, ſo wird die Glocke klingen. Einer nach dem andern ging vorbei und jeder ſchlug mit der Hand in den Ocker; die Glocke aber, die jeder zu hören fürchtete, ließ ſich nicht vernehmen. Nun rief ich ſie zu mir, ließ mir ihre Hände zeigen, die bei allen bis auf einen be— ſchmutzt waren, worauf ich zu allen ſagte: Dieſer feine Herr hat die Feigen gemauſt; denn um die Glocke nicht zum Läuten zu bringen, hat er es nicht gewagt, die Schüſſel anzurühren. Der Burſche wurde rot wie eine Hagebutte, und die übrigen verſpotteten und verlachten ihn die ganze Nacht hindurch. Der Meier aber war mir ſehr dankbar, daß ich ihm ſeine Feigen aufgefunden hatte, und ich war wegen meiner guten Beher— bergung ſehr zufrieden. Für die gute Bewirtung ließ ich ihm zwei damaſzierte Meſſer, um damit dem Feigendiebe die Ohren abzuſchneiden.

Siebzehntes Kapitel.

Nachdem wir dieſe Nacht ſo viel geruht hatten, als mir für die erlittenen Beſchwerden meines Maultiers hinlänglich ſchien, begab ich mich zu ihm und bat es, daß es ſich er—

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muntern möchte. Grunzend ſchlug es mit dem Hufe aus, und zugleich traf ich es ſo mit einem Prügel, daß es ſich ſeiner vorigen Leiden erinnerte. Sogleich wurde es ruhig, und ich legte ihm den Sattel auf. Ich kam nach Benamexi, das ganz in der Nähe lag, und obwohl ich vorbeireiten wollte, ohne daß ich von dem Herrn von Benamexi geſehen würde, ſtürzte ſich das ſchurkiſche Maultier auf fein Haus, und ich war ges zwungen, dort eine Zeitlang zu verweilen. Endlich, um es kurz zu machen, kam ich nach Malaga, oder, genauer geſagt, ich hielt an einem Orte an, wo die Stadt mir vor Augen lag und den man die Anhöhe von Zambara nennt. Ich war über den Anblick ſo entzückt und über den Duft, den der Wind mit ſich führte, der durch die wundervollen Gärten weht, die mit allen Arten von Orangen und Limonen angefüllt ſind, die das ganze Jahr hindurch in Blüte ſtehen, daß es mir war, als wenn ich ein Stück des Paradieſes ſähe; denn in dem ganzen Umfange jenes Horizonts gibt es nichts, was nicht alle fünf Sinne zugleich ergötzte. Die Augen erfreuen ſich an dem An— blicke des Meeres und der Erde, die mit den anmutigſten und mannigfaltigſten Bäumen und Gewächſen bekleidet iſt; an dem Anblicke der Stadt und ihrer Gebäude, ſowohl ihrer Häuſer, als ihrer herrlichen Tempel, vorzüglich der Hauptkirche, welche wohl der anziehendſte Tempel auf Erden iſt. Das ſtaunende Ohr wird von der Menge der Vögel ergötzt, die, einer den anderen nachahmend, weder bei Tage noch in der Nacht ihre liebliche Harmonie unterbrechen, ihre kunſtloſe Kunſt, die, ohne Konſonanzen oder Diſſonanzen hervorzubringen, ein entzückendes Tongewirr verurſacht, das zur Beſchauung des höchſten Schöp— fers aller Weſen leitet. Der Überfluß und die Trefflichkeit der Nahrungsmittel erfreut den Geſchmack und befördert die Ge— ſundheit. Die Sitten der Einwohner ſind ſanft, leutſelig und höflich, und alles iſt von der Art, daß man ein großes Buch 92

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über die Vorzüge von Malaga ſchreiben könnte; aber es iſt nicht meine Abſicht, mich länger hierbei aufzuhalten. Ich handelte mit jener heiligen Kirche das ab, weshalb ich ge— kommen war, und lernte viele Männer kennen, die von ebenſo gründlicher Gelehrſamkeit als von ehrwürdigem Charakter waren.

Achtzehntes Kapitel.

Als ich Malaga verließ, hielt ich unter jenen Orangen und Limonen an, deren Duft mit ſeiner durchdringenden Lieblichkeit das Herz erfriſcht. Ich erwog die herrliche Lage dieſer Stadt, und als ich noch in dieſen Betrachtungen vertieft war, ſah ich etwas auf mich zukommen, das einem Menſchen glich, auf einem Maultiere mit ſich ſelbſt redend, die Arme und das Geſicht bewegend, und die Stimme verändernd, als wenn es mit zwölf Reiſenden ſpräche. Ich lenkte ſchnell um und trieb mein Maultier ſo ſehr als möglich an, damit jener mich nicht einholen ſolle, weil ich die Schwäche an mir kannte, daß, um nur einem ſolchen Schwätzer zu entfliehen, ich mir nicht bloß die Schnelligkeit eines Windhundes, ſondern die Flügel einer Taube wünſchte; ja, wenn dieſe Schwätzer ſelber wüßten, wie verhaßt ſie allen Menſchen ſind, ſie würden vor ſich ſelber ent— fliehen. Kein wilder Stier kann mich ſo ſehr jagen als ein Schwätzer; man hat vor ihnen keine Ruhe, außer wenn ſie ſchlafen, und ſo ging es mir auch mit dieſem. Denn ſo viele Mühe ich mir auch gab, ihm zu entfliehen, ſo holte er mich doch ein und begrüßte mich ſchon von hinten, und kaum hatte ich ihm ſeinen Gruß zurückgegeben, als er auch ſchon fragte, wohin ich reiſe und woher ich ſei. Das erſte ſagte ich ihm, aber er ließ mir keine Zeit, ihm das zweite zu beantworten, ſondern fuhr ſogleich fort: Ich frage Euch, mein Herr, woher Ihr ſeid, und ich will Euch dienen, woher ich gebürtig bin; ich bin

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nämlich aus dem Königreich Murcia, obgleich meine Vorfahren

aus den Gebirgen waren. Hier nannte er mir den Namen feiner Familie, und ich beobachtete, während er nach Herzens⸗

luſt ſchwatzte, daß er ziemlich gut gebaut ſei, obgleich er den groben Fehler hatte, daß er linkiſch war, es aber verbergen wollte, und alles rechts zu tun ſich beſtrebte. Dieſer liebe Mann, mit einer Hand um die andere auffabrend, die großen Augen- brauen emporziehend, zwiſchen denen er zwei tiefe Furchen hatte, die Augen, die nicht klein waren, immer geſchloſſen haltend, wenn er ſprach, als wenn er mit den Augen hörte, und den Ausdruck der Frechheit und eines unverſchämten Weſens im Geſichte, ſagte tauſend Albernheiten, auf welche ich nicht im mindeſten Achtung gab. Er erzählte von ſeinen tapferen Taten, die ich ebenſo gern überhörte, ſo daß er mir durchaus keine Zeit ließ, auf ſeine zweite Frage zu antworten, bis wir zwei Meilen gemacht hatten, und ihm vom vielen Sprechen Gehirn, Lippen und Zunge trocken waren, ſo daß er ſich in einer Schenke, die zum kleinen Pfeiler genannt wird, einen Krug Waſſer geben ließ, und indem er eben zu trinken anfangen wollte, ſagte ich nun endlich in Beantwortung ſeiner Frage: Von Ronda. Er ſetzte den Krug ab und ſagte: So freue ich mich, ſo gute Geſell⸗ ſchaft getroffen zu haben, denn gerade dahin geht mein Weg. Er nahm den Krug wieder an den Mund, und während er trank, ſagte ich zu ihm: Es iſt vielmehr die ſchlechteſte Geſell⸗ ſchaft von der Welt, denn ich werde auf dem ganzen Wege kein Wort ſprechen. Alſo, rief er aus, beſitzt Ihr ſo ſehr dieſe Tugend des Schweigens? Dies wird Euch Achtung und Liebe in der ganzen Welt einbringen, denn am wenigen Sprechen erkennt man den weiſen und verſtändigen Mann; nur mit dieſer Tugend geht der Menſch allen jenen Unglücksfällen aus dem Wege, die die Unvorſichtigkeit herbeizuführen pflegt. Ich bin ein Feind alles Geſchwätzes. Wenn auf der Folter einer nicht 94

ſpricht und nicht bekennt, gilt er als ſtandhaft, weil er das ver— ſchweigen konnte, was ihn in Unglück geſtürzt hätte. Bei einem Gaſtmahl eſſen die Schweigenden mehr und beſſer als die übrigen und ſprechen weniger; denn das Schaf, welches blökt, kann unterdeſſen kein Gras rupfen. Darum bin ich ein Feind alles Geſchwätzes. Der Schlaf, der für Geſundheit und Leben ſo wichtig iſt, muß ſtillſchweigend vor ſich gehen. Wenn ſich jemand verborgen hält (wie der Fall doch vorkommt), in irgend— einem fremden Hauſe, ſo ſichert er ſich durch Schweigen, es müßte ihn denn ein Nieſen ankommen. Das Schweigen iſt eine Tugend ohne Anſtrengung, denn es iſt nicht nötig, ſich mit Büchern zu plagen, um zu ſchweigen. Der Schweigſame bemerkt alles, was die anderen reden, um es ihnen nachher vorzurücken. Ich bin ein Feind alles Geſchwätzes.

Mit dieſen und ähnlichen Abgeſchmacktheiten fuhr er fort, das Schweigen zu loben, und indem er mich quälte und ſeine Materie fortſetzte, ſagte er: Ich bin ein Feind alles Geſchwätzes; ich rede nur, um einen ſo würdigen Herrn, wie Ihr mir ſcheint, auf dem Wege zu unterhalten und Euch die Langeweile hin— wegzuplaudern. Ich verſuchte allerhand Liſten, um mich von ihm zu befreien und meinen Weg allein fortzuſetzen; aber alles war umſonſt; endlich ſagte ich: Mein Herr, hier links muß ich durchaus mich trennen und über den Fluß gehen, denn ich habe in Coyn zu tun. Ei, traut Ihr mir denn ſo wenig Lebensart zu, antwortete er, daß ich Euch nicht begleiten werde? So trieb er ſein Weſen fort, und da mir meine Abſicht fehl— geſchlagen war, ſo ergötzte ich mich an den Nachtigallen, die ihre Muſik uns auf dem Wege vorſangen, mich darüber ver— wundernd, wie gern ſie ſich in die Nähe der Menſchen machen, damit dieſe ihre Geſchicklichkeit hören können. Am Ufer des Fluſſes hin und überall ſonſt ſangen ſie um ſo lauter und lieber, als ſie ſich den Menſchen näher befanden. Dies machte

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mir den immer laufenden Ausfluß dieſes Schwätzers etwas er— träglicher, bis wir zu einer Schenke kamen, wo wir eſſen mußten.

Nach Tiſch ſtellte ich mich krank, um ihn loszuwerden; aber er ſagte: Wir ſind miteinander von Malaga ausgereiſt, und miteinander müſſen wir in Ronda ankommen. Denn da ich ſchwieg, und er ſprach, ſo viel er nur wollte, ſo war ihm meine Geſellſchaft ſehr angenehm. Ich war müde, matt und außer mir; denn, ich geſtehe, ſo viele Geduld ich auch in anderen Dingen haben mag, ſo habe ich doch keine, unnützes und weitläufiges Geſchwätz mit anzuhören, und alſo entſchloß ich mich, das rechte Mittel gegen Schwätzer zu gebrauchen, nämlich noch mehr als er zu ſchwatzen. Als der wackere Mann gegeſſen hatte, ſtreckte er nach einem lauten Gähnen die Arme aus und ſagte: Durch dieſe Gegend kam der König Don Fer— nando mit ſeinen Truppen, als er Ronda erobert hatte und nach Malaga zogs“, und da ihm der Proviant fehlte, weil alle benachbarten Orte von Durchzügen und Gefechten ſo ſehr mitgenommen worden waren, als man Ronda belagert hatte, ſo waren ſeine Soldaten wohl zwei oder drei Tage hindurch ohne alle Nahrung, ſo daß ſie glaubten, Hungers zu ſterben.

Hier fiel ich ihm mit großem Eifer in die Rede und ſagte: Ich erinnere mich auch, daß ich dies von einem Urgroßvater von mir habe erzählen hören, der aus den benachbarten chriſt— lichen Ortſchaften um Ronda her eine große Herde von Schweinen, die auch jetzt hier häufiger ſind, als irgendwo in Spanien, in das Lager geführt hatte, damit ſie zum Unterhalt der Truppen dienten. Wie nun alles aufgezehrt und nur noch einige von dieſen Schweinen übrig geblieben waren, befahl der katholiſche König, daß man ein Dutzend von dieſen aufbewahren und auf keine Weiſe verletzen ſolle, weil ſie, da ſie ſo groß und breit waren, zur Zucht dienen ſollten. Wie die Soldaten, 96

ungeduldiges Volk, nun fo vom Hunger gequält wurden und ſahen, daß der Proviant, den ſie erwarteten, ausblieb, ſo ſehr ſie auch von Feinden aus dem ganzen Tale von Malaga um— lagert waren, und ſich alſo ſehr vorſichtig aufführen mußten, ſo geſchah es, daß zwei oder drei Kameraden ſahen, wie dieſe Schweine ſich in das Dickicht dieſer Bäume begaben, nach dem Waſſer zu (denn da ſie Freiheit und Sicherheit hatten, ſo tat ihnen keiner etwas zuleide), und ein Arquebuſierer ſchoß zwiſchen dieſen Zweigen einem von dieſen Schweinen zwei Kugeln in den Leib. Zu den Waffen! ſchrie alles; zu den Waffen! Feinde! zu den Waffen! Die ganze Armee trat unters Gewehr. Die Soldaten ſchleiften das Schwein in ihr Zelt und verſteckten es in einem Mantelſack unter ihren Sachen. Man ſuchte überall Vorkehrungen zu treffen, wo man Schwäche oder Gefahr befürchtete, denn niemand als die Schildwachen dürfen unter ſolchen Umſtänden ſchießen; da man alles ſicher fand, wurde ein Oberſergeant beordert, nachzuforſchen, wo und weshalb man das Gewehr abgeſchoſſen habe. Nun mußte es herauskommen: es ſei geſchehen, um ein Schwein umzubringen. Die drei Sol— daten beſeitigten mit ihren Füßen die Spuren des Blutes, und indem ſie das Tier mit Kleidern und Wäſche zudeckten, begruben ſie es unten in den Mantelſack, der ihm als Gruft diente. Der Oberſergeant ging nun von Zelt zu Zelt; ſo kam er auch zu dem der Soldaten; dieſe leugneten, etwas von dem Schweine zu wiſſen; der Sergeant unterſuchte den Mantelſack, und indem er herumfühlte, ſtieß das Schwein aus ſeinem Innern einen tiefen, grunzenden Seufzer aus, denn es war noch nicht tot. Der Oberſergeant, den nicht weniger hungerte als fie, blickte fie an, ohne ein Wort zu ſprechen. Ihnen richteten ſich die Haare auf, ſie zitterten an Händen und Füßen, ihre Geſichter waren bleich, und als ſie nun den Ausſpruch er— warteten, daß ſie hängen oder eine andere, ſehr ſchwere Strafe 7 97

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erleiden follten, fagte der Oberfergeant, indem er den Finger auf den Mund legte: Schickt mir mein Teil und effen wir alle. Mit der größten Verſtellung ſetzte er von Zelt zu Zelt ſeine Unterſuchung fort, und als er in das ſeinige zurückkam, fand er unter alten Sachen ſein Stück vom Schwein, das ihm wie vom Himmel gefallen erſchien.

Hierauf, ſagte der Schwätzer, will ich eine andere Ge— ſchichte erzählen, die zu dieſer ſo paſſend Aber ich unterbrach ihn gleich wieder: Damit iſt es noch nicht aus, ich habe kaum die Hälfte der Geſchichte erzählt! und fügte noch tauſend Albernheiten, ſo wie die vorigen, hinzu, ſo daß ich ihn ſo gründlich beſiegte, daß er ſein Maultier beſtieg und ſich auf den Weg nach Alora machte, ohne Abſchied zu nehmen. Ich aber blieb in der Schenke des Don Sancho, ermüdet nicht weniger von dem, was ich hatte ſprechen, als was ich hatte hören müſſen.

Neunzehntesst und zwanzigſtes Kapitel.

Dieſe Nacht blieb ich in einem Orte, welcher nahe am Wege liegt und Cazarabonela heißt, wo es einen Überfluß von Orangen und Zitronen gibt. Die Gegend hat viel Waſſer und Kühlung und liegt unter hohen Felſen.

Am Morgen machte ich mich auf, um mich in jene rauhen Felſen und dichten Wälder zu begeben, wo ich eine Sonder: barkeit unter vielen anderen, die ſich dort finden, bemerkte. Von einem hohen Felſen ſchießt ein ſtarker Waſſerſtrahl mit der größten Gewalt herunter nach Oſten hin, und das Waſſer iſt mehr heiß als kalt. Als ich um den Felſen bog, ſtürzte von derſelben Höhe ein Waſſerſtrahl, der ganz kalt war. Hier auf der öſtlichen Seite ſteht der Rosmarin in Blüte, und zwei Schritte davon hat er noch nicht einmal Blätter, und auf dieſe | Weiſe iſt alles dort verfchieden. Hier find wilde Maul | 98 |

beerbäume ohne Laub, dort iſt die Frucht ſchon grün, weiterhin ſchon ſchwarz. Alles nach Malaga zu iſt Frühling, und alles nach Ronda zu iſt Winter. Unter den Bäumen dort iſt der Weg voller Quellen und Gewäſſer, die von himmelhohen Felſen herabſtürzen und durch dicht verflochtene Steineichen, Maſtix— bäume und Sommereichen fließen. Indem ich mich ſo in dieſe Naturwunder vertiefte, geriet ich plötzlich unter einen Zug von Zigeunern bei einem Bach, welcher der Jungfrauenbach heißt, ſo daß ich gern umgekehrt wäre, wenn ſie mich nicht ſchon geſehen hätten, denn mir fielen die häufigen Ermordungen ein, die damals an dieſen Orten von Morisken und Zigeunern verübt wurden. Da dieſer Weg wenig beſucht wird, ich mich allein ſah und ohne Hoffnung, noch auf Menſchen zu treffen, die mich begleiten könnten, faßte ich mir ein Herz, ſo gut ich konnte und ſagte zu ihnen, indem ſie mich ſchon bettelnd umringten: Willkommen, liebe Leute! Sie tranken Waſſer, und ich gab ihnen einen kleinen Schlauch mit Pedro Limenez von Malaga preis ſowie das Brot, das ich bei mir hatte, worüber ſie ſehr vergnügt waren, aber deſſenungeachtet, hörten ſie nicht auf, zu ſprechen und immer mehr und mehr zu fordern. Ich habe die Gewohnheit (wie ſie jeder haben ſollte, der allein reiſt), im letzten Orte ſo viel Gold oder Silber umzuwechſeln, als ich bis zur nächſten Stadt nötig zu haben glaube; denn es iſt ſehr gefährlich, Gold oder Silber in den Schenken oder unterwegs ſehen zu laſſen. Ich zog alſo eine Hand voll Scheidemünze aus der Taſche und teilte ihnen Almoſen aus, das ich in meinem Leben nicht ſo gern gegeben habe, jedem ſo viel, als mir gut dünkte. Die Zigeunerinnen waren je zwei und zwei auf Stuten oder ſehr mageren Pfer— den, die Burſchen je drei und drei oder auch je vier und vier auf hinkenden und kranken kleinen Eſeln. Die Spitzbuben von Zigeunern zu Fuß, leicht wie der Wind und, wie ſie mir 7 | 99

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in dieſem Augenblicke ſchienen, ſehr groß und ſtark, denn Die Furcht vergrößert alles. Der Weg iſt eng und gefährlich, voller Baumwurzeln, und das Maultier ſtolperte bei jedem Schritte; die Zigeuner gaben ihm Schläge auf die Hüften, die mir durch das Herz gingen, denn ich ritt im tiefen Hohl— wege unten, und die Zigeuner waren über mir auf den Seiten; fo durch dichte Maftirgebüfche und Bäume zieht ſich die ſchmale Straße hin. In dieſer Angſt, indem ich mich ſorgfältig auf beiden Seiten umſah, aber nur die Augen und nicht den Kopf bewegte, faßte der eine Zigeuner das Maultier plötzlich beim Zügel, und indem ich vor Schreck faſt heruntergefallen wäre, ſagte der Schelm: Geſperrt, mein Herr! Mögen die Pfor— ten des Himmels dir verſperrt ſein, ſagte ich bei mir, du Schelm, daß du mir einen ſolchen Schrecken eingejagt haſt! Man fragte mich, ob ich es vertauſchen wolle. Ich ſah aber ihre Abſicht, zu ſtehlen, immer deutlicher ein, und daß ich ſie auf keine andere Art, als durch Hoffnung auf einen größeren Gewinn, los werden könne. Mit der unbefangen⸗ ſten Miene, die mir zu Gebote ſtand, verteilte ich alſo noch mehr Scheidemünze unter ſie und ſagte: Gewiß, Freunde, ich täte es recht gern, aber hinter mir kommt mein Freund, ein Kaufmann, deſſen Maultier müde geworden iſt; und da er eine Laſt Geld bei ſich hat, geh' ich voraus nach dem Orte, ihm ein Tier zu ſchaffen, das es tragen könne.

Sowie ſie die Worte: Kaufmann, müde, Maultier, Geld! hörten, ſagten ſie: Glückliche Reiſe, mein Herr! in Ronda wollen wir Euch Euer Almoſen vergelten! Ich ſpornte das Maultier und ließ es zwiſchen den Schluchten ſtärker laufen, als es ihm lieb ſein mochte. Sie blieben zurück und unter⸗ redeten ſich in ihrer kauderwelſchen Sprache, weil ſie wohl den Kaufmann erwarten wollten, um nach ihrer Art Almoſen von ihm zu begehren; hätte ich mich aber dieſer Liſt nicht be⸗ 100

dient, fo wäre es mir wahrſcheinlich übel ergangen. Weiß Gott, wie oft es mir leid tat, die Geſellſchaft des Schwätzers ver— laſſen zu haben; wenn er auch noch ſo viel geſchwatzt und mich gelangweilt hätte, ſo wäre ich dieſer Gefahr wenigſtens ausgewichen.

Ich ſah noch oft zurück, ob mir auch die Zigeuner nicht folgten, denn da ihrer viele waren, konnten einige mir nach— gehen und die übrigen bleiben; aber ſie ſchienen alle von gleicher Begierde getrieben. Ich kam in dem Dorfe ſo er— müdet an, wie ich nicht geweſen wäre, wenn die Zigeuner mir nicht die Furcht verurſacht hätten.

Späterhin ſah ich einen von dieſen Zigeunern zu Sevilla als Räuber abſtrafen und eines der Weiber in Madrid als Zauberin. Als ich erſt ruhiger geworden war, ſtellten mir dieſe Zigeuner das Bild der Flucht der Kinder Sfrael aus Agypten dar. Einige Knaben waren nackt, andere trugen zer— fetzte Jacken oder ein zerriſſenes Wams unmittelbar auf der Haut. Von den Weibern waren manche gut gekleidet und mit ſilbernen Schauſtücken behängt, andere waren halb nackt und hatten vorne abgeſtutzte Röcke ??. Sie hatten ein Dutzend lahmer und blinder Eſel bei ſich, die aber ſo leicht und be— hende wie der Wind waren, und die ſie außerordentlich ſchnell laufen ließen. Der Himmel ſchickte mir damals dieſen liſtigen Einfall, um mich zu retten, denn ihrer waren ſo viel, daß ſie einen Ort von hundert Häuſern hätten plündern können.

Ich ruhte aus und in jenem Dorfe, und am Abend kam ich in Ronda an, wo ich meine Kaufleute fand, die in ihren Geſchäften ſchon ſehr vorgeſchritten waren, und mich begierig erwartet hatten. Was mir dort begegnete, iſt nicht von Bedeutung, denn auf einer ſo beſuchten Meſſe fallen ſo viele Schelmereien und Arten von Betrug vor, daß man hierüber allein ein weitläufiges Buch abfaſſen könnte. Ich

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hatte aber nichts zu verhandeln, außer dasjenige, was meine Studien betraf, und zunächſt meine Eltern zu beſuchen. Den Kaufleuten diente ich als Führer, um ihnen die Merkwürdig⸗ keiten zu zeigen, deren es hier ſowohl in der Natur als Kunft gibt. Zu dieſen gehört der berühmte Gang, durch welchen die Stadt mit Waſſer verſehen wurde, ſo oft Feinde ſie be— lagert hielten. Dieſe Stadt iſt aus den Ruinen von Munda auferbaut, welche jetzt das Alte Ronda heißen, bei welcher letztern Stadt ſich Cäſar von den Söhnen des Pompejus ſo bedrängt ſah, daß er ſelbſt geſteht, er habe ſonſt immer geſtritten, um zu ſiegen, hier aber um nicht beſiegt zu werden. Die Stadt liegt auf einem ſo hohen Felſen, daß ich beteuern kann, daß in der Stadt einmal die Sonne ſchien, während es in der Tiefe, die auch noch zur Stadt gehört, zwiſchen zwei ſchroffen Klippen bei einigen Walkmühlen regnete, von woher Menſchen durchnäßt zur obern Stadt hinaufkamen, und als man ſie fragte, wodurch ſie in dieſen Zuſtand verſetzt wären, ant⸗ worteten ſie, daß es ſtark zwiſchen den Felſen regne, welche die Stadt von der Vorſtadt trennen. Als man dieſe Stadt ge⸗ baut hatte, und es oben an Quellen mangelte, war man ge⸗ zwungen, einen Stollen zu machen, indem man durch den Stein ſelber bis zum Fluſſe durchbrach, was alles durch Felſen von derſelben Härte geſchehen mußte, ſo daß ſich in dieſer Felſenbucht bis hinunter ungefähr vierhundert Stufen befinden, die die armen Sklaven hinunterſteigen mußten, bei welcher Arbeit manche ſtarben. Es iſt eine alte Tradition, daß ein Kreuz, welches ich auf der Mitte dieſer Treppe geſehen habe, von einem Chriſten verfertigt worden ſei, den dieſe Anſtrengung umgebracht habe, und zwar mit dem Nagel des Daumens, das aber ſo tief iſt, daß man glauben möchte, ſelbſt die Spitze eines Dolches ſei dazu nicht hinreichend geweſen. Es iſt von derſelben Größe, wie ein Chriſtus, den man in der alten 102

Kirche von Cordoba findet, den auch auf dieſelbe Weiſe ein anderer frommer Sklave ausgearbeitet hat. Einige haben be— hauptet, ein ſo erſtaunliches Werk, wie dieſer Steinbruch, müſſe von den Römern herrühren. Im Gegenteil aber findet ſich ein ſehr großer Stein, der in das Fundament des ſogenannten Huldigungsturmes eingebaut iſt, auf welchem ſich lateiniſche Buchſtaben befinden; dieſen hat man aber verkehrt aufgeſtellt, was gewiß nicht geſchehen wäre, wenn man die Schrift zu leſen verſtanden hätte. Außerdem aber ſind alle Gaſſen eng, und die Häuſer, welche aus dem Altertum ſtammen, niedrig, ſehr der Gewohnheit der Römer, wie der Spanier, entgegen. Wie dem aber auch ſein mag, dieſe Aushöhlung des Felſenganges iſt mit wunderbarer Anſtrengung und Sorgfalt gemacht, und er gehört zu den merkwürdigſten Dingen, die wir in Spanien aus dem Altertum beſitzen. Daß dieſe Stadt aber wirklich aus den Trümmern von Munda aufgebaut ſei, kann man aus ſehr vielen Steinen dort ſehen, und auch aus einigen Götzen— bildern, die meiſt verſtümmelt ſind, von denen ſich aber zwei aus Alabaſter durch ihre Trefflichkeit auszeichnen, welche ſich in dem Hauſe des Don Rodrigo de Ovalle befinden, der ſie von ſeinen Eltern und Voreltern geerbt hat, und den ich kenne. So wenig ich mich auch für einen Geſchichtſchreiber ausgebe, ſo kann ich doch nicht umhin, es im Vorbeigehen zu bemerken, daß Ambroſio de Morales?s ſich von der Ahnlichkeit der Namen habe hintergehen laſſen, wenn er behauptet, daß Munda an Stelle eines kleinen Städtchens, namens Monda, unten an der Sierra Bermeja gelegen habe: denn wenn er dieſes Land geſehen hätte, würde er dies nie haben glauben können. Denn aus der Länge, die Paulus Hircius zwiſchen Oſſuna und Munda annimmt, geht die Wahrheit deutlich hervor, auch daraus, daß noch heute jenes große Koloſſeum ſteht, welches beweiſt, daß die Stadt eine römiſche Kolonie geweſen iſt, und das ich in dem

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Jahre fechsundachtzig geſehen habe. Auch erinnere ich mich, von Juan Luzan gehört zu haben, einem verſtändigen und ge— lehrten Ritter, ſowie von einem Hidalgo, einem Nachkommen der Eroberer, mit Namen Cardenas, daß auf einer Meierei von ihm, die ſich auf dem Platze des alten Munda ſelbſt befindet, Tagelöhner beim Pflügen einen Stein gefunden haben, auf welchem zu leſen ſtand: Munda Imperatore Sabino. Überdies aber hörte ich es noch meine Großväter ſagen, welche Söhne der Eroberer waren, und bei der Austeilung von den katholiſchen Majeſtäten Land erhielten. Dieſes führe ich nur darum an, damit, da diejenigen, welche es wiſſen, nach und ausſterben, dieſe Wahrheit für die Nachkommenſchaft aufbehalten werde. E ;

Dieſe Stadt beſitzt ſolche Naturmerkwürdigkeiten durch ihre außerordentliche Lage auf den hohen und ſteilen Felſen, daß ſie es wohl wert iſt, daß man viele Meilen reiſe, um ſie zu ſehn. Sie hat alles im größten Überfluß, was zur Notdurft des Lebens gehört; daher geſchieht es nur ſelten, daß Menſchen ſie verlaſſen, um die Welt zu ſehen; diejenigen aber, welche es tun, pflegen ſich ſowohl als Soldaten, wie in jedem andern Berufe, auszuzeichnen. Weil ich aber kein Geſchichtſchreiber ſein will, übergehe ich alle dieſe Dinge. Als ich den Kaufleuten alles, was ich konnte, gezeigt hatte, nahm ich Abſchied von ihnen, und ſie nahmen ſich vor, nach Weſtindien zu reiſen.

Einundzwanzigſtes Kapitel.

Ich erledigte das, weshalb ich gekommen war, und ging dann nach Salamanka zurück, wo ich mich aufhielt, bis eine Flotte in Santander ausgerüſtet wurde. Dieſe kommandierte Pedro Melendez de Aviles, Adelantado von Florida, ein ſehr großer Seemann. Ich verließ, um die Welt zu ſehen, die Studien und begab mich in die Kompagnie eines Hauptmannes, der mein 104

Freund war, und welcher Leute zu dieſer großen Rüſtung warb. Dieſe war ſo ſtark, daß, wer alles das Volk geſehen hätte, welches ſich dazu aus Andaluſien und Kaſtilien ſammelte, meinen mußte, daß damit die ganze Welt zu erobern ſei; aber durch die Schickung des Himmels nahm dieſes große Heer das traurigſte Ende; nicht in einer Schlacht, denn zu dieſer kam es nicht, ſondern durch eine Krankheit, welche ſich unter den Soldaten verbreitete, und an der faſt alle ſtarben, ohne nur den Hafen verlaſſen zu haben. Die geſundeſten und ſtärkſten jungen Leute ſchifften ſich ein; jeder hatte die größten Hoffnungen. Ich ſetzte mich mit der Kompagnie, zu der ich gehörte, auf ein leichtes Fahrzeug, aber mit einem andern Hauptmann, weil man eine Anderung getroffen hatte, und bei dieſem neuen war ich Schiffsfähnrich! Unglücklich, ſagt das Sprichwort, iſt die Mutter, die keinen Fähnrich zum Sohn hatte. Ich hatte die Gunſt des Admirals Don Diego Maldonado, eines Ritters vom feinſten Geſchmacke gewonnen, und um

ſeinetwillen gab mir der zweite Hauptmann dieſe Stelle. Mich überfiel ein doppeltes dreitägiges Fieber, welches da— mals auf der Flotte wie auf dem Lande ſehr allgemein war; und da ſelbſt das kleinſte Glück niemals ohne Neid beſeſſen wird, ſo kam auch ein Junkerchen aus der nämlichen Kompagnie darauf, mich zu beneiden, der mit acht oder zehn ſeiner Kameraden die ernſtlichſten Mittel verſuchte, mich um meine Fähnrichsſtelle zu bringen. Je mehr fie aber Ver: anlaſſungen zu Händeln ſuchten und mir gaben, um ſo mehr vermied ich dieſe alle, denn einmal verwickelt, iſt es ſchwer, zu widerſtehen, darum iſt es am beſten, allem Unheil auszuweichen, namentlich in der friſchen Jugend, in welcher ich mich damals befand; denn wenn ich auch nicht mehr ganz jung war, ſo war ich doch ſehr choleriſch, und die Krankheit gab mir überdies eine verdrießliche Stimmung. Um mich von dieſem Junker 105

zu entfernen, hielt ich mich einige Tage auf dem Lande auf, damit ich auf dem Schiffe in keine Verdrießlichkeiten geriet. Eine Wirtin gab mir gegen das Fieber Wein von Ribadabia mit Mäuſekot zu trinken, denn wenn man krank iſt, glaubt man alles; aber mein Fieber wurde noch heftiger. Der Neidiſche hatte es durchzuſetzen gewußt, daß man mich wieder auf das Schiff kommandierte, und ich begab mich im Fieber zurück. Er hatte mit ſeinen Kameraden, die oft auf ſeine Unkoſten zechten, die Abrede getroffen, daß ich den Händeln durchaus nicht ſollte ausweichen können. Ich konnte ſchwimmen, er aber nicht; man ſuchte Zwiſt, und ich mußte antworten, denn als er mit ſeinen Kameraden ſich auf dem Verdecke befand, ſtrafte er mich geradezu Lügen. Ich überlegte ſchnell, daß, wenn ich ihm ins Geſicht ſchlüge, ich mich der Gefahr ausſetzte, daß ſeine Freunde mit Dolchen über mich herfielen; daher umſchlang ich ihn, ohne ein Wort zu ſagen, und warf mich mit ihm in die See. Hier, wo ſeine Gefährten ihm nicht zu Hilfe kommen konnten, gab ich ihm einige Fußtritte und ſtieß ihn auf den Grund, worauf ich einigemal mit den Armen ruderte und mich dann am Bord der Schaluppe feſthielt. Der Arme, nachdem er einige Kannen Waſſer verſchluckt hatte, kam wieder empor, und das erſte, was er antraf, um ſich feſtzuhalten, war eins meiner Beine, welches er ſo ſtark umklammerte, daß ich ihn nicht davon losmachen konnte, ſo viele Stöße ich ihm auch auch mit dem andern gab. Die Schelme, auf deren Beiſtand er ſich verlaſſen hatte, ſtanden, anſtatt ihm und mir zu Hilfe zu kommen, auf dem Verdecke des Schiffes, faſt vor Lachen ſterbend, daß ſie ihn ſo an meinem Beine, und mich ſelbſt an der Schaluppe hängen ſahen. Ich rief den Matroſen, denn er konnte nicht ſprechen, uns ein Tau zuzuwerfen; ſie taten es, und zwei von ihnen ſtiegen herab und zogen uns, als wenn wir zwei Tunfiſche geweſen wären, in die Schaluppe, obgleich 106

ich ſtark und imſtande war, ſelbſt hineinzuſteigen, wenn er nur mein Bein hätte loslaſſen wollen; er aber wurde betäubt und halb ertrunken an Bord gebracht. Als wir oben waren, gab man ihm noch einige Stöße auf den Magen, wodurch er das Seewaſſer von ſich gab, und ich zog meine Kleider aus, um ſie zu trocknen. So zeigte es ſich, daß, um ſein Leben zu retten, dem Armen ein Bein ſeines Feindes mehr wert geweſen war, als zwölf Arme ſeiner Freunde. Ich aber rächte auf dieſe Art die Beleidigungen, verlor mein Fieber, und gab der ganzen Flotte etwas zu lachen. Auch der Adelantado, als er dieſen Vorfall erfuhr, belachte ihn ſehr. Der Admiral kam, uns zu ſehen und zu erfahren, was man mir zuleide getan hatte, und ſagte ſcherzend: Dieſe Freundſchaften, im Waſſer und mit Hilfe Neptuns geſchloſſen, beſtätige ich als Admiral; im üb— rigen aber mögen die Herren Soldaten wiſſen, daß im Dienſt keine ſolchen Beleidigungen vorfallen ſollen; derjenige, der ſie zufügt, wird dreimal gewippt werden, und wer ſie ruhig erduldet, den wird man für einen verſtändigen und ehrenvollen Soldaten halten. Er ließ den vom Schreck halb Toten ver: pflegen, und mich nahm er mit ſich, um mit ihm zu eſſen, indem er meinen tollen Einfall allen ſeinen Bekannten erzählte. Dieſer Flotte aber erging es ſo unglücklich, daß von den beinahe zwanzigtauſend Soldaten, welche ſich einſchifften, nur dreihundert zum Dienſte taugliche übrig blieben, die der Kapitän Vanegas dahin führte, wohin man ſie beorderte. Dieſes Un: glück konnte die Klugheit des weiſen Miniſters, des Grafen Olivares 54, nicht abwenden, der fähig war, eine ganze Welt zu regieren. Dort ſtarb auch der Adelantado, nebſt andern ausgezeichneten Dienern Seiner Majeſtät, und auf dieſe Weiſe

vernichtete dieſe große Zurüſtung ſich ſelbſt. Ich entfernte mich mit den übrigen, die am Leben geblieben waren, um meine Geſundheit wieder zu erlangen; denn in 107

der Tat verfielen alle diejenigen, welche nicht ftarben, in Krank⸗ heit, wozu auch, wie man ſagte, die ſchlechten Lebensmittel einige Veranlaſſung gaben. Ich verließ Santander und reiſte über Laredo und Portugaleto nach Bilbao. Obgleich ich noch nicht ganz hergeſtellt war, ſo legte ich doch einige militäriſche Abzeichen an, denn jedermann ſah gern Soldaten von jener Flotte, die ein ſo außerordentliches Gerede veranlaßt hatte. Die Weiber vor allem, die immer am meiſten auf Neuigkeiten aus ſind, liefen zuſammen, wo ſich nur irgendein Soldat ſehen ließ. Während ich in einer Kirche von Bilbao war, heftete eine ſehr ſchöne Biskayerin (welche ſich in der Schönheit, beſonders durch die lieblichſten Geſichter, auszeichnen) die Augen auf mich; ich beantwortete ihre Blicke, und beim Herausgehen, unter mancherlei Geſprächen, nachdem ſie mir erzählt hatte, wie gern ſie einmal nach Kaſtilien reiſen möchte, ſagte ſie mir, ich möchte dieſen Abend vor ihre Wohnung kommen, und ihr ein Zeichen geben. Ich antwortete ihr, daß die ge⸗ wöhnlichen Zeichen leicht Verdacht erregen; wenn ſie aber das Geſchrei einer Katze hören würde, ſo möchte ſie an das Fenſter treten, weil ich es wäre. Um zwölf Uhr in der Nacht, als es mir einſam genug ſchien, ſchlich ich mich an einer beſchatteten Mauer entlang und drängte mich ſacht in ein Winkelchen unter ihr Fenſter hin, wo ich des Schattens wegen nicht geſehen werden konnte, und gab das Zeichen. Bei dieſem Miauen kamen alle Hunde in Aufruhr, und ein Eſel ließ ſeine Stimme dazu ertönen. Auf der andern Seite war ein Mann, der auch zu ſeinem Stelldichein ſchlich, und wie er das Geſchrei der Katze und das Gebell der Hunde hörte, nahm er, während ich meine Blicke auf das Fenſter richtete, um zu ſehen, ob ſich jemand zeige, einen Stein und ſagte in ſeiner baskiſchen Sprache: Hol' der Teufel die Katzen, die hier die Hunde aufrühreriſch machen! und warf aufs Geratewohl den Stein dahin, wo 108

er die Katze gehört hatte, und mir heftig in die Rippen, indem er nach der Katze zu zielen glaubte. Ich ſchwieg und verbiß, ſo gut ich konnte, den Schmerz, verlor aber darüber das Fenſter und die Liebe des Mädchens aus den Augen. Es ſchien mir eine gerechte Strafe dafür, daß ich in der Kirche dieſe Bekannt— ſchaft hatte anknüpfen wollen, wo es doch außerdem Orte

genug gibt, um die Weiber zu ſehen und zu ſprechenss. Dieſer Unfall bewirkte, daß ich mich zurückzog, und das Opfer koſtete mich nicht viel, da unſere Bekanntſchaft erſt ganz neu war; da ſie aber große Luſt hatte, nach Kaſtilien zu kommen, ſo fand ſie Gelegenheit, mir durch eine Freundin, die im Kaſtilianiſchen ebenſo erfahren war wie ich im Biskayi— ſchen, ſagen zu laſſen, daß, wenn ich ſie nicht vor ihrem Hauſe ſprechen wolle, ich mich vor der Stadt auf dem Wege nach Vitoria einfinden ſolle, weil ſie mich dort zu ſehen wünſche. Ich kam etwas ſpät zu der verabredeten Stelle und fand meine biskayiſche Dame mit einer Freundin ſchon dort. Wir gingen, indem wir beide allein ſprachen; fie ſang zuweilen ein biskayi— ſches Lied, weil die zweite kein Wort kaſtilianiſch verſtand; wir kamen wieder auf den Gegenſtand, daß ſie Kaſtilien zu ſehen wünſche, und ſo unterhielten wir uns, bis es finſter wurde, wobei wir uns ziemlich weit von der Stadt entfernt hatten. Wir kehrten um, und als wir an eine Mühle gelangten, trafen wir auf vier Männer, die aus einer Taverne traten, und nicht in Zyder, ſondern in ſtarkem Wein berauſcht waren, welchen man in jenen Mühlen ausſchenkt. Als ſie einen Kaſtilianer mit zwei biskayiſchen Frauen ſahen, ſtellten ſich zwei von ihnen, da ihnen der Kopf voller Dünſte war, auf die eine, und die andern beiden auf die andere Seite, zogen die Degen und ſtießen wacker auf mich zu. Ich konnte mich ſo nicht recht verteidigen, denn auf der einen Seite war ein hoher Hügel, und gegen— über eine ziemlich hohe Mauer, die nach einem Mühlgraben 109

hinunterging. Jetzt flohen die Weiber, und ich ftrengte mich an, ſie einzuholen; aber die Schelme, welche abgefeimt waren, wußten wohl, wie ſie ihren ſchlechten Streich ausführen muß— ten. Da ich mich alſo zum Kampf gezwungen ſah, indem ich ihnen weder vorkommen, noch den Berg beſteigen, noch die Seiten erreichen konnte, griff ich zwei von ihnen an, um ihnen den Vorſprung abzugewinnen. Aber in demſelben Augenblick faßten mich alle zugleich und warfen mich in den Kanal der Mühle dort, und zwar den Rädern ſo nahe, daß der Sturz des Waſſers mich zu zerſchmettern drohte. Ich hielt mich indes an einer Stange, die dort befeſtigt, aber freilich nicht ſonderlich ſtark war; ſie befand ſich nahe an der Schleuſe, welche das Waſſer ſo leitete, daß es auf die Räder ſtürzte. Dieſe Stange war dem Waſſerſturze ſo nahe und ſo ſchwach, daß ſie ſich unter der Laſt bog und ich mich dem Verderben ganz nahe ſah. Die Schelme liefen indes fort und den Met: bern nach, ſobald ſie mich hinuntergeworfen hatten. So war ich ohne Rat und Hilfe, die Stange gab nach, und ich ſchwebte ganz nahe über den Rädern. Ich wandte meine Blicke nach der linken Seite und entdeckte ein kleines Bäumchen, welches aus dem Waſſer wuchs, und von dem ich hoffte, daß es mehr Stärke haben würde, als die Stange, worin ich aber irrte. Damit mich der Mühlſtrom nicht hinunterriſſe, ſammelte ich jetzt neue Kraft, ließ die rechte Hand an der Stange und reckte die linke bis zu dem Bäumchen aus, ſo daß ich einen Zweig erfaßte. Da die Laſt nun zwiſchen den beiden geteilt war, ob: gleich ich noch nicht dem Sturze des Waſſers widerſtehen konnte, weil ich mit den Füßen faſt die Räder berührte, ſo konnte ich mich doch etwas beſſer erhalten. Ich konnte aber immer noch nicht hinaufſteigen, bis ich mit dem linken Fuße, der ſich auf ſeiner Seite etwas mehr aufſtützte als der rechte, in der kleinen Mauer einen Stein erreichte, auf welchen ich 110

mich ſtemmen konnte. Auf dieſen feſtgeſtützt, half ich mir mit den Armen und verbeſſerte meine Lage, bis ich das Holz faſſen konnte, in welchem die Schleuſentür feſtgemacht war. Indem ich dies mit der linken Hand griff, faßte ich mit der rechten den Dolch, ſtreckte den Arm unter das Waſſer und ſtieß den Dolch hinein, ſo daß ich das Wehr ſoviel aufheben konnte, daß die Hälfte des Waſſers ablief, und indem ich mit der rechten Hand nachhalf, ſoviel ich konnte, hob ich es ſo, daß das Waſſer mit derſelben Wucht, mit welcher es ſich auf die Räder ſtürzte, ſeinem natürlichen Laufe folgte, worauf ich mich meiner Füße bedienen und den ganzen Kanal hinaufgehen konnte, indem ich mich an den Stangen feſthielt. Ich ſchien mir vom Tode erſtanden zu ſein, und ohne Mantel, Degen und Hut ſah ich jetzt in die Gefahr hinab, in welcher ich geſchwebt hatte. Ich lief bei den Mühlen vorbei, wie einer, der dem Gefängniſſe entſprungen iſt, um nur ſchnell nach Hauſe zu kommen, mich zu erholen und die Kleider zu wechſeln, da— mit die Näſſe mir nicht in den Körper ſchlüge. Die mir be— gegneten, redeten mich auf biskayiſch an, wahrſcheinlich um mich zu fragen, ob ich den Verſtand verloren hätte; ich er— widerte aber keine Silbe, um mir nicht eine Erkältung zuzu— ziehen. Als ich in meiner Wohnung angekommen war, fand ich das Gelenk der rechten Hand infolge des Aufpralles beim Sturze außerordentlich angeſchwollen. Ich mußte mich acht bis zehn Tage zu Bette halten. Dies war die größte Gefahr, die ich bis dahin zu beſtehen gehabt hatte.

Zweiundzwanzigſtes Kapitel.

Ich verließ Biskaya, ſo ſchnell ich nur konnte, um nach Vitoria zu kommen, wo ich einen meiner liebſten Freunde, Don Felixe Lezcano, fand, der mich fo gut bewirtete und ver— pflegte, daß ich meine überſtandenen Leiden vergeſſen konnte.

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Ich begab mich darauf nach Navarra, wo ein Sohn des großen Herzogs von Alba, Don Fernando von Toledo, Condeſtable war. Ich gab ſehr auf mich acht, nicht wieder irgend etwas zu begehen, was mir zum Nachteil gereichen könnte; denn da jede Stadt und Provinz verſchiedene Sitten und Gebräuche hat, ſo iſt es die Pflicht eines jeden Fremden, ſich mit dieſen bekannt zu machen; ich war um ſo aufmerkſamer, da meine Jugend nur zu leicht in jene Fehler verfiel, welche man erſt durch ein reiferes Alter ganz zu vermeiden pflegt. Es gelang mir auch ſo ſehr, daß ich mir in Navarra und Aragon viele Freunde erwarb. Als ich nach Saragoſſa, der Hauptſtadt des alten Königreichs Aragon, kam, fand ich ſo viele und ſo gütige Freunde, daß ich mir durch ihre Liebe mehr wie ein Ein— geborener, als wie ein Fremder, vorkam. Ich nahm mich aber ſehr in acht, nach keinem Fenſter hinaufzuſehen, denn man iſt in dieſem Lande ſehr eiferſüchtig; auch hütete ich mich über— haupt vor allen Händeln. In ſeinem Palaſte erzeigte mir ein großer Fürſt dort viele Ehre, der die Muſik und alle Manifeſtationen des Geiſtes außerordentlich liebte und der durch ſeine Großmut mich in den Bedürfniſſen des Lebens unterſtützte. Die Gunſt, die er mir erwies, war ſo groß, daß ich mich mehr als billig dem Zeitvertreibe des Spieles ergab, wodurch ich ſehr zerſtreut ward, obgleich ich bis dahin mit dieſem zeitverderbenden Laſter unbekannt geblieben war. Da in den Paläſten die Muße ſo groß iſt, und man Gelehrſamkeit und Wiſſenſchaften nur ſelten treibt, ſo verfiel ich auf das, womit ich alle beſchäftigt ſah.

Doch ſah ich recht gut das Unnütze und Verderbliche des Spieles ein und ſprach auch oft darüber mit meinen Freunden, die ſich ebenfalls von dieſem Laſter hinreißen ließen, das die Quelle ſo vieler Übel iſt und die, ſo ſich ihm ergeben haben, ſelten wieder losläßt. Mit einem von dieſen begegnete mir 112

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eine Sache, die mir die größte Beſchämung, ſowie denen, Die davon hörten, das lauteſte Gelächter verurſachte. Der eine von ihnen bat mich nämlich, ihn eines Nachts zu begleiten, weil er mit einer gewiſſen Perſon ſprechen müſſe, und er wünſche, mich mit ſich zu nehmen, damit ich ihn im Fall der Not beſchütze. Ich rüſtete mich, eben da es Nacht war, mit einem Degen und einem kleinen Schilde, zog leinene Bein— kleider an, warf einen weiten Rockelor über und entſtellte mich noch auf andere Weiſe. So gingen wir aus, und ich folgte jenem bis zu einem Hauſe, vor deſſen Tür ſich eine Bank befand. Die Uhr ſchlug elf und nachher zwölf, welches ſeine beſtimmte Stunde war. Er ſagte mir nun, ich möchte mich nur auf die Bank ſetzen und ihn dort erwarten, weil er ſogleich wieder herauskommen würde. Ich ſetzte mich mit recht vollem Magen hin, ſummte heimlich ein Lied zwiſchen den Zähnen und fing an, mir den Schlaf abzuwehren, ſo gut es gehen wollte, denn es war ſchon ſeine Zeit. Am folgenden Tage war ein großes Apoſtelfeſt. Ich hörte es zwei und nach— her auch drei ſchlagen, und der gute Freund konnte immer noch nicht wiederkommen, weil er geſtört worden war. Ich fing an, einzuſchlafen, ſpazierte hierauf hin und her, um mich da⸗ durch des Schlafes zu erwehren und ſetzte mich dann wieder nieder, weil ich vom Gehen müde geworden war. Da ich das Abendeſſen ſchon lange verdaut hatte, ſo geſchah es, ſo oft ich mir auch die Augen mit Speichel rieb, daß ich, ohne zu mer— ken wie, einſchlief, und ſo ſchlafend auf der Bank ſitzen blieb, und zwar immer noch, als man ſchon am folgenden Tage das Hochamt einläutete. Vom Getöne der Glocken und dem Ge— räuſch der vielen Menſchen, die zur Kirche gingen, wurde ich etwas munter und hörte, wie eine von den vorübergehenden Damen ſagte: Wie das Vieh noch ſchnarcht! worauf ſie einem Escudero befahl, mich aufzuwecken. Ich ermunterte mich völlig, 8 113

und indem ich mit einem lauten Gähnen die Augen auffchlug, ſah ich die Sonne in der Mitte der Gaſſe und hörte das Glockengeläute. Erſchreckt warf ich den Rockelor über das Geſicht und fing an, zu laufen, nicht nach meiner Wohnung, ſondern nach dem kleinen Medicisplatze, wobei mich mehr als dreihundert Hunde verfolgten. Beim Umbiegen um eine Ecke rannte ich gegen einen Blinden, der ein Dutzend Eier im Buſen trug. In demſelben Augenblicke, da ich ihn anrannte, ſchwang er ſeinen Stock und traf mich auf die linke Schulter. Als ihm der gelbe Eierbrei herunterlief, ſchrie man mir nach, ich hätte ihm die Galle im Körper geſprengt. Jetzt war ich dem Hauſe ſchon nahe, wo ich meine Zuflucht hatte ſuchen wollen; aber in der Eile und Angſt vor den Hunden, die mir nachliefen, ſtolperte ich und lag vor der Tür einer Dame ausgeſtreckt, die von ſo guter Familie war, daß ſie einſt zwei Rebhühner, die ich ihr als Geſchenk geſendet hatte, in einen Abtritt warf, weil fie geſpickt waren 6. Ich war traurig über meinen Fall, und alle, welche mich fallen ſahen, erhoben ein lautes Ge: lächter. Ich ging in das Haus zu jenem guten Frauenzimmer hinein, und von dort nach meiner Wohnung, und nach wenigen Tagen begab ich mich nach Valladolid, nachdem ich vorher Burgos und die ganze Provinz Riora geſehen hatte, welche ſehr fruchtbar iſt, ein angenehmes Klima und eine gewwiſſe 1 Ahnlichkeit mit Andaluſien hat. |

Dreiundzwanzigſtes Kapitel.

In Valladolid diente ich dem Grafen von Lemos Don Pedro de Caſtro, dem von der großen Stärke, einem Ritter

vom feinſten Geſchmack wie vom größten Edelmut, der ihn ſowohl ſelber ſchmückt, als auch ihm angeſtammt iſt, indem

er ein Nachkomme jener Richter von Kaſtilien, des Nuño | Raſura und des Lain Calvo, ſowie der Könige von Portugal 114

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iſt. Ich erwarb mir feine Gunſt, obgleich ich wenig dazu tat, denn der Graf war ſo die Liebe und Freundlichkeit ſelbſt, daß er jedem Diener wohlwollte, von dem er nur wußte, daß er ihn liebe. Bei alledem aber befand ich mich anfangs nicht wohl, denn mir fehlte das, was im Palaſt zum Dienfte not: wendig iſt, nämlich eine Schmeichelei mit Anmut ſagen, eine Lüge würzen zu können, eine Verleumdung künſtlich herbei— zuführen, Freundſchaft zu erheucheln, den Haß zu verbergen; alles Dinge, wozu ſich freie Gemüter und edle Menſchen nur ſchwer verſtehen mögen. Noch erwähnte ich nicht einmal die Strenge und Majeſtät der Türſteher, die meiſtenteils eine Steifheit haben, noch trockner als ihre Perſon, die ebenſo widerwärtig iſt, als ihre Art ſich auszudrücken.

Die Hauptſache iſt, daß der Diener in Gegenwart des Herrn immer ein fröhliches Geſicht zeige und in allen be— fohlenen und unbefohlenen Dingen die größte Sorgfalt an— wende, um auch das Kleinſte ganz genau auszurichten. Was das betrifft, immer fröhlich auszuſehen, ſo kann es ein Me— lancholiſcher ſchwerlich leiſten; doch hat ein ſolcher Diener den Ausweg, daß er ſich dem Herrn zu keiner andern Stunde zeigt, als wenn er fröhlich iſt; denn dieſe Heiterkeit des Dieners erfreut auch den Herrn, und dieſer muß glauben, wenn ſie vermißt wird, daß der Diener mit feiner Stelle unzu⸗ frieden ſei. Dieſer Fürſt war aber gegen ſeine Diener faſt immer ſo gütig, daß ſie ohne Zwang und Verſtellung ihm mit Freude und Heiterkeit aufwarteten. Immer haben Groß— mut und Wohlwollen in dieſer vornehmen alten Familie ge— herrſcht, wie ſie ſich jetzt auch wieder an Don Pedro de Caſtro zeigten, den von den früheſten Jahren Talente und Tugend ſchmückten, ſo daß er, von ſeinem Könige in den höchſten Amtern und Würden der Monarchie angeſtellt, ſeinen Ruhm auf wunderbare Weiſe verbreitet hat, indem ſein ge 115

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Monarch ihn ehrte, feine Untergebenen ihn liebten und fremde Nationen ihn bewunderten.

Als ich zu Valladolid in dieſem Palaſt lebte, zeigte ſich jener große Komet, den die Aſtrologen ſo viele Jahre vor— hergeſagt hatten, welcher dem Haupte von Portugal drohte”. Außer den bedeutenden Auslegungen über ihn gab es auch ſo unkluge, daß man genug zu lachen hatte. So wurde unter anderm behauptet, er zeige an, daß die großen Dinge ab⸗ und die kleinen zunehmen würden. Dieſe Deutung kam einem kleinen Menſchen zu Ohren, der ſich alle Mühe gab, nicht als ein ſolcher zu erſcheinen und daher immer fünf— bis ſechsfache Sohlen von Kork trug, obgleich er ſich auch dadurch noch nicht bedeutend erheben konnte. Er zeigte ſich immer zierlich gekleidet, ſpielte den Verliebten und war in Ausdruck und Rede verſchroben. Doch war ſein Beſtreben in Geſellſchaften weit mehr, ſeine Schultern mit denen der übrigen in gleiche Höhe zu bringen als ihnen im Witz und Verſtande gleich zu kommen. Als dieſer von der Auslegung hörte, daß kleine Dinge wachſen würden, ließ er ſich bei— kommen, daß er damit gemeint ſei, ſind wir doch ſo leicht geneigt zu glauben, was wir wünſchen, mag es auch noch ſo widerſinnig ſein. Man ſagte ihm, ich ſei ein Nekromant, und daß, wenn ich es nur wolle, ich ihn einige Zoll länger machen könne; dies müſſe aber ſehr geheim betrieben werden, damit man nicht erführe, daß ich eine fo hölliſche Kunſt be= ſäße. Als ich mich mit den andern vornehmen Dienern des Hauſes auf dem Platze befand und Dienſt tat, bezeichnete man mich ihm heimlich, damit er mich kennen möchte. Ohne daß man mir einen Wink darüber gegeben hatte, wie man ihn zum Narren mache, kam dieſer Menſch zu mir, und in einer geſuchten Rede bot er mir Freundſchaft, Vermögen und Liebe für das ganze Leben an und ſchloß dann mit dieſen 116

Worten: Ihr febt wohl, mein Herr, wie geringſchätzig die Natur einen Mann von meinen Talenten behandelt hat, in— dem ſie einer ſo großen Seele einen ſo kleinen Körper gegeben hat; ich weiß, daß Ihr, wenn Ihr nur wollt, dieſem Mangel abhelfen könnt, wodurch Ihr mich auf immer zu Eurem Sklaven machen werdet.

Dies, antwortete ich, kann Gott allein zuſtande bringen, denn es iſt über die Natur; wollt Ihr aber noch an den Füßen wachſen, ſo müßt Ihr noch mehr Korkſohlen unterlegen; wollt Ihr aber oberhalb der Bruſt länger werden, ſo müßt Ihr Euch hängen, was Euch gewiß um einige Zoll aus— dehnen wird.

Mein beſter Herr, ſagte er, man hatte mir freilich ſchon geſagt, daß Ihr mir die Gunſt verweigern würdet; aber ich bitte, daß Ihr aus Liebe zu mir nachgiebiger werdet; mögt Ihr Euch doch gegen alle andern Menſchen ſo ſtreng verhalten, als Ihr nur immer wollt.

Da ich ihn ſo feſt auf ſeiner Tollheit verſeſſen ſah, be— mühte ich mich, ihn zur Vernunft zurückzubringen und ſuchte ihm deutlich zu machen, wie er etwas verlange, das jenſeits aller Möglichkeit liege, und wie ſehr ihn zugleich alle Menſchen verlachen würden, die irgend von ſeinem unvernünftigen Be— gehren hörten. Er erwiderte auf alle meine Belehrungen: Iſt es denn nicht noch weit ſchwerer, einen Menſchen un— ſichtbar zu machen? Und dies geſchieht doch. Dies iſt im Gegenteil ſehr leicht, antwortete ich; denn man braucht nur jemand hinter einem Teppich zu verbergen, ſo wird er un— ſichtbar, oder wenn eine Wolke ihn einhüllt, und Ihr könnt ſogar unſichtbar werden, indem Ihr eine Mücke vor Euch ſtellt.

Herrlichen Troſt, rief er aus, habe ich bei dem gefunden, von dem ich das zu erlangen hoffte, was ich mir mein ganzes Leben hindurch gewünſcht habe! Welchen Troſt will jemand

117

finden, antwortete ich, der etwas Unvernünftiges und Unz mögliches begehrt? Ihr könntet klagen, wenn Ihr mißgeſtaltet wäret und beſäßet die Arme eines Rieſen und die Beine eines Hundes, oder wenn die Natur in Euer Alraungeſichtchen eine Faſchingsnaſe gepflanzt hätte, und verbeſſern ließe ſich ein ſolcher Übelftand doch nicht; wenn Ihr aber auch nur klein. ſeid, ſo ſeid Ihr doch ſo gut und ebenmäßig gebildet, daß Eure Ohren größer find als die Füße; und warum ſoll der⸗ jenige, der ſchon auf dem halben Wege iſt, eine der wichtigſten Tugenden auszuüben, durch welche der Menſch irgend glänzen kann, noch zu wachſen wünſchen? Welche Tugend wäre das? fragte er. Die Demut, antwortete ich, und zu dieſer himm⸗ liſchen Tugend zu gelangen, ſeid Ihr ſchon auf dem halben. Wege mit dem Körper, denn es ſieht immer aus, als wenn Ihr auf den Knien läget; demütiget nun Eure Seele eben⸗ ſoſehr, ſo habt Ihr dieſe Tugend ganz erreicht.

Zu allem, was ich nur ſagen konnte, ſchwieg er ſtill; endlich aber fing er wieder an: Ich halte mich an die Bez deutung des Kometen, welcher vorherſagt, daß die Kleinen wachſen und die Großen ſich vermindern ſollen; da Ihr Euch aber die Luſt gemacht habt, mich zu verhöhnen, ſo iſt es auch Eure Pflicht, mich in einen Zuſtand zu verſetzen, der dieſen Spott andern unmöglich macht; denn, wem es gegeben iſt, das eine zu ſagen, dem wird es auch leicht ſein, das andere ins Werk zu ſetzen. Was aber die Demut betrifft, ſo mögt Ihr dieſe nur für Euch ſelber anwenden, denn ich darf mich ſchon achten, da ich aus einer angeſehenen Familie entſproſſen bin, von ſeiten meiner Großmutter, die vorher, ehe ſie meinen Großvater bekam, mit einem ſehr angeſehenen Hidalgo ver⸗ heiratet war. Daher alſo, ſagte ich, kommt Euch die Eitel⸗ keit, daß Ihr nichts von der Demut wiſſen wollt? Ich bin nicht gekommen, ſchloß er endlich, um Predigten über 118

Tugenden zu hören, ſondern um Zaubereien oder übernatürliche Dinge zu verſuchen, durch welche ich meine Abſicht erreiche.

So entfernte ſich der wackere Mann, und in demſelben Augenblicke kamen vier luſtige und mutwillige Freunde zu mir, die mich fragten, ob ſich jener Menſch mit ſeiner Forde— rung an mich gemacht habe. Ich antwortete mit Ja und daß ich mir alle Mühe gegeben hätte, ihn von ſeinem aberwitzigen Verlangen abzubringen. Das tut doch beileibe nicht, ſagten ſie; denn wir haben, da er ſo gar närriſch iſt, einen Poſſen mit ihm vor, der ihn zugleich um ein gutes Frühſtück bringen ſoll, ſo daß wir recht auf ſeine Koſten lachen können. f

Dies würde ich um alles in der Welt nicht tun, war meine Antwort, denn dergleichen Poſſen, die zum allgemeinen Arger— nis und zum Nachteil des Einzelnen ausſchlagen können, darf man ſich keineswegs erlauben.

Wißt nur, fuhren ſie fort, daß er der Geiz und die Knickerei ſelber iſt, und wir haben den Plan nur gemacht, um ihn zu Ausgaben zu verleiten, was ihn in der Seele ſchmerzen wird.

Wenn er die Leidenſchaft hat, erwiderte ich, ſo werdet Ihr nichts aus ihm herauspreſſen, und wenn Ihr ihn ſo hoch wie den Turm des Domes von Sevilla machen könntet, denn Geizige und Trunkenbolde haben nie genug und fühlen nie ihren Durſt geſtillt.

Sie blieben aber dabei, daß wir ihm einen Poſſen ſpielen müßten, der den Anſchein einer Bezauberung habe. Wenn es geſchähe, fragte ich, wer würde dann am meiſten beſchämt ſein, wenn die Wahrheit entdeckt wird; er, daß er ſich hat täuſchen laſſen, oder ich, daß ich der Urheber einer ſolchen Täuſchung geweſen bin?

Sie entfernten ſich und ſpielten ihm nachher einen ſehr argen Streich, von welchem ſie mich für den Urheber aus— gaben. Sie legten ihm nämlich für drei Tage ein ſehr ſtrenges

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Faſten auf, in welchem fie ihm nur vier Unzen Brot und zwei Unzen Roſinen und Mandeln, nebſt zwei Schluck Waſſer, bewilligten; vorher aber nahmen ſie an einer ganz weißen Wand das Maß von ſeinem Körper, in der ſie zum Zeichen ſeiner Höhe einen kleinen Nagel einſchlugen. Er beobachtete ſeine Diät, ein Paar Schweſtern von ihm rieben ihm, nach dem Rat der Spötter, abends und morgens Arme und Beine, und wenn die Armen müde waren, ſo fragten ſie ihn: Bruder, wozu geſchieht das? Er antwortete ihnen aber: Dummköpfe, mengt euch nicht in Männerſachen! Alle drei Faſt- und Reibe⸗ tage ſtieg er beim Anbruch des Morgens auf das Dach des Hauſes und kehrte ſich gegen den Aufgang der Sonne, indem er gewiſſe Gebärden gegen die Wolken von Valladolid machte, die man ihm vorgeſchrieben hatte, und die er ſo gewiſſenhaft wie alles übrige verrichtete. Als die drei Tage verfloſſen waren, kam er zu den Schelmen mit einem Geſicht, das ſo dürr wie ein Totenkopf ausſah; und ſo eingefallen und mager, wie er jetzt war, ſchien er wirklich etwas länger zu ſein. Einer von ihnen ging zu der weißen Wand, wo er gemeſſen worden war, ſteckte das Nägelchen einige Zoll tiefer und verſtopfte das obere Loch wieder geſchickt mit etwas ganz reinem und friſchem Wachs. Nun führten ſie ihn hin, ſich zu meſſen, und da er ſich mit dem Hinterkopfe an den Nagel ſtieß, ſo war er außer ſich vor Vergnügen, indem er ſich einbildete, er ſei wirklich um ſo viel gewachſen, als der Nagel jetzt niedriger ſtand. Ent⸗ zückt warf er ſich zu den Füßen ſeiner Betrüger; ſie aber ſagten ihm, er möge ja ſchweigen, weil ſonſt ſein Wachstum wieder zurückgehen könne, auch fet noch das Schwerſte aus: zurichten übrig. Er verſicherte, er wolle alles tun, ſelbſt zur Hölle hinunterſteigen, um nur nicht wieder kleiner zu werden. Weniger iſt es auch nicht, antworteten ſie. Sie befahlen ihm hierauf, in derſelben Nacht zwiſchen elf und zwölf in ein ges 120

wiſſes Gemach durch einen ſehr engen Gang zu gehen, der unter einigen dunkeln Häuſern hinführte, aber es müſſe allein und ohne Licht geſchehen, und dort würde er erfahren, was noch geſchehen müſſe. Dieſe vorgeſpiegelten Schrecken ängſtig— ten ihn zwar, aber am Ende ſagte er zitternd vor Furcht: Ich werde es tun! ich werde es tun! In der Nacht trat er ſeine Reiſe durch den engen Gang mit emporgeſträubten Haaren und die Angſt in allen Gliedern an, ohne Hund noch Katze zu hören, die ihm hätten Geſellſchaft leiſten können, und in— dem er in das Gemach eintrat, ſprangen aus den vier Winkeln unter dem Bette vier Teufelslarven mit vier kleinen Kerzen im Munde hervor, ſo daß er in der Angſt ſogleich die ganze Hölle vor ſich zu ſehen glaubte. Er ſtürzte bewußtlos nieder und entleerte ſich derart, daß es ſo ausſah, als habe er gar nicht gefaſtet; die Teufel entfernten ſich wieder, und er blieb liegen. Sie waren erſchrocken und bereuten den ſchlechten Spaß, wußten aber nicht, was ſie anfangen ſollten. Nach geraumer Zeit kam er endlich wieder zu ſich und fand, daß er ſich in etwas gewälzt hatte, was freilich nicht ſein Blut war. Ergrimmt verließ er den Ort, wurde dann aber ſo gefährlich krank, daß er nun im Ernſte die Diät der Mandeln und Ro— ſinen gebrauchen mußte. Die Anſtifter des Spaßes aber hielten ſich verborgen.

Ich ſtellte mich weislich in Sicherheit, indem ich dem Grafen die Begebenheit erzählte, der ſich ſehr daran ergötzte und die Verſöhnung der Parteien auf ſich nahm. Durch das Anſehen eines ſo vornehmen Mannes wurde dieſer Handel beigelegt, obgleich die Urheber einige unruhige Tage darüber verlebten, denn der kleine Mann beklagte ſich gegen alle Welt, vorzüglich gegen diejenigen, die die Urheber wohl hätten be— ſtrafen können. Ich verwies ihnen, als ich Gelegenheit dazu fand, ihr unbeſonnenes und törichtes Unternehmen.

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Vierundzwanzigſtes Kapitel.

Der Graf war überhaupt ein Feind aller Verleumdungen und Klatſchereien und duldete dergleichen in ſeinem Palaſte nicht, und weil ich ſonſt dazu weiter keine Veranlaſſungen finden werde, ſo will ich hier ein kleines Beiſpiel davon er⸗ zählen, das ſich in meiner Gegenwart zutrug. Einer von jenen Liebedienern kam einmal zu ihm und erzählte, wie ein Hidalgo in Valladolid vom Grafen ſehr ſchlecht geſprochen habe, und da er dieſen Handel recht ſchlimm darzuſtellen ſuchte, fragte ihn der Graf endlich: Und Ihr? Was habt Ihr dabei getan? Ich? ſagte der gute Mann, ich machte mich ſogleich auf, Eure Exzellenz davon zu benachrichtigen, damit Ihr alsbald jenem die Strafe zukommen laſſen könntet, die ſich für die Beleidigung eines ſo großen Herrn geziemt. Ihr habt recht, ſagte der Graf; holla! zählt doch einmal dieſem guten Manne gleich eine Anweiſung von einem halben Dutzend tüchtiger Hiebe auf! Wie denn, mir? Warum das? rief der Treffliche. Sie find nicht für Euch, ante wortete der Graf; Ihr ſollt ſie nur dem überbringen, der ſo ſchlecht von mir geſprochen hat; denn ſo, wie Ihr mir brachtet, was ich nicht wußte, ſo ſollt Ihr zu jenem tragen, wovon er nichts weiß. Zugleich ſagte er zu einem Pagen: Bermudez, lauf' und ſage dem und dem, daß, wenn er von mir ſchlecht ſprechen will, er es nicht in Gegenwart ſo erbärmlicher Men⸗ ſchen tun ſoll, die es mir gleich wieder ſagen; zu ſeiner Strafe genügt es aber, daß er erfährt, daß ich es weiß. Sie wurden beide ſo bezahlt, wie ſie es verdienten, denn obwohl ihm die Anweiſung nicht gereicht wurde, ſo mußte der Klatſcher doch die Furcht ausſtehen. |

Der Eremit fing feit einer Weile an, öfter den Kopf ſinken zu laſſen und häufig zu gähnen, wie ein Mann, der ſich un- gern in einem Nonnenſprechzimmer aufhält; denn ſeit dem 122

Eſſen hatten wir nichts getan, als zu dem allmählich ſchwächer werdenden Geräuſch des Regens und Waſſers geſprochen, wäh: rend der Wind noch zu brauſen fortfuhr und zu erkennen gab, daß auch die Nacht über dieſes Getöſe nicht aufhören würde. Wir aßen zu Abend von dem, was der gute Mann hatte, was zwar wenig war, aber doch hinreichend, um ſchlafen zu können, und auch zur Entſtehung von Träumen Veran— laſſung zu geben, die von der Nahrung und von dem Toben des Sturmes draußen Farbe und Inhalt annahmen. Denn aus der Umgebung, aus der Nahrung und der Stimmung des Menſchen entſtehen die meiſten Träume, ſo ſehr ſich auch viele Unwiſſende haben bemühen wollen, ſie prophetiſch zu deuten.

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Einleitung.

bwohl mit dem Anbruch des Tages die Regengüſſe, die die Oc hindurch auf die Einſiedlerhütte herabgerauſcht waren, etwas nachließen, ſo war doch der Fluß ſo an— geſchwollen, daß er überall über die Brücke ſpülte, ſo daß man nicht hinübergehen konnte, bis ſich am folgenden Tage das Waſſer verlaufen hatte. Ich wollte Abſchied nehmen, weil es mir vorkam, als wenn es der Eremit ſchon überdrüſſig wäre, Erzählungen aus meinem Leben anzuhören, und da ich weder ſelber gern ſchwatze, noch ſchwatzen höre, ſo ſchien es mir, daß die große Müdigkeit des Einſiedlers von der Langeweile meiner Erzäh— lungen herrühre. Um alſo nicht in das verdrießliche Weſen eines läſtigen Schwätzers zu verfallen, wollte ich nach Hauſe gehen, obgleich das Wetter es noch nicht erlaubte. Er aber drang in mich, ihn nicht allein zu laſſen, denn ein Traum in dieſer Nacht habe ihn in eine ſo tiefe Melancholie verſetzt, daß er feſt überzeugt ſei, er habe zu einer Zeit, da er ſchon mehr wach als ſchlafend geweſen, mit einem Toten geſprochen, bei deſſen Sterben er in Italien zugegen geweſen ſei. Ich lachte und ſuchte ihm, ſo gut ich konnte, dieſe Einbildung auszureden. Er fragte, worüber ich lache. Darüber, antwortete ich, daß die Furcht vor Träumen bei einigen Menſchen ſo groß ſein kann, daß ſie das für Wahrheit halten, was ſie doch nur in der Einbildung ſehen. Denn alles ſind nur Dünſte des Gehirns, die jetzt durch die Melancholie, die das ſchlechte Wetter verurſacht hat, dieſe Geſtalt angenommen haben, noch mehr befördert durch die wenige und minderwertige Nahrung, die wir genoſſen, was zuſammen wohl noch viel lächerlichere Wirkungen hervor— bringen könnte. Wirklich, antwortete der Eremit, ſcheint der Tote noch immer vor mir zu ſtehen. Ich lachte noch ſtärker, und er verſetzte: Kommen alſo die Toten nie zurück, um mit 127

den Lebendigen zu ſprechen? Gewiß nicht, antwortete ich, außer wenn ſie wegen ſehr erheblicher Urſachen von Gott die Erlaubnis dazu erhalten, ſo wie in jenem höchſt verwunderlichen und wiſſenswürdigen Falle, der ſich mit dem Marques de las Navas zutrug, welcher mit einem Toten ſprach, dem er das Leben genommen hatte: dieſer kam aber wegen wichtiger Dinge zurück, von denen die Ruhe feiner Seele abhing. Dieſe Be— gebenheit iſt eine ausgemachtere Wahrheit, als alle diejenigen, die wir in alten Büchern leſen, das ausgenommen, was die heilige Schrift erwähnt; denn jener Fall trug ſich in unſern Tagen zu mit einem ſo vornehmen Ritter, einem ſo großen Freunde der Wahrheit und in Gegenwart von Zeugen, von denen noch einige leben, und die ſo wenig, als er ſelber, irgend— einen Nutzen davon hatten, wenn ſie es erzählten, mochte es Wahrheit ſein oder nicht. Welcher Marques iſt das? fragte der Eremit. Der, welcher noch lebt, antwortete ich, Don Pedro de Avila. Wenn es Euch nicht ermüdet, ſagte der gute Mann, ja wenn es Euch ſelbſt Mühe machen ſollte, bitte ich Euch, mir die Geſchichte zu erzählen; denn eine ſo wunderbare Begeben- heit, und die ſich noch dazu in unſern Tagen zugetragen hat, ſollte allgemein bekannt ſein. Sie iſt ſehr verbreitet, ſagte ich; damit ſie aber nicht mit dem Toten begraben bleibe, iſt es gut, ſie zu erzählen, da ſie ſo vollkommen den Anſchein der Wahrheit hat. Doch würde ich ſie noch bezweifeln, wenn ich fie nicht aus dem Munde eines fo großen Ritters, wie der Mar— ques ſelbſt iſt, gehört hätte, und von ſeinem Bruder, Don Enrique de Guzman, Marques de Pobar, Kammerherr des großmächtigſten Königs von Spanien, Philipps des Dritten, in deſſen Palaſte weder für die Schmeichelei, noch für die Lüge Raum iſt. Die Geſchichte ſelbſt iſt aber folgende.

Als der Marques in Madrid auf Befehl ſeines Königs in San Martin, dem Benediktinerkloſter, Arreſt hatte, und 128

ibn feine Freunde und vornehme Ritter vielfach befuchten, blieben ſie oft oder meiſtenteils bei ihm und begleiteten ihn in der Nacht, namentlich Don Enrique, Marques von Pobar, ſein Bruder und Don Felipe von Cordoba, Sohn des Don Diego von Cordoba, Oberſtallmeiſters Philipps des Zweiten. In einer Nacht bekamen der Marques und Don Felipe Luſt, ſpazieren zu gehen; fie gingen bis zum Viertel der Fuß: waſchung, und als ſie vor einem Fenſter ſtehen blieben und miteinander ſprachen, ſagte der Marques: Erwartet mich hier, denn eines gewiſſen Bedürfniſſes wegen will ich in jenes Gäßchen hineingehen. Er fand aber dort an den beiden Ecken der kleinen Straße zwei Menſchen, die ihn nicht vorüber laſſen wollten. Der Marques bat ſie erſt höflich, ihn vorbei zu laſſen, dann aber wollte er mit Gewalt vordringen. Einer von ihnen gab dem Marques einen Stoß mit dem Degen, den dieſer ſogleich erwiderte, ſo daß jeder dachte, er habe den andern umgebracht. Mit derſelben Bewegung, mit welcher der Marques ſich gegen den erſten verteidigte, brachte er auch dem zweiten eine tiefe Wunde am Kopfe bei. Beide Gegner waren in einem Zuſtande, daß ſie ſich nicht bewegen konnten: der den Stich bekommen hatte, war tot, aber nicht gefallen, und der Verwundete ohn— mächtig. Der Marques ging, rief Don Felipe, und ſie kehrten nach San Martin zurück. Als man dort war, ſchien es ihm unrecht, ſich niederzulegen, ohne genauer zu wiſſen, wie es geworden; er erzählte daher ſeinem Bruder und Don Felipe den Vorfall, und beide entſchloſſen ſich, zu gehen. Der Marques ging mit ihnen, weil er ſie nicht allein laſſen wollte; ſie fanden das Stadtviertel in Aufruhr, und es hieß, daß man dort zwei Menſchen umgebracht habe. Sie gingen wieder zurück, ohne an der Stelle ſelbſt etwas mehr geſehen zu haben, als zwei blutige Tücher. Derjenige, der die Wunde bekommen hatte, begab ſich nach Toledo und ſandte von dort jemand, um zu 9 129

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erfahren, ob der Marques geftorben fei, denn er hatte ihn erkannt, während er ibm den Stoß beibrachte; er felber bez forgte die Heilung feiner Wunde fo gut es gehen wollte, ftarb aber doch nach einiger Zeit. Vorher machte er fein Teſtament, und da er erfuhr, daß der Marques nicht beſchädigt worden ſei, denn der Stoß hatte ihn nur geſtreift, ſetzte er ihn zum Vollſtrecker ſeines Teſtamentes ein. Dieſe Nachricht wurde dem Marques von einem Mönch mitgeteilt. Fünf oder ſechs Tage, nachdem dieſer Mann geſtorben war, als der Marques in ſeinem Bette lag, und Don Enrique, ſein Bruder, und Don Felipe von Cordoba in demſelben Zimmer in andern Betten ruhten und die Tür des Schlafgemachs verſchloſſen war, kam jemand und zog ihm die Bettdecke herunter. Der Marques rief: Fort, Don Enrique! Der Fremde antwortete mit einer rauhen, gräßlichen Stimme: Es iſt nicht Don Enrique. Zornig ſprang der Marques auf und nahm den Degen, der auf ſeinem Kopfkiſſen lag, und ſtach und hieb heftig um ſich, ſo daß Don Felipe fragte: Was gibt es denn? Mein Bruder, der Marques, antwortete Don Enrique, ſchlägt ſich mit einem Toten herum. Der Mar⸗ ques wurde endlich von der Anſtrengung müde und traf mit dem Degen auf nichts, als auf die Wände des Zimmers. Er öffnete die Tür, um draußen nachzuſehen, und hieb hier mit demſelben Eifer um ſich, bis er endlich in einen ganz finſtern Winkel kam, wo der Schatten ſagte: Genug! Herr Marques, genug! kommt mit mir, denn ich habe Euch etwas zu ſagen. Der Marques folgte ihm, und dieſem die beiden Ritter, ſein Bruder und Don Felipe. Jener führte ihn abwärts, und als der Marques fragte, was er von ihm verlange, antwortete er, daß man ſie beide allein laſſen müſſe, denn er könne nicht vor Zeugen ſprechen. So ungern er es auch tat, ſo bat der Mar⸗ ques jene doch, zurückzubleiben; das wollten ſie aber nicht. Zuletzt ging das Geſpenſt in ein Gewölbe, wo ſich Totengebeine 130

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befanden; der Marques folgte ihm und fühlte einen Schauer in feinen eigenen Gebeinen, als er auf die der Verftorbenen trat, fo daß er gezwungen wurde, wieder herauszugehen und Atem zu ſchöpfen, was er dreimal tat. Was der Geiſt von ihm verlangte und was der Marques in ſeiner Verwirrung ver— ſtehen konnte, war, daß, zur Vergeltung des Todes, den er ihm gegeben hatte, er ihm die Wohltat erzeigen möchte, das zu erfüllen, was er in ſeinem Teſtamente verlange, nämlich eine Zurückzahlung und die Ausſtattung ſeiner Tochter zu beſorgen. Hierüber fand ein Sprechen und Antworten zwiſchen dem Mar— ques und dem Geſpenſte ſtatt, wie die Zeugen ausſagten. Der Marques aber beteuerte, daß, während er vorher eben ſo weiß und rot im Angeſicht wie ſeine Brüder geweſen ſei, er ſeit dieſer Nacht die bleiche Farbe und die eingefallenen Wangen bekommen habe. Er erzählte ferner, daß der Geiſt noch öfter gekommen ſei, mit ihm zu ſprechen, und daß er jedesmal zuvor ein Schaudern und Zittern empfunden habe, daß er ſich nicht habe aufrecht erhalten können. Er erfüllte endlich das, worum er gebeten worden war, und ſeitdem iſt jener ihm niemals wieder erſchienen.

Dieſe Geſchichte hat mich entſetzt, ſagte der Einſiedler, und ich bin entſchloſſen, die Einſamkeit wieder zu verlaſſen. Ich habe zwar ſelbſt nichts geſehen, was mich beunruhigt hätte in der Zeit, die ich in ihr zugebracht habe; ich habe mich aber doch wegen der Schrecken, die mir die hohen Felſen der Sierra Morena erregten, den Menſchen wieder genähert. Aber laſſen wir dieſes Geſpräch jetzt fallen und ſetzen wir das fort, das wir angefangen haben, denn durch die Anmut Eurer Erzählung werde ich den melancholiſchen Traum und dieſe ſchreckliche Geſchichte vergeſſen.

Der Eremit begab ſich auch bald darauf nach Sevilla, wo er noch jetzt ſehr eingezogen lebt.

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Erſtes Kapitel.

Wir ſetzten uns, um die unterbrochene Unterhaltung wieder anzuknüpfen, an das Kohlenbecken, denn der Eremit, der eine große Überredungsgabe beſaß, bat mich fo dringend, weiter zu erzählen, daß ich wohl ſah, wie ſehr es ihn intereſſiere, die verſchiedenen Begebenheiten meines Lebens zu hören; auch zeigte er die größte Aufmerkſamkeit, durch welche der Erzählende immer neue Anregung empfängt, und ſo fing ich wohlgemut da wieder an, wo mich den Abend vorher die Schläfrigkeit des Eremiten unterbrochen hatte. Ich dachte, als ich die Ge⸗ ſchichte begann, nicht an die Möglichkeit, daß ich meinem Zu⸗ hörer Langeweile machen könne, und ich hatte auch in der Tat nicht Urſache zu klagen; denn nicht nur wurde er nicht müde, meiner langen Erzählung zuzuhören, ſondern drang wiederholt in mich, fortzufahren und zeigte die lebendigſte ine Ich fuhr daher auf folgende Weiſe fort. |

Zweites Kapitel.

Bald zeigte ſich durch den Untergang des Königs Don Sebaſtian von Portugal, in jener merkwürdigen Schlacht, in welcher drei Könige zugegen waren, welche alle ſtarben, die Bedeutung des Kometen ss: der Kardinal Don Enrique, Oheim Philipps des Zweiten, war der Thronerbe und berief dieſen zum Nachfolger in der Regierung, worauf ſich alles in Kaſtilien und Andaluſien aufmachte, um ſeinem Könige mit der Treue und Ergebenheit zu dienen, welche Spanien immer gegen ſeine rechtmäßigen Monarchen bewieſen hat. Ich ging von Valla⸗ dolid nach Madrid, den allgemeinen Enthuſiasmus teilend, und begab mich hierauf nach Sevilla, in der Abſicht, nach Italien überzuſetzen, wenn ich etwa nicht früh genug käme, um mich nach Afrika einzuſchiffen. Ich freute mich über die Größe dieſer berühmten Stadt, die mit allen Herrlichkeiten erfüllt 132

ift und die unermeßlichen Schätze, die der Ozean ihr zufendet, in ihrem Schoß aufnimmt und nachher wieder verbreitet. Als alles in Portugal beruhigt, oder richtiger zu reden, zu beſſerer Geſtalt zurückgeführt war, blieb ich für einige Zeit in Sevilla, wo es ſich mit mir zutrug, unter vielen andern Dingen, die mir dort begegneten, daß ich ein tapferes Stückchen lieferte. Es gab nämlich damals, und gibt ſie vielleicht auch noch, eine Art von Leuten, die weder Chriſten, noch Mauren, noch Heiden ſcheinen, ſondern ihre Religion beſteht darin, die Göttin Tapferkeit zu verehren, und ſie ſind der Meinung, daß, wenn ſie nur in dieſe Brüderſchaft aufgenommen ſind, man ſie für tapfer halten und als brav ehren wird, nicht weil ſie es ſind, ſondern weil ſie den Schein davon angenommen haben. Als ich durch die Genueſiſche Gaſſe ging, traf es ſich, daß ich auf einen dieſer Herren ſtieß, und wir begegneten uns ſo nahe, daß ich ihn durch den Schmutz gehen laſſen mußte, um die trockene Stelle zu behalten. Er kehrte ſich zu mir und ſagte mit großer Majeſtät: Mein Herr von Hoffart! könnt Ihr nicht ſehen, wohin Ihr tretet? Ich antwortete: Ver— zeiht mir, mein Herr, denn ich tat es nicht mit Vorſatz. Er erwiderte: Wär' es mit Vorſatz geſchehen, wäret Ihr dann nicht ſchon eine Leiche? Ich trug keinen Degen, weil ich in der Studentenkleidung ging, und daher war mein Betragen von der größten Demut, während er allen den Übermut zeigte, den Leute ſeiner Art zu haben pflegen. Ich ſagte zu ihm: Die Beleidigung war doch nicht ſo groß, daß ſie eine ſo ſchwere Strafe verdiente. Worauf er ausrief: Der Morlacke muß wohl nicht wiſſen, wem er begegnet iſt! Aber nur Geduld, ich will ihn weiter nicht züchtigen, als daß ich ihm vierzig Finger ins Geſicht werfe! Nach meiner Rechnung betrug dies acht Ohrfeigen. Ich wartete es ab und während er die Hand aufhob, um ſeine Drohung zu erfüllen, bediente ich mich 133

eines Handgriffes, der mir mehr als einmal gelungen ift: indem er nämlich ausholte, nahm ich meine Zeit in acht, faßte ſeinen Degen am Griff und zog ihn mit der größten Schnelligkeit aus der Scheide; mit derſelben Bewegung warf ich ihm auch meine fünf Finger ſchon ins Geſicht und verwundete mit dem Griffe des Schwertes ſeine linke Wange. Als er ſich entwaffnet ſah, lief er eilig davon, und einige Arbeiter riefen: Der Student hat den Sieg! Sie fügten aber hinzu: Entfernt Euch von hier, denn er ruft nun ſeine Helfershelfer und wird mit dieſen gleich wiederkommen.

Ich ging nach S. Franziskus, und der Narr trat bleich und ohne Degen in den Hof der Orangen ein, den Mantel nach= ſchleppend, das Geſicht voller Blut; und als man ihn fragte, was es gegeben habe, ſagte er, daß ihn dreißig Menſchen umringt und mit ihm gerungen, ihm den Degen genommen und ihn verwundet hätten, er habe ſich durch Umſichbeißen von ihnen befreit, und dem einen von ihnen auch wirklich die Naſe abgebiſſen, jetzt wolle er nur Degen und Schild holen, um ſie alle in Stücke zu hauen. Man ging hin, wo der Streit vorgefallen war, und alle Arbeiter ſprachen zu meinen Gunſten, worauf einer von der Brüderſchaft, ein kleiner, linkiſcher, unter⸗ ſetzter, dicker Kerl, den alle ſehr hochzuachten ſchienen, ſagte: Das Kerlchen muß Kourage haben; man muß die beiden alſo zu Freunden machen, denn der Verwundete wird von allen Braven der Brüderſchaft geliebt; in zwei Stunden hätte der Student es mit uns allen zu tun; weiß jemand, wo er ſteckt, ſo hole man das arme Würmchen. Einige Handwerker riefen mich, man führte auch den andern herbei, und um Freund mit ihm zu werden, war es nötig, die ganze Geſellſchaft nach einer Taverne zu führen und fie mit gutem Weine zu traktieren, worauf alle einſtimmig riefen: Er iſt ein braver Junge, er verdient, zu uns zu gehören!

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Drittes Kapitel,

Der fchlechte Menſch war aber über diefen Ausgang des Handels ſehr wenig zufrieden und ſuchte nur Gelegenheit, ſich durch einen Streich zu rächen, welche er auch bald fand. Da ich ein Neuling war und nur wenig von den Verhältniſſen in Sevilla wußte, ſo nahm ich mich auch nicht ſonderlich in acht. Wer aber in ſo großen Städten leben will, muß ſehr vorſichtig auftreten, und wer ſelbſt keine Erfahrung hat, muß ſich durch die eines andern unterſtützen laſſen, um nicht in große Verlegenheiten zu geraten. Ich ſchnallte einen Degen um und nahm damit alle diejenigen Verpflichtungen auf mich, denen ſich derjenige unterzieht, welcher ihn trägt; denn verführt durch die Eitelkeit über meine Bravour, und daß ich zugleich den Poeten und Muſiker ſpielte (von welchen dreien Eimbil: dungen eine ſchon hingereicht hätte, einen beſſeren Verſtand, als den meinigen, ſchwindeln zu machen), fing ich an, mich mehr zu ſpreizen, als ich bisher getan hatte, mich für einen Glücksritter bei den Weibern zu halten und der Meinung zu ſein, daß ſich alle, die mich nur auf meinen Spaziergängen ſähen, in mich verlieben müßten. Kein Portugieſe ſpielte mehr den ſüßen, hübſchen Herrn als ich, und dieſe Schwachheit benutzte mein Feind, um mit einem Frauenzimmer von nicht geringer Schönheit, in deſſen Hauſe er als unumſchränkter Herr aus⸗ und einging, einen Plan abzukarten. Indem ich alſo unter den Bäumen der Pappelallee wandelte, hörte ich mich von einer Dame rufen, welche, als ich nähergetreten war, zu mir ſagte: Iſt es möglich, mein ſchöner Herr, daß Ihr ſo ganz, ohne etwas zu bemerken leben könnt, daß Ihr es nicht ſeht, mit welch ungewöhnlicher Aufmerkſamkeit ſo viele Euch betrach⸗ ten? Ich ſah ſie an; ſie war ſchön gewachſen und von reizen⸗ der Bildung. Ich glaubte ihr alles, denn meine Eitelkeit war ſo groß, daß ich kein Entgegenkommen und keine noch ſo

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große Gunſt für unmöglich gehalten haben würde. Sie fuhr mit dieſen Worten fort: O wehe mir, daß es ſo weit mit mir gekommen iſt, daß ich meine Pflicht und die Ehre meines Mannes vergeſſen konnte! Wehe den Augen, die ſich nicht verſchließen, wehe dem Fuß, der über die Schwelle ſeines Hauſes tritt, um ſein Unglück aufzuſuchen! Und daß ich meine Freiheit dem geopfert habe, von dem ich nicht weiß, ob er dies Opfer zu ſchätzen vermag! Warum mußte mein Auge ſich zu dem verirren, der mich nicht kennt und den ich nicht kenne? Den ſoll ich bitten, der niemals noch jemandes Bitten angehört hat? Nein, ich will lieber ſterben, als mich dem ergeben, der vielleicht meine Liebe nur verlacht und verſpottet!

Nach dieſer Rede vergoß ſie einige ſo rührende Tränen, daß es um meinen Verſtand völlig geſchehen war. Sowie ſie ihre Rolle ausgeſpielt hatte, verließ ſie mich mit vieler Würde. Ich war verwirrt und außer mir über ihre plötzliche Entfer: nung und entzückt über ihre bewegliche Liebeserklärung. Ihre Dienerin ſagte zu mir: Ja, ja, mein Herr, Ihr habt meine Dame gefangen, ſo melancholiſch iſt ſie immer, ſo daß kein Menſch im Hauſe mit ihr auskommen kann; geht ihr nach, doch nehmt Euch nur in acht, daß ihr Mann Euch nicht ge⸗ wahr wird, der iſt ein vornehmer Ritter und nicht wenig eiferſüchtig, obwohl ich noch niemals an meiner gnädigen Frau etwas geſehen habe, was ihm dazu hätte Veranlaſſung geben können.

Ganz außer mir folgte ich ihr nach, höchlichſt mit mir ſelbſt und meinen großen Verdienſten zufrieden und mich bei weitem höher ſchätzend, als ich Urſache dazu in mir finden konnte. Sie ging in ihr Haus, das in einer engen Gaſſe lag, und ſo wie ſie drinnen war, erzeigte ſie mir die Gunſt, an das Fenſter zu treten, und benachrichtigte mich, daß ſie mich nicht lange ohne beſtimmtere Nachricht laſſen werde. So trieb ich mich 136

einige Tage herum und glaubte, daß fie meinen Sieg ver: zögere, damit ich fie um fo höher achten folle.

Endlich ſchickte fie mir ein Briefchen, in dem fie mich auf dieſelbe Nacht mit den verliebteſten Ausdrücken zu ſich beſtellte. Ich putzte mich auf das beſte, nahm meinen Degen und eine Laterne, die ſo groß war, daß ſie mir zum Schilde dienen konnte, und ſo ging ich geradeswegs nach ihrem Hauſe, ohne an etwas anderes, als an meine Luft zu denken. Ich fand die Tür und ihre Arme offen; ſie empfing mich mit allen erdenklichen Liebkoſungen und mit den zärtlichſten Mor: ten. Die Tür wurde verſchloſſen, aber unmittelbar darauf daran gepocht. Sie, ohne erſt zu fragen, wer da ſei, ſagte: Liebſter, das iſt mein Mann, ſteigt eiligſt in dieſen kleinen Keller; denn er wird ſogleich wieder fortgehen. Ich ging mit meiner brennenden Laterne hinein, die Tür des Kellers ward verriegelt; und ſo war ich nun gut eingeſchloſſen.

Das Gemach war faſt ganz mit dürrem Reiſig und ge— trocknetem Rohr angefüllt, auch war ein Brunnen darin, der nach oben ging mit ſeinem Eimer. Ich horchte, was man ſprechen würde; denn ſeit ich geſehen, daß man mich einriegelte, hatte ich Argwohn geſchöpft. Die Dame ſagte zu dem, welcher ihren Mann vorſtellte: Ich habe den Menſchen ſchon eingeſchloſſen, was ſoll nun mit ihm geſchehen? Er ant— wortete mit leiſer Stimme, die ich aber doch als die meines Feindes erkannte: Ihn verbrennen oder in dieſem Brunnen erſäufen, denn das iſt der, der mir den Degen aus der Scheide gezogen hat. Denſelben Augenblick aber verfiel ich auf ein Mittel zu meiner Rettung; denn Gefahr und Todesfurcht er— heben die Phantaſie zu Erfindungen, auf welche der Menſch ſonſt nie geriete. Mit einem Brette deckte ich die Offnung des Brunnens zu, von dem Rohr und Reiſig legte ich einen Haufen an die Tür des Kellers und zündete ihn mit dem

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Lichte an, das ich noch nicht ausgelöſcht hatte. Die kleine Tür war ſo trocken, daß ſie mit Hilfe des angelegten Holzes gleich zu brennen anfing, ſo daß viele Flammen aus dem Rohre unter der Tür hervorſchlugen. Ich aber ſetzte mich in den Eimer des Brunnens und hielt mich am Seile feſt, und da ich das Brett auf den Brunnen gelegt hatte, ſo war ich ſicher. Alles fing an zu rufen: Feuer! Feuer! Waſſer! ſchöpft Waſſer aus dem Brunnen! Sie zogen das Seil, um Waſſer zu bekommen, und da der Eimer durch meine Laſt ſehr ſchwer war, ſo kamen viele Nachbarn herbei, das Seil zu ziehen, die ſich auch ſo anſtrengten, daß ſie mich endlich heraufbe⸗ förderten. Mein Geſicht war ohne Zweifel bleich von der Angſt, und da ich noch eine entſetzliche Teufelsgebärde machte, ſo erſchraken ſie alle und riefen: ſie hätten einen Teufel aus dem Brunnen heraufgezogen. Ich ſprang heraus und ſchlüpfte unbemerkt unter die Leute, was auch möglich war; da keiner vor Entſetzen ſich um mich bekümmerte, und ſo machte ich mich, froh über meine Rettung, eiligſt davon, während das Haus noch brannte.

Viertes Kapitel.

So hatte ich mich zwar aus der unmittelbar drohenden Gefahr gerettet, aber ich geriet in die Hände eines Alguazils, den der Lärm herbeigezogen hatte. Dieſer hielt mich feſt, als er mich laufen ſah; ich ſagte aber mit der größten Haſt zu ihm: Was wollt Ihr? Sollten wir beide von dem Teufel zer⸗ riſſen werden, der dort im Hauſe iſt? Flieht und bringt Euch in Sicherheit, denn er mordet alles, was ihm vorkommt. Er ließ mich los und rannte davon, denn da er ſchon von dem Brunnenteufel hatte reden hören, ſo glaubte er jetzt die Sache, da ich ſie ihm noch beſtätigte.

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Ich eilte fort, ohne ftill zu ſtehen, bis ich unter den beiden Freunden, Herkules und Cäſar, ausruhen konnte, die auf den beiden hohen Säulen beim Eintritte der Pappelallee ſtehen, und welche der edle Ritter Don Franzisco Zapata, Graf von Barajas, errichtet hats. Als ich ausgeruht hatte und meiter- ging, hörte ich hinter mir nach der Garbanceragaſſe zu, an einem Platz, wo ſehr hohe Malven wuchſen, ein ſtarkes Ge— räuſch, welches mich einigermaßen erſchreckte, da es Nacht und die Gegend ganz einſam war, und ich ſah, daß die Malven ſich bewegten, konnte aber die Urſache nicht erkennen. Mit gezogenem Degen ging ich näher und entdeckte endlich eine Schlange mit einer Katze im Kampf. Die Schlange wollte den Leib der Katze umſchlingen, aber dieſe ſtand aufgerichtet und brachte ihr mit den Krallen manche Wunde bei. Dies dauerte einige Zeit; da aber die Schlange ſah, daß ſie den Kürzern zog, ſo wollte ſie ſich nach ihrem Schlupfwinkel in den Malven zurückbegeben, aber die Katze ſchnitt ihr durch einen geſchickten Sprung den Rückzug ab; mit einem Sprunge zerbiß ſie ihr den Kopf, und war ſchon wieder davongeeilt, ehe die Schlange ſie mit ihrem ganzen Körper treffen konnte, denn dieſe holte weit aus, traf aber mit dem Teile des Rückens, wo ſie die meiſten Kräfte hatte, nur einige Steine, worauf ſie ſich nicht mehr rühren konnte, und die Katze ſich über fie hermachte, um ſie vollends zu töten. Ich bewunderte die Geſchicklichkeit der Katze, wie ſie mit mehr Sicherheit als alle anderen Tiere Wunden verſetzen kann, und dadurch wurde ich ſeit dieſer Nacht mit dieſen Tieren befreundet, da ich ſie vorher niemals hatte leiden können.

Fünftes Kapitel. Ich ſchätzte mich aber des Vorgefallenen wegen doch nicht für ſicher genug, daß ich es nicht für notwendig gehalten 139

hätte, wegen jenes Braven fehr auf meiner Hut zu fein. Zu meiner größeren Sicherheit hielt ich mich viel in dem Hauſe eines vornehmen Ritters auf, welches neben der Kirche Aller Heiligen ſteht, und das in allen meinen Streichen mein Zu— fluchtsort war. Durch einen ſeiner Freunde ſchickte mir der Brave eine Herausforderung zu, während ich mich in dieſem Palaſt des Marques del Algaba, Don Luis de Guzman, be: fand; ſeine Diener, deren er viele und ſehr anſehnliche hatte und die meine Freunde waren, ſprachen mich aber von der Verpflichtung los, weil man die Hochachtung gegen den Palaſt aus den Augen geſetzt hatte, und ſo ſchickten ſie jenen mit zerſchlagener Naſe zurück und behielten ſeinen Degen, Schild und Dolch, damit ſich die Küchenburſchen ein Frühſtück dafür kaufen könnten. Mein boshafter Gegner wußte es aber ſo einzurichten, daß einem Alcalden der Juſtiz, der mein großer Feind war, hinterbracht wurde, daß ich Feuer im Hauſe ſeiner Konkubine angelegt hätte. Ich hatte mich immer bemüht, dieſen Mann durch Höflichkeit zu meinem Freunde zu machen, aber es war mir niemals gelungen, ſondern ihm war es im Gegenteil ſehr erwünſcht, eine Gelegenheit zur Rache zu finden. Er maß alſo der Verleumdung meines Feindes gleich Glauben bei und ſtellte mir auf allen Schritten nach, was ich von einigen ſeiner Freunde erfuhr, die zugleich die meinigen waren. Er nahm auch durchaus keinen Rat und keine Ein⸗ rede an, ſondern wollte nur die eine Partei hören und die Sache als ausgemachte Mordbrennerei behandeln. Er be⸗ hauptete, daß er mich aus jeder Kirche, in welcher er mich fände, fortnehmen würde, weil das Verbrechen der Brands ſtiftung ein allzu großes ſei.

Da ich erfuhr, daß dieſer Richter mich ſo ohne Barm⸗ herzigkeit verfolgte, ſo vertauſchte ich meine Kleidung gegen einen alten und ſchlechten Anzug, um unkenntlich zu ſein. 140

Ganz in feiner Nähe aber hatte ich einen Spion, der mir von allem Nachricht gab, und ich entfernte mich nicht von der Kirche Aller Heiligen, wo der Sakriſtan mein Freund war, mit dem ich ſchon verabredet hatte, was zu tun ſei, wenn man käme, mich mit Gewalt davonzuführen. Eines Tages erfuhr ich von dieſem Manne, daß man in dieſer Abſicht ſchon unterwegs ſei, und daß er einen recht eingeteufelten Häſcher, den ſogenannten Toledaner, zu dieſer Unternehmung bei ſich habe. Als man mir dies ſagte, tat ich den Schwur, ihn ſo anzuführen, daß mich dieſer nämliche Häſcher auf ſeinem Rücken nach meinem Hauſe tragen müſſe. Sie kamen auch alsbald mit ſolcher Schnelligkeit an, daß es mir beinahe an Zeit ges fehlt hätte, meinen Plan auszuführen. Ich gab dem Sakriſtan Mantel, Wams und Degen, zog eine alte und ſchmutzige Jacke an und verband mir den Kopf mit einem zerriſſenen und blutbefleckten Tuche; ſo warf ich mich unter einige ſehr wider— wärtige Bettler hin, die an der Tür um Almoſen baten. Er kam ſehr zornig an, mich in der Kirche aufzuſuchen. Der Sakriſtan verſchloß die Kirche, ehe er vor der Tür erſchien, und ſchwur, und das mit Wahrheit, es ſei in der ganzen Kirche kein Flüchtling, überhaupt kein anderer Menſch, als jene Bettler, und wenn er einen Flüchtling haben wolle, ſo ſolle er dieſe Bettler forttreiben, unter welchen er ſeinen Gefangenen ſuchen möge. Zugleich fing mein Verfolger auch an, ſie fortzutreiben, indem er rief: Ihr ſeid gewiß rechte Galgenvögel! Was mich betraf, ſo befahl er, weil der Sakriſtan ihm geſagt hatte, daß ich kontrakt ſei und mich nicht rühren könne, dem Tole: daner, mich von dort fortzutragen, denn der Sakriſtan hatte auch hinzugefügt, daß ich viel Geld bei mir habe, an dem er ſich ſchadlos halten könne. Auf dieſes wurde der Häſcher ſo begierig, daß er mich auf den Rücken nahm. Während ſein Herr die Altäre und den Chor unterſuchte und die Decken

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der Sakriſtei aufhob, fagte ich zu ihm: Gewiß, mein Herr, es iſt mir ſehr lieb, daß Ihr nicht mit da hinein gegangen ſeid, denn jener Menſch, den ſie aufſuchen, hat geſchworen, Euch umzubringen. Ihr ſeid nun zwar ein ſtarker Mann, aber er iſt es ſo ſehr, daß er ſchon zwei Häſcher gepfeffert hat, und ebenſo wird er es auch machen, wenn er Euch zu packen kriegt. Ich gehe hier recht gern mit Euch, erwiderte jener. Ich ſagte: Beeilt Euch nur, ehe der Teniente vielleicht nach Euch ſchickt. Er tat dies auch ſehr willig; denn dieſe Leute, teils weil ſie die Händel nichts angehen, teils weil ſie gern ihr Leben ſicher ſtellen, gehen dergleichen Gefahren gern aus dem Wege. Sein Herr, da er die Beute nicht fand, die er ſuchte, und da der Sakriſtan ihm ſagte, daß ich mich ihm freiwillig übergeben würde, rief den Toledaner nicht. Dieſer trug mich langſamen Schrittes über die ganze Pappel⸗ allee und durch das Viertel des Herzogs bis zur San Aloyſius⸗ ſtraße, wo meine Wohnung war. Ich munterte ihn unter⸗ wegs immer damit auf, daß er, außer dem Gelde, welches er ſich verdiene, ein Werk der Barmherzigkeit ausübe. Zwei meiner Bekannten gingen ihm mit lautem Gelächter nach; er aber wagte nicht, zu fragen, weshalb ſie lachten, bis er dahin gekommen war, wo er außer aller Gefahr zu ſein glaubte, und nun tat er die Frage: Worüber lachen denn meine Herren? Sie antworten lächelnd: Über die Laſt, die Ihr Euch aufge⸗ laden habt, denn er iſt ja derſelbe, den Ihr in der Kirche ſuchtet. Er ließ mich voller Schrecken ſchnell auf den Boden nieder; ich aber ſtand gleich aufrecht, ſah ihn ſcharf an und ſagte: Wie? Dachte der Spitzbube denn, daß er Geld von mir bekommen würde? Er iſt mir ja Dank ſchuldig, daß ich ihm nicht durch den Hals in die Eingeweide fuhr, als er mich, wie ein Sankt Chriſtoffel auf den Schultern trug.

Während dieſer ganzen Zeit ſtritt ſich der Herr Richter 142

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mit dem Sakriſtan herum, daß er ihm den Flüchtling aus: liefere. Dieſer aber ſagte: Ich habe mein Verſprechen ſchon erfüllt, denn ich habe ihn dem Toledaner übergeben, der ihn auf dem Rücken fortgetragen hat. Alle Umſtehenden lachten über den Streich, der dem Toledaner, als einem ſo tüchtigen Häſcher, geſpielt worden war, ſo ſehr, daß der Richter über dieſe Lächerlichkeit ſeinen Zorn vergaß und den Arger verbarg, den er doch vielleicht auch darüber empfinden mochte.

Um mich aber völlig ſicher zu ſtellen, nahm ich mir vor, irgendeinen ſicheren Schutz aufzuſuchen. Damals lebte in Se⸗ villa ein edler Fürſt, ſchlank und fein gebaut, von ſchönem Angeſicht, von ſanftem Temperament und der gütigſten Ge⸗ ſinnung, wohltätig und von jedermann geliebt, der Neffe des damaligen Erzbiſchofs von Sevilla, der Marques von Denia. Ich dachte darüber nach, mir die Gnade dieſes Herrn zu er— werben und ſagte zu einem Freunde, dem ich meinen Wunſch mitteilte: Es kann nicht anders ſein, der Fürſt muß mir günſtig und gnädig werden. Und woher wißt Ihr das? fragte mein Freund. Weil ich ihn ſo leidenſchaftlich liebe, ant— wortete ich, und die lebendige Chronik ſeiner hohen Tugenden bin; dieſelbe Konſtellation, die mich zu dieſer heftigen Liebe treibt, muß ihm eine freundſchaftliche Erwiderung dieſes Ge: fühls einflößen. Es gelang mir auch ſo, wie ich es mir ge— dacht hatte; denn als ich einmal im Hofe der Orangen war, und dieſer Fürſt durchfuhr, entſchloß ich mich, ihn, ſo höflich ich es vermochte, anzureden. Er ließ die Kutſche halten, hörte mich mit der größten Güte an, erzeigte mir die Gnade, um die ich bat, und befahl mir, ihn zu beſuchen. Nachdem ich ſeine Gunſt erlangt hatte, begegnete mir keine Unannehm⸗ lichkeit in Sevilla mehr, und meine Feinde hatten nun nicht mehr den Mut, etwas gegen mich zu unternehmen.

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4

Sechſtes Kapitel.

Ich lebte einige Zeit in Sevilla Tag und Nacht in be— ſtändiger Unruhe, weil ich beſtändig in Händel verwickelt war, eine Folge des Müßigganges, der Wurzel aller Laſter und des Grabes aller Tugenden. Ich ging endlich in mich und fand mich in allen Dingen, die ich betrieben hatte, weit zurückge⸗ kommen. Ich faßte den ſchnellen Entſchluß, mich ganz von dieſem nichtsnutzigen Laſter loszumachen, mit welchem ich meine Zeit in Sevilla verloren hatte, und fand ein Mittel dazu, nämlich im Dienſte des Herzogs von Medina Sidonia nach Italien zu gehen, der viele ſeiner Diener auf einer Galeone nach Mailand ſchickte. Als mir dieſe Gnade bewilligt war, hielt ich mich bis zur Zeit der Abreiſe noch in Sevilla auf. In dieſer Zwiſchenzeit kamen einige Portugieſen, von denen, die ſich in der unglücklichen Schlacht mit ihrem Könige Sez baſtian in Afrika befunden hatten, nach Sevilla, von denen Philipp der Zweite viele auslöſte. Ich machte mit etlichen Bekanntſchaft, und da ſie im Sprechen ſcharf und ſinnreich ſind, brachte ich ſehr vergnügte Stunden mit ihnen zu. Einer von dieſen Portugieſen, ein Ritter, ließ ſich von einem unges ſchickten Barbier den Bart ſcheren, der mit einer ſchweren Hand und einem ſtumpfen Meſſer ihn derart kratzte, daß er ihm faſt die Haut vom Geſichte zog. Der Portugieſe hob den Kopf auf und ſagte zu ihm: Herr Barbier, ſchindet Ihr, ſo ſchindet Ihr recht zart, barbiert Ihr aber, ſo barbiert Ihr ſehr ſchlecht. Ich ſtand einmal mit meinem Freunde vor der Tür der Allerheiligenkirche, als ein portugieſiſcher Ritter mit ſechs Pagen und zwei auf ſpaniſch gut gekleideten Lakaien vorüberging, und ſo wie er vor der Kirche das Barett abnahm, nahmen wir aus Höflichkeit das unſrige vor ihm ab. Wie be⸗ leidigt, wandte er ſich zu mir um und ſagte: Herr Kaſtilianer, nicht vor Euch, ſondern vor dem heiligen Sakrament habe 144

ich die Mütze abgezogen. Ich antwortete: Ich habe fie aber vor Euch abgezogen. Über dieſe Antwort beſchämt, erwiderte der Portugieſe: So habe ich ſie auch vor Euch abgezogen, Herr Kaſtilianer. Durch die Trommelgaſſe gingen einmal ein Portugieſe und ein Kaſtilianer, und als der Portugieſe ver— liebte Blicke zu den Fenſtern hinaufwarf, überſah er eine Vertiefung im Wege, geriet mit den Füßen hinein und fiel der Länge nach hin. Gott helfe Euch! rief der Spanier. Er käme zu ſpät! erwiderte der Portugieſe.

Als drei Kaſtilianer mit einem Portugieſen Karten ſpielten, betrog dieſer ſie ſehr fein; denn da er fünfundfünfzig Augen in die Hand bekommen hatte, ſagte er halb für ſich, wie im Verdruß über ſeine Karten, doch ſo, daß es die andern hörten: Die Jahre des Mahomet. Jene, die ein gutes Spiel zu haben glaubten, nahmen es mit ihm auf; einer zeigte fünfzig Augen auf, die andern beiden ſoviel ſie hatten, worauf der Portugieſe ſeine fünfundfünfzig hinwarf, mit welchen er ge— wann. Einer von ihnen ſagte: Wie ſprecht Ihr denn, Ihr hättet die Jahre des Mahomet, welches doch nur achtundvierzig ſind, da Ihr doch fünfundfünfzig habt? Der Portugieſe antwortete: Ich dachte wirklich, Mahomet ſei älter geworden. Ich könnte noch andere ausgezeichnete Schwänke und Witze berichten, unterlaſſe es aber, um nicht zu weitſchweifig zu werden.

Damals brach eine heftige Peſt in Sevilla aus, und von ſeiten der Obrigkeit ward befohlen, alle Hunde und Katzen, damit ſie die Krankheit nicht von einem Hauſe zum andern trügen, umzubringen. Um mein Leben zu ſichern, begab ich mich nach San Lucar, in das Haus des Herzogs von Medina Sidonia, und als ich den Fluß hinabſchiffte, war er auf eine Strecke von fünfzehn Meilen ſo mit Hunden und Katzen an— gefüllt, die man in jenen Gegenden erſäuft hatte, daß man mehr als einmal die Barke anzuhalten gezwungen war.

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Siebentes Kapitel.

Wir ſchifften uns in San Lucar ein und gingen durch die Meerenge von Gibraltar, die an einigen Stellen wirklich ſo ſchmal iſt, daß man glaubt, die Ufer mit den Händen er⸗ reichen zu können. Wir ſahen Calpe, ſo merkwürdig durch ſein Altertum und noch merkwürdiger durch ſeinen Wächter auf dem Feuerturme, den es damals und noch viele Jahr nachher hatte, deſſen Auge ſo unglaublich ſcharf war, daß in der ganzen Zeit, in welcher er im Amte war, die Küſte von Andaluſien keinen Schaden von den Ufern von Tetuan er⸗ litten hat. Denn wenn ſie die Kaperſchiffe in Afrika aus⸗ rüſteten, ſah er es oben von ſeinem Felſen und zeigte es durch Fackeln oder Rauch an. Ich bin Zeuge davon, daß, als einmal einige Ritter von Ronda und Gibraltar oben auf dem Wachtfelſen ſtanden, Martin Lopez (ſo hieß dieſer Wächter) ſagte: Morgen am Abend wird es etwas zu tun geben, denn im Fluſſe von Tetuan rüſten ſie Kaperſchiffe aus. Die Entfer⸗ nung beträgt aber mehr als zwanzig Meilen. Die Korſaren fürchteten das ſcharfe Geſicht dieſes Mannes faſt mehr als die Fahrzeuge, die man gegen ſie ſchickte.

Wir fuhren nahe bei Marbella, Malaga, Cartagena und Alicante vorüber, worauf wir auf die hohe See kamen und uns den baleariſchen Inſeln näherten. Hier wurden wir aber wegen des böſen Gerüchtes, das uns ſchon vorangegangen war, daß nämlich die Peſt in den weſtlichen Ländern ſei, nicht gut aufgenommen, ſo daß ſie uns von Mallorka mit drei oder vier Stücken beſchoſſen. Wir hatten keinen Wind und mußten daher ganz nahe um jene Küſten ſegeln, bis wir fünfzehn Fackeln aufleuchten ſahen, die uns einen großen Schreck ein⸗ jagten, denn da ſich in Algier das Gerücht von den Schätzen verbreitet hatte, die ſich auf der Galeone eines ſo großen Fürſten befänden, ſo machten ſich fünfzehn Kaperſchiffe auf, 146

um uns zu fuchen, welche der Küfte dort den größten Schaden zufügten, und uns auch hätten verderben können, wenn der Wind ſie begünſtigt hätte. Als wir dieſes Zeichen durch die Wächter empfingen, begaben wir uns wieder auf die hohe See, mit Wollſäcken und auf andere Weiſe die Überwaſſer— teile des Schiffes befeſtigend und die ſchwachen Stellen ver— ſtärkend. Jeder wurde auf ſeinen Poſten geſtellt und alle ſo verteilt, wie es den Schiffskapitänen und den alten Soldaten vorteilhaft ſchien. So vorbereitet erwarteten wir die Korſaren, auf deren Schiffen man fchon den halben Mond erkennen konnte; denn da die Galeone keinen Wind hatte, ſie aber mit Macht auf uns zuruderten, kamen wir uns ſo nahe, daß wir uns mit den Kanonen beſchießen konnten. Wir waren entſchloſſen, zu ſterben oder ſie in den Grund zu bohren; auch ſchoß unſere Galeone zwei Stücke ſo glücklich ab, daß fie eins von den fünfzehn Kaperſchiffen verſenkte; in dem⸗ ſelben Augenblicke bekamen wir einen ſo ſtarken Wind in den Rücken, daß wir die Korſaren in wenigen Minuten aus dem Geſichte verloren. Der Wind war aber ſo übermäßig und un— geſtüm, daß er uns den Beſahnmaſt zerbrach; auch zerriß er uns an den übrigen Schiffen Segel und Tauwerk mit ſolcher Wut, daß er uns in weniger als zwölf Stunden vor die franzöſiſche Stadt Frejus trieb. Ebenſo plötzlich aber kam ein entgegengeſetzter Wind von vorn, der uns mit derſelben Schnelligkeit dahin zurücktrieb, woher wir gekommen waren. Die Galeone war ein ſehr guter Segler und dabei ſtark, wodurch wir nicht leicht untergehen konnten; denn nur mit unſerem Fockſegel und dank dem ſtarken Bau des Schiffes konnten wir hoffen, uns zu retten. Am dritten Tage des Sturmes ſchien das Hinterteil auseinandergehen zu wollen, denn es knarrte und ſeufzte wie jemand, der ſich ſchwer bes klagt. Dadurch verloren die Matroſen den Mut und ent⸗ 10* 147

fchloffen fich, uns zu verlaffen und heimlich in die Schaluppe zu ſteigen, die am Hinterteil befeftigt war. Diejenigen Sol⸗ daten, welche nicht ſeekrank waren, merkten es und verhin⸗ derten ſie daran. Da wir die große Gefahr ſahen, waren wir alle entſchloſſen, zu beichten und uns Gott zu ergeben. Als aber zwei Mönche, die mit auf dem Schiff waren, kamen, um uns Beichte zu hören, waren ſie ſo ſeekrank, daß ſie uns auf Bart und Bruſt ſpien, und infolge des heftigen Schwankens des Schiffes auf den hohen Wogen fielen alle Menſchen über⸗ und durcheinander. Ein Affe ſprang im Tau⸗ werk umher, in ſeiner Sprache ſchwatzend, bis eine gewaltige Woge, die über das Schiff ſchlug, ihn mit ſich nahm und uns alle gehörig durchnäßte. Der arme Affe ſchrie um Hilfe und hielt ſich lange oben auf dem Waſſer, mußte aber doch endlich untergehen. In einem Käfig hatten die Matroſen einen Papagei auf einem Maſtkorbe; dieſer rief immer: Pap⸗ chen, wie geht's? Jämmerlich! jämmerlich! In ſeinem Leben hatte er noch nie ſo die Wahrheit geſagt.

Endlich wurden wir noch einmal in die Nähe von Mallorka getrieben, zu einer kleinen Inſel, welche Cabrera heißt; doch als wir ſchon wieder ein wenig Mut gefaßt hatten, warfen uns hohe Waſſergebirge von neuem in das offene Meer hinaus, wo wir alle die nämlichen Leiden wieder zu erdulden hatten. Einige von den Matroſen, die zu viel getrunken hatten und ſehr ermüdet waren, warfen ſich bei der Feuerſtelle nieder, um etwas auszuruhen; aber der Wind wurde plötzlich wieder ſo ungeſtüm, daß er das Feuer umherwarf und ihnen die Körper, Bärte und Geſichter verbrannte, fo daß fie ſchnell aus dem Schlafe und Weinrauſche aufgeweckt wurden. Ich ſah mich in Lebensgefahr; denn damals, als der Beſahnmaſt zerbrochen wurde, hatten meine Kameraden und ich aus Furcht vor dem Winde, die Hängematte an den Maſt gez 148

bunden; als diefer nun zerbrach, wurde die Hängematte in Die Höhe geſchleudert, und jeder nach einer andern Seite hin. Ich blieb auf dem Bord des Schiffes liegen, die Arme nach außen, und hätte man mich nicht ſchnell zurückgezogen, ſo wäre ich in das Waſſer geſtürzt; wäre der Maſt aber nur um einige Zoll niedriger abgebrochen, ſo wären wir durch den Stoß bis gegen die Wolken geflogen. Alle oder doch die meiſten Matroſen wurden ſeekrank. So waren wir ohne Füh— rung; doch nahm ſich ein Hochbootsmann des Kommandos

an, ein Mann mit einem langen Barte, der ihm bis zum

Gürtel reichte und auf den er ſich viel einbildete. Dieſer ſtieg auf dem Tauwerke bis zum Maſtkorbe hinauf, um ſeinen Papagei in Sicherheit zu bringen; der ſtarke Wind riß das Band vom Barte, den er hinaufgebunden hatte, und indem ſich dieſer in den Seilen verwickelte, blieb der Mann am Barte aufgehängt, wie Abſalon an ſeinen Haaren. Er hielt ſich als guter Seemann an einer Stange; infolge des Schwankens des Schiffes wurde er dreimal in die See getaucht und wäre umgekommen, wenn ein anderer ihm nicht in das Tauwerk nachgeklettert wäre und ihm den Bart abgefchnitten hätte. So wurde er lebendig wieder heruntergebracht, aber er war ſehr aufgebracht darüber, ſeinen Bart verloren zu haben, wel— cher in den Stricken ſitzen blieb.

Wir beſtrebten uns wieder, ſo gut wir konnten, gegen den Wind zu ſteuern, während das Hinterteil des Schiffes be—

ſtändig ächzte, und endlich gelang es, in den Hafen von

Cabrera einzulaufen. Dieſes tft eine wüſte Inſel, ohne Ein⸗

wohner und ohne Verbindung mit der übrigen Welt, außer mit Mallorka, von wo man die Lebensmittel für vier oder

fünf Perſonen herüberbringt, welche das ſtarke, hohe Kaſtell

dort bewachen, mehr deshalb, damit die Türken nicht die Inſel in Beſitz

nehmen, als daß man ſie an ſich ſelbſt für notwendig hielte. 149

7

Die ganze Zeit über war der Haushofmeiſter, unter welchem die Dienerſchaft des Herzogs ſtand, ſeekrank geweſen; ſowie er beſſer war, war ſein erſtes, nach allem zu ſehen, was er zu bewahren hatte, und da er einige Zuckerhüte vermißte, ſagte er: Ich werde gewiß erfahren, wer dieſen Zucker gegeſſen hat. So geſchah es auch; denn diejenigen, die ihn ſo über⸗ mäßig genoſſen hatten, hatten ſich den Magen fo ſehr ver= dorben, daß ſie in vierzehn Tagen ſich nicht erholen konnten. Von dem Hochbootsmann ſahen wir viele Tage das Geſicht nicht, ſo ſehr war er beſchämt, ſeinen Bart verloren zu haben.

Die auf der kleinen Inſel nahmen uns auf, denn da ſie mit der Welt nicht in Verbindung ſtanden, ſo wußten ſie nicht, daß wir aus einer verpeſteten Gegend kamen, und hätten ſie dies ſelber gewußt, ſo würden ſie uns doch bewirtet haben, um nur wieder Menſchen zu ſehen, mit denen ſie ſprechen konnten; denn ſie hören dort nichts als die dumpfbrauſenden Wogen, die beſtändig gegen die Klippen ſchlagen, auf denen das Kaſtell erbaut iſt.

Wir hielten uns hier wohl zwanzig Tage oder noch etwas länger auf, um die Maſten wieder zu zimmern, das Tauwerk herzuſtellen und die Segel auszubeſſern. Wir litten hier Ende Mai und Anfang Juni ſehr unter der großen Hitze, ohne auf der ganzen Inſel einen Ort zu finden, wo wir uns dagegen ſchützen konnten; auch hatten wir keine Quelle, um uns zu erfriſchen, außer der Ziſterne, aus welcher die armen Vers laſſenen tranken. Dieſe kleine Inſel hat ſechs oder ſieben Meilen im Umfange, beſteht ganz aus Steinen und hat nur wenige Erde; Bäume ſieht man gar nicht, nur Sträucher, die nicht über den Gürtel reichen. Es gibt hier eine Art großer, ſchwarzer Eidechſen, die vor dem Menſchen nicht fliehen, und nur wenige Vögel, weil ſie kein Waſſer finden, um ſich zu erquicken.

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Achtes Kapitel,

Da die Hitze fo drückend war, und ich felber immer heißer Natur geweſen bin, ſo ging ich mit einem Freunde aus, und wir ſprangen von Klippe zu Klippe, um einen Ort aufzuſuchen, der nur irgend grün oder feucht wäre, damit wir uns erfriſchen könnten, um nach den Leiden der Schiffahrt, die uns ſehr mitgenommen hatten, uns nun wieder einigermaßen zu er— quicken. Indem wir ſo von einer Klippe zur andern ſprangen, betrübt über die dürre, ausgeſtorbene Natur um uns her, bekam ich plötzlich einen Mundvoll fo himmliſche Luft, mit den Düften von Geißblatt geſchwängert, daß es mir war, als würde uns dieſe Erquickung durch beſondere Schickung zugeſendet. Ich wandte den Kopf nach der Morgenſeite, von wo dieſer Duft herſtrömte, und ſah dort inmitten jenes Klipz pengewirrs ein wunderbar friſches Plätzchen, grün und blühend, denn ſchon von weitem ſah man die Blüten des Geißblatts, ſo groß, anmutig und duftend, wie man ſie nur irgend in ganz Andaluſien findet. Wie die Ziegen, von Stein zu Stein ſpringend, machten wir uns näher und fanden eine Höhle, in deren Mündung jene erfriſchenden Sträucher mit ihrem lieb— lichen Dufte wuchſen. Der Eingang war oben nur eng, aber unten erweiterte ſich die Höhle, von deren Wänden an vielen Stellen ein ſo angenehmes und friſches Waſſer niederſickerte, daß wir vor Freude über dieſe Entdeckung aus dem Schiffe Seile holten, um hinabſteigen zu können und uns zu erfriſchen. Wir ließen uns mit einiger Schwierigkeit hinunter und fanden unten einen angenehmen und friſchen Raum; denn aus dem niederträufelnden Waſſer bildeten ſich mannigfache ſonderbare Figuren, wovon einige Orgeln, Patriarchengeſtalten, Kaninchen und andern Dingen ähnlich waren, die ſich nach und nach durch das immer niederfallende Waſſer ausgebildet hatten. Aus dieſen immerwährenden Tropfen entſtand auch ein kleiner Bach,

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der fo klar über feinen, roten Sand lief, daß er zum Trinken einlud, was wir auch mit dem größten Behagen taten. Dieſer Platz war von der größten Anmut, denn wenn wir hinauf— blickten, ſahen wir die Mündung der Höhle, mit den Blumen des Geißblatts bedeckt, welche ſich tief herunter neigten und einen überirdiſchen Duft durch die ganze Grotte verbreiteten; betrachteten wir unten den Raum, in welchem wir uns be— fanden, ſo ſahen wir das friſche, kalte Waſſer und den Boden mit Ruheplätzen, auf welchen wir uns zur Zeit der drückendſten Hitze erholen konnten; auch war der Ort geräumig genug, um ſich hier der Muße hinzugeben. Wir ließen uns unſer Eſſen und eine Gitarre bringen, und unterhielten uns ſo, ſingend und ſpielend, in großer Freude, wie die Kinder Iſrael in der Verbannung.

In der Nacht begaben wir uns, um zu ſchlafen, nach dem Kaſtell, obgleich das Schiff immer bewacht wurde. Dem Kaſtellan erzählten wir von der gefundenen Höhle. Dieſer war ein Mann von ſchrecklichem Außeren; ſeine Augen waren feuer⸗ rot, die Lippen, welche niemals lächelten, eingekniffen. Man ſagte von ihm, er ſei der Anführer einer Räuberbande geweſen, und deshalb habe man ihn in dieſes kleine Kaſtell verſetzt, um es zu bewachen. Dieſer ſagte zu uns in ſeiner kataloniſchen Mundart: Seht euch nur vor, denn die Türken wiſſen dieſe Höhle auch. Dieſe Warnung hinderte uns aber nicht, täglich dieſen herrlichen Aufenthalt zu beſuchen, um dort zu eſſen und die Sieſte zu halten. Dieſes taten wir wohl zehn oder zwölf Tage hintereinander.

Als wir eines Tages gegeſſen hatten und eben Nachmittags⸗ ruhe hielten, ſahen wir an der Mündung der Höhle rote Mützen mit weißen Binden erſcheinen; wir ſprangen auf, und ſowie uns jene ſo unverhoffterweiſe erblickten, rief einer deutlich und in gutem Spaniſch: Ergebt euch, ihr Hunde! 152

Meine Gefährten waren in Verwirrung darüber, Turbane zu ſehen und ſpaniſche Laute zu hören, und einer von ihnen ſagte: Das müſſen Leute aus unſerem Schiffe ſein, die uns einen Poſſen fpielen wollen. Da ſagte ein anderer Türke: Raſch er— geben, Türken ſein! Die drei Gefährten griffen zu den Degen, um ſich zu verteidigen; ich aber ſagte: Was ſoll die Ver— teidigung nützen; wenn ſie uns von oben mit Steinen tot— werfen können, wie viel mehr können ſie uns da mit den Mus— Feten totſchießen, die wir in ihren Händen ſehen! Ich ſagte hierauf zu denen oben: Ich ergebe mich dem, welcher ſpaniſch ſprach, und wir alle ergeben uns allen; ſteigt alſo herab, um euch zu erfriſchen, wo nicht, ſo wollen wir euch Waſſer hinauf bringen, denn wir ſind eure Sklaven. Der ſpaniſche Türke ſagte: Es iſt nicht nötig, denn wir kommen ſchon hinunter 0.

Wir flehten innerlich zu Gott, daß die im Schiffe von der Sache Kunde haben möchten, und fügten uns in unſer Schick— ſal. Meine Gefährten ſahen betrübt aus, und ich nicht weniger; doch habe ich immer eingeſehen, daß in allen Unglücks— fällen die Geduld das beſte Hilfsmittel iſt. Ich zwang mich daher, heiter zu ſcheinen, fühlte aber tief, was jeder emp— finden muß, der aus der Freiheit in die Sklaverei gerät. Ich tröſtete auch meine Gefährten und ſagte ihnen: um das Leid zu vermindern, müſſe man es in Geduld ertragen. So ging ich mit dem Anſchein der Heiterkeit den Türken entgegen, welche herunterkletterten. Ich näherte mich dem, welcher ſpa— niſch redete, mit der größten Unterwürfigkeit und Demut, und indem ich ihn einen vornehmen Ritter nannte, gab ich

zu verſtehen, daß ich ihn ſchon ehemals gekannt habe. Er war

hierüber ſehr erfreut und ſagte zu den Türken, ſeinen Beglei— tern, daß ich ihn kenne und wiſſe, aus welchem vornehmen und edlen Geſchlecht er ſtamme. Ich erfuhr nachher, daß er

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einer der angeſehenſten Morisken aus dem Königreiche Vaz lencia geweſen war, welcher abgefallen war und ein großes Vermögen in Gold und Silber mit ſich genommen hatte. Da ich ſah, wie gut es ihm gefiel, daß ich ihn einen edlen Ritter genannt hatte, fo fagte ich ihm noch mehr Schmeicheleien, denn er war der Herr von zwei Kaperſchiffen, die zu jenen fünfzehn gehörten: dieſe hatten ſich infolge der ungünſtigen Witterung in einer Bucht verborgen gehalten. Zu dieſen Schiffen führte man uns ſogleich gefeſſelt fort. Mein Herr nahm mich beiſeite und ſagte heimlich zu mir: Fahre nur fort in dem, was du angefangen haſt, denn ich bin Herr dieſer Schiffe; mir wird es Anſehen geben und dir eine gute Behandlung zuziehen. Ich tat dies auch ſogleich und erzählte, als wenn er es nicht hörte, daß er von ſehr vornehmen und hochgeſtellten Eltern abſtamme.

Wir waren ſo unglücklich, daß ſogleich ein günſtiger Wind ſich zeigte; wir richteten alſo unſeren Lauf nach Algier, und der Wind blies luſtig in unſere Segel, ſo daß die Ruder nicht angerührt wurden. Man zog uns unſere ſpaniſche Kleidung aus und gab uns die von elenden Sklaven; meine Gefährten wurden auch an die Ruder geworfen, mich behielt aber mein Herr zu ſeiner Bedienung. Bei dem ſanften Winde, der uns forttrieb, fragte mich mein Herr, um etwas zu ſprechen: wie ich heiße, wer ich ſei und welches Handwerk oder welche Arbeit ich verrichten könne? Auf das erſte erwiderte ich, daß ich mich Marcos von Obregon nenne, und der Sohn von Ger | birgsbewohnern aus dem Tale von Cayon ſei. Die übrigen weil ſie einem kleinen Türken zuhörten, der recht artig ſang, konnten nicht vernehmen, was wir miteinander ſprachen, und daher fragte ich ihn, bevor ich ihm noch alles beantwortet hatte, ob er ein Chriſt oder der Sohn von Chriſten ſei; denn ſein Weſen ſowie die Schönheit eines jungen Sohnes, der 154

mit ihm war, zeigten deutlich, daß fie von Spanien herkommen müßten. Er antwortete mir ganz offen, weil die übrigen dem kleinen Muſikanten zuhörten, und ſagte mir, daß er getauft und der Sohn chriſtlicher Eltern ſei, daß er nach Algier ge— gangen, nicht weil er ſeine Religion gehaßt habe, die er wohl für die wahrhaftige erkenne, ſondern weil ich, fuhr er fort, mit einem ſpaniſchen Geiſte geboren ward und alle die Er— niedrigungen nicht ertragen konnte, die mir täglich von Men⸗ ſchen widerfuhren, die von gemeinerem Stande waren als ich; ebenſowenig die Betrügereien, die man ſich meines Vermögens wegen erlaubte, denn ich bin reich und ſtamme aus einer alten chriſtlichen Familie, und darum habe ich mein Vaterland verlaſſen, wie es ſo viele tun, die ſchon herübergekommen ſind und noch täglich herüberkommen, nicht allein aus dem König: reiche Valencia, wo ich geboren bin, ſondern auch aus Granada und aus allen ſpaniſchen Provinzen. Mich ſowohl, wie die übrigen, kränkte es tief, daß man uns nicht zu den obrigkeit⸗ lichen, noch zu den höheren Ehrenſtellen ließ, und daß dieſe Beſchimpfung niemals aufhören würde, und daß es nichts fruchtete, äußerlich wie innerlich ein guter Chriſt zu ſein. Und ein Elender, der weder durch Geburt noch Talent ſich nur zwei Zoll breit vom Boden erhoben hat, darf mit ſchändlichen Namen einen Chriſten und einen Edelmann beſchimpfen! Und noch dazu gab es keine Hilfe gegen dieſe Schändlichkeiten! Was kannſt du hierzu ſagen? | Nur das, antwortete ich, daß die Kirche ſchon auf Mittel gegen dieſe Ungerechtigkeiten geſonnen hat, und dann, daß der= jenige, welcher die Taufe einmal empfangen hat, ſich durch nichts ſoll mutlos machen laſſen, um dieſes hohe Gut wieder verloren zu geben. Das gebe ich alles zu, ſagte der Türke, aber welche menſch— liche Geduld kann es ertragen, daß ein niedriger Menſch, ohne 155

Vorzüge und ohne Geburt, deffen Stamm und Abkunft ſich in verächtlicher Dunkelheit verloren hat, daß dieſer ſich auf— blähen darf und ſich über Menſchen erheben, die beſſer ſind als er, ſowohl durch ihre Familie als durch ihre Verdienſte?

Darüber, ſagte ich, kann nur Gott richten, der, wenn er hier nach ſeiner Weisheit dergleichen Unrecht zuläßt, auch dort demjenigen, welcher gelitten hat, ſeine Leiden wird zu ver— gelten wiſſen.

Wir wollten unſer Geſpräch noch fortſetzen, aber da der kleine Türke jetzt zu ſingen aufhörte, gebot mir mein Herr, zu ſchweigen und kam auf ſeine erſte Frage zurück. Ich ant⸗ wortete ihm auf alles mit Kürze und ſagte: Ich ſtamme aus den Gebirgen bei Santander, aus dem Tale von Cayon, vb: gleich ich in Andaluſien geboren bin; ich heiße Marcos von Obregon und verſtehe keine Arbeit, denn die Hidalgos in Spanien erlernen dergleichen nicht, indem ſie lieber Not oder Dienſtbarkeit ertragen mögen, als daß ſie Handwerker ſein wollten. Der Adel der Gebirge wurde nämlich durch die Waf— fen erlangt und in Dienſten für die Könige bewährt und darf alſo nicht durch niedrige Arbeiten entehrt werden; denn dort lebt man mit dem wenigen, was man hat, und behilft ſich ſo armſelig, als es nur immer möglich iſt, bewahrt aber ſtets die Geſetze des Adels, nämlich zerriſſen und zerlumpt einherzugehen, mit Strumpfhoſen und Handſchuhen.

Ich werde Euch ſchon das Arbeiten zu lehren wiſſen, ſagte mein Herr.

Einer meiner Gefährten, der am Ruder war, antwortete: Ich wenigſtens werde mich nicht dazu bequemen, denn man ſoll in Spanien nicht ſagen können, daß ein Hidalgo aus dem Hauſe Mantillo in Algier eine Arbeit übernommen habe. |

Wie, du Hund, fagte mein Herr, du ſtehſt am Ruder und 156 |

führſt noch Eitelkeiten im Munde? Gebt dieſem Hidalgo doch gleich einmal fünfzig Streiche!

Ich bitte Euch, mein Herr, rief ich aus, ihm ſeine Un— wiſſenheit zu vergeben; denn er hat von einem Hidalgo nichts als den Namen, ohne die Vorzüge, die mit dieſem verknüpft ſein ſollen, er will nur ſein Recht geltend machen, zu eſſen ohne zu arbeiten. Er iſt nicht der erſte Vagabund, den dieſes Haus aufzuweiſen hat, wenn er wirklich daraus ſtammt. Ich wandte mich hierauf zu ihm ſelbſt und ſagte: Einfältiger! Iſt jetzt wohl die Zeit dazu, oder ſind wir in der Lage, um uns dem zu entziehen, was man uns befiehlt? Demut und Ge— horſam ſind jetzt unſere Pflichten.

Du ſprichſt gut, ſagte mein Herr, und es freut mich, dich gefunden zu haben, denn du ſollſt der Lehrer meines Sohnes werden, dem ich bis jetzt noch keinen habe halten können, weil man bei uns niemand findet, der die Dinge wüßte, welche die Chriſten ſchon in früher Jugend lernen.

Wahrlich, erwiderte ich, es iſt ein ſo ſchönes Kind, daß ich wünſchte, Wiſſenſchaft genug zu haben, um ihn zum großen Manne su erziehen. Doch wird ihm, fo ſchön und adelig er auch iſt, immer etwas fehlen.

Alle die übrigen Mauren wurden hierauf aufmerkſam, und der Vater fragte: Und was fehlt ihm denn? Ich antwortete: Das, was Ihr übrig habt. Und was habe ich übrig? fragte der Vater. Die Taufe, ſagte ich, der Ihr nicht mehr bedürft.

Er griff nach einem Prügel, um mich zu ſchlagen, in dem⸗ ſelben Augenblick aber faßte ich das Kind, um ihn damit abzuwehren. Der Stock entfiel feinen Händen, worüber alle lachten, und der Zorn des Vaters wurde wieder beſänftigt. Er ſtellte ſich aber doch noch böſe, um ſich bei ſeinen Begleitern oder Soldaten in Anſehen zu erhalten, die von ihm glaubten, daß er ein ſehr eifriger Anhänger der hündiſchen oder türkiſchen Re—

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ligion feit!; doch merkte ich, fo wenig ich ihn auch noch kannte, daß er nicht abgeneigt ſei, zur katholiſchen Wahrheit zurückzukehren. Weshalb, rief er aus, denkt ihr wohl, daß ich von Spanien nach Algier ging? Nun, um alle jene Küſten zu verheeren, wie ich es immer getan habe, ſo viel nur in meiner Gewalt ſtand, und ich werde ihnen noch weit mehr Böſes zufügen, als bisher geſchehen iſt.

Da ſie ihn ſo erzürnt ſahen, wollten ſie mich an das Ruder ſchließen, er ſagte aber: Laßt ihn nur, denn es iſt die Pflicht eines jeden, für ſeine Religion eifrig zu ſein, und wenn dieſer Türke wird, ſo tut er für die unſrige dasſelbe. Er befahl mir hierauf, um ſeinen Verdruß noch mehr zu vergeſſen, die Gitarre zu nehmen, die wir aus der Höhle mitgebracht hatten. Wäh⸗ rend ich zur Gitarre ſang, waren alle, bei günſtigem Winde und ſtillem Meere, ſehr vergnügt, auch ſtießen wir auf keinen Feind, und ſo entdeckten wir die Türme der algeriſchen Küſte, und alsbald auch die Stadt. Da man dort die Mannſchaft für verloren gehalten hatte, ſo bezeigten die Einwohner große Freude, als ſie ſahen, daß es die Schiffe des Renegaten waren. Sie kamen zum Hafen, und die Freude, ihn wiederkommen zu ſehen, und ſelbſt mit Beute, war ſtürmiſch und lärmend; ſie blieſen Trompeten, Pfeifen und andere Inſtrumente, die fie mehr brauchen, um ein verwirrtes Getöſe als einen Ohren⸗ ſchmaus hervorzubringen. Seine Frau und eine Tochter gingen ihm auch entgegen, welche letztere in ihrem ganzen Weſen ſpaniſch war. Sie war weiß und rot, hatte ſchöne graue Augen, ſo daß ſie mehr ausſah, als wäre ſie in Frankreich als in Algier geboren; die Naſe war gekrümmt, der Ausdruck ihres Geſichts heiter und anmutig, und alle Teile ihres Kör⸗ pers ſtanden in einem ſchönen Verhältnis.

Der Renegat, welcher ein verſtändiger Mann war, lehrte alle ſeine Kinder die ſpaniſche Sprache, in welcher ihn 158

die Tochter unter rührenden Tränen anredete, die ihr über die roſenroten Wangen rollten; denn da ſie die unglücklichen Nachrichten gehört hatte, ſo war es jetzt die Freude, die ihr dieſe Tränen aus den Augen preßte. Ich machte ihnen eine ſehr tiefe Verbeugung, der Tochter früher als der Mutter, denn zu jener zog mich gewaltſam ein Trieb der Natur; dann ſagte ich zu meinem Herrn: Ich halte, mein Herr, meine Gefangenſchaft für ein großes Glück, denn abgeſehen davon, daß ich in die Gewalt eines ſo vornehmen Mannes geraten bin, werde ich jetzt der Sklave dieſer Tochter und dieſer Gemahlin, die mir viel mehr Engel als irdiſche Weſen zu ſein ſcheinen.

Ach, mein Vater, rief die Jungfrau aus, wie höflich ſind doch die Spanier! Sie könnten, ſagte der Vater, alle Na⸗ tionen der Welt die Höflichkeit lehren, und dieſer Sklave ganz beſonders, denn er iſt edel, ein Hidalgo aus den Gebirgen, und ſehr verſtändig.

Man ſieht es ihm an, ſagte die Tochter; aber warum iſt er ſo ſchlecht gekleidet? Laßt ihn doch ſpaniſch gehen.

Alles wird ſich finden, meine Tochter, antwortete der Vater; wir wollen jetzt von den Beſchwerden der Seereiſe ausruhen, da wir frei und wohlbehalten wieder zurückgekommen ſind.

Neuntes Kapitel.

Durch die Tochter und die Mutter wurde mir mein Dienſt ſehr angenehm, ganz beſonders aber durch die Tochter; denn da dieſe ſchon ſo viel Gutes über Spanien und deſſen Ein— wohner von ihrem Vater gehört hatte und die Natur ſie auch zu dieſer Vorliebe führte, ſo ſorgte ſie weit mehr für mich als für die übrigen Sklaven. Ich diente überhaupt nicht ſo ungern wie jene, denn abgeſehen von dem Anblick meiner ſchönen Herrin war es mir gewiſſermaßen lieb, nach Algier

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gekommen zu fein, weil ein Bruder von mir ſich auch hier in der Sklaverei befand. Ich war ſo glücklich, noch ehe ich mich nach ihm erkundigt hatte, zu erfahren, daß er andere Sklaven angereizt hatte, eine Barke zu nehmen, und nachdem ſie ihre Herren umgebracht, ſich dem Glücke oder vielmehr dem Willen des Himmels zu vertrauen. Obwohl nun die übrigen nicht den Mut dazu gehabt hatten, ſo hatte er doch ſeine Abſicht durchgeſetzt, die ihm auch ſo gut gelang, daß er nach Spanien kam, wo er ſpäter vor Jatelet ſtarb. Hätte man es erfahren, daß ich der Bruder von dieſem ſei, ſo wäre es mir wahrſcheinlich übel ergangen.

Ich diente meinen Herren mit der größtmöglichen Luſt und allem Eifer, deſſen ich fähig war; ſie nahmen meine Dienſte auch gefälliger auf als die der übrigen Gefangenen. Da ich mir gleich anfangs ihr Wohlwollen erworben hatte, ſo war es mir auch nachher leicht, es zu bewahren; ich behandelte ſie mit großer Hochachtung und Höflichkeit und tat mir die größte Gewalt, da es mir im Anfange ſehr ſchwer ankam, zu dienen. Doch Zeit und Not lehren den Menſchen alle Dinge.

So ſehr ich mich auch von meiner Herrſchaft vorgezogen ſah, ſo unterließ ich es doch nicht, mit den übrigen Ge— fangenen meine Gunſt ſowie ihre Beſchwerden zu teilen, und eine ſolche Aufmerkſamkeit iſt notwendig, um den Neid zum Schweigen zu bringen. So oft ich die Jungfrau, meine Herrin, ſah, bemerkte ich, daß ſie die Farbe veränderte und unwill⸗ kürlich ihre Hände und Finger bewegte, ſodaß es ausſah, als griffe ſie Taſten. Anfangs ſchrieb ich das ihrer großen Sittſamkeit zu; aber da dieſe Anzeichen immer häufiger wurden, und ich von dergleichen Zufällen eine ziemliche Erfahrung hatte, ſo erkannte ich ihre Krankheit bald. Sie trug mir täglich tauſend Sachen auf, die weder zu meinem Dienſte gehörten noch ihr irgend wichtig fein konnten; ich aber war um fo | 160

fröhlicher, je mehr fie mir auftrug. Jede Spielerei, die ich gemacht oder nur berührt hatte, nahm ſie in ihre Hände und freute ſich daran, daß dieſe Sachen aus Spanien kamen. Einmal ſagte ſie mir mit einem Geſicht ſo rot wie eine Klatſchroſe, daß, wenn auch nichts weiter aus Spanien ge— kommen wäre als derjenige, der ihr dieſe Dinge gäbe, ihr dies ſchon genug ſei. Nach dieſen Worten lief ſie ſchnell fort und verſteckte ſich.

Dieſe Gunſtbezeigungen entzückten mich; doch bedachte ich die Lage, in der ich mich befand, und daß, wenn ich die Freiheit des Leibes ſuchte, ich die der Seele verlieren könne, und daß der geringſte Nachteil, der mir erwachſen möchte, der wäre, als Eidam im Hauſe zu bleiben. Ich machte mir, wenn ich allein war, harte Vorwürfe und ſuchte die Reize des Mädchens zu vergeſſen und die Eindrücke, die ſie auf mein Herz gemacht hatte, wieder zu vernichten. Ich fühlte, daß im Augenblicke, da dieſe Leidenſchaft den Menſchen ergreift, er zu allen Dingen unfähig wird. Ich wollte mich überreden, ich könne vielleicht nur zu meiner Unterhaltung dieſe angenehme

Laſt auf mich nehmen; aber die Erfahrung hatte mich ſchon gelehrt, daß die Liebe als umumſchränkter Tyrann herrſchen will. Dann wieder ſagte ich zu mir ſelbſt, daß es doch un— möglich ſei, mich gegen eine ſo große Liebe undankbar zu bezeigen. Doch ſtellte ich mir wieder vor, daß die Eltern auf irgendeine Weiſe unſer Einverſtändnis erfahren könnten; daß es unrecht ſei, die Liebe und das Vertrauen des Vaters ſo zu vergelten, der mir ſeinen Sohn zum Unterricht übergeben habe; wichtiger aber als alles war mir, daß ſie noch nicht getauft ſei. Ich faßte endlich den Entſchluß, ihre zärtlichen Blicke nicht zu erwidern, und wenn die Liebe mich auch innerlich verzehren ſollte.

Das arme Mädchen, das dieſe Veränderung in mir bemerkte, 1 161

nahm fich dies zu Herzen und wurde melancholiſch; fie verlor die Farbe und den Glanz ihrer Augen. Man fragte ſie, was ihr fehle; ſie antwortete, ſie fühle eine Krankheit, die ſie nicht zu nennen wiſſe. Man fragte ſie weiter, ob ſie ſich etwas wünſche. Sie ſagte, das, was ſie wünſche, ſei etwas Unmögliches, denn ſie möchte nur ein einziges Mal Spanien ſehen. So zwiſchen Lachen und Traurigkeit überwältigte ſie die Schwermut ſo ſehr, daß ſie ſich wider ihren Willen zu Bett legen mußte; denn nun konnte ſie den nicht ſehen, den ſie wünſchte, ſondern ſie wurde nur von den Weibern beſucht und von den ſcharf aufpaſſenden Verſchnittenen. In dieſer traurigen Lage war das Mädchen, welches ich mehr liebte, als ich wußte oder dachte.

Zehntes Kapitel.

Man fing endlich an, die Melancholie dieſes jungen Mäd⸗ chens heilen zu wollen, indem man vielerlei Mittel verſuchte, die ſie erſt wirklich krank machten; denn da ſie wegen ihrer Schönheit und Güte ſehr beliebt war, ſo nahmen alle in Algier an ihrer Krankheit teil. Da ich aber die Urſache ihrer Traurig⸗ keit am beſten kannte, ſo ſann ich darauf, wie ich ſie ſehen und tröſten könne, mit dem Vorſatz, ihr in Gegenwart des Vaters und der Mutter von meiner Liebe zu ſprechen, ohne daß dieſe es hörten, und daß dieſe ſelbſt mich zu dieſem Zwecke zu ihr führen ſollten. Ich ſagte daher meinem Herrn, daß ich in Spanien von einem weiſen Manne einige Worte gelernt hätte, welche, dem Kranken leiſe in das Ohr geſagt, die Kraft hätten, die tiefſte Melancholie zu heilen: der Leidende müßte ſie aber mit dem vollkommenſten Glauben anhören, und ſie müßten ſo heimlich geſprochen werden, daß niemand anders ſie vernehmen könnte. Der Vater ſagte: Mache meine 162

Tochter geſund, auf welche Weiſe es auch ſei. Die Mutter trieb mich ebenſoſehr an, ihr dieſe Worte zu ſagen.

So ſauber gekleidet, als es mir nur möglich war, ging ich dahin, wo die Kranke ſich unter Weibern befand, und indem der Vater und die Mutter hineintraten, ſagten ſie zu ihr: Mein Kind, faſſe Mut und feſten Glauben an die Worte, die dir Obregon jetzt ſagen wird, um dich von deiner Melancholie zu heilen. Alle mußten ſich zurückziehen, und mit der größten Demut und Höflichkeit näherte ich mich dem Ohr der Kranken und ſagte ihr folgende Beſchwörungsformel: Gebieterin, die Verſtellung in dieſen Tagen rührte nicht von Vergeſſen oder Gleichgültigkeit her, ſondern geſchah nur aus Rückſicht und Achtung für Eure Ehre, denn ich liebe Euch mehr als mein Leben. Hiermit entfernte ich mich, und zugleich ſchlug ſie mit himmliſchem Lächeln ihre glänzenden Augen auf, worüber alle Anweſenden ſich erfreuten, und ſie ſagte: Wie können nur ſpaniſche Worte ſo kräftig ſein? So viel hatte ſie ſeit ſechs Tagen nicht geſprochen.

Dieſer Vorfall gereichte mir aber nachher zum Verdruß; denn der Ruf dieſer Kur verbreitete ſich, und andere, die aus mancherlei Urſachen melancholiſch waren, wollten ſich auch von mir heilen laſſen, ohne daß ich wußte, wie ich es an— fangen ſollte, oder daß ich mehr als vom Hörenſagen den Urſprung ihres Übels kannte.

Alle Anweſenden freuten ſich und rühmten die Kraft der Worte und den höflichen Anſtand wie die Demut, mit welchen ich ſie geſagt hatte. Das junge Mädchen wollte, durch die Beſchwörung geſtärkt, ſogleich aufſtehen; ich aber ſagte zu ihr: Da Ihr nun, meine Gebieterin, zur Geneſung den Anfang gemacht habt, ſo iſt es nicht gut, Euch ſogleich als eine Geſunde zu betrachten; haltet Euch noch ruhig, denn ich will öfter wiederkommen, um Euch dieſe Worte zu ſagen und andere, 11˙ 163

die noch vortrefflicher find, wenn Ihr es nämlich und mein Herr erlaubt. So geſchah es auch. Sie ſtand endlich auf, und ich kam in den Ruf, daß ich die Gabe beſitze, Melancholiſche zu heilen. Alle freuten ſich, ſie wieder geſund zu ſehen; ich aber vor allen am meiſten, weil ich ſie mit der größten Zärtlichkeit liebte.

Zu derſelben Zeit litt eine junge, ſchöne und vornehme Dame, die an einen der Angeſehenſten in der Stadt verheiratet war, an der Melancholie; ſie wurde immer kränker, und ihre Schwermut erreichte einen ſo hohen Grad, daß ſie niemand mehr ſehen oder ſprechen wollte. Als ihr Mann nun davon hörte, daß die Tochter meines Herrn wieder durch mich ge— ſund geworden ſei, ließ er dieſem ſagen, er möge doch den Sklaven zu ihm ſchicken, der ſich auf die Heilung der Me— lancholiſchen verſtehe. Mein Herr, der ſich ihm gefällig be— zeigen wollte, ſagte zu mir: Du haſt Glück, denn der und der läßt dich holen, ein ſehr vornehmer Mann, der nicht nur hier in Algier, ſondern ſelbſt beim Großherrn viel gilt, damit du ſeine Frau, die ſo ſchön iſt, daß du dich freuen wirſt, ſie zu ſehen, von der Melancholie heileſt. |

O mein Herr, antwortete ich, gebt mir nicht einen ſolchen Auftrag; denn wenn ich es einmal getan habe, ſo geſchah es, weil ich Eure Gnaden über die Krankheit Eurer Tochter nieder⸗ geſchlagen ſah; Ihr wißt ja ſelbſt ſehr gut, wie übel man hier alles aufnimmt, was durch die Kraft der wahrhaften Religion geſprochen oder getan wird. |

Es muß durchaus geſchehen, erwiderte er, denn ich darf mir dieſen Mann nicht zum Feinde machen.

Mein Herr, antwortete ich, entſchuldigt mich bei ihm; denn nicht auf alle Perſonen machen dieſe Worte den nämlichen Eindruck; auch iſt es nötig, daß der Kranke denſelben Glauben daran hat wie Eure Tochter, was mit jener Dame nicht der Fall 164

fein wird. Ich brachte noch manche andere Entſchuldigungen vor, in der Hoffnung, dieſer Kur enthoben zu werden. Er ging auch wirklich zu jenem Herrn, um mich zu entſchuldigen; aber je mehr er mich davon befreien wollte, deſto mehr beſtand jener darauf und ſagte endlich ſogar, wenn ich nicht freiwillig käme, würde er mich unter Prügeln herbeiſchleppen laſſen. Weh mir Armen! ſagte ich zu mir ſelbſt, wer hat mich doch zum Chirurgus oder Doktor der Melancholiſchen gemacht? Was weiß ich denn von Rezepten oder Beſchwörungen? Wie werde ich mich nur aus dieſer ſchlimmen Lage herauswickeln können? Sie muß aufhören, ſchwermütig zu ſein, oder ich muß es mein ganzes Leben hindurch bleiben; ich kann ihr nicht, wie der andern, meine Liebe erklären; ſie würde mich weder ver— ſtehen, noch iſt ihre Krankheit von dieſer Art; ihr aber heimlich etwas von unſerer wahrhaften Religion und heilige Dinge ſagen, würde nur ihre Krankheit und meine Schläge ver— doppeln, obgleich es wohl in Gottes Gewalt ſteht, aus Steinen Brot und aus Heiden Chriſten zu machen.

Endlich faßte ich mir Herz und Mut und nahm meinen Herrn als Dolmetſcher mit, der mich als einen Wunderbalſam hinbrachte. Um meiner Kur zu Hilfe zu kommen, nahm ich eine Gitarre unter den Kittel, weil ich gern alle möglichen Mittel anwenden wollte, um meiner Doktorwürde keine Schande zu machen. Mit Dreiſtigkeit trat ich ein und ſagte keck: Gewiß werdet Ihr, Sennora, geneſen, denn die Worte, welche ich ſage, können nur denen helfen, die ſehr ſchön ſind, und Ihr ſeid die ſchönſte aller Frauen: ich hoffe darum, daß Euer Wohlbefinden nicht ausbleiben und meiner Heilart keine Schande machen wird.

Dieſe Beſchwörungsformel, die ſich bei den Weibern immer von großer Wirkſamkeit zeigt, nahm ſie ſehr gut auf. Und alsbald fuhr ich fort: Ihr müßt nur den größten Glauben in

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die Worte ſetzen und Euch feft einbilden, daß Euer Übel Euch ſchon verlaſſen hat. Hierauf ſtrengte ſie ihren Glauben an, während die Umſtehenden ſehr geſpannt waren. Ich näherte mich ihr, die ſchon ihre Phantaſie angeſpannt hatte, und ſagte ihr eine mächtige Albernheit ins Ohr, die ich in meinem logiſchen Kurſus in Salamanka gelernt hatte, nämlich:

Barbara caelarent Darii ferio Baralipton.

Caelantes dabitis fapesmo frise somor um.

Unmittelbar darauf nahm ich die Gitarre und ſang tauſend Torheiten, die ſie ebenſo wenig verſtand, als ich ſie ihr erklärte.

Die Stärke ihrer Imagination war aber ſo groß, daß ſie, ehe ich mich entfernt hatte, in ein lautes Gelächter verfiel, worauf ſie mich bat, daß ich doch oft wiederkommen und ihr jene Worte in ihrer Sprache geſchrieben geben möchte. Ich dankte Gott, daß ich dieſen Handel ſo gut losgeworden war, und traf Anſtalten, zu keiner Kur mehr berufen zu werden. Da aber mein Ruf ſchon ausgebreitet war, ſo wurde ich ge— zwungen, mich krank zu ſtellen, wenn man zuweilen meine Hilfe begehrte.

Zum Unglück wurde meine junge Gebieterin eiferſüchtig, weil ſie glaubte, ich hätte der ſchönen Frau die nämlichen Worte wie ihr geſagt, und weinte bitterlich. Ich beruhigte ſie aber, da es mir nicht an Gelegenheit fehlte, ſie zu ſprechen, und da ſie noch ein junges, unerfahrenes Mädchen war, glaubte

ſie mir alles. Eines Tages, da ihre Eltern nicht zu Hauſe

waren und ich bei ihr war, dank dem Vertrauen, das ihr Vater zu mir hatte, fagte fie mir, daß ich in Gegenwart der Dienez rinnen mit ihr ſprechen könnte, weil dieſe die Sprache nicht verſtänden, worauf ich anfing: Meine Gebieterin, welches Un— glück für uns und welches Glück für mich hat es denn ſo gefügt, daß Ihr, ein Engel an Schönheit, von zarter Jugend, mit Verſtand und Scharfſinn begabt, Euer Wohlwollen einem 166 .

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Manne zugewendet habt, der fic) dem Alter nähert und ohne Verdienſte und Talente iſt? Ihr, die Ihr des Glänzendſten in der ganzen Welt würdig ſeid, wollt zu Eurem Diener einen Armen, Unbedeutenden, Unglücklichen annehmen?

Ihr Antlitz übergoß ſich hierauf mit dem feinſten Karmin, die Hände fingen ihr an zu zittern, und mit beſchämtem Weſen antwortete ſie mir folgendes:

Auf Eure erſte Frage, mein Herr, weiß ich Euch nichts zu antworten, denn es geſchah, ohne daß ich wollte und wählte; ich wußte weder das Wie noch Warum. Auf die zweite Frage aber antworte ich, daß, ſeitdem ich erfuhr, daß mein Vater getauft geweſen iſt, ich auch das höchſte Glück verabſcheut habe, wenn es ſich hier mir darbieten wollte. Wäre ich ſo glücklich, Chriſtin zu werden, ſo wollte ich mir nichts weiter wünſchen als dies und den Mann, dem ich dieſes ſage. Sie nahm ein Tuch, als wollte ſie ihr Geſicht trocknen, welches ſie ganz damit verdeckte, wie ſich ſelber tadelnd, daß ſie ſo frei geſprochen hatte. Ich verſtummte vor ihrer Schönheit, Sitt— ſamkeit und dieſer Erklärung. Doch ſammelte ich mich wieder, weil ich ihre Eltern auf der Gaſſe kommen hörte; ich nahm meine Gitarre und ſpielte und ſang ein ſpaniſches Lied. Meine Gebieter waren erfreut, mich muſizierend anzutreffen, beſon— ders mein Herr, der aus Vorliebe für alles Spaniſche die ſpaniſchen Geſänge außerordentlich ſchätzte.

Ich fuhr fort, dem Sohne Unterricht zu geben, und brachte ihm, ſo viel ich konnte, chriſtliche Geſinnungen bei, was der Vater auch nicht verhinderte, obgleich er gegen die Chriſten kämpfte und an den Küſten von Spanien und den baleari— ſchen Inſeln großen Schaden tat. In ſeiner Abweſenheit bot ſich mir oft die Gelegenheit dar, viel und lange mit der Tochter zu ſprechen, bei welchen Zuſammenkünften ich ihr meine Er— gebenheit zeigte, aber ohne daß auch nur der kleinſte Anſchein

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von Unziemlichkeit mir vorgeworfen werden konnte. Wie aber dergleichen Verhältniſſe niemals ohne Verdruß und Störungen bleiben, ſo fuhr auch der böſe Geiſt in das Herz eines alten, überaus häßlichen, zahnlückigen Weibes, die mit ihrer böſen Zunge beſtändig die Herrſchaft verleumdete und allenthalben klagte, daß man ſie verhungern ließe. Dieſe warf, weil ich ihr nichts ſchenkte, auf mich einen Haß und ſuchte dem guten Rufe des Kindes zu ſchaden; denn fie ſtellte meine Ergeben: heit in ein ſchlimmes Licht, wodurch die Eltern bewogen tur: den, ihrer Tochter den Umgang mit mir zu unterſagen. Die verwünſchte Alte bildete ſich ein, daß, wenn ſie bei der Herr— ſchaft durch dieſe Klatſcherei eine Art von Vertrauen gewänne, ſie ein beſſeres Leben als vorher führen würde; aber es fiel anders aus, als ſie es dachte; denn die Liebe, welche ſcharf— ſichtig iſt, ließ die Tochter auch bald die Verleumdung und ihre Urheberin entdecken, und die Eltern, welche ſie über die Maßen liebten, glaubten ihr alles, was ſie gegen die Alte ausfagte, fo daß dieſe niemals mehr in die Wohnung dern Frauen kommen durfte und, ſolange ich im Hauſe war, noch ſchlechtere Speiſen als vorher erhielt.

Der Renegat war ein Mann von Verſtand, und obwohl er gegen ſeine Tochter ſo ſtreng verfuhr, ſo ſagte er mir doch nichts von feinem Zorne gegen mich, bis er nach feiner Metz nung die Wahrheit entdeckt haben würde; er ließ mich aber ſeitdem niedrige Dienſte tun, wie Waſſer holen und andere ähnliche Dinge, mehr um zu ſehen, wie ich mich dabei be— tragen würde, als daß er mich in dieſem Zuſtande verharren laſſen wollte. Ich, der ich ſeine Abſicht wohl verſtand, tat alles, was er mir nur auftragen mochte, mit Luſt und ohne Widerrede, um ihn von dem Argwohn, den er gefaßt hatte, wieder zu entwöhnen. Darum tat ich nicht zu viel noch zu wenig, ich war nicht trauriger und nicht fröhlicher als ſonſt. 168

Mit großer Demut ging ich, um Waſſer zu holen, nach einer Quelle, die die Quelle von Babaſon genannt wird, die ein ſehr weiches Waſſer hat, welches man in der Stadt ſehr ſchätzt. Von dieſem Orte ſieht man in eine große Menge ertragreicher Gärten, Weinberge und Olivengehölze. Ein Türke erzählte mir einmal von dieſer Stelle, daß man nicht wiſſe, wo dieſes Waſſer entſpringe, noch woher es komme; denn nachdem es zwei Türken und zwei Sklaven von der Höhe jener Gebirge mit unendlicher Gefahr herabgeleitet hätten, habe ihnen der König oder Vizekönig jener Zeit ihre Bemühung dadurch ver— golten, daß er ſie habe erdroſſeln laſſen, damit ſie niemals das Geheimnis verrieten, wodurch man wohl der Stadt dieſes nützliche Waſſer entziehen könnte, was beſonders bei einer Belagerung von großem Nachteil ſein würde. Dieſe Beſorgnis iſt ſo groß, daß jeder Vizekönig eine neue Erfindung verſucht, um die Sicherheit der Stadt zu vermehren; ſie gehen in der Furcht ſo weit, daß an jedem Freitag, wenn die Männer die Moſcheen beſuchen, Weiber und Sklaven eingeſchloſſen wer— den, damit keine Verräterei möglich ſei. Es iſt aber nicht möglich, wie man nach dieſer Erzählung faſt glauben ſollte, daß ein Sklave ein Mädchen oder Weib ſprechen könne, wenn ſie auch mit ihm in demſelben Hauſe eingeſchloſſen werden; denn die Häuſer ſind ſo gut bewahrt, daß es wohl leichter ſein möchte, die ganze Stadt zu plündern, als eine Verräterei in einem einzelnen Hauſe anzuſtiften. Denn ſie laſſen ihre Wohnungen unter der Obhut jener Verſchnittenen, die mit ſolcher Aufmerkſamkeit alles bewachen, daß kein Betrug und keine Überliſtung möglich werden. Da ich dieſes wußte, fiel es mir nicht ein, einen Verſuch dieſer Art zu machen, oder dieſe Geſchöpfe von ihrer Pünktlichkeit und Treue abwendig zu machen; vielmehr, als mir der Verſchnittene ſelbſt einen Vor— wurf darüber machte, daß ich niemals nach der Wohnung

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der Weiber ginge, da ich doch ein vertrauter Diener des Hauſes ſei, antwortete ich ihm: daß ich das nicht tun würde, was in meinem Lande nicht gebräuchlich ſei, und es ſei nicht er— laubt, daß die Männer mit den Frauen zuſammenkämen. Kurz, ich betrug mich gegen dieſen Spion mit ſolcher Feinheit, daß man mir durchaus nichts vorwerfen konnte, was gerade das war, was mein Herr gewünſcht hatte, und der Eunuch war mir (fo ſehr feine mürriſche Gemütsart es eben zuließ) immer ges wogen. Dieſe Leute ſind zwar ſtark als bösartig verrufen, aber mit Unrecht. Ich glaube vielmehr, daß der Umſtand, daß ſie keine Liebesleidenſchaft empfinden, die ſie verheimlichen müßten, ſie eher zeitlebens Kinder bleiben als tückiſch ſein läßt. Dies gilt von denen, die nicht Muſik treiben, denn unter den letzteren habe ich viele kluge und hervorragende Leute gefunden, wie weiland Primo Racionero von Toledo, und in unſeren Tagen Luys Onguero, Kaplan Seiner Majeftát, und andere. |

Elftes Kapitel,

Mein Herr war ſehr erfreut darüber, feine Tochter fo tugend— haft und mich ſo treu zu finden, und ſo trat ich auch in mein altes Verhältnis zurück. Das junge Mädchen war in der Tat ein wenig melancholiſch, weshalb die Mutter bereute, daß ſie ſie verſtimmt hatte; ja die Tochter zog ſich einiger— maßen von ihr zurück, als wenn ſie ihr etwas böſe wäre. Die Mutter ſann auf Mittel, ſie zu erheitern und fröhlich zu machen, denn ſie wurde ſo tiefſinnig, daß alle befürchteten, ſie möchte in ihre vorige Krankheit zurückfallen. Endlich, nachdem man verſchiedene Mittel vergeblich verſucht hatte, riet die Mutter meinem Herrn, er möchte mir noch einmal be— fehlen, ihr jene Worte gegen die Melancholie vorzuſagen, da jedes andere Heilmittel ohne Wirkung geblieben ſei. Als ich 170

dieſen Auftrag erhielt, fagte ich zu meinem Herrn: Diefe Traurigkeit rührt ohne Zweifel von einem Verdruſſe her, darum wird man ihr die Worte oft vorſagen müſſen, um das Übel mit der Wurzel auszurotten; deshalb werde ich auch einige Fragen an ſie richten, damit ſie durch Antworten ihr Herz er— leichtern könne. So geſchah es auch; denn man ließ mich eine lange Zeit mit ihr ſprechen und ihr die Formel etlichemal vor— ſagen, worauf ſie mir verſtändige Antworten gab und ich mich freute, ihr endlich ausſprechen zu können, daß ihr wahres Heil und die Freude ihrer Seele nur von jenem Waſſer der Taufe kommen könne, welches ihr Vater ſo gering geachtet habe. Nachdem ich ihr dieſe Vorſtellung gemacht hatte, ent— fernte ich mich von ihr, indem wir eine halbe Stunde mit— einander geſprochen hatten. Die Mutter war über die glück— liche Wirkung ſehr erfreut und bat mich, daß ich ſie dieſe Be— ſchwörung lehren möchte. Ich antwortete ihr: Sennora, dieſe Worte kann kein anderer ausſprechen, als wer in der Meer— enge von Gibraltar, auf den Inſeln von Riaran, bei den Säulen des Herkules, auf dem Mongibel*2 von Sizilien, in dem Abgrunde von Cabra, in dem Steinbruche von Ronda und auf dem Hofe der Pacheca geweſen iſt; jedem andern würden hölliſche Geſpenſter erſcheinen, die alle Welt entſetzten. Dieſe und andere Albernheiten ſagte ich ihr, wodurch ſie die Luſt verlor, die Beſchwörungsformel zu lernen.

Obgleich ich auf dieſe Weiſe nicht ganz ohne Unterhaltung lebte, ſo fühlte ich doch den Verluſt der Freiheit und daß ich mich als ein armſeliger Sklave unter den Feinden der wahr— haftigen Religion befand, ohne Hoffnung, je wieder frei zu werden. Dadurch ward die Liebe in der Bruſt des Mädchens vermehrt und bei mir vermindert; denn dieſe Leidenſchaft wirkt nur auf Gemüter, die müßig und ohne Sorgen ſind.

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So traurig ich war, fo tat ich doch alles, was mein Herr mir befahl, mit der größten Pünktlichkeit, fo daß meine Gez bieter mich mit jedem Tage mehr liebten und es ihnen ſehr leid tat, mich ſo melancholiſch zu ſehen. Als im Juni der Tag des heiligen Johannes erſchien, an welchem die Mauren ente weder aus Nachahmung der Chriſten, oder ich weiß nicht aus welchem von den tauſend Irrtümern ihrer Sekte dazu ver— anlaßt, viele Luſtbarkeiten und Aufzüge zu Pferde und zu Fuß anſtellen, ſagte der Renegat zu mir: Begleite mich, nicht als mein Sklave, ſondern als mein Freund, denn in aller Freiheit ſollſt du das Feſt genießen, welches heute dem Pro— pheten Ali gefeiert wird, den ihr Johannes den Täufer nennt; heute ſollſt du dich an den vielen Reitern, den prächtigen Livreen, den ſeidenen und goldgewirkten Decken, den Tur— banen, Säbeln und braven nacktarmigen Lanzenſchleuderern er— götzen; betrachte dann die Schönheit, die Pracht und den Schmuck der Damen, wie ſie mit Anſtand vom Fenſter herab ihren Verehrern Zeichen ihrer Gunſt ſchenken; betrachte die Scharen vornehmer Ritter, die von ihrem Vizekönige ange— führt, das Ufer des Meeres wie der Flüſſe zieren, wie aus— gezeichnet ſie im Lanzenſpiele ſind, und mit welcher Leichtig— keit ſie die hingeworfene Lanze vom Pferde herab wieder vom Boden aufnehmen.

Auf alles dieſes antwortete ich nur mit einem Ausbruch von Tränen, ohne daß ich mich zwingen oder die Rührung und Erſchütterung verbergen konnte, die jenes Feſt mir ver— urſachte. Worauf mein Herr ſich zu mir wandte und, da er den Strom meiner Tränen ſah, zu mir alſo redete: Wie, zu einer Zeit, da die ganze Welt fröhlich iſt, nicht nur bierz zulande, ſondern auch in der ganzen Chriſtenheit, an einem ſolchen Tage, an welchem alle Menſchen aus übergroßer Luſt faſt töricht erſcheinen, gehen dir die Augen über? Eine Zeit, 172

die der Himmel felbft gleichſam mit Freudenzeichen feiert, die begehſt du mit Wehklagen? Was ſiehſt du hier, das dich verſtimmen oder nicht zu deinem Vergnügen gereichen könnte? Das Feſt ſelbſt, antwortete ich, iſt wundervoll, und zwar ſo ſehr, daß ſeine ausgezeichnete Pracht mich an viele Feier— lichkeiten erinnert, die ich in der Reſidenz des größten Mon— archen der Erde, des Königs von Spanien, geſehen habe. Ich gedenke bei dem Glanze, der Kleiderpracht und den Juwelen, die hier vor mir leuchten, mancher edlen Fürſten und Ritter. Ich gedenke, wie an einem ſolchen Morgen der Herzog von Paſtrana ſich zu Pferde zeigte, mehr einem Engel als einem Menſchen gleich, im Sattel ſo feſt, daß er einem Kentauren glich, indem er ſich in vielfachen Sprüngen bewegte und alle Zuſchauer bezauberte. Ich erinnere mich jenes edlen Don Juan de Gaviria, der im reichen Schmuck die Roſſe ermüdete und ſich durchaus als herrlicher Ritter zeigte. Eines Don Luis de Guzman, Marques de Algava, vor dem die Schranken er— zitterten, wenn er mit der wilden Kraft der losgelaſſenen brüllenden Stiere zuſammentraf. Seines Oheims, des Marques de Ardales, Don Juan de Guzman, des Muſters aller Tapfer— keit und Kühnheit. Jenes großen Fürſten, Don Pedros de Medicis, der mit einem kleinen Speer in der Hand einen Stier bezwang. Des Grafen von Villamediana, Don Juan de Taſſis, des Vaters und des Sohnes, welche beide gemeinſam einen Stier mit dem Degen in Stücke hieben. Ja, ich erinnere mich zugleich unzähliger junger Ritter, deren Kühnheit hin— reißt, deren Behendigkeit beſiegt, deren Artigkeit bezaubert. Ich muß dieſer Feſte gedenken, welche keine andere Nation als nur die ſpaniſche jemals gefeiert hat; denn alle halten es für die äußerſte Verwegenheit, ein ſo ungebändigtes Tier an— zugreifen, welches, gereizt, ſich auf tauſend Menſchen ſtürzt, auf tauſend Pferde und Lanzen, und deſſen Wut mit ſeinen 173

Schmerzen nur zunimmt. Das ganze Altertum kannte kein Feſt, welches ſo gefahrvoll als dieſes war, und nur die Spanier ſind ſo kühn und unverzagt, daß ſie, ſelbſt vom Stiere ver— wundet, der augenſcheinlichſten Gefahr ſich wieder zuwenden, beide, ſowohl die Reiter wie die zu Fuß. Sollte ich alle die Taten erzählen, von denen ich bei dieſen Feſten Augenzeuge war, ſollte ich alle jene hochgeſinnten Ritter in mein Ge— dächtnis zurückrufen, die in der Tapferkeit wie in allen Gaben den vorerwähnten gleichen, ſo hieße das nicht nur dieſes Feſt, ſondern zugleich alle Feſte, die es nur auf der Welt geben mag, verdunkeln.

Hierauf ſagte der Eremit zu mir: Wie kommt es nur, mein Herr, daß Ihr nicht das Feſt erwähntet, welches Don Philipp der Vielgeliebte in Valladolid bei der Geburt unſeres Gebieters gab “3?

Ich antwortete: Weil ich unmöglich das als eine Prophe— zeiung erzählen konnte, was ſich dazumal noch nicht zuge⸗ tragen hatte; aber freilich war dieſe die fröhlichſte und glän— zendſte Feierlichkeit, die die Sterblichen jemals geſehen haben, und bei der ſich die Größe und der Reichtum der ſpaniſchen Monarchie zeigen konnten. Denn wenn jener üppige Kaiſer den Boden, den er beim Verlaſſen ſeines Palaſtes betrat, mit Goldfeilſpänen bedecken ließ, ſo konnte man mit dem Golde, das an dieſem Tage auf dem Feſtplatze zu ſehen war, dieſen vollſtändig wie mit Sandfuhren bedecken. Aber um auf das Feſt der Türken und Mauren zurückzukommen, ſo war es im höchſten Grade vergnügt; denn da dieſes Volk keine andere Freude hat, als die ihnen die Gegenwart darbietet, ſo ge— nießen ſie dieſe mit ungezügelter Luſt. Zuletzt erblickte ich auch meine Damen, als das Feſt ſchon beinah zu Ende ging: das junge Mädchen ließ immer die Augen wandern, nicht nach dem Feſte, ſondern nach ihrem Vater, denn indem ſie 174

ihn anſah, blickte fie auch zugleich auf mich. Ich fpielte den Unachtſamen und ſagte zu meinem Herrn, daß wir nun gehen möchten, weil ich wußte, was er mir antworten würde, was auch zutraf, indem er ſagte: Wir wollen nur auf meine Frau und Tochter warten, um ſie zu begleiten. Sie kamen von dem Balkon herunter, wo ſie waren; die Tochter zitterte an den Händen und wechſelte die Farbe des Geſichts, indem ſie nur mit Unterbrechungen reden konnte. Der Vater ſagte zu ihr: Hier iſt dein Arzt, ſprich mit ihm und danke ihm für die Geſundheit, die er dir geſchenkt hat. Die Mutter fragte mich, wie mir das Feſt gefallen habe. Bis ich meine Gebieterinnen erblickte, war meine Antwort, ſah ich nichts, was mir ſchön erſchien, wenn es auch ſo ſein mochte; denn was Anmut, Schönheit und Wuchs betrifft, ſo gibt es nichts in Algier, was ſich darin mit meiner Herrin und ihrer Tochter ver— gleichen dürfte.

Der Vater lachte, und die Damen waren ſehr zufrieden, und da die Mutter durch dieſe Rede aufgeheitert war, ſo er— laubte ſie mir auch gern, mit ihrer Tochter zu ſprechen. Das Mädchen bat mich um einen Roſenkranz, den ich abbetete; ich gab ihn ihr, und da ich ſie zu ſprechen Gelegenheit hatte, be—

deutete ich ihr, zu welchem Gebrauche er ſei, und daß, wenn ſie wahrhaft ihr Herz der heiligen Jungfrau widmete, dieſe ihr einen leichten und bequemen Weg bereiten würde, um zu dem Glücke und der Gnade der heiligen Taufe zu gelangen, was das Mädchen mit der größten Inbrunſt wünſchte. Ich ſagte ihr zugleich, daß ich ſie nach dem Roſenkranz wieder fragen würde, daß ſie ihn wohl bewahren und ihn jeden Tag beten möge, was ſie mir auch verſprach.

Zwölftes Kapitel.

In jener Zeit geſchah ein merkwürdiger und nicht gewöhn—

licher Diebſtahl, ein Verbrechen, welches bei jenem Volke am 175

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meiften geftraft wird, an welchem die ganze Stadt Anſtoß nahm und der große Beſtürzung erregte; denn er war an dem Könige oder Vizekönige verübt worden, und zwar betraf es Geld, welches dieſer aufbewahrt hatte, um es dem Groß— herrn zu überſenden. Trotzdem große Unterſuchungen ange— ſtellt waren, konnte man durch keine Vermutung oder keinen Argwohn auf den Urheber verfallen, obgleich ein großer Günſt— ling des Königs eine gewaltige Summe ausbot, nebſt Privi⸗ legien und Befreiungen für den, der die Sache entdecken könnte. Man traf die Anſtalt, daß im geheimen und ohne Aufſehen alle Häuſer bewacht wurden, ſo daß niemand aus der Stadt durfte, und da alles dieſes nichts fruchtete, ſagte mein Herr zu mir: Wenn du irgendein geheimes Mittel wüßteſt, um dieſen Diebſtahl zu entdecken, wenn ich dir den nenne, der ihn verübt hat, doch ſo, daß niemand darein verwickelt würde, ſo wollte ich dir Geld und die Freiheit ſchenken.

Kann man wohl, antwortete ich, um ein Mittel verlegen ſein, da man ja nur ein Blatt mit oder ohne Unterſchrift ab— ſenden darf?

Dies iſt gerade ganz unmöglich, ſagte mein Herr, denn iſt der Brief unterzeichnet, ſo würde man den umbringen, der ihn abgibt und der ihn unterſchreibt; iſt er aber ohne Namen, ſo würde man alle Einwohner auf die Folter bringen, um zu entdecken, von wem das Schreiben herrührt, denn jede Nachweiſung muß durchaus früher in die Hände des Diebes als eines anderen fallen, dieſer aber iſt kein anderer, als der Günſtling ſelbſt. Zeigt dieſen nun ein freier Mann an, ſo erdroſſelt man diefen, tut es aber ein Sklave, fo wird er vers | brannt. Zu dieſer Überzeugung habe ich ſehr gegründete Ur⸗ ſachen, und den Charakter des Mannes ſowie ſeine Grauſam⸗ keit kenne ich ſchon ſeit vielen Jahren, denn hier zittern alle mehr vor Hazen, dem Günſtlinge, als vor dem Könige ſelbſt. 176

Daher würde jeder Verſuch, ihn auf dem gewöhnlichen Wege zu entlarven, nur das größte Unheil nach ſich ziehen. Da dieſer nun der größte Feind iſt, den ich habe, ja, den ſelbſt der ganze Staat hat, ſo zeige ich ihn nicht an und will auch nicht, daß du es tuſt, denn dies Unternehmen würde von den ſchrecklichſten Folgen ſein.

So erlaubt mir aber, mein gnädiger Herr, antwortete ich, daß ich eine Weiſe finde, um Euch Rache zu verſchaffen und den Diebſtahl anzuzeigen, ohne daß irgendjemand darunter leide; vergönnt mir aber, es ſo zu tun, wie ich will, indem Ihr mir bewilligt, die Sache auf meine Weiſe einzurich, ten.

Dieſes tat er, und ich nahm einen ausgeprobten Star, der alle Eigenſchaften beſaß, um gut ſprechen zu lernen; den ver— ſchloß ich in einem Zimmer in ſeinen Käfig, wo er keine anderen Vögel hören konnte, die ihn ſtören möchten, und eine ganze Nacht und den darauffolgenden Tag nahm ich ihn in die Schule, daß er mußte ſagen lernen: Der und der hat das Geld geſtohlen! der und der hat das Geld geſtohlen! Ich gab mir ſo viel Mühe, und er hatte ſo viel natürliche Anlage, daß er innerhalb von vierzehn Tagen, wenn er hungrig war und ſein Futter fordern wollte, rief: Der und der hat das Geld geſtohlen! So bediente er ſich ſeines eingelernten Spruches jedesmal, wenn ihn hungerte oder dürſtete, weil er ſchon gänzlich ſeinen natürlichen Geſang vergeſſen hatte. Ich verſicherte mich noch eine Woche hindurch, daß der Star in ſeiner Wiſſenſchaft feſt werden möchte, und auch ich des Kunſtgriffs gewiß würde, den ich erſonnen hatte; denn das Gelingen war von der höchſten Wichtigkeit, um mehr als hundert Menſchen frei zu machen, die man dieſes Diebſtahls wegen gefangen geſetzt hatte, unter welchen Unſchuldigen ſich viele ſpaniſche und italieniſche Sklaven, ſowie von anderen 12 177

Nationen, befanden. Da ich nun hoffen konnte, daß mein Star der Befreier ſo vieler gefangener Chriſten ſein würde, ließ ich ihn an einem Freitage, an welchem der König die Moſchee beſuchen wollte, fliegen und gab ihm die Freiheit, damit er die anderen Gefangenen auch erlöſen ſollte. Er flog mit vielen anderen Staren auf den Turm, und zwiſchen dem Geſchwätz der übrigen fing er an eifrig zu rufen: Hazen hat das Geld geſtohlen! Er unterließ den ganzen Tag nicht, dies zu rufen, als er ſich in der erwünſchten Freiheit ſah. Dem Könige wurde hinterbracht, was der Star auf dem Turme ſagte. Er erſtaunte, und als die Stunde kam, die Moſchee zu beſuchen, war das, was er zuerſt vernahm, der neue Geſang meines Stares, der oftmals ſagte: Hazen hat das Geld geſtohlen! Er faßte ſogleich den Gedanken, daß, weil die Sache ſo unergründlich geweſen ſei, dieſe Ausſage wohl Wahrheit enthalten könne, und ſo wie ſie alle dort auf Wunderzeichen halten, ſo ſetzte er ſich auch ſogleich in den Kopf, der große Mohammed habe einen feiner ihn begleiten: den Geiſter geſandt, um dieſe Sache zu entdecken, damit nicht ſo viele Unſchuldige leiden möchten. Um aber die Unterſuchung nicht unbedachtſam anzufangen, rief er gewiſſe Wahrſager oder Aſtrologen, welche ſchon wußten, was der Star ausgeſagt hatte, und beſchwor ſie, ihm ihre Meinung zu entdecken. Sie entwarfen ihre Rechnung, welche ſo gut mit der des Stares übereintraf, daß er den Günſtling gefangennehmen ließ, und nachdem dieſer auf der Folter alles bekannt und man das Geld gefunden hatte, entzog er ihm ſeine Gunſt, was in der ganzen Stadt große Freude erregte, weil er jedermann ver— haßt war, nicht ſowohl deswegen, weil man beſtimmt von ihm ſagen konnte, daß er jemandem etwas Übles zugefügt hätte (denn bis er ſich auf dieſe Weiſe verging, kannte man ſeine Bosheit nicht), ſondern weil man meinte, daß alle Grau⸗ 178

ſamkeiten, welche der Vizekönig ausübte, nur auf den Rat dieſes ſeines Günſtlings geſchähen.

Dreizehntes Kapitel.

Nachdem ich das glücklich erreicht hatte, was ich mit meinem ſprechenden Stare ausrichten wollte, erfüllte mein Herr ſein Verſprechen gegen mich, nachdem der Vizekönig das ſeinige erfüllt hatte; denn dieſer bewunderte die Heimlichkeit und Vorſicht des Renegaten, durch welche er das Unglück ſo vieler Gefangenen verhütet hatte. Der Renegat ſchenkte mir gern die Freiheit, was ſeine Tochter nicht gern ſah, die ſich ſchon auf dem Wege zur chriſtlichen Religion befand, ebenſo wie ihr Bruder, den ich von der chriſtlichen Wahrheit über— zeugt hatte, ſo daß ſich beide ſchon die Taufe von Herzen wünſchten. Der Vater ſtellte ſich zwar, als wenn er nicht darum wiſſe, doch hatte er gewiß die Vermutung, ja es war ſogar ſein Wunſch, obgleich er kein Wort darüber verlor. Der junge Menſch hieß Muſtapha und die Schweſter Alima. Mit dieſer hatte ich Gelegenheit, ganz nach ihrem Wunſche, allein zu ſprechen, aber nicht über verliebte Gegenſtände, denn ich wollte ſie auf keine Weiſe kränken. Ich verſicherte ihr endlich, daß, wenn ich nach Spanien gekommen ſein würde, ich auf alle nur mögliche Weiſe ihr von mir Nachricht geben und ihr zugleich melden würde, was ſie tun müſſe, um, wie ſie wünſche, Chriſtin zu werden. Dieſe Verſicherung preßte ihr Tränen aus, und da dies das letztemal ſein konnte, daß ich ſie ſprach, ſo nahm ich Abſchied von ihr. Sie küßte den Roſenkranz, den ich ihr gegeben hatte, vielmals, und ſagte, daß ſie ihn für immer bewahren würde.

Hierauf ſagte mein Herr unter vielen Bezeigungen der Freundſchaft zu mir: Obregon, ich muß jetzt mein Wort er: füllen, welches ich dir gegeben habe, weil du es verdient haſt, 12* 179

und wegen der Verpflichtung, die ich fühle, indem ich ein Spanier bin, ſowie wegen deſſen, was mir von der Taufe blieb (wobei er ſich umſah, ob ihn auch niemand höre); denn kein anderer Einwohner von Algier ich ſpreche von den Mauren würde dir Treue und Glauben halten, noch dir für deine Erfindung dankbar ſein. Wenn der König von Algier mir gedankt und ſein Verſprechen, wenn man den Diebſtahl ent— deckte, gehalten hat, ſo iſt dies nur, weil er von Chriſten ab— ſtammt, bei denen Wahrheit und ein gegebenes Wort für unverletzlich geachtet werden. Dieſe barbariſche Nation hier aber ſagt, daß das Worthalten nur Kaufleuten, nicht aber Rittern gezieme. Ich erfülle dir nun zwar mein Verſprechen, doch ſehr ungern; denn ſolange du hier lebteſt, hatte ich doch jemand, mit dem ich mich in Geſprächen erfreuen konnte, die Vertrauen erfordern. Da es aber die Notwendigkeit ge— bietet und du nicht in Algier bleiben kannſt, ſo will ich dich auf meinen Schiffen auf die Weiſe, die ich erdacht habe, nach Spanien bringen. Jetzt iſt eine günſtige Zeit, da alle auf die Kaperei auslaufen; ich werde mich von den übrigen abſondern, um dich an eine der Inſeln auszuſetzen, die Spanien nahe liegen; denn weſtlicher wage ich mich nicht, weil ſie auf der ganzen Küſte mich immer ſehr im Auge haben, wo ich ihnen vielfachen und großen Schaden zugefügt habe.

Mein Herr ſchickte ſich an, ſeine Reiſe anzutreten. Er nahm einige tapfere Türken mit ſich, die ſchon ſehr geübte Piraten waren, und gutes Wetter wählend, hielt er auf die baleariſchen Inſeln. An dem Ufer ſtanden laut weinend ſeine Gattin und Tochter, die erſtere ſich dem großen Propheten Mohammed empfehlend, die letztere aber laut und troſtlos die Jungfrau Maria anrufend; denn da niemand in der Nähe war, der ihr Vorwürfe machen konnte, überließ fie ſich ganz ihren Emp: findungen.

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Ich wandte die Augen zur Stadt zurück, Gott bittend, daß ich ſie doch einmal wiederſehen möchte, wenn ſie chriſtlich wäre. Denn da ich den beſten Teil meines Selbſt in ihr zurückließ, war ich, obgleich in Freiheit, darüber traurig, unter dem Geſindel dort ein Weſen zu wiſſen, das ich zärtlich liebte, und das mit Inbrunſt an den Lehren des Chriſtentums hing.

Wir hatten den günſtigſten Wind, und als mein Herr ſah, daß ich das Geſicht zur Stadt wandte, ſagte er zu mir: Obregon, es ſcheint mir, daß du nach Algier zurückſiehſt und die Stadt wohl tauſendmal verwünſcheſt, weil ſie voller Chriſten— ſklaven iſt, und daß du ſie darum eine Räuberhöhle nennſt. Sei aber verſichert, daß das Unheil, welches die Korſaren anrichten, nicht das größte iſt; denn ſie laufen doch ſelbſt dabei Gefahr, gehen auch zuweilen nach Wolle und finden nichts zu ſcheren. Am meiſten geſchieht dadurch Unheil, daß, weil alle in Algier ſo gut aufgenommen werden, von allen Grenzen Afrikas viele mit ihren Musketen freiwillig ankommen, ent— weder aus Liebe zur Freiheit, oder aus Armut, oder weil ſie ſchlecht geſinnt, und aus allen dieſen Urſachen iſt die Stadt voller Chriſten aus Weſten und aus Oſten. Iſt es gleich gegen meinen Vorteil, ſo kann ich doch den Schmerz darüber, daß ſo viele Getaufte ſich unglücklich machen, nicht unter— drücken.

Schon ſonſt, antwortete ich, habe ich gemerkt, wie Ihr als frommer Mann, der aus edlem Blute ſtammt, von dieſem Gegenſtande gerührt werdet; aber ich nehme bei alledem nicht den Vorſatz in Euch wahr, wieder in den Schoß der Kirche zurückzukehren, der Eure Vorfahren anhingen.

Ich mag dir nicht ſagen, antwortete mein Herr, daß die Liebe zu meinem Vermögen, meinem Stande und meiner Frei— heit, zu Weib und Kindern, oder der vielfache Schaden, den ich meinem eigenen Vaterlande zugefügt habe, mich davon zu—

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rückhalten; ſondern ich will dich nur fragen, ob du mich ein einziges Mal haſt nachforſchen ſehen, welche Lehren du meinen Kindern vortrugſt, woraus du abnehmen kannſt, welcher Glaube in meinem Buſen herrſcht. Ich verſichere dich, daß von allen Renegaten, die du in ſo großem Anſehen und ſo reich an Gut und Sklaven gekannt haſt, kein einziger iſt, der nicht weiß, daß er ſich im Irrtum befindet; ihre ſo große Macht, Ehre und Vermögen, worin ſie allen Türken und Mauren vor⸗ gezogen ſind, halten ſie zurück; aber ſie kennen die Wahrheit. Zum Beweiſe deſſen will ich dir eine Geſchichte erzählen, die ſich vor kurzem in Algier zutrug.

Es lebt dort ein Türke von großem Vermögen, der viel Glück zur See gehabt hat und auch in den Unternehmungen auf dem Lande erfahren iſt und Mami Reis heißt; er iſt ein liebenswürdiger Mann von ſchönem Wuchſe und von jeder— mann geliebt. Dieſer befand ſich ſeit einigen Tagen auf einem Zuge an der Küſte von Valencia, ohne daß ihm ein Fang auf der See begegnete, ſo daß ihm die Lebensmittel ausgingen. Notgedrungen gingen er und ſeine Begleiter mit der größten Lebensgefahr an Land; denn an der ganzen Küſte waren Fackeln angezündet, und ſie wurden ſo beunruhigt, daß ſie ſich wieder auf das Meer begeben mußten, wobei ſie einige Stücke gegen ihre Verfolger abfeuerten. In dieſer Eile, mit welcher ſie flüchteten, ließen ſie den Herrn des Fahrzeuges auf dem Lande, nebſt einem braven Soldaten, ſeinem Freunde. Dieſe, die ſich verloren ſahen, gingen in eine Mühle, wo ſie niemanden als ein außerordentlich ſchönes Mädchen fanden, die in der Verwirrung mit den übrigen Leuten nicht hatte entz | fliehen können. Durch Drohungen verhinderten fie ihr Ge- ſchrei, und als ſie die Küſte beruhigt ſahen, machten ſie ihrem Fahrzeuge ein bekanntes Zeichen. Dieſes legte gleich in der Nacht an, das Gefolge kam zur Mühle, und ehe noch die 182 |

Leute des Hauſes zurückkehrten, nahmen fie ihren Kapitän und ſeinen Gefährten, zugleich aber auch das Mädchen als Gefangene mit. Deren Schönheit war ſo groß, daß ſie alle darin übereinkamen, ihresgleichen ſei noch niemals in Algier geſehen worden. Der Kapitän ſagte, daß er dieſen Fang für glücklicher halte, als wenn er ganz Valencia geplündert habe. Sie weinte und klagte; er tröſtete ſie aber, daß ſie über ſein gutes Glück nicht trauern möchte, denn ſie ſolle Herrin über ihn und ſein ganzes Vermögen und keine Sklavin ſein, wie ſie ſich einbilde. So tröſtete er ſie auf der ganzen Fahrt, denn dieſer Türke kann etwas ſpaniſch ſprechen. Um nicht zu meit- läufig zu werden, ſo landete er nicht an der Stadt, ſondern bei einem Gute, das angenehme Weinberge und liebliche Gärten hatte, und das ihm gehörte.

Sie, die ſich ſo von allen Sklaven und auch Freunden des Türken als Herrin bedient ſah, erheiterte ſich nach und nach und fand ſich in die Gefangenſchaft, die ihr anfangs ſo große Schmerzen verurſacht hatte. Mit der Zeit kam ſie dahin, daß ſie ihren Herrn liebte und ſich mit ihm verheiratete, ihre wahre Religion gegen die ihres Gatten vertauſchend, mit welchem ſie ſechs oder ſieben Jahre in der größten Zufriedenheit lebte, geliebt und bedient, Gebieterin über Perlen und Juwelen und ganz vergeſſend, daß ſie Chriſtin geweſen ſei. Ihr zuliebe wurden täglich die fröhlichſten Ritterſpiele und andere Feſte ge— feiert, damit ihr Geſicht in Zufriedenheit erſtrahlte; und der Glanz ihres Antlitzes übertraf alle anderen in Algier ſo ſehr, daß, wenn der Türke ſich nicht ſchnell mit ihr verheiratet hätte, ſie ihm geraubt und dem Großherrn geſchickt worden wäre. Faſt vergöttert führte ſie ihr Leben; denn ihr Wille war allen, die ſie umgaben, Geſetz und Vorſchrift. Unter andern hatte ſie auch einen Sklaven aus Menorka, mit dem ſie wie mit den übrigen umging. Deſſen Löſegeld langte an, und dieſer

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wackere Mann kam, um von ihr Abſchied zu nehmen. Sie fragte ihn, an welchem Orte er ſich aufhalten würde, und als er ihr dieſen nannte, befahl ſie ihm, ja aufmerkſam auf alles zu ſein, weil man nicht wiſſe, was ſich zutragen könne. Er, der nicht einfältig war, verſtand ſie, ging nach Menorka und blieb dort, bis ſie eine Gelegenheit fand, ihm dorthin einen Brief zu ſchicken, worin ſie ihm ſchrieb, daß er an dem und dem Tage um Mitternacht mit einer guten Brigantine vor das Landgut ihres Gemahls kommen möchte.

Als die Zeit herbeikam, in der alle in Algier auf die Kaperei auslaufen, rüſtete ihr Mann feine Schiffe mit Dret hundert Sklaven aus, alles treffliche Leute, die er in ſpaniſche Kleider ſteckte. So fuhr er mit günſtigem Winde auf gut Glück aus, während ſeine Frau ihm nachſah, die ihm von einem Turme ſeines Hauſes tauſend freundliche Grüße nachwinkte. Das Wetter war ſehr heiß und der Tag nun herbeigekommen, den ſie in ihrem Briefe beſtimmt hatte. Sie ſtellte ſich wegen der Trennung ſehr niedergeſchlagen und vor Hitze ermattet und ſagte zu ihren Sklaven und Leuten: ſie wolle, um ſich zu tröſten, nach dem Landgute und in die Gärten gehen. Sie nahm, als wenn ſie ſich dort lange aufhalten würde, einige Kiſten mit, in denen ſich Kleider, Juwelen und Geld befanden, und allen Reichtum von Gold und Silber, der nur im Hauſe war. Sie erlaubte hier ihren Sklaven und Frauen einige Tage, ſich die Zeit zu vertreiben, die, wenn ſie ſie vorher ſchon liebten, ſie nun anbeteten.

Die Nacht kam, die ſie verabredet hatte, ohne daß ſonſt jemand um ihr Geheimnis wußte; alles war ſo vorſichtig und verſchwiegen eingerichtet, daß ſich niemand von ihrem Entſchluſſe auch nur konnte träumen laſſen. In ein Fenſter gelehnt, wartete ſie bis um zwölf Uhr in der Nacht, ohne zu ſchlafen oder auch nur ein Auge zu ſchließen, als ſie 184

einen Schatten vom Meere her fich nähern ſah; ſie gab das Zeichen, welches im Briefe verabredet war. Der Spanier kam auf dasſelbe herbei und ſagte: Wohlan, die Brigantine iſt da! Die entſchloſſene Frau ſprach nun in aller möglichen Kürze zu ihren Sklaven alſo: Brüder und Freunde, durch Jeſu Chriſti Blut erkauft! Wer von euch die Freiheit liebt und als Chriſt zu leben wünſcht, der folge mir nun nach Spanien.

Im Namen aller antwortete ein braver Soldat, aus Malaga gebürtig: Sennora, wir ſind alle entſchloſſen, Eurem Befehle zu gehorchen; aber bedenkt die Gefahr, in welche Ihr Euch und uns verſetzt! Denn von den Türmen wird man ſogleich das Zeichen geben, und mit der Frühe werden Fahrzeuge das Meer durchkreuzen und auf uns Jagd machen.

Worauf ſie antwortete: Wer mir dies ins Herz gegeben hat, wird mich auch zur Errettung führen; geſchähe dies aber auch nicht, ſo will ich mich lieber von den greulichen Unge— heuern in den tiefen Abgründen des Meeres verzehren laſſen und als Chriſtin ſterben, als ohne die Religion meiner Vor— eltern Königin von Algier ſein.

Die ſchöne Frau, die jetzt einen tapfern Kapitän vorſtellte, ermutigte ihre Sklaven ſo, daß ſie in einem Augenblicke Kiſten und Schätze nach der Brigantine trugen, nachdem ſie mit Dolchen eine Negerin und zwei junge Türken erſtochen hatten, welche zu ſchreien anfingen. Die Männer in der Brigantine, alles entſchloſſene Menſchen, ſowie die Sklaven, die jetzt keine mehr waren, ſtärkten und tröſteten ſich miteinander, ſo daß die Brigantine durch die Anſtrengung der Ruder ſowie mit Hilfe des Windes dahinflog.

Als man den Vorfall in Algier erfuhr, was alsbald ge— ſchah, ſchickten ſie vierzig oder fünfzig Fahrzeuge nach, jedes mit Spähern im Maſtkorb, die die Brigantine bald zu er—

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reichen dachten. Es war aber, als wenn der Himmel dieſe führte oder unſichtbar machte; denn außer jenen Verfolgern ſtreifte ja ihr Mann, Mami Reis, bei den Inſeln, und weder dieſer noch jene trafen auf die Brigantine, bis dieſe ſich end⸗ lich mit Anbruch des Tages zwiſchen den beiden Fahrzeugen des Mannes befand, der, um landen zu können, ſeine Leute in ſpaniſcher Tracht mit ſich führte. Sie befahl ſogleich, eben⸗ ſo ſchnell wie ſcharfſinnig, daß die andern, die auf der Bri⸗ gantine waren, ſich ebenſo, wie die Sklaven, türkiſch kleiden ſollten, damit ſie unter dem Anſcheine fliehen könnten, als wenn ſie ſich vor dieſen Spaniern fürchteten. Dieſer Rat war ſehr verſtändig. Denn als Mami Reis ſah, daß ſie vor ihm flohen, war er ſehr erfreut und ſagte: Ohne Zweifel ſehen wir wie Spanier aus, denn jene türkiſche Brigantine flieht vor uns! Worauf ſie ein großes Gelächter über die Flucht der Brigantine erhoben, die durch dieſe Liſt ſich befreite und in Spanien landete, wo die Frau, die nun ſehr reich war, große Almoſen von dem Vermögen ihres Mannes ſpendete.

Du weißt, aus welcher Abſicht ich dir dieſe Begebenheit erzählt habe, die ſich vor nicht langer Zeit zugetragen hat.

Ich glaube, daß es keinen Menſchen gibt, in deſſen Herzen

nicht die Religion, die er zuerſt bekannte, feſt eingeprägt ſei, ich rede von den Getauften; mehr aber, als alle, bewies dieſe Frau ein männliches Herz und eine chriſtliche Ent: ſchloſſenheit.

Vierzehntes Kapitel.

Da die Sklaven und Gefährten ſchlummerten, ſo hatten mein Herr und ich Zeit und Gelegenheit, über dieſe Sachen zu ſprechen, wodurch wir den Schlaf von uns abhielten. Nachdem wir ein wenig geruht hatten, entdeckten wir nach zwei

Stunden die baleariſchen Inſeln, Mallorka und Menorka, Ibiza

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und andere kleine Inſeln. Wir näherten uns aber nicht Mal- lorka, wegen der großen Wachſamkeit, die man dort beob— achtete, bis es Nacht geworden war; doch ſelbſt dieſe Vor— ſicht half uns nichts. Denn als wir uns näher hinzumachten und um einen Felſen bogen, entdeckte uns eine Schildwache, welche oben ſtand; und dieſe gab ſogleich den genuefifchen Galeeren Nachricht, welche ausgeſegelt waren, um meinen Herrn zu fangen. Die Galeeren, obgleich es ſchon Nacht wurde, fingen auch ſogleich an, die Ruder zu bewegen und mit aller Macht auf uns loszukommen. Als mein Herr ſich verloren ſah, begab er ſich auf das zweite Fahrzeug, indem er die beſten Leute von beiden Schiffen mit ſich nahm; mir aber trug er auf, für mich, das Schiff und die wenigen Mannſchaften zu ſorgen. Er rechnete darauf, daß ich ſpaniſch reden und alſo die nötigen Antworten geben könnte. So ließ er mich alſo zurück, um ſeine Feinde aufzuhalten, und damit ſie mich gefangen nehmen ſollten, während er ſich davonmachte. Es geſchah ſo, wie er es ſich vorgeſtellt hatte. Denn als ein ſchlauer Mann, der die ganze Küſte dort kannte, ging er nun nicht auf das hohe Meer, ſondern nach der Inſel, und da es nunmehr faſt Nacht war, fuhr er, ſich verbergend, von einer Bucht nach der andern, bis er, als es ganz finſter war, ſich auf die hohe See begeben und ſo entſchlüpfen konnte.

Da das Fahrzeug, in welchem ich zurückgeblieben war, keine Ruderer, ſondern nur wenige und die ſchlechteſten Leute hatte, blieb es ſo zurück, daß die Galeeren uns bald eine Kugel ſenden konnten, damit wir uns ergeben ſollten. Wir hielten an, und als ſie nahe genug herangekommen waren, ſagte ich laut auf ſpaniſch: Wir ergeben uns! Euch ſuchten wir eben! riefen die von der Galeere, indem ſie mir die ſchändlichſten Namen beilegten; denn, da das Fahrzeug wirklich dasjenige war, mit welchem mein Herr immer kreuzte, und ich ſo deutlich

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Spaniſch ſprach, hielten fie mich für den Renegaten. Die Türken warfen ſie alle an die Ruder; mir aber, da fie mich für den hielten, den fie ſuchten, gaben fie Handfeſſeln und wollten mich nach Genua führen, um mich dort exemplariſch zu be— ſtrafen. Der Kapitän der Hauptgaleere ſagte zu mir auf italieniſch: So oft nun, Hund von einem Renegaten, ſeid Ihr mit dem Leben davongekommen, aber diesmal werdet Ihr uns nicht entkommen, außer am Galgen.

Gnädiger Herr, antwortete ich, wißt, daß ich nicht der Renegat bin, für welchen Ihr mich haltet, ſondern ein armer, ſpaniſcher Sklave, der ihm gehört. Da ich mich ſo verteidigte, regneten ſo viele Stöcke auf meinen Rücken, daß ich mich nicht enthalten konnte, zu rufen: Es heißt, Genua ſei ein Berg ohne Holz; aber für mich iſt jetzt genug dort gewachſen. Zwei ſpaniſche Muſiker, die der General auf ſeiner Galeere hatte, lachten über meine Antwort und noch mehr über meine Ruhe; den einen von dieſen kannte ich ſehr gut; die übrigen, denen der Muſiker meine Antwort erklärte, erhoben ebenfalls ein Gelächter. Ich ſetzte mich ſo gefeſſelt in einen Winkel nieder und dankte Gott dafür, daß ich ſo häufig in Leiden und Elend geübt wurde; denn das Unglück erinnert uns an die Barmherzigkeit Gottes.

Indem kam ein Schurke von Bootsmann zu mir, gab mir einen Hieb mit der Peitſche und ſagte: Was murmelt der Hund da zwiſchen den Zähnen? Schweig, um nicht noch eins zu kriegen! Der General Marcello Doria ward zum Mitleid bewogen und ſagte, daß man mich nicht mißhandeln ſolle, ehe die Sache ausgemacht ſei. Da ich die Tür der Güte ges öffnet ſah, ſagte ich: Ich flehe Eure Exzellenz an, da die Selbſt⸗ verteidigung allen erlaubt iſt, daß ſie mir ebenfalls vergönnt werde; denn ich weiß, mein gnädiger Herr, wenn Ihr er: fahrt, wer ich bin, daß ich nichts von den Händen eines 188

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fo großen Fürſten leiden werde, ja ich hoffe zu Gott, daß Ihr mir dann ſogar mehr Ehre erweiſt, als ich verdiene. In Genua, ja ſelbſt auf dieſer Galeere, kann ich Zeugen ſtellen, welche mich in der Reſidenz Seiner katholiſchen Majeſtät ge— kannt haben, zu einer Zeit, in welcher dieſer Renegat alle dieſe Küſten plünderte, und einer von dieſen ſoll der Geſandte, der Sennor Giulio Spinola, ſein.

Er ließ mir die Feſſeln abnehmen und ſprach mit mir, indem er nach allem fragte, was er vom Renegaten zu erfahren wünſchte. Ich erzählte ihm die Liſt, mit welcher er entſchlüpft war, wodurch ich einigermaßen meine Perſon rechtfertigte und eine große Schuld auf die wälzte, die die Verfolgung nicht fortgeſetzt hatten. Ich ging in meinen Winkel, aber nicht mehr gefeſſelt, zurück und ſetzte mich mit untergeſchlagenen Beinen nieder, das Geſicht mit beiden Händen bedeckt und die Ellen— bogen auf die Knie geſtützt, damit mich der Muſikus nicht erkennen ſollte, und in dieſer Stellung ſann ich über tauſend Dinge nach.

Wir richteten unſre Fahrt nach Genua, da wir wußten, daß man in Algier nun ſchon erfahren hatte, daß genueſiſche Galeeren an den Küſten ſtreiften. Wir ſegelten bei einigem Sturme über den Löwengolf, und nachdem wir ihn paſſiert hatten, befahl der General den Muſikern, zu ſingen. Dieſe nahmen ihre Gitarren, und das erſte, was ſie ſangen, waren einige Stanzen von mir, die ſie variierten:

„Unſichres Glück, gewiſſes Mißgeſchick“. Der Diskant, welcher Franzisco de la Penna hieß, fing an, außerordentliche Paſſagen zu machen; denn da die Kompo— ſition feierlich war, hatte er Gelegenheit dazu; ich aber ſtieß bei jeder Kadenz einen Seufzer aus. Sie ſangen alle Stanzen, | und als fie nun zum Schluß des Ganzen gelangten, welcher wieder heißt: „Unſichres Glück, gewiſſes Mißgeſchick“

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da konnte ich mich nicht länger halten, fondern ftieß aus natürlicher Bewegung unbedacht heraus: Dieſes Mißgeſchick verfolgt mich noch immer! Da ich laut ſprach, ſah der Penna auf, der mich, weil ich im Geſicht und den Kleidern fo ent— ſtellt war, er auch kurzſichtig war, nicht ſogleich erkannt hatte. Wie er mich aber jetzt anſah, umarmte er mich, ohne daß er ein Wort ſprechen konnte, mit tränenden Augen, ging zum General und ſagte: Wen glaubt Eure Exzellenz, daß wir hier haben? Nun, wen? fragte der General. Den Ver⸗ faſſer, ſagte Penna, dieſes Gedichtes und dieſer Kompoſition und ſo mancher Muſik, die wir Euch geſungen haben. Was erzählt Ihr? Ruft ihn hierher!

Ich ging ſehr beſchämt zu ihm, und der General fragte mich: Wie heißt Ihr? Marcos von Obregon, antwortete ich. Penna, welcher immer Wahrheit und Tugend liebte, näherte ſich dem General und ſagte zu ihm: So und ſo iſt ſein Name; da er ſich aber in ſo ſchlechten Umſtänden befindet, wird er ihn wohl verhüllt haben *. Der General war erz ſtaunt, einen Mann, der ihm ſo bekannt war, in einem ſo ärmlichen Aufzuge zu ſehen, einen Mann, der ſo viel er⸗ litten und mit ſo großem Unrecht Ketten getragen hatte. Er fragte mich nach der Urſache, und mit großer Geduld und Demut erzählte ich ihm meine Erlebniſſe. Er erzeigte mir viele Gnade, beſonders dadurch, daß er mich mit Kleidern verſorgte.

Als ich nach Genua kam, beſuchte ich den Geſandten, Giulio Spinola, deſſen Freundſchaft ich ſchon in Madrid genoſſen hatte; dieſer beſtätigte dem Marcello Doria die Wahrheit, und beide waren ſo gütig, mich mit Geld und einem Pferde zu meiner Reiſe nach Mailand zu verſehen. Vorher aber wollte ich dieſe Republik kennen lernen, die ſo große Schätze beſitzt und ſich durch uralte edle Familien auszeichnet, welche von Kaiſern, großen Fürſten und dem vornehmſten Adel in 190

Italien herſtammen, wie die Dorias, Spinolas, Adornos, von deren Familie ſich ein Zweig in Xerez de la Frontera befindet, der mit hohen ſpaniſchen Adeligen verwandt und durch die Gewänder des Calatravaordens und der übrigen ausgezeichnet iſt, wie Don Aguſtin Adorno, ein ebenſo tugendhafter wie hervorragender Ritter. Weil ich aber entſchloſſen war, nicht dort zu bleiben, ſo ſchickte ich mich an, meine Reiſe nach Mailand fortzuſetzen, um welcher Stadt willen ich ehemals aus Spanien abgegangen war.

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Einleitung.

handelten in einen wohlgekleideten und mit Geld verſorgten

Mann verwandelt ſah, fühlte den herzlichſten Wunſch, mich da zu befinden, wo meine Freunde mich in Freiheit ſähen und die Leiden ſowohl, wie die Gunſtbezeigungen erführen, die For— tuna mir geſandt und erwieſen hatte. Als ich daher die Größe jener Republik kennen gelernt und die Ruhe genoſſen hatte, welche eine ſo große Anſtrengung nötig machte, beſtieg ich mein Reittier und mietete mir einen Vetturin oder Maultier— jungen, und indem ich mich auf den Weg nach Mailand machte, überſtieg ich jene Gebirge von Genua, die eben ſo rauh und beſchwerlich ſind, wie die von Ronda. Nachdem ich Sampierdarena paſſiert hatte und es ſchon Nacht wurde, erhob ſich ein ſolches Hagelwetter und ein ſolcher Regenguß, daß wir den Weg völlig verloren, und zwar in einer ſolchen Gegend, daß wir ſehr leicht in die tiefen Waſſerläufe hätten hinunterfallen können, die infolge des herabſtürzenden Regens und Hagels außerordentlich angeſchwollen waren. Wir ſahen nur durch die Augen des Pferdes, welches uns führte, und das Pferd iſt das ſchlimmſte Vieh auf der Welt, um Reiſen zu machen, und man reiſt in Italien nur damit. Das Pferd war aber ſehr unwillig und lehnte ſich an jeden Baum, der auf unſerem Wege war, oder fiel an jeder Stelle nieder, wo es Luſt hatte, ſo daß ich abſtieg und wir unter einigen Bäumen, die große, dichte und ineinander gewachſene Zweige hatten, uns ſchirmen wollten, um zu warten, bis entweder das Ungewitter aufhören, oder wir den Schein eines Lichtes entdecken würden, durch welches wir unſere Rettung fänden. Der Vetturin, obgleich er in der Gegend bekannt war, war ſo verwirrt, daß er ſein Gedächtnis ganz verloren hatte, und 13 ˙ 195

Ir der ich mich plötzlich aus einem Sklaven und Gemiß—

ich gab ſchon alle Hoffnung auf, diefen Ort bis zum Anbruche des Tages verlaſſen zu können. Das Waſſer ſtrömte uns in- des über den Leib herab; die Bäume konnten uns auch keinen Schutz gewähren, weil von ihnen der Regen noch ſtärker lief; das Wetter war unleidlich, und wir ſehr verdrießlich. Während wir noch in dieſer Verfaſſung waren, hörten wir nahe bei uns rufen: Gebt acht auf euer Leben! Da es ſo nahe tönte, blickte ich zwiſchen den Zweigen hindurch und bemerkte hinter den Bäumen einen Lichtſchimmer, welcher aus drei Häuſern Teuch- tete, wo das Pferd bei anderen Gelegenheiten übernachtet haben mußte. Der Weg dahin war nur kurz; wir rannten zu den Häuſern und begaben uns gleich unter Dach und Fach, denn aus den drei Wohnungen kam man ſogleich heraus, um uns bereitwilligſt ein Nachtlager anzubieten; und da, wo wir nur Waſſer zu finden glaubten, fanden wir ſehr wohlſchmeckende Kapaunen, denn alle fremden Länder haben hinſichtlich der Wirtshäuſer und der Verpflegung der Reiſenden große Vor— züge vor Spanien.

Wir aßen ſehr gut zu Abend. Ich verlangte einen Krug mit Waſſer. Man holte es mir aus einer Quelle, welche dort in der Nähe der Häuſer entſprang; da es aber laulich war, ließ ich es in ein Fenſter ſtellen, wo es, obgleich die Jahres— zeit nicht kalt war, durch die vom Sturme und Hagel ver— änderte Temperatur in einem Augenblicke ſo kalt wurde, daß es ſogar gefror. Ich trank es, und der Wirt holte aus den andern Häuſern zwei Zeugen herbei, und da er mich noch einen Krug kaltes Waſſer trinken ſah, ſagte er zu dieſen: Meine Herren, ich habe euch deswegen hergeführt, damit, wenn dieſer Spanier vom Trinken dieſes kalten Waſſers ſtirbt, man nicht ſagen möge, ich habe ihn umgebracht. Ich lachte, in der Meinung, er ſage dieſes nur, weil er das Waſſer haſſe oder den Wein liebe; es geſchah aber aus einem Grunde, den der 196

Wirt erſt nachher erklärte. Ich fragte, als ein Neuling in Italien: Warum er nicht wolle, daß ich dieſes Waſſer trinke, der ich doch zeitlebens gewohnt ſei, es zu genießen? Er ant: wortete mir: Das Waſſer in Spanien ſei weicher und leichter verdaulich als das in Italien, welches mehr Feuchtigkeit hat. Es iſt glaublich, da ein ſo verſtändiges Volk wie das italieniſche es niemals rein zu trinken wagt, daß es wohl eine ſchädliche Wirkung davon ſpüren muß. Ich kannte einen italieniſchen Kavalier, der, als er nach Spanien kam, noch nie einen Tropfen Waſſer getrunken hatte, und der, ſolange er in Spanien war, keinen Tropfen Wein trank. Denn die Waſſer, ſeien ſie nun Fluß⸗ oder Quellwaſſer, nehmen die gute oder böſe Eigenſchaft der Erde oder der Mineralien an, durch welche ſie laufen. Die ſpaniſchen, da dieſes Land von der Sonne vorzüglich begünſtigt iſt und in allen Waſſern die Feuchtigkeit ſehr ſchnell verzehrt wird, ſind ſehr vorzüglich, da ſie außerdem noch häufig durch Golderze gehen, wie bei denen der roten Sierra ſich zeigt, wo das Gebirge dieſe Farbe hat und das Waſſer unvergleichlich iſt: oder ſie gehen durch Silbererze, wie die der Sierra Morena, wie ſich bei denen von Guadalkanal zeigt: oder durch eiſen— haltiges Geſtein, wie in Biskaya, welche ſehr geſund ſind. Kurz, es gibt kein ſchädliches Waſſer in Spanien, ſei es nun Quelle oder Fluß, außer etwa das in Seen, Sümpfen oder Lachen, welches nicht getrunken wird. Sogar neben einer Lagune, die mehr als eine Meile lang iſt und ſich bei Antequerra be— findet, in welcher beſtändig Salz bereitet wird, findet man das beſte und geſundeſte Waſſer, welches der Steinquell heißt, weil es den Blaſenſtein zerſtört. In Ronda gibt es einen andern, kleinern Quell, der Quell der Nonnen genannt, der gegen Oſten in einem Hügel entſpringt, und welcher, wenn man ihn trinkt, ſogleich den Stein zerſtört, ſo daß er am nämlichen Tage als Sand abgeht. Über dieſen Gegenſtand ließe ſich ein großes Buch ſchreiben.

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Was mir aber der Wirt gefagt hatte, war fo ſehr die Wahrheit, daß ich in der ganzen Zeit, die ich in der Lom⸗ bardei zubrachte, nämlich mehr als drei Jahre, von dem ge— trunkenen Waſſer beſtändig Kopfſchmerz empfand. Ich beob⸗ achtete auch am folgenden Tage, daß in allen den Pfützen, die ſich infolge des großen Waſſerguſſes gebildet hatten, ſich kleine Tiere, wie: kleine Kröten, Fröſche und anderes Un- geziefer, ſehen ließen, die in ſo kurzer Zeit entſtanden waren, was eine Folge der bösartigen Feuchtigkeit des Bodens iſt. In den Gräben von Mailand ſieht man häufig zuſammen⸗ geringelte Maſſen von Schlangen, die ſich aus der Unreinigkeit und Zerſetzung des Waſſers, ſowie aus der ſchweren Feuchtigkeit des Erdbodens erzeugen.

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Erftes Kapitel.

Wir reiften alfo, um dieſen Gegenſtand zu verlaffen, ich und mein Pferdeburſche durch das Gebiet von Genua. Wir trafen auf einige Bauern und fragten ſie, welchen Weg wir nehmen müßten, da wir uns die Nacht vorher verirrt hatten. Diefe gaben uns eine falſche Auskunft, um uns zu täufchen, damit wir noch mehr Zeit mit Irregehn verlieren ſollten. Der Vetturin verſtand den Spaß und ſagte, daß ſie uns zum Beſten hätten. Ich aber hielt es nicht für Spaß, ſondern ſchimpfte ſie derb in ſchlechtem Italieniſch, und ſie, deren viele waren, warfen uns mit Steinen. Ich ſtieg ab und verſetzte dem einen einen Stoß mit dem Degen. Der junge Menſch nahm ſein Pferd und ließ mich zwiſchen ihnen zurück; denn er, als ihr Landsmann wollte kein Zeuge von der Sache ſein. Nun machten ſich alle, da ich ausgeglitten und auf den Boden gefallen war, über mich her, banden mich und führten mich nach dem nächſten Orte, der ſehr groß und volkreich war. Man zeigte das Blut des Verwundeten, und ſchwere Ketten wurden mir an Hände und Füße gelegt. Diesmal konnte ich mich nicht über mein Un⸗ glück beklagen, ſondern nur über meinen Mangel an Über— legung, da ich in einem fremden Lande das tun wollte, was ich in dem meinigen nicht getan hätte. Die Spanier aber, wenn ſie außerhalb ihres Landes ſind, bilden ſich ein, unumſchränkte Herren zu ſein. Da ich mich nun über niemand und gegen niemand beklagen konnte, ſo machte ich mir ſelbſt ſo viele Vorwürfe, als meine Gegner nur hätten tun können, da ich jetzt Ketten tragen mußte, was ſelbſt in Algier nicht geſchehen war, ohne irgendeinen in der Nähe zu haben, der mich freundlich anblicken mochte. Denn aus dem— ſelben Grunde, aus dem wir uns für Herren der Welt halten, machen wir uns bei allen Menſchen verhaßt.

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So war ich alſo fehr traurig, ohne daß ich jemand wußte, dem ich von meiner Trübſal hätte Nachricht geben können. In meiner Nähe hörte ich von mir, als einem Verfluchten ſprechen, und das gelindeſte Urteil, das ſie über mich ausſprachen, war, daß ich im geheimen erdroſſelt werden ſollte. Der Kerker— meiſter ſchien ein umgänglicher Mann; aber ich hatte noch keinen Weg gefunden, ihm näher zu kommen, um mich durch ihn zu tröſten. Als ich über die Art und Weiſe nachdachte, fiel mir ein, daß dieſe Nation außerordentlich habſüchtig ſei, und daß ich dadurch wohl etwas zu meiner Hilfe ausſpüren könne. In der Taſche hatte ich einige Taler, die ich von Genua mit⸗ gebracht hatte. Zwei hübſche Kinder des Kerkermeiſters ſpielten in meiner Nähe, und ich dachte daran, welches freundliche Ge— ſicht die Eltern denen machen, die ihren Kindern Gutes tun; ich gab alſo jedem Kinde einen Taler. Nun ſperrte der Vater die Augen auf und dankte mit ſolcher Lebhaftigkeit, daß ich ſogleich daraus Hoffnung ſchöpfte, daß mir das wohl ges lingen könne, was ich erſonnen hatte. Er ſagte zu mir: Mein Herr, Ihr müßt wohl ſehr reich ſein? Und woraus ſchließt Ihr das? fragte ich. Aus der Freigebigkeit, antwortete er, mit der Ihr dieſen Kindern Geldſtücke ſchenkt, die ſelbſt Männer in hieſiger Gegend nur ſelten zu ſehen bekommen.

Da Ihr nun dieſe Kleinigkeit ſchon ſo hoch ſchätzt, was werdet Ihr tun, wenn Ihr erſt das übrige wißt? Bei dieſen Worten nahm ich Geld, gab es ihm und fuhr ſo fort: Weil Ihr mir ein verſtändiger Mann zu ſein ſcheint, ſo will ich Euch ſagen, wer ich bin; denn aus dieſer Kinderei ſollt Ihr nichts machen. Ich beſitze nämlich das, was alle Philoſophen ſuchen und niemals finden können. Doch vorher müßt Ihr mir ſchwören, zu keiner Zeit zu entdecken, wer ich bin.

Er tat dies auf die feierlichſte Weiſe, und fragte mich dann begierig, was das ſei, was ich ihm eröffnen wolle. Ich 200 |

antwortete ihm: Ich beſitze den Stein der Weiſen, durch welchen man Eiſen in Gold verwandelt, und daher kann es mir nie an dem fehlen, was ich brauche. Ich habe es aber nicht ge— wagt, mich in Genua jemand zu entdecken, damit die Repu— blik mich nicht an meiner Reiſe hinderte, wie gewiß geſchehen wäre. Denn da dieſe göttliche Erfindung von allen ſo ſehr geſucht und gewünſcht wird, ſo iſt jeder König oder jeder Staat, wenn er einen weiß, der ſie beſitzt, ſehr darauf bedacht, ihn gegen ſeinen Willen feſtzuhalten, damit er zu ſeinem eigenen Nachteil für ſie die Kunſt ausübe, um nicht durch eine zu große Verbreitung des Goldes in der Welt den Wert dieſes Me— talles herabzuſetzen. Mein Herr, antwortete der Kerker— meiſter, ich habe von dieſer Sache oft ſprechen hören, aber ich habe noch nirgends ſagen hören, daß in unſern Zeiten jemand die Kunſt beſitze. Denn obgleich Ihr mich, gnädiger Herr, in dieſem Amte ſeht, welches ich ausübe, um ruhig mit meinen Kindern leben zu können, ſo diente ich doch ſonſt in Spanien einem genueſiſchen Geſandten, und aus obigem Grunde zog ich mich in dieſen Ort zurück, wo ich geboren bin.

Ich freue mich darüber, antwortete ich: denn da Ihr alſo erfahren und verſtändig ſeid, und ſchon von dieſer Sache gehört habt, ſo werdet Ihr auch dem Glauben beimeſſen, was Ihr mit Euren Augen ſehen ſollt.

Könnt' ich die Kunſt lernen, antwortete er, ſo wär' ich ein gemachter Mann; denn ich würde hier dem ganzen Orte be— fehlen, und Euch, mein gnädiger Herr, hingehen laſſen, wohin ihr nur wolltet. Was das erſte betrifft, erwiderte ich, ſo iſt die Sache ſo

äußerſt ſchwierig, daß dazu die allergrößte und ſeltenſte Ge— ſchicklichkeit gehört, um es zu treffen, und daher kann ich ſo dreiſt nicht ſein, es Euch zu lehren; aber ich werde Euch ſo viel Gold laſſen, daß ihr und Eure Kinder daran Genüge haben 201

follt. Und was das zweite anlangt, fo will ich nicht, daß Ihr für mich etwas tut, was Euch nachher zum Schaden gereichen könnte; denn dieſelbe Kunſt der Chemie gibt mir Mittel, mich zu befreien, und dieſes kann ich Euch ſehr leicht lehren. Denn Ihr ſollt es ſehen, wenn Ihr auch blind wäret, wie ich ohne Eure Mitwirkung und Einwilligung mich frei mache, ſo daß Ihr ohne allen Vorwurf bleibt und reich und glücklich werdet.

Er warf ſich mit großen Zeremonien zu meinen Füßen und nahm mir die Ketten ab, obgleich ich dem ſehr ernſthaft wider⸗ ſprach, und um ihn noch ſicherer zu machen, damit mir gewiß meine Abſicht gelänge, ſagte ich zu ihm: Wißt, daß der Grund, weshalb noch niemand die Verwandlung der Metalle fertigs gebracht hat, darin liegt, daß keiner die großen Philoſophen, welche ſo äußerſt ſpitzfindig über dieſe Materie ſchrieben, verſtanden hat, als da ſind: Arnold von Villanuova, Rai⸗ mund Lullius und Gebor, ein geborner Maure, nebſt vielen

andern Autoren, die die Kunſt in geheimen Ziffern niedergelegt |

haben, um fie den Unwiſſenden nicht gemein zu machen. Ich aber, um die Wahrheit der Sache zu ergründen, bin nach Fez in Afrika gereiſt, nach Konſtantinopel und durch Deutſchland, und durch den Umgang mit großen Philoſophen bin ich dahin

gekommen, die Wahrheit zu entdecken, welche darin beſteht,

ein Metall, das hart und widerſpenſtig iſt, nämlich das Eiſen, zu ſeiner erſten Materie zurückzuführen; iſt dies in ſeinen ur⸗ ſprünglichen Zuſtand zurückgeführt und in das Element, aus welchem es gebildet wurde, und man wendet nun darauf Dies ſelben Sachen und Simpla an, welche die Natur bei dem Golde

gebraucht, wenn dieſes hervorgebracht wird, ſo kann es ſich eben- falls auf dieſem Wege in Gold verwandeln. Denn wie es die Art

aller Kreaturen iſt, daß ſie aus ihrer eigenen Weiſe, ſo viel als möglich iſt, zum Vollkommenſten ihres Geſchlechtes hin⸗ ſtreben, ſo ſtreben auch das Eiſen und die übrigen Metalle zu 202 |

ihrem Vollkommenſten, nämlich zum Golde, hin; gibt man ihm nun die Eigenſchaften, welche die Sonne, die Mutter des Univerſums, mit der Natur erzeugt, ſo verwandelt es ſeine Natur in die des Goldes; und dieſes geſchieht durch gewiſſe ſtarke und ätzende Salze, indem man den Stand der Planeten beachtet, worin ich ſehr geſchickt und erfahren bin. Damit Ihr aber ſchon etwas Ähnliches ſeht, was Euch von dieſer Wahrheit überzeugen kann, ſo nehmt heut nacht ein Stück von einem alten Hufeiſen, das ſchon lange herumgelegen und im Schutte ganz von Roſt überzogen worden iſt: dies brecht oder zerfeilt in ganz kleine Stücke, tut es in einen Topf und ſetzt es in ſtarkem Weineſſig auf ein gelindes Feuer, und Ihr werdet ſehen, was daraus wird.

Er tat dies pünktlich ſo und gab mir die Gelegenheit, daß ich dieſe Nacht ganz nach meiner Bequemlichkeit ruhen konnte, in welcher ich die Liſt genau überlegte, mit welcher ich mich aus dem Gefängniſſe befreien wollte.

Zweites Kapitel.

Am Morgen kam der Kerkermeiſter ſehr zufrieden zu mir und ſagte mir, er entdecke, daß ſich das Eiſen in eine rötliche Farbe, wie Gold, verwandle. Nun werdet Ihr einſehen, ant⸗ wortete ich, daß ich Euch die Wahrheit geſagt habe. Ich gab ihm Geld, um eine gewiſſe ätzende und giftige Droge einzu— kaufen, die ich hier nicht nenne, weil es nicht meine Abſicht iſt, zu lehren, das Böſe auszuüben. Mit andern Dingen, die ich hinzufügte, machte ich einige Pulver, die ich oft mit Scheide- waſſer benetzte; ich trocknete und benetzte ſie wieder, bis ſie eine angenehme rote Farbe bekamen. Als dieſe Pulver ſo bereitet waren, wie ich fie nötig hatte, ſagte ich zu zwei Schel- men, die auf die Galeeren verurteilt waren: Die Galeeren find in Genua, alſo iſt Eure Marter ſchon angekommen;

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unternehmt Ihr es aber, mich in einer Nacht auf das Gebiet des Königs zu bringen, will ich euch ganz ſtill von hier fort: ſchaffen, ohne daß es drinnen oder draußen Lärm erregt.

Sie antworteten ſehr entſchloſſen: Selbſt auf den Schultern, gnädiger Herr, wollten wir Euch tragen, und vor Tage ſolltet Ihr Euch gewiß unter ſpaniſchen Soldaten befinden.

So ſeid denn, ſagte ich zu ihnen, mit dem Anbruche der Nacht aufmerkſam, und ſowie ihr mich mit den Schlüſſeln ſeht, eilt zu eurer und meiner Rettung herbei.

Die armen Kerle waren ſehr erfreut und wünſchten heiß, daß nur die Stunde ſchon gekommen ſein möchte. Dem Kerker⸗ meiſter fagte ich am Morgen, daß er einige Schmelztiegel brinz gen möchte und ſo viel altes Eiſen, als er nur finden könne, welches alles in Gold verwandelt werden ſolle, und daß er in der Nacht, wenn im Gefängnis alles ſtill ſei, ein Kohlen⸗ becken anzünden ſolle; daß aber kein Zeuge die Sache ſehen dürfe, der uns angeben könne. Er wendete ſolchen Eifer auf, daß er keinen Schutthaufen unbeſucht ließ, und als die Nacht angebrochen war, zeigte er mir eine ſo große Maſſe alter Eiſenſtücke, daß ſie, nach Pfunden verkauft, ein ziemliches Geld eingebracht hätte. Er ſchloß alle ſeine Leute ein, ſowie die übrigen Gefangenen, und diejenigen, welche mir helfen ſollten, ſtellten ſich ſchlafend. Er zündete ſein Kohlenbecken an, und als alles ſtill um uns war, nahm ich meine Pulver und zeigte ſie ihm; dieſe ſchienen ihm ſchon wirkliches Gold zu ſein. Riecht nur, ſagte ich, welchen herzſtärkenden Geruch ſie haben, und

gab fie ihm in die Hand. Er führte fie ſich nahe, um zu

riechen, und ich gab ihm mit großer Schnelligkeit einen Schlag gegen den untern Teil der Hand, ſo daß ihm das Pulver in die Augen ſprang, und er ſogleich laut: und beſinnungslos rückwärts hinſtürzte. Ich nahm die Schlüſſel, und die beiden Schelme kamen ſogleich, wie ſie mich gewahr wurden. Ich 204

öffnete die Türen, während der Arme ohne Beſinnung liegen blieb, und wir, ohne geſehen zu werden, verließen das Ge— fängnis und den Ort, und am Morgen, nachdem wir durch Wald und Berg und beſchwerliche Schluchten gewandert waren, befand ich mich in Aleſſandria della Palla unter ſpaniſchen Soldaten, welche die Wache des Gouverneurs Don Rodrigo de Toledo bildeten.

Den guten Galeerenſklaven ſchien es, als wenn ihnen die Freiheit vom Himmel gekommen wäre, und ſie entfernten ſich, um ihren Lebensunterhalt zu ſuchen. Ich freute mich herzlich, daß mir mein Anſchlag ſo gut gelungen war. Zwar es geſchah auf Unkoſten des armen Kerkermeiſters, der ſein Haus voll Gold zu ſehen erwartete, aber der Augen, es zu ſehen, verluſtig ging, doch, für die Freiheit iſt alles erlaubt.

Drittes Kapitel.

Ich reiſte nach Mailand ab, und da ich ſo außerordentliche Begier hatte, dort hinzukommen, ſo fürchtete ich irgendein Unglück; denn die Unglücklichen müſſen beſtändig in der Sorge leben, daß ihnen irgend etwas zuſtoßen könne. Es geht ein Fluß durch die Stadt Aleſſandria, welcher Tanaro heißt, wo ich bewegliche hölzerne Schiffsmühlen ſah, die wohl im Grunde Räder haben müſſen, die ſich bewegen; denn ich hielt mich nicht auf, mich danach zu erkundigen, weil es mich nicht intereſſierte. Ich hatte das Fahrzeug erwartet, um über den Po zu ſetzen, der ein ſehr waſſerreicher Strom iſt, nachdem er den Tanaro aufgenommen hat, und ich beſtieg es jetzt mit etlichen armen Pilgerinnen; in der Mitte des Stromes geſchah es, daß infolge der Strömung des Tanaro eine von jenen Schiffsmühlen auf uns zukam, die ſich vom Grunde losgeriſſen haben mußte, und ſo mit unſerer Barke zuſammenſtieß, daß dieſe kenterte. Das Pferd, da dieſe Tiere es gewohnt ſind, 205

durch das Waſſer zu ſchwimmen, ſtürzte fich ſogleich hinein; ich faßte ſeinen Schweif, die Pilgerinnen hielten ſich an mir feſt, und der Vetturin an dieſen, und ſo, fallend und aufſtehend und manchmal mit den Füßen den Sand fühlend, gelangten wir an das Ufer, wo das Pferd uns durch die Hintertür taufte, da es ſich offenbar mit Gerſte überfreſſen hatte; doch ließ ich darum doch nicht eher los, als bis ich den Uferboden unter den Füßen fühlte. Wir fanden dort Leute von verſchiedenen Nationen, die mit einer anderen Barke übergeſetzt waren, Franzoſen, Deutſche, Italiener und Spanier, und um uns gegenſeitig zu verſtehen, ſprachen wir alle Latein; da wir aber alle eine verſchiedene Ausſprache hatten, obgleich wir ein gutes Latein redeten, ſo verſtand doch keiner den anderen, was mir viel zu denken gab, daß ſogar in einer und derſelben Sprache,

welche ſich über ganz Europa erſtreckt, die Strafe des baby⸗

loniſchen Turmes fortdauert. Wir kamen nach Pavia, einer ara Univerfität, wo mich der damalige Rektor ſehr gütig aufnahm, obgleich

ich mich nicht aufhielt, da mein Verlangen mich nach Mailand trieb, um mich nur in jenen merkwürdigen Mauern zu ſehen, die immer ſo große Heilige beſeſſen haben, und wo auch jetzt die Prälaten jenes wundervollen Tempels einen erbaulichen | Wandel führten. Derjenige, welcher ihn damals verwaltete, war der hochheilige Kardinal Carlo Borromeo, der jetzt San | Carlo heißt, welcher ein ſolches Leben führte, daß er wenige

Jahre nach feinem Tode heilig geſprochen wurde.

Ich kam gerade zu der Zeit an, als die Exequien der übers |

aus frommen Königin Donna Anna von Hfterreich gefeiert werden ſollten, und da man jemand ſuchte, dem man die Erzählung von dem Leben und Verſe auf den exemplariſchen

Wandel dieſer hohen Frau übertragen könne, ſo fand der

Magiſtrat von Mailand es für gut, dieſe Arbeit dem Ver⸗ 206

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faſſer dieſes Buches anzuvertrauen, nicht weil er der befte war (denn es gab wohl große Geiſter, die dieſes Werk aus— führen konnten), ſondern vielmehr als einem, der den heftig— ſten Wunſch hatte, ſeinem Könige zu dienen, und in ſo er— habenen Sachen von ſo großen Geiſtern zu lernen, indem ich ihnen ſelbſt den Annibale da Tolentino nannte, einen außer— ordentlichen Mann, der dies beſſer als ſonſt jemand in Europa gemacht haben würde; allein, da der Autor ihnen einmal am nächſten war, fo wurde die Arbeit von ihm gefordert, Bei dieſer Totenfeier hörte ich eine Predigt aus dem Munde des heiligen Carlo, die ſo war wie ſein Leben.

Meine Freunde waren ebenſo erfreut als verwundert über die ſchnelle Art, mit der ich mir meine Freiheit verſchafft hatte, und ich mußte ihnen die Art und Weiſe mehr als einmal er— zählen. Die überſtandenen Leiden im Glück zu erzählen, vers urſacht eine eigene Art des Vergnügens; die Leiden ſind wie die Arlesbeeren oder die Miſpeln, die in ihrer Vollreife der Zunge herb und widerwärtig ſind, wenn ſie aber ihre Zeit überſtanden haben, dieſe Herbigkeit in Süße verwandeln. Man kann ſie ſich auch unter dem Bilde vorſtellen, wie ein Menſch, der im Fluſſe ertrinken will, immer den Kopf hoch hebt und alle Anſtrengung anwendet, den Wellen zu entgehen, der aber, wenn ihm dies gelungen iſt, von demſelben Waſſer trinkt, welches ihn erſt verderben wollte.

Es war mir ſehr erfreulich, die Größe, Fruchtbarkeit und den Überfluß von Mailand kennen zu lernen; denn ich glaube, daß ihr darin nur wenige Städte von Europa gleichkommen. Sei es nun aber vom vielen Waſſer, oder weil die Lage des

Ortes an ſich ſelber feucht iſt, ich litt unaufhörlich an den heftigſten Kopfſchmerzen, und obgleich ich ihnen von früheſter Kindheit an unterworfen bin, ſo waren ſie doch in dieſem Lande unleidlicher als je. Von jeher haben mich drei Dinge verfolgt:

207

Unwiſſenheit, Neid und Flüſſe; die Rheumatismen, die mich aber hier quälten, hielten an, bis ich nach Spanien zurückkehrte. Drei Jahre brachte ich in Mailand zu; aber faſt nur als ein bettlägeriger Menſch, der die Balken der Decke tauſendmal überzählt. Ich konnte auch nichts Bedeutendes vornehmen, teils weil ich niemals aufgelegt war, andernteils aber auch, weil die Übungen des Geiſtes unter Soldaten nur wenig ſtatt— finden.

Ich bekam Luſt Turin zu ſehen, und zur Strafe für meine Sünden war dies im Dezember, einer Zeit, wo es keine Wege, ſondern an ihrer Stelle nur Flüſſe gibt; da es aber bei meiner Ausreiſe ſchönes Wetter war, ſo ließ ich mich täuſchen und glaubte, daß es ſo dauern würde. Als ich aber nach Bufalores kam, fing es ſo an vom Himmel zu gießen, daß nicht Regen, ſondern Waſſerſtröme niederſtürzten, die in kurzer Zeit alle Spuren der Wege vertilgten. Ich kam nach Turin, und weil ich bei meiner Ankunft ſo widriges Wetter erlebt hatte, blieb ich mit einem anderen Spanier zwei Monate dort. Die Nebel waren ſo dicht, daß die Menſchen auf der Gaſſe einander ſtießen, ohne ſich zu ſehen. Sie entſtanden, wie man dort behauptete, durch die Nähe des Po, der nahe bei der Stadt vorbeifließt, abgeſehen davon, daß noch durch die Stadt viele Waſſerbäche rinnen. Ich ſehe aber, daß in Spanien der Guadalquivir durch Sevilla fließt, der waſſerreicher iſt als der Po, und manchmal ſo anwächſt, daß er den größten Teil der Stadt überſchwemmt und das ganze Feld von Tablada zu einem ſchiffbaren See macht, und doch habe ich niemals dergleichen Nebel geſehen. Granada wird ſogar von zwei Strömen bemáffert und viel mehr Bäche rinnen durch die Straßen als in Turin, aber dennoch ſieht man niemals der⸗ gleichen Finſternis oder Nebel. 1

Ich und der andere Spanier wohnten in einem Wirtshauſe, 208

wo ich mich in der größten Gefahr und zugleich in der beften Gelegenheit befand, ein ſeliger Märtyrer zu werden, die mir je im Leben aufgeſtoßen iſt. Es aßen viele Menſchen dort zu Mittag, und ich und mein Kamerad ſtanden und warteten darauf, daß ſie fertig würden, damit wir uns niederſetzen könnten, als ein alter Mann von ungefähr fünfzig Jahren mit Vorſatz anfing, von der neuen Religion zu ſprechen, von der reformierten Religion, welches Wort er oft wiederholte. Obgleich er von Genf gebürtig war, ſo ſprach er doch ſehr gut italieniſch, und da er Spanier ſah, ſchien es ihm gut, die Stimme lauter zu erheben als nötig war. Und zwiſchen einem Zutrinken und dem anderen ſagten ſie Ketzereien, die zu der Weinſeligkeit der Leute gut paßten. Mein Kamerad riet mir, daß ich ſchweigen möchte; und indem ſie auf das Wohl ihrer Bekenner Geſundheiten tranken, fingen ſie wieder an, von der neuen Religion und von der reformierten Religion zu ſprechen, ſo daß ſie mich zwangen, zu fragen, welche Religion dies denn ſei und wer ſie reformiert habe. Sie antworteten mir, daß es die Religion Jeſu Chriſti ſei und daß Martin Luther und Johann Calvin dieſe reformiert hätten. Bevor ich noch mehr Worte anhörte, ſagte ich zu ihnen: eine feine Religion, die von zwei ſo großen Ketzern reformiert iſt. Das ganze Haus kam in Aufruhr, und es fielen ſo viele Degenklingen auf mich und den zweiten Spanier, daß, wenn wir nicht eine Treppe erreicht hätten, man uns in Stücke gehauen hätte. Die Wirtin beſchwichtigte endlich die Sachen, indem ſie ihnen ſagte, daß ſie wohl zuſehen möchten, was ſie täten, denn wir wären vom Herzoge hierher geſetzt. Der Lärm hörte auf, denn bis jetzt hatten ſie dem Herzoge von Savoyen den Gehorſam noch nicht verweigert, obgleich ſie ihn der römiſchen Kirche verſagten.

209

Viertes Kapitel.

Ich ging von Turin nach Mailand zurück. Ich hatte erſt die Abſicht nach Flandern zu gehen, fand aber keine Gelegenheit dazu, abgeſehen davon, daß ich hörte, die Truppen von Flan⸗ dern ſeien ſchon auf dem Marſche nach der Lombardei be— griffen, und daß ich mit den nämlichen Truppen bereits in Flandern bei dem Hauptſturm auf Maaftricht!? geweſen war. Daſelbſt war mir etwas ſehr Spaßhaftes begegnet, was ſehr ſchlimm hätte ablaufen können. Bei der Plünderung der Stadt nämlich erwiſchte ich das erleſenſte Reitpferd unter allen, die ſich in einem der erſten Paläſte befanden. Als ich mich auf ſeinen Rücken geſchwungen hatte und die Stadt verlaſſen wollte, galoppierten mehr als dreihundert Hengſte hinter mir her; denn das Pferd, das ich in Beſitz genommen hatte, war eine läufige Stute, und wäre ich nicht eilends von ihr herunter— geſprungen, ſo hätte ich die Vorderhufe der ſie verfolgenden Liebhaber gründlich zu ſpüren bekommen. Mein Gefährte reiſte nach Flandern, und ich, um nach Mailand zurück⸗ zukommen, fand einen Wagen, auf welchem ich in Geſell— ſchaft von vier Genfern reiſen mußte, die ebenſo große Ketzer waren, wie die anderen. Ich war feſt entſchloſſen, zu allem zu ſchweigen, was ſie auch ſagen möchten, wodurch ich ſo ſehr ihr Herz gewann, daß ſie, ſo ſehr ſie auch ſonſt die Spanier haſſen, auf der ganzen Reiſe ſehr freundlich gegen mich waren und mir tauſendmal ſagten, daß ich ein liebenswürdiger Ge— ſellſchafter ſei. Dieſe Leute ſind ſonſt, wenn es ſich nur nicht um ihre Religion handelt, wirklich aufrichtig, umgänglich und machen gern anderen Vergnügen.

Sie liebkoſten mich auf der Reiſe, und plötzlich zwiſchen zwei Armen des Ticino wandten fie ſich abſeits, auf einen Wald und eine Bergkette zu, wo ſie, wie ſie ſagten, einen großen Nekromanten beſuchen wollten, um ihn über einige ſehr wich— 210

tige Geheimniſſe zu befragen. Jung, wie ich war, und ein Freund von Neuigkeiten, freute es mich ſehr, hier etwas zu ſehen, was mir noch niemals vorgekommen war. Wir gingen eine Weile durch den Wald, bis wir an den Fuß des Gebirges gelangten, wo ſich die Mündung einer Höhle zeigte, mit einer Tür aus rohbehauenem Holz, die von innen verſchloſſen war. Sie klopften an, und es wurde von innen mit einer rauhen, tiefen Stimme, die etwas Feierliches hatte, geantwortet. Die Tür ward aufgemacht, und die Geſtalt des Zauberers zeigte ſich in einem braunen Gewande voller Flecken, das mit Linien, Schlangen und Himmelszeichen bemalt war. Auf dem Kopfe trug er eine große Mütze mit Wolfsfell gefüttert, nebſt anderen Dingen, die ſeine Geſtalt furchtbar machten, ſo wie es auch der Ort war, welchen er bewohnte. Jene Edelleute aus Genf ſprachen mit ihm und machten ihn mit der Urſache ihres Kommens bekannt, und wie ſie, von ſeinem großen Rufe an— gezogen, ſich ſeines Rates in einer wichtigen Sache bedienen wollten. Anfänglich wollte er ſeine Kunſt verleugnen; endlich aber brachten ſie es doch durch Bitten und Geſchenke dahin, daß er ſich herbeilaſſen wollte, ihre Bitte zu erfüllen. Während ſie mit ihm ſprachen, betrachtete ich das Innere der Höhle, welche voller Dinge war, die Furcht und Schrecken erregen konnten; denn man ſah Teufelsgeſichter, Löwen, Tiger, Faune, Kentauren und andere ähnliche Dinge, beſtimmt, allen, die hereintreten möchten, Grauen zu erregen; manches war ge— malt, anderes plaſtiſch, durch welche Dinge er zu verſtehen geben wollte, daß er mit einem Geiſte Umgang und Freund— ſchaft pflege. Er ſprach lange mit den Fremden, erzählte ihnen von ſeiner großen Macht und zeigte ihnen viele Juwelen von verſchiedenen Leuten und großen Herren, die er von dieſen für die vielen Geheimniſſe bekommen, welche er ihnen ent— deckt hatte. Da er bemerkte, daß ich mehr die Kunſt beob— 14% 211

achtete, mit welcher er feine Höhle ausgeſchmückt hatte, fo fragte er ſie nach mir, weil ich an ihrer Unterhaltung keinen Teil nahm. Sie antworteten ihm, daß ich ein Spanier ſei. Der Nekromant ſagte hierauf: Ich mag meine Geheimniſſe vor Spaniern nicht zeigen, denn fie find ungläubig und ſcharf⸗ ſinnigen Geiftests, |

Worauf fie antworteten: Ihr könnt alles in feiner Gegen: wart vornehmen; denn obwohl er ein Spanier iſt, fo iſt er doch ein braver Mann und ein guter Kamerad. Er ent⸗ ſchloß ſich alſo, es zu tun und rief einem Gehilfen, der ſo fürchterlich ausſah, daß er mir wirklich ein Teufel zu ſein ſchien. Wir gingen in das Innere, wo er ſeinen Spiritus familiaris hatte. Dies zweite Gemach war ein kleiner Ab— ſchlag, noch finſterer als die vordere Höhle, mit einem Gatter umgeben, innerhalb deſſen ein pultähnliches Geſtell war, und auf dieſem ein großer Globus von Glas mit einem Alphabet rund umher, das mit großen Buchſtaben geſchrieben war; in der Mitte des Globus war der Geiſt, ein Männlein von der Farbe des Eiſens, deſſen rechter Arm gerade auf die Buch⸗ ſtaben zu ausgeſtreckt war. Ein Anblick, der in der Tat Schrecken erregte. Er ſprach zu dem Geiſte in einer langen Rede und erinnerte ihn an die alte Freundfchaft, die fie feit ſo vielen Jahren miteinander gepflogen hatten, um ihn dahin zu bringen, auf alle vorgelegten Fragen willig zu antworten. Hierauf zog er einen großen Handſchuh an, und nachdem die Frage vorgelegt war, erhob er die Rechte und rief ihm zu: Auf, ſchnell dann! Der Geiſt drehte ſich um und wies auf einen Buchſtaben. Der Zauberer zog den Handſchuh aus und ſchrieb den Buchſtaben auf, welchen der Geiſt bezeichnet hatte. Hierauf zog er den Handſchuh wieder an und erhob abermals die Hand, indem er ihm zurief: Weiter! Der Geiſt drehte ſich und bezeichnete einen zweiten Buchſtaben, und auf dieſe 212

Weiſe fuhr er mit Fragen fort, bis er zehn oder zwölf Buch— ſtaben aufgeſchrieben hatte, in welchen auf die Frage der Genfer ſchon eine Antwort enthalten war, die ihnen große Freude machte. Da ich ſah, daß er, um jeden einzelnen Buch— ſtaben aufzuſchreiben, den Handſchuh ablegte, fiel ich auf einen Verdacht, und als er wieder mit dem Handſchuh auf den Globus deutete, riß ich ihm denſelben ſchnell am Zeigefinger weg und fühlte im Finger einen ziemlich großen harten Gegen— ſtand, worauf ich den Nekromanten fragte: Iſt hier nicht ein Magnetſtein drinnen? Erſchrocken und verdrießlich wandte er ſich zu den anderen und ſagte: Ich ſagte es ja, daß die Spanier ſcharfſinnig ſind, und daß ich in ihrer Gegenwart nichts vornehmen wollte. Das Geheimnis beſtand nun darin, daß dieſes kleine Geiſtchen aus einer ſehr leichten Materie gebildet war; ſein rechtes Armchen war von Eiſen und wurde von jenem Magneten angezogen, mit welchem der Zauberer nach dem Buchſtaben wies, den er brauchte, ſo daß der an— gezogene Geiſt ſich bald hierhin, bald dorthin drehte, um ihn zu bezeichnen.

Die Genfer waren verwundert, ſowohl über die Feinheit, mit welcher dieſer Menſch die Leute hinterging, als auch über die meinige, mit der ich ſeine Schelmerei erkannt hatte. An— fangs waren ſie verdrießlich, daß ihnen die glückliche Weis— ſagung des Geiſtes nun nicht in Erfüllung gehen könne, den ſie für einen Teufel gehalten hatten; aber nachher freute ſie die Enttäuſchung. Der Zauberer bat ſie, mich zu bereden, daß ich ihm den Markt nicht verdürbe; denn er erhielte dadurch

ſein Leben, ohne jemand Schaden zu tun; denn er hatte den

Ruf eines außerordentlichen Mannes. Die Erfindung war wirklich ſehr ſinnreich und der Naturlehre entſprechend und konnte als eine Taſchenſpielerei wohl hingehen: wenn aber dergleichen als Ernſt gebraucht wird, um grobe Irrtümer zu 213

verbreiten, fo iſt es unerlaubt, die Täuſchung zu befór: dern®?,

Wir gingen fort und ließen den Betrüger ſehr niedergefchlagen zurück. Die Genfer mißbilligten es aber und machten mir Vorwürfe, daß ich ihn ſo gekränkt und ihm allen Mut be⸗ nommen hatte, ſeine Schelmerei fortzuſetzen. Ich fragte ſie: Waret ihr denn nicht erfreut, als euch dieſes Geheimnis klar wurde? Sie ſagten: Ja. Ich fuhr fort: Ebenſo werden ſich alle anderen freuen, die es erfahren, und es liegt weniger daran, daß dieſer Menſch feinen Ruf und fein Einkommen ver: liert, als daß man einen fo verbreiteten und verderblichen Irr— tum wie dieſen fördert.

In dieſen und andern ähnlichen Geſprächen kamen wir nach Bufalora, einem Orte im Staate von Mailand, wo die Genfer mich verließen und ich meine Reiſe fortſetzte.

Fünftes Kapitel.

Ich kam nach Mailand zurück, und ſo wie dieſe Stadt an allen Dingen Überfluß hat, ſo beſitzt ſie auch viele gelehrte Männer, die ebenſowohl in den Wiſſenſchaften wie in der Muſik erfahren find, in welcher Don Antonio Londoſta, der Präſident des dortigen Magiſtrats, ſich vorzüglich auszeichnete. In ſeinem Hauſe war faſt immer eine Verſammlung der vortrefflichſten Muſiker, ſowohl Sänger als andere Virtuoſen, unter denen oft von allen, die in der Kunſt einen Namen haben, die Rede war. Es ward dort die Geige 50 mit der größten Vortrefflichkeit, das Clavichord, die Harfe und die Laute geſpielt, und alles von Künſtlern, die auf dieſen In⸗ ſtrumenten die vorzüglichſten waren.

An einem Tage, als man geſungen und geſpielt hatte und alle noch im Entzücken waren, warf einer die Frage auf, wie es komme, daß heutzutage die Muſik nicht die nämlichen 214

Wirkungen mehr hervorbringe, wie fie im Altertum getan habe, die Gemüter zu entzücken und ſie ganz in das, was im Geſange vorgetragen wird, zu verſenken und zu verwandeln, wie man von Alexander dem Großen lieſt, daß er, als der trojaniſche Krieg geſungen wurde, mit Ungeſtüm aufſprang, das Schwert zog und in die Lüfte hieb, als wenn er ſelbſt vor Troja wäre.

Ich ſagte hierauf: Dasſelbe iſt jetzt noch möglich und geſchieht auch wohl wirklich. Man antwortete mir, daß, ſeit die enharmoniſche Muſik verloren ſei, dieſe Wirkung nicht mehr möglich wäre. Ich erwiderte: Gerade mit der en— harmoniſchen Kunſt ſcheint es mir nicht möglich, ſo viel zu erreichen; denn da die Vortrefflichkeit dieſer Muſik in der Teilung der Semitone und Dieſis beſteht, ſo kann die menſch— liche Stimme ſich niemals in die vielfachen Semitonen und Dieſis fügen, welche dieſe Gattung fordert. Jener Monarch der Muſik, der Abt Salinas, der dieſe Gattung erweckt hat, überließ ſie daher auch gänzlich dem Clavichord, da er meinte, daß die menſchliche Stimme nur mit großer Mühe und Beſchwer nachfolgen könne. Ich ſah ihn das Clavichord ſpielen, welches er in Salamanka zurückließ, auf welchem er mit den Händen Wunder tat; aber niemals wollte er die Menſchenſtimme das— ſelbe tun laſſen, obgleich es damals im Chore von Salamanka große Sänger von trefflichen Stimmen und vieler Wiſſen— ſchaft gab, und der Direktor desſelben, Juan Navarro, jener große Komponiſt, war. Was ſich aber mit der diatoniſchen und chromatiſchen Tonart ausrichten läßt, da ſie alles das beſitzen, was erforderlich iſt, ſo wird es ſich täglich zeigen. Bei den ſpaniſchen Sonaten, die ſo außerordentlich ausdrucks— voll ſind, ſieht man faſt täglich dieſes Wunder. Notwendig dabei aber iſt, daß das Gedicht außerordentliche und ſcharf— ſinnige Gedanken habe, und daß die Sprache von derſelben

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Art ſei; zweitens, daß die Muſik fo ſehr die Tochter dieſer Gedanken ſei, daß ſie, wie aus dem Innerſten derſelben, her— vorgehe; das Dritte iſt, daß der Sänger Geiſt und Gefühl beſitze, um würdig Gedicht und Muſik auszudrücken; und viertens, daß der Zuhörer mit Empfindung und Geſchmack entgegenkomme. Unter dieſen Bedingungen wird die Muſik immer noch Wunder tun. Ich bin ein Zeuge davon geweſen, daß, als zwei Muſiker auf treffliche Weiſe in einer Nacht die Canzone ſangen: „Reiß auf die Adern meiner heißen Bruſt“ 51,

die Leidenſchaft, die dies einem Ritter erregte, der ſie zum Singen veranlaßt hatte, während die Dame heimlich am Fen— ſter ſtand, ſo groß war, daß er einen Dolch nahm und ſagte: Hier iſt das Inſtrument, reißt mir die Bruſt und die Ein⸗ geweide auf! Die Sänger ſowohl, wie der Verfaſſer des Gedichts und der Muſik waren voll Erſtaunen; hier aber trafen alle jene Bedingungen zuſammen, welche erforderlich ſind, um dieſe Wirkung hervorzubringen.

Allen Gegenwärtigen gefiel dieſes; denn ſie waren alle in der Wiſſenſchaft der Muſik ſehr erfahren. Unter dieſen und ähnlichen Beſchäftigungen verfloß das Leben unter Poeten, die die Poeſie, und unter Soldaten, die die Waffen liebten. Damals übten wir uns nicht nur mit dem Spieß und der Muskete, ſondern zugleich mit Degen und Dolch, großem und kleinem Schilde; denn es gab dort tapfere und ebenſo geſchickte Männer, unter denen oft Carranza? genannt wurde, obgleich viele dem Don Luis Pacheco de Narvaez den Vorzug gaben. Denn in der wahrhaften Philoſophie und Mathematik dieſer Kunſt und in der Anweiſung, die Wunden beizubringen, übertrifft er alle Früher- und Jetztlebende.

So verfloß das Leben in der Lombardei. Meine Geſund⸗ heit aber war von der feuchten Luft beſtändig geſtört, ſo 216

eye

daß ich mich entſchloß, nach Spanien zurückzukehren, wenn ich zuvor Venedig geſehen haben würde; und es ergab ſich dazu eine gute Gelegenheit. Denn damals brach die Infanterie, wie die Reiterei aus dem Mailändiſchen auf, welche die Kai— ſerin auf venezianiſchem Gebiete empfangen wollte, um ſie dann zu begleiten und in Genua einzuſchiffen. Dieſe vor— trefflichen Truppen gingen bis Crema, wo ſie die kaiſerliche Majeſtät fo empfingen, wie es einer fo großen Dame zukamss. Von dort ging ich mit einem Pferde, das ich bis hierher umſonſt gehabt hatte, über den Fluß, indem ich dem Pferde— jungen erklärte, daß ich ihm den Reſt des Weges bis Venedig bezahlen würde. Dieſer richtete ſich aber ſo gut ein, daß er, ohne ein Wort zu ſagen, mich in der erſten Schenke ſitzen ließ. Dies Ortchen war ſo klein, daß ich kein Pferd finden konnte, ja ich fand kaum jemand, der mir nur ein freundliches Wort geſagt hätte, weil ich ein Spanier und in der Tracht eines Soldaten war, ſo daß weder Höflichkeit, Freundlichkeit noch auch Geduld mir etwas helfen oder es hindern konnten, daß ich zu Fuß und ohne Begleitung durch ein unbekanntes Land, welches den Spaniern höchſt aufſäſſig iſt, wandern mußte. Ich ging über eine Ebene, und die Leute ſagten mir ſogar nur ungern Beſcheid, ob ich auch auf dem rechten Wege ſei. Nach— dem ich alſo den ganzen Tag mit Verdruß gewandert war und nicht wußte, wo ich einkehren ſollte, indem die Sonne ſchon unterging, ſah ich einen Edelmann kommen mit einem Falken auf der Hand, der den Weg kreuzte, den ich ging. Sowie er mich ſah, hielt er an, bis ich ihn erreichen konnte, was eine geraume Zeit währte, da ich ebenſo melancholiſch als ermüdet einherhinkte. Als ich zu ihm kam, fragte er mich mit Zeichen von Mitleid, ob ich ein ſpaniſcher Soldat ſei? Ich antwortete: Ja; worauf er erwiderte, daß erſt in großer Entfernung von hier ein Haus liege, in welchem ich die Nacht 217

zubringen könne; ich möchte ihm darum nach feiner Land— wohnung folgen und dort bis zum Morgen ausruhen. Ich folgte ihm, obwohl mit einigem Argwohn. Da ich aber über— legte, daß Leute vornehmen Standes faſt immer wohlerzogen, wahrhaftig und mitleidig find, fo entfernte ich jenes Miß⸗ trauen von mir, welches ich in einer andern Geſellſchaft wohl hätte haben können.

Sechſtes Kapitel.

Durch große Gärten, die nahe bei dem Landhauſe waren und ſchlecht bebaut und voller Unkraut ſchienen, gelangten wir zum Hauſe ſelbſt, von wo uns verſchiedene Diener, alle ſtillſchweigend und melancholiſch, entgegenkamen, uns zu emp⸗ fangen. Das Haus, in das wir traten, war zwar ein großes Gebäude, aber es war von allem entblößt, was Vergnügen gewähren konnte; denn die Tapeten waren alt und ſchwarz, die Diener verdrießlich und ſtumm, und das ganze Haus voll Leid und Trauer. Ich war ſehr betreten darüber, unter Men⸗ ſchen geraten zu ſein, die mir Schauer einflößten; zugleich befiel mich der Argwohn, daß ich hier nicht ſicher ſein dürfte.

Der Ritter hatte das Weſen eines Mannes, dem das Herz gebrochen war; er befahl ſeinen Bedienten nichts mit Worten, ſondern nur mit Zeichen; ſein Ausſehen aber war blaß und voll Ingrimm. Er rief mich zum Abendeſſen, zu welchem ich, wie geſagt, das größte Verlangen trug; nur fürchtete ich, weil ich ſchon viel Unglück erlebt hatte, daß mir von neuem etwas Widerwärtiges begegnen möchte. Ich ſpeiſte ebenſo ſtumm wie der Ritter, welcher mir gegenüber ſaß; auch wagte ich es nicht, ihn zu fragen, denn der wahre gute um⸗ gang beſteht darin, ſich der Laune derer gleichzuſtellen, mit denen wir in Geſellſchaft ſind. 218

Als die Abendmahlzeit beendet war und er die Diener fortgeſchickt hatte, ſprach er mit tiefer Stimme, die aus der innerſten Bruſt zu kommen ſchien, zu mir auf folgende Weiſe:

Glückſelig ſind diejenigen, die ohne Verpflichtungen geboren werden; denn ſie werden ihr ſchlimmes oder gutes Glück überſtehen, ohne daß es ihnen Sorge macht, was fremde Menſchen von ihrem Leben ſagen werden. Der arme Soldat, wenn er ſeine Pflicht erfüllt hat, geht in ſein Bett, um auszuruhen. Der Beamte und alle Arbeiter dieſer Art finden, wenn ſie ihre Geſchäfte vollendet haben, in der Muße ihre Ruhe. Aber wehe dem, auf welchen viele Augen ſehen, der von vielen geehrt wird, der von dem Urteile vieler abhängt, der der Verleumdung vieler unterworfen iſt! Ich, Herr Sol— dat, will mich dadurch erquicken, Euch mein Unglück zu er zählen; nicht deshalb, als fehlten mir Menſchen, denen ich es mitteilen könnte, ſondern darum, weil ich nicht mit Be— kannten und nahen Zeugen desſelben darüber ſprechen will. Ich verſichere Euch, daß keiner von dieſen Dienern die Ur— ſache meines Elends kennt; denn obgleich Ihr ſie verſchüchtert ſeht, ſo wiſſen ſie doch nicht mehr, als was ſie auf meinem Antlitz geſchrieben leſen.

Ich bin ein Ritter, welcher mehrere Vaſallen hat und Ver⸗ mögen genug beſitzt, daß er ruhig leben könnte, wenn Reich— tümer die Ruhe gewährten. Von Jugend auf fühlte ich keine Neigung für den Hof oder das Gelärme des Volks, durch welche man das Leben leicht befleckt und die Zeit verſchwendet, ſondern ich liebte die Einſamkeit und ländliche Unterhaltungen,

ſowie den Ackerbau, die Pflege des Obſtes und der Gärten, die Fiſcherei, die Jagd des Wildes und des Geflügels, unter welchen Ergötzungen ich einige Jahre hingebracht und mein ganzes Einkommen mit dem größten Vergnügen verzehrt habe, indem ich zugleich Reiſenden manche Wohltat erwies. Einen 219

großen Teil meiner Jugend brachte ich unverheiratet zu, denn ich hielt die Ehe für eine große Laſt, die mich in allen meinen Vergnügungen nur hindern könne. Da aber der Wechſel in der Welt notwendig iſt und der Himmel unferm Leben mancher- lei Begebenheiten zuſchickt, vom Guten zum Böſen und vom Böſen zum Schlimmeren, oder umgekehrt, ſo geſchah es eines Tages, daß, als ich mit einem Falken auf der einen Fauſt und einem Herz, um ihn zu füttern, in der andern, zur Jagd ausgeritten war, mir plötzlich mein Herz ſo er— ſchüttert und ein Bild meinem Gemüte ſo eingeprägt wurde, daß es ſeitdem nicht erloſchen iſt und niemals verlöſcht werden kann. Und zwar geſchah dies auf folgende Weiſe. Als ich im Angeſichte von Crema vorüberritt, kam auf dem engen Wege zwiſchen zwei Gärten ein Mädchen zum Vorſchein, mit dem ſchönſten Antlitze und dem edelſten Anſtande, wie ich ſie nie an einem ſterblichen Weſen geſehen hatte. Ich wollte ihr folgen, aber in demſelben Augenblick kehrte fie um und ver: ſchloß ſich in den Gärten. Ich, in Erſtaunen verſetzt über dieſe ganz außerordentliche Schönheit, forſchte ſehr eifrig nach ihrem Stande und Charakter und erfuhr, daß ſie ein tugendhaftes Mädchen ſei, nur von armen, niedrigen Eltern geboren. Es ſchien mir alſo nichts Schweres, ſie durch Geſchenke und Ver— ſprechungen zu beſiegen. Durch die Vermittlung einiger Damen, die ſich oft nicht weigern, dergleichen Dienſte dem zu leiſten, der ſie mit Geſchenken verpflichtet, beſuchte ich ſie. Man fuhr in einer Karoſſe hin, unter dem Vorwande, die Gärten zu beſehen; aber ſo ſehr auch alle ſie beſtürmten, ſo konnten ſie doch durch keinen Angriff ihre edle Keuſchheit erſchüttern. Ich verſuchte ein Außerſtes, weil ich die Heftigkeit meiner Leidenſchaft nicht mehr ertragen konnte. Ich fuhr nämlich mit den Damen in der Tracht eines Frauenzimmers hin, was dadurch ermöglicht wurde, daß ich jung und ohne Bart war,

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und diefer Umſtand war Urſache, daß meine Liebe den höchſten Grad erreichte. Denn da ich mich nun in weiblicher Ge— ſellſchaft ihr ſo nahe befand, wurde ich noch weit mehr von dem Zauber ihrer ſüßen Rede entzündet. Indem ich nun in ſo ärmlicher Tracht die edle Geſinnung, dieſen Glanz der Schönheit, von der Würde der Scham begleitet, nebſt dem tugendhaften Widerſtande ſah, ſowie tauſend andere Dinge, die an ihr leuchteten, ſo wurde ich gezwungen, zum letzten Mittel zu ſchreiten und um ſie anzuhalten. Ich nahm ſie, um dieſe klägliche Erzählung abzukürzen, zur Ehe und zog mich hierher auf dieſes Landgut mit ihr zurück, wo ich mit ihr in ſolcher Liebe und Freude, von ihrer Seite wie von der meinigen, lebte, daß keins eine Stunde Abweſenheit des andern ertragen konnte. Wenn ich auf die Jagd ging, ſo fand ich ſie bei meiner Rückkehr in Tränen und ſo ängſtlich, daß meine Seele entzückt ward und ich ſie von neuem wie ein göttliches Weſen lieben mußte. Sechs Jahre vergingen in dieſer Wonne, die beneidenswürdigſten, die ich je gelebt hatte oder noch leben kann.

In der Nähe von hier wohnte ein unbedeutender Menſch, der nicht von Adel war, aber einige Talente beſaß, die zwar nicht ausgebildet, ſondern nur im Naturzuſtand vorhanden waren; denn er wußte ein Weniges von Muſik und leiſtete auch ein Geringes in der Poeſie. Er ſelber hielt ſich für einen Mann von Bedeutung; in dem Orte ſelbſt aber, wo er lebte, war er nicht geachtet, und man nahm keine ſonderliche Rückſicht auf ihn. Dieſen nahm ich als Geſellſchafter zu mir, damit er

mir manche Stunden, in denen ich müßig war, vertreiben helfe. Ich zierte ihn mit Kleidern, ich gab ihm meinen Tiſch, er war der zweite Eigentümer meines Vermögens, und kurz, ich zog ihn aus dem Staube, damit er einen Mann von Stande vor— ſtelle, der mir ſelber ganz gleich ſein ſollte. Vorher und 221

auch nach meiner Verheiratung ging er immer zu Pferde mit mir auf die Jagd, und wenn er müde war, kehrte er nach dem Landhauſe zurück. Dieſes war, ſeit ich mich verheiratet hatte, die Zeit, in welcher er mit meiner Gattin ſprechen konnte; auch konnte ich nie einen Argwohn ſeinetwegen faſſen, denn er war ein Mann von kleiner Geſtalt, ohne Manieren; ſeine Zähne waren groß, ſeine Hände breit; er war ohne eine moraliſche Tugend und zum Verleumden und Klatſchen geneigt; doch verhinderte ich es meiſtenteils, daß er ohne mich von der Jagd nach Hauſe ging, mehr den Reden der Leute zu Gefallen, als daß ich irgendeine üble Folge daraus hätte ver— muten können.

Seit dieſer Einſchränkung erſchien jede Nacht, in welcher ich nach Hauſe kam, ein Geſpenſt im Garten, welches die Hunde in Aufruhr brachte und die Diener erſchreckte. Ich, ſo müde ich auch war, ſtand dann auf, um alle Winkel des Gartens zu durchſuchen, ehe ich mich zu Bett legte, ob ich nicht irgendwo auf das Geſpenſt treffen möchte. Sowie ich mein Bett verließ, verriegelte ſich meine Frau von innen und machte nicht wieder auf, bis ſie ſich überzeugt hatte, ich ſei es, der anklopfe; denn ſie ſagte, daß ihr Entſetzen vor dem Ge— ſpenſte ſie zu dieſer Vorſicht zwinge. Die Geſchichte mit dieſem Geſpenſte dauerte Wochen und Monate; ich bemerkte aber, daß die wenigen Nächte, wenn ich draußen auf der Jagd blieb, ſich kein Geſpenſt zeigte. Ich konnte durchaus nicht darauf kommen, wo es ſich verberge; daher befahl ich in einer Nacht, als ich von der Jagd gekommen war, einem Diener, daß er ſich an die Gartentür ſtellen und ſcharf auf dieſe Er— ſcheinung aufpaſſen ſolle. Ich verſchloß mich mit meiner Frau in meinem Zimmer und wartete, ob es in dieſer Nacht wieder wie in der vorigen erſcheinen würde, als die Hunde wieder aus Leibeskräften zu bellen anfingen; denn das Geſpenſt war

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fo groß, daß es zu den Fenftern und zum Dache reichte. Ich ſtand auf, ſo eilig ich nur konnte, und als ich den Be— dienten traf, welchen ich an die Gartentür geſtellt hatte, ſagte dieſer zu mir: Gebt Euch keine Mühe, gnädiger Herr, denn das Geſpenſt iſt Cornelio, Euer vertrauter Freund, der dieſe Schelmerei anſtellt, weil er, ſowie Ihr herausgeht, ſich bei der gnädigen Frau befindet und Verrat an Euch übt. Wie und durch welchen Eingang er zu ihr kommt, das weiß ich nicht, wenn ihm nicht irgendein Teufel Hilfe leiſtet; aber das weiß ich, daß ich die Wahrheit ſage und daß dieſes ſchon ſeit vielen Tagen geſchieht.

Die Wut, die ſich mir brennend durch alle Eingeweide verbreitete, war ſo groß, daß ich, ihn bei dem Kragen des Wamſes packend, ihm Dolchſtöße verſetzte und rief: Nimm dies, damit du es keinem andern ſagſt, und weil du es mir erſt ſagſt, nachdem die Tat geſchehen iſt. Ich warf ihn in einen kleinen Keller und verſchloß die Tür mit dem Haupt- ſchlüſſel des Hauſes und des Gartens, und äußerlich ruhig, ſo ſehr mein Buſen auch brannte und mein Innerſtes von Eiferſucht und dem Gefühl meiner Entehrung zerriſſen wurde, ging ich langſamen Schrittes, um unterwegs noch mehr Faſſung zu gewinnen. Ich klopfte an die Tür meiner Frau, die ſich ſehr furchtſam ſtellte und mich fragte, ob ich das Geſpenſt ſei; endlich, als ſie mich erkannte, öffnete ſie die Tür, und da ſie meine Farbe verwandelt ſah, was ſie be— merkte, ſo ſehr ich mich auch verſtellte, ſagte ſie: Lieber Mann, wie iſt dein Geſicht ſo verändert? Verwünſcht ſei das

Geſpenſt und wer es erfunden hat, das dich und mich in ſolche Unruhe verſetzt. Ich verſtellte mich ſo gut ich konnte, und ſagte, daß mir nichts fehle. Ich legte mich nieder; ſie ſuchte mich

mit ihren gewöhnlichen Liebkoſungen zu beruhigen, und ich hinterging ſie, indem ich ſo tat, als ob nichts geſchehen wäre.

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Ich ſchlief wenig und ſchlecht. Mit Anbruch des Tages ftand ich auf und rief die Diener der Jagd und Cornelio mit ſo heiterer Miene, als mir nur möglich war. Wir gingen in das Feld und trafen den ganzen Weg weder auf Flugwild für die Jagdvögel noch auf anderes Wild für die Hunde. Dies nahm ich für eine üble Vorbedeutung, und als ſich gegen Abend der Verräter Cornelio krank ſtellte, um nur nach dem Landhauſe zurückzukehren, ſo ſchickte ich ihn fort und trug ihm auf, meiner Frau zu ſagen, ich hätte drei Meilen von dort einen Reiher, der ſich dort aufhalte und könne dieſe Nacht nicht bei ihr ſein, da ich mich bei Tagesanbruch ſeiner be— mächtigen wolle. Er ging ſehr vergnügt mit dieſem Auftrage fort, und ich blieb mit tauſend Gedanken allein, den Ent: ſchluß erwägend, den ich zu faſſen hatte.

Siebentes Kapitel.

Da es ſpät war, denn es fing ſchon an dunkel zu werden, ſo ſchickte ich die Diener fort, um auf den Reiher zu lauern; und als es Nacht geworden, begab ich mich ſo ſtill als möglich nach dem Landhauſe, und nachdem ich vermittelſt des Haupt⸗ ſchlüſſels eine Hintertür des Gartens geöffnet hatte, ging ich geradeswegs nach dem Zimmer des Cornelio. Ich öffnete es, fand ihn ſelbſt nicht, aber im Zimmer eine brennende Kerze. Ich nahm das Licht und ging in einen Saal, der an ſein Gemach ſtieß, um zu ſehen, ob er ſich dort vielleicht befände. Ich wandelte durch den Saal, und am Ausgang desſelben, welcher in einen anderen, unteren Saal führte, über dem mein und meiner Frau Zimmer lag, ſah ich eine Leiter an | die Wand gelehnt, welche bis in mein Gemach hinaufreichte, und am Ende der Leiter eine Offnung in der Wand, ſo groß, daß ſie wohl einen Menſchen faßte, welche von innen mit einem auf Leinwand gemalten Bilde von Tizian, die Liebe 224

des Mars und der Venus, verhängt war. Bis zu dieſem Augenblicke hatte ich mein Unglück nicht geglaubt. Ich nahm die Leiter fort, damit man auf ihr nicht wieder herabſteigen könne, und wie ein Blitz eilte ich zu meinem Zimmer hinauf, wo ich gleich anpochte, um ſie unvorbereitet zu überfallen. Meine Frau kam, um die Tür zu öffnen; er aber eilte ſchnell hin, um den Fuß auf die Leiter zu ſetzen; da er ihn aber in die Luft ſtellte, ſtürzte er von oben herunter und brach beide Beine an den Knien. Ich verſchloß die Tür meines Zimmers wieder und ging hinab, um den Geſtürzten zu finden, der ſich wie ein ſpaniſcher Stier, dem man die Sehnen der Hinterbeine zerſchnitten, auf den Händen fortſchleppte, und ſagte zu ihm: Ha, Verräter! Undankbarer! Dieſes iſt der Lohn, den die Ungetreuen empfangen! Ich gab ihm viele Dolch— ſtiche, dann, ihn gegen die Leiter ſtützend, erdroſſelte ich ihn. Mit derſelben Wut ſtieg ich dann wieder hinauf, um auch meine Gattin mit dem Dolche zu töten; aber der Dolch fiel mir aus den Händen, und ſo oft ich es auch von neuem ver— ſuchte, war ich doch immer unfähig, den Arm zu erheben und den ſchönen Leib zu verwunden, der ſtets meinen Kräften ſo überlegen geweſen war. Endlich trug ich ſie hinunter, legte ſie dicht neben ihren Geliebten und band ihr, da ich ihr keinen größeren Schaden zufügen konnte, Hände und Füße; ihm aber riß ich das Herz aus dem Leibe und legte es zwiſchen die beiden hin, damit ſie immerdar das Herz vor ſich ſähe, für das ſie mit ſo viel Wonne gelebt hatte. Den anderen getöteten Diener ſchleppte ich zu ihr und ſagte: Der hier iſt der Zeuge eures Verbrechens. Ich wollte ſie wieder umbringen, und wiederum fielen mir die Arme gelähmt herab; doch ent— ſchloß ich mich nun, ſie durch Hunger und Durſt zu töten, und reichte ihr täglich nur ein halbes Pfund Brot und ſehr wenig Waſſer. Heute ſind es nun vierzehn Tage, daß ſie 15 225

kein Licht geſehen, noch ein Wort aus meinem Munde gehört hat; auch hat ſie nicht zu mir geſprochen, ungeachtet ich ihr dieſes Elend mit meinen eigenen Händen bereitete. Es ſcheinen mir aber nicht vierzehn Tage, ſondern vierzehntauſend Jahre, und an jedem Tage habe ich tauſend tödliche Martern erlebt. Dieſes iſt der unglückliche Zuſtand, in welchem ich mich be— finde, von allem entblößt, was mir Troſt geben könnte, und ſo hoffnungslos, daß ich wünſche, daß Gott mich als niedrigen, unbekannten Menſchen geſchaffen hätte, der keine Verpflich⸗ tungen auf ſich hätte, damit ich in eine Einöde gehen könnte, die niemals Menſchen bewohnten. Da ich Euch nun das mit⸗ geteilt habe, was niemals jemand aus meinem Munde erfahren ſoll, ſo will ich auch, daß Ihr das mit Euren eigenen Augen ſeht, was die meinigen verfinſtert, ohne Hoffnung, daß mir jemals ein Licht wieder leuchten werde.

Er nahm eine Kerze mit dem Leuchter und rief mir zu, ihm zu folgen. Nachdem wir durch einen Teil des Gartens gegangen waren, öffnete er eine Tür, hinter welcher ſein ganzes Elend eingeſchloſſen war. Sogleich zeigte ſich mir einer der gräßlichſten Anblicke, den menſchliche Augen nur jemals geſehen haben. Ein Menſch, daliegend mit vielen Dolchſtichen im Körper, ein anderer erwürgt, die Seite auf— geriſſen, und das Herz auf einer Stufe der Leiter, ganz nahe dem ſchönſten Angeſichte, das die Natur je hervorgebracht hatte. Um aber den Schmerz noch eindringlicher zu machen, trug es ſich zu, daß, als die Tür ſich öffnete, einige Hunde mit uns hineinliefen, die, ſowie ſie dieſe ſeine unglückſelige Gattin erblickten, zu ihr ſprangen, um ihr Hände und Ant⸗ litz zu lecken und ihr ſo viele Liebkoſungen zu erzeigen, daß ſich mir die Augen und dem Manne Herz und Seele er—

weichten. Als ich den Anlaß ſeiner Rührung wahrnahm, ſagte N

ich zu ihm: Mein Herr, ich habe bis jetzt kein Wort zu 226

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Euch geſprochen, weil es mir angefichts Eures Seelenſchmerzes unziemlich vorkam und Ihr mir auch keine Erlaubnis dazu gegeben hattet.

Jetzt aber, ſagte der Ritter, gebe ich Euch dieſe, damit Ihr alles ſagen könnt, was Euch nur gut dünkt.

Da ich nun wegen ſeiner Rührung alle Furcht verloren hatte, ſprach ich folgendermaßen zu ihm: Ihr, mein Herr, habt mir geſtanden, daß das erſte Bild, welches durch die Liebe Eurer Gemahlin in Eure Seele drang, niemals erloſchen iſt und auch niemals wird erlöſchen können. Ihr habt mir ferner geſagt, daß dieſe Sache, ſei ſie nun wahr oder falſch, niemand gewußt hat, außer den beiden, die ſie nun nicht mehr bekannt machen können. Die Ehre und Schande der Menſchen beſteht aber nicht in dem, was dieſe von ſich ſelber wiſſen, ſondern in dem, was die Menge von ihnen weiß und ſagt; denn wenn die Menſchen glaubten, daß die Welt das, was ſie von ſich ſelber wiſſen, ebenſo kennte, wie ſie es kennen, ſo würden viele oder alle dahin gehen, wo kein Menſch ſie jemals erblickte. Mit dem Tode dieſer beiden habt Ihr alle möglichen Geſpräche darüber erſtickt. Eure Gattin lebt noch und iſt vielleicht ohne Schuld; denn ſo oft Ihr ſie habt töten wollen, haben Euch die Kräfte dazu verſagt. Ich füge nichts weiter hinzu, als daß Ihr über die Rührung nachdenken mögt, welche die Liebkoſungen und Schmeicheleien, die dieſe Hunde ihr erweiſen, in Euch erregt haben.

Bevor noch der Gatte ein Wort ſagen konnte, ſtrengte ſie ſich an, und mit einer matten Stimme, die aus der tiefen

Bruſt wie aus einem Grabmale ertönte, ſagte ſie: Herr Soldat! Verſchwendet nicht Worte vergeblich; denn ich ſoll weder leben, noch möchte ich um alles, was die Sonne be— ſcheint, ihr Licht jemals wieder anſchauen. Doch wenn Ihr einmal, entſetzt von dieſer gräßlichen Begebenheit, auf den 15° 227

Gedanken kämt, fie zu erzählen, follt Ihr die Wahrheit erfahren, damit Ihr nicht die Grauſamkeit meines Gatten verdammt, noch die Schande verbreitet, die ich nicht verdiene. Dieſe beiden Menſchen haben mit Recht den Tod verdient, welchen ſie empfingen. Jener auf dem Boden, weil er etwas ſagte, was er nicht geſehen hatte, noch ſehen konnte. Dieſer Gehenkte nicht für das, was er getan hat, ſondern für das, was er als ein Verräter tun wollte, undankbar gegen die un⸗ zähligen Wohltaten, die mein Herr und Gemahl ihm erzeigt hatte; wobei er mit ſolcher Liſt zu Werke ging, daß ich glaubte, er ſei im Bunde mit einem böſen Geiſte; denn ich fand ihn in meinem Zimmer, ohne zu begreifen, wie er hineingekommen ſei, außer daß ich ihn hinter einem Gemälde vortreten ſah, und als ich ihn fragte, was er wolle, ant— wortete er mir: mich während der Abweſenheit meines Ge— mahls unterhalten. Ich ſagte ihm über ſeine Anmaßung kein böſes Wort, teils weil ich es nie gegen irgendjemand habe tun können, teils weil er, ſowie er meine Feſtigkeit ſah, mich mit jeder unanſtändigen Rede verſchonte. Wenn mein Herr und Gemahl mich aber deshalb anklagt, daß ich ihn nicht davon benachrichtigt habe, ſo antworte ich, daß, ſobald ich ihn nur in der kleinſten Anwandlung des Zornes ſah, ich immer allen Mut verlor, bis ſie vorüber gegangen war, wieviel mehr nun, ihm etwas zu hinterbringen, was ihm fo tief in die Seele ſchneiden mußte? Aber für kein König⸗ reich der Welt wäre ich imſtande geweſen, meine Ehre und das Bett meines Herrn und Gemahls zu beflecken. Um des Erbarmens willen, das ich an Euch wahrgenommen, und um der Wahrheit willen, die ich Euch geſagt habe, flehe ich Euch an, daß Ihr ihn nicht bitten mögt, mir das Leben zu ver— längern, ſondern daß er meinen Tod abkürze, damit ich ſo— gleich gehen könne, dies mein Martyrium Gott zu klagen. 228

Von dem Augenblicke, in welchem die Unglückſelige zu ſprechen anfing (die ebenſo ſchön als elend war), vergoß der Mann einen Strom von Tränen, und als ich dies wahrnahm, fragte ich: Was denkt Ihr nun, Herr Ritter?

Worauf er mir ſchluchzend antwortete: Daß ebenſo, wie ich Euch Erlaubnis gab, zu ſprechen, ich Euch jetzt die gebe, das zu tun, was Ihr für das Beſte für mich haltet.

Alsbald nahm ich meinen Dolch und durchſchnitt die Bande der ſchönen, aber geſchwächten Glieder, die ſo entkräftet waren, daß die Frau ſich nicht aufrecht halten konnte, ſondern auf meine Bruſt ſank, worauf ſie ſich auf den Boden ſetzte, um ſich gleichſam von der großen Marter zu erholen, die ſie er— duldet hatte. Der Mann ließ ſich kniend vor ihr nieder, und ihr die Hände und Füße küſſend, ſagte er: O du meine Gemahlin und Gebieterin, da ich dir nichts zu vergeben habe, ſo flehe ich von dir Vergebung mit der unterwürfigſten Demut.

Sie konnte nichts antworten, denn ſie wurde vor Ermattung ohnmächtig, ſo daß ich glaubte, ſie würde ſterben. Der Mann ſprang auf und brachte viele ſtärkende Sachen herbei, durch welche ſie, die eben bleich wie eine Lilie geweſen war, wieder wie eine Roſe aufblühte, und indem ſie zwei unendlich ſanfte graue und helle Augen aufſchlug, ſagte ſie zu ihrem Manne: Warum, mein Herr, wollt Ihr mich wieder in dies elende Leben zurückbringen? Damit das meinige nicht zugrunde gehe! antwortete er; und wir beide nahmen und trugen ſie in ihr Zimmer, wo ſie ſo viel Stärkungen und Mittel brauchen mußte, daß endlich ihr Leben wieder geſichert war. Von allem, was in dieſer Nacht vorging, war kein einziger von den Dienern Zeuge.

Am Morgen bat ich ihn um die Erlaubnis, gehen zu dürfen, um meine Reiſe fortzuſetzen; aber er ließ mich zwanzig Tage nicht von ſich, was ich wohl nötig hatte, ſo ermüdet wie ich

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von der Reiſe war, noch mehr aber von dem Entſetzen, das mir dieſe traurige Erzählung und der gräßliche Anblick er— regt hattens !.

Ich war übrigens durch das, was ich gehört und geſehen hatte, ſo wenig zur Freude aufgelegt, der Vorfall erſchien mir ſo abſcheulich, daß ich, ſo ſehr mich auch beide baten, mein ganzes Leben hindurch oder wenigſtens eine geraume Zeit bei ihnen zuzubringen, mich doch unmöglich dazu entſchließen konnte. Indem ich aber ihre Einladung abſchlug, ſagte ich, daß ich mit der größten Dankbarkeit für ihre Güte abreiſte, wobei ich den Ritter ſehr wegen der Feſtigkeit lobte, mit welcher er ſeiner Ehre hatte genug tun wollen; ſie aber wegen ihrer Tugend und der Erhaltung ihres guten Namens. Wäh⸗ rend meines Aufenthalts dort ſah ich auch, warum der Mann in jenes holdſelige und himmliſche Weſen ſo verliebt war; denn ihr ſittſamer Anſtand, vereinigt mit der Schönheit des Geſichts, mit dem edelſten Wuchſe, mit dem fanften Cba: rakter und der Lieblichkeit der Gebärden, formten das herr— lichſte Bildnis der weiblichen Vollkommenheitss.

Um jedem Argwohne zuvorzukommen, den ſie vielleicht gegen mich faſſen könnten, und ſie in guter Stimmung zu verlaſſen, gab ich ihnen mein Wort, zu ihren Dienſten und zu ihrer Freundſchaft zurückzukehren, ſowie ich nur meine Geſchäfte in Venedig beendigt hätte, und unter dieſer Be⸗ dingung ließen ſie mich reiſen. Denn ſo wie ich die Furcht hatte, daß mir von ihnen irgend etwas Böſes geſchehen könne, ſo fürchteten ſie wieder von mir, daß ich vielleicht erzählen möchte, was ich dort geſehen hätte. Endlich beurlaubte ich mich von ihnen, wobei ſie mir viele Freundlichkeit und großes Wohlwollen bezeigten. Ich trat meinen Weg an, indem ich mich Gott empfahl, noch voll Grauen über dieſe Geſchichte, und ich war froh, daß ich mich wieder in Freiheit ſah. Ich 230

hatte mich ungefähr eine Meile vom Garten entfernt, indem ich noch oft den Kopf umdrehte, bis ich ihn aus dem Ge: ſichte verlor, in welchem Augenblicke ich mich ſchon hundert Meilen weit entfernt dünkte, als ich zwei Menſchen zu Pferde entdeckte, die mir mit der größten Eile nachritten. Ich ſah umher, ob ſich in der ganzen Ebene dort nicht ein Dorf oder Haus zeige, wo ich Schutz ſuchen könne, aber ich entdeckte nichts, wohin ich fliehen konnte; denn ich war nun über— zeugt, daß jene es doch noch bereut hätten, mich fortgehen zu laſſen, da ich ein Zeuge des ganzen Vorfalls geweſen war. Ich bat Gott um ſeinen Beiſtand, denn je näher die Reiter mir kamen, deſto größer wurde meine Furcht. Als ſie ſchon ziemlich nahe waren, ſchien es mir gut, ſtehen zu bleiben, um zu ſehen, was ſie wollten. Mit der widerwärtigſten Art kamen ſie nun heran und riefen: Haltet, Herr Soldat! Ich antwortete: Ich ſtehe ſchon, um zu erfahren, was Euch ge— fällig iſt! Es waren zwei Männer, die zwei Musketen und große Jagdmeſſer trugen; ihre Geſichter waren verbrannt, ihre Reden ſo unfreundlich, daß man ſie in dieſem Lande nur einem Spanier, noch dazu wenn er allein und zu Fuß war, bieten konnte. Auf meine Frage antworteten ſie mir in höchſt unangenehmem Tone: Uns beliebt nichts! Hinter uns kommt einer, der ſagen wird, was beliebt. Durch welche Worte ſie

meinen Argwohn beſtätigten und mich erzittern machten. Aber, meine Herren, fragte ich wieder, worin habe ich mich gegen den Herrn Aurelio vergangen, daß Ihr mich auf dieſe Weiſe behandelt? Er wird's ſagen, antworteten ſie. Ich ſagte wieder: Laßt mich meinen Weg fortſetzen, meine Herren. Wor— auf der eine rief: Bleibt ſtehen, wenn Ihr nicht ein paar Kugeln in den Leib haben wollt! Nun ſah ich, daß mit Höflichkeit nichts auszurichten war, worauf ich bei mir ſelber folgende Rechnung machte: Wenn dieſe gekommen ſind, mich 231

umzubringen, fo wird meine Höflichkeit wenig fruchten; wollen ſie mich aber nicht töten, ſo ſollen ſie mich auch nicht für feige halten. Sowie ich alſo von den Kugeln gehört hatte, zog ich den Degen und ſagte: Wenn ihr ſchießt, ſo trefft auch gut, ſonſt, beim Leben des Königs von Spanien! werde ich den Pferden die Sehnen ER und euch in Stücke hauen!

Spaniſche Großſprecherei! ſagte einer von ihnen. Indem kam der Ritter in ſchönem Paßgang herangeritten, und als er den Degen ſah, fragte er, was es gebe. Worauf ich antwortete: Ich weiß nicht, worauf ſich eine ſo ungerechte Abſicht gründen kann, daß man dem den Tod geben will, der das Leben zu geben geſucht hat.

Ich verſtehe dieſe Sprache nicht, ſagte der Ritter. Die Diener antworteten: Gnädiger Herr, Ihr ſchicktet uns nach, ihn aufzuhalten; als er aber doch fortgehen wollte, drohten wir ihm mit einer Piſtole, worauf er uns und unſere Pferde, wie er ſagte, in Stücke hauen wollte.

Worauf der Ritter antwortete: Ich ſandte euch nach, ihn aufzuhalten, aber nicht, um ihm Übles zu tun, ſondern um ihm Gutes zu erweiſen; und ich wundere mich nicht, daß, wenn zwei zu Pferde und mit Waffen einen Wanderer zu Fuß ſchlecht behandeln wollen, der allein und ein Mann von Ehre iſt, er ſich zu dergleichen und zu noch mehr erkühnt. Steigt vom Pferde und gebt dieſe Muskete dem ſpaniſchen Soldaten und begleitet ihn bis Venedig; ſchickt er euch von dort zurück, ſo kommt, behält er euch, ſo bedient ihn. Und zu mir gewandt fuhr er fort: Herr Soldat, die Verwirrung, die meine Leiden mir verurſachten, hat mich verhindert, meine Schuldigkeit gegen Euch zu erfüllen; meine Gattin aber, mit ihrem weichen Herzen Euer Mitleid verehrend, welches meine Härte vergeſſen hatte, ſchickt Euch in dieſer Börſe hundert Taler 232

Reiſegeld und dieſes Juwel, das fie felber getragen hat, ein Kreuz von Gold, Smaragden und Rubinen; ſie hegt aber dabei die Hoffnung, den wiederzuſehen, der ſo großes Blut— vergießen verhindert hat.

Ich warf mich ihm zu Füßen und dankte ihm für ſo viele Güte und Ehre, ſtieg dann auf mein Pferd und nahm den als Bedienten mit mir, der mich hatte umbringen wollen.

Ich kam nun nach Venedig, in meinen Gedanken ſo reich, daß ich die ganze Stadt kaufen konnte. Ich befahl meinem Pferdeknecht, daß er mich in ein ſehr gutes Wirtshaus führen ſolle, da er in der Stadt bekannt war. Als ich in dem Hauſe abgeſtiegen war, konnte ich es noch immer nicht über mich gewinnen, ihn fortzuſchicken; denn ich behielt ihn ebenſo gern, wie er aus Neigung bei mir blieb. Ich ruhte dieſe Nacht aus, und am Morgen ſchickte ich ihn zurück.

Achtes Kapitel.

Ich betrachtete mit Verwunderung die Größe dieſer Repu— blik. Da fie fo reich und berühmt iſt, glauben die Menſchen dort ſich über jede andere Nation erheben zu können; doch äußert ſich dies nicht in der Art, wie ſie ſich tragen; denn dieſe iſt ſo wenig imponierend, daß, wer die Menſchen nicht kennt, ſie nicht für das halten würde, was ſie ſind. Was ihre Eitelkeit betrifft, ſo trug ſich eine lächerliche Begeben— heit zwiſchen einem Venezianer und Portugieſen zu. Letzteres Volk vergöttert gleichſam ſich ſelbſt und achtet den ganzen Reſt der Welt für nichts. Als ich nämlich eines Tages über eine kleine Brücke ging, die ſie die Bragadin-Brücke nennen, hörte ich hinter mir einen Magnifiko kommen und trat zur Seite, um ihm meine Achtung zu bezeigen, wie dieſe Herren es verlangen. Von der anderen Seite der Brücke kam ein Portugieſe von großer Geſtalt, der nach dem Horizonte blickte.

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Er trug Handſchuhe von Fiſchotterfell und ſehr dicke, faltige Stiefel. Als ſie auf die Mitte der Brücke kamen, erwartete der Magnifiko mit Recht, daß der Portugieſe ihm ausweichen ſollte, da er hier zu Hauſe war; der Portugieſe aber verlangte dasſelbe, weil er hier der Fremde war. Auf der Mitte der Brücke ſtießen beide mit majeſtätiſchem Anſtande aneinander; um nicht in das Waſſer zu fallen, drängte der Portugieſe, und der Magnifiko durfte aus demſelben Grunde nicht zur Seite weichen. Beide fielen hin; der Magnifiko, der ſchwach auf den Beinen war, auf den Rücken, der Portugieſe auf den Bauch, und es fehlte nicht viel, ſo wären beide ins Meer ge— ſtürzt. Der Portugieſe ſtand auf und wiſchte ſich den Staub mit den Handſchuhen von Otterfell ab, der Magnifiko die roten Beinkleider und den Rücken. Nachdem ſich beide abgeſtaubt hatten, blieben ſie ſtehen, um einander anzuſehen, und als ſie ſich eine Weile ſtaunend betrachtet hatten, ſagte der Magnifiko zum Portugieſen: Weiß man nicht, che sono Veneziano und Edelmann patrizio? Der Portugieſe antwortete mit demſelben Tone: Und Ihr nicht wiſſen, daß ich ſein Portugues und Fidalgs vom Degen? Der Venezianer ſagte mit großer Verachtung: Verzieh er ſich ins Bordell, er Bock, er Hahn⸗ rei! Und der Portugieſe ſtampfte mit dem Fuße und antwortete: Und wackelt Ihr zum Galgen! Jeder ging nun ſeines Weges und wandte den Kopf zurück, der Magnifiko deutete mit dem Finger nach dem Portugieſen und ſprach laut lachend: Nicht tu' ich's, Dummkopf! Der Portugieſe ſagte auf dieſelbe Art: Ich auch nicht, Schafs⸗ kopf! So daß ich nicht entſcheiden konnte, welcher von den beiden der Törichtſte und Hochmütigſte war. Anmaßender war wohl der Portugieſe, da er ſich in einem fremden Lande be— fand, und wo die Spanier ſo wenig geliebt werden, daß die

Venezianer, wenn ſie ihre Stadt loben, zu ſagen pflegen,

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daß es darin weder Hitze noch Kälte gebe, weder Kot noch Staub, keine Fliegen, nicht einmal Mücken, weder Läuſe noch Flöhe, ja auch nicht einmal Spanier. Sie ſind ſo erfinderiſch, daß für die Dinge, welche ſie lieben und bedürfen, es keine Lobeserhebung gibt, deren ſie ſich nicht bedienten; für das hingegen, was ihnen zuwider iſt, finden ſie keinen Ausdruck zu unanſtändig, um ihn zu gebrauchen. Einſt wollte ein Edel: mann einen Fiſch kaufen und fragte den Fiſcher, den er nicht kannte, in den zärtlichſten und liebevollſten Ausdrücken nach ſeiner Frau und ſeinen Kindern; er ſagte ihm dabei, er ſei ein ganz vortrefflicher Mann. Da ihm dieſer aber den Fiſch nicht für den Preis, den er ihm bot, überlaſſen wollte, nannte er ihn einen Hahnrei, ſein Weib eine Metze und ſeine Kinder Baſtarde. Ich hatte noch oft Gelegenheit, zu bemerken, wie ſich die Venezianer wegen ihres Alters und ihrer Macht für die erſte Nation in der Welt halten.

Ich ging zur Mittagszeit in meine Herberge, und kaum hatte ich angefangen zu eſſen, als man mir fagte, daß eine vor= nehme Dame in einer Sänfte komme, die wahrſcheinlich mich aufſuche; denn ſie frage, ob der ſpaniſche Soldat hier wohne? Da ich der einzige Spanier im Hauſe war, ſtand ich auf, um zu ſehen, was ſie mir zu befehlen habe. Die Dame ſtieg aus der Sänfte; ſie war reizend, ſchön gewachſen und nicht weniger gut gekleidet. Mit vielen ſüßen und freundlichen Worten hieß ſie mich willkommen, wodurch ich in Verwirrung geriet; denn ich war der Meinung, ſie halte mich für einen anderen. Des— halb ſagte ich: Signora, ich halte mich eines ſo edlen und vornehmen Beſuches für unwürdig und bitte Euch, daß Ihr wohl überlegen möget, ob ich derjenige bin, den Ihr ſucht. Sie antwortete, indem ſie mich umarmte, mit großer Freund— lichkeit: Herr Soldat, ich weiß ſehr wohl, wen ich ſuche und wen ich gefunden. Ich bin die Signora Camilla, die Schwer

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fter des Signor Aurelio, von dem ich geftern abend einen Brief erhielt, in welchem er mir anbefiehlt, Euch zu beher— bergen und zu bewirten, nicht als einen Fremden, ſondern als ob er es ſelbſt wäre; ſolange, als es Euch gefällt, in Venedig zu verweilen. Ich antwortete: Wohl glaube ich, daß ein ſo edler Ritter mir nur Gutes erzeigen kann; und alles, was mir durch eine ſo ſchöne und verſtändige Dame zukommt, kann nur zu meinem Glück gereichen. Nun wohl, ſprach ſie, ſo folgt mir denn; obwohl ich den ganzen Morgen vergeblich Eure Wohnung geſucht habe, ließ ich doch in der meinigen den Befehl zurück, daß man ein Mittagsmahl bereiten ſolle, wie es ſich für einen ſolchen Mann geziemt. Als ich mich ent⸗ ſchuldigen wollte, weil das Eſſen für mich hier ſchon bereitet war, ſagte ſie, ich müſſe durchaus der Anordnung ihres Bru— ders folgen. Nachdem ich im Wirtshauſe bezahlt hatte, was ich ſchuldig war, ging ich mit ihr, ohne länger an der Wahr— heit ihrer Worte zu zweifeln; doch fürchtete ich, es könne ein liſtiger Streich ihres Bruders fein, um in Venedig das auszu— führen, was ihm auf ſeinem Landhauſe nicht gelungen war. Sie führte mich aber mit ſo vielen Bezeigungen der Freude und des Wohlwollens nach ihrem Hauſe, daß jeder Argwohn mir entwich. Wir traten in einen wohl eingerichteten Saal, wo die Tafel bereitet und mit auserleſenen Gerichten beſetzt war, denen ich wohl zuſprach, weil ich wahrlich Bedürfnis danach hatte. Auch waren die Speiſen ſehr gut zubereitet, und die Signora Camilla legte mir alles ſelbſt mit ihren weißen Händen vor, indem ſie nicht aufhörte, zu erzählen, mit welchem Nachdruck ihr Bruder, der Signor Aurelio, ihr anbefohlen habe, mein zu pflegen. Nach dem Eſſen zog ſie einen Brief hervor, der von Aurelio unterzeichnet war und folgendermaßen lautete: Ich bin beſorgt wegen eines fpa= niſchen Soldaten, meines Gaſtes, deſſen Waffentaten es be⸗ 236

wieſen haben, daß er ein ausgezeichneter Mann iſt; ich konnte ihn nicht beſchenken, wie ich es gewünſcht hätte, obgleich ihm deine Schweſter, meine Gemahlin, einen mit Ambra durch— räucherten Beutel mit hundert Talern und ein goldenes Kreuz, mit Rubinen und Smaragden beſetzt, auf dem Wege nachge— ſchickt hat. Ich vermochte für jetzt nicht mehr. Suche ihn auf, beherberge und bewirte ihn, als wenn ich ſelbſt es wäre; laß ihn während der Zeit, die er in Venedig zubringt, nichts aus— geben, und wenn er zurückkehren will, ſo gib ihm das Nötige für den Weg. Die Unterſchrift des Briefes überzeugte mich völlig von der Wahrheit deſſen, was die Signora Camilla mir geſagt hatte, und daß alles, was ich ſchon empfangen hatte und noch empfangen ſollte, von dem großen Ritter Aurelio komme. Sie ſagte, mein Gepäck oder Mantelſack ſolle in ihr Haus gebracht werden; denn ſolange ich in Venedig ſei, ſolle ich nie anderswo ſchlafen und eſſen, und ganz auf ihre Koſten leben. Ich dankte ihr verbindlich und verſicherte, daß ich kein Gepäck mit mir habe, und nichts anderes bringen könne, als meine liebenswürdige Perſon, und ſie befahl einer Dienerin, einen kleinen Koffer für mich zu holen. Dieſe brachte einen, der auf die zierlichſte Art gearbeitet war. Die Dame gab mir den Schlüſſel und ſagte, ich ſolle meine Papiere darin verwahren, weil es in Venedig viele Diebe gäbe. Ich freute mich über den kleinen Koffer und verſchloß meine Pa— piere, mein Geld und das Kleinod darin, das ſie mit großem Vergnügen betrachtete und tauſendmal küßte, weil es von ihrem Schwager war, den ſie, wie ſie ſagte, unbeſchreiblich liebte. Ich zog den Schlüſſel ab und bat fie, mir das Käſtchen aufzu: heben. Sie ſagte, ich möge es behalten, für den Fall, daß ich Geld brauchte, obwohl ich deſſen, ſolange ich in Venedig ſei, nicht bedürfe. Ich antwortete, ich möge es bedürfen oder nicht, ſo ſei es bei ihr beſſer aufgehoben als bei mir. Da ich

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in fie drang, brachte ich ſie endlich, obwohl mit Mühe dahin, es an ſich zu nehmen. Am Abend erhielt ich wieder ein köſt— liches Mahl, das ſie mit ihrer lieblichen Gegenwart ſchmückte, denn ſie war in der Tat ſehr ſchön. Ich war in der Nacht ſehr vergnügt, weil ich auf die Koſten einer ſo edlen Dame ſo gut geſpeiſt hatte. |

Neuntes Kapitel.

Am anderen Morgen befuchte fie mich, erkundigte ſich nach

meinem Befinden und bat mich, wenn ich irgend etwas be— dürfe, es frei zu begehren; ſie gehe nur, um einer vornehmen Dame ihre Aufwartung zu machen, und wenn ſie zum Mittag⸗ eſſen nicht zurückkehre, ſo würden ihre Diener und Diene⸗ rinnen mir aufwarten. Sie kam nicht zum Eſſen, und ich ſah ſie den ganzen Tag nicht wieder. Ich wartete bis zum Abend; ſie kam nicht. Ich konnte einige Beſorgnis nicht unterdrücken und überlegte hin und her, ob dies wohl ein Betrug oder Fallſtrick ſein könne; denn ſie ſelbſt hatte mich gewarnt, ich möchte in Venedig keiner Frau vertrauen, ſo vor⸗ nehm ſie auch ſcheine, denn ſie würden mich hintergehen. Wenn ich dann wieder überlegte, wie ſie doch die Kennzeichen in jenem Briefe auf keinem anderen Wege erhalten konnte, als durch Aurelio ſelbſt, beruhigte ich mich wieder. Am anderen Tage, als ſie mich zu der Stunde wie den Tag vorher nicht beſuchte und auch lange nachher nicht kam, fragte ich eine Dienerin des Hauſes, ob die Signora Camilla aufgeſtanden ſei; und dieſe antwortete mir, daß es eine ſolche Frau im Hauſe nicht gäbe. Ich tat dieſelbe Frage noch einmal, und ein anderer Diener, der es hörte, trat hinzu und fragte mich, was ich bei ihr wolle; ſie ſei ausgegangen, um eine kranke Freundin zu beſuchen. Ich tat, als wenn ich mich beruhigte 238

und fragte einen anderen Diener, ob dies Haus ihr gehöre; der antwortete mir aber, er wiſſe nichts weiter, als daß ſie dieſen Saal für einen vornehmen ſpaniſchen Herrn gemietet habe. Ich ſchwieg und ging in mein erſtes Wirtshaus, um mich zu erkundigen, ob ſie dort die Dame kannten, welche ge— kommen war, mich aufzuſuchen, oder ob ſie wüßten, wo ſie ſich aufhalte; und einer antwortete mir ſogleich: Niemand kann Euch ihre Wohnung beſſer ſagen, als der, mit welchem Ihr hierher kamt und durch welchen Ihr das Pferd fortſchicktet; denn er war bei ihr und zeigte ihr Eure Wohnung. Auch iſt die, welche Ihr für eine vornehme Dame haltet, eine ge— meine Perſon, die von Betrug und Spitzbübereien lebt. Ohne ein Wort zu erwidern, ging ich fort, in Verzweiflung, mich ſo meines Geldes, meiner Kleinodien und Papiere beraubt zu ſehen, durch die Schelmerei meines Begleiters, der ihr die Beſchreibung deſſen, was ich bei mir hatte, gab, woraus ſie den Brief ſchmieden konnte, den fie mir zeigte 56. Da ich aber bedachte, wie ſie ſelbſt mich vor dem Streich, den ſie mir ſpielte, gewarnt hatte, mäßigte ich mich und wollte verſuchen, ob ich das Meinige in dem Gaſthauſe, in das ſie mich gebracht hatte, wieder erhalten könne. Als ich den Burſchen, der es mit ihr hielt, fragte, ob die Signora Camilla noch nicht zurückgekehrt ſei, antwortete er mir: Herr, ſie war ſoeben hier, und da ſie Euch nicht fand, kehrte ſie zu der Kranken zurück; aber wenn Ihr ſie ſprechen wollt, ſo ſagt es, und ich gehe gleich, ſie zu rufen. Ich wünſchte, antwortete ich, daß ſie mir einige meiner Papiere geben möge, aus denen ich beweiſen kann, wer ich bin; denn ich habe hier einen Wechſel auf zweihundert Taler, die ich von einem Bankier bekommen ſoll, und ohne jene Papiere kann ich das Geld nicht abheben. Der Diener ſagte: So will ich gleich gehen, ſie davon zu benachrichtigen. Während er fort war, fälſchte ich den Wechſel mit Hilfe des

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Signalements des Paſſes, den ich mir in Mailand hatte aus: ſtellen laſſen.

Kaum hatte ich den falſchen Wechſel geſchrieben, als meine gnädige Dame Camilla außer Atem gelaufen kam; denn ſie hoffte die zweihundert Taler mit dem übrigen zu erhaſchen. Ich trug ihr mein Anliegen vor und zog den Wechſel aus dem Buſen. Als ſie ihn ſah, ſchickte ſie ein Mädchen nach dem Käſtchen. Ich kehrte vom Tode zum Leben zurück und bat die Signora, einen Ritter kommen zu laſſen, dem ich die Vol: macht geben könne, jenen Wechſel zu heben; denn ich wolle nicht gern, daß der ſpaniſche Geſandte ihn ſähe, weil er mich kennte. Sie führte einen ihrer Schelme zu mir, der ſehr gut gekleidet war, und von dem ſie ſagte, er ſei ein vornehmer Herr. Ich wollte nach einem Schreiber ſchicken, um die Voll— macht aufſetzen zu laſſen; die Signora Camilla aber, um ſich mir gefällig zu zeigen, wollte dies ſelbſt beſorgen. Sie gingen aus, einen ſolchen zu holen; ich aber nahm mein Käſtchen, beſtellte mir einen Platz auf einer Barke und ging dann in das Wirtshaus zurück, wo ich die Signora und den Spitz⸗ buben ſchon mit dem Schreiber traf. Ich gab ihnen den Wechſel, die Vollmacht und das Papier mit den Kennzeichen, worüber ſie ſehr erfreut waren. Ich war es aber noch weit mehr, und weil es ſchon ſpät war, bat ich ſie dringend, die zweihundert Taler den anderen Morgen bei guter Zeit abzuholen, weil ich der Signora Camilla ein großes Geſchenk zu machen dächte. Ich wollte den Schreiber bezahlen; ſie ließ es aber nicht zu. Sie gingen, und ich bat ſie noch einmal, das Geld recht früh zu heben. Als ſie auf der Gaſſe waren, ſah ich zum Fenſter hinaus; denn ſowie ſie aus dem Geſichte waren, wollte ich ebenfalls das Haus verlaſſen. Der Schelm wandte den Kopf | um und lachte über den Streich, den ſie mir ſpielten. Als ſie mich ſahen, befahl ich ihnen noch einmal Eile an, worüber beide 240

lachten; denn da ich ihnen früher das Käſtchen einfältiger— weiſe gegeben hatte, glaubten ſie, daß es ihnen immer ſo gelingen würde. Als ich ſie nicht mehr ſehen konnte, nahm ich mein Käſtchen unter den Mantel und ging, um mich einzu— ſchiffen. Kaum war ich dreißig Schritte gegangen, als mir jener Diener der Signora Camilla begegnete und mich fragte, wohin ich ſo eilig ginge. Ich antwortete ihm, ich wollte ſeiner Gebieterin dies Käſtchen bringen; ſie habe ſich eben von mir getrennt und ſei jene Gaſſe hinuntergegangen; wobei ich ihm eine Richtung angab, in welcher er ſie, wenn er auch die ganze Nacht ſuchte, nicht treffen konnte. Er ſagte: So will ich es ihr zu wiſſen tun, kehrt nur in das Wirtshaus zurück. Er verfolgte jene Gaſſe, und ich ging nach dem Fahrzeuge, das mich erwartete und ſo guten Wind hatte, daß wir bei Anbruch des Tages ſchon dreißig Meilen von Venedig entfernt waren. Ich erzählte den Paſſagieren einiges von dem, was mir begegnet war, und ſie errieten aus den Umſtänden und der Art und Weiſe des Betruges, wer jene Dame ſein könnte. Als ſie aber hörten, wieviel Geld ſie ausgegeben hatte, um mich zu bewirten, freuten ſie ſich ſehr, und nahmen ſich vor, es in Venedig zu erzählen.

Zehntes Kapitel.

Ich begab mich in ſo großer Eile auf dieſe Reiſe, nicht ſowohl, um ein beſtimmtes Ziel zu erreichen, als um der Betrügerin und ihrer Verfolgung zu entrinnen. Deshalb mußte ich meinen Weg auch mehr, als mir lieb war, verlängern, um

dahin zu gelangen, wohin ich wollte. Unter den Mitreifen: den war einer, der mir ſagte, er ſei entflohen, weil ſich eine ſchwere Klage gegen ihn erhoben habe, und er wolle das Waſſer dazwiſchen laſſen, bis entweder die Wahrheit an den Tag komme, oder das Böſe, das man ihm ſchuld gebe, ver— 16 f 241

geſſen ſei. Ich fagte ihm: Ich halte es für einen großen Irr⸗ tum, das Angeſicht abzuwenden und den Rücken darzubieten, damit er die Streiche empfange, welche blutige und unheilbare Spuren zurücklaſſen werden. Denn ſolange der Angeklagte gegenwärtig iſt, wird jeder eher an ſeiner Schuld zweifeln, als ſeinen guten Namen zu beflecken wagen; nichts kann im Gegenteil das Vergehen mehr bekräftigen, als die Flucht. Wenig achtet der ſeiner Ehre, welcher nicht die Wunden ſcheut, die ihm die Zunge des Abweſenden ſchlägt. Niemand iſt fo recht— ſchaffen, daß er nicht dennoch einen Feind haben ſollte, und um dieſem nicht Gelegenheit zu geben, daß er Raum gewinnen kann, ſoll er ſich nicht von ihm entfernen; denn die Übel— geſinnten nehmen aus jedem Sonnenſtäubchen Anlaß, die Mei⸗ nung der Welt zu vergiften gegen den, den ſie haſſen. Mit dieſen und andern Gründen beredete ich ihn, nach Venedig zurückzukehren, was mir ſehr wichtig war; denn da wir nur an der Küſte hinfuhren, ſtiegen wir bei dem erſten Orte, den wir ſahen, ans Land. Wir waren der Lombardei nahe, von wo ich meinen Weg nach Genua nahm, und er nach Venedig. Für den guten Rat, den ich ihm gegeben hatte, erſparte ich mir mehr als zweihundert Meilen; denn ſo weit iſt es zu Waſſer von Venedig nach Genua. Hier hoffte ich Don Fernando von Toledo, den Oheim, zu finden. Ich reiſte aber in der Nacht, obgleich ſie ſehr ſtürmiſch war, ſo ſchnell, daß ich ihn ſchon in Savona erreichte, als er eben abreiſen wollte. Ich wurde ſehr freundlich empfangen, was mir bei der Melan— cholie, die mich beherrſchte, wohltat; dieſe entſtand haupt⸗ ſächlich durch die Flüſſe und Rheumatismen, die mich immer verfolgt und hypochondriſch gemacht haben. Wir richteten unſern Lauf nach Spanien und ließen die Küſten von Piemont und Frankreich zur Rechten, die damals unſicher waren, wegen der umherſtreifenden Rotten, die nicht durch das Geheiß ihres 242 f

Königs, fondern nur durch eignen Mutwillen beherrſcht wurden. Wir legten nur unſerer Bedürfniſſe wegen an den Küſten an, die uns die bequemſten zum Landen ſchienen, und ließen die elf Fahrzeuge, auf denen wir reiſten, in Sicherheit und gutem Schutze zurück. Wir aßen und holten Waſſer und Holz. Ich hatte aus Genua einen Schlauch von zehn Maß, mit feinem griechiſchen Weine angefüllt, mitgenommen, der mir ſehr freundlich Geſellſchaft leiſtete, bis wir die Kuppen von Mar— ſeille erreichten. Dies ſind einige ſehr hohe und kahle Hügel, unfruchtbar, ohne Bäume, Gras und ohne irgend etwas Grünes, was das Auge erfreuen könnte. Als wir in dieſe Gegend kamen und die Reiſe nicht ohne Beſchwerden war, mein Fahrzeug aber das letzte, blieben wir in der Nähe eines dieſer Berge auf einer Sandbank ſitzen, die vom Schlage der Wellen ſehr groß geworden war. Sowie wir feſtſaßen, rief der Schiffshaupt⸗ mann aus: Wir ſind verloren! Da ich ſchwimmen konnte und das Ufer ſehr nahe war, zog ich mich zurück, warf mein Ober— kleid von mir, hing mir den Schlauch, der noch wenig Inhalt beſaß, wie ein Bandelier um, und nachdem ich vier bis ſechs Klafter geſchwommen war, erreichte ich den Fuß des Berges. Unterdeſſen hatte das Fahrzeug ſich losgemacht, und die Schiffer ſegelten weiter und bekümmerten ſich ſo wenig um mich, als ob ich ein Thunfiſch geweſen wäre. Zwar rief ich laut; doch entweder ließ das Geräuſch der Wellen meine Stimme nicht zu ihnen dringen, oder ſie wollten mich nicht hören, um ihrem Charakter treu zu bleiben, der gottlos und lieblos iſt und die menſchlichen Empfindungen ſo wenig kennt, als die Ungeheuer

des Meeres ſie empfinden. Ich war verlaſſen und hatte keinen

Tröſter als Gott und meinen heiligen Schutzengel. Was ſollte aus mir werden, wenn nicht zufällig ein Schiff vorbeikam, das

mich aus meiner großen Not erlöſte. Ich harrte von acht Uhr

morgens bis zwei Uhr nachmittags und hoffte immer noch auf 16* 243

Hilfe, weil ich darauf vertraute, daß jener große Ritter fich meines Jammers erbarmen würde; aber die Matroſen waren ſo grauſame Beſtien, daß ſie ihm ſagten, ich ſei ertrunken. Ich erquickte mich von Zeit zu Zeit aus meinem Schlauch, bis ich endlich mit mir einig wurde, was ich tun wollte. Ich faßte den Entſchluß, mich der Gewalt des Meeres zu überlaſſen, dieſem wilden, grauſamen und unerſättlichen Ungeheuer. Des⸗ halb zog ich mein Kollett von feinem Korduan aus, und mit Hilfe meines Dolches und zwei Dutzend ledernen Riemen, die ich auf Reiſen immer bei mir führte, nähte ich den vorderen Teil, die Armel und den Kragen ſo feſt zuſammen, daß ich ihn aufblaſen konnte, und die Luft darin blieb. Ich leerte den Schlauch von dem heiligen Safte, der noch darin war, und nachdem ich ihn auch mit Luft gefüllt hatte, benutzte ich ihn als Gegengewicht für das Kollett. Ebenſo machte ich es mit

den Stiefeln, die, feſt mit den Kniebändern zuſammengeſchnürt,

ebenfalls tragen halfen. Ich zog die Beinkleider aus, weil das

Waſſer in die Taſchen eindringen konnte, und blieb im Hemde und Wams, das, da es von Gemſenleder war, die Feuchtigkeit

nicht ſo leicht annahm. Nachdem ich mich ſo ausgerüſtet hatte,

überlegte ich, daß die Wege die beſten ſind, auf welchen Gott uns leitet, und betete alſo zu ihm: Unendlicher Gott, Anfang, Mittel und Ende aller ſichtbaren und unſichtbaren Dinge, durch deſſen Allmacht Engel und Menſchen leben und erhalten werden, du weiſer Schöpfer der Elemente, der du ſo große Wunder

gewirkt haſt mit deinen Geſchöpfen; der du den ſeligen Raimund,

der ſich nur an ſeinem Mantel feſthielt, viele Meilen weit ficher | durch das Waſſer geführt haſt, und an dieſer nämlichen Stelle die empörten Wellen, die das ganze Fahrzeug faſt ſchon ver⸗ ſchlungen, auf die Bitte deines Dieners Franziskus von Paula

beruhigteſt und die Menſchen vom Tode befreiteſt: durch die

Geburt, den Tod und die Auferſtehung deines allerheiligſten

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I I

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Sohnes, unſers Erlöſers, bitte ich dich, daß du nicht zulaſſen mögeſt, daß ich in einem andern Elemente als meinem mir angewieſenen, ſterbe. Dann ſprach ich zu meinem heiligen Schutzengel, dem Gott die Sorge für dieſen Körper und dieſe Seele anvertraute: Ich bitte dich um des willen, der dich und mich erſchaffen hat, leite mich und ſtehe mir bei in dieſer Not. Nachdem ich dieſe Worte geſprochen hatte, breitete ich die Arme aus, ſtürzte mich guten Mutes in die Flut, auf das Kollett und den Schlauch geſtützt, und fing an, meine vier Ruder tapfer zu gebrauchen, doch nicht ſo, daß ich bald müde werden konnte; denn da die Schläuche mich trugen, ruderte ich ge— linde, damit nicht meine Kräfte der Ermattung weichen möchten. Ich wagte nicht, an die Tiefe des Meeres zu denken, die unter mir war, noch einen Augenblick auszuruhen; denn ich wußte, daß die gefräßigen Seetiere meinem Körper nicht nahen würden, ſolange er ſich bewegte. Und wenn meine Ruder ermüdeten, ließ ich ſie über dem Waſſer und vertraute das Schiff dem Himmel; auch ſtärkte ich mich einigemal mit dem Wohlgeruche, der aus dem Schlauche hervordrang, der meiner Naſe nahe war. Ich fing an zu beten, unterließ es aber wieder, weil mir der Atem fehlte, mit dem man bei ſolchen Gelegenheiten ſehr ſparſam umgehen muß. So ſchwamm ich eine Stunde, bald ausruhend, bald rudernd, als ſich ein friſcher Wind von Afrika her erhob, der mich nach der Küſte trieb und dem ich Widerſtand leiſten mußte, damit er mich nicht an einem jener vorher erwähnten Felſen zerſchmetterte. Als ich in dieſer äußerſten Gefahr ſchwebte, bemerkte ich eine kleine Bucht. Ich ſchöpfte nun wieder Atem,

ſteuerte darauf zu, und der Südwind half mir, ſie zu erreichen.

Als ich ſchon ſo nahe war, daß ich die Bucht ganz überſehen konnte, erblickte ich am Ufer einen Menſchen, welcher früh— ſtückte. Dieſer Anblick gab mir neue Kräfte, zumal da ich ihn eſſen ſah. So ſehr ich mich freute und meine Anſtrengung ver—

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doppelte, indem ich feiner gewahr ward, ebenfo entſetzt war er bei meinem Anblick; denn er hielt mich für einen Walfiſch oder ein Meerungeheuer. Es kam eine große Welle, die mich der Bucht ſo nahe brachte, daß ich das Ufer erreichen konnte, und in demſelben Augenblicke floh der erſchreckte Menſch land— einwärts. Ein Jagdhund, den er bei ſich hatte, fiel mich an, und ohne meinen Dolch, den ich immer bei mir führte, wäre es mir ſchlimm ergangen. Als ich ihm aber einen Stich verſetzt hatte, ſprang er ans Land und lief ſeinem Herrn nach. In ſolchen Buchten iſt das Waſſer immer ruhig, und da ich ſchon Fuß gefaßt hatte, ſtieg ich ans Land, kniete nieder und dankte dem Himmel. Jener hatte ſeine Speiſen liegen laſſen, und als ich mich betrachtete, mit dem Kollett und Schlauch, die an das Hemd genäht waren, und die aufgequollenen Stiefel, welche ebenfalls ihre Figur machten, wunderte ich mich nicht mehr, daß er mich für etwas Böſes gehalten hatte. Ich nahm ein Stück Brot und Käſe, das er dagelaſſen hatte, und einen Becher Wein, und indem ich ſo meinen Magen aus ſeinen Angſten erlöſte, kann ich verſichern, daß ich nie in meinem Leben etwas aß, was mir ſo gut geſchmeckt hätte. Als ich den Becher eben an die Lippen ſetzte, kamen zehn oder zwölf Menſchen mit Stangen, welche der Entflohene herbeiführte, um den Walfiſch zu töten; und als ſie ihn nicht fanden, fragten ſie den guten Mann, wo er ſei, und mich, ob ich ihn nicht geſehen hätte. Jener geriet in Verlegenheit, und ich antwortete auf italieniſch, denn ich wagte es nicht, ſpaniſch zu ſprechen, daß kein Walfiſch hierhergekommen ſei, noch etwas dem ähnliches, ſondern ich, auf die Weiſe, wie ſie mich ſähen, und daß jener Mann ent— flohen ſei, um mir ſein Frühſtück zurückzulaſſen. Er wurde verlacht und verſpottet, ſie ſchalten ihn einen Trunkenbold und dergleichen mehr auf franzöſiſch und lachten viel. Mit mir aber hatten ſie Mitleid, da ſie mich ſo entblößt und naß ſahen. 246

Jetzt kam auch ein Fahrzeug mit zwölf Ruderern, auf Befehl des Generals, um mich zu ſuchen. Er hatte ausgeſprochen, daß er den Schiffskapitän werde hängen laſſen, wenn ſie mich nicht lebendig oder tot mitbrächten. Ich gab ihnen ein Zeichen mit dem Schlauch, der mich am leichteſten kenntlich machen konnte, und ſie wendeten ſich ſogleich nach der Bucht, wo ſie mich in der Sonne fanden, trauriger als einen geprellten Hund, zitternd und erfroren. Sie brachten mich in das Fahr— zeug, ganz erſtaunt, da ich bei ſo vorgerücktem Alter ſo viel ausgeſtanden hatte; ich war nämlich nah an fünfzig sd. Sie brachten mich nach Marſeille, wo jener große Herr, den alle Welt kannte und liebte, mich aufnahm und verpflegte. Da aber jener Unfall mich in ziemlich hohem Alter traf, ſo ſind mir die Folgen davon geblieben, und jeden Winter fühle ich die Erkältung wieder. Ich war wie jener Käfer, der ſich in Geſellſchaft einer Schnecke befand, die ſich aus Furcht vor dem Waſſer zurückgezogen hatte. Der Käfer, auf ſeine Flügel vertrauend, entſchloß ſich, das Trockene zu ſuchen; aber in— dem er ſich erhob, ſprach die Schnecke: Schon gut, du wirſt es ſehen! und beſpritzte ihn mit einem großen Tropfen, der ihn ſogleich in das Waſſer niederzog. Ich verließ mich darauf, daß ich ſchwimmen konnte und die anderen nicht; ſo warf ich mich in den Tümpel der Thunfiſche, wie Don Luys de Gon— gora ſagt, wo es mir ergehen konnte wie dem Käfer, wenn Gott mich nicht errettet hätte; denn bei einem ſo grauſamen, boshaften Tiere wie das Meer hilft das Schwimmen wenig, und wenn ein Menſch ſich in das Meer ſtürzt, fo tft es, als fiele eine Mücke in die Lagune Urbion 5s. Die Geſchöpfe der Erde ſind gewohnt, mit einem lieblichen, ſanften und freund— lichen Elemente umzugehen, das überall den Ermüdeten trägt und erquickt; das treuloſe Meer hingegen, dieſer Verſchlinger der Reichtümer, das ewige Grab desjenigen, was ſich darin

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verbirgt, es ſteigt an das Land, und verfucht das, was am Ufer iſt, an ſich zu reißen; es iſt ein hungriges Tier, das alles verzehrt, was ihm naht; es greift die Städte, Inſeln und Berge an. Dieſer neidiſche Feind der Ruhe, dieſe Geißel der Lebenden und Entſteller der Toten iſt ſo geizig, daß, während es voll Waſſer und voller Fiſche iſt, die Menſchen auf ihm vor Hunger und Durſt verſchmachten. Was kann es alſo tun, als die zerſtören, welche ſich ihm vertrauen? Deshalb ſcheint es mir, daß nur durch die Hand Gottes das geſchehen kann, was vor einiger Zeit bei der Einnahme von Mamora dem Don Lorenzo und dem Hauptmann Juan Gutierrez begeg⸗ nete: dieſer nahm ſchwimmend, ohne Beiſtand und von hohem Alter beſchwert, fünf Mauren ein Boot, in dem ſie ruderten. Und Don Lorenzo hatte die ganze Nacht geſchwommen, um⸗ hergetrieben von den empörten Wellen. Als er ſich nun einem Fahrzeuge näherte, auf welchem er von dieſer ungeheuren Ar— beit hätte ausruhen können, ermutigte er ſich mit übernatür— licher Anſtrengung und ſagte, er wolle nicht in das Boot ſteigen, damit ſie andere aufnehmen könnten, die ihm nachkämen und es mehr bedürften als er; und ſo ſchwamm er weiter. Ein Fall, der gewiß ſelten oder nie erhört iſt. Ich hatte meine Not gehabt und ward nun noch für die Verwegenheit ge— ſcholten; denn die Vermeſſenheit hätte mir bald das Leben gekoſtet. Um zu zeigen, daß ich ſchwimmen könne und Kühn: heit genug beſitze, um etwas zu wagen, ſtürzte ich mich ohne überlegung in die Gefahr. Aber klüger wäre es geweſen, das Schickſal der übrigen zu erwarten, als mir das meinige voraus zu nehmen, das mir bisher immer ſo ungünſtig ge— weſen war. Denn wenn die Eitelkeit die Verwegenheit er— zeugt, ſo ſollte dies nur bei denjenigen der Fall ſein, die ihr gutes Glück aus der Erfahrung kennen. Was konnte es mir aber nützen, den Ruhm eines guten Schwimmers zu 248

erlangen, da ich weder ein Froſch noch ein Delphin war, auch nicht Matroſe werden wollte? So war es nichts als Eitelkeit, Verwegenheit und Wahnſinn.

Elftes Kapitel.

Wir kamen nach Spanien und landeten in Barcelona. Dies iſt von der Land- und Meerſeite eine ſchöne Stadt, reich an Lebensmitteln und Vergnügen; und mir ſchien ſie noch lieb— licher und ſchöner, da ich wieder Spaniſch ſprechen hörte. Ob— wohl die Einwohner den Ruf einiger Rauheit haben, ſo ſah ich doch, daß ſie gegen die, welche ihnen gut begegnen, freund— lich und freigebig ſind, ſowie gaſtfrei gegen die Fremden. In allen Städten der Welt muß der Fremde durch ſein gutes Betragen die Freundſchaft der Einheimiſchen erwerben. Wenn der, welcher nicht einheimiſch in einem Orte iſt, ſich demütig zeigt und ruhig lebt, ohne die Einwohner zu beleidigen, ſo gewinnt er leicht das Wohlwollen aller; denn ſein gutes Be— tragen, vereinigt mit der Einſamkeit, die er dulden muß, erzeugt Mitleid und Liebe in allen Gemütern. Alle Tiere von der nämlichen Gattung vertragen ſich gut miteinander, wenn ſie ſich auch nicht kennen, ausgenommen die Menſchen und die Hunde, die, obwohl ſie ſo viel gute und bewunderungs— würdige Eigenſchaften beſitzen, doch darin zu tadeln ſind, daß alle den armen Fremdling beißen und ihn töten, wenn ſie können. Ebenſo iſt es mit den Menſchen, wenn der Hinzu— kommende nicht iſt, wie er ſein ſollte, indem er ein fremdes Gebiet betritt. Was die Einheimiſchen am meiſten beleidigt, iſt, wenn man ſich um die Frauen bewirbt; deshalb ſoll der Gaſt ſich damit begnügen, wenn alle ihm mit Wohlwollen begegnen. Viele beklagen ſich über die Orte, die fie in frem— den Ländern beſuchten; aber ſie verſchweigen die Urſache, die ſie ſelbſt dazu gaben. Sie loben das Betragen ihrer Lands—

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leute gegen die Fremden und bedenken nicht, wodurch dieſe ſich eine gute Aufnahme erworben haben. Ich kann ſagen, daß ich im ganzen Königreiche Aragonien Vater und Mutter fand, und werte Freunde in Andaluſien; freilich nicht unter den Menſchen von ſchlechten Sitten, denn dieſe ſind in der ganzen Welt Feinde der Ruhe, der Liebe und des Friedens; an allen Orten find dieſe hochmütig und ſtolz. |

Ich war ſehr erfreut, nach Madrid zu kommen, was ich ſo ſehr wünſchte. Ich kam an und fand viele Freunde, die danach verlangt hatten, mich wieder zu ſehen. Ich nahm Dienſte bei einem Fürſten, der ein großer Freund der Poeſie und Muſik war; und obwohl ich das Dienen gern vermied, mußte ich doch jetzt meine Zuflucht dazu nehmen. Ich er: langte ſeine Gnade ganz unverſehens und ward bald ſein Günſtling und Vertrauter. Da ich viel ausgeſtanden hatte und mich nun in einer bequemen Lage ſah, ergab ich mich ganz der Trägheit und ward ſo fett, daß das Podagra an— fing, mich ſehr zu quälen. Ich verfiel darauf, mir Vögel zu halten, und unter ihnen liebte ich einen wegen ſeines ſchönen Geſanges ganz beſonders. Dieſer ſchlief in meinem Zimmer, und ich hörte ihn einmal die ganze Nacht Hanfkörner aufbeißen, was die Vögel ſonſt nicht tun. Am Morgen, als ich nach meinem Vogel ſehen wollte, fand ich eine Maus in ſeiner Geſellſchaft, die ſich an den Hanfkörnern ſo dick gefreſſen hatte, daß ſie nicht wieder aus dem Käfig kommen konnte. Da ſagte ich zu mir ſelbſt: Dieſe Maus findet ihren Tod, weil ſie ſo viel gefreſſen hat. Ich bin auf demſelben Wege. Denn wenn eine Maus ſich in einer Nacht ſo dick freſſen kann, was ſoll wohl mit mir werden, der ich alle Tage zu Mittag und Abend eſſe, ſo viel und ſo gut? Wird die Krankheit, die ich ſchon habe, nicht immer ſchlimmer wer— den, und kann der Schlag nicht plötzlich ein Ende mit mir 250

machen? Ich entzog mir von jetzt an die Abendmahlzeit. Da— durch und durch die Bewegung, die ich mir täglich machte, habe ich mich erhalten. Denn wahrlich, wenn man auf fremde Koſten ſpeiſt, wird man ſehr dick, weil man ohne Furcht ißt und ſich nicht zurückhält; und darin liegt große Gefahr, krank zu werden. Der Menſch ſoll nur ſo viel genießen, als ſein Magen faſſen kann; er wird ſonſt genötigt ſein, das Ge— noſſene wieder von ſich zu geben, oder ſein Leben gerät in Gefahr, wie es jenem Mäuschen geſchah. Die übrigen Glie— der des Körpers beneiden ſchon immer den Magen; denn alle müſſen arbeiten, damit er allein genießen könne; wird er nun ſo ſchwer, daß ſie ihn nicht mehr tragen können, ſo laſſen ſie ihn fallen und ſtürzen mit ihm in das Grab. Ich ſah, daß ich auf dieſem Wege war und beſchränkte mich da— her darauf, zu Mittag wenig und zu Abend gar nichts zu eſſen; und obgleich es mir im Anfange ſchwer ward, ſah ich doch, daß man durch die Gewohnheit alles erlernen kann. Die, welche dick werden, ſollten doch bedenken, in welche Ge— fahr ſie ſich begeben; denn weder bleibt das Alter dasſelbe, noch ſind die Nahrungsmittel immer von einer Art, noch haben die, welche ſie uns geben, immer dieſelbe Abſicht, noch iſt eine Zeit der anderen gleich. Wer dick geboren ward, bei dem hat es nichts zu ſagen, wenn er dick bleibt, denn ſeine Glie— der find ſchon daran gewöhnt, es zu dulden und ihn zu tragen; wer aber mager und zart geboren ward, und in kurzer Zeit dick wird, der bringt ſein Leben in große Gefahr. Da ich mein Eſſen und Trinken am Abend einſtellte, verlor ſich die Dicke auch etwas, und ich fühlte mich leichter zu allen Dingen; denn fürwahr, die Trägheit ſchadet dem Menſchen. Noch etwas anderes machte mir Sorge. Der Fürſt nämlich, dem ich diente, durch Schmeichler gegen mich eingenommen, ward in ſeinen Gunſtbezeigungen immer lauer, und ich folglich auch

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in meinem Dienfteifer. Denn die großen Herren find nicht nur den Sternen unterworfen, ſondern ebenſowohl ihren Lei— denſchaften und Neigungen, und je höher ſie ſtehen, um ſo weniger pflegt ihnen die Ergebenheit ihrer Diener zu genügen; denn dieſe müſſen ganz ihrem eigenen Willen entſagen und ihn dem des Fürſten unterwerfen. Es iſt auch nicht anders möglich. Der, welcher dient, muß ſeine Vergnügen demjenigen opfern, der für ihn ſorgt; denn dieſer verlangt gut bedient zu ſein, obwohl ich viele Herren geſehen habe, die von ſo ſanfter Ge— mütsart waren, daß ſie die Nachläſſigkeit ihrer Diener mit großer Geduld ertrugen. Doch das Gegenteil iſt das Ge— wöhnliche.

Z3wölftes Kapitel.

Da mein Herr ſich wenig aus mir machte, hatte ich Freiheit, die Nächte auszugehen, und ich tat es, nicht unerlaubter Dinge wegen, denn ich war weder in einem ſolchen Alter, noch hatten die erduldeten Beſchwerden mir ſo viel jugendlichen Mut gelaſſen, daß ich an dergleichen Dingen ein Vergnügen gefunden hätte, die in jedem Alter ſündlich ſind. Ich ging nur aus, um friſche Luft zu ſchöpfen, da die Sommernächte in Madrid ſehr an— genehm ſind. Wir gingen alle Nächte mit Freunden umher und beteten unſern Roſenkranz, nicht nach dem Prado, weil der Zuſammenfluß der Menſchen dort zu groß iſt, ſondern in die einſameren Straßen, wo man doch immer noch Leute genug ſieht. Wir entfernten uns in einer Nacht ſo weit, daß wir nach Leganitos kamen, und mein Freund ſagte zu mir: Ruhet hier aus; Ihr müßt müde ſein, denn Ihr ſeid doch ſchon alt. Mich kränkte das, und ich antwortete: Wenn es Euch gefällt, ſo wollen wir um die Wette laufen, und da wird es ſich zeigen, wer der ältere iſt. Er lachte und nahm es an. Wir ſtellten uns zum Anlauf, und ſelbſt in dieſer Kinderei fand der Teufel 252

Gelegenheit, mich zu verfolgen. Es ftand ein Diener vor der Tür feines Haufes, dafür hielten wir es wenigſtens; dieſem gaben wir unſere Mäntel und Degen und baten ihn, ſie zu halten, indes wir unſre Schnelligkeit verſuchten. Kaum fingen wir unſern Lauf an, als eine Frau ausrief: Gott, ich bin er— ſchlagen! Es hatte ihr nämlich jemand einen Degenhieb über das Geſicht gegeben. Auf ihren Schrei kamen alsbald zwei oder drei Gerichtsdiener herbei; und da ſie uns laufen ſahen, ergriffen ſie mich, als den vorderſten, zuerſt, und den andern gleich nachher. Denn es gibt viel Gerichtshöfe in Madrid, und jeder hat mehr Gerichtsdienerſtellen als Tage im Jahre ſind, und zu jedem Diener geſellen ſich als Helfer fünf oder ſechs Vaga— bunden, die ſich von dieſer Hilfeleiſtung nähren und kleiden. Sie ergriffen uns als Menſchen, die wegen eines Verbrechens entflohen. Sie forderten uns die Degen ab, und wir bezeichneten das Haus, wo wir ſie gelaſſen hatten; der Burſche war aber, weil er dort nicht wohnte, mit Degen und Mänteln fort— gegangen. Als ſie uns auf dieſer vermeintlichen Lüge er— tappten, führten ſie uns zu der verwundeten Frau; dieſe war wegen des widerfahrenen Unfalls erbittert und ſagte, daß der, welcher ſie verwundet habe, entflohen ſei. Da ſie uns nun laufend, obwohl nicht fliehend, ergriffen hatten, waren die Gerichtshelfer von unſer Schuld vollkommen überzeugt. Sie brachten uns in das Stadtgefängnis, ohne Degen und Mantel, worüber ich eine große Scham empfand, die mich vorher nicht abhielt, gegen meinen Gefährten mit meiner Jugend zu prahlen, jetzt aber mich überfiel, weil ich ohne Mantel in das Gefängnis gehen mußte. Der Lärm war groß, und das Vergehen erſchien im ſchlimmſten Lichte, da zwei Männer, die keine Kinder und nicht mehr in der erſten Jugend waren, eine Tat wie dieſe an einer ſchwachen Frau verübt hatten. Der aber, welcher es getan hatte, kam hinter uns

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her, wie fich hernach aus deutlichen Zeichen erwies; und wären die Gerichtsdiener, wie ſie ſein ſollten, ſo hätten ſie uns durch ihre Übereilung dieſen Schimpf nicht angetan. Und hätten ſie das Auge auf die Gerechtigkeit und nicht auf ihren Vor— teil gerichtet, ſo hätten ſie die Sache unterſucht, wie es ihre Pflicht war, und mich nicht in ſo ſchlechten Ruf gebracht. Hätten ſie Überlegung gehabt, ſo hätten Sie einſehen müſſen, daß zwei Männer, ohne Mäntel, Degen, Hüte, Dolche und Meſſer, kurz, die durchaus keine Waffe bei ſich führten und um die Wette liefen, nicht ausgegangen ſein konnten, um plötzlich dergleichen Frevel zu begehen, zumal in der ganzen Gaſſe kein Werkzeug zu finden war, womit es hätte ge— ſchehen können. Sie fragten in der ganzen Straße keinen Menſchen, um die Wahrheit herauszubringen, wie es doch ſonſt immer geſchieht. Geſetzt aber auch, die Gerichtsdiener hätten die Sache unterſuchen wollen, fo ließen die Herbei— laufenden und Hilfeleiſtenden ihnen nicht die Zeit, zu einem guten Entſchluß zu kommen, und ſo blieben ſie denn freilich ihrer Art getreu. Mit einem Wort, ſie legten uns auf Be— fehl des Teniente Ketten an. Dieſer, von den Gerichtsdienern nach ihrer Weiſe berichtet, kam in das Gefängnis, mit der Abſicht, uns die Tortur geben zu laſſen; als er aber die Umſtände hörte, die ich eben erzählt habe, und, nachdem er uns getrennt hatte, unſere Ausſagen verglich, wurde er irre und konnte zu keinem Entſchluß kommen. Sie legten uns in Feſſeln, in denen wir zwei oder drei Tage bleiben mußten. Die Sache wurde unterſucht, und da man den Verbrecher nicht fand und wir gelaufen waren, als der Degenhieb ge— fallen war, vergaßen ſie uns dort drei Monate. Sie war⸗ fen uns in einen dunklen Kerker, wo noch ein alter Ge— fangener ſaß. Dieſer war von verdrießlicher Laune und trug einen Schnurrbart, der ihm bis an die Ohren reichte, auf den 254

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er ſich ſehr viel einbildete. Der Bart war aber auch ſo ſtark und dick, daß er zwei Stangen gelben Wachslichts ähnlich ſah. Dieſer Menſch hatte ſich eine ſolche Gewalt über die andern Gefangenen angemaßt, daß keiner etwas gegen ſeine Befehle tun durfte. Die geringen Leute zitterten vor ihm und bedienten ihn mit der größten Pünktlichkeit; ſie wagten auch nicht, einem andern einen Dienſt zu leiſten, weil er es nicht leiden konnte, und wenn es dennoch geſchah, ſo ſtrich er ſich den Bart und ſagte: Beim Leben des Königs! Wenn ich in Wut gerate, ſo werd' ich dem Spitzbuben und allen übrigen tauſend Prügel aufzählen. Solange er außerhalb ſeines Kerkers bei den übrigen war, konnte man nicht leben; denn er war in der Tat ſo bärbeißig und händelſüchtig, daß alle ſich mit ihm entzweiten. Er war zwei oder drei Tage krank und erſchien nicht unter uns; da genoſſen wir einer ſolchen Ruhe, daß alle ſich darüber freuten; aber als er wieder geſund war, kehrte auch ſeine böſe Gewohnheit mit ihm zurück. Mich verdroß dies ſo ſehr, daß ich beſchloß, etwas anzuſtellen, was ihn für viele Tage abhalten ſollte, das gemeinſchaftliche Ge— fängnis zu beſuchen. Ich teilte meinem Gefährten meinen Plan mit und ſagte ihm: Wir wollen es ſo machen, daß die Ge— fangenſchaft uns ſanfter dünke als jetzt. Er fragte mich, wie ich es anſtellen wolle, daß jener nicht unter uns erſchiene; und ich antwortete: Ich will ihm die eine Hälfte ſeines Schnurr— bartes abſchneiden. Begebt Euch nicht in eine ſolche Gefahr, um Gottes willen! ſagte er; ich aber ſprach: Ich fordre von Euch keinen Rat, ſondern Hilfe. Der Menſch hatte die Ge— wohnheit, wenn er ſchlief, immer mit dem Munde nach oben

zu liegen und zu blaſen, um ſeinen großen Bart nicht in

Unordnung zu bringen. Ich ließ nun eine große Schere ſehr ſcharf ſchleifen, und mein Freund und ich warteten ab, bis

er und alle die übrigen im Gefängniſſe ſich zur Ruhe begeben

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hatten; denn er hielt uns fo in Reſpekt, daß keiner ſich rühren durfte, wenn er ſich zu Bette legte. Sowie ich ſah, daß er eingeſchlafen war, nahm ich die Schere, mein Gefährte leuchtete mir, und ich tat einen feinen Schnitt mit ſo großer Geſchicklichkeit, daß ich ihm den Bart auf der einen Seite ganz abſchnitt, ohne daß er erwachte oder ein andrer der Ge— fangenen etwas davon merkte, außer meinem Freunde, der große Luſt hatte, zu lachen, und jenen beinahe dadurch erweckt hätte. Denn da ihm der Bart an einer Seite ſtehen geblieben war, ſah er aus wie der Stier des Herkules, dem ein Horn abgebrochen war. Wir ſchliefen die Nacht, und ich ſtellte mich krank und klagte über das ſchlechte Bett. Ich ſtand aber doch faſt zu gleicher Zeit mit ihm auf und betete meinen Roſenkranz, um zu ſehen, wie die Sache ablaufen würde. Als er aufſtand, betrachteten ihn alle voll Erſtaunen, ohne ein Wort zu ihm zu ſagen; er aber rief: Heda! Spitzbuben, gebt mir Waſſer! Ein Burſche brachte ihm ein Handbecken, goß ihm Waſſer ein, und er wuſch ſich die Hände. Darauf fuhr er nach dem Geſichte und faßte den noch ſtehenden Bart mit der rechten Hand; dann nahm er Waſſer mit der linken Hand, um die andere Hälfte zu waſchen. Fünf- oder ſechsmal griff er an die Stelle, und da er nichts fand, war ſein Zorn ſo groß, daß er den noch übrigen Bart ganz in den Mund ſteckte, als wenn er ihn aufeſſen wollte, und ohne ein Wort zu ſprechen, das Gemach verließ. Ich ſagte, damit er es hören ſollte: Dies iſt die größte Schelmerei von der Welt, einen ſo ehrenwerten Mann zu beleidigen, und zwar an dem, was er am meiſten achtet und hochſchätzt. Dieſe und ähnliche Worte ſagte ich, um ihm den Argwohn, den er gegen mich haben konnte, zu benehmen. Er nahm ſich den gelben Bart nun vollends ab; und da ein Unglück immer dem andern zu folgen pflegt, wurde er an dieſem leidens⸗ 256

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vollen Tage zum Verhör gerufen, weil man feinen Prozeß unterſuchen wollte. Ein Anwalt ſagte: Der muß im Noviziat ſein, denn er erſcheint als geſchorner Bruder. Man führe ihn her, ſprach der Teniente, und er mußte nun hinaufgehen, und zwar mit der größten Demut und Scham von der Welt; denn ſein Mut hatte im Bart geſeſſen, wie der des Simſon im Haar. Sowie er in den Saal trat, war das Gelächter ſo groß, daß der Teniente ſagte: Es iſt recht, daß Ihr alſo erſcheint, und Ihr habt wohl daran getan und braucht Euch nun auf den Galeeren nicht zu raſieren. Worauf er erwiderte: Euer Gnaden ſprechen als Richter; denn kein andrer dürfte es ſich erkühnen, mir ſo etwas zu ſagen. Seine An— klage wurde ihm vorgeleſen, welche darin beſtand, daß er einer armen Kreatur in einem öffentlichen Hauſe einen Dolch— ſtich gegeben hatte, vor zehn oder zwölf Zeugen. Da ihm dieſe genannt wurden, ſagte der Angeklagte: Sehen nun Euer Gnaden, was dies für Zeugen ſind, die gegen einen ſo vor— nehmen Mann, wie ich bin, auftreten: vier Büttel und vier öffentliche Mädchen. Der Teniente erwiderte: Wen verlangt Ihr denn als Zeugen in einem ſolchen Hauſe? Etwa den Prior von Atocha, oder einen Barfüßermönch? Ihr verteidigt Euch ſehr ſchlecht. Er wurde wieder in das Gefängnis gebracht und von der Zeit nun der raſierte Pater genannt. Uns ſetzten ſie in Freiheit, aber ganz ausgeplündert.

Dreizehntes Kapitel.

Nach drei Monaten kamen wir aus dem Gefängniſſe, weil wir uns ſehr gut gerechtfertigt hatten; wir waren aber ſo von Geld entblößt, daß wir uns keinen Rat wußten. Um den folgenden Tag eſſen zu können, verkaufte ich ein Paar Reit— ſtiefel, und mein Gefährte einen von Mäuſen zernagten Mantel: ſack, wie die Escuderos ihn gewöhnlich beſitzen, weil ſie keinen 17 257

Koffer mit ſich führen können, und der, da fie gewöhnlich das übriggebliebene Stück Brot darin verwahren, ein Sammel⸗ platz der Mäuſe iſt. Während wir unſre Habſeligkeiten ver: kauften, ſchickte uns Gott einen ſehr wohl gekleideten Mann zu, der unſer Unglück ſehr beklagte und uns ſagte, daß ein gewiſſer großer Herr, der davon gehört habe, ihn ſchicke, um zu fragen, was wir während unſerer Gefangenſchaft aus⸗ gegeben hätten, und daß er uns, von Mitleid bewegt, durch ihn ſo viele Dublonen wieder erſtatten wolle, als unſer Schaden betrage. Ich erkannte ihn; aber ehe ich mich erklärte, ſagte ich: Herr, dies kommt wahrlich von Gott, der unſre Not kennt, die ſo groß iſt, daß wir, um eſſen zu können, unſre Kleidungsſtücke verkaufen. Das, was wir ausgegeben haben, wird annähernd hundert Taler betragen. Darauf zog er fünfzig Dublonen heraus und gab ſie uns. Als ich ſie in der Hand hielt, ſagte ich: Dies iſt für die Koſten; aber für das Ver: gnügen, das die Rache Euer Gnaden verurſacht hat, und das Mißvergnügen, das wir erlitten haben, welche Ent: ſchädigung könnt Ihr uns dafür geben? Denn ich erkannte ihn gleich wieder, da er uns in jener Nacht bis zum Ge⸗ fängnis gefolgt war. Er erwiderte mit Verſtand: Daß ihr ergriffen wurdet, war euer Unglück, und daß ich bezahle, iſt meine Schuldigkeit. Da ich euer Unglück nicht verurſachte, kann ich auch keine Genugtuung dafür geben, und wenn alle Unglücklichen Entſchädigung verlangten, ſo würde es gar keine Unglücklichen mehr geben. Obwohl ich ſo viel Glück hatte, nicht zu leiden, ſo habe ich doch auch Gefühl, um Mitleid zu empfinden; ein anderer würde ſich vielleicht weder mit dem einen noch mit dem anderen befaſſen. Viele Unfälle treffen den Menſchen nach den geheimen Ratſchlüſſen Gottes, für welche wir keine Rechenſchaft von ihm verlangen können. Das Unglück liegt nicht in unſerer Hand, noch lag es in der 258

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meinigen, zu bewirken, daß ihr in jener Nacht um die Wette liefet; denn dies war euer freier Wille. Ich kann euch ver— ſichern, daß mich die Tat in der Seele gereute, nicht wegen des Hiebes, ſondern wegen eures Leidens. Das Unglück war, daß das Rennen eurer Beine und das Aufſchlitzen jenes Ge— ſichts in ein und dieſelbe Stunde fiel. Ihr habt euch in dieſem Unfalle ſo verſtändig betragen, daß ich euch darum beneide; denn wer die Widerwärtigkeiten mit Geduld erträgt, der iſt der Gebieter ſeiner Taten, und das Unglück naht ihm nur mit Furcht. Und wenn ich, ſo wie ich euch den Schaden er— ſetzt habe, das Glück unter eure Füße beugen könnte, ſo würde ich euch zu den glücklichſten Menſchen machen; da ihr es aber hierin nicht geweſen ſeid, ſo wart ihr es doch darin, daß es euch gelungen iſt, jenem den Bart abzuſchneiden. Denn ſo wie ihr mit Verſtand meinen Betrug durchſchaut habt, ſo durchſchaute ich auch eure Verſtellung. Obwohl der Herr alſo redete, war ich doch ſo glücklich und überraſcht, jenes Metall in meinen Händen zu ſehen, das dem Glanz der Sonne gleicht, daß ich ihm nichts zu erwidern wußte, ſondern ihm dankte und ſeinen Scharfſinn ſeiner Milde gleichſchätzte. Ich war der Beſchwerden und Leiden ſo ſatt, daß ich beſchloß, den Hof zu verlaſſen, nachdem ich im Stallmeiſterdienſt, der mir aufgedrungen ward und den ich gleich einer giftigen Schlange haßte, ſo viel Pech hatte. Ich beurlaubte mich bei einem Kavalier, der mein Freund war, und den ich ſeit langer Zeit nicht geſehen hatte. Da ich ihn ſehr niedergeſchlagen und ſchwermütig fand, fragte ich ihn, was ihm begegnet ſei; und er antwortete mir, daß er weder ſchlafen noch eſſen könne, noch jemals Ruhe finde. Wenn Ihr tun wollt, was ich Euch rate, ſprach ich, ſo werdet Ihr bald von dieſen drei Krank—

heiten geneſen. Gern will ich es tun, antwortete er, und ſollte es mich auch mein ganzes Vermögen koſten. So ſteht 17° 259

morgen früh auf, ſowie der Tag anbricht; ich will Euch bin: führen, wo ein Kraut wächſt, das Euch von allen dieſen Übeln heilen wird. Er ſtand auf, oder vielmehr ich zwang ihn, am anderen Morgen früh aufzuſtehen. Er beſtellte ſeine Kutſche; ich ſagte aber, das Kraut könne nicht ſeine Wirkung tun, wenn er nicht zu Fuße ginge. Wir ließen die Kutſche zurück, und ich führte ihn nach Sankt Bernhardin, dem Franzis⸗ kaner⸗Rekollektenkloſter, indem ich ihm ſagte, das Kraut wachſe dort, und er müſſe es mit eigener Hand pflücken. Er mußte ſo lange gehen, daß er vor Durſt wie ein Jagdhund keuchte und ſich aus Ermüdung am Wege niederſetzte. Ich fragte ihn, ob er ausruhe, und er antwortete mit Ja. Wißt Ihr auch, warum Ihr ausruht? Weil Ihr Euch ermüdet habt; in den Seſſeln in Eurem Hauſe ruht Ihr nicht aus, weil Ihr Euch nicht ermüdet. Ich führte ihn bis nach Sankt Bernhardin, und als er zu Fuße wieder nach Hauſe kam, hatte er ſehr große Luſt, etwas zu eſſen. Er und trank mit gutem Appetit, und dann legte er ſich nieder und ſchlief. Ich ſagte zu ihm: Wer ſich nicht ermüdet, kann nicht aus: ruhen, und wer keinen Hunger hat, der kann nicht eſſen; wer nie ſchläfrig wird, der kann nicht ſchlafen. Wer ſich keine Bewegung macht, der möge ſich nicht über Krankheiten und Übelbefinden beklagen; denn die Trägheit iſt der größte Feind des menſchlichen Körpers. Das regelmäßige Wandern macht die Schäden wieder gut, die der Müßiggang verurſacht hat. Die trainierteſten Pferde ſind die ausdauerndſten und feurigſten. Die Fiſche des atlantiſchen Ozeans ſind beſſer als die des mittelländiſchen Meeres, weil ſie von der beſtändigeren und größeren Wucht der tiefausgehöhlten Wogen ſtärker ge— peitſcht werden, und ſo iſt es mit allen Dingen auf der Welt. Er war ſehr erfreut, und von dem Tage an machte er ſich täglich Bewegung, am Morgen und am Abend. Au

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befand er ſich von nun an ſehr wohl und war mir dankbar dafür, daß ich dieſe Liſt gebraucht hatte, um ihn aus ſeiner Trägheit zu erwecken, die ihn der Geſundheit und Heiterkeit beraubt hatte. Darauf machte er mir ein anſehnliches Ge— ſchenk, und ich begab mich nach Madrid, wo ich Gehilfe und Stallmeiſter des Doktors Sagredo und ſeiner Gemahlin, der Donna Mergelina von Aybar, ward, bis ich ſie verließ oder vielmehr ſie ſich von mir beurlaubten.

Vierzehntes Kapitel.

Ich beſchloß, das Geräuſch des Hofes zu verlaſſen und in einem gemäßigteren Erdſtriche, als Kaſtilien iſt, die Ruhe zu ſuchen. Deshalb wollte ich nach Andaluſien gehen, wohin die Heiden den Aufenthalt der glücklichen Seelen verlegten. Sie ſagten, wenn man über den Fluß Lethe geſetzt ſei, wo— her noch der Name Guadalete ſtammt, ſo vergeſſe man die Welt und die ganze Vergangenheit; denn die Reinheit der Luft, der Überfluß an allen Lebensmitteln, die Lieblichkeit des Him— mels und der Erde verleiteten ſie zu dieſem Irrtum.

Da ich mit Geld verſehen war, kaufte ich mir ein Maul— tier, mit dem ich betrogen ward; denn es hatte die Knieſucht und war auf einem Auge blind; es lief aber leidlich, und ſo reiſte ich mit mäßiger Geſchwindigkeit, indem ich mich Gott und meinem heiligen Schutzengel empfahl. Ich machte meinen Weg allein; denn wenn man ſich nur nicht nach dem Willen eines anderen zu richten braucht, kann man ſelbſt zu Fuße reiſen; beſchwerlich iſt es aber, wenn man anhalten muß, wenn der andere es will, und nicht, wenn man ſelbſt müde iſt, oder einen die Luft ankommt. Kurz, da ich Geld hatte, wollte ich auch nach meiner Bequemlichkeit leben. Es war ſehr heiß, und da ich früh ausgeritten war, wollte ich in der Schenke von Darazutan Mittag machen; doch die Hitze nahm

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mit dem Tage ſehr zu, und es ftieg aus den Gebüſchen eine ſo hitzige Ausdünſtung, daß mein Geſicht faſt davon ver⸗ ſengt ward, und ich gern früher eingekehrt wäre, wenn ſich ein Ort dazu gefunden hätte. Ich ſah die Schenke endlich von weitem, die halb unter kleinem Gehölz und Steineichen ver— ſteckt liegt; doch mir ſchien, als wenn ſie ſich mit jedem Schritte, den ich machte, um hinzukommen, immer mehr ent⸗ fernte, und mein Durſt ward immer größer. Ich glaubte, ich würde nie hingelangen; da hörte ich Muſik von Gitarren und Geſang aus der Schenke herüber ſchallen. Jetzt, ſprach ich, merke ich, daß ich auf dem richtigen Wege bin. Als ich hin⸗ kam, fand ich viele Menſchen, die aus- und eingingen; denn es war eben Mittag. Ich ſchöpfte wieder Atem, da ich einen großen Krug voll Waſſer erblickte, das ich immer ſehr gern ge: trunken habe. Ich erfriſchte mich und hörte der Muſik zu. Die Sänger fangen mit vieler Anmut, und nachdem ich ger geſſen hatte, brachte ich die Zeit der Sieſte ſehr fröhlich zu. Einer von den Sängern zog einen Zeitweiſer hervor, um zu ſehen, wieviel Uhr es ſei und pries gar ſehr die Erfindung der Uhren. Ich entgegnete ihm, dasſelbe, was er mit dem Zeit⸗ weiſer getan, könne man erreichen, wenn man einen Stroh: halm oder einen Zahnſtocher in den Boden ſtecke und den wandernden Schatten meſſe, und wenn die Sonne nicht ſcheine mit einem Waſſerbehälter, indem man ein ganz feines Loch hineinmache und die Stunden an der Verminde⸗ rung des Waſſers meſſe uſw. Wir unterhielten uns die übrigen Stunden, die wir noch in der Schenke zubrachten, ſehr gut, indem jeder ſeine Profeſſion und die Erfindungen, wozu er die meiſte Neigung hatte, lobte. Man ſprach über Aſtro⸗ logie, Muſik und über die Kunſt, dem Gedächtnis durch Er— leichterungsmittel zu Hilfe zu kommen; denn es befand ſich ein Kavalier in der Geſellſchaft, ein Auditor aus Sevilla, 262

der Wunder darin tat. Ein alter Escudero, der in einem Winkel ſaß und mit der Flohjagd befchäftigt war, miſchte ſich in das Geſpräch und ſagte: All' die Erfindungen, von denen Eure Gnaden geſprochen haben, ſind nichts im Vergleich zu der Erfindung der Nadel. Als alles lachte, ſagte er zornig: Wenn Ihr daran zweifelt, ſo habt doch die Güte, mit einem Stück Aſtrologie einen Flicken aufzuſetzen. Ihm antwortete der Lizentiat Villafeñior: Jeder lobt das, wozu er ſich am befähigtſten findet, dieſer Herr Escudero kann über dieſe Materie reden, weil er hauptſächlich mit der Nadel umgeht. Ich bin kein Schneider, erwiderte er, ich bin ein ebenſo bewährter und alter Escudero wie alle meine Vorfahren, die bei den Grafen von Lemos gedient haben. Und wenn ich jetzt zu Fuß gehe, ſo kommt es daher, weil ich meine Pferde zur Grünfütterung an den Furten von Eume habe. Mit dieſen Worten zog er eine alte Hoſe in die Höhe, befeſtigte ſie auf der Schulter und nahm den Weg zwiſchen die Beine.

Es iſt ganz recht, ſagte ich, daß jeder ſeine Profeſſion lobt. In Madrid gab es einen Scharfrichter, der zeigte einmal ſeinem kleinen Sohn an einem Galgen, den er in ſeinem Hauſe hatte, wie er einen Menſchen mild und ſchmerzlos aufhängen könnte. Als der Knabe ſich aber für dieſe Profeſſion nicht erwärmen konnte, ſie vielmehr verabſcheute, ſagte der Henker zu ihm: So hol' dich der Teufel, da du keinen Sinn für etwas Gutes haſt, ich werde dich zu einem Schuhmacher geben, da kannſt du Sumach kauen.

Als wir im Begriffe waren, aufzubrechen, ſagte der Auditor: Ich hörte geſtern, daß Marcos von Obregon ſich ein Pferd gekauft habe, um dieſe Straße zu reiſen; dies iſt ein Mann von großem Verſtande und ſehr guten Eigenſchaften, und ich würde mich ſehr freuen, feine Bekanntſchaft zu machen. So iſt es, ſagte ich; ich ſah es, wie er eine Gelegenheit zur Reiſe

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ſuchte. Kennt Ihr ihn, mein Herr? fragte der Auditor, Don Hernando de Villafeñtor. Ja, Herr, antwortete ich, und es iſt mein ſehr werter Freund. Wir ſetzten uns auf unſre Pferde und Maultiere, und er fragte mich, ob ich etwas von dem Herrn Marcos von Obregon wiſſe. Ich rezitierte ihm einige neue Redondillen, die ich noch niemand mitgeteilt hatte, und nachdem er ſie aufmerkſam angehört hatte, wiederholte er ſie mir ſogleich Wort für Wort; er bewunderte die Verſe, und ich noch weit mehr ſein gutes Gedächtnis. Er kehrte wieder zum Lobe des Marcos von Obregon zurück und ſagte, wie ſehr er wünſchte, dieſen Mann kennen zu lernen, teils wegen der großen Dinge, die er von ſeinem Geiſte gehört habe, teils weil er mit ihm Nachbar ſei, denn er ſei aus Cañete la Real und Obregon aus Ronda gebürtig. Er fragte mich, wie ſein Benehmen, fein Geſpräch und feine Denkungsart fet, und ich antwortete, daß er mir in allem ſehr gleiche; denn da wir ſo gute Freunde ſeien, habe ich vieles von ihm und er vieles von mir angenommen. Wahrlich, ſprach der Hörer, wenn ſeine Liebenswürdigkeit derjenigen gleichkommt, die Ihr gezeigt habt, ſo hat er den Ruhm mit Recht, den die Welt ihm gibt. Der Auditor erwies mir auf dem ganzen Wege viel Artigkeiten, ſo daß er auf dieſer Reiſe den ſowohl angeborenen als erworbenen Adel ſeiner Seele kund tat. Wir durchreiſten die ganze Sierra Morena und ſahen viel außerordentliche Dinge, denn da ſie ſo groß, breit und ausgedehnt iſt, daß ſie ganz Spanien, Frankreich und Italien durchzieht allerdings unter verſchiedenen Namen bis ſie im Kanal von Kon— ſtantinopel ins Meer fällt, gab es in ihr viel Bemerkenswertes zu ſehen. Wir ſtießen auf einem Stück Sandboden auf eine Schlange mit zwei Köpfen. Der Auditor verwunderte ſich darüber ſehr und fagte, er habe es wohl ſchon ſagen hören, bis jetzt aber nie geglaubt. Und ich glaube es auch jetzt noch 264

nicht, bemerkte ich, daß ein Körper zwei Köpfe haben könne. Es fiel uns auf, daß ſie ſich ſchwerfällig bewegte und vor unſeren Tieren nicht floh. Der Auditor befahl dem Maultiertreiber, ihr einen Schlag mit der Gerte zu geben. Dieſer tat es, und im gleichen Augenblick gab die Schlange einen Seidenwurm von ſich, den ſie bereits bis zum Kopf verſchluckt hatte und eben ganz verſchlingen wollte. Dadurch wurde die Täuſchung offenbar.

Fünfzehntes Kapitel.

Da der Menſch von Natur ein geſelliges Weſen iſt und den Umgang mit ſeinesgleichen liebt, ſo behagte der meinige auch dem Auditor ſo wohl, daß er auf der ganzen Reiſe ſich keinen Augenblick von mir entfernte. Er hatte einen ſcharf— ſinnigen Geiſt und tat über alles, was ſich unſeren Blicken darbot, ſehr artige Fragen, die ich beantwortete, ſo gut ich konnte und wußte. Bald darauf geſellte ſich ein Geiſtlicher zu uns, der aus einem kleinen Ort in der Gegend war, dieſer betete auf dem Wege ſeine Horen ſo laut, daß die Korkbäume und Eichen es hören konnten; unſer Geſpräch ward dadurch geſtört, und er erfüllte feine Pflicht ſehr ſchlecht. Der Audi: tor fragte ihn, ob er dies nicht bis zur Nacht verſchieben wolle, wo er es mit der gehörigen Ruhe und Andacht verrichten könne. O Herr, antwortete der Prieſter, die Kirche legte uns die Pflicht auf, daß wir auch während der Reiſe beten müſſen. Warum ſollte es nun nicht erlaubt ſein, daß ein Geiſtlicher, der am Abend ermüdet iſt und über ſein Geſchäft und den Zweck ſeiner Reiſe nachdenken muß, auch während des Weges ſein Gebet verrichtet? Der Auditor antwortete: Weil die Kirche ihre Prieſter nicht des Umherſtreifens, ſondern des Betens halber erhält. Das iſt eine gute Antwort, ſprach der Geiſtliche, und war auf dieſe Weiſe ſehr treffend zur Ruhe verwieſen. Wir trafen auf einen Burſchen, eine Art von Land—

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ftreicher, den wir einholten, da er nicht fo ſchnell als die Pferde gehen konnte, und den der Auditor fragte, wohin er gehe. Er antwortete: Zum Alter. Auditor: Das meine ich nicht, ſondern: Welchen Weg nimmſt du? Junge: Der Weg nimmt mich, ich nicht ihn. Auditor: Aus welchem Lande biſt du? Junge: Aus dem der heiligen Maria von der ganzen Welt. Auditor: Ich will ſagen: in welcher Land— ſchaft biſt du geboren? Junge: Ich wurde in Feiner Land: ſchaft geboren, ſondern auf dem Stroh. Auditor: Du ſpielſt gut mit den Worten. Junge: So gut ich auch ſpielen mag, ich verliere doch immer. Auditor: Der Burſche muß nicht wie andere entbunden worden ſein. Junge: Ge⸗ wiß nicht, weil ich niemals ſchwanger war. Auditor: Ich meine, weil du nicht ſagen willſt, wo du geboren biſt, ſo mußt du wohl nirgends entſprungen ſein. Junge: Warum ſoll ich denn entſprungen ſein, da ich doch kein Fluß bin? Auditor: Fürwahr, du haſt eine ſcharfe Zunge. Junge: Wenn ſie ſcharf wäre, würde ich ſie nicht in den Mund nehmen. Auditor: Haſt du einen Vater? Junge: Um nicht viele auf einmal zu haben, laufe ich eben davon, denn ſie wollten mich zum Mönch ſcheren, und da hatte ich ſo viele Väter, daß ich es nicht aushalten konnte. Auditor: Iſt es denn alſo beſſer als Kurier herumzulaufen? Junge: Um jenen dort aus der Kur zu kommen, laufe ich doch lieber ſo als Kurier.

Wir lachten viel über den Jungen, und als wir zu einer Schenke kamen, die an einem ziemlich tiefen Bach zwiſchen zwei Hügeln lag, ſagte der Maultiertreiber: Hier müſſen wir anhalten, denn ſie werden uns gute Herberge geben, und die Wirtin iſt eine ſchöne ſtattliche Frau; gehen wir aber weiter, ſo müſſen wir wenigſtens noch drei Stunden in der Nacht reiſen. Er nötigte uns und verſprach uns Betten. Wie es ſchien, war die Wirtin feine gute Bekannte, mehr alg | 266

recht war. Wir traten in das Haus, und die Wirtin kam uns entgegen; ſie hatte ein ſehr widerwärtiges Weſen und trug einen dunkelroten Anzug mit einem weißen Überkleide, das viele Löcher hatte. Der Maultiertreiber fragte mich: Nun, was ſagen Euer Gnaden? Ich antwortete ihm: Es ſcheint mir ein ſchäbiger Putzsꝰ. Der Auditor bemerkte, fie fet als Jungfrau und Märtyrerin gekleidet. Ihr habt recht, antwortete ich, aber die Keuſchheit trägt ſie nach außen und das Mär— tyrertum nach innen, und ſo wie dies viele Flecken hat, ſcheint jene mir ziemlich zerriſſen. An den Redensarten kann man erkennen, wie die Leute ſind, ſagte die Wirtin. Ich änderte mein Benehmen, da ich ſah, daß ſie den Scherz übelgenommen hatte, und der Maultiertreiber, der ſehr erzürnt war, tröſtete ſie mit den Worten: Die Wahrheit iſt, daß Ihr ſehr reizend und ſchön ſeid und ein Angeſicht habt, das an einen beſſeren Ort als in dieſe Schenke hingehörte. Dadurch ward ſie be— ſänftigt; denn ſie war von leichter Gemütsart und trug uns ſehr gute Rebhühner zum Abendeſſen auf. Sie war hernach ſehr vergnügt, weil ich ihr ſagte, wir wären bedient worden wie bei Hofe und ſprach: Betten ſind da für Euer Gnaden, doch was die Wäſche betrifft, die gerade vorhanden iſt, ſo habe ich nur wenig Laken. Da ſagte der Mönchsjunge: Daran wird's nicht fehlen, denn mit denen, die der Maultiertreiber angekündigt hat, könnte man Burgos und Segovia zudecken. Mach' dich nicht über mich luſtig, knurrte der Maultier⸗ treiber, ſonſt mache ich, daß du am hellen Mittag Sterne ſiehſt. Dann ſeid Ihr wohl der Dreikönigstag, ſagte der Junge. Ich bin die Hure, die dich gebar, antwortete der Treiber. Dadurch bin ich alſo zugleich einem ſo kapitalen Schelm ent—

ſchlüpft, gab der Junge zurück. Der Burſche und der Maultiertreiber ſagten ſich noch recht viel artige Sachen, die uns die Zeit vertrieben. Der Auditor 267

fragte den Knaben: Sage mir, bei deinem Leben, wo du her biſt? Herr, antwortete er, ich bin ein Andaluſier, in der Nähe von Ubeda aus einem Flecken, welcher Torreperogil heißt. Ich bin von lebhaftem Geiſte, und da ich an dem kleinen Orte meine Talente nicht ausbilden konnte, ſtahl ich meinem Vater vier Realen und lief nach Übeda, wo ich ſah, wie bei den Häuſern von Kobos um Kuchen geſpielt ward. Ich bekam Luſt, davon zu eſſen, und ſpielte mit; doch ich verlor meine vier Realen, ohne den Kuchen gekoſtet zu haben. Ich lehnte mich an die Säule einer Vorhalle, die in der Nähe war, und ſtand dort in Schmerz verſunken, bis es Abend ward. Da kam ein alter Mann, der mich fragte: Was macht Ihr hier, mein feiner Herr? Ich antwortete: Ich halte dieſen Pfeiler, damit er nicht einſtürze. Weshalb fragt Ihr mich? Wenn Ihr nicht wißt, wo Ihr ſchlafen ſollt, ſprach er, ſo iſt hier die Bank eines Tuchſcherers, und Ihr könnt Euch auf die Wolle niederlegen. Und dieſe Scherersbank, antwortete ich, kann viel⸗ leicht alle meine Scherereien und Unfälle von mir abſcheren. Beklagt Ihr Euch ſchon ſo früh darüber? ſagte der gute Mann. Soll ich nicht klagen, antwortete ich, da, ſeit ich das Haus meines Vaters verließ, nur Unglück mich betroffen hat. Woher ſeid Ihr, fragte er. Viele Meilen von hier, war meine Antwort. Seht, mein Sohn, für den Menſchen ſind die Leiden erſchaffen, und wer nicht Mut hat, ihnen zu wider⸗ ſtehn, der kommt darin um; da Ihr ſie aber ſchon ſo früh erdulden müßt, ſo werden ſie Euch um ſo leichter zu tragen ſein, wenn Ihr ein Mann ſeid. Ein feiger, nachläſſiger Menſch macht gar keine Erfahrungen und weiß das Gute nicht zu ſchätzen, denn die Beſchwerden machen den Menſchen geſchickt und fähig zu allen Dingen. Ich verließ das Haus meiner Eltern in Eurem Alter, und durch meine Geſchicklichkeit bin ich dazu gelangt, jetzt das ehrenvolle Amt eines Polizeioffi⸗ 268

zianten in dieſer Stadt zu bekleiden. Ihr habt es weit ges bracht, ſagte ich, und es möge Euch bleiben. Aber wer keinen Heller im Beutel führt, wie kann der zu etwas kommen? Wenn Ihr ſo weit hergekommen ſeid, wie Ihr vorgebt, ent— gegnete er, ſo iſt es kein Wunder, daß Ihr alles ausgegeben und viel erduldet habt. Wo iſt Eure Heimat? In Torreperogil, ſprach ich. Er lachte, und ich ſagte zu ihm: Scheint Euch das ein zu kurzer Weg, um viel zu erleben? Da es Nacht war, als ich fortging, ſo ſchlüpfte ich in einen Weinberg, wo ich ſo viele betaute Trauben aß, daß ich hätte platzen müſſen, wenn ich keinen Ausgang gefunden hätte, und alſo niemals nach Ubeda gekommen wäre. Nachdem ich dies Leiden kaum überſtanden hatte, begegnete es mir, vier Realen zu verſpielen, die ich bei mir führte, und da bin ich nun ohne Geld, hungrig und durſtig, ohne Wohnung und Bett. So geht dorthin, ſprach er, und Ihr werdet es finden. Ich ging, und nachdem ich mir die Wolle etwas zurechtgelegt hatte, ſtreckte ich mich darauf aus. Ich ruhte etwas, aber um Mitternacht verwan- delte ſich die Heiterkeit des Himmels in Ungewitter und Sturm, ſo daß ich glaubte, ich würde den Morgen nicht erleben, denn der brauſende Wind fuhr in die Bank, fegte den Staub aus der Wolle und bedeckte meine Augen damit und meinen ganzen Körper mit Regenwaſſer. Um mein Elend vollſtändig zu machen, kamen auch noch die Schweine, die in den Gaſſen nach Nahrung umherlaufen, zu den Bänken der Tuchſcherer, um ſich vor dem Unwetter zu ſchützen. Und in der Meinung, daß die Bank, die ich zu meinem Aufenthalt erwählt hatte, unbewohnt ſei, begaben ſich ungefähr zwölfe von ihnen grunzend hinein; und obwohl ſie mir mit ihren Schnauzen über das Geſicht fuhren, duldete ich ſie gern, wegen des Schutzes, den ſie mir gewähr— ten. Indes meine Naſe viel zu leiden hatte, kam der Morgen heran, der mich weder ſehr reinlich noch wohlriechend fand,

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aber ſogleich mit einigen Stockſchlägen begrüßte; denn der Lehrjunge des Tuchſcherers kam, ſowie der Tag anbrach, und jagte mit einem drei Finger dicken Stock von Eichenholz die Schweine hinaus; in der Abſicht, dieſe zu treffen, verirrten ſich mehrere Schläge auf meinen Rücken, die mir ſogleich Schlaf und Müdigkeit vertrieben. Dies Leiden hatte ich über: ſtanden, doch andere Unglücksfälle hörten nicht auf, mich zu verfolgen; im Gegenteil, ich kam vom Regen in die Traufe, denn wohin ich auch gehen mochte, entweder ſuchte das Un: glück mich auf, oder ich das Unglück. Ich begab mich von Ubeda nach Cordoba, wo ich einen jungen Laienbruder antraf, der nach Alcala ging, um dort zu ſtudieren. Ich nahm ſein Anerbieten, ihn zu begleiten, mit Vergnügen an, denn er und trank ſehr gut, von den Almoſen, die ihm in den Dör⸗ fern und einſamen Schenken gereicht wurden. Mein Geſchwätz gefiel ihm ſo wohl, daß er mich in einem Kloſter ſeines Ordens ſehr lobte, weshalb ſie mir das Ordenskleid mit Freuden gaben. Oft hatte ich davon gehört, wie großen Hunger die Novizen leiden müſſen; ich wollte es aber nie glauben, bis ich es nun ſelbſt erfuhr. Als wir fertig geſpeiſt hatten, nahm ich dem Pater Küchenmeiſter ein kleines Brot, um mich untertags daran zu erquicken; als ich dies aber zum zweiten⸗ mal verſuchte, ertappten ſie mich dabei, und ich wurde hart beſtraft. Ich bediente mich nun einer ſehr guten Erfindung: ich ſchlug nämlich fünf oder ſechs Nägel nach unten zu in die Bretter meines Bettes, und ſowie ich das Brot genommen hatte, lief ich ſchnell dahin und befeſtigte es an dieſe Nägel; ſie kamen mir nach, und als ſie es nicht bei mir fanden, ward die Schuld auf einen andern geſchoben. So vergingen einige Tage, in denen ich mein Frühſtück und Veſperbrot nach meinem Sinn verzehrte und andere die Strafe dafür leiden ließ. Dies wäre bis auf dieſen Tag ein Geheimnis geblieben, 270

hätte mich nicht ein Streich verraten, den ich dem Aufſeher der Novizen ſpielte. Dieſem wurde eines Tages ein Körbchen mit ſehr gut ausſehenden Biskuittorten zugeſchickt, von dieſen ſtahl ich ihm zwei, während er eben den Kopf umwendete, und, mich ſtellend als habe ich ſonſt etwas zu tun, befeſtigte ich fie an die ſchon erwähnten Nägel, kehrte dann gemeſſenen Schrittes zurück und ſetzte mich zum Leſen nieder. Jener vermißte die Kuchen und kam zu meinem Bette, wo ich ſaß, er durchſuchte meine Kleider und das Geſchirr, und da er hier nichts fand, wollte er ſehen, ob das Entwendete vielleicht unter dem Bette ſei, und kroch mit dem halben Leibe hinunter. Hier iſt auch nichts, ſprach er, laßt uns weiter ſuchen. Ich war ſchon ganz ſicher und ruhig, als er aber wieder unter dem Bette hervorkroch, blieb er mit dem Hinterkopf an einem meiner Nägel hängen. Da es ihm weh tat, ſah er nach, was es ſei, und fand an den Nägeln ſeine Kuchen und meine Brote. Sie richteten mich ſo zu, daß mein Körper ausſah wie die Palette eines Malers. Sie ließen mich liegen, denn ſie dachten, ich würde die Nacht mich noch nicht wieder regen können, aber ich ſchnürte mein Bündel, und da ſie bemerkten, daß ich mich auf den Weg gemacht hatte, ſchickten ſie mir zwei dienende Brüder nach, die, da ſie die Wege beſſer als ich kannten, mir den Vorſprung abgewannen, und ich ſah ſie, als ich das Kloſtergebiet verließ, ſchon von weitem ſtehen, an einem Orte, wo ich ihnen durchaus nicht entwiſchen konnte. Da die Not aber die ſinnreichſte Erfinderin von Hilfsmitteln iſt, fand ich das meinige in einem Bienenhauſe, das dicht am Wege ſtand. Sowie ich dieſes erblickte, ſprang ich hinein, ſtieß wohl zwanzig Bienenkörbe um und ſtellte mich hinter dieſe, ohne mich im mindeſten zu bewegen, denn die Bienen ſtechen nur den, der ſie angreift. Als jene ſich nun dem Hauſe nahten, ſetzten die Bienen ſich zur Wehr, um den Platz zu

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behaupten, und als die Brüder ſtürmen wollten, griff die Beſatzung zu den Waffen. Jene wehrten ſich mit den Hän— den, aber je mehr ſie mit dieſen um ſich ſchlugen, um ſo viel größer ward die herbeieilende Schar der Bienen. Da das Heer auf dieſe Weiſe zur Schlacht gerufen ward, verließ die Arrier⸗ garde ihre Zelte und kam der Avantgarde zu Hilfe, und die Schar ward endlich ſo groß, daß ſie den armen Henkern die Sonne verdunkelte. Nachdem ich der Schlacht, die meinet- wegen geſchlagen wurde, einige Zeit zugeſehen hatte und be— merkte, daß ich jetzt mit Sicherheit entwiſchen konnte, verließ ich mit Katzenſchritten und mit der größten Vorſicht das Schlachtfeld und begab mich in ein Gebüſch, von dem ich noch dichter verhüllt ward als meine Gegner von den Bienen, die ihnen in die Arme und Kragen krochen und ihnen alle Mittel der Verteidigung abſchnitten. Gleich zu Anfang ſetzte ſich eine ſo große Anzahl davon an ihre Stirn und Augen, daß ſie in einem Augenblick ſo geblendet wurden, daß ſie nicht ſahen, wohin ſie gingen, und ſich alſo nicht retten konnten. Der Herr des Bienenhauſes kam endlich herzu, um ſeine Völker zur Ruhe zu verweiſen, mit feinen Verteidigungswaf—⸗ fen gerüſtet. Er fand die armen Burſchen ſo zerſtochen und voller Beulen, daß er, anſtatt einen Schadenerſatz zu vers langen, für die Verwüſtung, die ſie in ſeinem Lager angerich— tet hatten, fie aus dem Angeſicht des empörten Volkes ent: fernte, das ſie vollends getötet haben würde. Sechs Tage ſind es nun, daß ich den Streichen entflohen bin, die ſie mir zugezählt hätten, wäre ich ergriffen worden. Ä

So unterhielt der Junge uns mit feinen Erlebniſſen und brachte alle Leute, die in der Schenke waren, zum Lachen. Ich ſagte zu ihm: Die Bienen haben ſich deiner angenom⸗ men, und wäre dies ohne Nachteil eines dritten geſchehen, ſo könnte man es den glücklichſten Zufall von der Welt 272

nennen. Da wir aber von Natur geneigt find, uns felbft mehr zu lieben als andere Menſchen, ſo ſuchen wir oft unſerer Not dadurch abzuhelfen, daß wir einen anderen darein ver— wickeln; allein der Menſch ſoll ſein Beſtes ohne den Schaden ſeines Nebenmenſchen ſuchen, denn das Gegenteil ſtreitet gegen die chriſtliche Liebe. Der Junge antwortete: Es mag ſein, wie es will, ſo habe ich doch immer ſagen hören, jeder Menſch habe die Verpflichtung, für ſich ſelbſt Sorge zu tragen. So tötete einſt ein Lamm einen Wolf, indem es ihn, um ihm zu entgehen, zu einer Falle lockte, die der Schäfer mit Gras bedeckt und eine tote Schlange darauf gelegt hatte. Es ſah den Wolf auf ſich zukommen, um es zu ergreifen, er verfolgte es, als es dahin floh, wo der Schäfer war, und als er zu der Falle kam, ſah er die Schlange und erſchrak ſo ſehr, daß er in die Falle geriet und die Beine zerbrach. Wenn nun ein Lamm ſich durch den Schaden eines anderen zu retten ſucht, warum ſoll es ein Menſch nicht tun? Darauf ſuchte ein jeder ſein Bett auf, verwundert über die Erzählung des Knaben.

Sechzehntes Kapitel.

Wir reiſten weiter, und obwohl wir den Jungen gern mit— genommen hätten, war dies doch nicht möglich, weil er zu langſam ging, daher gab ihm der Auditor Geld, damit er nach ſeiner Bequemlichkeit reiſen könne. Der Auditor befragte mich auf dem ganzen Wege ſehr eingehend über Marcos von Obregon. Wir kamen nach Cordoba, wo wir uns trennen mußten, und er bat mich beim Abſchiede, daß ich dem Marcos ſagen möchte, wie groß ſein Verlangen ſei, ihn kennen zu lernen, und daß er, wenn er nach Sevilla käme, ſein Haus ganz als das ſeinige anſehen möchte. Unter dieſen Geſprächen erreichten wir die Brücke des Guadalquivir, ein jeder ritt ſeines Weges, und als wir ungefähr hundert Schritte voneinander getrennt 18 273

waren, rief ich ihm zu, und zwar fo laut, daß er es verfteben konnte: Herr Auditor, ich bin Marcos von Obregon! Dar— auf ſpornte ich mein Tier, ſo ſchnell ich konnte, und ſchlug die Straße nach Malaga oder Gibraltar ein, denn nach einem dieſer beiden Orte wollte ich gehen. Der Auditor wollte um: kehren und mich zurückrufen, da ich aber zu ſchnell ritt, ſagte er zu ſeinen Leuten: Jetzt weiß ich, weshalb ich mich in der Geſellſchaft dieſes Mannes ſo wohl befand. Ich habe ihn in der Tat ſo lieb gewonnen, ohne zu wiſſen, wer er iſt, daß ich alles für ihn tun könnte. Ich richtete meinen Weg nach einer der genannten Städte, die ſich eines lieblichen und meinem Alter günſtigen Klimas erfreuen; denn die Kälte wird dort nie heftig, die verſchiedenen Seehäfen ſowie die Nähe von Afrika geben eine angenehme Abwechſlung, und man findet viele Orte, die zur Einſamkeit und Betrachtung ein⸗ laden. Ich kam nach Malaga, denſelben Tag als die Fregatte del Pennon dort eingelaufen war, die Juan de Lora komman⸗ dierte, ein ſehr tapfrer Krieger, der von den Mauren und Türken viele Wunden empfangen, ſie aber auch tüchtig wieder gegeben hatte und jetzt eine ſehr friedlich errungene Beute heimbrachte. Da er mein Freund war, beſuchte ich ihn, und wir wünſchten uns gegenſeitig Glück wegen unſerer Ankunft. Er erzählte mir, wie er unterwegs ein vom Sturm beſchä⸗ digtes Schiff getroffen habe und darin ein türkiſches Mädchen und einen jungen Menſchen gefunden, die vermutlich Ces ſchwiſter wären. Das Mädchen ſei ſehr ſchön und der Jüngling von edlem Anſtand und habe ſo viel von den ſpaniſchen Sitten an ſich, daß er ſich darüber wundern müſſe, da ſie in Afrika und von ungläubigen Eltern geboren wären. Ich bat ihn, ſie mir zu zeigen, denn er hielt ſie ſehr ſtreng verwahrt, weil er ſie verſchenken wollte. Er antwortete mir: Es wäre mir lieb, wenn Ihr ſie ſprechen hörtet, ohne ſie zu ſehen; denn 274

da Ihr in Algier geweſen ſeid, könnte ich auf dieſe Weiſe erfahren, ob ſie die Wahrheit reden. Er ging in das Zimmer, in dem ſie waren, ich blieb an der Tür, und er ſprach zu ihnen: Erzählt mir eure Geſchichte nun nach der Wahrheit, damit ich, da ihr nun einmal in meiner Gewalt ſeid, euch behandle, wie es euer Stand verdient. Der junge Menſch war ſehr niedergeſchlagen, und das Mädchen brach in Tränen aus. Ihr Herr ſprach ihnen Mut ein, und der Jüngling begann ſeine Erzählung folgendermaßen: Daß die Beraubung der Freiheit, dieſes höchſten Gutes, uns tief betrübt, iſt wohl ſehr natürlich, daß wir von unſeren Eltern, unſerem Vater— lande und allem, was uns lieb und teuer iſt, getrennt ſind, müſſen wir ſchmerzlich empfinden; daß wir Vermögen, Skla— ven, Größe und Unabhängigkeit verließen, das verurſacht uns Kummer; aber daß wir die Abſicht, wegen der wir kamen, nicht erreicht haben, das muß uns das Herz zerreißen. Meine Schweſter und ich, denn wir ſind Geſchwiſter, wurden in Algier geboren, unſer Vater iſt ein Spanier, der aus dem Königreich Valencia nach Algier hinüberging. Er verheiratete ſich mit meiner Mutter, die eine Türkin iſt. Unſer Vater iſt Korſar und beſitzt zwei Galeeren, mit denen er den Chriſten ſchon viel Schaden getan hat. Unter den Gefangenen, die er in Spanien raubte, war einer, den er uns zum Lehrer in der ſpaniſchen Sprache gab; denn da er ſein Vaterland ſehr liebte, erweckte er auch in uns Liebe und das Verlangen nach dem, was von ihm ſo hoch gehalten ward. Dieſer ſpaniſche Sklave war ſo eifrig, uns ſeine Lehre beizubringen, daß ich nach kurzer Zeit diejenige verabſcheute, die ich mit der Muttermilch eingeſogen hatte, und mein Herz ganz der chriſtlichen ergab. Ich betete zu Jeſus, meine Schweſter zu Maria, deſſen Mutter; wir unterhielten uns nur von dieſem Gegenſtand und taten ein feierliches Gelübde, in dem chriſtlichen Glauben zu leben 18 · 275

und zu fterben. Jener Sklave verfprach uns, ein Mittel aus: zufinden, daß wir die heilige Taufe empfangen könnten. Vor acht Jahren kehrte er nach ſeinem Vaterlande zurück, und jetzt erfuhren wir, daß ihn, als er Algier verließ, die genueſiſchen Galeeren gefangen nahmen, und daß er getötet ward, weil man ihn für unſeren Vater hielt. So ſeines Rates und ſeiner Hilfe beraubt, entſchloſſen wir uns, ein anderes Mittel zu erſinnen. Da meine Schweſter nun in dem Alter war, ſich vermählen zu können, und ich der einzige Erbe unſeres großen Vermögens, ſchloß mein Vater einen Vergleich mit einem reichen Türken, der auch einen Sohn und eine Tochter unſeres Alters hatte, die Töchter gegeneinander auszutauſchen und ſie mit den Söhnen zu verheiraten. Alle unſere Freunde in Algier traten dieſem Wunſche bei, denn obwohl meine Schweſter und ich Freiheit und Reichtum beſaßen, ſo ſtanden wir doch in dem Rufe, dieſe nie mißbraucht zu haben; und obwohl wir ſehr geachtet wurden, ſie wegen ihrer Schönheit und ich wegen meines Vermögens, ſo achteten wir dies alles doch nie ſo hoch, daß wir darüber die chriſtliche Freiheit des Herzens verloren hätten, die unſer Lehrer uns ſo hoch geprieſen hatte. Da das Unglück uns ſo plötzlich bedrohte und die Zeit nahe war, in der wir uns vermählen und alle die ſehnſüchtigen Wünſche, die unſere Bruſt erfüllten, aus dem Herzen reißen ſollten, ſo benutzten meine Schweſter und ich den günſtigen Augenblick, während unſer Vater eine Reiſe nach dem Oſten machte, um durch die erworbene Beute uns für unſeren neuen Stand noch mehr zu bereichern. Nachdem unſer Vater die Anker gelichtet hatte, begaben wir uns nach einem Landgute und teilten unſere Abſicht vier ſpaniſchen, zwei türkiſchen und ſechs italieniſchen Sklaven mit, die an der ſpaniſchen Küſte ſehr gut Beſcheid wußten. Da meine Mutter unbeſorgt war, weil ſie die Schweſter unter meinem Schutze wußte, bemächtigten wir uns bei An⸗ 276

bruch der Nacht eines Schiffes. Mit der größten Vorficht ſchifften wir uns ein und ruderten ſo ſchnell, daß wir am andern Morgen ſchon die Küſte von Valencia erblickten. Als wir uns ſchon in Sicherheit glaubten, erhob ſich aus Oſten ein ſtarker Wind, der uns zwang, die Segel einzuziehen und uns mit ſolcher Gewalt nach Weſten trieb, daß wir das Fahr— zeug nicht regieren konnten. In hohen Bergen ſtiegen die Wellen empor und riſſen ſchreckliche Abgründe auf, in welche wir hineingeſchleudert wurden. Da ich und meine Diener mehr auf die Rettung meiner Schweſter als auf die eigene be— dacht waren, mußte ſie ſich mit dem Geſicht auf den Boden des Schiffes legen, und vier meiner Leute ſtellten ſich vor ſie, um die Gewalt eines Waſſergebirges abzuhalten, das auf uns zukam; doch die Welle verſchlang ſie alle vier, und wir ſahen ſie nie wieder. Wir ergaben uns in den Willen des Himmels und banden meine Schweſter feſt, damit die Fluten ſie uns nicht entriſſen, wenn wir Schiffbruch leiden ſollten. Der un— geſtüme Wind riß denen, die noch arbeiteten, die Ruder aus den Händen. Da ich ſah, daß nur Gott uns raten konnte, befahl ich ihnen, keinen Verſuch mehr zu machen, denn das Schiff ward von den ungeheuren Wogen wie eine Nußſchale umhergeſchleudert und erhielt ſich durch ſeine Leichtigkeit oben. Einmal, als ich fürchtete, daß es umſchlagen möchte, umfaßte ich meine Schweſter, und dadurch rettete ich mein Leben; denn alle unſere Gefährten, die frei im Schiffe ſaßen, wurden von den Wellen hinweggeriſſen, ausgenommen zwei, welche ſich an dem Rand des Schiffes anhielten. Der Wind be— ruhigte ſich ein wenig, aber das Meer, durch die Stürme aufgeregt, blieb noch zwei Tage in gewaltiger Bewegung; ſo wurden wir fünf oder ſechs Tage umhergetrieben, ohne daß wir das Wenige, das uns noch geblieben war, genießen konnten. Da ich weder Ruder hatte, noch Leute, die ſie führen konnten,

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erinnerte ich mich daran, daß jener unſer Lehrer oder Sklave uns einſt geſagt hatte, wie diejenigen, welche ſich dem Schutze Gottes empföhlen und die heilige Taufe empfingen, alle Leiden mit Geduld und Hoffnung ertragen könnten; dies gewährte mir Troſt. Meine Schweſter kam wieder zu ſich und fing mit großer Andacht an, einen Roſenkranz zu beten, den Marcos von Obregon ihr geſchenkt hatte, ſo nannte ſich nämlich unſer Lehrer. Da entdeckten wir Euer Schiff, und es war nicht unſere Abſicht, uns zu verteidigen, denn jene beiden Türken, die Euer tapfrer Arm erſchlug, hatten wir mit uns genommen, weil ſie ſich auch zum chriſtlichen Glauben bekehren wollten. So kamen wir in ein chriſtliches Land, und wir bitten den Himmel, daß er uns Geduld verleihe und unſer Verlangen er— fülle. Hier hörte der Jüngling auf zu erzählen, ſeine Schweſter aber nicht, fortwährend Tränen zu vergießen, was ſie getan hatte, ſolange er ſprach. Der Kapitän war gerührt und ſagte zu ihnen: Wenn das, was ihr mit ſo vieler Anmut erzählt habt, wahr iſt, ſo will ich euch die Freiheit geben, und ihr ſollt alle eure Koſtbarkeiten wieder erhalten. Aber, fügte er hinzu, würdet ihr wohl Marcos von Obregon wiedererkennen, wenn ihr ihn ſähet? Wie können wir ihn denn ſehen, da er tot iſt? fragte das Mädchen. Der Kapitän ſprach: Kommt heraus und ſehet, ob er unter dieſen Männern iſt. Furcht und Hoffnung kämpften in ihrem Gemüt, und das Mädchen war noch ſtärker erſchüttert als ihr Bruder; denn die Liebe erinnerte ſie an die Vergangenheit, und die Religion belebte den Wunſch in ihr, denjenigen wieder zu ſehen, der ſie darin unterwieſen hatte. Sie traten aus dem Gemach, und als ſie mich erblickten, fielen ſie mir zu Füßen und nannten mich Vater, Lehrer und Herr. Ich konnte mich nicht faſſen, und das Staunen beraubte mich der Sprache. Endlich beſtätigte ich die Wahrheit ihrer Erzählung, und als ich mich etwas ge⸗ 278

ſammelt hatte, weinte ich mit ihnen; denn auch die Freude hat ihre Tränen, und ſie ſind ebenſo ſüß, als die bitter ſind, welche der Schmerz auspreßt. Der Kapitän war erſtaunt über dieſe Begebenheit, und nachdem ſeine Worte und meine Gegen— wart die jungen Leute getröſtet hatten, ſprach er zu ihnen: Gott verhüte, daß ich Chriſten gefangen halte. Habt eure Freiheit, und hier nehmt auch eure Kleinodien zurück, von denen ich nicht Beſitzer, ſondern bloß Aufbewahrer geweſen bin. Ich ſah ſie und unter ihnen auch den Roſenkranz, den ich meiner Schülerin geſchenkt hatte. Gebraucht eure chriſtliche Freiheit, fuhr der Kapitän fort, da ihr ſo glücklich waret, dazu zu gelangen, eure erhabene Abſicht auszuführen. Die Freude, dieſe beiden geliebten Kinder wieder zu ſehen, die mir mein Leben und meine Gefangenſchaft erleichterten und verſüßten, machte mich, wenn ich ſo ſagen darf, wieder jung. Ich ſprach lange mit ihnen von meinen Leiden und ihrem Glück, und die lieblichen Geſchwiſter hielten es für ein ſo Großes, mich wieder gefunden zu haben, daß jede Spur der überſtandenen Be— ſchwerden aus ihren Angeſichtern verſchwand. Ihr neues Leben begann damit, daß ihnen das ward, wonach ſie ſich ſo lange ſchon geſehnt hatten, und die Veränderung ihres Wandels war ſo auffallend, daß ſie uns allen als Beiſpiel dienen konnte. Sie begaben ſich nach Valencia, um die Verwandten ihres Vaters aufzuſuchen. Dort lebten ſie zur größten Zufrieden— heit ihrer Seele, und ich erfuhr nachher, daß ſie dort als Muſter der chriſtlichen Vollkommenheit leuchteten.

Siebzehntes Kapitel.

Es ſchien mir, daß ich in dem unruhigen Treiben in Malaga, das durch den Zuſammenfluß der Menſchen zu Land und Meer verurſacht wird, bei der geſelligen Freundlichkeit des Volkes, da ich noch dazu ſehr bekannt an dieſem Orte war, die Zurück⸗

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gezogenheit, welche ich mir wünſchte, nie nach dem Maße meines Verlangens finden, noch meinen höchſten Zweck erreichen würde. Ich ſuchte daher das Weidendickicht von Ronda auf, wo es ſo einſame und verſteckte Plätze gibt, daß ein Menſch viele Jahre dort leben kann, ohne geſehen zu werden, wenn er dies nicht ſelbſt veranlaßt. Ich begab mich als ein ſchlichter einfacher Mann auf den Weg; damit ich ihn aber nicht ganz ungeſtört zurücklegen ſollte, mußte es ſich treffen, daß, als ich nach Sa⸗ binilla kam, zwei türkiſche Brigantinen landeten. Die Türken kamen an das Ufer und bemächtigten ſich aller der Fiſcher und Hirten, die in der Gegend zerſtreut waren. Obwohl man Signale gegeben hatte, ſo wurden wir ſie doch nicht eher gewahr, als bis wir in die Gewalt der Mauren gerieten und ſie uns mit gebundenen Händen in die Schiffe ſchleppten. Da ſie glaubten, das Meer wie das Land ganz in ihrer Gewalt zu haben, wurden ſie ſorglos und füllten ſich den Ranzen mit Wein, den ſie in einer Fiſcherwohnung gefunden hatten, ſo daß alle, oder doch die meiſten von ihnen, ſich betranken. In dieſem Zuſtande wurden ſie von den Einwohnern von Eſtepona und Caſares überfallen, denen andre aus der Nach— barſchaft, die den Lärm gehört hatten, zu Hilfe kamen. Viele Türken kamen um, andre wurden zu Gefangenen gemacht, und nur wenige entrannen. Wir, die wir in den Brigantinen waren, baten unſre Wachen, daß ſie uns losbinden möchten, wenn ſie ihr eignes Leben retten wollten. Sie taten es und zwar zu ihrem eigenen Beſten. Denn ein Ochſenhirt, der ſich mit den Zähnen losgemacht hatte, ergriff ein Ruder und handhabte es ſo behende, als wenn es eine Elle geweſen wäre, wodurch er ſie zwang, uns alle an das Land zu ſetzen. Ich war ſehr betrübt, indem ich mich der vielen Gefahren er— innerte, die ich zu Land und Meer überſtanden hatte. Bei allen dieſen Unfällen meines Lebens hatte ich jedoch immer 280

Troſt und Unterſtützung gefunden, und fo ging es mir auch jetzt; denn ich erblickte in der Nähe des Landhauſes von Caſares einen zwar bejahrten, aber rüſtigen und ſtets hilfsbereiten Mann, der als ein wahrer Abraham an Gaſtfreiheit und Milde be— kannt war; denn ſein Haus und Vermögen ſtand den Pilgern und Reiſenden immer zu Gebote. Dieſer Mann kam auch jetzt auf mich zu und ſagte: Obwohl mein Gefühl mich immer zu den Werken der Barmherzigkeit treibt, ſo mahnt es mich doch jetzt noch mehr, als gewöhnlich, da ich bemerke, daß Ihr alt und niedergeſchlagen ſeid. Kommt mit mir in mein Haus, denn, obwohl arm an Gut, iſt es doch reich an gutem Willen, und niemand befindet ſich darin, der nicht ebenſo bereit wäre, wie ich, die Werke der Liebe zu vollziehen. Nicht allein meine Frau und meine Kinder, ſondern auch meine Diener und Sklaven; und die Gaſtfreundſchaft iſt um ſo angenehmer, je größer die Eintracht und Liebe iſt, mit der ſie dargeboten wird. Wie iſt der Name desjenigen, der mir ſo viele Güte erzeigt? fragte ich; denn von der Freund— lichkeit, die in Eurem Angeſicht leuchtet, abgeſehen, zwingt mich noch eine andre höhere Macht, Euch zu lieben, noch ehe ich Euch kenne. Ich bin ein Mann, antwortete er, der ſich nicht durch glänzende Eigenſchaften berühmt gemacht hat; ich lebe zufrieden mit der Lage, in welche Gott mich ſetzte; ich bin arm, aber mein Wille iſt gut, und ich beneide andre weder um ihren Reichtum noch um ihren hohen Stand, der ihnen die Verehrung der Menſchen erwirbt. Gegen die, welche höher ſtehen als ich, iſt mein Betragen einfach und demütig, für meinesgleichen bin ich ein Bruder und für meine Untergebenen ein Vater. Ich freue mich, wenn meine Herden in gutem Stande ſind, ich zeidle meine Bienenſtöcke und ſpreche mit den Bienen, als könnten ſie mich verſtehen. Ich beurteile das nicht, was andre tun, weil alles mir gut ſcheint; wenn ich ſchlecht von

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jemand reden höre, fo ſuche ich das Geſpräch auf einen unter⸗ haltenderen Gegenſtand zu lenken. Ich tue ſo viel gutes, als ich kann mit dem wenigen, was ich beſitze, und was mehr iſt, als ich verdiene: ſo führe ich ein ruhiges Leben, ohne Feindſchaft, die das Leben zerſtört. Ihr ſeid glücklich, ſprach ich, denn ohne nach dem Glanz und Stolz dieſer Welt zu ſtreben, beſitzt Ihr das, was jeder ſich wünſcht. Wie ſeid Ihr aber zu einem ſo ruhigen Leben gekommen? Er antwortete: Dadurch, daß ich, was ich beſitze, nicht verachte und fremdes Eigentum nicht beneide, dem Zweifelhaften nicht vertraue und das gern genieße, was ich ohne Beunruhigung meines Ge: mütes erlangen kann. Wer ein ſolches Leben führt, ſagte ich, der darf ſeinen Namen nicht verſchweigen. Er antwortete: Mein Name iſt, wie ich ſelbſt, unbekannt in der Welt, ich heiße Pedro Kimenez Espinel. Mein Herz ſchlug heftig, als ich dies hörte, aber ich verbarg meine Bewegung, um die Unterhaltung fortſetzen zu können, bis wir den Weg zurück⸗ gelegt hatten. Ich fragte ihn weiter: Und in dieſem ruhigen Leben gibt es nichts, was Euch Kummer oder Beſorgnis ver= urſacht? Bei Gott, Herr, war ſeine Antwort, nur, wenn die Arbeit nicht gut gemacht oder das Eſſen nicht zu rechter Zeit fertig iſt; außerdem habe ich keinen Verdruß, und auch dieſer iſt wie weggeblaſen, wenn ich das chriſtliche Leben vom Pater Luis von Granada leſe. Wieviele Philoſophen, ſprach ich, haben nach dieſer Einfalt des Lebens geſtrebt und ſie doch durch alle Beobachtung der Lehren der moraliſchen und natürlichen Philo⸗ ſophie nicht erlangen können! Darüber kann ich mich nicht wundern, ſagte der gute Mann, denn da in den Menſchen die große Gelehrſamkeit Stolz anſtatt der Demut erzeugt, können ſie zu dieſer Lebensweiſe nicht kommen; ich aber übte mich, da ich unwiſſend bin, von Kindheit auf in der Geduld und Demut, die ich von meinen Eltern lernte, und wobei ich mich ſehr wohl be⸗ 282

finde. Da Ihr aber in der Welt weit umhergekommen ſeid, habt Ihr vielleicht etwas von meinem Neffen erfahren? Denn ſeit vielen Jahren hörten wir nichts von ihm, und, wie man uns ſagte, iſt er jetzt in Italien. Der Grund, warum ich ſoviele Fremde in meinem Hauſe bewirte, iſt, ein gutes Werk zu tun, zum Teil aber auch, Nachricht von meinem Neffen zu erhalten. Wie heißt er? fragte ich, und er nannte mir meinen eigenen Namen. Ich kenne ihn wohl, ſetzte ich hinzu, und er iſt der beſte Freund, den ich auf der Welt habe. Er lebt, iſt jetzt in Spanien und Euch ſo nahe, daß Ihr ihn ſehen und ſprechen könnt, ohne weit zu gehen. Ich freute mich in der Seele, meinen Verwandten gefunden zu haben und zu ſehen, wie weit er es in den chriſtlichen und moraliſchen Tugenden gebracht hatte, ſo daß er mir wohl zum Muſter dienen konnte, wäre mein Gemüt ſo geläutert geweſen, wie es wohl ſein ſollte. Er war über die Nachrichten, die ich ihm brachte, ſehr erfreut, ich wollte mich aber nicht eher zu erkennen geben, als bis ich meinen Stand verändert hätte.

Achtzehntes Kapitel.

Um mich kurz zu faſſen: Ich kam nach dem Weidendickicht, wo das erſte, was mir begegnete, drei Rinderhirten waren, mit

ſehr langen Flinten, die mir zuriefen: Steigt von Eurem Tier

ab! Ich erwiderte: Ich befinde mich beritten beſſer als zu Fuß. Wenn Ihr Euch ſo wohl befindet, ſagten ſie, ſo verkauft es uns. Ich ſprach: das Ende davon würde dann ſein, daß ich ohne Tier und ohne Geld weiter gehen müßte. Aber wer ſind die Herren, die mir das Maultier abkaufen wollen, das ich in Madrid erſtand? Ihr ſollt es erfahren, antworteten ſie, jetzt ſteigt nur fürs erſte ab. Fürwahr ſagte ich, das iſt mir ſehr lieb; denn in meinem ganzen Leben habe ich kein ſchlechteres Tier geſehn: es iſt boshaft, blind und voller Krankheiten, und

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hat mehr Jahre auf dem Buckel als ein alter Palmbaum, es ſtolpert alle Augenblicke und wirft ſich auf die Erde, ohne um Erlaubnis zu bitten. Nur eine gute Eigenſchaft beſitzt es: wenn ihr es in ein ganzes Magazin voll Korn bringt, wird es ſich nicht eher daraus entfernen, als bis der Durſt es dazu zwingt. Mit allen dieſen Fehlern wollen wir es doch haben, antworteten ſie. Ich ſtieg nun ab und überließ ihnen meine Taſchen zum Durchſuchen; da ſie aber nichts darin fanden, ſagten ſie, ſie wollten das Maultier ſchinden und mich in deſſen Haut ein— nähen, wenn ich ihnen kein Geld gäbe. Bin ich denn ein Koffer, fragte ich, daß ihr mich mit dem Fell eines Maultieres überziehen wollt, oder wollt ihr mir einen warmen Pelz geben, wegen der Kälte, die mich aus Furcht vor euren langen Feuer: röhren überläuft? Durch meine fröhliche Laune milderte ich ein wenig ihre Wut. Jetzt kamen noch fünf oder ſechs andere, die einen Menſchen verfolgten, der ſich ſehr mutig gegen ſie verteidigte und viele Wunden austeilte und empfing. Ihre Vorſicht gebot ihnen, ihn nicht zu töten, weil ein ſo tapferer Mann gut zu ihrer Geſellſchaft paſſen würde. Er aber wollte davon nichts wiſſen und rief ihnen mit edlem Zorn zu, ſie möchten ihn nur töten, wenn ſie könnten. Warum? fragte ihr Anführer, indem er den andern gebot, ſich ruhig zu halten. Weil ein Menſch, dem ein ſo großes Unglück begegnet iſt, nicht mehr leben mag. Ich betrachtete den Mann genauer und glaubte den Doktor Sagredo zu erkennen, den ich in Madrid geſehen hatte, obwohl in anderer Tracht, denn damals trug er ſich wie ein Arzt, und jetzt war er wie ein Soldat gekleidet, in ſehr ab: getragener Tracht, aber doch wie ein Mann von Stande; daher konnte ich nicht mit mir einig werden, ob er es war oder nicht. Sie hielten ſich ruhig, und er begann jetzt mit großer Leiden⸗ ſchaft das Mitleid der Räuber, das ſein Leben geſchont hatte, zu verwünſchen. Er ſtieß tiefe Seufzer aus und rief zum Him⸗ 284

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mel: O ihr grauſamen Sterne! Für mich bewahrtet ihr den allerbitterſten Schmerz! O veränderliches Geſchick! Ihr Pla— neten, die ihr mein Glück, meine Seligkeit zerſtört habt! Nur darum befreitet ihr mich aus ſo vielen Gefahren der See und unbekannter nie geſehener Länder, damit ich es ſehen ſollte, wie die Wut des Meeres meine holde Gefährtin, meine geliebte Gattin verſchlang, die mich nie verließ und unter ſo unausſprechlichen Beſchwerden mir folgte. Welch ein Nichts— würdiger war ich, daß ich mich nicht in die ſchäumenden Fluten ſtürzte, um die im Tode zu begleiten, die mich im Leben begleitet hatte! Er ſprach ſo rührend, daß auch die verwor— fenſten Menſchen, die es damals auf der Welt gab, ſich zum Mitleid bewegt fühlten: dieſe aus dreihundert Böſewichten be— ſtehende Bande, welche als Hirten verkleidet die Wehrloſen überfiel und beraubte und alle tötete, die ſich verteidigten. Jetzt verſammelten ſich ungefähr hundert; denn ſo viele waren indeſſen dazugekommen, um mit ihrem Anführer zu berat— ſchlagen, was zu tun ſei. Denn ſie hatten erfahren, daß der König Maßregeln gegen die Frevel ergreifen würde, die täglich in ganz Andaluſien von ihnen verübt wurden, zugleich wollten ſie überlegen, was ſie mit den vielen Gefangenen vornehmen wollten, die ſie hier und dort in Höhlen verſteckt hielten. Unter— deſſen brachten ſie den Doktor Sagredo und mich mit noch zwei andern in eine Höhle, wo das Hineinkommen ſehr leicht, das Herauskommen aber unmöglich war. Dunkel war die Grotte eben nicht, denn durch die dichten Bäume, die ſie umgaben, drang Licht genug in unſern Aufenthalt. In dieſer betrübten Lage wollte ich mich durch Reden erleichtern und ſagte: Herr, da ein Leiden uns verbunden hat und wir eine Kränkung er— dulden müſſen, ſo ſagt mir, ich bitte Euch, ob ihr wirklich der Doktor Sagredo ſeid? Er erſchrak und erwiderte: Wer ſeid Ihr, der dieſe Frage an mich richtet, und woher kennt Ihr

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mich? Ich bin, gab ich zur Antwort, Marcos von Obregon. Kaum hatte ich diefe Worte ausgeſprochen, als er mich in feine Arme ſchloß und ausrief: O Freund meiner Seele! Die, welche Ihr ſo ſehr liebtet und verehrtet, iſt tot, meine geliebte Gattin iſt tot, Donna Mergelina de Aybar iſt tot, mein Heil und meine Glückſeligkeit iſt tot! Ich bin nicht Sagredo, ich bin der Schatten deſſen, der ich war, bis auch dieſer elende Körper in Staub zerfallen wird! Doch wie und wann, fragte ich, ſtarb jenes geliebte Weſen, die wegen ihrer Schönheit von aller Welt Geprieſene? Er ſagte: Nichts als die Liebe zu Euch könnte mich dazu bringen, Leiden zu erzählen, die mein Gedächtnis martern; doch da wir nicht wiſſen, welch ein Schickſal uns in dieſem engen Kerker erwartet, und da ich überzeugt bin, daß derjenige, der auf dieſe Weiſe das Gefühl meines Schmerzes erneuert, ihn auch mit mir empfinden und ihn nicht ver— ſpotten wird, ſo will ich durch Mitteilung die Laſt meines Herzens erleichtern und bei dem anfangen, was auch der Anfang meines Elendes war.

Neunzehntes Kapitel.

Als ich, zu meinem Unglück, die Königin der Welt, Madrid, unſer aller Mutter, verließ, hörte ich, in dem erſten Orte wohin ich kam, die Trommeln rühren und erfuhr, daß auf Des fehl Philipps des Zweiten Soldaten geworben wurden, welche die Enge von Magalhaes durchforfchen ſollten; und da ich von Natur mehr Neigung zu den Waffen als zu den Wiſſen⸗ ſchaften habe, warf ich dieſe auf die Seite und wandte mich mit ganz umgewandeltem Entſchluß an einen Hauptmann, der mein Freund war. Mein Geld verwandte ich auf die Waffen und die Uniform, in der ich der Donna Mergelina nicht übel | gefiel; und da ich fah, daß fie damit zufrieden war, fühlte ich mich noch mehr zu diefer neuen Lebensweiſe hingezogen. Ich 286

nahm fie mit mir, weil fie es wünſchte, was mir felbft ſehr lieb war. Auch befanden fich viele Männer mit ihren Frauen bei dieſem Zuge, denn der König wünſchte den Landſtrich mit ſeinen Vaſallen zu bevölkern. Hätte es doch Gott gefallen, daß ſie meiner Abſicht widerſtrebt hätte, denn mein Wille war dem ihrigen ſo ganz unterworfen, daß ich ohne ihre Bei— ſtimmung nie ſo unvorſichtig und übereilt einen Stand er— wählt hätte, der mit ſo viel Gefahr und Not verbunden iſt. Wir ſchifften uns in San Lucar ein, und als wir an den Golfo de las Deguas kamen, überfiel uns ein fo heftiger Sturm, daß uns faſt kein Brett geblieben wäre, uns darauf zu retten. Aber durch die Vorſicht des Admirals der Flotte, Diego Flores de Valdes, der dem Sturm auswich, kamen wir nach Cadix, wo wir zuerſt überwinterten. Von hier ſchifften wir aus und kamen mit großen Beſchwerden nach der Küſte von Braſilien. In San Sebaſtian überwinterten wir zum zweitenmal, beim Ausfluß des Janeiro, der einen ſehr großen und bequemen Hafen bildet. Wir blieben hier einige Zeit und konnten uns nicht genug über die große Menge der nackten Indianer wun— dern, deren Anzahl ſo groß war, daß ſie eine neue Welt hätten bevölkern können. Zuweilen verſchwanden einige von ihnen, ohne daß jemand wußte, was aus ihnen geworden war, und ein junger Meſtize von portugieſiſcher und indianiſcher Abkunft entſchloß ſich, dem Schickſal derer, die vermißt wurden, nach— zuſpüren. Er nahm einen kleinen runden Schild mit ſtählerner Spitze, ein gar treffliches Schwert, und ging an das Ufer des weiten Meeres. Da erblickte er von weitem ein See— ungeheuer, das darauf wartete, daß ein Indianer an das Ufer kommen ſollte, um ihn zu verſchlingen. Als er näher kam, richtete das Ungeheuer ſich auf, denn vorher hatte es auf den Knien gelegen, und nun reichte der Portugieſe ihm kaum bis an den halben Körper. Als das Ungeheuer ihn in der Nähe

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ſah, griff es ihn an und wollte ihn mit fich nehmen, wie es mit den andern verfahren war. Doch der tapfre Jüng⸗ ling hielt den Schild vor und verteidigte ſich mit ſeinem Schwert ſo gut er konnte, aber die Schuppen des Meertieres waren ſo hart, daß er es an keiner Stelle verwunden konnte. Die Schläge, welche das Ungeheuer ihm gab, waren ſo wuchtig, daß er es nicht wagte, ſie abzuwehren, ſondern immer mit großer Geſchicklichkeit auswich. Endlich verfiel er darauf, den kleinen Schild vorzuhalten, und zielte mit der ſtählernen Spitze ſo lange nach den Armgelenken des Tieres, bis das Ungeheuer ſo ſtark verwundet wurde, daß es ſich verblutete. Nachdem der Kampf einige Zeit gedauert hatte, fielen beide tot zu Boden. Der tapfere Jüngling ward geſucht, und ſie fanden ihn und das Tier an verſchiedenen Stellen entſeelt liegen. Der Kapitän Juan Gutierrez de Sama und ich gingen, von vielen Spaniern begleitet, hinaus, den Körper des ſchrecklichen Un: geheuers zu ſehen, den wir mit großem Staunen betrachteten. Im Meere ſind dort viele Sandbänke und Inſeln; auf einer der letzteren ſahen wir einſt eine Schlange, ſo wie ſie uns zuweilen, um uns zu erſchrecken, auf Bildern gezeigt werden. Ihr Rachen war wie der eines Hundes, ſehr groß und mit ſpitzigen Zähnen verſehen, ſie hatte Flügel von Fleiſch wie die Fledermaus, Körper und Bruſt waren ſehr groß, der Schweif wie ein kleiner gebogener Balken, und zwei Füße oder Hände mit Klauen vollendeten den ſchrecklichen Anblick. Wir richteten vier Flinten auf ſie, denn ſie lag in einem Bache, aus dem wir Trinkwaſſer ſchöpfen wollten. Ich war aber der Meinung, daß ſie, wenn ſie verwundet würde, wenigſtens einen von uns töten würde. Deshalb ließen wir von ihr ab, und als ſie uns ſah, entfloh ſie in das Dickicht, indem ſie eine breite Spur hinter ſich ließ, wie wenn ein Balken geſchleift worden wäre. Weil es aber mich und meine Erzählung 288

y A .

nichts angeht, fo fage ich weiter nichts von vielen Wunder: dingen, die wir noch ſahen. Wir ſetzten die Reiſe nach dem Ort unfrer Beſtimmung im Januar und Februar fort, wenn dort der Winter anfängt mit vielen ungeſtümen Winden. Wir mußten gegen neue entſtandene Strömungen der Flut kämpfen, die entweder von den hohen Bergen, von Vertiefungen unter dem Waſſer oder von den wütenden Stürmen herrührten und die uns in ſo große Gefahr brachten, daß viele unſrer Schiffe beſchädigt wurden und einige untergingen, ohne daß die andern ihnen zu Hilfe kommen konnten. Unter denen, welche Schiff— bruch litten, war auch das, worauf ich mich mit meiner Gemahlin befand. Wir gaben Notſchüſſe ab, die andern hörten uns aber nicht, oder konnten uns doch nicht zu Hilfe kommen, ein Schiff ausgenommen, das dem unſrigen am nächſten war. Die Matroſen waren gegen ihre Gewohnheit mitleidig und kamen ſo ſchnell herbei, daß die Ladung und die Menſchen gerettet werden konnten, ehe das Schiff verſank. Nachdem die Soldaten und Matroſen das Fahrzeug verſenkt und uns zu dem ihrigen hinübergebracht hatten, ſtanden ſie meiner Frau bei, die ſich ſehr übel befand; denn obwohl ſie einen männ⸗ lichen Mut beſaß, hatten doch die Beſchwerden und die über— ſtandene Angſt ihre Kräfte ganz erſchöpft. So ſtimmten denn alle darin überein, daß wir der Flotte erſt folgen wollten, wenn die Leute ſich etwas von der ausgeſtandenen Not erholt hätten. Wir entdeckten endlich eine menſchenleere Inſel, die wir mit einiger Mühe erreichten. Hier ruhten wir von der Angſt und Erſchöpfung aus, nahmen friſches Waſſer ein, das wir ſehr gut fanden und erquickten uns an einigen Früchten. Nach vierzehn Tagen ſchifften wir uns wieder ein und ſegelten der Flotte nach, die wir aber nicht erreichen konnten. Wir ent⸗ deckten die Meerenge, nachdem wir lange umhergeſchifft waren. Es zeigten ſich uns hohe Gebirge mit vielen fruchtbaren Bäumen 19 289

und zahlloſem Wild, wie wir von den Anſiedlern erfuhren, welche die Flotte dort gelaſſen hatte. Wir ſtiegen aber nicht an das Ufer, und unſer Hauptmann hätte es uns auch nicht geſtattet, weil wir umkehren mußten, um der Flotte zu folgen.

Zwanzigſtes Kapitel.

Während wir auf günſtigen Wind warteten, um die Schiffe zu wenden, ſahen wir eine Menge Vögel herankommen. Die Menſchen, obwohl ſie weiter nördlich groß und ſtark, ſind in dieſem Landſtrich ſo klein, daß die Vögel faſt das Land be⸗ ſitzen und die kleinen Menſchen vor ihnen entfliehen. Es kam ein ſo ſtarker Wind, daß wir ihm nicht widerſtehen konnten und durch die Meerenge ſegeln mußten, zum großen Nachteil der Schiffe. Denn da das Ufer ſeicht und voller Sandbänke iſt, ſo ſchleiften die Anker faſt im Sande, auch iſt der Boden der Meerenge nicht eben wie bei Gibraltar, ſondern bildet Krümmungen und Vertiefungen, und wir ſtießen auf die Anker auf, welche das Geſchwader dort zurückgelaſſen hatte. Die Gewalt des Windes war ſo unglaublich, daß die Schiffer kein Mittel fanden, das Schiff zu ſchützen. Wir fuhren nach der anderen Seite unter all' den Gefahren, mit denen uns die Stöße des Schiffes bedrohten, und die böſe Fahrt dauerte ſo lange, daß die größten Segel zerriſſen, und obwohl die an⸗ deren eingezogen wurden, ließen wir doch das Fockſegel an ſeiner Stelle, damit die ungeheure Wucht des Sturmes uns hinführe, wohin ſie wollte, konnten wir doch weder lavieren, noch erblickten wir ein Ufer, das uns Rettung gewährt hätte. Sechs Monate wurden wir ſo umhergetrieben, und es fehlte ſchon an allem, was zur Erhaltung des Lebens notwendig iſt. Die Wellen ſchleuderten uns umher, auf ungeheuren Meeren, die weder bekannt noch je beſucht waren, und wir verloren alle Hoffnung; denn wir wußten nicht mehr, wo wir waren, 290

Pe;

noch wohin wir uns wenden follten, und jeden Tag mußten wir darauf gefaßt ſein, von den furchtbaren Seeungetümen

verſchlungen zu werden. Die Lebensmittel waren ſo völlig ver—

zehrt, daß das Leder eines Mantelſacks ſeinem Beſitzer eine wohlſchmeckende Speiſe geweſen wäre, wenn er es hätte allein verzehren können. Immer ſchwebte der furchtbare Gedanke uns vor, welch ein Grab unſer warte, entweder in den tiefen Abgründen des Meeres, oder in den hungrigen Eingeweiden ſeiner ſchrecklichen Bewohner. Als wir nun ſchon glaubten, die ganze Welt ſei, wie zur Zeit der Sintflut mit Waſſer bedeckt, riefen plötzlich alle, wie mit einer Stimme: Land, Land, und wir ſahen eine Inſel, von ſo hohen Felſen um— geben, und dieſe mit ſo mächtigen Bäumen gekrönt, daß es uns eine zauberhafte Erſcheinung dünkte. Kaum hatten wir ſie geſehen, als ſie in demſelben Augenblick wieder verſchwand, und zwar nicht durch Zauberei, ſondern durch die Gewalt eines Stromes, der das Schiff, ohne daß wir ihm wider— ſtehen konnten, zurücktrieb und es in einen ſo gewaltigen Waſſerſtrudel ſtürzte, daß wir überzeugt waren, dieſer würde das Schiff und uns verſchlingen. Nachdem die Matroſen aber wieder zu ſich ſelbſt kamen und die Richtung, in welcher die Inſel lag, nicht verloren hatten, ſchien es ihnen, daß ſie mit Hilfe des Fockſegels eine Wendung nehmen könnten, bei der ſie den Strom im Auge behielten, ohne hinein zu ge— raten, und ſie hofften, ſich ſo der Inſel wieder zu nahen; ich aber war der Meinung, daß wir das Fockſegel einziehen und mit den beiden Booten, die am Hinterſchiff vertäut waren, das Schiff bugſieren ſollten. Denn wenn der Strom eines der Boote ergriff, konnten wir das Schiff immer noch um⸗ wenden, ergriff er aber das Schiff, ſo würden wir die Rich— tung und das Leben dazu verlieren. Wir empfahlen uns alle unſeren heiligen Schutzengeln mit den andächtigſten Gebeten 19° 291

und befeßten die Bänke mit denen, die noch die Stärkſten waren und am wenigſten von dem Mangel an Lebensmittel gelitten hatten. Sie ruderten abwechſelnd, und alle ſtärkte die Hoffnung, bald Land zu gewinnen. Auf der höchſten Spitze des Maſtes ward ein Menſch feſt gebunden, der mit der größten Wachſamkeit beobachtete und uns jede Entdeckung mitteilte. Nach zwei Tagen, als wir ſchon glaubten, den Weg zu unſerer Rettung verloren zu haben, ſahen wir jene ſchroffen, geſpaltenen Felſen wieder, die höher als die Klippen von Gibraltar und mit ſchönen Bäumen bedeckt waren. Bei die⸗ ſem Anblick ſtieg der Mut unſerer Gefährten ſo ſehr, daß wir ihnen die Ruder aus den Händen nehmen mußten; denn ihr heftiges Verlangen, das Ufer zu erreichen, machte ſie ſo unvorſichtig, daß wir beinahe zum zweitenmal in den Strom geraten wären, und demzufolge in Elend und gänzliche Ver⸗ zweiflung. Ich rief ihnen aber mit lauter Stimme zu: Freunde, da uns Gott nach ſo vielem Unheil, Hunger und Beſchwerden, Gelegenheit gibt, zu zeigen, wie viel die Vorz ſicht vermag, verbunden mit einem mutigen Herzen, das ſo lange unerſchüttert geblieben iſt, obwohl es die Zielſcheibe war, gegen welche das Geſchick den ganzen Köcher feines Zornes ausleerte: ſo laßt jetzt nicht Klugheit und Geduld fehlen, um zu bedenken, daß wir jetzt dem Tode näher ſtehen, als die ganze Zeit, in der das Schickſal mit unſerem Leben ſpielte. Sonſt können wir nur uns allein die Schuld beimeſſen, wenn wir uns in dieſe augenſcheinliche Lebensgefahr ſtürzen, die wir gleichſam ſchon mit den Händen gegriffen und mit den Augen geſehen haben. Sie folgten in dieſer wichtigen Sache meinem Rate, und wir näherten uns der Inſel mit ſo großer Vorſicht, daß, obwohl das eine der Boote etwas in den Strom geriet, wir doch durch die Aufmerkſamkeit der Seeleute nur geringen Schaden erlitten, der leicht wieder gut zu machen 292 ;

war. Wir ruderten fo lange und fo vorfichtig, daß wir kaum eine halbe Meile weit von der Inſel entfernt waren, und dem Strome ſehr nahe, der nach der Meinung der Erfahrenſten, ganz nahe bei der Inſel entſprang und ſich nach beiden Seiten fo ausbreitete, daß die Landung unmöglich und die Inſel uns zugänglich war, wie wir ſie auch die Unzugängliche benann— ten. Zwar war der Strom hier nicht ſo breit, wie wir ihn in der weiten Entfernung zu unſerem Schaden gefunden hat— ten, aber er war dafür wegen des geringen Umfanges weit heftiger. Endlich, da wir zweifelhaft waren, und uns wegen deſſen, was zu tun war, nicht zu raten wußten, ſprach ich mit Entſchloſſenheit: Dort iſt Land und Felſen, alſo muß auch hier beides ſein. Ich ließ daher reſolut die Anker aus— werfen, und bald faßte dieſer wirklich ſo feſt, daß alle er— freut waren und auf Rettung hofften. Als dies geſchehen war, ließ ich mir alle Seile und Stricke geben, an denen ein großer Überfluß war, ſowie an Pulver; denn wir hatten nicht Gelegenheit gehabt, dieſe Dinge zu verbrauchen. Ich verband ein Seil feſt mit dem anderen, und es waren deren ſo viele, daß das Boot, an ihnen befeſtigt, bis zur Inſel kommen konnte. Ich ließ fünfzig meiner Gefährten, die Stärkſten, die unter uns waren, hineinſteigen, mit ihren geladenen Flin— ten und wohlgefüllten Pulverflaſchen. Ich folgte ihnen, nach- dem ich die im Schiffe Zurückbleibenden unterwieſen hatte, daß fie, auch wenn der Strom uns fortriſſe, das Seil nach⸗ laſſen ſollten, um zu ſehen, wohin der Strom uns führen würde. Er riß uns gewaltſam fort, doch unter dem Schutze unſeres heiligen Schutzengels traf das Boot kein anderer Unfall, als daß es mit großer Schnelligkeit hinweggeführt ward. Nach kurzer Zeit befanden wir uns in einer Bucht, an dem Ufer der Inſel, wo es ſehr ſteil war, ſo daß, wenn der Strom uns mit großem Ungeſtüm hingebracht hatte, wir

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nun um fo größere Nube tn dem Hafen fanden, in den er uns fchleuderte. Dies war eine ebenſo glückliche, wie unerz wartete Begebenheit, und wir ruderten nun dicht an die hohe Felswand heran, um einen Platz zum Anlanden zu ſuchen. Alsbald erblickten wir an der Spitze, die der geſchützte Hafen. bildete, ein Götzenbild von ungeheurer Größe und wunder⸗ barer Arbeit, und ſo ſeltſam, wie ich nie etwas geſehen oder mir gedacht hatte. Es war fo groß wie ein Turm und ftand: auf zwei Füßen, wie ſie für die Größe des Körpers paſſend waren. Es hatte nur einen Arm, der von beiden Schultern ausging und ſo lang war, daß er weit über die Kniee hinab⸗ reichte. In der Hand hielt er eine Sonne oder die Strahlen einer ſolchen; der Kopf ſtand im richtigen Verhältnis zum übrigen, doch hatte er nur ein Auge, und vom unteren Augenlide an ſenkte die Naſe ſich hinab, an welcher nur ein Naſenloch war. Auch zeigte er nur ein Ohr und das am Hinterkopf. Der Mund war offen und ſchien mit den ſpitzen Zähnen zu drohen; der Bart war kurz und von ſehr dicken Haaren, auf dem Kopfe hatte er aber wenig und wirre Haare. Obwohl dieſer Anblick uns hätte abſchrecken können, uns zu nähern, ſo richteten wir doch, da es hier auf die Erhaltung unſeres Lebens ankam, unſeren Lauf nach dem Götzenbilde, wo der kleine Landungsplatz der Inſel war, die noch nie von Menſchen beſucht worden war. In dem Augen blick, da wir das Boot auf Strand laufen ließen, erſchienen zwei ungeheure Rieſen, ganz ſo geſtaltet, wie ich das Bild beſchrieben habe; jeder ergriff unſer Boot an einer Seite, und unſer Schreck, ſowie ihre Kraft waren ſo groß, daß ſie uns, ohne daß wir uns verteidigen konnten, in eine Höhle warfen, die ſich am Fuße des Götzenbildes befand. Einen unſerer armen Gefährten, der ſo kühn war, ſein Gewehr loszudrücken, ergriff der eine dieſer Rieſen, umfaßte mit der 294

Hand die Mitte feines Körpers und ſchleuderte ihn fo weit hinweg, daß wir ihn in großer Entfernung in das Meer ſtürzen ſahen. Ich war ſo vorſichtig geweſen, daß ich, ehe wir landeten, das Boot an einen Baum band, der am Eins gang der Höhle ſtand; denn es wäre ein großes Unglück für uns geweſen, wäre ich der Gefahr, daß unſer Boot vom Waſſer hinweggetrieben wurde, nicht zuvorgekommen.

Einundzwanzigſtes Kapitel.

Nachdem die Rieſen uns in die Höhle geworfen hatten, verſchloſſen ſie den Eingang derſelben mittelſt eines Baum: ſtammes, der über der Offnung hing, und den ſie, nach Art einer Falltüre, niederfallen ließen, und bei deſſen Fall nicht nur die Höhle und das Götzenbild erbebte, ſondern durch den Luftzug, der infolgedeſſen aus einer Offnung der Höhle herausdrang, ward auch das Meer bewegt und ſtieg in großer Wallung empor, und wir hörten, wie unſer Boot heftig gegen das Ufer geſchlagen wurde. Ich glaube, ich irre mich nicht, wenn ich ſage, daß der Stamm dreißig Ellen im Umfang hatte und mehr als ſechzig lang war, auch beſtand er aus einer ſo feſten Maſſe wie der härteſte Stein. Nachdem die Rieſen ihren Götzen dieſen Dienſt getan hatten, fingen ſie an zu ſpringen und zu tanzen, indem ſie mit kleinen Handpauken ſo wilde unharmoniſche Töne hervorbrachten, daß man eher ges glaubt hätte, dieſes Getöſe komme aus einem unterirdiſchen Gewölbe, als daß es eine Tanzmuſik ſei. Während ſie mit ihren Spielen beſchäftigt waren und ſich auf unſere Unkoſten beluſtigten, beweinten wir unſer Unglück und unſer böſes Ge⸗ ſchick, das uns ſo gewaltſam in dieſen Hafen geführt hatte. Denn obgleich wir einer ſcheinbaren Erleichterung nach unſerer ſchweren ununterbrochenen Arbeit genoſſen, mußten wir doch nun hier vor Hunger und Durſt ſterben, von den Leichnamen

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derer umringt, die früher dem unerſättlichen Götzen geopfert worden waren. Da wir aber in keiner Widerwärtigkeit den Mut verlieren ſollen, und da das Leiden der Prüfſtein des Mutes und Verſtandes iſt, ſo ſann ich ſogleich auf ein Mittel, durch welches wir uns aus dieſer Bedrängnis retten könnten, und zu welchem Entſchloſſenheit, Liſt und Geſchwindigkeit ſich vereinigen mußten. Während jene fic) mit ihren Tänzen be: luſtigten; denn im Grunde waren es einfältige Menſchen, und ſie glaubten, dadurch, daß ſie uns in die dunkle Höhle geſperrt, ſei alles zu Ende, konnten wir, obwohl mit Mühe, unſern Plan ausführen und zwar auf folgende Weiſe: Ich nahm ſo viel Stricke als ich für nötig hielt, und machte aus den weißen Knochen der Toten, die ſie geopfert hatten, in⸗ dem ich die kleinſten erwählte und die, welche ſchon am meiſten vom Fleiſch entblößt waren, eine Leiter, auf welcher wir zu der obenerwähnten Offnung hinaufſteigen wollten. Dies konnte nicht ohne Schwierigkeit geſchehen, denn da die ganze Höhle harter Fels war, konnten keine Löcher ange⸗ bracht werden, um hinauf zu ſteigen und die Leiter feſt zu machen. Aber die Not iſt eine geſchickte Lehrmeiſterin, und hier galt es nicht weniger, als das Leben, wenn wir kein Mittel fanden, die Leiter zu befeſtigen. So nahm ich denn einen Wirbelknochen, der ſchon ganz getrocknet war, zog durch die Mitte einen Strick und hielt die beiden Enden feſt in der Hand. Nun verſuchten wir alle mit der größten Kraft, den Knochen oben durch die Offnung zu werfen, und ein junger Burſche, der in den Bergen von Ronda aufgewachſen war, hatte ſo viel Geſchicklichkeit und Kraft, daß es ihm gelang, die ſpitz zulaufende Offnung mit dem Knochen zu treffen, ſo daß er quer darin eingeklemmt blieb. Nun band ich die Leiter an das eine Ende des durchgezogenen Strickes, zog das andere Ende herunter und ſo die Leiter hinauf. 296

Indem meine Gefährten den Strick hielten, flieg ich die Leiter vorſichtig hinauf und befeſtigte ſie ſo gut, daß alle die Offnung erreichen, und von da aus zu unſerm Boot ge— langen konnten. Nachdem ich dieſe ſinnreiche Erfindung ge— macht hatte, kletterte ich wieder hinab, nahm alles Pulver aus den Pulverflaſchen, und während meine Gefährten hinauf und hinunter zum Boote ſtiegen, legte ich unter dem Götzen— bilde, wo ſich viele dazu geeignete Offnungen befanden, eine Mine an; ich bedeckte ſie gehörig und legte einen angezündeten Strick, eine knappe Spanne lang, daran. Nun ſtieg ich die Leiter hinan, ſprang in das Schiff, und wir ruderten ſchnell ſo weit, daß wir ſicher waren. Kaum hatten wir uns umgeſehen, um zu beobachten, was geſchehen würde, als die Mine losging und zwar mit ſo ungeheurem Krachen, daß das Meer davon erſchüttert ward, und man den Donner auf der ganzen Inſel hören konnte. Der Götze fiel mit furcht: barem Gepolter auf die Tanzenden und zerſchmetterte andert— halb Dutzend derſelben. Die andern, als ſie ſahen, daß der— jenige, auf den ſie ihr Vertrauen ſetzten, ihre Gefährten ge— tötet hatte, ergriffen die Flucht und liefen landeinwärts. Da ſie den Ort, von dem wir uns nicht entfernen durften, verlaſſen hatten, ſtiegen wir ans Land, banden das Schiff feſt und warfen uns alle zugleich nieder, um die Erde zu küſſen und dem Schöpfer dafür zu danken, daß wir nur end— lich wieder auf unſerm Elemente uns befanden. Obwohl die Niederlage, welche der Götze angerichtet hatte, uns er— ſchreckte, und der Anblick, welcher ſich jetzt unſern Augen darbot, uns hätte zurücktreiben können; denn der ganze Boden war mit den Leichen dieſer Ungeheuer bedeckt, ſo ermutigte uns doch die Überzeugung, daß wir an dieſem Ufer nichts mehr von ihnen zu fürchten hätten. Hunger und Durſt fanden hier Befriedigung, denn wir entdeckten Bäume mit den wohl⸗

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ſchmeckendſten Früchten und einen ſchönen Quell, der am Fuße eines Felſens entſprang und noch klarer war als die Augen, welche ihn ſuchten. Ich ermahnte meine Gefährten, Früchte und Waſſer mit Mäßigkeit zu genießen, damit die Gaben, welche unſer Leben erhalten ſollten, uns nicht den Tod brächten. Indem wir uns umſchauten, ſahen wir, daß einer von den Rieſen, auf die der Götze gefallen, noch am Leben war, zugleich aber bemerkten wir, daß er ganz zerſchmettert und ihm die Beine gebrochen waren, ſo daß er ſich nicht bewegen konnte. Wir gaben ihm zu verſtehen, er ſolle uns anzeigen, wo Lebensmittel zu finden wären, und er deutete mit der Naſe, denn er konnte kein Glied bewegen, nach einer Höhle, deren Eingang von dichten grünen Bäumen verdeckt war, ſo daß es für die Eingeborenen freilich ſchwer ſein mußte, hineinzukommen, aber nicht ſo für uns. Wir erfuhren hernach, daß nur dann jemand hineingehen durfte, wenn die Lebensmittel zum allgemeinen Gebrauch herausge⸗ holt werden ſollten, wenn er nicht eine Zeitlang zum Faſten verurteilt ſein wollte. Wir fanden die Höhle geräumig, hell und in viele Gemächer abgeteilt. Hier lagen getrocknete Fiſche und Fleiſch in großer Menge, ſehr gutes geſalzenes Fleiſch, dazu Früchte, größer und wohlſchmeckender als die Haſel⸗ nuß, deren ſie ſich ſtatt des Brotes bedienten, und noch viele andere Lebensmittel, mit denen wir das Boot beluden. Dann füllten wir zwölf Schläuche mit ſüßem, friſchem Waſſer und kehrten zu unſern Gefährten zurück, die ſchon glaubten, wir ſeien nicht mehr am Leben. Alle ſtärkten ſich nun durch Speiſe und Trank, und nachdem wir dafür geſorgt hatten, daß einige von denen, welche ſchon auf der Inſel geweſen waren, zum Schutz der Frauen zurückblieben, ruderten die anderen in den Booten hinüber, indem ſie ſich, wie wir vorher, der Seile bedienten, denn auf andere Weiſe war es nicht mög⸗ 298

lich, zu landen. Mit gefülltem Magen und wohlverſehenen Pulverflaſchen kehrten ſie zu uns zurück.

Zweiundzwanzigſtes Kapitel.

Die Erzählung des Doktor Sagredo ward durch einige Portugieſen unterbrochen, welche mit vier Ladungen Leinwand von Vendeja kamen, auf einem Fußwege, auf welchem ſie nach ihrer Meinung von den Räubern nichts zu fürchten hatten, weil er erſt ſeit kurzem gangbar war. Dieſe kannten ihn aber beſſer als die Portugieſen und ergriffen ſie vor dem Eingang unſerer Höhle, fo daß die Armen, von dem uner— warteten Angriff erſchreckt, auf die Knie fielen und riefen: O um Gottes willen nicht umbringen uns Arme, wir ſchlechte Kerle, kein Rache nehmen an uns, denn ſein, wahrlich beim Himmel, echte Kaſtilianer.

Seid ruhig, Dummköpfe, ſagte der Anführer; denn wir wollen nichts von euch, als daß ihr uns eure Leinwand für den Preis verkauft, den ihr dafür gegeben habt. Mit gar zu gerner Freiwilligkeit 61, antworteten jene und zogen ihre Bücher heraus, wo der Preis der Leinwand eingeſchrieben war. Jeder von den Räubern forderte nun ſo viel, als er brauchte, und der Hauptmann befahl ihnen, zu bezahlen, ehe ſie die Leinwand in Empfang nahmen. Ich mußte mich im ſtillen ver⸗ wundern, daß ſie mit den Portugieſen ſo glimpflich verfuhren. Dieſe nahmen das Geld und machten ihre Ballen auf, um die Leinwand zu meſſen; als ſie aber eben die Elle ergriffen, ſagte der Hauptmann: da wir eine freie Republik bilden, haben wir unſer eignes Maß und Gewicht und gebrauchen die Ellen nicht, die bei euch Mode ſind; er forderte nun eine Elle, um die Leinwand zu meſſen, und es ward ihm eine Pike gebracht, welche die Länge von fünfundzwanzig Palmen hatte. Mit dieſer mußten ſie meſſen, und ſie gaben jedem ſo viel

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Ellen als er verlangt hatte. Die Räuber lachten und die Portugieſen ſchwiegen und gingen, von ihrer Bürde befreit, weiter. Wir lachten auch, nur der Doktor Sagredo nicht, der ſeine Erzählung folgendermaßen fortſetzte: Ehe das Rad unſres Glückes ſich wieder drehte, benutzten wir die Zeit ſo gut, daß wir faſt die ganze Höhle ausleerten, unſer Schiff aber mit friſchen und getrockneten Früchten, gedörrten Fiſchen, ge— ſalzenem Fleiſch, Waſſer und anderen ſehr wohlſchmeckenden Getränken, die jene Rieſen bereiteten, verſorgten. Unſere Lage war aber nicht ſo ſicher, daß uns nicht endlich die Rieſen doch noch überfallen hätten. Da wir das Land ſo ungeſtört betraten, und die gehabte Not und Arbeit auf dem Meere uns die Ruhe auf der Erde doppelt lieblich erſcheinen ließ, ſo genoſſen wir ſie ſo unvorſichtig, daß wir in den friſchen Räumen jener Höhle einſchliefen; denn ſie war ſo angenehm durch die vielen Säle, die alle mit Lebensmitteln erfüllt waren, durch die rinnenden Quellen, welche hin und wieder ſich er— goſſen, wodurch dieſer Ort ſo einladend wurde, daß wir hier unſere Hütten aufgeſchlagen hätten, wäre uns die Erholung auch nicht ſo nötig geweſen. Zwei Tage verlebten wir an dieſem kühlen erfriſchenden Aufenthalt; am dritten, ungefähr in der Mittagsſtunde, hörten wir ein ſtarkes Geräuſch von Trommeln und herannahenden Menſchen. Wir verſammelten uns ſchnell und riefen: Zu den Waffen! Denn alle Rieſen, die auf der Inſel waren, kamen über uns. Wir ergriffen unſere Gewehre, aber wir hatten weder eine brennende Lunte, noch Feuer, woran wir ſie hätten anzünden können, und es war niemand da, der uns aus dem Schiffe Feuerſtein, Stahl und Zunder geholt hätte. Einige unter uns riefen ſchon: Wir ſind verloren! Aber ehe die Furcht ſich noch ganz der Gemüter bemeiſtern konnte, da die Verteidigung unmöglich ſchien, in⸗ dem wir uns eingeſchloſſen ſahen und unſere Feuergewehre 300

nicht benutzen konnten, gab ich Befehl, daß die Gefährten die Stämme, welche die Wände zwiſchen den Gemächern bildeten, losriſſen und ſie quer an den Eingang der Höhle hinlegten, damit die Feinde darüber fallen möchten, wenn ſie das Hindernis der Bäume überwunden hätten, welche, wie ich ſchon früher bemerkte, den Zugang für die Rieſen erſchwerten. Während dieſes geſchah, nahmen die übrigen von uns je zwei ſehr trockene Hölzer von Maulbeerbäumen, Efeu, Gertenkraut, oder was wir eben fanden, und indem wir ſie ſtark gegeneinander rieben, fingen ſie endlich an zu rauchen und dann zu brennen, ſo daß wir unſere Lunten anzünden und die Feuergewehre be— nutzen konnten. Zu allen dieſen Vorkehrungen hatten wir Zeit genug; denn die Abſicht der Rieſen war nicht, uns ſogleich anzugreifen, da ſie uns ſchon für mehr als tot hielten. Sie kamen, um die Verheerung zu betrachten, die ihr Götze an— gerichtet hatte; denn diejenigen, welche mit dem Leben ent: kommen waren, hatten dem Anführer Nachricht davon gegeben, den ſie Hazmur nannten, und der jetzt mit großer Feierlich— keit herbeigebracht wurde. Sie trugen ihn auf vier großen Balken in einem Seſſel, der, wie ein Korb, aus Weidenruten geflochten war, und zeigten ihm, wie der, den ſie anbeteten, in Stücke geſchlagen war, und wieviele er durch ſeinen Fall getötet und zerſchmettert hatte. Unſer Aufenthalt wäre ihm, bei alledem, verborgen geblieben, wenn derſelbe gelähmte Rieſe, der uns die Höhle zeigte, ihm jetzt nicht auch von uns Kunde gegeben hätte. Nun beſtürmten ſie ſogleich den Eingang der Höhle, indem ſie Steine hineinſchleuderten, und die Bäume, welche den Durchgang verwahrten, ausrauften, obwohl jeder, der ſich näher wagte, entweder in die Balkenfalle fiel, oder von unſern Flinten getroffen ward. Viele waren der Meinung, man ſollte nur immer nach dem Auge zielen, das ſie auf der Stirne trugen, weil ſie hernach, ohne den Beiſtand desſelben,

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den Eingang der Höhle nicht finden könnten; ich riet aber, die Flinte mit zwei Kugeln zu laden und nach ihren Beinen zu ſchießen, weil das Zielen nach dem Auge nicht ſo ſicher war. Alle fielen, indem die Balken, die wir aufgeſchichtet, und die eng beiſammen ſtehenden Bäume am Eingang uns zu Schieß⸗ ſcharten und Bollwerken dienten. Die Steine oder Felſen⸗ ſtücke, die ſie in die Höhle ſchleuderten, hätten uns vielen Schaden zufügen können, da aber ihre Gewalt durch die Bäume und das Bollwerk gebrochen ward, taten ſie uns wenig oder nichts. Es gelang ihnen ſo ſchlecht, daß der Anführer, der über das, was ihm ein ganz neues Schauſpiel war, ſtaunte, ihnen befahl, ſich von der Höhle, die ſie beſtürmten, oder viel⸗ mehr, von der ſie beſtürmt wurden, zurückzuziehen; denn es ſchien ihm, da der Götze einen ſo furchtbaren Fall getan habe, und nun die, welche fie für tot hielten, die Lebenden ver— wundeten, es müſſe eine höhere Macht ſein, die ihnen ſo großes Unheil zufüge. Sie gehorchten ſogleich und zogen ſich zurück. Auf ihrer Seite waren einige gefallen, und auf unſrer Seite hatten wir keinen Verluſt. Durch Zeichen machten ſie uns Beteuerungen des Friedens und der Freundſchaft; der Ans führer erhob die Hand und blickte zum Himmel, wodurch er zu verſtehen geben wollte, wir könnten uns frei und ohne Furcht zeigen, ihm ſagen, wer wir wären und warum wir dies Ufer betreten hätten. Für uns geſchah dies zur rechten Zeit, denn es hätte uns bald an Munition gefehlt. Wir rückten nun mutig heraus, in drei Reihen geteilt und beim übereinſtimmenden Klange der Trommeln. Das Vergnügen dieſes einfältigen Volkes, wenigſtens derer, die nicht verwundet waren, war ſo groß, indem ſie unſre geordnete Schar ſahen und die Trommeln hörten, daß die harten Waffen ihnen aus den Händen fielen, und ſie mit großer Freude und Verwunderung ihren Herrn anſahen, der in ſeinem Seſſel, auf den Schultern derer, die 302

ihn trugen, geblieben war. Auch dieſem vergingen faft die Sinne, als er dieſe kleinen Menſchen erblickte, die zwei Arme und Beine und ſo viele Glieder des Körpers doppelt hatten; noch mehr ſtaunte er aber über den Mut und die Ordnung, in welcher wir ausrückten. Wir machten am Eingang der Höhle Halt und betrachteten dieſe furchtbaren Menſchen, welche mit Tierhäuten und bunten Federn bedeckt waren. Ihr An: führer hatte eine ernſte Haltung, und alle ſchienen ihn zu ehren, zu fürchten und ſeinen Befehlen zu gehorchen. Wir überlegten, auf welche Art wir uns ihnen deutlich machen, uns durch die einfachſten und verſtändlichſten Zeichen recht— fertigen und unſere Meinung zu erkennen geben könnten. Alle

Weitläufigkeiten, Zeichen und andere Schwierigkeiten der Ver-

ſtändigung übergehend, ſage ich nur kurz, daß der Anführer an uns drei Fragen richtete. Ob wir Kinder des Meeres wären? Wenn wir es wären, weshalb wir ſo klein erſchienen? und da wir ſo klein wären, wie wir es hätten wagen können, uns unter ein ſo großes Volk, wie das ſeinige, zu begeben? Auf die erſte Frage antworteten wir, wir wären nicht Kinder des Meeres, ſondern Kinder des wahren Gottes, der auch ein Herr des ihrigen ſei, und als ein ſolcher ſie geſtraft habe, weil ſie uns töten wollten, als wir, vom Meere ausgeworfen, uns in ihren Schutz begeben hätten. Im übrigen antworteten wir, die Größe beſtehe nicht in der Höhe des Körpers, ſondern in der Kraft und dem Mute der Seele; mit ihr ausgerüſtet, dürften wir es wagen, jedes Land zu betreten und über die Wellen des wütenden Meeres zu ſegeln. Die Kinder des wahren Gottes, der Himmel und Erde erſchaffen habe, fürchteten die Leiden nicht, welche ihnen von Menſchen zugefügt werden könnten, namentlich wenn dieſe nicht an den wahren Gott glaubten, den höchſten Herrn über alle Mächte des Himmels und der Erde, und den Schöpfer der Sonne, die ſie anbeteten.

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Als fie hörten, daß die Sonne felbft noch einen Herrn über ſich habe, ward das Geſpräch abgebrochen, und er fragte, zu welchem Zweck wir hieher gekommen wären? Wir ſagten die Wahrheit, erzählten von unſren Leiden, und führten ihnen zu Gemüte, wie die Geſchöpfe als Kinder eines Gottes verpflichtet ſeien, ſich in ihren Leiden und Bedrängniſſen gegenſeitig bei⸗ zuſtehen und zu helfen, und daß wir ihn darum bäten, als einen Mann, der die andern beherrſche und von Gott eingeſetzt ſei zu richten und Lohn und Strafe zu beſtimmen. Er gab uns durch Zeichen zu verſtehen, daß er ſich über unſre Antwort wundere, und daß alles, was wir geſagt hätten, ihm ſehr gut ſchiene, daß er aber, ohne dem König der Inſel zuvor von dieſem ſeltſamen Ereignis Nachricht zu geben, uns weder aufnehmen, noch unterſtützen dürfe, denn es würde ihn das Leben koſten, wenn er es täte. Wir baten ihn, er möge uns erlauben, vier von unſern Gefährten zum Schiffe zu ſchicken, indem wir ihm ſagten, wir müßten den Unſrigen Lebensmittel ſenden. So ſchnell ſie konnten, eilten die vier nach dem Boot und gaben denen im Schiff das Zeichen, die Seile anzuziehen 60. Unterdes ſchickte der Befehlshaber einen Boten an den König, ihm Nachricht von dem Vorfall zu geben. Dieſer Bote war ein Hund, deſſen ſie ſich bei eiligen Beſtellungen bedienen. Sie gaben ihm ein ausgehöhltes Rohr in den Mund, in welches ſie einige große Baumblätter legten, auf dieſe ſchrieben ſie mit wenigen Zeichen das, was ſie ihrem Herrn mitteilen wollten, dann rollten ſie die Blätter eng zuſammen und ſteckten ſie in das Rohr. Dem Hunde banden ſie dann einen Riemen um die Schnauze, den ſie ſo feſt anzogen, daß er das Rohr nicht herausfallen laſſen, ebenſowenig freſſen oder ſaufen, und nur Atem ſchöpfen oder ſchnaufen konnte. Als er ſo ausgerüſtet war, beurlaubten ſie ihn mit vier Schlägen, damit er zu ſeiner Beſtimmung, die vier Meilen weit entfernt war, ſchneller 304

gelangen ſollte. Wenn die Leute dort ihn ankommen faben, gingen ſie ihm entgegen, gaben ihm zu freſſen und zu ſaufen und ſchickten dann einen andern Hund weiter. Dieſe Poſt konnte in einem Tage hundert Meilen zurücklegen; dem Götzen wurde jeder geopfert, der einen ſolchen Hund auf ſeiner Reiſe ſtörte oder ihn aufhielt, daß er die Wohnung oder den Nube: ort nicht erreichen konnte, wo immer Hunde gehalten wurden, die man hungern ließ, damit ſie mit größerer Eile zu der nächſten Station laufen möchten. Während meine Gefährten ſich nach dem Schiffe begaben, erteilte der Anführer den Befehl, man ſolle ſie nicht, ohne zu unterſuchen, was ſie mit ſich brächten, in die Höhle und ebenſowenig uns hinaus⸗ gehen laſſen, mit der Drohung, daß, wenn irgendeiner dies Gebot überträte, ſie ihn töten würden. Wir hofften auf die Rückkehr unſerer Gefährten, weil ſie Pulver und Kugeln mit⸗ bringen ſollten, denn von beiden war uns nur noch wenig geblieben. Der Anführer befahl, daß während der Nacht ſechs Wächter am Eingang der Höhle bleiben ſollten, denn am Tage konnten ſie uns alle beobachten. Es blieb uns kein anderes Mittel, als den Gefährten, die zurückkamen, zuzu⸗ rufen, ſie möchten bei dem Boote verweilen, bis wir eine Liſt erſonnen hätten, durch welche wir ihnen den Durchgang zu uns frei machen könnten. Ich überlegte, wie ich bei der Nacht die Wachen täuſchen könnte, und befahl den Freunden, daß ſie, ſobald ſie ein Geräuſch vernähmen, ſo ſchnell als möglich in die Höhle laufen möchten. Am Tage, als die Wachen ihren Poſten verlaſſen hatten und die übrigen ſich wenig um uns kümmerten, beſtreute ich den Boden, an den Stellen, an denen ſie geſeſſen hatten, mit Pulver, welches mit zerſtoßenen Kieſelſteinen gemiſcht war, und machte ſo von ihren bis zu unſern Poſten eine ſchmale Straße von dieſem Pulver. Als die Nacht kam, begaben ſich die ſechs Wachen auf ihre 20 305

Plätze; einige ſetzten fic) nieder, andre ſtreckten ſich mit ihren bloßen Beinen, denn ſie trugen keine Beinkleider, auf den Boden hin. Nun zündeten wir die Straße an einem Ende an, infolgedeſſen flammte das Pulver, auf dem ſie lagen, auf, und das Pulver ſowie die Steine verletzten ihnen jene Teile ſo, daß ſie mehrere Tage nicht mehr ſitzen konnten. Sie und die übrigen glaubten in ihrer Dummheit, das Feuer ſei aus der Erde gekommen, und liefen voll Furcht und Verwun⸗ derung zu ihrem Anführer, um es ihm zu erzählen. Die Gefährten, mit zwei andern, die im Schiff geblieben waren, kamen nun eilig in die Höhle und brachten ſechs Beutel mit Kugeln und Pulver mit, die uns neuen Mut gaben und uns für jeden Fall, der ſich ereignen konnte, zur Verteidigung tüchtig machten. Wir brachten die Nacht nicht ohne Sorgen zu, wir ſtellten Schildwachen aus und verſchanzten uns von neuem mit den Balken; da jene aber nicht dachten, daß die Schädigung von uns veranlaßt ſei, ſo kümmerten ſie ſich nicht um uns. Am Morgen, als die Sonne aufging, ſahen fte alle zu ihr hinauf, begrüßten fie mit Geheul und Rohrflöten⸗ muſik und mit ganz wenigen Worten, die ſie oft wiederholten.

Dreiundzwanzigſtes Kapitel.

Der Hund oder Eilbote kam mit ſeinem Rohr im Munde zurück, in welchem in ihrer Schrift geſchrieben ſtand: ſie ſollten nicht leiden, daß wir auf der Inſel blieben; denn Menſchen, welche doppelte Gliedmaßen hätten, hätten ebenſogut doppelte und zweideutige Abſichten. Auch wegen Erhaltung des Friedens, den ſie immer geliebt hätten, könnten ſie es nicht dulden, daß Fremde ſich des Landes bemächtigten; denn wenn in ihrem Staate jemals eine Empörung entſtände, ſo hätten die Unzufriedenen alsdann eine Unterſtützung, und das Unglück würde weit größer werden. Alſo befahl man, ſie ſollten uns 306

nicht geftatten, länger auf der Inſel zu verweilen, fondern uns in Frieden ziehen laſſen. Nach dieſem Befehl bewilligten ſie uns ſichern Abmarſch, verlangten dieſen aber ſogleich, und daß wir keinen halben Tag mehr auf der Inſel bleiben ſollten. Wir gingen ſchneller, als ſie es verlangten, da wir uns wohl denken konnten, was erfolgen würde; denn kaum waren wir in unſerm Boot, als ſie die Höhle unterſuchten, und als ſie dieſe ganz ausgeleert fanden, kamen ſie an das Ufer und ſchleuderten uns Steine und Felſenſtücke in ſolcher Menge nach, daß, wenn das Boot nicht von denen im Schiff ſchnell herangezogen worden wäre, ſie uns hundertmal in die Tiefe verſenkt hätten. Wir kamen an, und meine Gemahlin ſowie die übrigen Frauen im Schiff waren ſo erfreut, uns wieder zu ſehen, als wenn wir viele Jahre entfernt geweſen wären. Da die Matroſen, welche ruhig im Schiff zurückgeblieben, ſich erholt hatten und nicht müßig geweſen waren, ſo fanden wir die Segel ausgebeſſert, die Gerätſchaften und den äußern

Bau des Schiffes in beſſeren Stand geſetzt, und alles nötige

wieder hergeſtellt. Mit dem erſten günſtigen Winde verließen wir dieſe unzugängliche Inſel, ſo mit Lebensmitteln verſehen, daß wir eine Reiſe um die Welt hätten machen können. Da die unſrige nicht ſchnell vonſtatten ging, kamen wir erſt nach Verlauf eines Jahres und nach vielen überſtandenen Beſchwerden in die Nähe der Meerenge von Gibraltar, wo mich mein allerbitterſtes Leiden traf; denn als unſer Schiff von der langen Reiſe und den vielen Stürmen übel zugerichtet war, kam ein Schiff der Ungläubigen, das uns im Angeſicht von Gibraltar ſo beſchoß, daß wir uns ergeben mußten. Nachdem ſie einige unſrer Gefährten getötet hatten, kamen fie an Bord und führten meine Gemahlin, einen Pagen, der uns bediente, und die Frauen meiner Gefährten gefangen hinweg. Da wir Gib— raltar nahe waren und die Einwohner Mut und Menſchenliebe 232 307

beſitzen, kamen fie uns mit der möglichſten Schnelligkeit in zehn oder zwölf Fahrzeugen zu Hilfe, von Don Juan Serrano und ſeinem Bruder Don Francisco angeführt, welcher einem tapfern Hauptmann der Ungläubigen einen ſolchen Schwert- ſtreich verſetzte, daß er den eiſernen Helm zerhieb und ihm den Kopf ſpaltete, ſo daß er entſeelt ins Meer ſtürzte, was uns das Leben, meiner Gattin aber den Tod brachte. Denn die Feinde zogen ſich zurück und begaben ſich mit den Frauen in ihr Schiff. Der, welcher Donna Mergelina geraubt hatte, wollte, von ihrer Schönheit entzündet, ihr Gewalt antun; ſie floh vor ihm und ſtürzte ſich vor meinen Augen in die Flut, ohne daß jene Ketzer ihr zu Hilfe kamen. Die Nacht kam, und die Leute von Gibraltar brachten uns voll Liebe und Mitleid an das Land und verſchafften uns eine vor— treffliche Unterkunft in dem Hauſe des Don Francisco Ahumada y Mendoza. Dann kehrten ſie zurück, um noch einen Verſuch zu machen, jene Feinde des wahren Glaubens und der ſpaniſchen Krone zu vernichten. Geſtern reiſte ich von Gibraltar ab und wünſchte mir mehr den Tod als das Leben, und zwar den ſchnellſten.

So beendigte der Doktor Sagredo ſeine Erzählung und brachte ſeiner Gattin neue Totenopfer in ſeinen Tränen dar. Die beiden, welche mit uns eingeſperrt waren, wollten ihn tröſten, und da ſie ſeinen ſchweren Kummer ihm tragen halfen, verlangten ſie durchaus, daß er fröhlich ſein ſollte.

Vierundzwanzigſtes Kapitel.

Da die Räuber, wie ich ſchon geſagt habe, ſich nicht ficher glaubten, wollten ſie weder den Gefangenen, die ſie in den Höhlen bewahrten, die Freiheit ſchenken, noch die Vorüber⸗ gehenden ihren Weg fortſetzen laſſen, um keine glaubwür⸗ digen Zeugen gegen ſich zu haben, da es ihnen ſchien, daß 308

ihre Verbrechen noch nicht völlig bewieſen wären. Sie griffen einen ſehr ſchönen Pagen, der ganz allein des Weges kam, an; und da ſie ihn in der Nähe unſrer Höhle gefunden hatten, wollten ſie ihn foltern, damit er geſtehen ſollte, wem er angehöre und warum er ſeiner Geſellſchaft vorausgegangen ſei; denn ſie glaubten, er ſei ausgeſchickt, um den Weg zu unterſuchen, und daß ſeine Gebieter entweder reiche Leute wären, oder daß ſie kämen, um ihnen ein Unheil zu bereiten,

aus dem ſie ſich hernach nicht wieder befreien könnten. Da

der Page das, was ſie wiſſen wollten, leugnete, befahlen ſie ihm, er ſollte ſich entkleiden, um ihn zum Bekenntnis der Wahrheit zu zwingen. Er fragte mit der größten Ruhe und Anmut nach dem Hauptmann oder Anführer ihrer Ge— ſellſchaft. Roque Amador, ſo hieß er, ſagte: Ich bin es. Warum fragſt du nach mir? Ich fragte nach Euch, ant⸗ wortete der Page, weil der Ruf fo viel von Eurer Gerechtig⸗ keit und Güte erzählt, und daß Ihr den noch nie hart be— handelt habt, der Euch aufrichtig entgegen kommt. In dieſem Vertrauen will ich Euch ſagen, wer ich bin.

Da die Straßenräuber dieſes Weidendickicht für einen Ver— teidigungsort oder Heiligtum hielten, lebten ſie daſelbſt wie Menſchen, die keinen Tod zu erwarten haben, allen Laſtern ergeben, dem Raube, dem Morde, dem Diebſtahl, der Schwel— gerei, dem Spiel und den ſchändlichſten Sünden. Der Raum iſt groß, denn er hat wohl ſechzehn Meilen im Durchſchnitt, die Bäume und Geſträuche ſtehen an vielen Stellen ſo dicht, daß die Tiere ſich darin verirren und ihre Höhlen nicht wieder finden können, deshalb leben dieſe unglücklichen Menſchen in der größten Sicherheit, da ſie weder Gott noch die Juſtiz fürchten, ohne Beſinnung und Vernunft, und jeder folgt ſeinen Gelüſten. Sie verſammeln ſich nur, um die Beute von den armen Reiſenden zu teilen, und eben jetzt war eine

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Zeit, in der fie vieles unter ſich berechneten und ſchlichteten. Da kam ein Schelm im Hemde und weiten Hoſen, denn alles übrige hatte er verſpielt, und indem er nach ſeiner Art fluchte, unterbrach er lärmend das Verhör des Pagen, indem er rief: Verdamme Gott doch den, der das Spielen erfand, wie den, der es mich zuerſt lehrte! Daß es dieſen Händen, die einen Stier umreißen können, nicht möglich iſt, dem Zu⸗ fall zu gebieten! Aber verwünſcht ſollen ſie ſein, da ſie die Fünfe werfen, mir zum Schaden, zum Vorteil einer Memme und eines Haſen. Iſt hier einer, der ſich mit mir umbringen will? Iſt kein Teufel mit ſeinen Adlerfüßen da, der, da er mir beim Spiel nicht geholfen hat, mir doch hilft, mich zu morden? Kam mir etwa eine einzige Karte in die Hand, die ſie mir nicht weggenommen hätten? Iſt es nicht genug, daß ich alle mögliche Spitzbüberei und Betrug anwende, um nicht ganz zum Teufel zu gehen? Ich ſchwöre, daß ich mich noch auf die Galeeren oder zum Teufel ſpielen werde, wenn ich kein beſſeres Glück habe! Aber er hob immer mit der Linken ab, wenn ich die Karte nahm, und ich habe tauſend Schwüre getan, mich an keine Fratzen zu kehren, und nun ſtellt der Teufel ſie mir immer in den Weg. Für das Spielgeld, das ich dem Kerl gab, will er den Handel mit mir eingehen, mich lebendig zu ſchinden; und es ſtellte ſich ein andrer Hunds⸗ fott neben ihn, ſo groß wie er ſelbſt, der immer macht, daß ich verliere. Worüber lacht ihr? Bin ich ein Hahnrei? Ihr lügt, wenn ihr über mich lacht. Sie lachen, ſagte der Hauptmann, über den Unſinn, den du ſprichſt. Schweig, und da du weißt, daß du kein Glück haſt, ſo meide das Spiel und läſtre nicht, oder ich laſſe dich dreimal wippen. Beſſer wäre es, du gäbeſt mir drei Taler, ſagte er, damit ich meine Hand üben und meinem Mädchen zu eſſen geben könnte; denn ich habe ihr alles verſpielt, was ſie mir mitgebracht 310

hat. Er hörte ſchließlich auf zu klagen, und da es fchon ſpät war, ward das Verhör des Pagen verſchoben, den ſie in einen Verſchlag in unſrer Höhle ſperrten, damit er denen, zu deren Gefolge er nach ihrer Meinung gehörte, keinen Wink geben könne. Uns befahlen ſie, bei Lebensſtrafe kein Wort mit ihm zu reden und ihm keinen Rat zu geben. Der Page ſeufzte die ganze Nacht, und wenn er etwas einſchlief, ſo wachte er immer mit großer Beängſtigung wieder auf; wir wagten aber nicht, ihn zu fragen, worüber er klage, und was ihm fehle. Da die Räuber einen Überfall fürchteten, der ihnen nicht weniger als das Leben gekoſtet hätte, zogen ſie ſich in Schlupfwinkel zurück, wo es unmöglich war, ſie zu finden; doch gerieten ſie bei jedem Geräuſch und Pferde— getrappel in Angſt. Als der Tag anbrach, unterſuchten ſie die Höhlen, in denen ſie die Gefangenen bewahrten, und als ſie zu der unſrigen kamen, fanden ſie uns ſo wieder, wie ſie uns am Abend ließen, ohne daß wir ein Wort mit dem Pagen geredet hatten. Dieſem riefen ſie zuerſt und drangen in ihn, daß er ihre Fragen beantworten ſollte. Der Page ſagte mit vieler Höflichkeit und Anmut: Herr Roque Amador, geſtern fragte ich nach dem Hauptmann und An: führer dieſer Geſellſchaft, und da Ihr es ſeid, halte ich mich, wegen des ſchönen Namens, den Ihr führt, für geſichert; denn es iſt nicht Eure Sache, ein armes verlaſſenes Geſchöpf wie ich bin, zu quälen, noch Euren Ruf zu beflecken, indem Ihr Euren Mut da anwendet, wo er Euch wohl entehren, aber keinen Ruhm bringen kann. Da Ihr in der Führung und Regierung dieſes rohen Haufens den guten Namen erworben habt, den Ihr in ganz Andaluſien beſitzt, was würde es Euch helfen, wenn Ihr dieſe Achtung verlöret, dadurch, daß Ihr als ein ſo mächtiger Adler Euch auf eine ſo unwürdige Beute ſtürztet? Es bringt mehr Ruhm, den ſchon erworbenen durch

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inneren Wert zu bewahren, als ihn zu vermindern und das, was Ihr ſchon als Eigentum beſitzt, zu gefährden. Ihr habt Euch immer der Gerechtigkeit, Wahrheit und Barmherzigkeit gerühmt, deshalb wäre es ungerecht, wenn Ihr nur gegen mich dieſe Tugenden verleugnen wolltet. Wir alle in der Höhle waren ſehr aufmerkſam und bewunderten die Bered- ſamkeit des Pagen. Roque Amador, von ſeinen lieblichen Worten gerührt, verſicherte ihn, daß ihm kein Leid wider⸗ fahren ſolle, wenn er die Wahrheit ſagte. Ich war erſtaunt, denn die Stimme des Pagen ſchien mir bekannt, doch konnte ich mich nicht beſinnen, wer es ſein könnte. Da Roque ihm mit dieſer Sanftmut zuſprach, fuhr der Page fort: Wenn einiges Mitleid mit meiner traurigen und hilfloſen Lage in Euer frommes Herz gedrungen iſt, ſo gebt mir für Euch und Eure Gefährten, wie es ſich ziemt, Euer Wort, daß mir weder öffentlich noch im Geheimen irgendeine Kränkung zuge⸗ fügt werden ſoll. Darauf ſagte jener Oberſchelm, der am Abend vorher das Verhör unterbrochen hatte: Mach' fort, Junge; zieh' dich nackt aus, denn hier verſtehen wir keine rhetoriſchen Redensarten, und wo wir kein Geld finden, da tun wir etwas Blei in den Körper, damit er die gehörige Schwere bekommt. Der Page ſagte ſcherzend: Das möchte ſchwer zu verdauen ſein; ich erinnere mich, Euch oder einen, der Euch ähnlich iſt, ſchon geſehen zu haben, der in Sierra Morena mit Pfeilen totgeſchoſſen worden war.

Roque lachte und ſprach: Hörſt du, Beſtie, der Page ſpricht gut; und Euch, junger Menſch, gebe ich mein Wort für mich und meine Gefährten, Euch nicht allein kein Leid zu tun, ſondern auch Euch zu ſchützen und beizuſtehen, ſo viel es uns möglich ſein wird. Nach dieſer Verſicherung, antwortete der Page, will ich offen ſprechen, als zu einem Manne, der ein edles, mitleidiges und wahrhaftes Gemüt hat. Wir alle waren 312

ſehr aufmerkſam, und der Page fuhr folgendermaßen fort: Wenn mich auch der Gedanke nicht tröſtete, daß ich nicht der erſte bin, der Unglück, Leid und Mißgeſchick ertragen hat, und Unheil, ohne auf beſſeres Glück hoffen zu dürfen, ſo würde mich doch der Edelmut, den ich aus Euren Augen blicken ſehe, ermutigen, meine Leiden zu erzählen. Immer war es die Laune des Schickſals, Gefallene zu erheben und Erhöhte nieder— zuwerfen, und da ich nicht der erſte bin, welcher dieſe Wechſel und Widerwärtigkeiten ertragen hat, ſo faſſe ich Mut, frei zu ſprechen. Vernehmt alſo, daß ich kein Mann bin, ſondern eine unglückſelige Frau. Nachdem ich meinen Mann zu Land und Meer begleitet hatte, zum großen Schaden für mein Ver: mögen und meine Geſundheit, und nachdem wir die ganze entdeckte Welt und noch weit mehr umſchifft und in unbe⸗ kannten Weltgegenden Schiffbruch gelitten hatten, kamen wir endlich durch die Barmherzigkeit Gottes bis zur Meerenge von Gibraltar, wo in dem Augenblick, als wir die langerſehnte Rettung beim Anblick des Landes ſchon zu genießen glaubten, die Ungläubigen unſer beſchädigtes, faſt menſchenleeres Schiff anfielen. Sie ergriffen die Frauen, mich zuerſt und einen Pagen, der mir diente, und töteten alle, die ſich verteidigten, und unter dieſen meinen Mann. Der Kapitän des Schiffes verliebte ſich in mich und verſuchte durch gute Worte meine Neigung zu gewinnen und mich zu verleiten, daß ich die Treue und Reinheit verletzte, die meinem erſchlagenen Gatten gehörte. Ich antwortete ihm mit guten Worten, damit er ſich nicht der Gewalt bedienen möchte, gegen die ich keine Verteidigung gehabt hätte; dann rief ich heimlich meinen Pagen zu mir, gab ihm meine Kleider und kleidete mich in die ſeinigen, die ich noch trage. Der Junge hatte ein ſehr hübſches Geſicht, und als er aus der Kajüte trat, wollte der Kapitän auf ihn zugehen, in der Meinung, daß ich es ſei. Aber der Page

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entfloh, und da er fic) mit den Kleidern in die Taue des Schiffes verwickelte, ſtürzte er in das Meer, ertrank und ward nicht mehr geſehen. Da ich ſo unglücklich geweſen war, meinen Mann und den Pagen zu verlieren, färbte ich mir das Geſicht, damit der Kapitän das, was er geſehen, für Wahrheit halten und mich nicht wieder erkennen möchte. Die mitleidigen Bewohner von Gibraltar kamen uns mit dem Mute, der ihnen immer eigen iſt, zu Hilfe. Schon waren zwei Tage und Nächte im Kampfe verſtrichen, doch ließen ſie nicht nach, bis ſie den Sieg errungen und die Gefangenen befreit hatten. Nachdem ſie uns in ihre Fahrzeuge gebracht, forderten ſie die Barbaren auf, ſich zu ergeben und zur Stadt bringen zu laſſen; da dieſe es aber nicht annehmen wollten, ward Feuer an das Schiff gelegt, und alle fuhren in den Flammen zur Hölle. In Gibraltar erkundigte ich mich nach dem Wege nach Madrid, und ſie ſagten mir, ich müſſe den großen Buſch durchqueren 152 wenn ich nach Ronda käme, weiter fragen.

Wir vier, beſonders der Doktor Sagredo und ich, waren kaum unſrer Sinne mächtig, es dünkte uns ein Traum oder ein Zauber zu ſein, und wir konnten uns weder entſchließen, es zu glauben, noch an der Wirklichkeit zu zweifeln. Roque Amador zeigte großes Mitleid bei den Tränen, welche die ſchöne Frau jetzt vergoß; er tröſtete ſie und erbot ſich, ſie ſicher zu geleiten und ihr Geld zur Reiſe zu geben. Er fragte ſie nach ihrem Namen, um dieſe denkwürdige Geſchichte der Vers geſſenheit zu entreißen, und ſie beantwortete dieſe, wie alle anderen Fragen, wahrheitsgemäß und ſprach: Ich heiße Donna Mergelina de Aybar, und mein unglücklicher Mann, der nicht Soldat, ſondern Gelehrter war, hieß der Doktor Sagredo. Der Doktor Sagredo, der ſeinen Namen von ſeiner Frau ausſprechen hörte, rief, halb erſtickt von dem Gefühl des unerwarteten Glückes: Er lebt! und dieſe Nacht ruhteſt du

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LN E IE Ze

in feiner Nähe! Roque Amador, erftaunt über diefe neue Be— gebenheit, ließ uns aus der Höhle führen und fragte, welcher unter uns es ſei, der geſprochen habe. Die Frau zog ſich, wie erſchreckt, zurück und antwortete: Wenn es nicht geſpenſtiſche Schatten von Weſen höh'rer Art ſind, ſo iſt dieſer mein Mann und jener Marcos von Obregon, der in Madrid mein Vater und Ratgeber war. So geht alle drei, und Gott ſei mit euch, ſprach der Hauptmann, und obwohl das Geld in keinem guten Kriege erbeutet iſt, ſo nehmt doch etwas von dem, was einſt andre beſaßen; denn wir hielten alle dieſe Gefangenen

zurück, nicht, um ihnen böſes zu tun, ſondern nur, damit

unſre Gegner ſie nicht treffen ſollten. Mit dieſen Worten ließ er uns alle in Freiheit ſetzen und bat uns, nicht zu verraten, wo wir ihn geſehen hätten. Donna Mergelina ſprach mit dem Ausdruck der tiefſten Rührung zum Hauptmann: Das einzige, womit ich die Wohltat, die ich von Euch empfangen habe, lohnen kann, iſt, daß ich Euch ſage, was ich in Gibraltar, wo man Euch übrigens wohl will, hörte: Der Lizentiat Val- ladares hat den Befehl erhalten, demjenigen große Belohnung zu verſprechen ſowie die Verzeihung jedes Verbrechens, der Euch in ſeine Hände liefern wird. Der Hauptmann berief alle ſeine Gefährten auf einen Verſammlungsort und hielt ihnen eine lange Rede, denn er hatte wohl den Verſtand dazu, deren Schluß war, daß in dieſer Nacht alle darauf denken möchten, wie man ſich am beſten verteidigen könne, und jeder das tue, was ihm für ſeine Sicherheit das rätlichſte ſchiene. Sie gingen zu ihren Ruheplätzen, und während ſie die Nacht überlegten, was Roque ihnen anbefohlen hatte, begab dieſer ſich vorſichtig und ganz im geheimen nach Gibraltar und ging auf dem Marktboot nach Afrika hinüber, während alle ſeine Anhänger erſtaunt und getäuſcht zurückblieben.

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Fünfundzwanzigſtes Kapitel.

Da ſie ohne Anführer waren, zerſtreuten ſie ſich, entflohen nach verſchiedenen Seiten und gaben ihr gottloſes Handwerk auf; doch wurden durch die Liſt des Richters wohl zweihundert von ihnen gegriffen und exemplariſch beſtraft. Wir kamen glücklich ohne irgendeinen Unfall nach Madrid, und es ſcheint mir, wie es auch in der Tat iſt, daß es unter dieſen Räubern Männer gibt, die ſich einer ſo hohen Tugend befleißigen, daß andre viel zu tun hätten, wenn ſie es ihnen nachtun wollten.

Als ich meine letzte Erzählung geendigt hatte, ſagte der Eremit, der über das Gehörte ſtaunte, man könne nun über die Brücke gehen, vielleicht ermüdet, daß er ſo lange hatte zu⸗ hören müſſen. Ich nahm Abſchied von ihm; und als ich über die Brücke kam, ſah ich viele mit der Wurzel ausgeriſſene Bäume, die der Manzanares mit ſich geführt hatte; auch mehrere aufgeſchlitzte große Fiſche, von denen, die mit Speeren getötet werden; ertrunkene Tiere, und viele Menſchen, die alles dies betrachteten und über die heftige und plötzliche Über: ſchwemmung ſtaunten. Alle Gärten waren überflutet, die Inſeln mit Geſträuch bedeckt; denn das Waſſer war faſt bis zur Einſiedelei des heiligen Iſidor geſtiegen und hatte aus Sand und Bäumen mehrere Dämme gebildet, die den Fluß noch an vielen Stellen teilten.

Letztes Kapitel und Epilog.

Die unzähligen Veränderungen des Geſchickes zu Meer und Land hatten mich ermüdet, und da ich einſah, daß meine Jugend entſchwunden war, entſchloß ich mich, die übrige Zeit meines Lebens in Ruhe und Sicherheit zuzubringen, um mich auf den Tod vorzubereiten, der der Beendiger aller Dinge iſt, und der, wenn er uns wohl vorbereitet findet, alle Verirrungen der 316

Jugend fühnt. Ich beſchrieb mein Leben in einer einfachen, verſtändlichen Sprache, damit der Leſer es ohne Mühe ver— ſtehen kann. Der Meiſter Valdivieſo, dieſer tiefe und erleuchtete Geiſt, ſagte einſt ſehr paſſend einem Poeten, der ſich einer dunkeln Schreibart rühmte: Da es der Zweck der Erzählung und Dichtung iſt, ergötzend zu belehren und belehrend zu er— götzen, ſo kann das, was der Leſer gar nicht ergründet, oder was ihm wenigſtens große Mühe macht, es zu verſtehen, ihn weder ergötzen noch belehren. Findet ſich etwas Ungereimtes in dieſem Buche, ſo bitte ich, es meinem geringen Verſtand und nicht dem Mangel an gutem Willen zuzuſchreiben; denn wenn ich darüber belehrt werde, ſo will ich den Tadel von jedem, der die gute Abſicht hat, mich zu beſſern, mit der größten Demut anhören; denn wer Geduld hat predigen wollen, der würde gegen ſeine eigene Lehre ſündigen, wenn ſie ihm fehlte, indem er die brüderliche Zurechtweiſung erfährt. Was bewirkt nicht alles dieſe ſchöne Tugend, die Geduld? Welche Furien bändigt ſie nicht? Welchen Lohn erringt ſie nicht? Und wenn ein Menſch von phlegmatiſchem Temperament zornig werden und ſich den Ausbrüchen der Heftigkeit überlaſſen kann, warum ſoll nicht ebenſogut ein Cholerifcher ſich mäßigen und in der Geduld üben können? Wir haben viele lebende Beiſpiele dieſer Wahrheit in unſeren Tagen, die wohl der Nachahmung würdig ſind, und ſchon ein einziges reicht hin, zu zeigen, wieweit man es in der herrlichen Tugend der Geduld bringen kann. Wer hätte es gedacht, daß aus dem zornigen Temperament, das den Herzog von Oſſuna, Don Pedro Giron, in ſeinen erſten Lebensperioden beherrſchte, und das noch von Reichtum und Jugend gepflegt ward, ſo herrliche Tugenden erblühen würden, die die ganze Welt in Erſtaunen ſetzen? In ſeiner Jugend war er ein wilder Blitzſtrahl des Zornes, ungeduldig im höchſten Grade in feinem zarten Alter, und hernach unters

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warf er feinen ftarren Sinn, um mit der größten Geduld in Flandern Dienfte zu tun, wo es ihm gelang, die Wut der Meuterer zu ſtillen, als er ſeine tapfere Bruſt den Musketen entgegenſtellte, womit ſie ſein Haus ſtürmen und plündern wollten. Wieviel Geduld, Mäßigung und Gerechtigkeit zeigte er nicht als Gouverneur von Sizilien? Ohne dieſe Tugend hätte auch der größte Heldenmut nicht ausgereicht, ſeine hohen Pläne in Ausführung zu bringen, da er ſo große Heere zu Meer und Land in Bewegung ſetzte, daß er die Macht der Türken zügelte und alle übrigen Feinde zittern machte, wodurch er ſich die Liebe und Achtung der Völker erwarb, die er be— herrſchte und noch beherrſcht. Als Don Franzisko von Quevedo, ein ſehr verſtändiger Ritter, dieſen großen Fürſten fragte, wie er es anfange, ſich bei ſo großer Sanftmut ſo große Achtung zu erwerben, antwortete er: Durch die Geduld, die, wenn ſie auch von den gemeinen Leuten gering geachtet wird, doch in den Herzen der Fürſten und Befehlshaber Furcht, Liebe und Achtung erzeugt. Doch dies möge für eine größere Geſchichte bleiben, denn zu dieſer kleinen Erzählung paßt es nicht. Jorge de Tobar, den ich in ſeiner Jugend als einen Mann kannte, der Feuer und Heftigkeit genug hatte, um bei einem ehren— vollen Anlaß die Geduld zu verlieren, erwarb nachher durch dieſe Tugend ſo große Verdienſte, daß er an Stellen gebraucht wurde, die eines ſo großen Mannes, wie er, würdig waren, da er Wahrheit, Feſtigkeit und unerſchütterliche Redlichkeit in Aus⸗ übung der Gerechtigkeit bewies. Doch, welche Vorzüge ſchlöſſe die göttliche Tugend der Geduld nicht in ſich? O du vom Himmel ſtammende Tugend! Gott möge fie uns durch feine Gnade ges währen, beſonders mir, damit ich in dieſer Tugend dem Bei⸗ ſpiel meiner Vorbilder in dieſer Zurückgezogenheit nachfolge, und dadurch mein Leben ſicher und mein Tod ruhig werde. Um mir die Ausführung dieſes Vorhabens zu erleichtern, ſtellte Gott 318

mir, wenn ich es zu benutzen weiß, in einer edlen Frau ein großes Muſter vor Augen, ich meine Donna Johanna von Cordova, Aragon und Cardona, Herzogin von Seſa, deren chriſtliche Tugenden ſowie ihre angebornen und erworbenen Vorzüge jedem, der zur chriſtlichen Vollkommenheit ſtrebt, als ein Vorbild dienen können. Nur unter ihrer Leitung konnten Söhne gebildet werden, wie Don Luis Fernandez de Cordova, Herzog von Seſa, der, mit den edelſten Gaben geſchmückt, ein Freund der ſchönen Wiſſenſchaften und ein Beſchützer derſelben und aller derer iſt, die ſich ihnen widmen.

Ende.

Anmerfungen

1 Luis Tribaldos de Toledo ſchrieb lateiniſche Gedichte und kom— mentierte die Geographie des Pomponius Mela. Er ſtarb 1634.

2 F. Hortenſio Felix Paravicino y Artiega wurde in Madrid ges boren. Er war ein angeſehener geiſtlicher Redner und hat auch Predigten drucken laſſen. Trauergedichte über den Tod Philipps III. hat er 1625 herausgegeben. Er ſtarb 1633, 51 Jahre alt. Eine der Appro⸗ bationen des Marcos von Obregon ſtammt von ihm.

3 Juan Luis de la Cerda lebte noch unter Philipp IV. und wurde als Gelehrter und Geiſtlicher in ſeinem Vaterlande ſehr hoch geſchätzt. Er hat viel über Tertullian geſchrieben, ſo wie er ein Kommentator des Virgil iſt, deſſen Werke, die einzelnen, wie die geſamten, er 1608, 1612, 1617 und 1619 herausgegeben hat.

4 Lope de Vega ward 1562 geboren und ſtarb 1635. Dieſer große Dichter war zugleich der Meiſtſchreibende, der bis jetzt in irgend— einer Literatur aufgetreten iſt.

5 P. Mantuanus, damals jung, ſtarb 1656; hat ſich vorzüglich durch ſeine Bemerkungen über den ſpaniſchen Geſchichtſchreiber Mariana bekannt gemacht. Schon 1611 gab er ein hiſtoriſches Werk heraus. In demſelben Jahre, in welchem dieſer Marcos Obregon zuerſt er ſchien, 1618, kam von ihm zu Madrid heraus: Casamientos de Españ a y Francia, y Viaje del Duque de Lerma. Das Gedicht bezieht fid auf die Doppelheirat im Jahre 1615,

6 Offenbar eine bittere Anfpielung auf Cervantes und deſſen uns vergleichlichen Don Quixote, von welchem die letzte Hälfte wohl erft kurz vor dem Entwurfe des M. Obregon erſchienen war. Es iſt ſelbſt nicht unwahrſcheinlich, daß der große Beifall, den dieſes Werk ſich ſogleich faſt in ganz Europa erwarb, unſern Autor bewogen habe, gegen⸗ wärtige Autobiographie zu verfaſſen, in welcher er Scherz mit Ernſt und Laune mit Moral will abwechſeln laſſen, um nicht in den Fehler zu fallen, welchen er hier mit armer Verblendung an feinem fo uns endlich größern Zeitgenoſſen rügen will. Es war damals (was jenen Schriftſtellern, zu denen ſelbſt einige berühmtere gehören, nicht zur Ehre gereicht) der Ton einer gewiſſen Schule, den Don Quixote, dieſes Buch, einzig in Erfindung und Ausführung, herabzuſetzen. Viele Schüler und Freunde des großen Lope de Vega glaubten, dies dem Meiſter ſchuldig zu ſein, über welchen Cervantes durch den Mund

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des Canonicus (ſ. T. 1) eine merkwürdige Kritik hatte verlauten laſſen.

7 Chriſtophorus de Fonſeca gab 1594 ſein Buch: del Amor de Dios, in zwei Teilen heraus. Es wurde ins Italieniſche und Lateiniſche überſetzt. Man weiß nicht, ob der e 1612 oder 1616 ge: ftorben fet.

8 Luis Cabrera gab 1619 eine Geſchichte des Königs Philipp II. heraus.

9 Dieſer kam im J. 1592 nach Brüſſel, und 1594 folgte er dem geſtorbenen Erzherzoge Ernſt in der Würde eines Statthalters von Flandern.

10 Gab 1612 eine Geſchichte der Kriegsbegebenheiten, die ſich in den Niederlanden von 1594 bis 1593 zugetragen hatten. Er war ſelbſt ein ausgezeichneter Soldat.

11 Geſchah im Jahr 1597.

12 Der Seekampf, welcher im Jahr 1614 unter Don Farardo zu Mamora, an der Küſte von Afrika, vorfiel, und in welchem dieſer General Mamora eroberte.

13 Es gibt viele Schriftſteller mit dieſem Beinamen, doch finde ich keinen Fernando.

14 Ein berühmter Advokat jener Tage, ließ 1625 in Folio drucken: Informacion de derecho divino y humano pór la purisima Conception de la Virgen Nuestra Señora.

15 Siehe die zweite Vorrede zum Gil Blas, in welcher der Abenteurer ſelber ſpricht. Ich zweifle, ob die Nachahmung dort das Original übertreffe. |

16 Ein Kollegium und fromme Stiftung, in welcher zwölf Arme, die alt und gebrechlich und zugleich von guter Familie und Verdienſten waren, unterhalten wurden. Dieſe Stiftung (um 1400) rührte von Fernandez de Lorea her, der Schatzmeiſter Johanns II. und Hein⸗ richs IV. von Kaſtilien war. Dieſe Stelle des Autors iſt wohl nicht ohne Bitterkeit, da der König, die Kirche und die Großen ſo wenig für ihn getan hatten, obgleich er zu den berühmteren Dichtern ge⸗ zählt wurde. Der Verfaſſer war eigentlich Almoſenier dieſer geiſt⸗ lichen Anſtalt und genoß auch noch eine andere kleine Pfründe in ſeiner Vaterſtadt; beides aber reichte nicht hin, ſo unbedeutend war das Einkommen, ihn vor Not und Mangel zu ſchützen.

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17 Scheint eine Anekdote zu fein, die ſich wirklich zugetragen hat. Man findet ſie im Gil Blas wieder (B. III. Kap. 8), wo ſie aber weniger unſchuldig und heiter wirkt, da die Umſtände ganz anders ſind, und der Charakter des Ritters widerwärtig und gehäſſig erſcheint.

18 El Picaro. Dieſer Ausdruck, den keine andere Sprache über⸗ ſetzen kann, bedeutet im Spaniſchen vielerlei. Einen, der zum Ge— ſindel gehört, loſe Streiche ausführt, mehr oder minder betrügt, aber mit einer gewiſſen Subtilität. Ebenſo werden die unterſten Küchen⸗ jungen picaros genannt, oft alle niedrigen, ſchmutzigen Aufwärter. In der Kunſt des Picaro gibt es verſchiedene Stufen. Ein grober Schelm, ohne Liſt und Feinheit, kann niemals ein picaro genannt werden. Wie jede Nation, um ihrer Würde ein gewiſſes Gegengewicht zu geben, irgendeine Maske oder Art des Spaſſes oft mit zu großer Vorliebe hegt, z. B. der Italiener ſeinen herben, oft großartigen und faſt ebenſo oft ärgernden Witz in ſeinen ausgelaſſenen Novellen; der Franzoſe von früheſter Zeit die üppige Sinnlichkeit; der Eng⸗ länder den Humor, Tollheit und Laune: ſo hat der ernſte Spanier, vielleicht auch eine Folge der Verarmung, ſchon früh, wenn man es ſo nennen will, eine Zärtlichkeit für Charaktere und deren Schilderung, die ſich oft das Unerlaubte erlauben. Die Schelmenromane der Spanier ſind berühmt; Romanzen behandeln oft mit Laune dieſen Gegenſtand, und der edle Scherz des Cervantes ergeht ſich mit beſonderer Luſt in einigen Novellen, die er ausſchließlich dieſer Vorliebe widmet. Ge— wiſſe Studentenſpäße und Geſinnungen figurierten einmal ſehr in unſern Romanen. Was Mendoza, Aleman, Cervantes, Quevedo und andere in Spanien für den Geſchmack ihrer Landsleute taten, das erweiterte ſpäterhin Beaumarchais, und ſchenkte den Picaro, feinen Figaro, mit geringer Namensänderung dem ganzen Europa. Auch unſer moraliſierender Obregon iſt mehr als einmal auf Streiche eitel, die das Gepräge des picaresco haben. Gil Blas kopiert dies auch, aber nur ſelten und ſchwach. |

19 Das Stehlen des Mantels war damals etwas ſehr Gewöhnliches in Madrid. Eine gewiſſe Art der Diebe legte ſich vorzüglich auf dieſe Räuberei, zu welcher Schnelligkeit und Geſchicklichkeit erforderlich war.

20 S. dieſelbe Geſchichte im Gil Blas (Buch II. Kap. 7). Der junge Barbier erzählt ſie dort ſelbſt, mit wenig veränderten Umſtänden, die den Reiz der Novelle nicht erhöhen. Daß der Eseudero, der alte Erfahrene, ſpricht, iſt viel ſchicklicher. Uebrigens wird dort im Gil

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Blas der Escudero felbft Marcos Obregon genannt, fo daß den Freunden des Le Sage, Die ihm die Originalität durchaus erkämpfen wollen, der Faden in die Hand gegeben war.

21 Aus dieſen Außerungen, ſowie aus vorübergehenden Moden in Paris, ſchuf Le Sage ſeinen berühmt gewordenen Dr. Sangrado.

22 Dieſe Sitte, daß ein Bedürftiger, welcher dem Spiele zufah, um als Edelmann bei entſtehendem Streit einen Zeugen abzugeben, für dieſe mäßige Bemühung von den Spielenden einen Tribut (barato) empfing, wird von den ſpaniſchen Schriftſtellern oft erwähnt. Die Dienſtleiſtungen dieſer Armſeligen waren auch oft, wie wir aus den komiſchen Romanen ſehen, von ſeltſamer Art.

23 Im Original: meson del potro. Der Potro de Cordoba iſt ein Platz mit einem Pranger und einem Springbrunnen daneben, wo das Waſſer aus dem Maule eines Pferdes (potro = Füllen) läuft.

24 S. Gil Blas, zweites Kapitel des erſten Buchs. Die Geſchichte iſt hier beſſer vorgetragen, als von Le Sage, und der Schluß viel anmutiger.

25 S. Gil Blas (Buch 1. Kap. 3). Auf dieſer Flucht ließ Le Sage ſeinen Helden ſogleich in die Hände der Räuber fallen, weil ihm die Fortſetzung dieſes Abenteuers, wie es Espinel hier erzählt, un⸗ brauchbar ſchien.

26 Franciscus de Salinas war einer der berühmteſten Männer ſeiner Zeit. De Thou ſpricht am Schluſſe ſeines neunzigſten Buches von ihm mit großem Lobe. Salinas war zu Burgos im J. 1513 geboren. Als Knabe ſchon erblindete er, als er kaum zehn Jahre alt war. Bei ſeinen außerordentlichen Talenten vermehrte dieſes Unglück nur ſeinen Fleiß. Er bemächtigte ſich der alten Sprachen und ſtudierte zugleich die Mathematik, vorzüglich aber die Muſik. Ueber dieſe Kunſt ſchrieb er ein Buch, das die Bewunderung ſeiner Zeitgenoſſen war. Er war auch Dichter und überſetzte den Martial ins Spaniſche. Papſt Paul IV. und der Herzog von Alba ſchätzten ihn ſehr: Letzterer gab ihm, als der Herzog Vizekönig von Neapel war, die reiche Abtei Sankt Pankraz. Er ſtand mit vielen vornehmen und angeſehenen Leuten in freund⸗ ſchaftlicher Verbindung; im vertrauteſten Verhältnis aber ſtand er mit dem berühmten Dichter und Theologen, Pater Luis de Leon, der theologiſcher Profeſſor in Salamanka war. Salinas war hier Profeſſor der Muſik, wo er 1577 in Folio ſeine ſieben Bücher von der Muſik herausgab. Er ſtarb 1590 im Februar, 77 Jahre alt.

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27 Im Original: eran de un genero de fulleros, que entre ellos llaman donilleros.

28 Barato. Anſpielung auf die Sitte, von der ſchon oben die Rede war.

29 Der ſonderbarſte Widerſpruch im Buche, indem der Autor hier ganz und gar die Form ſeiner Erzählung vergißt und fallen läßt. An ſehr vielen Orten und gerade in dieſer Reiſebeſchreibung ſehen wir deutlich, daß er Begebenheiten aus ſeinem Leben vorträgt, und wir können nicht zweifeln, daß die folgende Geſchichte mit den Wilddieben ihm ebenfalls begegnet ſei. Dieſe hat ſich auf einer früheren Reiſe zugetragen, aber er verknüpft ſie im Verlauf der Erzählung mit ſeinem ſpäteren Alter, ja nennt ſelbſt den Verfaſſer dieſes Buches, in welchem er immerdar in der erſten Perſon ſpricht. Er ſtarb 1634, und iſt alſo um 1545 geboren; die jetzige Reiſe fällt dann ungefähr um 1574 und das Wiedererkennen des Räubers um 1596. Es iſt um ſo auffallender, daß Espinel hier ſo ganz die Form vernachläſſigt, da er ſich in andern Stellen die Miene gibt, ſie faſt ängſtlich feſt zu halten und chronologiſch zu erzählen.

Dieſe Begebenheit hat Le Sage im 3ten und Aten Kapitel B. l. ſeines Gil Blas nachgeahmt, fie aber ganz anders benutzt und fort: geführt.

30 Ronda wurde im Jahre 1485 erobert. Die Art, wie es geſchah, wird von den ſpaniſchen Geſchichtſchreibern ſehr verſchieden erzählt, fo: wie ſie auch hinſichtlich des Tages abweichen. Nach einigen wurde es den 20. Mai, nach andern den 24. übergeben.

31 Das neunzehnte Kapitel beſteht bis auf die vier letzten Zeilen ganz aus moraliſchen Betrachtungen und iſt deshalb hier ganz über— gangen worden.

32 Das Abſtutzen des Vorderteils der Röcke war eine Strafe, die an liederlichen Weibsbildern vollzogen wurde. (A. d. H.)

33 Starb im hohen Alter 1590. Seine Verdienſte um die Ge: ſchichte und die Altertümer ſeines Vaterlandes ſind bekannt genug.

34 Unmöglich der ſoviel fpäter berühmt gewordene Conde D. de Olivarez, der unter Philipp III. durch den Sturz des Lemos und die Zurückſetzung des bis dahin allmächtigen Lerma zuerſt im Jahre 1618 (als dieſes Buch herauskam) größeren Einfluß gewann, indem Lermas Sohn, der Herzog von Uzeda, dirigierender Miniſter wurde. Da

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aber Olivarez damals immer noch, foviel als möglich, zurückgeſetzt wurde, ſo bleibt dieſe Stelle in einer gewiſſen Dunkelheit. Wäre der erſte Band des Obregon nicht ſchon 1613 ins Franzöſiſche überſetzt worden, ſo könnte man vermuten, die Stelle ſei ſpäter hinzugefügt. Sie findet ſich aber in der franzöſiſchen Überſetzung ebenfalls. Hier hat ſich wahrſcheinlich ein Druckfehler eingeſchlichen, und es hat viel⸗ leicht geheißen: Die Weisheit eines Olivarez würde ſelbſt nicht ver⸗ hindert haben uſw. um dieſem Manne eine Schmeichelei zu ſagen. Dann müßte im Original: no bastara ſtatt no bastó la diligencia del Conde Olivarez, wie wir jetzt leſen, geſtanden haben.

35 S. Gil Blas B. VI. Kap. 7. Le Sage läßt hier den Barbier⸗ geſellen durch den Steinwurf von ſeiner Liebe zu Mergelina, der Frau des alten Arztes, geheilt werden.

36 D. h. ſie war eine Jüdin.

37 Im Jahr 1572.

38 Im Jahr 1578.

39 Die Alameda (Pappelplatz oder Pappelallee), einer der an⸗ mutigſten Plätze in Sevilla, der mit Bäumen, Springbrunnen und Ruheplätzen verſehen iſt, ſo daß er zum Spaziergange dient. Es iſt eine alte Sage, Herkules ſei der Gründer von Sevilla geweſen, und viele Antiquare haben geglaubt, daß die beiden korinthiſchen Säulen, die ſich auf dieſem Platze befinden, Überrefte von einem Tempel des Herkules, aus der Römerzeit, ſeien. Auf dieſe Säulen hat man die Bilder des Julius Cäſar und Herkules geſtellt. N

40 Im Gil Blas (B. V. Kap. 1) legt Le Sage in der Er⸗ zählung ſeines Lebens dem ganz verwilderten Don Raphael dieſe Be⸗ gebenheit in den Mund. Nach der Gefangennehmung ſind die Be⸗ gebenheiten in Algier freilich ganz von denen verſchieden, die der be⸗ ſcheidenere Obregon hier vorträgt; ob Le Sage in ſeinen afrikaniſchen Abenteuern Zeit und Ort, Möglichkeit und Schicklichkeit beobachtet habe, mögen unterrichtete und kritiſche Leſer entſcheiden. Ich zweifle und finde beim Spanier mehr Wahrheit und Anmut, wenn auch manches verſchönert oder erfunden ſein mag. Das hauptſächlichſte ſcheint auf erlebten Begebenheiten zu ruhen. |

41 Neben dem allgemeinen ſpaniſchen Fanatismus in Glaubensſachen iſt bei Beurteilung dieſer Stelle in Rechnung zu ſetzen, daß Espinel Almoſenier war und vor allem, daß er ſein Buch dem Kardinal⸗ erzbiſchof von Toledo widmete, bei dem er ſich einſchmeicheln wollte.

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Das gleiche gilt von vielen und ausgedehnten Stellen feiner Erzählung, die die Kirche feiern und den „wahren Glauben“ preifen. Um die Geduld des Leſers nicht zu mißbrauchen, ſind die meiſten derartigen Exkurſe der wohlverdienten Vergeſſenheit, der Tieck ſie überliefert hatte, nicht entriſſen worden. (A. d. H.).

42 Gemeint iſt der Atna, den die Sizilianer Mongibello nennen (von monte und djebel, d. i. arabiſch Berg. A. d. H.).

43 Philipp III. wurde 1578 geboren. Es iſt ſonderbar, wie ängſt⸗ lich der Verfaſſer hier der chronologiſchen Ordnung folgen will, da er ſie oben mehr als gewaltſam verletzt. (S. das vorige Buch.) Hier ſieht man wohl (wie man aus dem Verlauf des Berichtes ſieht, den der Überſetzer abgekürzt hat, weil er nur Schmeicheleien damals noch lebender Männer enthält), daß wohl jene Feſte gemeint ſind, die in allen Städten gefeiert wurden, als Philipp III., als Mitregent ange⸗ nommen und erkannt wurde.

44 Ein deutlicher Beweis, daß der Verfaſſer verlangt, man foll ihn ſelbſt, Vie. Espinel, unter Obregon verſtehen. Wenn auch vieles mag erſonnen ſein, ſo ſind die Hauptumſtände, die gut erzählten, nahe⸗ liegenden und möglichen gewiß aus dem Leben dieſes Dichters und Muſikers, und uns um ſo werter und merkwürdiger, weil wir außer den Erzählungen dieſes Buches faſt nichts von dem Leben dieſes Schrift— ſtellers wiſſen.

45 Dieſer berühmte Mann wurde im Jahre 1559 von Papſt Pius IV. zum Kardinal erwählt; 1565 kam er als Legat für Italien nach Mai⸗ land und ſtarb hier, von jedermann verehrt 1583.

46 Anna von Oeſterreich, die Gemahlin Philipps VI. ſtarb, als ſie faft einunddreißig Jahr vollendet hatte, 1580 zu Badajoz. Sie ſtarb den 21. Oktober. Kurz vorher war Philipp ſelbſt tödlich krank geweſen. Ob noch in dieſem Jahre oder im folgenden 1581 die Exequien der Königin gefeiert wurden, bleibt zweifelhaft. Unter den Gedichten des Espinel findet ſich eins, welches er wahrſcheinlich bei dieſer Gelegenheit verfaßte. (S. Parnasso Español. T. VIII, p. 363.)

47 Maaſtricht wurde nach viermonatiger Belagerung von den Spaniern unter Alexander Farneſe am 29. Juni 1579 erobert. Die Spanier hauſten in der Stadt wie die Wilden, plünderten ſie drei Tage lang und metzelten alle Bürger nieder. (A. d. H.)

48 Hier erweiſt ſich Espinel nicht „agudo de ingenio“, ſonſt würde es das den Nekromanten nicht zu den Genfern ſagen laſſen. (A. d. H.)

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49 Dieſe Geſchichte, die hier recht angenehm vorgetragen ift, habe ich in mehr als einem Romane, als neu erfunden, wieder angetroffen. Der Titel der Bücher kann ich mich jetzt nicht wieder erinnern. In einer Lebensgeſchichte des Prinzen Eugen, angeblich von einem Offizier herausgegeben, der viele verliebte und andere Abenteuer beſtanden haben will, fand ich zu meinem Erſtaunen dieſe Begebenheit mit denſelben Umſtänden erzählt, als eine ſelbſt erlebte, ebenfalls wieder. So daß Espinel nicht Unrecht hat, zu ſagen, daß ſeine Erfindungen oder erlebten Begebenheiten oft von andern benutzt worden ſind, ſogar von ſpätern, von deren Exiſtenz er damals noch nicht wiſſen konnte.

50 Die Geige nennt Espinel hier noch vihuela de arco, die Laute, Gitarre mit dem Bogen.

51 So fängt eine Canzone an, die, wie man ſieht, dem Dichter ſelbſt als eines der vorzüglichſten ſeiner Gedichte, wo nicht gar als ſein beſtes erſcheint. Sie macht einen Teil einer langen Ekloge aus, die der Dichter wohl in der Jugend in ſeinem Vaterlande ſchrieb, denn ſie iſt einem Don Hernando gewidmet, der kein anderer als der berühmte und berüchtigte Herzog von Alba ſein kann, welcher damals Gouverneur in den Niederlanden war. Dieſer liebte die Poeſie und viele der damaligen Dichter ſprechen von ihm als von ihrem Mäcen. Dieſe Ekloge findet ſich im dritten Bande des Parnasso español, p. 280.

52 Hieronymus Carranza gab im Jahre 1569 in 4% ein Buch her⸗ aus: De la Filosofia de las Armas, y de la Agnesion y defension Christiana. Dies Werk, und zugleich eine Fechtſchule, die er ſtiftete, machten ihn im ganzen damaligen gebildeten Europa berühmt. Nicht leicht hat ein einzelner Mann durch eine Sache, die beim erſten Anblick unbedeutend erſcheint, auf die Stimmung und die Sitte ſeines Zeitalters einen ſo großen und durchgreifenden Einfluß gewonnen. Bis dahin war in den Duellen das Schwert auf Hieb und Schlag zu⸗ gleich mit einem großen oder kleinen Schilde gebräuchlich geweſen. In Italien, Spanien und England wird dieſer Art, den Zweikampf zu führen oder ſich zu bewaffnen, noch oft erwähnt, auch Shakeſpeare (ſ. Kondor Prodigal) ſpricht von dieſer Weiſe. Durch den Spanier Carranza aber kaum hauptſächlich der ſpitze kleine Degen in die Mode, mit welchem geſtoßen wurde, und wobei der große, wie der kleine Schild ganz überflüſſig war. Dieſe Veränderung, die Regeln, die vor⸗ geſchrieben wurden, die Förmlichkeiten, die beobachtet werden mußten, die Geſchicklichkeit, die der freie Fechter entwickeln konnte, erregte unter

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den höheren Ständen, dem Adel und den Weltleuten, plötzlich einen ſolchen Fanatismus, daß man von unzähligen Duellen hörte, und die Regierungen nicht genug Verbote und Geſetze gegen ſie in Tätigkeit ſetzen konnten. Ein wunderliches, bis dahin unerhörtes point d'honneur verbreitete ſich zugleich mit dieſer neuen Art, die Waffen zu führen; Unterſuchungen von alten geprüften Edelleuten, Meiſtern der Ehre, wurden angeſtellt, Bücher wurden geſchrieben, wann und wie man be: leidigt, verletzt oder gekränkt ſei; wann es unumgänglich ſei, zu fordern und zum Degen zu greifen und in welchen Fällen man ausweichen könne und dürfe. Die Pflichten der Sekundanten, ihre weitläufigen Obliegenheiten wurden ebenſo umſtändlich auseinandergeſetzt, und ſo entſtand ein künſtlich verwickeltes Syſtem von Ehre und Ehrenpunkten, welches in kurzer Zeit den ältern Rittergeiſt mehr als irgendeine andere Sache in Vergeſſenheit brachte, und als eine altfränkiſche Einrichtung der Vergeſſenheit und Verachtung übergab. So wenig noch die Ge— ſchichtſchreiber von dieſer Umwälzung der Sitte mögen Notiz genom- men haben, ſo muß man ſie doch immer im Auge behalten, um manche Begebenheiten und ihre Motive und Folgen in jener Zeit ganz zu verſtehen. Eine gewiſſe poetiſche Begeiſterung nimmt die verſchie⸗ denſten und oft ſeltſamſten Formen an, und ſo ſättigt ſich der Übermut der Jugend oder das unruhige Blut wilder Temperamente damals in dieſer neuen Einrichtung.

In Frankreich wurde dieſer Unfug wohl am ſchlimmſten getrieben, nächſtdem in Italien und nicht weniger in England, das damals alle italieniſchen Moden annahm und oft noch übertrieb. Alle Schrift— ſteller ſpielen mehr oder weniger auf dieſen Enthuſiasmus an, manche ſind ſelbſt von ihm durchdrungen. Cervantes hat im Don Quixote dieſer Fechtkunſt ein eigenes Kapitel geweiht, B. Jonſon und Fletcher machen ſie ſehr häufig zum Gegenſtande ihrer Satire, und ſelbſt um die Ent⸗ wickelung des Hamlet ganz ſo zu verſtehen, wie ſie vom Dichter ge— meint iſt, muß man ſich dieſe Stimmung der Zeit, die uns jetzt wunderlich erſcheint, nahe vor das Auge rücken. Später ſchrieb L. Pacheco de Narvang noch umſtändlicher über die Fechtkunſt und vermehrte und verbeſſerte das Buch des Carranza.

53 In ſeinen Annalen erzählt Muratori vom Jahre 1581: Im September dieſes Jahres reiſte durch Italien die Kaiſerin⸗Witwe, Mutter Rudolfs II. und Schweſter Philipps II., die, um ihren glor⸗ reichen Vater, Karl V., nachzuahmen, in einem Kloſter in Spanien ihre

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Tage zu beſchließen wünſchte. Sie ward von ihrem Sohn, dem Erzherzog Maximilian und einem glänzenden Hofſtaat begleitet. Die Venezianer, wie es ihre Sitte iſt, gaben ihr in ihrem Gebiete einen prächtigen Empfang, denn ſie kam zuerſt nach Treviſo, dann nach Padua und endlich nach Brescia, In Mailand wurde ſie mit unglaublichem Pomp aufgenommen, dann ging ſie nach Genua, wo ſie ſich einſchiffte und hernach in Spanien ankam. 0

Genau ſtimmt übrigens die Zeitrechnung des Erzählers nicht, denn 1580 war die Königin Anna geſtorben, für welche er ein Gedicht und die Muſik komponiert hatte, das geſchah gleich nach ſeiner Ankunft, und doch will er drei Jahre in Mailand zugebracht haben. Auch oben bei Gelegenheit des Königs von Portugal, ſeines Unterganges und der Beſitznahme des Landes durch Philipp finden ſich Unrichtigkeiten in Angabe der Zeit. Es kam dem Autor nicht darauf an, in dieſen Nebenſachen genau zu ſein.

54 Dieſe Begebenheit, die Espinel hier als eine erlebte erzählt, iſt nach ihm oft und auf verſchiedene Weiſe in Novellen vorgetragen worden. Dort endigt ſie immer tragiſch, ſo wie auch in dem engliſchen bürgerlichen Trauerſpiel „A woman kill’d with kindness“; welches T. Heywood bald nach Shakeſpeares Tode in London mit großem en oft wiederholtem Beifall ſpielen ließ.

55 Im Original: era un retrato de doña Antonia Calatayud, womit der Autor eine Verbeugung vor einer damals offenbar ſehr bekannten Schönen macht. (A. d. H.)

56 Dieſes Abenteuer findet ſich in Buch II. Kap. 16, des Gil Blas.

57 Lope ſagt, und andere Zeitgenoſſen, Espinel ſei 1634, faſt neun⸗ zig Jahre vollendend, geſtorben. Er iſt alſo, wie auch einige Schrift⸗ ſteller beſtätigen, 1545 (andere ſagen, gewiß unrichtig, 1540) ge⸗ boren. In dieſem, ſeinem ſeltſamſten Abenteuer, das aber nicht unwahr ſein kann, da er ſich auf den bekannten Toledo el tio bezieht, iſt er plötzlich nahe an 50 Jahr, es muß alſo ums Jahr 1595 fallen, Wo ſind nun ſeit 1582—83 die Jahre geblieben? Mit der Chrono⸗ logie muß man dieſe Lebensbeſchreibung nicht vereinigen wollen.

58 Urbion, oder die Sierra von Urbion, iſt eine Reihe von Bergen in Alt⸗Kaſtilien. In der Nähe dieſer muß ſich eine große Lagune be⸗ finden. s b 59 pareceme assadura con redaño, wörtlich: ſie kommt mir vor wie Geſchlinge mit Netz (wie man es beim Metzger hängen ſieht). (A. d. H.)

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60 An denen fie fich felbft viel beſſer hinziehen konnten. Überhaupt ift die ganze Erzählung voll ſchwacher Punkte. (A. d. H.)

61 Hier wie an andern Stellen macht ſich der Autor über die Art der Portugieſen, ſich auf ſpaniſch auszudrücken, luſtig. (A. d. H.)

Gedruckt für die Bayeriſche Verlagsanſtalt (Karl Theodor Senger) in München durch M. Müller £ Sohn in München.

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