Miwr^^ "*"^'^^^' |Gn|firüfrijDfpJi]|]in3ffiJi]fpj^ I THE LIBRARIES i 1 i 1 1 1 1 i COLUMBIA UNIVERSITY Medical Library EirmJfrüilfrinJijimnüilfiÜLiniiilf^ Digitized by the Internet Archive in 2010 with funding from Open Knowledge Commons (for the Medical Heritage Library project) http://www.archive.org/details/lehrbuchderanatOOhyrt CQ OD CD «►4 O o §.1. Organisclies und Anorganisclies. IxJ Was den Raum erfüllt, und Object unserer Anschauung- ist, heisst Natur. Wir trennen sie in das organiscKe und anorga- nische Naturreich. Die Wissenschaft, welche sich die Aufgabe stellt, die Eigenschaften, und durch sie das Wesen der Körper dieser beiden Eeiche auszumitteln, ist die Naturlehre im weitesten Sinne des Wortes, Man ist übereingekommen, die Naturlehre der anorganischen Körper: Physik, und jene der organischen: Physio- logie, oder Biologie zu nennen. Das Ideale, welches nie zur sinnlichen Anschauung kommt, ist das Object der Philosophie. Eine Keihe von Thätigkeiten, welche jeder organische Körper, von seiner Entstehung bis zu seinem Untergänge vollzieht, bildet den Begriff des Lebens. Dieses Wort drückt nicht mehr als die Form der Erscheinung aus; — die Natur und letzte Ursache derselben liegt jenseits der Grrenze, über welche der menschliche Geist vor- zudringen nie vermögen wird. Die organischen Körper unterliegen, so Avie die anorganischen, den allgemeinen Gresetzen, Avelchen jede Materie unterthan ist, und die Grrundstoffe, aus welchen sie bestehen, finden sich als solche auch in der anorganischen Natur. Thiere und Pflanzen geben, als letzte chemische Zersetzungsproducte, die einfachen Stoffe (Elemente) anorganischer Körper. Allein die Verbindung der Grrundstoffe ge- staltet sich, in beiden Naturreichen anders. Während die Elemente anorganischer Körper entweder mechanisch gemengt sind, oder chemisch zu binären Verbindungen und deren Combinationen zu- sammentreten, enthalten die organischen Körper, nebst einem Antheile binärer chemischer A^erbindungen, vorzugsweise Grrundstoffe in solchen ternären und cjuaternären Combinationen, Avelche im anorganischen Naturreiche nicht vorkommen, und deshalb vorzugsweise organische Substanzen genannt werden. So ist z.B. der phosphorsaure Kalk, welcher sich in den Knochen der Wirbelthiere vorfindet, dieselbe binäre Verbindung von Phosphorsäure und Calciumoxyd, welche als solche auch im Mineralreiche bekannt ist, während der Zucker, die Stärke, das Fett, ternäre Verbindungen von Wasserstoff", Sauerstoff und Kohlenstoff sind, und das Fibrin, das Casein, das Albumin, cpiateruäre Verbindungen von Wasserstoff, Sauerstoff, Kohlenstoff und 1* S. 1. OrniiMisclic- iiinl AiiMrj,',iiiiMli('s. Stii'k>tnfr (mit IMidsplior iiiul tSi-liwctol) (larstcllcii. I )i(' /,ii>;immen- ^esetzten anorganisclieii Körper lassen sii-li auf i-lieinixlicni \Vej;e in ihre Fiestandtlieile zerlei;;en, nnd dni-cli die Wiedervereini^iini;- derselUen neu lierstellen; — ülier die ()r;L;anisc'lien Snl)stanzen besitzt die Cliemie weit i;'erinj;ere Macht, da sie dieselben ZAvar zerlei;en, alx'V nur äiis.scrst wenige» von ihnen er/euucn kann. In den anorii^anischen Körj)ern hängen die kh'insten, Ietzt(»n Bestandtheih' (h'rsidhen. entweder dnreh physische Attraction och'r dni'cli cheniisclie A'erwandtscliat't zusammen. l..etztere ist ein so ki-ättiges Verhindungsprincip, dass zwei Elemente, zwischen welchen chemische Verwandtschaft stattHudet, sich rasch zn einem zusammen- ,i;e.setzten Körper verbinden, wenn sie sich im freien Zustande be- geg-nen. Warum thun sie dieses nicht im orii^anischen Körper? — Ks nniss in fliesem, der chemischen Verwandtschaft ein stärkeres Ag-ens entgegenwirken, durch Avelches sie gezwungen werden, ihrer Neigung zu binären Verbindungen so lange zu entsagen, nnd anderen Verbindnngsnornien so lange zu folgen, als jenes Agens die Ober- hand behält. Stellt dieses seine Herrschaft ein, so beeilen sich die ein- fachen Grundstoffe des organischen Lebens, jene chemischen Verbin- dungen einzugehen, w" eiche sie sonst im freien Zustande anstreben; es bilden sich, unter dem günstigen Einflüsse von Wärme, Luft und Feuchtigkeit, die chemischen Zersetzungsproducte der Fäulniss. Dieses Agens nun, welches die Verbindnngsverhältnisse der (Irund- stoffe im organischen Körper erzwingt, und für eine gewisse Zeit aufrecht erhält, ist, seiner Erscheinung nach, eine von den im an- organischen Naturreiche waltenden Kräften wesentlich verschiedene Thätigkeit, und kann als organische Kraft, den chemischen oder physikalischen Kräften entgegengesetzt werden, wobei jedoch zu bemerken ist, dass das Wort Kraft immer nur die gedachte, nicht die wirkliche Ursache von Erscheinungen bezeichnet. Die organische Kraft beschrcänkt ihre Thätigkeit nicht blos auf das Resultat des ruhigen Nebeneinanderseins der neuen Verbindungen. Jeder Bestandtheil eines organischen Körpers ist, so lange das Leben dauert, in einem ununterbrochenen Wechsel seiner Stoffe begriffen. Die Intensität dieses Wechsels steht mit der Grösse der lebendigen Thätigkeit in geradem Verhältnisse. Die Verluste, Avelche das Ma- teriale der lebenden Maschine, durch Abnutzung und Verbrauch erleidet, bedingen das Bedürfniss eines äquivalenten P>rsatzes. Auf- nahme neuer Stoffe von aussen her, Verarbeitung, Umwandlung und Substitution derselben an die Stelle der abgenutzten und ausgeschie- denen, bilden das charakteristische Merkmal lebendiger Organismen, und wird als Stoffwechsel bezeichnet. Kein anorganischer Körper zeigt das Phänomen des Stoffwechsels. Er kann sich zwar, durch §. 1. Organisclies «nd Anorganisches. 5' Auscliliesseu gleicliartig-er Theilclien an seiner Oberfläche, vergTÜs.sern ; aber was in ihm einmal verbunden ist und zusammenhält, bleibt in diesem Znstande; er giebt nichts ans und nimmt dafür nichts ein; er verfügt über keine innere Bewej^ung, v^^elche den Austausch seiner letzten Moleküle vermitteln könnte, und verharrt entweder unver- ändert, wie er ist, • für immer, oder verliert, wie alle ab- und aus- gelebten organischen Körper durch zerstörende Einflüsse, welche von aussen her auf ihn einwirken, seine Daseinsform. Er kann, bei gleich- bleibender Grestalt, an Volumen und Gewicht zunehmen, selbst innerhalb der Grrenzen des Systems, welchem er angehört, gewisse Veränderungen seiner Dimensionen darbieten; allein der einmal fertige Krystall bleibt, was er ist, und die Bewegung- seiner kleinsten Theilchen, durch deren Grruppirung er zu Stande kam, wurde nur einmal gemacht. Der Stoffwechsel setzt dagegen den organischen Körper in eine nothwendige Verbindung mit der ihn umgebenden Welt, da er nur aus ihr entlehnen kann, was er zu seiner Erhaltung bedarf. Für ihn werden dieselben chemischen und physischen Po- tenzen, welche den Euin so vieler anorganischer Körper, ihr Ver- Avittern und Zerfallen, langsam vorbereiten, zu nothwendigen Bedingungen seiner Existenz, imd wurden unter der Rubrik der Lebensreize, von der älteren Physiologie zusammengefasst, welchen Namen sie wohl nicht verdienen, da die fortgesetzte Einwirkung dieser sogenannten Lebensreize, den Verfall des organischen Körpers auf die Dauer nicht aufhalten kann. Nach einem ihr eingeborenen Plane entwickelt die organische Kraft den Organismus, entborgt der Aussenwelt den Stofi", aus welchem sie ihn aufbaut, und giebt ihr denselben verändert wieder zurück. Sie vervielfältigt und theilt sich in dem Maasse, als das Materiale zunimmt, in welchem sie wirkt, und mit welchem sie Eins ist. Von der ersten Bildung des organischen Keimes bis zu jenem Momente, avo das Lebendige den unabwendbaren Gresetzen der Auf- lösung anheimfällt, wirkt sie ohne Unterbrechung. Der Vergleich, welchen man zwischen einer Maschine und einem lebenden Orga- nismus anstellt, ist nur insofern zulässig, als in beiden ein zweck- mässiges Zusammenwirken untergeordneter Theile, zur Eealisirung einer dem Ganzen zu Grunde liegenden Idee vorhanden ist. Sonst giebt es keine Aehnlichkeit zwischen ihnen, und das Unpassende des Vergleiches wird um so augenfälliger, wenn man bedenkt, dass die bewegende Kraft der Maschine nicht in ihr, sondern ausser ihr, erzeugt wird, und Stillstand eintritt, wenn der äussere Impuls nicht mehr auf sie wirkt, während die Thätigkeiten des Lebendigen, ihren letzten Grund in ihm selbst haben, in ihm und mit ihm bestehen, und von ihm getrennt nicht einmal gedacht werden können. Der (\ §. 1. OrRanisilios nn«l Annrpani^dips. Verl.niiu-li an StoÜ" und Kraft wird aiicl. in «Ut Mascliino (ImvI. Spoisuiiii- v(.n aussen lit-r ans-o-liclicn. und, Avenn ihr Gaui;- in Unordiuin- .-vratli. lässt man das Rädin-werk ahlaufen, um uaclizu- bessorn, avo es fehlt. Im Triohwcrke eines lebenden Orj;auismus darf keine Pause eintreten; — es g-ilt das rollende Ka.l während seines Umselnvun-es auszntausclien. Jedes Atom des organischen Stoffes reparirt sich selbst; — der Stoffwechsel lässt es nie zu einem höhereu Grade von Abnutzung- kommen, und was in einem Momente verloren geht, giebt der nächste Avieder. Ist einmal Stillstand ein- getreten, so hat der Organismus seine Rolle ausgespielt; das IJand ist gehist, welches seine Bestandtheile zum lebensfähigen Ganzen sinnreich vereinte: die chemische Affinität tritt in ihre durch das Leben bestrittene Rechte, und führt die organischen Stoffe in jenen Zustand zurück, in welchem sie waren, als sie der todten Natur angehörten. In anorganischen Körpern giel>t es keinen Gegensatz zwischen Leben und Tod. Die organische oder Lebenskraft macht uns keine einzige Lebenserscheinung klar; sie ist, so lange uns die Einsicht in das Wesen des Lebens fehlt, nichts mehr als hypothetische Annahme, eine wesenlose Alistraction, — ein vielgebrauchtes Wort, welches müssigen Geistern Alles, dem wahren Forscher nichts erklärt. Die Physiologie hätte wahrlich sehr wenig zu thun, wenn sie sich be- gnügte, in dem Worte „Lebenskraft^' (Um letzten Grund aller Le])ens- thätlgkeiten zu verehren. Der Physiker giebt sich zufrieden, und hält "eine Erscheinung für erklärt, wenn er als ihren letzten (irund die Schwere, die Elektricität, oder den Magnetismus erkannt hat, weil die Aeusserungeu dieser Kräfte, und die Gesetze, nach welchen sie sich richten, ihm bekannt sind. Dem Physiologen dagegen ist die Lebenskraft nur ein Ausdruck, mit welchem er einen bestimmten Begriff um so weniger verbinden kann, als es eine logische Un- nuiglichkeit ist, dass den verschiedenen Lebeusäusserungen Eine Kraft zu Grunde liegen solle. Die Annahme einer Lebenskraft ist jedoch eine unabweisliche Kothwendigkeit; denn, weder aus che- mischen, noch aus physikalischen Kräften, welche sich in den Besitz der anorganischen Natur theilen, lassen sich die Lebenserscheinungeu folgerichtig deduciren und erklären. Wenn die Asche eines orga- nischen Körpers nur Stoffe führt, welche auch in der anorganischen Welt vorkommen, kann num daraus gewiss nicht schliessen, dass das Leben dieses organischen Körpers, nur das Resultat der Theil- eftecte dieser anorganischen Grundstoffe gewesen sei. Es wurde zwar in poetischer Weise gesagt, dass ein Eisentheilcheu dasselbe bleibt, mag es im Schooss der Erde ruhen, oder im Meteorstein den unend- lichen Raum durchfliegen, oder im Blutstropfen durch ein thierisches §. 2. Organisation. Organ. Organismus. 7 Eing^eAveide rinueu. Allein die Physiologie kann dieses Eiseutheilclien im lebenden Blute auf keine Weise wiederfinden nnd seine Greg-en- wart eonstatiren. Erst in der Blutasclie kommt es wieder znm Yor- scliein. Was ist also ans ihm geworden im lebendigen Blute? Es konnte die ihm zukommenden mineralischen Eigenschaften unmöglich in ihrer vollen Eigenthümlichkeit beibehalten haben. Sonst müsste ja der Mag-net dieses Eisentheilchen aus dem Blute herausholen können. Was aus ihm im lebendigen Leibe wird, weiss man nicht, und der Chemismus bewahrt sein Recht nicht über das Lebendige, wohl aber über das Todte, und mag dabei bleiben. Er hat den Schleier, welcher das Antlitz der Göttin birgt, nicht aufgehoben, wohl aber beim versuchten Lüften desselben, ihm neue Falten ein- gedrückt. Der kühnste Forschergeist hat in den Avunderbaren Er- scheinungen, Avelche die Entstehung, die Ausbildung, die lebendige Thätigkeit der Organismen und ihrer einzelnen Organe darbieten, nur das Formelle auffassen, sicherstellen und festhalten können; — ■ in die Mysterien der letzten Ursache ist er nicht eingedrungen, und Avird auch nicht eindringen, denn, wie der Dichter sagt: „Des Eäthsels Lösung liegt uns fern, Wir rathen's nicht, doch riethen's gern, Und seh'n uns stets verwundert an, Weil's Jeder möcht', und Keiner kann." §. 2. Organisation. Organ. Organismus. Die anorganischen Körper, selbst die vollkommensten der- selben — die Krystalle, — welche eine neuere mineralogische Schule, im Gegensatz zu den nicht krystallisirten Mineralien, als Individuen bezeichnete, sind immer nur Aggregate gleichartiger kleinster Be- standtheilchen, Avährend organische Körper aus verschiedenartigen Gebilden, Avelche sich wechselseitig durchdringen, zusammengesetzt sind. Hierauf beruht der Begriff der Organisation, als Modus der Vereinigung heterogener Glieder zu einem Ganzen, Avelchem ein vernünftiger Plan zu Grunde liegt. Aggregate sind nicht organisirt. Aufrechthaltuns; einer individuellen Lebensexistenz durch Zusammen- Avirken verschiedenartiger Theile, ist die Idee, welche sich in der Organisation ausspricht. Jeder Theil des Ganzen, welcher seine partielle Existenz dem EndzAvecke unterordnet, der durch die vereinte Wirkung aller übrigen erzielt werden soll, heisst Organ, und die ZAveckmässige ' Vereinigung aller Organe zu einem lebensfähigen Ganzen: Organismus. Ein Organ (oQyccvov. Werkzeug jeder Art) hat den Grund seines Vorhandenseins nicht in sich, sondern in dem Ganzen, Avelchem es angehört. Der letzte ZAveck der Organe ist somit nicht ihr eigenes Bestehen, sondern ihre Concurrenz zum S §. U. I.i'liiMisvcnii'hliingtMi. Bestellen des (Jaiizon. Sic hildcii eine Kt'tlc, deren (ilieder niclit Mos eines mit dem ;iiidereii, xindeni jede> mit allen iil)rii;'en /n- sammenliännt, und von wtdelien keines ansg(di<)l)(»n werden daif. oline den Betritt' (l(»s (ran/en zu stiiren. J)ie Aiii^rei^attlieile anur- nanis(dier Kiirjter da<;eg'en existiren l>ln> nehen einander, sie bedinmeil sitdi nielit weelisehveise. und Ixiren. seihst wenn sie ans ihrem Zusaninieuliani;»* «i'ebraelit werden, nicdit auf zu sein, was sie sind. Die Begriffe organiscli und ornanisirt dürfen nicdit ver- wechselt werden. Jede durch das Leben eines ()r<;anismus erzeugte Substanz, "welclie in der anorganischen Welt nicht vorkommt, heisst organisch. Sie mnss nicht nothwendig organisir t sein. d. h. sie kann dem Auge homogen erscheinen, und Aveder durch das Messer, noch durch andere anatomische Hilfsmittel, in ungleichartige Theile zerlegbar sein. Alles Organisirte aber besteht aus verschietlenen organischen Substanzen von bestimmter Form, welche sich nach einem gewissen Gesetze neben einander lagern oder dnrchdringeu. und sich durch die Zergliederung oder durch das Mikroskop als Difi'erentes untersclieiden lassen. So sind z. B. Eiweiss, Faserstoff, Blutserum, Lymphe organisch, aber nicht organisirt. Sie heisseu deshalb auch formlose organische Substanzen. Nerv. Muskel. Drüse dagegen, sind organisirt. und eo ip.-io auch organisch. §.8. Lebens verricMungen. In iloppelter Lebensform tritt nus das organische Naturreich vor Augen, als Thier- und Pflanzenwelt. In beiden finden sich, nel)st wesentlichen Unterschieden, zahlreiche UebcM'einstimmungen. Ja in den niedrigsten Formen beider, Avird es oft sehr schwer, ihre animalische oder vegetabilische Natur mit Sicherheit zu bestimmen. Beide leben, d. h. sie zeigen eine Aufeinanderfolge bestimmter, und sich wechselseitig bedingender Entwicklungen und Thätigkeiten. Bei Pflanzen und niederen Thiereu mauifestiren sich diese Thätig- keiten im engeren Kreise und in verschwimmender Form; bei höheren Thieren und im Menschen, in reicherer Entfaltung und schärferer Ausprägung. Entstehung dnreh Zeugung. Succession von Entwicklungsstadien, Ernährung. Stofl'wechsel, Saftbewegung, Ab- und Aussonderungen, finden sich in Thier und Pflanze. Die Pflanze empfängt ihren Nahrnngsstofl' aus dem Boden, in Avelchem sie gedeiht. Sie saugt ihn durch ihre Wurzeln an sich, leitet ihn durch ein Avunderbar complicirtes System von Zellen und Röhren zu allen ihren Theilen, und scheidet davon dasjenige nach aussen Avieder ab, Avelches zu ihrer Ernährung und ihrem Wachsthum nicht mehr dienen kann. Kohlensäure, Wasser, Ammoniak, und einige Salze, 2'enüü'en vollkommen zu ihrer Erhaltuiiii. Anders verliält es sich im §. 3. LebensverricMungen. C) Thiere und Meüsclien. Ihre eomplieirtere Bauart, ihre intensivere Lebensenerg-ie, fordern zusammeug-esetztere Nahrung-sstofFe. Sie nehmen diese Stoffe, welche durch den Lebensact einer Pflanze oder eines anderen Thieres zn ihrem Greniisse herbeigeschafft und vorbereitet Aviirden, durch eine einzig-e Oeffnung auf. Nur die niedrigsten Thierformen, wie z. B. die Amoebeu, haben keine solche Oeffnung-, sondern ernähren sich durch Stoffaufuahme au ihrer ganzen Oberfläche. Ein eigener Wächter, lustin et in den niederen, (ireschmack in den höheren Thieren genannt, sorgt dafür, dass sie in der Wahl ihrer Nahrung keine Missgriffe machen, und erlaubt dabei ihrer Willkür einen g'ewissen Spielraum, welcher der Pflanze gänzlich abgeht. Durch die Verdauung' (Digestio), welche im Magen und im Darmkanale (Yerdauungsschlauch) stattfindet, wird der nahrhafte Bestandtheil der Nahrung' vom unnahrhaften getrennt. Der nahrhafte Bestandtheil wird aus dem Yerdauimg-sschlauch auf- gesogen (Ahsorptio), in das Blut gebracht, diesem gleichartig- gemacht (Assimilatio) und durch die Schlagadern, welche aus dem Druckwerke des Herzens hervorgehen, zu allen Organen hin- geführt, um sie zu ernähren (7Vw^r2Yio); der unnahrhafte Bestandtheil dagegen wird als Caput mortuum, der Verdauung, aus dem Bereiche des lebendigen Leibes fortgeschafl"t (Excretio). Das den Organen zugeführte Blut strömt, nachdem es seine nährenden Bestandtheile au diese abgegeben und dafür die Abfälle ihres Stoffverbrauches aufgenommen hat, in den Kanälen der Blutadern wieder zum Herzen zurück, um von hier aus in die Lungen getrieben zu werden, wo es den Sauerstoff der eingeathmeten Luft aufnimmt und dafür Kohlensäure zurückgiebt, dadurch neuerdings nahrungskräftig wird, und auf anderen Wegen, als es zu den Lungen kam, diese verlässt, um zum Herzen zurückzukehren, von welchem es sofort in die Schlagadern gepumpt und durch diese zu den nahrungsbedürftigen Organen geführt wird. Der in der Lunge statthabende Austausch gewisser Blutbestand theile gegen andere neue, bildet den Begriff des Athmens (Respiratio) , die Blutbewegung zum und vom Herzen jenen des Kreislaufes (Circulatio) . Das Blut wird aber nicht blos auf die angeführte Weise zur Ernährung verwendet. Es werden vielmehr aus ihm noch besondere Flüssigkeiten durch die Thätig- keit besonderer Organe, welche man Drüsen nennt, bereitet (Secretio), und diese Flüssigkeiten (Secreta) zu den verschiedensten Zwecken im thierischen Haushalte verwendet. So werden Speichel, Galle, Harn und alle flüssigen Auswurfstoffe durch Secretion aus dem Blute bereitet. Ernährung, Kreislauf, Athmung, Ab- und Aus- sonderungen, sorgen für die Erhaltung des Individuums. Zur Er- haltung der Grattung führt die Zew^vin^ (Generatio), welche in der 10 §.4. Begriff dor Anatomie. Pflan/.o :nit' einer Notliwendiiikeit. im Tliiere aiit" eiiiein Iii^tiiu-te herulit. im Menschen ein diircli die 1 );iz\\ iM'lienknntt i\{^s (ieisti<;'en veredelharer TrieU ist. — Audi in der FHanze linden sifl» Analonien (lieser au t'ji;;ezähUon tliierisdien \ erriclitnnucn. \\-elelie zusammeii<;'enoin- men als Ernähr u n;;s- oder vegetatives Leiten hezeidinet werden. Empfindung- und Bewegung' sind nur dem Thiere eiu,('n, lialxMi in der Pflanzenwelt nichts Aehnliches oder (tleiches. und werden somit als animales Tvehen vom vegetativen unterschieden. §. 4. Begriff der Anatomie. Die Anatomie zu deliniren, ist für Jeden, welcher das grie- chische Wort iu's Deutsdie übertragen will, ühertlüssig. Sie zerlegt die Orgauisnien iu ihre nächsten eonstituirendeu IJestandtheile, eruirt das Verhältuiss derselben zu einander, untersucht ihre äusseren, sinnlich wahrnehmbaren P^igenschaften und ihre Innere Structnr. und lernt aus dem Todten, was das Eeljendige war. Dadurch erhebt sie sich recht eigentlich zur Wissenschaft dei' Organisation. Sie zerstört mit den Händen einen vollendeten Bau, um ihn im (xeiste wieder aufzuführen, und den Menschen gleichsam nachzu- erschafFen. Eine herrlichere Aufgabe kann sich der menschliche Geist nicht stellen. — Die Anatomie gilt mit Recht für eine der anziehendsten, und zugleich gründlichsten und vollkommensten Naturwissenschaften, und ist dieses in kurzer Zeit geworden, da ihre Aera erst ein paar Jahrhunderte umfasst. Wenn man mit dem römischen Redner die Wissensdiaft überhaupt als coijnitio certa ex principiis cerlis definirt, so steht die Anatomie unter allen Naturwissenschaften am ersten Platz. A\ ie jede Wissenschaft unter einer verschiedenen Behandlungs- weise, und den hiebei verfolgten Tendenzen, einen verschiedenen Charakter annimmt, so auch die Anatomie. Bire nächste und allge- meinste Aufgal)e besteht darin, die Zusammensetzung eines Org-a- nismus aus verschiedenen Theilen mit verschiedenen Thätigkeiten kennen zu lernen. Da der menschliche Geist sidi nicht mit dem gedankenlosen Anschauen der Dinge zufrieden g'iebt, sondern Plan und Bestimmung auszumitteln sucht, so kann die innige Verbindung der Anatomie mit der Functionenlehre (Physiologie im engeren Sinne) nicht verkannt werden. Die Anatomie ist somit Grundlage der Pliysiologie, und dadurch zugleich Fundamentalwissenschaft der gesamraten Heilkunde. Indem die organische Welt zwei Naturreiche, Pflanzen und Thiere umfasst, wird auch die Anatomie Pflanzen- und Tliier- anatomie sein, Phyto- und Zootomia. Nur einen kleinen Theil der letzteren bildet die Anatomie des Menschen, weldie, wenn man §. 5. Eintlieilung der menscliliclien Anatomie. 1 \ lange Namen liebt, Anthropotomie genannt werden mag\ Dem Wortlaute nacli drückt Anatomie (von ccvarsfivetv^ aufschneiden) nur eines jener Mittel aus, deren sicli die Wissenschaft zur Lösung ihrer Aufgabe bedient, — die Zergliederung. Zergliederungskunde ist somit ein beschränkterer Begriff, als jener der x\natomie, obwohl beide häufig im selben Sinne gebraucht werden. Die Zergliederung macht uns nur mit den leicht zugänglichen äusserlichen Verhältnissen der Organe des Menschenleibes bekannt. Um ihren inneren Bau aufzuklären, genügt sie allein nicht. Der Wissenschaft müssen noch eine Menge technischer Mittel zu Grebote stehen, durch welche auch das Verborgene, das dem freien Auge nicht mehr Wahrnehmbare, in das Bereich der Untersuchung gezogen werden kann, und die Anatomie wird somit, nebst den Handgriffen des Zerschneidens und Zerlegens, noch über eine reiche und unent- behrliche Technik zu verfügen haben, welche bei jeder Detail- untersuchung in Anwendung zu kommen hat. Die Anatomie ist somit theils Wissenschaft, theils Kunst, und wird ersteres nur durch letzteres. — Wenn man sich blos damit besrnüo't. die Resultate der anatomischen Forschungen kennen zu lernen, ohne sich darum zu kümmern, wie sie gewonnen wurden, mag man immerhin auch eine theoretische und praktische Anatomie unterscheiden. §. 5. Eintlieilung der menschliclieii Anatomie. Insofern die Anatomie die Organe des menschlichen Leibes im gesunden Zustande allseitig kennen zu lernen bemüht ist, führt sie den Namen der normalen oder physiologischen Anatomie. Mit ihr beginnt an den Universitäten das Studium der Medicin und Chirurgie. Sie ist die Vorschule beider. — Die Veränderungen, Avelche in den Orgauen durch Krankheit bedingt werden, sind Object der pathologischen Anatomie. Wie die normale Anatomie sich zur Physiologie verhält, so verhält sich die pathologische Anatomie zur Krankheitslehre. Ihre Beziehungen sind nothwendige und bedingende; — eine kann ohne die andere nicht existiren. Die physiologische Anatomie befasst sich a) theils mit der Kenntnissnahme der äusserlich Avahrnehmbaren Eigenschaften, Ge- stalt, Lage, Verbindung der Organe, und behandelt sie in der Ordnung, wie sie zu gleichartigen Gruppen (Systemen), oder zu ungleichartigen Apparaten, Avelche aber auf die Hervorbriugung eines gemeinschaftlichen Endzweckes berechnet sind, zusammen- gehören. Sie heisst in dieser Richtung beschreibende, specielle oder systematische Anatomie, und zerfällt in so viele Lehren, als es im menschlichen Leibe Systeme und Apparate giebt: Knochen-, Bänder-, Muskel-, Gefäss-, Nervenlehre für die Systeme; Eingeweide- 1 Ji §. 5. Eiiillioiluiip; (Ipv mcnscliliclien Anatumii'. 1111(1 Sinneiilelirp für die Apparate. Oder h) sie geht generallsireiul zu Werke, abstraliirt aus den vereinzelten Angaheu der l)ereit> Ix'kannt g'ewordenen beschreibenden Anatomie allgemeine Normen, ordnet diese Angaben in (Jrujjpen. nnd l>i-iiiut sie in ein Svstom. dessen Eintheilnngsgrnnd der innere Ban der Organe (das Gewehe, Te.r- tid-a) ist. Sie wird dann (1 eweb lehre» (Histolog'ie. von lOrös, autdi laTiov, (Jewobe) giMiannt. Da die (lewebarten nur mit Hilte des Mikroskops untersucht werden können, führt die Lehre von den (iewebeu gewölmlich den woldberechtigten Namen: mikrosko- pische Anatomie. Als mau in unseren Tagen auf den Einfall gerieth, die n)it freien, unbewafineteu Augen arl)eitende, secirende Anatomie, im (Jegensatze zur mikroskopischen, die makrosko- pische zu nennen, bedachte mau niclit, dass der (legensatz von fiiKQog nicht (xaxQog, sondern (isyag ist. Mm^og bedeutet nämlich lang, nicht g-ross. Hufeland's Makrohiotik, und die Macrocephali Scythaei (Langköpfe) des Hippocrates, können dieses bestätigen. Der Unglückliche, welcher die Erfindung dieses Wortes auf dem Gewissen hat, möge also hingehen und (Jriechisch lernen. Die mikroskopische Anatomie wird in der Oegenwart bei Weitem schwunghafter betrieben, als die zergliedernde Anatomie. Die Aussicht auf Entdeckungen, welche in einer so jungen Wissen- schaft, wie es die mikroskopische Anatomie ist, weit lockender erseheint, als in dem vielfach und gründlich durchforschten Gebiete der Messeranatomie, und der Umstand, dass man in der mikrosko- pischen Anatomie mit viel Aveniger Geschicklichkeit ausreicht, als in der präparirenden. wirbt ihr ein Heer von Verehrern mit mehr Aveuiger Beruf, Befähigung, und Ehrlichkeit. Man hat es zugleich viel bequemer mit ihr, als mit der zergliedernden iVnatomie, indem die Mikrosko])ie überall ihre kleine Werkstatt aufschlagen kann, und unser Geruchsinn dnrch sie auf keine so harte Probe gestellt wird, wie an halbfanlen Leichen. Ein alter, etwas derber Anatom sagt: Znr Anatomie gehört die Hand eines Künstlers, die Geduld eines Engels und der Magen eines Sclnv — . Diese heterogenen x\n- forderungen werden nun an die mikroskopirende Anatomie mit Manschetten und (Tlaceehandschnhen nicht gestellt. Sie führt uns, Avenngleich auf maneh.erlei UmAvegen, unogiJi|>lii.--i'liu Aiialuiiiio. willig, wie siiiic Kiklaruiig au ili<' ll"lkaiizlt'i besagt: ie in.sl)r- sonder> cli i rn i'i^i se Ii e Aii;it(inii(> i;('n;innt. ein Name, welclier tnnlieli in den der angewandten Anatomie umzuwandeln wäre, da die Ergiebigkeit dieses Faelies für die Medicin keine geringere als tiir die Wnndarzneiknnde ist nnd es ül)erliau}»t nur Eine Heilkunde s^ilit. Die an^-ewandte Anatomie entliält sich aller hesciireiltenden Details, ans denen keine unmittelbaren jiraktiselien f^olgernn^en t»ezogen wei'den k('>nnen; — sie ist die IMunuMdesi» der zahlreichen Nutz- anwendungen unserer ^^'issenschat't, — somit die eisi^entliche Ana- tomie des ])rakticirendeii Arztes. Die (lestaltung- der Oberfläche des ( )rg'anismns berulit auf der (Truj)pirung seiner inneren Organe. Deslialb brauclit nicht erst be- wiesen zu "werden, dass die Kenntniss der äusseren Form des menschlichen Leibes (Morplioh)gie, uni)assend Anatomia e.rterna) einen sehr Avichtigen Theil der topogra])hischen Anatomie bildet. Wenn man bedenkt. Avie mit gewissen innei'en krankhatten Zuständen, entsprechende Veränderungen der Oberfläche Hand in Hand gehen, so Avird die praktische Wichtigkeit dieser Lehren für Jenen, Avelcher Arzt werden AviU. keiner besonderen Empfelilung bedürfen. Die Beinbrüche und Verrenkungen, die Wunden und das Heer von (irescliAvülsten, ahso gerade die häufigsten clururgischen Krankheiten, bestätigen täglich ihre nutzAolle AnAvendung. Die ästhetische Seite dieses ZAveiges unserer Wissenschaft begründet nebenbei seine (xeltung in der bildenden Kunst, und die plastische Anatomie, Avelclie die äusseren Umrisse des menschlichen Leibes auf innere Bedingungen reducirt, giebt erst den Werken der Kunst die Wahr- lieit des Lebens. §. 7. Yergleicliende Anatomie und EntwickliingsgescMchte. Die A'ergleichende Anatomie hält die Heerschau über die bunten Schaaren der Thiere und deren Bau, A^on der Monade, deren Welt ein Wasserti'opfen ist, bis zum Ebenbilde Gottes. Wie das Leben in seinen tausendfältigen Daseinsformen sich selbst und sein Substrat veredelt; Avie es, von den ersten \uu\ einfaclisteu Regungen sich durch eine endlose Reihe von Organismen fort, und fort Aveiter bildet; Avie Plan und Gresetzmässigkeit in Bau und Verriclitungen jedem Individuum den Stempel relativer Vollkommenheit, d. h. höchster ZAveckmässigkeit für seine Existenz, aufdrückt, dieses zu kennen, ist das preisAvürdige Object der vergleichenden Anatomie, Avelcher somit die Würde einer philosophischen Wissenschaft zu- kommt. Sie hilft nicht zunächst einem, praktischen Bedürfnisse ab, Avie die angeAvandte Anatomie; — ihr Adel benrht nicht auf den materiellen Rücksichten des Nutzens, sondern auf Veredlung' des §. 7. Vergleielieude Anatomie und EntwicklungsgesehicMe. 17 Greistes dnrcli Erkeuntniss der Walirlieit, welche ilirer selbst willen aufziisiiclien, ein Bedürfniss der Denker ist. Das Nützliche begehren wir nickt seiner selbst willen, sondern des Vortkeils wegen, welchen es nns gewährt. Das Wahre dagegen lieben und snchen wir, ohne kaufmännische Frage um seinen Nutzen. Dem Streben zum Wahren verdankt alle Wissenschaft ihren Ursprung, und sie würde sich nie auf ihre gegenwärtige Höhe emporgeschwungen haben, wenn auch sie in die Schranken des Nützlichen wäre eingeschlossen worden. Vergleichende Anatomie und Zootomie sind nicht gleich- bedeutend. Während die Zootomie nur einzelne Thiere mono- graphisch behandelt, und die Summe unserer anatomischen Kennt- nisse vergrössert, bringt die vergleichende Anatomie diese Einzelheiten in Zusammenhang und geordnete Uebersicht, und be- geistigt zugleich das todte Material durch die Ideen, welche sie aus der vergleichenden Behandlung desselben schöpfte. Diese Ideen sind in unserer Zeit so kühn und grossartig hervorgetreten, dass sie selbst die Macht geltend machen, die Kluft zu ebnen, welche den Menschen von der Thierwelt trennt, und seinen Ursprung, seine höhere Organisation und geistige Begabung, nur als gesetz- mässige und unabweisliche Folge von Entwicklungen angesehen wissen wollen, welche in die entlegenste Ferne der Greschichte der Erde und ihres organischen Lebens zurückreichen. Diese Entwick- limgsfolge soll es verstehen lehren, dass der Mensch nicht geschaffen wurde, sondern durch zwingende Macht der Naturgesetze entstand, d. h. sich aus niedrigeren Wesen, als er selbst ist, allmälig zu dem entwickelte, was er jetzt ist. Greologie, Paläontologie und organische Entwicklimgskunde haben die Naturwissenschaft in diesen Be- strebungen auf das Bereitwilligste unterstützt. Schon im Anfange dieses Jahrhunderts sagte Oken: „Der Mensch ist das grimmigste Raubthier, der unterwürfigste Wiederkäuer, die artigste Meerkatze (damit ist das schöne Greschlecht gemeint) und der scheusslichste Pavian, das stolzeste Ross und das geduldigste Faulthier, der treueste Hund und die falscheste Katze, der grossmüthigste Elephant und die hungrigste Hyäne, das frommste Reh und die ausgelassenste Ratte. Theilweise ist der Mensch allen Thieren gleich; ganz aber nur sich, der Natur und Grott!" Das verdaue, wer kann und ver- suche es, dabei ernsthaft zu bleiben. — Wird es nun dieser Schule gelingen, Ideen solcher Art in wissenschaftlich bewiesene, also ver- ständliche und , unangreifbare Sätze zu fassen? Werden diese Sätze auch die Wunden heilen, vs*elche sie in dem Grefühle der Menschen- würde, in dem Bewusstsein einer höheren als thierischen Bestimmung, unfehlbar aufreissen müssen? Wird der Selbstmord xmserer Seelen den Menschen beglücken durch eine Lehre, welche ihn doch eigent- Hyrtl, Lehrljuch der Anatomie. 20. Aufl. IS S. 7. YergU'ichciiile Anatoiiiic uml Kiitwickluiigsgcsiliitlile. lidi nur zu eiiu'iii IIäiitVIi(Mi Dün-ivr für den Acker inaelit? Wird die AVissensdiaft auf ihrem AN'cge stille stehen oder sieh zur Umkehr bereden lassen? Nur auf diese letzte Frage lässt sieh bestinuute Antwort neben. Sie lautet: Nein. — denn der Kampf (le> Wissens mit dem (Jlanben wird dauern, so lange es Menschen giebt. Und so w(dlen wir es auch nicht unbedingt für unm()i;lich lialten. dass der philosophische Geist iler vergleicluMi(b'ii Anatomie einst eine neue Ordnuni;' der Dinge schaffen kann. Aber jnan verness«» nicht, dass die Zeit ein Element der AVahrlieit ist. Die Wahrheit kommt nur langsam und t^radweise. Sie vor der Zeit erfassen zu w(dlen. , liat, so lange die Welt steht, nur zu Täuschungen geführt. Die Eutwickhingsgeschiclite oder Evolutiouslehre be- schäftigt sich nicht mit dem, was die Organe des thierischen Leibes sind, sondern Avie sie es Avurden. Sie studirt die (besetze, nach welchen aus dem einfachen Keim der Embryo sich zum Fötus und dieser zum geburtsreifeu Kinde entAvickelt, wie die Viel- heit der Organe sich bildet, welche Metamorphosen sie durchlaufen, bevor sie den Culminationspunkt ihrer Ausbildung erreichen. Sie aehört ü-anz der Neuzeit an, und Avohl hat keine Wissenschaft in so kurzer Zeit so Vieles und Ueberraschendes geleistet, wie sie. Die durch Störung der Entwicklungsgesetze bedingten Abweichungen in Form und Bau — Hemmungsbildungen, Monstrositäten — Hndeu durch sie ihre Avissenschaftliche Erledigung. Die Worte Embryo und Fötus (Fetus), welche in der Anatomie so häufig gebraucht werden, sind nicht synonym. Ihr Unterschied besteht, ein- für allemal gesagt, in Folgendem. Embryo (tö h'tißQi'ov, von ßQvtiv, sprossen oder keimen) bedeutet die ungeborene Frucht im !Mutterleibe (rö ivzog rfjg '/aargos ßgvov, quod in venire matris pullulat, Eust.), so lange noch nicht alle Formtheile des werdenden Leibes entwickelt sind. Sind diese aber bereits ausgebildet, so heisst die Frucht fetus (gewöhnlich, obwohl sprachlich unrichtig, auch foetus), von dem veralteten /eo, erzeugen, woher auch feniina nnä fecundus stammt. Fetum edere, heisst gebären, bei Cicero. Uebrigens bedient man t^ich heut- zutage der Worte: Fetus und Embryo, ganz promiscue. Da die Entwicklungsgeschichte das Werden der Organe, nicht einen fertigen und bleibenden Zustand derselben untersucht, es somit nicht mit Beschreibungen vollendeter Formen, sondern mit Uebergängen vom Einfachen zum Zusammengesetzten zu thun hat, so wird sie gewöhnlich in die physiolo- gischen, nicht in die anatomischen Vorträge aufgenommen. In der descriptiven Anatomie kommt der Lehrer oft in die Lage, auf die Ergebnisse der Entwicklungs- geschichte Rücksicht zu nehmen, und gut ist es, wenn er es so oft als möglich thut, denn der anatomische Sachverhalt im vollkommen entwickelten Organismus wird besser verstanden, wenn man weiss, auf welche Weise er zu Stande kam. §. s. Yerhältniss der Anatomie zur Physiologie. Bis zu Haller's Zeit behandelten viele anatomische Schriften auch die Physiologie, d. i. die Verrichtungen der Organe; „neque §. S. Vcihältiiiss der Anatomie zur l'hy^iulogie. 19 enim miäta in physiologicis scimus, nisi quae per auatoineu didiciinus". Die.se Worte bezeiclmeii richtig' das Yerliältniss der älteren Anatomie zur älteren Physiologie. Aus ihnen spricht nur etwas zu viel Hoch- achtung' eines grossen Anatomen für sein Fach. Die neuere Physio- logie ist bemüht, sich als „organische Physik" mit der Grlorie einer exacteu Wissenschaft zu umgeben. Alles Irren ist ihr auch sofort unmöglich geworden (scilicet!). Wo Physik, Chemie und ]Me- chanik in das Triebrad der Lebensyerrichtungen eingreifen, lässt sich Exactheit der „Methode" allerdings anstreben, und Niemand Avird es bezweifeln,- dass die Arbeiten über Athmung, Verdauung, Harn- bereitung und Neryenphysik ihren Werth behaupten, wenn auch die Structur der betreffenden Organe eine ganz andere wäre, als sie wirklich ist. Der Charakter jener Arbeiten ist eben ein rein chemischer oder physikalischer. Wie es sieh aber mit der Exactheit der „Resultate" verhält, zeigen die Wörtchen: „es scheint" und „es dürfte", und die noch exacter klingende Verbindung beider „es dürfte scheinen", welche die Seiten gewisser physiologischer Schriften in unliebsamer Anzahl schmücken. Ich las diese Aus- drücke in einer kleinen physiologischen Schrift, welche den Wiener Aerzten die Wirksamkeit der Bäder klar zu machen bestimmt war, auf 16 Seiten 28mal. Was so oft und so lange scheinen kann, muss doch gewiss auch selber klar sein. Es kann der Anatomie nicht zugemuthet werden, sich allein mit der Aeusserlichkeit der Organe abzugeben. Ihre Tendenz ist der Enträthselung der Functionen zugewendet, ihr Princip ist Physio- logie. Ein geistloses HandAverk, — und ein solches wäre die Ana- tomie ohne Verband mit Physiologie, — hat keinen Anspruch auf den Namen einer Wissenschaft. Kann man die Einrichtung einer Maschine studiren, ohne Vorstellung ihres Zweckes, öder, so lange mau bei Vernunft ist, den Klang der Worte hören, ohne den Sinn der Rede aufzufassen? Ist es möglich, harmonisch geordnete Theile eines Ganzen zu sehen, sie blos anziistarren, ohne zu denken? Die Physiologie setzt die Anatomie nicht voraus, sie existirt vielmehr in und mit ihr. Der Anatom kann keine Untersuchung vornehmen, ohne von der physiologischen Frage auszugehen, oder am Ende auf sie zu stossen. Die Bahnen beider ' v^issenschaften begegnen und kreuzen sich an so vielen Punkten, dass es nur Avenig divergirende Zwischenstellen gibt. Die Physiologie eine angewandte Anatomie zu nennen, ist unlogisch, da eine reine Anatomie nicht existirt. Beruht die Eintheilung der anatomischen Systeme und Apparate nicht auf physiologischer Basis? werden die Arten der Grelenke. nicht nach ihrer möglichen Bewegung unterschieden? führt nicht eine ganze Schaar von Muskeln physiologische Namen? Wer kann 2() 8. 8. Verhftllniss der Aiiiilwiiii«' zur Physiologie. den Meclianl.siim.s der Herzklappen, die sinnreiche Con.structiün des Anges und seiner dioptrisclien Tlieile, die anatoniisclien Verhält- nisse der Be\vei;un<^sorg'ane, nnd so vieles Andere Lesehauen, ohne einem physiologischen Gedanken Raum zu i»eln'u? Ist nicht die Hälfte eines anatomiseheu Lehrlmchcs in physiologischen Worten abgetasst, und hat irgend Jemand deshalli über Unverständlichkeit Klage geführt? Allerdings unterrichtet uns das anatomische Factum bei Weitem nicht über jede physiologische Frage. Das leider so oft missbrauchte Experiment am lebenden Thiere. die chemischen und physikalischen Versuche, A^ergleich, Induction. Analogie, tragen nicht weniger dazu bei, das })hysiologisclu' Lehrgebäude aufzuführen, und seine dunklen Kammern dem Tageslicht ch-r Wissensciiaft zu (»ffnen. Die Grund- festen dieses (rebäudes sind und bleiden jedoch die anatomischen Thatsacheu. Es war deshalb mit der Trennung der Physiologie und Anatomie von jeher eine missliche Sache. 8ie existirt de facto in den medicinischen Lectionskatalogen, aber nicht de jure, und wurde überhaupt nur durch die Nothwendigkeit veranlasst, die täglich sich vermehrende Menge physiol(»gIscher Ansichten und Meinungen zum Gegenstande eigener Schriften und Vorträge zu machen. Man nehme aber der Physiologie die Anatomie und die organische Chemie, imd sehe, was dann übrig bleibt. Für die Bildung praktischer Aerzte, und diese ist doch der Hauptzweck medicinischer Studien, könnte es nur erspriesslich sein, wenn die Physiologie der Schule sich mehr mit dem Menschen, als mit Fröschen, Kaninchen und Hunden beschäftigte, und mehr das Redürfniss des Arztes in's Auge fasste. So lange dieses bei uns nicht geschieht, wird die Physiologie von den Studirenden nur als eine Eigorosumplage gefürchtet, nicht als eine treue und nützliche (xefährtin auf den Wegen der praktischen Medicin geliebt und gepflegt. Mögen deshalb die Lehrer der Physiologie recht oft an Baco denken: „vana omnis eruditionis ostentatio, nisi utilem operam secian ducat". Mögen auch die Freunde der empörendsten und nutz- losesten Thierquälerei (nur von dieser rede ich) es beherzigen, dass die Worte der Schrift: „Der Gerechte erbarmet sich auch des Thieres" nicht blos für die Wiener Fuhrknechte geschrieben wurden. Sie gehen auch einige Professoren daselbst an. Jeder denkende Arzt wird es zugeben, dass die medicinische Wissenschaft den Vivi- sectionen grosse und wichtige Entdeckungen verdankt. Was wüssten wir von den Chylusgefässen, von den Functionen des Nervensystems, von Befruchtung und Entwicklung, ohne sie? Aber ebenso wird mau auch zugeben müssen, dass Vieles, was am lebendig secirten Thiere gesehen wird, auch am frisch getödteten, oder bei jenen legitimen §. 8. Verhältniss der Anatomie zur Physiologie. 2 1 Vivisectionen am Menschen, welche chirurgisclie Operationen heissen, gesehen werden kann. Selbst die Entdeckung des Kreislaufes hätte ohne die horrenden Schindereien gemacht werden können, mit welchen das 17. Jahrhundert sie zu inangiiriren bemüht war, wenn man die bei jedem Aderlasse wahrnehmbare Thatsache erwogen hätte, dass die Armvenen unterhalb, nicht oberhalb der Binde an- schwellen, und dass durchschnittene Venen in klaffenden Wunden, aus ihrem peripherischen, nicht aus ihrem centralen Ende bluten, ergo das Blut in den Yenen nicht centrifugal, wie man glaubte, strömen könne, sondern centripetal strömen müsse. Die vom an- gestammten Vorurtheil unbefangene, rein anatomische Betrachtung der Yenenklappen an der Menschenleiche, hätte ebenfalls, ohne alles Blutvergiessen, genügen können, die Erkenntniss des wahren Blut- umtriebes zu vermitteln. — Mein Urtheil über die vielventilirte Frage der Vivisectionen lautet: wenn es sich Jemand zutraut, an wochenlang zu Tode gemarterten Thieren etwas zur Bereicherung der Wissen- schaft finden zu können, so thue er es allein, zwischen seinen vier Wänden. In den Schulen, und bei den öffentlichen Vorlesungen die gaffende Menge mit Atrocitäten zu unterhalten, deren .Ergebnisse so oft contradictorisch ausfallen, oder gänzlich ausbleiben, sollte gesetzlich verboten werden. Das divum humanitatis ministerium des Arztes legt ihm die Pflicht auf, dieses Verbot mit allem Nachdruck zu fordern. Wer es ruhig mit ansehen kann, wie der Professor einer Taube den Schädel mit glühenden Nadeln durchstochert, um seinen Jüngern die höchst merkwürdige Thatsache zu constatiren, dass das Thier mit dem versengten Hirn nicht mehr recht fliegen kann, oder wie derselbe Priester der Heilwissenschaft einer auf die Marterbank gebundenen Hündin die Jungen herausschneidet, und sie, eines nach dem andern, der Mutter hinhält, welche sie winselnd beleckt, während sie sich in ein hingehaltenes Stück Holz mit wüthendem Ingrimm verbeisst, wer das, sag' ich, ruhig mit ansehen kann, der soll ein Schinderknecht, aber kein Arzt werden! Diesen herz- und gefühl- losen, blutdürstigen Experimentatoren gesellen sich aber viel gefähr- lichere Leute bei, welche an Dutzenden von Hunden sich unmögliche Operationen einstudiren, in der Absicht, dieselben, wenn die Thiere nicht gleich unter der Hand verenden, bei nächster Grelegenheit auch an elenden, tuberkulösen, krebskranken Mensehen auszuführen. JJncum et Gemonias! Die medicinischen Journale brachten uns haarsträubende Berichte über Exstirpationen der Lungen , der hochschwangeren Grebärmutter, und der Harnblase, und gelehrte Gesellschaften haben sich diese Gräuelthaten vorerzählen lassen, ohne ihrer Indignation über die in unserer Zeit immer mehr überhandnehmenden chirurgi- schen Tödtungen Ausdruck zu geben. 22 §• ^- VprliUltni-s (l(>r Aniitnmir ZHV Modiciii. i<. '.». Verhältniss der Anatomie zur Medicin. AVir wollen die Khi^c tlcr SnidifciKlcMi iiiclit für i;änzlicli mi- be^TÜndet lialteu. dass das Studium der Mcdlcin mit ,s()!;enannttni Hiltswissenscliattcu ühtM'bürdct ist. Diese Hilt'sAvissenscliat'ten alle werden von den Professoren derselben, für den ärztliclnMi Unter- riclit als sehr wiclitii;', s(dl)st als unentbelirlicli aiisi;ei;eben. Ja wenn es einer mediciniselien Facultät einfiele, liöliere ^Mathematik, und Astronomie iu ihre Yorlesun<;en aufzunelmien, würde der l^ehrer dieser Wissen.schat'teii gewiss iu der ersten .Stunde es allen seinen Zuhörern au's Herz legten, dass man ohue Integral- und Differenzial- rec.hnung, uud ohne Einsicht in den niotvs coeli siderumt/vc meatvs, keiu guter Arzt Averdeu könne. Im Erkenneu und Heilen der Krankheiten liegt die iVufgabe der Medicin. Das Erkennen allein ist Wissenschaft; das Heilen war bisher Empirie, und wird es noch lange bleiben. Um Krank- heiten zu erkennen, macht der Arzt seine lange Sclmle durch; heilen dagegen kann Jeder, der weiss, was hilft. Und dieses Wissen hat einen so bescheidenen Umfang, dass es der ehrliclie Schwabe und Wiener klinische Professor, Max. Stoll, einer der besten Aerzte seiner Zeit, und Auetor der epochemachenden Matio medendi in noso- comlo V'uidohonensi, auf seineu Fingernagel schreiben wollte. Bevor man aber daran denken darf, zu heilen, bat der Arzt darauf zu sehen: nicht zu schaden {nqSixoY to ^r] ßlunreiv, Hipp.). Auch liiezu gehört eine Art von Wissenschaft, und Mancher kommt sein Lebelang nicht weiter. Im Erkennen der Krankheiteu also, nicht im Heilen, liegt die Würde der ]\Iedicin, und an dieser hat die Anatomie, nach dem einstinmiigen Urtheile aller Avissenschaftlichen Aerzte, auch einigen An theil. Cofjnitio corporis huNiaiä,j)r Inelpiunisennonis in arte. Der Jeueuser Professor Kolfink nannte de.shalb die Anatomie medicinae ondus, verg-ass aber liinzuzusetzen: qxmndoque coecutiens. Es hiesse den Standpunkt der Anatomie sehr verkennen, w(»nn man in ihr blos ein A orl)ereitungsstudium zur Heilkunde erblicken, vind ihre vielfältigen Anwendungen in praxi, als die einzige Em- pfehlung derselben dem Studirenden hinstellen wollte. Der Nutzen ist leider das Idol der Zeit, dem alle Kräfte huldig-en, alle Talente fröhnen, imd ein gutes Kochbuch wird von Millionen Familien für nützlicher gehalten, als die Mccanique Celeste von Laplace. Im Grunde haben sie für ihren (iesichtskreis nicht unrecht. Würde aber allein die Nützlichkeit den Werth einer Sache bedingen, dann müsste auch das Trinkwasser theurer sein als das Gold. — Am allerwenigsten darf man es dem Schüler verarmen, wenn er bei einem Faclie, dessen Betriel) so viel Zeit uud Mühe in Anspruch §. 9. Verhältniss der Anatomie zur Sredicm. 23 nimmt, wie die Anatomie, vorerst fragt, wozu er es brcUielieu kann, und erwartet, dass man es ihm sagt. Die cadaverum sordes und die mephitis der Secirsäle entschuldigen diese Neugierde. Allein die Anatomie als Wissenschaft ist keine Magd der Heilkunde. Jede Naturforschung hat einen absoluten, nicht in ihren Nebenbeziehungen gegründeten Werth. So auch die Anatomie. Sie bietet Wahrheit aus, verschenkt sie aber nicht, sondern lässt sie nur theuer erkaufen. Das Greheimniss des Lebens aufzuhellen, ist an und für sich ein erhabener Zweck, der jede Rücksicht des Nutzens und der Brauch- barkeit auf dem Markte des Lebens ausschliesst. Hieher gehören D ö 11 inger's Worte: „Ehe man fragt, wozu ein Wissen nütze, sollte man billig erst untersuchen, welchen inneren eigenthümlichen Gehalt und Werth es habe, inwiefern es den menschlichen Geist zu er- füllen und zu erheben fähig sei, ob es an sich gross und kräftig, Anstrengungen fordernd, uns die Macht und den Gebrauch unserer Kräfte kennen lehre." Die ganze Welt gesteht es zu, dass die Anatomie die Grund- lage der Medicin abgibt. Dieses ist richtig. Die Medicin kann der Anatomie nicht entbehren, obgleich die Anatomie sehr wohl ohne Medicin bestehen kann. Und sie bestand auch lange schon, bevor die Medicin noch Anspruch auf Wissenschaftlichkeit machen konnte. Die Philosophen Griechenlands haben sich früher als die griechischen Aerzte, um die Anatomie gekümmert. Wir kennen alle die merk- würdige Thatsache, dass die grossen Entdeckungen in der Anatomie lange Zeit den Entwicklungsgang der Heilkunde nicht förderten, ihm auch keine andere Eichtung gaben, und grossartige physio- logische Irrthümer, welche sich durch Jahrhunderte zu behaupten wussten, denselben nicht hemmten. Die Speculation hat sich in dieser Beziehung auf die Medicin viel einflussreicher bewiesen als Anatomie und Physiologie. Es hat eine Zeit gegeben, wo Philosoph und Arzt synonym waren, und die Aerzte über die Krankheiten nicht klüger urtheilten, als die Philosophen über das Unbegreifliche. Die Anatomie wurde damals gar nicht befragt. Das Humidum und Calidum wurde für viel wichtiger gehalten. Jahrtausende hindurch hat die Medicin wohl allerlei Zeichen gesehen, und Heilmittel ge- funden, aber keine einzige Wahrheit, kein einziges Lebensgesetz. Unbewiesener Glaube drückte ihrem Walten den Stempel der Un- fruchtbarkeit auf, und der dem Menschen angeborene Instinct des Denkens, führte nur zu grund- und gehaltlosen Theorien. Selbst in unseren Tagen hat sie nicht ganz aufgehört zu sein, was sie seit ihrem Beginne war, ein nicht ohne Sorgfalt zusammengestückeltes, und treuherzig nachgebetetes System conventioneller Täuschungen, welche man für Wahrheit nimmt. _4 §. 9. Vorli.lllni^s der Aiiatmuii' /ur Jlodiiin. Die Zeit ist iiiclit so lange nni. wo die akadeinischen (xesetze g-ewisser üniversitättMi, den Bctriel) der Anatomie von den 8tn- direndeu entAveder gar nicht forderten, oder nnr den Wnudärzteii g^estatteten. Auch diese Periode des Jammers ging- vorüber; es fiel ein Lichtstrahl auch in diese Nacht, und liess das Bewusstsein ent- stehen, (hiss das Heil der Heilkunde aus fruchtbarerem Boden, als aus dem Flugsande der Hypothesen, welchen die Schulen zusammen- Avirbelten, erblühen müsse. Sie hat ihn endlich nach langem ver- geblichen Sucheu gefunden, und die Anatomie hat ihr hiebei die Leuchte vorg;etragen. Dass hier vorzugsweise die pathologische Ana- tomie gemeint ist, versteht sich von selbst. In Wien wurde sie zu Anfang; dieses Jahrhunderts durch Rud. Vetter, später Professor der Anatomie zu Krakau, gegründet. Fast Niemand nennt heutzu- tag-e diesen Namen mehr. Und dennoch waren Vetter's Aphorismen aus der pathologischen Anatomie, Wien, 1808, die erste be- deutimgsvolle Leistung* auf einem l)isher brachgelegcnen wissen- schaftlichen Gebiete. Viele haben Worte und (Jedauken dieses Buches benützt, — erwähnt hat es, ausser Virchow, Keiner! Man sollte es kaum glauben, dass der Versuch, die Heilkunde auf anatomischem Weg"e vorwärts zu bringen, so lange hinaus- geschoben werden konnte. Die Bahn ist nun gebrochen, und was bereits g;eschah, berechtigt zu den schönsten Erwartungen. Die Medicin ist endlich Naturforsehung geworden, und fühlt die Wahr- heit, welche in den AVorteu Koger Baco's liegt: „noa ßageiuhim aut excogitandum, sed inveniemiurn, quid Natura faciat atque ferat". Ein Rückschritt ist nicht mehr möglich. Man kann nicht mehr zurückfallen in den alten Fehler, sich Begriffe von Krankheiten aus ihren äusseren Symptomen zu construiren, von Kräften, Factoren, Polaritäten zu träumen, welche nicht existiren, für jedes l^eiden eine Formel aufzustellen. Avas man, um sich selber zu betrügen, rationelles \ erfahren nannte, und die Hauptsache zu übersehen, dass die Krankheit, wie jede andere Naturerscheinung-, analysirt und auf ihre in der Organisation begründeten, also anatomischen, ursächlichen Momente zurückgeführt Averden müsse. Mehr kann der Arzt nicht thun, — Aveniger darf er aber auch nicht thun. Die alten Aerzte sahen in den Krankheiten nur Erscheinungen, — die Medicin der Jetztzeit betrachtet sie als Probleme, deren Lösung sie anstrebt. — Da die Lebensdauer der Menschen, seit die Medicin den eben g-eprieseneu neuen Weg einschlug, nicht zunahm, und die Ziffern der Sterblichkeitstabellen nicht kleiner Avurden, wird man Avohl einsehen, dass das, Avas nuui zum Lobe der Medicin hört oder liest, nur den diagnostischen, nicht den curativen Theil derselben angeht, obAvohl auch dieser nicht mehr daran glaubt, dass eine §. 10. Verhältniss der Anatomie xur Chirurgie. 25 Arznei um so besser wirkt, je schlechter sie schmeckt, und dass man der Mittel nicht genug' auf einmal verschreiben könne, damit doch gewiss das rechte darunter sei. Ich weiss, dass das Gesagte dem Anfänger, an welchen diese Worte gerichtet sind, nicht ganz verständlich ist, ihm vielleicht selbst frivol vorkommt. Sollte er sich in der Reife seiner Jahre ein Urtheil über die Wissenschaft gebildet haben, der er jetzt sein Leben und seine Kräfte zu widmen im Begriffe steht, so wird er die hier vorgetragene Ansicht über den praktisch medicinisehen Werth der Anatomie nicht zu hoch gehalten finden. Hat mir doch ein Recensent die Ehre erwiesen, von diesen meinen Expectorationen zu sagen: „sie enthalten Groldkörner, aber in bitterer Schale". Dem ist leicht abzuhelfen. Man werfe die Schale weg, und behalte die Körner. Mein langes Leben als Professor aaatomiae hat mir die Erfahrung gebracht, dass alle meine Schüler, welche gute Anatomen waren, auch gute Aerzte geworden sind. „Mic locus est, uhi mors gaudet succurrere vitae" So las ich über der Thüre eines Pariser Secirsaales geschrieben, und wahrlich, es bedarf nicht schönerer und mehr bezeichnender Worte, um die Seele des Eintretenden, an der Schwelle schon, mit Ehrfurcht zu füllen. Dieses soll die vorwaltende Stimmung jedes Einzelnen sein, der an den der Auflösung verfallenen Resten unseres eigenen Gre- schlechtes lernen will, Gesundheit und Leben seiner Mitmenschen zu wahren. §. 10. Yerhältniss der Anatomie zur Chirurgie. Anatomie und Chirurgie sind einander sehr nahe verwandt. Beide arbeiten mit dem Messer. Der Einfluss, welchen die Anatomie auf Chirurgie ausübt, wurde nie verkannt, itnd bedarf selbst für den Laien keiner weitläufigen Erörterung. Schon im Mittelalter erliess Kaiser Friedrich IL den Befehl, dass Niemand zur Ausübung der Wundarzneikunde berechtigt werden solle, der sich nicht aus- weisen konnte, die Zergliederungskunst erlernt zu haben. So heisst es in Lindenhrogii codex legum antiquarum: „Jubemus, ut nullus chirurgus ad praxhn admittatur, nisi testimoniales Uteras afferat, quod per annum saltem in ea medicinae parte studuerif, quae chirurgiae instruit facultatem, et praesertim anatomiam in schola didicerit, et sit in ea parte medicinae perfectus, sine qua nee incisiones saluhriter fieri possunt, nee factae curari." Die Geschichte kann es aufzeigen, welchen Yortheil die neuere Chirurgie aus dem Bunde mit der Anatomie gezogen. So lange die letztere mit sich selbst ausschliesslich zu thun hatte, und sich keine Einsprache in chirurgische Fragen erlauben durfte, war auch die erstere zum meisten nichts Anderes, _() §. 10. VerliilUniss clor Annfoiiiio /ur Cliir\irt:ic. ;ils ciiu» Siuiiinc rnlicr und :;('{l;iiik('iil(i>('r rccliiiicisiiHMi. AVu' wimkUmi uns mit AIiscImmi von den ( inniclxM'iu'ii. wclclic dw alte ( 'liirui*i;i»', iin,n«'S('liiekt uiu\ üi-;nis;mi. in der Meiiiiiiii;', das Beste /n tlmii, über ihr»* Ki';iiii\('ii verliini;'. .A^HO.'f inciliclna iioii saiuit, ferrum saiud, quoa fenudii HÖH sanal, hjuls sanat, i/uos ignis uoii sunat, ü jam nullo modo .sauandi sunt." So hat (Um* Ahnherr der Wundärzte g-esproelieu. Seine blinden Verehrer im .Mittelalter "wussten denn auch nichts Bessenvs zu thun. als mit dem Miithe ihrer Unwissenheit auszu- sehneiden, auszureissen. auszubrennen — und dieses nannte man (' h i iMirg'ie. Kein ^^ nndei". wenn diese Chirurgen in Deutschland. l)is in das 1"). Jahrhundcrr. tiir unehrlich i;'ehalten wurden, und kein Ilandwerksmanu einen Lehrburschen in Dienste nahm, wenn er nicht bescheinigen konnte, tlass er ehrlicher Aeltern Kind, und keinem Abdecker, Henker, oder ]3ader verwandt sei (Si)rengel). Erst Kaiser Wenzel erklärte die Bader im Jahre 1406 für ehrlieh, erlaubte ihnen eine Zunft zu bilden, und ein Wapj)en zu führen. Möglicher Weise Avaren die Kenntnisse, und ganz l)esonders die mores der Bader jener Zeit, für eine zeitlichere Ehrenerklärung nicht besonders g-eeign<'t. J^ieser Gedanke l)esclileicht mich, wenn ich lese, dass anno 1190 (»in Bader dem Grafen Dedo IL von Groiz den Bauch aufsclmitt. um das überflüssig-e Fett aus deni- selbeu herauszuräumen. So wurde denn auch ])ei den Gothen und Long-obarden gesetzlich bestimmt, dass der Arzt, unter dessen Händen ein Edelmann stirbt, den Verwandten desselben zur be- liebig-eii A erfügung ausgefolgt werden solle, während, wenn das Opfer seiner Ungeschicklichkeit ein Sklave war, er nur einen anderen beizustellen gehalten wurde. Um der Frauen Ruf zu Avahren, musste ferner jeder ^A undarzt einen schweren Eid schwören, dass er einer Dame nur in GegeuAvart ihrer nächsten Verwandten zur Ader lassen werde, „ne ladihrium quandoque intervenlat". Wie verschieden ist heutzutage noch, selbst unter gebildeten Menschen, die Ansicht über Chirurgie und Medicin! Man liebt den Arzt, man sehnt sicli nach seinem Kommen, nach seinem tröstenden Worte, deuii mit ihm kehrt auch die Hoffnung ein, und das Ver- trauen, dass er mit harmlosen Papierstreifen die finsteren Mächte des Orcus überwältigen kann. Dem Nahen des Wundarztes dagegen sieht man mit bangem Herzen, selbst mit Furcht entgegen, denn seine Hand ist bewaffnet mit scharfen Eisen, und was er bringt, sind vor der Hand Schmerzen. Man denke sich diesen Mann noch unwissend und herzlos, und seine Unbeliebtheit ist erklärt. Der erste Arzt. Avelcher sich in Rom, 219 Jahre v. Chr. ansiedelte, Archagatus, erhielt, wiePlinius siv^t: „ob niiniam secandi et urendi lihidinem'% vom Volke den Beinamen: Ca rnifex. Die Römer hassten §. 10. Verhältniss der Anatomie ziu' Chirurgie. 2"]" und fiircliteten diese Chirurgen, liessen sicli aber doch von ihnen schinden. Als sieh die Chirnrg-en Pierre Dionys (Anatomie de Vhomme, Paris, 1690, ^) nnd der Niederländer Joh. Palfyn (Helkonstlye ontleeding vanls Tnenschen lichnam, Leyden, 1718), zuerst heraus- nahmen, in die Wundarzneikunst anatomisch belehrend dareinzu- reden, datirt sich, von diesem Zeitpunkte an, der rasche Aufschwung- der französischen Chirurgie, und es dürfte nicht schwer sein, zu beweisen, dass der Vorzug-, welchen man durch längere Zeit in Deutschland den Chirurgen jenseits des Rheins einräumte, mitunter darin seinen objectiven Grund hatte, dass die chirurgische Anatomie in keinem Lande trefflichere und productivere Vertreter gefunden hat, als dort, wo der Weg zu jenen Lehrstühlen, welche es irgendwie mit Anatomie zu thun haben, durch den Secirsaal führt, — nicht über die Hintertreppen der Ministerhötels. Die Erkenntniss chirurgischer Krankheiten beruht auf der Beobachtung ihrer äusseren Erscheinung, und auf dem Verständniss ihrer Symptome. Die äusseren Erscheinungen geben sich, in der bei Weitem grösseren Mehrzahl der Fälle, durch Störungen mecha- nischer Verhältnisse, durch Aenderung der Form, des Umfanges, oder durch förmliche Trennungen des Zusammenhanges kund. Können es andere als anatomische Gedanken sein, welche bei der Untersuchung solcher Zustände die Hand des Wundarztes leiten? Den Sitz, die Richtung- eines Beinbruches zu erkennen, die Gefähr- lichkeit einer Verwundung zu beurtheilen, gelingt dem Anatomen, welcher nicht Chirurg ist, wahrlich nicht schwerer, als dem Wund- arzt, welcher kein Anatom ist. Letzterer steht dem Gauner näher, als dem Arzte. Ich halte es für überflüssig, die Wichtigkeit der Anatomie für den Wundarzt noch Aveiter zu motiviren. Nur eine ganz besonders vortheilhafte Seite chirurgisch-anatomischer Studien erlaube ich mir hervorzuheben. Wie selten trifft es sich, dass der Student alle jene interessanten chirurgischen Krankheitsfälle auf den Kliniken zu beobachten Gelegenheit hat, welche unsere Auf- merksamkeit in so hohem Grade fesseln. Nicht in jedem Jahre kommen alle Formen chirurgischer Leiden vor. Der Schüler muss sich deshalb an die Handbücher wenden, und was diese sagen, ist nicht immer vollwichtiger Ersatz für mangelnde xiutopsie. Die Anatomie kann hier auf die trefflichste Weise aushelfen. Ihr steht in der Leiche ein reiches Promptuarium von chirurgischen Krank- heitsformen zur Verfügung, Avelche sich nach Belieben hervorrufen. ') Die Hisioire de l'Academie Royale des sciences, 1726, erwähnt, dass dieses Buch, auf Befehl des Kaisers von China, in's Chinesische übersetzt wurde. Der Cours d' Operations de chir. desselben Autors, Paris, 1707, ist ganz anatomisch gehalten. 28 8- !"■ Verh<niss der Aiiatuinip zur Chirurpip. absichtlich erzeugen hissen. Ich sai;e nicht, dass solche Behelfe die klinische Beohachtun«;' ersetzen, oder sie entbehrlich machen kcmnen. Aber nutzlos wird i;ewiss Niemand eine solche Uebuujn- nennen, welche "gerade die wichti|^sten (pathognomonischeu) Erscheinungen zur gründlichen Anschauung bringt. Alle Beinbrüche, alle Yerren- kungeu, alle Hernien, alle Wuntleu, alle HöidenAvassersuchteu, lassen sich auf diese Weise mit dem besten Erfolge an der Leiche künstlich erzeugen und studiren. Ich kann nicht undiin, noch eines besonderen Yortheiles zu erwähnen, den die Chirurgie aus einem bei uns vielleicht zu wenig gewürdigten Zweige der Anatomie schöpfen kann, — ich meine das Studium der äusseren Form des menschlichen Leibes. Da die äussere Form nur das Ergebniss der inneren Zusammensetzung ist, und wür von gewissen äusseren Anhaltspunkten auf den Zustand innerer Orgaue schliessen, so wird die praktische Bedeutung dieses Zweiges der Anatomie keiner besonderen Empfehlung bedürfen. Richtig und schön bemerkt Ross, in seinem Versuche einer chirur- gischen Anatomie: „Das Studium der äusseren Körperformen bietet dem Chirurgen eine reiche, noch lange nicht erschöpfte F^undgrube dar; — die allgemeinen Bedeckungen werden für ihn zu einem Schleier, der weit mehr durchsehen lässt, als Mancher vielleicht glaubt." Und in der That, wie leicht erkennt der richtige, soge- nannte praktische lUick an einer bestimmten Alteration der äusseren Form einer Leibesgegend, aus dem Vorkommen einer einzigen Ver- tiefung oder Erhabenheit an einem Orte, wo keine sein soll, die Natur des sich so einfach äussernden üebels, ohne erst durch die Tortur der sogenannten manuellen Untersuchung, hinter Avelcher der ungeschickte Wundarzt seine Verlegenheit zu bergen und Fassung zu gewinnen sucht, dem Kranken unnöthiges Leid zu verursachen. Der Chirurg soll ein Auge haben für die Form, wie der Künstler, und da er in den Secirsälen so äusserst wenig Gelegenheit findet, die Gestalt gesunder menschlicher Leiber zu schauen, und die nackten Kampfspiele und Tänze der Griechen, welche die herr- lichsteu Formen, durch lebendige Bewegung verschönert, vor empfänglichen Augen enthüllten, unserem behosten Zeitalter nicht anstehen, so muss er am höchsteigenen Leibe, oder, wie der Künstler, am lebenden IModell, sich im Studium normaler Formen üben, um die abnormen verstehen zu lernen. Die Kleider der Frauen, über welche sich schon Seneca erzürnte: „vestes nihil celaturae, nulluni corpori aux'dium, sed et nulliim pudori'\ erlauben gelegentlich auch heutzutage noch einen guteu Theil des Körpers, w^elchen die nur hie und da angebrachten Kleidungsstücke unbedeckt lassen, mit anatomischen Sinnen zu prüfen. §. 10. Verhältniss der Anatomie zur Chirurgie. 29 Die Anatomie giebt dem Wundarzte seinen praktisclien Blick, seine lebendige Anschauungsweise, Selbstständigkeit nnd Schärfe seiner Beobachtung, und setzt ihn in den Stand, bei jedem vor- kommenden Falle sich nicht nach den vagen Worten der Compen- dien, sondern nach wohlverstandenen anatomischen Gesetzen zu Orientiren. Die Anatomie erhebt den Wundarzt erst zum Operateur. Sie bestimmt sein Urtheil; sie leitet seine Hand: — sie adelt selbst seine Kühnheit, welche Alles versuchte, — sogar die Unterbindung der Aorta, und die Resection des Magens! Ein berühmter deutscher Chirurg sagte, dass die Anatomie den Wundarzt furchtsam mache, und ihm den Muth lähme, im menschlichen Leibe, dessen Wunder er als Anatom mit einer Art von heiliger Scheu beti-achtete, und welche er nur durch die sorg- samste und minutiöseste Zergliederung seinem Studium zugänglich machen konnte, mit gewaffneter Hand zu schalten und zu walten. Es ist fürAvahr etwas Richtiges an der Sache. Wer nur für alle die Kleinlichkeiten und Umständlichkeiten subtiler anatomischer Arbeiten Sinn hat, wer sich in den die Geduld eines Sisyphus erschöpfenden Präparationen der feinsten Gefässe und Nerven gefällt, und mit der Aengstlichkeit eines allerdings höchst nützlichen imd lobenswerthen Handwerkfleisses, am Secirtisch niedliche und gefällige Präparate zu liefern, für den eigentlichen Zweck der anatomischen Arbeit hält, der ist nicht zum Chirurgen geboren. Mancher höchst achtbare Anatom würde als operirender Wundarzt eine sehr klägliche Rolle spielen, wie ich andererseits Chirurgen, welche nicht mehr Anatomie im Kopfe hatten, als ein Fleischselcher, zu Professorsstellen, zu Ehre, Reichthum und zu den höchsten Auszeichnungen gelangen sah. Es wäre aber zu weit gegangen, wenn obiger Satz auch die chirur- gische Anatomie, welche gewissermassen nur die Blumenlese praktischer Anwendungen der Anatomie enthält, gerade bei Jenen in Yerdacht zu bringen beabsichtigte, welche ihrer am meisten bedürfen. Es Hesse sich eher sagen, dass die Anatomie die Chirurgen unserer Zeit bei Weitem nicht furchtsam, vielmehr tollkühn und verwegen gemacht hat. Nur ein durch und durch anatomisch ge- bildeter Chirurg konnte auf den Gedanken kommen, die Niere, den schwangeren Uterus, den Pylorus auszurotten, und die Yorver- suche an Thieren anzustellen, welche der Yornahme der Exstirpation einer Lunge, oder des Harnblasengrundes am Menschen, als Ein- leitung zu dienen haben. Diesen in unseren Tagen so mörderisch gewordenen Missbrauch anatomischer Kenntnisse hat nicht die Ana- tomie, sondern das Chloroform zu verantworten, durch dessen Anwendung der Mensch, für die Dauer der Operation, zu einem empfindungslosen Leichnam gemacht wird, an welchem die kühnsten :UI S. 11. I.olu- iiikI l.cnuiii'diMclo. Kiiim-irtc m'\v;ii;t werden kruincn. /'^;jo trro censeit, (l;iss die .\n;i- t(»ini(' (Icti < 'liiriiri;(Mi niclit t ii rc li t >;i m iniiclit, xnidcni Ix'sn n neu inaclicn xdl. ^.11. Lehr- und Lernmethocle. \\ er Hink und i;iit sccircn li'clcnit li;it, ist ein i;ii tor AiiHtom, wer S(dnv i er i <;•(>« mit lieicliti^keit \ olltülirt. i.st ein üesc li i ck t e r Anatom. — wer hei seiner Arbeit denkt niid sicli Aiit';nal)en /n stellen weiss, ist ein w i ssenscli aftliclier. — ■ nnd wer da weiss, wie die Anatomie dnrcli die ßeinühuno ;imiiiitliiu,(M" und anreg'eiuler A^ eise, als das tarhenreiclie (Jnlnrit ihrer Anwendiin^stäliinkeit. Der ]iliysinl()<;'isclie Charakter der Anatomie, ihre innige Be- zichiiiii;' zur praktisclieu Ileihvis.senschatt, der Geist der Ordnung* und Planmässigkcit, ■welcher das Olijeet ihrer Wissenschaft durchdringt, giebt Anhaltspunkte genug- an die Hand, die anatomischen Vor- lesungen anziehend und lehrreich zu machen. Um nur Ein Beispiel anzuführen: wie ermüdend erscheint die Beschreibung der Rücken- muskeln. wenn sie, wie sieauf einander folgen, mit ihren verwickelten l rsprüngen und Insertionen iimständlifh abgekanzelt werden, — ein reizloses, ödes Gedächtnisswerk! — und wie gewinnt diese Masse Fleisch an Licht und Sinn, wenn sie auf die typische Ueberein- stimmung der einzelnen Wirbelsäulenstücke nnd die Analogien des Hinterhauptkuochens mit den Wirbelelementeu bezogen wird! — Auf so viele Fragen: „warum es so sei", hat die Anatomie eine Antwort bereit, wenn mau sie ihr nur zu entlocken versteht. Wer für den geistigen Reiz der Wissenschaft nicht empfänglich ist, der wird vielleicht durch ihren materiellen Nutzen bestochen, und darum muss die Anatomie vom Lehrstuhl aus in beiden Richtungen ver- folgt nnd gewürdigt, und auf die zahlreichen Anwendungen der Wissenschaft im Gebiete der Medicin nnd Chirurgie, wenn es sich auf verständliche und ungezwungene Art thuu lässt, hingewiesen werden. In einer demonstrativen Wissenschaft geht alles Weitere vom Sehen aus. Die Objecte der Anatomie müssen also dem Vortrage zur Seite stehen, und jedes Hilfsmittel versucht werden, richtige, lebendige und festhaltende allseitige Anschauungen zu ermöglichen. Die künstlichen Darstellungen von schwierigen und complicirten Gegenständen in vergrössertem Maassstabe, naturgetreue Abbildungen, Durchschnitte nnd Aufrisse, an der Tafel entworfen, sollen den Demonstrationen an der Leiche vorangehen, und ein reiches, geord- netes, den Zustand der Wissenschaft repräsentirendes anatomisches Museum, Avie ich ein solches für menschliche und vergleichende Anatomie in Wien geschaffen habe, soll auf die liberalste AVeise jenen Studirenden offen stehen, Avelche Neigung fühlen, sich mit der Anatomie eingehender vertraut zu machen, als es zur Erlangung des Doctordiploms für nothwendig gehalten wird. Was in den Vor- lesungen gezeigt wird, muss sich unter den Händen des Lehrers entwickeln, nicht schon fertig zur Schau gestellt werden, damit der Schüler auch mit der Methode des Zergliederns und mit der anatomischen Technik bekannt gemacht werde. Das Vorzeigen fertiger Präparate nützt viel weniger, als das Vorpräpariren. Das erstere geschieht für die Gaffer, das letztere für die Denker. §. 11. Lehr- und Lerumetliode. 33 Die prakti.sclien Zergliederungen sollen ferner von den 8cliülern unter steter Aufsicht und Anleitung eines sachkundigen und berufs- treuen Demonstrators, oder mehrerer, vorgenommen, und eine Sec- tionsanstalt mit dem nöthigen Leichenbedarf, mit zweckmässigen, lichten und gesunden Räumlichkeiten, und mit allem üebrigen reich dotirt werden, was die in der Natur der Sache liegenden Unan- nehmlichkeiten anatomischer Beschäftigung am wenigsten fühlbar macht. Wiens neue anatomische Anstalt entspricht diesen Anforde- rungen vollkommen. Die Uebungen an der Leiche leisten für die Bildung des Ana- tomen wichtigere Dienste, als die Theilnahme am Schulunterrichte. Der Lehrer kann nur anregen, Gedanken erwecken, den Geist der Wissenschaft und seine Richtungen andeuten; — die feststehende üeberzeugung, das bleibende Bild der anatomischen Verhältnisse, verdankt seinen Ursprung nur der eigenen Untersuchung. Und diese eigene Untersuchung soll so gepflogen werden, als ob der Schüler an der Leiche erst zu verificiren hätte, was in den Büchern gesagt wird. Nur die Skepsis leitet die Hand des Entdeckers, — der Zufall bewährt sich ungleich weniger gefällig. Jeder andere Versuch, sich etwa durch Lecture und Abbildungen grundfeste anatomische Bildung anzueignen, ist und bleibt unfruchtbar, wie das Gebet des Armen. Nachschreiben anatomischer Vorlesungen möchte ich nur Jenen empfehlen, welche in selbstzufriedener Gedankenlosigkeit den Trost gemessen wollen, was schwarz auf Weiss geschrieben steht, bequem nach Hause tragen zu können. Und Viele sind recht wohl damit zufrieden. — Je zahlreicher übrigens ein anatomisches Collegium besucht wird, desto grösser sind die Schwierigkeiten für Lehrer und Schüler. Dieses liegt in der Natur demonstrativer Vorlesungen, welche um so nutzbringender werden, je kleiner die Zuhörerschaft. Das Statut der ältesten anatomischen Schule zu Bologna (aniio 1405, de anathomia quolihet anno fienda) gestattete bei den Demonstrationen an männlichen Leichnamen nur 20 Zuhörer, an weiblichen, welche seltener zu Gebote standen, 30. Den kleinen Universitäten Deutsch- lands verdankt auch unsere Wissenschaft mehr Fortschritte, als den mit ihren Tausenden von Studenten prunkenden Residenzen! Man vergleiche nur den Gehalt der Inauguralschriften der ersteren mit jenem der letzteren. Bei uns hat man sie, ihrer Erbärmlichkeit wegen, gänzlich abschaffen müssen, während die Berliner, Breslauer, Heidelberger, Würzburger und Dorpater Dissertationen die dankens- werthesten Beiträge zur feineren Anatomie lieferten. Es dient bei den praktischen Uebungen an der Leiche dem Anfänger zum grössten Nutzen, bereits eine Vorstellung von dem Hy rtl, Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl. "^ 34 S. 11. Lehr- uiul l.iTiimetlio.U-. ZU haben, "vvas or anfsuclicn soll. Ich kann es dcsiialh tiein Schüler nicht i;enwi;- empfehlen, dass er dui'ch vorlänli,<;e Ansieht schon fertiger Präparate, durch Benutzuni;' naturi;etreuer Atlasse und durch die Leeture einer praktischen Anlcituni;' zum Seciren, sich zu den Präparirühun^cn vorlx'reitc. Eine solche Anleituni;- zu i;(?ben, hielt ich als anatomischer Lehrer für meine hesomlcre Pflicht, und sclirieb deshall) mein ..Handbuch der praktischen Zergliederung-skunst. Wien. ISßO'', in welchem der Schüler Alles findet, Avas er zum Seciren bedarf, und welches auch der Fachmann mit Nutzen durch- le.sen kann. Es erscheint in unserer Zeit kein anatomisches Schulbuch mehr ohne Holzschnitte. Ich theile die A'orliebe für solche illustrirte Bücher nicht, denn sie machen die Studenten faul, indem sie i;laid3en, sich durch das Begaffen der niedlichen Figuren sich so viel anatomische Kenntniss aneignen zu ktinnen, dass das Seciren für sie überflüssig Avird. Ich spreche jedoch nur von der descriptiven Anatomie; — für die Handbücher der Histologie sind Abbildungen unerlässlich und werden es immer bleiben. Die malo omine aufgehobeiu' Schult' für Militärärzte in Wien befand sich in der glücklichen Lage, als Lehrmittel über jene weltberühmte Sammlung von AVachspräparaten verfügen zu können, welche die Munificenz des grossen kaiserlichen Menschenfreundes, .Tosephs IL, dem feld ärztlichen L'ntorrichtc widmete. Es wird in dieser ausgezeichneten Sammlung dem Studirenden die trefflichste Gelegenheit geboten, sich durch die Betrachtung plastischer Dar- stellungen, welche viel mehr werth sind als Abbildungen, ein Bild dessen vor- läufig einzuprägen, was er durch seine eigenen Präparationsversuche darstellen will. Xur Florenz besitzt eine ähnliche Sammlung. Beide wurden, unter Fon- tana's Leitung, durch den italienischen Wachsbildner Gaetano Zumbo und den Spanier Novesio ausgeführt. Zumbo hatte übrigens noch die originelle Idee, dem Florentiner Museum eine Wachsbüste seines eigenen Schädels, und zwar im dritten Grade der Fäulniss, zu hinterlassen. Sehr nützlich bewährt es sich, dass der Schüler, um von den Vorlesungen Nutzen zu ziehen, durch seine Privatstudien dem Lehrer voraneile, damit er den Vortrag als Commentar zu seinem bereits erworbenen Wissen benutzen könne. Es spricht sich leichter zu einem Auditorium, welches in den zu be- handelnden Materien nicht gänzlich unbewandert ist. und der Besuch anato- mischer Collegien bringt mehr Vortheil. wenn das, was hier verhandelt wird, durch eigene Verwendung dem Zuhörer schon früher wenigstens theilweise bekannt wurde. Fleissige Schüler überholen den Lehrer; mittelmässige bequemen sich, ihm auf dem Schritt zu folgen; indilferente schleppen ihm nach, oder lassen ihn allein seines Weges ziehen. Unsere Studieneinrichtung hielt bis zum Jahre 1848 an dem Grundsatze fest, dass der Lehrer nicht blos vorzutragen, sundern auch am Ende des Jahres durch Prüfungen das Maass der erworbenen Kenntnisse bei seinen Zuhörern festzustellen habe. War dieser Grundsatz gut, so hätte er nicht aufgegeben werden sollen. War er schlecht, so begreift man nicht, warum er für einen Theil der Studentenschaft wieder zur Geltung kam, für jenen nämlich, welcher Benefizien beansprucht. Er war aber beides zugleich; — gut im Princip, schlecht §. 12. Terminologie der Auatomie. 35 in der Anwendung. Gilt nun die Lernfreilieit nur für Einige, dann liegt auch hierin ein sprechendes Zeugniss des Misstrauens in ihre allgemeine Nützlich- keit, welche nur dort sich bewähren kann, wo Lehrer und Schüler die rechte Ansicht von ihr, und von dem wahren Geiste des Universitätslehens haben, wie er in den Gymnasien geweckt werden soll. Hätten sie diese Ansicht nicht, dann müsste man die jungen Männer bedauern, deren Studien hineinfallen in eine so langdauernd-verworrene Zeit, wie wir sie jetzt in Oesterreich durchleben. Waldeyer, wie soll man Anatomie lehren und lernen. Rede, Berlin 1884. §. 12. Teiminologie der Anatomie. Obwolil die Anatomie in allen Ländern lieiitzutage niclit mehr in der lateini.selien, sondern in der Landessprache gelehrt, und ihre Schriften in derselben Sprache gesehrieben werden, hat sie doch die alten lateinischen nnd griechischen Namen beibehalten, was ihr zwar einen gelehrten, aber, wie mir scheint, auch einen pedantischen Anstrich gibt. Die Sprache der Anatomie nannte Henle mit Eecht principlos. Eine nicht nnbedentende Anzahl ihrer Knnstausdrücke ist fürwahr eitel Gralimathias. Jedem Stiidirenden der Anatomie erscheint die Terminologie dieser Wissenschaft als ein buntes Gemisch von einigen bezeichnenden, oder Avenigstens sinnigen, und vielen absurden, sinn- losen, und ungrammatikalischen Ausdrücken, welche oft läppisch werden für das ernste Handwerk des Anatomen. Die Schwärmerei für notnina ohsoleta, tritt besonders in der Synonymik auf ergötzliche Weise hervor. Greht es doch mit der Terminologie in der gesammten Arzneikunde auch nicht besser. Die meisten Krankheiten führen ganz absurde Namen. Ich nenne nur Katarrh und Rheuma, Krebs und Markschwamm, Schlagfluss und Brand, grauer und schwarzer Staar, Carbunkel und Furunkel, Beinfrass, Aussatz und Schwind- sucht, und die häufigste aller Erkrankungen trägt als Namen eine Metapher: Entzündung. Eine Entzündung ohne Feuer, ein Brand ohne Flammen! Niemand wagte auch nur den ^> ersuch, diese Tropen durch bessere Ausdrücke zu ersetzen. Nein. Es bleibt beim Alten, bis es vielleicht von selbst sich ändert. Während das Bestreben aller Wissenschaften darauf gerichtet war, ihre Terminologie refor- matorisch sicherzustellen, haben die Anatomie und Medicin nicht daran gedacht, Grleiches zu thun. Da die Organe des menschlichen Körpers grösstentheils zu einer Zeit bekannt wurden, wo man sich nicht viel Mühe gab, über ihre Verrichtungen nachzudenken, auch das Bedürfniss einer wissenschaftlichen Sprache noch nicht gefühlt wurde, so darf es nicht wundern, in jenem Gebiete der Anatomie, welches aus dem entlegenen Alterthum stammt, die sonderbarsten, mit unseren gegen- wärtigen physiologischen Ansichten in grellem Widerspruche stehen- 3* OO §■ !'-• Terminologie der Anatomie. den Benounuiij^en zu ünden. Die iiiiiner noch geläufigsten Worte: Musculus, Arteria, Bronchus, ParencTxyma, Glandula, Thymus, Nervus, u. ni. iL, drücken vi noininis etwas ^anz anderes aus, als wir heut- zutage darunter verstehen. Das Mittelalter "vvar in der Wahl seiner anatomischen Benennungen noch unglücklicher. Die Einfalt unserer Vorfahren, und die geistige Beschränktheit der damaligen Zeiten gefielen sich in sehr unpassenden Ausdrücken, deren mystische und religiöse Interpretationen vielleicht dazu dienen sollten, die miss- günstigeu Blicke, welche ein finsterer Zeitgeist auf die Anatomie zu werfen nicht unterliess, in freundlichere zu verwandeln. Hieher gehören der Morsus diaholi, das Ponnun Adami, die Lyra Davidis, das Psalterium, das Memento mori, der Musculus religiosus, das Collare Helvetii, etc. Da es den Anatomen sehr darum zu thun war, ihr von der Menge für sündhaft gehaltenes und deshalb verabscheutes Treiben in einem besseren Lichte erscheinen zu lassen, kann ihr Geschmack au derlei Benennungen entschuldigt werden. Hat (hjch der sonst tüchtige und gelehrte Adriauus Spigelius sich nicht entbh'klet, in den Muskeln des Gresässes, ein den Menschen verliehenes Polster zu bewundern, „cui itisedendo, verum divinarum cogitationibiis rectius aidmum applicare possint", gleichwie andere in dein Kapuzenmuskel ein allen Sterblichen umgehängtes po-o memoria zu sehen geneigt waren, „ut vitam religiosam ducendam esse meminerint" . — Die obscönen Bezeichnungen gewisser Gehirntheile. als: Anus, Vulva, Penis, Nates, Testes, Maunnae, welche man im Mittelalter erfand: „ut scientia ana- toniica juvenibus mayis grata reddattir" (Yesling), haben anständigeren weichen müssen; allein die auf rohen Vergleichen beruhenden Be- nennungen (Schleienmaul. Seepferdefuss, Fledermausflügel, Schnepfeu- kopf, Hahnenkamm, Herzohren, Hammer und Amboss etc.), werden blos getadelt, aber dennoch beibehalten. Es macht einen komischen Eindruck, wenn man in alten deutschen anatomischen und chirur- gischen Schriften den Penis als Wünschelruthe, den After als Mistpforten und Stiuklucken, die Harnblase als Saichbeutel, den breiten Kückenmuskel als Arßkratzer, die Hypochondrien als Wampen, das Gekröse als Wanst, den inneren geraden Augen- muskel als versoffenen (hihitorius) , den äusseren als gramhaftigen (indignatorius), die beiden schiefen Augenmuskeln als Verliebte (amatorii), den unteren geraden Augenmuskel als Kapuziner muskel, „weil er das Auge niederschlägt", die Aveibliche Scheide als Geschlechtsrachen, das Pancreas als Eitelfleisch, den Gehirn- trichter als Rotzhäfelin, den Mastdarm als Farzader, die Hirn- schale als Hyrntopf (nur bei Meister Schylhans), den Kehl- kopf als W^eingürgelein, die Mandeln als Halsklösse, das Steissbein als Arßbürtzel, angeführt findet, und vieles Andere §. 12. Terminologie der Anatomie. 37 dieser Art. ^) Die Mythologie hat die Namen ihrer Götter und Gröttinnen der Anatomie geliehen (Os Priapi, Mons Veneris, Cornu Ammonis, Tendo AcTiillis, Nymphae, Iris, Hymen, Hebe für die weib- liche behaarte Scham, Linea Martis et Saturni etc.). Die Botanik ist dnrch die Amygdala, den Arhor vitae, das Verticillum (im Chorden- systeme des Grehirns), die Olive, den Nucleus lentis, die Siliqua, das Os pisiforme, die Ossa sesamoidea, die Carunculae myrtiformes, — die Zoologie dnrch den Tragus, Hircus, Hippocampus, Helix, den Vermis bombicinus, den Rabenschnabel, die Cornua limacum, den Pes anserinus, das Caput gallinaginis, den Calcar avis, die Crista galU, die Cauda equina etc. repräsentirt, und eben so gross ist das Heer von Namen, welche einer weit hergeholten Aehnlichkeit mit den verschiedensten Gregenständen des täglichen Grebranches ihre Ent- stehung verdanken. Die Hundszähne, der Rachen, der Schmeer- bauch, das Scrotutn (bei den Arabisten häufig als Scortum vor- kommend), das Ohrenschmalz und die Augenbutter, sind eben keine Erfindungen einer anständigen Sprechweise, aber noch immer besser als jene Namen, deren Ursprung und Sinn auszumitteln, nur der vergleichenden Sprachforschung möglich ist, um welche sich die Anatomen in der Regel nicht kümmern. In der Benennung der Organe nach ihren vermeintlichen Ent- deckern, war die Anatomie sehr ungerecht. Es lässt sich mit aller historischen Schärfe nachweisen, dass viele Grebilde des menschlichen Körpers, welche den Namen von Anatomen führen, nicht von diesen entdeckt wurden. Die Aufzählung derselben wäre für diesen Ort zu umständlich. Den grössten Männern unserer Wissenschaft wurde die Ehre nicht zu Theil, ihr Andenken in der anatomischen Termi- nologie verewigt zu sehen, und Viele sind derselben theilhaftig geworden, von denen die Geschichte sonst nichts Rühmliches zu berichten hat, z. B. Wirsung. Die Versuch.e, welche gemacht wurden, die anatomische Nomenclatur zu reinigen und zu modernisiren, blieben ohne Dank und Nachahmung. Selbst das Unrichtige und Alberne wird ungern aufgegeben, wenn es durch langen Bestand eine gewisse Ehrwürdigkeit errang. — Ich habe.es nicht für unpassend gehalten, die Synonyme der Organe im Texte des Buches aufzuführen, besonders wenn sie hervorragende Eigenschaften des fraglichen Organs ausdrücken. Auch die humoristischen Benennungen wurden, oblectamenti causa, aufgenommen. Eine selbst den richtigen Vorstellungen über die Lagerungsverhältnisse unserer Körperbestandtheile gefährlich werdende Willkür in der Bezeichnung der Flächen und Eänder der Organe, wird dadurch begünstigt, dass der Eine die liegende, der Andere die stehende Lage das Cadavers vor Augen nimmt, somit, was bei liegender Stellung oben und unten, bei stehender vorn- und hinten wird, und je nachdem man sich eine Gliedmasse aus- und einwärts ^) Belehrendes und Unterhaltendes über die altdeutsche anatomische Sprachweise enthält mein Buch: ,Die alten deutschen Kunstworte der Anatomie", Wien, 1884. Oo §. \^. Bi>snnil(>r<> Nntzanwoinliinjron dor Anatomip. gedreht denkt, das Innen zum Aussen werden muss. und umgekehrt. He nie hat. um diesen Begriffsstörungen auszuweichen, Termini eingeführt, welelie für jede Körperstellung feste (leltung haben. So harren: dorsal und ventral, sagittal und frontal, medial und lateral, und die von Owen gdirauchten Ausdrücke: distal und proximal (entfernter oder näher dem Hiiztn) des anatomischen liürgcrredites. Die von C. L. Dumas vorgeschlagenen neuen Muskelnamen (Systhiie methodique de nomendatiire des musclen, MontpelL, 17ß7j wurden, wenigstens theilweise, von den französischen Anatomen bereits adoptirt. Diese Namen sind aus Ursprung und Ende des Musktds zusammengesetzt, kommen dem Gedächtniss sehr zu Statten, werden aber durdi ihre Länge zuweilen sehr unbequem, dann niimlich, wenn ein ]\luskel mehrere- Ursprungs- und Endpunkte hat. Icli erwäline den Muf^cJe occipito-dorso-clavl-sus-acromiev, und den Muscle pterigo-syndesmo-staphyli-pharyngien. Da sind iloch Trapezius und Constrictor stip. pharyngis weit annehmbarer. Sprachliche Reformvorschläge Einzelner werden nie etwas ausrichten. Nur ein Congress der Anatomen, eine Art anatomischer Academia della crtisca, könnte unserer Wissenschaft eine wissenschaftliche Sprache geben. Die Natur- forscher-Versammlungen könnten sich mit solcher Arbeit beschäftigen. Uebrigens ist das geschichtliche und etynicdogische Studium der alten anatomischen Be- ueiinungen nicht ohne Reiz für den Spracliforscher. Es wurde deshalb Einiges davon, an geeigneten Stellen, in diese neue Auflage meines Lehrbuches auf- genommen. Die griechischen Benennungen fügte ich bei, weil die Namen der Krankheiten, selbst die modernen, aus den griechischen Namen der betreffenden Organe abgeleitet sind. Ueber die Barbarismen, Widersinnigkeiten, und grammatikalischen Fehler der anatomischen Sprache, habe ich ein strenges Gericht gehalten in meinem Buche: Onomatologia anatomica, Wien, 1880. Wenn die Sprache einer für exact geltenden Wissenschaft sich solche Dinge gefallen lassen muss, wie ihr in diesem Buche gesagt werden, wäre es höchste Zeit, an eine Purificirung des anatomischen Vocabulars zu denken. Die Anatomen sind aber so vollauf mit dem Object ihrer Wissenschaft beschäftigt, dass sie das Kauderwelsch ihrer Sprache gar nicht zu merken scheinen. Nun, auch gut; jedem Narren gefällt seine Kappe. Den arabischen und hebräischen Ursprung gewisser anatomischer Benennungen habe ich in meiner Schrift: Das Arabische und Hebräische in der Anatomie, Wien. "1879. nachgewiesen. §. lo. Besondere Nutzanwendungen der Anatomie. Darf die yTaiUMiuiii^cLciio Wissenselialt dos Todes, la shavruta anatomia, Avie sie der Dicliterköiiig' Italiens i;eiiaunt, es was^-en, auch auf das Interesse der Nichtärzte An.sprucli zu erheben? E.s scheint uniiiöglieli. Ich denke jedoch, dass jeder Gehihlete im (lebiete der Anatomie bewandert sein soll. Des Menschen höchste Aufgabe ist die zur Wissenschaft erhobene Kenntniss seines .Selbst. Nicht dem Philosophen allein gelten die AVorte: yrcä&i aravrorl Wenn auch der AUtag'sniensch sich in die Tiefen der Anatomie nicht einlassen kann, so -werden doch, wenn er überhaupt ein Freund des Denkens ist, die Umrisse (kM'seUxMi für ihn Anziehendes haben. Was kann ilin melir interessiren, als eine Kenntniss, welche seine Person so nahe §. 13. Besondere Nutzanwendungen der Anatomie. 39 angeht? Ludwig XIY. liess den Dauphin in der Anatomie unter- richten, für welche dessen Erzieher, der berühmte Kanzelredner Bossuet, sich mit Eifer interessirte. Groethe hat sich nnterLoder in Jena, nnd in Strassburg- unter Lob st ein, dnrch zwei Jahre mit anatomischen Stndien beschäftigt. Er war es, der dem Menschen (gegen Camper nnd Blnmenbach) sein Os intermaxillare vindicirte (1786), und die Wirbelidee des Kopfes zuerst erfasste (1790). Herder war in seinen Jüuglingsjahren unserer Wissenschaft mit solchem Eifer ergeben, dass nur die nachtheiligen Wirkungen, welche die Atmo- sphäre der Leichen aitf seine Gesundheit zu äussern begann, ihn bestimmen konnten, seinen Entschluss, Arzt zu werden, aufzugeben. Napoleon L, welcher bekanntlich nur die mathematischen und historischen Wissenschaften begünstigte, äusserte dennoch einmal den Wunsch, die Anatomie des Menschen besser kennen zu lernen, als durch die Schwerthiebe seiner Cuirassiere. Alexander II., Czar aller Reussen, studirte imter Prof. Einbrodt zu Moskau Anatomie (nach einer mir gemachten mündlichen Mittheilung Prof. Sokoloff's), und ich selbst habe in früheren Jahren hochgestellten Männern von Greist und Wissensdrang, worunter die österreichischen Staatsminister Fürst Felix Schwarzenberg und Graf Stadion Unterricht in meinem Fache o-eo;eben. Wir finden es auch in der Geschichte der Anatomie verzeichnet, dass Schwedens Königin, Christine, an den anatomischen Arbeiten des Ol aus Rudbeck über die Lymphgefässe, welche er entdeckte, Wohlgefallen fand (1652), und in dem ana- tomischen Theater zu Kopenhagen befand sich eine eigene Loge (conclave superius), von welcher König Friedrich III. mit seinen Hofleuten (aulici), die anatomischen Demonstrationen des Thomas Bartholinus „clementi oculo inspexit" (Th. Bartholinus, Domus anat. Hafniensis, Safn., 1662, pag. 6). Soll jedoch die Anatomie nur das Interesse einiger Laien aus den gebildeten Ständen anregen? Wie viel Irrwahn, in welchem die grosse Menge befangen ist, wäre umgangen; wie viel Gefahr für Gesundheit und Leben der Einzelnen wäre vermieden; wie viele absurde YoTstellungen über Nützliches und Nachtheiliges im Leben wären unmöglich, wenn der Anatomie auch der Eingang in das tägliche Leben offen stünde! Kann nicht ein Fingerdruck auf ein verwundetes Gefäss das Leben eines Menschen retten; kann nicht eine richtige Idee von dem Bau des menschlichen Körpers, das nur allzuoft widersinnige Verfahren zur Rettung Scheintodter und Er- trunkener, auch in den Händen von Nichtärzten mit glücklichem Erfolge krönen, und ist nicht in so vielen Gefahren die Selbsthilfe eine Eingebung anatomischer Vorstellungen? Es wäre von grossem Vortheil, wenn die Bildung von Lehrern, Seelsorgern und öfFent- 40 §. 14. Krstp r.'iiode d.'i n.'s.lii.lito .l.-r An^itomie. liclicii AintspcrsoiHMi. voll w ('Iclicii in;in nur Kcmitiiissc ülxT die Krkr;m- kunyen der Ilaustliiere tordcrt. aucli (mihmi kiir/. (his Kind aus ilim lernt, wird g-ewiss nicht bedenklicher sein, als die Aflaire Josephs mit der Dame Potiphar. Die Nutzanwendungen der Anatomie in der plastischen Kunst sind so wesentlich, dass die grossen italienischen Meister, anatomische Studien eifrig betriel)en, und ihren Schülern nachdrücklich empfahlen, wie Leonardo da Vinci, und dessen Lehrer Della Torre, von denen noch gegenwärtig vortreffliche anatomische Handzeichnungen existiren. (Mengs, lieber die Sohcuiheit und den Geschmack in der Malerei, pag. 77.) Geognosie und Geologie können der Rehelfe nicht entbehren, welche die anatomische Kenntniss der im Schoosse der Erde be- gral)enen antediluvianischen Thiergeschlechter ihren Forschungen darbietet, und die Geschichte der Verbreitung des Menschengeschlechts, des Wechsels der Bevölkerungen in jenen Zeiten, über welche die historischen Urkunden schweigen und blos die Vermuthungen sprechen, schöpft ihre verlässlichsten l^ata aus — (iräbern. §. 14. Grescliiclitliche Bemerkungen über die Entwicklung der Anatomie. Erste Periode. Altertlium und Mittelalter. Was das Altertlium in der anatomischen Wissenschaft arbeitete, dachte und schrieb, interessirt nur den Geschichtsforscher. Anatomische Belehrung kann man sich bei den Alten nicht holen. Sie hatten ja nur Ahnungen und Vorgefühle der Wahrheit; — Experimentiren und Induction, ohne welche es keine reale Wissenschaft giel)t. kannten sie gar nicht. Die Geschichte der Wissenschaft schreibt die Geschichte des Menschengeistes. Der Kampf zwischen Wahrheit nnd Irrthum bildet ihren Stoff. Er war reich an Niederlagen, reicher au Fortschritten und Siegen. Die (Jeschichte führt nns von den unscheinbaren An- fängen geistiger Entwicklung zu deren herrlichsten Triumphen; sie zeigt uns die Irrwege, auf welche missleitete Forschung gerieth, und lelirt uns dieselben vermeiden. Sie macht uns gleichsam zu §. 14. Erste Periode der Geschichte der Anatomie. 41 Zusclianern und Zeugen der bedeutenden Entdeckung-en, welche immer und immer wieder, den Greist des Forseliens auf neue Bahnen lenkten. Sie maekt uns bekannt mit den grossen Männern, welche der Wissenschaft das Grepräge ihres fruchtbaren Greistes aufdrückten, lehrt uns ihr Grenie bewundern, und ihren Fussstapfen folgen, und führt uns die Beispiele vor, zur Nachahmung, oder — zur Warnung. Kein Anatom soll in der Geschichte seiner Wissenschaft ein Fremdling sein. Sie allein macht ihn zum Grelehrten in seinem Fach, und bietet ihm ausserdem ein Mittel dar, die trockensten Capitel der Anatomie in seinen Vorträgen aoziehend zu gestalten, — Wie viel für neu Grehaltenes altert lange in den vergessenen Schriften vergangener Zeiten. Fast auf jeder Seite der Haller'schen JElementa physiologiae finden sich Dinge, welche, mit einiger Gewandtheit im Zuschneiden, moderne Autoritäten und Autoritätchen berühmt machen können, und auch gemacht haben. Möge darum die folgende, nur in allgemeinen Umrissen entworfene Skizze dem Anfänger als eine Einleitung in die Geschichte der Anatomie dienen. Sie erhebt weiter keinen Anspruch, als die jungen Freunde der Wissenschaft mit den ehrwürdigen Namen jener Männer bekannt zu machen, welche in der beschreibenden Anatomie oft genannt werden, und von welchen es nicht ohne Interesse ist, das Zeitalter ihrer Thätig- keit und ihres Flores zu kennen. Sie erzählt nebenbei auch einige euriose Episoden der Leidens- und Lebensgeschichte der Anatomie, welche von den anatomischen Historikern nicht erwähnt werden. Die Anatomie des Mensehen ist eine junge Wissenschaft, — kaum ein paar Jahrhunderte alt. Das classische Alterthum, gross in Kunst und speculativer Philosophie, kannte sie fast gar nicht. Die gelehrte anatomische Geschichtsforschung zweifelt mit Grund, ob die wenigen Männer, von welchen uns anatomische Schriften aus jener Zeit hinterblieben sind, je eine menschliche Leiche zergliedert haben. Die Geschichte der Anatomie zerfällt in zwei Hauptperioden. Die erste gehört der Vorzeit an, die zweite datirt von der Wiedergeburt der Wissenschaften in Italien. Man kann die vereinzelten anatomischen Wahrnehmungen, welche das Schlachten der Thiere, die Opfer, das Balsamiren der Ijeichen, und die zufälligen Verwundungen lebender Menschen ver- anlassten, keine Anatomie nennen, denn zur Anatomie, als Wissen- schaft gehört die Absicht, die Theile eines Thieres oder eines Menschen kennen zu lernen, was beim Schlachten und Opfern der Thiere, und beim Balsamiren der menschlichen Leichen durch- aus nicht der Fall war. Bei den Hebräern und Mohamedanern war die Anatomie vollends unmöglich. Die ersteren begruben ihre Leichen so schnell als möglich, in dem Glauben, dass der Nepheseh (Lebens- 42 S U. Kisto Pt'riiiJi' il.'r n,.>cliirliti" arriii toutes les sciences, celle, dont an a le plus celehre les avantages, et dont on a le nioins favorise' les progres." Selbst die religiösen Vorstellungen des Alterthums sprachen das Verdammungsurtheil über sie. Der Glaube, dass die Seelen der Verstorbenen so lange an den Ufern des Styx herumirren müssten, bis ihre Leiber beerdigt waren (Homer, Odyss. V, 66 — 72), machte die Anatomie menschlicher Leichen bei den Griechen unmöglich, ebenso wie sie es bei den Hebräern war, bei welchen, nach dem 44 §■ !♦• Erste Periode der Oescliirliti» di-r Anatomie. dritten iind vierten Buche Moses, die Berülirunf^ eines Todten, sell)st das Betreten seines Ilnuses oder Zeltes, auf sieben Tag-e unrein niaclite, und von dem Besuch des Tempels ausschloss (Gack en holz, Ue ihonunditie ex contrectatione mortuorum, Heimst., J70S). — Es war l)ei den Griechen eine heilig- , welclie im linken Herzen, aus Luft und Blnt bereitet, und durch die Aorta, allen Bestandtheilen des Leibes zugeführt werden. Bis in das 17. Jahrhundert hat sich diese Lehre der SpirliKS anhnales und vitales erhalten. Die Arterien hiessen deshalb in den alten deutscheu anatomischen Schriften Geistadern. Nach Alexanders Tode zerfiel sein Riesenreich in kleinere Throne, Avelche dem blutigen Handwerk der Waffen entsagten, imd friedliche, menschenbeg'lückende Kunst und Wissenschaft in ihren mächtigen Schutz nahmen. So entstand zu >\.lexandria (320 Jahre vor Christus), die von Ptolejuäus Euergetes neben dem Serapeion gestiftete medicinische Schule, Avelche durc-h Jahrhunderte blühte, und eine Bibliothek von 700.000 Bänden besass. In dieser Schule scheint die menschliche Anatomie ihr erstes Asyl gefunden zu haben, wenigstens bildeten sich in dieser Schule Männer, welche, wie Herophilus und Erasistratus, ihr Leben unserer Wissenschaft widmeten. Leider sind ihre Schriften, Avie jene der griechischen Anatomen Eudenius, Lycus und Marinus (20 Bücher), nicht auf uns gekommen. Nur Einiges über ihre Leistungen finden wir im Ga- lenus erwähnt. Herophilus, ein griechischer Arzt und Anatom, :U0 Jahre vor Christus, stand bei dem König von Syrien, Seleucus, hoch in Ehren, da er aus dem Pulse des kranken Königssolmes erkannte, dass derselbe in seine Stiefmutter vei'liebt sei. Er soll selbst lel)ende Yerbrecher mit allerhöchster Genehmigung des Se- leucus zergliedert haben. Eine Stelle im TertuUian (De anima, cap. 10) sagt hierüber: „Herophilvs ille medicvs aut lanivs, (pd sexcentos §. 14. Erste Periode der Geschiclite der Anatomie. 47 exaecuit, ut naturam scrutaretur, qui hominem odit ut nosset, nescio an omnia interna ejus liquido exploraverit ipsa, morte mutante, quae vLve- rant, et morte non shnpUci, sed inter artißcia exsectionis errante." Grewichtiger als dieses Zeug-niss des afrikanischen Kirchenvaters ist jenes des berühmten römischen Arztes Cornelius Celsns: „nocentes homines, a regihus ex carcere acceptos, vivos incidit, consideravitque etiam spiritu remanente ea, quae antea clausa fuere". (De medicvaa, in prooemio.) Grälen, dem wir Alles A-erdauken, was wir von Hero- philns wissen, hat von dieser Anatomie lebender Menschen nichts erwähnt. Wahrscheinlicher Weise ist die ganze Sache eine Erfindung, welche der von der Anatomie auf die Anatomen übertragene Abscheu jener Zeit ausheckte, imd die Leichtgläubigkeit der Nachwelt ver- breitete. Gring es doch zu Ende des Mittelalters einem der bedeu- tendsten Restauratoren der Anatomie, dem Jacobus Berengarius in Bologna, ebenso (nach Leon a Capoa, Raggionamenti, Nap., 1681, II, pag. 60). Auch an grosse Künstlernamen hat sich dieser schmach- volle Vorwurf gewagt, wie an Parrhasios, den Nebenbuhler des Zeuxis, selbst an Michael Angelo (Hyrtl, Antlquitates anat., ^'. IS). Sie sollen lebende Menschen geöffnet haben, um die Yerzerrungen des höchsten körperlicheu Schmerzes, für die Darstellung eines an den Fels geschmiedeten Prometheus, oder eines gekreuzigten Christus, vor Augen zu haben. Nur einem menschlichen Scheusal, wie Caligula oder Heliogabal, könnte so etAvas zugemuthet werden. • — Es ist ausgemacht, dass Herophilus die Chylusgefässe des menschlichen Darmkanals, welche während der Yerdauung von Milchsaft (chyl'us) strotzen, und dadurch sichtbar werden, gekannt hat, was selbst der spätere Entdecker derselben, Caspar Aselli, zugiebt. Ln Gralenus, De usu partium, lib. IV, findet sich hierüber folgende merkwürdige Stelle: „Toti mesenterio natura venas effeclt proprias, intestinis nutriendis dicatas, haudquaquam ad hepar traji- cientes. Verum, ut et Herophilus dicehat, in glandulosa quaedam eorpora desinunt hae venae, cum ceterae oinnes sursum ad portas (hepatis) ferantur. — Herophilus machte zahlreiche Entdeckungen in der Detailanatomie, deren einige heutzutage noch seinen Namen führen. Die Plexus choroidei des Gehirns, das Torcular Herophili, die vierte Gehirnkammer, der Calamus scriptorius, das Duodenum, u. m. a., wurden von ihm zuerst erwähnt. Erasistratus genoss eines gleich- berechtigten Ruhmes. Er schied die Bewegungs- von den Empfinduugs- uerven, entdeckte die Klappen des Herzens, widerlegte zuerst den Platonischen Glauben, dass die Getränke durch die Luftröhre passiren, und gebrauchte für die Substanz der Organe das noch heute übliche, aber immerfort unrichtig ausgesprochene Wort: Parenchyma (von na^d und syi^^o, ergiessen), indem er alles nicht- -48 §. 14. Ersle IVriodc clor (iOMliulite der Anatomie. faserige oder vaskuläre HestandwoxMi aus ergossenem [iliit ent- stellen Hess. Das "Wort wird griecliisfli naQtyyv^iu gesi-lirieben. und darf sonach nur als Parencliynia, nicht aber Parenchyma ausge- sprochen werden. Claudius (laleuus (geb. 131 nach Christus) war aiifäiii;lich Ar/t au der Fechterschule zu Pergainus und studirte später zu Aloxandria. wohin er reiste, um, wie er selbst angiebt, ein voll- kdiinueues menschliches Skelet zu sehen. Er übte die Heilkunde zu Kom, unter den Imperatoren Marcus Aurelius und Com modus, wo er auch als Lehrer eine Anzahl Schüler um sich versammelte, und dieselben an einem, von dem welterobernden Volke w'enig besuchten, und deshalb ruhigen Orte — im Tem])el der Friedens- göttin — iu der Anatomie und in der praktischen Heilkunde unter- richtete. Das Haus neben dem Tempel, in Avelchem er seine Lehr- mittel, darunter auch menschliche Knochen, aufbewahrte, nannte er: «7roO'//x7]. (lalen's Schriften sind die Haupttjuelle, aus welcher wir den Zustand der Anatomie vor Grälen kennen lernen. Dass er je menschliche Leichname zergliederte, wird mit Recht verneint. Seine Beschreibungen passen nur selten auf die menschlichen Organe, ob- wohl er sie selbst als denselben entlehnt angiebt. Er scheint sich vorzugsweise der Affen bei seinen Zergliederungen bedient zu haben. So sind z. I>. seine Angaben über das Herabreichen des hinteren Musculus scalenus liis zur (). Rippe, über den Ursprung des Rectus (d)doinuiis vom oberen Ende d^t^ Brustblattes, über das Brustbein, über den Zwischenkiefer, über das Kreuzbein, über die Nabel- arterien, die Augenmuskeln, u. m. a., den Affen entnommen, unter welchen besonders der in Nordafrika damals häufig vorkommende Liuus sylvanus ihm in Menge zu Gebote stand. Was hätte dieser grosse ^Manii in unserer Wissenschaft leisten können, hätte er nicht iu einem Zeitalter gelebt, welches Tausende von Unglücklichen den lirutalen Launen des römischen Pöbels und seiner verderbten Impe- ratoren opferte, und die ersten Bekenner des Christenthums selbst den wilden Thieren vorwarf. Christianos ad leones ! \\q\\\{& der Avüthende Ti'oss, wenn eine Schlacht verloren wurde, oder eine Seuche iu Italien ausbrach, aber der Anatomie wollte man nicht eine Leiche gönnen. Als ein Manu von grosser Grelehrsamkeit, voll Talent und Geist, errang sich Galen durch seine Schriften, Avelche durch vierzehn Jahrhunderte als Gesetzbücher der anatomischen und heilkundigen Wissenschaft i^alten, den lange Zeit unangetasteten Ruhm der höchsten medicinischen Autorität, an deren Aussprüchen es nichts zu bessern, nichts zu ändern gäbe. Es hat vieler Kämpfe bedurft, um am Be- ginne der zweiten Periode unserer Geschichte sein Ansehen fallen §. 14. Eiste Periode der Geschichte der Anatomie. 49 ZU machen. Nie hat der Name imd das Ansehen eines Mannes so lange, so unumschränkt, und so unbestritten, in einer Wissenschaft geherrscht, wie Galen in der Medicin. Nur in der Naturgeschichte und Philosophie behauptete Aristoteles einen gleichen Rang. Man ging in der blinden Verehrung dieses Mannes selbst so weit, dass, als der grosse Reformator der Anatomie, Vesal, durch seine Zer- gliederungen die Irrthümer Gralen's aufdeckte, man geneigter schien, eine im Laufe der Zeit stattgefundene Aenderung im Baue des Menschen anzunehmen, wie es Jacobus Sylvius that, als den für unfehlbar gehaltenen Mann eines Fehlers zu zeihen. Galen war von der hohen Bedeutung seiner Wissenschaft so durchdrungen, dass er sie einen sermoneui sacrum, et verum Conditoris nostri hi/mnuta nannte. Merkt Euch, Ihr christlichen Anatomen! diese edlen Worte eines Heiden. — Galen war zugleich einer der schreib- seligsten Aerzte. Die Zahl seiner Werke wird auf 400 geschätzt Die meisten derselben gingen temporis injuria verloren. Sie be- behandelten ausser Medicin auch philosophische, grammatische, mathe- matische, selbst juridische Argumente. In den stürmischen Zeiten, welche auf den Yerfall des römischen Reiches folgten, und in welchen die Anatomie, wie alle Kunst und Wissenschaft, kein Lebenszeichen von sich gab, waren die medicinischen Werke Galen's das einzige Testament der Arzneikunde, welchem alle Yölker des Abendlandes Glauben zuschwuren, und sich, wie die Araber, in Commentaren und üebersetzungen desselben erschöpften. Galen's, in griechischer Sprache geschriebene Werke wurden im elften Jahrhundert, auf Befehl des normannischen Königs Robert von Sicilien, durch Nie. Rubertus de Regio, aus den bereits existirenden syrischen und arabischen üebersetzungen derselben, in's Lateinische über- tragen und dadurch dem Abendlande zugänglich gemacht, in welchem die griechische Sprache damals fast gänzlich unbekannt war und erst nach dem Falle Constantinopels, durch flüchtige griechische- Gelehrte, in Italien eingeführt und auf den Universitäten gelehrt wurde. Durch Luigi Mondino de' Luzzi (Mondino, abgekürzt von Raimondo, — de Luzzi, vom Familienwappen, zwei Hechte, (lucci s. luzzi), Professor zu Bologna (Ort und Jahr seiner Geburt unbekannt, gestorben 1326), feierte unsere Wissenschaft ihre Wieder- geburt zu Anfang des 14. Jahrhunderts. Er Avagte es, nach so langem Verfalle der Anatomie, wieder menschliche Leichen zu öffnen, und zergliederte drei weibliche Körper. Von welcher Art diese neu erstandene Anatomie gewesen sein mag, ersehe ich aus folgendem Cerevis-Latein des Guido Cauliacus (Guy de Chauliac, Capellan und Leibarzt Papst Urbans V.): „Mctgister meus, Bertuccius Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl. * 50 §. 14. Ernte Periodp der Geschiihte der Anatomie. (ein Scliüler des ^londino), fecit anatomiam per hitnc modum. Situato corpore in banco, faciehat de ipso quatuor lectiones. In prima tracta- hantur memhra nutritiva, quia citius putrehilia, — in secunda memhra spiritalia, — in tertia memhra animata, — in qiiarta extremitates tractahantur." — Mondino schrieb ein kleines anatomisches Opus, welches bald unter dem Titel Anatomia Mundini (horrihile dictu auch Anathomia Mundini), bald als Anatome omnium hinnani corporis interiorum memhrorum, vor der Erfiudung der Buchdruckerkunst durch zahlreiche Abschritten vervielf'ältii;t und zugleich sehr entstellt wurde, später durch Druck viele Auflagen erlebte, und, obwohl es nach unseren Begriffen sehr unvollständig und incorrect war (mendis et erratis innumcris refertum), dennoch durch zwei Jahrhunderte in grossem Ausehen stand. Zwei Deutsche haben die besten, obwohl noch immer fehlervollen Ausgaben desselben besorgt: der Arzt in Leipzig, Martin von Mellerstadt, 1509, und der INIarburger Professor Joh. Dryander (Eich mann), 1541. Mondino's Ver- dienst bestand eigentlich nur darin, dass er zuerst anatomische Demonstrationen an der Leiche öffentlich vorgenommen hat, während sonst nur die Texte des Galen imd der Araber, ex cathedra vor- gelesen und interpretirr wurden. Sein Buch ist für uns nur mehr eine an Unrichtigkeiten reiche Curiosität. Was es Gutes enthält (man bedenke die Zeit, in weicher es geschrieben wurde), ist den Arabern entnommen, deren anatomische Benennungen häufig, aber in sehr entstellter Form l»eibehalten wurden, wie Alkatini für Lende, Mirach für Unterleib, Caib für Sprungbein, SijjJiac für Bauchfell, Nucha für Kückenmark, Saphena für innere llautvene des Schenkels, Zirbus für Netz, Alchangiar für Schwertknorpel, u. in. a. ') Selbst auf deutschen Universitäten, z. B. Würzburg und Tübingen, wurde noch zu Anfang des IG. Jahrhunderts die Ana- tomie nacli dem Texte des M und inus gelehrt (Froriep, Kölliker). Die liistorisclien Untersuchungen von Mcclici und von Mazzoni Toselli haben aufgedeckt, dass schon lange vor Mundinus, in Bologna anatomische Zer- gliederungen vorgenommen wurden, entweder auf Refehl des Magistrates bei Vergiftungsverdacht, oder auch geheim und illegal an exhumirten liCichen: ..praeter sectioncs anatomicas permissa.^, aliae quoque in.'ch anschlug, sagte auch seinen Lesern, dass er ihnen nicht Alles mittheile, was er selbst wüsste, aus dem Grunde, damit sie ihn nicht für einen Engel halten, da er doch nur ein gew«dinliches sterbliches Menschen- kind sei. Da nun der „Spiegel der Arznei" eigentlicli in die alte niedicinische, nicht in die anatoniisolie Literatur gehurt, verdienen neljen Hieronynius lirun- schw'ig, als anatomische Sohriftsteller nocli zwei andere ]\Iänner genannt zu werden, welche einen kurzen Abriss der Gesanmitanatoniie. bald nach Phryesen. geschrieben und in Druck gelegt haben. Der erste ist der Strassburger Wund- arzt, Meister Hans von Oersdorf (Schylhans genannt, weil er schielte). In seinem „^Jclbtlnicb öer IfiinbtartjncY", Strassburg. 1528, enthalten die ersten zwölf Capitel eine sehr comiit-ndiöse Anatomie. Sie stellt sich als eine deutsche Uebersetzung des rein anatomischen Tfactalua primns der Cliirvrgia magna des Capellans. Kämmerers und Leibarztes Pabst Urban V. in Avignon, Guido Cau- liacus (Guy de Chauliac) heraus, eines Buches, welches im Jahre 1363 ge- schrieben wurde. Schylhans versah sein ^elötbudj auch mit einem „Vocabularius ber Jlnatomy" (Fol. 96 — 99), aus welchem wir die höchst sonderbaren deutschen ') Sie ist aber nur die Copie eines im Ortus fffor/itnj sanilatis von Johannes de Cuba enthaltenen Skeletbildes, welches dem Capitel De an i mal ihn s vorangeht. Der Ortus erschien ohne Lnprensum. Da eine deutsche L'ebersetzung desselben vom .lahre 1486 vorliegt, kann das Druckjahr des Originals auf 14S3 oder 1484 augesetzt werden. Zweimal wurde diese .'^keletabbildung als selbstständiges Flugblatt reproducirt. §. 14. Erste Periode der Geschichte der Anatomie. 55 BenennungeB entnehmen können, welche die Organe unseres Leibes im 16. Jahr- hundert führten. — Der zweite deutsche anatomische Autor ist der Strasshurger Medicus, Gualtherus Hermannus Ryff, welcher eine mit Holzschnitten ge- zierte Anatomie, unter dem Titel: „Des allerfürtrefflid/ften ^efdjöpfcs — bes ITtenfdjen — JSefd^reybung ober 2lnatomy", 1541 in Strassburg herausgab. Jac. Sylyius (geb. 1478, t 1555), bestieg 1531 den Lehr- stuKl der Anatomie an der Pariser Universität. Er trat bei all' seiner unbedingten Yerehrnng für Glalen, dennocli in Einzelnheiten selbstständiger als seine Vorgänger auf, änderte und bericlitigte tbeilweise die anatomiscbe Nomenclatur, vervollständigte die Ana- tomie der Muskeln und Gefässe, und hat noch überdies das Ver- dienst, seinen Scbülern (damals studirten Graubärte) naclidrüeklicbst empfohlen zu haben, selbst Hand an die Leiche zu legen, während an den übrigen Universitäten, man sich blos mit dem Zusehen zu begnügen pflegte. Viele, jetzt noch in der Myologie gebräuchliche Benennungen wurden von ihm und einem seiner späteren Nach- folger, Joh. Riolau, eingeführt, während man die Muskeln bisher nur durch Zahlen unterschied, was zur Verwirrung und Verwechs- lung häufigen Anlass gab. Sylvius versuchte es auch, die Blut- gefässe mit eingespritzten Flüssigkeiten zu füllen, und gilt deshalb, obwohl mit Unrecht (da dieses Verdienst Bologna gebührt), für den Erfinder der anatomischen Einspritzungen. — Sein schmutziger Geiz verhalf ihm zu der witzigen Grabschrift: „Sylvius hie situs est, gratis qui nil declit tmquam, Mortims et gratis, quod legis ista, dolet." In Wien wurde die erste anatomische Zergliederung im Jahre 1404 von dem an die Wiener Universität berufenen Mag. Galeatus de St. Sophia aus Padua, einem gelehrten Commentator des Avicenna, auf dem Kirchhofe des Bürgerspitals unter freiem Himmel vorgenommen. Sie dauerte acht Tage. Im Jahre 1433 finden wir den sicheren Magister Joh. Aygl, Schüler des Galeatus, allda als Lector anatomiae installirt. Er tractirte den Galen, De usu partium, und deraonstrirte zuweilen in dem Hause der medicinischen Pacultät in der Weihburggasse (in welchem auch die erste Buchdruckerei in Wien sich ansiedelte), die Lage der Eingeweide an den Leichnamen gerichteter Verbrecher, welche umsonst zu haben waren, während ein gleichfalls zu ana- tomischen Vorlesungen verwendetes Schwein, laut einer Eechnung in den Actis facult. med., aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, sechzehn Pfennige kostete. Weibliche Leichen zu seciren, wurde erst spät vom Magistrat erlaubt. Als Curiosum mag erwähnt werden, dass anno 1440, ein mit dem Strange gerich- teter Dieb, bei den Vorbereitungen zur Section wieder lebendig wurde, ein Fall, welcher sich 1492 wiederholt haben soll (?), weshalb die hochnothpein- liche Justiz in Wien die Verabfolgung der Leiber von Missethätern an die Schule, bis auf Weiteres einzustellen für gut befand. Besagter Dieb wurde auf Kosten der Facultät in seine Heimat (Bayern) unter Begleitung des Pedellus Johannes zurückgeschickt, dort aber, wegen wiederholten Diebstahles, in Eegensburg mit besserem Erfolge zum zweiten Male gehenkt. Dieser Fall steht nicht allein in der Geschichte der Anatomie, denn im Jahre 1650 brachten 56 9. If'- Zweite Periode iler OescUiohte Jer Anatomie. die Aerzte in Oxford ein Weib, Anna Green, welrlie am Galgen in's ewige Leben befördert wurde, wieder in's irdisclie zurüek. in weldieni ilir nocli ein langes Dasein bescliieden war. Interessanter Weise stellte sieh bald nach ihrer Wiederbelebung heraus, dass sie unschuldig verurtheilt war. Margaret Dickson, in Edinbnrg gehenkt (1728), wurde gleiehfalls wieder zum Leben gebracht, heiratete hierauf, und lebte noch dreissig Jahre. Ein anderer Fall «lieser Art ereignete sich in Irland (Cork, nOGj. wo ein gehenkter Hieb, Patrick Kedmont, durch eineji Schausjiiider. welcher ein zu Grunde gegan- gener Wundarzt war. wiedi-r lebendig gemacht wurde, sich einen Whiskyrausch antrank, und in diesem Zustande auf die Bühne sprang, um seinem Lebens- retter persönlich seinen l)aiik abzustatten. \«}\ einem Gehenkten, welcher auf die Pariser Anatomie gebraelit. und dtui durcli die Studenten, mittelst i'.rannt- wein. in's Leben zurückgebracht wurde, berichtet Riolan (A)ithropoyntphia. Paris, 1U26, poij. 103). Ja im Cardanns (De varietale renitti, Hb. 14, cap. IG) wird eines Falles erwähnt, wo ein Mann zweimal gehenkt, und zwei- mal wieder lebendig gemacht wurde. Erst beim dritten Hängen starb er wirklich. Er hatte eine verknöcherte Luftröhre. Petrus Forestus (OhseriK et Curat, med., IIb. XVIT, pay. 97) berichtet von einem gehenkten Misse- thäter, welcher durch die Aerzte resuscitirt wurde, aber „ut erat homo ingenii mall pravique'\ ob erneuerten Frevels wieder in die Hilnde der strafenden Gerechtigkeit fiel, und nochmals gehenkt wurde. Dr. Benivenius secirte den Leiclinam desselben, und faml in ihm ein mit Haaren bewadisenes Herz! Diese Haare sind die bekannten Exsudatfloeken auf der Ilerzoberfläche, welche das sogenannte Cor hh-.mtum oder vUlosum bilden, nach Pausanias ein Zeichen von Muth und Tapferkeit, wie es zuerst an A ristomen es, dem helden- müthigen Vertheidiger der Feste Ithome im Messenischen Kriege gefunden wurde, nebst Versetzung der EingeM'eide: et ivvevenivt cor kirsutum et viscu.i i tu iiiut atnni. §. IT). Zweite Periode der G-escliichte der Anatomie, neuere Zeit und Jetztzeit. Die zweite Periode unserer Wis.senscli alt beginnt im 16. Jahr- hundert, mit dem l)erühmten anatomischen '^rrinnivirat des A esalius, Eustachi US, und P^all()|)ia. In jener folgenreichen Zeit, in welcher der menschliche (reist, angeregt durch das neiierAvachte Studium der (Massiker, die Fesseln einer geistlosen Scholastik zerbrach, erwachte auch mit Macht das Bewusstseiu der Noth wendigkeit anatomischer Studien, und hielt ffesjen Anfeindun"' und Yerfoli>-nni>' sieo'reiehen Stand. Die Wiss- begierde warf sich mit dem Feuereifer i\e^ Enthusiasmus auf das noch bracliliegende Feld der Anatomie. Lehrkanzeln erhoben sich zuerst iu B(dogua (gegründet lll!*), in Paris (gestiftet von Ludwig VII., in der Mitte des 12. Jahrhunderts), Montpellier (1195, durch Papst Urban V. gegründet), und in B«»hmens Hauptstadt, Prag (durch Carl IV.. 1348 nach dem Muster der Pariser Universität eingerichtet), avo der Erzbischof Alberic die Anatomie ex cathedra vortrug, jedoch nur als ßestandtheil der Instihitiones medicae, d. i. 8. 15. ZwMt& Periods der Gjeachichte der Anatomie. 57 der theoretischen Medicia, welche er nach den Texten der Araber zu lehren übernommen hatte. Ein edler Wetteifer spornte die Be- kenuer der jungen Wissenschaft zu nimmer rastender Thätio-keit an. Hemmt uns nur nicht, — wir werden uns schon selber helfen, Avar ihre Devise. In den specidativeu Wissenschaften, in Kunst und Poesie, kann das Genie sein Zeitalter überflügeln, — in der Er- fahruug-sAvissenschaft dagegen bring-t nur allgemach der emsige Fleiss der Zeit, was der (Tedaukenflug nicht in Eile erreichen kann. Diese Zeit war nun für die Anatomie gekommen, und der grosse Mann, welcher sie brachte, war Andreas Yesalius, der Eeformator der Anatomie. Seine Feinde, katholischen Glaubens, nannten ihn den Tmther der Anatomie. Er war 1514 zu Brüssel geboren. Seine Familie stammte aus deutschem Gau, aus Wesel im Herzogthiime Cleve, — daher der Name Yesalius. Sein Familienwappen zeigt drei Wiesel (altdeutsch Wesel). Eine durchgreifende Umstaltuug unserer Wissenschaft ging Ton dem Eiesengeiste dieses Mannes aus. Er studirte zu Löwen, und musste, der Verfolgungen wegen, welche ihm sein Eifer für die Anatomie zuzog, sein Vaterland verlassen. Nach seinem eigenen Geständnisse, plünderte er dort die Kirchhöfe, uud stahl selbst die in Ketten gehenkten Leichname der Verbrecher vom Galgen, um sie unter und in seinem Bette wochenlang verborgen zu halten, und nur des Nachts an ihnen zu arbeiten („per tres et vltra septimanas justifica- torum Corpora in stio cuhicido ad usus anat. asservavit", Mangetus). Ich besitze in meiner Sammlung von Porträten berühmter Anatomen einen alten Holzschnitt und einen modernen Kupferstich, welcher den Vesal bei dieser nächtlichen Arbeit darstellt. — Unter dem berühmten Lehrer der Anatomie zu Paris, Jac. Sylvius, widmete sich Vesal seinem Berufe mit ganzer Seele. Seine grosse Gewandt- heit im Zergliedern, wie auch im Bestimmen der Knochen mit verbundeneu Augen, besonders der Hand- und Fusswurzelknochen, ob sie rechte oder linke seien, was selbst seinem Lehrer oft misslang, uud seine Belesenheit in den anatomischen Schriften der Griechen uud Araber, verschaffte ihm schon als sehr jungem Manne einen entsprechenden Grad von Berühmtheit, zugleich aber auch die grimmige Feindschaft Aller, welche von dem Glauben an die für unfehlbar gehaltene, und durch Vesalius gestürzte Autorität des Galen nicht ablassen wollten. Er bereiste hierauf Italien, und erregte durch seine in Pisa und Bologna gehaltenen anato- mischen Demonstrationen die Aufmerksamkeit seiner Zeitgenossen in so hohem Grade, dass die Republik Venedig ihn in seinem zweiundzwanzigsten Lebensjahre als Professor anatomiae nach Padua berief. Barham alere, non facit phüosophum! — Neunundzwanzig 58 '■ l"- Zweite Perlode der Ge'foblchte der Anatomie. Jahre alt, gab or sein grosses, in classisclieni Latein gesoliriebeues Werk: De corporis JiKnitmi fuhrird lihri se/^li-n), ßasil., y.T-/,?, heraus. Es war ein oims cedro d'Kinmn, /ii welchem nicht, wie BInnieuhach meint, Titiau, sondern dessen Schüler, der Dentsche, Johann Stephanus von Kaikar, die Zeichnungen lieferte, iiad die IIolz- schijitte von unvergleichlicher Schönheit verfertigte. Boerhave sagt von diesem Werke, welches er, in Yerbindiiug mit Albiu, sammt den übrigen Schriften A^esaTs, nuter dem Titel Opera omnia in Levden, 1725 wieder auflegen liess: „opvs incouiparahile, quod peri- tumm numjuaui, ontiii.s ((evi tempore praeehfrissinuoii" (Meih. shid. med., t. T, png. 271). Während Vesal sicli in I5asel aufhielt, um den Druck seiner grossen Anatomie zu leiten, verfertigte er ein Skelet, welches er der Universität zum Andenken hinterliess (Merklin, Lmdenius renovatus, Norimh., 1086, pocj. 55). Die Ueberreste desselben werden ,jetzt nocli in eincMii (Ilaskasten auf- bewahrt. Viele Ku(»chen fehlen, da sie nicht, wie es heutzutage geschieht, mit Draht, sondern mit Darmsaiten zusammengeheftet waren, welche den Angriffen der beiden geschworenen Feinde aller zernagbaren organischen Gebilde (der l^arve des Käfers l^ermestes lardarhis, und der Motte Tinea sarcinella) auf so lauge Zeit nicht widerstehen konnten. Montpellier, Paris, Löwen (Lovanhrtn), Bologna und Padua, wnirden gleichfalls von Vesal mit Skeleteu beschenkt (Mangetus), welche damals zu den grössten Seltenheiten gehörten. — - Vesal Avar auch als Arzt ein gefeierter Mann. Kr wurde Leibarzt Kaiser Carls V. und seines Nachfolgers Philipp II. Wie schwer es ihm fiel, in dieser Stellung sich nicht mehr mit Anatomie be- fassen zu können, gesteht er selbst in seinem JE.ramen ohservatiomtrti Fallopiae. Von wenigen seiner Zeitgenossen begriffen und bewundert, von vielen, seines Ruhmes wegen, gehasst und auf das ünAvürdigste gekränkt, starb er in seinem fünfzigsten Jahre auf der Rückkehr von einer, in Begleitung des Venetianers Malatesta unternommenen Pilgerfahrt nach Jerusalem, schiffl^rüchig, krank, und von den Seinen verlassen, an der Küste der Insel Zante, wo sein Leichnam von einem Goldschmied, welcher früher in Madrid lebte, erkannt, und in der Capelle der heiligen Jungfrau, mit der einfachen Grab- schrift beigesetzt wurde: Andreae Vesalii Briixelleiuis hmndtis. Dieser Grabstein lügt wenigstens nicht. Es entbehrt aller Begründung, wenn es in anatomischen Ge- schichtswerken heisst, das Vesal deshalb bei dem spanischen Hofe und bei der Geistlichkeit in Ungnade fiel, und zu einer Pilgerfahrt nach dem heiligen Lande verurtheilt wurde, weil er in Madrid den Leichnam eines grossen Herrn (nach Lancisi einer Dame) secirte. §. 16. Zweite Periode der Geschichte der Anatomie. 59 dessen Herz nocli g-eschlagen haben soll. Nur die Cabale seiner Feinde konnte solche Lügen ersinnen, und nur die Scheu vor anatomischen Studien bei einem Yolke, wie des damaligen Spauiens, für welches zwar die Sonne nicht unterging, aber das Himmelslicht der Wissenschaft und der Aufklärung auch nicht aufgehen wollte, konnte sie glaubwürdig finden. Vesal unternahm die Pilgerfahrt, eines während einer schweren Erkrankung gemachten Grelübdes wegen (Thuani, Hist. sui temporis, London, ]733,lih. 35, pag. 714). Verstimmung über die maasslosen Angriffe seiner Feinde, Kränk- lichkeit („vir melancholicus, et de sua valetudtne saepe conquestus" , Hai 1er, Bihl. med. pract., II, 32), und eine unglückliche Ehe („avec iine femme mechcmte", Lauth, Sist de Tanat, t. I, pag. 632), waren nicht ohne Einfluss auf diesen seltsamen Entschluss — eines Ana- tomen. — Sein grosses anatomisches Werk wurde auf Befehl Kaiser Carl Y. der Inquisitiouscensur vorgelegt, und die theologische Facultät zu Salamanca befragt, ob es katholischen Christen zu ge- statten sei, Leichen zu zergliedern. Die Antwort fiel glücklicher Weise bejahend aus (1556). Kaiser Carl V. und seine Käthe wussten wahrscheinlich nicht, dass schon Ferdinand der Katholische den Aerzten und Chirurgen in Saragossa die Erlaubniss gab, im Hospital der Stadt, so oft sie es nöthig hielten, anatomische Zerglie- derungen vorzunehmen: „sin incorrer en pena alguna" (Morejon, Hist. hihliogr., Madrid, 1842, I, p. 252), und dass das Spital des Klosters Quadalupa in Estremadura vom Papste die Bewilligung erhielt, Leichen zu öffnen, um verborgene Krankheitsursachen auf- zufinden (Ibid. II, pag. 26). — Yesal war der erste anatomische Denker. Er wusste den Zauber zu lösen, welchen das blind ver- ehrte Ansehen Gralen's, auf die Medicin und ihre Schwester- wissenschaften ausübte. Er widerlegte die Irrthümer des gefeierten griechischen Anatomen und Arztes, und bewies, dass die Galen'schen Lehren die Anatomie der Affen und Hunde, aber nicht jene des Menschen behandeln. Denken war damals gefährlich, und jene Art illegitimen Verstandes, welche Aufklärung heisst, wurde selbst in der Wissenschaft gehasst, und möglichst unschädlich gemacht. Mancher musste es mit dem Leben bezahlen, mehr Verstand gehabt zu haben, als iVndere. Kein Wunder also, Avenn das Grenie dieses Mannes sich den wüthenden Hass seiner Zeitgenossen zuzog, welcher sich bisweilen auch auf komische Weise kundgab, wie z. B. der erwähnte Sylvius unseren Vesal in einer Streitschrift absichtlich Vesanus statt Vesalius nannte, während sein dankbarer Schüler, der grosse Fallopia, von ihm nur als divinus Vesalms spricht. — Die Wissenschaft verdankt diesem deutschen Reformator der Anatomie den ersten Antrieb zur Bewegung des Fortschrittes, 60 fi- If'- Zwpito Periode der Oeorliirhte der Anatomie. w('l(Ii(\ cinniiil I)oi>-oniiPn, iinaiitliiiltMiiii dfiii ln'sseren Ziele ziipilte. Im I*al;i/,/,u IMtli zu FloriMiz sali icli das l'oi'ti'ät dieses iiu'rk- "würdiiiiMi Mannes. idxT dessen Lehen A/'/'. omu'ni Yesalii, Vorrede), nnd l*r(»f. H n rggraeve (Eti((h's siir Aiiilrr Vesitl, Gaud, 1841) liisturisclie Notizen ver- ritfentlicliteii. Zu NesaTs Zeiten gab es, ausser zu l*adna nnd Pisa, noch keine auatoniischeu Anstalten, und zweckmässig eingerichtete Vorlesesäle. (Inte anatomische Theater entstanden erst 1500 in Montj)elli«M-. 1504 in Paris, 1000 in Leyden, und 1044 iu Kopen- hagen. (xabriel Fallopia, ein modenesischer Edelmann (geb. 1523, t 1502), wirkte im (Jeiste des AVsal, welchen er an (-orrectheit noch überti'at'. I )em geistlichen Stande angehörend, war er anfangs Canouicns in seiner \'aterstadt Modena, dann aber Professor der Anatomie iu Ferrara, Pisa und Padna. Er erwarb sich durch seine an wichtigen Entdeckungen reichen Observationes anatomicae, Yenet., 1561, den Ruf eines grossen und genauen Zergliederers. Hai 1er ruft ihm die ehrenden Worte nach: „candidus vir, in anatome inde- fes-ius, muiinus hweidor, et in neminem iniqinis". — Es heisst von ihm. dass er zu Pisa au verurtheilten Yerbrechern Yersuche über die Wirkungsart der Gifte voruahm. Er selbst gesteht: „dux eniin Cor- pora jusütiae tradeada, anatomicis ealübebat, id morte, qua ipsis vide- batur, interßcerentnr" (De eompos. medicam., cap. 8). Dass er nicht der Einzige -war, welcher von einer so unmenschlichen Ei'laubniss Grebrauch machte, ersehe ich aus Benedetti's Worten: „(/uandaque i'iventes in custodiifi petnnt, vt potius rnedicorum collefiiis tradantur, quam earnijivis matni piddiee trucidentur" (Anatomice, ]\'net., 1493, lih. I, cap. 1). Die CoUeein konnte, .seinen Namen durch irgend einen Fund zu verewigen. Die italienische Schule rühmt sicli mit Recht einer grossen Anzahl von Auatomeu, deren jeder sein Schärflein zum schnellen AuCMühen unserer Wissenschaft beitrug. Dass sie nur das rohe Material sichteten, und von subtileren lintersuchungen noch nichts wissen konnten, liegt in der Natur der Sache, und in der Art des Fortschrittes jedes menschlichen Wissens. Die Geschichte erwähnt, aus nach-VesaTscher Zeit, noch einige andere, sehr verdienstvolle i\Iänuer. Der bedeutendste unter ihnen war Fabricius ab A(| uapendeu te (1537 — 1010), Professor zu Padua, wo das gegenwärtig noch existirende, höchst originell con- struirte anatomische Theater, von ihm gegründet wurde. Dasselbe entspricht aber nicht genau dem von Alessand ro Renedetti ge- gebenen Vorbild: „arenae bistar circiimcavatis sedilibus, quäle Romae et Veronae cenütur, tantae laagnitudinis, ut spectanüvm moncro sufßcmt, ne vulnerum ynag'istri, qvi rcsectores sunt, a nuiltitmline perturhentur". Um diese Stelle zu verstehen, niuss man wis.sen, dass die ersten Professoren der Anatomie an den italienischen Schulen, sowie in Paris und Montpellier, viel zu grosse Herren waren, um sich selbst bei ihren Vorlesungen mit der manuellen Zergliederung abzugeben. Sie überliessen dieses Geschäft ihren Gehilfen, welche meistens Chirurgen waren (vulnerum mwjistri), und Rcsectores, oder Prosectores genannt wurden. Der Professor gab e,v cathedra blos die P^rklärung zu dem, was diese Leute aufzeigten, oder las ein Capitel ausCJalen, Avicenna, oder Mundinus. Er wurde deshalb Lector genannt, wovon uns in den englisclteu Lecturers noch ein Andenken bewahrt ist. Dieser Brauch erhielt sich bis in die Zeit des Vesal und Realdus Columbus, welche auf den schönen Titelblättern ihrer Werke als selbst secirend dargestellt sind. Fabricius war auch der erste Anatom, welcher der Ehre theilhaftig wurde, sein Andenken durch eine Bildsäule verewigt zu sehen. Sie steht leider schon in sehr verwahrlostem Zustande auf dem Prato delfa Vtillc in Padua, wo ich sie im Jahre 18(31 zum letzten Mal sah. Seine zahlreichen kleinen anatomischen Abhandlungen wurden ei'st lange nach seinem Tode in ein Gesammtwerk vereinigt, dessen beste Ausgabe Albinus in Leyden besorgte (1738), und mit einer biographischen Vorrede versah. — Fabricius brachte es zu hohen Ehren. Er erhielt von der Universität den Ehrentitel: Professor svpraordinarius, wurde vom Senat in Venedig in den Adelstand erhoben, und bezog 1000 Gold- §. 15. Zweite Periode der Geschichte der Anatomie. 63 stücke Grelialt, eine damals ungeheure Summe für einen Professor.') Zugleich ein viel beschäftigter und nobler Arzt, nahm er von seinen geheilten Kranken, nur wenn sie vornehm und reich waren, Hono- rare an. Hochadelige Herren belohnten seine Curen mit werthvoUen Kunstgegenständen und Antiquitäten, aus welchen er sich auf seiner Villa bei Padua ein Museum bildete mit der Aufschrift: Lucri Neglecti L/ucrum. Ihm schliessen sich als verdienstvolle Anatomen seiner Zeit an: Const. Yaroli, Professor zu Bologna (1543 — 1575), und dessen Nachfolger J. Caes. Aranzi (starb 1589), — Vidus Vidius (geb. in Florenz 1542), kurze Zeit Leibarzt des französischen Königs Franz L; nach dessen Tod er die anatomische Lehrkanzel in Pisa annahm und bald darauf daselbst im Kloster als Canonicus starb, — Vol- cherus Koy ter (Coiter), ein Friese, gleichfalls kurze Zeit Professor in Bologna, dann aber Stadtphysicus zu Nürnberg (1534 — 1600), Caspar Bauhin, Professor der Anatomie und Botanik zu Basel (1560 — 1624), Sohn eines aus Frankreich vertriebenen calvinistischen Arztes, welcher schon in seinem siebzehnten Lebensjahre das seltene Griück genoss, Leibarzt einer Königin zu sein, — Adrianus Spigelius, ein Niederländer, welchen Haller splendidus et eloquens nennt, Pro- fessor zu Padua (1616 — 1625), der erste der vielen Anatomen, welche an Sectionsverletzung starben, — und Julius Casserius, Professor ') So hatte Galilei, als Professor der Mathematik in Padua, nur 170 Fiorini = 1700 Francs. Als er eine schöne Venetianerin zur Geliebten auserkor, und gemein- schaftlichen Haushalt mit ihr führte, verdoppelte der Doge diese Summe: „perche ora ne sono dtce". Diese Gehalt.sverdoppelung erfolgte noch ein zweites Mal, als Galilei mit der Entdeckung des Fernrohres die Welt überraschte. In Wien gab es bis in das 16. Jahrhundert nur zwei ordentliche Professoren der Medicin, und zwar einen Professor praxeos und einen Professor insiüutionum, d. i. der Einleitungsfächer in die Medicin, in welchen auch die Anatomie inbegriffen war. Während alle ausserösterrei- chischen Universitäten im 16. Jahrhundert schon eigene Professoren der Anatomie hatten, wurde diese Wissenschaft in Wien bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts nur als Nebensache behandelt. Die anatomischen Vorträge hielt man nur aus dem Buche, nicht an der Leiche. Die hiezu verwendeten Bücher waren die Anatomie des Mundi- nus, des Jac. Foroliviensis, und die Isagoge des Joannitius (Honain ben Ishak), welcher im 9. Jahrhundert lebte! Erst unter Kaiserin Maria Theresia er- hielt die Anatomie einen eigenen Professor, anno 1742, in der Person des Dr. Schel- lenberge r, eines in der Geschichte der Wissenschaft völlig unbekannten Mannes. Er bekam 800 fl. Jahresgehalt, aus welchem er aber auch alle Unkosten des anatomischen Unterrichtes bestreiten musste. Die übrigen Professoren hatten seit der Gründung der Universität nur 120 Gulden Gehalt — der Chirurg blos 50 (1 Gulden von damals hatte den Werth eines Ducaten). Wahrscheinlich verdienten sie nicht mehr, denn ausser den Ausländern Matthias Cornax, Fr. Xav. Mannagetta und Paul Sorbait, hatte die medicinische Facultät in Wien durch vier Jahrhunderte keinen bedeutenden Mann aufzuweisen. Cornax, von den Wienern Cornox genannt, Hess 1549 den ersten Kaiserschnitt (richtiger Bauchschnitt bei einer Graviditas extrauterina) in Wien aus- führen, worüber er in einem besonderen Büchlein berichtete. (Matthiae Cornacis Historia quinquennis gestationis in utero. Viennae, 1550.) Nichtsdestoweniger wurde den Professoribus' ordinariis damals schon durch sonore Titel, Gnadenketten und Ehrenstellen reichlich ersetzt, was ihnen an wirklichen wissenschaftlichen Verdiensten gebrach. Carent meritis, stupent in titulis, heisst es im Erasmus. Sie wurden selbst zu Ahnherrn edler Geschlechter von tapferen Rittern und Baronen gemacht, und hängten ihre Wappenschilder an den Hörnern des Mondes auf. Ihre Namen sind aber verschollen und vergessen. n4 S. Ifi. Zweite Periode der rieM'hiilitc der Anatomie. ZU Piidiia (circa 1545 — l(i05), — Hie 0!^ pväcTitij:: g-estocluMicii .iiia- toniisclien Al>l>il(hiiii;en des S pi^eli iis, )V//('^, J(}2T, sind wohl die schönsten, welche je ein anatomisches Werk schmückten. Casserius liinterliess eheufalls eine herrliclie Sanindung" von 7S anatomischen Tafeln, welche von des berühmten Rolou;neser Meisters Fialetti Hand gezeichnet, und durcli Fr. Vallesi in Kupfer gestochen waren. Ein deutscher Arzt, Daniel Rindfleisch, gelehrter Weise Rucre- tius genannt, kaufte sie von den Erben des Casserius und Hess sie zugleich mit Adriani Spigelii X>c' fO<7>. hidii./dfiru-a lil>ri (h'ccui, zu Venedig, l(i27, auflegen. Mag mau es immerhin Wassertro})fen oder Sandkörner nennen, was der Fleiss dieser Männer zum Aufbau unserer Wissenschaft beigetragen hat; — ich finde nur Ehrendes in solchem Vergleich, denn ans den Sandkörnern Avurden Felsen, und „Wo wären denn die Meere. Wenn nicht zuerst der Tropfen wäre?"' Es darf nicht unberührt bleiben, dass die gros>en Anatomen dieser Zeit, zugleich ausgezeichnete Aerzte und Wundärzte, und gefeierte Lehrer der Medicin waren. Der Glanz ihres Namens rief sie an fürstliche Höfe und strahlte auf die Wissenschaft zurück, welelier sie ihn verdankten. Nicht lange läclielte den Anatomen die Gunst der Herrscher. Sterndeuter und Goldmacher nahmen bald ihre Stelle au den Höfen ein, und behaupteten sie bis zu Anfang der neueren Zeit. Und würde Jemand in unseren Tagen von dem grossen Arcanum wieder Lärm zu maclien verstehen, er wäre ganz gewiss den Kaisern und Königen und ihren Finanzmiuistern ein viel wich- tigerer Mann, als der Entdecker der menschlichen Steissdrüse. Ausserordentlich viel trug zur Entwicklung der Anatomie die Einführung eines kleinen AVerkzeuges bei, welches bei den Chirurgen schon seit Celsus in Gebrauch stand, und zum Ausreisten kleinerer Auswüchse verwendet wurde — die Pincette. Sie hiess Vuhella (von evdlere, eculni), und wurde als Volsella in das anatomische In- strumentarium aufgenommen. Bis gegen Ende des 10. Jahrhunderts sieht man auf den Titelblättern der anatomischen ^^ erke gewöhnlich eine Leichensection dargestellt, und alle Instrumente dabei ausgekramt, welche die damaligen Anatomen gebrauchten. Es sind wahre Fleischer- messer, Zangen, Haken wie kleine Mistgabeln. Scheeren, Sägen, Hämmer um! Meissel etc. Die Pincette ist niciit dabei. Was man präpariren wollte, wurde mit der Hand, mit dem Haken oder mit der Zange gefasst, aufgehoben, und von seinen Verbindungen mit fus.slangen Schlachtmessern, Avelche wie türkische Handschars aussahen, losgeschuitten. Man nannte diese Procedur nach Mundinus: excarnare und anatomizare. Wie konnte mit solchen Werkzeugen Zartes und Feines behandelt und dar^-eleirt werden? Nur durch die §. 15. Zweite Periode der Geschiclitc der Anatomie. (55 Pincette wurde es möglicli, Nerven, Gefässe, Drüseuausführimgs- gänge und alle kleinen und kleinsten, mit freiem Auge uocli sicht- baren Gebilde des menscliliclien Leibes, aufmerksam und siclier zu verfolgen und zn isoliren, und das bisher geübte rohe excarnare in ein verständiges und ergebnissreiches praeparare umzuwandeln. Durch die Pincette wurde das Tranchirhandwerk der xlnatomen zn einer Kunst! Es lässt sich nicht denken, dass Fall opia und Eustachins, vielleicht auchVesal, die Pincette zu ihren Arbeiten nicht gebraucht haben. Aber sie nennen dieselbe nie und haben sie nnter den von ihnen gebrauchten Instrumenten auch nicht abgebildet. Ich finde sie im Guido Guidi, dessen lateinisirter Name besser bekannt ist, und Vidus Yidius lautet (Anatome, Hb. I, cap. 7, de instrum. anat), zuerst erwähnt. Das TYiagnwii hwentwa des Kreislaufs bedingt einen neuen Ab- schnitt dieser Periode. Mehrere Vorarbeiten zur Begründung einer richtigen Ansicht über die Circulation des Blutes, gingen voraus. Sie rühren von verschiedenen Männern her, wie Realdus Columbus (Apotheker in Cremona, später Prosector und Nachfolger des Yesal in Padua), Fabricins ab Aqnapendente (welcher zuletzt bemerkte, dass die Klappen der Yenen, der centrifugalen Bewegung des Blutes im Wege stehen), Andreas Caesalpinus (ein sehr gelehrter Mann, von seinen Zeitgenossen j,pap(X pMosopAor^m" genannt), und Michael Servetus (Jurist, Arzt, Theolog und hitziger Kopf, 1553 zu Genf als Ketzer verbrannt). Dem Engländer William Harvey (1578 zu Folkston geboren, f 1657), welcher in Padua studirte nnd promovirt wurde, gelang es, die neue Lehre des Kreislaufes, welche anfangs den Aerzten sehr ungelegen kam, mit wissenschaftlicher Schärfe nnd auf unwiderlegbare Weise zu begründen. Und dieses grosse Werk hat er durch die Anatomie vollbracht: „non ex lihris, sed ex dissec- tionibus, non ex placitis philosopJiorum, sed ex fahrica naturae discere et docere anatomen profiteor". — Jeder Entdecker neuer Wahr- heiten gilt anfangs für einen Ruhestörer, da er die Welt aus der Behaglichkeit gewohnter Ideen aufrüttelt. Harvey erfuhr dies nur zu bald. Er wurde von seinen Zeitgenossen, welche ihm den spottenden Beinamen Circulator (Marktschreier) gaben, so sehr angefeindet (malo cum Galeno errare, quam Harvei veritatem amplecti), dass sein Ruf als Arzt, wie er sich selbst in einem Briefe an einen seiner Freunde beschwert, zu sinken begann. Wenn ein voller Wagen kommt, sagt Lichtenberg, bekommen viele Karrenschieber zu thun. Harvey hatte es nun mit sehr vielen Karrenschiebern zu thun. Nicht weniger als fünfundzwanzig Gegner seiner Lehre traten auf einmal auf. Dar- unter der gelehrte, aber eitle und hochmüthige Joh. Rio lau, durch Hyrtl, Lehrbucli der Anatomie. 20. Aufl. " ()() S. 15. Zw.itf reriuilf (Irr (icMliuliti' iliT Aiiatoinio. ein liiilbe.N Jalirliundert Professor tler Anatuuiii' in Paris, ') welcher sieli selbst den Princeps anatviniconon nannte. Diesen allein wies Harvey in einem Briete /.nreclit. Den anderen vicrundzwanziii; zu antworten, hielt er unter seiner Wurde. Einer von diesen vierund- zwanzi^' bewies .soi;ar, dass Könii;- Salonio und die Chinesen i\Q\\ Kreislauf schon gekannt. Der erste, welcher sich für llarvey's Lehre mit bewunderndem Freimuth erklärte, war ein Deutscher — der Jenenser Anatom Werner Kolfink (Dlss. aiuit., lib.V,cap. 12, und Uh. VI, aip. 14). Ihm hatte es Harvey zu danken, dass er auf deutschem Boden keinen Widersacher fand! ■ — In dem Museum des R. Cullive of P/iifsIclaia^ in London befinden sich sechs IIolz- tafeln mit getrockneten Nerven und Blutgefässen; eine darunter zeigt die Aortenkla])pen, Sie sollen von Harvey herstammen, welcher sie in Padua, unter der Anleitimg von Fabricius ab xVciuapendente bereitet, und sich in England derselben bediente, als er Vorlesungen über seine wunderbare Entdeckung; hielt. Ich kenne keine älteren anatomischen Präparate. Sie sind zwar nicht von der Art, wie wir sie heutzutage zu machen verstehen, aber ihr Alter und der Name des gTossen ^lannes, von dem sie herrühren, macht sie ehrwürdig'. Auch in der Sammlung' des Collt'i/e of Siirf/euim werden ähnliche, getrocknete und auf Holz ausgespannte Nervenpräparate aufbewahrt, welche ein englischer Arzt, .John Evelyn, von Fabricius Barto- letus in Padua kaufte. Sie müssen dritthalb himdert Jahre alt sein, da Bartoletus der (lehilfe des berühmten deutschen Anatomen in Padua, A. A^esling;. war, welcher lü40 starb. Im Jahre 1022 entdeckte Gasparo Aselli, Professor zu Pavia, an einem Hunde die ( 'liylusg'efässe des Grekröses. Nach den damals herrschenden Ansichten über die blntbereitende Thätigkeit der Leber, Hess Aselli diese (lefässe, welche er, ihres milchweissen Inhaltes wegen, Vasa lactea nannte, zur Leber gehen. Erst sechs Jahre später wurden die Chylusgefässe auch im menschlichen Gekröse von La Peiresc, Senator in Aix, welcher durch Gassendi von Aselli's Ent- deckung Kunde erhielt, gesehen. Den Dtidus tlwrackus, als Haupt- stamm dieses Gefässsystems, kannte weder Aselli, uoch Peiresc. Ein Student der Medicin, Jean Peccjuet, entdeckte denselben 1649 in einigen Hausthieren, und Olaus Rudbeck, Professor zu Upsala. im Menschen, 1650. Die Abbildungen zu der Mailänder Auflage von Aselli's Hauptwerk (De lnctUni.s ,y. lacteis venis, 1627), sind die ersten ' Joh. Riolan war ein sehr gelehrter und verdienstvoller Anatom. Die beste Arbeit, welche er in seinem langen Leben lieferte, ist seine Antliroi'ograjifiia, deren erste Auflage 1618 in l'aris erschien. Das Buch ist sehr selten geworden. Umfassende Gelehrsamkeit zeichnet es vor anderen französischen Schriften aus dieser Periode in rühmlicher Weise aus. Riolan erreichte ein Alter von 80 Jahren, und wurde zweimal am Stein operirt. §. 15. Zweite Periode der Geschichte der Anatomie. 67 Farbendrucke in Büchern. Thomas Bartholin, der grösste Polyhistor seines Zeitalters, und Verfasser einer Anatomla reformata, beschäftigte sich, wie sein Zeitgenosse, der Schwede Olaus Rnd- beck, mit der Untersuchung der Lymphgefässe überhaupt, deren Ursprung die Anatomen jener Zeit in nicht geringere Streitigkeiten verwickelte, als es derselben Frage wegen heutzutage der Fall ist. Würdige Repräsentanten der Anatomie im 17. Jahrhundert sind: Lancisi, Griisson, Willis, und der Däne Nil Stenson, geAvöhnlich Nicolaus Steno oder Stenonius genannt. Stenson Avar ein sehr gelehrter Mann. Er ahnte zuerst, dass die Petrefacten keine licsus naturae, sondern Ueberreste und Zeugen längst entschwundener Schöpfungsalter seien. Nach einem sehr bewegten Leben schwor er in Italien seinen protestantischen Glauben ab, und starb 1686 in Mecklenburg als Titularbischof von Titiopolis, in partlbus Inßdelium. — Valsalva, Santorini, Regnier de Grraaf, Winslow, und der ehrwürdige Veteran der deutschen Chirurgie, Laurentius Heister (1758), verewigten ihren Namen durch ihre Entdeckungen. Leider seufzte auch diese Periode, wie die früheren, noch aller Orten unter dem Drucke des Leichenmangels, und des gehässigen Yorurtheiles der Menge, indem nur justificirte Verbrecher, und diese mit allerlei Schwierigkeiten, dem Messer der Zergliederer überlassen wurden. So lässt Schiller in den „Räubern" den Roller, welcher recta vom Galgen zurückkommt, zu seinen Kameraden sagen: „war schon mit Haut und Haar der Anatomie verhandelt", und in England war es lange Zeit nichts Ungewöhnliches, dass zum Tode verurtheilte Verbrecher ihren Leib noch bei Lebenszeiten an die Anatomen ver- kauften, um den Kaufschilling zu vertrinken. Die Statuten der Uni- versität zu Padua erlaubten nur die Leichname von Verbrechern (justiziati) zu seciren, und diese durften keine geborenen Paduaner oder Venetianer sein (Tosoni). Ebenso waren in Ferrara, nach Borsetti, und in Bologna nur die Leiber von Verbrechern (f?i«nmotZo cives honesti non sint) der Anatomie verfallen, und dieses noch mit der Restriction, dass jährlich nicht mehr als Ein corpus secandum der Anatomie vergönnt wurde. ^) Durch Edict des Grossherzogs ^) Unter den Professoreu der Auatomie iu Bologna, erwähnt Keen selbst eine Frau, Madonna Manzolina, wie auch eine Professorin des canonischen Rechtes, Namens Novella d'Andrea. Sie war eine „belhzza di primo rango'', und hielt ihre Vorträge nur hinter einer Curtine, wie die verschleierte Göttin von Sais, um durch ihre strahlende Scluinheit die Zuhörerschaft nicht auf andere Gedanken zu bringen, als das Jus romamtm und, die Pandekten zu erwecken geeignet sind (Sketch of earbj hist. of Anat., 2)üg- 7). Ich gab mir, wie natürlich, Mühe, über Keen's Anatomen aus dem schönen Geschlecht etwas Näheres zu erfahren, fand aber nur in dem Geschichtswerk von M. Medici (Sulla scuola anat. di Bologna, 1S37, pag. oi9) einen gewissen Giovanni Manzolini ^geboren in Bologna, 1700, f l'^So), welcher sich mit Malerei beschäftigte, und in der Schule des Ercole Lelli anatomische Figuren in Wachs zu poussireu lernte. Er machte mit diesen Arbeiten einiges Aufsehen, und unterrichtete Öö §. 15. Zweite rcriodc der Gcseliichtc der Aiiatuiiiie. Cosinus I., wiirdt' in Pisa all jälirlicli die öflfeutlielie Zergliederung eines Missctliäters, ^velelicr eigens zu diesem Zwecke erdrosselt "werden niiisste (draiKjolatu dal nirncßcc), angeordnet. Sie nalini nur zwölf Tage in Anspruch (A. Corradi). Ileinricli VIll. in England erlaubte dem CoUetje of Surr/coiDi jälirlicli „foiir fdons", und Königin Elisabeth dem College of Phytsiciiüis ebensoviel (Keeu). Erst Köni«^ Georg II. (1726) befahl die Leiber „of all criinhiaU" den Auatomeu auszuliefern. Ein })äpstliches Breve gestand der Tübinger Facultät die Corpora inale/wantlum zu, w'elche auch an der Wiener Universität, bis zum Jahre 1742, die einzigen Übjecte des anatomischen Unter- richtes bildeten. — Petrus Paaw rühmt sich denn auch: „sese bitia aut terna (tnaleficorum) eadavera, quotannis seculsse" (Primitiac atiat., Liigd., 16 15). Ja es gab selbst eine Art von „fahrenden Anatomen", welche die Städte aufsuchten, wo eben Hinrichtungen stattfanden, um daselbst anatomische Demonstrationen abzuhalten, und der Prager Rector magnifietis, Jessenins von Jessenitz, welcher nach der Schlacht am Aveissen Berge als Rebell enthauptet und geviertheilt wurde, ersuchte wiederholt schriftlich den Prager Magistrat, die Misse- tliäter so lange am Leben zu lassen, bis er ihre Leiber „ad usuui amitomicum" benöthigen würde, wo sie sodann nicht geköpft, sondern gehenkt werden mögen, aus begreiflichen Gründen. Der Schrecken, welchen der Name des Jenenser Anatomen Rolfi'uk dem Volke einflösste, veranlasste manchen armen Sünder zur Bitte, nach dem Kichten nicht gerolfiukt zu werden; und dem Professor Al- brecht, welcher in Göttingen nur in einem finsteren Keller des Festungsthurmes neben dem Groner Thore seine Zergliederungen halten durfte, wurde von den Einw^ohnern der Stadt Wasser und Holz verweigert! Caspar Bauhin und Felix Plater in Basel klagten zu ihrer Zeit laut über den Hass, w^elchen ihre Beschäftigung auch seine Frau Anna, ihm dabei behilflich zu sein. Sie übertraf bald ihren Mann au Correcthcit und Schönheit der Darstellung. Besonders rühmend wird der Ausführung eines hochschwangeren Uterus in Wachs von ihrer Hand (con tutti i particolari) erwähnt. Da es in Italien Sitte war und noch ist, einen Künstler von einiger Bedeu- tung Projessore zu nennen, mag wohl Manzolini und sofort auch seine Frau mit diesem Titel honorirt worden sein. Ks verdient bemerkt zu werden, dass der unsterbliche Luigi Galvani seine anatomischen Vorlesungen, zu welchen er die Präparate der Manzolina verwendete, mit einer Hede eröffnete, welche den Titel führte: De Man- zoiiniana suppellecHH, Bonon., 1777. Von einer l'rofcssorin de facto war aber keine Rede. Ebenso wenig war Alessandra Giliani dal Porsiceto, welche um die Zeit des Mundinus lobte, eine Professorin der Anatomie. Sie war dem Mundinus und seinem Prosector, Ottone Agenio Lustrulano, bei ihren anatomischen Arbeiten behilflich, und fasste eine wahre Leidenschaft für unsere Wissenschaft. Ihre Gewandt- heit in der Präparation der Gcfässc führte sie selbst zur Erfindung der anatomischen Einspritzungen f,,per conservare le vene e le arterie h piü sottili, e per poterle sempre far vedere, le riemjnva d^un liquore di vario colore, che subito infuso s'induriva e condensava, senza mal corrompersi". Medici, Nb. cit., pag. 29). — Auch die Novella d'Andrea finde ich nicht unter den dreizehn gelehrten Frauen, deren sich Bologna rühmt, und welche Medici (Op. cit., pag. 361) namentlich aufführt. §. 15. Zweite Periode der Geschichte der Anatomie. ß9 mit Verbreclierleiehen beim Yolke über sie brachte, und Gr. Cor t es e in Messina, welcher binnen yierundzwanzig Jahren nnr zwei Yer- breeherleichen erhalten konnte, hatte Noth sie zu seciren: „non com- mode, sed tttmtdtuose, et cum inaxima difficultate" . Es scheint fast nach solchen Daten, dass die Anatomie damals zu den „ehrlosen Gre- werben" zählte. Wenn in dem gemüthlichen Wien ein schwerer Yer- brecher („ZnaIefi5perfoIjn"), welcher das Leben verwirkte, während der Untersuchung starb, wurde er in das GrerichtsprotokoU nicht als gestorben, sondern wie ein crepirter Hund als „r>erre(JtIj" eingetragen (Schlager's Wiener Skizzen aus dem Mittelalter). Da der Leib eines Gerichteten nur für „Rabenaas" gehalten wurde, lässt sich das Odium wohl begreifen, welches das gemeine Yolk gegen jene Menschen hegen musste, die sich mit solchem Aase beschäftigten. ^) Man war deshalb an einigen Universitäten darauf bedacht, diesen Aesern, bevor sie secirt wurden, durch Aufdrücken des medicinischen Facultätssiegels auf die Stirne oder auf die Brust die nota infamiae zu benehmen, sie als nothwendige Unterrichtsobjecte zu legitimiren (Trew), ja ihnen sogar ein ehrsames Leichenbegänguiss zu bestreiten, welchem die Lehrer und Schüler der Anatomie beiwohnten. Nichts- destoweniger wollte die tiefge wurzelte Aversion gegen das Menschen- zergliedern durchaus nicht verschwinden, sonst hätte ja der gelehrte Nürnberger Stadtphysikus Christoph Jacob Trew, seinerzeit ein sehr geachteter Anatom, es sicher nicht für nöthig gehalten, durch seine 1729 veröffentlichte „Yertheidigung der Anatomie" darzu- legen: „dass die Zergliederung der Menschen und Thiere, nicht nur nach allen göttlichen und menschlichen Gesetzen erlaubt, sondern an sich selbsteu nicht verächtlich sei." ^) Die Studenten der Medicin ^) Um dieses begreiflicli zu finden, will icli noch erwähnen, dass in Wien und anderen Städten, im Mittelalter jene Handwerker, welche für die „t^odjnotl^peiuUdjc 3ufltÖ" arbeiteten, die Gefängnisse, Hochgerichte und Folterkammern bauten, die Tor- turwerkzeuge schmiedeten, die Galgenstricke lieferten, und die Säcke zum Ersäufen der weiblichen Verbrecher (das „Srännftjen" genannt) nähten, vom Volke gehasste und gemiedene Leute waren, obgleich sie für solche Arbeit keine Bezahlung nahmen, und von Bürgermeister und E-ath mit einer Ehrlichkeitserklärung honorirt wurden. (Schlager's Wiener Skizzen aus dem Mittelalter, 2. Thl., pag. 167.) '^) Um so mehr werden wir überrascht, zu erfahren, dass es auch damals schon vernünftig denkende Menschen gab, welche ihren eigenen Leib den Anatomen vermachten, um durch seine Zergliederung der Wissenschaft Vorschub zu leisten. So befindet sich im Hospital Santa Maria della Consolazione in Rom, ein aus jener Zeit herrührendes Skelet einer Frau (Antonia), welche testamentarisch dasselbe den Aerzten dieses Ho- spitals zur Verfügung stellte. Am Sockel des Skeletes liest man: „ Carnibus orba suis cur sint haec forte requiris, Juncta tarnen jusio corporis ossa situ? ' Sic mandata dedi vivens Antonia quondam, Et moriens eadem jussa suprema dedi, Ut sceleton ßerem, medici quo discere possent, Quanta forent, quot, quo quaelihet ossa loco." Dabei in Prosa: „Tesiamento ipsa cavi, ut hoc quod cernis fierem, Philosophis et Medicis sacrum. Ilorum si es de numero, Sacro Legato utitor; — sin projanus et I 0 S. ir>. Zwoito rpiindc ili>r Oosrliirbto ili>r Anatomio. hatton abor hlos das Recht, den Soctionen, wolclic iniiiKM- (»ffontUcli al)nolialt(Mi Avnrdon, hoi/iiiwitluuMr, s(dl)st seciri'u durttc Keiner. So war es in Deutsohland, Italien und En^'land der Fall. — Zu Monro's und noch zu Ilunter's Zeit hatten die wenij^sten prak- tischen Aerzte in F^n^land je eine Leiche ^e(»ff"net. Der erste öster- reichische Anatom, Avelclier seine Schüler ohlinatorisch l)ennissii;te, täg'lich drei Stunden in der Secirka ni iiier zu arbeiten, und ihnen über ihre [)raktisclie Verwenduni; eii;«Mie Zeugnisse ausstellte, war der als anatomischer Schriftsteller ,i;eachtete Präger Professor Thad- däus Klinkosch, zu Anfang' des vorigen Jahrhunderts. Ehre seinem Andenken! Er hatte viel Mühe, die nöthigen Leichen zu den Uebungen der Studenten zu erhalten. Selbst der Clerus machte ihm Schwierig- keiten, indem er sich allen Ernstes darauf berief, da.ss die Juden, Avelche einen unüberwindlichen Abscheu vor dem Secirtvverden haben, dadurch ab<;elialt«Mi würden, sich zum christlichen ^llaulxm zu be- kehren. Li Frankreich wnsste man, früher als anderswo, unsere Wissen- schaft ihrer unwürdigen Fesseln zu entledigen. Duveruey (Jean- Guichard) erwarb sich durch seine (Telehrsamkeit, und durch die geistreiche Behandluugsweise eines für die Menge so abstossenden Gegenstandes einen so hervorragenden Namen, dass es in den höchsten Ständen der Gesellschaft (»ok.s tiutirs (/oit/'l'^hojiniu'.s) Mode wurde, seine Vorlesungen zu besuchen, und dass Bossuet, der Erzieher des Dauphin, ihn zum Lehrer des königlichen Kr()nj)rinzen in der Ana- tomie designirte. Li solcher Stellung war es ihm ein Leichtes, Alles auszuführen, was der EntAvicklung' der Anatomie in Frankreich ge- deihlich werden konnte. Die von Duverney eingenommene Stelle eines Hof- Anatomen existirte in der Revolutionszeit noch. Ihr letzter Besitzer Avar der Avürdige und gelehrte anatomische Ilistoriograph Portal. Die Pariser Schule des vorigen Jahrhunderts Avurde denn auch durch eine grosse Anzahl berühmter Anatomen glorificirt, als deren bedeutendste ich folgende anführe: Jac. Benignus WinsloAv (ein Däne, geb. 1(>69, tl7(i(>), Pierre Tarin (geb. IßOO, flTGl), indoctita, hiuc ociwn nhi^cedifo .'■• — Im „Deiitsclieu C'ourior" vom .laliro 1729 erhalten wir Nachriclit von einem eiiglisclien l'mcurator, welcher seinen Leih einem Chirurgen vermachte, um ein Skeleton daraus lierzustcllen. Ein ansehnhches Legat entschädigte den AVundarzt für die Mühe, dieses Skelet seinen Standosgenossen zu demonstriren. — In der Secirkammer des Wiener Bürgerspitals befand sich, wie mein Lehrer, M. Mayer, tristissiinae memoriae, erziililte, das Skelet eines Wiener Kürschnermeisters, welcher aus Dankbarkeit für eine glücklich üherstaudene Operation seinen Leichnam dem Professor der Anatomie, Scholienberger, testamentarisch vermachte, unter der Be- dingung, dass sein auspräparirtes (ierippe zum Unterricht der Hader verwendet werde von welchen es denn auch, nach seiner Uobertragung in den Secirsaal der von der Kaiserin Maria Theresia neuerbauten Universität, aus lauter Wissbegierde stückweise gestohlen wurde. Dasselbe Schicksal theilten auch, als ich Prosector war, alle neuan- gefertigten Skelete, durch welche der Verlust der regelmässig alljährlich gestohlenen ersetzt wurde. §. IF). Zweite Periode der Geschichte der Anatomie. 71 Jos. Lieutaud (geb. 1703, t 1780), Jos. Siie (geb. 1710, t 1792), Ant. Petit (1712—1794), und Eaph. Bienyenn-Sabatier (1737 bis 1811). Noch hatte man nicht mit dem Vergrösserungsglase in die Tiefen der Wissenschaft geschaut. Wie so oft, war es ein glücklich Ohn- gefähr, dem die Wissenschaft die Erfindung ihres wichtigsten Gre- räthes verdankt, denn, wie der Dichter sagt: „mar/nis eäif/na inter- clum subsunt principia relms". Ein Glasschleifer zu Middelburg in Holland, Hanns Lippershey, gegen Ende des 16. Jahrhunderts, verfiel zuerst auf die Idee zusammengesetzter optischer Apparate. Sie wurde in ihm dadurch erweckt, dass sein Söhnlein mit einer Convex- und einer Concavlinse zugleich nach dem Wetterhahn eines nahen Kirchthurmes schauend, ausrief: „Sief Yater, der Hahn kommt vom Thurme herab" (er kam dem Auge näher). So entstand das Fernrohr, welchem bald auch das Mikroskop nachfolgte, durch Za- charias Hansen, 1590, Mit diesem Werkzeug war die Sehkraft des anatomischen Auges vertausendfacht. Marcello Malpighi (1628 bis 1694) glänzte zuerst durch die Grrossartigkeit seiner mikroskopi- schen Entdeckungen im Thier- und Pflanzenleibe, welche die Royal Society in London veröffentlichte. Er lehrte zu Bologna, Pisa und Messina, war ein Freund des grossen Alphons Borelli, welcher die Gesetze der Mechanik auf die Anatomie der Muskeln und der Gelenke anzuwenden verstand, und starb als Leibarzt Papst Inno- cenz XII. Es ist sogar in unserer Zeit vorgekommen, dass ein Ab- schreiber des Malpighi einen akademischen Preis davontrug. — Lo- renzo Bellini zu Florenz, Heinrich Meibom zu Helmstädt (be- rühmte braunschweigische Universität, gegründet 1575, aufgehoben 1809 durch die Franzosen!), J. C. Peyer und sein Landsmann Brunner zu Schaffhausen, Anton Nuck zu Leyden, Jean Mery zu Paris, Clopton Havers zu London, sowie die Italiener A. Pac- chioni und J. Fantoni sind die durch ihre Leistungen berühmten Zeitgenossen Malpighi's. Die beiden Niederländer Ant. Leeuwen- hoeck (1632—1723) und Joli. Swammerdam (1627—1680), machten in dem Gebiete der mikroskopischen Anatomie (besonders Ersterer, obwohl er nicht Latein kannte) folgenreiche Entdeckungen. Ich möchte wohl bezweifeln, dass wir an den Manuscripten des Letzteren viel ver- loren haben, welche er, als er unter die mystischen Schwärmer ging, verbrannte, aus Furcht vor dem Frevel, die Geheimnisse der Natur dem sterblichen Auge aufzuschliessen. — Friedr. Ruysch (1638 bis 1731), Professor der Anatomie und Botanik zu Amsterdam, brachte die von Swammerdam geübte, durch van Home vervollkommnete Methode, die feinen Blutgefässe mit erstarrenden Massen auszufüllen, so weit, dass seine Injectionen weltberühmt wurden, und die Pariser 8. Ifi. Zwoiti' Ppviodo (lor fii>prbir1if(> ilor Anntdinic. Akadoiuic iliii unter ilire vierzig' üiisterM iclicn ;i\irn.iliin. Der über- r.iscliende lu'iilitlumi der Orgaue au feiusteii JJIntgela.s.seu, -welche er zuerst darstellte, lülirte iliu selbst zur ül)ertriebeueu Beliaujttuug-: „totum corpus ecc vascid'is". Peter der Grosse, welcher sich zu Shardam aufhielt, um Schift'sbaukunde zu studireu, und daselbst uel)eidjei auch niedere Chirurgie, d. i. Aderlässe und Zahnausziehen, aus Passion ])rakticirte, l)esuchte ihn öfters, wohnte seinen Vorlesungen fleissig; bei, und kaufte seine Präparateusammlung mit dem Recept zu seiner lujiH'tionsmasse (Hammeltalg) um 80.000 Goldgulden. ]}(it Gtthntus opcs. Ein Theil der Sammlung- ging aber schon Avährend der Seereise nach St. Petersburg zu Grunde, da die Matrosen den Spiritus von den Präparaten wegtranken. Auch gegenwärtig — so erzählte mir ein ehemaliger Professor anatomiae in Russlaud — würde die Erhaltung von Weingeistpräparaten daselbst sehr zweifelhaft sein, wenn nicht die als Anatomiediener verwendeten Soldaten zu- sehen müssten, wie das alljährlich svstemisirte Quantum S])iritus mit einer Dosis Sublimat versetzt wird, welche selbst einem Scytheu- mageu Respeet zu gebieten vermag. Der Geschmack und die Zier- lichkeit, mit welcher Ruysch's anatomische Arbeiten angefertigt und aufgestellt waren, machte sein anatomisches Museum auch bei der gaffenden Menge bekannt und stark besucht. Man nannte das- selbe das achte Weltwunder. Vor Ruysch's Zeiten kannte mau (ausser in Dänemark von Ole Worin und Thomas Bartholin) anatomische ^fuseen nicht, ^lit Recht lässt sich sagen, dass Ruysch die Anatomie popularisirte, welche ihm übrigens keine grossen Ent- deckungen zu verdanken hat. Hall er sagte deshalb nur von ihm: „Bonus sene.r, in iis tantum, quae prosectoris imhistriam attinent, nulli secundus. Die von ihm gebrauchte und als Liquor halsamicvs oft erwähnte Couserviruugsflüssigkeit seiner feuchten Präparate ver- änderte Leichen und Leichentheile so Avenig, dass sie die Frische des Lebens beizubehalten schienen, und sogar die Sage geht, Peter der Grosse hab(> ein von Ruysch injicirtes Kind, seiner rosigen, wie lebensfrischen Wangen wegen, für ein schlafendes gehalten und geküsst. In I^eyden habe ich noch zwei angeblich von Ruysch herstammende, ganz unbrauchbare Präparate angetroffen, ebenso in Greifswald einen injicirten Schenkel nnd die Planta pedis eines Kindes. Sonst ist von allen Schätzen, welche Ruysch mit Beihilfe seines Sohnes, und als dieser starb, mit jener seiner Tochter Rachel, in seinem langen lieben (er wurde 93 Jahre alt) verfertigte und in seinem Thesaurus ((u((toniicus abbilden Hess, nichts mehr vorhanden! Er verkaufte noch eine zweite anatomische Sammluno: an Köniff Stanislans von Polen, welcher sie der Universität Wittenberg schenkte. Audi sie ist versehcdleu. Ein ähnliches Schicksal erlebte §. 15. Zweite Pei'iode dev Geschichte der Anatomie. 73 die von A. Vater errichtete und von ilim beschriebene Sammlung- (Museum anat. proprium, Heimst., 1750). Sie wurde von einem Apo- theker, der Grläser wegen, um einen Spottpreis gekauft. Meine Privatsammlung von 5000 Injectionspräparaten, Skeleten und Gehör- organen vernichtete das Jahr 1848. Ich sah sie in den Octobertagen mit meiner übrigen Habe in Rauch aufgehen. Sic transit gloria miindi! — Ruysch war der Grründer jener alten anatomischen Schule, Avelche die Anatomie nicht nur als Wissenschaft, sondern auch als Kunst aufFasste. Der jetzt noch geläufige Name der Anatomie als Zerg^liederungskunst stammt aus jener Zeit. Der Fleiss dieser alten Scluile erfand die vielgestaltige anatomische Technik, und durch diese Technik entstanden die grossen und reichen anatomischen Museen — die Archive der Wissenschaft, — der Stolz und die Zierde der berühmten anatomischen Lehrkanzeln. Die Anatomie war nun als Wissenschaft vollberechtigt. Man gab die nutzlose Polemik auf, welche bisher häufig den Hauptinhalt der anatomischen Schriften (pleins de viele) bildete, und wendete sich dem Reellen zu. Physiologie und Medicin erfuhren eine einflussreiche Rück-wirkung. Erstere wurde durch Albert Haller, den grössten Gelehrten seines Zeitalters (t 1777), gross und musterhaft in Allem, was er unternahm, zu einer mit der Anatomie identificirten Wissen- schaft erhoben, und für letztere durch Joh. Bapt. Morgagni (t 1771) und den berühmtesten Anatomen der Leydener Hochschule, Bern- hard Siegfried Alb in, der erste Versuch zu Gleichem gemacht. Morgagni's Adversaria anatomica sind ein Muster anatomischer Genauigkeit. Sein unsterbliches Werk: De sedibus et causis morhorum, welches er in seinem achtzigsten Lebensjahre herausgab, war die erste Vorarbeit für die gegenwärtige, pathologisch - anatomische Richtung der Medicin. Unter dem bescheidenen Titel: „Elementa pJiysiologiae" speicherte der grosse Haller, Albin's Schüler, nicht nur die Vorräthe alles dessen auf, was man vor ihm wusste, sondern vermehrte sie durch die Früchte seines unermüdlichen Eifers am Secirtische. Seine Zeit- genossen nannten ihn einen ahyssus eruditionis. Mit Recht ruft Cruveilhier über diesem Werke ohne Gleichen aus: „co^nbien de decouvertes Tnodernes contenues dans ce bei ouvrage!" — Haller's Name wird jetzt noch — hundert Jahre nach seinem Tode — von jedem Anatomen mit Ehrfurcht genannt, und wenn man die Physio- logen der Gegenwart fragte, wer der erste Manu ihres Faches sei, würde jeder^ sagen oder es sich wenigstens denken: „der bin ich"; — wenn man sie aber um den zweiten fragte, würden alle einstimmig Haller nennen. Seine „Icones" halte ich für sein bestes Werk, denn hier zeifft sich der Anatom in der Fülle seiner Gelehrsamkeit 74 §• '''• ^Iwoito Porimlo dor rioscliirlito ilor Anatumic. und seiner praktisdien fre(H(>g-enIi(Mt. S(t wird dtMin die D;nd<1i:irkoit der Wisspnscliatt den Lorheer seines Gralx's .Mncli in alle Zukunft schmücken mit immer triscliem (irün, wenn \on den Grössen der Ge,i>'enwart und all' dem eitlen Lärm, welchen sie «»rregten, kein Nachhall melir klinii'en wird. — Die sonderbarste Auszeichnung-, welche Ha 11 er zu Theil wurde, Avar seine KrntMuiung' zum (Jeneral- major des polnischen Heeres durcli den Fürsten Kadziwill. Der grosse Mann starh mit dem Finder an der Radialai-terie, und mit den Worten: „Sie schläg't nicht mehr.'" Sein letzter (iedanke war noch Physiologie. Die Entwicklungsgeschichte wurde von Haller zuerst in Angriff genommen. Die vergleichende Anatomie heschäftigte die geistvollsten Männer dieser Zelt, Jean Marie d'Auhenton (171G — 1709), Felix Vic(j d'Azyr, die Gebrüder John und William Hunter, Charles Bell, Alex. Monro, der Niederländer Peter Cam])er (1722—1789) fflänzen als Sterne erster Grösse im Buche der Geschichte. Delle Chiaje, Alessandrini, Panizza und sein weit weniger bekannter, obwohl nicht weniger verdienstvoller (legner Rusconi, repräsentiren diese Wissenschaft auf Italiens classischem Boden. — In Wien hat die vergleichende Anatomie und das von mir geschaffene Museum seit meinem Uebertritt in das heidum ruris otiuin bei der zoologischen Lehrkanzel der })hilosophischen Facultät ein würdiges Heim ge- funden. Die beschreil)ende Anatomie wurde durch die deutschen Zer- gliederer am meisten gefördert. Ihnen verdankt diese Wissenschaft ihre schönsten und wichtigsten Entdeckungen. Alle Ganglien des Nervensystems führen die Namen deutscher Anatomen. Die Gelehrten- familie derMeckel, sowie die Professoren: Weitbrecht, Zinn, Wris- berg, Walther, Reil. Rosenmüller, Söm merring, E. H. Weber, Langenbeck, J. Müller, Arnold, Ilenle, Luschka, Bischoff, W. Gruber u.v.a. stellt die Wissenschaft auf die höchste Höhe der Anerkennung. Ich müsste eigentlich, um dem Verdienste volle An- erkennung zu Theil werden zu lassen, in diesen Ehrenkreis alle jetzt lel)enden, deutschen Professoren der Anatomie aufnehmen. Nicht blos mit der dem deutschen Volke eigenen Begabung des Fleisses und der (üründlichkeit haben sie alle gewirkt, sondern viele mit der Inspiration des Genius, welcher, was er gedacht, auch ge- schaffen hat, ist ein bleibender Ruhm der Wissenschaft geworden. In Oesterreich hat nur ein Mann den Namen eines grossen Ana- tomen verdient, und mit Würde getragen. Das ist sehr wenig für ein so grosses Reich. Es war der Czeche Georg Prochaska, welchen seine Eltern zum Kapuziner bestimmt hatten! In der Physiologie der Nerven Avurde durch ihn eine neue liahn aufireschlossen. Wenn §. In. Zweitp Ppriode der Geschichte der Anatnmie. 75 nur ein Stern am finsteren Himmel steht, lenehtet er nm so heller. Die anatomischen Techniker aber, welchen auch meine Wenigkeit angehört, waren in Oesterreich immer gut vertreten. Ich nenne II g und Bochdalek in Prag und Teichmann in Krakau. Sie haben wahre Prachtpräparate verfertigt. Ilg's Gehörpräparate sind die bewundernswertheste Leistung der anatomischen Technik, welche ich kenne. Meine eigenen technischen Arbeiten brachten mir von den Weltausstellungen in London und Paris, wo sie von der Jury das Ehrenprädicat „admirahle" erhielten, die grossen Preise heim. Dass in der besehreibenden Anatomie kein Verdienst mehr zu ernten, kein Dank mehr zu holen sei, wurde durch die Entdeckungen vieler trefflicher Zergliederer der Gegenwart widerlegt, welche, jeder in seiner Sphäre und viele mit freudig überraschender Fruchtbar- keit, die Schätze unserer Wissenschaft fortwährend vermehren. Und es giebt noch Winkel in diesem engen Haus — sechs Bretter und zwei Brettchen — wo Manches verborgen liegt für spätere Finder, mögen sie Genies sein, oder nur Fleiss zur Arbeit bringen. Yon Letzteren gilt, was Leibnitz sagte: „est profecto casus quidam in inveniendo, qui non semper ma,rhms inf/emis macchna, sed^ mediocrUms quoque normuUd offert." Die praktische Eichtung der Anatomie, ihre Anwendung auf Heilwissenschaft, wurde durch die Engländer Baillie, die beiden Hunter, Cruikshank, Hewson, Everard Home, xlbernethy, John und Charles Bell, A. Cooper, und den Niederländer San- difort, mit schönen Erfolgen ausgebeutet. Man muss sich wahrlich wundern, dass es in England, bei der ausserordentlichen Schwierig- keit, sich Leichen zu verschaffen, überhaupt eine Anatomie gab. Nur durch die verwegensten Gauner, welche die gefährliche Bande der sogenannten hody-snatchers oder resurrection-men bildeten, war es möglich, eine aus den Kirchhöfen gestohlene Leiche zu erhalten, um den Preis von 20—30 L. St.; — ja John Hunter hat für den Leichnam des irischen Riesen O'Beirn (8 Fuss 4 Zoll hoch), dessen Skelet jetzt im anatomischen Museum des College of Surgeons in London steht, 500 L. St. (5000 Gulden) bezahlt (Life of J. Himter, pag. 106). Die Kühnheit und Schlauheit dieser Diebe war so gross, dass der berühmte Chirurg, Sir As tley Cooper, welcher einer Parlameutsverhandlung über diesen Gegenstand als Beirath zugezogen war, erklärte, dass er die Leiche jedes Menschen in England, was immer für eines Standes und Ranges, durch sie erhalten könne, wenn er ihnen den geforderten Preis bezahlt (Life of A. Cooper, vol. I, pag. 107). — Die Wachsamkeit der Polizei machte die Leichendiebe nur um so kühner in ihren Forderungen. Sie erhielten von den anatomischen Schulen jährliche Extrahonorare bis zu 600 fl.. 76 §. ir>. Zwpüo Porioili» ilor ficscliiolito «luv Anatomii'. und, ■Nvenn sio in's (iefän<;niss kainon, 10 Schilling •wöcliontliclie Zulaire. Diese saubere AVirtlist-liatt dainM-te lan^e ücMiiiir, bis sie durch ein g-rauenvolles Ereigniss in EdiiiVuir^h ihr Ende fand (1828). Zwei Leiehendiebe, Burke und llare, lockten arme Teufel auf der Strasse an sich, machten sie 1)etriudien, erstickten sie mit Hilfe eines AVeibes unter Bettdecken, und verkauften sie an die Anatomen. Sechzehn Menschen hatten sie auf diese Weise gemordet! Das Ver- brechen wurde zuerst durch einen Studenten geahnt. Er erkannte in der Leiche eines auf die Anatomie gebrachten Mädchens eine öfFeutliehe Dirne, welche er noch Tags zuvor in einem Wirthshause frisch und munter gesehen hatte. Er zeigte die Sache an. Genaue Erhebungen führten zur Entdeckung und Hinrichtung der Mörder. Burke's T^eichnam wurde in theatro anatomico öffentlich secirt, und seine Haut gegerbt. Ein Anatomiediener Hess sich daraus einen Tabaksbeutel machen (Goodsir, Anat. Mem., vol. T, parter- buelie der Physiologie. 10. BUihmrtshemnnmgen. F. Tj. F/i'lsi'hinati)i, IJihhingshciiiimmgcii (U^s Menschen und (hn- Thiere. Nürnberg, 1823. — ./. Geoffroy St. Uilalrf, Ilistoire des anomalies de l'organisation. Paris, 18o2--18P»G. — Serre.'i, Reclierc'hes d'anatoniie transceinUMite etc. Avee atlas de 20 {»lanches in fol. Paris, 1832. — L. Barkow, Monstra aninialiiini diiplieia. Lipsiae. 1829—1836. 2 \o\. — A.W. Otto, Monstronim sexcentornm descriptio anat. Cnm XXX tabb. VratisLaviae, 1841, fol. — W. VroUk; Tabnlae ad ilhistrandani embryogenesin hominis. Amsterdam und Leipzig. Fase. XIX. nnd XX. bereits 1849 erschienen; das Werk blieb nnvollendet. — A. Förster, Die Missbildungen des Mensehen. Jena, 1861, mit Atlas. Auch für den praktischen Arzt ver- wendbar. JJ. Topopruphische Anatomie. Nebst den älteren Schriften von Palfyn, Portal, Allan Bums, Mihie Edivards, E. Wilson und 3f. Velpeav, und den absichtlich übergangenen, grossen und kostspieligen englischen Kupferwerken, gehören hieh«»r: Ph. Fr. Blandin, Traite d'anat. topographique. 2. edit. Bruxelles, 1837. Avee un atlas de plauches in fol. — ./. F. Malgaigne, Traite d'anat. chirurgicale et de Chirurgie experimentale. 2 vol. Paris, 1837. Eine höchst interessante Lecture, wenn auch der Verfasser sich zuweilen in allzu subtile Discussionen einlässt. Die zweite Auflage des französischen Originals ist bedeutend vermehrt. — Die Schriften von J. E. Petrequin (Paris, 1857) und von F. Jarjavay (Paris, 1852-1854) sind für Operateure geschrieben. — Meiner Ansicht nach ist das beste fran- zösische Werk in diesem Fache: Pichet, Traite pratique d'auatomie med.-chir. Paris, 4. edit. Ihm reihen sich an: P. Tillaua; Traite d'anat. topogr. avee 271 figures. Paris. 4. edit., und F. Chavernac, Les r^gions classiques. Paris, 1878. Die „Anatomie chirurgicale homalographique" von Le Gendre, Paris, 1858, fol., giebt Ansichten von Durchschnitten verschiedener Gegenden an gefrorenen Leichen. Derlei Durchschnittsansichten sind ein guter Probirstein für ana- tomische Ortskenntniss, und zugleich in der That nicht selten eine Art Räthstd, dessen Lösung selbst den kundigen Fachmann in momentane Verlegenheit bringt. Die Nouveaux elements (rauat. chir. von B. Anger, Paris, 1869, mit Atlas, sind reich an schönen Ab- bildun2:en. — Ausser den Werken von Seeifer und Xtilin besitzt die §. 16. Allgemeine Literatur der Anatomie. g7 dentsclie Literatur dieses Faches folgende Werke: TT^. Moser, Chirur- giscli-anatomisclies Yademeciim. 2. Auflage. Stuttgart, 1851. Mit Holzschnitten. Sehr kurz und sehr gut. — G. Hoss, Handbuch der chirurgischen Anatomie. Leipzig, 1848. — Am meisten gebraucht wird mein Handbuch der topographischen Anatomie und ihrer praktischen, medicinisch-chirurgischen Anwendungen, 7. Auflage, 2 Bände. Wien 1882. Das „Archiv für wissenschaftliche Heilkunde" äusserte sich über die erste Auflage dieses Werkes^ „Die vorliegende Schrift hat in uns den freudigen Gedanken ange- regt, dass jetzt die deutsche Schule, wie in allen anderen Theilen der Medicin, so auch in der angewandten Anatomie, die anderen überflügelt. Wir sehen einen Anatomen ersten Ranges von den bisher in Deutschland herrschenden Systemen der abstracteu Ana- tomie eine Ausnahme machen, und sich jeuer lebendio-en Be- trachtung der anatomischen Verhältnisse zuwenden, welche von der physiologischen Heilkunde gefordert wird." — F. Führer, Handbuch der Chirurg. Anat. mit Atlas. Berlin, 1857, Sehr tüchtig, aber mehr praktisch als anatomisch durchgeführt. — - W. Henke, Topoo-raph, Anat. des Mensehen. Berlin, 1884. — Die anat. Vorlesungen von Ä. Pansch, 1. Theil (Einleitung, Brust und Wirbelsäule), Berlin 1884, fassen vorzugsweise die Bedürfnisse des praktischen Arztes in's Auge. — Ebenso das Lehrbuch der topogr.-chirurg. Anat. ron G-. Joessel, Bonn 1884. — Von chir.-anat. Tafeln erwähne ich Nuhn, Bierkowsky, R. Froriej) (bereits erwähnte 7. Auflage), Pirogoff, J. Maclise (London, 2. Auflage), W. Braune (Leipzig, 3. Auflage), und den topographischen Atlas in fol., von W. Henke, Berlin, 1884. — Fr. Merxel's Topogr. Anat. erscheint lieferungs- weise in Braunsehweig. 12. Morphologie und Racenstudium. J. S. Eisholz, Anthropometria. Francof. ad. Viadr., 1663. Ein höchst unterhaltendes Schriftchen. — G. Cariis, S3^mbolik der menschlichen Gestalt. 2. Auflage. Leipzig, 1858. — Desselben Pro- portionslehre der menschlichen Gestalt. Leipzig, 1854. — Fr.Blumen- hach. De generis humani varietate nativa. Gottingae, 1795. Funda- mentalwerk der Racenkunde, — P. N. Gerdy, Anatomie des formes exterieures du corps humain. Paris, 1829. Für Künstler und Wund- ärzte gleich nützlich. Deutsch, Weimar 1831. — G. Schadoiv, Polyclet, oder von den Maassen der Menschen nach dem Geschlechte, Alter etc. Mit vielen Abbildungen in fol. max., Text in 4. Berlin, 1834. Nur für Künstler geeignet. — J. C. Prichard, Naturgeschichte des Menschengeschlechtes. Nach der dritten Auflage des englischen Originals mit Anmerkungen und Zusätzen herausgegeben von 88 §' 16. Allgemeine Literatur der Anatomie. R. Waaner. 4 Baude. Leipzig, 1840—1848. Höchst umfiissende, uaturliistorisclie, etlinograplii.sclie iiud linguistisclie Augaben. Leider fehlen die Abbildungeu des Originals. — W. Lawrence, Leetures on Comparative Anatomy, Pliysiology, Zoologv, aiid tlie Natural Hist«u'y of Mau. 9. AiiHagc l^oudon, 1848. Eine lelirreiclie und unterhaltende fonipilatorisclie Arl)eit. — CIi. llxmilton Smith, The Natural History <>f tlie Ifuniau Species. Ediulxii-gli, \^A%. — C. Nott uud R. Gliddoii, Typcs ot' Maukiud. London, 1854. — //. Huxleii, Zeugnisse für die Stellung' des Menst-lien in der Natur. A. d. Engl. Brauuschweig, 18G3. — C Voin8ine Literatur der Anatomie. theiluu^eu geschaffen. Diese Arcliive, soAvie Sieholk(i|tiscli(' Anatomie von La Valette St. Georf/e und WaUleriev, sowie die internationale Monatschrift für Anat(»inie und Histologie, Leipzig, Paris, Tjondon (vom Jahre 18S0 an), liefern Originalanfsätze über alle Zweige anatomisch-physi(dogiseher und pathologischer Forschungen. — Die Jahresl)erichte von Canstatt, von Fr. Hofnuinn und G. Schwalbe, von /?. Vtrchovi und Ai((f. Hir.seh üher die Fortschritte der Ana- tomie in iliren verschiedeneu Kichtnn<;eu werden .Jene, welche an der Entwicklung der Wissensi-haft Autlieil nehmen. v(»n deren Bereicheruuiieu unterrichten. ERSTES BUCH. Geweblehre und allgemeine Anatomie. §.17. Bestandtheile des menscliliclieii Leibes.') Ziergllederimg und Mikroskop lehren die Formbestand- theile, die chemische Analyse die Mischungsbestandtheile des menschlichen Leibes kennen. Beide zerfallen in nähere und ent- ferntere, je nachdem sie durch die erste anatomische oder chemische Zerlegung, oder durch wiederholte Trennungen beiderlei x\rt, erhalten werden. Mischungsbestandtheile, welche nicht mehr in einfachere Grundstoffe zerlegt werden können, heissen chemische Elemente; Formbestandtheile, welche durch anatomische Behandlung in ver- schiedenartige kleine Theilchen nicht mehr getrennt werden können, heissen mikroskopische Elemente, oder kleinste Gewebtheil- chen. Zur Erklärung folgende zwei Beispiele: — Ein Muskel ist ein Formbestandtheil des menschlichen Leibes. Seine näheren, durch die Zergliederung darstellbaren Bestandtheile sind: sein Fleisch, seine Sehnen, seine Hüllen. Seine entfernteren Bestandtheile sind: Binde- gewebe, Muskelfasern, Blutgefässe und Nerven. Die Muskelfasern bestehen wieder aus einer Menge nicht weiter mit dem Messer zu theilender Fäserchen, welche somit die entferntesten Bestandtheile oder mikroskopischen Elemente des Muskels darstellen. — ^ Kochsalz ist ein näherer Mi seh ungsb est and th eil vieler thierisch er Flüssig- keiten. Salzsäure und Natron wären die entfernteren; Chlor, Wasser- stoff, Natrium und Oxygen die entferntesten, nicht weiter zu zer- legenden chemischen Elemente desselben. Die chemischen Elemente des Organismus finden sich als solche auch in der uns umgebenden anorganischen Welt. Sie sind feuerflüchtig oder fix, gasförmig oder fest. Zu ihnen gehören der Sauerstoff, Stick- stoff, Kohlenstoff und Wasserstoff, Phosphor, Chlor, Schwefel, Fluor, Kalium, Natrium, Calcium, Magnium, Silicium, Mangan und Eisen. Aluminium, Titan, Arsen, Kupfer, Jod, Brom u. m. a. scheinen, wenn sie im thierischen Leibe gefunden werden, nur zufällig vor- handen, und durch Nahrungsstoffe oder Arzneien dem Organismus für eine gewisse Zeitdauer einverleibt worden zu sein. ') Dem Anfänger empfehle ich, das Studium der Anatomie mit dem zweiten Buche (Knochenlehre) zu beginnen, und von der allgemeinen Anatomie für jetzt nur dasjenige durchzugehen, was auf Knochen Bezug hat (§. 77 — 86, und §. 40 — 44). 04 § !"• Besfaiidthcile des menschlichen Leibes. Die Yfi-MiulimiitMi (lies»*r clKMiiisclKMi (Ttnincl.stoffe oder die nälieren Miselllln^•sbe.st;ln(ltlleile unseres Leil)es sind doppelter Art: org'auiscli und anori^aniscli. Die ors^anischen Verl)induni;en kiinnen nur unter dem Ein- flüsse des Lebens stattfinden. Die witditigsten von iluien sind: Leim ((ilutin), Cliondrin, Keratin, Fettarten, Rlutrotli, und die sogenannten eiweissartii;en Stoffe: Albumin, Fil)rin, ("asein und ( Holndin (Crystallin). Man nannte die letzteren auch Proteinverbinduni;en, da Mulder aus ilmen, durcli Rehandlunn' mit Kalilauge, ein zusammengesetztes Kadical, das Protein, darstellte, welches jedoch, neueren Unter- suehun<>;en zufolge, im seh wefel freien Zustande kaum vorkommen dürfte. — Alle eiweissartigen Stoffe enthalten Kohlenstoff, Wasser- stoff, Stickstoff und Sauerstoff (am meisten Kohlenstoff, am weniii^sten Wasserstoff), nebst Schwefel; — einij^e noch Phosphor oder Salze, z. R. das Casein phosphorsauren Kalk. Folgendes Verhalten der eiweissartigcn Stoffe gegen chemische Reagen- tien, wird bei histologischen Arbeiten von Wichtigkeit sein. 1. Von concen- trirtcr Salpetersäure werden sie beim Erhitzen gelb gefärbt (Xanthoproteinsäurc). 2. Salpctersaures Quccksilbcroxydul färbt sie beim Erhitzen rothbraun (Mil- lon). 3. Mit Kupferoxydsalzcn und Alkalien färben sie sieh violett. 4. In Wasser aufgelöst, geben sie, unter Zusatz von Zucker und etwas Schwefelsäure, eine schöne rothe Flüssigkeit. 5. Werden sie aus ihren Lösungen durch vorsichtigen Zusatz von Blutlaugensalz gefällt. Die anorji,anischen Terbindun2,en der chemischen Elemente finden sich in- und ausserhalb des thierischen Leil^es, k«innen auch durch Kunst erzeugt und wieder in ihre Elemente reducirt werden, Avährend die organischen wohl in die einfachen Grundstoffe zerlegt, aber nie durch Yerbindungsversuche wieder neu hergestellt werden können. So kann das Fett in Sauerstoff, Kohlenstoff und Wasser- stoff zerlegt, aber unter keiner Redingung durch Vereinigung dieser drei Elemente neu erzeugt werden, dagegen der phosphorsaure Kalk der Knochen, auf chemischem Wege in seine Elemente aufgelöst, und jederzeit wieder neu daraus zusammengesetzt werden kann. Die mikroskopischen Elemente, d. h. die letzten Bestandtheile der Form, welche nicht mehr in einfachere Theilchen zerlegt werden können, sind: L Elementarkörnchen (Granula) , d. i. solide niikroskopische Kügelchen, von fast unmessbarer Kleinheit, frei in Flüssigkeiten suspendirt, oder mittelst einer hoinogenen, weichen Substanz zu Klünipchen zusammengeballt, oder zwischen andere mikroskopische Elemente eingestreut. 2. Zellen (Cellulae), in deren Linerm ein Kern lagert, welcher selbst wieder ein einfaches oder mehrere Kern kör per dien ein- §. 17. Bestandtheile des mensclilicheii Leites. 95 sehliesst. Der Kern kann auch fehlen. Mehr von ihnen in den fol- genden Paragraphen, 3, Eöhrehen (Tuhuli), hohle Cylinder, aus einem structurlosen Häutchen gebildet, mit oder ohne Verästlung. 4, Fasern (Fibrae), fadenförmige, solide Cylinder, welche zu Bündeln (Fasciculi) , oder zu breiten flachen Blättern (Lmnellae) zu- sammentreten. — 3. und 4. sind keine primitiven Formelemente, sondern secundäre, d. h. sie sind aus 2. hervorgegangen. Gebilde, in welchen sich weder Zellen, noch Fasern und Röhrchen erkennen lassen, heissen structurlos oder hyalin. Die Bestandtheile der.Mischung sind kein Object der Anatomie; sie gehören in das Bereich der organischen Chemie. Die mikro- skopischen Elemente der Organe aber und die Art, ihre Yerbindung kennen zu lernen, ist Vorwurf der Gewebslehre. Alle organischen Gebilde von gleichem Gewebe gehören Einem Systeme an. Ein System ist entweder ein zusammenhängendes Ganzes, welches den Körper in bestimmter Richtung durchdringt, oder es begreift viele, unter einander nicht zusammenhängende, aber gleichartig gebaute und gleich functionirende Organe in sich. Man könnte die ersteren allgemeine Systeme nennen. Sie haben ent- weder keinen Centralpunkt, von welchem sie ausgehen, z. B. das Bindegewebssystem, oder besitzen einen solchen, wie das Nerven- und Gefässsystem in Gehirn und Herz. Die letzteren könnten als besondere Systeme bezeichnet Averdeu, und zu diesen wäre zu zählen: das Epithelialsystem, das elastische System, das Muskel- system, das fibröse System, das seröse System, das Knorpelsystem, das Knochensystem, das Haut- iind Schleimhautsystem und das Drüsensystem. Das Wort System wird noch in einem anderen Sinne gebraucht, insofern man darunter nicht den Inbegriff gleichartig gebauter Organe, sondern eine Summe verschiedener Apparate versteht, welche zur Hervorbringung eines gemeinsamen Endzweckes zusammen- wirken. So spricht man von einem Yerdauungs-, Zeugungs-, Athmungs- system als Gruppen von Organen, deren Endzweck die Verdauung, die Zeugung, das Athmen ist. Man könnte sie physiologische Systeme nennen, da ihr Begriff nur functionell, nicht anatomisch aufgefasst ist. Die Formbestandtheile sind fest oder flüssig, die flüssigen tropfbar oder gasförmig. Die gasförmigen sind kein Object mikroskopiscber Untersucliung. Sie kommen entweder frei in Höhlen und Schläuchen des Leibes vor, wie im Athmungs- und Verdauungssystem, wohin sie von aussen her eingeführt, oder wo sie selbst gebildet werden-, oder sie sind an tropfbar-flüssige Bestandtheile gebunden, ungefähr wie die Gase der Mineralwässer, und können durch die Luftpumpe daraus erhalten werden. 96 S. IR. Pie thiorisrhe 7.p\\e I)ie troplliar-flüssigcn Finnilte.staiidtlu'ili' limlin siili in so gni.s.sor Menge, dass sie mehr als *'^ des Gowidifes ilcs nn iisililirlitii Leibes ansmaelien. Eine vollkoiniiion ausgetriM-knete (iuiim licuimiiiiie miltlriir (Jrösse (ohne Eingeweide) wiegt nur 13 Pfund. Die Flüssigkeiten bieten in ilir< ii V. rbültnissen zu den festen 'l'beilen. ein dreifaches Verliältniss ilar: a) Sie durelidringen siiniiiitliehe <«owebe und Organe, und bedingen ihre Weieliheit, theilweise aueli ihr Vidunien, z. H. Wasser und Blutplasma, bj Sie sind in den verzweigten Röhren des (Jcfässsystems ein- geschlossen, wie das Blut, die Lymphe, der Chylus. und in einer ftirtwährenden Strömung begriffen, c) Sie bilden den Inhalt gewisser Kanäle, von und in welchen sie erzeugt, und durch welche sie an die Oberfläche des Körpers, oder in die inneren Räume desselben befördert werden, — Absonderungen, Secreta. §. 1^. Die thierische Zelle. Die Gewobslelire (Histologie) beschäftigt sicli mit dem Studium der letzten anatomiselien Bestaudtlieile der Organe und der Art ihrer mauuigt'achen A'erbindung unter einander (Gewebe). Die zu einem Gewebe verbundenen anatomischen Bestaudtheile der Organe gehen aus kleinen organischen Körperchen hervor, welche Zellen ') heissen. Zellen und ihre verschiedenen Abkömmlinge sind also gleichsam die Bausteine, aus welchen sich alle Gewebe, alle Organe construiren. Man nennt sie deshalb auch Elementar Organismen. Ihre Grösse variirt vielfach zwisclien 0,1" (menschliches Ei), bis herab zu 0,0077'" (menschliche Blutkör])erclien). Die erste Anlage des werdenden Embryo, besteht nur aus rundlichen Zellen (Urzellen, Archiblasten), ja es giebt Thiere und Pflanzen, welche durch die ganze Dauer ihres Daseins nur aus einer einzigen Zelle bestehen. Man liess bis vor kurzer Zeit alle Arten von Zellen, aus einer structurlosen Zellenmembran (Zellenhülle oder Zellenwand), einem Kern und einem feinkörnigen, albuminösen, weichen Inhalt (Protoplasma) zwischen beiden bestehen. (Tegeuwärtig wird jedoch die Zellenmembran, ja selbst der Kern, nicht mehr für ein uoth- wendiges Constituens der Zellen angesehen, da man kernlose Zellen kennen lernte, deren Leib blos aus contractilem Protoplasma (!Sa reo de nach Dujardin) besteht. Man nennt diese letzteren Au toblasten. Es wäre besser, diese Klümpchen von contractilem Protoplasma nicht mehr zu den Zellen zu reihen, da sie von diesen nichts besitzen als ') Es ist in unserer Zeit modern geworden, statt des ehrlichen und allgemein verständlichen deutschen Wortes Zellen, den Ausdruck Bl asten zu gebrauchen, von dem griechischen ßXccaxr} oder ßlaatög. Dieses Wort bedeutet aber bei den Alten nie- mals Zelle, sondern Sprosse und Trieb, auch Blatt und Keim einer Pflanze, figürlich Geburt und Geborenes, also Sohn, wie im Sophocles. Ich erlaube mir also die Frage, was mit solchen Neuerungen in der anatomischen Sprache, dem richtigen Verständniss eines Begriffes gedient ist, und ob z. B. Chondroblasten, Neuroblasten, Osteoblasten, Inoblasten, Myoblasten etc. wirklich verständlicher klingen, als Kuurpel-, Nerven-, Knochen-, Bindegewebs- und Muskelzellen. §. 18. Die thierisehe Zelle. 97 die Foi-m. Was Zellenmembran heisst, ist nur die verdiclitete nnd ei'härtete Grrenzscliiclite der Zellensnbstanz. Es kann nämlich an der Oberfläche des Protoplasma eine solche Verdichtung platzgreifen, dass die verdichtete Schichte für eine besondere Membran imponirt. Eine solche Membran mnss sich begreiflicher Weise unter dem Mikroskop mit doppeltem Contour zeigen. Dieser bildet das sicherste Criterium ihrer Existenz, welche denn auch an verschiedenen Stellen, z. B. an gewissen Epithelialzellen wie auch an den Nerven-, Fett-, Pigment- und Enchymzellen nicht weggeläugnet werden kann. Einige dieser Zellen können dazu gebracht werden, ihren Inhalt zu ent- leeren, worauf die Zellenmembran als leere Hülse oder leerer Becher zurückbleibt. Die als Speichel-, Blut-, Schleim- und Lymphkörper- chen bekannten Zellen sowie die embryonalen Bildungszellen (Archi- blasten), besitzen entschieden keine Zellenmembran. Sie werden deshalb auch nackte Zellen genannt zum Unterschied von den mit einer Zellenmembran umgebenen oder eingehäusten, für welche man den Namen Oicoblasten ersann. Die meisten Zellen besitzen ein zwischen der Zellenmembran und dem Kern eingeschaltetes Fach werk, dessen Lücken von Protoplasma eingenommen werden. Der Zellenkern (Nucleus s. Cytohlastos, d. i. der in der Zellen- höhle, Kvxog, liegende Keim), über dessen functionelle Beziehung zur Zelle die Wissenschaft noch keinen Aufschluss zu geben vermochte, tritt iu zwei Formen auf: als festes oder als hohles Körperchen, von 0,002'" — 0,005'" Durchmesser, welches entweder die Mitte des Zelleninhaltes einnimmt, oder an der inneren Fläche der Zellenhülle anliegt, oder auch in die Zellenhülle eingewachsen sein kann. Am festen Kerne lässt sich im Innern eine weichere Masse von der dichteren Rindenschichte unterscheiden. Eine scharfe Grrenze zwischen beiden fällt nicht in die Augen. Hohle, eine Flüssigkeit enthaltende Kerne in Bläschenform werden bei starken Vergrösserungen doppelte Conto nren zu erkennen geben als Beweis der Gegenwart einer Be- grenzungshaut des Kernes und somit seiner Bläschennatur. Man hat jedoch mehrfache Kerne einer Zelle unter gewissen äusseren Be- dingungen mit einander zusammenfliessen gesehen (Rollett), was mit häufig begrenzten Kernen nicht geschehen kann. In neuester Zeit wurde in den Kernen ein faseriges Grundgerüst, welches mit dem Faehwerk zwischen Zellenmembran und Kern zusammenhängt, beobachtet (Flemming, Klein). — Es giebt ein- und mehrkernige Zellen. Einkern,ige kommen seltener vor als mehrkernige. — Das Fehlen der Kerne ist ein scheinbares oder wirkliches. Ersteres beruht entweder auf einem gleichen Lichtbrechungsvermögen des Kernes und des Zellenleibes, wodurch beide nicht von einander unterschieden werden können, oder auf einem Maskirtsein des Kernes Hyrtl, Lehrtuch der Anatomie. 20. Aufl. " Ho S. 1!*. Lohcnsoidcnscliiirton ilcr Zellen. diircli eiiu' uii(liircli.siclitii;(' /olUMisiihstan/. ^vie /. 15. in den Pii;inent- zcllon. Fohlt der Kern wirklidi, wie in den inensclilii-lien Hlut- korperelien. so niiii;- er dot-li in der Jugend der Zelle vorhanden «ü^ewesen nnd in der tortschreitenden Entw icklimi; derselben iinter- <>eü,ani;'eii sein. C'arniinlösuni;' nnd I>lnrfarl>srofi' wird von den Kernen sehr l)e!;ierii;- antji;enoniinen \ind hei Sänre/Jisatz festgehalten. Ilierant" bernlit das oft an<;ewen(lete Yert'aliren. Kerne in Zellen sichtbar zn inarhen, wclelie keine zu haben x-heinen. l)ie Kerne dei* Zellen enthalten gew(»hnlieh ein-, zuweilen auch niehrt'aehe, selb^t sehr zahlreiche kleinere, das Licht stark brechende pnnktförn)ige Körner, als Kernkörperchen (Nifdeoli); ja man s})richt sogar von kleinsten Kernchen in den Kernkör[)erchen. nnd nennt sie Ä^udeololi! Wir müssen es zugestehen, dass mit dem Wenigen, was wir bis jetzt als sichergestellt betrachten dürfen, nnsere Kenntniss der thierischen Zelle noch lange nicht abgeschlossen ist. und hoffen, dass die znnehmende Yervollkouiiunung unserer Untersnchungsmittel und Untersuchnngsmethodeu noch manchen F'ortsehritt in der Erkenntniss der Elementargebilde nnseres Leibes bringen wird. Was sich zwischen den Zellen befindet, heisst Intercellular- snbstanz. Sie ist ein Ausscheidnng'sproduct der Zellen. Die Zellen sind das Primiire, die Intercelhilarsubstanz (las Secundäre. — Das Verhältniss der Zellen znr Intercelhilarsubstanz bietet alle denk- baren Grade des Ueberwiegens der einen über die andere dar. Un- mittelbar sich berührende Zellen eines Gewebes scliliessen die luter- cellnlarsubstanz gcänzlich ans, Avie in gewissen Epithelien, sowie umgekehrt die Intercellularsubstanz derart die Oberhand über die Zellen gewinnen kann, dass letztere gänzlich in den Hintergrund treten, wie z. B. im Glaskörper des Anges nnd in der Wharton'schen Sülze des Nabelstrange-s. §. 19. Lebenseigenschaften der Zellen. Die Zelle lebt, und das Leben des Gesammtorganismus beruht auf dem Theilleben der Zellen. Das Leben der Zellen äussert sich, wie jenes des ganzen Leibes, durch Stoffaufnahme als Ernährung und Wachsthum, durch Stoft'abgabe duh fornta von Ausscheidungen an der Zellenoberfläche und im Innern der Zelle, durch Grösse- und Gestaltsveränderung, durch Forti)flanzung und Vermehrung der Zellen, endlich durch selbstthätige Px'wegungsersclielnungen. Diese Thätigkeiton bilden den Inbegriff des Zellenlebens. Wir wollen über die Erschein uniien des Zellenlebens etwas ausführlicher sprechen. §. 19. Lebenseigenschaften der Zellen. 99 a) Stoffivechsel. Wenn die Zellen leben, müssen die Eiweisskörper, welelie ihren Leib bilden, Avie alles Lebendige dem StofFweclisel unterlieg-en, d. li. sie müssen zum Ersatz ihrer eigenen, durcli denLebensactverbraucliten Stoffe neues Material in genügender Menge aus ihrer Umgebung auf- nehmen, dasselbe sich assimiliren, und was sie nicht verbrauchen können, wieder aus sich abgeben. Die durch das Blut in alle Theile des lebendigen Körpers ausgesendete Ernährungsflüssigkeit liefert das Material, aus welchem der Leib der Zelle sich durch Tränkung (Im- bibition) ernährt. Die Zelle verbraucht die aufgenommenen Stoffe theils zu ihrem eigenen Wachsthum, theils verwandelt sie dieselben, um sie in anderer Form, als sie gekommen sind, wieder nach aussen zurückzustellen. Eine fortwährende Aufnahme ohne Abgabe wäre ja schon aus räumlichen Verhältnissen nicht denkbar. Was die Zelle aus sich abgibt, ist für die Bedürfnisse des Organismus erstens ent- weder nutzlos, selbst schädlich, und muss als Auswurfsstoff aus dem Körper ausgeschieden Averden; oder zweitens, Avas die Zelle in sich gebildet hat, dient zur Erfüllung fernerer bestimmter ZAvecke im organischen Haushalte, Avie z. B. die Absonderungen der Drüsen- zellen; oder endlich drittens, die Ausscheidungen der Zelle nehmen bestimmte Formen an, lagern sich um die Zellen herum in be- stimmten Gruppirungen und vermehren das Material der Inter- cellularsubstanz um jede einzelne Zelle, oder um Gruppen von Zellen herum. Bei der ersten und zAveiten YerAvendungsart kann die Zelle selbst durch Berstung (Dehiscenz) zu Grunde gehen und mit dem ausgeschiedenen Inhalt zugleich entfernt Averden wie bei gewissen Drüsenzellen. b) Fortpflanzung (Neubildung). Die Vermehrung der Zellen kann nur auf zweierlei Weise gedacht werden: entAveder durch Bildung neuer Zellen ZAvischen und unabhängig von den alten, oder durch Bildung neuer Zellen aus den alten. Man nannte die erste Entstehungsform die exogene, inter- cellulare oder freie, die zAveite aber die mütterliche oder elterliche. Die freie oder exogene Zellenbildung wurde lange Zeit für die einzige Vermehrungsart der Zellen gehalten. Der Gründer der Zellenlehre, SchAvann, hielt sie dafür. Nach seiner Ansicht soll sich in der formlosen, organisirharen Materie (Blastem) eine Menge unmesshar kleiner Elementar kör nchen bil- den, Avelche sich zu Klümpchen aggregiren. Diese Klümpchen sind die Kerne der entstehenden Zellen. Um die Kerne lagert sich durch wiederholte Nieder- schläge aus dem Blastem, eine Substanzschichte ab, welche sich zur Zellen- membran verdichtet. Durch Imbibition aus dem Blastem füllt sich der Raum zwischen Kern und Zellenmembran mit dem Zelleninhalte, durch dessen Zu- nahme die Zellenmembran immer mehr und mehr vom Kerne abgehoben wird. 1 00 §. 19. Lobenseigenschaften der Zellen. und zwar oniwidir rincrs um den Korn licruin. wodurcli der Korn in das Cen- trum der Zolle zu liegen kommt, oder die Zellenmembran hebt sich nur von der Einen Seite dos Kernes ab, wodurch dieser an oder in der Wand der Zelle, also excentrisch lagern muss. Die Beobachtungen über Zellenentwicklung im bebrüteten Ei und in pathologischen Neubildungen haben die freie Zellon- erzougung fast um alle ihre Anhänger gebracht, und nur die mütterliche als berechtigt anerkannt. Virchow spricht es kategorisch aus: „omnis cellula ex cellula". Mit aller Achtung vor diesem Ausspruch erlauben wir uns zu fragen, woher, wenn es im Worden des Thiorleibes noch keine Zellen gab, die erste Zelle entstand. So ist denn mm die zweite, die mütterliche Vormehrungsart der Zellen, gegenwärtig fast zur ausschliesslichen Geltung gelangt. Es muss den Fortschritten der Zcllenkuude vorbehalten bleiben, ob mit Recht oder Unrecht. Der Analogie nach sollte, da kein organisches Wesen elternlos, d. h. durch Urzeugung entsteht, und das omne vivum ex vivo, für alles Lebendige gilt, jede Zelle nur aus einer andern, aus einer Mutterzelle, entstehen können. Der Vorgang bei der mütterlichen Zellenneubildung resumirt sich in Folgendem. In der Mutterzelle verlängert sich der Kern, er wird oral, seine Kernkörporchen rücken auseinander; er schnürt sich zu zwei Kernen ab. Gleichzeitig beginnt auch das den Kern umlagernde Protoplasma der Zelle von einer oder von zwei entgegengesetzten Seiten her sich einzuschnüren. Dadurch entsteht oberflächlich an der Zelle eine Furche. Diese wird immer tiefer und schneidet zuletzt ganz durch, so dass nun zwei Zellen statt einer vorliegen. — Eine zweite Art der elterlichen Zellenbildung, welche man die endogene zu nennen pflegt, besteht darin, dass die in der Mutterzelle durch Theilung des ursprünglichen Kernes entstandenen neuen Kerne vom Zellen- inhalt eine umgebende Hülle erhalten, und dadurch zu neuen Zellen werden. Die trächtige Zelle fsit venia verboj wird hiebei grösser und ihre Hülle dünner, bis sie endlich dehiscirt, und die Brut der jungen Zollen Freiheit und Selbst- ständigkeit erlangt. Jede endogen entstandene Zelle kann, wenn sie frei geworden, selbst wieder Mutterzelle werden, und dieser Process sich sofort oft wiederholen. — Unter den pathologischen Neubildungen kennt man die endo- gene Zellenbildung nur bei den Perl- und Markgeschwülsten, der Epulis u. m. a. ^lan hat in neuester Zeit in den tiefsten Schichten der Epithelien eine Zellen- theilung ohne Kerntheilung beobachtet. Die mit einer breiten Fussplatte aufsitzende Zelle schnürt sich über dieser Platte ein, die Einschnürung wird stielartig und geht zuletzt entzwei, wodurch die Zelle saramt ihrem unge- theilten Kern frei wird. Die Fussplatte wird dann zu einer neuen Zelle. Eine Vervielfältigung der Zellen durch Sprossen, welche sich von der Mutterzelle trennen, kommt häufig in der Pflanzenwelt vor. Auch sie beruht auf Kern- theilung, aber in sehr ungleiche Hälften. Die kleinere Hälfte wird, mit ihrem zugehörigen Protoplasma vor dem gänzlichen Ablösen wie ein Auswuchs der Mutterzelle aussehen, — daher der Name Sprossenbildung. c) Beivegmig. Eine höchst merkwürdige imd erst in der neuesten Zeit ge- würdigte Lebenserscheinung gewisser Zellen beruht in ihrer Gestalts- änderung und Bewegung (Wandern). Sie wurde zuerst von Siebold, 1841, an den Embryonalzellen der Planarien beobachtet. Sie lässt sich an farblosen Blutkörperchen, au den Furchungskugeln des be- §. 19. Lebenseigenschaften der Zellen. 101 fruchteten Eies, an den rundlichen, feinkörnigen Lymph-, Speichel-, Schleim- und Eiterkörperchen, welche ihrer Farblosigkeit wegen Leucoblasten genannt werden, gut beobachten. Niedere Thiere, welche ganz und gar aus feinkörnigem Protoplasma, ohne alle DifFe- renzirung einzelner Grewebe oder Organe bestehen, wie die Amöben, fesseln das Auge durch die bizarre Mannigfaltigkeit ihrer Formver- änderung. Der Wandelbarkeit ihrer Gestalt wegen erhielten diese Thiere den Namen Amöben, yon a^slßa, wechseln. Man sieht von der Oberfläche der genannten Wesen Fortsätze sich erheben, sich verästeln, untereinander verfliessen, sich wieder einziehen und neuer- dings hervorsprossen. Die Zelle selbst wird während dieser Yoraänffe länglich, höckerig, ästig, sternförmig, um bald wieder in ihre ur- sprüngliche runde Form zurückzukehren. Die Ortsveränderung (Wan- dern) der Zellen wird dadurch ausgeführt, dass sich ein Fortsatz des Zellenleibes vorwärts streckt und fixirt, und der Eest der Zelle sich an diesem Fortsatze nachzieht. Aehnlich verhält es sich mit der Formänderung und Bewegung oder Wanderung der aus contractilem Protoplasma bestehenden Zellen (Protoplasten) im Menschen. Sie strecken Fortsätze aus, welche länger und länger, dicker und dicker werden, indem die körnige Masse des Protoplasma sich in sie hineinzieht und endlich ganz und gar in den Fortsatz einbezogen wird. Der Fortsatz ist dadurch selbst zur Zelle geworden, welche natürlich nicht mehr an ihrem früheren Platze sich befinden kann, wodurch das Wandern der Zelle sich ergiebt. Die Gestaltsänderung der Protoplasten macht es ihnen möglich, auf ihren Wanderungen durch Oeffnungen zu passiren, welche sehr viel kleiner sind als ihr Leib, und feste Körperchen, z. B. Farbpartikeln, welche sie auf ihren Wanderungen begegnen, so zu umwachsen, dass sie dieselben gänzlich in ihr Inneres einschliessen. So hat man die weissen (farb- losen) Blutkörperchen die rothen förmlich in sich aufnehmen, d. i. auffressen gesehen. Die Formänderung und das Wandern der Protoplasten erfolgt übrigens nur sehr langsam. Ein Protoplast braucht mehr als eine Viertelstunde, um einen Weg zurückzulegen, welcher an Länge seinem eigenen Durchmesser gleicht. In sehr vielen Organen wurden diese höchst sonderbaren und wanderungs- lustigen Bewohner der Grewebe mit Sicherheit nachgewiesen. — Da äussere Eeize auf die Bewegung der Zellen Einfluss äussern, muss nothwendig ein Perceptionsvermögen für diese Reize, also Gefühl, den Zellen zugesprochen werden. d) Tod der Zellen. Das Leben der Zellen endet auf verschiedene Weise. Sie gehen entweder durch Eintrocknen und sofortiges Abfallen von dem Boden, 102 ^- -'^- Mrtnilinriillos.Ml cl.T Zrllrii. :int" avcIcIhmu >it' It'l'tcii. zu (ii'iindc wie die ulicrtliiclilicli ;>vlog'enen Zollen der Epidermis \\\\{\ der I^j)itlHdi('ii. oder sie Itersten (de- liisciren) und verkünniierii nach Eutle«'rimi; ilii'es Inhaltes, oder sie sterhen al) durch cheniisclie Unnvandlun^ und A errxlun«;' ihrer Substanz. AVer nns ein«» Zelle künstlich erz(Mii;en und das liehen der- selben gründlich, d. h. nicht l)hts tonncdl, der Krscheinnni;- nach, verstehen leliren wird, der hat auch das nralte Welträthsel «••elöst, welches eine vieltansend jähriii'e S])hinx his nun so sorgfältig' hehütet. Wird er je geboren werden? W. Flemraing, Zur Kenntniss der Zello nml iiirer Lt-lienserscheinungen, im Archiv für niikroskop. Anatomie. IG.. 18. und 20. liand. — E. 8tras- burgiT. Zollbildung und Zillthtiliing. 3. Auflage, Jena, 1880. — Retzius. Biologische Untei-suchungen. 1881. — C. Frominann. Ueber Htructur und Lebenserscheinungen thierischer und pflanzlicher Zellen. Jena, 1S44. §. 20. Metaniorpliosen der Zellen. Alles (Tefornite im Organismus ist aus Zellen entstanden. Die Zellen müssen also sehr verschiedenartige Metamorphosen einge- gaiiii'en haben. Xnr einige derselben sollen als Beispiele hier er- wähnt wercbMi. Die Zellen bleiben entweder isolirt und ihre Metamorphose beschränkt sieh blos auf Veränderung ihrer Form. Zunahme ihrer Grösse und Umwandlung- ihres Protoplasma in verschiedene Sub- stanzen, wcjrauf eben die stoffige Verschiedenheit der Organe beridit, an deren Auf l)au die Zellen theilnehmen. Hieher gehören die in einem rtüssigen ^ledium frei sclnvimmenden Blut-, Lymph-, Schleim- und Kiterk('ir])erchen, oder sie bilden Aggregate, wie die Fett- un's g-äu/licli lelilt. l ol)er- i;äui;e von gefasortein in nicht gct'axM-tPs oder liumoüenes Binde- gewebe lassen sich an vielen OrtiMi nachweisen. Das nicht getaserte Bindegewebe ist nur eine iiiiMillkdiiinicne Knt wickhinusstiife des gefaserteu. Hei niederen Thiei-en bihh't die.se Form des Binde- gewebes den Hauptbestaudtheil ihres Kcirpers. Den Bindegewebsfasern sind häniig elastische Fasern (>?. 24) beigemischt. Hat man ein Bindegewebsbündel mit Kssigsäiire be- handelt, so bemerkt man sehr oft in dem Maasse, als das Object dnrch die fvinwirkung der Säure diirchsiclitin' wird und aufquillt, eine schnürende Fa.ser in Spiraltonren um (his>cll)e laufen. Diese Faser ist feiner als die Bindegewebsfasern und hat dunklere Coutüuren. Ist ihre Continuität irgeu(hvo unterbrochen, so scheint sie sich vom Bündel loszudrehen; ist sie unverletzt, so bedingt sie, wegen des Aufsehwellens des Bündels, Einschnürungen desselben. Dass solche Fasern an allen Bündeln existiren, muss verneint werden, da man häufig vergebens nach ihnen sucht. In dem fadenförmigen Bindegewebe, welches man au der Basis des Gehirns zwischen Arach- iioidi'ti und Püt mater erhalten kann, finden sie sich auf leicht zu erkennende Weise. Sie sind, ihrem anatomischen und chemischen Verhalten nach, mit den Bindegewebsfasern nicht identisch, können Umwicklungsfasern genannt ^verden und gehören aller Wahr- scheinlichkeit nach dem elastischen Gewebe an, von Avelchem später. Nach Anderen entstehen dagegen die Einschnürungen nicht durch Umwicklungsfasern, sondern dadurch, dass eine das Bindegewebs- bündel umhüllende elastische Scheide (?) durch das Auf(juellen des Bündels stelleuAveise einreisst, das Bündel sich durch die Spalten der Scheide vordränüt nnd dadurch eine knotige oder wulstisje Form bekommt, während das zwischen je zwei Wülsten befindliche, nicht geborstene Stück der Scheide die Einschnürungen des Bündels bedingt. Reichert, Bemerkungen zur vergleichenden Naturfurscliung. Dorpat, 1845. — Rollett, Untersuchungen über die Structur des Bindegewebes, in den Sitzungs- berichten der kais. Akademie, XXX. Bd., und in Stricker s Handbuch der Ge- webslehre. — A. Kölliker, Neue Untersuchungen über die Entwicklung des Bindegewebes. Wurzburg. 1861. — F. Boll, Bau und Entwicklung der Gewebe, im Archiv für mikroskop. Anatomie, 7. Band. — L. Löwe, Histologie des Bindegewebes. Oesterr. med. Jahrbücher. 1874. und im Archiv für Anatomie und Physiologie, 1878. — Toldt. Sitzungsberidite der Wiener Akad., Bd. LXVI. §. 22. Eigenscliafteii des Bindegewebes. Die physikalischen Eigenschaften des am meisten ver- breiteten g-efaserten Bindegewebes entsprechen seiner j)hvsiologischen Bestimmung. Seine AN'eichheit und D(dinl)arkeit erlaul)t den Orgauen, welche es verbin(h^t. einen gewissen Spicli'iiiim von Bcweiium;- und §. 23. Bindpgeivebsmeniljranen. 107 Verschiebung; seine Elastieität hebt die schädlichen Wirkungen der Zerrung auf; seine Zusammensetzung aus geschlängelten, gekreuzten und vielfach verwebten Bündeln sichert seine Ausdehnbarkeit in jeder Richtung. Ueber das chemische Verhalten des Bindegewebes will ich nur zAvei kennenswerthe Thatsachen anführen. 1. In siedendem Wasser schrumpft das Bindegewebe stark ein, wobei die charakte- ristische Längsstreifung desselben verloren geht. Die Substanz der Fibrillen, welche das Licht doppelt bricht, giebt beim Sieden Leim, welcher durch Tannin, aber nicht durch Säuren gefällt Avird, und bei der Behandlung mit Sch^vefelsäure, Leucin und Grlycocoll (Leim- süss) liefert. — 2. Eine besondere, für die mikroskopische Behand- lung des Bindegewebes wichtige Veränderung erleidet dasselbe durch schwache Essigsäure. Es verliert sein gestreiftes Ansehen, die Con- touren der einzelnen Fasern verschwimmen, seine Bündel quellen auf und werden durchsichtig, wodurch die beigemengten elastischen Fasern, welche unverändert bleiben, scharf hervortreten. Neutrali- sation der Säure stellt das frühere Ansehen der Bündel Avieder her. Ein noch kräftio-eres und alles Binde^-ewebe in kurzer Zeit auf- lösendes Reagens, ist ein Grenienge von Salpetersänre und chlor- saurem Kali. Man bedient sich desselben, um durch Auflösung des parenchymatösen Bindegewebes in den Organen, die übrigen histo- logischen Bestandtheile derselben besser zur Ansicht zu bringen. Von den vitalen Eigenschaften des Bindegewebes muss seine leichte Wiedererzeugung, wenn es durch Krankheit oder Verwundung zerstört wurde, und seine Theilnahme an dem Wieder- ersatze von Substanzverlusten, an der Narbenbildung, und an der Zusammenheilung getrennter Organe, hervorgehoben werden. Die Beobachtung am Krankenbette lehrt, dass das Bindegewebe das einzige und schnell geschaffene Ersatzmittel jener Organe wird, deren krankhafte Zustände eine Entfernung derselben aus dem lebenden Organismus durch chirurgischen Eingriff nothwendig machten. — Die Schnelligkeit, mit welcher unter besonderen Um- ständen krankhafte Ergüsse im Bindegewebe auftauchen und ver- schwinden, sowie seine absolute Vermehrung und Wucherung in Folge gewisser Krankheitsprocesse, belehren hinlänglich über die Energie der in ihm waltenden vegetativen Processe. - — • Bindegewebe, welches nicht von Nerven durchsetzt wird, scheint für Reize nicht empfänglich zu sein. §.23. Bindegewebsmemtoaneii. Wie früher erwähnt (§. 21), unterscheiden wir ein umhüllen- des und ein parenchymatöses Bindegewebe. Das umhüllende 108 §■ 24. Elastisches Gewebe. bindet Org-an an Organ, (la.s parem-liyniatöso aber, Organtlieile untereinander. Hat das Bindegewebe eine grosse Flächenausdehuuug gewonnen, so spricht man Aon Bindegewebsliäuten (Membranae cellulares). Nehmen solche Häute die Form von cylindrischen Hüllen um lanffs'ezosene Orü-ane an, so heissen sie Bindeiiewebsscheideu (ViHlinne cellulares). Liegt tiächenartig ausgt*breitetes Bindegewebe unter der äusseren Haut, unter einer Schleimhaut oder serösen Haut, und verbindet es diese mit einer tieferen Schichte, so wird es Tt'.vtus cellularia .subcutatwun, »ubmucosus, subserosus genannt, und in diesem Zustande wolil auch als besondere Membran beschrieben. Häuft es sich aber in gewissen Gegenden, wie in der Achsel, in der Weiche, in der Niereugegend in grösseren Massen an, in welche andere Gebilde eingetragen sind, so heisst es Bindegewebslag-er (Stroma cellulare). Der Begriff einer Bindegewebshaut wird in sehr verschie- denem Sinne genommen. Versteht mau darunter jedes in der Fläche ausgebreitete und condensirte Bindegewebe, so giebt es sehr viele Bindegewebshäute. Wird der Zusammenhang solcher Häute fester, ihr Gewebe dichter, und stehen sie überdies in einer umhüllenden Beziehung zu den Muskeln, so werden sie auch als Binden, Fasciae, aufgeführt, in welchen der faserige Bau schon mit freiem Auge sich erkennen lässt, und welche daher vorzugsweise fibrös genannt werden. Da ihre Festigkeit und Stärke mit der Entwicklung der von ihnen umschlossenen Muskeln übereinstimmt, also bei schwachen Muskeln geringer, als bei kräftig ausgebildeten ist, so kann es wohl geschehen, dass eine Fascie an einem Individuum blos als Bindegewebe erscheint, während sie au einem anderen als fibröses Gebilde gesehen wird. Die chirurgische Anatomie verdankt einen guten Theil ihrer Unklarheit im Capitel der Fascien diesem wenig gewürdigten Umstände. Ich glaube besser zu thuD, wenn ich die fibrösen und serösen Membranen, welche sich durch ihre äusseren anatomischen Merkmale so auffallend unter sich und von den übrigen Gewebsmembranen unterscheiden, als besondere Ge- websformen im Verlaufe abhandle. Ihre praktische medicinisch-chirurgische Wichtigkeit verdient diese Bevorzugung. §. 24. Elastisclies (jewebe. Das elastische Gewebe, Tela elastica, kommt im mensch- lichen Körper nur selten ganz rein, sondern mit anderen Geweben, namentlich dem Bindegewebe, gemengt vor. Seine mikroskopischen Elemente sind rundliche oder bandartig platte, sehr scharf con- tourirte, bei grösserer Anhäufung gelb erscheinende Fasern, mit massig wellenförmig geschwungenem Vorlauf. Ihre Entstehung aus §. 24. Elastisches Gewebe. 109 dem Protoplasma von Bindegewebszellen wurde mit Bestimmtheit erkannt. Die Dicke dieser Fasern variirt sehr bedeutend, von 0,0008'" — 0,08'". Ihre Länge und die Beschaffenheit ihrer Enden ist nicht genau bekannt. Man giebt ihre Länge als sehr unbedeutend an (1 Mm.) und spricht von freien, spitzen oder abgerundeten Enden. Wenn schon die Bindegewebsfasern einen Kitt benöthigen, um zusammenzuhalten, wird ein solcher den elastischen Fasern noch viel nothwendiger sein. Würden die kurzen elastischen Fasern mit freien Enden blos zwischen einander stecken, müsste das elastische Gebilde, sei es Strang oder Membran, beim ersten Deh- nungsversuch entzweigehen. Aber der Kitt wurde bisher nicht gefunden. Abgerissene Enden der Fasern rollen sich gerne ranken- förmig ein. Vereinzelte, gerade oder geschlängelte elastische Fasern begleiten gewöhnlich die Bindegewebsbündel, welche auch ober- flächlich, wie schon gesagt, von hobelspanförmig gewundenen Fasern übersponnen werden können. Dicke elastische Fasern hängen sehr oft durch seitliche Aeste netzförmig unter einander zusammen, was Bindegewebsfasern niemals thun, und bilden durch ihre Neben- einanderlagerung Stränge oder Platten, ja selbst Membranen, welche nach der Eichtung der Fäden sehr dehnbar sind und bei nach- lassender Ausdehnung ihre frühere Grestalt wieder annehmen. Hierin beruht eben das Wesen der Elasticität. Elasticität kommt übrigens auch anderen Greweben zu, Avelche keine elastischen Fasern ent- halten, z. B. den Knorpeln. Alle röhrenförmigen elastischen Grebilde, wie die Aorta, die Arterien, die Luftröhre, behalten, wenn sie senkrecht auf ihre Axe durchgeschnitten, oder in kleinere Stücke zerschnitten werden, ihr kreisförmiges Lumen. Sie heissen deshalb bei den Wiener Fleischhauern Li cht ein. Durch Wasser, Weingeist, verdünnte Säuren und Alkalien, sowie durch Austrocknen an der Luft, werden die elastischen Fasern nicht verändert. Sie widerstehen deshalb auch der auf- lösenden Kraft des Magensaftes, sind also unverdaulich. — Durch salpetersaures Quecksilber werden die elastischen Fasern roth ge- färbt, durch salpetersaures Silber schwarz. Sie geben beim Sieden keinen Leim und unterscheiden sich dadurch auch chemisch von den Bindegewebsfasern. Das elastische Grewebe erscheint am vollkommensten entwickelt, und nur mit wenig Beimischung von Bindegewebsfasern, in den gelben Bändern der Wirbelsäule und im Nackenband, in den Bändern, welche die Kehlkopf- und Luftröhrenknorpel verbinden, in den unteren Stimmritzenbändern, in dem Aufhängebande des männlichen Grliedes und in der mittleren Haut der Arterien. In vielen Fascien mischt es sich reichlich mit Bindegewebsfasern, was HO S. 24. Elastische^; Gewebe. auch im I\ri- und Endocüt'dlnin, im Mil).>>(M't't.seii iMiKlcm'welx' des Baiitlitcllos an dor vordcron Raucliwand. in der äu.s.sci'cn Haut, in der \ orliant und im Textus cdluhdls snlnniicosiis des Darni.scldauelie.s der Fall ist. l nverständlicli crsclicint mir da> \ orkommcn xon clastisclicn Fasern in Memlirancn. \v(dclie der Klastitität iiiclit In'dürt'en. da sie g-ar nie in die ]..an(' kommen, ^■es|)annt zu werden, wie die harte Hirnliaut und die Heiidiaut. I(di kann es aueh nicht unterlassen v.w bemerken, dass, wenn elastische Fasern mit Fasern eines antleren (Jewehes ^cmeniit ei-seheinen. oder elastische Mendiranen aut" Häuten an(h'rer Natur hi<;'ern. diese letzteren ehenso ehistiscli sein Hjü.sseu, wie die ersteren. Würde z. B. dii» innere und äus.sere Haut eines Arterienrolires Aveniger elastiscli sein. al> die juittlere. welche die elastische heisst, so müssten die l)eiden ersteren. hei der durch die Piilswclle ne^chenen Ausdcdinuni;- der Arterie gezerrt, und bei der darauffnli;«'ndeu Zusammenziehuni;- der (Jefässe gefaltet werden, was nicht gescliieht. J)ei' Name elastisch eii;iiet sich also sclileclit zur Benennung einer einzigen Gewebsart. da ein gleicher Grad von Elasticität auch allen anderen Geweben zukommen muss, welche mit dem (dastisc-hen (Jewebe anatomisch verbunden sind. Es kommen au mehreren Organen, wie z. B. an der Scldeim- haut des Darmkanals, der Luni;e. der Handjlase. an i\(''\\ Drüsen- ausführuui;st;äun'en. im Aui^e u. m. a.. structurlose, i;lash(dle, das Licht sehr stark brechende Mend)ranen vor. Avelche in die; elastischen GsAvebe einii'ereiht werden, da sie die physischen und chemischen Eigenscliaften dieser (rewebe besitzen. Die structurlose Scldchte nnter dem Epitliel vieler Scldeimliäute wnirde zuerst von Bowman als basetttent-inentbrane (Basalmembran) gewürdigt. Der Name er- scheint dadurcli gerechtfertigt, dass diese structurlose 8cliiclite in den Verzweigunnen der Ausführunnsi;äni;(» der Drüsen sich länger erhält, als die Bindegewebschichte der Schleimliaut, und die End- gebilde dieser Gänge nur von der epithelführenden basement-niemhrcvne gebildet werden. Durch Behandlung mit Silberlösung will man auch an ihnen eine Zusammensetzung aus Zellen erkannt haben. Im ganz frischen Zustande jedoch sind sie wirklich hyalin und structurlos. Das elastische Gewebe rlient dem Organismus vorzugsweise durch seine physikalischen P^i^en schatten. Durch seine mit Festig- keit gej)aarte Dehnbarkeit widersteht es der Gefahr des Reissens, eignet sich also sehr gut zum Bandmittel und vereinfacht, indem es lebendige Kräfte ersetzt, das Geschäft der Muskeln. Es hat, wenn es massig vorkommt, nur äusserst Avenig- Blutgefässe, welche in dünnen elastischen Gelnlden li-änzlich fehlen. Nerven besitzt es §. 25. Fett. 111 nicht lind sein Stotfweclisel ist überaus bescliräukt und träge. Wunden und Substanzverhiste desselben lieilen nicht durcli Wieder- ersatz des Verlorenen, sondern durcli fibröse Narbensubstanz. Man wählt zur mikroskopischen Untersuchung einen dünnen Schnitt, oder einen abgelösten Streifen des Nackenbandes eines Wiederkäuers. Man be- feuchtet diesen mit Essigsäure, um seinen bindegewebigen Antheil durchsichtig zu machen. Die Elemente des elastischen Gewebes erscheinen dann scharf und dunkel gerandet, die abgerissenen Aeste mit zackigen Bruchrändern, häufig hakenförmig gekrümmt, selbst rankenförmig aufgerollt. Die netzförmigen Ver- bindungen der elastischen Fasern unter sich, sind zuweilen so entwickelt, dass das Object das Aussehen einer durchlöcherten Membran annimmt. Man kann eingetrocknete Stücke des Nackenbandes, an welchen sich feine Schnitzeln, welche dann befeuchtet werden müssen, leichter als an frischen abnehmen lassen, zum Gebrauche aufbewahren. Wie das elastische Gewebe als Stellvertreter von Muskeln auftritt, um bewegende Kräfte zu sparen, lässt sich durch eine Fülle von Belegen aus der vergleichenden Anatomie anschaulich machen. Das Zusammenlegen des aus- gestreckten Vogel- und Fledermausfiügels. die aufrechte Stellung des Halses und Kopfes bei hörn- oder geweihtragenden Thieren, die während des Gehens zu- rückgezogenen und in der weichen Pfote versteckten scharfen Krallen beim Katzengeschiechte, und vieles Andere dieser Art, werden nicht durch Muskel- wirkung, sondern durch elastische Bänder bewerkstelligt. Muskelwirkung er- schöpft sich und erfordert Erholung, — elastische Kraft ist ohne Ermüdung und Unterlass thätig. A. Eulenherg's Dissertatio de tela elastica. BeroL, 1836. 4". — L. Ben- jamin, Müller s Archiv, 1847. (Zootomisch Interessantes über das elastische Gewebe.) — Donders, in der Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, Bd. HI. 348. — Kölliker, lieber die Entwicklung der sogenannten Kernfasern, in den Verhandlungen der Würzburger phys.-med. Gesellschaft, Bd. III, Heft 1. — L. Gerlach, Elastisches Gewebe, im IV. Bd. des morphol. Jahrbuches. §. 25. Fett. Das Fett sollte füglicli als eine Zugabe des Bindegewebes abgehandelt Averden, denn die Fettzellen sind Bindegewebszellen. Da dasselbe aber allen Anatomen der verhassteste Stoff des mensch- lichen Leibes ist, Aveil es die anatomische Arbeit — das Präpariren — A'erzögert, stört oder ganz unmöglich macht, die Schönheit der Präparate beeinträchtigt, ihre Conservirung gefährdet und sie schmierig und übelriechend macht, soll ihm ein eigener Paragraph gewidmet sein. Ohngefähr den vierundzwanzigsten Theil des Körpergewichtes eines gesunden Menschen bildet das Fett. Adeps s. Pinguedo. Auf sein Mehr oder Weniger nehmen Alter, Greschlecht und Lebens- weise bestimmenden Einfluss. Dasselbe kommt im freien Zustande im Blute und im Chylus vor; in Zellen eingeschlossen ist es ein stetiger Grenosse des Bindegewebes um die verschiedenen Organe, und zwischen denselben, wo es auch bei mageren Individuen in 112 §. 25. Fett. grösserer oder geringerer Menge gefuiulen wird. In (Umi iniszclncnden Kranklieiteii, ja selbst rlurcli den ITiiniicrtod. scliwindet es an ge- wis.sen Stelleu, wie z. B. in der Aiigenliölde, um die Nieren und die Aveiblielien Brüste, am Schamberg, in der Hohlhand und im Plattfuss, nie vollkommen. In den Knochen abgelagertes Fett, bildet das Mark derselben. Im Inneren gesunder Organe wird es, a1)ge- sehen von den chemisch an diese gebundenen Fettarten, nicht an- getroffen, ebensowenig als es selbst bei den wohlgenährtesten Indi- viduen an den Augenlidern, den Ohrmuscheln, im Ilodensack, in der Haut und Vorhaut des männlichen Gliedes, in den kleinen Schamlefzen des Weibes nnd in der Schädelhöhle je vorkommt. Das Fett wird in Zellen erzeugt — Fettzellen. Diese Fett- zellen sind Bindegewebszellen, deren schwindendes Pi'otoplasma sanimt Kern durch einen Fetttropfen an die Zellenwaud angedrückt wird. Der Zellenkern tritt durch Anwendung der MüUer'schen Flüssigkeit (27,, chromsaures Kali, 1 schwefelsaures Natron, 100 Wasser) und durch Tränken der Zelle mit Carminlösnng deutlich hervor. Der Durchmesser der Fettzellen schwankt von 0,4'" bis 0,06'". Ihre Oberfläche ist, so lange das darin enthaltene Fett- tröpfchen flüssig oder lialbflüssig bleibt, gleichmässig gerundet, ihr Rand unter dem Mikroskop scharf und wegen starker Lichtbrechung dunkel. Es liegen immer mehrere, zu einem Klümpchen aggregirte Fettzellen in einer Masche des Bindegewebes, von deren Wand Blutgefässe abgeiieu, Avelche zwischen den Fettzellen durchlaufen, ihnen capillare Reiser zusenden und sich zu ihnen beiläufig wie der verästelte Stengel einer Weintraube zu den Beeren verhalten. Mehrere Fettklüuipchen bilden einen grösseren oder kleineren Fettlappen, Avelcher von einer Bindegewebsmendjran umwickelt wird. — Nerven können einen Fettkhimpen oder Fettlappen wohl durchsetzen, aber die Fettzellen erhalten durchaus keine Fäden von ihnen. Das Fetttröpfchen ist nur im lebenden Thiere flüssig und stockt nach dem Tode, wodurch die Fettzelle ihre Rundung ein- büsst und runzelig wird. Die Fettzellen zeigen sich bei 300facher Vergrösserung, gleichförmig gerundet, sphärisch oder oval, mit dunklen Eändern, und hinlänglich durch- sichtig, um durch eine Zelle hindurch, eine darunter liegende deutlich zu unterscheiden. Bei Beleuchtung von oben erscheinen die Fettzellen weiss. Durch Behandlung der Zelle mit Aether wird ihr Fettcontentum extrahirt, und die Protoplasmahülle (Zellenwand) bleibt mit ihrem wandständigen Kern unversehrt zurück. — Beginnt die Fettzelle einzutrocknen, so wirkt die Zellenmembran, deren Feuchtigkeit verdunstet, nicht mehr isolirend auf den Inhalt, — letzterer schwitzt, als fetter Beschlag, an der Oberfläche der Zelle heraus, und fliesst mit ähnlichen Fettperlen der nahen Zellen zusammen. Dieses aus seiner Zelle §. 25. Fett. 113 gewichene Fett bildet das schillernde sogenannte Fettauge, deren Viele man auf den Fleischbrühen schwimmen sieht, und in der Milch, im Chylus, im Eiter, und unter besonderen Umständen auch in einigen Secreten antrifft. Mittelst des Compressorium (einer Vorrichtung zum Abplatten mikroskopischer Objecte durch methodischen Druck) bemerkt man, dass die Fettzellen einen ziemlichen Druck aushalten, ohne zu platzen, und, wenn der Druck nachlässt, ihre frühere Gestalt wieder annehmen, vorausgesetzt, dass das Fett nicht ge- stockt war. Die sternförmigen Figuren an der Oberfläche gewisser Fettzellen, welche Henle zuerst beobachtete, wurden von ihrem Entdecker für Stearinkrystalle gehalten. Ihre Unauflöslichkeit in Aether steht dieser Annahme entgegen. Ich habe sie beim Dachs und Siebenschläfer sehr ausgezeichnet angetroffen, und beim neuholländischen Strauss an beiden Polen der Fettzellen als Krystall- rosen von 15 — 20 Strahlen gesehen. Ohne Zweifel entstehen diese Krystall- formen erst während des mit dem Tode eintretenden Erstarrens des Fettes, durch Ausscheiden krystallisirender Margarinsäure. — Bei Thieren kommen auch farbige Fettarten vor, wie z. B. bei den Vögeln unter der Haut des Schnabels, der Füsse, und in der Iris. Auch kann die Fettabsonderung einen periodischen Charakter annehmen, wie im Larvenzustande der Insecten, bei den Raubvögeln, dem Wilde, und bei den Winterschläfern. Das Fett ist eine vollkommen stickstofffreie Substanz. Es besteht aus Tripalmitin, Tristearin und Triolein. Die ersten beiden werden durch das auch bei niederer Temperatur flüssig bleibende Triolein gelöst erhalten. In letzter Analyse giebt das Fett 79 pCt. Kohlenstoff, 11,5 Wasserstoff und 9,5 Sauerstoff (Chevreuil). Es unterscheidet sich somit von den fetten Oelen der Pflanzen nicht wesentlich. Menschenfett und Olivenöl haben nach Lieb ig dieselbe Zusammensetzung. Lieb ig sagte scherzweise in einer seiner Vorlesun- gen: Wer Salat verspeist, ist ein Menschenfresser. Das Fett häuft sich bei reichlicher Nahrung, Mangel an Be- wegung und bei jener Gemüthsruhe, welcher sich beschränkte und zufriedene Menschen erfreuen, allenthalben gerne an, und schwindet unter entgegengesetzten Umständen ebenso leicht wieder. Vor der Vollendung des Wachsthums in die Länge lagert sich nur wenig Fett um die inneren Organe des menschlichen Leibes ab, welche wie die Netze und das Grekröse im mittleren Lebensalter ein bedeutendes Quantum davon aufnehmen. Bei Embryonen und Neugeborenen er- scheinen, selbst bei exorbitirender Fettbildung unter der Haut, das Netz und die Gekröse fettlos. In jedem interstitiellen und umhül- lenden Bindegewebe kann die Fettentwicklung platzgreifen und erreicht ihre höchste Ausbildung im Unterhautbindegewebe als sogenannter Panniculus adiposus, vorzüglich um die Brüste, am Gesässe und am Unterleibe, sowie auch in den Netzen und Gekrösen, besonders des Dünndarmes, und in den tieferen Gruben zwischen den Muskeln, durch welche die grossen Gefässe der Gliedmassen ver- laufen, wie in der Achselhöhle, im Leistenbug, und in der Kniekehle. Die Vitalität der Fettzellen steht auf einer sehr niedrigen Stufe. Ihre Erregbarkeit durch Reize ist gleich Null. Sie zeigen Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl. 8 114 §. 25. Fett. (Ie>li;ilh auch diircliaus keine Contractilität. Der StofFwechsel scheint in ihnen «gänzlich zu manü^eln, da das einmal ab,2;elagerte Fett erst bei he^innender Abina^enint;- wieder in den Kreislauf g-ehracht wird. ^^ unden eines fcttrciclieii Piinnicidus adiposiis, haben wenijL;- Neio^un^' zu schneller lIciliiiiL; und die ehirurg'ische Praxis weiss, wie hotdi dieser Linistand bei der lieilunii; der Ani])utations- und Steiiischnittwunden fetter Personen anzuschlagen ist. Bis zu einem gewissen Grade kann die Fettbildung als ein Zeichen v(ui Gesundheit und Lebensfülle angesehen werden, darüber liinaus wird sie beschwerlich, und im höheren Grade, als Fett- .>^ncht (Polijptotcs, PoiH'losis von n'ioiv und nl^nh]^ Fett), eine kaum zu heilende Kraidvlicir. ^^'elch' nionstrcisen Umfang die Fettbildung erreichen kann, bewei.sen die Erfolge des Mästens der Thiere und die zuweilen enorme Grösse der Fettgeschwülste (Lipomata). Man hat weibliche Brüste durch Fettwucherung ein Gewicht von 30 Pfunden erreichen gesehen. Audi an Stellen, wo im gesunden Zu- .stande niemals Fett vorkommt, kann krankhafte Fettbildung auf- treten. Larrey, welcher den Schlachtenkaiser Napoleon L auf allen seinen Kriegszügen als Chefchirurg seiner Armeen begleitete, hat bei den Araliern in Syrien ganz enorme Hodensäcke vorgefunden, welche durch Fettbilduug die Grösse eines strotzenden Kuheuters erreicliten. Der Temperaturgrad, bei welchem flüssige thierische Fette gerinnen, ist sehr verschieden. Hierauf beruht zum Tb eil die verschiedene technische Ver- wendung der Fette. Die mächtige Fettschichte, welche sich unter der Haut der in den Polarmeeren hausenden Säugethiere vorfindet, und ihnen als schlechter Wärmeleiter die trefflichsteu Dienste leistet, bleibt als Thran bei den tiefsten Temperaturgraden flüssig. Man benutzt deshalb den Thran vorzugsweise, um Stiefelleder und Riemzeug geschmeidig und biegsam zu erhalten, während das selbst bei höheren Wärmegraden nicht schmelzende Bärenfett zu Pomaden und Bartwichsen gesucht wird. Bei mittleren Temperaturgraden flüssig werdende Fette, wie das Knochenmark, eignen sich am besten zu Salben, — starrbleibende zu Pflastern. — Im Mittelalter, bis in die Zeit des Fabricius Hildanus, bedienten sich die Aerzte häufig des Menschenfettes als Constituens von Gicht- salben, deren heilkräftige Wirkung sich besonders steigerte, wenn das Fett von einem gehenkten Diebe stammte, oder mit gepulvertem Moos versetzt wurde, welches auf dem Rabenstein wuchs. Nach Verschiedenheit der Consistenz und der durch sie bedungenen Verwendung des Fettes, werden mehrere Arten desselben unterschieden. Das spisse Fett ist Sebuni, das weiche und ölige dagegen Ädeps, welches, wenn es aus der Thiermilch stammt, Butyrum heisst. Jedes Fett, welches als Salbe gebraucht wird, heisst in der Medioin Äxumiia, von un Ihr li;iiiiiL!«'> niid n'ü(*liii;if«M*<>es A orkoinmeii im Plattfiissc, in «Icr Ilolillwmd iiiul ;iiit' «U'iii (ie.s:isso, wo äusserer Driu'k am öftesten und anhaltendsten wirkt. Hei all- i::emeiner Ahma^erunj;; und bei Fettarmutli der Reconvalescenten ans fieherliaften Krankheiten ist, ahi^eseheu von der Stdiwäclie (Um- ^luskelkraft, das Schwinden (U>r Fettzellen AVdhl eine IIau|)tursaehe, warum län:;eres Gehen, Stehen, scdhst Sitzen niclit vertragen wird. Dieses Schwinden des P^ettes beruht jedocli nicht auf" einem Yer- ü'ehen der F'ettzellen. Es schwindet nur der fettige Inhalt derselben. Die Zelle selbst l)leibt mit ihrem Rest von Protoj)lasma zurück, schrumpft ein, und erhält statt des f^ettes blos etwas wässeriges Serum. Da die durchfeuclitete AVaud der Fettzelle ein llinderniss für die Aufsaugung des Fettes beim Al)magern abriebt, so kann diese Aufsaugung nur so gedacht werden, dass das P"'ett vor seiner Aufsaugung in der Zelle verseift Avird, in welchem Zustande die wassergetränkte Zellenwand, durch welche das P^ett zu passiren hat, seinen Durchgang gestattet. Ucboniiässigo Fettabsondcruiiij kann den ^Fuskeln. zwit-ohon welchen sie sich oindränjjt. iliron Raum streitig machen, und sie durch Druck sn sehr zum Schwinden bringen, dass sie, wie bei gemästeten Hausthieren, kaum als rothe, den Speck durchziehende Striemen, noch zu erkennen sind. Von diesem Ver- drängtwerden der Muskeln durch umlagerndes Fett ist die sogenannte fettige Umwandlung derselben zu unterscheiden, welche als Krankheit, ohne allge- meine Fettwucherung, vorkommt und vorzugsweise gelähmte Muskeln befällt. Das Knochenmark stimmt in jeder Hinsicht mit der ge- gebenen Beschreibung des Fettgewebes überein, und ist somit Fett. Es kann dalier das Knochenmark unmöglich empfindlich sein, Avie man im gewöhnlichen Leben meint. Das Wort ..Alark" wurde aber auch auf eine ganz andere Gewebsform, auf das Nervensystem, über- tragen, indem man von einem Geliirnmark, Rückenmark und Nerven- mark spricht. — Das Trocknen der Knochen auf der Bleiche, wo- durch der Wassergehalt der Knochensubstanz verloren geht und letztere mit dem von der Markh<")hle aus in sie eindringenden Fette imprägnirt wird, lässt die Knochen oft erst während des Bleichens fett werden, Avährend sie es im frischen Zustande nicht zu sein schienen. — Der Bindegewebsantheil ist im Fette des Knochenmarkes ein viel geringerer als im gewöhnlichen Fett. Mehr über Fett und Mark enthalten: Ascherson, lieber den physio- logischen Nutzen der Fettstoffe, in Maller s Archiv, 1840, pag. 44. — Külliker, Histol. Bemerkungen über Fettzellen, in der Zeitschrift für wiss. Zool., 2. Bd., pag. H8. — Wittkh, Bindegewebs-, Fett- und Pigmentzellen, im Archiv für pathul. Anat., 1856. — R. Hein, De ossium medulla. Berol., 1856. — Flemming, Archiv für mikrosk. Anat., VIT. — L. Lamier, Ueber die chemische Zusam- mensetzung des Fettes in verschiedenen Lebensaltern, Sitzungsberichte der kais. Akademie. 1881. §. 27. Pigment. 117 §. 27. Pigment. Die Farbe der Orgaue hängt tlieils von ihrem Grewebe, von der Gestalt und der Zusammenfügung ihrer kleinsten Theilehen, von ihrem Blutreichthum, bei durchscheinenden Grebilden auch von der Färbung der Unterlage, oder von einem besonderen, molekularen, theils in dem betreffenden Organe frei vertheilten, theils aber in Zellen enthaltenen Farbstoff ab, welcher das Protoplasma der Zellen allenthalben durchdringt und dasselbe mehr weniger verdrängt. Dieser Farbstoff heisst Pigment, und die Zellen, welche ihn führen, Pigmentzellen. Zellen mit schwarzem Pigment finden sich unter der Oberhaut des Negers, und im Tapetiim nigrura der Thier- und Menscheuaugen. Die Brustwarze und ihr Hof, die Haut der äusseren Genitalien und der Aftergegend besitzen gleichfalls Pigmentzellen, und in den Schenkeln des grossen Gehirnes, in den Bronchialdrüsen, in der Lungensubötanz und in den Ampullen der Bogengänge des Labyrinthes wird dunkles Pigment gefunden. Die Sommersprossen (Ephelides) und Leberflecke (Chloasmata) verdanken ihr Entstehen dem Pigment, und nur von dem durch die Sonne gebräunten Teint der Südtiroler ist es noch unentschieden, ob er durch Pigmentbildung bedingt wird. Anatomische Eigenschaften. Man unterscheidet an den Pigraentzellen eine gut ausgeprägte Hülle (Zellenmembran) und deren Inhalt. Die Protoplasmahülle erseheint als ein structurloses Häutchen, welches entAveder eine polygonale oder rundliche Form besitzt, oder mit ästigen Fortsätzen besetzt erscheint. Liegen mehrere Pigment- zellen dicht gedrängt in einer Fläche neben einander, so platten sie sich gegenseitig ab, nehmen die polygonale Form an und bilden, von der Fläche gesehen, eine sehr regelmässige Mosaik wie in der als Tapetum nigrum bekannten Pigmentschichte der Aderhaut des Auges. Man sieht die Zellen dann unter dem Mikroskop durch helle Streifen von einander getrennt, welche der durchsichtigen Zellen- hülle entsprechen. Rücken die Zellen etwas auseinander, so fällt die Ursache des Eckigwerdens weg, und sie erscheinen rundlich wie auf der hinteren Fläche der Iris, auf den Ciliarfortsätzen, unter der Oberhaut des Negers, und in den dunkel pigmentirten Hautstellen weisser Raeen. Sind sie mit Aesten besetzt, Avelche entweder blind endigen, oder mit den Aesten benachbarter Zellen zusammenfliessen, so entstehen jene Zellenformen, welche Chromatophoren (Farb- träger) genannt werden. Sie kommen im Menschen in der Lcrniina fusca des Auges, bei Thieren dagegen viel häufiger vor, wie z. B. in den Pigmentflecken der Haut der Frösche und des Chamäleon, in den gesprenkelten schwarzen Flecken im Peritoneum vieler 1X8 §• 28. Ol'orliaut nnd EpitliPÜpn. Ainpliilnon nnd Fische, in dm" Ilant dtn' Kalksi-lialc der Krdiso nnd in der alIi;onH'in(Mi I)ocke dor Ceplialopodcn. 1 )(Mi Inlialt der Pig-mtMitzellen bildet ein mit unines^har kleinen, aus undentlicli krystalliuiscliein INIelanin bestehenden Pig^inentkcirnchen dnrchdrnnmMies Protoplasma. ^^'enIl eine Zelle j)latzt oder zerdrückt wird, schwimmen die Pii;mentmolekiile in der die Zelle nnii;ehenden Flüssij»'keit einzeln oder als Ag'gregate herum nnd /eii;en dabei leb- hafte Bewegungen (IJrown'sche Moleknlarb('\vei;ung). Diese Be- wegungen sind aber keine vitalen, sondern werden durch Strömungen in der umgebenden Flüssigkeit veranlasst, welche die Moleküle des Pigments mit sich fortführen. Der EinHuss des Lichtes und der Wärme er/.eugt solche Strömungen, und diese setzen nicht blos die M(deküle des Pigments, sondern auch andere pulverige Substanzen in ganz gleiche Bewegung. — P^ast in allen Pigmentzellen findet sich ein von den Pigmentkörndien theihveise oder vollkommen ver- deckter, heller und durchsichtiger Kern. — Wenn die Pigmentbildung unterbleibt, sind die Zellen dennoch vorhanden, wie man an dem farb- losen Titpetnin im Auge der rothäugigen Kaninchen beobachten kann. Die Pigmontkörnclu'n sind weder durch Wasser, noch durch cnnoentrirte Essigsäure, Aetlier oder verdünnte Milchsäuren zerstörbar. Durch kaustische Alkalien werden sie bald aufgelöst. Nach Scheerer's Analyse besteht das schwarze Pigment im Rindsauge aus fj8.284 Procent Kohlenstoff, 22,030 Sauer- str.ft', l'.^^GS Stickstoff. 5,!t1S Wasserstoff, Ueber die physiologische Bestimmung des Pigments sind wir nur im Auo-e unterrichtet, wo es aus demselben optischen Grunde geschaffen wurde, aus welchem man alle optischen Instrumente an der Innenfläche schwärzt. Die Bedeutung der Hautjiigmente, welche bei vielen Thieren ein äusserst leb- haftes Colorit besitzen, liegt ganz im Dunkel. In gewissen Krankheiten wird das schwarze Pigment in bedeutenden Massen angehäuft fMelannsisJ. — Das merk- würdige Farbenspiel in der Haut des Chamäleon und der cephalopodischen Mollusken, hängt von einer unter dem Einflüsse des Nervensystems stehenden Contractilität ästiger Pigmentzellen ab, welche Grösse und Form der Zellen, sowie ihren Farbeneffect ändert. Man wähle zur Untersuchung das Pigment der Choroidea eines frisch geschlachteten Thieres, welches sich mit Vorsicht in grösseren Läppchen auf den Objectträger bringen lässt. Druck und Zerrung müssen sorgfältig vermie- den werden, da die Zellen leicht platzen, und die hellen Zwischenlinien der Zellenmosaik, nur im unversehrten Zustande des Objectes zu beobachten sind. Man vermeide auch, wenn man nicht gerade die Älolekularbewegung der Pig- mentkörner sehen will, jeden Wasserzusatz, und bediene sich zur Befeuchtung lieber des frischen Eiweisses oder des Blutserums. C. Bruch, Ueber das körnige Pigment der Wirlwlthirrf. Zürich. 1844. — Virchoic. Die pathol. Pigmente, im Archiv für patlnd. Anal.. 1. Bd. §. 28. Oberliaut und Epithelien. Die äussere Oberfläche des Leibes und die inneren freien P^l rächen seiner Höhleu und Kanäle besitzen einen aus Zellen bestehenden §. 28. Oberliaut und Epitlielien. 119 Ueberziig. Der aus melireren über einander gelagerten ZellenscTiiehten bestehende Ueberzng der äusseren Leibesoberfläclie heisst Oberliaut Epidermis (von welcher mehr in §. 2Ö8 und 209); jener der inneren Höhlen und Schläuche, welche durch OefFnungen mit der Aussenwelt in Verkehr stehen, wie es bei dem Verdauungs-, Athmungs- und Geschlechtssystem der Fall ist, heisst Epithelium, wofür man bis jetzt noch keinen deutschen Namen gefunden hat. Der einschichtige Zellenbeleg der nicht nach aussen offenen Höhlen und Kanäle (z. B. Brusthöhle, Bauchhöhle, Höhle der Blut- und Lymphgefässe), wird in neuerer Zeit als Endothelium aufgeführt. Ich glaubte, dass der Name Epithelium Ton ini rb rsXog, auf der Endfläche, abzu- leiten, imd somit richtiger Epiteliwn zu schreiben sei. Da jedoch Fried. Ruysch in seinem Thesaurus anat., das Wort Epithelium zuerst für jene feine Epidermis gebrauchte, welche die Tastpapillen des Lippensaumes und die Brustwarze bedeckt {d-rilri, papilla, Warze), muss wohl die ältere Schreibart auch die richtige sein. Als man aber das Epithel des Euysch auf alle Häute übertrug, auch auf solche, Avelehe keine Papillen führen, wurde die Anatomie um ein unsinniges Wort reicher. Man Avird zugeben, dass für den deckenden üeberzug papillenloser Häute das Wort Epitel noch immer besser wäre, als Epithel. Endothel aber, d, h. auf deutsch Innenwarze, einen aus Zellen bestehenden üeberzug zu nennen, ist schon Yer- rücktheit, und diese scheint, was die Erfindung neuer Namen an- belangt, sehr stark unter den Mikrologen zu grassiren. Ebenso absurd erscheint es, von einem Epithelialgewebe zu reden, wie die Histologen nicht unterlassen wollen. Denn die Baumittel der Epithelien — die Zellen — sind nur mittelst Kitt aneinander- gefügt, wie die Ziegel einer Mauer durch den Mörtel, nicht aber mit einander verwebt. Die Zellen der Epithelien bleiben, so lange sie überhaupt dauern, in ihrem ursprünglichen, Aveichen Zustand, welcher ihnen als kernhaltigen Protoplasmakörpern zukommt. Die oberflächlichen Zellen der Oberhaut dagegen, verhornen durch Umwandlung ihres Leibes in Keratin (Hornstoff). In den verhornten Zellen lässt sich kein Kern mehr erblicken. Die Zelle verliert während des Verhornungsprocesses ihre Fülle und Rundung und wird zuletzt zu einem trockenen Schüppchen oder Plättchen, welches mit seinen Nachbarn zu einer mehr oder weniger beträchtlichen Hornschichte verschmilzt, an welcher keine fernere lebendige Umbildung, höchstens mechanische 'Abnützung durch Reibung, und schliessliches Abfallen durch Verwittern vorkommt. Die Intercellularflüssigkeit, welche sich in spärlicher Menge zwischen den jungen Zellen der Oberhaut befand, erleidet bei der Verhornung der Zellen dieselbe Erhärtung, 120 S- '-8- Oberhaut und Epitli.'li.-n. Avie dio Zellon selbst, und dient, wenn sie ebenfalls vollkommen vertrocknet nnd verhornt ist, den Sclieibi-lien und Plättchen zum testen Bindunüsniittel. Dieses Binduni;sniittel wird durcli verdünnte Schwefel säure ;uifi;-elöst, wodurch die Scheibt-heu, welche der Wir- kuni;- der Säure widerstehen, sich lockern und von einander trennen. — Geht von den älteren, bereits abgelebten Zellenschichteu eine durch Abblättern verloren, was an der menschlichen Oberhaut durch eine Art von ununterl)rochener Häutuni;' fctrtwährend stattfindet, so wird durch Nachschub der tieferen Zellenschichten von unten, der Defect wieder ausgeg'Hcheu. Jede tiefe Schichte niuss somit einmal die oberste werden, um e])enso abzufallen wie ihre Vori;äni;er. — Als schlechte Wärme- und Elektricitätslciter (letztere nur im trockenen Zustande), können die verhornten Zellen der ()l>erhaut für eine Art Isolatoren des Organismus angesehen werden. Epidermis, Epi- und Endothelien und alle sogenannten Horu- gebilde empfinden nicht, besitzen keine Blutgefässe, können sich so- mit nicht entzünden, noch irgendwie durch sich selbst erkranken nnd zeichnen sich durch ihre prompte Regeneration vor allen übrigen Geweben aus. In den untersten Schichten des Hornhautepithels wurden Nervenfasern nachgewiesen. Eindringen von Nervenfasern in die Epidermis wird ebenfalls, wenn auch nicht ohne AViilerspruch von Einigen behau[)tet. Sichergestellt ist dagegen der Zusammenhang gewisser Epithelialzellen der Kiechschleimhaut, der Zunge, der häutigen Säckchen und Bogengänge des Gehörlabyrinths mit Nerven- fasern. Man hat diese Epithelien deshalb mit dem Namen Neuro- epithelien belehnt. Specielles über die Epithelien folgt bei den betreffenden Or- gauen. Die Oberhaut, ihr Zugehör als Haare und Nägel, sowie die Haut selbst, welcher diese Gebilde angehören, habe ich gegen den gewöhnlichen Gebranch in die specielle Anatomie aufi;enommen (§. 205 — 212). Die Beziehuui;en des Hautorgans zu den Sinnen und den Eingeweiden bestimmten mich zu dieser Abweichung. Es er- übrigt hier somit nur die Schilderung der Epi- und Endothelien. Der früher crwülnite Hnmstoff, Keratin, ist in kaltem Wasser unlöslich, schwillt bei längerem Befeueliten etwas auf, erweicht sich durch Einwirkung von Alkalien (daher der allgemeine Gehrauch der Seife beim Waschen), löst sich aber selbst nach langem Kochen nicht auf. Alkohol und Aether lassen ihn unverändert; kaustische fixe Alkalien lösen ihn unter Entwicklung von Ammoniakgeruch auf. Bei 100" R. erweicht er sich, liefert bei trockener De- stillation sehr viel kohlensaures Ammoniak mit empjreumatischem Oele, ver- brennt unter Luftzutritt, und hinterlässt eine Asche, welche kohlensauren und phosphorsauren Kalk, nebst eiuem Antheile phosphorsauren Natrons giebt. §. 29. Allgemeine Eigenschaften der Epitlielien. 121 §.29. Allgemeine Eigenscliafteii der Epitlielien. Die freie Fläche jeder Membran, jeder Höhleuwand, jedes Kanals und seiner Verzweig-nngeu, besitzt, wie schon gesag-t, einen aus Zellen zusammengesetzten üeberzug-, als Epithelium oder JEndo- thelium. Das Epithel erscheint theils als einfaches Zellenstratnm, theils als mehrfach geschichtetes Zelleulager, Das Endothel ist dagegen fast ausschliesslich einschichtig, mit sehr platten, polygonalen, meist fünfseitigen Zellen. Die Form der Epithelialzellen variirt nach Verschiedenheit des Ortes, wo sie vorkommen. Der Kern der Zellen zeigt sich bei starken Vergrösserungen mit einem oder zwei dunk- leren Kernkörpercheu versehen, und liegt selten in der Mitte der Zelle, meistens an oder selbst in der Wand derselben. Man unterscheidet nach der Form der Zellen zwei Arten von Epithelien: Pflaster- und Cyliuderepithel. a) Das Pf last er epithel. Es wird seines mosaikartigen An- sehens Avegen so genannt. Seine Zellen sind anfangs rundlich, flachen sich aber durch gegenseitigen Druck ab und werden eckig. Die runden oder ovalen Zellenkerne sind bei jungen Zellen nur von einer dünnen Schichte Protoplasma umschlossen, welche erst bei älteren Zellen an Dicke zunimmt. Das Pflasterepithel hat eine sehr grosse Verbreitung im thierischen Körper. Als einfache Zellenschiehte findet sich dasselbe mit verschiedenen unwesentlichen Modificationen der Zellengestalt, au den freien Flächen von serösen und Synovialmembranen, ferner an der inneren Oberfläche der Blut- und L^^mphgefässe, in den feineren Verzweigungen vieler Drüseuausführuugsgänge, auf den wahren Stimmbändern des Kehlkopfes, in den lufthaltigen Bläschen der Lungen, und an gewissen Schleimhäuten, z. B. der Trommel- höhle (nur stellenweise). Grosse und platte Zellen bilden das soge- nannte Plattenepithel. Mehrfach geschichtet dagegen erscheint das Pflasterepithel an einigen Synovialhäuten und an bestimmten Strecken der Schleimhaut des Verdauungs- und Zeugungssystems, wo es so mächtig wird, dass es durch Maceration in grösseren oder kleineren Stücken abgezogen werden kann, wie auf der Schleimhaut der Mundhöhle, der unteren Partie des Rachens, der Speiseröhre, der weiblichen Scheide. In der Harnblase, den Harnleitern, den Nierenbecken und Nierenkelcheu, kommt es ebenfalls mehrfach geschichtet, aber mit geringerer Mächtigkeit vor. Die in den geschichteten Pflasterepithelien vorkommenden, als Stachel- oder Eiffzellen bereits in §. 20 erwähnten Zellen, wurden von M. Schnitze (Med. Centralblatt, 1864, Nr. 12) eingehend geschildert. Auch von der Basal- fläche der Zellen in der untersten Schichte, greifen feinste Zähnchen in die 122 §. 29. AllgeiiipinP Eigenschaften der Epilliplien. oberste Schichte der betreftViuleii Haut oder Schleiinliaut ein, um die Zellen zu fixiren. Rückt die Zelle in die obere Schichte der Epidermis oder des Epi- thels ein, so bleibt die Basis an ihrer Haftstelle sitzen, die Zelle schnürt sich von der Basis ab, und diese ist die Mutter einer neuen Zelle geworden. h) Das Cyliiul(M-('|>i tlicl besteht aus Zellen, deren Höhe ilive Breite üljertrifl't, nnd welche senkrecht auf (hn- betreffenden l'nterla^•e stehen. Die Zellen dieses Epithels sind keine Cylinder Im mathematischen Sinne, da sie sich durch ihr Nebeneinandersein g'eg;enseitig- abplatten und ihr unteres Ende meistens schmal, (bis obere, von der Unterlage al)<;ewendete Ende dagegen breiter ist. Die Cylinder sind also eigentlich Prismen oder al)gestut/.te Kegel. Da auf einer Ebene auf>;(»|»flau/.te Keg-el sich nicht allseitig- berühren, so l)leiben zwischen den schmäleren Th(»ihMi der Ke<;'el Räume übrig, in Avelchen sich junge ZeUen entwickeln können. Das untere Zelleueude verlängert sich in einen Faden, Avelcher mittelst einer kleinen Anschwellung in die Oberfläche der Unterlage des Epithels eingezahnt wird. Das obere oder freie Zellenende zeigt dnrchgehends einen hellen, verdickten Saum (Deckel), an welchem eine feine senkrechte Strichelung, seine Zusammensetzung aus dünnen, palis- sadenförmig neben einander aufgerichteten Stäbchen andeutet. Der Kern der Cyliuderzelle liegt in der Mitte, zwischen dem schmalen und breiten Zellenende, und ist zuweilen so ansehnlich, dass er die Zellenwand herauswölbt, wodurch die Cylinderform noch mehr beeinträchtigt wird und bauchig- erscheint. — Den Cylinderzellen in regelmässigen Abständen eingestreut, findet man häufig die so- g-enannten Becherzellen, deren bauchiger Leil) nach ol)en offen ist, wodurch der Inhalt dieser Zellen zur Vermehrung der von der betreffenden Haut gelieferten Absonderungen verwendet werden kann. — Neuesten Untersuchungen zufolge soll das Cylinderepithel der Mageuschlein)haut nur aus Becherzellen bestehen. — Zwischen den regulären Cylinderzellen finden sich immer einige kürzere, nicht bis zur Oberfläche hinaufreichende kernhaltige Zellen, welche auch rundliche, oder nach oben zu versehmächtigte Formen zeigen, und an ihrem unteren Ende, wie die eigeutlicheu Cylinderzellen, in einen Faden auslaufen. Man hält sie für Ersatzzellen, und nennt sie auch so. Das Cylinderepithel findet sich auf sehr vielen Schleimhäuten: im Darmkanale, vom Magenein^anne bis zum After, in den Stämmen und in den Zweigen der Ausführungsgänge fast aller Drüsen, in dem obersten Revier der Nasenhöhle, auf der Conjunctiva, in den Samenbläschen, in der Gallenblase, dem Vas deferens und in der Harnröhre bis in die Nähe der äusseren Oeffnung derselben, wo Pflasterepithel vorkommt. §. 29. Allgemeine Eigenschaften der Epithelien. 123 Auch das Cylinderepithel tritt entweder einschichtig oder mehrfach geschichtet auf. Bei dem letzteren besteht aber nur die oberste Schichte aus Cylinderzellen, welche immer den erwähnten fadenförmigen Fortsatz führen, während die tieferen Schichten aus unregelmässig gestalteten Zellen zusammen- gesetzt werden. Der Uebergang von Pflaster- in C3'linderepithel erscheint nur an den Mündungen der Ausführungsgänge der Speicheldrüsen plötzlich, sonst wird er durch Zwischenformen, welche Henle Uebergangsepithel nannte, vor- bereitet. Cylindrische Zellen mit zwei Kernen können, ihrer Seltenheit wegen, nicht als Beleg der Ansicht dienen, dass sich die Cylinderzellen durch Ueber- einanderstellen von Pflasterzellen, und Eesorption der Zwischenwände entwickeln. Als besondere Art des Cyliuderepitliels erscheint das Flimmer- epitliel. Denkt man sich auf dem freien, mit einem breiten nnd hellen Saum, wie mit einem Deckel versehenen Ende einer bauchigen Cylinderzelle, einen Wald kurzer, heller, spitziger, und unmessbar feiner Fädchen aufsitzen, welche Cilien (Flimmerhaare) heissen, und während des Lebens, ja selbst eine geraume Zeit nach dem Tode, in wirbelnder Bewegung sind (flimmern), so erhält man die Form einer Flimmerzelle. Auf der äusseren Leibesoberfläche niederer Thiere kommen statt der Flimmerzellen, blos fibrirende Fäden vor, mittelst welcher sieh das Thier im Wasser, wie durch Ruderschläge fortbewegt. In jenen wesentlichen Bestaudtheilen des männlichen Samens, Avelche Spermatozoon heissen, hat man Flimmerzellen mit einem einzigen langen Flimmerhaare erkannt. Die flimmernde Bewegung vollzieht sich sehr rasch und lebhaft. Wenn man eine grössere vibrirende Fläche unter dem Mikroskope betrachtet, denkt man an das Wogen und Wirbeln eines hochgewachsenen Kornfeldes, über welches der Wind wegstreicht. Schon die älteren Mikroskopiker, wie Swam- merdam, kannten dieses schöne und merkwürdige Phänomen im Allgemeinen^ Purkinje und Valentin aber entdeckten die Flimmerzellen als Vermittler dieser Bewegung. Die Pi,achenschleimhaut der Schildkröte lässt die Flimmer- bewegung selbst 14 Tage nach der Tödtung des Thieres noch erkennen; — sie hört erst bei vorgeschrittener Fäulniss auf. Die Eichtung der Bewegung der Cilien ist im Allgemeinen gegen die Endmündung des betreff'enden Kanals oder Schlauches gerichtet, also in den Athmungsorganen nach oben, in den Geschlechtswegen nach unten. Henle sah ein auf die Luftröhrenschleimhaut der noch warmen Leiche eines gerichteten Verbrechers gelegtes Minimum von Kohlenpulver, binnen 15 Secunden um die Breite eines Knorpelringes, durch Flimmerbewegung gegen den Kehlkopf fortgeschaff't werden. Wenn man in den Lungensack eines eben getödteten Frosches durch eine kleine Wunde desselben Kohlenpulver einbringt, findet man nach einigen Stunden dasselbe schon in der Mundhöhle, wohin es nur durch die Flimmerbewegung des Lungenepithels geschafft werden konnte. — Was die Art der Bewegung der einzelnen Flimmer- haare anbelangt, so ist diese bei den Säugethieren entweder ein mit Biegen und Aufrichten verbundenes Hin- und Herschwingen, etwa wie an einer schwin- genden Euthe, oder eine nach der Länge der Cilien hinla,ufende Wellenbewegung. Haken- und peitschenförmige Bewegungen der Flimmerhaare kommen bei Mollusken, Bewegungen in einer Kegelfläche bei den Eäderthierchen vor. 124 § "^- AllRrni.'ini' Eig.'iis^cliaftcii .ler Epitlit'li.-n. Fliiiiin('r('|>itli(>l lindct .sich: 1. aut der Sclilciiiiliaiit, wolclic die rcspiratorisclicn Woge auskleidet, und zwar: a. in der kuöelieruen Nasenliölile, und ihren Nel)enhühl(»n, von avo es in die Thränenwegc eintritt, bis in die Thränenr«»hrehen hin, wo es dureh Ptlasterepithel ersetzt Avird: ß. in dem ol)eren Theile des Pharynx (his zum zweiten Ilalswirlxd herab), von Avo es in die Tahae Kioitachii eindringt; y. im Kehlkopie (mit Ausnahme der wahren Stimmbänder) und in der Lut'tn'ihre und deren VerzAveigu ngen ; 2. auf (b'r Scddeimhaut des Iterus (nur steUenweise), und (Um' Tuben; ;?. in den Samengefässeu des NebenhocU'us, in (b'r Nähe der Con't /•(t.sculosi Ildlleri; 4. in den (leliirnkammern, im A(ji(((i'ih tla.ss man >i(' lux-li län,ü;;ei' l)Io> für ein Schutzmittel gewisser Menihraiicii aii>('li«Mi könnte, wie es lange Zeit t;esc'liah. Ihre Existenz ist nur insofern an diese Meni- Itranen i;('l)nn(li'n. als letztere mittelst iiii-cr Blntijefässe den Stoff hergehen, aus weleheui sieh die Epithelialzellen ernähren. Das Zellenlehen selh>t dag'ei;en kann, Avenu es einmal erwachte, von jenen Menihranen aus nicht ahsolut l)eherrscht werden. Das Abfallen der Epithelien und die entsprechende Neuhil- dun<^ derselben, ist ein sehr weit verbreitetes, aber dennoch kein alli;emeines Phänomen. Die Flimmerepithelien unterliegen, so viel wii- ans den jCtzt vorliegenden Beobachtungen entnehmen können, dem Abfallen weit weniger als das Cylinderepithel. Allerdings enthält der während des Schnupfens reichlich al^ge^onderte flüssige Nasenschleim und der Auswurf aus Kehlk(ti)f und Luftrtdire, einzelne Flimmerzellen; diese scheinen jedoch, abgesehen von den krank- haften Bedingungen, unter welchen sie ausgeleert werden, mehr auf mechanische Weise von dem Boden losgerissen zu werden, auf welchem sie wurzelten, als durch physiologische Processe abgelöst worden zu sein. — Viel häufiger treffen wir rundliche Epitlielial- zellen in den Absonderungstofien der Drüsen, im Schleime, in den Thränen, im Speichel, in der Galle, dem Samen, dem Harne etc. Bei den Epithelien der geschlossenen Höhlen kann der Wechsel nicht mit Abfallen oder Abstossen im Ganzen, sondern Avahrschein- lich nur mit Auflösung und Aufsaugung der älteren Formationen im Zusammenhange stehen, und muss überhaupt sehr langsam von Statten gehen. — Bei Entzünflungeu soll das Flimmerei)ithel ab- geworfen und durch Pflasterepithel ersetzt werden. Man kanu es als sicher annehmen, dass die Zellen, welche die innere Oberfläche der Drüsenkanäle einnehmen, an dem Abson- derungsprocesse wichtigen Antheil haben. Da die Absonderungssäfte aus dem Blute stammen, so müssen sie, bevor sie in die Höhle des ausführenden Drüsenkanals gelangen können, sich durch die Zellen- schichte seines Epithels durchsaugen, und erleiden dalxn durch die Einwirkung der Zellen jene eii;(Mitliümliche, ihrem Hergange nach ganz unbekannte A'eränderunn', durch welche sie die Qualität eines bestimmten Secretes annehmen. Bei dem Secretionsvorgang bethei- ligte Epithelialzellen heissen Secretions- oder Enchymzellen. In der Flimmerbewegung, welche auch nach Trennung der Zelle vom Organismus längere, bei kaltblütigen Thieren selbst sehr lange Zeit fortdauert, liegt der sprechendste Beleg für das eigene Lelien der P^pithelialzelleu. Die Natur dieser Bewegung der Wimper- haare und ihre physiologische Bestimmung sind gänzlich unbekannt. Man eriieht sich nur in Vermuthungen. Dass die Richtung der §. 31. Muskelgewetie. Hauptgruppen desselben. 127 Flimmerbewegung gegen die Ausgangsöffnung des betreffenden Schleimbautrohres strebt, gilt wohl für viele, ^ aber nicht für alle Schleimhäute, und dass durch die Flimmerbewegung der Schleim an den Wänden der Schleimhäute gegen die Ausmündungsöffnung derselben fortgeführt werde, erscheint mir als eine für so zarte Kräfte sehr rohe Arbeit. Auch müssten dann alle Schleimhäute Flimmerzellen besitzen. Die Nervenkraft bleibt bei den Flimmer- bewegungen ganz aus dem Spiele, da diese Bewegung nach Heraus- nahme der Zelle aus ihren Verbindungen fortdauert. Schwache Säuren, Alkohol, Aether, Galle und niedere Temperatursgrade, hemmen die Flimmerbewegungen und bringen sie zum Stillstand, indem sie in der umgebenden Flüssigkeit Niederschläge erzeugen, welche einen für die Bewegung der Cilien unüberAvindlichen Wider- stand bilden. Werden diese Niederschläge durch eine Kalisolution aufgelöst, so kann die Cilienbewegung von Neuem wieder beginnen. Wärme und Elektricität sollen das Fibriren der Cilien fördern; — Opium, Blausäure, narkotische Gifte, verhalten sich indifferent gegen dasselbe. Gegenwärtig nocli vereinzelt dastehende, mehrseitig wieder angegriflFene Beobachtungen über die Epithelien gewisser Schleimhäute und der Gehirnhöhlen, lassen es erwarten, dass unseren Ansichten über die functionelle Bedeutung der Epithelien, wichtige Keformen bevorstehen. Man beherzige nur den constatirten Zusammenhang gewisser Epithelialzellen der Nasenschleimhaut, der häutigen Säckchen im Gehörlabyrinth, und der Zunge, mit den feinsten Endfäden der bezüglichen Sinnesnerven. §.31. 'Muskelgewebe. Hauptgruppen desselben. Die der Willkür unterworfenen Muskeln (Musculi, griechisch ^veg, von ^veiv^ zusammenziehen) sind die activen, die Knochen die passiven Bewegungsorgane des thierischen Leibes. Diese Muskeln kommen in ihm in sehr grosser Menge vor und bilden das Fleisch desselben. Kein anderes organisches System nimmt so viel Raum für sich in Anspruch, wie sie. Sie ziehen sich auf Geheiss des Willens oder durch die Einwirkung äusserlich auf sie angewendeter Reize, z. B. Galvanismus, zusammen, werden kürzer und verkleinern dadurch die Distanz zweier beweglicher Punkte, zwischen Avelchen sie ausgespannt sind. Das Vermögen, sich auf Reize zusammen- zuziehen, heisst Irritabilität, oder besser Contractilität. — Die unwillkürliphen Muskeln, welche nicht selbstständig auftreten, sondern an andere Organe gebunden oder in sie eingewebt sind, stehen an Stärke und Masse den willkürlichen bei weitem nach. Nur im Herzfleisch und in der Gebärmutter finden wir massenhafte x\nhäufung derselben. 1 ^ö S. ni. Muskelgowi'be. HanpfKnippen ilesselhen. Alle willküi'Hi-licn Miiski'ln hotclicii ans ;;r«)l)oren Büii d cl ii, Fii.scinf/i nni.^i-n/(irfi,\ wclclic yewöhnlic'li parallel nohon oiiiaiuhM* liefen, aber aiuli .sich in verschiedenen, meistens sehr sj)itzij;en AVinkeln zusannnen<;esell('n. Die kleineren und i;r»)sseren Bündel dieser Art besitzen Binde<;(>\vel)slinllen, welt-he von der, den i^anzen Mnskel nnihüllenden ViKjina (-i'Uuhiris abgeleitet werden. In der kunstniässigen Ablösnni;- dieser Vagina von der Oberfläche der Mnskeln, besteht die Hauptanfi;al)e {\('s Mnskelpräparirens. Jedes Mnskelbündel stellt eine Summe mit freiem Aiii:;e erkennbarer kleinerer Bündel dar, und diese sind Avieder Stränt^e von sehr feinen, nicht mehr durch das Messer in dünnere Pfaden zu zerlei;enden Muskelfasern, Fihrnc imisctdiows. An dem (Quer- schnitte eines gehärteten Muskels, z. B. neräui-herten P^leisches, lässt sich das Verhältniss der Fasern zu den kleineren und <;rösseren Bündeln, und dieser zum Ganzen, mit der Loupe, sell)st mit dem freien Aui;e erkennen. Man leitet das Wort musculus auch von ftT^g, d. i. Maus ab, weil die spindelförmigen Muskeln mit ilnen langen Sehnen sich mit dem Körper und Schweif einer Maus vergleichen lassen. Der altdeutsche Name: Maus lein, und das lateinische Wort Musculus, drückt wohl diese Ableitung aus. — Die Re- stauratoren der Anatomie im 14. und 15. Jahrliundert gebrauchten statt 3Ius- cidw den Ausdruck Lacertuf. Meister Schylhans, im ^clbtburfj bor lUunbt^ arcjucy, Strassburg, 1517. sagt hierüber: „Musculus nnb Laccrtus ift ein Pinc}, aber Musculus nnirt gcncnut nadj bcr form aincr maus^, Lacertus narfj bcr formen aincr l^cybedjsj, batni cjlcidjojtc btc ttjycrlin fcinb an bctbcn cnbcn ficin (b. i. bünn), unb laucj geacn bcm fdmmnt^, unb in bcr mitten bicf, alfo fcinb audj bis5C müs3lin nnb lacerti." Verschieden sind die Fasei-n, ans welchen die willkürlichen und unwillkürlichen Muskeln bestehen. Erstere sind (juer<;estreift, letztere ^latt. Es soll hier von beiden Formen si)eciell gehandelt werden. Bei mikroskopischer Untersuchung- erscheinen die Mu.skel- fasern in zweifacher Form, und zAvar als: (() Quergestreifte Fasern der willkürlichen Mnskeln. Sie zeigen nebst feinen parallelen Längslinien, welche theils continuir- lich, theils in Absätzen der Richtung der Faser folgen, eine sehr markirte Qu erst reif ung, welche nicht blos die Oberfläche der Faser zeichnet, sondern auch in die Tiefe derselben eingreift, und dadurch die Faser in abwechselnd helle und dunkle Platten oder Scheiben schneidet, ähnlich den Platten einer Volta'schen Säule. Auch in einigen der Willkür nicht gehorchenden Muskeln findet sich diese Faserart, z. B. im Pharynx und stellenweise auch in der Speiseröhre. Die Dicke der quer<^estreiften Fasern wechselt sehr, nach der Verschiedenheit der Muskeln, welchen sie angehören. So beträgt sie §. 31. Muskelgewebe. Hauptgruppen desselben. 129 bei den Gesiclitsmuskeln nur 0,005'" — 0,008'", bei den Stamm- muskeln dageg-en 0,01'" — 0,25'". Ibre Länge ist viel geringer, als jene des betreffenden Muskels und beträgt böcbstens einige Centi- meter. Es müssen sich deshalb mehrere Fasern der Länge nach an- einanderreihen, um der Länge des Muskels zu entsprechen. Die Aneinanderreihung erfolgt mittelst zugespitzter, ja auch mittelst ge- spaltener Enden. Eine glashelle Kittsubstanz sorgt für festes Zu- sammenhalten dieser faserigen Elemente des Muskelfleisches. Jede quergestreifte Faser besitzt eine structurlose Hülle (Sarco- Imima, von Ca^l, Fleisch, und U^i^a, Rinde), an deren innerer Fläche längliche Kerne in Abständen anliegen. Das Sarcolemma umschliesst sehr knapp den Inhalt der Muskelfasern, welcher die eigentliche contractile Substanz des Muskels darstellt. Die erwähnte quere Streifung der animalen Muskelfaser gehört nicht dem Sarcolemma an, sondern dem Inhalte. — Die Kerne vom Sarcolemma können uns als stumme Zeugen dafür dienen, dass diese Faserart aus Bildungszellen hervorging, welche sich der Länge nach an einander reihten, die ZwisclienAvände einbüssten und ihr Protoplasma in eine eminent contractile Substanz umwandelten. Ueber den Bau des contractilen Inhaltes dieser Muskelfasern haben sich die Mikrologen noch nicht aller Orten geeinigt. Sie stehen sich vielmehr in zwei Lagern feindlich gegenüber. Die ältere Schule, deren Anhänger immer weniger werden, lässt den Inhalt einer Faser aus feinsten, in dunklere und hellere Abschnitte gegliederte Fäserchen — den Muskelfibrillen (auch Pri- mitivfasern) bestehen, und erklärt daraus das längsgestreifte Ansehen der Muskelfaser. Durch Maceration der Muskelfaser in schwachem Weingeist lösen sich diese Fäserchen von einander, und können einzeln gesehen werden. Jede derselben zerfällt durch Behandlung mit Terdünnter Salzsäure, der Quere nach, in kleinste Säulenstücke. Die erwähnte perlschnurähnliche Gliederung der Fibrillen aber soll, indem die dunkleren und helleren Abschnitte aller Fibrillen in gleichen Querebenen neben einander liegen, die Querstreifung der Muskel- faser erzeugen. Dieses ist der Glaubensartikel der Fibrillentheorie. Jener der Scheibentheorie, welche es fast zur allgemeinen Geltung gebracht hat, lautet: Der Inhalt des Sarcolemma einer Muskelfaser besteht aus übereinander gelagerten Scheiben (Bowman's discsj, wie die Münzen einer Geldrolle. Zweierlei Arten dieser Scheiben, helle und dunkle, folgen in der Länge der Muskelfaser alternirend auf einander. Den zweierlei Scheiben entsprechen lichtere und dunklere Zonen an der Oberfläche der Faser, daher die Querstreifung. Die lichteren Zonen sind etwas breiter als die dunkleren, und werden durch eine dunkle Queiiinie in eine obere und untere, gleichgrosse Abtheilung geschnitten. Die Substanz der dunklen Zonen und die dunklen Querlinien der lichten Zonen, brechen das Licht doppelt, jene der lichten blos einfach. Die Scheiben, welche den lichten Zonen entsprechen, lassen sich durch Behandlung der Muskelfaser mit verdünnter Salzsäure isoliren, indem diese Säure die den dunkleren Zonen entsprechenden Scheiben auflöst. Die dunklen Scheiben aber sind wieder aus kleinen Säulenstückchen zusammengesetzt, deren Eichtung senkrecht auf den platten Flächen der Scheiben steht. Sie lösen sich rlnrch Behandlung der Hy rtl, Lehvbuili der Auatomie. 'iO. Aufl. 9 lUO S. :il. Miiskolgfwol>e. Ilauiitgruppi'ii liossollifii. Scheibe mit schwaciiem Weingeist von einander, und lieissen bei den englischen Anatomen Sarcoiis Elenievt.i, — Ix i Brücke Disdiac lasten Cavcc du grec, on a toujoto'n raison, sapjt Möllere), weil sie das Licht doppelt brechen. Ein Grieche aber würde auch mit Diclasten genug gehabt haben, da das Wort ditiKläco nicht einfach brechen, sondern zersplittern bedeutet, somit nur eine farbenzerstreuende Wirkung ausdrücken könnte, — Beide nur in den Hauptzügen angegebenen Ansichten haben achtbare Vertreter. Im Grunde sind beide Theorien nicht wesentlich verschieden. Denn wenn eine Muskelfaser durch Maceration in Weingeist sich in Längsfibrillen zerlegt, welclie durch verdünnte Salzsäure in kleinste Säulenstücke zerfallen, und wenn diese Faser durch Maceration in verdünnter Salzsäure sich in Querscheiben auflöst, welche durch Weingeist in dieselben kleinsten Säulenstücke zerlegt werden können, eo haben doch sicher beide Theile Recht. Wer die einschlägige Literatur durchzuarbeiten Lust hat, dem gebe Gott Geduld dazu. Indem <11<' ;mlii)al(Mi Muskeln in der Regel mit Sehnen ent- springen und endigen, so fragt es sich: Avie gehen die Muskelfasern in Sehnenfasern (^. 40) über? Auch hierüber streiten Achiver und Trojaner. Der Ueberg-aug beider Fasergattungen geschieht in der Art, dass das abgerundete, spitze oder au.sgezackte Ende der Muskel- faser trichterförmig von Selinenfasern eingehülst und durch den früher erwähnten Kitt, welchen Kalilauge löst, mit ihnen fest ver- bunden wird. Andere lassen die Sehnenfasern aus dem Sareolemma der Muskelfasern durch Splitterung desselben hervorgehen (Gerlach). Ausführliches enthält Fick, Ueber die Anheftung der Muskelfasern an ihre Sehnen, in Müller's Archiv, 1856. Das längsgestreifte Ansehen der animalen Muskelfasern entspricht nicht einzig und allein der Längsfaserung derselben, sondern ist zugleich der optische Ausdruck longitudinaler Spalträume, welche den Inhalt einer Faser durchsetzen, und am Querschnitt der Faser als Lücken erscheinen, von welchen verästelte Spältchen in die contractile Wesenheit der Faser auslaufen. Ihre Bestimmung kann darin bestehen, das durch die Capillargefässe herbeigeführte ernährende Blutplasma in möglichst innigen Verkehr mit den Muskelfibrillcn zu bringen. h) Die zweite Form, unter welcher die Muskelfasern unter dem Mikroskope erscheinen, umfasst die Gruppe der glatten, d, h. nicht quergestreiften Fasern. Sie finden sich in den sogenannten orga- nischen Muskeln, d. i. jenen, deren Bewegungen vom Willen un- abhäng-ig sind, und Avelche deshalb auch unwillkürliche genannt Averden. Die physiologische Sonderung der Muskeln in willkürliche (animalische) und unwillkürliche (organische) lässt sich weder histo- logisch, noch functionell scliarf durchführen, denn das quei'gestreifte Ansehen der animalen oder Avillkürlichen Muskelfasern findet sich auch an den, dem Willenseinfluss entzogenen Muskelfasern des Herzens und des oberen Drittels der Speiseröhre, und die Athmungs- inu>keln, welche Avillkürlich bestimmbare Bewegungen ausführen, setzen im Schlafe, in der Ohnmacht und im Schlagfluss ihre Action unAvillkürlich fort. Die rothe Färbung der animalen und die blasse §. 31. Muskelgewebe. Hauptgruppeu desselben. 131 der organisclieu Muskeln ist niclits Wesentliclies imcl liängt weniger von einem wirklichen Farbenunterschiede der Primitivfasern, als vielmehr von ihrer grösseren oder geringeren Anhäufung ab. Die dünne Muskelschichte des Darmrohres erscheint deshalb blass, während die dicke Fleischsubstanz des Herzens viel röther ist, als mancher dünne animale Muskel, z. B. das Platysma myoides. Ver- dickt sich die organische Muskelschichte eines Darmstückes oder der Harnblase durch Krankheit, so wird sie eben so fleischroth, wie ein stark arbeitender animaler Muskel. Der rothe Muskelmagen der körnerfressenden Vögel und die krankhaften Hypertrophien der Darm- und Harnblasenmuskelhaut bestätigen dieses zur Genüge. Die glatten Muskelfasern werden als integrirende Bestandtheile in den Bau sehr vieler Organe aufgenommen. Sie finden sich: im Verdauungskanale, in den Harnwegen und in der Harnblase, den Samenbläschen, der Gebärmutter, der Iris, der Choroidea, den Aus- führungsgängen vieler Drüsen, in den Bindegewebshülsen der Lymph- drüsen, den Bronchien der Lunge bis in die Endverzw^eigungen derselben, in der Milz, in den Wänden der Blutgefässe, in der Brustwarze, in der Dartos, im Gewebe der Cutis, jedoch nur an behaarten Stellen derselben, und nach Pflüger und Aeby auch im Eierstocke aller Wirbelthiere. Glatte Muskelfasern kummen in den Organen, deren Ingrediens sie bilden, entweder zerstreut und vereinzelt, oder zu platten Strängen vereinigt vor. In der Fläche neben einander gelagert, erzeugen sie die sogenannten Muskel- häute, deren entwickeltste Form wir als Längs- und Kreisfaserschiclite im Verdauungstract antreffen. Die glatten Muskelfasern bestehen aus längeren oder kürzeren, spindelförmigen, leicht abgeplatteten, fast rhombischen Zellen, an welchen eine besondere Zellenmembran nicht nachgewiesen werden kann. Diese Zellen enthalten immer nur einen einzigen ellip- tischen oder stabförmigen Kern. Der ganze Zellenleib besteht aus contractionsfähiger Sitbstanz, welche das Licht doppelt bricht und hie und da durch sehr zarte, den Querstreifen der animalen Muskel- fasern entsprechende Querlinien unterbrochen^) wird. Kölliker nannte diese Zellen zuerst musculöse oder contra etile Faser- zellen. Die längeren Formen der glatten Muskelfasern finden sich vor- zugsweise in der Muskelhaut des Darmkanals: die kurzen, fast rhom- bischen, vorzüglich in den Wänden der Arterien, in den Drüsen- ansführungsgängen und im Balkensystem der Milz. — Zwischen den glatten Muskelfasern treffen wir, wie zwischen den quergestreiften, ') Die glatten Muskelfasern des Herzfleisches zeigen sehr deutliclie Querstreifung. Sie wurden deshalb bis vor Kurzem, trotz ihrer Emancipation vom Geheiss des Willens, zu den quergestreiften (willkürlichen) gestellt, von welchen sie sich jedoch sowohl durch ihre Kürzp, als durch ihren einfachen Kern unterscheiden. 132 §• 32. Anatomische Eigenschaften der Muskeln. ein structurlose.s Biiulun^sniittel (Kitt), in welchem, nehst einer Menge von Körnern viele eckige Zellen eingebettet sind, deren Ausläufer unter einander sicli verbinden. Verdünnte Salpetersäure oder Kalilange löst dieses Bindemittel auf und ermöglicht es, voll- kommen isolirte glatte Muskelfasern zur Anschauung zu bringen. Die aus glatten Muskelfasern zusammengesetzten organischen Muskeln besitzen keine Sehnen, bedingen niemals Ortsveränderungen, sondern nur Yerengerungen oder A'^erkürzungen der Organe, in oder an Avelchen sie vorkommen, laufen in gekreuzten Doppelschichten (als Längs- und Kreisfaserschichte) über einander liin und hängen mit dem Skelet nicht zusammen. Mit einer einzigen Ausnahme, welche durch den Sphincter und Dllatator pupillae gegeben wird, haben sie keine Antagonisten. Ueber Nervenendigung in den Muskelfasern ist §. 69 nachzusehen. Kühne, Myologische Untersuchungen. Leipzig, 1860, und dessen: Peri- pherische Endorgane der motor. Nerven. Leipzig, 1862. — M. Schnitze und 0. Deiters, Archiv für Anat., 1861. — A. Weismann, Ueber die zwei Typen des contractilen Gewebes, in der Zeitschrift für rat. Med., XV. Bd. — Cohn- heim in Virchow's Archiv, 34. Bd. — J. Eherth, ebenda, 37. Bd. — Kölliker, Zeitschrift für wissensch. Zool., 16. Bd. — Flemming, ebenda, 30. Bd. — Rollet, in den Denkschriften der Wiener Akademie, 49. und 50. Bd. — Flesch, Ver- handl. der phys.-med. Gesellschaft zu Würzburg, N. F., 15. Bd. — Nasse, Zur Anat. und Physiol. der quergestreiften Muskelfaser. Leipzig, 1882. §. 32. Anatomisclie Eigenschaften der Muskeln. Die Muskeln sind sehr gefässreich. Die tiefrothe Farbe des Fleisches wird zum grossen Theile dadurch bedungen. Die Arterien derselben treten gewöhnlich an mehreren Stellen in sie ein, dringen zAvischen den Bündeln schräg bis zu einer gewissen Tiefe vor und senden auf- und absteigende Aeste ab, welche der Längenrichtung der Bündel folgen und sich in capillare Zweige auflösen. Diese um- stricken die Muskelfasern mit lang- und schmalgegitterten Netzen, ohne in das Innere der Fasern selbst einzugehen. — Die Nerven stehen oft in einem grossen Missverhältniss zur Masse der Muskeln. Sehr kleine Muskeln haben oft starke, — sehr grosse Muskeln da- gegen schwache Nerven. Als besonders eclatante Beispiele dienen die Augenmuskeln mit ihren dicken und die massigen Gesässmuskeln mit ihren dünnen motorischen Nerven. — Chassaignac unterwarf alle Muskeln der Extremitäten einer Untersuchung der Eintritts- stellen ihrer Nerven und fand, dass die Nerven nie im oberen Viertel und nie unter der Mitte eines Muskels eintreten, das heisst also, wie mir scheint: sie treten im ZAveiten Viertel der Muskellänge ein. So viel ich gesehen habe, kommen sehr zahlreiche Aus- nahmen von dieser angeblichen Regel vor. Ja es giebt sogar mehrere §. 33. Chemisches über das Muskelgewebe. 133 Muskeln, welche in ihrer oberen und Hinteren Hälfte einen motorischen Nerv erhalten. Es wurde einst viel darüber gestritten, ob die röthe Farbe der Muskeln von dem Blute ihrer zahlreichen Capillargefässe herrühre, oder der Muskelfaser eigenthümlich sei. Die mikroskopische Beob- achtung einzelner Muskelfasern lässt eine gelbröthliehe Färbung derselben erkennen, welche ganz genügt, bei solcher Anhäufung von Fasern, wie sie in der Fleischmasse eines Muskels stattfindet, die intensive Färbung des letzteren zu erklären, obwohl nicht ge- läugnet werden kann, dass die Gregenwart des Blutes den Purpur des Fleisches erhöhen muss. Ein durch Wasserinjection in die Blut- gefässe ausgewaschener Muskel wird wohl blässer, aber nicht weiss. Die anatomischen Eigenschaften der quergestreiften Muskel- fasern sind unter dem Mikroskop leicht zu erkennen. Schwieriger wird die Beobachtung ihrer Fibrillen, welche nur nach voraus- gegangener Maceration in verdünntem Weingeist gelingt, besonders an den Rissstellen der Fasern, an welchen sich die Fibrillen von selbst auseinanderlegen. Um die Scheiben einer quergestreiften Muskelfaser von einander weichen zu machen imd eine klare An- sicht derselben im isolirten Zustande zu gewinnen, macerirt man die Faser durch 24 Stunden in verdünnter Salzsäure. Dasselbe Zer- fallen in Scheiben erleiden die Muskelfasern nach Frerichs durch die Einwirkung des Magensaftes und nach meinen Beobachtungen auch durch Mundspeichel, wie man an jenen Fleischresten zuweilen sehen kann, welche beim Reinigen des Mundes in der Frühe mit dem Zahnstocher zwischen den Zähnen hervorgeholt werden. — Die mikroskopische Untersuchung der organischen Muskelfasern erfordert den Grebrauch der Reagentien, unter welchen Salpeter- säure, welche sie gelb färbt, und Kalilauge, welche sie leichter isolirbar macht, am meisten angewendet werden. Um die lebendige Contraction von Muskelfasern wahrzunehmen, bedient man sich eines sehr dünnen und durchscheinenden Bauch- muskels eines Frosches. Derselbe muss auf der belegten Seite eines Stückchens Spiegelglas, an welcher man zur Beobachtung des Mus- kels bei durchgehendem Licht, in der Mitte die Folie etwas abkratzte, ausgebreitet, und mit dem Rotationsapparate unter dem Mikroskope gereizt werden. §.33. Chemisclies über das Muskelgewebe. Durch Maceriren lassen sich, wie schon gesagt, die animalen Muskelfasern in ihre Fibrillen zerlegen und verlieren zugleich ihre rothe Farbe fast gänzlich, da der ihnen anhängende Farbstoff, welcher mit dem Blutroth identisch zu sein scheint, im Wasser löslich ist. 1 34 §• 1*3. riiomisclip« Ober «las Muskulgowelio. I-<äns;pros Vorwcilon an dpr Tjiift rötliot sie durcli Oxvdirun^- dieses f^arl>st()ft'es und «Inri-li Verdunstunii' d«>s Wassers. IO>siL;- und Salz- säure» zerst(">r(Mi ihre (^uerstrcifuni;- tiii" iiniiicr. l)urcli concentrirti» Salpetersäure ^verden ihre dunklen (^uersrlieiben i;'ell) i;et"ärl)t, die lielleu aher autyelöst. Vollkoinnien eingetrocknet ■werden sie sclnvarz- braiin, wie an den Mumien in den Katakomben der St. Stephaus- kirclie und fi;eii beschreibt, nnd somit die S(dinellii;keit der liewei^inii;' i-eiddicli ersetzt, Avas an Mnskelkraft selieinbar veri;endet Avurde. Die Zufuhr des arteriellen Blutes übt nach Segalas und Fowler einen wifhtio-cn Einfluss auf die Erhaltung di-r Irritabilität. Die Irritabilität vermin- dert sich sogar nach Unterbindung der Arterien schneller, als nach Durch- schneidung der Nerven. Unterbindnng der Aorta abdonunalis erzeugte bei einer Katze Paresis, d. i. unvollständige Lähmung der hinteren Extremitäten schon nach 10 Minuten. Ebenso äussert beim Menschen die Ligatur der grossen Stämme der Gliedmassen, obgleich sie den Kreislauf nicht vollkommen aufhebt, eine merkwürdige Einwirkung auf die Bewegungsfähigkeit, welche unmittelbar nach der Operation auf ein Minimum reducirt ist, und sich erst mit der Entwicklung des Collateralkreislaufes wieder einstellt. Da ein Muskel, wenn er vom Leibe getrennt wird, eine Zeitlang seine Organisation und die davon ausgehenden Kräfte behält, bevor er durch die Fäulniss zerstört wird, so wird die Irrita- bilität auch an ausgeschnittenen Muskeln, oder in der Leiche, kürzere oder längere Zeit sich erhalten. §. 35. Sensibilität, Stoffwechsel, Todtenstarre und Tonus der Muskeln. a) Sensibilität. Die Sensibilität eines Muskels mnss eine g-erini2:e <;enannt werden. Das Durchschneiden der Muskeln bei Amputationen schmerzt bei Weitem Aveniger als der erste Hautschnitt. Auch das bei Operationen am Lebenden so oft nöthig-e Auseinanderziehen nachl)arlicher Mus- keln, um auf tiefere Gebilde einzudrin<^en, setzt keine Steig'erung' der Schmerzen, AA'elche mit dem operativen Eingriffe überhaupt g-egeben sind. Die äusseren mechanischen Verhältnisse, in AAelchen ein Muskel sich befindet, die Reibung-, die Zerrung- und der Druck, denen er fortAA'ährend ausgesetzt ist, Avären mit grosser Empfindlichkeit des- selben nicht Avohl A'erträglich gcAvesen. NichtsdestoAveniger besitzt der Muskel ein sehr scharfes und richtiges Gefüld für seine eigenen inneren Zustände, für Mangel oder üeberfluss an Kraft. Es äussert sich dieses Gefühl in seinen beiden Extremen als Ermüdung oder Erschöpfung, und als Kraftgefühl. Wir Averden uns der Grösse der Contraction in jedem Muskel mit einem solchen, durch Uebun«^ noch zu schärfenden Grade von Sicherheit beAvusst, dass AA^r daraus ein Urtheil über die Grösse des überAvundenen Widerstandes, über Ge\Aicht, Härte und Weichheit eines Gegenstandes abgeben können, §. 35. Sensibilität. Stotfwpchsel. Todtenstarre iiml Tonus der Muskeln. 139 nud die MiiskelbeAveg-ung ein wichtiges und nothwendiges Grlied des Tastsinnes Avird. Unter krankhaften Beding-nng-eu steigert sieh die Empfindlichkeit der Muskeln bis zum heftigsten Schmerz, wie bei den tonischen Krämpfen. h) Stoffivechsel. Die Ernährungsthätigkeiten, der Stoffwechsel, gehen im leben- den und arbeitenden Muskelfleische sehr lebhaft von Statten. Der absolute Reiehthum der Muskeln und Blutgefässe spricht dafür und wird dadurch noch bedeutungsvoller, dass er blos dem Ernährungs- geschäfte und keiner anderen Nebenbestimmung (z. B. der Abson- derung wie bei den Drüsen) gewidmet ist. Häufige Uebung und Grebrauch der Muskeln fördert ihre Entwicklung und bedingt ihre Zunahme an Masse und Gewicht. Muskelstärke lässt sich deshalb bis zu einem unglaublichen Grrade, durch planmässige Uebung er- zielen. Diese Kunst verstehen die Japanesen am gründlichsten, wie die unmöglich scheinenden Kraftäusserungen ihrer Athleten beweisen. — Die Zahl der Fasern wird in einem durch Gebrauch an Dicke zunehmenden Muskel wirklich vermehrt, während die absolute Dicke der einzelnen Fasern nicht augenfällig zunimmt. Ein athletischer Turner und ein schwächliches Mädchen lassen in den Dimensionen ihrer Muskelfasern keinen frappanten Unterschied erkennen, wenn die Yolumsdifferenz der ganzen Muskeln auch das Fünfi'ache beträgt. So habe ich es gefunden — Andere natürlich anders. ■ — Yon der absoluten Vermehrung der Muskelsubstanz (Hypertrophie), unter- scheidet man die scheinbare, welche durch Yerdickuilg der Binde- geAvebsscheiden der einzelnen Muskelbündel gegeben wird. — An- dauernde Unthätigkeit und Ruhe eines Muskels bedingen dessen Schwund (Atrophie), wie bei Lähmungen und allgemeiner Fettsucht. — Die Muskelsubstanz erzeugt sich, wenn sie durch Krankheit oder Verwundung verloren ging, nie wieder, und ein entzwei geschnittener Muskel heilt nicht durch Muskelfasern, sondern durch ein neuge- bildetes, fibröses Gewebe zusammen. c) Todtenstarre. Ein Phänomen am todten Muskelfleisch interessirt den Ana- tomen als Todtenstarre, Rigor mortis. Bei allen Wirbelthieren wird sie beobachtet. Sie stellt sich im Menschen nie vor 10 Minuten und nie nach 7 Stunden post mortem ein. Sie äussert sich als eine allmälig zunehmende Verkürzung der Muskeln mit Hartwerden der- selben. Der Unterkiefer, Avelcher im Erlöschen des Todeskampfes durch seine Schwere herabsank, wird durch die Todtenstarre seiner Hebemuskeln gegen den Oberkiefer so fest hinaufgezogen, dass der Mund nur durch grosse Kraftanstrengung geöfi'net werden kann; 140 §■ 35. Sensibilität, Stoffwechsel, Todtenst.irre und Tonus der Muskeln. (1er Nacken wird steif, der Stamm gestreckt, die Gliedmassen, welche kurz uacli dem Tode weich uud l^ewenlich waren und in jede Stel- lung gebracht werden konnten, wt'nU'n hart, starr und unbeugsam; der Daumen wird, wie beim Embryo, unter die zur Planst gebeugten Finiier ein<;ezoo-eu etc. Die Todtenstarre ist es, welche die bei ärmeren Leuten übliche Sitte entstehen Hess, dem eben Verschiedenen sogleich die Wäsche auszuziehen, da sie einige Stunden nach dem Tode, der Starrheit des Leichnams wegen, nur losgeschnitten werden kann. Ebenso legt man schwere Körper, z. B. Münzen, auf die im Sterben sich schliessenden Augenlider, damit die Lidspalte durch die mit dem Erstarren verbundene Verkürzung des Levator palpebrac nicht eröffnet werde, — Selbst Muskeln, welche gelähmt waren, bleiben von der Todtenstarre nicht verschont. Ihre Dauer ist sehr ungleich. Sie richtet sich nach dem früheren oder späteren Ein- treten der Starre in der Art, dass sie desto länger dauert, je später sie sich einstellte. Je schneller Fäulniss eintritt, desto früher schwindet die Todtenstarre. Mit dem Eintritt der Starre erlischt auch die Reiz- barkeit in den Muskeln. Die Starre kann nicht von der Gerinnung des Blutes abhängen, da sie nach Verblutungen sehr intensiv zu sein pflegt und bei Ertrunkenen, wo das Blut nicht gerinnt, ebenfalls eintritt. Man huldigt gegenwärtig der Ansicht, dass das im Muskel- fleische enthaltene Fibrin durch seine Aussclieidung und Coagulation die Todtenstarre bedingt. Beginnt die Erweichung des Fibrins durch das organische Wasser des Muskels beim Eintritt der Fäulniss, so schwendet di,e Starre. d) Muskeltorms. Wir liaben noch ein sehr oft gebrauchtes Wort anzuführen — den Tonus der Mu.^^keln (von Tftr«, spannen). Wir verstehen dar- unter einen auch im Zu.stande der Ruhe dem Muskel zukommenden Spannungsgrad, welcher ihm nicht erlaubt, bei rein passiver Ver- kürzung, wie sie z. B. bei Knochenbrüchen mit Uebereinanderschieben der Bruchenden vorkommt, zu schlottern, oder sich zu knicken. Dieses Vermögen, bei jeder Verkürzung geradlinig zu bleiben, muss auf einer beständig thätigen Contractionstendenz wie in gespannten -elastischen Strängen beruhen, welche, um ein Wort zu haben, Tonus genannt werden mag. — Ist ein Organ mit mehreren Muskeln aus- gestattet, welche in entgegengesetzter Richtung, aber symmetrisch au dasselbe treten, und würden die Muskeln der einen Seite plötzlich gelähmt, so wird das Organ, ohne dass Avir es wissen und wollen, durch den Tonus der Muskeln der gesunden Seite nach dieser Rich- tung gezogen und bleibt in einer permanenten Abweichung. So wird z. B. bei halbseitigen Gesichtslähmungen der Mund gegen die gesunde Seite verschoben. — Wird ein Muskel entzwei geschnitten, §. 36. Verliältniss der Miaskeln zu ihren Sehnen. 141 SO ziehen sich seine Enden zurück, und der Schnitt wird eine weite Kluft. Alles dieses erfolgt ohne Willenseinfluss als nothwendige Folge des Tonus. Die Zurückzieliung durchschnittener Muskeln hat für den Wundarzt hohe Wichtigkeit. Würde eine Gliedmasse, wie es vor Zeiten geschah, und bei den Beduinen jetzt noch üblich ist, durch einen Beilhieb amputirt oder abgedrellt, so wird die Schnittfläche des Stumpfes eine Eegelfläche sein, an deren Spitze der Knochen vorsteht, welcher durch die gleichfalls sich zurückziehende Haut nicht bedeckt werden kann. Die Amputation darf deshalb nicht in einem Trennungsacte bestehen, sondern muss in mehreren Tempo's verrichtet werden, indem die Muskeln tiefer unten als der Knochen entzweit werden sollen. §.36. Yerliältniss der Muskeln zu üiren Sehnen. Die willkürlichen Muskeln stehen nicht ganz ausnahmslos an ihrem Anfange und Ende mit fibrösen, metallisch glänzenden Strängen, oder, wenn sie zu den breiten Muskeln gehören, mit solchen Häuten in Verbindung, welche Sehnen, Tendines, und Sehnenhäute, Aponeuroses, heissen. Die Fasern, aus welchen sie bestehen, sind Bindegewebsfasern, mit air den Eigenschaften, welche diesen zu- kommen. Man bedient sich deshalb mit Vorliebe gewisser Sehnen, um Bindegewebe mikroskopisch zu studiren. Der parallel-faserige Bau der Sehnen war die Ursache, warum die alten deutschen Anatomen die Sehnen Flachs ädern nannten. Die uns gewiss be- fremdende Benennung einer Sehne als Ader verliert ihre Sonderbarkeit, wenn man bedenkt, dass das Wort Ader nicht blos für Blutgefässe, sondern auch für solide, runde Stränge üblich war. So Messen z. B. die Nerven Spann- adern, und zwar noch im vorigen Jahrhundert. Aus der alten Flachsader haben die Wiener ihre F laxen (für Sehne) entnommen. Damit mehrere Muskeln zugleich von einem Punkte des Skeletes entspringen, oder an einem solchen enden können, mussten sie an ihrem Anfange und an ihrem Ende mit Sehnen versehen werden, deren Umfang bedeutend kleiner, als jener der Muskeln selbst ist. In vorsorglicher Raumersparniss liegt somit der letzte Grrund der Sehnenbildung. Man unterscheidet die Sehnen als Urspriings- und Endsehnen. Diese wurden vor Zeiten Caput und Cauda nmsculi genannt, während das eigentliche Fleisch Muskelbauch, Venter muscuU, hiess. Diese Namen passen jedoch nur auf die langen und spindelförmigen Muskeln, deren Gestalt in der That an eine ge- schundene Maus erinnert, mit Kopf, Leib und Schweif, jedoch ohne Gliedmassen. Durch langes Kochen kann die Verbindung von Muskeln und Sehnen so gelockert werden, dass man beide ohne Gewalt trennen kann. Um den Ueber- gang von Muskelfleisch in Sehnen nicht durch einen plötzlichen Abschnitt, sondern mit allmäliger Abnahme des Umfanges eines Muskels möglich zu ■ machen, reichen die Sehnen entweder im Fleische, oder an einem Eande des Muskels weiter hinauf, wodurch sich viele Muskelfasern nach und nach an die 14J S. 3". Bcnciiiiuiij,' uiul Eiiitlieiluiig der Mu^kt'ln. Seline ansetzen können, und eine gefällipere Form des sich gegen Ui'sprung und Ende verjüngenden ]\rnskelbaufio tiUiäinea, weil eine solche Stelle das Ansehen hat. als sei mit Sehnenfarlie auf dem rotlien Muskel in querer Richtung gekritzelt worden. Es darf nicht als Ursache dieses l nterhrechens eines Muskels mit Zwisclienselinen angesehen Averden, dem Muskel grössere Festigkeit zu geben, weil von mehreren Muskeln, Avelclie durch Länge, Dicke und Wirkungsart überein- stimmen, nur einer diese Einrichtung besitzt, während sie den übrigen fehlt. 80 hätte z. B. der Miisridus sterno-hyoideHS ihrer nicht weniger bedurft, als der damit versehene kürzere Sterno-thyreoldeus, und der Gracilis hätte ihrer ebenso benöthigt, wie der gleich lange Seini- teudinosns. Eine Liscriptio tendinea giebt zugleich ein gutes Bild einer Muskelnarbe. Verläuft die Sehne im Fleische eines Muskels eine Strecke aufwärts, und befestigen sich die Muskelbündel von zwei Seiten her unter spitzigen Winkeln an sie, so heisst ein solcher Muskel ein gefiederter, M. pennatvn. — Liegt die Sehne an einem Rande des Fleisches und ist die Richtung der Muskelbündel zu ihr ebenso schief Avie beim gefiederten Muskel, so Avird er halbgefiedert, M. semipemiatus, genannt. — Hat ein Muskel mehrere ürsprungs- sehnen, Avelche fleischig Averden, und im Aveiteren Zuge in einen gemeinschaftlichen Muskelbauch übergehen, so ist er ein ZAvei-, drei-, vierköj)figer, hicepn, trk-eps, quadriceps. Die Stelle, wo die Ursprungs- und Endsehne eines Muskels an» Knochen haftet, heisst Punctum oraiinis et insertionis. Man hat sie auch Punctum fixum et mobile genannt, wobei jedoch übersehen wurde, dass die meisten Muskeln unter gewissen Umständen das Punctum fixum zum mobile machen können. Es wird dieses von der Stärke des Muskels, und von der grösseren oder geringeren Beweglichkeit seines Ursprungs- oder Endpunktes abhängen. So wird der Joch- muskel immer den Mundwinkel gegen die Jochbrücke, und nicht umgekehrt bewegen, während der Biceps brachii den Vorderarm gegen die Schulter, aber auch, wenn die Hand sich an etwas festhält, die Schulter, und mit ihr den Stamm, der Hand nähern kann. §. 37. Benennung und Eintheilung der Muskeln. In der Nomenclatur der Muskeln herrscht keine Gleichförmig- keit und kann auch keine herrschen. Da viele Muskeln einander sehr ähnlich sind, so reicht man mit der Benennung nach der Ge- stalt nicht aus. Da mehrere derselben «ileiche Wirkunii haben und §. 37. Beneuiuiug und Eiutlieilung der Muskeln. l4d aucli ihre Ursprung-s- und Endpunkte übereinstimmen, so lassen sieh weder Benennungen nach der Wirkung-, noch zusammengesetzte Ausdrücke, welche Anfang- und Ende des Muskels bezeichnen, all- gemein gebrauchen. Wo es angeht, ist ein aus Ursprung und Ende des Muskels zusammengesetzter Name jeder anderen Benennung vorzuziehen, weil er gewissermassen eine Beschreibung- des Muskels enthält und das Erlernen vieler Muskeln am wenigsten erschwert. Chaussier, Dumas und Schreger haben es versucht, die Ter- minologie der Muskeln von diesem Gresichtspunkte aus zu reformiren, ohne dass ihr Bemühen Anklang gefunden hätte. Ihre neuen Namen fielen zu lang aus. Die animalischen oder willkürlichen Muskeln lassen sich nach ihrer Form folgendermassen eintheilen: a) Lange Muskeln, mit vorwaltender Ausdehnung in die Länge. Ihre Fasern laufen in der Regel parallel. Sie sind wieder einfach oder zusammengesetzt imd werden letzteres dadurch, dass sich mehrere Köpfe in einen Muskelbauch vereinigen, oder ein Muskelbauch mehrere Endsehnen entwickelt, wie an den Beugern und Streckern der Finger und Zehen. Der Zahl nach überwiegen sie weit die folgenden Formen. h) Breite Muskeln, mit Flächenausdehnung in die Länge und Breite. Sie entspringen entweder ohne Unterbrechung- von langen Knochenrändern oder mit einzelnen Bündeln von mehreren neben einanderliegenden Knochen, z. B. den Rippen, wo dann diese Bündel Zacken, Dentationes s. Dlgitationes, heissen. Ihre Sehnen sind nicht strangförmig, sondern, wie ihr Fleisch, in die Fläche ausgebreitet und heissen Aponeuroses. Sie finden sich nur am Stamme und eignen sich ganz vor- züglich zur Begrenzung der grossen Leibeshöhlen. Im Hippo- crates finden wir ccnovsv^oiGig nicht als sehnige Ausbreitung, sondern überhaupt als Uebergangsstelle des Muskelfleisches in die Sehne, sei diese rundlich oder breit {Nevqov Avar bei den Grriechen nicht Nerv, sondern Sehne). c) Dicke Muskeln. Alle Muskelkörper von namhafter Mächtig- keit heissen so. Sie sind durch ihre Stärke ausgezeichnet und haben entweder parallele Fleischbündel, wie der Glutaeus magnus, oder verfilzte, wie der Deltoides. d) Ringmuskeln. Sie umgeben gewisse LeibesöfFnungen, deren Yerschluss sie zu besorgen haben. Einer derselben, der Schliess- muskel des Mundes, besitzt keine Sehne. Muskeln, welche gleiche Wirkung haben, oder sich wenigstens in der Erzielung eines gewissen Effectes synergisch unterstützen, heissen Coadjutores ; jene Muskeln, deren Wirkungen sich gegenseitig neutralisiren, Antagonistae . 144 §■ 38. Allgemeine inei'lianisclie Verhältnisse der MuäVeln. Beuger und Strecker, Auswärts- und Eiuwärtswender, Aufheber und Nieder- zieher sind Antagonisten, mehrere Beuger dagegen Coadjutoren. Unter Um- ständen können Antagonisten Coadjutoren werden. So werden alle Muskeln des Armes, wenn es sich darum handelt, ihm jenen Grad von Starrheit und Un- heugsamkeit zu geben, welcher z. B. beim Stemmen oder Stützen nothwendig wird, für diese (lesaiimilwirkung Coadjutoren sein. §. 38. Allgemeine meclianisclie Yerliältnisse der Muskeln. Da jede Muskelfaser die Kiclitnng- einer Kraft bezeiclinet, so finden die statischen und dynamischen Gesetze der Kräfte über- liau])t auch auf die Muskeln ihre Anwendung-. Folgende mechanische Verhältnisse ergehen sich zunächst aus dieser Anwendung. 1. Muskeln, deren Fasern mit der Länge des Muskels parallel laufen, erleiden, wenn sie wirken, den geringsten Verlust an be- Aveuender Kraft, indem ihre AVirkunu' iileich ist der Summe der Partiahvirkungen ihrer einzelnen Bündel und Fasern. — Muskeln mit convergenten Bündeln wirken nur in der Richtung der Diagonale des Kräfteparallelogramms, dessen Seiten durch die convergirende Richtung der Muskelfasern gegeben sind, und haben somit einen TotalefFect, welcher kleiner ist, als die Summe der partiellen Lei- stungen aller Bündel. Je spitziger der Vereinigungswinkel ZAveier Bändel, desto geringer ist ihr Kraftverlust; je grösser der Winkel, desto grösser. 2. Bei Muskeln mit längsparalleler Faserung steht die Grösse ihres Querschnittes mit der Grösse ihrer möglichen Wirkung in geradem Verhältniss, d. h. ein Muskel dieser Art, welcher zweimal so dick ist, als ein anderer, wird zweimal mehr leisten können als dieser. Die Länge eines Muskels mit paralleler Längsfaserung hat sonach auf seine Kraftäusserung keinen merklichen Einfluss, wohl aber seine Dicke. Ein langer Muskel wird nicht kräftiger sein, als ein kurzer von gleicher Breite und Dicke. Nur absolute Vermeh- ning der Muskelfasern steigert die Kraft eines Muskels. Lange Muskeln, in welchen die einzelnen Bündel sehr kurz sind, Aveil sie mehr der Quer- als der Längenrichtung des Muskels entsprechen (z. B. die Pennati, Semipennati) , werden somit mehr Kraft auf- bringen, als gleich lange Muskeln mit zur Sehne parallelen Fasern. Dagegen wird die Grösse der Verkürzung bei letzteren eine be- deutendere sein. 8. Man unterscheidet den anatomischen Querschnitt eines Muskels vom physiologischen. Der anatomische steht senkrecht auf der Längenaxe des Muskels, — der physiologische steht senk- recht auf der Faserrichtung des Muskels. Ersterer ist immer plan. T>etzterer kann auch eine krumme Ebene sein, wie er es bei allen §. 38. Allgemeine raechauische Verhältnisse der Muskeln. 145 Muskeln mit radienartig convergirenden Fasern sein miiss. Nur bei Muskeln, deren Faserung der Länge derselben parallel zieht, fällt der physiologische Querschnitt mit dem anatomischen zusammen. 4. Ein Muskel mit längsparalleler Faserung, kann sich im Maximum um Ys seiner Länge zusammenziehen. Dieses wurde wenig- stens beim Musculus liyoglossus des Frosches beobachtet. Für die einzelnen menschlichen Muskeln konnte keine Norm aufgestellt werden, weil sich an ihnen nicht experimentiren lässt. 5. Je weiter vom Grelenk und unter je grösserem Winkel sich ein Muskel an einem Knochen befestigt, desto günstiger ist für seine Action gesorgt. Je länger er wird, und mit je mehr Theilen er sich kreuzt, desto grösser ist sein Kraftverlust durch Reibung. In ersterer Hinsicht wirken die aufgetriebenen Gelenkenden der Knochen, die Knochenfortsätze, die Rollen und die knöchernen Unterlagen der Sehnen (Sesambeine), als Compensationsmittel; in letzterer die schlüpfrigen Sehnenscheiden und Schleimbeutel, welche als natürliche Verminderungsmittel der Reibung hoch anzuschlagen sind und für die Mechanik der Bewegung dasselbe leisten, wie das Schmieren einer Maschine, 6. Besteht ein Muskel aus zwei, drei, vier Portionen, welche einen gemeinschaftlichen Ansatzpunkt haben, so wird die Wirkung eine sehr verschiedene sein, wenn nur eine oder alle Portionen in Thätigkeit gerathen. Alle Muskeln mit breiten Ursprüngen und convergenten Bündeln (Deltoides, CucuUaris, Pectoralis major, etc.), können aus diesem Gresichtspunkte zu vielen imd interessanten mechanischen Betrachtungen Anlass geben, welche bei der speciellen Abhandlung dieser Muskeln im Schulvortrage mit Nutzen ein- geflochten werden. 7. Da von der Stellung des Ursprungs zum Endpunkte eines Muskels die Art seiner Wirkung abhängt, so wird eine Aenderung dieses Yerhältnisses auch auf die Muskelwirkung Einfluss haben. Ist z. B. der gestreckte Vorderarm einwärts gedreht, so wirkt der FlexoT hiceps als Auswärtswender; bei auswärts gedrehter Hand der Flexor carpi radialis als Einwärtswender. Auch in dieser Beziehung kann jeder Muskel beim Schulvortrage Gegenstand einer reich- haltigen und sehr lehrreichen Erörterung werden. 8. Die angestrengte Thätigkeit eines Muskels zur Ueber- windung eines grossen Widerstandes, ruft häufig eine ganze Reihe von Contraetionen anderer Muskeln hervor, welche darauf abzwecken, dem erstbewögten einen hinlänglich sicheren Ursprungspunkt zu gewähren. Man nennt diese Bewegungen coordinirt. Es ist z. B. am nackten Menschen leicht zu beobachten, wie alle Muskeln, welche am Schulterblatte sich inseriren, eine kraftvolle Contraction Hyrtl, Lelirbuch der Anatomie. 20. Aufl. ''•" 14(3 S. 3;', l'raklisiOii- HeiiuTkuiiKi-n über das- Muskelgewebe. au.sffilireii. um das SclniltiM'hlatr fcsrzii^tell«*n, wenn der am Hcliulter- ])latt entspriiii^ende Biceps sicli anscliiekt, «»iu grosses Gewicht durch Beugen des ^ nr(hM'arm«*s auf/ailiehen. Würden die Sdinlterhlatt- muskeln in diesem FaUc uutliätii;- hh'ihen, sn würde der Biceps das nicht fixirte Scliulterl»latt, an welchem er entspringt, viel lieber lieral) l)ewegen, als das schwer zu hebende Gewicht hinauf. 9. Da die l'onfiguration der Gelenkendeu der Knochen, und die sie zusammenhaltenden Bänder, die Bewegungsmöglichkeit eines Gelenkes allein bestimmen, so muss sich die Gruppiruug der Muskeln um ein Gelenk liernm. ganz nach der Beweglichkeit desselben richten. Es kann deshalb aus der l)ekannten Einrichtuni; eines Ge- lenks die Laiicrnni; nml Wirkungsart seiner Muskeln im vorhinein angegeben werden. So Averden z. B. an einem Winkelgelenke, welches nur Beugung und Strecknug zulässt, wie die P^iugergelenke, die Muskeln oder deren Sehneu nur an der Beuge- und Streck- seite des Gelenks vorkommen können, während freie Gelenke all- seitig- von Muskellagern umgeben werden. §.39. Praktisclie Bemerkungen über das Muskelgewebe. Ungeachtet des grossen BlutgefässaufAvandes im Muskel, wird er doch von Entzündung nur selten Ijefallen. Wenn sie ihn ergreift, bleibt sie iu der Eegel auf die Scheiden des Muskels und seiner Bündel beschränkt. Die Chirurgen haben mit diesen Entzündungen weit mehr zu thun, als die interne Medicin. Muskelentzündungen nach Amputationen sind immer mit bedeutender Retraction der Muskeln verbunden und es kann somit geschehen, dass auch nach kunstgemäss vorgeniMunuMien Al)setzungeu der Gliedmassen, wenn Entzündung den Stumpf befällt, der Knochen an der Schnittfläche hervorragt — ein für die Heilung der Aniputationswunde sehr nachtheiliger Umstand. Jeder Muskel verträgt einen hohen Grad passiver Ausdehnung, wenn dieser allmälig eintritt, z. B. durch tiefliegende Geschwülste, oder, wie bei den Bauchmuskeln, durch Bauchwassersucht. Er zieiit sich wieder auf sein früheres Volumen zusammen, wie die ausdehnende Potenz beseitigt wird. Dieses ist eine Wirkung des Tonus. Ein relaxirter Muskel reisst leichter als eine Sehne, wenn z. B. eine Gliedmasse durch ein Maschinenrad ausgerissen oder ab- gedreht wird. Befindet sich dagegen ein Muskel in einer energischen Contraction, so reisst nicht er, sondern seine Sehne, oder geht selbst der Knochen entzwei, an welchem sie sich befestigt. Die Risse der Achillessehne, die Querbrüche der Kniescheibe und des Olekranon (welche Brüche im Grunde auch nur Querrisse dieser Knochen sind), entstehen auf solche Art. §. 39. Praktische Bemerkuugeu über das Muskelgewebe. 147 Die YeiTÜckimg der Bruchenden eines gebrochenen Knochens, dessen Fragmente sich nicht aneinander stemmen, beruht grössten- theils anf dem Muskelznge. Sie lässt sich am Cadaver für jede Bruchstelle im voraus bestimmen, wenn man das Verhältniss der Muskeln in Anschlag nimmt, nnd sie erfolgt im vorkommenden Falle immer nach derselben Eichtimg. An gebrochenen Grliedmassen, welche gelähmt waren, oder es durch die den Bruch bewirkende Ursache wurden, ist wenig oder keine Dislocation der Fragmente zugegen, wenn diese nicht durch die brechende Gewalt selbst erzeugt wurde. — Der Muskelzug giebt auch ein schwer zu überwindendes Hinder- niss für die Einrichtung der Verrenkungen ab, und die praktische Chirurgie konnte oft weder durch Flaschenzüge und Streckapparate, noch durch betäubende und schwächende Mittel zum Ziele kommen. Wäre es nicht gerathen, durch Herabstimmimg jener Momente, welche die Irritabilität mitbedingten (Blutzufluss und Innervation), den übermächtigen Muskelzug zu schwächen und die Einrichtungs- versuche mit gleichzeitiger Compression der Hauptschlagader und der Nerven zu verbinden? Unwillkürliche und schmerzhafte, andauernde, oder mit Er- schlaffung abAvechselnde Muskelcontraction heisst Krampf, Spasmus; andauernder gleichzeitiger Krampf aller Muskeln, Starrkrampf, Tetanus (von Te/rco, tendo). Man kann sich von der Grewalt der Muskelcontraction einen Begriff machen, wenn man erfährt, dass Krämpfe Knochenbrüche hervorbringen (Kinnbackenbrüche beim rasenden Koller der Pferde), und bei jener fürchterlichen Form des Starrkrampfes, welcher Opisthotonus heisst, der Stamm sich mit solcher Kraft im Bogen rückwärts bäumt, dass alle Versuche, ihn gerade zu machen, fruchtlos bleiben. Permanent gewordene Contractionen einzelner Muskeln werden bleibende Kichtungs- und Lagerungsänderungen, Verkrümmungen oder Missstaltungen der Knochen setzen, an welchen sie sich be- festigen. Die Klumpfüsse, der schiefe Hals, gewisse Krümmungen der Wirbelsäule und die sogenannten falschen Ankylosen, d. i. Un- beweglichkeit der Gelenke, nicht durch Verwachsung der Knochen- enden, sondern durch andauernde Muskelcontracturen, entstehen auf diese Weise. Währen solche permanente Contractionen lange Zeit, so wandelt sich der Muskel häufig in fibröses Gewebe um und wirkt wie ein unnachgiebiges Band, welches durchschnitten werden muss, um dem, missstalteten Gliede seine natürliche Form wieder zu geben (Myotomie, Tenotomie). Erlöschen des Bewegungsvermögens eines Muskels heisst Läh- mung, Paralysis (nccQaXvco, resolvo, — im Cornelius Celsus heisst die Lähmung resolutio nervorum). Sie bewirkt, wenn sie unheilbar 10* 148 S. 40. Fibröses Gewebe. ist und Jahre audauert, Scinvund des gelälnnten Muskels, Umwand- lung in Fett oder in einen Bindegew ebsstrang-, welelier blos aus den Scheiden der Muskelbündel besteht, deren fleischiger Inhalt eben durch die Atrophie mehr weniger verloren ging. Einfache quere Muskelwundeu heilen um so leichter, je weniger die retrahirteu Euden des z<»rsehnittenen Muskels auseinander stehen. Es muss deshalb dem v(»rwundeten Gliede immer eine solche Lage gegeben Averdeu, in welcher die Auuähernug der beiden Enden des entzweiten Muskels möglichst voUkcjmmeu erzielt av erden kann: die gebogene bei Trennungen der Beuger, die gestreckte bei denen der Strecker, Die Chirurgen sagen, dass ihnen Fälle vorgekommen sind, in welchen sich die Enden eines zerschnittenen Muskels gar nicht zurückzogen, — ein Umstand, welcher bei Amputationen von grosser Bedeutung wäre. Wird nämlich unter der Stelle amputirt, wo ein Nerv in das Muskelfleisch eintritt, so wird die Retraction am stärksten sein, Aveil das obere Ende des Muskels durch seinen Nerven noch mit den Centralorganen des Nervensystems zusammen- hängt. Amputirt man iiber dieser Stelle, so wird der Muskel, dessen Nerv zugleich durchschnitten wird, gelähmt und zieht sich nur durch seinen Tonus wenig zurück. In den Interstitien zwischen den Muskeln verlaufen die grösseren Blutgefässe, Nerven und Saugadern. Die Muskeln können deshalb als Wegweiser bei der Auffindung der Arterienstämme zur Vornalime einer Unterbindung dienen, und da es öfter nothwendig wird, bei der Ausführung chirurgischer Operationen Muskeln zu spalten, um zu tiefliegenden Krankheits-Herden oder Producten zu gelangen, so ist selbst die Kenntniss der Faserung eines Muskels von praktischem Werthe, indem die chirurgische Spaltung eines Muskels, aus leicht begreiflichen Gründen, der Faserung desselben parallel laufen soll. Bei jeder Muskelpräparation im Vortrage lässt sich eine Fülle praktisch- nützlicher Bemerkungen an die rein anatomischen Facta knüpfen, welche ohne alle speciellen Kenntnisse von Krankheiten verständlich sind, und den Schülern den Werth der Anatomie für ihre künftige Bestimmung bei Zeiten schätzen lehren. §. 40. Fibröses Grewebe. Das anatomische Element des fibrösen Gewebes, Textus fibrosus, ist die Bindegewebsfaser. Diese Faser erscheint aber im fibrösen Gewebe feiner als im 2;emeinen Bindegewebe und hat keine wellen- förmige, sondern eine mehr gerade Richtung. Maceration im Kalk- wasser bringt die Bindegewebsfasern des fibrösen Gewebes durch Auflösen des Kittes, welcher sie zusammenhält, zum Auseinander- weichen. Sie sind also sehr leicht darzustellen. Viele derselben §. 41. Formen des fibrösen Gewebes. 149 vereinigen sicli zu Bündeln, zwischen und auf welclien aucli elastische Fasern g-eselien werden. Ich behandle hier das fibröse Grewebe als besondere Grewebsgattung, weil die Formen, in Avelchen es im Körper auftritt, von dem gewöhnlichen Vorkommen des Bindegewebes differiren. — Diese Grewebsart entAvickelt sich im Embryo wie das Bindegewebe aus Zellen, deren sehr lang auslaufende Fortsätze zu Fasern werden, während die Eeste der Zellen mit ihren Kernen, die sogenannten Sehnenkörperchen bilden, welche den Inoblasten gleich werthig sind. Das fibröse Gewebe widersteht dem Zerreissen, der Fäulniss, selbst der Siedehitze länger und besser als gewöhnliches Binde- gewebe, und eignet sich durch diese mechanischen Eigenschaften vorzüglich zum Bindungsmittel starrer Grebilde, z. B. der Knochen und Knorpel, und zu verlässlichen Leitern, durch welche eine Kraft, z. B. vom Muskel aus, auf einen Knochen übertragen wird (Sehnen). Der schimmernde, selbst irisirende Metallglanz, welcher auf einer leichten Kräuselung der Primitivfasern beruht, zeichnet das fibröse Grewebe, wenn es noch frisch ist, vor allen übrigen Gre- weben auf sehr auffallende Weise aus. Die chemischen Eigenschaften der fibrösen Grewebe stimmen mit jenen des Bindegewebes vollkommen überein. Ihre Vitalität ist sehr gering und ihre Blutgefässe verhältnissmässig ärmlich, jedoch, wie sich an der Achillessehne der Kinder beweisen lässt, nicht blos ihrer Bindegewebshülle angehörend. Ihre Nerven sind zwar spärlich, aber mit Bestimmtheit nachgewiesen. Ihre Empfindlichkeit im gesunden Zustande ist kaum des Namens werth. Bei Entzün- dungen derselben jedoch können die furchtbarsten Schmerzen wüthen. Sie besitzen keine Contraetilität. Ich habe zuerst gezeigt (Ueber das Verhalten der Blutgefässe in den fibrösen Geweben, Oesterr. Zeitschr. für prakt. Heilkunde, 1859, Nr. 8), dass in allen fibrösen Geweben schon die kleinsten arteriellen Eamificationen von doppelten Venen begleitet werden. Da sich die Lumina zweier Blutbahnen wie die Quadrate ihrer Durchmesser verhalten, so folgt daraus, dass die Geschwindig- digkeit der venösen Blutbewegung in den fibrösen Geweben eine bedeutend geringere sein muss, als der arteriellen. Daher die Neigung zu Congestion, Stase, Exsudat, welche das Wesen des nur in den fibrösen Gebilden hausenden Eheumatismus bilden. §. 41. Formen des fibrösen G-ewebes. Es lassen sich drei Hauptformen des fibrösen Gewebes auf- stellen: A) das strangförmige, B) die fibrösen Häute und C) das cavernöse Gewebe. A) Das strangförmige fibröse Gewebe besteht aus paral- lelen Bindegewebsfasern, welche sich zu primären Bündeln, diese 150 §.41. Fonni'n dos flbrflson Go-wi>l)es. ZU s(M'iiii(1;iri'i> und .so fort iiucli zu tertiärcMi rniiidcln vci-ciuig'en. I )i(> priin;'ir('ii üüiidclii scIhmikmi eine stnictnidosc, Iciu.ste clastisclie Si'lieide zu l)esitzeu; die sceundäron \\iu\ tertiären dii<;ei;eu liaben Bindei>ewel)sscl»eiden. Den primären Bündeln sind audi elastische Fasern eingewebt, welche sich einander feinste Aeste zusenden. Kernartige, spindelförmige (xh'r ovale Körperi-lieu li('i;en in wech- selnder ]Meng(» zwischen den Bündeln. Man unterscheidet folgende Arten dieser (iewehsform: a) Sehne, in der Volks.sprache Flechse, Tendo, am Ursprungs- nnd Anheftungsende der Muskeln als Temio originis und Tendo insertionis. — Die Römer kannten das Wort Tendo nicht. Das- selbe wurde erst im IG. Jahrhundert durch Bauhin aus dem griechischen rivav gebildet und in die anatomische Sprache eingeführt. Vor Bauhin hiessen die Sehnen CJiordae und h) Band, Ligamentum (dsOfiSg, von deo, binden), Verbindung-sstrang zAveier Knochen oder Befestigungsmittel beweglicher Theile an stabilere. B) Die fibrösen Häute (Membranae ßhrosae, Aponeuroses) , sind Ausbreitungen des FasergeAvebes in der Fläche. Sie enthalten gleichfalls elastische Fasern, und dienen anderen weiclieren Gebilden zur Hülle und Begrenzung. Das Wort Aponeurosis datirt aus Hippocratisdier Zeit. Selbstverständlich luiben wir hier vtvQov nicht in seiner jetzigen Bedeutung als Nerv, sondern in seiner ursprünglichen als Sehne zu nehmen. Sagt doch auch die deutsche Sprache jetzt noch, nerviger Arm für sehniger Arm. Die fibrösen Häute k(Mumen unter dreierlei Formen vor: a) Ausgebreitete Faserhäute. Sie trennen oder begrenzen Höhlen, oder sind ZAvischen gewissen Muskelgruppen als natür- liche Scheidewände derselben eingeschaltet. Hieher gehören: «) das Centrum tendineum diaphragmatis, ß) gewisse Fascien, als: Fascia transversa, hgpogastrica, perinei, iliaca, pahnaris, plan- taris, etc., y) die Zwischenmuskelbänder, Ligamenta intermuscu- laria, 6) die Yerstopfung-sbänder gewisser Löcher und Spalten, Ligamenta ohturatoria. Alle diese Faserhäute stehen dadurch zum Muskelsystem in nächster Beziehung, dass sich viele Muskeln gan.z oder theilweise in sie inseriren, oder von ihnen entspringen, wie Bardelehen von 105 Muskeln gezeigt hat . (Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaften, 15. Bd.). h) Hohle Cylinder, durch Einrollen einer breiten Faserhaut zu einem Rohre, welches andere Gebilde scheidenartig ein- schliesst. Formen derselben sind: «) Muskel- und Sehnen- scheiden, Vaginae musculares und Vaginae tendinwn. Ihre §.41. Formen des fibrösen Gewebes. 151 grösste Ausbildung erreichen sie als sogenannte Fascien, welclie besonders an den Extremitäten eine gemeinsame Hülle für sämmtlielie Muskeln bilden und durch Seheidewände, welche sie zwischen gewisse Muskelgruppen oder zwischen einzelne Muskeln einschieben, eine schärfere Abgrenzung der- selben zu Stande bringen. Mehrere dieser Scheiden umhüllen das Muskelfleisch nur lose; andere dagegen hängen fest mit ihm zusammen, indem sie ihm zum Ursprung dienen. Sie werden nach den Regionen, wo sie vorkommen, als Fascia humeri, antibrachii, femoris, cruris, etc. beschrieben. Die Be- zeichnung Fascia passt aber nicht gut auf diese Form der fibrösen Häute, da dieses Wort bei den Römern nur für lange und schmale Bandstreifen im Grebrauche war, mit welchen neugeborene Kinder so umwickelt wurden, dass nur das Ge- sicht frei blieb, ein Grebrauch, welcher noch in Unteritalien heimisch geblieben ist. — Die Vaginae tendinum, Sehnen- scheiden, sind Fortsetzungen der Muskelscheiden. — ß) Fi- bröse Kapselbänder der Grelenke, Ligamenta capsidaria. Sie stellen hohle Säcke dar, welche die Gelenkenden zweier oder mehrerer Knochen mit einander verbinden, den Höhlen- raum der Gelenke bestimmen und abschliessen, und an ihrer inneren freien Fläche mit Synovialhaut (§. 43, B) überzogen sind. — y) Beinhaut, Periosteum, und Knorpelhaut, Peri- chondrium. Erstere ist reich an Blutgefässen, Avelche Zweigchen in die Poren der Knochen absenden. Die Knorpelhaut dagegen hat nur äusserst spärliche Gefässe. Die wichtige Beziehung beider zur Ernährung ihres Einschlusses Avird durch die tägliche chirurgische Erfahrung hinlänglich constatirt. — ■ ö) Nerven- scheiden, Neurilemmata (hesser Neurolemmata), als Umhüllungs- membranen der Nervenstämme und ihrer Verästlungen. Sie erreichen selbst an den grössten Nervenstämmen nie die Stärke der übrigen fibrösen Scheidengebilde, von welcher Regel nur die Scheide des Sehnerven eine solenne Ausnahme bildet. — Viele Anatomen reihen die Nervenscheiden nicht den fibrösen Häuten, sondern den Bindegewebsmembranen ein, was doch wohl auf dasselbe hinauskommt. c) Geschlossene fibröse Hohlkugeln, welche die Grösse und Gestalt weicher Organe bestimmen, und ihnen zugleich zum Schutze dienen. Hieher gehören die Faserhaut des Auges, der Hoden, der Eierstöcke, der Milz, die harte Hirnhaut und der fibröse Herzbeutel. Die innere Oberfläche dieser Hohlkugeln ist entweder glatt, oder mit Balken (Traheculae) , oder mit Scheidewänden (Septula) besetzt, welche sich in das weiche 1 52 §■ 42. Praktische Bemerkungen Ober da? filiröse Oewehe. Paronelwin des von diesen Gebilden nniselil()ss«»nen Organes einsenken und es stützen. C) Das cavernöse Gewebe, Te.rtus eaveniosus. Man denke sich von einer fibrösen Hüllnngsmembran eine grosse Anzahl Fort- sätze, Bälkclieu und Fasern nach einwärts abtreten, welche sich verästeln nnd auf inannigfaltige AVeise sich gegenseitig durchkreuzen, so werden sie die Grundlage oder das Gerüste eines cavernösen Gewebes bilden, dessen Lücken durch eine besondere, später zu erwähnende anatomische Einrichtung die Fähigkeit erhalten, strotzend anzuschwellen, Avobei das betreffende Organ hart wird, sich steift, und wenn es eylindrische Form besitzt, sich erigirt. Das cavernöse GeAvebe heisst deshall) auch SchAvellgewebe, Te.vtus erectilis. §. 42. Praktische Bemerkungen über das fibröse G-ewebe. In der geringen Vitalität des fibrösen GeAvebes liegt der Grund, Avarum dasselbe mit Ausnahme der Entzündungen nicht leicht primärer Sitz von Krankheiten wird. Seine Verwendung im Organismus zu rein mechanischen ZAvecken unterAvirft es vorzugsAveise mechanischen Störungen durch Zerrung und Riss, und die oberflächliche Lagerung der Fascien macht ihre VerAviindungen häufig. — Die Constriction, Avelche die Fascien der Gliedmassen auf die von ihnen umschlossenen Aluskeln ausü])en, erklärt es, warum das Muskelfleisch sich durch Wunden oder liisse der Fascien vordrängt und eine sogenannte Hernia muscularis bildet. Bei jeder chirurgischen Operation, welche in eine geAvisse Tiefe eindringt, kommt gcAviss irgend eine Fascie dem Messer entgegen und muss getrennt Averden — Grund genug, Avarum die Kenntniss der Fascien dem Chirurgen nicht abgehen darf Die geringe Ausdehnbarkeit der Fascien wird auf das Wachs- thum, auf die Grösse und Form von Gesclnvülsten Einfluss nehmen, Avelche sich subfascial entAvickeln. Bevor der Operateur zur Exstir- pation von Geschwülsten schreitet, hat er sich die Frage zu be- antAvorten, ob der Tumor innerhalb oder ausserhalb einer Fascie Avurzelt. Jede Ausschälung von Gesclnvülsten extra fasciam ist ein leichter — jede Entfernung krankhafter Gebilde hüra fasciam ein bedeutender chirurgischer Act. Unter die Fascien ergossene Flüssigkeiten (Eiter, GescliAvürs- jauche, Blut) Averden, je nachdem die Fascie stark oder schwach, lückenfrei oder durchlöchert ist, sich leicht oder schwer oder gar nicht einen Weg nach aussen bahnen. Solche Ergüsse können die Fascien in bestimmten Richtungen unterminiren und AA'eitgrei- fende Verheerungen in der Tiefe anrichten, bevor die Oberfläche das Vorhandensein einer solchen Unterwaschung verräth. Sind aber blutige Ergüsse an eine Stelle gekommen, avo die deckende §. 42. Praktische Bemerkungen über das fibröse Gewebe. 153 Fascie dünner wird, oder plötzlicli abbricM, so können sie nun erst durcli blaue Färbung der Haut sieb äusserlicb kundgeben. Die Yerfärbung der Haut deutet somit niebt immer die Stelle an, wo die Gewalt, welebe ein Blutextravasat erzeugte, ursprünglich ein- wirkte. Die geringe Nachgiebigkeit der Fascien wird bei entzündlichen Anschwellungen tieferer Organe, Einschnürungen, und in Folge dieser, Steigerung des inflammatorischen Schmerzes bedingen, wodurch die Spaltung der Fascie durch das chirurgische Messer als Palliatir- mittel nothwendig werden kann. Risse der Fascien äussern, wie jene der Sehnen, wenig Heil- trieb. Ihre entblössten und längere Zeit der Lufteinwirkung preis- gegebenen Stellen zeigen Neigung zum Absterben. Dieses ist beson- ders der Fall, wenn das Bindegewebe, welches mit beiden Flächen einer Fascie zusammenhängt und ihr die Ernährungsgefässe zuführt, vereitert oder rerbrandet, worauf ganze Stücke der Fascien, so weit das Bindegewebe zerstört wurde, absterben und als Fetzen los- gestossen werden. Blossgelegte und ihrer Ernährungsgefässe beraubte Sehnen sterben oft ab, und ihre Trennung Yom Lebendigen (Exfoliation) geht nur allmälig vor sich, wodurch der Heilungsproeess sehr in die Länge gezogen werden kann. Hiebei ist noch zu bemerken, dass die abgestorbene Sehne sich öfters erst in weiter Entfernung von der ursprünglichen Erkrankungsstelle, nämlich an der Einpflanzungs- stelle in das Muskelfleisch von letzterem ablöst. Ich habe bei einem schweren Fall von Panaritium (Wurm am Finger), die ganze Sehne des Flexor pollicis longus aus. der eröfineten Abscesshöhle am Finger als weissen halbmacerirten Faden herausgezogen. Sehnenschnitte, so ausgeführt, dass die Luft keinen Zutritt zur Schnittfläche erhält, wie bei der subcutanen Tenotomie, heilen schnell, besonders wenn die Sehnenscheide nicht gänzlich entzweit wird. Die glücklichen Resultate, welche die neuere Chirurgie in diesem Gebiete aufzuweisen hat, bestätigen diese lange bezweifelte Wahrheit. Die Resultate waren auch in der That so glücklich, dass man mit den Sehnenschnitten eine Zeitlang sehr freigebig verfuhr. Das Wort Tenotomie zählt übrigens zu den stattlichsten Barbarismen der medicinischen Sprache. Hätten die Griechen diese Operation gekannt, so hätten sie dieselbe Tenontotomie, nicht Tenotomie nennen müssen. Doch was liegt am schlechten Wort, wenn die Sache gut und nützlich ist! Die Muskel- und Sehnenscheiden und die fibrösen Ligamenta intermuscularia werden auf die Localisirung gewisser Krankheits- processe einen mächtigen Einfluss üben und Eiterergüsse nur in bestimmten Richtungen zulassen. Erst wenn der Damm durch- 154 §• 43- Seröse Haute. hroc'lien, wclclic eine Fascio dem Waclistliiiin oinor l)ösartig'en Gescliwulst, z. B. ciiKMu Ki-fhs, ('ntgi'i^cn.stelltc, wiicluTt dieser mit tödtlicher Hast. Die weite Yerbreitunu,- des fibrösen Gewebes, die zaldreiolien IJrücken, welclie es zwischen lioeli- und tietliejL^enden Orjuanen bildet, erklären viele krankhafte Sympathien weit A'on einander entfernter Gebilde, welche sonst nicht zu verstehen sind, wie das Wandern von rheumatischen Affectionen von einer Ge<;end zur andern. Die Strassen für diese Wan(h'nin<;en führen durch die fibrösen Gewebe. §. 43. Seröse Häute. Wie das fibröse Gewebe, so erseheinen auch die serösen Häute, Membranae serosae, nur als eine besondere Modification des Bindegewebes, welches hier Avie bei allen HindegeAvebsmembranen in Flächenform auftritt. Sie führen ihren Namen von ihrem Geschäfte. Dieses besteht in der Absonderung eines serösen Fluidums. Dünn, zart und durchscheinend, überziehen sie die inneren Oberflächen solcher Höhlen, Avelche mit der Ausseuwelt keine Verbin(hing haben und sind somit geschlossene Säcke. Sie l)esitzen nur spärliclie Blut- gefässe und Nerven, aber reichliche, zu Netzen verbundene Saug- adern. Die BindegeAvebsbündel, aus welchen sie bestehen, sind mit zahlreichen elastischen Fasern gemischt. Die Ausdehnbarkeit der serösen Membranen ist daher sehr bedeutend, ihre Empfindlichkeit dagegen im gesunden Zustande sehr gering. — Obwohl die serösen Häute der Biudegewebsgruppe angehören, kommt es doch in ihrem GeAvebe Avie in jenem tler Sehnen und Fascien nie zur Fettal)lage- rung, selbst Avenn diese im ganzen BindegeAvebssysteme Avucliert und der Te.xtus celltdarts suhserosus damit überfüllt ist. Jede seröse Haut hat eine freie und eine durch subseröses Bindegewebe an die Wand der betreffenden Holde angeAA^achsene Fläche. Dadurch unterscheiden sie sich von den eigentlichen Binde- geAvebsmeuibranen, Avelche einer freien Fläche ermangeln. Das subseröse l^indegeAvebe ist entAveder dicht, straff und kurz, und in diesem Falle fettlos; oder lose und Aveitmascliig, mit mehr Aveniger Fett. Die freie Fläche der serösen Häute Avird von einschichtigem Plattenepithel bedeckt, dessen flache Zellen von wechselnder Grösse und Form untereinander sehr fest zusammenhängen. Sie erscheint uns eben und glatt, und erhält durch ihre Befeuchtung mit Serum einigen Glanz und Schlüpfrigkeit. An den meisten serösen Häuten finden sich unter dem Plattenepithel eine sehr dünne homogene, structurlose Schichte vf»r, Avelche aber Kerne und feinste elastische Fasern enthält. §. 43. Seröse Haute. 155 Es kommt auch vor, dass sich statt einer serösen Membran nur eine Epithelschicht vorfindet, wie z. B. auf der inneren Fläche der harten Hirnhaut und auf der freien Fläche der Knorpel und Zwischenknorpel der Gelenke, oder dass eine seröse Membran ohne Epithel auftritt, wie in einigen Schleimbeuteln. Als innere Auskleidung- geschlossener Körperliölilen wird jede seröse Membran die Gestalt einer Blase oder eines Sackes Laben müssen, welcher sich der Gestalt der Höhle genan anpasst. Enthält die Höhle Organe, so bekommen diese durch Einstülpung des Sackes besondere Ueberzüg-e von ihm. Man bezeichnet den serösen Ueber- zug der Höhlenwand mit dem Namen Lamina parietalis (äusserer Ballen), und jenen der in der Höhle enthaltenen Organe mit dem Namen Lcmiina visceralis (innerer Ballen) der betreffenden serösen Membran. Je grösser die Anzahl solcher Organe ist, desto compli- cirter wird die Gestalt des inneren Ballens des serösen Sackes, Avährend der äussere, an die Wand der betreffenden Höhle angewachsene Ballen ein einfacher Sack bleibt. Die Lamina parietalis und visceralis dieser serösen Doppelblase kehren sich ihre freien glatten Flächen zu, und da diese schlüpfrig sind, können sie leicht und ohne erheb- liche Reibung an einander hin- und hergleiten. Einen interessanten Befund im Epithel der serösen Membranen hat die Neuzeit aufgedeckt. Es finden sich nämlich im Centrum einer sternförmigen Gruppe von Epithelialzellen, scharfbegrenzte, rundliche, oder dreieckige Stellen als Oeifnungen (Stomata), durch welche die Lymphgefässe der betreifenden serösen Membran, mit der von ihr ausgekleideten Höhle, im freien Verkehre stehen. Im Bauchfell des Frosches sind diese Stomata am leichtesten aufzu- finden. Die sie zunächst umgebenden Epithelialzellen müssen contractu sein, da die Stomata sich öffnen und schliessen können. Die Stomata erklären es uns, wie Ergüsse in die Höhlen der serösen Membranen ebenso schnell wieder verschwinden können, als sie entstanden. Näheres hierüber ist in den Arbeiten der physiologischen Anstalt in Leipzig, 1866, enthalten. Nach Verschiedenheit des Vorkommens und des Secretes der serösen Häute werden folgende Arten derselben unterschieden: A) Eigentliche seröse Häute oder Wasserhäute. Sie kleiden a) die grossen Körperhöhlen aus und erzeugen Einstülpungen für die Organe derselben, oder bilden h) um einzelne Organe herum besondere Doppelsäcke. Zu a) gehören die beiden Brustfelle und das Bauchfell; zu h) die eigene Scheidenhaut des Hodens und der seröse Herzbeutel. — Die allgemeine Regel, geschlossene Säcke zu bilden, erleidet nur bei einer serösen Membran — dem Bauchfelle des Weibes — eine Ausnahme, da dieses durch die Orißcia abdomi- nalia der Muttertrompeten mit der Gebärmutterhöhle und sonach mittelbar mit > der Aussen weit in offenem Verkehre steht. B) Synovialhäute heissen die mit der Innenfläche der fibrösen Gelenkkapseln sehr fest, fast untrennbar verwachsenen, . serösen Membranen. Man hat sie bis auf die neuere Zeit für voll- 1 50 §. 43. Seröso Hftute. kommen g-oschlossoup Säcke «»•ehalteu. Sie kleiden jedoeli die Höhlen der Gelenke nicht voll.ständii;- aus, indem sie blos die innere Fläche der fibrösen Gelenkkapsel überziehen und am Rande der Knorpel aufhören, "widi-he die GelenkHächen der Knochen decken. Auf die Knorpel, -welche die Gelenkenden der Knochen überziehen und auf die Zwiseheuknorpel setzt sich nur das Epithel der Syuovialmembran fort. — Au der Befestigungsstelle der fibrösen Kapsel an die Knochen bildet die Synovialhaut häufig kleinere, theils einfache, theils ge- ästelte oder hahneukammförmig ausgezackte, häufig mit zotten- oder kolbenförmigen Anhängseln versehene Fältchen, welche körniges Fett und sehr oft kleine Avasserhaltende Cysten einschliessen. Diese Fettkörner und Cysten wurden einst für Drüsen gehalten (Glandulae Haversianae), nach ihrem Entdecker, dem Engländer ClaptonHavers (Osteologia novo. London 1691, pag. 167). Man gla\d)te in ihnen die Absondern ngsorg-ane des schlüpfrigen, eiweissartigen Saftes gefunden zu haben, welcher den Binneuraum eines Gelenks beölt und Gelenkschmiere, Synovia (fiv^a bei Hippocrates, verwandt mit mucus) genannt wird. Die Synovia ist jedoch ein Secret der gesammten Synovialhaut, wie das Serum das Secret einer eigent- lichen serösen Haut. Die erwähnten Fältchen der Synovialhaut sind sehr reich an Blutgefässen. Synovia ist kein altgriechisches, sondern ein neulateinisches und barba- risches, von Paracelsus erfundenes Wort, welches von ihm Synophria ge- schrieben wurde. Eine etymologische Erklärung desselben giebt es nicht. Als besondere Unterarten der Synovialliäute erscheinen: a) Die Synovialscheiden der Sehnen, Vaginae tendinum sy)io~ viales. Sie kleiden die fibrösen Sehnenscheiden aus, sind somit Kanäle und erleichtern durch ihr öliges, schlüpfrig-es Secret das Gleiten der Sehnen in diesen Scheiden. Dass sie sich auch auf die äussere Oberfläche der Sehnen umschlagen, also Doppel- scheiden bilden, lässt sich bei den meisten derselben mit Be- stimmtheit erkennen. hj Die Schleimbeutel, Schleimsäcke oder Schleimbälge, Bursae nvacosae — eine ganz unrichtige Benennung, da diese Gebilde keinen Schleim, sondern ein seröses oder eiweiss- ähnliches Fluidum absondern, und zwar in so geringer Menge, als eben zur Befeuchtung ihrer Innenwand hinreicht. Sie stellen verschiedene grosse, abgeschlossene Säcke dar, welche entweder zwischen einer Sehne und einem Knochen, oder zwischen der äusseren Haut und einem von ihr bedeckten Knochenvorsprung eingeschaltet sind und deshalb in Bursae mucosae subtendinosae und suJirutaneae eingetlieilt werden. Verminderung der Eeibung liegt ihrem Vorkommen zu Grunde, Die Bursae subtendinosae §. 44. Prattische Bemerkungen über die serösen Häute. 157 eommuniciren öfters mit den Höhlen nalielieg-ender Grelenke. — Viele, namentlicli nengebildete (ac ei den teile) Schleim- beutel sind nnr HoUräiime zwischen sich reibenden Binde- gewebspartien, welche eines besonderen Epithels entbehren und keine Synovia, sondern Serum oder eine colloide Substanz absondern. Luschka, Structur der serösen Häute. Tübingen 1851. Der Ausdruck Bursa mucosa, welcher unriclitig ist, da die Bursa keinen Schleim secernirt, wurde zuerst von Alex. Monro, 1788, gebraucht fDescription of the bursae mucosae Edinh., 1188). — Bursa gehört zu den neulateinischen Wörtern. Kein römischer Autor gebraucht dasselbe. Ohne Zweifel entstand es aus dem griechischen ßvQoa, welches einen Schlauch bedeutet, welcher aus einer abgezogenen Thierhaut verfertigt wurde, wie jetzt noch die Weinschläuche in den südlichen Ländern Europas. Das Serum der echten serösen Membranen und die Synovia unterscheiden sich nur durch ihren Eiweissgehalt, welcher im Serum 1 pCt., in der Sy- novia 6 pCt. in 100 Theilen Wasser beträgt. Salzsaures und phosphorsaures Natron nebst phosphorsaurem Kalk findet sich in beiden in sehr geringen Quantitäten. Der Eiweissgehalt bedingt die Gerinnbarkeit beider Flüssigkeiten, welche bei kräftigen Individuen und gut genährten Thieren bedeutender ist, als bei schwächlichen. Bei mikroskopischer Untersuchung der Synovia findet man auch abgestossene, fettig degenerirte, in Auflösung begrifi'ene Epithelialzellen und deren freie Kerne vor. §. 44. Praktische Bemerkungen über die serösen Häute. Da das Blutserum dieselben Bestandtheile wie das Secret einer serösen Membran enthält, so erscheint die Absonderung der serösen Häute als ein Durchschwitzen oder Sintern des Blutserums, dessen Strömung nach der freien Fläche der Haut zustrebt. Diese Strömung geht mit grosser Schnelligkeit vor sich, wie man an der schnellen Ansammlung von Serum in den eben durch Punktion ent- leerten wassersüchtigen Höhlen (Bauchhöhle, Tunica vaginalis propi^ia testis) beobachten kann. Die Wiederansammlung des Wassers in der Bauchhöhlenwassersucht nach geschehener Entleerung durch den Bauchstich (Paracentesis, naqaKevxm, cornpungo) , lässt sich selbst durch kräftige Einschnürung des Bauches mittelst Bandagen nicht hintanhalten. — Bei normalem Sachverhalte wird nicht mehr Serum abgesondert, als eben zur Befeuchtung der freien Fläche einer serösen Membran nöthig ist. Krankhafte Vermehrung dieses serösen Secretes bildet die Höhlenwassersuchten (Hydrothorax, Hydro- cephalus, Ascites von aOKog, uter etc.). Die Orgiane, welche in einer Leibeshöhle eingeschlossen sind, füllen diese so genau aus, dass nirgends ein leerer Kaum erübrigt. Es ist somit in diesen Höhlen kein Platz für serösen Yapor vor- handen, von welchem man früher träumte. Die Bauchwand und die Brustwand sind mit der Oberfläche der Bauch- und BrusteingeAveide lo8 §. 44. Traktisdic Bi'iiuMkuii(,'on n1)er die soröseii Haute. in «genauem Coiitaet. Wünlo ir^iMidwo /.wi.sc-licn Wiiiul und Inhalt einer Ilölile, ein leerer Kaum .sich hihhMi, so wür(h' (h'r äussere Luttdruck die Wand so vi(d eindrücken, als zur Veniiehtuug des leeren Kaumes ei-t'orderlich ist. Wasserdunst von so i^-erinj^pr Span- uunii', wie sie die Leibeswärnie L;-eb(»u könnte, würde dem Luft- drucke nicht da.s Gleichgewicht halten können. Hat sich dagegen das wässerige Secret einer serösen Membran in grösserer Menge angesammelt, dann schwillt die Höhle in dem Maasse auf. als die flüssige Absonderung zunimmt. Wird (Mne solche hvdropische Höhle angestochen, so springt die Flüssigkeit im Strahle wie aus einer Fontaine hervor, sidbst wenn die Wand der Höhle nicht von musku- lösen Schichten gebildet Avird. Diese Beobachtung bekräftigt die Elasticität der serösen Membranen, welche selbst nach wieder- holten Ausdehnungen durch Wassersucht niclit ganz und gar ver- nichtet wird. Da die in einander hiueingestülpten Ballen einer serösen Membran (Bichat's Vergleich mit einer doppelten Nachtmütze) sich allenthalben berühren, so darf es nicht wundern, wenn durch Entzündungen, welche mit der Ausscheidung plastischer Stoffe an der freien Oberfläche der serösen Membranen einhergehen, liäufig Yerlöthungen und Verwachsungen beider Ballen stattfinden. Da ferner die im eingestülpten Ballen enthaltenen Eingeweide eine gewisse Beweglichkeit haben, welche auf diese Verwachsungen ziehend oder zerrend einwirkt, so wird die Verwachsnngsstelle, wenn sie einen beschränkten Umfang hatte, nach und nach in die Länge gezogen und zu einem sogenannten falschen Bande, Lig. spurium, metamorplKt.sirt Averden, wie an den Bauch- und BrusteingeAveiden so häuflg beobachtet wird. Solche falsche Bänder haben dann ganz das Ansehen seröser Häute und besitzen auch ihre bindegewebige Structur, Sie sind ebenso gefässarm Avie die serösen Häute und der Wundarzt greift ohne Bedenken zur Scheere, um sie zu trennen, wenn sie z, B. an EingeAveiden vorkommen, Avelche in einer Bruch- geschwulst Heuen und. ihrer VerAvachsungen mit dem Bruchsaek wegen, nicht zurückgebracht werden können. Die Entzündungen der serösen Membranen gehen nicht leicht auf die Organe über, welche von diesen Häuten eingehüllt werden. Der Textus cellularis suhserosus wird dagegen durch Ablagerung gerinnbarer Stoße häufig verdickt und kann in diesem Zustande auf die Ernährung des von ihm bedeckten Organs nachtheiligen Einfiuss äussern. — Der wässerige Thau, welcher die freien Flächen einer serösen Haut befeuchtet, oder die dünne Schichte Synovia einer Synovialmerabran wirkt gewissermaassen als Zwischenkörper, welcher den Con- tact von zwei serösen Hautflächen nur zu einem mittelbaren werden lässt. Es kann deshalb von Verwachsungen derselben nur dann die Rede sein, wenn dieser Zwischenkörper fehlt, oder durch gerinnbare und organisirbare Exsudate §. 45. Gefässsystem. Begriff des Kreislaufes und Eintheilung des Gefässsystems. 159 ersetzt wird. Eine gesunde Synovialhaut wird selbst nach jahrelanger Unthätig- keit eines Gelenkes keine Verwachsungen eingehen. Cruveilhier's Fall ver- dient, seiner Seltenheit wegen, hier erwähnt zu werden. Eine wahre Ankylose des rechten Kinnbackengelenks, hatte auch das linke zu einer 83jährigen TJn- thätigkeit Yerdammt. Die anatomische Untersuchung zeigte weder in den Knorpeln, noch in der Synovialhaut dieses zur ewigen Ruhe gelangten Gelenks eine erhebliche Aenderung. §. 45. G-efässsystem. Begriff des Kreislaufes und Eintheilung des G-efässsystems. Im weiteren Sinne heissen alle häutigen und verzweigten Röhren, Avelche Flüssigkeiten führen: Gre fasse, Vasa, ayysia. Nach Yerschiedenheit dieser Flüssigkeiten, giebt es Luft-, Grallen-, Samen-, Blut-, Lymphgefässe ii. s. w. Unter GeiässHjstem, Si/sfema vasorum, im engeren Sinne, verstehen wir jedoch blos die Blut- und Lymph- gefässe, von welchen hier gehandelt wird, und betrachten die übrigen G^efässe bei den Drüsen, deren wesentlichen Bestandtheil sie bilden. Blut heisst jene im thierischen Leibe kreisende Flüssigkeit, aus welcher die zum Leben und Wachsthum der Organe noth- wendigen Stoffe bezogen werden. Das Blut wird aus den Nahrungs- mitteln bereitet und auf wunderbar verzweigten Wegen, in Röhren, deren Kaliber bis zur mikroskopischen Feinheit abnimmt, in allen Organen mit Ausnahme der Horngebilde und der durchsichtigen Medien des Auges, vertheilt. Die Bewegung des Blutes in seinen Gefässen hängt von der Propulsionskraft eines eigenen Triebwerkes ab. Dieses Triebwerk ist das vom ersten Auftreten des Kreislaufes im Embryo bis zum letzten Athemzug des Sterbenden ohne Rast und Ruhe thätige Herz, welches ununterbrochen Blut aufnimmt und austreibt. Die Gefässe, welche das Blut vom Herzen zu den nahrungsbedürftigen Organen leiten, heissen, weil sie pulsiren, Schlagadern oder Pulsadern, Arteriae; die Gefässe, welche das zur Ernährung nicht mehr taugliche Blut zum Herzen zurückführen, werden Blutadern, Fgnag, genannt. Dem Wortlaute nach sind auch die Arterien Blutadern, — sie enthalten ja Blut. Da man jedoch in jenen Zeiten, aus welchen diese Benennungen stammen, nur die Venen für Blutwege hielt, die Arterien dagegen, weil sie nach dem Tode blutleer getroffen werden, für Luftwege ansah, wie der Name Arteria {anh rov dega rrjQsiv, vom Luftenthalten) ausdrückt, so mag die Beibehaltung des alten Namens hingehen, wenn nur der alte Begriff nicht damit verbunden wird. Der deutsche Ausdruck Ader, im Indischen aedur, bezeichnete ursprüng- lich Blut, wie aus dem angelsächsischen aedrewegga, d. i. Blut weg, Blut- 1 bO §. 45. Geftsssystem. Begriff des Kreislaufes und Eintlieilunp; dos GcfUsssystems. gefäss zu entnehmen, unfl wie das Aderlassen, i. e. Bhitlassen noch heut- zutage bezeugt. Das Wort ciQTTjQia wurde ursprünglieh nur für die Luftröhre gebraucht. Als Erasistratus dieses Wort auch auf die Schlagadern anwendete, erhielt die Luftröhre durch Galen den Namen d^TTj^ia TQctxfTa (ihrer unebenen, querge- ringelten Oberfläche wegen, von tgaxvs, rauh), während er die Schlagadern, ihrer glatt-cylindrischen Oberfläche wegen, als (iQTrjQLat. XtTat, zusammenfasste (von ItTog, glatt, verwandt mit laevis). Man weiss nun, warum heutzutage noch die Luftröhre trachea heisst, d. i. die rauhe (scilicet arteriaj und warum sie auch bei lateinischen Schriftstellern den Namen aspera arteria führt. — Nach uralter Vorstellung gelangte die durch die Luftröhre in die Lungen ge- führte Luft aus diesen durch die Arteriae venosae (unsere heutigen Lungen - venen) in das Herz, und wurde von diesem in die Schlagadern getrieben. Letztere mussten also nach dieser Lehre Luft führen, und verdienten somit den Namen dQrrjQiai. Da man aber bald aus den Verwundungen erfuhr, dass durch- oder angeschnittene Arterien Blut fahren lassen, suchte man die alte Lehre und das alte Wort dadurch zu retten, dass man Blut aus der rechten Herzkammer durch die Scheidewand hindurch in die linke durchsickern Hess, um sich mit der Luft daselbst zu mischen, und sofort, als sogenannter Le- bensgeist, Spintus vitalis, in die Arterien zu gelangen. Im Altdeutschen hiessen deshalb die Arterien Geystadern. Da aber dieser Geist doch nur ein mit Blut gemischtes luftiges Wesen, also kein reines Blut sein konnte, erdachte man sich einen andern Ausweg, um das Bluten verwundeter Schlagadern er- klären zu können. Man Hess nämlich die feinsten Verästelungen der blutfüh- renden Venen mit den feinsten Zweigen der Arterien in Zusammenhang stehen, welcher Zusammenhang aber unter normalen Umständen nicht offen, sondern geschlossen gedacht wurde. Nur wenn die Arterie krankhaft gereizt wird, wie bei Verwundungen derselben, thut sich dieser Zusammenhang auf, so dass Blut aus den Venen in die Arterien hinüber gelangt, und sofort durch die Wunde der Arterie auströmt. Dieses Oeffnen verschlossener Verbindungs- wege zwischen Venen und Arterien war es, welches den Namen Anastomosis führte. Air diesem Gefasel machte die grosse Entdeckung Harvey's über den wahren Sachverhalt des Kreislaufes ein Ende. — Die Venen, welche nach oben erwähnten Vorstellungen allein Blut führten, hiessen cpXfßsg, von qpAf'to, fliessen (das lateinische ßuoj. Der Aderlass heisst jetzt noch Phlebotomia, und die Venenentzündung Phlebitis. Die Arterien verästeln sich nacli der Art eines Baumes, durch fortschreitend Aviederholte Theilungen, in immer feinere Zweige, welche zuletzt in die Anfänge der Venen überg-ehen. Die kleinsten und bisher für structurlos gehaltenen Verbindungswege zwischen den Arterien und Venen, heissen Capillargefässe, Vasa capillaria. Da das Blut aus dem Herzen in die Arterien, von diesen durch die Capillargefässe in die Venen strömt und von den Venen wieder zum Herzen zurückgeführt wird, so beschreibt es durch seine Be- wegung einen Kreis und man spricht insofern von einem Kreis- lauf, Circidatio sanguinis. — Die Capillargefässe lassen den flüssigen Bestandtheil des Blutes (Plasma) durch ihre Wandungen durch- treten, damit er mit den zu ernährenden Organtheilchen in nähere Beziehung kommen könne. Die Oi-gantheilchen suchen sieh aus dem §. 46. Arterien. Bau derselben. 161 Plasma, mit welchem .sie bespült werden, dasjenige aus, was sie an sich binden und für ihre verbrauchten Stoffe eintauschen wollen; der Rest — Lymphe — wird von besonderen Grefässen, w^elche ihres farblosen, wasserähnlichen Inhaltes wegen Lymphgefässe, Vasa lymphatica, und ihrer Verrichtung wegen Saugadern genannt werden, wieder aufgesaugt und aus den Organen neuerdings in den allgemeinen Kreislauf gebracht. Denn die Lymphgefässe sammeln sich alle zu einem Hauptstamm, welcher in das Yenensystem ein- mündet. Die Lymphe wird also zuletzt mit dem Blute der Venen gemischt und gelangt mit diesem zum Herzen zurück. — Als eine Abart der Lymphgefässe erscheinen die Chylusgefässe, welche keine Lymphe, sondern jenen im Darmkanale aus den Nahrungs- mitteln ausgezogenen Saft führen, welcher seiner milchweissen Farbe wegen Milchsaft, Chylns, genannt wird. Die Chylusgefässe ent- leeren sich in den Hauptstamm des Lymphgefässsystems, und der Milchsaft wird somit auf demselben Wege wie das Venenblut dem Herzen übermittelt werden. Da aus dem Milchsafte erst Blut ge- macht werden soll, und das Venenblut ebenfalls einer neuen Be- fähigung zum Ernährungsgeschäfte bedarf, diese Umwandlung aber nur durch Vermittlung des Oxygens der atmosphärischen Luft möglich wird, so kann das mit Milchsaft gemischte Venenblut, nicht allsogleich aus dem Herzen wieder in die Schlagadern des Körpers getrieben werden. Das Venenblut muss vielmehr zu einem Organ geführt werden, in w^elchem es mit der atmosphärischen Luft in Wechselwirkung tritt, seine unbrauchbaren Stoffe abgiebt und dafür neue (Oxygen) aufnimmt. Dieses Organ ist die Lunge. Was vom Herzen zur Lunge strömt, ist Venenblut; was von der Lunge zum Herzen zurückströmt, ist Arterienblut. Der Weg vom Herzen zur Lunge und durch die Lunge zum Herzen beschreibt ebenfalls einen Kreis, welcher aber kleiner ist, als jener vom Herzen durch den ganzen Körper zum Herzen. Man spricht also von einem kleinen und grossen Kreislaufe (Lungen- und Körperkreislauf), welche in einander übergehen, so dass das Blut eigentlich die ge- schlungene Bahn einer 8 durchläuft. Das Gefässsystem besteht, dieser übersichtlichen Darstellung nach, aus folgenden x\bth eilungen: 1. Herz, 2. Arterien, 3. Capillargefässe, 4. Venen, 5. Lymph- und Chylusgefässe. Das Herz wird in der speciellen x\natomie des Gefäss- systems (§. 387, seqq.), der Bau der übrigen aber hier zur Sprache gebracht. §. 46. Arterien. Bau derselben. An den Stämmen, Aesten und Zweigen der Arterien findet sich der Hauptsache nach derselbe Bau. Ohne das Mikroskop zu H y r 1 1 , Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl. 1 1 1("»2 6. 46. Arterien. Bau derselben. febril lu'lien, imterscheidet man eine innere, mittlere und äussere Arterienhaut. Die innere Haut (Tnthna) trä^t an ilirer freien Oherfläclie eine eiiilaclie Scliiditt» Plattenepitliel, als Fortsetzun;^ des Plattencpitlicds der Ilcr/.kainmern. Dasselbe bestellt aus rluim- hischen oder sj)indeirörmi>;eii. nicht immer deutlich abge<»;renzten Zellen mit elliptiscdien Kernen. I'iiter diesem IMattenepithel laj^^ert eine ül)er\viei:;end ans l(»n<;itu(linal(Mi Fasern bestehende elastische Haut. Epithel und elastische Haut wurden vormals zusammen als glatte Gefässhaut, Tiniica (ilido-a vtisonon, den serösen Häuten beigezählt. Die äussere Haut der .\rteri(Mi ist eine Rindegewebs- mendiran mit allen diesen (Jeweben zukommenden mikroskopischen Eigenschaften. Sie heisst A/rinhrdiKi mlinidtöi, bei Hai 1er iidstitia. An den grösseren Arterieiistäiuinen enthält sie auch organische Mu.skelfasern, aber immer nur in sehr beschränkter Menge. Die mittlere Arterienhaut (Media) wurde lange als Tunica elastica be- schrieben. Man liess sie aus longitudinalen und kreisförmigen oder Spiralen, bandartim'n elastischen Fasei'u bestehen, welche eine innere Längenschichte uiul eine äussere Kreisfaserschichte bilden sollten. Die Fortschritte der mikroskopischen Anatomie haben aber ein reiches \(irk?ei alten Individuen werden mehrere, sonst geradlinige Arterien geschlängelt getroffen fArt. iiiaca, t^plenica). Die Schlängelungen hängen ent- weder von der Umgebung der Arterien ab, z. B. von gekrümmten Knochen- kanälen, Löchern oder Furchen, durch welche sie gehen, oder werden dadurch bedingt, dass die Biiidegewebsscheide der Arterie an einer bestimmten Stelle straffer angezogen ist, als an der gegenüberliegenden. Die Krümmungen der Carotis vor ihrem Eintritte in den Canalis caroticus, die rankenförmigen Schlängelungen der inneren Samenschlagadern, der Nabel- und Gebärmutter- arterien, entstehen auf diese Weise. Sic lassen sich durch Lospräpariren der §. 47. Allgemeine Tevlaufs- und Vevästlungsgesetze der Arterien. 165 Bindegewebsscheide ausgleichen. An der convexen Seite einer Krümmung ver- dichtet sich das Gewebe der Ärterienwand, weil das Anprallen des Blutstromes die convexe Seite mehr als die concave gefährdet. 3. Nie verläuft eine Schlagader grösseren Kalibers ausserhalb der Fascie eines Gliedes, sondern mögliehst tief in der Nähe der Knochen. Ebenso allgemein gilt es, dass die grösseren Arterienstämme der Gliedmassen sich in ihrem Yerlaufe an die Beugeseiten der Gelenke halten. Würden sie an den Streckseiten der Gelenke lagern, so wäre es unvermeidlich, dass sie während der Beugung eine bis zur Aufhebung ihres Lumens gesteigerte Zerrung auszuhalten hätten, welche bei dem Yerlaufe an der Beugeseite gar nie vorkommen kann. 4. Wo immer sich ein grösserer Arterienstamm gabelförmig in zwei Zweige theilt, ist die Summe der Durchmesser der Zweige grösser als der Durchmesser des Stammes. Dieses muss so sein, da die Lumina cyliudrischer Röhren sich wie die Quadrate der Durch- messer verhalten und die beiden Aeste unmöglich dieselbe Quantität Blut aufnehmen könnten, welche ihnen durch den Stamm zugeführt wird, wenn die Summe ihrer Durchmesser nicht grösser wäre, als jener des Stammes. Die Capacität des Arteriensystems nimmt hei allen Thieren gegen die Capillargefässe hin auf eine in der That nicht unerhebliche Weise zu. Indem nun die Venen ein gleiches Verhalten zeigen, so wird die Sprachweise jener Physiologen verständlich, welche das arterielle und venöse Gefässsystem, in Hinsicht der Capacität, mit zwei Kegeln vergleichen, deren Spitzen im Herzen liegen, deren Basen im Capillargefässsystem zusammenstossen. 5. Die Winkel, welche die abgehenden Aeste mit dem Stamme machen, sind sehr verschieden. Spitzige Ursprungswinkel finden sich gewöhnlich bei Arterien, welche einen langen Verlauf zu machen haben, um zu ihrem Organe zu kommen (Art. spermatica interna); rechte Winkel unter entgegengesetzten Umständen (Art. renalis). Ist der Winkel grösser als ein rechter, so heisst die Arterie eine zurücklaufende, Art. recurrens. Es kann auch eine unter spitzigem Winkel entsprungene Arterie später sich umbeugen und zurück- laufend werden, wie die Arteriae recurrentes am Ellbogen- und Knie- gelenk. OeiFnet man eine spitzwinkelige Theilungsstelle einer Arterie, so findet man im Innern einen vorspringenden Sporn (eperon), welcher die Blutströme der beiden Aeste theilt und an rechtwin- keligen Ursprungsstellen fehlt. — Theilungen der Schlagadern der Gliedmassen in grössere Zweige finden immer in der Nähe der Gelenke statt; — kleinere Zweige entstehen auf dem Wege der grösseren Arterien von einem Gelenk zum andern. 6. Verbinden sich zwei Arterien mit einander, so dass das Blut der einen in die andere gelangen kann, so entsteht eine Zusammen- mündung, Anastomosis, von avccCTOfioo), öffnen. Sie ist entweder 166 S. 47. Allgemoine Vprlaufo- und Ypr&stliing''g<>''et?e der Arterien. bogenförmig, durch Zusaniiiieninüuden zweier Arterienzweig-e (Ge- fä SS bog eil, Arcus), oder zwei Stäunne werdeu iu ihrem Laufe dureli einen ( 'omiminicatiou.skaual verbunden (z. B. die Carotis int. mit der Profiuulu cerebri, durch die Arteria coiniimnicaus an der Basis (h^s Gehirns), oder aus zwei Arterien wird durch Verschmelzung eine einfaelie und stärkere (Art. hasilarin, vordei-e Kückenmarks- arterie). Gleichförmige Yertheilung der Blutmasse und des Druckes, unter welchem sie steht, liegt den Anastomosen überhaupt zu Grunde. Die Communicationskanäle zwischen zwei Arterienstämmeu gewähren noch den Yortheil, dass, wenn einer der beiden Stämme ober- oder unterhalb der Anastomose compi'imirt wird, der Blut- lauf nicht in Stockung geräth. Die Yerzweiguiigeu der Lungen-, Leber-, Milz- und Niereuarterien innerhalb der genannten Orgaue bilden niemals Anastomosen. Vereinigen sich zwei Spaltungsäste einer Arterie neuerdings wieder zu einem Stamme, so entsteht eine sogenannte Insel, welche aber nur ausnahms- weise an gewissen Arterien (Brachialis, Basilaris, Ulnaris, Carotis, Maxlllaris ext., Vertebralis u. m. a.) angetroffen wird. Theilt sich ein Stamm in melirere oder viele Zweige, welche sich entweder wieder zu einem Stamm vereinigen, oder pinselförmig auseinander fahren, so nennt mau diese Vervielfältigung, mit oder ohne Wiedervereinigung, ein Wundernetz, Rete mirabile. Es giebt demnach bipolare und unipolare Wundernetze, d. li. mit oder ohne Wieder- vereinigung der Spaltungszweige. Bipolare Wundernetze kommen im Menschen nur an den kleinsten Zweigen der Nierenarterie, in den sugenannten Malpighi'- scheu Körpercheu, unipolare nur an den Venen der Choroidea vor. Au den Extremitäten der Edentaten und Halbaffen, sowie an den Intercostalarterien der Delphine und Walfische, an den Gekrösearterien der Schweine und den Carotiden vieler Wiederkäuer erreichen die Wundernetze einen erstaunlichen Entwicklungsgrad. Reich an solchen Netzen ist die Schwimmblase vieler Fische. 7. Nur die grösseren Schlagaderstämme führen in ihren Wan- dungen ernährende Blutgefässe (Vasa vasorain). Die arteriellen T'asa vasorum entspringen meist aus den Nebenästeu der grösseren Gefäss- stämme, "vveit seltener aus den Stämmen selbst, welche sie zu er- nähren haben. Sie gehören aber nur der Adventitia, und theilweise auch der Media, jedoch nicht der inneren Arterienhaut an. Es verdient Beachtung, dass selbst die kleinsten Verzweigungen der arteriellen Vasa vasorum, von doppelten Venen begleitet werden, ein Vorkommen, welches sonst nur den Blutgefässen der fibrösen (jewebe und der Gallenblase zukommt. 8. Zusammengehörige Arterien und Venen werden von einer uemeinschaftlicheu Bindeu-ewebsscheide umschlossen. Eine Zwischeu- ö ~ wand der Scheide trennt die Arterie von der Vene. Die ernährenden Yasa vasoruin müssen diese Scheide diirchlMdiren. In der Spaltung der Scheide und in dem Freimachen der in ihr eingeschlossenen §. 48. Lebßnseigenschaften der Arterien. 167 Arterie lie2;t der am meisten Aufmerksamkeit erfordernde iVct der chirurgisclien Arterienunterbindung. Es Hessen sicli die angeführten Gesetze sehr vermehren, wenn man Alles aufzählen wollte, was die Arterien nicht thun. Dass die Arterien der oberen Körperhälfte hinter, jene der unteren vor den gleichnamigen Venen liegen, gilt nur für die Hauptstämrae, und selbst nicht für alle, indem eine sehr ansehnliche Vene der unteren Leibeshälfte: die linke Nierenvene in der Regel vor der Aorta abdominalis liegt. Ueber die Vasa vasormn handelte ich ausführlicher im Quarterly Review of Nat. lEst. 1862, July, und in einer Specialschrift: Ueber die Schlagadern der unteren Extremitäten (Denkschriften der kais. Akad. 1864). Die Arterien functioniren nicht blos als Leitungsröhren des Blutes, sondern sie haben auch durch ihre elastischen und contractilen Elemente auf die Fortbewegung des Blutes einen wichtigen Einfluss. — Varietäten ihres Ursprungs und Verlaufes sind ohne allen Nachtheil für die Blutbewegung. Für alle kleineren Arterien, z. B. Muskelzweige, sind die Varietäten des Ursprungs und des Verlaufes zahllos, und selbst grosse Arterien lebenswichtiger Organe unterliegen quoad originem mitunter höchst sonderbaren Spielarten. So besitze ich ein Präparat, an welchem die obere Kranzarterie des Magens aus dem Aortenbogen entspringt. Näheres hierüber in der Gefässlehre. §. 48. Lebenseigenschaften der Arterien. Die wichtigsten Eig-ensehaften der Arterien sind ihre Elasti- cität und Contractilität. Durch sie betheilig-en sich die Arterien an der Fortbewegung des vom Herzen in sie gepumpten Blutes. Die Elasticität kommt allen Schichten der Arterienwand zu. Selbst dem Epithel darf sie nicht fehlen, da man sich doch nicht denken kann, dass die Zellen desselben auseinander weichen, wenn die Arterie durch den Andrang der Blutwelle ausgedehnt wird. Elasticität und Contractilität stehen in inniger Beziehung zu der auffallendsten Bewegungserscheinung an den Arterien, zum Pulse. Die alten Aerzte erklärten den Puls als die Erscheinung einer selbstthätigen Expansion und Contraction der Arterien, und hielten ihre mittlere Haut für durchaus muskulös. Später wandte man sich zum andern Extrem, erklärte die Arterien für YoUkommen passiv und ihre Expansion und Contraction für die Folge der Ausdehnung bei eindringender, und des Collabirens nach vorbeigegangener Blut welle. Auch diese Vorstellung musste aufgegeben werden, seit die Existenz organischer Muskelfasern in den Wänden der Arterien constatirt wurde und Reizungsversuche an frischen Schlagadern amputirter Extremi- täten und des Mutterkuchens, eine lebendige Contraction der Arterien sichergestellt haben. Die mit jedem Pulsschlage ankommende Blutwelle sucht die Arterien auszudehnen. Diese Welle hat die physische Elasticität der Arterie und ihre lebendige Contractilität zu überwinden. Die Arterie dehnt sich aus und schwillt unter dem 1 ob §. 4S. Lpl>fn'ä(Mgi'n«cliafti'n der Avterien. Finger au, so viel es diese heideu Factoreu gestatteu. Ist (iie Blut- welle vorbeinenauneu, so stellt die Elastieität der Arterie iu Ver- hinduuii,' iiiit der lel)eudiüeu Contractilität das frühere Voluuien des Gefässes wieder lier. Der Puls i>t x-iiiit der Ausdruck der Stoss- kraft des lierzeus. Die Zahl und (h-r Rhythmus der P\dsschläge häunt von (Nm- Ilerzthätigkeit ab, — die Härte oder Weichheit von dem grösscM-eu oder geringeren Widerstände, welchen die Arterien- wände der Blutwelle entgegensetzen, — während die Grösse oder Kleinheit des Pulses, von der Gesamintmenge des Blutes und von der Grösse der durch das Herz ausüerriel)ei)eM Blutwelle be- dingt wird. Es kann deshalb der Puls scheinbar entgegengesetzte Eioeuschat'teu darbieten. Ein kleiner Puls kann hart, ein grosser weich sein. Körpergrösse und Temperament äussern auf die Zahl der Pulsschläge in gegebener Zeit (pulsus frequens und rarus) einen merklichen Einfluss. Ein kleiner Sanguiniker zählt an sich mehr Pulsschläge in der Minute, als ein grosser (lauger) Phlegmatiker. — Nebst dem als Puls zu fühlenden Anschwellen und Abfallen der Arterie bemerkt man an ilir während (h»s Strotzens auch seitliche Krümmungen, d. h. sie schläng(dt sich, indem sie sich zu verlängern strebt. Diese Schlängelungen der Arterien Avährend des Durchganges der Blutwelle lassen sicii auch diireh künstliche lujeetiouen von Flüssigkeiten erzielen. Werden diese Injeetionen mit gerinnenden oder erstarrenden Stoffen gemacht, so kann man die Schlängelungen fixiren, wie sie (hMin auch an trockenen Injectionspräparaten sehr häufig angetroffen werden. — Verlust (b'r Elastieität der Arterien durch krankhafte Processe, oder durch hohes Alter, Avird ihre Krüm- mungen gleichfalls zu permanenten Erscheinungen machen, wie mau an den rankenförmigen Schläfearterien hochbejahrter Greise zu sehen (Jelegenheit hat. — Der Umstand, dass eine lebende Arterie grösseren Kalibers, Avenn sie durchschnitten wird, ihr Lumen verengert, während die todte am Cadaver sich nur der Länge nach retrahirt, bestätigt zur Genüge die lebendige (.'ontraetilität (h'r Arterlenwände. Unter dem Mikroskope kann man Jurcli Anwendung von Reizen die Contractilität der feinen Arterien in der Schwinunhaut der Frösche ganz deut- licli zur Anschauung bringen. Durclisdnieidung des iSerinn^ svmpathk'us, wel- cliem die Versorgung der Gefässwand obliegt, oder vorübergehende Herabstim- mung seines Einflusses auf die contractilen Arterienwaudungen durch geeignete Mittel, setzt augenblickliche Erweiterung der Arterien. Man sieht am Kaninchen- olire, nach Trennung des S\nipathi(us um Halse, sümmtliche (jefässe sich erweitern, und die bei gewissen Afiecten sich einstellende plötzliche Röthe des Gesichts, wahrscheinlich auch die Erection des männlichen Gliedes, kann nur aus dem momentan herabgesetzten Einfluss dir motorischen Gefässnerven er- klärt werden. Die Empfi ud 1 ich keit der ArteriiMi ist unbethMiteiid. denn die Nerven, welche in ihren \\ an(binneu sich verästeln, sind vorwaltend §. 49. Praktisclie Anwendungen. 16P motorischer Natur. Wenn man bei Unterbindung einer grösseren Arterie nach Amputationen im Momente, wo die Ligatur festge- schnürt wird, ein Zusammenfahren oder Zucken des Kranken beobachtet hat, so ist dieses erstens nicht bei jeder Arterienunter- bindung gesehen worden und kann zweitens bei unvollkommener Isolirung der Arterie durch feine Nervenfilamente bedingt werden, welche in der nicht vollkommen vom Arterienrohre abgelösten Grefässscheide enthalten sind. Die Ernährungsthätigkeit in den Wandungen der Arterien äussert sich durch das schnelle Verheilen von Arterienwunden unter günstigen Umständen und durch die verschiedenen Formen krank- hafter Ablagerungen (Fette und Kalksalze) zwischen den einzelnen Hautschichten der Grefässwand. Man kennt ganz genau die Entstehungsweise der Arterien. Sie kann im bebrüteten Ei beobachtet werden. Die grösseren Arterien entwickeln sich im Embryo aus kernhaltigen Zellen, welche sich zu Strängen gruppiren, worauf die innersten Zellen dieser Stränge zu Blutkügelchen werden, die äussersten sich zur Gefässwand metamorphosiren, indem sie sich zu den verschiedenen Formen von Fasern umgestalten, welche die Wand eines Blutgefässes bilden. Die mittleren Zellen des Zellenstranges behalten ihre ursprüngliche Zellennatur und bilden das Epithel des Arterienrohres. §. 49. Praktische Anwendungen. Der gefahrdrohende Charakter der Blutungen bei Verwundungen der Arterien und das Vorkommen dieser Blutungen bei allen chirur- gischen Operationen giebt dem arteriellen Grefässsystem ein hohes praktisches Interesse. Bis in das 16. Jahrhundert wusste man diese Blutungen nur durch die Anwendung der grausamsten Stillungs- methoden zu bemeistern. So wurde z. B. die Amputation der Grlied- massen mit glühenden Messern vorgenommen, oder die Trennung der Weichtheile um den Knochen herum durch Abdrellen mit einer Pechschnur unter unsäglichen Martern des Kranken ausgeführt, der blutende Stumpf aber mit geschmolzenem Blei oder siedendem Theer Übergossen. Ein französischer Wundarzt, Ambroise Pare, Leib- chirurg der Könige Franz IL und Carl IX., machte diesen Grräueln dadurch ein Ende, dass er die Unterbindung der Arterien in Auf- nahme brachte. Carl IX., welcher sich die Zerstreuung machte, in der Pariser Bluthochzeit auf seine eigenen Unterthauen zu schiessen, schätzte diesen Mann so hoch, dass er ihn allein unter allen Huge- notten in der Metzelei der Bartholomäusnacht zu schonen befahl, ihn selbst, nachdem er sich hartnäckig weigerte, Katholik zu wer- den, im Louvre versteckt hielt. Die Antwort, welche er dem Könige gab, als ihn dieser zu überreden suchte, den protestantischen Grlauben abzulegen, ist zu originell, um nicht hier angeführt zu werden. Sie 170 §• *5». PraVtiThe Anwendungen. lautete (naoli SiiUv's Meinoii-fMi. Vol. I, Cliap. 6): „Sire! drei Dinge .sind mir niiiur>u,lic'li: 1. in den Leil) meiner Mutter zurückziikelireu, 2. antzulitiren. ein treuer Diener meines Kcinigs z\i sein, und ^V eine Messe zu hören.'" Dieser, mit liöfisclier Sclimeichelei gepaarte Trotz verfehlte seine Wirkinii;" auf den schwachen König' nicht. Die allgemeine Regel, in jedem vorkommenden Falle .so viel als möglich mit rmi;ehnng der grösseren Gefässstämme zn operiren, wiril von jedem wissenschattlichen Operatenr nach Verdienst ge- würdigt. Blutung, welche man nicht erwartete und auf welche man nicht gefasst war, ist für jede Operation ein wichtiger, selbst ein gefährlicher Zufall. Man sucht sich dcshall) durcli Compression des Hauptgefässes jeuer Körperstelle, an welcher operirt werden muss, vor ihrem Eintritte zu sichern. — In praktischer Beziehung ver- mindert sich die Wichtigkeit der Blutgefässe mit der Abnahme ihrer Grösse, und die umständliche Beschreibung jeuer Gefässzweige, deren Verwundung nicht gefahrbrin^enil, und «leren Lnterbiudung uie nothwendig wird, erscheint somit dem praktischen Arzte nutzlos. Nur im Auge wird auch die Kenntniss der kleinsten Blutgefässe dem Operateur bedeutsam. Die Coutractilität der (refässe bedingt den allgemeinen Ge- brauch der Kälte zur Stillung von Blutungen aus kleinereu Arterien. Wie bedeutend der Eiufluss ist, welcheu die Nerveu auf die Zu- sammenziehuugsfähigkeit der Gefässe äussern, zeigt die blutstillende Wirkung der Gemüthsatfecte (Ueberraschuug, Schreck) und jene eines plötzlich veranlassten Schmerzes, z. ß. Schnüren des Fingers mit einem Bindfaden beim Nasenbluten, Reiben einer blutenden Wundfläche mit den Fingern etc. Eine krankhafte Ausdehnung aller Häute einer Arterie, welche durch Berstung oder Verbrandung lebensgefährlich werden kann, heisst Aneurysma verum {civtv^vv(o, erAveitern). Sie kommt nur an Schlagadern grösseren Kalibers vor. Die kleinste Arterie, an welcher man bisher ein wahres Aneurysma beobachtete, war die Arteria auricularis posterior (Ch. Bell). Da aber die Arterienhäute eine verschiedene Structur besitzen und die elastische Tntima derselben durch Krankheit ihrer Elasticität verlustig geworden sein kann, •während die mittlere und äussere Gefässhaut noch relativ gesund sind, so darf es nicht tiberraschen, wenn bei den Dehnungen, denen die Arterienstämme unterliegen, die nicht mehr gesunde innere Ar- terienhaut an einer oder mehreren Stellen Risse bekommt, das Blut zwischen die getrennten und ganz gebliebenen Arterienhäute ein- dringt und sofort die letzteren zu einem aneurysmatischen Sacke ausdehnt. Dieser heisst dann Aneurysma spurium. Berstet in Folge der zunehmenden Ausdehnung auch dieser Sack, so ergiesst sich das §. 49. Praktische Anwendungen. 171 Blnt frei in alle Bindeg-ewebsräume, in welche es von dem g-eborstenen Aneurysmensack g-elangen tann und dehnt diese zu einem pulsi- renden Cavum ans, Avelches dann Aneurysma spurium consecutivum oder diffusum genannt wird. Wird bei Verwundung'sfällen eine lebende Arterie grösserer Art nicht durchgeschnitten, sondern blos quer angeschnitten, so klafft die Arterienwimde bedeutend, und der Bliitverlust ist sehr gross, wenn die Arterienwunde mit der äusseren Hautwunde correspondirt. Wird aber die Arterie vollends quer durchgeschnitten, so zieht sich das elastische Arterienrohr in seiner Bindegewebsscheide stärker zurück als diese. Die mit der Arterie verwachsene Scheide wird durch den Zug der retrahirteu Arterie nachgezogen und eingefaltet. Das aus der Arterie ausströmende Blut hängt sich dann als Coagulum an die Wand der Scheide au, verengert diese noch mehr, füllt sie endlich aus, und die Blutung steht früher still, als bei iucompleter Trennung des Gefässes, bei welcher eine Zurückziehung der Arterie nicht stattfinden kann. Daher der Rath der älteren Militärchirurgie, angeschnittene Arterien ganz zu trennen (Theden). Dass es wirk- lich die Scheide ist, Avelche bei vollkommenen queren Trennungen der Arterien die Blutung vermindert, ja selbst zum Stillstand bringt, zeigt der Versuch am lebenden Thiere. Wird die Cruralarterie eines grossen Hundes sammt ihrer Scheide durchschnitten, so stillt sich die Blutung nach kurzer Zeit von selbst, und das Thier erholt sich. Wird aber die Scheide der Arterie in einer grösseren Strecke los- präparirt und entfernt, und hierauf die iVrterie durchschuitten, so ist der Verblutungstod, gewiss. — Längenwunden der Arterien klaffen viel weniger als quere. Die nach der Länge einer Arterie ver- laufenden elastischen Fasern, welche den quergerichteten an Zahl überlegen sind, halten die Ränder einer arteriellen Längenwunde mehr im Contact und erleichtern ihre Verheilung, welche selbst, wie die Chirurgen sagen, per primam intentionem (d. i. durch schnelle Verwachsung mittelst plastischen Exsudates, ohne Eiterung) zu Stande kommt, Avas bei Querwunden nicht möglich ist. Unterbindet man eine Arterie mit einem dünnen Faden, welcher fest zugeschnürt wird, so bleibt die äussere und die nächst darauf folgende elastische Haut ganz; die Ringfaserhaut aber und die Intima werden durch den Faden kreisförmig durchschnitten. Eine unterbundene Arterie verwächst von der Unterbindungs- stelle an bis zum nächst oberen und unteren stärkeren Nebenast. Diese Verwachsung ist anfangs eine blosse Ausfüllung mit geronnenem Blute (provisorische Obliteration). Später bildet sich durch plastisches Exsudat, welches sich organisirt und mit dem geronnenen Blute verschmilzt, ein solider Pfropfen, Thrombus genannt (von ^^co^u/Joco, 172 S. 49. PrakUsi-lie AinvcnJungcn. g'erinnpii. wcIcIkh" mir der Avt(M'i«Mnv:in(l v(M-\v;iclist (definitive ()l)literatit»ii), so dass sie in einen testen nnd soliden Stran<;' nni- i^ewandelt wird. Die Unterbindunof einer grüsseren Sclilacfader. z. B. di-r Hrachialis nder Cruralis. hebt den Kreislauf in den Theilen unter der Unterbindungsstidle nicht VüUkonniien auf; er findet nur mit verminderter Energie und auf Umwegen statt. Da übi-r und unter der Unterbindungsstelle des Arterienrohres Aeste abgehen, welche in ihren weiteren Verzweigungen mit einander anastumosiren, so wird durch diese Anastomosen das Blut in das unter der Ligaturstelle be- findliche Stück der Arterie, aber mit ungleich schwächerer Triebkraft gelangen. Haben sich diese Anastomosen so sehr erweitert, dass sie zusammen dem Lumen des abgebundenen Gefässes gleichen, so geht der Kreislauf ohne weitere Unordnung vor sich, und wird sodann Collateralk reislauf genannt. Ich besass einen Hund, dem ich in der Zeit meiner physiologischen .Jugendsünden, die Arterio innnminata und beide Arteriae iUacae in der Frist eines .Jahres unterbunden hatte, und welcher sich, obwohl sein Blut auf ungewöhnlichen Wegen kreiste, ganz wohl befand. — Man hat selbst am Menschen die abstei- gende Aorta der Brusthöhle verwachsen gefunden. Den Kreislauf in den unter- halb der Verwachsungsstelle befindlichen Körperrevieren besorgten die sehr erweiterten Vasa collateralia, durch welche das Stück ober der verwachsenen Aorta mit dem unteren in Verbindung stand. Römer, Meckel u. A. beschrieben solche Fälle. Ein im Prager anatomischen Museum befindlicher Casus dieser Art gehörte einem sonst vollkommen gesunden Individuum an, welches an Lungenentzündung starb. Der Collateralkreislauf ging von den Aesten der Subclavia durch ilire Anastomosen mit den Intercostalarterien zu dem unter der Verwachsungsstelle gelegenen Theil der Aorta. Die Intercostalarterien waren zur Grösse eines Schreibfederkiels erweitert, rankenförmig geschlängelt, selbst aufgeknäuelt i und erzeugten durch ihr Pulsiren ein continuirliches Zittern der Thoraxwand, welches als schwirrendes Geräusch zu hören war, und vom Kranken viele Jahre V(»r seinem Tode gefühlt wurde. Die Befestigung- einer Arterie au ihre Umgebung- ist so locker, dass das Grefäss kleine seitliche Ortsveränderuugen ausführen kann. Die Schlagadern schlüpfen deshalb unter dem drückenden Finger, und eben so oft und glücklieh unter stecheudeu, oder der Länge nach sehneidenden Werkzeugen weg. Nur kranke Arterien sind durch ihre verdickten Scheiden fester an den Ort gebunden, welchen sie einmal inue habeu. Da die Arterienscheiden nur sehr wenig elastische Fasern ent- halten, so wird eine durch ihre Scheide hindurch verletzte Arterie eine grössere Wunde darbieten, als die in der Scheide vorhandene ist. Das Blut wird nicht in der Menge, in welcher es aus der Ar- terieuwunde kommt, durch die kleinere Wunde der Scheide abfliessen können. Es wird sich somit lieber zwischen Seheide und Arterie einen Weg präpariren und sogenannte Blutunterlaufungen be- dingen, welche einen grossen Umfang gewinnen und sich Aveit über und unter die Verwundungsstelle der Arterie ausdehnen können. Hieher gehört das Dissediny Aneurysma der englischen Pathologen. §. 49. Praktische Anwendungen. 173 Derselbe Vorgang kann auch stattfinden, wenn bei Verscliliessung der äusseren Körperwiinde durcb Verbände oder durch Vorlagern anderer Weichtheile das Blut vom Wundkanale aus zwischen um- liegende Gewebe sich ergiesst. So entstehen die sogenannten blutigen Infiltrationen und Sugillationen, welche nicht zn verwechseln sind mit den Senkungen des Blutes in seinen Gelassen, welche nach den Gesetzen der Schwere gegen die abschüssigsten Stellen des Leichnams stattfinden, und als Tod tenflecken ein gewöhnliches Leichenvorkommniss sind. Jede im Leben beigebrachte Wunde hat sugillirte Ränder — eine der Leiche beigebrachte aber nicht. Die Zurückziehung durchschnittener Arterien erschwert ihr Auffinden im lebenden Menschen bei Verwundungsfällen und er- heischt eine Verlängerung oder Erweiterung der Wunde, um das blutende Ende finden und unterbinden zu können. Durchschnittene Gefässe, welche wenige oder keine Seitenäste abgeben, ziehen sich sehr stark zurück; solche, welche durch ihre Seitenäste gleichsam an benachbarte Organe befestigt werden, weniger. Man kann diese praktisch wichtige Erfahrung am Cadaver constatiren. Wird die Kniekehlenarterie bei gestrecktem Knie einfach entzweigeschnitten, so beträgt ihre Retraction circa 1 Zoll. Werden aber früher ihre Seitenäste getrennt und das Gefäss dadurch allseitig isolirt, so zieht es sich um 172 Zoll zurück. Ein Umstand, welcher für die ärztliche Behandlung gewisser Blutungen von Nutzen sein dürfte, ergiebt sich aus der Betrachtung des Hauptstammes einer Gliedmassenarterie im stark gebeugten Zu- stande des Gelenkes, an welchem er verläuft. Wird der Ellbogen in forcirte Beugung gebracht, so wird der Puls der Radialarterie sehr schwach. Bei stark gebeugtem Unterschenkel, durch möglichst starkes Heraufziehen der Ferse gegen das Gesäss, verschwindet der Puls in der Arteria tihialis postica vollkommen. Nicht etwa Knicken der Arterie am gebeugten Gelenk, sondern die Compression derselben durch die an einander gepressten Muskelmassen in der Nähe des gebeugten Gelenkes bedingt diese Erscheinung, von welcher in Ver- wundungsfällen, bevor chirurgische Hilfe geleistet werden kann und beim Transport Blessirter, Nutzen zu ziehen wäre. Wie sehr der Druck der Muskeln abnorme Ausdehnungen der Arterien hintanzuhalten vermag, lässt sich schon daraus entnehmen, dass Aneurysmen am häufigsten an solchen Schlagadern entstehen, welche in ihrer nächsten Umgebung blos Bindegewebe und Fett, aber keine Muskeln haben, wie die Arteria cruralis in der Fossa ileo- pectinea, die Arteria popUtea in der Kniekehle, die Arteria aoßillaris etc. Wir müssen die unrichtige Vorstellung aufgeben, dass die Schwere des Blutes seine Bewegung nach unten fördern, seine Bewegung nach oben aber 1 74 S. hO. Capillargefasse. Anatomischp Eiponschaften derselben. hpiniiun k'iniie. Wnin oine rninpe Flüssigkeit in oincin Systnii geschlossener Röhren hernnitreihen soll, so ist es ganz gleirhgiltig. welche Lage die Röhren haben, ob vertical oder horizontal. Die Schwere hemmt nicht die Bewegung in den aufsteigenden, noch fördert sie die Bewegung in den absteigenden Röhren des Systems. Sie hat aber einen unläugbaren Einfluss auf die gleichmässige Vertheilung der Flüssigkeit im Röhrensystem, wenn dessen Röhren nachgiebig sind, wie die Blutgefässe des Menschen, in welchem Falle die absteigenden Röhren weiter werden müssen als die aufsteigenden. §. 50. Capillargefässe. Anatomische Eigenschaften derselben. I)iireli die Entfleckiiiii;' des Kreislaiifps wurde es si('lieri;estellt, das.s alles Blut aus den Arterien in die Venen über<>eht. Die niikro- .skopi.schen Gefässe, welche diesen Uebergang vermitteln, waren aber zu Harvey's Zeiten noch unbekannt. Die Alten hatten nur vage Vorstellungen von ihnen und nannten sie Trtchismi {von O'Qii, TQiy6g^ Haar). Sie kannten nämlich blos die feinen venösen Verästlungen, welche in den Häuten des Mag-ens und Danukauals mit freiem Auge gesehen werden können, wenn sie, wie es so oft der Fall ist, von Blut strotzten. Allerdings Hessen sie feine venöse Verästlungen mit ähnlichen feinen Verzweigungen der Arterien zusammenhängen, aber dieser Zusammenhang wurde im gesunden Menschen nicht als ein offener, sondern als ein geschlossener gedacht. Nur unter krank- haften Bedingungen sollte er sich, wie bereits in §. 45 erwähnt, aufthun, und Blut aus den Venen in die Arterien hinüberlassen. Alles dieses war natürlich nur Annahme. Erst der grosse Mal})ighi entdeckte die liaarfeinen Uebergangsgefässe zwischen Arterien und Venen in der Froschluuge (1661), und erkannte ihre Bedeutung als allgemein verbreitetes Zwischenglied der arteriellen und venösen ßlutbahn. Man nennt diese kleinsten Blutgefässe, welche den Zu- sammenhang zwischen Arterien und Venen vermitteln: Capillar- gefässe (Vasa capillaria). Der Uebergang der Arterien in Venen durch die raj)illargefässe gab der Lehre vom Kreislaufe erst ihre volle Begründung. Das Alterthum bekannte sich zu der Ansicht, dass das Blut sich aus den Venen in die Organe frei ergiesse. dort stocke, gerinne, und sich in ihre Substanz umwandle. So entstand schon zu Zeiten der Alexandrinischen Schule der noch immer gebräuchliche Ausdruck: Parenchyma (^yxioJ, eingiessen) für Organensubstanz. Noch in den ersten Decennien unseres Jahrhunderts wurden den Capillargefässen eigene Wandungen abgesprochen (Wedemayer u. A.). Man hielt sie für Gänge, welche sich das Blut in der organischen Substanz selbst gräbt, und stellte sich vor, dass das Blut an allen Stellen dieser Gänge austreten, sich neue Laufgräben wühlen, und so zu jedem Organtheilchen ge- langen könne. Diese für die Erklärung der Nutritionsprocesse sehr bequem eingerichtete Annahme musste mit all' ihrem poetischen Anhange über Um- wandlung und Metamorphose des Blutes der auf dem Wege mikroskopischer Forschung sichergestellten Existenz der Wandungen der Capillargefässe weichen. §. 50. Capillargefässe. Anatomische Eigenschaften derselhen. 175 Es lässt sich nicht sagen, wo die Capillargefässe beginnen und wo sie endigen, da sie allmälig ans den grösseren Arterien durch Verjüngung des Durchmessers und Vereinfachung der Wandschichten hervorgehen und ebenso allmälig in immer grössere und grössere Venen übergehen. Die Grenzen des Capillargefässsystems lassen sich also anatomisch nicht feststellen. Bis auf die neueste Zeit hat man die Wand der Capillargefässe für structurlos gehalten, mit einfacher und doppelter Contour, je nach Verschiedenheit des Kalibers xind mit ovalen, hellen, meist quergelagerten Kernen, welche theils an der inneren Oberfläche der structurlosen Membran aufsitzen, theils in ihrer Substanz eingeschlossen sind. Da traten gleichzeitig Eberth (Sitzungsbericht der Würzburger phys.-med. Gesellschaft, 1865), und iiuerbach (Breslauer Zeitung, 1865) mit der bedeutungsvollen Entdeckung hervor, dass bei Injection von Höllensteinlösung {% Procent), die scheinbar structurlose Wand der Capillargefässe aus platten, spindelförmigen, meist der Längs- richtung der Capillargefässe parallelen Zellen zusammengesetzt er- scheint, welche durch geschlängelte dunkle Linien sich gegen ein- ander abgrenzen. Diese Linien sind nichts Anderes, als die bei der Versilberung brann oder schwarz sich färbende Zwischensiibstanz der Zellen. Die Wand der Capillargefässe ist somit eine ans ver- schmelzenden Zellen hervorgegangene sogenannte Epithelialmem- bran, und zweifellos eine Fortsetzung des Epithels der grösseren Arterien. Die Umrisse der Zellen werden erst durch die Versil- berung kenntlich. — Die hie und da zwischen den Zellen der Capillarwand bemerkbaren kleinen eckigen Lücken werden als Stomata, i. e. OefFnungen in der Wand, entsprechend den Stomata der serösen Membranen (§. 43) gedeutet. — In manchen Organen, wie in Gehirn und Netzhaut, gesellt sich zu der aus Zellen zusammen- gesetzten Membran der Capillargefässe noch eine äusserst zarte Um- hüllungshaut hinzu, welche als Adventitia capiUaris bezeichnet werden kann. Wird der Durchmesser der Capillaren grösser, so lagern sich in dieser Umhüllungshaut spärlicher Weise Bindegewebs-, Muskel- und elastische Fasern ein, welche die letzten Reste der in den grösseren Arterien erwähnten dreifachen Wandschichte darstellen. Die Capillargefässe setzen die Capillarnetze, Retia capillaria, zu- sammen, welche in jeder Gewebsform charakteristische Eigenschaften darbieten. Diese hängen ab i. von der Weite der Capillargefässe, welche von 0,002" bis 0,010 " zunimmt, und 2. von der Weite und der Gestalt der Maschen des Netzes. Je gefässreicher ein Organ, je mehr Blut es braucht und verarbeitet, je reichlicher es absondert, desto kleiner sind die Maschen und desto grösser der Durchmesser der Capillargefässe. In Organen mit einer bestimmt vorwal- tenden Faserrichtung sind die Maschen in derselben Eichtung oblong (Muskeln, Nerven). In Häuten und Drüsen kommen kreisförmige und alle Arten eckiger 176 6- ^(^- CapillargefassO. Anatomische Eigenschaften derselben. Maschen vor. In drn Tast- und (ifscliiiiiukswarzilicii. in den Zotton des enibryoni.schen (Ilutiion und in den zottenähnliclien Vepetatiunon an der inneren Fläelie vieler Synnvialliiiute, pdien die ers ge- bildet werden. Dass aber auch an anderen Orten kleine Arterien, ohne capillar zu werden, in A'enen überi;ehen. steht gegen alle Ein- rede fest. Ich habe diese wichtige Thatsache an dem Daumenballen der Fledermäuse, an den Ballen der Zehen und der Ferse bei den Yiverren. in der Matrix dvs Pferdehnfes und der Klauen der Wieder- käuer, in den Zehen und in der nackten Haut au der Wurzel des Schnabels der Vögel, und jüngst auch in den Cotyledonen der menschlichen Placenta nachgewiesen. Wie will sich der praktische Anatom erklären, dass so oft bei feineren Arterieneinspritzungen die Injecrionsmasse über und über durch die A enen retour kommt, bevor sich noch die durch vollkommene Füllung der Capillargefässe bedungene Röthe des injicirten Theiles eingestellt hat? Nie habe ich gesagt, dass der Stamm einei" Arterie in den Stamm einer Vene übergeht. Da ich den betreflienden x\ufsatz in einer englischen Zeitschrift (Nat. Hist. Review, 1862) veröffent- lichte, kann ich von den deutschen Anatomen missverstanden worden sein. Ich wollte nur sagen, dass der Uebergang der Arterien in Venen nicht ausschliesslich durch Capillargefässe, sondern auch durch weitere Gefässe, als die Capillaren sind, vermittelt werden könne. Will num diese weiten Gefässe aber auch noch Capillar- gefässe nennen, so hat der Streit ein Ende. Ein russisches Fräulein, welches in Bern zum Doctor der Medicin promovirt wurde, hat diesen Gegenstand zum Inhalt ihrer Inaugural-Dissertation gemacht (Fanny Berlinerblau, Ueber den directen Uebergang von Arterien in Venen, Berlin, 1875). Hieher gehören auch die Beobachtungen von Hoyer, in dem Anat. Jahresbericht für 1874, pag. 175 und von Steinach in den Wiener akad. Sitzungsberichten, 1884 (Niere). Nie endigt ein Capillargefäss blind. Nur die in gewissen Schwellkörpern vorkommenden gewundenen Arterienästchen, welche als Vasa helicina Muelleri in der speciellen Anatomie der Geschlechts- organe erwähnt werden, bilden eine Ausnahme von dieser Regel. Eben so wenig geht je ein Capillargefäss in einen absondernden Drüsenkanal über, oder mündet mit einer OefFnung auf der Ober- §. 51. Lebenseigenschaften der Capillargefässe. 177 fläche einer Membran, wie die Alten glaubten (ausliancliende Grefässe). Man kennt seit Kurzem capillare Blutbalmen ohne alle Begrenzungs- membran. Sie wurden als lacunäre Blutwege von Häckel, Leydig und Eberth in den Kiemen der Crustaceen aufgefunden. Aucb in der Menschenmilz und in den Lymphdrüsen sollen sie vorkommen. Das schönste und überraschendste Schauspiel gewährt die Be- trachtung des Blutlaufes durch die Capillargefässe in durchsichtigen Organen lebender Wirbelthiere. Man wählt hiezu am besten junge Kaulquappen, welche in jeder Pfütze zu haben sind und in deren durchsichtigem Schweif das Phänomen des Kreislaufes stundenlang beobachtet werden kann. Um das Thier, ohne es zu verwunden, zu fixiren und sein Herumschlagen zu verhindern, bedeckt man es auf einer nassen Glasplatte mit einem einfachen nassen Leinwandläpp- chen, welches nur die Schwanzspitze hervorragen lässt. Auch die freien Kiemen der Embryonen von Salamandra atra, welche jedoch, da sie nur im Hochgebirge zu Hause sind, nicht immer zu Gebote stehen, können hiezu verwendet werden. Das Phänomen erscheint bei diesen Thieren noch herrlicher als bei den Quappen. Um an der Schwimmhaut und dem Mesenterium der Frösche, oder an der Lunge der Tritonen Beobachtungen anzustellen, werden complicirte Yorrichtungen zur Befestigung des Thieres erforderlich, und die damit verbundene Verwundung des unglücklichen Schlachtopfers auf dem mikroskopischen Altar der Wissenschaft lässt die Er- scheinung nie so rein auftreten und nie so lange andauern, wie am unverletzten Thiere. Um die Capillargefässnetze der verschiedenen Organe näher kennen zu lernen, werden sie von den Arterien aus mit gefärbten erstarrenden Flüssig- keiten durch Einspritzung gefüllt. Man bedient sich hiezu entweder des ge- kochten Leimes (Hausenblase) oder harziger Stoife, in ätherischen Oelen, ge- wöhnlich Terpentinöl, aufgelöst, mit einem Farbenzusatz. Sehr gute Dienste leistet gewöhnliche Malerfarbe mit Schwefeläther diluirt. Hauptregel bei dieser Injection ist es, statt einer grossen Arterie lieber mehrere kleinere zu injiciren, wodurch die Arbeit zwar erschwert, aber der Erfolg um so mehr gesichert wird. Hat man das Capillargefässsystem eines Organs, von den Arterien und Venen aus, wie ich es thue, mit verschieden gefärbten Injectionsmassen gefüllt, so erhält man die prachtvollsten Präparate, deren Anfertigung mir eine Lieb- lingsbeschäftigung geworden, und über deren Bereitung ich in dem VI. Buche meiner praktischen Zergliederungskunst, Wien, 1860, ausführlich handelte. Diese Präparate wurden noch vor Kurzem jährlich zu Hunderten durch Ver- kauf und Tausch in aller Welt verbreitet. Jetzt hat die Abnahme meines Augenlichtes Stillstand in diesen anstrengenden Arbeiten geboten. §. 51. lebenseigenscliafteii der Capillargefässe. Ernährung und Stoffwechsel beruhen auf der Permeabilität der Capillargefässwandungen, welche den flüssigen Bestandtheil des Hyrtl, Lebrbucli der Anatomie. 20. Aufl. 12 I/o §• Sl. Lebfnseipensohaften der Capillargefasse. Blutes (Plasma) den Gefässrauin verlassen, und mit den umliegenden Gewebstlioilen in unmittelhare Berüliruni;' treten lässt. Auch die geformten Bestandtlieile des Blutes (Blutkörperchen) können durch die StoiiKtfd der ('a])illargefässwand einen Weg in das umgebende (lewehe finden, -worüber noch nähere Aufschlüsse zu gewärtigen sind. — Ist der flüssige Bestandthcil des Blutes aus den Capillargefässen ausgetreten, so tränkt er die umgebenden Gewebe und kommt sofort auch zu Stellen, wo keine Ca})illargefässe verlaufen. Die Bewässerung einer Wiese durch Gräben würde sich zu einem rohen Vergleiche schicken. Gebilde, welche keine Blutgefässe besitzen, Avie die Linse, die structurlosen Membranen, diellorngebilde, (K'rZalinschmelz,dieEpi- thelien etc. sind deshalb nicht vom Ernährnni;sj)rocesse ausgeschlossen. Die ("apillari;efässe besitzen Contractilität. Die Thatsache steht fest, dass (bis Tjumeu lebendiger Capillargefässe sich unter dem Mikroskope zusehends ändert und sich bis zu dem Grade ver- kleinert, dass keine BIutk(>rperchen mehr durch dieselben passiren können. Umgekehrt wird durch die Durchsclmeidung der Nerven einer Gliedmasse beim Frosche, eine sehr bedeutende Erweiterung der Capillai'gefässe mit Verlangsamung der Blutbewegung gesetzt. \\'erden die Capillargefässe durch irgend einen Einfluss, welcher ihre (^ontractilität herabzusetzen vermag, erweitert, so muss die SchnelHi;keit der F^lutbewegung in ihnen abnehmen. Man sieht die Blutkügelchen träger durch die erweiterten Capillarröhren gleiten, und an den Wänden derselben hinrollen, während sie im normalen Mittelzustande der Gefässe in der Axe derselben gleiten, ohne zu rollen, und ohne die Gefässwand zu berühren. Bei gnisserer Ab- nahme der Fortbewegungsgeschwindigkeit tritt Stockung mit dem ^laximum der Erweiterung ein und ein rothes Coagulum, in welchem die einzelnen Blutkügelchen schwer oder gar nicht mehr zu unter- scheiden sind, verstopft die kleinsten Gefässe. Dieses findet bei jeder P^utzünduug statt. Die Vis a tenjo durch die nachdrückende Blutsäule, kann auch Berstungen solcher verstopfter Capillargefässe, und dadurch Blutextravasation bedingen, als sogenannte capillare Ilämorrhagie. Das Blut strömt in den Capillaren nicht stossweise, wie in den grösseren Arterien, sondern mit gleichförmiger Geschwindigkeit. Nur wenn Unordnungen im Kreislaufe entstehen, das Thier ermattet, oder seinem P2nde nahe ist, schwankt die Blutsäule unregelmässig hin und her oder ruht in einzelnen Gefässen, während sie in anderen noch fortrückt. Dass die Wände der Capillargefässe nicht blos das flüssige Blutplasma, sondern auch die geformten Bestandtlieile des Blutes: farblose und rothe Blutkörperchen, durch sie hindurchtreten lassen, hat Stricker (Sitzungsberichte der kais. Akad., 1865) zuerst ge- §. 52. Venen. Anatomische Eigenschaften derselhen. 179 sehen, und später Colinheim (Virchow's Archiv, 1867, 40, Bd.), durch die beweiskräftigsten Argumente zu einer festgestellten That- sache erhoben. Schon früher hat F. Keber (1854) in seinen mikro- skopischen Untersuchungen, betreffend die Porosität der Körper, über Poren der Capillargefässwand gehandelt, und die feinsten derselben von ^g" Durchmesser, sowie spalt- oder ritzförmige Formen derselben von ^a" Länge gemessen, ohne dass seinen Angaben da- mals von Seite der Mikrologen viel Gewicht beigelegt wurde. Jetzt sind die Stomata der Capillargefässe hinlänglich accreditirt. Stricker berichtet auch über Bewegungsphänomene an der Capillargefässwand, wie sie an dem Zellenprotoplasma früher (§. 19) erwähnt wurden. Die Capillargefässwand treibt nämlich Aeste hervor, welche sich Avieder zurückziehen oder bleibend werden, sich verlängern, hohl werden, niit benachbarten und entgegengesetzten Aesten ähnlichen Ursprungs zu Netzen zusammenfliessen und so fein sind, dass sie nur Blutplasma durchlassen. Die Frage, ob es überhaupt Capillargefässe gäbe, welche nur farbloses Blutplasma, aber keine rothen Blutkörperchen zulassen, sogenannte Vasa serosa (wohl zu unterscheiden von den Lymph- gefässen, welche auch Vasa serosa genannt werden), muss, wenigstens für das Auge, bejahend beantwortet werden. Wenn ein fremder Körper uns in's xA.uge fällt, röthet sich das Weisse im Auge plötz- lich, und man wird in ihm eine Unzahl feinster rother (xefässe (Capillargefässe) gewahr, welche sich doch gewiss nicht im Augen- blick gebildet haben konnten, sondern als Vasa serosa schon vor- handen waren und erst durch den stattfindenden Eintritt rothen Blutes in sie sichtbar werden. Die schönsten Abbildungen der Capillargefässnetze gab Berres in seiner „Anatomie der mikroskop. Gebilde". — Hasse und Kölliker, Ueber Capillar- gefässe in entzündeten Theilen, in Herde und Pfeuffers Zeitschrift, 1. Band. — A. JPlatner, Ueber Bildung der Capillargefässe, in Müllers Archiv, 1844. — J. JSilleter, Beiträge zur Lehre von der Entstehung der Gefässe. Zürich, 1860. — In Prochaskas Disquisitio anatoraico-phys. corp. hum. Vindob., 1812, ist den Capillargefässen das IX. Capitel gewidmet. — His, Ueber ein perivascu- läres Kanalsystem, in der Zeitschrift für wiss. ZooL, 1865. — Stricker, Ueber Bau und Leben der capillaren Blutgefässe. Wiener akad. Sitzungsberichte, 1865. — Eherth, Ueber Bau und Entwicklung der Blutcapillaren. Würzburg. — Legros, Sur l'^pithelium des vaisseaux sanguins. Journal de l'Anat., 1866. — Hyrtl, Verzeichniss mikroskop. Injectionspräparate. Wien, 1873. — Ueber den Uebergang kleiner Arterien in Venen, ohne Vermittlung von Capillaren, schrieb auch J. P. Sucquet, De la circulation dans les membres etc., Paris, 1862. §. 52. Yenen. Anatomisclie Eigensdiaften derselben. Nicht alle Yenen (Venae, cpleßeg), führen venöses Blut aus den Organen zum Herzen zurück. Es giebt auch Venen, welche venöses 12* 1 >>0 §. K. Vt>nen. Anatomitichc Eigen^ihaften dersolhen. Blut mMvi»('n Organen /, ii lii li rcii. Solcli«' Neuen linden >ieli im Menschen nur als Pt'ortaders vsteni der Lel)er. Venen, welche arterielles Hlnt /um Herzen zuriiukrühren. sind die Lnm;('nvenen. Auch die Naludvene dvs End)ry(> t'idirt diesem ai-teri(dles Blut au. Indem der Blutdrnek in den Venen bedeutend kleiner ist als in (\i'i\ Arterien, kommen den Venen viel dünnere Wände /ji, als den Schlagadern. Die dünnen Venenwände lassen das Blut durch- scheinen. Deshalb sind volle Venen duidui;sweise longitudinal ver- lanfende Fasern und «j^latte ^luskelfasern nur in verhältnissmässii^ <;erin,i;'er Menge l)eii;emischt sind. Die Adventitia übertrifft die beiden anderen Ilänte an Dicke. Inwiefern einzelne Venen besondere Modificationen ihres Baues darbieten, wurde nur bei einigen untersucht. So besitzen die Stämme der Hohl- und Lungenvenen, und jener der Vena coronaria coi^dis, an ihren Einmündungssteilen in die Vorkammern des Herzens eine sehr ansehnliche Schichte quergestreifter Kreismuskelfasern, welche eine Fortsetzung der ^luskelschichte der Vorkammern ist, und an den Venen des schwangeren Uterus werden in allen Häuten der- selben mehr Aveniger entwickelte Muskelfasern gesehen. In den Venen des Gehirns, der harten Hirnhaut, der Netzhaut, in den Knochenvenen und in den Venen der Schwellköri)er, fehlen die Muskelfasern. In der Pfortader und Milzvene dagegen sind sie sehr reichlich vertreten. Die gcriiifijc Dicke und Elasticität der Venenwandungen bedingt das Zusannnenlallen durchsdinittener Venen. Die Dicke einer Arterienwand beträgt gewöhnlieh das Drei- bis Vierfache einer gleich grossen Vene. Die Schwäche der elastischen Haut erlaubt den Venen nur einen sehr geringen Grad von Zurückziehung, wenn sie zerschnitten werden. In vielen Venen der Gliedmassen und im Verlaufe der Haupt- stänime der Körpervenen finden sich Klappen, Valvulae (von valrae, Thürflügel), welche man sich durch Faltung der inneren Venenhaut entstanden denkt. — Zum Verständniss älterer anato- mischer Schriftsteller bemerke ich, dass die Klappen der A enen vor Zeiten nicht Valvulae, sondern Oatiola, bei den Latino-Barharl auch Hostiola hiessen. Die Benennung der Klappen als Ostiola ergab sich dadurch, dass die schlechten Lateiner des Mittelalters die Thüröffnung, Ostluin, mit den Thürflügeln, Valvae, verwechselten. Noch im 17. Jahrhundert führt das Buch, welches der berühmte Fabriciub ab Aquapendente über die Venenklappen herausgab, §. SS. VerlaufH- und Verästlungsgesetze der Venen. 181 den Titel: De reuarum ostiolis, Patavii, 1603, Fol. Dieser grosse Anatom entdeckte zwar die Yeuenklappen, verstand sie aber nicht. Sonst wäre Er, nicht sein Schüler Haryey, der Entdecker des Kreislaufes geworden. Die Klappen der Yenen stehen entweder einfach am Ein- mündungsAvinkel eines Astes in den Stamm, oder paarig, höchst selten auch dreifach im Verlaufe eines Stammes, werden daher in Astklappen und Stamm klappen eingetheilt, und sind so gerichtet, dass ihr freier Rand gegen das Herz zieht. Sie beschränken somit die centripetale Bewegung der Blutsäule nicht, und treten erst in Wirksamkeit, wenn das Blut eine retrograde Bewegung machen Avollte. Es lassen sich deshalb klappenhaltige Yenen vom Stamm gegen die Aeste nicht injiciren. In Yenen von Ys" Durchmesser, kommen sie schon vor, fehlen jedoch allen Capillarvenen. Auch in gewissen grösseren Yenenstämmeu werden sie vermisst, bis auf Spuren, wie an der Pfortader, der Nabelvene, den Grehirn- und Liingenvenen, und allen Yenenverzweigungen, welche im Innern der Organe enthalten sind. Jene Stelle der YenenAvand, welche von der anliegenden Klappe bedeckt wird, ist etwas ausgebuchtet, wo- durch gefüllte Yenen knotig erscheinen und die gleichförmige cylindrische Rundung, wie sie den Arterien zukommt, an ihnen verloren geht. Die Klappen sind in der Kegel etwas dicker als die übrige Venenwand und zeigen unter dem einschichtigen Epithel eine aus elastischen und Binde- gewebsfasern bestehende Schichte. Gegen den freien Eand der Klappe zu, bilden die Bindegewebsfasern dickere Bündel, welche dem Klappenrande parallel laufen, und diesen dicker erscheinen lassen, als das übrige Klappensegel. — Ueber die Klappen der Venen und ihre Anordnung verdient die Abhandlung von K. Bardeleben (Jenaer Zeitschrift, 14. Bd.) nachgesehen zu werden. §. 53. Yerlaufs- und Yerästlungsgesetze der Venen. Ueber Yerlauf und Verzweigung der Yenen lässt sich im All- gemeinen Folgendes sagen: 1. Die Verbreitung der Yenen und ihre Yerästlung stimmt mit jener der Arterien nicht genau überein. Als auffallende Unter- schiede ergeben sich folgende: a) Nur die tiefliegenden Yenen folgen ihren gleichnamigen Ar- terien und heissen deshalb Comites oder Satellites arteriarum. An den Griiedmassen treten aber eigene oberflächliche oder Hautvenen, Venae suhcutaneae, auf, welche extra fasciam des Gliedes verlaufen und von keinen Arterien begleitet werden. h) Die Yenen des Halses, des Kopfes und des Gehirns haben andere Yerästlungsnormen als die entsprechenden Arterien. 1 82 § '•3- Verlaufs- nnd VerBstlnngogesetze der Venen. c) Dem System der Vena azygos, der Vena portae, uud den Venae cliploeticae, entsprechen keine gleichnamigen Arterien. 2. In der harten Hirnhaut, in der Beinhaut, in den Fascien, in tier (xallenhhise und an den Extremitäten begleiten in der Regel zwei Veticn einen grösseren Art«M-ienz\veig. Die Duplicität der \'enen beginnt an der oberen Extremität schon unter (b»r Mitte des Oberarms, au der unteren Extremität ai)er erst uuterhalb der Kniekehle. Es finden sich jedoch au den nur von einer grossen Vene begleiteten, arteriellen Ilauptstämmen der Gliedmassen und des Halses immer noch ein bis zwei kleinere Venen vor, welche dem Zuge der Arterien folgen. Sie können nicht für starke Vasa vasorum genommen werden, da ihr Kaliber dieser Deutung wider- strebt. Sie sind vielmehr, laut sorgfältiger Präparatiou, als Anastomosen zwischen dem llauptvenenstamm und seinen später folgenden paarigen Verzweigungen anzusehen. An anderen Stellen bleiben die A enen einfach, werden sogar in der Rückeufurche des mäuidichen (Gliedes und im Nabelstrange, von doppelten Arterien escortirt. Nimmt man nun zugleich darauf Rücksicht, dass das Volumen einer Vene jenes der begleitenden Arterie übertrifft, so Avird tue Capacität des Venen- systems jene des Arteriensystems nothwendig übersteigen müssen. Nach Haller verhalten sich beide Capacitäteu wie 9:4, nach Borelli wie 4 : 1. 3. Anastomosen kommen im Venensystem häufig-er und schon zwischen den grösseren Stämmen vor. Ausnahmslos anaston)osiren die hoch- und tiefliegenden Venen der Gliedmassen durch \ ev- bindungskanäle mit einander. Die Anastomosen spielen überhaupt im Venensvstem eine so wichtige Rolle, dass selbst bei vollkom- mener Obliteration eines der beiden Hauptstämme des A enensystems (Hohlvenen) das Blut derselben durch die Zweigbahnen der Ana- stomosen in die andere gelangen kann. 4. Treten mehrere uud zugleich gewundene Venen, durch zahlreiche Anastomosen in Verbindung, so entstehen die Venen- Geflechte, Plexus venosi. Sie sind um g-ewisse Organe (Blasenhals, Prostata, Mastdarm etc.) sehr dicht g-enetzt, also engmaschig. Ihre höchste Entwicklung erreichen sie in den Schwellkcirpern, welche in der That nichts sind, als von fibrösen und muskulösen Balken o-estützte uud von fibrösen Häuten umschlossene Ple.vvs venosi. 5. An Stellen, wo die Arterieu geschlängelt verlaufen, bleiben die Venen mehr gestreckt, z. B. im Gesicht und in der Gebärmutter. 6. Nicht selten wird eine Vene stellenAveise zusehends weiter, um sich gleich Avieder zu verengern. Sehr ansehnliche Erweiterungen dieser Art heissen Bulhi. — Die Inselbildung kommt an den A enen häufio-er als an den Arterien vor. §. 54. LelDenseigenscliaften der Yenen. 183 7. Geben ei-T\'eiterte Veneustreekeu ihre Selbstständigkeit dadnrcli auf, dass sie nuter Yerlust ihrer Adventitia und g-rössten- theils auch der Media, mit anderen, an sie anlieg-enden und sie umsehliessenden Geweben verwachsen, so wird ein solches Yor- kommen als Sinus, Blutleiter, benannt. Die harte Hirnhaut zeichnet sich durch ihren Reichthum an Blutleitern aus. 8. Yenen, denen keine Arterien correspondiren, wie die Haut- venen, die Azygos und Hemiazygos, variiren in ihrem Yerlaufe häufiger als die übrigen. Die Varietäten der Venen verhalten sich zu jenen der Arterien so, dass in gewissen Bezirken die Venen, in anderen die Arterien häufiger anomal ver- laufen oder sich verzweigen, und eine Arterienvarietät keine entsprechende Abweichung der betreffenden Vene bedingt. Dieses gilt auch umgekehrt. §. 54. Lebenseigenschaften der Yenen. Indem das Blut schon in den Capillargefässen nicht mehr stossAveise, sondern gleichförmig fortbewegt wird, muss es auch in den Yenen in ruhigem Strome fliessen. Yenen pulsiren also nicht. Sie hiessen deshalb bei den Arabisten Venae quietae, zum Unter- schied von den Arterien, welche Venae pulsatües, salientes, auch audaces genannt wurden. Schon der Umstand, dass die häufigste und älteste aller chi- rurgischen Operationen, der Aderlass, an einer Yene verrichtet wird, macht die Lebenseigenschaften der Yenen dem Arzte wichtig. Der Aderlass wurde zuerst von den trojanischen Helden Chiron und Melampus, an einer cretensischen Königstochter gemacht und mit der Hand der geheilten hohen Patientin honorirt. Die Ausdehnbarkeit der Yenen ist viel grösser, die lebendige Contractilität derselben viel kleiner als jene der Arterien. Aus diesem Grunde sind die Yolumsänderungen einer Yene, durch Stockungen des venösen Kreislaufes, oder durch stärkeren Blut- antrieb von den Arterien her, aufi'allender als an den Arterien. Man kann dieses an den Yenen des Halses bei stürmisch aufgeregter Respiration oder bei Anstrengungen sehr gut beobachten. — Die Contractilität der Yenen reagirt auf äussere Reize nicht so auf- fallend, wie jene der Arterien. Mechanische Reizung und Galvanismus bedingen zwar nach den Beobachtungen von Tiedemann und Bruns Yerengerungen der Yenen, und der Einfluss der Kälte auf das Abfallen strotzender Hautvenen wird durch tägliche ärztliche Erfahrung constatirt. Allein die auf diese Weise erhaltenen Zu- sammenziehungen erfolgen träger und erreichen nie jenen Grad, wie er bei Arterien vorkommt, wo die Contraction das Gefässlumen bedeutend zu vermindern, bei kleinen Arterien selbst ganz auf- 184 S- f»*. LplTiirJ.'iii.'nidiat'tPii iI.m V.-iu'u. zuliclxMi vcniiai;'. KöllikiM-'s R(Mzunsi,sviM-.Muln' an der W-iui S((j>h('n<( major und minor, iiiul Vriia tihhdis postica iViscli amiMitirt«'!- (ilicd- inasscn liaht'ii di«' Zii>aimn(Mi/,i('luiii^st'äliii;k('it dicker ^ l<('lMliitdilt' der Ilcr/vor- kamnicrn toiMsct/t, >ind am-li .sclUsttiiäti^c, rlivtliniisclic Contrat-tiduen .sc'lion seit llalh'r bekannt nnd l»ei kaltl)lütij^en Tliieren (Fr()sclien) sehr leicht zu Ix'oltachten. Der nieehanische Nutzen der Veneiikhi|>|)en wiirch» tViilier (hirin gesucht, dass sie in Jonen ^ enen, in "weltdien das IJlut uei;-en seine Schwere strömt, wie an den nnteren Extremitäten. (Um* I^hitsäule als Stützen ilienen sollen, um ihr Rü('k<;äni;ii;wer(len zu verhindern. Da jedoch nicht alle Venen, in welchen das lUwt i^e^eu seine Schwere aut'steii;!. Klappen haben, z. IJ. ilie Pt'ortader, und da andere Venen, in welchen die Richtnni;' des Blntstroines mit der Gravitationsrichtung' übereinstimmt, Klappen besitzen, z. B. die Gesichts- und Halsveneu, so kann die Sclnvere des Blutes allein das Vorkommen der Klappen nidit erklären. Es «iiebt uns vielmehr der Drui'k, welchen die dünne Venenwand von ihnu" l in^eV)ung". und namentlich von den sich contrahirenden Muskeln, auszu- halten hat, die einzige haltbare Erklärung der Klappenbildnng an die Hand. Die Blutsäule einer durch die anlagernden Muskeln com- primirten Vene sucht nach zwei Richtungen auszuweichen, centri- petal und centrifugal, d. i. gegen das Plerz nnd vom Herzen weg. Dem Ausweichen in centripetaler Richtung stellt sich nichts ent- gegen, da das Veneni)lut in dieser Richtung üljerhaupt zu stniinen hat. Al)er centrifugal ausweichend, würde das Blut mit dem centri- petal heranstrtimentlen in Conflict gerathen, und eine Stauung ganz unvermeidlich hervorgerufen Averden. Diese centrit'ugale Richtung der venö.sen Blntsäule und die durch sie veranlasste Stauung wird durch die Klappen verhütet, Avelche sich vor der centritugaleu Blutsäule wie zwei P^illthüren schliessen und das Veuenlumen al)- sperren. Da nun alxn*, dieser an mehreren Stellen zugleich statt- findend(Mi Al)sperrung des Venenlumens Avegen, auch die BeAveguug der centripetal strömenden Blutsäule ccuipirt Aväre, so ergiebt sich von selbst die NothAvendigkeit, dass alle tiefliegenden, dem Muskel- drucke ausgesetzten Venen, durch Abzugskanäle mit den oberfläch- lichen, crtra fasciam gelegenen, und somit dem ^luskeldruck nicht ausgesetzten Venen in Verl)indung stehen. Gesunde Klappen schliessen in dtn meisten Venen wirklich so genau, dass der Kückfluss des Blutes unmöglich wird, und somit der Muskeldruck zugleich, wegen Bethätigung der centripetalen Blutstriimung als fördernde Kraft für die Bewegung des Venenblutes in Anschlag gebracht werden muss. §. 55. Praktische Anwendungen. 185 Aus dem Gesagten lässt sich das anatomische Factum erklären, dass nur die tiefliegenden, dem Muskeldrucke ausgesetzten Venen, vollkommen schliessende Klappenpaare besitzen. Dieses gilt auch von den Klappen der Lymph- und Chylusgefässe (§. S6). §. 55. Praktisclie Anwendungen. Wnndeu jener Yeuen, welche dem chirurgischeu Yerbaade zu- g-änglicli sind, oder eomprimirt werden können, heilen schnell und leicht. Die prompte Heilung der Aderlasswunden dient als Beleg. Durchschnittene Yeuen bluten nur aus dem Aom Herzen entfernteren Schnittende. Wird jedoch eine Yene, in welcher das Blut gegen seine Schwere fliesst und die zugleich abnormer Weise einen in- sufficienten Klappenverschluss besitzt, entzweit, so kaun sich Blutung auch aus dem oberen Stücke der Yene einstellen. Bei Amputationen im oberen Drittel des Obersehenkels, wo die Vena cruralis nur niedrige oder kleine Klappen besitzt, kommt solche Blutung öfters vor und erfordert sogar, wo sie gefahrdrohend wird, die Unterbin- dung der Yene. — Jene Yenen, deren Wand mit benachbarten Ge- bilden verwachsen ist (Knochen-, Leber-, Sehwellkörpervenen u. a. m.) werden, wenn sie verwundet wurden, weder zusammenfallen, noch sich selbstthätig contrahiren, woraus die Grefährlichkeit der Yer- wundungen solcher Organe und die Schwierigkeit der Blutstillung sich ergiebt. Die häufigen Anastomosen hoch- und tiefliegender Yenen unter einander werden bei Yerengerungen, Yerwachsungen und Compres- sionen einzelner Yenen durch Geschwülste der venösen Blutströmung eine Menge von Nebenschleussen öffnen, durch welche dem Stocken des Blutes vorgebeugt und der Rückfluss desselben zum Herzen auf anderen Wegen eingeleitet wird. Nur müssen sich solche Aushilfs- kanäle der Grösse des übertragenen Geschäftes entsprechend er- weitern, und da in der Regel die tiefliegenden Yenen das Hemmniss erfahren, so werden die hochliegenden vorzugsweise die Ausdehnung zu erleiden haben. Bleibende Ausdehnungen subcutaner Yenen sind somit für den denkenden Arzt ein Fingerzeig auf Yerengerungen oder Yerschliessungen tiefer gelegener Yenenstämme. Krankhafte Erweiterungen (Varices) kommen in solchen Yenen häufig vor, in welchen der Seitendruck der Blutsäule ein beziehungs- weise grosser ist und durch den Druck der Umgebung nicht parirt wird, also in hochliegenden Yenen, in welchen das Blut gegen die Schwere strömt. In den vom Herzen entfernteren Abschnitten solcher Yenen, kommen sie häufiger als in den näheren vor. — Die Yarices sind entweder einfache sackartige Ausdehnungen einer bestimmten Stelle der Yenenwand, oder befallen einen längeren oder kürzeren 186 §• fiß- Lympli- und Cliylusgefas''e. Anatomische Eigenicliaften derselben. Abschnitt eines Veneiirolirs ;ils (lanzes. Zur VergT(>.ssenmg' des Lumens varicöser Venen gesellt sich in der Hegel auch eine Zu- nahme der Länge derselben, welche sich durch Schlängelung, ja sogar Aufknäuelung, besonders an den subcutanen Venen der xinteren Extremität l»ei den sogenannten K ra ni ittadern ausspriclit. Vielleicht erklärt die alternirende Stellung der AstklapptM). welche tler Aus- dehnung weniger Folge leisten, als die den Klajtpen gegenüberliegen- den Wandstücke einer Vene, die geschlängelten Krümmungen einer varicösen Blutader. Die Entzündung der Venen (Pldehitis) beeinträchtigt durch ihre in der Wand der Venen altgelagerten Proilucte das vitale Con- tractionsvermiigen derselben ebenso, Avie die Entzündung in den Arterien. Es darf deslialb nicht wundern, Varices in Folge von Ent- zündungspr(»cessen entstehen zu selien, r (letasse zn vennuthen wäre. In tleii feinsten Lynipli^efässen (L\ ni|tlu'a|)illaren) (inden wir nichts, als eine Bindei;'ewel)snu'nil)ran mit Epithel. l)i(>>e feinsten Lvm|tlii»'efässe halten keine Kla|)j>en, InH-hstens undeutliche Rudimente derselben, stellenweise auch rini;f»»rmii;'e. niedrii;(> A orsprün«;»' nach dem Lumen hin. Uauchi^c» Er\ve mit oitcncii Miin(liiiii;('ii ihren Ürsprun-;- nelunen. — ■ Es können also ans allen interstitiellen ( ie\vel)srännien, nielit Mos auv den periplieriscdieu ivVin|)lidi"ii>en l>rncke's, Lymph- k(')r])ercdien in die Lyinplii;«'t"ässe i;eratlien. Ancli wnrde früher ani;ei;el)en (§. ÖO), dass viele feinere Blnt^efässe innerhalb bewandeter Lymphbahnen liefen, welche sie scheidenartii;' nnigeben, die Lyniph- körperelien des Blutes also, naeli ilireni Ansti'itte durch die Capillar- i;efässwand. gleich in die nmi;'el)en(len Lymphbahnen ;;elani;en müssen. Aii> dem (iesai;ten fol^t, dass die sogenannten peripherischen Lymphdiüsen alleidin^s i^ewissen Lyniphg'effissen Lyniphkörpercheu liefern können. al)er sieher niclit allen, denn die Lymphkörperchen, welche man /. IJ. in dem Iidialt einer krankhaften Lyniphgefäs.s- Erweiternni; des l nterschenkels findet, können doch nicht aus den Peyer'schen Fo!lik(dn, Mandeln (mIci- Zunucnbal^drüsen herstammen. Die Contractilität der Lymph- und Chylnsgefässe wird allgeinein als bewegendes Moment ihres Inhaltes anerkannt. Nach J, Müller stellten siel» am entblössten Ductus thoraclciis einer Ziege, auf starken g-alvanis(dien Reiz, Zusamiuenziidiungen ein. Ilenle sah, unter An- wendung des Rotationsapparates, Contractionen des Ductus thoracicus an einem mit dem Schwert gerichteten Verbrecher entstehen, und an den mit Chylus gefüllten Saugadern des Gekröses lebender Thiere wurden solche Contractionen von vielen Beobachtern gesehen. In gewissen Lvmphreservoireu der Amphibien und Vögel treten mit der P^ntwicklung einer sehr deutlichen Muskelschichte selbst rhyth- mische ('onti'actionen und Ex[)ansionen auf, weshalb man diese ])ulsirenden Lympldxdiälter Ly ni p h h erzen nannte. Die j)hysiologisclie Bestimmung der Lvmphgefässe zielt dahin, die aus den ('apillargefässen ausgetretenen flüssigen Bestandtheile des Blutes, nachdem sie den Eruährungszwecken gedient, durch Aufsaugung (Ahsorptio) wieder in den Kreislauf zu bringen. Aus- scheidung durch die Capillargefässe und Aufsaugung durch Lymph- gefässe müssen bei normalen Zuständen gleichen Schritt halten. Es lässt sich leicht einsehen, auf wie vielerlei Weise dieses Gleichheits- verliältniss gestört werden köjine. Führen die Lymphgefässe Aveniger Lymphe ab, als die Ca[)illargefässe ausschieden, so niuss das Aus- geschiedene >icli stagnirend aidiäufen, wodurch Avässerige An- schwellung (Ucdcuui, von oidc'o), strotzen), oder in höheren Graden Wassersucht (JIiiie im Organismus erzeugt oder durch Verwundung §. 59. Physiologisclie und praktisclie Bemerkungen. 195 demselben einverleibt wurden (vergiftete Wunden, wohin auch die bei Leiclienzerg'liederung' entstandenen Verwundnng-en geboren), so können sie sich entzünden, die Entzündung den Lymphdrüsen mit- theilen und Anschwellungen, Verstopfungen, Yerhärtnngen und Ver- eiterungen derselben bedingen. So entstehen z. B. die Bubonen als Entzündungen der Leistendrüsen, bedungen durch das von den Lymphgefässen aus den Gresehlechtstheilen zngeführte venerische Gift. Da sich zu vergifteten Wunden auch häufig Entzündung der Yenen gesellt, deren Folgen so oft lethaler Natur sind, so ist ihre Grefährlichkeit evident. — - Mehrere Anatomen, wie Spigelius, J. Hunter, Hunczowski, Kolletschka n. m. a. starben in Folge von Inoculirung des Leichengiftes durch Sectionswunden. Ich selbst erlitt in Folge einer Fingerverletzung bei der Section der Leiche einer Wöchnerin eine Zellgewebsvereiterung der ganzen rechten oberen Extremität. Ein merkwürdiger und in praktischer Beziehung wenig ge- würdigter Antagonismus herrscht zwischen der Absorption der Lymph- und Chylusgefässe. Bei Thier'en, welche lange hungerten, findet man die Lymphgefässe von Flüssigkeit strotzend, die Chylusgefässe da- gegen leer, und bei einem nach reichlicher Fütterung getödteten Thiere zeigt sich das Gegentheil. Interstitielle Absorption kann sonach durch Hunger gesteigert werden, Avährend in jenen Krank- heiten, wo sie herabgestimmt werden soll, karge Diät vermieden werden muss. Bei Thieren, welche durch reichliche Blutentziehuug getödtet werden, findet man die Lymphgefässe voll, und die Steige- rung" der Absorption durch Aderlässe ist auch in der medicinischen Praxis bekannt. Man könnte diese Erscheinung so auffassen und erklären, als beeilten sich die Lymphgefässe, den Yerlust zu ersetzen, welchen das Grefässsystem durch Blutentziehungen erlitt. Dass die Blutentziehungen zugleich das Austreten des Blutplasma aus den Capillargefässen erschweren, ist eine nothwendige Folge der ver- ringerten Capacität der Blutgefässe und der damit verbundenen Dichtigkeitszunahme ihrer Wände. Der Inhalt der austretenden Gefässe einer grösseren Mesen- terialdrüse unterscheidet sich von jenem der eintretenden durch seine röthere Färbung und grössere Neigung zur Coagulation. Er muss somit während seines Durchganges durch die Drüse faserstoff- reicher geworden sein und rothes Pigment aufgenommen haben. Dass beides durch Yermittlung der Blutgefässe geschieht, welche sich in den Wänden der Alveoli und in der Marksubstanz der Drüse verästeln, wird man wohl einsehen. Der ganze Vorgang bildet den Begriff der Assimilation, auf welchen die alten Aerzte weit mehr hielten, als die jungen. 13* 19b §• 60. Blut. Mikrijskopische Untersucliunp dosst'll>eii. Inhalt des (Jefässsysteius. §. 60. Blut. Mikroskopische "Untersuchung desselben. Obwohl die praktiselu' Anatomie üher und über mit Blut zu tliuii hat, hetrachtet sie dennoch diese.s Flnidiim nicht als ein ihr zuständiges Ohject der Untersuchung-, Sie hat dasselhe der Physio- logie ganz und gar überlassen. In den Schriften der letzteren Wissenschaft ist demnach Ausführlichkeit über alles dasjenige zu suchen, was die hier folgenden Paragraphe, im Bewu.sstsein ihrer Nichtbereehtigung, nur in Umris.sen andeuten. Das Blut, Sanffiiis (atiia), ist jene rothe. gerinnbare, schwach salzig schmeckende und Spuren einer alkalischen Keaction zeigende Flüssigkeit. w(dehe in eigenen Gefässen und in beständiger Bewegung zu und von den Organen strömt. Die heilige Schrift nennt das Blut den flüssigen Leib, welcher Ausdruck nicht actu, sondern potentia zu nehmen ist, indem das Blut, als allen Organen gemein- schaftlicher Nahrungsquell, die Stoffe enthält, aus welchen die Organe sich erzeugen und ernähren. Im .">. Buche Moses, Cap. 12, heisst es: „Das Blut ist die Seele, darum sollst du die Seele nicht mit dem Fleische essen." Die Etymologen leiten Blut von ß}.vco, hervorquellen, ab. Richtiger er- scheint mir die Verwandtschaft mit dem altdeutschen plot, d. i. roth (er- ploten lesen wir für erröthen. und die Bergleute sagen noch jetzt von dem Rothgüldenerz, dass es blute). Die Menge des Blutes im vollkommen ausgewachsenen Men- schen von circa 150 Pfund Gewicht kann auf 11 l)is 12 Pfund angeschlagen werden. Im Alter nimmt die Blutmenge ab. Wie diese Abnahme der Blutmenge mit der gleichfalls im Alter sich einstellenden Erweiterung der Blutgefässe in Einklang gebracht werden kann, hat man bis jetzt nicht einmal gefragt, also auch nicht beantAvortet. Es wird ein ganz eigenthümlicher Aggregations- zustand im Greisenblut aufgefunden Averden müssen, um dieses Räthsel zu lösen. In seinem lebenden Zustande beobachtet, was nur an durch- sichtigen Theilen kleiner Thiere möglich ist, lässt uns das Blut einen geformten oder festen und einen flüssigen Bestandtheil unterscheiden. a) Geformter Bestandtheil des Blutes. Den geformten oder festen Bestandtheil des menschlichen Blutes bilden zwei Arten von sogenannten Blutkörperchen: die rothen und die farblosen oder Aveissen. Beide schAvimmen im §. 60. Blut. Mikroskopische Untersuchung desselben. 197 flüssigen, wasserhellen und durchsichtig-en Bhitliqnor, Plasma sanguinis. Die von Swammerdam zuerst beim Frosch (1658) und hier- auf von Leeuwenhoek beim Menschen (1673) entdeckten rothen Blutkörperchen \verden unpassend Globuli s. Sphaerulae sanguinis genannt, indem sie keine Kugeln, sondern kreisrunde (nur beim Kameel und Llama elliptische), das Licht doppelt brechende Scheiben darstellen, deren Flächen nicht plan, sondern derart gehöhlt sind, dass die Scheibe biconcav erscheint. Der Flächendurchmesser der- selben beträgt im Mittel 0,0077"' (Welcker) und der Dickendurch- messer ungefähr ein Viertel davon. Bei allen Säugethieren sind sie kleiner, nur beim Seehund ebenso gross wie im Menschen. Der von Einigen in den Blutkörperchen der Säugethiere ge- sehene Kern existirt in den vollkommen ausgebildeten Blutkörperchen des Menschen nicht, obgleich er in den Zellen, welche sich in Blut- körperehen umwandeln, immer vorhanden ist. An den elliptischen Blutkörperchen der Amphibien tritt der Kern besonders unter Anwendung von Jodtinctur sehr deutlich hervor. Im Blute des erwachsenen Menschen kreisen 60 Billionen Blutkörperchen (Yierordt). Wer an der Richtigkeit dieser Ziffer zweifelt, möge nachzählen. Welcker schätzt ihre Menge in einem Kubikmillimeter auf 5 Millionen bei Männern, auf 472 Millionen bei Weibern. Im vorgerückten Alter und in gewissen Krankheiten, z. B. in der Bleichsucht, nimmt diese Menge bedeutend ab. Die Substanz der rothen Blutkörperchen ist ein in Wasser unlöslicher, in Säuren und Alkalien aber löslicher, scheinbar ganz homogener Eiweisskörper. Er enthält das oxygenreiche krystallisir- bare Hämatoglobin, das eisenhaltige Hämatin, sowie Spuren von Kalisalzen, besonders phosphorsauren. Eine besondere, dem Blutkörperchen als Hülle dienende elastische Zellenmembran wird von Einigen zugegeben, von Anderen geläugnet. Das Hämatoglobin ist krystallisirbar. Die Hämatoglobinkrystalle des Menscbenblutes sind rhombische Prismen von Amaranth- bis Zinnoberröthe. Diese Blutkry stalle haben für die gerichtliche Medicin grösste Wichtigkeit. denn sie dienen nicht nur zur Constatirung von sehr alten Blutflecken, sondern überhaupt zur Erkenntniss kleinster Mengen Blutes. Um sie zu erhalten setzt man einem eingetrockneten Blutstropfen in einem Uhrglase etwas Kochsalz zu, befeuchtet denselben mit einigen Tropfen Eisessig, und dampft die Mischung bei Kochhitze ab. — Das Hämatin soll, den neuesten Untersuchungen zufolge, nicht als solches in den rothen Blutkörperchen enthalten sein, sondern sich erst durch die Einwirkung von Säuren aus ihnen herausbilden. Wir wissen, dass dasselbe der Träger des im Blute vorhandenen Eisens ist; denn die Asche des Hämatins giebt 10 pCt. Eisenhyperoxyd. Wie das Eisen im Hämatin vorkommt, ist zur Stunde noch nicht mit Sicherheit eruirt. Durch chemische Beagentien lässt sich sein Vorhandensein im frischen Blute nicht constatiren, lOR §. Oo. l!hi«. Mikr..-liM|,is.li,. ^lll..lMl(•llllIl^' .U-ssfll.eii. wcilil aber fjrliiiijt es. dassellje in iiietalliselicr Fnnii aus der Blutasche zu er- halten. — Sielierijestellt im I\lensclien- und Säugetliierblut, aber nieht erklärt, ist das Vorkommen sternförmiger lUntkörperehen, welche zuerst im Blute von Tvphuskranken gesehen wurden, aber mit dem Tviduis in ktincm causaleii Nexus stellen, da sie bei kerngesunden Älenschen, und zwar liäufig genug vor- kummen. Nur so viel steht fest, dass die sternfVirmigcn l!lutki"ir]n'r(hen aus den ruthen, seheibtiifürmigen hervurgelien. Die t:i rl) Iti.st'U lilutkiU'itcrclH'ii ixlcr Lc ii (mic v teil ^ind im M('nscli('nl)lut orö^scM* als die rotlicu, hoi den Tliicrcn mit oUiptisclion Iilutkörporchon jodoch (Vöi;(d. Ampliil)i(Mi und Fisclio) kloiuor. Das fiMiikörnis^p, eontractilo Prot(tj)lasma ilires L(mI)o.s scldiesst einen ein- lachen Kern, selten aiicli zwei Kerne mit Kernkörperclieu ein. An- wendiini:, von Essii;säure macht diese Kerne (h'utlich sichtbar. l)()))|»eltsein des Kernes hisst sich als erster Schritt z\ir Theilnug" der Zelle, also znr Vermehrung- derselheu auffassen. Das granulirte Ansehen ihrer OherHäche tritt an kleiner(Mi K<"irpei-chen dieser Art deutlicher hervor, als an grösseren. Sie sind, ihres Fettgehaltes "Wegen, speeifisch leichter als die rothen Blutkörperchen. Ihr (|uan- titatives Verhältniss zu den rothen I)lutk<")rperchen scheint ein sehr variables zu sein. Die Angaben der Autoreu stimmen deslialb nicht l>los nicht überein, sondern diff(M-iren in wahrhaft ausserordentlii-her Weise. So ist das Verhältniss nach Sharpev 1:50, na(di Ilenle 1:80, nach Donders '[:'^~~). Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass sie in der .Tugend und nach genommener Nahrung zahlreidier zur Anschauung gelangen. Es giebt eine trostlose und nicht eben seltene Krankheit, bei Avelcher die farl)losen Blutkörperchen über die f'arl)igen numerisch das re]>eri;-e wicht erhalten. Sie heisst Lteucud'niid. Eine Zellenmembran kommt au den farl)losen ßlutkörpei'clien o-anz gewiss nicht vor. Sie zeigen die grösste Uel)ereinstimmung, oder sind vielmehr identisch mit den Lvmph- und Chyluskör[)erchen und mit den im frischen Eiter vorkommenden granulirten Eiter- körperchen. In letzt(M"er Beziehung lässt sich deshalb auf den mikro- skopischen Nachweis von Eiter im Blute nidit viel Werth legen. — Die farblosen Blutkör})ercheii wandeln sich allm;ilig in i^-efärbte Blut- körperchen um. d(M'en jüuiicre Lebeiiszustände >i«' darstellen. Bei autmi.-rksaiiier Benbaehtung unter dem Mikroskope sieht man, dass die farblosen Blutkörperchen langsam, aber fortwährend ihre (iestalt ändern, indem sie eiförmig. birnfVirmig. eckig, selbst sternförmig werden. Dieser zu- gleich mit wirklicher Ortsveränderung auftretende Gestaltenwechsel lässt sich stundenlang verfolgen. Während des Ablaufens solcher Bewegungen bemerkt man zuweilen, dass die farblosen Blutkörperchen kleinste Partikelchen, z. B. Farbstoflfmoleküle, Fetttröpfchen, Milchkügelchen, welchen sie begegnen, selbst rothe Blutkörperchen, in die Substanz ihres Leibes aufnehmen. §. til. iMl,.jrisili,. Ümiorkun^r.'H nlicr clas lUul. sie so (lurclisichtis^' wcrdcMi, dass der Kern dorsplben mir von einem feinen, hlasscii Hofe iinii;el)eii crsclieint, welelier das farhlose Proto- plasma der IMiitkörperelien ist. Zusatz von .Todtinctnr macht die Beg-renzmii;' dieses Hofes wieder dcnrlicli. Venöses und arterielles I>hit iinterscluMden sich nicht durch messhare Yerschiedenheiten der (Jestalt und (Irösse der IMutkörper- chen, sondern durch ihren (iasi»<'lialt. Nach Maj^nus kommt im arteriellen Blute mehr Sauerstoff im Verhältniss ziir Kohlensäure vor, und nach den Angaben Anderer ist in ihm die Men<;e des Faser- stoffes n'rösser, jene des Eiweisses aber >i,erinn-er, als im Venenblute. — Die farblosen Bhitk(')rperchen finden sich im lUiitc (b'r g-rossen Yenenstämme häufiger als im Arterienbhite. Das baldige Gerinnen des frischen Blutes ersclnvert seine mikroskopische Untersuchung. Die Coagulationstendenz des Blutes kann aber durch Bei- mischung einer sehr geringen Quantität von aufgelöstem kohlensauren Kali hintansehalten werden. Clu'misclu'Zusamim'nst'tzung des KlutsiTinns nuch Denis. Es linilcn sii-li in lOdO Tlieilen Serniii : Wasser 900,0 Eiweiss 80.0 Cholestearin fJ.O Chlornatrium 5,0 Flüchtige Fettsäuren 3.0 Gallenpigment 3,0 Serolin 1,0 Schwefelsaures Kali 0,8 Schwefelsaures Natron .... 0,8 Natron 0,ö Phosphorsaures Natron .... 0.4 Phosphorsaurer Kalk 0,3 Kalk 0,2 1000 Ziisumiiiensoti'.UMg iles Hlutes nach L c Cann. hl llKKi Tlieih'n tindm sich: Wasser 780,15-785,59 Fascrstotf 2,10- 3,50 Eiweiss 6:i,09- G9,42 Blutkörperchen .... 133,00-119,63 Krystallinisdies Fett . . 2,43- 4,30 Flüssiges Fett 1,31- 2,27 Alkoholextract 1,79- 1,92 Wasserextract 1,26— 2,01 Salze mit alkalischer Ba- sis 8,37- 7,30 Erdsalze und Eisenfixyd 2,10— 1,41 Verlust 2,40- 2,59 1000 1000 §. 63. Physiologische Bemerkungen über das Blut. Das Blut bildet den Haupttactor für die lebendige Thätigkeit der Organe, indem es die für ihre Ernährung, und somit für ihre Existenz und Function notlnvendigen Materialien liefert. Dass das Alterthum im IMut den Sitz der Seele annahm, wurde bereits gesagt. Ich erinnere hi(n- an die pvrpurea (oiima des Yirgil. Diese Yor- stellung "wurde bis zur Entdeckung des Kreislaufes noch insofern festgehalten, als man (bis arterielle I>Iut als den Träger der Spiritus vitales ansah. Nur hieraus lässt sich der im Mittelalter noch übliche Usus verstehen, dass die xVerzte i]en Kranken empfohlen haben, das Blut, welches sie ihnen durch die Aderlässe entzogen, bevor es aus- kühlte, Avieder zu trinken, v\'ie die merkwürdige Stelle imSalomon §. 63. Phj'siologist-lie Kemerlfunfjfii tilier das Blut. 203 AlbertiLs beweist, Avelche lautet: „Sanguinem, quem vulgus chyrur- gorum, prnis adhue, quam mtepi(erit, ingurgitare cogit eos, quibus de- tractus est, ratus, sid^esse anitnam, qvae tali jjotatione corjyori postliminio restitvatur." (Ilist. plerarumque i^arthim corp. kirm., pag. 55.) Das ärztliche Blutvergiessen wurde, wie ich aus Fabricii Hilclani „Hu^ unb ^ürtrefflid^feit ber ^tnatomy", 1624, pag. 27, ersehe, damals so schonungslos betrieben, dass man 7 — 10 Aderlässe nach einander an Einem Kranken yornahm, sich auch nicbt mit der Eröffnung einer Hautvene des Armes be2:nüo:te, sondern an beiden Armen itnd an beiden Füssen zu gleicher Zeit eine Ader öffnete (als Venaesectio Neroniana verschrieen) und das Blut so lange ausströmen liess, bis die Kranken ohnmächtig wurden, während schon Hippocrates vor abundanten Aderlässen warnte: „pJurbimm repente evacuare, pericu- losum est" (Aphorism. Lih. II, Cap. 51). Matt hält allgemein daran, dass die Blutkörperchen beim Er- nährungsgeschäfte nicht zunächst interessirt sind. Das Blutplasma wird durch die Wand der Capillargefässe hindurchgepresst, verbreitet sich zwischen den umlagernden Grewebselementen und speist sie mit den zu ihrer Ernährung dienenden »Stoffen. Der Durchtritt der rothen und farblosen Blutkörperchen durch rlie Gefässwand ist zwar eben- falls sichergestellt (§. 51), aber die Verwendungsart der geformten Blutbestandtheile bei der Ernährung der Organe noch nicht ermittelt. Organe, welche intensive Ernährungs- oder Absonderungsthätig- keiten äussern, bedürfen eines reichlicheren Zuflusses von Plasma, und da mit der Zahl und Feinheit der Capillargefässe die das Plasma ausscheidende Fläche wächst, so wird der Reich thum oder die Armuth an Capillargefässen ein anatomischer Ausdruck für die Energie der physiologischen Thätigkeit eines Organs sein. Es kann jedoch auch in Organen mit sehr wenig energischem Stoffwechsel eine abundante Blutzufuhr nothwendig werden, wenn nämlich der Stoff, welchen das betreffende Organ bedarf und welchen es vom Blute erhalten soll, im Blute nur in sehr geringer Menge vorhanden ist. Um das nöthige Quantum davon zu liefern, muss viel Blut dem Orgaue zugeführt werden. So erklärt z. B. der geringe Gehalt des Blutes an Kalksalzen den Gefässreichthum der Knochensubstanz. Die Beobachtung des Kreislaufes in den Capillargefässen lebender Thiere lehrt Folgendes: 1. Die farbigen Blutkörperchen werden rasch in der Axe des Gefässes fortbewegt, die farblosen dagegen gleiten träger längs der Gefässwand hin, wobei sie öfters Halt zu machen scheinen, als ob sie an die Gefässwand anklebten. 2. Das Plasma bildet kein Object mikroskopischer Anschauung, weil es wasserhell und vollkommen durchsichtig ist. Dasselbe kann 204 §• ßS. Physiologische ReiiiiMkiiiifien nher das Blut. abei' unter krankliafton Bcdiniiungen getärbt «n'sclieineii. Weuu näm- lich der Wa.ssergelialt des Blutes Ix'i hydropisclieiu Zustande des- selben zunimmt, oder sein Salzgehalt bei Scorbut und P\iulfieberu abnimmt, wird das Blutroth sich im Plasma auflösen und eine röthlichgetarbte Tränkung der frewcbe bedingen. Die blutrothen Pe- techien, die t"alsch(Mi Blutiinterlaufuugen, die scorbiitischen Striemen (Vibices), die tleischwasserähnlichen, hydropisehen Ergüsse in die Körperhöhlen entstehen auf diese Weise. Abundirt der gelbe Färbestuff im Blute durch Störung oder Unter- drückung der Gallenabsonderung, so wird die Tränkung der Gewebe mit gelbem Plasma eine allgemeine werden können, wie in der Gelbsucht. — Bei Ent- zündungskrankheiten kann das Plasma, wenn es einmal die Gefässwände passirt hat, in den Geweben gerinnen, und wird dadurch jene Härte bedingt, welche Entzündungsgeschwülsten eigen ist. Da das ausgetretene Blutplasma an der äusseren Oberfläche der Blutgefässe reicher an NahrungsstuflVn ist, als jenes, welches sich schon eine Strecke weit durch die Gewebe fortsaugte, und bereits viel von seinen plastischen Bestandtheilen verlor, so ist begreiflich, warum gerade in der Nähe der Blutgefässe die Ernährung lebhafter als an davon entfernteren Punkten sein wird. Die Fettablagerung folgt deshalb ausschliess- lich den Blutgefässramificationen, und wo diese weite Netze bilden, werden auch die Fettdeposita diese Form darl)ieten. wie z. B. im Omentum majus. Man hat auch nur aus diesem Grunde jene Bauehfellsfalten, welche sich entlang den netzförmig anastoinosircnden Blutgefässen g(an mit Fett beladen, Netze genannt. 3. Es findet keine stossweise, sondern eine gleicht'örmige Blut- bewegung- im Capillarsysteme statt. 4. Die Capillargefässe ändern ohne Einwirkung von Reizmitteln ihren Durchmesser nicht, wohl aber die Blutkörjjerchen, welche, um durch engere Getasse zu passiren, sich in die Länge dehnen und, Avenn der schmale Pass durchlaufen, wieder ihr früheres Volumen annehmen. 5. An den Theiluug.swinkelu der Capillargefässe, welche einem g;egen den Strom vorspringenden Sporn zu vergleichen sind, bleibt häufig eine Blutsphäre querüber hängen, biegt sich gegen beide Aeste zu und scheint zu zaudern, welchen sie wählen soll, bis sie zuletzt in jenen hinein<^erissen wird, in welchen sie mehr hineinragte. 6. Ist das Thier, welches zur mikroskopischen Beobachtung der Blutbewegung in den Capillargefässen verwendet wird, seinem Ende nahe, so geräth der Capillarkreislauf in Unordnung, die Blutsäule schwankt ruckweise hin und zurück, bevor sie in Ruhe kommt, das Gefässlumen erweitert sieh, die Blutkörperchen ballen sich auf Haufen zusammen und verschmelzen zu einer formlosen Masse (Coagulvm s. Thrombus, von 'B^gcafißSa, coagvlo), aus welcher der rothe Färbe- stofF des Blutes nach und nach durch das den Thrombus durch- feuchtende Serum ausgelaugt wird. §. 64. Bildung und Rückbildung des Blutes. 205 §. 64. Bildung und Eückbildung des Blutes. Die Yermeliruiig der Blutkörperchen im Embryo geht erstens durch Umwandlung embryonaler Bildungszellen in Blutkörperchen und zweitens durch Theilung der schon vorhandenen vor sich. Dass auch die Leber des Embryo neue Blutkörperchen bilde, wird von Kölliker, Grerlach und Fahrner angenommen. Im Erwachsenen sind es die farblosen Blutkörperchen, welche sich durch Schwinden des Kerns und Durchtränkung des Zellenleibes mit Blutroth in rothe Blutkörperchen umwandeln. So glaubt man wenigstens. Gesehen hat diese Umwandlung Niemand. Da nun dieser Ansicht zufolge die farblosen Blutkörperchen junge Blutkörperchen sind, welche dem Blute fortwährend durch den Hauptstamm des lymphatischen Grefäss- systems zugeführt werden, so müsste sich die Zahl der Blutkörper- chen fortwährend vermehren. Diese Yermehrung kann jedoch nur bis zu einer gewissen Grenze steigen, und wir sind deshalb noth- gezwungen, eine Rückbildung oder Zerstörung der alten und ab- gelebten Blutkörperehen anzunehmen. Dass die Ausscheidung der- selben durch die Leber geschehe, wo sie zur Gallenbereitung verwendet werden sollen (Schultz), ist nur eine Annahme. Man will auch in der Milz das Organ gefunden haben, in welchem die alten und unbrauchbaren Blutkörperchen ihre Rückbildung und Auflösung erfahren. Es wurde in microscopicis schon viel gefunden, was nicht existirt und mancher Weg eingeschlagen, welcher sich schon nach den ersten Schritten als ungangbar zeigte. Eine durchaus sichergestellte, massenhafte Ausscheidung rother Blutkörperchen kennt man nur in der Menstruation. Die erste genaue Untersuchung der Blutkörperchen verdanken wir Hew- son's Experimental Inquiries. London, 1774 — 1777. Seine richtigen und natur- getreuen Schilderungen wurden durch Home, Bauer, Pr^vost und Dumas theilweise entstellt, und die Lehre vom Blute durch die abenteuerlichen Aus- legungen, welche ungeübte Beobachter früherer Zeit ihren Anschauungsweisen gaben, in eine wahre Polemik der Meinungen umgestaltet. Das Geschichtliche hierüber enthalten die betreffenden Capitel in den anatomischen Handbüchern von E. H. Weber und He nie. §.65. Lymplie und Cliylus. A. Lyrnphe. Reine Lymphe, wie sie aus den Saugadern frisch getödteter Thiere erhalten wird, stellt eine wässerige, alkalisch reagirende, zu- weilen gelblich oder, wie in der Nähe des Milchbrustganges oder in ihm selbst, röthlich gefärbte Flüssigkeit dar, welche, wie das Blut, feste Körperchen enthält, aber in viel geringerer Menge. Diese Lymphkörperchen sind kleiner oder von derselben Grösse 20b 8- ''!>. Lyiiii>hc und Cliyhis. ■wie I)liitkt)r|»ereliLMi, ^lI^•luic•ll niiul. mit glatter udur i^ranulirtcr Überrtäclie und scliliesson oiiicu dureli Essis^sänre deutlich zu maeliendou körniu;en Kern oin. Sie .stininuMi mit dou farblosen Blut- körpereluui in allen Eii;en>cliat'teu übercin, zeigen also dieselbe woeliselnde (Jestalt und dieseli)Pn Contractions-Erscheinuni^en. Aus- nalim>\v('is(' finden sich unter ihnen welche von bedeutender (Irösse und mit mehrtaehen Kernen. Nebst diesen Lvmphkürperchen enthält die Lvaiphe noch kleinere Körnchen, w«dche man für nackte Kerne zu halten i^eneigt war, an denen al)er eine peripherische minimale Schichte von Protoplasmasul)stan7> unter i;ünstin('n l niständen zur Anschauung- gebracht werden kann. Die Lymphe gerinnt spontan wie das I>Iut. — nur viel lang- samer. Im Ilauptstamme des lymphatischen Systems (Ductus thoraci- cus) zeichnet sie sich durch promptere Coagulatiou und röthliche Färbung aus. Die Coagulationsfähigkeit rührt vom Faserstoff, die Röthe vom Ilämatin her. Der geronnene Kuchen der l^ymphe ist jedoch bei Weitem nicht so consistent, wie der Blutkuchen, und erscheint am hJeginne seines P^utstehens als Avolkige Trübung, welche sich nach und nach zu einem weichen, fadigen Knollen contrahirt. Das Serum der Lvmphe enthält Eiweiss, wie jenes des Blutes, und führt auch die anderen Stoffe, welche im Blutserum gefunden wurden, nebst Eisenoxvd. Ob dieses Eisen nicht auch an die Lvmphkörperchen gebunden vorkommt, wie das Eisen des Blutes an die Blutkörperchen, bleibt noch zu ei'mitteln. Marchand und Colberg gaben folgende Analyse menschlicher Lymphe (menschlicher Cliylus wurde, so viel ich weiss, noch nicht untersucht]. In 1000 Thcilen Lymphe finden sich: Wasser 969,26 Faserstofl' 5.20 Eiweiss 4,34 Extractivstoff 3,12 Flüssiges und krystallinisches Fett 2,64 Salze 13,44 Eisenoxyd ..... Spuren. B. Chylus. Milchsaft, Cht/lus, heisst das durch den Verdauungsact be- reitete, milchweisse, nahrhafte Extract der Speisen, welches schlies.s- lich in Blut umgewandelt wird. Er besteht wie das Blut aus einem flüssigen und festen Bestandtheil. Der erstere ist das an aufgelösten >sährstoffen reiche Plasma des Chylus; der letztere erscheint in doppelter P'orm: 1. als kleinste, .stark lichtbrechende Körnchen, welche aus Fett mit einer Eiweisshülle bestehen, und 2. als kernhaltige Chyluskörperchen, identisch mit den schon abgehandelten Lvmph- §. 66. Nervensystem. Eintlieilung desselloeii. 2i07 körperchen. Letztere haben, als contractile Protoplasmakörper, mehr weniger zahlreiche Fettkörnchen in sich aufg-enommen. Bnrdach nannte den Chylus das weisse Blnt. Der Chylus gerinnt, wenn er rein ist, nicht. Frischer und möglichst reiner Chylus hat eine milchweisse Farbe, welche von der reichlichen Gegenwart der oben erwähnten Fettkörncheu abhängt. Die Eiweisshülle dieser Fettkörnchen lässt sich allerdings nicht durch Beobachtung constatiren. Sie muss aber zugegeben werden, weil sonst nicht zu begreifen wäre, Avarum die einzelnen winzigen Fetttröpfchen nicht zu grösseren Tropfen zu- sammeniliessen. — Die Farbe des Chylus ist um so weisser und der Grehalt an fettigen Elementen um so bedeutender, je reicher an Fett das genossene Futter der Thiere war (Milch, Butter, fettes Fleisch, Knochenmark). Die Fettkörnchen werden häufig in Klümpchen gruppirt angetroffen. Um reinen Chylus zur mikroskopischen Untersuchung zu erhalten, muss man im Mesenterium eines gefütterten, eben geschlachteten Thieres ein strotzendes Chylusgefäss, bevor es noch durch eine Drüse ging, anstechen und das hervorquellende Tröpfchen auf einer Glasplatte auffangen. Um den Chylus in grösserer Menge zur chemischen Prüfung zu sammeln, handelt es sich darum, den Ductus thoracicus eines grossen Thieres nach reichlicher Fütterung zu öifnen. Man erhält jedoch auf diese Weise nie ganz reinen Chylus, da der Milchbrustgang zugleich Hauptstamm für das Lymphsystem ist, und somit nebst Chylus auch Lymphe enthält. Faserstoff und Hämatin finden sich im Chylus in um so grösserer Menge vor, je mehr Gekrösdrüsen derselbe bereits passirte. §. 66. Nervensystem. Eintlieiluiig desselben. Durch das Nervensystem Avird die gesammte Organisation des Thierleibes, mit all' ihren verschiedenartigen Bestandtheilen, zu einem harmonisch geordneten und einheitlich wirkenden Ganzen verbunden. Die gangbarste Eintheilung des Nervensystems Avurde A'on Bichat aufgestellt. Er unterschied zuerst ein animales und vegetatives Nervensystem. Das animale Nervensystem besteht aus dem Gehirn und Rückenmark, und den Nerven beider, wird deshalb auch Systema cerehro-spinale genannt. Es ist das Organ des psychischen Lebens imd vermittelt die mit Bewusstsein A^erbundeuen Erscheinungen der Empfindung und BeAvegung. Das vegetative Nervensystem, Systema ver/etativum s. sympathicum, steht vorzugsAveise den ohne Einfluss des BeAA^isstseins Avaltenden vegetativen Thätig- keiten der Ernährung, Absonderung und den damit verbundenen unwillkürlichen Bewegungen vor, und AA^rd auch als sympathi- sches, organisches oder splanchnisches Nervensystem, dem cerebro-spinalen entgegengestellt. 208 §• ßV. Milroslcopische Elemente des Nervensystems. Beide Systeme bestehen nicht scharf o;e.scliieden neben ein- ander. Sie g'reifen vielmehr vielfach in einander ein, verbinden sich häiifin' durch P^aseranstansch, und sind insoferne anf einander an- g-ewiesen, als «bis vegetative Nervensystem einen grossen Theil seiner Elemente aus dem animalen bezieht, und der Einflnss des animalen Nervensystems auf die vegetativen Processe, sich in vielen Einzeln- heiten deutlich herausstellt. Man unterscheidet an beiden Systemen einen centralen und peripheriseluMi Antheil. Der Centraltheil des animalen Nerven- svstems wird durch Gehirn und Rückenmark repräsentirt; der peri- pherische durch die Aveissen, -weichen, verästelten Stränge und Fäden, welche die verschiedenen Organe d<'s Leibes mit dem Centrum dieses Nervensystems in Verbindung bringen nnd Nerven genannt ■werden. — Der Centraltheil des vegetativen Nervensystems erscheint in sehr viele Sammel- und Ausgangspunkte von Nerven zerfallen, welche als graue, rundliche, seltener eckige Körper, an vielen, aber bestimmten Orten zerstreut vorknmiiKMi. und den Namen Nerven- knoten, Ganqlia, führen. rayyllov liiess im HippocratHS jede unter der Haut befindliche schmerz- lose Geschwulst, wie z. B. das sogenannte Ueberbein jetzt noch in der medi- cinischen Sprache Ganglion genannt wird. Die Anatomen usurpirten „mit der ihnen eigenen Rücksichtslosigkeit gegen Etymologie" das Wort für Nervenknoten. Das Wort vbvqov bedeutete ursprünglich Sehne oder Flechse, auch Bogensehne (tendere nervum, den Bogen spannen). Im Homer steht es mit tfvcov svnonym, und wird auch von Celsus für Sehne gebraucht, wie er denn die Achillessehne nervu-i latus nennt. Erst durch Aristoteles wurde veÖQOv auf die aus dem Gehirn entspringenden Nerven angewendet. Die ältere deutsche Benennung der Nerven als Spann ädern, weist auf die ursprüngliche Bedeu- tung von vivQov als Bogensehne hin. §.67. Mikroskopische Elemente des Nervensystems. Es giebt zweierlei Arten derselben: Fasern nnd Zellen. A. Nervenfasern. a) Fasern der Gehirn- nnd Rückenmarksnerven. Jeder Gehirn- und Rückenmarksnerv erscheint als ein Bündel zahlreicher, äusserst feiner, bei durchgehendem Lichte heller, bei reflectirtem Lichte mattglänzender Fasern, — Nervenprimitiv- fasern. Diese laufen durch die ganze Länge der Nerven hindurch, ohne an Dicke merklich zu- oder abzunehmen, spalten sich nur selten, und meist gegen ihr peripherisches Ende hin, in zwei, auch mehrere Zweige, geben während ihres Verlaufes keine Aeste ab, durch Avelche mehrere benachbarte sich verbinden könnten, und werden durch ähnliche Scheidenbildungen aus Bindegewebe, wie §. 67. Mikroskopisclie Elemente des Nervensystems. 209 sie bei den Muskelbündeln ang-eführt wurden, zu g-rösseren Bündeln, und mehrere dieser zu einem Nerven stamm vereinigt. Der Durch- messer der Primitivfasern ist in verschiedenen Nerven ein verschie- dener und beträgt zwischen 0,0006'" bis 0,0085'". In einem und demselben Nerven kommen schon Fasern verschiedener Dicke vor, in solcher Mischung, dass die dicken oder die dünnen die Ober- hand behalten. Die Nerven der Sinnesorgane und die Nerven der Empfindung- führen feinere Fasern, als die Nerven der Muskeln. An jeder Primitivfaser lassen sieh drei Bestandtheile derselben unterscheiden: 1. eine structurlose Hülle, 2. ein markweicher Inhalt, und 3. ein Axencylinder. Diese Bestandtheile sind jedoch an ganz frischen Primitivfasern, welche vollkommen homogen erscheinen, nicht zu erkennen. Sie treten erst hervor, wenn die von selbst ein- tretende, oder durch Reagentien hervorgerufene Gerinnung der homogenen Substanz einer lebenden Primitivfaser, die lichtbrechen- den Yerhältnisse derselben ändert. Wir wollen sie nun einzeln durchgehen. Die Hülle oder Scheide der Primitivfaser ist ein ungemein feines, vollkommen structurloses, hie und da mit ovalen Kernen versehenes Häutchen, wie das Sarcolemma einer Muskelfaser. Man nennt sie aber nicht Neurüemma, da dieser Name schon seit langer Zeit an die bindegewebige Scheide der grösseren Nervenstämme, ihrer Aeste und Zweige vergeben ist. Der Inhalt der Nervenfasern — das Nervenmark — ist ein homogener, zäher, opalartig durchscheinender, albuminöser Stoff, welcher am Querriss einer Nervenfaser nicht ausfliesst, sondern sich nur als abgerundeter Pfropf, oder als spindelförmiger Tropfen, herausdrängt. Er besteht aus einem Eiweisskörper und mehreren anderen, in Alkohol löslichen Substanzen (Cerebrin, Protagon, Cho- lestearin und Fett). Durch Gerinnen verliert dieser Inhalt sein homogenes Ansehen, zieht sich von der Hülle der Primitivfaser zurück und erhält zugleich wellenförmig gebogene Ränder, welche innerhalb der mehr geradlinigen Ränder der structurlosen Hülle der Faser, deutlich gesehen werden, wodurch die betreffende Pri- mitivfaser zu einer doppelt contourirten wird. Nach längerer Zeit zerklüftet das Mark der Faser in unregelmässige Fragmente. — Der mikroskopisch nachweisbare Unterschied von Hülle und Inhalt giebt der Primitivfaser die Bedeutung eines Röhrchens, und man spricht deshalb von Nervenröhrchen in demselben Sinne als von Nerve-nprimitivfasern. Weder Mark noch Hülle sind das Wesentliche an einer Nervenfaser. Sie scheinen blos als isolirende Hüllen eines dritten, wesentlichen Gebildes in der Nervenprimitivfaser, eine Rolle zu Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl. 1* 210 S. <>'!■ Mikrosliopisclif ElfiiU'nti- clc.> Nervensystems. spielen. Dieses (jiehiUh» ist Purkinje's Axencylinder, aiicli Pri- mi ti vLand «i'enanut. Um eine Ansicht der Axencylinder zu L;e- ■winneii, bereitet man sicli (j>iiers('liiiitte eines in einer Lösung von doppelt chromsaiirem Kali ^'härteten, dickeren Nerven und tränkt diese Schnitte mit einer ainmoniakalischen Carmiidösnnu;, wobei sich die Axencvlincb'r der Nervenfasern roth imbi])iren. während Mark nnd Scheich' ung-etarl)t bleiben. Der .Vxencyl!n«h'r besteht au.s einer, dem Miisktdfibrin ähnlichen albuniiii<"»sen Snl)staM/.. ohne Fett (Lehmann). Ei- ei-hält sich an (Umi feinsten Nern des Gehirns nnd Rückenmarks. Sie finden sich in der weissen Substanz des Gehirns und Rückenmarks und in den Riech-, Seh- und Hörnerven, welche, Avie die Entwicklungsgeschichte lehrt, ursprünglich Ausstülpungen der drei embryonalen Gehirnblasen sind. Sie bestehen ans Hülle, Avenig Mark nnd Axencylinder, welcher sehr schwer darzustellen ist. An Feinheit übertreffen sie die Primitivfasern der Hirn- und Rücken- §. 67. Mikroskopische Elemente des Nervensystems. 211 marksnerven und können erst bei SOOinaligei* Vergrö«serung gut beobacktet werden. Ikr Mark ballt sick durck die Gerinnung in rimdlicke Klümpchen zusammen, wodurck sie ein unregelmässig perlscknurartiges Anseken gewinnen. Dieses Anseken nekmen sie so rasck an, dass man lange der Meinung war, es komme iknen dasselbe normgemäss auck im friscken Zustande zu. Man nannte sie deskalb varicöse Fasern, c) Graue oder sympatkiscke Nervenfasern. Sie ersckeinen bei grösserer Ankäufung grau, — daker ikr Name: graue Nervenfasern. Sympatkiscke oder auck vegetative Fasern keissen sie ikres massenkaften Yorkommens im Sympatkicus wegen, in welckem sie auck zuerst von Rem ak aufgefunden wurden. Henle nennt sie, ikres Ansekens wegen, gelatinöse Fasern. \\' as ikren Bau betrifft, so besteken sie aus einer leickt granulirten, oder undeutlich gestreiften, oder komogenen, albuminösen Substanz, welcke von einer zarten, glaskellen, kernführenden Sckeide umscklossen wird. Diese Fasern sind feiner als die Fasern der Cerebrospinal- nerven. Nerven, welcke durck gewisse pkysiologiscke Zustände der Organe, denen sie angekören, an Masse zunekmen, z. B. die Nerven des sckwangeren Uterus, verdanken ikre Faservermekrung nur einer numerisck wacksenden Entwicklung dieser grauen Fasern. Von vielen Seiten wird die Nervennatur dieser Fasern bestritten. Man kalt sick für berecktigt, sie für Bindegewebsfäden anzuseken. Da jedock diese Fasern durck eine Misckung von Salpetersäure und cklor- saurem Kali (das empfindlickste Reagens auf Bindegewebe) nickt im Geringsten afficirt werden, können sie nickt für Bindegewebs- fasern gekalten werden. — Die im Gekirn und Rückenmark, wie auck in der Netzkaut vorkommenden grauen, netzartig verbundenen Fasern (Stützfasern) sind keine Nervenfasern, sondern gekoren unbedingt dem granulirenden Bindegewebe an (§. 21). In den frühen embryonalen Zuständen des Leibes besteht das ganze periphere Nervensystem nur aus solchen Fasern, — ein Zustand, welcher bei einigen niederen Wirbelthieren, z. B. den Cyklostomen (Petromyzon, Ammo- coetesj durch das ganze Leben perennirt. Man kann somit nicht umhin, diese Fasern für einen niederen Entwicklungsgrad gewöhnlicher Nervenprimitivfasern zu erklären. Noch am neugebornen Kinde sind an gewissen Organen (weicher Gaumen) Mengen von grauen Fasern zu sehen, während bei Erwachsenen da- selbst nur markhältige Fasern angetroffen werden. Uebrigens besteht der Sympathicus nicht einzig aus diesen Fasern. Es treten vielmehr auch zahl- reiche markhältige Cerebrospinalfasern in ihn ein, und mischen sich mit den grauen. B. Nervenzellen. Sie sind rundlicke, ovale, oder birnförmige, auck eckige, stern- förmige, meistens plattgedrückte, kernkaltige Zellen von sekr ver- 212 S. ß7. MikrosVopisrlie Elemente des Nervensystems. scliiedener (intssc. Ihr i;rös.st(M' l)urcliines.si*r schwankt zwischen 0,008'" und 0,05'". In grösseriMi Massen angehäuft, kommen sie in den Ganglien vor und werden deshalb j^ew(»hnlieh (Tanü;lienzellen ü^enanut. Da sie im Wasser stark autVjiiellen und spliäroidisch Averden, erhielten sie auch den Namen Ganglienkuj^eln. In der i^raiien (lehirnsubstauz. deren Farl)e von diesen Zellen abhänj^t, linden sie sich el)enso zaldreich, wie in den (xanglieii. Gewisse, in den peripherischen Ausbreitungen mehrerer Ilirnnerven, z. B. des Sehnerven und Höi'uerven. vorkommende kernhaltige Zellen, werden ebenfalls hierher gezählt. Jede Nervenzelle besteht 1. ans einor ^tnicturiosm l mhüllungs- membran, welche sich in die Hülle der aus der Z(»ll<» hervortretenden Primitivfasern fortsetzt, — 2. aus einem ruudliclien Kern, welcher in ihn- Regel nur ein, selten zwei Kernkörperchen enthält, — ^. aus einem zwischen Hülle und Kei-n befindlichen körnigen, blassen oder pigmentirten Zelleninhalt. Avelcher nicht Protoplasma ist, sondern durch Umwandlung des ursprünglich vorhandenen Protoplasma des Zellenleibes zu Stande kam. In neuester Zeit wurde in dem körnigen Zelleuinhalt ein mehr weniger deutliches fibrilläres Wesen beobachtet, welches sich in die Aeste der Ganglienzellen fortsetzt. An vielen Ganglienzellen im Gehirn und Kückenmark nimmt, bei fortdauernder Existenz des Kernes, der Zelleninhalt derart an Menge ab, dass man nur grosse Kerne vor sich zu haben glaubt, welches Vorkommen denn auch durch den Namen Nuclearformation ausgedrückt wird. Die sogenannte Körnerschichte der Netzhaut gehört hierher. Es g'iebt ästige und astlose Ganglienzellen. Die Fortsätze der ästigen Ganglienzellen gehen in marklose Nervenfasern über, welche in ihrem weiteren Zuge zu markhaltigen Fasern werden. Fortsätze einer Zelle verbinden sich, mit oder ohne Theilung, häufig mit denen einer zweiten Zelle. Viele dieser Zellenfortsätze verästeln sich in feinere Zweige, welche in das umgebende Gewebe ein- dringen, wie die Wurzeln der Pflanzen in den Grund, ohne daselbst eine Verbindung mit anderen Nervenfasern einzugehen. Der Mangel oder das V(jrhandensein der Fortsätze verhalf den Ganglienzellen zur Benennung als apolare, unipolare, bipolare und multi- polare Zellen. — Apolare Ganglienzellen, auch freie oder insu- lare genannt, weil sie zwischen den Primitivfasern wie Inseln ein- geschlossen liegen, finden sich in grosser Anzahl in allen Ganglien. Man ist jedoch nie ganz gewiss, ob man es nicht mit einem Kunst- product zu thun hat, da die Fortsätze, bei der vergleichungsw^eise rohen Behandlung der Ganglien als Vorbereitung zur mikroskopischen Untersuchung, leicht abreissen oder die Zelle unter dem Mikroskope so zu liegen kommt, dass jene Seite derselben, aus Avelcher ein §. 67. Mikroskopiscte Elemente des Nervens3-stems. 213 Fortsatz abgeht, die abgewendete ist, oder an Durcbsclinittspräparaten gerade jener Theil der Zelle weggeschnitten wurde, von welcher ein Fortsatz ausging. Unipolare Ganglienzellen kommen in den Granglien des Sympathicus vor; bipolare hat mau in den Spinal- ganglien, im Ganglion Gasseri, jugulare vagi und glossopliaryngei aufgefunden, und multipolare vorzugsweise in der grauen Substanz des Gehirns und Rückenmarks, wo sie auch am grössten sind und sich durch ihre verästelten Fortsätze auszeichnen, während die kleinsten derselben in jenen mikroskopisch kleinen Ganglien ein- heimisch sind, welche in der Wand des Darmkanals, der Harnblase, des Herzens und mehrerer anderer Organe eingeschaltet und ver- graben liegen. Jedes Ganglion besitzt, so wie die Stämme und Zweige aller Nerven, eine Bindegewebsscheide — das Neurilemma. Dieses schickt Fortsätze in die Substanz des Ganglion und zwischen die Faser- bündel der Nerven hinein. Das Zerfasern eines Nerven mit Nadelspitzen ist für Gebilde von solcher Feinheit, wie die Primitivfasern der Nerven, eine rohe Vorhereitung zur mikro- skopischen Untersuchung. Um Primitivfasern zu sehen, thut man besser, lieber die feinsten natürlichen Nervenramificationen, als gröbere, durch Kunst zer- faserte Bündel unter das Mikroskop zu bringen. Die feinen Nerven durchsich- tiger Theile, z. B. der Bauchfellduplicaturen, die freien Nervenfäden, welche man beim Abziehen der Haut der Frösche zwischen dieser und den Muskeln ausgespannt findet, die Augenlider der Frösche etc., eignen sich zu diesen Untersuchungen sehr gut. Die Eeagentien, deren man sich zur Darstellung der Axencylinder bedient, sind concentrirte Essigsäure, Chromsäure, Sublimat (Czermak), Jod (Lehmann), Aether (Kölliker) und Collodium (Pflüger). Literatur. Die ältere Literatur ist in Henle's Geweblehre und in Valentin's Bearbeitung der Sömmering'schen Nervenlehre vollständig ge- sammelt. Die wichtigsten neueren Arbeiten deutscher Forscher über Neuro- mikrographie sind: A. W. Volkmann, Ueber Nervenfasern und deren Mes- sung, in Müller s Archiv, 1844. — Purkinje, Mikroskopisch - neurologische Beobachtungen, Müllers Archiv, 1845. — Bemak, Ueber ein selbstständiges Darmnervensystem. Berlin, 1847. — R. Wagner, Neue Untersuchungen über Bau und Endigung der Nerven. Leipzig, 1847. — B. Wagner, Sympathische Nervenganglienstructur und Nervenendigungen, in dessen Handwörterbuch der Physiologie, 3. Bd. — F. H. Bidder, Zur Lehre von dem Verhältniss der Ganglienkörper zur Nervenfaser. Dorpat, 1848. — A. Kölliker, Neurologische Bemerkungen, Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, 1. Bd. — N. Lieher- kühn, De structura gangliorum penitiori. BeroL, 1849. — G. Wagner, Ueber den Zusammenhang des Kernes und Kernkörpers der Ganglienzelle mit dem Nervenfaden, in der Zeitschr. für wiss. Med., 8. Bd. — Ueber die Deutung gewisser faseriger Elemente und Zellen des centralen Nervensystems als Binde- gewebsfasern und Bindegewebskörperchen, sind Bidder s und Kwpffers Unter- suchungen über die Textur des Rückenmarks, Leipzig, 1857 nachzusehen. Eine Kritik derselben enthält Henle's Jahresbericht, 1857. — B. Stilling, Neue Untersuchungen über den Bau des Rückenmarks, mit Atlas. Cassel, 1837 — 1859, wo gründliche Würdigung alles Bekannten und reiche Angabe neuer Beobach- 214 S- *^''- risprunp: (i'ontralos Kndp) der NiTvcn. tungen zu fimlcn ist. — .V. Schnitze, De oellularum fibvarnmquo nervearum structura. Bonn.. 1868. — TL Jiumpf. Nervenlaser und AseucylimltT, im 2. Bd. der vom phvsiul. Institut in HtidellHTg lierausgegebinen Untersuchungen. — Fast jedes Heft der anatumischen Zeitschriften bringt Wahres und Neues zu dieser massenhaft angewachseneu Literatur. Das Wahre ist aber häufig nicht neu, und das Neue sehr oft nicht wahr. §. GS. Ursprung (centrales Ende) der Iferven. Es Icuelitct a priori ein, dass d<*r Ursprung- der N(M'v«^n. auch der Ausgangspunkt ihrpr Thätigkeit ist. Es bleibt deshalb eiue der wichtigsten Aufgaben der Anatomie, die Stelleu nachzuweisen, an Avelchen die Primitivfasern der Nerven ihre Entstehung nehmen. Der Ursprung der Priniitivfasern der Nerven ist theils im Gehirn, tlieils im Rückenmark, theils in den Ganglien zu suchen. Sie gehen sämmtlich aus den Nervenzellen liervor. Das ist ein aus- nalinisloses Gesetz. Faserursprünge ausserhalb der Zellen kennt man nicht. Aus welcher Zelle und aus welchem Fortsatz einer Z(dle jede einzelne Faser der verschiedenen Nerven entspringt, wird wohl ewig unbekannt bleiben! Ein hartes, aber wahres Urtheil über die Zukunft der mikroskopischen Neurotomie, Bezüglich des Ursprunges von Primitivfaseni aus den Ganglien- zellen bat zuerst Köll iker gezeigt, dass die sfructurlose Hülle der Ganglienzellen sich in die structurlose Hülle der aus dem (rauglion hervortretenden Primitivfasern fortsetzt, und dass der Axency linder aus dem Kern der Ganglienzelle hervorgeht. Die Frage: ob es wirklich auch Ganglienzellen ohne P^aserursprünge gebe (apolare). Avurde von Köll iker dahin beantwortet: dass solche Zellen nicht blos im (ichirn ujid Kückenmark, sondern auch in den Ganglien des Sympathicus und der Cerebros])inaliu*rven. so constaut und häufig- V(H-komnien. dass die Frag»' eigentlich die ist. ob überhaupt ein Ganglion existirt, in welchem dieselben gänzlich mangeln. Mit diesem Ausspruch eines Histologen primi ordinis, können sich die DU minoruni r/eiitiuin wohl zufrieden geben. — Das Mark einer Primitivfaser kann niclit als eine J^ortsetzung des Inhaltes der (xauglienzelle angesehen werden, da alle Priniitivfasern marklos aus der Zelle hervorkommen und das Mark erst im weiteren Verlaufe der Faser sich einfindet. Durch die den Inhalt dieses Paragraphes betreifenden zahlreichen Ar- beiten, welche theils an kaltblütigen Wirbelthieren , theils an Wirbellosen vorgenommen wurden, wurde zwar eine reiche Ernte von vereinzelten That- sachen über den fraglichen Gegenstand eingebracht, welche aber bei Weitem noch nicht hinreicht, die rntersuchungeu über das Verhältniss der Ganglien zu den Nerven als abgeschlossen zu betrachten. Wer die Schwierigkeit dieser Art mikroskopischer Forschungen kennt, wird es zugeben, dass noch sehr viel §. 69. Periphevisches Ende der Nerven, 215 ZU thun übrig ist, um auch nur von einem einzigen Ganglion sagen zu können, das Wechselverhältniss seiner ein- und austretenden Nerven sei genügend aufgeklärt. §. 69. Periplierisclies Ende der S"erven. Ueber das peripherisclie Ende der Sympathiciisfasern weiss man nur wenig*. Besser sind wir mit den Cerebrospinalfasern daran, über deren Endigungen wir der vergleichenden Anatomie bei Weitem mehr Aiifschlüsse, als der menschlichen zu danken haben. Yor Allem ist zu bemerken, dass die bisherige Annahme eines un- verästelten Verlaufes der Primitivfasern nicht mehr statthaft ist. Der unverästelte Verlauf gilt nur für jene Strecke, welche eine Nervenfaser bis zu ihrem peripherischen Endigungsbezirke zurück- legt. Nahe ihrem peripherischen Ende wird die Primitivfaser mark- los, und ihr Axencylinder pflegt sich in feinere Fasern zu spalten. Die Spaltung wiederholt sich mehrfach. Es kommt wohl auch durch Verbindung der Spaltungsäste zu Netzen, welche aber nicht als Endgeflechte anzusehen sind, da aus ihnen noch Ausläufer abgehen. Wie endigen nun diese letzten Ausläufer einer Primitivfaser? ^) Eine entschiedene und über alle Zweifel erhabene peripherische Endigungsweise von Nervenfasern kennen wir bisher in den Pacini- sehen Körperchen (§. 70) als knopfFörmige, ringsum abgeschlossene, in keine Nachbartheile ausstrahlende Endanschwellung des Axen- cylinders. Ebenso in den stabförmigen Körpern der Netzhaut und in den Terminalzellen des Grehörnerven, in gewissen Epithelialzellen der Riechschleimhaut und der Zunge, in den freien Endanschwel- lungen der sympathischen Fasern in Luschka's Steissdrüse (§. 325), u. m. a. Nach Krause endigen die sensitiven Nervenfasern in der Conjunctiva, im weichen Graumen, in der Clitoris, im männlichen Gliede, im rothen Lippenrande und in vielen anderen Organen, gleichfalls mit knopflFörmigen Auftreibungen (Kolben). Krause hofft, dass die von verschiedenen Autoren angeführten „freien" Nervenendigungen, sich alle als kolbige herausstellen werden. Die von einigen älteren Autoren in der Haut, in den Tast- und Geschmackswärzchen angenommenen peripherischen Nerven- schlingen, d. i. bogenförmige Uebergänge neben einander liegen- der Primitivfasern an ihrem peripherischen Ende, erfreuten sich nur kurze Zeit ihrer Geltung. Vom theoretischen Standpunkte aus sind die Schlingen nicht blos etwas Räthselhaftes, sondern, man möchte sagen, etwas Absurdes, denn sie lassen sich in der That mit unseren Vorstellungen über Nervenleitung nicht vereinbaren. Denn, leiten ') Ausgezeichnet behandelt Krause die Nervenendigungen im 1. Baude des liaudbuches der menschl. Anat., pag. SlO bis Schluss. 216 S. rtO. rpripliorlsclies Knde der NerTfin, die l)ei(l(Mi Sclienkel einer Nervenschlinge centrifugal . so müssen am Sclieitelpnnkte der Sclilinge die beiden Nervengeister mit den Köj)fen an einander rennen; leiten aber die beiden .Sclienkel der Schlinge eentrii)etal, so miiss der vom Scheitel der Schlinge auf- g:enonimene Eindrnck doppelt empfunden werden, wenn die beiden Schlingenschenkel zu zwei verschiedenen Hirnzellen treten, und ein- fach, wenn sie in einer Hirnzelle enden, wo man dann nicht hegreift, warum Zwei Leiter Eines Eindruckes vorhanden sein müssen, da doch Einer allein genügt hätte. Und dennoch giebt es Xerveu- schlingen, wenn auch niclit in der Form, wie Hannover und Emmert sie angenommen haben (^. 71. 5). Ich kann imter Berufung auf den citirten Paragraj)li, nur sagen: dass wahrscheinlicher Weise unsere Vorstellungen über die Leistung einer Schlinge, nicht aber die Schlingen selbst etwas Irriges sind. Wenn mehrere Primitivfasern au ihrem peripherischen Ende sich theilen, ihre Theilungsäste sich vielfältig unter einander verbinden, Netze und Geflechte bilden, wie solche in den verschiedensten Organen thatsächlich gefunden werden, Avie will man, frage icli, diese Verbindungen von Tlieilungsästen der Nerven anders nennen als geradlinig ausgezogene Schlingen?, und was ist dann ein fxeflecht Anderes, al> eine Summe von Schi i ngen? Die periplieriscluMi Endiguugen der Siunesnerven erwähne ich bei den betreffenden Paragraj)hen der Nerveulehre. Die Enden der motorischen Nerven in den animalen Muskeln gestalten sich nach Kühne so. dass die letzten Ausläufer einer motorischen Nerven- faser ihre doppelten Contouren verlieren, ihre Hülle in das Sarco- lemma der Muskelfaser übergeht, ihr Axencylinder aber nicht in das Innere dieser Faser eindringt, sondern unter dem Sarcolemma in einen j>latten förmigen Körper (End])latte) übergeht, welcher auf einer feingranulirten, kernführenden Sohle aufruht. Diese Endplatten sind gegen den Inhalt der Muskelfaser, auf welchem sie aufliegen, sehr scharf abgesetzt; gegen das Sarcolemma zu sind sie stärker gewölbt und drängen dasselbe als scharf- oder stumpfspitzige Hügel hervor, Avelche Doyere zuerst bei Crustaceen gesehen hat. Die in die Endplatte eintretende Nervenfaser löst sich in dem nicht granu- lirten Theile der Platte in feinste Fasern auf, von welchen einige nach Gerlach in die contractile Substanz der Muskelfaser unmittel- bar übergehen sollen, so dass die contractile Fasersubstanz das eigentliche Ende der motorischen Nervenfaser wäre. — Die Peripherie der Endplatten ist so ansehnlich, dass sie bis zu einem Drittel der Peripherie der Muskelfaser entsprechen. Ihr Rand erscheint nicht selten in lappenförmige Fortsätze verlängert. Kölliker's Einwen- duugen haben au der Lehre Kühne's nichts üeändert. Sie wurde §. 70. Pacini'sche Körperchen und Wagner's Tastkörperchen. 217 von anderen Mikrologen so vielseitig bestätigt, dass sie gegenwärtig keine Gegner mehr hat. — Bezüglich der Nervenendigungen in den organischen Muskeln hat Frankenhaus er gefunden, dass die Axencylinder der motorischen Primitivfasern in die Kerne der spindelförmigen Faserzellen eintreten. In den Speicheldrüsen sollen Nervenfasern in die Epithelien derselben eindringen, die Zellen derselben mit ihren marklos gewordenen Aesten um- spinnen, ja selbst in den Kernen dieser Zellen endigen. Hoyer, Cohnheim und Kölliker sahen die marklosen Ausläufer des Nervennetzes der Faser- schichte der Hornhaut, die vordere structurlose Schichte dieser Membran durch- bohren und sich zwischen den Zellen des mehrfach geschichteten Epithels bis in die oberflächliche Schichte derselben erheben, um zwischen denselben frei zu endigen. Ebenso fand Langerhans, dass die marklosen Nervenfasern der Cutis zwischen die Zellen des Mucus Malpighii eindringen, und daselbst in kleineren Zellen untergehen, welche selbst wieder fadenförmige Ausläufer gegen die Epidermis hin absenden, unterhalb welcher sie mit leichten Anschwellungen endigen sollen. Man will sogar kolbige Nervenendigungen zwischen den Epi- dermiszellen gesehen haben. lieber Nervenendigungen handeln: Kölliker, Sitzungsberichte der med.- physiol. Gesellschaft zu Würzburg, 1856, Dec. (Zitterrochen.) — Leydig, Zeit- schrift für wiss. Zoologie, V. Bd. und Müllers Archiv, 1856. — Krause, Die terminalen Körperchen der einfach sensitiven Nerven. Hannover, 1860 und im Archiv für Anat., 1868. — Kühne, Die peripherischen Endorgane motor. Nerven. Leipzig, 1862. — W. Pflüger, Die Endigungen der Nerven in den Speichel- drüsen. Bonn, 1866. — Hoyer, Archiv für Anat. und Physiol., 1866. — Cohn- heim, Med. Centralblatt, 1866, Nr. 26. — Kölliker, Würzburger physiol.-med. Gesellschaft, 1866. — Frankenliauser, Nerven der Gebärmutter etc. Jena, 1867. — Bense, Die Nervenendigungen in den Geschlechtsorganen. Zeitschr. für rat. Med., 1868. — Langerhans, Virchow's Archiv, 44. Bd. — Mojsisovics (Nerven- endigungen in der Epidermis), Sitzungsberichte der Wiener Akad., 1875. — Cohnheim, Motorische Nervenendigungen. Virchow's Archiv, 74. Bd. — Rauher, Endigung sensitiver Nerven in Muskel und Sehne. Stuttgart, 1882. §. 70. Pacini'sche Körperchen und Wagner's Tastkörperclien. Als sehr charakteristische Formen von peripherer Nerven- endigung sind die Pacini'schen Körperchen und Wagner's Tast- körperchen eines eigenen Paragraphes werth. Sie wurden von Krause mit den von ihm entdeckten Endkolben sensitiver Nerven in eine Gruppe zusammengestellt, und als „terminale Endkörperchen sensitiver Nerven" benannt. a) Pacinische Körperchen. Sie finden sich an den feiaeren Zweigen vieler Nerven als weisse, kleine, elliptische Körperchen entweder seitlich an denselben anliegend, oder durch Stiele mit ihnen zusammenhängend. Ihr längster Durchmesser variirt von ly^ bis 2 Millimeter. Am häufigsten und 21 S 9. 70. Paclnr<»ohe Kftrpprphen und WaRner'* TastVOrperolien. g-rössten koniinon sie an den Ilohlhand- und Fiuo^erästen des Xerints vln(iri.. Die Fasern einer Aiuistomosis proaressiva können bei dem NervcMi bleil)en. welchen sie •A\\iii\\(t\\\&u (Anastomosis permaneti-'i) o&^r ihn wieder verlassen (Anastomosis temporaria), um zu ihrem Mutter- stamm zurückzukehren, oder zu einem dritten, vierten Nerven zu treten. Veränderte Association der Faserbündel ist also die Idee der Nervenanastomose. Um uns die physiologische Bedeutung eines Nerven klar zu machen, müssen wir wissen, ob die Anastomose, welche er mit einem anderen eingeht, darin besteht, dass der Nerv A dem Nerv B einen Verbindungszweig zusendet, oder .4 von B einen solchen erhält, ob also die Anastomose eine AriaMomosi.<^ emisfiiorn'.^ oder eine An-ostomosis rereptionift ist. §. 71. Anatomische Eigenschaften der Nerven. 223 7. Griebt' der Nerv, welcher ein Faserbündel aufnimmt, dafür eines an den Abgeber zurück, so nenne icli diese Anastomose eine wecliselseitig-e, Anastomosis mutua; nimmt er nur anf, ohne ab- zugeben, eine einfache Anastomosis simplex. 8. Theilen sich mehrere Nerven wechselseitig Faserbündel mit, so dass ein vielseitiger Austausch eintritt, so entsteht ein Nerven- geflecht, Plexus nervosus. Die aus einem Greflechte heraustretenden Nerven können somit Faserbündel ans allen eintretenden Nerven besitzen. Enthalten die Maschen eines (xeflechtes Ganglienkugeln, was übrigens nur an kleineu (jeflechteu geschieht, so entsteht ein Grangliengeflecht, Plexus gangliosus. 9. Die Nerven verlaufen in der Regel geradlinig nnd machen nur am Kopfe nnd an den Grliedmassen leichte Biegungen nm ge- wisse Knochen herum. Die Primitivfasern jener Nerven, welche Dehnungen unterliegen, verlaufen aber nicht geradlinig, sondern wellenförmig neben einander, Avodurch eine bedeutende Yerlängerung dieser Nerven ohne Zerrung ihrer Fasern möglich wird. Jede grössere Arterie hat einen oder mehrere Nerven zu Begleitern. Sie liegen jedoch nicht in der Scheide der Arterie, sondern auf ihr. Die grössten Nervenstränge und ihre Aeste haben dagegen nicht immer grössere Gefässe in ihrem Gefolge (Nervus ischiadicus, medianus am Vorderarm etc.). Es treten vielmehr von Stelle zu Stelle kleinere arterielle Zweigchen an sie heran, welche sich in oder auf den betreffenden Nerven, in auf- und absteigende Aestchen theilen. Diese Aestchen verbinden sich mit ihren Vor- und Hintermännern, und bilden dadurch eine continuirliche Anastomosenreihe, welche sich an den Gliedmassen bis in die Finger- und Zehennerven verfolgen lässt. Ein- fache oder paarige Venen entsprechen einer arteriellen Anastomosenreihe. Bei Obliteration einer grösseren Arterie an den Gliedmassen oder nach chirur- gischer Unterbindung derselben, sind es diese Anastomosenreihen. welche vor- zugsweise zur Einleitung des Collateralkreislaufes verwendet werden. 10. Die Stärke nnd Dicke der Nerven eines Organs steht weder mit der Masse desselben, noch mit der Intensität seiner Wirkung im Verhältniss. Ein häufig gebrauchter und kraftvoll entwickelter Muskel hat keine stärkeren Nerven, als derselbe Muskel pines schwachen Individuums. Kleine Muskeln haben oft stärkere Nerven als viel- mal grössere. Der Nervus trochlearis, abducens, oculomotorius und die Nerven der Gresichtsmuskeln sind im Yerhältniss viel ansehnlicher, als die Nerven der Rücken- oder Gresässmuskeln. 11. Die Nerven der Muskeln treten an deren innerer Seite ein, d. h. an jener, welche der Mittellinie des Stammes oder der Axe der Grliedmassen zugekehrt ist. 12. Die Yerlaufsrichtung eines Nerven variirt nur selten. Da- gegen ist die Folge seiner Aeste, seine Theilungsstelle und seine Anastomose mit benachbarten Nerven häufigen Spielarten unter- worfen, welche in chirurgischer Hinsicht Beachtung verdienen. Da I 224 S'- "-• rhysiologisclii' Eijronschiifti'ii dos Hiiiiiialcii Ncrveiisysleins. die Prinütivra.sern eiiio> Astos sehou im StaniiiH' |»i':if()nnirt sind, so Avird die liöliorc oder tiefere Tiieilun^- eines Nerven in seiner physiologischen Wirknng- nichts ändern. 13. Die zwei Ilauptstränge des sympathischen oder vegetativen Nervensystems laufen mit der Wirheisäule parallel und ihre peri- })herisohen Verbreitungen halten sieh an die Ramiiicationen der Ge- fässe, vorzugsweise der Arterien, und da diese häufig unsymmetrisch angebracht sind, so kann das fnr das Cerebrospinalsystem geltende Gesetz der Symmetrie auf den Svmpathicus nicht anwendbar sein. §. 72. Physiolog'isclie Eigenschaften des animalen Nerven- systems. Es ist nocli nicht lange lier, (hiss man die physiologischen Eigenschaften der Nerven auf experimentellem Wege kennen zu lernen versuchte. Bevor Ch. Bell den ersten nachwirkenden Impuls zur genaueren physiologischen Prüfung eines seit langer Zeit in seinen Lebensäusserungen so gut als unbekannt(»n Systems gab, war die Lehre von den Gesetzen der Nerventhätigkeit ein vollkommen brach liegendes Feld. Die Ehrfurcht vor den Spiritus animales, welche in den wundersam verzweigten Bahnen des Nervensystems ihr Wesen treiben sollten, schien jeden Versuch hintangehalten zu haben, diese geheimnissvollen Potenzen vor das P^orum der Wissen- schaft zu citiren. Alles, Avas man nicht zu erklären wusste, erklärte die stehende Formel des „Nerven ei nflusses". Was das eigentlich wirksame Agens in den Nerven sei, wissen wir zwar ebenso wenig, als wir die Natur des Lebens verstehen. Wir werden es auch schwerlich je erfahren und die Wissenschaft hat das Ihrige gethan, wenn sie uns die Gesetze kennen lehrt, welchen die Thätigkeiten der Nerven gehorchen. Da es sich liier nur darum liandelt, einen kurzen Umriss der vitalen Verhältnisse dieses Systems für Anfänger zu geben, so kann Folgendes genügen. \. Die Nerven sind, wie die Telegraphendrähte, niemals Er- reger, sondern nur Leiter von Eindrücken und Erregungen zum oder vom Centralbureau des Gehirns, also in centrifugaler oder in centripetaler Richtung. AVas in den Nerven vorgeht, während sie leiten, Iwc, inter multa quae nescimus, timna est, und wird es so lange bleiben, bis nicht neue Naturkräfte dem Menschen bekannt und zinsbar gemacht sein werden. — Jene Nerven, Avelche centripetal leiten, heissen sensitive oder Empfindungsnerven, — welche centrifugal leiten, motorische oder Bewegungsnerven, Warum ein Nerv durch Bewegung, ein anderer durch Empfindung auf Reize reagirt, kann durch die anatomische Struetur der motorischen und §. 72. Physiologische Eigenschaften des animalen IJervensystems. 225 sensitiven Nerven nicht erklärt werden, da die Primitivfasern beider Nervenarten sich mikroskopisch gleich verhalten. Ebensowenig wissen wir, welche Vorgäng-e im Innern einer Nervenfaser stattfinden, wenn sie erregt wird und diese Erregung in sich und durch sich fort- leitet. — Das Grehirn und das Rückenmark sind die Centra für die animalen, die Granglien für die vegetativen Nerven. Jeder Reiz, welcher im Verlaufe eines Nerven angebracht wird, sei er mecha- nischer, chemischer oder dynamischer Natur, wird, wenn der Nerv ein Empfindungsnerv ist, Empfindungen, wenn er ein Bewegungs- nerv ist, Contractionen in den Muskeln, zu Avelchen er läuft, aber niemals Empfindung veranlassen. Schmerz, als eine Art von Em- pfindung, kann niemals durch motorische Nerven vermittelt werden. Es giebt bei gewissen Fischen sogenannte elektrische Nerven. Sie leiten, wie die motorischen, centrifugal, und bringen jene Impulse des Willens vom Gehirn her, welche die willkürlichen Entladungen des elektrischen Organs bedingen. Die elektrischen Schläge sind beim Zitteraal des Amazonenstromes (Gymnotus electricusj so gewaltig, dass sie ein Pferd zu tödten im Stande sind. 2. Der Unterschied zAvischen ausschliesslich centrifugaler und centripetaler Richtung der Leitung ist jedoch nur ein scheinbarer. Jede Primitivfaser leitet, wenn sie an irgend einem Punkte ihres Verlaufes gereizt wird, den Reiz nach beiden Richtungen fort. Da jedoch die empfindenden Fasern nur an ihrem centralen Ende mit Nervenelementen in Verbindung stehen, welche fähig sind, den Reiz wahrzunehmen, und die motorischen Fasern nur an ihrem peripherischen Ende mit contractionsfähigen Muskeln zusammen- hängen, so wird die physiologische Wirkung der Erregung einer Nervenfaser in dem einen Falle Empfindung, in dem anderen Be- wegung sein. Nicht die Leitungsverschiedenheit der Faser, sondern die Verschiedenheit der Organe, mit welchen sie an beiden Enden zusammenhängt, bedingt somit die Verschiedenheit des Reizerfolges. In einem von Bidder angestellten Versuch wurden der motorische Nervus hypoglossus und der sensitive Nervus lingualis durchschnitten und das peri- phere Ende des Hypoglossus mit dem centralen des Lingualis zusammengeheilt. Wurde nun der Lingualis oberhalb der Verwachsungsstelle gereizt, so ent- standen Zuckungen in der Zunge, was nicht möglich wäre, wenn der Nervus lingualis, obwohl ein Gefühlsnerv, nicht die Fähigkeit besässe, auch in centri- fugaler Richtung Eeize fortzupflanzen. Nichtsdestoweniger sind die in 1. ge- brauchten Ausdrücke so gang und gäbe, dass man sie füglich beibehalten kann. 3. Man hat die Fortleitung der Erregung durch den Nerven für unniessbar schnell gehalten. Dieses ist sie nicht. Sie muss im Ver- hältuiss zur Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Lnponderabilien selbst eine langsame genannt werden. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des elektrischen Stromes beträgt 6L000, jene des Lichtes mehr als 40.000 Meilen in der Secunde, während sie, nach den Versuchen Hyrtl , Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl. 15 I^2b S. 72. Physiologischt' Ei)(enscbaft)'n iles aniiimleii NerviMisystcin-. \i»n llcl 111 litil t/,. im AV/T».v is<-/ii(irzögert sie augenfällig oder hebt sie ganz auf. 4. Das Vermögen, Enn)fin(bingen oder Bewegungsimpulse zu leiten, ist eine angel)orene. immanente Eigenschaft der Nerven und kommt jeder ihrer Primitivfaseru zu. Da die Priiuitivfasern nie mit benachbarten durch Aeste coimiiunieiren und ohne Unterbrechung von ihrem Anfange bis zum Kn(h' verlaufen, so müssen sie als physiologisch isolirt neihicht \ver(h»n. d.h. einem gewissen ])eri- phcrischen B(»zirke wird ein bestimmter Centralj)unkt entsprechen und (h'r durch Heiz bedingte Erregungszustand einer Nervenfaser wird im Verlaufe des Nerven niemals auf eine benachbarte über- springen (Le.r iso/ationis). Im Centralorgane dagegen und, nach dem im §. 69 Gesagten, auch am [>eripherischen Ende der Primitiv- fasern und der Spaltungszweige derselben müssen wir eine solche Uebertragung der Erregung auf benachbarte Fasern annehmen, weil diese daselbst mit der zuerst erregten in anatomischer Verbindung stehen. Die Erscheinung der sogenannten Mitbewegung und Mit- empfiudung wird nur hieraus erklärlich. Wenn der Wille einen Muskel in Bewegung setzt und dabei unwillkürlich noch ein paar andere thätig werden, so heisst dieses Mitbewegung. Die Fehl- griffe des Anfängers im Erlernen des Violin- und Clavierspielens sind durch uncontrolirte ]\Iitbewegung von ^Muskeln, welche ruhig bleiben sollten, bedingt. Wenn der Schmerz, welchen ein cariöser Zahn veranlasst, sich mit Ohrenschmerz vergesellschaftet, so ist dieses Mitempfinduni;-. — Die unwillkürlichen Bewegungen, welche sich auf Erregung der Empfindungsnerven einstellen und Reflexbewegun- gen genannt werden, setzen ebenfalls eine Uebertragung der Rei- zung von sensitiven auf motorische Nerven in den Centralorganen voraus. Wenn auf Kitzeln sich Lachen und krampfhafte Verzerrung des Gesichtes einstellt, wenn auf Tabakschnupfen Niesen entsteht, oder auf Kratzen des Zuugengrundes Würgen und Erbrechen, auf Reizung der Kehlkopfsehleimhaut Husten eintritt, wenn man vor Schmerz die Lippe beisst, wenn die Gliedmasse des Kranken unter dem chirurgischen Messer zuckt, so sind dieses Reflexbewegungen, welche durch das Ueberspringen der Erregung sensitiver Nerven auf motorische im Gehirn und Rückenmark ausgelöst werden. Die Keflexbewegungen stellen sich zwar unwillkürlich ein, aber dennoch mit dem Charakter der Zweckmässigkeit, wie denn ein schlafender Mensch, dessen Nase gekitzelt wird, mit der Hand eine Bewegung macht, als ob er §. 72. Physiologische Eigenschaften des auimaleii Nervensystems. 227 Fliegen vou seinem Gesichte wegjagen wollte, und selbst euthirute Frösche, deren Haut mit einer Säure betupft wird, abstreifende Bewegungen an der irritirten Hautstelle mit ihren Extremitäten vollziehen. — Ein Gefühlsnerv wird seinen Erregungszustand nur dann zum Bewusstwerden kommen lassen, wenn die Seele in Mitwissenschaft des Vorganges gezogen wird (Aufmerksamkeit). 5. Die Empfindimg'snerveii wirken auf verschiedene Art. Einige derselben, w^ie die Sinnesnerven, erregen nur specifische Sinneswahr- nelimnngen; andere, wie die Tastnerven, vermitteln allgemeine Gre- fühlswahrnehmungen, wie Schmerz, Hitze, Kälte, Griätte, Rauhigkeit, Schwere, Leichtigkeit, nnd Avieder andere erregen keine Empfindung, sondern die oben (in 4) erwähnten Eeflexbewegungen. Sie wurden zuerst von Marshall Hall als excitomotorische Nerven unter- schieden. — Es giebt auch centrifugal leitende Nerven, welche entAveder direct oder durch Vermittlung eines Reflexes auf die AbsonderungsYorgänge in den Drüsen Einfluss nehmen. Sie heissen Secretionsnerven, wie der Thränennerv, die Chorda tym- pani u. V. a. Andere äussern auf gewisse Muskeln keine erregende, sondern eine bewegungshemmende Einwirkung, als sogenannte Hemmuugsnerven, über deren Berechtigung jedoch noch mancherlei Bedenken obwalten. Henle machte bei Gelegenheit der Vornahme physiologischer Experi- mente an der Leiche eines Geköpften die Beobachtung, dass nach Durchleitung eines Stromes des Eotationsapparates durch den linken Vagus das Herzatrium, welches noch 60—70 Contractionen in einer Minute machte, plötzlich im Expan- sionszustande still hielt. 23 Minuten nach dem Tode, nachdem die Bewegung des Atrium schon erloschen war, erwachte sie plötzlich wieder mittelst Strom- leitung durch den Sympathicus. 6. Ein mit einer specifischen Sensibilität versehener Sinnes- nerv wird, er mag durch was immer für Reize afficirt werden, nur solche Gefühle hervorrufen, welche er überhaupt zu vermitteln ver- mag, z. B. der Sehnerv wird, er mag durch Druck oder durch Gralvanismus oder durch jenes Agens, welches wir LichtstofF nennen, gereizt werden, nur auf die Eine Weise, nämlich durch Licht- empfindung, reagiren. 7. Das Vermögen der Nerven, auf Reize durch Empfindungen oder Bewegungen zu reagiren, heisst Reizbarkeit. Sie wird durch die Einwirkung der Reize nicht blos erregt, sondern auch geändert. Massige Reize steigern sie, stärkere Reize schwächen sie, und ein gCAvisses Maximum der Erregung hebt sie sogar auf. Ist die Reiz- barkeit durch einen Reiz bestimmter Art erschöpft, so kann sie doch für Reize anderer Art, oder für einen stärkeren Reiz derselben Art noch empfänglich sein. Ein Nerv z. B., welcher auf die Wirkung einer schwachen galvanischen Säule zu reagiren aufgehört hat, ist durch eine kräftigere Säule oder durch mechanische oder chemische 15* 228 §. T3. l'livsiologisclie Eigenschaften des Sympathicus. Reizunj;- iioeli inmicr crrci;!»;»!-. Weclisol der Rei/.e wird es somit nicht zu ciiHMii miK-Iicu niMilc von P^rschöpt'uiii;- koiinncn lassen, als andaiicrnde Wirkinii;- eines hestinniiten kvät'tii;'en Reizes. Die durch Reize mittleren (irades «i'escli wachte oder erschöpfte Reizbarkeit erholt sich durch K'ulie wieder. Die Iteste Erhcdun- für überreizte Nerven giebt der Schlaf. 8. Ein vom Geldrn oder Rückenmark getrennter Nerv behält noch eine Zeitlang .seine Reizbarkeit, verliert .sie aber, wenn seine Continuität durch Verwachsuni;- nicht wieder heri;(>st(dlt wird, nach und nach vollkomm(»n. Jene Stoft'e, welclie das Verinügtn besitzen, durch ihre Einwirkung auf Nerven deren Eeizbarkeit zu vermindern oder zu tilgen, heissen narkotische Stoffe. Sie setzen, wenn sie als Medicamente oder Gifte dem Organismus ein- verleibt werden, den Verlust der Eeizbarkeit entweder geradezu, wie die Blau- säure, oder nach einer vorhergegangenen heftigen Erregung, wie das Strychnin. Durch die wissenschaftliche Anwendung der Reizmittel auf die Nerven hat man die physiulogischen Eigenschaften der letzteren, auf dem Wege des physika- lischen Experimentes kennen gelernt. Jene Doctrin der Physiologie, welche sich mit der Feststellung der Lebenseigenschaften der Nerven und ihrer Wirkungs- gesetze befasst, heisst deshalb Nervenphysik. 9. Die sensitiven und mcttorischen Eigenschaften der Nerven treten scharf und i)estimmt zuerst in den hinteren und vorderen Wurzeln der Rückenmarksuerven hervor. Die vorderen Wurzeln der Rückenmarksuerven sind ausschliesslich motorisch, die hinteren ausschliesseud sensitiv (BelTscher Lehrsatz). Wie sich die Gehirn- nerven in dieser Beziehung verhalten, Avird am betreffenden Orte in der speciellen Nervenlehre enthalten sein. 10. Der Stoffwechsel kann iu den Nerven nicht lebhaft und energisch sein. Die relativ geringe Menge von Capillargefässen im Nervenmark lässt dieses vernuitheu. Nichtsdestoweniger heilt ein getrennter Nerv wieder zusammen und überniiumt wieder theilweise seine frühere Function. Je geringer der Abstand der Schnittenden eines getrennten Nerven ist, desto schneller erfolgt seine Verwachsung. Man sah selbst, nach Exstirpation zolllanger Stücke aus den Extremitätenuerven grosser Thiere, die Lücke durch neugebildete Nervensubstanz ausgefüllt werden. Das regenerirte Stück des Nerven enthielt aber auch Bindegewebsfasern in Menge (Swan). §.73. Physiologische Eigenschaften des Sympathicus. Durch seine anatomische Anordnung, durch seine Verzweigungs- gebiete, durch seine histologischen Eigenschaften (gelatinöse, mark- lose Fasern) wird der Sympathicus dem Cerebrospinalsystem gegenübergestellt und bildet die Lehre von ihm eine eigene ana- tomische Doctrin. §.73. Physiologische Eigenschaften des Sympathicus. 229 Der Sympathicus stellt durcli die in seinen Granglien ent- springenden Nervenfasern ein selbstständig-es, durch die zahlreichen vom Grehirn und Rückenmark zu ihm tretenden und mit ihm sich ver- zweigenden Nerven ein vom Cerebrospinalsysteme abhängiges Nervensystem dar. Er galt bis auf die neueste Zeit für den einzigen Vermittler der Ernährungsprocesse. SeinName, vegetatives Nerven- system, entsprang aus dieser Ansicht. Seit jedoch die Ernährungs- vorgänge in vollkommen nervenlosen Gebilden, wie im Horngewebe, im Knorpel, in der Krystalllinse u. s. w. genauer bekannt wurden, mussten die Vorstellungen von der ausschliesslichen Abhängigkeit der vegetativen Processe vom Sympathicus bedeutende Einschränkungen erfahren. Viele Organe, wie die Milchdrüse, die Synovialhäute, die Zahnsäckchen, die Haut, besitzen keine nachweisbaren sympathischen Nervenfasern, dagegen aber Fäden vom Cerebrospinalsystem. Nerven, welche auf die Ernährung der Organe Einfluss nehmen, werden trophische Nerven genannt. Dieser Name ist vollkommen gerecht- fertigt, denn wir wissen, dass Durchschneidung gewisser Nerven durch Aufhebung oder Störung der Ernährung, Entzündung, Er- weichung, Vereiterung, selbst Brand der bezüglichen Organe bedingt. Der Sympathicus betheiligt sich nur insofern an der Ernährung, als er in den Muskelfasern jener Organe, denen die Ernährung, die Ab- sonderung, die Aussonderung und der Kreislauf obliegt, Bewegungen veranlasst, welche auf diese Processe Einfluss nehmen. Diese Be- wegungen gehen ohne Willensintervention von Statten und wir wissen durch Grefühle nichts von ihrer Gegenwart. Das Herz, der Magen, die Gedärme bewegen sich ohne unser Mitwissen und nur stürmische Aufregung dieser Bewegungen beim Herzklopfen, Erbrechen und Bauchgrimmen macht uns dieselben fühlbar. Die Centra, von welchen die Impulse zu diesen Bewegungen ausgehen, sind die Gauglien des Sympathicus. Das Gehirn und das Rückenmark können durch die Nervenfäden, welche sie dem Sympathicus einflechten, nur einen modificirenden Einfluss auf diese Bewegungen äussern, der sich in Leidenschaften und AfFecten, welche im Gehirn als Seelenorgan wurzeln, kund giebt. Das Herzklopfen, die Brustbeklemmung, die wechselnde Röthe und Hitze, welche gewisse Seelenzustände begleiten, bestätigen den modificirenden Einfluss des Cerebrospinalsystems auf die vegetativen Acte. Das Cerebrospinalsystem kann aber seine Thätigkeit einstellen, wie im Schlaf, in der Ohnmacht, im Schlagfluss, es kann auch ganz oder theilweise fehlen, wie bei hemicephalen und acephalen Missgeburten; die vegetativen Thätigkeiten werden des- halb nicht unterbleiben und die Verdauung, Ernährung, Absonde- rung, der Kreislauf gehen ohne seine Einwirkung ihren Gang fort. Die genannten Arten von Missgeburten sind deshalb in der Regel 2R0 8. "4. Pnikti^clu' Anwi>mlunp;i'ii. i;anz i;ut ütMiiiliit. da ihr S\ lupatliicii^ iiiclit fehlt. Selbst ein aus dem Leibe herausi^esclinitteues EingeAveide Avird. wenn es sympathische (lannlien und (uinii,liennerven besitzt, seine Beweüiinii-en eine Zeitlanu' turtführen. wie man am exstirpirten Herzen und Darmkanale sehen kann. Die aus den Ganglien entspringenden Nerven sind ganz gewiss, wie jene des CiTcbrospinalsystems, nicht nur niotorisrher. sondern auch sensitiver Natur, d. h. einige vnn ihnen leiten zu den Ganglien, andere von den Ganglien weg. Man sieht ja auf Reizungen blossgelegter Organe, welche von sympa- thischen Ganglien versorgt werden, die Bewegungen derselben sich steigern. Es niuss somit der Eindruck des Reizes, der durch den sensitiven Gangliennerv zum Ganglion gebracht wurde, dort auf die motorischen Nerven desselben übergesprungen sein. Die Eindrücke, welche die Ganglien durch ihre sensitiven Zweige aufnehmen, können, weil sie auf die motorischen Zweige reflectirt werden, nicht zum Bewusstsein kommen. Ein Beispiel möge genügen, um die Sache so zu nehmen, wie ich mir sie vorstelle. Die Galle oder die Darmcon- tenta sind für die Darmschleimhaut Reize. Sie erregen die sympathischen, sensitiven Nervenfasern derselben, welche sofort ihre Erregung dem Ganglion, aus welchem sie entspringen, mittluilen. Das Ganglion reflectirt die Erregung auf die motorischen Nerven, wodurch ein stärkerer peristaltischer Motus des Darmes hervorgerufen wird, welcher die Ursache des Reizes fortzuschaffen hat. Diese Reizung der Darmsclileimhaut kann eine gewisse Höhe erreichen, ohne dass sie empfunden wird. Wir schliessen blos auf ihre Gegenwart aus der copiösercn Entleerung des Darmes (Diarrhoea). Wird der Reiz so intensiv, dass er im Ganglion nicht mehr ganz als Bewegungsimpuls auf die motorischen Nerven reflectirt werden kann, so springt er auf die im Ganglion vorhandenen Cerebrospinalnerven über. Sind diese sensitiver Natur, so werden sie den über- nommenen Ileizungszustand zum (ieliirne fortpflanzen und durch Gefühle zum Bewus.-^tsein bringen, welche, wenn der Reiz sehr heftig ist. sich zum Schmerz steigern. Nun wird die häufige Darmentleerung mit Grimmen und Schneiden (Kolik) vergesellschaftet sein müssen. Springt der Reiz auf motorische Fasern des Cerebrospinalsystems über, so können die Entleerungen mit Muskel- krämpfen verbunden werden, wie die tägliche ärztliche Erfahrung an sensiblen Individuen und Kindern nachweist. Die Ganglien sind somit nicht blos Erreger oder erste Quelle der Bewegungen der vegetativen Organe, sondern zugleich Reflexorgane, wodurch sie als ebenso viele Gehirne in nuce gelten können. — Ich habe diese Ansicht über die Bedeutung der sympathischen Ganglien schon seit Jahren in meinen Vorlesungen entwickelt. In der Abhandlung Kölliker's (Die Selbstständigkeit und Abhängigkeit des .sympathisdien Nervensystems. 1845), wird sie ausführlich erörtert. Da sie physiologischer Natur ist, wird man es dem Anatomen verzeihen, sich auf ein ihm fremdes Terrain begeben zu haben. Machen doch auch Physiologen Ausflüge auf anatomischem Gebiete im Nebel. ^. 74. Praktische Anwendungen. EiiU'U Nerven durchschneiden, heisst ebensii viel, als das Organ vernichten, welchem er angcdiört. Es braucht nicht mehr "Worte, um die hohe Bedeutung des Nerven.systems, dem Arzte und Wund- arzt«' im Allu:emeinen einleuchtend zu maclien. §. 74. Praktische Anwendungfen. 231 Das Untersclieiden sensitiyer und motorisclier Nerven liat in die Pathologie der Nerrenkranklieiten Licht und Klarheit gebracht. Die Pathologie der Neuralgien, das sind andauernde, schmerzhafte Affeetionen gewisser Organe oder ganzer Bezirke, sowie die Heilung derselben durch chirurgische Hilfeleistung, erhielten erst durch die Feststellung jenes Unterschiedes ihren Avissenschaftlichen Grehalt. Als man noch die Sensibilität für eine allgemeine Eigenschaft aller Nerven hielt, musste der Sitz der Neuralgien nothwendig verkannt werden, und es wurden deshalb bei den Heilungsversuchen der- selben durch Entzweischneiden der Nerven, auch solche Nerven durchschnitten, welche als rein motorisch, niemals Schmerz ver- mitteln können. Die Greschichte des Gresichts Schmerzes (Proso- palgia, Dolor Fothergilli) , und die zu seiner Heilung vorgenommenen Durchschneidungen des Nervus communiccvns faciei, welcher als ein motorischer Nerv nie schmerzen kann, geben ein trauriges Zeugniss dieser Wahrheit. Auch die Unterscheidung der Emptindungs- lähmungen (Anaesthesiae) und der Bewegungslähmimgeu (Paralyses) beruht auf den festgestellten physiologischen Eigenschaften der Nerven. Die bekannte sensitive oder motorische Eigenschaft eines Nerven wird bei der Vornahme chirurgischer Operationen an ge- Avissen Gregenden volle Berücksichtigung verdienen, um die Summe der Schmerzen so gering als möglich ausfallen zu lassen. Hätte man eine Geschwulst oder ein nervenreiches Organ zu exstirpiren, so soll der erste Schnitt auf jener Seite geführt werden, wo die Nerven in das betreffende Organ oder in die Geschwulst eintreten. Sind die Nerven getrennt, so wird jede fernere Beleidigung des Organs durch Druck oder Schnitt schmerzlos sein, während sie im hohen Grade schmerzhaft sein muss, wenn die Trennung der Nerven zuletzt folgt. Die Castration mag als Beispiel dienen. — Es wäre kein geringer Triumph der wissenschaftlichen Chirurgie, wenn der Versuch mit Erfolg gekrönt würde, hartnäckige und unerträgliche Nervenschmerzen in gewissen Organen, nicht durch die Amputation oder Ausrottung der Organe, sondern durch Eesection ihrer sensi- tiven Nerven zu heilen. Die Fälle sind in den Annalen der AVund- arzneikunde nicht gar so selten, wo man nicht zu besänftigende chronische Schmerzen der Brust oder der Hoden, durch Abtrao-una: dieser Organe geheilt zu haben sich rühmt. In den Handbüchern der Operationslehre wird unter den Anzeigen zur Vornahme der Abtragung eines Gliedes oder Organs, der incurable Nervenschmerz noch immer angeführt. Die mechanische Eeizung der Empfindungsnerven erklärt es, warum bei der Abbindung krankhaft entarteter Or2:ane und bei der 232 ^- "*• PraVtisfhp AnwendunRpii. l'ntprLiiulunn' der Arterien, wenn Nervenzweiii'e mit in die Ijii;atnr g-etasst -werden. Schmerzen entstehen können, "welclie mit der Grösse des i'liiruri;isclien Eing-riffes im Missverhältnisse stehen. Diese f^climerzen werden so -wüthend und können durch Keflex so gefälir- liche allgemeine Zufälle veranlassen, dass sie das Lütten der Liga- turen nothwendig machen, wie. um nur einen illustren Fall auzxi- führen, die g-eschiclitlich bekannte Gefässunterhiudung am amputirteu Arme Nelson\s beweist. — Handelt es sieh darum, ein entartetes Organ abzubinden, so muss die Lig^atur so kräftig- als mög;lieh zu- geschnürt werden, um die Nerven der unterbundenen Partien niclit blos zu drücken, sondern zu zerquetsciien, d. h. zu desorganisiren. Der Druck unterhält eine fortwälirend wirksame und heftig schmer- zende mechanische Irritation, während durch Zerquetschung die Structur der Nerven und mit ihr deren T^eitungsfähigkeit aufg^e- hoben wird. Das geringe Yermögen der Nerven, sich zurückzuziehen, wenn sie durchschnitten wurden, kann es bedingen, dass sie in dem sich bildenden Narbengewebe grösserer Wunden, besonders der Ampn- tationswunden, eingesclilossen und durch die jedem Narbengewebe eigenthümliche Zusammenziehiing so eingeschnürt werden, dass an- dauernde Nervensclinierzen sich einstellen, welche die Excision der Nai'be, ja sogar die nochmalige Vornahme der Amputation erheischen. Mein Rath, die an der Amputationswunde vorstehenden Nerven- enden, statt sie abzutragen, vor der Anlegung des Verbandes iimzu- beugen und zwischen die Muskel hineinzuschieben, hat Berücksichti- gung gefunden. soAvie auch der, diese Methode in jenen Fällen anzuwenden, wo ein durch Exsection eines Nervenstückes zu heilender Nervenschmerz, durch Wiederverwachsung der getrennten Nerven- enden Keeidiven befürchten lässt. Es wurde vorgeschlagen, Gliedmassen, Avelche amputirt werden müssen, mit einem Bande über der Amputationsstelle fest einzu- schnüren und durch Pelotten, welche dem Verlaufe der Haupt- uervenstämme entsprechen, Taubwerden und Einschlafen der (ilied- masse zu Ix-wirkcMi, um sie in diesem Zustande abzunehmen. Der Vorschlag hat aber unter den praktischen Wundärzten selbst zu jener Zeit keinen Eingang finden können, w^o die jetzt üblichen Anaesthetica noch nicht bekannt waren. Es möge hier die Erfahrung Hunters über diesen Gel^-enstand angeführt werden. An einem Manne wurde der Schenkel, dessen Crural- und Hüftnerv durch Pelotten taub gebunden waren, amputirt. Er äusserte verhältniss- mässig wenig Schmerz, obwohl er ein sehr empfindliches Individuum war. und eben deshalb der Versuch mit dem Druekverbande zur Probe l)ei ihm gemacht wurde. Nach gemachter Gefässligatur wurde §. 75. Knorpelsystem. Anatomische Eigenschaften. 23^ die Druckbinde entfernt. Ein kleines Grefäss blutete und musste unterbunden werden. Der Kranke klagte über den unbedeutenden Unterbindung'saet der kleinen Arterie ohne die Druckbinde mebr, als über die Amputation des Schenkels mit der Binde. Da die grossen Nervenstämme der Grliedmassen die grossen Gefässe begleiten, so hat man versucht, eine allgemeine Eegel auf- zustellen, welcher das Yerhältniss der Nerven zu den Arterien unterliegt, um in jedem vorkommenden Falle die Lage des Nerven angeben zu können. Yelpeau (Chirurg. Anatomie, 3. Abth., pag. 144) stellte eine solche Regel auf, nach welcher Nerv, Arterie und Vene so liegen, dass, vom Knochen aus gezählt, die Arterie das erste, die Yene das zweite, der Nerv das dritte sei. Yon der Haut aus gezählt, wäre dann die Ordnung umgekehrt. Ich begreife es nicht, wie ein achtbarer Chirurg und Anatom auf diesen kaum für zwei Körperstellen geltenden Gredanken kommen konnte. So lange es Arterien giebt, welche an allen Seiten von Nerven umgeben sind, wie die Achselarterie, oder von Nerven gekreuzt werden, wie die Schenkel- und vordere Schienbeinarterie, wird es immer gerathener sein, sich lieber auf die Angaben der speciellen Anatomie, als auf allgemeine Regeln zu verlassen. §.75. Knorpelsystem. Anatomische Eigenschaften. Die Knorpel, Gartilagines (xovSqoi, — in der Yulgärsprache der Wiener: Kruspel, nach dem altdeutschen Krospel), gehören zu den Hartgebilden des menschlichen Körpers, deren Härte jedoch zugleich mit einem hohen Grrade von Elasticität sich combinirt. Yiele derselben können geknickt und gebogen werden, ohne zu brechen; andere sind spröder und zeigen, wenn sie gebrochen werden, glatte oder faserige Bruchflächen. Sie sind sämmtlich mehr weniger durchscheinend, in dünne Scheiben geschnitten opalisirend und von gelblich oder bläulichweisser Farbe. Alle lassen sich im frischen Zustande leicht mit dem Messer durchschneiden. ^Yenn sie eintrocknen, werden sie bernsteinfarbig und brüchig, schrumpfen zusammen, schwellen im Wasser wieder auf, widerstehen der Fäulniss lange und lösen sich in kochendem Wasser unter Zurücklassung eines unlöslichen, aus Zellen und. Fasern bestehenden Rückstandes, zu einer gelatinösen Masse auf, welche aber keinen Liaim, sondern das durch J. Müller vom Leim unterschiedene Chondrin enthält. Das Chondrin unterscheidet sich vom gewöhnlichen Leim durch seinen Sch^vefelgehalt und durch seine Fällbarkeit durch Alaun und Essigsäure. Die Knorpel enthalten nebstdem noch anorganische Salze, unter welchen, nach den Analysen von Frommherz und Grugert, kohlensaures und schwefelsaures Natron prävaliren. Durch 234 §. "5. Rnorpelsysteni. Anatomische Eijfenscliaften. Fäuluiss W(M-ildet beiläufig die Hälfte des Gewichtes eines jungen, ■/s des Gewichtes eines ausgewachsenen, und '/» des gesunden Knochens eines Greises. Die langen Knochen der Extremitäten enthalten mehr Knochenerde als die Stamniknochen. die Schädelknochen mehr als beide. B) Organischer Knochenbestandtheil. Der organische Bestandtheil der Knochen zeigt sich uns als eine biegsame und elastische, durchscheinende, knorpelähnliche Substanz, Avelche Knochenknorpel (Ossein) genannt Avird. Sie lässt bei genauerer TTntersuchung eine feine fil)rilläre Strnctur wahr- nehmen und giebt beim Kochen kein Hiondrin, wie die Knorpel, §. 77. Knochensystera. Allgemeine Eigenscliafteu der Knochen. 239 sondern Leim, wie das Bindegewebe. Wir wollen dennocli den Namen Knochenknorpel beibehalten, weil er sieh in der ana- tomischen Sprache seit lauge eingebürgert hat. — Dem Knochen- knorpel verdanken die Knochen ihren, wenn auch geringen Elasti- citätsgrad, ihr Verwittern an der Luft und ihre theilweise Verbrenn- lichkeit. Auf den holzarmen Falklandsinseln braten die Eingebornen einen Ochsen mit dessen eigenen, mit etwas Torf gemischten Knochen, Kameelknochen werden in den Wüsten als Brennmaterial benützt und ein ökonomischer Küster in der Wiener St. Stephans- kirche heizte jahrelang die Sakristei mit den in den Katakomben der Kirche aufgespeicherten Knochen, bis der üble Geruch, welchen diese Heizmethode verbreitete, die Besitzer der umgebenden Häuser veranlasste, die Intervention der Polizei anzurufen. Der anorganische Bestandtheil der Knochen bedingt ihre weisse Farbe, ihre Härte und Sprödigkeit und ihre Beständigkeit im Feuer, welche nur durch hohe Schmelzhitze und durch beigegebene Fluss- mittel überwunden wird (milchfarbiges Knochenglas). Eine richtige Proportion der anorganischen und organischen Ingredienzien verleiht den Knochen ihre Festigkeit, Dauerhaftigkeit, und ihre bis zu einem gewissen Grrade ausreichende Widerstandskraft gegen alle Einflüsse, welche Cohäsion und Form der Knochen zu ändern streben. — Der organische Bestandtheil der Knochen lässt sich durch Kochen extra- hiren und bei hoher Siedhitze im Papiniani'schen Digestor bleibt nur die morsche, leicht zerbröckelnde, wie wurmstichige, anorganische Grundlage als Rest zurück. Der in kochendem Wasser aufgelöste organische Bestandtheil stellt eine gelatinöse Masse dar, welche in grösserer Menge aus Thierknochen, besonders aus den schwammigen Theilen derselben und ihren weichen Zugaben (Bänder, Sehnen etc.) gewonnen, als Genussmittel verwendet wird. Man denke an die Be- lagerungen von Numantia, Sagunt und Paris (durch Heinrich von Navarra), wo der wüthende Hunger nach zerstampften Thier- und Menschenknochen als letztem Nahrungsmittel griff; — man denke an Rumford'sche Suppen und an d'Arcet's Knochensuppentafeln für Soldaten im Kriege. Hunde frassen zwar diese Tafeln nicht und einem Victualienhändler verzehrten die Ratten alles Essbare mit Ausnahme dieser Soldatenkost. Sie werden aber in Spitälern und Feldlazarethen gebraucht — wenigstens verrechnet. Was die Sied- hitze leistet, leistet auch die verdauende Thätigkeit des Magens. Sie entzieht den Knochen ihren organischen Bestandtheil, verschont aber den Kalk, welcher mit den Excrementen als solcher entleert wird. So erklärt sich der weisse Koth (albimi graecum) der fleischfressenden Thiere. — Durch Glühen Avird der Knochenknorpel unter Entwick- lung von Ammoniak verbraunt, und die Erden bleiben mit Bei- 240 *!■ "''•■ KnoclieusjsttMii. AllKcmeiiit' Eigenschaften der Knuchcii. l)oli;iltiinu' der Kuoclieufonu, aber mit \'orIiist ihrer Festig-keit, zurück (Calciniren der Knoclien). Nach Bibra's Analy.se eiifliielf i\or ( )l)ersclienkel eines 25jäh- rigen Mannes: Basiscli pliosphorsaure Kalkerde mit Fluorcaleium 59,63 Kohlensaure Kalkerde 7,33 Phosphorsaure Kalkerde 1,32 Lösliche Salze 0,69 Knochenknorpel mit Fett und Wasser .... 31,03 Das Verhiiltniss des Kndclienknurin'ls zur Knochenerde variirt in ver- schiedenen Knochen desselben Individuums und in verschiedenen Altersperioden. Die Knochen der Embryonen und Kinder enthalten mehr Knochenknorpel, die Knochen Erwachsener mehr mineralische Bestandtheile und im hohen Alter können letztere so überliandntlimcn, dass der Knuchen auch seinen geringen Grad von Biegsamkeit und Elasticität verliert und spröde und brüchig wird, wie das häufige Vorkommen der Practuren bei Greisen beurkundet. Im kind- lichen Alter, wo mit der Prävalenz des Knochenknorpels auch die Biegsamkeit der Knochen grösser wird, kommen Brüche selten, dagegen Knickungen an den langen Knochen und Einbüge an den bi'citen Knochen des Schädels öfter vor. Durch Krankheit kann das Verhiiltniss der organischen zu den anorganischen Bestandtheilen so geändert werden, dass das Ueberwiegen der einen oder der anderen abnorme Biegsamkeit oder Brüchigkeit der Knochen setzt. Die Ver- krümmungen sonst geradliniger Knochen in der englischen Krankheit fRhachitisJ, wo die Knochenerde im Uebermasse durch den Harn abgeführt wird, sowie ein hoher Grad von Fragilität der Knochen (Osteopsathyrosis, von tpa&VQÖg, mürbe, zerreiblich), bei gewissen dyscrasischen Krankheiten, sind das nothwendige Resultat der Mischungsänderung. — Bei einem rhachitischen Kinde fand Bostock in einem Wirbel 79,75 Procent thierische und nur 20,25 erdige Substanz. Der organische Bestandtheil der Knochen geht durch das Verwittern derselben nur zum Theile verloren. Ein nicht unansehnlicher Rest desselben wird, wahrscheinlich durch die Art seiner Verbindung mit dem erdigen, vor der Zerstörung durch Fäulniss geschützt. So fand Davy in einem Stirnknochen aus einem Grabe zu Pompeji, noch 35,5 Procent organische Substanz und in einem Mammuthzahne 30,3. — Als vielgebrauchtes Düngungsmittel (Knochen- mehl), wirken die Knochen mehr durch ihre anorganischen als durch ihre organischen Bestandtheile. Nur die deutsche Sprache hat für Os zwei Ausdrücke: Knochen und Bein; ersteres im allgemeinen Sinne, letzteres für Einzelheiten. Es giebt deshalb eine Knochen-, aber keine Beinlehre, sowie gegentheilig Siebbein, Brustbein, Schienbein gesagt wird, nicht aber Siebknochen, Brustknochen oder Schienknochen. Soll auch Bein auf eine Vielheit von Knochen angewendet werden, muss ihm das cumulative Ge vorgesetzt werden: Gebein. — Das lateinische Wort für Bein: Os, und das gleichlautende Os, als Mund, unter- scheiden sich metrisch, wie der Gedächtnisvers lehrt: Os oris loquitur, corio vestitur os ossis. Auf alten Inschriften findet sich der obsolete Plural von Os, Bein, als Ossua, woher Ossuarium stammt — ein Beinhaus. §. TS. Eiiitlieilimg der Knoelicu. 241 §. 78, Eintheilimg der Knoclieii. Die Schule untersclieidet, nach. Verschiedenheit der Gestalt, lange, breite, kurze und gemischte Knochen. Die langen Knochen, auch Röhrenknochen, mit Ueber- wiegen des Längendurchmessers über Breite und Dicke, besitzen ein mehr weniger prismatisches, mit einer Markhöhle versehenes Mittelstnch, Coiyus s. Diajjhysls, nnd zwei Endstücke, Epipliyses {iiti-tpvsiv, anwachsen). Die Endstücke sind durchans umfänglicher als das Mittelstück nnd mit überknorpelten Grelenkflächen versehen, mittelst welcher sie an die überknorpelten Enden benachbarter Knochen anstossen, nnd mit diesen durch die sogenannten Bänder beweglich verbnnden werden. Die langen Knochen haben zumeist ihre Lage in der Axe der oberen nnd nnteren Grliedmassen an- gewiesen erhalten. Die breiten Knochen, mit über Länge imd Dicke prävali- render Flächenansdehnung finden sich dort, wo Höhlen znr Auf- nahme wichtiger Organe gebildet werden mussten, wie an der Hirnschale, an der Brust und am Becken. An der Hirnschale be- stehen sie ans zwei compacten Tafeln, welche durch zellige Zwischen- substanz (Di]:iloe) von einander getrennt sind. Sollen auch lange Knochen zur Höhlenbildung verwendet werden, so verlieren sie ihre Markhöhle, welche durch schwammige Substanz vertreten wird, ihr prismatisches oder cylindrisches Mittelstück verflacht sich, und sie werden ihrer Länge nach, entsprechend dem Umfange der Höhle, gekrümmt, wie an den Rippen zu sehen. Lange und zugleich breite Knochen, wie das Brustbein, enthalten keine Markhöhlen, sondern eine feinzellige Diploe. Wir finden die Pläclae der breiten Knochen entweder plan, wie am Pflugscharbein, oder im Winkel geknickt, wie am Gaumenbein, oder schalen- förmig gebogen, wie an den meisten Knochen der Hirnschale-, — oder es treten viele plane Knochenlamellen zu einem einzigen grosszelligen Knochen zusammen, welcher deshalb bei einer gewissen Grösse eine bedeutende Leichtig- keit besitzen wird (Siebbein). Die kurzen Knochen sind entweder rundlich, oder unregel- mässig polyedrisch, und kommen in grösserer Zahl über oder neben einander gelagert an solchen Orten vor, wo eine Knochenreihe nebst bedeutender Festigkeit zugleich einen gewissen Grad von Beweglichkeit besitzen musste, wie an der Wirbelsäule, an der Hand- und Fnsswurzel, Avas nicht zu erreichen gewesen wäre, wenn an der Stelle mehrerer -kurzer Knochen ein einziger langerund ungegliederter Knochenschaft angebracht worden wäre. Man hat die kurzen Knochen auch vielwinkelige genannt, welche Benennung ich deshalb ver- werfe, weil mehrere kurze Knochen gar keine Winkel haben, wie \ ß H y r 1 1 , Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl. 242 S. 78. EintlioiluDK Jur Kiioclifii. (las Erbscnbeiii und die Sesainbeine. und auch vielo breite uud lanji^e Knuelieu viehvinkelig sind. Die ijeiniscliten Kuoclien sind Ccjuibiuatiunen der drei ge- uanuteu Kuoclienformen. Die specielle Osteograpliie beschreibt die Flächen. Winkel, Ränder, Erhabenheiten und Vertiefungen, Avelche an jedem Knochen vorküjnnu'n. Um spätere Wiederholungen zu vermeiden, sollen die Namen und Begriffe dieser Einzelheiten hier festgestellt werden. Fläche, Superficies, heisst jede Begrenzungsebene eines Knochens. Sie kann eben, convex, concav, winkelig geknickt oder wellen- förmig gebogen sein. Ist sie mit Knorpel überkrustet und dadurch glatt nnd schlüpfrig gemacht, so heisst sie Gelenkfläche, Superficies artifularis s. (jlenoidea. Winkel, ^Ingnlus, ist die Durchschneidungs- linie zweier Flächen, oder ihre gemeinschaftliche Kante. Die Winkel sind scharf (kleiner als 90**), oder stumpf (grösser als 90"), oder abgerundet, geradlinig oder gebogen. Rand, Margo, heisst die peripherische Umgrenzung breiter Knochen. Er ist breit oder schmal, gerade oder schief abgeschnitten, glatt, rauh, oder mit Zacken liesetzt, gewulstet oder zugeschärft, aiifgekrempt, oder in zwei, auch in drei Lefzen gespalten. Den Namen Fortsatz, Pro- cessus, führt im Allgemeinen jede Hervorragung eines Knochens. Unterarten der Fortsätze sind: Der Höcker, Tuber, Protuberantia , TuherosiUis, ein i'auher, nur sehr selten glatter, niedriger, mit breiter Basis aufsitzender Knochenhügel. Im kleineren Maassstabe wird er znm Tuberculum. Kamm, Crista, ist eine ganz willkürlich angewendete Bezeichnung für gewisse scharfe oder stumpfe, gerade oder ge- krümmte auf Knocheuflächen aufsitzende Rifle. Dünne nnd niedere Kämme heisseu Leisten. Stachel, Spina, heisst ein langer, spitziger Fortsatz. Gelenkk^pf, Caput <(rticulare, ist jeder überknorpelte, mehr weniger kugelige ^^lrtsatz, welcher gewöhnlich auf einem engeren Halse, (Jolbnn, am Ende eines Knochens aufsitzt. Verflacht sich die Kugelform, so spricht man von einem Knorren, Condylus. Sehr häufig werden stumpfe, nicht überknorpelte, holperige oder rauhe Processus, ebenfalls Condi/U genannt, wie denn überhaupt im Gebrauche der osteologischen Terminologie sehr viel Willkür herrscht. Ursprünglich bedeutet Condt/lus nur die Knoten an einem Schilf- rohre uud metaphoriscli auch die Knoten der Fingergelenke. — Der von den Alten aufgestellte Unterschied zwischen Apophjjsis und Epiphysis, wird von den besten neueren Schriftstellern nicht nach Verdienst beachtet. Apophysis, was man mit Knochen aus wuchs übersetzen könnte, ist jeder Fortsatz, welcher aus einem Knochen herauswächst, und zu jeder Zeit seiner Existenz einen integrireuden Bestandtheil desselben ausmacht. Kpiphysis, Knochenanwuchs, ist §. 79. Kuocliensutistanzen. 243 dagegen ein Knoclienende oder Fortsatz, welcher zu einer gewissen Zeit mit dem Körper des Knochens mir dnrch eine zwischenliegende Knorpelplatte zusammenhing, und erst nach vollendetem Waehsthume des Knochens mit ihm verschmilzt. Die Vertiefungen heissen, wenn sie überknorpelt sind, Ge- lenkgruben, Foveae articulares s. glenoidales (von yXrivr], glatte concave Fläche), nicht überknorpelt, überhaupt Gruben. In die Länge gezogene Gruben sind: Rinnen, tmd seichte Rinnen: Fur- chen, SulcL Sehr schmale und tiefe Rinnen heissen Spalten, Fls- surae, welcher Ausdruck auch für jede longitudinale OefFnung einer Höhle gebraucht wird. Löcher, Foramina, sind die Mündungen von Kanälen; — sehr kurze Kanäle werden ebenfalls in osteologicis Löcher genannt. Kanäle, Avelche in den Knochen, aber nicht wieder aus ihm führen, sind: Ernährungskanäle, und ihr Anfang an der Oberfläche der Knochen heisst Ernährungsloch, Foramen nutri- tium. Die Höhlen in den Mittelstücken der langen Knochen werden Cava medullaria, Markhöhlen, genannt. Enthalten sie kein Mark, sondern Luft, wie in geAvissen Schädelknochen, so heissen sie Sinus s. Antra. §.79. Knochensubstanzen. Wir unterscheiden 1. eine compacte, 2. eine schwammige, und 3. eine zellige Knochensubstanz. 1. Die Oberfläche der Knochen wird, bis auf eine gewisse Tiefe, von compacter Knochensubstanz gebildet. Diese erscheint dem unbeAvafi'neten Auge homogen. Sie Avird jedoch allenthalben von sehr feinen Kanälchen (Gefässkanälchen, CanalicuU Haver- siani) durchzogen, welche nur mit bewafi'netem Auge gut zu sehen sind. Die Möglichkeit, die auf der Oberfläche der compacten Sub- stanz befindlichen Mündungen dieser Kanälchen, durch Druck und Reibung verschwinden zu machen, bedingt das zu technischen Zwecken dienende Poliren der Knochen. — Die compacte Substanz zeigt im Mittelstücke der Röhrenknochen ihre grösste Mächtigkeit, und nimmt gegen die Endstücke derselben allmälig ab. — ■ Au den breiten Knochen finden Avir zAvei Tafeln compacter Substanz vor, eine äussere und eine innere, und an den kurzen Knochen exi- stirt sie nur als Kruste von sehr unbedeutender Dicke, oder sie scheint, wie an den porösen Körpern der Wirbel, gäuzlich zu fehlen. 2. Die schAvammige Knochensubstanz, welche sich in den langen Knochen an die compacte, in der Richtung gegen die Mark- höhle und gegen die Epiphysen zu, anschliesst, besteht aus Arielen sich meist unter rechten Winkeln kreuzenden Knochenblättchen, Avodurch ein System von Lücken entsteht, welche unter einander 16* 21 4 ^- 80. Rfiiiliaut uml Kiiotliciiiiiaik. commimicireii und mit den Iloliliäiiiiicn des genieineu Bade- scliwainmes vert^liclu'n werden ktWinen, — "woher der Name. Man kann sicli die MarkliTdile der lauj^en Knoclien, durch Verschmelzung dieser Lücken zu einem grösseren Cavum, entstanden denken. 3. Werden die Lücken der schwammigen Substanz sehr klein, so entsteht die zellige Substanz, und liaben die Blättchen der zelligen Substanz die Feinlieit von Fasern angenommen, so wird sie Netzsubstanz genannt, in den Gelenkenden der langen und im Innern der kurzen Knochen findet sich nur zellige Substanz. 'Man hat erst in neuerer Zeit erkannt, dass die schwamuiigc Knoclien- siibstanz kein regelloses Gewirr von Knochenldättchen und Bälkehen ist, sondern dass der Gesammtheit dieser Blättchen, und somit auch jedem einzelnen eine bestimmte mechanische Verwendung zukommt. Dadurch werden sie zu wohl- berechneten und wohlgefügten Architokturstheilchen der Knochen, welche mit der Verwendungsart des Knochens im innigen und nothwendigeu Zusammen- hange stehen. Xcäheres hierüber enthält: Meyer, im Arch. für Anat. und Physiol., 1867. — J. Wolff, im Archiv für pathol. Anat., Bd. 56. — Langerhans, ebenda, 61. Bd. - Aeby, Med. Centralblatt, XL §. 80. Beinhaut und Knoclieiiiiiark. Besondere Attribute frischer Knochen sind, nebst den, die Gelenkenden der Knochen überziehenden Knorpeln, noch: die Bein- haut und das Mark. Beide müssen durch Fäulniss zerstört werden, um den Knochen zu bleichen und trocken aufzubewahren. Die Beiuhaut, Periosteinn, ist eine fibröse Umhülluugsmembran der Knochen, An den knorpelig incrustirten Gelenkenden der Knochen und an den Muskelanheftungsstellen fehlt sie. Sie steht zu den von ihr umhüllten Knochen in einer sehr innigen Ernährungs- beziehung und besitzt deshalb, besonders in der Wachsthumsperiode der Knochen, Blutgefässe in grosser Menge. Diese Gefässe verbinden sich zu dichten Netzen und schicken durch die Gefässkanälcheu (§. 79 und 83) Fortsetzungen bis in die centrale Markhöhle der Röhrenknochen, wo sie mit den Gefässnetzen des Knochenmarks anastomosiren, welche von den grösseren, durch die Foramina nutritia zum Knochenmark gelangenden Ernährungsgefässen gebildet werden. An den Epiphysen der langen Knochen nnd an gewissen, porös aussehenden kurzen Knochen (z. B. an den Wirbelkörpern) hängt das Periost, der zahlreichen Gefässe wegen, die es in den Knochen abschickt, viel fester an, als an der glatten äusseren Fläche com- pacter Substanz. Je jünger ein Knochen, desto entwickelter zeigt sich der Gefässreichthum seiner Beinhaut. Hat man einen gut inji- cirten dünnen Knochen eines jüngeren Individuums, z. B. eine Rippe oder eine Armspindel, durch Behandlung mit verdünnter Salzsäure durchscheinend gemacht, dann getrocknet und mit Terpentinöl ge- §. 80. Beinhaut und KnodienmarTr. 245 tränkt, so kann man slck leicht von der Anastomose der äusseren Beinhantgefässe mit den Grefässen des Knochenmarkes überzeugen. Die grösseren Venen der Beinhant begleiten die Arterien häufig in doppelter Zahl. Sie verlaufen aber auch isolirt und in besonderen Kanälen der Knochen eingeschlossen, wie in den breiten Knochen der Hirnschale, wo sie Venae diploeticae heissen. In der schwammigen Knochensubstanz bilden die Yenen reiche und äusserst dünnwandige Greflechte. Nerven besitzt die Beinhaut unbestreitbar. Die letzten Endigungen derselben sind jedoch noch nicht mit wünschenswerther Sicherheit eruirt. Pacini'sche Körperchen (§. 70) wurden in der Beinhaut aufgefunden. Die Mikrologen unterscheiden an der Beinhant zwei Schichten. Die äussere besteht vorwaltend aus Bindegewebe, und enthält die Blutgefässe und Nerven. Die darunter liegende Schichte erscheint als ein dichtes, zellenumschliessendes Netzwerk elastischer Fasern, durch dessen Maschen die von der äusseren Schichte kommenden Blutgefässe in die Substanz des Knochens eingehen. Das Vorkommen elastischer Pasern in der Beinhaut vollkommen ausgewachsener Knochen, welche an Umfang und Länge nicht mehr zunehmen, lässt sich nur daraus erklären, däss die Knochen bei all' ihrer Festigkeit einen gewissen Grad von Biegsamkeit besitzen, dem die elastischen Elemente in der Beinhaut entsprechen. — Bei Knochen, welche noch im Wachsen begriffen sind, lagert unter der elastischen Beinhautschichte noch ein Zellenstratum — die Osteo- blastschichte. C. Beck, Anat.-physiol. Abhandlung über einige in Knochen verlaufende, und in der Markhaut verzweigte Nerven. Freiburg, 1846. (Im Oberarm und im Oberschenkel, in der Ulna und im Eadius durch Präparation dargestellt.) — KöUiker, Ueber die Nerven der Knochen, in den Verhandlungen der Würz- burger Gesellschaft, I. — Luschka, Die Nerven der harten Hirnhaut, des Wirbelkanals und der Wirbel. Tübingen, 18S0. — Rauher, Ueber die Nerven der Knochen. München, 1868. Das Knochenmark, MeduUa ossium, dessen bereits bei Gre- legenheit des Fettes (§. 25) erwähnt wurde, nimmt die Markhöhle der langen Knochen ein. Wenn man einen seiner Beinhaut be- raubten, frischen und fetten Knochen in warmer Luft trocknet, sickert alles Knochenfett (Mark) an der Oberfläche aus, und der Knochen erscheint fortwährend wie beölt. Dieses geschieht nur deshalb, weil durch das allmälige Eintrocknen der in den Grefäss- kanälchen der compacten Knochensubstanz enthaltenen Blutgefässe dem von der Markhöhle herausschwitzenden Fette eine Abzugsbahn geöffnet wird. Zwischen den Fettzellen des Knochenmarkes komm.en auch kleinere, kein Fett, sondern Körnchen enthaltende Zellen (Markzellen) ujid andere mehrkernige Zellen vor, welche ihrer Grrösse wegen den für mikroskopische Dinge schier bedenklichen Namen Eiesenzellen erhalten haben. — Das Knochenmark wird nicht eben reichlich von Bindegewebe durchsetzt. An der Ober- fläche des Markklumpens bildet das Bindegewebe keine continuir- 240 §• ^^- Vi'iliiiiilunffpn der Knnclicn unter sich. liehe Schiclite, welche als soiienanntcs '\ u u i' v o s Ver'ioi^t (Entloosfevm s. J\'ri().sf('i(jii liifcriiKiii) nur in der Eiiil)il(lun<;' älterer Anatomen existirte. Das Mark der hingen Kuoclien erhält eine nicht unheträcht- liihe Ulutzut'uhr von jenen Arterien, welche durch die Fovmniiui imtv'itiii in die Markhöhle gelangen. Die Blutgefässe des Markes verästeln sich längs der das Mark durchsetzenden l>indegewel)S- hündel, dringen von innen her in die (Jetasskanäle der compacten Rindensubstanz ein und anastomosiren, wie früher erwälint, allent- halben mit den vom äusseren Periost in den Knochen eintretenden (lefässzweigen. Lymphgefässscheiden invaginiren die feineren IJlnt- gefässe. — Dass auch durch die Foraniino mdrltia Nerven in die ]\larkli()]iien der Knochen gelangen, und dass feinste Zweige des animalen und vegetativen Nervensystems direct mit den Blutgefässen in die compacte und sclnvammige Substanz der Knochen eingehen, ist durch ältere und neuere Beobachtungen constatirt. In das Mark selbst al)er gehen die Fasern dieser Nerven gewiss nicht über, sondern verbleiben bei dem Bindegewebe, welches das Mark durch- setzt. — Die Diploö der breiten und die schwammige Substanz der (lelenkench'u der Knochen enthält statt Mark ein röthliches, gelatinöses Fluidum, welches nach B(>rzelius aus Wasser und ExtractivstofFen und nur äusserst geringen Spuren von Fett l)esteht. Die alte Ansicht, dass das Knochenmark der Nahrungsstoff der Knochen sei: mednlla nutr/ntenfum ossiutn est, wird durch die fettige Natur des Markes zur Genüge widerlegt. Die Fettablagerung ereignet sich im Knochen ebenso, wie an allen anderen disponiblen Orten, wo Fett als organischer Ballast de- ponirt wird. Dass es den Knochen leichter mache, kann nicht die einzige Ursache seiner Gegenwart sein. Er wäre ja noch leichter, wenn gar kein Fett in ihm abgelagert würde, wie in den lufthaltigen Knochen der Vögel. Es scheint vielmehr die Fettmasse des Markes den Blutgefässen, welche vom Mark aus in die Knochensubstanz einzudringen haben, als Schutz- und Fixirungs- mittel zu dienen, und die Gewalt der Stösse abzuschwächen, welche bei den Erschütterungen der Knochen leicht Veranlassung zu Rupturen der Gefässe geben könnten, ähnlich wie das Fett in der Augenhöhle für die feinen Ciliar- arterien und Nerven eine schützende Umgebung bildet. In sehr seltenen Fällen findet man die Markhölile der Röhrenknochen durchaus von compacter Knochensubstanz ausgefüllt, ohne dass im Leben irgend eine abnorme Erscheinung Kunde von solcher Obliteration der Höhle gegeben hätte. Der bekannte alte niederländische Anatom, Fried. Rijysch, soll sich eines Essbesteckes bedient haben, dessen Griffe aus soliden Menschenknochen ohne Markhöhle gedrechselt waren. §. si. Verbindungen der Knochen unter sich. Die durch Vermittlung von Weichtheilen zu Stande kommenden Verbindungen der Knochen bieten, von der festen Haft bis zur §. 81. Verbindungen der Knochen unter sicli. 247 freiesten Beweglichkeit, alle mögliclieii Zwisctengrade dar. Absolut iinbeweglicli ist wolil keine einzige KnoclieuTerbindung zu nennen, aber die BeAveglicbkeit sinkt in einigen derselben auf ein Minimum herab, welches, wie an den Knochen der Hirnschale, ohne Anstand ^= 0 genommen werden kann. Wir fassen die verschiedenen Arten von Knochenverbindungen imter folgenden Hauptformen zusammen. Ä) Grelenke, Articulationes, Diarthroses. Gelenk (cc^'&qov, woher Artus und Articulus abgeleitet sind, sowie Arthritis, Gelenksentzündung, Gicht), heisst die bewegliehe Verbindung zweier, wohl auch mehrerer Knochen, welche durch überknorpelte, meist congruente Flächen, an einander stossen, und durch Bänder derart zusammengehalten werden, dass sie ihre Stellung zu einander ändern, d. h. sich bewegen können. Die Bänder sind: 1. Ein iihv ö&e&^K^seXh and, Ligamentum ca^ysulare (kurzweg Kapsel genannt), welches sich vom rauhen Gelenkumfang eines Knochens zu jenem eines anstossenden erstreckt, sehr oft aber noch eine an die Gelenkfläche angrenzende, nicht überknorpelte, sondern noch mit Beinhaut überzogene Zone der betreffenden Knochen in sich schliesst, und an seiner inneren Oberfläche mit einer Synovial- membran ausgekleidet, welche, nach dem Texte von §. 43, B, sich nicht auf die überknorpelten Knochenenden (Cartilagines articulares) umschlägt, wie man seit langer Zeit fälschlich angenommen hat, sondern am Beginne des Knorpelüberzuges endet. Nur das einfache, nicht geschichtete Pflasterepithel der Synovialmembran streift über die Reibfläche dieser Knorpel hinweg, an welchem es sehr fest und innig haftet. 2. Hilfsbänder, Ligamenta accessoria, um die Verbindung zu kräftigen oder die Beweglichkeit einzuschränken. Sie liegen in der Regel ausserhalb des Gelenkraumes. Bei mehreren Gelenken kommen jedoch solche Bänder auch innerhalb des Gelenkraumes vor, z. B. im Hüft- und Kniegelenk. Eine besondere Eigenthümlichkeit gewisser Gelenke bilden die sogenannten Zwischenknorpel, Cartilagines inter articulares s. meniscoideae. Sie kommen nur in Gelenken vor, deren Contactflächen nicht congruiren und stellen demnach zunächst eine Art von Lücken- büssern dar, zur Ausfüllung der zwischen den discrepanten Gelenk- flächen erübrigenden Räume. Als zwischen die Gelenkflächen der Knochen eingeschobene und nur an die Kapsel befestigte Faser- knorpelgebilde, besitzen sie zwei freie Flächen. Man sieht sie ent- weder nur bis auf eine gewisse Tiefe in den Gelenkraum eindringen oder denselben ganz und gar durchsetzen. Von der rorin der Gelenkenden der Knochen, der Lagerung der Hilfs- und Bescliränkungsbänder, hängt die Art, die Grösse der Beweglichkeit eines 248 ^- ^1- V<»rl)iiii1nn;»on dov Knoclii-n \inti'r sicli. Gelenkes ;i1). Selbst Ixiiu freiesten Gelenke kann der zu bewet^emle Knoelien sich nicht in gerader liinie von jenem entfernen, mit welchem er articnlirt. Würde er diese Bewegung anstreben, so müsste iu dem Gelenke sieh ein leerer Raum bilden, und dieses gestattet der äussere Luftdruik nicht, denn natura horret vacuum. Mau kaim folgeude Arten vou Gelenken untersclieiden: (() Freie Gelenke, Arthrodlae (o!()d'Qcoöia bei Galen). Sie erlauben die Beweguui^ in jeder Richtung-. Sphärisch oder nahezu sphärisch gekrümmte, genau an einander passende Geleuk- flächen und laxe oder dehnbare Kapseln, mit Avenig oder gar keinen beschränkenden Seitenl)ändern, sind notlnvendige Attri- bute dieser Gelenkart, deren Repräsentant das Schulterg-elenk ist. Wird die freie Bewegung- dadurch etwas limitirt, dass eine besonders tiefe Gelenkgrube einen kugeligen (xelenkkopf nmschliesst, so heisst das Gelenk ein Nuss- oder Pfannen- gelenk, Enartlirosis {svccQd-Qcoßig bei Galen), wie es zwischen Hüftbein und Oberschenkel vorkommt. h) Sattelgeleuke. Ihre Benennung- ist, wie .jene der gleich folgenden Knopfgelenke, eine deutsche Erfindung. Sie haben somit noch keine g-elehrt klingenden griechischen oder latei- nischen Namen erhalten. Eine in einer Richtung convexe und in der darauf senkrechten Richtung concave Flächenkrümmung bildet eine Sattelfläche. Stossen zwei Knochen mit entsprechen- den Flächen dieser Art an einander, so ist ein Sattelgelenk gegeben, welches Bewegung in zwei auf einander senkrechten Richtungen zulässt. Beispiele: das Carpo-Metacarpalgelenk des Daumens und das Brustbein-Schlüsselbeingelenk. Richet be- zeichnet diese Gelenke als arüculations par cmhottement reci- proque. c) Knopfgeleuke. Sie besitzen die Beweglichkeit der Sattel- gelenke. Ein elliptischer Gelenkknopf und eine ents])rechend concave Gelenkgrube bilden ein Knopfgelenk, Avelches von Cruveilhier zuerst unter der Benennung Artindation condif- lienne als eine besondere Gelenkart aufgeführt wurde. Beis[)iele sind das (lielenk zwischen "^ Orderarm und Handwurzel und das Kiefergelenk. d) Winkelgelenke oder Charniere, Gmphpni (y/'yyAviuog', Thür- angel), gestatten nur Beugung und Streckung, also Bewegung in Einer Ebene. Eine Rolle, Trocidea, an dem einen, und ein entsprechender Ausschnitt am anstossendon Gelenkenrh', sowie zwei nie fehlende Seitenbäudcr eliarakterisiren das Winkelgelenk. Avelches durch di(! Finger- und Zehengelenke sehr zahlreich vertreten erscheint. §. 81. Verbindungen der Knoclien unter sich. 249 e) Dreli- oder Radgelenke, Ärticulationes trocJioideae, ^velclie höchst komischer Weise auch Trochill g-enannt werden. Tqojilog heisst ja Zaunkönig. Sie kommen dort yor, wo ein Knochen sich nm einen zweiten, oder an diesem zweiten sich um seine eigene Achse dreht. So bewegt sich z. B. der Atlas um den Zahnfortsatz des zweiten Wirbels, das Köpfchen der Arm- spindel aber an der Eminentia capitata des Oberarmbeines um seine eigene Axe. f) Straffe Gelenke, Ampliiarthroses, heissen jene, in welchen sich zwei Knochen mit geraden, ebenen, oder massig gebogenen, überknorpelten Flächen an einander legen und durch straffe Bänder so fest zusammenhalten, dass sie sich nur wenig an einander verschieben können. Sie sind ausschliesslich auf einige Hand- und Fusswurzelknochen beschränkt. AmpTiiartlirosis ist ein von Andreas Laurentius neugebildetes Wort, kommt bei den Grriechen niemals vor, und wurde sehr unrecht dem Aristotelischen Ausdruck öiccQ'&QcoGLg substituirt. In entsprechender Weise Hessen sich noch die Gelenke nach der Zahl ihrer Bewegungsaxen rubriciren, und es könnten einaxige, zweiaxige und viel- axige Gelenke unterschieden werden. Einaxige Gelenke wären die Winkel- und Eadgelenke, erstere mit horizontaler, letztere mit verticaler Drehungsaxe.^ Zwei- axig erscheinen die Sattel- und Knopfgelenke, indem sie in zwei auf einander senkrechten Richtungen Bewegung gestatten. Vielaxige sind nur die freien Gelenke. — Da bei allen anatomischen Eintheilungen immer etwas übrig bleibt, was sich der Eintheilung nicht fügt, so sollte auch zu den hier aufgezählten Gelenkarten noch eine letzte hinzugefügt werden, nämlich die gemischten Gelenke, welche die Attribute zweier der genannten in sich vereinigen, wie z. B. das Kniegelenk jene des Winkel- und Drehgelenks. S) Nähte, Suturae. Man bezeichnet mit diesem Namen eine der festesten Knochen- verbindungen, welche dadurch gegeben wird, dass zwei breite Knochen durch wechselseitiges Eingreifen ihrer zackigen Ränder zusammengehalten (engrenure der Franzosen, Syntaxis serrata, bei (xalen qacp'l] und a^fxi]). Den Namen Sutura, xon suo, nähen, erklärt Spigelius: „compositio quaedam ossium, ad verum consutartim simüi- tudlnem facta". Einzack uug wäre besser als Naht. Eine Unterart der Nähte bilden die sogenannten falschen Nähte, Suturae spuriae s. nothae. Man versteht unter diesem Namen die Yerbindung von Knochenrändern ohne vermittelnde Zacken, und zwar entweder durch Uebereinanderschiebung derselben, wodurch eine Schuppennaht, Sutura squamosa, entsteht, oder durch ein- faches Aneiuanderschliessen rauher Kuochenränder, als Ilarmonia {dQ^ovia, von «^w? zusammenpassen). In den wahren und falschen 2.')0 8- ^-- Kftliores fllier Knorlienvorliindungon. Näliton cxistii't ein IMiniiuuiii eines weiclien, knorpeligen oder f'ase- riii^en Yerl)iii(liiHi;-smittels der betreffenden Knoclienräuder. C) Fugen, Si/niphT/.ses, von cvf^icpvco, zus;iniiuenw;iclisen. Ihr Wesen lierulit darin, dass dick ül)erkuorj)elte Knoclien- flächeu, durch straffe Iianda|>|»arate, mit kaum melir merkl»arer Be- weglichkeit zusammengehalten ■sverch'n. Eine spaltförmige Holde, als Analog'on einer Gelenkhöhle, trennt die beiden üljerknorpelten Knochentlächen. Fehlt diese Höhle, so verschmelzen die üherknor- ])elten Knochenfläclien, und diese Verschmelzung- ist es, welche als Si/tirho)ihifS(.s imterschieden wird, o1)W(dd viele Anatomen beide Ausdrücke als synonym g-ehrauchen. J}) Einkeiluugen, (romjyhoses. Sie finden sich nur zwischen den Zähnen und den Kiefern. Eine konische Zahnwurzel steckt im Knochen, Avie ein eingeschlag-ener Keil (ySiitpog, Nagel, Pflock). Die Alten erwähnen noch zweier Arten von Knochenvcrl)inilungen: aj Syyidesmosis. Sie besteht in der Verbinflung zweier Knochen durch ein fibröses Band (äf-ai-iös). Ein Beispiel derselben gicbt die Verbindung des Zungenbeins mit dem Griffclfortsatz des Scliläfebeins , und die Liiiamenta interossea der Vorderarm- und Untcrschenkclknochen. bj SchindylesiK. Dieser Ausdruck bezeichnet jene feste Verbindungsform, wo der scharfe Rand des einen Knochens zwischen den gespaltenen Lefzen eines anderen (wie bei Schindeln) steckt. Sie kommt zwischen Pfiugscharbein und Keilbein vor. Das Wort GX(vSvlr]aig. von o%i^(o, spalten, findet sich schon bei Galen, aber niclit als Art einer Knochenverbindung, wie ich es hier gebrauche, sondern als Spaltung überhaupt. §. 82. Mheres über Knochenverbindungen. Bezüg'lich des Vorkommens der eben aufg-ezählten Arten von Knochen Verbindungen lässt sich Folgendes feststellen: 1. Alle Gelenke sind paarig. Vom Kinnbackengelenk bis zu den Zehengelenken herab gilt diese Regel, welche nur eine Aus- nahme hat. Diese ist das nnpaare Gelenk zwischen Atlas und Zahnfortsatz des Epistropheus. 2. Alle Symphysen sind un])aar, mit Ausnahme der paarigen Syinpluisis sacro-iliaca. 3. Die Symphysen gehören ausschliesslich der Wirbelsäule, den Brustbeinstücken, nnd dem Becken an. Sie liegen somit in der Medianlinie, oder, wie die Sj/iupJii/scs sacro-iliacae, nahe an derselben. 4. Da die in der Medianlinie der hinteren Leibeswand gelegene W^irbelsäule das feste Stativ des gesammten Skeletes zu bilden hat, so wird es verständlich, warum zwischen den Wirbeln keine Gelenke, sondern feste Symj)hysen vorkommen müssen, während die durch ihre Beweglichkeit mehr weniger bevorzugten paarigen §. 82. Näheres üljer KnoclienTerbindungen. 251 Knochen des Brustkorbes nncl der Extremitäten keine Symphysen, sondern Grelenke zu ihrer wechselseitigen Verbindung benöthigen. 5. Wahre und falsche Nähte, sowie Harmonien, kommen nur zwischen den Kopfknochen vor. Sie gestatten, trotz ihrer Festigkeit, ein dem Wachsthume des Kopfes entsprechendes, allmäliges Aus- einanderweichen der einzelnen Kopfknochen und machen erst dann einer knöchernen Verschmelzung (Sipiostosis) der betreffenden Knochen Platz, wenn das Wachsthum des Kopfes schon lange seine Vollendung erreicht hat. In der Thierwelt finden sich Nähte auch zwischen anderen Knochen als den Kopfknochen. So z. B. aj zwischen den Platten des Eückenschildes der Schildkröten. Man hat deshalb ein Fragment einer solchen Platte von einer riesigen vorweltlichen Schildkröte, eine Zeitlang für ein Stück Schädelknochen eines prä-adamitischen Menschen gehalten, bj Zwischen den seitlichen Hälften des Schultergürtels gewisser Fische fSiluroideiJ. cj Zwischen den die Hornhaut des Auges umgebenden Knochenplatten bei einigen Vogelarten (z. B. SulaJ. dj Zwischen den Wirbeln jener Fische, deren Leib von einem starren, aus eckigen Schildern zusammengesetzten Panzer umschlossen ist und deren Wirbel- säule somit ihre sonst beweglichen Symphysen gegen unbewegliche Suturen vertauscht (Kofferfische). 6. In den frühen Perioden des Embryolebens giebt es noch keine Grelenke. An den Extremitäten nimmt ein Knorpelstab die Stelle der zukünftigen gegliederten Knochensäule ein. Dieser Knorpel- stab erhält Verknöcherungspunkte, welche allmälig zu Knocheu- stäbchen verwachsen. In dem zwischen den Stäbchen befindlichen und sie mit einander verbindenden Knorpel bildet sich dort, wo ein Gelenk geschaffen werden soll, eine spaltförmige Höhle. Mit der zunehmenden Greräumigkeit dieser Höhle bleibt zuletzt vom Knorpel nichts übrig, als die zunächst an die Knochen des ent- stehenden Gelenkes anliegende Schichte und seine äussere Be- grenzungsmembran (Pericliondrium). Erstere wird zum Knorpel- überzug der Gelenkflächen der betreffenden Knochen, letztere zur Kapsel des Gelenks. Schmilzt der Knorpel, welcher die Stelle eines zukünftigen Gelenks einnimmt, an zwei Punkten, welche beim Fortschreiten der Verflüssigung nicht mit einander zu- sammenfliessen, sondern durch einen Eest jenes Knorpels von einander getrennt bleiben, so wird ein zweikammeriges Gelenk ent- stehen, in welchem sich die Scheidewand der Kammern entweder zu einer Cartilago interarticularis, oder zu intracapsularen Bändern umbildet. Nur an einer Stelle des menschlichen Körpers perennirt das embryonische Verhältniss durch das ganze Leben. Während nämlich zwischen den vorderen knorpeligen Enden der Rippen und dem Brustbein sich auf die erwähnte Weise wahre Gelenke entwickeln, verbleibt es zwischen dem ersten Eippenknorpel und der Handhabe des Brustbeins bei der primitiven Continuität beider, und es 252 S. 83. Stru.-tnr Her Knorlion. mnss als Ausnalimo botraolitet werden, wenn e?; hier zur Entwieklung eines Gelenks konuut. wie bei den übrii,'eii IMpjten. — Hei den DeliihimMi und Wal- lisolun sind durch das ganze Leben hindurch die Knochen ilirer lUustflossen, welche unvollkuuinien entwickelte Hände darstellen, nicht durch Gelenke, son- dern durch Knorpel unter einander verbunden. Bei den vorweltlichen Ichthyo- sauren und Plesiosauren war es ebenso. §. 83. Structur der Knochen. Die compacte Knoclieiisulistanz Avird von feinen Kanälchen tliircltzogen, Avelclie Blntgetasse enthalten. Man war lange Zeit der Meinung', dass diese Kanälclien blos ^lark führen und nannte sie desluill) Markkanälclien. Diesen Namen verdienen sie nicht. Sie werden richtiger Gefässkanälchen genannt. Clopton Havers, ein englischer Anatom des 17. Jahrhunderts, hat ihrer zuerst er- wähnt, weshalb sie auch CunaUcuU Ilaversiani lieissen. Nur in sehr dünnen Knochen fehlen sie, z.B. in {[qv Lamina papyracea diQs ^'\^- beines, stellenweise am Gaumen- und Thriinenbeiu und in den dünnen Blättchen der schwammigen Knochensubstanz. Sie laufen in den Röhrenknochen mit der Läugenaxe derselben parallel, hängen aber auch durch (^uerkanäle zusammen und l)ilden soinit ein Netz- werk von Kanälen, welches an der äusseren und inneren Oberfläche (Markhöhle) der Knochen mit freien, aber feinen Oeffnungen mündet. In den breiten Knochen ziehen sie entweder den Flächen derselben parallel, wie am Brustbein, oder ihre Richtung ist sternförmig von bestimmten Punkten ausgehend (Tuber frontale, parietale, etc.). Dass die Gefässkanälchen ein von der Oberfläche des Knochens bis in die Markhöhle hineinreichendes Kanalsystem bilden, kann durch einen einfachen Versuch anschaulich gemacht werden. Wenn mau nämlich Quecksilber in die Markhöhle eines gut macerirten und quer durchschnittenen Köhrenknochens giesst, so sieht man die Metalltrüpfchen an unzähligen Punkten der Knochen- oberfläche hervorquellen. Gerlach hat zu demselben Zwecke Injectionen der Markhöhle mit gefärbten und erstarrenden Flüssigkeiten angewendet. — Eine Eigenthümliehkeit der Blutgefässe der Knochen besteht darin, dass die feinsten Arterien gleicli in 4— 3mal dickei'c Venenanfänge übergehen. Hat man feine Querschnitte von Röhrenknochen mit vcrih'innter Salzsäuiv ilires Kalkgehaltes berau1)t und sie durchsichtig gemacht, so lässt es sich geAvahren, dass jedes Gefässkanälchen von con- centrischen cylindrischen Scheiben oder Lamellen umgeben wird, zu Avelchen das Kanälchen die Axe vorstellt. Die Zahl der Scheiden variirt von 4 — 10 und darüber. Jede Scheide ist ein äusserst dünnes Bhittchen jener zart gefaserten Substanz, welche die organische Grundlage des Knochens bildet und früher (>?. 11) als Knochen- knorpel, Ossein, erwähnt wurde. ^lelii'ere Gefässkanälchen mit ihren Schei(hMi werden von grösseren concentrischen Scheiben umscldossen, welclie zuletzt alles;iniuit iu einer ui ehrblätterigen grösseren Scheide §. 83. Slructur der Kuoclien. 253 stecken, deren Umfaug so gross ist, wie der Umfang- des Knocliens selbst (äussere Grnndlamellen). Entsprechend den änssersten Grrund- lamellen, ziehen auch ähnliche, aber spärlichere, im Innern des Knochens nni die Markhöhle zunächst herum, als innere Grund- lamellen. Die Structur der Knochen ist also vorzugsweise lamellös. In den Lamellen der concentrischen Scheiden bemerkt man auf demselben Querschnitte des Knocliens mikroskopisch kleine, runde oder oblonge, gegen die Axe des Kanälchens concave, in ver- zweigte Aeste ausstrahlende Körperchen, die sogenannten Knoclien- körperchen. Diese Körperchen sind so wie ihre Aeste hohl, und enthalten Protoplasma. Da sie einer eigenen Wand entbehren, können ■ sie nicht als Körperchen, sondern müssen vielmehr als verästelte Lücken in der Knochensubstanz aufgefasst werden. Bei Beleuchtung von oben erscheinen sie unter dem Mikroskope kreideweiss, bei Beleuchtung von unten dunkel. Die Aeste der Körperchen stossen theils mit jenen der benachbarten zusammen und bilden mit ihnen ein Netzwerk, oder sie münden in die Gefässkanälchen, ja auch in die Lücken der schwammigen Substanz ein, oder sie endigen frei an der äusseren und inneren Oberfläche des Knochens. Ist aber die Oberfläche eines Knochens mit Knorpel incrustirt, wie an den Gelenk- enden, so gehen die gegen den Knorpelüberzug gerichteten Aestchen der Knochenkörperchen bogenförmig in einander über (Gerlach). Der Entdecker dieser mikroskopischen Gebilde in den Knochen, J. Müller, nannte sie Corpuscula chalcopliora, da er meinte, dass sie das Depot der in den Knochen befindlichen Kalksalze seien. Sie enthalten jedoch im frisclien Zustande des Knochens Protoplasma und eine Zelle oder deren Reste, im getrockneten Knochen dagegen Luft. Knochenerde führen sie nie, welche vielmehr im Knochen- knorpel deponirt ist, wie man sich durck mikroskopische Unter- suchung von feinen calcinirten Knochenschnitten überzeugen kann. — Die Knochenkörperchen bilden, dem Gesagten zufolge, in ihrer Gesammtheit ein den ganzen Knochen durchziehendes System von kleinsten Lücken und Kanälchen, durch welches der aus den Blut- gefässen der Knochen stammende Ernährungssaft (Plasma) zu allen Theilchen des Knochens geführt wird. Ein ähnliches Verhalten haben wir schon früher in den Knorpeln kennen gelernt (§. 75, Saftbahnen der Knorpel). Man kann sich an entkalkten Knochenschnitten von Embryonen und rhachitischen Individuen von der Gegenwart einer Zelle (Knochenzellc, Osteoblast) in der Höhle der Knochenkörperchen überzeugen. Die Knochenzelle füllt die Höhle der Knochenkörperchen entweder vollkommen aus, oder lässt einen Theil derselben frei. Sollte ihr Kern nicht gleich auffallen, kann er durch Anwendung kaustischen Natrons sichtbar gemacht werden. Diese Zellen — ü-1 §. 84. Li'boMsoigonsi'liattcii iliT KiimcIu-u. scliii'kcii iibcr keine Furtsät/.o in die Aeste der Knoelienkiirpereiien liiiiein, — Es lässt sich bo<,'reifen, dass selir dünne Knoeiien oder die lilättchen der seliwannnigen Knocliensubstanz, zu deren Ernälirun^ die Gofässe ihres Periosts fronügen, keine Gefässkanälchcn bonötlniiten, welche dagegen in den dicken Knoclien zu einer unerlilssliehen Notlnvriidi-ikeit werden, um deren Masse allent- halben Erniilirungsstoffe zuzufüliren. Um die Knoclienkürperelien zu seilen, schneidet man sich mit feinster Säge aus der compacten Substanz der Köhrenknochen möglichst dünne Schcib- elien der Länge und der Quere nach, und schleift diese auf feinkörnigem Sand- stein SU lange, bis sie hinlänglich durehsclieinend geworden sind, um mikro- skopisch untersuclit werden zu kr.nnen. Natürlicli sieht man an solchen Scliliffen nicht die ganzen Knoclienkörperchen. sondern nur ihre Durchschnitte, welche längliclie, spindelförmige, an beiden Enden zugespitzte, und mit ästigen Strahlen besetzte Figuren darstellen. Die Durchschnitte der Markkanälchen erscheinen bei Querschnitten als rundliehe Oeffnungen, bei Längsschnitten als longitudinalo Einnen. Die concentrisclien Ringe von Knoclienknorpel, von welchen sie um- sdilossen werden, sind bei dieser Behandlungsart nicht zu sehen. Um sie sichtbar zu machen, muss das Knochenscheibehen durch verdünnte Salzsäure seines Kalk- gehaltes beraubt werden, worauf es in reinem Wasser ausgewaschen wird. — Lang- sames Verwittern der Knochen an der Luft lässt ihre Oberfläche wie schuppig er- scheinen, da sich die äusseren Lamellen ihrer Rindensubstanz stückweise abschilfern. W. Sliarpey beschrieb in der 6. Ausgabe von Quain's Anatomy, pag. 120, unter dem Namen perforatitKj fibres, eigentliümliche, von der B( inhaut aus- gehende und die äusseren Grundlamellen des Knochens senkrecht durchbohrende Faserbündel, welche an mit Salzsäure entkalkten Knochen durch Auseinander- reissen ihrer Lamellen sichtbar werden. Sie verhalten sich also zu den Lamellen wie Nägel, welche durch melirerc Bretter getrieben werden. An den aus einander gerissenen Lamellen lassen sich die Löcher erkennen, in welchen sie entlialten waren. H. Müller erklärte sie für Züge verdichteter Bindegewebssubstanz, deren Bildung der Anlagerung der ersten Knochenlamellen beim Verknöchc- rungsprocess entweder vorherging, oder wenigstens mit derselben zugleich fortschritt. Kolli ker liält sie den elastischen Fasern verwandt. Würzburger naturw. Zeitschrift, 1. Bd. Literatur. Deutsch, De penitiori ossiuni structura. Vratisl., 1831. — Virchoiv, Verhandl. der Würzb. physiol.-med. Gesellschaft, L, Nr. 13. — Rohin, Sur les cavit^s caracteristiques des os. Gaz. m^d., 1857, Nr. 14, 16. — Lieher- kühn, Müllers Archiv, 1860. — Frey, Histologie, 1867, pag. 280. — H. Ileyer, Archiv für Anat., 1867. — M. Fehr, Bau des Knochens im gesunden und kranken Zustande. Arcliiv für klinische Chirurgie, 17. Bd. — Brunn, Zur Ossificationslehre, im Arcliiv für Anat. und Physiol., 1874. — Räuber, Ela- sticität und Festigkeit der Knochen. Leipzig, 1876. — Langer, Ueber die Blutgefässe der Knochen in den Denkschriften der kais. Akad., I., 36. u. 37. Bd. und Albrecht Budae, Vortrag in der Sitzung des med. Vereins zu Greifswald, 1876. Letzterem verdanken wir die wiclitige Entdeckung, dass die in den Ha- vers'schen Kanälen entlialtenen Blutgefässe von Lymphräumen umgeben sind, welche von den Lymphgefässen des Periosts aus injicirt werden können, und auch mit der Hölile der Knoelienkörperelien in Verbindung stehen. §. 84. lebenseigenschaften der Knochen. Die Knoclieu sind im gesunden Zustande unempfindlieli und vertragen jede mechanische Beleidiguni^, ohne Sclimerzgetuhl zu \ §. 84. LeTjenseigeuscliaften der Knochen. 255 veranlassen, Grefülilvolle pliysiologische Thierquäler versichern, dass das Sägen, Bohren, Schaben iiud Brennen gesunder Knochen die Summe der Schmerzen nicht vermehrt, welche durch die Bloss- legung der Knochen hervorgerufen wurden. Die Knochenzacken, welche nach schlecht gemachten Amputationen am Knochenstumpfe zurückbleiben, so wie die Zacken am Rande der Trepanations- wunden können ebenso schmerzlos mit der Zange abgezwickt werden. Auch dem Periost kommt, seiner Nervenarmuth wegen, nur eine sehr geringe Empfindlichkeit zu. Krankheiten der Knochen dagegen, insbesondere die Entzündung derselben, steigern ihre Em- pfindlichkeit auf eine furchtbare Höhe, Avie die dolores osteocopi {oarsov und xotttco, schneiden) der Syphilitischen bezeugen können, so dass selbst die Yerstümmlung durch Amputation solchen Kranken als eine Wohlthat erscheint. — Unter Umständen können die Knochen langsam ihre Gestalt ändern und ihre OefFnungen und Kanäle ver- engern, wenn die Gebilde, denen sie zum Durchtritte dienen, zerstört wurden und verloren gingen. So zieht sich der Stumpf eines ampu- tirten Knochens grossentheils zu einem soliden marklosen Kegel zusammen, so A^erengert sich die Zahnlücke nach Ausziehen eines Zahnes, die Augenhöhle nach Verlust des Augapfels, das Sehloch nach Atrophie des Nervus opticus, der durch Wassersucht ausge- dehnte Hirnschädel nach Resorption oder Entleerung des ergossenen Serums, und die Gelenklläche eines Knochens verflacht sich und ver- streicht zuletzt gänzlich, Avenn Verrenkungen vorkommen, Avelche nicht wieder eingerichtet wurden. Die eben erwähnten Vorgänge sind jedoch nicht Folgen einer activen Contraction der Knochen, sondern eines mit Resorption verbundenen Einschrumpfens derselben. Der Stoffwechsel und die mit ihm zusammenhängende Er- nährung der Knochen wirkt und schafft lange nicht so träge, als es auf den ersten Blick aus der Härte der Knochen und ihrem Reichthura an erdigen Substanzen zu vermuthen wäre. Je jünger der Knochen, desto rascher seine Ernährungsmetamorphose. — - Werden nach Chossat's Versuchen Hühner oder Tauben längere Zeit mit rein gewaschenem Getreide gefüttert, so reichen die im Getreide enthaltenen erdigen Substanzen nicht hin, dem Stoffwechsel im anorganischen Bestandtheile der Knochen zu genügen. Die Knochenerde Avird fortAvährend durch die rückgängige Ernährungs- bewegung aus den Knochen entfernt und die neue Zufuhr bietet keinen genügenden Ersatz. Die Knochen erweichen sich deshalb wegen Prävalenz ihres Knochenknorpels, sie Averden dünn und bieg- sam und schwinden theihveise, wie die Löcher beweisen, Avelche im Brustbeinkamme und an den Darmbeinen entstehen. Wird nun das Futter mit Kreide oder Kalk gemengt, so verlieren sich die 2')D S. 84. LcJieiiscigeusrhaflcii dor Kiioolicii. Ersclieimm^cii der Kiioclienerwelcliuni;- und des KmtclienM'liwundfs und die normale Festigkeit der Kuoclien kehrt zurück. Das Casein, ein Ilauptbestaudtlieil «1er ^lilili, eutliält eine anselinliclie Menge pliospljorsauren Kalk. Hieraus w ird es verständ- lich, wcdier das rasche Waclistiunn der Knochen im Säugling-salter sein wichtigstes Material zum Autl^an des Skeletes l)ezieht. Die Blutgefässe der Beinhaut liefern den Nahrungsstoff der Knochen. Es folgt daraus jedoch keineswegs, diiss Entblössuug eines Knochens durch AVegnahme seiner Beinhaut sein Absterben zur un- abweislichen Folge haben müsse, da die in tlie Markhöhle durch die Foramina nutritia eindringenden Ernährungsarterien, welche durch feine ZAveigchen mit den von der äusseren Beinhaut in den Knochen gelangenden Arterienästchen anastomosiren, die von der Beinhaut her mangelnde Blutzufuhr ersetzen können. Im Falle auch diese Ernährungsarterien der Markhöhle aufhören würden, Blut zuzuführen, stirbt der Knochen theilweise oder ganz ab (Necrosis, v£K^6g, todt), und wird durcli einen langwierigen Exfoliationsprocess als so- genannter Sequester ausgestossen. Dass auch der im Knochen- mark enthaltene Bindegewebsantheil mit der Bildung und Regene- ration des Knochens zu schaffen hat, beweist Hunter's Versuch. An einem lebenden Thiere Avurde das Mittelstück des Oberarmbeins von seinen weichen Umgebungen isolirt, seine Beinhaut abgeschabt und ein Loch in die Markhöhle gebohrt. Um die den Knochen umgebenden Weichtheile von der Theilnahme an der Ausfüllung dieses Loches durch Callusbildung zu hindern, wurde die angebohrte Stelle mit einem Leinwandbande umgeben. Das Loch füllte sich von der Markhöhle her, also gewiss durch Vermittlung des blutgefässreichen PJindegewebes des Markes mit neu gebildeter Knochensubstanz aus, welche, wenn das Thier jung war, so rasch zunahm, dass der Knochenpfropf selbst über die äussere Bohroffnung hinausragte. Die Festigkeit der Knochen beruht auf der Verbiiidung ihrer organischen und anorganischen Bestandtheile. Reine Kalkerde hätte sie zu spröde und reiner Knochenknorpel viel zu weich gemacht. Wie glücklich ein hoher Grad von Festigkeit und Tenacität durch die Mischung der Knochenmaterialien erzielt wird, zeigen die von Beveau gemachten Versuche, bei welchen ein Knochen von 1 Quadrat- zoll Querschnitt erst bei einer Belastung von 368 — 743 Ceutneru entzwei ging. Ein Kupferstab von demselben Querschnitte riss schon bei 340 Centneru und schwedisches Schmiedeisen bei 648. — Die besondere Verwendung eines Knochens wird das Mengenver hältniss bestimmen, in welchem die organischen ■Materien zii den anorganischen stehen. Lange Knochen, welche elastisch sein müssen, I §. ?5. Einiges ans dev Lehre üljer Entstehung und Wachsthura der Knochen. 257 nm dem Drucke und den Stosskrät'teii, welche sie in der Riehtimg ihrer Läng-e treffen, durch Ausbiegen etwas nachgeben zu können, und kurze Knochen, welche nie in die Lage kommen, gebogen zu werden, werden sich durch dieses Verhältniss von einander unter- scheiden. Knochen, welche sehr elastisch sein müssen, ohne beson- dere Festigkeit zu benöthigen, können sogar, wie man an den Rippen sieht, durch Ausätze von Knorpeln verlängert werden. Es ist bekannt, dass bei einem soliden Stabe, während er gebogen wird, die Theilchen der convexen Seite aus einander weichen, jene der concaven sich einander nähern. In der grösseren oder geringeren Schwierigkeit dieses Aus- einanderweichens und Näherns liegt der Grund der schweren oder leichteren Brechbarkeit. Eine mittlere Axe, d. i. eine Eeihe von Theilchen wird weder verlängert noch verkürzt, verhält sich indifferent, und kann nebst ihren nächst- liegenden Theilchen, bei welchen das Auseinauderweichen und das Nähern unbedeutend sind, herausgenommen werden, ohne dass der Stab merklich an seiner Festigkeit verliert, welche im Gegentheile vermehrt wird, wenn die herausgenommenen Theilchen an der Oberfläche des Stabes angebracht werden. Von zwei Holzstäben gleichen Gewichtes, deren einer hohl, der andere solid ist, wird also der hohle eine grössere Last tragen können, als der solide. Dieses scheint der Grund des Hohlseins der langen Knochen zu sein. In den Hospi- tälern Frankreichs bedienen sich die Amputirten hohler Krücken. §. 85. Einiges aus der Lehre über Entstellung und Wachs- thuni der Knochen. Ueber Entstehung und Wachsthum der Knochen belehrt uns der Yerknöcherungsproeess. Unsere Kenntniss dieses Processes hat sich durch die Uebereinstimmung der Untersnchungsresultate von Bruch, H. Müller, Lieberkühn, Aeby, Gregenbaur, Stieda u. A., auf eine von den bisher gangbaren Ansichten hier- über wesentlich verschiedene Weise consolidirt. Ich verweise auf die am Ende dieses Paragraphen citirten Schriften, welche jedoch kaum ein mit den Elementen ringender Schüler zur Hand nehmen wird, und beschränke ich mich hier blos auf einige seinem Yer- ständniss zugängliche Angaben, welche ihm bei dem Studium der beschreibenden Knochenlehre behilflich sein können. 1. Der Verknöcherungsprocess geht von zwei Seiten aus: erstens von der knorpelig präformirten Grrundlage des werdenden Knochens, und zweitens von dem Perichondrium derselben. Jene Knochen- substanz, welche sich aus dem Knorpel bildet, heisst die primäre; jene, welche später von dem mittlerweile zu Periost gewordenen Perichondrium -ausgeht, die secundäre. 2. Die primäre Verknöcherung geht entweder von der Ober- fläche . der Knorpelgruudlage des zukünftigen Knochens aus als perichondraleOssification, oder sie beginnt im Inneren des Knorpels Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl.. 1" 2o8 §■ 85. Einiges l^u^ der Lehre «bor Entstehung und Waihslhura der Knoihen. als endocljondrale Verkaöelierimg-, So verknöchert, inii ein Beispiel zu geben, das Mittelstüek aller lange» Rölirenkiioc-lien pericliondral. die Endstücke (Kpipliysen) derselben aber endochoiulral. 3. Das erste Auftreten der Knoelienbildung- im Knorj)el Ossifieationspunk t zu nennen, ist eine allgemein angenommene Ausdrucks-weise der anatomischen Sprache. Sie ist aber nur zum Theil richtig, denn nur die Epi])hysen der langen Röhrenknochen und die kurzen Knochen aller Art gehen aus endochondralen Ver- knöcherung;s})unkten hervor; — die Mittelstücke dagegen weisen keinen A erknck-herungspunkt auf, sondern einen Yerknöcherungs- ring, "welcher vom Perichondrinm erzeugt wird, und in einer seichten Furche des Knorpels eingebettet liegt. 4. Dieser erste Ossilicationsring wächst durch sich wiederholen- den Anschlnss von Knochenerde nach oben und unten vor, und wird dadurch zu einer knöchernen Röhre. Auf der Aussenfläche der Röhre erheben sich longitudin;de Knochenleistchen, zwischen welchen vom Perichdiulriuni ausgekleidete Furchen sich hinziehen. Mit dem Wachstliniii der bereits gebildeten Knochenröhre in die Länge nehmen auch die Leistchen und ihre Zwischeufnrchen an Länge zu. Die Leistchen wachsen an ihrem freien Rande in solcher Weise aus, dass je zwei nachbarliche Leistcheu sich bogenförmig mit einander verbinden, wodurch die zwischen ihnen befindliche I^nrche in einen Kanal umgewandelt wird, welcher einen Strang" des gefäss- führenden Perichondrinm in sich schliesst. Auf dieser erstentstan- denen knöchernen (irundlage erheben sich neue Leistchen zur selben Kanalbildung, und dieser Yorgang wiederholt sich derart, dass die erstvorhaudeue kn<")cherne Röhre an Dicke immer mehr und mehr zunehmen muss. Man sieht ein, dass die lougitudinalen Kanäle in der Wand des Rohres die erstgebildeteu Gefasskanäle (CanaUcuU Jfavcr- ö-iani) sind (§. So). — Die im Inneren der knorpeligen Grundlage des entstehenden Knochens lagernden Ku()r])elzellen Averden zur Bildung der im citirteu Paragraph erwähnten inneren Grundlamellen des Knochens und seines Markes verwendet, währentl die äusseren (Jrundl am eilen erst später durch die osteogenetische Thätigkeit des Periosts (die in L erwähnte secundäre Verknöcherung) zur Stelle geschafft werden. 5. Dass auch die Beinliaut, so lange der Knochen an Dicke wächst, fortwährend an diesem Wachsthum sich durch Bildung secundärer Knocheusubstauz lietheiligt, ergiebt sich aus P^olgendem. Werden junge Thiere mit Färberröthe gefüttert, so werden ihre Knochen roth — bei jungen Tauben schon binnen 21: Stunden. Die erste Ab- lagerung- einer rotlien Schichte erfolgt zunächst unter der Beinhaut. Setzt man mit der Fütterung durch Färberröthe aus, so entfernt §. S5. Einiges aUb der Leine über Entstehung und Wachsthiuu der Knochen. 259 sich der rothe Ring' Vom Periost und rückt nach einwärts. Es hat sich lim ihn herum ein neuer weisser Ring von der Beinhaut aus gebildet. Je dicker dieser wird, desto mehr nähert sich der rothe Ring der Markhöhle, und verschwindet endlich vollkommen. Dieser Vorgang kann nicht anders erklärt werden, als dadurch, dass an der inneren Oberfläche der Knochen fortwährend resorbirt, an der äusseren, durch Vermittlung des Periosts, fortwährend neu gebildet wird. So lange jnehr neu gebildet als fortgeschafft wird, nimmt der Knochen an Dicke zu. Das Periost steht also in einer innigen Be- ziehung zum Wachsthum der Knochen in die Dicke. Die Verwendbarkeit der Färberröthe zu Versuchen über Wachsthum und Ernährung der Knochen beruht auf einer chemischen Affinität zwischen dem färbenden Stoffe und dem phosphorsauren Kalk, welche durch folgendes, von Eutherford angestelltes Experiment anschaulich gemacht wird. Giebt man in eine Abkochung von Färberröthe salzsaure Kalklösung, so geschieht dadurch keine Aenderung. Setzt man eine Lösung von phosphorsaurer Soda hinzu, so entsteht durch doppelte Wahlverwandtschaft phosphorsaurer Kalk und salzsaure Soda, von welchen der erstere, seiner Unlöslichkeit wegen, sich niederschlägt, und den färbenden Bestandtheil der Lösung mit sich nimmt. 6. Die endochondrale Verknöcherung der kurzen Knochen begnügt sich in der Regel mit Einem Ossificationspunkt. In gewissen Fortsätzen dieser Knochen können jedoch selbstständige Ossitications- punkte noch hinzukommen, welche accessorische oder Neben- kerne genannt werden. 7. Man hat es erst in neuester Zeit erkannt, dass gewisse Schädelknochen, namentlich jene des Schädeldaches, gar keine knorpelig präformirte Grundlage haben, sondern in einem w^eichen, bindegewebigen Stroma des nicht knorpelig, sondern häutig präfor- mlrten Schädeldaches entsteheQ, welches den Boden für diesen ossificatorischen Vorgang abgiebt. Eine solche Entstehungsart der Schädeldachknochen erinnert an die Entwicklung der sogenannten Hautknochen gewisser Thiere. Die Knochen der Schädelbasis entwickeln sich dagegen aus knorpeliger Grundlage. Hierüber handelt §. 119 der Knochenlehre. 8. Die erste Ablagerung von Knochenerde findet in verschie- denen Knochen zu verschiedenen Zeiten statt, niemals jedoch vor dem zweiten embryonischen Lebensmonate. Das Schlüsselbein und der Unterkiefer machen den Anfang — schon am Beginne des zweiten Monats; das Erbsenbein dagegen folgt erst zwischen dem 8. und 12. Lebensjahre, und die accessorisehen Ossificationskerne einiger Knochen noch später. Breite Knochen besitzen einen oder mehrere Verknöcherungscentra, kurze in der Regel nur einen, lange gewöhnlich drei, deren einer (der früher erwähnte Knochenring) 17* 260 §■ ^'S. Einiges aus iI.t L.-liiv n)i.>r Entsfolnme und Wa.hstliuni .It-r Kno.h.>n. dem Mittelstiicko, die beiden ;iiid»'r«'ii den EncUtiieken do KihkIumis entsprechen. 0. Ist die O.ssification eines Rölirenknochens so weit gekom- men, dass derselbe seine bleibende (xestalt an^-enomnuMi liat, so ist die Trennuni^sspnr zwischen Mittelstück und Endstücken n«»ch immer als nicht verknöcherter Knorixd kennbur. In diesem Znstande heissen die Enden der Röhrenknociien: E|> i p li ysen. Von den Knor])eln der Epiphysen ans wird iniinertort, bis zur i;änzlichen Verschmelzung" der drei Srücke des Knoclicns, neue Knoehenmasse gebildet, welche sich an die b«>reits vorhandene anschliesst. Zwei in das Mittelstück eines Röhrenknochens gebohrte Löcher ändern deshalb durch (his Wachsthum des Knochens in die Länge ihre wechselseitige Entfernung nicht, sondern entfernen sich nur von den Enden (richtiger: die Enden entfernen sich von ihnen). Die Ver- schmelzung des Mittelstückes mit den Epiphysen bezeichnet den Schlusspunkt des \\ aclisflinms eines Knocliens in die Länge. Sie ereignet sich nm (bis 20. Lebens ja lir. 10. Die beiden Epiphysen eines R(direnknocliens verschmelzen nicht zur selben Zeit mit dem Mittelstücke. Es gilt für alle langen Knochen das Gesetz, dass jene Epiphyse, gegen welche die in die Markhöhle des Knochens eindringende Arteria mitritia gerichtet ist, früher als die andere verschmilzt. So im Oberarm die untere E[)iph3'se früher als die obere, im Oberschenkel die obere früher als die untere. Hat ein langer Knochen nur Eine Epiphyse, so geht die Richtung; seiner Arteria nutrltia gegen jenes Ende des Knochens, wo die Epiphyse fehlt. Vcrglcichungou der Lebeiistlaucr verschiedener Thiere, mit dem Zeitpunkt der Epiphysenverschmelzung (Elefant 30 Jahre, Kameel 8, Pferd 5, Rind 472, Hund 2, Kaninchen 1 Jahr, Meerschwein 7 Monate), haben zu dem Ergcbniss geführt, dass das Verschmelzungsjahr mit 5 oder 6 multiplicirt, die natürliche Lebensdauer des Thieres geben. Demgemäss wäre diese Lebensdauer für den Menschen 100 — 120 Jahre, da die Epiphysen seiner Röhrenknochen im Anfang der Zwanzigerjahre mit den Mittelstücken verwachsen. Dient zur Beruhigung für Alle, welche gerne leben. Ich citire die Worte der Schrift: erunt dies hoininuin ccntum vhjinti annorum. Nicht die Natur macht den Menschen früh- zeitig sterben, — er selbst bringt sich um durch seine Dummheit und seine Laster. Vitam non accepimus, sed facimus brevem, sagt Seneca. Man denke an das Alter der Patriarchen, an Cornaro's Lebensgeschichte, und lese Flourens, De la Longevite, Paris, 1856. Der längsten Lebensdauer erfreut sich übrigens, nach Casper's statistischen Reihen, der geistliche Stand, die kürzeste aber ist den Aerzten beschieden. Vielen Anatomen (wie Fabricius ab Aquapendente, Riolan, Ruysch, den drei Monro, Morgagni, Duver- noy, Sümraering, Sappey, E. H. Weber u. A.) war, wie den Fleischhauern, ein langes Leben bescheert; Hieronymus Brunschwig, welcher die erste Anatomie in deutscher Sprache schrieb, Avurde HO Jahre alt! — Es giebt Thiere, bei welchen man noch nie die Epiphysen mit den Mittelstücken der 9. 86. Praktische EpmerVungi^n. 261 Eöhrenknochen verwachsen gefunden hat, z. B. die Walthiere unter den Säugern, die Batrachier unter den Amphibien. Folgt daraus, dass diese Thiere immerfort wachsen, und eine unglaublich lange Lebensdauer haben müssen, wie uns Beispiele von Kröten zeigen, welche lebend in Steinen und Bäumen eingewachsen gefunden wurden. Ueber Entwicklung der Knochen handeln: H. Müller, Würzb. Verh., Bd. Vin. — Kölliker, ebenda. — Baur, Zur Lehre von der Verknöcherung, 3Iüllers Archiv, 1857. — Aeby, Der hyaline Knorpel und seine Verknöcherung, Gott. Nachrichten, 1857, Nr. 23. — C. Bruch, Beiträge zur Entwicklung des Knochensystems, im H. Bande der Schweiz, naturforsch. Gesellsch. — H. Müller, in der Zeitschr. für wiss. Zool., 9. Bd. und in der Würzburger naturw. Zeit- schrift, IV. Bd. — Lieberkühn, im Archiv für Anat. und Physiol., 1860 und 1862. — Waldeyer, Der Ossificationsprocess, Archiv für mikrosk. Anat., 1. Bd. Rollet, in Stricker s Handbuch der Histologie, wo die Ergebnisse aller ein- schlägigen Arbeiten gewürdigt werden. — Gegenbaiir, Jen. Zeitschr., 1. und 3. Bd. — Stieda, Bildung des Knochengewebes, Leipzig 1871. — F. Busch, Ueber Krappfütterung, im Archiv für klin. Chir., 22. Bd. §.86. Praktische Bemerkungen, Grebrochene Knochen heilen, wenn schwere Complicationen fehlen, in der Regel leicht zusammen, und um so schneller, je jünger das Individuum. In jedem Museum für vergleichende Ana- tomie kann man es sehen, wie schön die Natur die Knochenbrüche der Thiere zu heilen versteht, wobei ihr keine chirurgische Hilfe in's Handwerk pfuscht. Die Bruchenden werden durch neugebildete Knochensubstanz (Callus), deren Erzeugung fast den nämlichen Ge- setzen imterliegt, wie die normale Knochenbildung, zusammengelöthet. Hat ein Knochenbruch ohne bedeutende Verrückung der Bruch- enden stattgefunden, so ergiesst sich anfangs Blut zwischen die Knochenenden und die sie umgebenden Weichtheile. Dieses Blut gerinnt und mischt sich mit einem plastischen Exsudate, welches von den Blutgefässen der Beinhaut, des Markes und der die Bruch- stelle zunächst umlagernden Weichgebilde geliefert wird. In der zweiten und dritten Woche nach dem Bruche organisirt sich dieses Exsudat zu Knorpelsubstanz, welche sich in wahre Knochensubstanz umwandelt. Dieser erstgebildete Knochencallus hält die Enden des gebrochenen Knochens so fest zusammen, dass selbst der Grebraiich desselben von nun an möglich ist. Dupuytren nannte diesen Callus cal provisoire. Er enthält keine Markhöhle. Erst wenn sich durch Aufsaiio:uno' seiner innersten Masse eine Höhle bildet, welche die Markhöhlen des oberen und unteren Fragmentes mit einander ver- bindet, wird er zum cal cleßni, welcher unter günstigen Umständen an Umfang so viel abnimmt, dass nur eine geringe Witlstung an der Oberfläche des Knochens die Stelle andeutet, wo der Bruch stattgefunden hatte. 262 •• *'• Sohlplmhanfe. Anatomiofhe Eifcn'chaften dproplbcn. W;ir die Vorrückung- der Brucliendeu g^ross, odor der Knochen niilit hlos m'l)i-nelien, sondern ziigleii-li zor.splittprt, so bildt't der niasscnliaft erz«Migte Calliis einen dlckru unt'örniliclien Knoclien- Aviilst, weK'lier als eine Art vi»n Zwiiii;«'. die nicht auf «-inander stehenden, sondern nehen einaii(h>r liegciidt'ii Ijnu'h»'iideii und ihre Fragmente zusammenhält. — Dass die IJildnni; des neuen Knoi-hons nicht nothwendig" von den Kosten des alten ausgehen müsse, sondern die weichen l'mgebung^en der Knochen, Muskeln und Zellgewebe durch ihre Blutgefässe hiobei activ interveniren, IxMveiseu H eine's schöne Beobachtungen, n.ich welchen bei Hunden das Wadenbein nnd die Rippen nach vullktimmeuer Exstirpation mit n-i-hiitti-ii iler SchliMinliüiito. Aut der trcit'ii FImcIm* ^cwisx'r Si-lilciinliimtht'zirkc zcimMi sich ziililrciclic II('i"vnrr;ii;iinu,('ii iiinl A crticruni;«'!!. Dit' llcrvor- ran'uni;«Mi sind cntwtMlcr Warzen, J\iinll((t', mlcr Floc'k«'n, Flocci, (»dor Zotten, 17///; — die V(>rtiet"nni;en crsclicinen als die Mün- dnni;en verschiodoner Fornicn von I)riis(»nl)il(luni;«Mi. In der s|)(H'i('lli'n Anatomie wird von diesen ( Jeliilden am üceinneten ( )rto aiistiilirlieli gesprochen. Man unterscheidet drei Selileindiautsysteme, weU-iie unter ein- ander niilit zusanimenliängen: 1. Das SifsteniK (iastro-]niht\onale für die Verdaunni;'s- und Atlimuni;seini'ewei(le, 2. das Siisteinn uro-fienikde l'ür die Ilarn- nnd (Teschlechtsorj^aue, und 3. das Sehleimhautsystem der Brüste. Die Nerven der Schleimhäute stammen theils vom Cerebrospinalsystem, theils vom Syrapathicus. Ihre Primitivfasern theilen sich mehrfach und bilden in der Schleimhaut subtile Geflechte, sogenannte Endplexus, von welchen sich einzelne Nervenfäden in etwa vorhandene Zotten und Papillen der Schleim- haut erheben, sich in denselben neuerdings dichotnmisch theilen und dabei nm das Doppelte verfeinern. Ihre Endigungsweise ist verschieden. Man hat sie frei, oder mit Knötchen, oder in Pacini'schen Körperchen endigen gesehen. Eine allgemeine Norm giebt es nicht. Von dem Verhalten der feinsten Nerven- fasern zu den Epithelialzellen, wurden höchst überraschende Befunde mitgetheilt, auf welche wir in den Capiteln der Sinnen- und Eingeweidelehre zurückkommen werden. §. >^>^. Lebenseigenschaften der Sclileimliäute. Die Sclileimliäute führen ihren Nameu von dem Stoffe, ■welchen sie absondern, Schleim. Es "iebt jedoch auch Schleimhäute, welche keinen Schleim absondern, wie jene der rrebärmutter und der feineren Verzweigungen derDrüsenausführungsgäng-e. Sie werden noch Schleim- häute «renannt, weil sie Fortsetzunsi'en Avirklicher schleimabsondernder Strecken einer regulären Schleimhaut sind. Die Schleimabsonderung' kommt theils den sogenannten Schleimdrüsen einer Schleimhaut zu, theils findet sie auch auf der ganzen Fläche derselben statt. Der Schleim, Mucus, ist ein Gemenge verschiedener Stoffe. Er besteht aus Wasser, aus Epithelialzellen und Schleimkörperchen, aus zu- fälligen Beimischungen von Staub und Luftbläscheu (in den Athmungs- orgauen), von Speiseresten (im Yerdauungssysteni) und aus den speeifischen Secreten der Schleimhäute, über welche er vor seiner Ausleerung hingleitete und die er mechanisch mit sich führt. Bei Reizungszuständen und Entzündnngen der Schleimhäute ist das schleimige Secret derselben reich an Eiterkügelchen: eiteriger Schleim, Matcria pur'tform'ts. Der Schleim erscheint als eine grauliehe, klebrige und fadenziehende Sub^^tanz. welche specifisch schwerer als Wasser ist. und deshalb in ihm zu Boden sinkt, Avenn sie nicht etwa Luftbläschen enthält, wie in den Sputis. Er I §. 88. Lebenspigenschaften der Schleimhäute. 265 verdankt seine klebrige Beschaffenheit dem Mucin, welches durch Essigsäure aus ihm niedergeschlagen wird, und in verdünnten Mineralsäuren löslich ist. Mit Luft in Berührung vertrocknet der Schleim, zum Theil schon innerhalb des Leibes an Stellen, wo Luft durchstreift, wie in der Nasenhöhle, wo er zu halbharten Krusten eingedickt wird. Wenn er krankhafter Weise in grösserer Menge abge- sondert wird, als Schleimfluss (Blennorrhoea, von ßXivvog, Schleim, und QBco, fliessen), ist er dünnflüssig; zuweilen, wie beim Schnupfen, wässerig. — Schleimkörperchen sind, nebst ganzen und zerfallenden Epithelialzellen, nie fehlende Vorkommnisse im Schleime. Sie sind runde, ovale, seltener granu- lirte, scheinbar solide Klümpchen von Protoplasma, von durchschnittlich 0,005 ' Durchmesser. Durch Einwirkung von Wasser tritt ein Kern deutlich hervor. Durch Behandlung mit Essigsäure zerfällt der Kern in 2— 4 kleinere Körner von 0,001' ' Durchmesser. Sie verhalten sich im Uebrigen wie die Lymph- körperchen. Wahrscheinlich sind sie auch nur aus den Lymphgefässen der Schleimhäute ausgewanderte Lymphkörperchen. Die Empfindliclikeit der ScMeimliäute tritt au gewissen Stellen sehr scliarf hervor, Avird jedoch an anderen nnr durch Reize einer bestimmten Art angeregt. So ist z. B. die Schleimhaut des Darmtanais für die Galle, für Salz, für Essig und Alkohol nicht em- pfindlich, während diese Stoffe auf der Schleimhaut der Augenlider intensive Schmerzempfiudung hervorrufen. Schleimhäute, welche vom Cerebrospiualsystem ihre Nerven erhalten, sind empfindlicher als jene, welche vom Sympathicus versorgt werden. So wird die gekaute Nahrung in der Mundhöhle und im Pharj'nx durch Vermittlung der hier vorhandenen Cerebrospinaluerveu gefühlt, gleitet aber, selbst wenn sie mit den schärfsten GreAvürzen versetzt ist, imbemerkt durch Magen und Gredärme, welche sympathische Nerven besitzen. Auf zwei Schleimhäuten wird die Sensibilität sogar zu einer specifischeu Siunesenergie gesteigert, zum Greschmack und zum Geruch. Die Schleimhaut der Eingangs- und Ausmündungshöhlen der Eingeweide (Atria) zeichnet sich durch den hohen Grad von Em- pfindlichkeit vor anderen Schleimhautpartien ganz besonders aus. Deshalb ruft ein fremder Körper im Kehlkopfe den heftigsten Husten hervor, Avährend er in anderen Schleimhautgebieten ohne Beschwerde jahrelang verharren kann. Die Einführung einer Sonde und anderer Instrumente erregt im Racheneingange und im Schlundkopfe Würg- und Brechbeweguug, während sie in der Speiseröhre nicht einmal gefühlt wird. Die Erregung der Empfindlichkeit in den Atrien der Schleimhautsysteme wird von mehr weniger heftigen Reactions- beweguugen gewisser Muskeln begleitet, welche sich nur einstellen, wenn sie durch Empfindungsreize der betreffenden Schleimhaut herausgefordert werden. Sie wurden als Reflexbewegungen bereits früher erwähnt, §. 72, 4. Das Niesen, der Husten, das Erbrechen nach Kitzeln des Raeheneinganges, die Schlingbewegung, die Samen- ejaculation, die Austreibung des Kothes und Harns gehören hieher. 200 8. 88. Lebpn'><>lfon'»chaft»'n dr>r 3clilpimliilv\t(». Co II I r;i (• I i I i t ;i t hositzoii die ScIilcMniliäntc vorzii^swoiso nur auf RecliiiiiMn der i;l;itt(Mi Muskolfasoni. mit wclclicn sie dotirt sind. Es lässt sich jodocli diMi Scldcindiäntcii, al)i;<'s('|i(Mi von ihrer Do- tiriing- mit platten Miiskoltasorn, «'in i;<'\viss(»s BestrelxMi nicht ab- sprechen, sich, wenn sie ansi;o(h>hnt wurden, wieder zusanimen- znzielien. Dieses heruht jechtch nur auf (h-r Ehisticität ihres (xewebes. — Jede in Foli;*' von Ent/ündung-en verdickte Schleimliaut verliert dieses Veriiiit^-en, und hat sie es verloren, so kann sie nicht mehr dem I )rucke entg'e»enwirkeu, welchen die in einer Schleimhauthöhle angesammelte Flüssigkeit aut" sie ausübt. Sie wird vielmehr durch diesen Druck ausgebuchtet, «1. i. dm-ch die Maschen der Muskel- g-itter, welche sie von aussen bedecken, beutelt'örmig v<»rgedräugt. Dadurch entstehen die sogenannten Divertlcida, welche am häufigsten au der Harnblase von Steiukraukeu und Säufern nach voraus- gegaugeneu IJlasenentza'induugeu beobachtet werden. So lange Srlilciniliäiitt", wclclif sich mit ilivrii IVricii Fliulu'n litMühren, mit Epithel üherzogtn sind, k;inn ihre Beriilnung nie in eine Verwachsung übergehen. Der Schleim, welchen sie ahsomlern, wirkt hier, zugleich mit dem Epithel, als Zwischenküiper. welcher den (Joalitus ausschliesst. Ging aber das Epithel verloren, und belindet sich die Schleimhaut in einem kranken Zustande, welcher keine Regeneration des Epithels erlaubt, z. B. entzündet, verschwärt, oder" in Eiterung begrifTen, so können auch in Contact stehende Schleimhaut- flächen ganz oder theilweise verwachsen. Die Verwachsung der Augenlider unter sich oder mit dem Augapfel (Ankylo- und Siimhlepliaron), die Obliteration oder Verengerung eines Nasenloches nach Mensclienblattern, die Verwachsung der Lippen mit dem Zahnfleisch nach Geschwüren, die narbigen Verengerungen (Stenoses) der Speiserühre durch Schwefelsäure, des Mastdarms nach der Ruhr, der Harnrühre und Scheide nach syphilitischen Geschwüren, bestätigen das Gesagte. Die Schleimhäute des Stfstcnw (/asfro-pidmonale und nvo-penitale äussern, trotz ihrer verwandten Structur, wenig Sympathien für ein- ander, uud es ist nur eiu Fall von Mitleidenschaft beider Systeme durch Civiale näher beleuchtet worden, nämlich die gastrischen Störungen, welche nach längerem Manövriren mit Steiuzerbohrungs- instrumenten in den Harnwegen sich einzustellen pfloi^en. Dagegen stehen einzelne Absclinitte desselben Systems in unverkennbarer sympathischer Wechselbeziehung. Die Zung-e ändert z. B. ihr Aus- sehen bei gastrischen Leiden (Ihujua spendum primarum viarum), — die Bindehaut des Auges röthet sich bei Katarrhen der Nasensehleim- haut, Kitzel in der Nase uud Afterzwang (Tenesnms, rrivscixog = tsi- vfGjMOff, von TEivco, spannen) deuten auf Würmer im Darmkanale, die Harnröhrenschleimhaut juckt bei Gegenwart eines Steines in der Harnblase, und öfteres Ziehen am männlichen Gliede bei Kindern ist dem Chiruro-en ein sicheres Zeichen von der Gegenw^art eines Steines in der Harnblase. §, 89. Drttsensystem. Anatomische Eigenschaften desselben. 267 Oberflächliche Siibstanzverluste der Schleimhaut werden durch Regeneration des Yerlorenen ersetzt. Tiefgehende Destriictiouen der- selben, dnrch Verbrennung oder Geschwür, werden nur durch Narbengewebe ausgefüllt, welches, seiner Zusainmeuziehung wegen, Verengerung des betreff"enden Schleimhautrohres setzt. Im Darm- kanale erscheint an der Stelle, wo typhöse Geschwüre heilten, ein Gewebe vom Ansehen einer serösen Membran, auf welchem sich selbst neue Darmzotten entwickeln sollen. Noch eine physiologische Eigenschaft der Schleimhäute, welche wenig gewürdigt wurde, verdient Erwähnung. Ich will sie die respiratorische Thätigkeit derselben nennen. In jeder Schleimhaut, welche mit der atmosphä- rischen Luft in Berührung steht, findet Oxydation des in den Capillargefässen enthaltenen Blutes statt — daher ihre Eötlie. Der Gefässreichthum allein ist nicht und kann nicht die Ursache dieser Eüthe sein, da viele Schleimhäute ebenso gefässreich sind, wie die Mund- oder Nasenschleimhaut, ohne so roth zu erscheinen, wie diese. Je mehr eine Schleimhaut dem Luftzutritt entzogen ist, desto mehr nimmt ihre Eöthe ab. Daher sehen wir den Scheideneingang, und das Orificium der männlichen Harnröhre lebhafter geröthet, als die Schleimhaiit der Tuba Fallopiana, oder der Harnrühre. Schleimhäute, zu welchen kein Luftzutritt stattfindet, werden intensiv roth, sobald sie an die Atmosphäre kommen, wie die Vorfälle des Mastdarms, der Scheide und der widernatürliche After beweisen. §. 89. Drüsensystem. Anatomische Eigenschaften desselben. Die Bereitungsorgane verschiedener Flüssigkeiten heisseuDrüsen, Glandulae (aöeveg). Der Act der Bereitung heisst Absonderung, Secretio. Absondernde, in die Fläche ausgebreitete Membranen, wie z. B. die serösen, gehören nicht hieher. Einfache oder verzweigte, häutige Kanäle, deren Wände eben die Absonderung leisten, bilden das Wesentliche im Bau der Drüsen. Bleiben die Kanäle und Schläuche einer Drüse einfach und unverästelt, so heisst die Drüse tubulös. Gruppiren sich aber um die Schläuche häutige Bläschen (Acmi), welche sich in jene öflfnen, so wird die Drüse acinös oder traubenförmig genannt. — Einfache tubulöse Drüsen sind meist nur Gegenstand mikroskopischer Anschauung. Acinöse Drüsen können zwar auch einfach bleiben, d. h. einen unverzweigten Ausfühi'ungs- gang besitzen, wie z. B. die Talgdrüsen iind die Meibom'schen Drüsen; meistens aber verbinden sich viele einfache acinöse Drüsen zu einer zusammengesetzten Drüsenform, welche somit einen verästelten Ausführungsgang (Ductus excretorms) besitzen wird und eine bedeu- tende Grösse erreichen kann. Solche Drüsen erscheinen dann entweder als gerundete oder gelappte, mit Furchen und Einschnitten (Grenzen der Lappen) versehene Massen, deren Lappen von einer bindegewe- bigen Hülle umgeben und zusammengehalten werden. Die Wand des mehr weniger verästelten Ausführungsganges besteht in, diesem 2(58 ^- ^'^- Eintli.'ihiiip .I.t I)rO-><»ii. Falk' ans riiicr .stnu-tiirloscn ( Jriiii(liiuMnl>raii mit »'iiicr i^ofäs.süeiclien und (trj;;mist'lu' Muskelfasern führenden I>indeg'(»websselnclite au ihrer äusseren Fhiehe. Die stärkereu Verzweii;uni;-en der Ausfüliruni;sj^äu!^e der Drüsen besitzen an ihrer inneren ( Mn'rlläclie eine aus Cylinder- zelleu Ix'stt'luMidc Kitithelialseliichte. In den feinsten Verästlungen ilag'ei;en und in den Endhläschen (Acini) lin(h't sidi in aUen Drüsen nur mosaikartiges (t(U>r aus rundlielien Zellen bestehendes Ptlaster- epithel, dessen Zellen, ihrer Betheiliguug amSecretionsprecesse wegen, Secretionszelleu (Enehymzellen) genannt zu werden j)rtegen. Sie sind es, -welche den SeeretionsstoiV der Drüse durch Umwand- lung ihrer eigenen Sul)stanz erzeugen. Die Zelle wird mit der Secretbildung verbraucht und geht zu (Irunde. Eine neue Zelle tritt an ihre Stelle. Die Arterien, welche das zur Absonderung tlieneude lUut der Drüse zuführen, ))etreten die Drüse entweder an einem oder an mehreren Punkten. Ersteres ist bei mehr compacten Drüsen mit glatter Übertläche, welche nur Einen Einschnitt besitzen, letzteres liei Drüsen mit mehreren Einschnitten und mit gelappter Oberfläche der Fall. Die Blutgefässe umspinnen mit ihren (Japillarnetzen die Verzweigungen der Ausführungsgänge und deren Enden. Wie tue Zellen des Drüsenep)itliels ihren eigenen Leib und das Plasma, mit Avelchem er getränkt ist, in ein bestimmtes Secret umw^andeln, welcher Natur also das Wirken und ScliafFen dieser winzigen Laboratorien ist, das hat die W^issenschaft noch nicht belauscht. Das ist eben das grosse Käthsel des Zellenlebens, w^elches immerdar ungelöst bleiben wird! Die letzten Eamificationeu der Ausl'ühiungsgängc enden auf dreifache Weise: a) als abgerundete, blindsackfürmig geschlossene Kanälchen, ohne bläschenartig erweitertes Ende; ß) als kolben- oder bläschenförmige End- erweiterungen der Kanälchen; y) als netzförmige Anastomosen mehrerer Kanäl- chen unter einander. In der Kindlicit der Wissenschaft hiessen nur die rundlichen Lympli- drüsen Glandulae (d. i. Eichelchen). Audi wurden damals einige Organe in die Sippschaft der Drüsen aufgenommen, welche unseren gegenwärtigen Be- griflen zufolge nicht mehr dahin gehören, z. B. Glandula pinealis, Hiipopkysis cerebri; und umgekehrt wurden mehrere Organe, wie die Parotis, die Prostata, das Pancreas, die Thränendrüse erst durch die Auffindung ihrer Ausführungs- gänge, den absondernden Drüsen einverleibt. §. 90. Eintheilung der Drüsen. Auf der Form des Ausführungsganges und seiner Eudigungs- weise beruht die Eintheilung der Drüsen. Mau unterscheidet einfache und zusammengesetzte Drüsen. §. 90. Eintheilung der Drüsen. 269 A) Einfache Drüsen. Sie bestellen nur ans einem einfachen Schlanch mit oder ohne acinöse Endbläschen nnd zeigen somit zwei Formen: 1. Einfache tu biliöse Drüsen. Hieher gehören die Schweiss- drüsen, Ohrenschmalzdrüsen, die Drüsen der Gebärmutterschleimhaiit, die Pepsindrüsen des Magens, die Lieberkühn'schen Drüsen des Darmkanals ii. m. a. 2. Einfache acinöse Drüsen, bei denen ein einfacher im- verästelter Ausführungsgang mit einer Gruppe von Drüsenbläschen (Acinl) zusammenhängt. Zu ihnen gehören die Schleimdrüsen, die Talgdrüsen der Hant und die Meibom'schen Drüsen der Augenlider. Zu den einfachen Drüsen werden auch jene Grebilde gezählt, welche unter dem Namen Follikel passiren. Wir kennen zwei Arten derselben. Die eine besteht aus einer geschlossenen Binde- gewebsmembran, deren Binnenraum von einem zarten Bindegewebs- gerüste ausgefüllt wird, in dessen Interstitien eine grosse Menge Ton Lymphkörperchen in allen Stadien der Entwicklung lagert. Zu dieser Art gehören die Alveoli der Lymphdrüsen mit ihrem Inhalt, die Balgdrüsen der Mandeln, des Znngengrundes und des Racliens, wohl auch die Glandula coccygea und intercarotica (1). Man bezeichnet diese Formation auch mit dem Namen conglobirte Drüsen, wobei ich bemerke, dass dieser Name ursprünglich nur den Avahren Lymphdrüsen (§. 58), ihrer rundlichen Gestalt wegen, beigelegt wurde. Die zweite Art bilden die sogenannten waudlosen, d. h. einer eigenen Umhüllungsmembran entbehrenden Follikel, Avelche eigentlich keine Follikel, sondern nur Anhäufungen von Lymphkörperchen in einem bindegewebigen Fasergerüste sind. ') Sie kommen entweder einzeln und zerstreut oder in Gruppen vor. Man unterscheidet deshalb Folliculi solitarii und Folliculi agminati s. con- gregati. Erstere finden sich in der Schleimhaut des Magens und des Dickdarms, letztere, als Peyer'sche Drüsen, nur im Ileura. Folge- richtig können die wandlosen Follikel auch keine Drüsen sein, sondern nur Deposita von Lymphkörperchen im Gewebe der Schleim- haut. Will man diese Schleimhaut adenoid nennen und die An- häufung von Lymphkörperchen in ihr lymphadenoide Organe oder peripherische Lymphdrüsen heissen (Brücke), kann man vernünftiger Weise nichts dagegen haben. Wer sich über alle ') Was bedeutet der von Malpighi iu die Anatomie gebrachte Name FoUi- cuhis ? Er bedeutet bei den Classikern : Schlauch, Sack und Balg, wie solche aus Thier- häuten verfertigt wurden. Der Hodensack, die Harnblase, die Gebärmutter kommen ebenfalls, obwohl selten, als Folliculus vor. Wenn die Anatomen aber immer und immerfort ein Gebilde, welches weder Schlauch, noch Sack, noch Balg ist, Follikel nennen, so ist dieses wahrlich nicht mehr luciis a non lucendo, das ist schon canis a non canendo. 270 S. ',10. Eiiithoiluiig di'i DrtUeii. al)Mii-(l('ii IJciuMiminucn in der Aii;itoiiiie crcitci'n wollte, käme aus c'lironiscliem Aeri;er ^ar nicht heraus. B) Zusannneni;e.setzte Drüsen. Sie besitzen einen ver- zweigten Ausfülirun^si^ans;', dessen letzte Enden entweder mit P^nd- bläscheii (Aeini) besetzt sind und somit tranUig- erscheinen (Speichel- drüsen), oder Netze bilden, welche in den Lücken der Capillargefass- netze lagern (Leber), oder schlingenförmig in einander übergehen (Hoden). Jeder Acinus eines traubigen Kanalendes lässt sich als ein einfaches Drüsenbläschen nehmen und darum jede zusammengesetzte Drüse als ein Conglomerat vieler einfacher betrachten. Man nennt die zusammengesetzten Drüsen deshalb auch Glandulae fOtKjlotucmtae, zum Unterschiede der Glandulae conglohatae, mit welchem Namen, wie früher gesagt, die alten Anatomen nur die wahren Lymphdrüsen belegten, da ihre Gestalt im Allgemeinen rundlich und ihre Ober- fläche glatt und nicht so gelappt ist, wie jene der Glandulae conglo- meratae. Unterarten der zusammengesetzten Drüsen sind: a) Glandulae cotnpoäitae acinosae. Sie bestehen aus mehreren, ja vielen Lappen, jeder Lappen aus Läppchen, jedes Lä})pchen ans einer Gruppe von Aeini, mit dazu gehörigem Ausführnngsgang. Die Speicheldrüsen, die Milchdrüsen, die Thränendrüsen gehören hieher. Die Drüsenkanälchen benachbarter Läppchen gehen in grössere Kanäle und diese in den Hauptkanal oder Ausführungs- gang der Drüse über. Sie werden deshalb auch Drüsen mit baumförmig verzweigtem Ausführungsgange genannt. Die Ausführungsgänge der acinösen Drüsen vereinigen sich entweder zu einem einzigen, oder die Vereinigung bleibt unvollkommen und es existircn mehrere, getrennt mündende Ausführungsgänge, wozu die weibliche Brust, die Thränen- und Vorsteherdrüse Beispiele bieten. h) Glandulae compositae tubulosae, Avohin die Niereu und Hoden gehören. Dem Wortsinne nach sind auch die Drüsen mit baumförmig verzweigtem Ausführungsgange Glandulae tubu- losae, indem sie aus verzweigten Röhren bestehen. Im engeren Sinne dagegen Averden zu den Glandulae compositae tuhidosae nur jene gerechnet, bei welchen die Drüsenkanälchen sich weniger durch Astbildung, als durch ihre Länge auszeichnen. Die langen Drüsenkanäle verlaufen entweder gerade, w^ie in den Niereupyramiden, oder in vielfachen Krümmungen und Win- dungen, wie im Hoden. Eine eigene Gruppe von Drüsen bilden die sogenannten Drüsen ohne Ansführungsgänge. Ihr äusseres Ansehen erinnert an jenes einer Drüse, aber das wesentlichste Attribut einer Drüse — der Aus- führungsgang — fehlt. Man zählt hieher die Schilddrüse, die Thymus, die Nebennieren und die Milz. Schilddrüse und Milz erwarben sich §. 91. Physiologische Bemerkungen über die Drüsen. ' 271 vor Zeiten, ihres Reichthiims an Blutgefässen wegen, den Namen Ganglia vasculosa. §. 91. Physiologisclie Bemerkungen über die Drüsen. Der in den Drüsen stattfindende Vorgang, durcli welchen neue Flüssigkeiten zu verschiedenartigster Verwendung gebildet werden, wurde bereits als Absonderung, Secretio, erwähnt. Absonderung und Ernährung sind insofern einander verwandt, als zu beiden Stoffe dienen, welche aus dem Blute bezogen werden. Die Permeabilität der Gefässwandungen ist somit eine uothwendige Bedingung der Ernährung nnd der Secretion. Bei der Ernährung brauchen jedoch die flüssigen Bestandtheile des Blutes nur ans den Gefässwandungen herauszutreten (Exosmosis, e^aß-sco, heraustreiben), um ihren Nutritions- zweck zu erfüllen. Bei der Secretion dagegen müssen die Stoffe, welche durch Exosmosis aus den Capillargefässen traten, neuerdings die Wand von Drüsenkanälchen und ihfes Epithels durchdringen (Endosmosis, ivco&sco, hineintreiben), um in den Höhlen derselben als Secreta zu erscheinen. Würden alle Secreta aus Stoff'en bestehen, Avelche schon im Blute vorräthig und präformirt sind, wie es der Harnstoff und die Harnsäure ist, so könnte man sich die Secretion als eine Art Seihungsprocess denken, für welchen die Wände der Capillargefässe und der Drüsenkanälchen doppelte Filtrirapparate abgeben. Die alte Medicin hatte diese rohe Ansicht von allen Secre- tionen und nannte deshalb die Drüsen Colatoria, von colare, durch- seihen. Die Verschiedenartigkeit der Mischungsbestandtheile in den Secreten, welche im Blute als solche nicht vorkommen, hat uns ge- zwungen, diese mechanische Vorstellung fallen zu lassen. Wir müssen annehmen, dass die Bestandtheile des Blutes, während sie durch die doppelten Filtra gehen, solche Veränderungen erleiden, welche ihnen den Charakter des neuen Secretionsfluidum geben. Die Fortbewegung der Secrete in den Ausführungsgängen einer zusammengesetzten Drüse, ist theils eine uothwendige Folge des Offenseins der letzteren nach einer Richtung hin, theils eine Wirkung der durch die Gegenwart von Muskelfasern bedungenen Contractilität der Kanalwandungen. Gallen-, Harn- und Samenwege zeigen, wenn sie gereizt werden, sogar wurmförmige Bewegungen. Auch die Umgebung einer Drüse kann auf sie drückend einwirken, und dadurch ein thätiges Moment für die Fortbewegung des Se- cretes abgeben. Bei den Speicheldrüsen, welche von den Kau- muskeln, bei den Darmdrüsen, welche durch die wurmförmige Bewegung der Gedärme gedrückt und dadurch entleert werden, springt dieser mechanische Umstand in die Augen. Die Abschüssig- keit der Ausführungsgänge und besondere Krümmungen derselben. 2 < _ §. Ol Physidlo^isclii» ri'inerktinpren Ober die PrOsen. «'rlciclitcni cht'iitiill.s dif \\ eiti'rht'tVirdcnin^ do Sfi-rcto. Hie kork- zieliei';irtii;v Kriiiimiung' des Kanales der Sidiweissdrüson z. B., ver- wandelt den Bewegiini;swei;- in eine lani^e schiefe Ehene, länj^s welclier das Secret sich leichter f"ortl)ewei;t, als in einem gerade ansteigenden Kanal. Aiele Secrete haben keine weitere Verwcndharkeit im Orga- nismus und werden sobald als möglich nach aussen entleert. Sie heissen /rmnores twcrementilü (Harn, Seh weiss). Andere Averden nur gebildet, um zu gewissen Zwecken zu dienen. Sie heissen Jhunores inquUini. Diese Zwecke werden entweder noch innerhalb des Körpers erreicht, oder ausserhalb. Speichel und Magensaft Avirkeu innerhalb, Milcli und Same ausserhalb des Körpers. Sie werden deshalb in den Anfang oder in den weiteren Verlauf des Verdauungskanals entleert. Die Jltotioim iwcreinentitü werden dagegen nur in das Ende des Systems, welc^jem sie zinsbar sind, geschafft, wie der Same in den Eudschlauch des Urogenitalsystems (Harnröhre), oder direct an die Leibesoberfläche abgeführt, wie die Milch. — Es giebt auch Secrete gemischter Art, von welchen einige Bestandtheile im thierischen Leibe verwendet Averden, andere aber Auswurfsstoffe sind. So sind z. B. gewisse Bestandtheile der (»alle reine Auswurfs- stoffe, Avelche mit den Fäces ausgeleert Averden, während die anderen zur Dünudarmverdauung beitragen. Die Drüsen zählen zu den wichtigsten Organen des thierischen Haushaltes. Je grösser eine Drüse und je reicher ihre Absonderung, desto bedeutungsvoller Avird ihre Function und desto gefährlicher ihr Erkranken. Unterbleiben der Harnabsönderung in der Niere führt durch Blutvergiftung (Uraemia) zum geAvissen Tode und die unterbrochene Thätigkeit der T^unge setzt Erstickung, Avähreud beide Hoden ohne Nachtheil der Gesundheit eingebüsst Averden können. Sind Secretionsorgane paarig, und Avird das eine durch Krank- heit oder VerAvundung in Stillstand versetzt, so übernimmt das andere das Geschäft seines Gefährten, und gewinnt in der Regel auch an Volumen und GeAvicht. Jede gesteigerte Secretion, Avelche den Schaden gut macht, der durch Unterbleiben einer anderen ge- setzt Averden könnte, heisst vicariirend. — Exstirpirte Drüsen AA^erden nicht regenerirt. Die anatoinische Literatur kennt nur ein Werk, welches über die Structur sämmtlicher Drüsen handelt. Es ist /. Maller, De glandularum secerncntiuni structura pcnitiori. Lips. 1830. Die raschen Fortschritte der Wissenschaft machten dasselbe schnell veralten. — Die Schriften über einzelne Drüsen werden in den betreffenden Paragraphen der Eingeweidelchrc angeführt. 1 §. 92. Allgemeine Bomerkimgen über die Absonderungeu. 273 §.92. Allgemeine Bemerkungen über die Absonderungen. 1. Das Quäle und Quantum einer Absonderung L.ängt von dem Blute und von dem Baue des Absonderungsorgans ab. Drüsen von verscliiedenem Bau können nie gleieliartige Secrete liefern. Je reicher das Blut an SeeretionsstofFen ist, desto reicliliclier werden diese in den Seereten ersclieinen. Hat deshalb eine Drüse durch Erkrankung eine Zeitlang ihre secretorische Thätigkeit eingestellt, so häufen sich die Stoffe, welche durch sie hätten entleert werden sollen, im Blute an; und beginnt die Drüse später wieder ihren regelmässigen Geschäftsgang, so wird ihre Absonderung copiöser sein müssen. Hierauf beruhen die sogenannten kritischen Aus- leerungen. 2. Je dünner das Blutplasma ist, desto leichter wird dessen Exosmose und Endosmose. Die Secretionen werden deshalb durch jene Umstände vermehrt, welche eine grössere Verdünnung der Blutmasse bedingen, wie z. B. durch Trinken und Baden. Ein- dickung des Blutes durch Wasserverlust mittelst Schweiss und copiöser seröser Absonderungen wird auf den Grang der Secretionen in entgegengesetzter Weise einwirken, also Verminderung derselben und relatives Ueberwiegen der specifischen SecretionsstofFe herbei- führen. So erscheint bei Kranken, Avelche viel schwitzen und wenig trinken der Harn gesättigt und trübe, als Urina cruda bei den alten Aerzten. Ein aUgemeiner, aber sehr irriger Glaube vermeint, dass man in den Dampfbädern schwitzt. Das Wasser, welches die Oberfläche des Körpers im Dampfbade überzieht, ist kein Schweiss, sondern ein Niederschlag des umge- benden heissen Dampfes auf die kältere Haut. 3. Die Zahl, Weite und Verlaufsrichtung der Capillargefässe einer Drüse haben insofern auf die Secretion Einfluss, als sie die Menge des Blutes, welches zur Absonderung dient, die Greschwin- digkeit seiner Bewegung und den Druck, unter Avelchem es strömt, bedingen. Drüsen, welche reich an weiten Capillargefässen sind, werden copiösere Absonderungsmengen liefern, und je geschläugelter der Verlauf der Capillargefässe ist, desto länger wird das Blut in der Drüse verweilen und desto grösser wird auch der Druck werden, welcher den Ausdruck seines Plasma bedingt. Das blutgefässarme Parenchym des Hoden und der Vorsteherdrüse lässt keine reich- lichen Secretionen erwarten, während der Reichthum an Capillar- gefässen, durch welche sich die Leber, die Nieren und die Speichel- drüsen auszeichnen, mit den grossen Secretionsmengen dieser Drüsen innig zusammenhängt. 4. Da zu allen Drüsen gleich beschaffenes arterielles Blut gelangt, aus dessen Plasma in den einzelnen Drüsen verschiedene Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl. 18 274 äi. O'J. Allgüiiiviiiu r.uinoikiiiiK'c'ii iiliei die AI>souduniriKeii. Stoffe bereitet werden, so kann die ]\Iisclnini;' des l\ück>tande> des Plasma nielit in allen Drüsen dieselbe sein. Dasselbe uilt aut-li für alle übrigen Organe des tbierisclien Leibes, deren jedes einzelne dein Plasnia nnr solche IJestaudtlieile entzielit, widelie es zu seiner individuellen Ernäliruni;- bentitliii;t. Die L\ni|)lie, als Kesidnuiu (\q^ zur Ernällrun^ verwendeten Plasma, wird also in verschiedenen Lymphgetässen eine verschiedene IJeschaffenheit und Mischung- haben, und die Hauptstämme des Veuensystems, in welche alle Lymphe schliesslich gelangt, müssen folgerichtig sehr verschieden beschaffene Blutströme enthalten, welche gleichförmig gemischt werden müssen, bevor sie in die Lunge gebracht werden. Ver- muthlich erklärt sich liieraus die stärkere Entwicklung der ge- netzten Muskelschichte der rechten Herzvorkamnier, deren die linke, als Sammelplatz des gleich fi'u-mig gemixditen arteriellen Luugeublutes, nicht bedurfte. 5. Zu den meisten Secretionen wird nur arterielles IJlut ver- wendet. Die Theilnahme des venösen Blutes am Absonderungs- geschäfte tritt nur in der Leber evident hervor. — Unterbindung der zuführenden Arterie einer Drüse bedingt nothwendig Stillstand ihrer Function. <5. Alle Secretionen stehen unter dem Einflüsse des Nerven- systems. Wir kennen diesen Einfluss schon im Allgemeinen durch die tägliche Erfahrung, dass Gemüthsbewegungen und krankhafte Nervenzustände die Menge und Beschaffenheit der Absonderungen ändern. Es ist bekannt, dass Aerger einer Säugenden, durch die veränderte Beschaffenheit der Milch dem Säuglinge Bauchzwicken und Abweichen zuziehen kann, und ebenso, dass Furcht oder ängst- liche Spannung des Gemüths die Harnsecretion, Appetit die Speichelsecretion, wollüstige Vorstellungen die Absonderung des männlichen Samens vermehren. Besondere Nervenerregungen wirken auf besondere Drüsen, iler Zorn auf die Leber, die Geilheit auf die Hoden, Furcht auf die Nieren, Appetit auf die Speicheldrüsen, Trauer und Schmerz auf die Thränendrüsen, während Heiterkeit und Frohsinn, wie sie der Wein erzeugt, auf alle Secretionen bethätigend einwirken. In dieser Hinsicht wird der Alkoholgehalt des Blutes ein besonderer Eeiz für die einzelnen Sceretionsorgane. Wieso die Gemüthsbewegungen eine plötzliche qualitative Aenderu,ng der Secrete, und schädliche, ja giftige Eigenschaften derselben setzen können, liegt jenseits aller Vermuthungen. 7. Die (juantitativeu Aenderungen der Secretionen, Ver- mehrung und Verminderung, oder Unterdrückung sind leichter er- klärbar, wenn man bedenkt, dass die Porosität der Gefässwandungeu, und die auf ihr beruhende Möglichkeit des Durchschwitzens, von dem Einflüsse der motorischen Drüsennerven abhängt. §. 92. Allgumeiui; Bemcrkuiigen üliyr diu Aliioudcniugeu. 275 8. Im Lebeu ist die Membran der DrüsenkanälelieD, wie alle tliierisclien Membranen überlianpt, nur für bestimmte Stoffe per- meabel. Nacli dem Tode schwitzt Alles durch, was im Wasser löslich ist. Einen guten Beleg- hiefür liefert die Grallenblase, welche im lebenden Thiere ihren Inhalt nicht durch Exosmose austreten lässt, während im Cadayer die ganze Umgebung derselben, Bauchfell, Darmkanal, Netz, gelb getränkt Avird. 9. Jede Reizung einer Drüse vermehrt den Blutandrang zur Drüse und dadurch ihre Absonderung. TJbi Stimulus, ibi congestio et secretio aucta, lautet ein uralter und noch immer wahrer Aphorismus. Wird der Blutandrang zur Drüse bis zur Entzündung gesteigert, welche die Capillargefässe durch Blutcoagula verstopft, so muss die Secretion abnehmen und endlich unterbleiben. Findet sich eine andere Drüse von gleichem Baue vor, so kann sie vieariirend wirken. Wird die Gallenbereitung in der Leber unterbrochen, so kann der im Blutplasma enthaltene Farbstoif der Galle in allen übrigen Geweben, welche mit Blutplasma getränkt werden, zum Vorschein kommen und Gelbsucht ent- stehen. Ebenso wird nach Unterbrechung der Harnsecretion die Schweiss- und Serumbildung den urinösen Charakter annehmen, welcher schon durch den Geruch sich verräth. — Wirkt die Steigerung Einer Secretion vermindernd auf eine andere ein, so sagt man, beide stehen in einem antagonistischen Ver- bältnisse. So wird die Milchsecretion durch vermehrte Darmabsonderung (Diar- rhöe), die Harnsecretion durch Schweiss, die Serum aus schwitzung im Binde- gewebe (Wassersucht) durch urintreibende Mittel vermindert. Die ärztliche Behandlung so vieler Absonderungskrankheiten basirt auf dem Antagonismus der Sccretionen. 10. Die Secrete erleiden während ihrer Weiterbeförderung durch die Ausführungsgäuge, eine gewisse Veränderung ihrer Mischung, Avelche zunächst als Concentration erscheint. In den Harn- werkzeugen tritt dieses am deutlichsten hervor, da der gelassene Harn concentrirter und dunkler erscheint, als der Harn im Nieren- becken. Ebenso ist der Same im Vas deferens dicker als jener in den Kanälchen des Hodenparenchyms. 11. Langer Secretionsstillstand hebt die xlbsonderungsfähigkeit der Drüsen ganz und gar auf, wie im Gegentheile häufigere natur- gemässe Entleerungen derselben, ihre secretorische Thätigkeit durch üebung stärken. So wird das anfangs einem gesunden Menschen gewiss schwer fallende Gelübde der Keuschheit dem Mönche mit der Zeit leicht zu halten sein, während andererseits häufige Be- gattung für gewisse Temperamente eine Gewohnheit und wohl auch eine Nothwendigkeit werden kann, 12. Krankhafte Yermehrung der Absonderung kann auf zweifache Weise entstehen: durch Reizung oder durch örtliche Schwäche. Im ersten Falle wird das Secret keine auffallende Mischuugsänderung erleiden, im zweiten dagegen werden seine 18* 2 H3 8- 92. A11j;<'inuiii(; rtcinerkiiiij^'i'ii ftl>cr die AbsoiuU'ruiipeii. ■wässerigeu BostaiultluMle prävaliren. So i.st häufiges Sclnvitzen Folge örtlicher Schwäche der Haut uud die Mischung aller krankhatten ProfluA'ien (Samen-, Speichel-, Schleimtlüsse etc.) ist reich au wässe- rigen Restaudtheileu. — V>q'\ Kranklieiteu, welche mit Ahzelirung, allgemeinem Verfalle uud Entmischung der Blutmasse einhergeheu, können alle Secretionen zugleich profus und wässerig werden. Ein solennes Beispiel davon giebt die Lungensucht mit ihren erschöpfenden Schweissen, Durchfällen, örtlicher und allgemeiner Wassersucht. 13. Bei mehreren Drüsen, welche fortwährend absondern, sind an ihren Ilauptausführungsg-ängen grössere Nebenreservoirs ange- bracht, in welchen die abgesonderten Flüssigkeiten entweder blos bis zur Ausleerungszeit aufbewahrt oder auch durch Absorption ihrer wässerigen Bestandtheile und durch Hinzufüg;ung der Abson- derungen der Reservoirs selbst, in ihrer Zusammensetzung mehr weniger verändert Averden. Solche Reservoirs sind die Gallenblase, die Samenbläschen, die Harnblase. — Wird die Aussonderung des Secretes längere Zeit unterlassen, so sind die Drüsenkanäle damit überfüllt, und es kann, so lange diese üeberfüllung anhält, keine fernere Absonderung- vor sich gehen. Alle Excretionsverrichtungen, vom lächerlichen und anstössigen Niesen und Spucken bis zur Stuhlentleerung, haben etwas Hässliches, ja Ekelerregendes an sich. Ausser Kranken und Aerzten spricht deshalb, trotz ihrer Unentbehrlichkeit, Niemand von ihnen. Der wohlthuende Eindruck, welchen der Anblick einer vollendet schönen Menschengestalt in uns hervorzurufen pflegt, verliert sich augen- blicklich, wenn man ihn mit einer Excretion in Verbindung bringt. Alle Illusion hört dann auf. Man denke an Zeus Olympius auf dem Leibstuhl statt auf dem Wolkenthron, mit dem Spucknapf statt dem Donnerkeile, man denke an eine Juno, die sich in die Finger schneuzt, an einen rülpsenden Ganymed, an einen von Blähungen umdufteten Adonis, an einen schwitzenden Vulcan, an Hercules im Pissoir beschäftigt, an einen mit hartem Stuhlgang ringenden iVchilles, an einen schlafenden Endymion cum profliivio seminis nocturno, an eine kreissende Pallas Athene mit Hängebauch, an die jungfräuliche Königin der Nacht im Wochenbette mit strömenden Lochien, an A enus Anadyomene mit menstruentriefenden Schamtheilen etc. Aesthetischer wäre es gewesen, wenn diese Functionen von dem Ebenbilde Gottes hätten wegbleiben können. Aber es geschah, was geschehen musste, und so ist nicht weiter über sie zu klagen und Gott zu danken, wenn sie regelmässig von Statten gehen. ZWEITES BUCH. Vereinigte Knochen- und Bänderlehre. §.93. Object der Knoclieii- und BänderleJire. -Lrmcipnim et fons anatomiae ist und bleibt die Knoclien- lehre. Wer sie zur Grrimdlage seines anatoniisclien Studiums macht, liat nicht auf Sand gebaut. — Die mit der Bänderlehre vereinigte Knochenlehre, Osteo-Syndesmologia, beschäftigt sich mit der Be- schreibung der Knochen und der sie zu einem beweglichen Granzen — Skelet — vereinigenden organischen Bindemittel: der Bänder. Ihr Object ist das natürliche Skelet (Sceleton naturale), zum Unter- schiede Yom künstlichen (Sceleton artificiale), dessen Knochen nicht durch natürliche Bänder, sondern durch beliebig gewählte Ersatz- mittel derselben, Draht, Leder- oder Kautschukstreifen mit einander verbunden sind. Da weder die Knochen, noch die sie vereinigenden Bänder einer selbstthätigen Bewegung fähig sind, und sie nur durch die von aussen her auf sie wirkenden Muskelkräfte veranlasst werden, aus dem Zustande des Gleichgewichtes zu treten, so können sie, den activen Muskeln gegenüber, auch als passive Bewegungs- organe aufgefasst werden. Die im gewöhnlichen Leben übliche Bezeichnung der Haupt- formbestandtheile des menschlichen Leibes, als Kopf, Eumpf, obere und untere Grliedmassen, hat die Anatomie beibehalten, welche von den Knochen des Kopfes, des Eumpfes, der oberen und unteren Grliedmassen, als Hauptabtheilungen des Skelets, handelt. Die Gesammtzahl der Knochen wird von verschiedenen Autoren sehr verschieden angegeben, je nachdem sie einen Knochen, welcher aus mehreren Stücken besteht, für Einen Knochen, oder für so viele zählen, als er Stücke hat. Wenn man Brust- und Steissbein als einfache Knochen rechnet, so besteht das menschliche Skelet, mit Einschluss der Zähne und Gehörknöchelchen, aber ohne Sesambeine, aus 240 Knochen. Ein alter Gedächtnissvers giebt sie auf 288 an: „Ossibus ex denis, bis centenisque novenis." Das Wort Skelet kann von gksXXco (austrocknen) stammen. Herodot spricht nämlich von einem sole aridum et exsiccatum ca- daver (Mumie), welches die Aegyptier bei ihren Festgelageu als Sinnbild der Vergänglichkeit, jedoch rosenbekränzt, aufstellten und 280 8- ^^- Ol.joH il.-r Knorlien- und Bündorleliri». mit li>r Krtpa-nnchpn. A . K o p f k 11 0 c li 0 n. i^. i)4. Eintlieilung der Kopfknochen. AUü^omoiii Avird es zn,i:;o<^oben, dass die aviiIh-c Ilaiiptsiiche dor ()stool()i;ie der knöcliorne Kopf ist. Seine (Jrösse und Gestalt wird durch den Zusammentritt von 22 Knoelieu beding-t, welelie, mit Ausnahme eines einzii^en, des Unterkiefers, fest und unbeweglich zusammenpassen, und, -weil ihrer viele in die Kategorie der breiten und flachen Knochen gehören, die Wandungen jener Höhlen bilden, Avelche zur Aufnahme des Gehirns, der Sinnesoi-gane und des An- fangs des Verdauungstractes dienen. Es ergiebt sich schon hieraus die Eintheilung des knöchernen Koj)fes in den Hirnschädel oder die Hirnschale (cranuim s. calvaria), und in das Gesicht (Facies). Die Hirnschale wird aus 8 Schädelknochen, das Gesicht aus 14 Gesichtsknochen zusammengesetzt, welche Unterscheidung mehr ]n'aktisch geläufig, als wissenschaftlich ist, indem gewisse Schädelkuochen auch an der Zusammensetzung des Gesichtes Theil nehmen, einer derselben, das Siebbein, mit Ausschluss eines sehr kloinen Theiles seiner Oberilächo, ganz dem Gesichte angehört, und mehrere sogenannte Gesichtsknochen mit dem Gesichte gar nichts zu thun haben (Gaumenbein, Thränenbein, Nasenmiischeln). Calvaria, contraliiit für calva area, bezieht sich eigentlich nur auf das Scliädeldach und stammt von calvus, kahl, der Glätte des Schädeldaches wegen. Craniv.m ist kein römisches Wort und findet sich deshalb bei keinem classi- schen Schriftsteller. Es wurde von den Anatomen des Mittelalters gebildet aus dem griechischen x«pr/ (synonym mit ^icpalr)), welclies audi als y.ciQ7ivov und v.QCivlov im Homer vorkommt, woraus sich cranium ergiebt. Statt cranktm triflft man bei den Restauratoren der Anatomie auch Theca cerebrl und OUa capitis (der „l7Yrntopf" des Schylhans). Bei Ausonius finde icli zuerst t^.«?« für Hirnschale gebraucht — daher das italienisclie tet,en stärkerer Entwicklung- der Diplo(\ weiter von einander ab und sind aucli absolut dicker, als an jenen Stellen, welche durcli Muskellager becb'ckt und da- durch vor Verletzungen geschützt werden, wie die Schläfen- und untere Hinterhauptgegeud. Hier wird die Diploe sogar stellenweise durch die bis zur Berührung gesteigerte Annäherung beider Tafeln gänzlich verdrängt, und diese Tafeln verdünnen sich zugleich so sehr, dass der Knochen durclischeinend wird. Auch an jenen Wänden, welche die Schädelhöhle von anstossenden Höhlen des Gesichts, den Augenhöhlen und der Nasenhöhle trennen, tritt aus o-leichem Grunde eine bedeutende Yerdünnuno- derselben auf. Im höheren Alter schwindet die Diploe im ganzen Umfange des Schädels, und die beiden Tafeln der Schädelknochen, deren Dicke gleichfalls abnimmt, verschmelzen zu einer einfachen Knochenschale, deren relative Dünnheit und Sprüdigkeit, die Gefährlichkeit der Schädelverletzungen im Greisenalter erklärt. Die Yerbindungsränder der Schädelknochen sind entweder mit starken dendritischen Zacken besetzt, durch deren Ineinandergreifen eine wahre Naht, Sutura vera s. S(/nta.ris serrata, zu Stand kommt, oder sie sind scharf auslaufend, zum wechselseitigen Uebereinander- schieben, als Sutura spuria s. squamosa, od«r rauh und uneben, um der sie verbindenden Knorpelsubstanz eine grössere Haftfläche dar- zubieten. Nur die äussere Fläche der Schädelknocheu wird von einer wahren lleiuhaut (Pericraiiiurn) überzogen, welche auch über die Nähte wegstreicht, faserige Verlängerungen in dieselben hiueinsenkt, und deshalb von ihnen nur schwer abgelöst werden kann. An der inneren Fläche des Schädels fehlt sie und wird (hirch die harte Hirnhaut vertreten. Alle Scliädelknoclien werden von Lcichern oder kurzen Kanälen durchbohrt, welche Nerven oder Gefässen zum Durchtritt dienen. Die Nervenlöcher finden sich bei allen Individuen unter denselben I §. 96. Hinterliauptbein. 285 Verhältnissen und fehlen nie. Die Grefässlöcliei' sind, wenn sie Arterien durchlassen, ebenfalls constant. Wenn sie aber zum Durch- tritt von Yenen dienen, welche als sogenannte Emissaria Santorini eine Communication der inneren Kopfvenen mit den äusseren unter- halten, unterliegen sie an Grösse und Zahl mannigfaltigen Ver- schiedenheiten. Einzelne derselben können auch gänzlich fehlen. Die Emissaria wurden von dem berühmten Anatomen und Arzt Dome- nico Santorini in Venedig (illustris anatomicus nennt ihn Ha 11 er) entdeckt, und in dessen Observationes anat. Venet., 1724, beschrieben. Von den Eömern wurde das Wort Emissarium,, für Äbzugskanäle stehenden Wassers gebraucht. So im Cicero, Ad Farn. XVI, 18. Je weniger ein Schädelknochen an der Bildung anderer Höhlen Antheil nimmt, desto einfacher ist seine Gestalt, und somit auch seine Beschreibung-, je mehr er an der Begrenzung anderer Höhlen Theil hat, desto complicirter wird seine Form. Da man sich selbst aus den wortreichsten Beschreibungen der Knochen überhaupt, besonders aber einiger Kopfknochen, kaum eine richtige Vorstellung von ihrer Gestalt bilden kann, so wird es für ein nützliches Studium der Osteologie zur unerlässlichen Bedingung, die einzelnen Knochen in natxwa vor Augen zu halten. Abbildungen geben nur schlechten Ersatz. Das Besehen der Knochen lehrt sie besser kennen, als das Lesen ihrer Beschreibungen. Einen Knochen nur aus seiner Beschreibung sich so richtig vorzustellen, dass man ihn nachbilden könnte, ist unmöglich. §.96. Hinterliauptbeiii. Das Hinterhauptbein, Os occipitis, heisst bei den Anatomen alter Zeit Os puppis, auch Os memoriae, aus dem plausiblen Grunde, dass man sich beim Besinnen hinter den Ohren kratzt.') Da dieser Schädelknochen um die Zeit der Geschlechtsreife mit dem zunächst vor ihm liegenden Keilbein durch Synostose verwächst, so fand sich Sömmering veranlasst, beide Knochen als Einen zusammen- zufassen, und diesen als Os hasilare oder spheno-occipitale zu benennen. Das Hinterhauptbein wird zur fasslicheren Beschreibung in vier Stücke eingetheilt, welche sind: 1. der Grundtheil, Pars hasi- laris; 2. der Hinterhaupttheil, Pars occipitalis; 3. und 4. zwei Gelenk- theile. Partes condyloideae. Diese vier Stücke sind um das grosse ovale Loch des Knochens — Foramen occipitale magnura — so gruppirt, dass der Grundtheil vor, der Hinterhaupttheil hinter dem- selben, die beiden Gelenktheile seitwärts von ihm zu liegen kommen. ') Os puppis, Hess das Hinterhauptbein bei den Arabisten, weil der aufgesägte Schädel einem Kahne gleicht. — Indem in den unteren Gruben der vorderen Fläche der Schuppe des Hinterhauptbeins das kleine Gehirn lagert, und dieses von Alters als Sitz des Gedächtnisses galt, entstand der Name Os memoriae. Die bei den alten Autoren vorkommende Benennung Os laudae, ist ohne Zweifel aus Os lamhdae entstanden, ein Name, welchen man dem Hinterhauptbein gab, weil es sich durch die Lambdanaht mit den Seitenwandbeinen verbindet. 280 S. !'•!. lliiilfi)i.nii.ll.oiii. Am Hiiik'iiiaupll)! iiic iiiugrliiprin r Iviihl« r uinl im lii> r. r 'riiino ilurcli't! giuizi' Leben liimlurcli, .sind ilicsc vier Stinke Mos iluicli KikhihI zusiiniuiou- gelötlirt, xinil lassen sieh leieht durch Maccratinn von einander trennen. Die Eintlieilunij: des vidlknninien ansi^chiMeten Knoeliens in vier Stiuko. beruht somit auf der Eiit\viekluntlol'lle^•. der äussere Kand zeig't einen melir ■Nvenig-er tiefen, lialhniondtVu-mig- gel)ueliteten (Jolf ( Incisura juiiuldt'is), an de.ssen liintoreni Ende ein dreiseitig-er, etwas aufgekrünimter und stumpfer Fortsatz, als Processus jugularis, zu erwähnen ist. Er wird bei oberer Ansieht von einem halbkreisförmigen, in die In- riiiiiyu jwjularis einmündenden Sulcus für den Querblutleiter der harten Hirnhaut umfasst. Die sonderbare Benonnnng Processtts anonymus wurde zuerst von Walter gebraucht (Abhaiidlunsr von den trockenen Knoclien, 2. Auflage, pag. 62). Er wollte damit ausdrücken, dass das betreffende Gebilde bis zu seiner Zeit noch keinen bezeichnenden Nanien erlialten hatte. Das Hinterhauptbein bietet nebst dem als ursprünglicher Entwicklungs- l'ehler auftretenden, tlicilwciscn oder completen Mangel der Sduippe beim Hirn- bruch, folgende Spielarten dar: 1. Mehr weniger vollständiges Verwadisensein mit dem ersten Halswirbel, als angeborne Hemmungsbildung (Assimilation), worüber Ausführliches vorliegt in Bockshammer's Diss. inauguralis, Tub., 1861. — 2. Auswärts vom Processus condyloideus wächst, einseitig oder beiderseits, ein Fortsatz (Processus paramastoideus, richtiger paracondyloideusj nach unten, welcher bis an den Seitentheil des ersten Halswirbels herabreicht, und mit ihm articulirt. Fälle dieser Art finden sich zusammengestellt von Uhde, im Arch. für klin. Chirurgie, 8. Bd. — 3. Von der Spitze der Schuppe, oder vom Scitenrande derselben, läuft eine Fissur, als nicht verknöcherte und im frischen Zustande durch Knorpel verschlossene kleine Spalte, gegen die Protuherantia externa. Könnte für Fractur gehalten werden. — 4. Ein an der unteren Fläche der Pars condyloidea befindlicher, blasig gehöhlter Fortsatz, welcher mit den Zellen des* Processus mastoideus des Schläfebeins communicirt, wurde als Processus pneumaticus von mir zuerst beschrieben fQuarterly Revietv of Nat. Hht., 1862). — 5. Die Schuppe wird über die Linea semicircidaris sup., durch eine quere Naht (höchst selten durch eine longitudinale) ge- schnitten. Das im ersteren Falle über der Quernaht gelegene Schuppenstück entspricht sodann dem Os interparietale gewisser Säugethiere. — 6. In der Mitte der vorderen Peripherie des grossen Hinterhauptloches findet sich eine kleine Gelenkgrube zur Articulation mit der Spitze des Zahnfortsatzes des Halswirbels (kommt öfter vor, und ist bei mehreren Säugethieren zur Regel erhoben). — 7. Als sehr seltene und interessante Thierähnlichkeit (Vögel und beschuppte Amphibien) existirt in der Mitte des vorderen Halbkreises des grossen Hinterhauptloches ein kleiner, überknorpelter Höcker, als ein dritter Gelenkknopf, welcher auf einer entsprechend ausgehöhlten flachen Grube des vorderen Halbringes des Atlas spielt. — 8. Eine über der Linea semicircularis sup. an der Schuppe des Hinterhauptbeins befindliche, bisher unbeachtet ge- bliebene Linie (Linea nuchae suprema), schildert ausführlich in allen Formen ihres Vorkommens F. Merkel (Leipzig, 1871). — Die Linea semicirc. sup. bildet in einzelnen Fällen einen mehr weniger bedeutenden queren Vorsprung, welcher zu einem wahren Querwulst sich entwickeln kann, als Torus occipitalis. Hierüber handeln Ecker, im Arch. für Anthropologie, X. Bd. und Waldeyer, ebendort, XE. Bd. Zum Schlüsse dieses Paragraphen will ich über die Partes condyloideae des Hinterhauptbeins eine prosodische Bemerkung anreihen, welche auch für §. 97. Keilbeiü. 289 alle übrigen, auf oide.us ausgelienden anatomischen Benennungen zu gelten hat. Das Adjectiv condyloideus soll nicht, wie es allgemein geschieht, als condy- loideus, sondern als coyidylo'ideus ausgesprochen werden. Das Wort ist ja griechisch (von yiövSvlois, Höcker, und elSoq, Gestalt), mit der Endsilbe r]q in eus latinisirt, wo das e, wie in ferreus und ligneus, kurz betont werden muss. Der lange Accent muss aber auf das i fallen, da dieses i dem griechischen Diphthong 81 entspricht. Es sind noch bei dreissig Worte in der anatomischen Sprache, auf welche diese prosodische Bemerkung Anwendung finden soll, wenn auf das )-ecte dicere etwas gehalten wird. Ich nenne beispielsweise nui- vier: mostoldeus, styldideus, hyoideus und deltoideus. Würde der lateinische Ausdruck eus, dem griechischen Ausgang «log entsprechen, dann müsste ganz gewiss statt idews richtig ideus gesagt werden. Da aber der Ausgang aioq eine Aehulichkeit aus- drückt, und der in ^iSriq ebenfalls, so wäre ein griechisches Wort mit den Endsilben siSaiöq ein grober Fehler gegen die Eegeln der Wortbildung. Er kommt deshalb auch nirgends vor. Weil nun griechische Worte das lateinische Bürgerrecht erhalten können und erhalten haben, linsen sich die genannten Adjective auch als condyloldes, mastoldes, styloldes, hyoldes, deltoides etc. schreiben und sprechen mit dem Genitiv is. Dann fällt auch die Möglichkeit einer fehlerhaften Aussprache weg. — Ob sich die Anatomen wohl den Zwang auferlegen werden, diese Eegel des Sprechens zu befolgen? §.97. Keilbein. Complicirter und schwerer zu beschreiben als das Hinterhaupt- bein, ist das Keilbein, Os cuneiforme s. sphenoidemn, von Gtpiqv, Keil, und sl8og, Gestalt. Der Name Keilbein, Os cuneiforme, acprjvosLSsg öatoüv bei Galen, entstammt nicht der Gestalt des Knochens, sondern: „qMa cunei instar, caeteris ossibus calvariae interpositum slt" (Spigelius). Die Alten fanden in der Form dieses Knochens eine Aehulichkeit mit einem fliegenden Insecte, einer Wespe, woher die jetzt noch übliche Eintheilung in Körper und Flügel stammt, und die alten Namen Os sphecoideum (von ßopf]^, Wespe) und vespi- forme verständlich werden. Das Keilbein trägt zur Bildung des Grundes und der Seiten- wand der Schädelhöhle bei. Es verbindet sich mit allen übrigen Knochen der Hirnschale, sowie auch mit den meisten Knochen des Gesichtes. Hiedurch wird seine Beschreibung sehr umständlich. Wir geben in Folgendem nur das Wesentliche davon. a) Körper heisst der mittlere, in der Medianlinie des Schädel- grundes liegende Theil des Knochens. Er schliesst eine Höhle ein, welche durch eine verticale, häufig nicht symmetrisch stehende Scheidewand, in zwei seitliche Fächer (Sinus splienoi- dales) zerfällt. Er zeigt sechs Flächen, oder besser Gegenden, von welchen die obere und die beiden seitlichen in die Schädel- höhle sehen, während die vordere und untere gegen die Nasen- höhle gerichtet sind, und die hintere bei jüngeren Individuen durch Knorpel an das Basilarstück des Hinterhauptknochens angelöthet wird, bei älteren aber durch Knochenmasse mit ihm Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl. 19 290 § 91. Keilbein. verschmilzt. Die obere Fläche des Körpers ist sattelförmig ausgehöhlt, Türken sattel (Sella turcica s. Ephippinm, von inl und 'i':inog, auf dem Pferde), zur Aufnahme des Gehirnanhangs (Hifpophi/sis ccrehri). Die liintere Wand der Sattel^^rube wird diircli eine schräg nach vorn ansteigende Knochenwand, die Sattellehue, D(i)'t:iniii ephippii, gehildet, an deren Ecken die nach hinten und aussen gericliteten, kleinen, konischen, und nicht immer iV'\\\\\v\\in\ Processus clinoidci postki aufsitzen. Die hintere Fläche der Sattellehne geht in einer P^liicht in die obere Fläche des Rasilartlieiles des Ilinterhaiiptkuochens über, und bildet mit ihr eine abschüssige Ebene — den sogenannten Clii'Hs. Häufig findet sich vor der Sattelgrube ein stnmpfer Knochenhöcker, als Sattel knöpf, Tultcrculinn cphippii, und beiderseits von diesem, die sehr kleinen, meistens nur als Höckerchen angedeuteten Processus clinoidei medii. Es kommt vor. days man den Kcilbcinkörpcr von Ncu^'cliorncn durch einen Kanal pcrforirt findet, welcher vom Grunde des Türkcnsattels senkrecht zur unteren Fläche des Körpers verläuft und eine röhrenförmige, unten blind abgeschlossene Fortsetzung der harten Hirnhaut enthält. Landzert beschrieb diesen Kanal als Canalis cranio-phariinina ethmoidalis finden sich zuweilen die ihr ähn- lichen, aber kleineren, von Luschka als Alae minimae beschriebenen Knochen- blättchen vor, welche nur bei den Arten der Gattung Canis zu constanten Vorkommnissen werden. 2. Paar. Die grossen Flügel, Alae magnae, gehen von den Seitenflächen des Körpers aus und krümmen sich nach aus- und aufwärts. Man unterscheidet an ihnen drei Flächen und eben so viele Ränder. Die Flächen werden nach den Höhlen benannt, gegen welche sie gekehrt sind. Die Schädelhöhlenfläche (Superficies cerebralis s. interna) ist concav, mit flachen Impressiones digitatae und Juga cerebralia versehen. Eine Gefässfurche, welche den oberen äusseren Bezirk dieser Fläche in schiefer Richtung nach vorn und oben kreuzt, und zur Aufnahme des vorderen Zweiges der Arteria nieningea media sammt deren Begleitungsvenen dient, wird von den meisten anatomischen Handbüchern ignorirt. — Die Schläfen- fläche (Superficies temporalis s. externa), eben so gross, wie die vorhergehende, von oben nach unten convex, von vorn nach hinten concav, liegt an der Aussenseite des Schädels, in der Schläfengrube zu Tage, und wird beiläufig in ihrer Mitte durch eine querlaufende Leiste (Crista alae magnae) in zwei über einander liegende Felder geschnitten, von denen nur das obere in der Schläfengrube eines ganzen Schädels sichtbar ist, während das untere an der Basis des Schädels liegt. Das vordere Ende der queren Crista entwickelt sich zum Tubercidum spinosum, einer dreieckigen, mit der Spitze nach unten und hinten ragenden Knochenzacke. — Die rautenförmige, ebene und glatte Au genhöhlen fläche (Superficies orbitcdis s. an- terior) ist die kleinste und bildet den hinteren Theil der äusseren 19* 292 8- !»'. Keilbein. Wand der AiimMilinlilc. — Scliinale Schuppentlicilo der Schläfebeiue werden diirdi hreite Ki'ilhciiirtiiiL^^el c<)nn)('ii>irt. Es lassen sicli am grossen KeilbeintUij;;el drei Ränder unter- scheiden: ein oberer, ein hinterer, und ein vorderer. Jeder derselben besteht aus zwei, unter einem vorspring^enden Winkel zusanimeustossenden Sei^menten, weshalb von «älteren Schriftstellern sechs Flüi>elränder anü:en()nimen wurden. Sie biblen zusammen die polygonale C'ontour der ^lld tnajna, welche mit den zackigen Händern eines Fledcrmaustlügels entfernte Aehulichkeit hat. Der obere Rand erstreckt sich vom Ursprünge des grossen Flügels bis zur h()chsten Spitze desselben. Sein äusseres Segment bildet eine rauhe dreieckige Fläche, zur Anlagerung des Stirnbeins. Die hintere äusserste Ecke des Dreiecks, welche in eine scharfe dünne Schuppe ausläuft, stösst an den vorderen unteren Winkel des SeJtenwandbeins. Das innere Segment des oberen Randes ist nicht gezackt, sondern glatt, sieht der unteren Fläche der Ala minor entgegen und erzeugt mit ihr die schräge nach aus- und auf^värts gerichtete, nach innen weitere, nach aussen sj)itzig zulaufende obere Augeugr üben spalte (Fissura orhitalis superior s. sphenoidalia) . Das äussere Segment bildet zugleich den oberen, das innere den inneren Rand der rhomboidalen Augen- höhlenfläche des grossen Flügels. — Der hintere Rand erzeugt durch seine beiden Abschnitte einen nach hinten vorspringenden, zwischen Schuppe und TNramidc des Schläfebeins eiug^ekeilten Winkel, au dessen äusserstem Ende, nach unten eine mehr weniger konisch zugespitzte Zacke, als Dorn, Stachel, Spina angularis, hervorragt. Findet sich statt der Zacke ein scharfkantiges Knochen- blatt, so nennt man dieses (oliwohl historisch unrichtig) Ala parva Tnffrassiae. — Der vordere Rand vervollständigt durch seine beiden Segmente die Umrandung der Siqx'rjicies orhitalis. Sein oberes Segment ist gezackt, zur Verbindung mit dem Jochbeine; das untere Segment ist glatt und dem hinteren Rande der Augenhöhlentläche des Ober- kiefers zugewendet, mit welchem es die untere Augengru ben- spalte (Fissura sphenoma.riUaris s. orhitalis inferior) bildet. Der Name Ala parva Ingrassiae bezieht sich auf Phil. Ingrassias, einen sieilianisclieu Arzt und Anatomen des 16. Jahrhunderts, welchen seine Zeitgenossen Hippocratef Siculuf nannten. Was dieser jedoch Ala parva nannte, ist der früher erwähnte Processus endformia des Keilbeinkörpers. Hyrtl, Berichtigung über die Ala parva In-jrasfiae, Sitzungsberichte der kais. Akad., 1858. Der grosse Flügel wird durch drei constante Löcher durch- bohrt. 1. Das runde Loch liegt in dem Wurzelstücke des grossen Flügels, neben den Seiten des Keilbeinkörpers. Der zweite Ast des fünften Nervenpaares geht durch dasselbe aus der Schädelhöhle §. 97. Keilbein. 293 lieraiis. 2. Das ovale und knapp an und hinter ihm 3. das kleine Dornen loch (Foramen spinosum, richtiger Foramen in spina), liegen am inneren Abschnitte des hinteren Flügelrandes, und dienen ersteres dem dritten Aste des fünften Paares zum Anstritte, letzteres der mittleren harten Hirnhautarterie zum Eintritte in die Schädelhöhle. Am äusseren Segmente des oberen Bandes und an der Sclüäfenfläche des grossen Flügels, finden sich an Grösse, Zahl und Lagerung wandelbare Löcher für die Diploevenen, wohl auch für kleinere Zweige der Arteria meningea media, welche von der Schädelhühle aus in die Schläfegruhe gelangen. 3. Paar. Die flügelartigen Fortsätze, Processus pterygoidei (jtTEQvt, Flügel), anch Alae inferiores s. palatinae genannt, gehen nicht vom Keilbeinkörper, sondern von der unteren Fläche der Urspriingswnrzel des grossen Flügels ans. Sie steigen, nur wenig divergirend, nach abwärts und bestehen aus zwei Platten (Laminae pterygoideae) , welche nach hinten auseinander stehen und eine Grube zwischen sich fassen. Flu gel grübe, Fossa pterygoidea. Die äussere Platte ist kürzer, aber breiter als die innere, welche mit einem nach hinten und aussen gekrümmten Haken (Hafinidus pterygoideus) endet. Unten werden beide Platten durch die Incisura pterggoidea getrennt, welche durch den Pyramidenfortsatz des Gaumenbeins ausgefüllt wird. — Bei mehreren Säugethieren werden die Pro- cessus pterygoidei selbstständige, durch Naht in die grossen Flügel eingepflanzte Knochen. An der oberen Hälfte des hinteren Bandes der inneren Platte des Flügel- fortsatzes zieht eine flache Furche (Sulcus tubae Eustachianae) nach aussen und oben hin. Zwischen ihr und dem Foramen ovale beginnen die beiden in der Neurologie wichtigen, wenn auch nicht constanten CanalicuU pterygoidei s. sphenoidales, von welchen der äussere an der Schädelfläche des grossen Flügels, zwischen der Lingula und dem Foramen rotundum, der innere aber in den Ganalis Vidianus ausmündet. Die Basis des Processus pterygoideus wird durch einen hori- zontal von A^orn nach hinten ziehenden Kanal, Canalis Vidianus, perforirt, von dessen vorderer OefFnung eine seichte Furche am vorderen Rande des Flügelfortsatzes herabläuft, als Sidcus pterygo- palatinus. Die hintere OefFnung des Yidiankanals, steht unmittelbar unter der Lingula des Sulcus caroticus. Am unzerlegten Schädel kann die vordere OefFnung gar nicht, die hintere aber nur undeut- lich von unten her gesehen werden. Nicht dieser Kanal, sondern der durch ihn ziehende Nerv wurde durch Vidus Vidi US (latinisirt aus Guido Guidi) genauer als von seinen Vor- gängern beschrieben (Anat. corp. hum., Lih. JH., pag. 21). Demzufolge muss auch der Kanal Canalis Vidianus, nicht aber Viduanus genannt werden, wie es so oft geschieht, denn das Beiwort Vidianus wird aus dem Familiennamen, nicht aus dem Taufnamen gebildet. 2P4 S. ^'- Keilbein. Eineu iutt»i;rireu{len Bestaudtlieil dos Koill>oius l)il(leu die Ossundu Bertini s. Coruuu spheiioiilolia. Sie .sind [»aarige Deekel- kiKielien für die an der vorderen Wand des Keilbeiukörpers befiiid- lic-luMi grossen Oeffiinii^eii der Swi>s sphenoithih'S, deren Umfang sie von nnten lier verkleinern. Ilire (restalt ist dreieckig, leicht ge- bogen, indem si»* sicli von der unteren Fläclie des Keill)einkör|)ers zur vorderen anfki-ümmen. Sie versclimolzen frülizeitig ndt dem Keil- oder Siebbein und mit den Keilbeinfortsätzen des Ganmen- beines (jedocli hänliger und mittelst zahlreicherer Berührungspunkte mit ersteren), so dass sie bei gewaltsamem Zerlegen der Schädel- knochen an dem einen oder an dem andern Knochen liaften l)leiben, oder Z(M-brecheu und man sie nnr ans jungen Individuen unversehrt erlialteii kann. Nicht der iranzüsisclu' Akaileniiker Bort in. mit dem liüchst sonderbaren Vornamen Jos. Eamperhis, hat diese Knöclielchen zuerst erwäliiit (1754), son- dern der alte Witteuherger Professor V. C. Schneider fDe catarrlns, 1660, Lib. III, Cap. 1). Bertin beschrieb sie nur genauer und gab ihnen den Xamen comets (cornicula). Beim Neugeborenen besteht der Keilbeinkörper aus zwei noch unvollkommen oder gar nicht verschmolzenen Stücken, einem vorderen und hinteren. Das vordere trägt die kleineu Flügel, das hintere die grossen. Die kleinen Flügel sind mit dem vorderen Keilbeinkörper knöchern verschmolzen, die grossen Flügel dagegen mit dem hinteren Keilbeinkörper durch Synchondrose verbunden. Bei vielen Säugethieren bleiben die beiden Keilbeine in)mer getrennt, und selbst beim Menschen erhält sich öfters eine quer dnrch den vorderen Theil der Sattel- grube ziehende, an maccrirten Knochen wie ein klaffender Riss aussehende Trennungsspur durch das ganze Leben. Folgende Varietäten des Keilbeins verdienen Erwähnung. Die Keilbein- höhle wird mehrfächerig, oder setzt sich in die Processus cUnoidei anteriores, selbst in die Schwertflügel oder in die Basis der Processus pteryiioidei fort. — Die mittleren Processus clinoidei verbinden sich durch knöcherne Brücken nicht nur mit den vorderen, sondern auch mit den hinteren. Ersteres geschieht häufiger und kommt auch allein, letzteres nur in Verbindung mit ersterem vor. Die durch diese Ueberbrückung gebildeten Löcher heissen, wegen ihrer Beziehung zum Verlaufe der Carotis, Foramina carotico-cUnokiea. — Das Foramen ovale wird durch eine Brücke in zwei Oeffnungen getheilt (drei Fälle im Wiener Museum). — Ein oberer Fortsatz der inneren Platte des Pro- cessus pterygoideus krümmt sich unter die untere Fläche des Keilbeinkörpers als sogenannter Scheidenfortsatz, Processus vaginalis. Die äussere Platte wird mit der Spina angularis durch eine knöcherne Spange verbunden, welche Anomalie als Verknöcherung des Lig. pterygo-.^pinosum zu deuten ist. — lieber eine seltene, aber für die Anatomie des fünften Nervenpaares belangreiche Anomalie am Keilbein handelt mein Aufsatz: Ueber den Porus crotaphitico- buccinatorius, in den Sitzungsberichten der kais. Akad., 1862. — Es leuchtet ein, dass eine allzu frtjh' eintretende Verwachsung des Keil- und Hinterhauptbeins die Entwicklung des Sch.ädelgrundes und der gesammten Hirnschale beeinträch- tigen, und dadurch eine Hemmung in der Entwicklung des (Jehirns selbst be- dingen wird. Eine solche f^ynostosis proeco.v wird deshalb ein anatomisches Attribut, wo nicht die Bedingung von Bliidsinn und Cretinismus sein. §. 98. Stirnbein. 295 Kein Knochen der Hirnschale verfügt über einen solchen Eeichthura von Synonymen, wie das Keilbein. Wir können wählen zwischen Os sphecoideum, vespiforme, basilare, alatum, pterygoideum, polymorphon und suprapharyngeum. Bei den Arabisten finden wir das Keilbein als Cavillaj ferner als Os carinae (weil es den Kiel der kahnförraig ausgehöhlten Schädelbasis bildet), als Os colatorii (weil man durch den hohlen Körper dieses Knochens die Excrementa cerebri in die Nasenliöhle geschafft werden liess), und als Os paxillare (von paxillus, Pflock und Keil). Von den altdeutschen Benennungen: Weckenbein (Wecke ^=^ Keil), Pflock- und Pfahlbein, Sesselbein (der sella turcica wegen), Flügel- und Bodenbein, wird keine mehr gebraucht. §. 98. Stirnbein. Nebst dem Joch- und Oberkieferbein hat das Stirnbein (Os frontis s. Os coronale, prorae, si/ncipitis, richtiger shicipitis), auf die Form der Hirnschale und zugleich auf den Typus der Gresichts- bilduug", den bestimmendsten Einfluss. Es liegt am vorderen schmä- leren Ende des Schädelovals, der Hinterhauptschuppe gegenüber, deren Attribute sich, bei genauem Vergleiche, au ihm theihveise wiederholen. Die Stirne und das Stirnbein Synciput zu nennen, ist ein im medicinischen Latein heimisch gewordener Schreibfehler für Sinciput. Zur Zeit der Salerni- tanischen Schule wurde häufig y für i geschrieben. Wir lesen in den Schriften der mönchischen Aerzte selbst scrypsit und dyxit. Sinciput heisst eigentlich der halbe Kopf (Vorderkopf), von semis (halb) und caput. In diesem Sinne kommt dieses Wort im Plautus und Juvenal vor. — Stirnbein und Hinterhauptbein bilden gleichsam das Vorder- und Hintertheil der kahnförmig gehöhlten Schädel- basis, deren Kiel das Keilbein ist. So werden die von den Anatomen des Mittel- alters diesen drei Knochen beigelegten Namen von Schiffstheilen, als Os prorae (Stirnbein), Ospuppis (Hinterhauptbein), und Os carinae (Keilbein), verständlich. Das Stirnbein trägt zur Bildung der Schädelhöhle, beider Augenhöhlen und der Nasenhöhle bei und wird demgemäss in einen Stirntheil, Pars frontalis, zwei Augenhöhlentheile, Partes orbi- tales und einen Nasentheil, Pars nasalis, eingetheilt. 1. Die Pars frontalis entspricht durch Lage und Gestalt der Schuppe des Hinterhauptbeins und ähnelt, wie diese, einer flachen Muschelschale, deren Wölbung und grössere oder geringere Neigung einen wesentlichen Einfluss auf den Typus der Gresichtsbildung äussert. Zwei massig gekrümmte obere Augenhöhlenränder (Margines supraorbitales), trennen sie von den beiden horizontal liegenden Partes orbitales. Jeder derselben hat an seinem inneren Ende ein Loch (eigentlich einen kurzen Kanal), oder einen Aus- schnitt (Foramen s. Incisura supraorbitalis) , zum Durchgang eines synonymen Grefässes und Nerven. Zuweilen findet sich an der ge- nannten Stelle nur ein seichter Eindruck des Randes. Nach aussen geht jeder Rand in einen stumpfen, robusten, nach abwärts gerichteten, und unten gezähnten Fortsatz, Joehfortsatz (Processus zygomaticus) 2erkiefprs. Einwärts vom frülicr iiwäliiitiii Foraiuen supraorbitale s. Incisura supra- orbitalis, konuiit ültcr noch ein zweiter Einselinitt am oberen Angenliöldenranile vor, zum Austritte des Stirnnerven und seiner begleitenden Gel'iisse. Nur selten wird dieser Ausschnitt zu einem Loche. Man könnte also mit W. Krause ein Foramen frontale s. Incisura frontalis vom Foramen supraorbitale s. Incisura aupraorbitalis unterscheiden. Der Fall, wo die Incisura supraorbitalis sehr breit erscheint (bis 2"), lässt sich als Verschmelzung der Incisura frontalis und snpraorbltolls nehmen. l)ie häufigste und als Thierähnlichkeit bemerkenswerthe Abweichung des Stirnbeins von der Norm liegt in der Gegenwart einer medianen Sutura fron- talis, welche vertical von der Nasenwurzel gegen den Maryo coronalis aufsteigt. Sie kommt häufiger bei breiten, als bei schmalen Stirnen vor und findet ihre Erklärung in der Entwicklung der Pars frontalis des Knochens, welche aus zwei, den Tubera frontalia entsprechenden Ossificationspunkten entstellt. Diese vergrössern sich selbstständig, bis sie sich mit ihren inneren Rändern berühren und im zweiten Lebensjahre mit einander zu Einem Knochen verschmelzen. Wenn sie dieses aber nicht thun, so kann es mit einer zackigen Verbindung beider Hälften des Stirnbeins sein Bewenden haben, und eine Stirnnaht, als permanenter Ausdruck der paarigen Entwicklung des Knochens, durch das ganze Leben fortbestehen. Doss sie bei Weibern häufiger sei als bei Männern, und bei der deutschen Nation öfter vorkomme als bei anderen (Welcker). scheint mir nicht richtig. Ein Rudiment der Sutura. frontalis findet sich sehr oft über der Nasenwurzel. — Ihering hat bei jungen Embryonen auf das Vorkommen eines paarigen Os frontale posterius aufmerksam gemacht, welches einen eigenen Ossificationspunkt besitzt, und entweder als Fontanellknochen in der Keilbeinfontanelle (§. -102 und 103) selbstständig bleibt, oder, wie es häufiger geschieht, mit dem äusseren seitlichen Winkel der Pars frontalis ver- wächst. — Die auffallendste Entwicklung der Stirnbeinhöhlen findet sich beim Elephanten, dessen ungeheures Schädelvoluraen nicht durch die Grösse des Gehirns, sondern durch die Grösse der Stirnhöhlen, welche sich bis in den Hinterhauptknochen erstrecken, bedingt wird. — An zwei besonders knochen- starken Schädeln meiner Sammlung fehlen die Stirnhöhlen (Affenähnlichkeit). Häufig trifft man neben der Älündung des Canalis supraorbitalis s. Foramen supraorbitale in die Augenhöhle, oder im Kanäle selbst, ein zur Diploe des Stirntheils führendes Venenloch. — Das Foramen coecum, welches viel bezeichnender Porus cranio-nasalis genannt werden könnte, wird zuweilen vom Stirn- und Siebbein zugleich gebildet. — Ein kindlicher Schädel, an welchem die Stelle der Glabella durcli eine gi'osse runde Oeffnung eingenommen wird, befindet sich in meinem Besitz. Die Oeffnung war durch angebornen Hirnbruch bedingt. — Die Tubera frontalia werden bei hörnertragenden Thieren zu langen, htdilen, mit den Sinus frontales communicirenden, mit §. 99. Sipbbein. 299 einer hornigen Einde überzogenen Knoclienzapfen ; — bei geweihtragenden Thieren dagegen, die ihren Hauptschmuck zu Zeiten abwerfen, zu niedrigen, flach abgesetzten und soliden Säulen, den sogenannten Eosenstücken beim Wild. Ein grosser Theil der Pars orhitaria des Stirnbeins kann sich zu einem selbstständigen Schädelknochen emancipiren, welcher zu den anatomischen Selten- heiten gehört, da ich ihn unter 600 Schädeln nur dreimal zu sehen Gelegenheit hatte. Die betreifende Abhandlung ist in den Sitzungsberichten der kais. Akademie 1860, enthalten. — Ueber minder constante Kanäle des Stirnbeins handelt S chultz. Siehe Literatur der Knochenlehre, §. 156. Hält man das Stirnbein so, dass die convexe Stirnfläche nach hinten sieht und denkt man sich die Incisura ethnioidalis durch die Anlagerung des Keil- beins in ein Loch umgewandelt, so lässt sich eine gewisse Aehnlichkeit des Stirnbeins mit dem Hinterhauptbeine nicht verkennen. Bei Galen heisst das Stirnbein rö varoc fibrconov öazoüv, der Knochen an der Stirn. — Da die Gegend, welche das Stirnbein am Schädel einnimmt, unbehaart, also unbedeckt ist, nannten es die Alten: os inverecundum, scham- los, quod soliim inter calvariae ossa pilorum hitegitmento careat, ob nuditatem OS inverecundiim vocatur. Dem deutschen Ausdruck: die Stirn haben, dem französischen: efronterie, und dem lateinischen: frontem perfricare, alle Scham aufgeben, liegt wohl derselbe Gedanke zu Grunde. Die Benennung Os coronale, entstand nach Casaubonus daher: quia in convivüs publicis, os fron- tale certis corollis et sertis antiquitus coronabatwr. §.99. Siebbein. Der zarteste und gebrechlichste aller Schädelknochen ist das Sieb b ein, Os crihrosvm s. ethmoidewn, (von i]'d-(i6g, Sieb), — bei älteren Autoren: Os spongiosum, cuhicum, cristatum, colatorium. Bei äusserer Ansicht der Hirnschale kann nichts von ihm gesehen werden, denn es liegt verborgen hoch oben in der Nasenhöhle und zwischen den beiden Augenhöhlen, deren innere Wand er vorzugsweise bildet. Dieser Knochen kann nur insofern den Schädelknochen zu- gezählt werden, als er die Incisura eihmoidalis des Stirnbeins aus- füllt und dadurch an der Zusammensetzung der Schädelbasis einen untergeordneten Antheil nimmt. Das Siebbein Avird in die Siebplatte, die senkrechte Platte, und die beiden zelligen Seitentheile oder Labyrinthe eingetheilt. Keiner dieser Bestandtheile erreicht auch nur einen mittleren Grad von Stärke und die doppelten Lamellen der Schädel- knochen sind, sammt der Diploe, an den dünnen Platten und Wänden des Siebbeins nicht mehr zu erkennen. 1. Die Siebplatte (Lamina crihrosa) gab dem ganzen Knochen, welcher doch mit einem Siebe nicht die geringste Aehnlichkeit besitzt, seinen Namen Si ebb ein, Sie liegt horizontal in der sie genau umschliessenden Incisura ethmoidalis des Stirnbeins. Sie ist es, durch welche das Siebbein den Rang eines Schädelknochens beansprucht, denn alle übrigen Bestandtheile dieses Knochens ge- 300 §• «' ^^iol'l'.'in. höreu dor Nasenhöhle. Ihr hiiitrrer Kaiul st»»sst an dio Mitte des vorderen Randes (U»r vereinigten schwertförmigeu Flügel des Keil- beius. Ein senkrecht stehender, longitiidinaler, nicht immer gleich stark ausgeprägter Kamm (Cristti cthntoithdi.s) theilt sie iu zwei Hälften, und erhebt sich nach vorn zum Hahnen kämm, Crista palU, welcher zuweilen ein Cavum einschliesst, zu Avelchem eine au der vorderen Gegend der Basis der Crista befindliche OeflTnung führt. Die 8iebj)latte wird, wie es ihr Name will, dureli viele, gew«ilinlich nicht svmnietrisch vertheilte OeflFnnugen dnrchljohrt (Foramina cribrosa), von denen die grösseren zunächst an der Crista liegen und die grössten, meist schlitzförmigen, die vordersten sind. Die Breite der Siebplatte ist an verschiedenen Schädeln eine sehr ver- schiedene. Es g'iebt deren, an welchen sie so schmal und zugleich so concav erscheint, dass sie mehr einer durchlöcherten Furche, als der flachen Platte eines Siebes gleicht. Von der unteren Fläche der Siebplatte steigt 2. die senkrechte Platte — o])wohl selten genau lothreeht — herab, und bildet den ol)eren Tiieil der knöchernen Nasen- scheidewand, welche durch den Hinzutritt der übrigen, in der senkrechten Durchschnittsebene der Nasenhöhle liegenden Knochen oder Knochentheile, vervollständigt wird. 3. und 4. Die zelligen Seitentheile oder das Siebbeiu- labvrinth, stellen ein Aggregat von dünnwandigen Knoehenzellen dar, welche unter einander und mit der eigentlichen Nasenhc'thle communiciren und an Grösse, Zahl und Lagerung sehr vielen Ver- schiedenheiten unterliegen. Im Allgemeinen theilt man die das Labyrinth bildenden Zellen (CeUuhte ethmoidales) in die vorderen, mittleren und hinteren ein. Sie werden von aussen durch eine glatte, dünne aber ziemlich feste viereckige Knochenwand (Papier- platte, Laniina papifracea) bedeckt und geschlossen, welche zugleich die innere Wand der Augenhöhle bildet, und nicht so weit nach vorn reicht, um auch die vordersten Zellen vollkommen bedecken zu können, weshall) für diese ein eigener Deckelknochen, das später zu besehreil)ende Thränenbein, benöthigt wird. Von oben werden die Zellen durch den bereits bekannten gefächerten Band der In- cisiira i't}unoifhili.s des Stirnbeins geschlossen. Nach innen werden sie durch die obere und untere Siebbeinmuschel begrenzt (Concha cthinoidalis siiperior und inferior). Diese Muscheln erscheinen uns als zwei dünne, poröse Kuf)chenblätter, welche so gebogen sind, dass ihre convexen Flächen gegen die Lamina perpendindaris, die concaven gegen die Zellen sehen, ohne sie jedoch zu berühren und zu schliessen. Zwischen beiden Siebbeinmuscheln bleibt ein Raum oder Gang übrig, der obere Nasengang, Meatus narium siiperior, §. 99. Siebbein. 301 in welchen die mittleren nnd hinteren Siebbeinzellen einmünden, während die vorderen sicli gegen die concare Fläche der unteren, grösseren und stärkeren Siebbeinmuschel öffnen. Nach hinten tragen der Keilbeinkörper, die Ossicula Bertini, und nicht selten die Augenhöhlenfortsätze der Gaumenbeine, nach vorn die Pars nasalis des Stirnbeins und die Nasenfortsätze der Oberkiefer, und nach unten die zelligen inneren Eänder der Augenhöhlenflächen der Oberkiefer, zur Schliessung der Siebbeinzellen das Ihrige bei. Vom vorderen Ende der unteren Siebbeinmuschel und von den unteren Wänden der vorderen Siebbeinzellen, entwickelt sich rechts und links ein dünnes, gezacktes, senkrecht absteigendes und zugleich nach hinten gekrümmtes Knochenblatt — Processus nnci- natus s. Blumenhachii — welches über die grosse OefFnung der bei der Beschreibung des Oberkiefers zu erwähnenden Highmorshöhle wegstreift, sie theilweise deckt, und nicht selten mit einem Fort- satze des oberen Randes der unteren Nasenmuschel verschmilzt. Diese Beschreibung des Siebbeins dürfte nur wenig auf die, durch rohes Sprengen älterer Schädel, verstümmelten Knochen passen, welche gewöhnlich in die Hände der Schüler kommen. Man wird sich auch nicht leicht eine Vorstellung von dem Baue des Siebbeins machen können, wenn man nicht die Integrität desselben opfert und wenigstens Ein Labyrinth ablöst, da man sonst nicht zur inneren Flächenansicht der beiden Muscheln kommt. Häufiger vorkommende Verschiedenheiten des Siebbeins sind: zwei kleine fltigelartige Fortsätze (Processus alares) an der Crista galli, welche in corre- spondirende Grübchen des Stirnbeins passen; — Auftreten einer dritten kleinen Siebbeinmuschel, welche über der Concha superior liegt, Concha Santoriniana heisst und beim Neger in der Eegel vorhanden ist; — endlich Verschmelzung der Ossicula Bertini mit den Wänden der hinteren Siebbeinzellen oder mit der Lamina perpendicidaris. — Kein menschenähnlicher Affe besitzt eine so ansehn- liche Crista galli, wie der Mensch. An den meisten ägyptischen Mumienschädeln findet man das Siebbein von der Nasenhöhle aus durchstossen, behufs der Entleerung des Gehirns. Bei den viel selteneren Guanchenmumien der Azoren wird das Siebbein unversehrt angetroffen, indem an ihnen das Gehirn durch ein Loch in der Pars orhitalis des Stirnbeins herausgenommen wurde. In einer kleinen, aber denkwürdigen Schrift (De osse crihriformi, Vite- hergae, 1655) widerlegte Vict. Conr. Schneider den damals allgemein ver- breiteten, von Galen's Zeiten vererbten Glauben, dass die Gerüche durch die Siebplatte des Siebbeins in das Gehirn, dagegen der Unrath des Gehirns, als Schleim, auf demselben Wege in die Nase hinabgeschafft werde. So erklärt sich der alte Name dieses Knochens: Os colatorii, von colare, durchseihen. Dieser Vorstellung verdankt auch das Wort Katarrh seine Entstehung, von ^atci, herab, und q^co, f Hessen, als ein vermehrtes Herabfliessen des Schleims vom Gehirn in die Nase, wie man damals Schnupfen und Katarrhe auffasste. Der französische Ausdruck rhiime du cerveau, für Schnupfen, drückt wörtlich „Fluss vom Gehirn" aus, so auch das italienische Influenza. Verfehlt aber der schleimige Unratli des Gehirns seinen Weg in die Nasenhöhle und verirrt er sich in die Augenhöhle, so erzeugt er dort den grauen Staar, dessen uralte, aber noch immer beibehaltene Benennung als Cataracta sich hieraus ergiebt. 802 S. 100. Seitenwandbeiiie oder Pcheitelheine. Der lateinische Name des grauon Staaic^s im Oelsus: Sitfftisio, von sttffundere, drückt oheiifalls ejiip Erpiessiinp. ein Aussströiiicn oder Unterlaufen aus. — Der Name O.« cribroattm ist ein l^arbarismus. Die CJricehen nannten nur die Sieb- platte öaTfov rjd-iioFiSfg, das Ucbrige aber, seines seliwaminigen Ansi liens wegen, oatiov anoyyofifiig. Oscribrosum lieisst auf deutsch ein an Sieben reicher Knochen, id quod absurdum, weil nur Ein Sieb vorhanden ist! §. 100. Seitenwandbeine oder Scheitelbeine. Die beiden Seitenwandbeine, Onaa parietaUa (aiicli Ossa hreijmatica, verticia, tctragona) hif^seu sich in Kürze abfertigen, da sie die einfachsten, an griechischen niid lateinischen Merkwürdig- keiten ärmsten Scdiädelknochen sind. Sie bilden vorzugsweise das Dach und die Seitenwäude der Schädelhöhle und erstrecken sich symmetriscli vom Scheitel zur Schläfe herab. Ihre viereckige, schalen- förmig gekrümmte Gestalt lässt eine äussere und innere Fläche, vier Ränder und vier Winkel unterscheiden. Die äussere convexe Fläche zeigt in ihrer Mitte den nicht immer gut ausgeprägten Scheitelhöcker (Tuher parietale). Sie wird unter dem Scheitelhöcker, durch eine mit dem unteren Rande des Knochens fast parallel laufende Linea semieircularis (welche zu- weilen doppelt angetroffen wird, als obere und untere), in einen oberen grösseren und unteren kleineren Abschnitt getheilt. Nur der untere x\.bschnitt hilft, zugleich mit den betreffenden Theilen des Stirn-, Keil- und Schläfebeins, das au der Seitenwaud des Schädels befindliche Planum temporale s. semicirculare bilden, von welchem später (§. 116, 4). Die innere concave Fläche zeigt: (() Die gewöhnlichen Fingereindrücke und Cerebraljuga und längs des oberen Randes mehrere Pacchioni'sche Gruben. }>) Zwei bauinförmig verzweigte, dem Gerippe eines Feigenblattes ähnliche Gefässfurchen, Sulci menimjei, für die Ramificationen der Arteria durae matris media und der sie begleitenden Venen. Die vordere dieser Furchen geht vom vorderen unteren Winkel des Knochens aus und ist öfters an ihrem Beginne zu einem Kanal zugewölbt. Die hintere beginnt an der Mitte des unteren Randes. c) Zwei breite venöse Sulci. Der eine erstreckt sich längs des oberen Randes des Knochens und erzeugt, zugleich mit dem gleichen des anderen Seitenwandbeins, eine Furche zur Ein- lagerung des Sinus longitudinalis superior der harten Hirnhaut. Der zweite, viel kürzer und bogenförmig gekrümmt, nimmt den hinteren unteren Winkel des Knochens ein, und dient zur Aufnahme eines Theiles des Sinus transversus. §. 100. Seitenwandbeine oder Scheitelbeine. 303 Die vier Eänder werden, ihrer Lage und Verbindung nacli, in den oberen, Margo sagittalis, in den untereo, Margo squamosus s. temporaUs, in den vorderen, Margo coronalis, und in den hin- teren, Margo lambdoideus, eingetheilt. Nur der untere bildet ein concaves Bogenstück, welches durch das bis zum Verschmelzen ge- deihende Aneinanderschmiegen der beiden Tafeln des Knochens, scharf schneidend ausläuft; die übrigen drei Eänder sind gerade und ausgezeichnet zackig. Es ist unrichtig, die Zuscliärl'ung des unteren Bandes durch Verkürzung der äusseren Tafel und dadurch bedingtes relatives Läugersein der inneren Tafel zu erklären. Man überzeugt sich bei senkrechten Durchschnitten des Knochens, dass die äussere Tafel ebenso weit herabreicht, wie die innere, die Diploe aber zwischen beiden Tafeln allmälig so abnimmt, dass es endlich zum Verschmelzen beider Tafeln kommt, — daher die Schärfe des Randes, Dieselbe Berichtigung gilt auch für den oberen Rand der Schuppe des Schläfebeins, welcher den unteren Rand des Seitenwandbeins überlagert. — Sehr oft, besonders an knochenstarken Schädeln, zeigt eine etwa fingerbreite Zone über dem unteren Rande des Seiten- wandbeins ein auffallend stark gerifftes Ansehen. Den Furchen zwischen den Riffen entsprechen dann kurze und schmale Zacken am oberen Rande der Schläfenbeinschuppe. Die vier Winkel, welche nach den angrenzenden Knochen genannt werden, sind: der vordere obere, Angulus frontalis, der vordere untere, Angulus sphenoidalis, der hintere obere, Angidus lambdoideus s. occipitalis, der hintere untere, Angidus mastoideus. Der Angulus sphenoidalis ist der spitzigste, der Angulus mastoideus der stumpfste. Gegen das hintere Ende des Margo sagittalis findet sich das Foramen parietale, welches häufig auf einer oder auf beiden Seiten fehlt. Es dient einem Santorini'schen Emissarium zum Austritt. Der Knochen bietet, ausser dem sehr seltenen Zerfallen in zwei Stücke durch eine Quernaht, und der excedirenden Grösse des Foramen parietale, keine erwähnenswerthen Abweichungen dar. Grub er hat alles über diese beiden Abweichungen Bekannte, mit eigenen Beobachtungen vermehrt, im Archiv für pathol. Anatomie, 1870, zusammengestellt. — Das Seitenwandbein ist der einzige Schädelknochen, welcher nur aus Einem Ossificationspunkte entsteht. Dieser entspricht dem Tuher 'parietale. — Der häufig von älteren Autoren gebrauchte Name Ossa bregmatica stammt von ß^ix^iv, befeuchten. In der Kindheit der Medicin glaubte man nämlich, dass die Borken, welche sich so häufig am Kopfe von Säuglingen bilden, durch eine vom Gehirn ausgeschwitzte, durch die Nähte der Hirnschale und durch die Haut durchsickernde Feuchtigkeit, welche an der Luft vertrocknet, entstehen. Uebrigens wird ßQsyficc sehr oft für Oberkopf oder Vor der köpf gebraucht. Fer tropum als Contentum pro Continente, konnte es auf das Gehirn selbst übertragen worden sein, woraus sich das nieder- sächsische Brägen, das englische brain und das holländische bregne für Gehirn erklären. Ossa verticis werden diese Knochen genannt, weil in der Naht, welche sie beide mit einander verbindet, jener Punkt liegt, um welchen herum die Haupthaare im Wirbel (vertex) stehen. Es giebt Menschen mit zwei Haarwirbeln 304 S 101 SchlÄfohein.«. {dix'jQrcfoi bi'i Ari.stotfles). Diese tluppelten Wirliel entsprechen iltn Tubera parietalia. Sulehen Menschen schrieb iiian Aiiwaitsi halt auf ein huiires Lehen zu und nannte sie deshalb /uiHQ'Jßtoi. Ueber das liäutif^c Vorkoninien einer doppelten Linea setnicircularis am Seitenwandbein. und ihren Einliuss auf die (iestalt der Hirnschale habe ich zahlreiche Beobachtungen in einer, im XXXII. Bande der Denkschriften der Wiener Akademie enthaltenen AbJiandlung nietlerpelegt. §. 101. Sclücäfebeine. Die ])aarii;eii Sclilätebeiue, Ossa U'itijwrinn (O.s.sa parietalia inferiora, lapidosa, squamosa, vrotaphitica, von Kfi^rcitpog, Seliläfe, — mcmento mori), neliineu tlieil.s die Ba.sis des Schädels, theils die Scilla feij^ej^end desselben ein, wo das f'rülizeiti<;e Eri^raiien der Kopf- haare an die Ftaja temporis erinnert, — daher der lateinische Name. Die Schläfeheine werden zur Erleiehterunü; ihrer Beschreibung^ in drei Theile: als Schuj)i)en-, Felsen- und Warzentheil ein- jU^etheilt, welche sich zu der, au der äusseren Seite des Knochens befindlichen grössten OefFnung desselben — dem äusseren Gehör- gang, Meatns .s. Povus auditoriiis twternas oatieuä — so verhalten, dass der Schuppentheil über, der Felsentheil einwärts, der Warzen- theil hinter derselben zu liegen koinint. Diese drei Theile entsprechen aber nielit den drei Stücken, aus welchen das « mbryunische Schläfebein besteht, indem 1. der Felsen- und Warzen- theil niemals getrennt, sundern immer als Ott petroso-mastoideum mit einander vereint existircn, und 2. die Schuppe und das der Bildung des äusseren Gehör- ganges zu Grunde liegende Od tyuipanicum aus eigenen Ossiticatiunsiiunkten entstehen. Soll die Anatomie des Schläfebeins gut verstanden werden, erfordert das Studium seiner Einzel iihiMten mehr Aufmerksamkeit, als ihnen gewöhnlich zu Theil wird. Diese Einzelnheiten sind: 1. Der Schuppentheil, Squama (Lcpimna, \(m AfTrt?, Schuppe), steigt mit sanfter Wöli)ung gegen das Seitenwandbein senkrecht empor. An seiner äusseren Fläche ragt vor und über dem J/t?«/^?rnährungslöchern bei äusserer Besichtigung des Knochens nicht zu unterscheiden sind, nur durch sorgsames Sondiren mit dünnen Borsten ausfindig gemacht werden. DIp drei Räiulei* des Felsentlieils sind: der obere, vordere, uud hintere. Der obere stellt die Yereinigning.skante der hinteren Felsenbeinfläche mit der oberen dar. Er erscheint besonders an seiner äusseren Hälfte tief gefurcht, als Sulcus petrosus superior. — Der vordere ist der kürzeste, und bildet, mit dem unteren Stücke des vorderen Schuppeurandes, einen einspringenden Winkel, welcher die Spina angularis des Keilbeins aufnimmt. Am äusseren Ende dieses Randes liegt eine, in die Trommelhölde führende nnregelmässige Oeffuung, welche durch eine Knochenleiste in eine obere kleinere, und untere grössere Abtheilung gebracht wird. Erstere führt in den Semicanalis tensoris tympani, letztere gehört der knöchernen Tuba Eustachii an. Semicanalis tensoris tympani und Tnha Eustarhii ossea werden zusammen als Canalis niuscKlo-tubarius aufgefasst, ein Aus- druck, bei welchem man nicht ernsthaft bleiben kann, denn tuharius heisst im guten Latein ein Trompetenmacher. — Der hintere Rand der Pyramide erscheint durch die seichte und glatte Incisura jugularis ausgeschnitten, welche mit der gleichnamigen Ineisur des Gelenk- theiles des Hinterhauptbeines, das Drosseladerloch (Foramen jugu- lare s. lacerum) zusammensetzt. 3. Der AVarzen- oder Zitzeutheil (Pars mastoidea) befindet sich hinter dem Meatus auditorius extermis. Er besitzt eine äussere convexe und rauhe, und eine innere concave, glatte Fläche. Die äussere Fläche zeigt den nach unten gerichteten Processus niasto- idem,^) welcher von unten durch die Incisura maMoidea wie eingefeilt erscheint. Er schliesst eine vielzellige Höhle (Cellulae mastoideae) ein, welche mit der Trommelhöhle in freiem Verkehr steht, und von ihr aus mit Luft gefüllt Avird, also pneumatisch ist. Der Processus uiastoideus wird von der hinteren Peripherie des äusseren Gehör- ganges durch eine Spalte abgegrenzt (Fissura ttjmpano-mastoidea), welche, wie früher angeführt, die Endmündung des Canalicidus mastoideus enthält. Die innere Fläche zeichnet sich durch eine breite, tiefe, halbmondförmig gekrümmte Furche aus (Fossa sigmoidea, '' Weder mit der weiblichen Brust [fiaazög), welche halbkugelig ist, noch mit der kleinen Papille derselben kann dieser Fortsatz verglichen werden. Er erhielt vielmehr von Galen seinen >'amen von [laatög, als Kuheuter, mit welchem zwar nicht seine Grösse, aber seine Gestalt übereinstimmt fvaccinum über figurae similitudine exprimit. Blan- cardus, Lex. med. Edit. Kühn, pag. 919). Der Name Warzenfortsatz aber ist eine gänzlich verfehlte deutsche Erfindung. §. 101. Schläfebeine. 309 von eiyfia-eiSog, C-, niclit 2J-förmig'), in welelie sich der quere Blut- leiter der harten Hirnhaut einlagert. Ein zuweilen fehlendes, und zum Durchgänge eines Santorini'schen Emissariums dienendes Loch (Foramen mastoideum), führt von dieser Furche zur Aussenfläche des Knochens. — Die Ränder des Warzentheils sind: der obere, zur tiefgreifenden Nahtverbindung mit dem Angulus mastoideum des Scheitelbeins, und der hintere, zur schwächer gezackten Ver- einigung mit dem unteren Theile des Seitenrandes der Hinterhaupt- schuppe. Im Inneren des Sehläfebeins liegt, zwischen dem Meatus audi- torius externus und dem Felsentheile, die Paukenhöhle (Cavum tympani), und in der Felsenpyramide selbst, das Labyrinth des Grehörorgans. Viele im Text angeführte Kanäle und OefFnungen stehen in einem innigen Bezüge zum inneren Gehörorgane, und können erst, wenn der Bau des letzteren bekannt ist, richtig aufgefasst und ver- standen werden. Deshalb macht das Studium des Schläfebeins dem Anfänger gewöhnlich die grössten Schwierigkeiten, die wohl in der Natur der Sache liegen, und nur dann verschwinden, wenn man die äussere Oberfläche des Knochens auf seinen Inhalt bezieht, welcher aber erst in der Lehre von den Sinnesorganen besprochen wird. Eine genaue Kenntniss des Felsenbeins bildet somit eine Vorbedin- gung zum praktischen Studium des Gehörorgans, und giebt insbe- sondere dem Anfänger einen leitenden Faden in die Hand, ohne welchen er sich nie in jenen finsteren Revieren zurechtfinden kann, welche das „Labyrinth" des Gehörorganes bilden, wo, wenn auch kein blutlechzender Minotaurus zu fürchten, doch missmuthige Ver- zagtheit genug zu holen ist. Varianten des Sehläfebeins sind: 1. Theilung der Schuppe durch .eine Quernaht (Grub er). 2. Ein vom vorderen Eande der Schuppe ausgehender breiter Fortsatz schiebt sich zwischen den Angulus sphenoidalis des Seitenwand- beins und den grossen Keilbeinflügel ein und erreicht den Margo coronalis des Stirnbeins. Er kommt dadurch zu Stande, dass ein in der vorderen seitlichen Fontanelle entwickelter Schaltknochen (§. 103) mit dem Yorderen Schuppen- rande, nicht aber mit dem Seitenwandbein verwächst. 3. Bedeutende, bis auf 3 Zoll steigende Länge des Griffels (Grub er), oder Zusammensetzung des- selben aus zwei durch Synchondrose oder Synostose verbundenen Stücken, sowie Gegenwart einer Markhöhle in ihm. 4. Am oberen Felsenbeinrande eine narbig eingezogene Vertiefung, als Ueberbleibsel einer am embryonischen Felsenbein unter dem oberen Canalis semicircularis des Gehörlabyrinths befindlichen Grube, welche Tröltsch als Fossa subarcuata benannte. 5. Vorkommen von Schalt- knochen in der Fuge zwischen der Pyramide und der Pars hasilaris des Hinterhauptbeins bis zum Keilbeinkörper hin. Sie liegen nur lose in dieser Fuge und fallen beim Maceriren aus. Am festesten haftet noch das der Felsen- beinspitze nächst gelegene Knöchelchen, welches mit einer rauhen Fläche in einem Grübchen des Felsenbeins ruht. Man hatte diesem Knöchelchen unrichtig 310 §• l*^-- VorliinduMRsnHi'Ti der Pcliüilellcnorlion. Fon);infllpn. den Nanion O.osiculum .lesamoideuni Cortesii beigelegt. ITcnle zeigte, dass Corteso (Kiiö) es nur mit Verknüeliennigen der Carotis interna zu tliun hatte. Grub er handelt ausführlieh ülar die zwiselien Felsenbein und Keill)ein, und zwischen Felsenbein und Basilantheil des Hinterhauptbeins vorkommenden Schalt- knoohen in seinen Beiträgen zur Anatomie der Schädelbasis, St. Petersburg, 18G9. Ein Sehaltlcnoehen im Tetjmentum tympani wurde gleichfalls von Gm her aufgefunden. 6. Eine selir interessante, von Luschka beschriebene Anomalie bestellt in einem unter der Wurzel des .Tochbogens vorkommenden Loche (bis 1 '/•..'' weit), welches in eine längs der Sutura 'petroso-squamosa y^rlanieriAe Furche einmündet. Diese Furche findet sich auch ohne Loch und dient einem Blutleiter (Sinus petroso-squamosus) zur Aufnahme. Luschka nannte das Loch: Foramen jugulare spurium, indem der Sinus petroso-squamosus sich durch dasselbe in die Vena jugularis externa fortsetzt (Zeitschr. f. rat. Med.. 1859). 7. Nach G. Zoja (SuW apofisi mastoidea, Milane, 1864) fliessen die Zellen des Warzenfortsatzes zuweilen zu einer einzigen grossen Cavitas mastoidea zusammen. Sie erstrecken sich zuweilen bis in den unteren Theil der Schuppe, selbst bis in die Wurzel des Jochfortsatzes. 8. Ein von der hinteren Fläche der Pyramide zu den Zellen des Warzenfortsatzes führender, enger, durch einen Fortsatz der harten Hirnhaut ausgekleideter Kanal wurde von Voltolini als Canalis petroso-mastoideus beschrieben. 9. Sehr selten geht vom oberen Kande beider Schuppen ein schief nach oben und hinten gerichteter Fortsatz aus, von der Länge und Breite einer Federmesserklinge. Er überlagert eine Furche der äusseren Fläche des Seitenwandbeins, in welcher ein durch die Sehuppennaht hervortretender Ast der Arteria meningea media aufgenommen wird. Am Affen- schädel kam er mir ebenfalls vor, besonders schön an einem weiblichen Orangschädel meiner Sammlung. Was könnte ein Darwinianer aus dieser Kleinigkeit Grosses machen! 10. Mit dem Schläfebein unverschmolzene Schuppen- theile beschrieb kürzlich Prof. L. Calori in Bologna, und vor ihm schon Otto (1834). §. 102. Yerbindungsarten der Scliädelknochen. Fontanellen. A. Verbindungsarten der Scliädelknochen. Die Verbindung- der Schädelknocheu zur Construction der Hirnscliale wird auf verseliiedene Weise, aber immer sehr fest, durch -wahre und falsche Nähte, durch Anlagerung- (Harmonie), und durch 8 y n c h o u d r o s e bewerkstelligt. Naht und Harmonie komm«Mi nur an den Schädelkuochen, sonst aber nirgends am Skelete vor. 1. Wahre Nähte (Sidurae verae, bei den Griechen ^acpcä) sind jene, welche durch die Verbindung tief gezahnter Knochenränder gegeben werden. Zwei mit den Zähnen in einander geschobene Kämme geben erst dann ein Bild der Verzackung einer Stitura vera (Kamm na th bei unseren deutschen Altvordern), wenn man sieh die Kammzähne selbst wieder mit kürzeren Seitenzacken besetzt denkt. Die Kranz- oder Kronennaht (Sahira coronalls) zwischen dem Stirnbein und den beiden Scheitelbeinen, die Pfeiluaht (Sutura sagittalis, s. recta s. interparietalis) zwischen beiden Scheitelbeinen, §. 102. Vertindungsarten der Sehadelknochen. Fontanellen. 311 die Lambda- oder Winkelnaht (Sutura lambdoidea) zwischen Hinterhauptsehuppe und hinteren Rändern beider Scheitelbeine, die Warzennaht (Sutura mastoidea) zwischen Warzentheil des Schläfe- beins, und unterem Seitenrande der Hinterhanptschnppe, sowie die abnorme, das Stirnbein in zwei seitliche Hälften theilende Stirn- naht (Sutura frontalis), sind die Repräsentanten der wahren Schädel- nähte. Alle diese Nähte erscheinen nur bei äusserer Ansicht der Hirnschale als wahre Nähte. You innen gesehen besitzt keine der- selben das zackige Ansehen, welches den Charakter der wahren Naht bildet, sondern alle präsentiren sich als mehr weniger gerade Contactlinien, wie bei der sub 3 anzuführenden Harmonie. Bei Kahlköpfen, deren Schädeldach zuweilen so rund und glatt ist wie eine Billardkugel, kann man die Nähte, selbst durch die verdünnten und glän- zenden Schädeldecken hindurch, erkennen. Die Vorstellung der alten Aerzte, dass durch die Nähte die vapores u-ad fuligines des Gehirns ausdampfen, erklärt den jetzt vergessenen Namen der Nähte: Spiracula. Ausser den genannten wahren Nähten giebt es noch mehrere andere und kürzere am Schädel. Sie könnten, wenn sie einen Namen erhalten sollten, selben von den beiden Knochen entlehnen, welche sie vereinigen: Sutura squamosa- sphenoidalis, sphenofrontalis etc. — Jac. Sylvius erwähnt einen Schädel, an welchem alle Nähte doppelt waren. Im Petrus Paaw ( Succenturiatus anatomicus. Lugd., 1616) wird auf pag. 17 eine Abbildung eines solchen Schädels mit doppelten Nähten gegeben, und Mauchart hat in den Epheme- rides not. cur., Dec. III, Ann. 4, einen ähnlichen Fall beschrieben. Blumen- bach (Geschichte und Beschreibung der Knochen, pag. 187) sah an einem 17jährigen Wasserkopf die Stirn- und Lambdanaht doppelt. Diese Fälle lassen sich damit erklären, dass viele, in einer Eeihe liegende Nahtschaltknochen (nächster Paragraph) mit einander zu einem Streifen verschmolzen, wodurch die Naht, in welcher dieser Streifen lag, verdoppelt werden musste. 2. Falsche Nähte oder Schuppennähte (Suturae spuriae, s. Tnendosae, s. squamosae) bestehen als dachziegelförmige Uebereinander- schiebung zweier entgegengesetzt zugeschärfter Knochenränder. Sie kommen vor: 1. zwischen Schläfenschuppe und Seitenwandbein (Sutura temporo-parietalis) , und 2. zwischen Angulus sphenoidalis des Seitenwandbeins und oberem Rand des grossen Keilbeinflügels (Su- tura spheno-parietalis) . Die griechischen Aerzte gebrauchten für Schuppennähte den Ausdruck: Proscollemata lepidoidea, d. i. schuppenartige Zusammenlöthung , und die Lateiner: Agglutinatio squamiformis s. imbricata (von imbrex, Dachziegel). Die Worte Sutura mendosa und squamosa sind beide grundschlecht. Man muss statt mendosa, welches fehlerhaft bedeutet, richtig mendax sagen (falsch). — Statt Sutura squamosa wäre 5. squamiformis zu sagen, denn squamosus heisst schuppenreich fpisces corpore squamoso, Cicero), was diese Naht sicher nicht ist. 3. Einfache Anlagerung oder Harmonie, durch rauhe, nicht gezackte Knochenränder, zwischen welchen aber eine dünne Knorpel- sehichte vorkommt, findet sich zwischen dem vorderen Rande der 312 S. lii'J, VcrlündiiiiK'äailPM der ScMdelkiiocluüi. VonlanoUen. Sclilä{'eu])yr;iinli'rßcies orhitoli^i ti. Ph(~ tiinit iirl'itdlr, ist dreieckig und iiacli vorn und aussen etwas abschüssig. A on ihren drei Rändern trägt nur der innere dort kurze Ts'ahtzacken, wo er sich mit dem unteren Rande der Ldinltut papyracea des Siebbeins verbindet. Der vordere ist scharf, der hintere abgerundet. Der vordere l>iblet einen Theil des unteren Augenlicddenrandes (Martjo iiifi'(Uir/>lt der anzuwendenden Kraft. j\Ian hocrognot am Oborkiol'er zuwcilon ausscrtrewöhiiliihe Nähte oder Nahtspuren, welche als Reste cmbryonalci" l>ililun<,'szustaiule iles Knueheni? an- zusehen sind, a) Vom Foramen infraorhitnle zum gleiclinamipen Margo und zuweilen durch das ganze Planum orbitale laufend, h) Von der Spitze des Processus frontalis gegen den unteren Augenliühlcniand, wodurch das hintere die Thräuensackgruhc hildende Stück des Fortsatzes selbstständig wird (selten). c) Hinter den Sclinoidezälinen, quer durch das Foramen inciKirnvi gehend. Meckel erkannte zuerst in dieser Nahtspur eine Andeutung zur Isolirung des bei den Säugethieren cxistirenden und die Schueidozähnu tragenden Os incisi- vnm .«. intermaaillare. Am inneren Rande der Augenhöhlcnfläclio des Oberkiefers kommen öfter die Ccllulae orbitariae llalhri vor, welche zur Completirung des Siebbein- labyrinths verwendet werden. — Die Highuntrshöhle wird durch eine Scheide- wand, wie beim Pferde, getheilt, oder fehlt gänzlich, wie Morgagni gesehen zu haben versichert. — Ein oder mehrere Alveoli der Backen- und Mahlzähne communiciren mit der Kieferhühle und die Spitzen der Zahnwurzeln ragen frei in letztere liinauf. — Das Foramen infraorbitale wird doppelt wie bei einigen Quadrumanen. — Die beiilen Canalcs naKo-palatini verschmelzen im Herabsteigen nicht zu einem unpaaren medianen Kanal, sondern bleiben ge- trennt, so dass ein doppeltes Forainen incisivuni gegeben wird. Jedes derselben kann in eine vordere grössere und hintere kleinere Oeffnung getheilt sein. — Selten tritt zwischen zwei getrennt bleibenden Canales naso-palatini ein un- paarer medianer Kanal auf, welcher nach oben an die Nasenscheidewand stösst, und daselbst bliml cmligt. — Nicht ungewöhnlich erscheint das Foramen incisivuni als Endmündung einer geräumigen, erbsengrossen Höhle, in welche Höhle sich die beiden Canales naso-palatini öffnen. — Geht ein Zahn ver- loren, so schwindet dessen Alveolus durch Resorption, welcher Schwund im hohen Alter den ganzen zahnlosen Alvcolarfortsatz trifft. f>as Oberkieferbein heisst bei Ilippocrates r] ävco yvad-os zum Unter- schied von tj xKTco yva&og. Unterkiefer. §. 107. Jochbein. Das Jochbein. O*- ~i/r/omaticinn, wird auch Os molare nnd pigale genannt. Dasselbe hat, nach Verschiedenheit seiner Grösse und Stellung, einen sehr bestimmenden Einfluss auf die Gesichtsform. Wir erkennen in ihm einen massiven Strebepfeiler, durch welchen der Oberkiefer mit drei Schädelknochen — dem Stirn-, Keil- nnd Schläfebein — verbunden, und in seiner Lage befestigt wird, daher sein griechischer Name Zygoma (von ^vyoa, einjochen, verbinden) und sein lateinischer: Os juffale, von dem ans jwnr/o gebildeten JM//??/n, Joch). — Das Jochbein zeigt uns zwei Fortsätze, welche nach jenen Schädelknochen, zu welchen sie gehen, benannt werden. Der nach §. 107. Jochbein. 325 oben gerichtete Stirnbeiufortsatz, welcher auch eine Nahtverbin- dung mit dem äusseren Rand der Orbitalfläche des grossen Keilbein- fliigels eingeht, und deshalb auch Processus spheno-frontalh heisst, muss der stärkste sein, da der Druck beim Beissen von unten her auf den Oberkiefer wirkt, und folglich seinem Ausweichen nur durch eine starke Stütze am Stirnbein entgegengewirkt werden konnte. Unterhalb der Verbindung mit dem grossen Keilbeinflügel zeigt dieser Fortsatz einen Ausschnitt, welcher die Fissura orhitalis inf. nach aussen abschliesst. — Der nach hinten gerichtete Jochfortsatz bildet mit dem entgegen wachsenden Jochfortsatze des Schläfebeins eine knöcherne Brücke (Pons s. Arcus zygomaticus) , welche die Schläfengrube horizontal überwölbt, und ihrer, bei verschiedenen Menschenracen verschiedenen Bogenspannung und Stärke wegen, als anatomischer Racencharakter benützt wird. Beide Jochbrücken stehen am Schädel, wie horizontale Henkel an einem Topfe — daher der alte Name Ansäe capitis. Ein eigentlicher Körper mit kubischen Dimensionen fehlt am Jochbeine. Wir nennen den mit dem Jochfortsatze des Oberkiefers durch eine dreieckige, rauhgezackte Stelle verbundenen Theil des Knochens: den Körper, welcher ohne scharf gezeichnete Grenzen in die Fortsätze übergeht. — Die Flächen des Knochens, welche eben so gut den Fortsätzen, wie dem Körper angehören, sind: die Gresichts-, Schläfen- und Augenhöhlenfläche. Von der Augen- höhlenfläche zur Gresichtsfläche läuft durch die Substanz des Knochens der Canalis zygomaticus facialis. Ton ihm zweigt sich meistens ein feinerer Nebenkanal ab, welcher zur Schläfenfläche des Jochbeins führt. Es findet sich aber an wandelbarer Stelle, gewöhnlich hinter dem Canalis zygomaticus facialis, noch ein zweiter, das Jochbein durchsetzender Kanal, als Canalis zygomaticus temporalis, von der Augenhöhle in die Schläfengrube führend. — Der Rand, welcher die Augenhöhlen- und Gesichtsfläche des Jochbeins trennt, ergänzt die äussere Umrandung der Orbita. Das Jochbein entspricht dem hervorragendsten Theil der Wange, mala (von mando, wie scala von scandoj. Seine Verwendung als Stützknochen und seine vorspringende, durch mechanische Schädlichkeiten von aussen her leicht zu treffende Lage erfordert es, dass das Jochbein der stärkste Knochen der oberen Hälfte des Gesichtsskeletes ist. Es schliesst deshalb auch keine Höhle ein. — Das Jochbein variirt nur wenig, und fehlt in äusserst seltenen Fällen (Dumeril, Meckel), oder wird durch Quernähte in zwei (Sandifort), ja selbst in drei Stücke (Spix) getheilt. Von den beiden, durch eine Quernaht bedungenen Stücken des Jochbeins, wird das untere von dem oberen an Grösse so sehr übertroffen, dass es nur die Form einer schmalen Xnochen- spange besitzt. Das relativ häufigere Vorkommen dieser Quertheilung des Jochbeins bei den Japanesen (7 Procent) verhalf dem unteren Stück des Knochens zu dem Namen Os Japonicum. Der Processus spheno-frontalis des 32C §. l"''"'. N.T^.'iilM'in. Jiichlit'ins l)ilili't iinsiiiiliiiiswcisc iiidit lilns dfii äusseren Alisohluss, sondern aiuh, wie beim Oran^. einen TIkmI des olieren Randes, der Fisstira orbitali.* in/. — An dem der Sehlilfe y.ngekelirlen Rande des Knoelieiis liefindet sich häufig eine stumpfe Ecke oder Zacke, als Processus waroinalis. — Nicht ganz selten fehlt der Canalis zUiiomatictL'< facialis, wo dann der aus der Augenhöhle in die Sehläfengruhe führende Kanal um so stärker entwickelt angetroffen wird. — Kei mehreren Edentaten und heim Tenrec (Cenfetes ecaudatus) fehlt der Arcus zyiiötnaticus gäu/licli, und wird auch im Älensclien als grosse Selten- luil. unvollkommen geschlossen angetroffen (Wiener AFuseum). im Hi )i])ocrates heissen die .Tochheine yivyilut nguaÜTiuv. weil die (legenden, wilche diese ]>aarigen Knochen im Gesichte einnehmen, sich als harte und rundliche Tlügel anfühlen. Aus demselben Grunde nannten die Alten diese Knochen: ponKi faciei, welcher Name sich im fran/.üsischen pommette erhalten hat. — l?ei älteren Anatonn-n erscheint das Jochbein auch als Os siihnothirf, liujiopiuw, ciiyoiDa und 2*?ft//c?r>». der Sehamrüllu> wegen. §. 108. Nasenbein. Das NaseniMMii, Os nafti s. nasale, bildot mit seinem (lespaii (Ihii kiKu'lierneii Nasenrücken. ,.(/i(i, (/itasf tiuo'iis, ocitlis interjectus est", saj*t Cioent. Heide Nasenbeine sind zwiselien die oberen Enden (1er Stirufortsätze der Oberkiefer einge.sclioben, nnd stossen mit ihren inneren Rändern, wtdclie die SphKi ttasalis des Stirnheines decken, an einander. Sie stellen längliclie. aber nn<;leicliseitig'e Vierecke dar, und sind an ilirem oheren Kande viel dicker als am nnteren. Der (d)ere, kurze, nnd zackige Kand greift in die TiK'lsio'a iia.-^iil/s di^s Stirnbeins ein: der scharfe. nnter(\ länger«' liaml ist frei, nnd hegrcMizt die Licisura pi/rifonii/.^ nar/inii nach ()l)en. Die vordere glatte, schwach satteHVu-mig' i;ehöhlte Fläch«» nnd die hintere r.inlie, geg-en die Nasenhöhle sehende Fläche v«n'kehr«'n dni'ch «'in (»d«'r zwei Löcher (Fovanilna nasalia) mit einander. Die oberfläeblielie Lage der Nasenbeine setzt sie den Brüehen mit Ein- druek aus. Letzterer wird, da man der hinteren Fläche der Knochen von der Nase ans beikann, nicht schwer zu heben sein. — Kein Knochen des Ge- sichts erreicht seine volle Ausbildung so frühzeitig und ist im neugebornen Kinde schon so sehr entwickelt, wie die Nasenbeine. Sie sind äusserst selten einander vollkommen gleich, verschmelzen am Hottentottensehädel theilweise oder ganz mit einander (Affenähnlichkeit), oder fehlen einseitig oder beiderseits nnd werden dann durch grössere Breite des Stirnfortsatzes des Oberkiefers ersetzt. — An einem Schädel meiner Sammlung findet sich ein von oben her zwischen beide Nasenbeine eingekeiltes dreieckiges Knöchelehen vor, welches mit dem vorderen Rande der Spina nasalis des Stirnbeins verwachsen ist (Hyrtl, Ueber Schaltknochen am Nasenrücken, Oesterr. Zeitschrift für prakt. Heilkunde, 1861, Nr. 49). — Mayer erwähnt noch zweier accessorischer, kleiner Knöchelchen, welche sich unter hundert Schädeln 2 — .3mal in einem dreieckigen Ausschnitte zwischen den unteren Rändern der Nasenbeine vorfanden und die er für Analoga der bei einigen Säugethieren (Maulwurf) vorkommenden Rüssel- knochen hält (Arebiv für physiol. Heilkunde. 1849). — Mayer nennt sie Ossa internasaVni. bli würde sie lieber mit dem Os praenastde einiger Eden- taten vergleiehen. §. 109. Gaumenbein. 327 Ueber Formabweichungen der Nasenbeine handelte Van der Hoeven in der Zeitschrift für Wissenschaft!. Zool., 1861. §. 109. Graumenbein. Das zartgebante, und seiner Grebrechlielikeit wegen selten im unversehrten Znstande zn erhaltende Gaumenbein, 0.<; palatinum, bildet insofern einen Snpplementkuoeheu des ( Oberkiefers, als es die Nasenfläche und den Ganmenfortsatz dieses Knochens, beide in der Richtung nach hinten vergrössert. Da nun die Nasenfläehe und der Gaumenfortsatz des Oberkiefers zu einander im rechten Winkel stehen, so muss auch das Gaumenbein aus zwei rechtwinkelig zu- sammengefügten Stücken — Pars perpendicularis und horizonfalls — zusammengesetzt sein. a) Die dünne und länglich-viereckige Pars perpeaämdaris besitzt an ihrer inneren Fläclie zwei horizontale, rauhe Leisten: die untere, stärker üwsgepviigte (Crista titrhinaUs) für die Anlage der unteren Nasenmuschel, die obere, schwächere (Crista ethmoi- dalis) für die Coneha eilimoidalis inferior. Die äussere Fläche legt sich an die Superficies nasalis des Oberkieferkörpers hinter der Oeffnung der Highmorshöhle an. Der vordere Rand ver- längert sich zu einem dreieckigen dünnen Fortsatze, der sich von hinten her über die Oeffnung der Highmorshöhle schiebt, und dieselbe verengert. Der hintere Rand zeigt den Sidcus ■pterygo-palatimis, darum so genannt, weil er mit dem, am vor- deren Rande des Processus pteri/goideiis des Keilbeins befind- lichen, ähnlichen Sidcus, den Canalis pterygo-palatinus bilden hilft, zu dessen vollkommener Schliessung aneh die, am hinteren Winkel des Oberkieferkörpers befindliche, seichte Längenfurche concurrirt. — Yom oberen Rande entspringen zwei Fortsätze, welche durch eine tiefe Incisur von einander getrennt werden. Die Incisur wird dnrch die untere Fläche des Keilbeinkörpers zu einem Loche (Foramen spheno-palatinum), von drei Linien Querdurchmesser geschlossen. Der vordere Fortsatz wird zur Bildung der Augenhöhle einbezogen, und heisst deshalb Pro- cessus orbitalis. Er schmiegt sich zwischen den inneren Rand der Augenhöhlenfläche des Oberkiefers, und die Lamina pa- pyracea des Siebbeins hinein, und enthält sehr häufig 2—3 kleine Cellulae palatinae, welche die hinteren Siebbeinzellen decken und schliesseu. Der hintere Fortsatz, Processus sphenoi- dalis, krümmt sich gegen die untere Fläche des Keilbein- körpers, nnd überbrückt die daselbst erwähnte Längenfurche zu einem Kanal (Canalis spheno-palatimis, §. 97, a). b) Die Pars horizontalis ist zwar stärker, aber kleiner, als die 328 * "" i'hran.nl.i'iii. siMikroelitc IM.itto dos (i.niincnlx'iiis. Viereckig V(»n (lestalt, l>il(lot sie den hinteren kleineren 'l'lieil des li;irten (Janinens. I )er innere, znr zackigen VerMndnni; mit dem |;leii'luiamig'en Fortsatze dos <;oi;onsoitii;'en (lanmonUoins dienende Kand wirft siel), 'voreint mit diesem, zu (»iner Crista anf, wolcho sich nach vorn in die, dnreh die ( lanmentortsätzc» dos Oborkiefers ge- l)ihlete i'rist(( iiten/ erklärt liiMlänglicb ibre Sebwiicbe. — ISIangel der unteren Nasennuisebeln kann durob Nasengesebwüre (Ozaetia, von ojw. olfucere) bedingt, aber aucli angeboren sein. Die unteren Nasenmuscbeln verwaebsen frübzeitig mit den Knooben, zu weleben sie Fortsätze scbicken, und wurden desbalb trüber für Tbeile anderer (jesiebtsknoeben gebalten: des Tbränenbeins (Winslow), des Gaumenbeins (San- torini), des Siebbeins (Fallopia, Ilnnold). — Der alte Name der Nasen- niuscbel als St a ni tzel b ei n ist eine triviale l'ebersetzung von Manica Hippo- cratis, eine Filtrir d ii 1 >• d.v A|m.1]ii kcr. mit welclier Casserius diesen Knoeben verglit'b. <^. 112. Pflugscliarbein. s ^\"i(' die NiisciiiHUscIielii ist ;nu'li das P t'l u o'scli a rl)pi n, Os vomeris, i;;uiz in die Nas(Mili('>lil(' cinltczdoiMi. Dasstdl)»* ('i">('lHMiit als ein nnpaan^r. dflolicr, raiitiMit'ormio'ci- Kmu'Iicii, vvclclicr den untpreu Tlieil «ItT knöclicriHMi XascnscluMdewaiid leidet. Hs ist selten voll- koniint'ii jdaii. ^^mdl'l•ll meistens ge^en ilie eine oder andere Seite etwas ausgebogen. Sein oberer Rand erscheint in zwei Lefzen gespalten, welche Alae romeris heisseii, und die Crit')'i»>i}iJi<'uhirif>- (hvs Si<»bbeins, an seinem unteren mit dem vier(»ckigen Nasensclieich^waudknorpel; — der hintere, kürzeste, steht frei, und theilt die liintere NasenöfFnung in zwei scMtliche Hälften — Choanae (.^'. IKi). Das frübzeitige Verwaebsen des Pflugsebarbeins mit der senkreiiiteii Platte des Siebbeins ist der Grund, warum es von Santurini, Petit und Lieutaud uicbt als selbstständiger Gesicbtskuuelicn, sondern als 'l'beil des Sielibeins beschrieben wurde. Die altePflugsehar, vomer oder vomis, war keine gikrünnnteEisenidatte. wie es unser Pflugeisen ist, sondern plan, wie das Pflugscharbein. Sie konnte also nur Furchen machen, aber die ausgehobene Erde nicht zur Seite werfen, wie unser Pflug. Das griechische vvvLg, für Pflugscharbein, stammt von vg (sus), Schwein, Welches Thier mit dem Eüssel die Erde aufwülilt und dadurch die Veranlassung zur Erfindung d.s nützlichsten aller Werkzeuge — des Pfluges — gab. Im Kinde besteht die Pll.'.;;c]iar aus zwei, einen zwischenliegenden Rest des Primordial- tnorpels der Schädelbasis einschliessenden dünnen Knochenlamellen. Das Knorpel- blatt setzt sich ununterbrochen in den Nasenschoidewandkuorpel fort. — Im Erwachsenen findet sich noch ein Residuum des Knorpels zwischen den beiden Lamellen des Vomer. — Zwischen den Alae vomeris und der unteren Fläche des Keilbeinkörpers existirt auch im Erwachsenen ein Loch, welches einen Ast der Rachenscblagader durch den Vomer hindurch zum Nasenscheidewand- knorpel gelangen lässt. (Tourtiial, der Pflugscharknorpel, im Rheinischen C'orre- spondenzblatt, 1845, Nr. 10 und H.) §. 113. Unterkiefer. 331 §. 113. Unterkiefer. Der stärkste und massivste unter allen Scliädelknoclien ist der Unterkiefer, auch Kinnlade, Mcurüla inferior, ' seinev Bewe- gaing" beim Kauen wegen aneli MandihvJa genannt, von mando. Er bildet die untere, bewegliche Hälfte des Gesichtsskelets und stellt gewissermaassen die in der Mittellinie verwachsenen Rippen des Kopfes dar. Man theilt ihn in den Körper und die beiden Aeste ein. 1. Das parabolisch gekrümmte, zahntragende Mittelstück des Knochens lieisst Körper. In der Mitte der vorderen Fläche des- selben bemerkt man die Protuherantia mentalis als die Stelle, wo die im Neugel^orenen noch getrennten Seitenhälften des Unterkiefers mit einander verwachsen. Einen Zoll breit von der Protnberantia nach aussen liegt das Kinnloch, Foramen mentale s. maxillare an- terius, unter welchem die nicht immer gut ausgeprägte Linea ohliqna e.rterna. zum Aorderen Rande des Astes hinaufzieht. In der Mitte der hinteren Fläche ragt der ein- oder zweispitzig-e Kinnstachel, Spina mentalis interna, hervor. In einiger Entfernung nach aussen von ihm, beginnt die Linea oJ>liqua interna s. mylo-hifoidea, deren Richtung mit der äusseren so ziemlich übereinstimmt. Der untere Rand ist dick und stumpf und unter dem Kinnstachel mit zwei rauhen Eindrücken für den Ursprung- der vorderen Bäuche der Muscidi di/iastrici versehen; der obere ist gefächert und besitzt IG Zahnzellen, Alveoli, welche den Zahnwurzeln entsprechend ge- formt sind. Da die Wurzeln der Schueide- und Eckzähne des Unterkiefers nicht konisch sind, wie jene des Oberkiefers, sondern seitlich comprimirt erscheinen, so nehmen sie weniger Eaum in Anspruch und der obere Rand des Unterkiefers wird, so weit er die genannten Zähne trägt, einen kleineren Bogen bilden, als der entsprechende Theil der Alveolarfortsätze beider Oberkiefer. Aus diesem Grunde stehen bei geschlossenen Kiefern die Schneidezähne des Unterkiefers hinter jenen des Oberkiefers zurück. 2. Die Aeste steigen vom hinteren Ende des Körpers schräg an. Ihre äussere Fläche ist ziemlich glatt, die innere hat in ihrer Mitte das durch ein kleines vorstehendes Knochenschüppchen (Zünglein, Lingula) geschützte Foramen maxillare internvm, als An= fang eines, durch den Körper schief nach vorn laufenden und am Foramen mentale endigenden Kanals, des Canalis inframaanllaris s. alveolaris inferior. Yom Foramen maxillare internem läuft eine Rinne, Sulcus mylo-hioideus, schief nach abwärts. Sie entspriclit ziemlich genau der Richtung des Canalis inframa.rlllaris. In ihrem (jreleise zieht der gleichnamige Nerims miflo-h/oideus dahin. Der hintere längste Rand bildet mit dem unteren Rande des Körpers den Winkel des Unterkiefers, Angulus maxillae. — Am oberen Rande 332 § 11*- Kinnbacken- oder Kiefergplenk. lies Astes luMiicrkcii wir einen II;ill»nn>n(l;mss(liiiitt, »liii-cli welelieii eine vonlere und hintere Eleke desselben entsteht. Die vordere Ecke, Haeh und znu;espitzt, heisst Processus conniolfh'us; — die hintere Prtursstfs conrJifloiflcus. Er träi^-t ;nif einem rundüclien Halse ein iHieni\ales Kö|»rclien (i 'np/fii/n/ii s. ('oihIiiIiis), welehes in die Fossa iiliiioiddlis des Scidät'eheins passt. Der vordere Rand .■;eht ohne Unterbrec'huni;- nach unten in die Lhnui oh/ltjuti i'.rti'nid über. Der Untiikiiler rrscln int zuwiilcn am Kinne sdir hrcit fmnchoire d'nnej, zuweilon iiuhr weniger znges](itzt, beim sogenannten Bockskinn (nach La- vater ein Zoiclnn vom Hang zum Geiz). — Verlanl' und Weite des Canalis infra-ma^villaris variiien in verschii denen Lebonsepochen desselben Individuums. Beim neugobornen Kinde streicht er nahe am unteren Rande ib-s Krir]iers des Unterkiefers hin und ist sehr geräumig. Im .Jünglinge und Manne nimmt er die Mitte des Knochens ein und zieht nach der Richtung der Linea ohliqua interna. Im Greise, nach Verlust der Zähne, läuft er dicht unter dem zahn- fächerlosen oberen Rande des Körpers hin und erscheint bedeutend enger. — Den Processus coronoideun einen Kronenfortsatz zu nennen, ist zwar üblich, aber nicht etymologisch richtig, da der Name von xoQchvrj, Krähe, nicht von Corona stammt. Er gleicht bei gewissen Thieren einem Krähenschnabcl. Aller- dings aber kann man ihn Krohnenfortsatz nennen, da Krähe auch Krohne geschrieben wird. So sagt Coriolan: „Der Krohnenflug zur Linken seheint Unheil mir zu bringen." leli will noch anfüliren, dass b(i griechischen Autoren xoQävT] aueli den Haken an beiden Enden lines Bogens bedeutet, an welchem die Bogensehne 1h festigt wurde. Allerdings hat die Incisura semiliinari!' zu- sammt dem Kronenfortsatz eine Aehnlichkeit mit einem solchen Haken. Der Ausdruck Kinnlade für Unterkiefer beruht auf Lade, im Mönchs- latein Indida i. e. ci.-uno- in verticaler Richtun": ist die umfänglichste. — - Bei der Bewegung des Kiefers nach vor- uud rückwärts, tritt sein Gelenkkopf auf das Tnhercidum articulare hervor (Schubbewegnng) und gleitet wieder in die Fovea (/lenoidalis zurück, welche Bewegung anch bei weitem OefFneu und darauf folgendem Schliessen des Mundes stattfindet. Bei sehr weitem Aufsperren des Mundes wird der Gelenkkopf selbst vor das Tubercidi(m articnlare treten, über welches er dann nicht mehr zurück kann und der Kiefer somit verrenkt ist. Man versteht sonach, wie man sich durch ausgiebiges Gähnen in anatrimisclun Vorlesungen den Kiefer verrenken kann, und wie sich eine Frau, welche eine grosse Birne am dicken Ende an- beissen wollte, denselben Unfall zuziehen konnte. §. 114. Kinnbacken- oder Kiefergelenk. 33S Eine fibröse, sehr dünne, weite nnd laxe Kapsel nmgiebt das Gelenk, dessen Höhle durch einen ovalen, am Rande dicken, in der Mitte seiner Fläche dünneu, zuweilen hier selbst durchbrochenen Zwischenknorpel (Cartüago interartimlaris) in zwei über einander liegende Räume getrennt wird, welche besondere Synovialhäute be- sitzen. Der dicke Rand des Zwischenknorpels ist mit der fibrösen Kapsel verwachsen. Der Knorpel folgt den Bewegungen des Gelenk- kopfes, tritt mit ihm aus der Fossa glenoidalis auf das Tuberculum hervor und wieder zurück und dämpft die Gewalt der Stösse, welche die dünnwandige und durchscheinende Gelenkgrube des Schläfe- beins, bei kräftigem Zubeissen, durch das Zurückprallen des Unter- kieferkopfes von der Höhe des Tuberculum in die Fossa glenoidalis, auszuhalten hat. Seine wichtigste Leistung besteht aber darin, dass er den genauen allseitigen Contact zwischen Kopf des Unterkiefers, Fossa glenoidalis und Tuberculum des Schläfebeins vermittelt, wäh- rend, wenn der Zwischenknorpel nicht vorhanden wäre, die genannten Gebilde sich, ihrer nicht cougruenten Krümmung wegen, nur an Einem Punkte berühren könnten. — Das Gelenk besitzt zwei Seiten- bänder. Das äussere ist kurz, stark, mit der Gelenkskapsel ver- wachsen und geht von der Wurzel des Processus zygomaticus des Schläfebeins schief nach hinten und unten zur äusseren Seite des Unterkieferhalses; das innere, bedeutend länger und viel schwächer als das äussere, steht mit der Kapsel nicht in Contact, entspringt von der Spina angularis des Keilbeins und endigt an der Lingula des Unterkieferkanals. Ein vom GrifFelfortsatze des Schläfebeins zum Winkel des Unterkiefers herablaufender, breiter aber dünner Band- streifen, kann als Ligamentum stylo-maxillare angeführt werden. Er ist, so wie das Ligamentum laterale internum, streng genommen, kein eigentliches Band des Unterkiefers, sondern ein Theil einer später am Halse zu erwähnenden Fascie (Fascia hucco-pharyngea, §. 160). Da beim Aufsperren des Mundes der Gelenkkopf des Unterkiefers nach vorn auf das Tuberculum, der Winkel aber nach hinten geht, wie man sich leicht am eigenen Kinnbacken mit dem Finger überzeugen kann, so muss in der senkrechten Axe des Astes ein Punkt liegen, welcher bei dieser Bewegung seine Lage nicht ändert. Dieser Punkt entspricht dem Foramen maxillare in- ternum. Man sieht, wie klug die Lage dieses Loches von der Natur gewählt wurde, da nur durch die Wahl eines solchen Ortes Zerrung der in das genannte Loch eintretenden Nerven und Gefässe bei den Kaubewegungen vermieden werden konnte. — Die Knorpelüberzüge der das Kinnbackengelenk bildenden Knochen sind sehr dünn und bestehen nur aus Bindegewebe mit sehr wenig Knorpelzellen." Nur bei einem Thiere — dem Dachse — umschliesst die Fossa glenoidalis mehr als die halbe Peripherie des walzenförmigen Unterkieferkopfes, so dass der Unterkiefer beim Maceriren des Schädels eines alten Dachses nicht wegfallen kann, wie es bei allen übrigen Thieren geschieht. — Bei den Croco- dilen trägt das Schläfebein den Kopf, der Unterkiefer aber die Gelenksgrube do4 S. IIb. Zun(,'on>H'in. d Ubiris. — l't Im r > Kit^f« rgtli nks liainl.'U aiislülirlirli //. Mt,i,r im Anliiv lur Anal.. 186S. §. 115. Zungenbein. D;i> Zu ni;eM l)eiii fülirt x'iiu'u Namen: Oä hifoiilea, contraliirt für i/pailoitlcs, von M'inci- Aelmliclikeit mit «lein ^•riecllit^cllen Buch- staben V. Dassellte >clilie>st sich nur al.^ ein Additanient den Kopt- knoclien an, Aveil es, (»bwolil fern vom Scliädel liegend, docli mit einem Knoclien doselben, dem SclilätV'bein nämlidi, dnrcli ein lani^^e.s Band zusammenhängt. — Das Zungenbein liei^t an (hn' vorderen Seite (\es Halses, wo dieser in den Boden der Mundludde übergeht, und stützt die IJasis der Zunge, für deren knöclierne (irundlage es g^Ilt. Mau theilt es in einen Kor])er oder Mittelstück und zwei Paar seitliche llörner ein. Das Mittel stück (Basis) mit vor- derer convexer, hinterer eoncaver Fläche, oberem und unterem scharfen Eande, trägt an seineu beiden Enden, mittelst Gelenken aufsitzend, oder durch Svnchondi'ose verlmnden, die grossen llörner oder seitlichen Zungenbeine (cornmi majora), welche zwar länger aber auch bedeutend dünner als das Mittelstück sind und den Bogen desselben vergrössern. Ihre dreikantig prismatische Gestalt, mit einer rundlichen Auftreibung am äusseren Ende, ähnelt einem kurzen Schlägel. Das rechte und linke grosse Hörn gleichen einander fa^t niemals vt)llkomnjen. Die kleinen Hörner (Cornua ininorn s. L'ornii-uhi) sind am oberen Rantle iler Verbindnni;s.stelle des Mittel- Stücks mit den grossen Hörnern durch Kapselbäuder angeheftet. Ihre Länge schwankt zwischen 2 — 3 Linien. Häufig ist das linke um das Doppelte länger als das rechte. Die kleinen Hörner dienen einem von der Spitze des Griltelfortsatzcs des Öehlät'ebeins herabsteigenden Auf hängeband (L> dienen nur die Augen- höhlen zur Aufnahme eines selbstständigeu Sinnesorgans. Die Nasen- und ]\Iundliöhle sind dagegen nur die Anfänge des Athmungs- und Verdauuugsapparates, welche wegen einer in ihnen residirenden specitischen Empfänglichkeit für gewisse Sinneseiudrücke (Geruch und Geschmack) auch zu den Sinnesorganen gezählt werden. Die Höhlen zur Aufnahme des Gehörwerkzeuges gehören uiclit dem §. 116. Höhlen und Gruben des Gesichtsschädels. Qot; Gesicttsskelet, sondern einem Knochen der Hirnseliale - dem Schläfebein - an. An der Constrnction der Angen- und Nasen- höhle nehmen auch ein Paar Hirnschalknochen Antheil: das Stirn- und Siebbein. 1. Die beiden Augenhöhlen oder Aug-eng^ruben heissen Orhitae (von orbis), obwohl g-ar nichts Rundes an ihnen i.t denn sie «teilen hegende, hohle, vierseitig;« Pyramiden dar, welche mit ihren inneren Fläclien ziemlich parallel liegen, und deren verläng-erte Axen sich am Türhensattel schneiden. Ihr Abstand wird durch die Entfernung beider Laminae papyraceae des Siebbeins von einander bestimmt. - Die äussere Wand der Orhlta, vom Jochbein und grossen Keilbeinflügel gebildet, ist die stärkste. Sie fehlt bei den meisten Säugethieren, wodurch die Orhita mit der Schläfe-rube m Em Cavum zusammenfliesst. - Die obere, welche von der Parsorhitalis des Stirnbeins und den schwertförmigen Keilbein- Angeln zusammengesetzt wird, heisst Lacium, orhitae (Plafond) und ist die grosste; die innere, vom Processus frontalis des Oberkiefers vom Ihranenbem imd der Lamina papt/racea gebildet, die schwächste' Die untere, von der Orbitalfläche des Oberkieferkörpers und vom Processus orhücdis des Gaumenbeins erzeugte Wand, biegt «ich ohne scharfe Grenze in die innere Wand auf und hat eine schrä^- nach vorn und unten gerichtete, abschüssige Lage. Sie wird Pavhnentum orbUac Boden der Augenhöhle, benannt. - Als offene Basis der Augenhöhlen-Pyramide gilt uns die grosse, keineswegs kreisrunde, vielmehr stumpf viereckige, durcli den Mccryo s^^pra- und inf^^a- or^.«?a. umschriebene Oeflfnung der Augenliöhle, Aperäcra orbüalis. Hinter dieser Basis erweitert sich die Pyramide etwas, besonders nach oben und aussen, als Possa r;landulae lacri/nudis. ~ lJie^yinkel der Pyramide sind mehr weniger abgerundet. Der äussere obere Winkel wird durch die Pissura orhitalis superior, der äussere untere durch die längere, aber schmälere, und nur gegen ihr äusseres Ende hin breiter werdende Pissura orbitaUs inferior aufgeschlitzt. Die bpitze der Pyramide entspricht dem Poramen opticum. Die übrio-en OefFnungen und Löcher der Augenhöhle und der anderen Höhlen des Gesichts sind am Ende dieses Paragraphen zusammengestellt. Orbita wurde vun den Römern für Ead und Wagen, für Kreis, für b nften des 17. Jahrlmnderts heisst deshalb die Orbüa: Augenleise. Es ist Mal ! ?' r'"'' f f""'' ^''' ^'' ^'^'^''^' Dominikanermönch Albertus Magnus, Pj-ofessor der Aristotelischen Philosophie in Paris, 1230, später Bischof lZelT^^7'r? '/'''' "^"^ ^^ ''' -atomische Sprache einführte, in seinen ^^rj Libris de animalibus, deren drei nur von anatomischen Geo-en- standen handeln. Er entlehnte dasselbe vielmehr aus der lateinischen Uebersetz'ung des Avicenna, von Gerardus Cremonensis, eines Latino-barbarus, welcher 83fi §. llß. HMil.Mi i\n<1 r.nili.'ii (l.'s Geniohtflschartpls. hunikrt Jahro vorAllnrtu> in 'l'nl.iln Miti'. Das iilnl iingiwcniiete Wort Orbita hat sich in di r aiiatuiiiisiiit ii 'i'fniiiin)lo}(io ilti'iiso festgesetzt, wie so viele andere spraehlielie uml ^'raiuiiiatikalische AVtsurditäteii. 2. Die Na.scii lidli Ic, i'iirum nariiim, li.it ein«' viel seliAverer zu besclireihende Gestalt, und viel «•«)ni]>lic-irtere Wände. Sie wird iu die eii^entlielie Nasenhöhle, und die Nel)enli('>Iilen (SitiK.^ .•<. Antra) ein«2^etheiit. Die elu^entliche Nasenhöhle lie<;t üher der Mundhöhle, und rau,t zwisclien den heiden Aui;enliöhlen bis zur Sehädelhöhle hinauf. Oben wird sie durch die Nasenbeine und die Lantina crihro.sa des Siebbeins, unten durch die ProcessKs palatini der Oberkiefer und die horizontalen Platten der Gaumenbeine begrenzt. Die umfäng- lichen Seitenwände werden ol)en, w^o die Nasenhöhle an die Augen- höhle grenzt, durch den Naseufortsatz des Oberkiefers, das Thränen- bein, und die Papierplatte des Siebbeins gebildet; weiter unten folgen die Sujyerßcii's nasidls des (Oberkiefers, die senkrechte T'latte des Gaumenbeins, und der .Procea^uö- pterygoideus des Keilbeins. An der vorderen Wand befindet sich die durch die beiden Oberkiefer und Nasenbeine begrenzte Apertura pyrifortnis narium. Die hintere Wand wird theil weise durch die vordere Fläche des Keilbeinkörpers dar- gestellt, unterhalb welchem sie fehlt, indem sie von den beiden hinteren Nasenöffnungen, Chonnae s, Apertume nuriuin posteriores, eingenommen wird. Der Name (lioanne stammt von xieir (giessen), weil der Nasenschleim durch diese Oeffuuugen sich in die Rachenhöhle ergiesst und als Sputum ausgeworfen werden kann. Jede Choana wird oben durch den Körper des Keilbeins, aussen durch den Pro- ce-isus pteriigokleii«, innen durch den Vomer, und unten durch die horizontale Gaumenbeinplatte umgeben. — Die knöcherne Nasenscheide- wand (Septinn narhun os.'iei(m), aus der senkrechten Siebbeinplatte und der Pflugschar bestehend, geht nur selten ganz senkrecht von der Laniina crihrosa des Siebbeins und der Spina nti-salia snperior zur Crista nasalis inferior herab. Häufig erscheint sie nach rechts oder links ausgebogen, oder aufgel)auscht, und theilt dann die Nasenhöhle in zwei ungleiche Seitenhälften. Diese seitliclic Ausbiegung der knüehcrneu Nascnselieidewand betrifft vor- zugsweise das Pflugscharbein, welches auch an der convexcn Seite seiner Biegung mehr weniger aufgetrieben, gleiclisam aufgebauscht gefunden wird. Im höheren Gh-ade der Vcrbiegung kann die Pflugschar sich selbst an die innere Fläche der unteren Nasenmusehel anlegen und eine Verwachsung der beidertheiligen Schleim- hautüberzüge eintreten (Synechie). Nebst den die W^ände der Nasenliöhle construirendeu Knochen, hat man noch gewisse, von diesen Wänden ausgehende knöcherne Vorsprünge, als Yergrösserungsmittel ihrer inneren Oberfläche, in's Auge zu fassen. Diese sind: 1. die Blättchen, welche das Siebbein- labyrinth bilden, 2. die obere und untere Siebbeiumuschel, und 3. die §. 116. Höhlen und Gruben des Gesichtsschadeis. 337 untere oder freie Nasenmiiscliel. Sie sind als Stützknochen für die sie überziehende Nasen Schleimhaut anzusehen, welche dadurch eine viel grössere Oberfläche erhält, als wenn sie nur die glatten Wände eines hohlen Würfels überzogen hätte. — Die Muscheln tragen zur Bildung der sogenannten Nasengänge, Meatus narium, bei, deren drei auf jeder Seite liegen. Der obere, zwischen oberer und unterer Siebbeinmuschel, ist der kürzeste und etwas schräg nach hinten und unten gerichtet. Es entleeren sich in ihn die hinteren und mittleren Siebbeinzellen, und die Keilbeinhöhle. Der mittlere zwischen unterer Siebbeinmuschel und unterer oder freier Nasen- muschel, ist der längste, horizontal gerichtet, und communicirt mit der Highmorshöhle, den vorderen Siebbeinzellen und der Stirnhöhle. Der untere, zwischen unterer Nasenmuschel und Boden der Nasen- höhle, ist der geräumigste und nimmt den von der Fossa lacrymalis der Augenhöhle nicht senkrecht, sondern ein wenig schief nach aussen und hinten herabsteigenden Thränennasengang auf, .dessen Ausmündungsöffnung durch das vordere spitze Ende der unteren Nasenmuschel von oben her überragt wird. Die Nebenhöhlen, welche, obwohl sie als Vcrgrösserungsräume der Nasen- höhle gelten, doch in keiner Beziehung zur Wahrnehmung der Gerüche stehen, sind die Stirn-, Keilbein- und Oberkieferhöhle, deren bereits früher Erwähnung geschah. — Ueber normale und pathologische Anatomie der Nasenhöhle und ihres Zugehörs handelt Zuckerkandl in den Wiener med. Jahrbüchern, 1880, und in seinem Specialwerke hierüber, Wien, 1882. Die Entwicklung der Nasenhöhle kann als Vitium primae conformationis gänzlich unterbleiben, wo dann die beiden Augenhöhlen zu Einem Cavum, und die beiden Augäpfel zu Einem Auge verschmelzen, welches die Mitte der Stirne einnimmt. Diese Missbildung führt den Namen Cyclops. Gewöhnlich findet sich über dem einfachen Auge der Cj'klopen ein nur aus Weichtheilen bestehender, unperforirter Eüssel als Stellvertreter der äusseren Nase. Ungewöhnliche Länge dieses Rüssels veranlasste die schon im Plinius enthaltene Sage von Weibern, welche Schweine und kleine Elephanten geboren haben. Die aufgeklärte und humane Justiz des Mittelalters hatte diese Weiber im Verdacht, fleischlichen Um- gang mit dem Satanas gepflogen zu haben und Hess sie verbrennen. 3. Die Mundhöhle, Cavum oris, ist in ihrer ganzen Aus- dehnung dem untersuchenden Auge, dem Finger, und den chirur- gischen Instrumenten zugänglich. Der Beweglichkeit des Unterkiefers wegen, muss ihre Geräumigkeit veränderlich sein. Das Kauen und Einspeicheln der Nahrung, ja schon die Aufnahme der Nahrung in die Mundhöhle, schliesst vollkommen starre und fixe Wände aus. Die Mundhöhle kann deshalb nicht ganz von knöchernen Wänden begrenzt sein. Die untere Wand oder der Boden wird nur durch Muskeln gebildet. Die obere Wand ist der unbewegliche harte Gaumen oder das Gaumengewölbe, Palatitm durum s. osseum, an welchem die aus einem Längen- und Querschenkel bestehende Kreuz- Hyrtl, Lehrhuch der Anatomie. 20. Aufl. 22 338 S 116. Höhlen und (Jnihen des üesichtsschSdeU. naht, Sutura palati cruciata, vorkommr. Hie vorderen und die beiden seitlichen Wände der Mundhöhle werden bei j^eschlossenein Munde durch die an einander seldiessenden Zähne beider Kiefer dargestellt. Die hintere Wand t'elilt, wie die untere, und man kann am skele- tirten Ko])t' mit der Faust Vf>n hinti'u lier in die Mundhohle hinein. Da der liarte Gaiiiiion gliiclisaiii «las Firmament der Muinlliülile bildet und sieh so über die Zunge wölbt, wie der Himmel über die Erde, wurde er von Bauhin coelum oris genannt, was aueli sein grieeliiseher Name orgavög bei Aristoteles ausdrüekt. Im westpliäliselien Dialekt wird heute noch Himmel für Gaumen gebraucht (naeli einer briefliilicn Mittlieilung von Dr. G. Kersting). Von diesem Uranos stammt Uran orapliie. die Gauiiien iialit. und Urano- schisma. Gaumenspalte oder Wolfsrachen. 4. Noch erübrigt am Schädel beiderseits hinter den Augenhöhlen eine Grube, welche durch den Jochbogen überbrückt wird, und Schläfengrube, Foasa ti-mpondis, genannt wird. Sie ist eine P^ort- setzung des bei der Beschreibung der Seitenwandbeiue erwähnten Planum tenipor<(le, und wird durch die Schuppe des Schläfebeins, die SiijH'rficii'D- teuiporalis des grossen KeilbeinHügels, den .Tochfortsatz des Stirnbeins, und den Stirufortsatz des Jochbeins gebildet. Die Schläfengrube zieht sich, immer tiefer werdend, zAvischen Oberkiefer, Flügelfortsatz des Keilbeins, und Gaumenbein, gegen den Schädel- grund hinein, und nimmt hier den Namen der Keil-Oberkiefer- g r u b e oder F 1 ü i;- e 1 g a u m e u g r u b e (Fostsa t>phcno- huuL'lUaris s. jden/ffo- palaüna) au. Diese liegt hinter der Augenhöhle, mit welcher sie durch die Fiasura orhitalis inferior in Verbindung steht, und aus- wärts von dem hinteren Theile der Naseuhoiile. Ihre Gestalt ist sehr unregelmässig, und ihre durch Löcher und Kanäle vermittelte Verbindung mit der Schädelhöhle und den Höhlen des Gesichtes sehr vielfältig. GeAvöhnlicli bezeichnet man nur die tiefste und engste Schlucht dieser Grube, welche zunächst durch den Flügelfortsatz des Keilbeins \\m\ das (laumenbein i;ebildet wird, als Flügelgaumen- grube, und nennt den weiteren, zwischen Oberkiefer und Keilbein gelegenen Theil derselben, Keil-Oberkiefergrube. Löcher und Kanäle der A ugenhühle. d. Zur Schädclhulilc: Foramen opticum, Fitt< sui>erior, Forarnen ethnioidale anteritis. i. Zur Nasen- höhle: Foramen etluiioidale potteryijo-palatina : Fifsura orbitalis inferior. 5. Zum Gesicht: Canalis ziijoinaticus facialis, Foramen supra- orbitale, Canalis infraorhitalis. Löcher und Kanäle der Nasenhöhle. 1. Zur !>chädolliöhle: Fora- mina crihrosa. 2. Zur Mundhöhle: Canalia naso-palatinus. 3. Zur Fossa-pterygo- palaiina: Foramen spheno-palatinnm. 4. Zur Augenhöhle, bei dieser erwähnt. .5. Zum Gesicht: Apertura pyriformi:*, Foramina nanalia. Löcher und Kanäle der Mundhöhle. 1. Zur Nasenhöhle: Canalis naso-po.lat)nnt<. 2. Zur Fossa pterytjo-palatina: Canales ptervgo-palatini s. Ca- nales palatini descendentes. 3. Zum Gesicht: Canalis ivframaxillaris. §. 117, Verhältniss der Hirnschale zum Gesicht. 339 Löcher und Kanäle der Fossa pterygo-palatina. 1. Zur Schädel- höhle: Foramen rotimdum. 2. Zur Augenhöhle: Fissrira orbitalis inferior. 3. Zur Nasenhöhle: Foramen spheno-palafinum. 4. Zur Mundhöhle: Canalis palatinus descendens. 5. Zur Schädelbasis: Canalis Vidianus. — Die Anatomie des zweiten Astes vom Trigeminus wird ohne genaue Vorstellung der mit dieser Grube in Verbindung stehenden Kanäle und Oeffnungen unmöglich verstanden. Es muss der Processus pterygoideus des Keilbeins an seiner Basis mit Schonung der senkrechten Platte des Gaumenbeins abgesägt werden, um die in dieser Grube liegenden oben erwähnten Zugangs- und Abgangsöffnun- gen zu sehen. Die Zusammensetzung der Augenhöhle, sowie die zu ihr oder von ihr führenden Oeffnungen werden, da die Wände der Augenhöhle bei äusserer In- spection des Schädels leicht zu übersehen sind, auch eben so leicht studirt. Schwieriger aufzufassen ist die Construction der Nasenhöhle und der Flügel- gaumengrube. Es müssen, um zur inneren Ansieht der Wände derselben, und der in diesen befindlichen Oeffnungen zu gelangen, Schnitte durch sie geführt werden, wozu man für die Nasenhöhle frische Schädel wählt, die bereits zu einem anderen anatomischen Zwecke dienten, und deren Nasenhöhle noch mit der Schleimhaut derselben (Membrana pitidtaria narium s. SchneideriJ aus- gekleidet ist. An skeletirten Köpfen werden durch das Eindringen der Säge, die dünnen und nur lose befestigten Muschelknochen leicht zersplittert, und man erhält nur ein unvollkommenes Bild ihrer Lagerungsverhältnisse, und ihrer Beziehungen zu den Nasengängen. Das Splittern der Knochen lässt sich ver- meiden, wenn man sich einer dünnen Blattsäge bedient, und den Kopf unter Wasser zersägt. Zwei senkrechte Durchschnitte, deren einer mit der Nasen- scheidewand parallel läuft, deren anderer sie schneidet, leisten das Notlüge. §. 117. Yerliältniss der Hirnscliale zum G-esiclit. Es ergiebt sich ans der vergleicliendeu Osteologie, dass bei keinem Säugethier der Hirnscliädel den Gesichtsscliädel so sehr überwiegt, wie im Menschen, dessen Gehirn, als Organ der Intelli- genz, über die der Sinnlichkeit fröhnenden AVerkzeuge des Kanens und Riechens, welche dem Gesichte angehören, Aveitaus prävalirt. Das Höchste und Niedrigste der Menschenuatur steht am Kopfe gepaart, mit überwiegender Ausbildung des Erstereu. Je entwickelter die Kauwerkzeuge, und je grösser der Raum, Avelchen die Nasen- höhle einnimmt, desto A^orspringender erscheint der Gesichtstheil des Kopfes und desto mehr entfernt sich das ganze Profil vom Schönheitsideal, In der hohen Stirn, hinter welcher eine Welt von Gedanken Phitz hat, und ihrem fast senkrechten Abfallen gegen das Gesicht, liegt das offenkundige anatomische Merkmal der geistig entwicklungsfähigsten Menschenraee — der kaukasischen. Da von dem Verhältnisse des Schädels zum Gesicht die nach unseren SchönheitsbegrifFen mehr oder minder edle Kopfbildung ab- hängt, und die Grösse dieses Verhältnisses ein augenfälliges Merk- mal gewisser Menschenracen abgiebt, so hat man gesucht, die Be- ziehungen des Hirnschädels zum Gesicht durch Messungen auszumitteln, 22* 340 §• 117. Verhaltniss der Hirnschale znm Gesicht. indem man durch «gewisse, leider nicht in übereinstimmender Weise von den verschiedenen Autoren gewählte Punkte des Kopfes Linien zog^ (Lineae cranionn'tricac), deren Durchschnittswinkel für diesen Zweck sicii verwerthen lassen. 1. Messung nach Da üben ton (1701). Man zieht vom unteren Augenhöhlenrande zum hinteren Rande des Foramen occipitale mnf»iion eine Linie, und eine zweite von der Mitte des vorderen Randes dieses Loclies zum Endpunkte der früheren. Der durch beide Linien gebildete, nach vorn offene Winkel (An^fulus occipitalis) erscheint im Menscliengesclileehte am kleinsten, und ver^^rössert sich in der Tliierreihe um so melir, je mehr das grtisse llinterhauptlocli die Mitte der Schädelbasis verlässt, uud auf das hintere Ende des Schädels hinaufrüekt, wodurch seine Ebene nach vorn abschüssig wird. x\ls osteologischer Charakter der Racen lässt sich dieser Winkel nicht benützen, da nach Blumenbacirs Erfahrungen seine Grösse bei Individuen derselben Race innerhalb einer gewissen Breite variirt. im Mittel beträgt er beim Menschen 4°, beim Orang 37°, beim Pferde 70", und beim Hunde 82°. 2. Messung nach Camper (1791). Man zieht eine Tangente zur vorragendsten Stelle des Stirn- und Oberkieferbeins, und schneidet diese durch eine vom äusseren Gehörgang zum Boden der Nasenhöhle gezogene Linie. Der AVinkel beider ist der Angulus faciei Camperi, dessen Ausmittlung unter allen Schädelmessungsmethoden die häufigste Anwendung gefunden hat. Je näher er 90° steht, desto schöner ist das Schädelprofil. Yergrössert er sich über 90°, so entstehen jene über die Augen vortretenden Stirnen, welche bei Rhachitis und Hydrocephalus vorkommen, und, Avenn sie über ein gewisses Maass hinausgehen, die Schönheit des Profils ebenso beeinträchtigen, wie die flachen. An den Götterstatuen hellenischer Kunst, wie am Apoll von Belvedere, finden Avir den Gesichtswinkel selbst etwas grösser als 90°. Soll dadurch das Uebermenschliche ausgedrückt werden? Als Maassstab für die Entwicklung des Gehirns in der Thierrcihe, kann der Camper sehe Winkel nicht benützt werden, da die Wölbung der Stirn blos durch sehr geräumige Sinus frontales bedingt sein kann. Auch ist seine Grösse bei Schädeln, welche verschiedenen Racen angehören, häufig gleich (Neger- und alter Lithauersdiädel). Sie beträgt bei Schädeln kaukasischer Race 85" (griechisches Profil), beim Neger 70", beim jungen Orang 67", beim Schnabelthier 14°. Bei Neugeborenen ist dieser Winkel durchschnittlich um 10° grösser, als bei Erwachsenen. Bei der im höheren Alter vorkommenden Gehirnatrophie verkleinert er sich wieder, durch Einsinken und Abflachen der Stirne. — Daubenton's und Camper's Messungen trifft überdies der Vor- wurf, dass sie das Schädelvolunien nur durch die senkrechte Ebene messen, und die Peripherie (den Querschnitt) unberücksichtigt lassen. Die Camper'sche Messung wird auch deshalb variable Resultate an Schädeln derselben Race geben, weil der vorspringendste Punkt des Oberkiefers, welcher in den Alveoli §. 117. Verhältniss der Hirnschale zum Gesiclit. 341 der Schneidezähne liegt, durch Ausfallen der Zähne und damit verbundene Eesorption der Alveoli im höheren Alter zurücktreten muss. Zur schärferen Messung des Gesichtswinkels sind von Morton und Jacquart eigene Gronio- meter construirt worden. 3. Blnmenbacli's Sclieitelansicht (1795) ist keine Messung, sondern eine beiläufio-e Seliätzun^ der Schädel- und Gresiditsrerliält- nisse. Es werden die zu vergleichenden Schädel so aufgestellt, dass die Jochbogen vollkommen horizontal liegen, und dann von oben in der Vogelperspective angesehen, wobei obige Verhältnisse und alle übrigen abweichenden Einzelnheiten im Schädelbaue sich dem ge- übten Auge besonders scharf herausstellen. 4. Cu vieres Methode (1797) zerlegt den Schädel in zwei seit- liche Hälften, und bestimmt an der Durchschnittsebene den Grössen- unterschied von Schädel und Gesicht. Dieser ist beim Orang = 0, und verhält sich beim Menschen wie 4:1. Die neuen craniometrischen Methoden von Lucae und Aeby, sind in den betreffenden Werken in der Literatur der Osteologie nachzusehen. Da man bei allen Schädelmessungen die Dicke der Schädel- knochen mitmisst, man also aus den so gewonnenen Durchmessern keinen Schluss auf die Capacität der Schädelhöhle, und die dadurch gegebene Grösse des Gehirns ziehen kann, so haben Tiedemann und Morton durch Ausfüllen der Schädelhöhle mit geschlemmtem Sand, die Capacität derselben bei verschiedenen Racen auszumitteln gesucht. Tiedemann fand die mittlere Capacität des Neger- und Europäerschädels gleich, Morton dagegen jene des Negers kleiner. Ein ehrlicher Beurtheiler der craniometrischen Leistungen wird gestehen, dass dieselben bisher nicht viel genützt haben, Sie haben vielmehr ihre grösste Befriedigung in gegenseitiger Ver- dächtigung gefunden. Sie geben uns keinen Anhaltspunkt zur Ein- theilung der Menschenracen, da uns die Urform des Menschenschädels unbekannt ist, und wir auch nicht sagen können, was Varietät oder Racentypus, oder individueller Charakter eines Schädels ist. Wäre uns die Urform des Hundeschädels (vom Canis prhnaevus) nicht bekannt, und sähen wir nicht immerfort neue Hunderacen vor unseren Augen entstehen, wir würden ganz gewiss das Windspiel und den Pudel für zwei verschiedene Thiergattungen, statt für zwei Varietäten halten. — Ich beantworte mir hier zugleich folgende Fragen: Was hat die Craniologie zu leisten? Sie hat die Frage zu entscheiden, ob Ein oder mehrere Centra der Entstehung des Menschengeschlechtes auf Erden ursprünglich gegeben waren und ob der Menschenschädel wirklich nur durch eine gradweise Ent- wicklung des Thierschädels entstand. Hat sie dieses geleistet? Nein! 342 S. 117. V.'rliUltnls- iIpi lllrn-^rlinl.« /um Oo^lcht. — Ist Ildirmiiiy vdrliMiiden, huU — Brachy- cephalij. Repräsentanten der Dolicliocephali sind die Neger, und der Brachy- cephali die slavischen (besonders die croatischen und morlachischen) Schädel. Das Gesicht kann bei beiden vorstehen, oder senkrecht abfallen, d. h. progna- thisch oder orthognathiscli sein {yvü^oq. Kieferj. Die Germanen, Gelten, Briten §. 118. AltersvpvsfWpdpnhMt dps Schädplg. 343 und Juden sind orthognathische, die Neger und Grönländer prognathische Formen von Langköpfen. Die Magyaren, Finnen, Türken sind orthognathische, die Kal- mücken, Mongolen und Tartareu' prognathische Kurzköpfe. — Das Verhältniss der Schädelhöhle zum Gesicht ist bei den Negern kleiner als bei allen übrigen Racen, und ein mit 36 Europäerschädeln verglichener Negerschädel nahm unter allen die geringste Wassermenge auf (Saumarez). Wie wichtig für den Künstler die nationalen Formen der Schädel sind, kann man aus dem Miss- fallen entnehmen, welches ein Fachmann bei dem Anblick sogenannter Meister- werke der Kunst empfindet. Der Daniel von Rubens ist kein Jude, seine sabi- nischen Weiber sind Holländerinnen, Raphael's Madonnen sind hübsche Italiene- rinnen, und Lessing's Hussiten wahrlich keine brachycephalischen Czechen. Bei angeborenem Blödsinne ist die Hirnschale selbst bei normaler Grösse des Gesichts, klein, ja kleiner als dieses. Dagegen finden sich eminente Geistes- anlagen nicht immer in grossen Köpfen. — Es wird augegeben, dass der weib- liche Schädel absolut kleiner, dünnwandiger, und somit auch leichter als ein männlicher vom gleichen Alter ist; die Hirnschale soll aber im Verhältniss zum Gesicht grösser sein als wie beim Manne. A. Weisbach hat im 3. Bande des Archivs für Anthropologie eine ausführliche Charakteristik des deutschen Weiberschädels gegeben. Ich gestehe, dass ich mir nicht zutraue, in der Ge- schlechtsbestimmung eines Schädels nicht zu fehlen. Anderen geht es wohl auch nicht besser. — Näheres über Schädelmessungen enthalten die in der Literatur der Knochenlehre (§. 156j aufgeführten Schriften. §. 118. AltersverscMedenheit des Schädels. Die AltersverscMedenlieiten des Schädels verdienen eine kurze Erwähnung. Bei sehr jungen Embryonen gleicht die Grestalt des Schädels einem Sphäroid, mit ziemlich gleichen Durchmessern. Das Gresicht ist nur ein untergeordneter Anhang desselben. Bei Neugeborenen und in den ersten Lebensmonaten waltet die rundliche Form des Gesichts noch yor, welche sich erst von der Zeit an, wo die Kiefer mit dem Ausbruch der Zähne als Kauwerkzeuge gebraucht zu wer- den anfangen, in die länglich-ovale umwandelt. — Die Schläfen- schuppe nimmt im ersten Kindesalter verhältnissmässig einen weit geringeren Antheil an der Bildung der Schädelseiten. Der Grrund der Schläfengrube ist eher convex als concav. Der grösste Quer- durchmesser des Schädels liegt zwischen beiden Tuhera parietalia. — Wegen Prävalenz des Knochenknorpels sind die Kopfknochen des Kindes weich und biegsam. Man hat Fälle gesehen, wo sie durch einen Stoss eingebogen, aber nicht gebrochen wurden. Aeus- sere mechanische Einflüsse (Binden, Schnüren, localer Druck) ändern, bekannten Erfahrungen zufolge, die Form des kindlichen Schädels, und somit auch jene des Grehirns, ohne die geistigen Fähigkeiten desselben zu beeinträchtigen. So besitzen die Chenoux -Indianer, welche das Flachdrücken der Stirne bis zur hässlichsten Miss- staltung treiben, nicht weniger Intelligenz, als die übrigen westlichen 344 §• 118. Alter-veiscliiediMiheit Jps Si-hadels. ludiaiicr ^sordainerika's, welche mit der natürliclieu P^orin ihrer Schäch'l zut'riedeu siud, uud sie iu Ruhe lasseu. (Phreuologeo mögen tlieses beherzigen.) — Die Nasenhohh^ des Kindes ist klein; ihre Nebenhöhleu beginnen sich als Hache Buchten zu entwickeln; die Stirnhöhle erst im zweiten Lebensjahre. Die Mnn I )ee k k noch CM dos Si-liiulcls entstelMMi folgende: das Stirnbein, die Seitenwandheine, die obere Ifältte der Hinterliaupt- sc'liuppe und die Scldätebeinsclnippe, die Nasen-, Joch-, Oberkiefer-, Thränen- und < ianmenbeine, die innere IMatte der Processus pterygoidei des Keilbeins, die Pflugschar nnd (b'r l'nterkiefer. Als Priinordial- kiioclien bilden sich: der (irnndtheil, die nnten^ Hälfte der Schuppe, imd die l)eiden ( Jelenkfheile des Hinterhauptbeins, die grossen und kleinen Flügel cb's Keillteins nnd die äussere Platte der Processus pterytioidel, das Siebbein, der Felsen- und Warzentheil des Scldäfe- beius, die untere Muschel, das Zungenbein und die (ieh(>rkut»chelcheii. — Reste des Priinordialknorpels perenniren in deu Synchoudrosen an der Schädelbasis, in dem knorpeligen Verschluss der zwischen Felsenpvraniide und Keilbeinkiirper befindlichen Lücke, in den zwischen beiden Lamellen des Vomer enthaltenen Knorpelplatte, in der knorpeligen Nasenscheidewand und in den Knorpeln der äusseren Nase. Ein bündiges Resuuie des Wichtigsten über die Entwicklung der Kopf- knochen gab einer der thätigsten Bearbeiter dieses Gegenstandes: Külliker, ia seinem „Bericht über die zootomische Anstalt zu Würzburg. 1849". B. Knochen des Stammes. Die Knochen des Stammes werden in die Urknochen oder Wirbel und in die Nebenknochen eingetheilt. Letztere zerfallen wieder in das Brustbein und die Rippen. a) Urknochen oder Wirbel. §. 120. Begriff und Eintheilung der Wirbel. Die erste Anlage der Wirbelsäule im Embryo geht jeuer aller übrigen Knochen des Skelets voraus. Es sollte deshalb die beschrei- bende Osteolog'ie eigentlich mit der Betrachtung der Wirbel beginnen. Viele Anatomen verfahren so, und die Wirbelsäule verdiente wohl deu Vorzug solcher Behandlung, da sie es ist, welche der Einthei- lung der gesammten Thierwelt in zwei Hauptgruppen: Wirbelthiere und Wirbellose, zu Grunde liegt. In diesem Buche wurde da- gegen die Osteologie mit den Kopfknochen begonnen, weil, wenn der Anfänger einmal über sie hinaus ist, er mit der Beruhigung, das Schwierigste bereits überwunden zu haben, sich an das üebrige macht. Als Grundlage iind Stativ des Stammes dient eine in seiner hinteren Wand enthaltene, gegliederte und bewegliche Säule, Wirbel- säule oder Rückgrat, Columna vertehralis, s. Spina dorsi (Qa-j^ig, woher Rhachilis, die durch Krümmuns; der Wirbelsäule sich äussernde §. 120. BpgrifP und Eintheilung der Wli-tel. 347 englisclie Krankheit). Die einzelnen Knochen, ans welchen diese Säule besteht, heisseu Yi irh e\, Vertebrae {(JTtovSvloi,). Während die Knochen des Kopfes sehr mannigfaltig" geformt erscheinen und somit keiner dem andern ähnlich sieht, sind die Knochen der Wirbelsäule alle einander ähnlich und zeigen gemeinsamen Typus ihrer Grestaltung. Die Wirbelsäule ist bis auf ihr unterstes Endstück (Steissbein) hohl. Es muss somit jeder Wirbel einen kurzen, hohlen Cylinder oder Ring darstellen. Nur das untere zugespitzte Ende der Wirbel- säule — das Steissbein — - ist nicht hohl, sondern solide, und wird nur deshalb, weil es bei den Thieren, wie die übrige Wirbelsäule, einen Kanal und in diesem eine Fortsetzung des Rückenmarks ein- schliesst und gewisse typische Uebereiustimmungen in der Ent- wicklung des Steissbeins und der übrigen Wirbel vorkommen, noch unter die Wirbel gezählt. — Die Wirbelsäule wird der Länge nach in ein Hals-, Brust-, Lenden- und Kreuzsegment eingetheilt. Das Steissbein figurirt nur als Anhang des letzteren. — Das Halssegment besteht aus sieben Halswirbeln (Vertebrae colli), das Brustsegment aus zwölf Brustwirbeln (Vertebrae thoracis), das Lendensegment aus fünf Lendenwirbeln (Vertebrae lumbales). Die das Kreuzsegment zu- sammensetzenden fünf Kreuzwirbel (Vertebrae sacrales) verwachsen schon im Jünglingsalter zu Einem Knochen (Kreuzbein) und heissen deshalb falsche Wirbel (Vertebrae spuriae), während die übrigen durch das ganze Leben getrennt bleiben als wahre Wirbel (Verte- brae verae). Auch die vier, ihrer Form nach mit Wirbeln kaum mehr vergleichbaren Stücke des Steissbeins werden den falschen Wirbeln beigezählt. Jeder wahre Wirbel hat folgende Attribute, quae serio meminisse juvabit. Als vollständiger Ring besitzt er eine mittlere Oeffuung (Foramen vertebrale) und eine vordere und hintere Bogenhälfte. Die vordere Bogenhälfte verdickt sich bei allen Wirbeln, mit Aus- nahme des ersten Halswirbels, zu einer niedrigen Säule — Körper des Wirbels, Coyyus vertebrae. Er zeigt eine obere und untere Fläche. Beide sind rauh und dienen den dicken Bandscheiben, welche je zwei Wirbelkörper unter einander verbinden, zur Anheftung, An mace- rirten Wirbeln zeigen sich häufig noch vertrocknete Reste dieser Scheiben. Die vordere und seitliche Fläche der Wirbelkörper gehen im Querbogeu in einander über und sind zugleich von oben nach unten ausgeschweift. Die hintere, dem Foramen vertebrale zugekehrte Fläche des Körpers ist in beiden Richtungen etwas concav. Der Körper eines Wirbels besteht über und über aus schwam- miger Knochenmasse, — daher sein poröses Ansehen. Zahlreiche OefFnungen, deren grösste an der hinteren Fläche des Wirbelkörpers getroffen werden, dienen zum Ein- und Austritt von Blutgefässen, 348 § 120. Begriff und Eintheiluiig: der Wirbel. unter welchen die Veueu weit ül)er die Arterien prävalireu. Da die Festigkeit tier \\ irbelsäule mehr auf ihren Bändern, als auf der Stärke der einzelnen W irhelkuochen bernht, so wird diese Oeko- noniie der ^Jat^r in der Verwendung- eompaeter Knochensubstanz begreiflieh. Die hintere B(»genhälfte bleibt, im Verhältniss zur vorderen, spangenartig; dünn. Sie heisst deshalb vorzugsweise Bogen, Arcus vertehrae. Der Bogen sendet sieben Fortsätze aus, welche entweder zur Verbindung der Wirbel untereinander, oder zum Ansatz be- wegender ]\Iuskeln dienen. Sie werden deshalb in Gelenkfortsätze und Muskelfortsätze (Processus articulares und inuscidares) ein- getheilt. Wir zählen drei Muskelfortsätze. Der eine ist nnpaar und wäi'hst von der Mitte des Bogens nach hinten heraus, als Dornfortsatz, Processus spinos2(s (richtiger Spina, da spinosus dornenreich heisst), dessen Spitze durch die Haut des Rückens leicht zu fühlen ist. Die beiden anderen Fortsätze sind paarig und stehen seitwärts, als Querfortsätze, Processus transversi. Die Gelenk- fortsätze zerfallen in zwei obere und zwei untere (Processus ascen- Jentes und descendentes) . Sie sind, wie der Name sagt, mit Gelenk- flächen versehen, welche bei den olleren Fortsätzen nach hinten, bei den unteren nach vorn gerichtet sind. Denkt man sich alle Fortsätze eines Wirbels weggeschnitten, so erhält man die Urform des Wirbels, als ku<'»cherneu Ring. Der Bogen jedes Wirbels besitzt dort, wo er vom Körper ab- geht, also noch vor den Wurzeln der ab- und aufsteigenden Gelenk- fortsätze, an seinem oberen Rande einen seichten und am unteren Rande einen tiefen x\usschnitt, welche beide Ausschnitte mit den zu- gekehrten Ausschnitten des darüber und darunter liegenden Wirbels zu Löchern zusammenschliessen — Zwischenwirbelbeinlöcher, Forantina intervertehralia s. conjtigata, welche zum Austritte der Rückenmarksnerven dienen. Nicht bei allen Wirbeln wiederholen sich die aufgezählten Theile in derselben Art und Weise, und nicht bei allen sind sie übei'einstimmend an Grösse, Richtung und Gestalt. Sie erleiden viel- mehr an einer gewissen Folge von Wirbeln sehr auflfällige Modi- ficationen, welche den anatomischen Charakter der verschiedenen Abtheilungen der Wirbelsäule bilden, worüber in den folgenden Para- graphen. Fe?Yf5ra stammt von vertere, und Wirbel von dem altdeutschen werben, d. i. drehen. Wie entstehen die Wirbel? Als erste Anlage der Wirbelsäule tritt im frühesten Fötalleben ein Zellenstrang auf — die Chorda dorsalis. Um die Chorda herum entsteht eine Scheide, welche an den §. 121. Halswirtel. 349 den zukünftigen Wirbeln entsprechenden Stellen hyalinen Knorpel heryorbringt. Yon diesem Knorpel wird die Chorda ringförmig umschlossen und zum Schwinden gebracht. So entsteht der knorpe- lige Wirbelkörper. Yon ihm gehen dorsalwärts schmälere knorpe- lige Spangen ab , welche das Rückenmark umschliessen und durch ihr Zusammenwachsen in der Medianlinie den knorpeligen Wirbelbogen darstellen, von welchem die gleichfalls knorpeligen Wirbelfortsätze herauswachsen. Der Körper dieses knorpeligen Wirbels erhält zwei schnell mit einander zusammenfliesseade, intra- chondrale Verknöcherimgspunkte, jede Bogenhälfte aber nur einen, welcher sich spangenartig yerlängert und aus sich heraus die Wirbel- fortsätze ausschickt. In der Eegel kommt erst spät (8. — 15. Jahr) am Ende der Fortsätze noch ein accessorischer Ossificationspunkt hinzu. Macerirt man den ossificirenden Wirbel eines Embryo, so zerfällt er in drei Stücke: Körper und zwei Bogenhälften. Letztere synostosiren früher mit dem Wirbelkörper, als unter sich. Noch im Neugebornen sind die Bogenhälften knorpelig mit einander ver- bunden. So kann es kommen, dass durch Wasseransammlung im Kückgratkanal (HydrorhacMtis) die beiden Bogenschenkel ausein- ander gedrängt werden, ihre Spitzen nach rückwärts richten und die zufühlende Hand auf dem Rücken den Eindruck erhält, als ob eine doppelte Reihe von Dornfortsätzen vorhanden wäre. Lide nomen: Spina bifida (Doppelrücken bei den Laien). §. 121. Halswirbel. Das charakteristische Merkmal der Halswirbel liegt in der Gegenwart eines Loches in ihren Querfortsätzen, Foramen trans- versarium, mit einer vorderen und hinteren Spange. Kein anderer Wirbel hat durchbohrte Querfortsätze. Man beachte es vorerst, dass die vordere Spange von den Seiten des Körpers, die hintere aber, wie die Querfortsätze aller übrigen Wirbel, vom Bogen ausgeht. Die vordere Spange hat auch in der That, wie in der Note zu diesem Paragraphen gezeigt wird, nicht die Bedeutung eines Querfortsatzes, sondern einer festgewachsenen sogenannten Halsrippe. Mit Ausnahme der beiden ersten theilen die Halswirbel noch folgende allgemeine Eigenschaften. Ihr Körper ist niedrig und queroval. Die obere Fläche ist von rechts nach links, die untere von vorn nach hinten concav. Legt man zwei Halswirbel über ein- ander, so greifen die sich zugekehrten Flächen ihrer Körper sattel- förmig in einander ein. — Der Bogen gleicht mehr den Schenkeln eines gleichseitigen Dreiecks, dessen Basis der Körper vorstellt. Das Foramen vertebrale ist somit eher dreieckig" als rund. — Der horizontal gerichtete Dornfortsatz der mittleren Halswirbel spaltet sich an seiner 350 S. 121 Hal^vvir>lpl. Spitze liaheltormin in zwei Ziickcn. wciclie ;iiii >('(li>ren Hal>wirliel zu zwei ni«'(lrii;(Mi Ilocki'ni wcrdcMi und ;iiii ^ichontcn zu ciiicin oin- taclipu rundliclicn Knopf ver.scliinelzcn. Die (lurc-liholirten (^hier- fort^ätze sind kurz, an ilirer olteren Fläclie rinnenarti-;' ^clioldt und endij^en in einen Vdrdcreu und liinteren Höcker, TuhercuUnn an- terins und po^sterixs. — Die auf- und abfsteigenden (Jelenkfort^ätze sind niedrii»;', ilire Gelenkflädien rundlich und plan. Die <»beren selien scliief nadi liinten und oben, die unteren scliief nacli vorn und unten. — - Der erste und zweite Ilalswirlx«! entfernt sicli autfallend, der siebente nur wenig- von tiieseni gemeinsamen Vorbilde. Der erste Halswirbel oder der Träger (yltluer- fortsätze ausziehen. Obere und untere Gelenkfortsätze, sowie der Dornfortsatz fehlen. Statt der Gelenkfortsätze finden sich nur obere, von vorn nach hinten ausgehöhlte, und untere, e)>ene, überknorpelte Gelenktlächen. Der Dornfortsatz ist auf ein kleines Höckerchen in der Mitte des hinteren Halbringes reducirt. Ein ähnliches am vor- deren Halbringe erinnert an den fehlenden Körper. In der Mitte der hinteren Fläche des vorderen Halbringes liegt eine kleine, rund- liche, überknorpelte Stelle, mittelst welcher der Atlas sich um flen Zahnfortsatz des zweiten Halswirbels dreht. Sein Fovamen vertehrole übertrifft, wegen Mangel des Körpers, jenes der übrigen Wirbel an Grösse. Die Ausschnitte, welche zur Bildung- der Zwischenwirbel- löcher dienen, liegen dicht hinter den Massae leitendes. Der zweite Halswirbel (Epistropheus, \on 6TQ£(p^n\ drehen), unterscheidet sich eben so charakteristisch wie der Atlas von dem obigen Vorbilde der Halswirbel. Sein kleiner Kör])er trägt an der oberen Fläche einen zapfenförmigen Fortsatz, den Zahnfortsatz (Processus odvntoidens, öd'orj im Hippocrates), welcher an seiner vorderen und hinteren Gegend mit einer Gelenkfläche geglättet er- scheint und in den Hals, den Kopf und die Spitze eingetheilt wird. — Die oberen Gelenkfortsätze fehlpn und finden sich statt ihrer blos zwei }>lane, rundliche Gelenkflächen nahe am Zahne, welche etwas schräg nach aussen und aliwärts al)fallen. Die obere Incisur zur Bildung des Zwischenwirbelloches iindet sich nur als Andeutung. Der an seiner Spitze zuweilen in zwei kurze Zacken gespaltene Dornfortsatz zeichnet sich diirch seine Stärke aus. Der Name Epistropheus wiinle urspinnglicli, und zwar mit vollem ety- mologischen Rechte, dem Atlas beigelegt (Julius Pollux). Er ist es ja, §. 121. HalsTvirtel. ' 351 welcher sich dreht. Der zweite Halswirbel hiess damals axis {ä§ojv), oder vertehra dentata. Eine Stelle im Camerarius (Comment. utriusque linguae, p. 235) sagt ausdrücklich: frimus spondylus Epistropheus vocatur, quasi conversor, secundus appellatur Axon. Dass der erste Wirbel einst den Namen Hpistropheus führte, kann auch daher gekommen sein, dass die Wirbel überhaupt atgocpeig hiessen (Julius Pollux), und der erste von ihnen, als auf allen übjigen liegend, somit ein imatQotpivq war. Es lässt sich beweisen, dass der Zahn des Epistropheus eigentlich den Körper des Atlas darstellt, welcher aber frühzeitig, vor Beginn der Verknöche- rung des Atlas, sich von diesem ablöste und mit dem zweiten Wirbel ver- schmolz. Er schliesst selbst am geborenen Menschen noch einen Ueberrest jenes knorpeligen Stranges (Chorda dorsalisj ein. um welchen herum sich alle AVirbel- körper bilden. Der vordere Bogen des Atlas kann deshalb nicht einem Wirbel- körper gleichwerthig sein, sondern ist nur eine knöcherne Ausfüllungsmasse, für die, durch das Ueberwandern des Atlaskörpers auf den Epistropheus entstandene Oelfnung. Der siebente Halswirbel, welcher an Grösse und Configura- tion den Uebergang zu den Brustwirbeln bildet, bat den längsten Dornfortsatz und heisst deiilialh Vertebra j»-omineivi. Sein Dornfortsatz erscheint nicht mehr gespalten und auch nicht horizontal gerichtet, sondern etwas schief nach abwärts geneigt. Am unteren Kande seines Körpers findet sich seitlich öfters ein »Stück einer überknorpelten Gelenkfläche, welche mit einem grösseren, am oberen Kande der Seitenfläche des ersten Brustwirbels vorkommenden, die Gelenkgrube für den Kopf der ersten Rippe bildet. Der hinter den Seitentheilen des Atlas liegende Ausschnitt, welcher mit dem Hinterhauptbein eine dem Foramen intervertebrale der übrigen Wirbel analoge Lücke bildet, wird zuweilen, wie bei den meisten vierfüssigen Thieren, durch eine darüber wegstreichende, dünne Knochenspange in ein Loch umge- wandelt, — Sehr selten besteht der Atlas aus zwei, durch's ganze Leben ge- trennt bleibenden seitlichen Hälften, oder es fehlt dem hinteren Bogen die Mitte. — Das Foramen transversarium erscheint doppelt. — Zuweilen wird der Zahnfortsatz des Epistropheus so lang, dass er die vordere Peripherie des grossen Hinterhauptloches erreicht und mit ihr durch ein Gelenk articulirt. — Durch die Löcher der Querfortsätze der Halswirbel läuft die Arteria und Vena vertehralis. Nur das Foramen transversarium des siebenten Halswirbels hat in der Regel keine Beziehung zur Wirbelarterie, lässt aber doch die Wirbelvene durchgehen. Da jener Antheil des Querfortsatzes eines Halswirbels, welcher vor dem Foramen transversarium. liegt, vom Wirbelkörper ausgeht, so kann eigentlich nur die hinter dem Foramen transversarium gelegene Spange eines Querfort- satzes als ein Querfortsatz gedeutet werden. Es steht fest, dass die vordere Spange des Foramen transversarium, welche aus einem eigenen, zuerst von Nesbitt aufgefundenen, Verknöcherungspunkt entstand, wirklich nur der fest- gewachsene Hals einer Rippe ist, deren Körper unentwickelt blieb. An sechs- und siebenmonatlichen Embryonen sieht man die zu einem selbstständigen, rippenähnlichen Stäbchen entwickelte vordere Spange des Foramen transver- sarium am siebenten Halswirbel sehr gut. Sie soll und wird später an ihrem inneren Ende mit dem betreifenden Wirbelkörper, an ihrem äusseren Ende mit 352 S 122 Ttwirhol. der Spitze der hinteren Querfortsatzspange versclmielzen. Tliut sie dieses nicht, sondern verliingert sie sich gegen die Brustbcinhandhabc hin. so stellt sie eine wahre, bewegliche Halsrippe vor, deren Länge eine verschiedene sein kann, je nachdem sie das Brustbein erreicht, oder schon früher endig*. — Unter den zahlreichen Beobachtungen über das Vorkommen von Halsrippen ist wohl die von Hasse und Scliwarz die interessanteste, da der rippentragende Wirbel in der hinteren Spange seines Querlortsatzes. zuglejcli ein Forawtn transver- sarium besitzt. — Nach übereinstinuiiendcn Bcoliaditungen geht die Arteria subclavia, welche im Bogen über die erste Eippe wegläuft, im Falle des Vor- handenseins einer längeren Halsrippc am siebenten Halswirbel, über diese Halsrippe weg, welche dann eine Furche zur Aufnahme der Arterie besitzt. — liuschka, Ueber Halsrippen und Ossa fiuprastcrnalia, im 16. Bande der Denkschriften der Wiener Akad., und W. Gruber, in den Mein, de V Acad. de St.-Pe'tersbourg, 1869. Sind die oberen und unteren Gcloukllächcn der Seitentheile des Atlas und die oberen Gelcnkflächen des Epistropheus den auf- und absteigenden Gelenkfortsätzen der übrigen Wirbel analog? Die Antwort auf diese Frage entnehme man aus folgendem Ideengang. ]Man denke sich den Atlas mit einem Körper versehen. Dieser Körper zerfalle in drei Stücke, ein mittleres und zwei seitliche. Das mittlere rücke nach hinten und verschmelze mit dem Körper des zweiten Halswirbels, dessen Zahn es vorzustellen hat. Die beiden seitlichen rücken auseinander, werden oben und unten überknorpelt und stellen somit die Massae laterales atlantis dar, mit ihren oberen und unteren Gclcnktlächen. Wären diese Gelenkflächen Analoga der auf- und absteigenden Gelenkfortsätze anderer Wirbel, so müssten ja die Ausschnitte zur Bildung der Foramina inter- vertehralia vor ihnen liegen, wie bei allen übrigen Wirbeln. Sie liegen aber hinter ihnen, wie bei den übrigen Wirbeln hinter den Seitentheilcn ihrer Körper. Die durch das Auseinanderrücken der drei gedachten Antheile des Atlaskörpers entstehende Lücke wird durch zwei Ossificationspunktc einge- nommen, welche durch ihr Wachsthum und endliche Confluenz den vorderen Bogen des Atlas darstellen. Alle Säugethiere. sie mögen langhälsig sein, wie die Giraffe, kurzhälsig wie das Schwein oder keinen äusscrlich wahrnehmbaren Hals besitzen, wie der Waltisch, haben sieben Halswirbel. Nur bei den Faulthicren steigt ihre Zahl auf acht und neun, und bei der Seekuh, welche ihrer zum Kriechen und zum Halten des Jungen dienenden Flossenfüsse wegen, Manatus (schlecht Manati) heisst, sinkt sie auf sechs herab. §. 122. Brustwirbel. Die zwölf Briistwlrhel sind Ri})j)enträg'er und besitzen deshalb als Wahrzeichen ihrer Gattun«;-, an den Seiten ihrer Körper kleine überknorpelte Gelenkstellen, zur Verbind un<^ mit den Rippenköpfen. Ueber diese Gelenkstellen werde Folgendes aufmerksam beachtet. Jeder der neun oberen Brustwirbelkörper hat an seiner Seitengegend zwei unvollständige, concave Gelenkgrübchen: das eine am oberen, das andere am unteren Rande. Das untere Grübchen ist immer bedeutend grösser, als das obere. Thürmt man die Wirbel über einander, so ergänzen sich die zusammen^tossenden, unvollständigen, flachen Grübchen zu vollständigen, concaven Gelenkflächen für die §. 123. Lendenwirbel. 353 Rippenköpfe. Diese Grelenkfläclien heissen Foveae m^ticulares. Hat der Körper des siebenten Halswirbels kein Stück einer Gelenk- fläche am unteren Rande seiner Seitenfläche, so wird das Grübchen für den ersten Rippenkopf blos durch die Gelenkfläche am oberen Rande der Seitenwand des ersten Brustwirbelkörpers gebildet. Der eilfte und zwölfte Brustwirbel hat eine vollkommene Fovea articu- laris am oberen Rande. Somit wird der zehnte nur eine unvoll- kommene Gelenkfläche, und zwar an seinem oberen Rande, besitzen können. — Die sonstigen Attribute der Brustwirbel sind folgende. Der Querschnitt der obersten und untersten Brustwirbelkörper ist oval, jener der mittleren dreieckig, mit gerundeten Winkeln. Am vorderen Umfange des Körpers ist dessen Höhe etwas geringer, als am hinteren. Die Körper der Brustwirbel gewinnen, von oben nach unten gezählt, zusehends an Höhe. Der Querdurchmesser nimmt bis zum Aierten an Grösse ab, von diesem bis zum zwölften aber zu. — Das Foramen vertebrale der Brustwirbel ist kreisförmig und kleiner, als an den Hals- und LendenAvirbeln, Die Dornfortsätze sind lang, dreiseitig, zugespitzt, an den oberen Brustwirbeln massig schief, an den mittleren stark schief nach unten gerichtet, und dachziegelförmig einander deckend. An den unteren Brustwirbeln zeigen die Dornfortsätze eine horizontale Richtung. Die Querfortsätze sind nur an den oberen acht Brustwirbeln lang und stark. Yom neunten bis zum zwölften Brustwirbel werden sie so kurz, dass sie eigentlich kein Anrecht mehr auf die Benennung von Fortsätzen haben, und nur niedrigen Höckern oder Zapfen gleichen. — Die aufgetriebenen, knopfförmigen Enden der zehn oberen Querfortsätze besitzen nach vorn sehende, seichte Gelenkflächen, zur Aufnahme der Tuhercula costarum. Die absteigenden Gelenkfortsätze kehren ihre rundlichen, planen Gelenkflächen direct nach vorn, die auf- steigenden direct nach hinten. Denkt man sich an einem Brustwirbel den Eippenkopf mit der Seiten- fläche des Wirbelkörpers und das Tuberculum costae mit der Spitze des Processus transversus verwachsen, so wird der, zwischen Kippenhals und Querfortsatz des Wirbels übrig bleibende Eaum, dem Foramen transversarium eines Halswirbels entsprechen. Grosse morphologische Wichtigkeit beansprucht eine an der hinteren Fläche aller Brustwirbel-Querfortsätze bemerkbare Rauhigkeit. Sie dient gewissen Muskeln des Rückens zum Angriffspunkt. An den kurzen Querfortsätzen der untersten Brustwirbel trifft man sie öfters in zwei über einander gestellte Höcker zerfallen (§. 123). — Die Dornfortsätze der oberen und mittleren Brustwirbel liegen selten in der verticalen Durchschnittsebene, sondern weichen etwas nach rechts ab. §. 123. Lendenwirbel. Den fünf Lendenwirbeln fehlen die Löcher in den Quer- fortsätzen, sowie die Gelenkflächen am Körper und am Ende der Hyrt], Lelirtuch der Anatomie. 20. Aufl. 23 354 §. 123. Lendenwirbel. Querfortsätze. Ilir anatomischer Charakter ist somit ein negativer. In ihrer stattliehen Grösse liegt kein absolutes Unterscheidungs- merkmal von den übrigen Wirbeln, da ein junger Lendenwirbel kleiner ist alh ein alter Hals- oder Bru.>>twirbel. Ihr Körper ist queroval, das Loch für das Rückenmark rund. Die Dornfortsätze sind seitlich comprimirt und horizontal gerichtet — die Quer- fortsätzp schwächer als an den Brustwirbeln, und vor den Gelenk- fortsätzen wurzelnd. Die uacli innen und hinten sehenden Gelenk- flächen der oberen Gelenkfort.sätze stehen .spnkreclit, und sind von vorn nacli liinten (-(mcav. Die unteren Gelenkfortsätze .stellen näher an einander als die oberen; ihre (lelenkHäclien .sehen nach aus- und rückwärts, und >iri(l convex. Pas.st man also zwei Lendenwirbel zusammen, so werden die unteren Gelenkfort.sätze des oberen Wirbels von den oberen des unteren Wirbels umfasst. — Der Körper des fünften Lendenwirbels ist vorn merklich höher, als hinten, was auch l)ei den übrigen Lenden wirludn, aber in viel ge- ringerem Grade vorkommt. Zwischen dem oberen (ielenkforthatz und der \\ urz(d des Querfortsatzes findet sich regelmässig ein stumpfer Höcker oder «ine rauhe, vom oberen zum unteren Rande des Querfortsatzes ziehende l^eiste, welche Processus aecessorms heisst. Am äusseren Rande des oberen (xelenkfortsatzes kommt ebenfalls eine Erhaben- heit vor, welche man als Processus maminillaris bezeichnet. Der Processus accessorias und inannnillaris sind in der That nur höhere Entwicklungsstufen jener Rauhigkeit, welche in der Note des vor- hergehenden Paragraphen, an der hinteren Fläche der Brustwirbel- Querfortsätze angeführt wurde, und deren Zerfallen in zwei über einander lieoende Höcker den Ueberi-ani»' zu den getrennten Pro- • essus accessorius und luainiaillaris bildet. Die unteren Eänder der breiten uud von beiden Seiten compriniirten Dornfortsätze der Lendenwirbel erscheinen gegen die Spitze wie eingefeilt, wodurch zwei seitliche Höckerchen entstehen. Die zwischenliegcnde Vertiefung sieht zuweilen, wegen Reibung mit dem oberen Rande des nächstfolgenden Dornfortsatzes beim starken Rückwärtsbiegen der Wirbelsäule, wie eine Ge- lenkfläche aus. Viel seltener findet sich am unteren Rande der Spitze des Dornfortsatzes ein besonderer, hakenförmig nach unten gebogener Höcker, welcher an den nächsten Dornfortsatz stösst und mit ihm ein wahres Ge- lenk bildet. Eine schon im Mannesalter auftretende Verwachsung des letzten Lenden- wirbels mit dem Kreuzbein gehört nicht zu den Raritäten und bildet den Uebergang zur normalen Verwachsung der falschen Kreuzbeinwirbel. Bei Indi- viduen von besonders hoher Statur, erscheint die Zahl der Lendenwirbel um einen Wirbel vermehrt. — Ich besitze den fünften Lendenwirbel eines Er- wachsenen, desi-en Bogen und untere Gelenkfortsätze mit dem Körper nicht verschmolzen sind. §. 124. Kreuzbeia. 355 Durch vergleichend anatomische Untersuchung, und durch die Ergebnisse der Entwicklungsgeschichte der Wirbelsäule, lässt es sich beweisen, dass die Processus transversi der Lendenwirbel eigentlich den Eippen, nicht aber den Querfortsätzen der übrigen Wirbel analog sind. Sie sollten somit besser Pro- cessus costarii genannt werden. Trägt der erste Lendenwirbel eine dreizehnte Eippe. so sitzt diese immer auf dem Processus costarius, nicht auf dem Wirbel- körper. Was an den übrigen Wirbeln Querfortsatz ist, wird an den Lenden- wirbeln durch den Processus accessorius repräsentirt. Die anatomischen Ver- hältnisse der Rückenmuskeln bekräftigen diese Auffassung. Ausführlich über diesen Gegenstand handelt Retzius, in Müllers Archiv, 1849, Henle im Handbuche der systematischen Anatomie, Knochenlehre, und Ho 11. Ueber die richtige Deutung der Querfortsätze der Lendenwirbel, in den Wiener akad. Sitzungsberichten, 85. Bd. §. 124. Kreuzbein. Das Kreuzbein (Os sacrum, latum, clunium, vertebra magna) wird aticli heioliges Bein genannt. Dieser Name stammt wohl dalier, dass der Knochen, als der grösste Wirbel, von den Griechen ^syag enovdvlog genannt, und leqSg (heilig) sehr oft für ^iyag gebraucht wurde, so z. B. "IXiog ieQ% und tegbg novrog bei Homer. „Graecis omnia magna, sacra vocabantur" sagt Spigelius, und im Caelius Aurelianus heisst es: „majora omnia vulgus sacra vocat" (de morhis acutis, Lib. I, Cap. 4). Diese Erklärung eines seltsam klingenden Namens scheint mir richtiger als jene, nach welcher der Knochen, der Nachbarschaft des kothhältigen Mast- darmeswegen, Os sacrum genannt wurde, wo sacrum so viel dl?, detestandum bezeichnet. Allerdings findet man auch für diese Interpretation gewährleistende Stellen in römischen Schriften. So heisst es im Gesetz der zwölf Tafeln: „Homo sacer is est, quem populus judicarit ob maleficium," und ferner: „Pattyyniis, si clienti fraudem fecerit, sacer esto.'' — Der deutsche Name Kreuzbein kann nicht von dem Symbolum christianae fidei hergeleitet werden, da der Knochen mit einem Kreuz nicht die geringste Aehnlichkeit hat. Er stammt vielmehr von dem althochdeutschen Criuzi, worunter eine Erhöhung verstanden wurde. Das Wort Kreutz, sagt Adelung, hat überhaupt den Begriff der Erhöhung. Eine solche Erhöhung findet sich aber am unteren Ende der Rückenseite des Stammes, wo die nach hinten concave Lendengegend in das nach hinten stark convexe Kreuzbein übergeht. Beim Pferd fällt sie besonders auf, und wird im Französischen Croupe, im Italienischen groppa genannt, beides von groppo oder gruppo, ein Höcker, aus welcher Wurzel unstreitig unser Kropf abstammt. Dass die sehr langen und starken Querfortsätze des einzigen Kreuzwirbels bei den ungeschwänzten Batrachiern (besonders auffallend bei Pipa und Xenopus), mit der geraden Wirbelsäule ein rechtwinkeliges Kreuz bilden, war unseren anatomischen Urahnen sicher nicht bekannt. Das Kreuzbein — der grösste Knochen der Wirbelsäule — besteht aus fünf unter einander verschmolzenen falschen Wirbeln, deren Grösse von oben nach unten so rasch abnimmt, dass das Kreuzbein im Ganzen einem nach unten zugespitzten Keile gleicht, welcher zwischen die beiden Hüftbeine des Beckens eingezwängt 23* 350 S- 124. KrouzViein. steckt, (Ion Beckonrinj;' nach hinten schliesst, und (U'r aut" ihm ruhenden Wirbelsäule als Piedestal dient. Obwohl jeder der fünf noch unverwafhsenen Kreu/-beinwirbel eines jugendlichen Indivi- duums die Attribute eines Wirbels ganz kenntlich zur Schau träfft. ist doch das aus der Verwachsuns»- dieser Wirbel hervor- 0 7 O gegangene Kreuzbein einem Wirbel so unähnlich, dass es füglich als falscher Wirbel bezeichnet -werden kann. Die concav-convexe Gestalt dieses Knochens lässt auch einen Vergleich mit einer Schaufel zu, oder besser noch mit einer umgestürzten, nach vorn concaven Pyramide, an welcher es eine nach oben gekehrte Basis, eine vor- dere und hintere Fläche und zwei Seitenränder giebt. Die Basis zeigt in ihrer Mitte eine ovale Verbindungsstelle für den letzten Lendenwirbel, welche Verbindung, da die Axe des Kreuzbeins nicht in der Verlängerung der Axe der Lendenwirbelsäule liegt, sondern nach hinten abweicht, einen vorspringenden Winkel J)ildet, welcher in der Geburtshilfe den Namen Vorberg, Promontorium, führt. Hinter dieser Verbindungsstelle liegt der dreieckige Eingang zu einem das Kreuzbein von oben nach unten durchsetzenden Kanal, welcher eine Fortsetzung des Kanals der Wirbelsäule ist — Canalin sacraUa. — Rechts und links von diesem Eingange ragen die beiden oberen Gelenkfortsätze des ersten falschen Kreuzwirbels hervor. Die vordere Fläche ist concav und zeigt vier Paar Löcher, Foni- mina sacralia anteriora, welche von oben nach unten an Grösse abnehmen und zugleich einander näher rücken. Die Löclier eines Paares verbindet eine quere, erhabene Leiste, in welcher wir eine Spur ogen fehlen und nur ein Kudiment des Körpers erübrigt. Das erste Stück des Steissbeins hat nocii Andeutungen von autsteigendeu Gelenk fortsät/.en in sei neu (Jornua coccygea. Sie wachsen den ('ormia sacrind der hinteren concaven Fbiche der Wirbelkürper lieuen, selbst im höchsten Grade ihres Strotzeus keinen nachtlieiligen Druck auf das Rückenmark ausül)eii können. \ J3) Allgemeine Bänder, welch' sich zivischen je zwei Wirhein wiederholen. 1. In deu Zwischenwirbelscheiben (Ligamenta interoerte- hraliii, besser Fihro-cartilogines infcrrertehralcs) sind die haltbarsten liinduugsmittel je zweier Wirbelkörper gegeben. Jede Zwischen- wirbelscheibe besteht, bei Betrachtung mit unbewaffnetem Auge, aus einem äusseren, breiten, elastischen Faserringe, und einem von diesem umschlossenen, weichen, gallertartigen Kern, welclier nicht die Mitte der Scheibe einnimmt, sondern dem hinteren Rande der- selben näher liegt, als dem vorderen. Die Bindegewebs- imd elastischen Fasern des Ringes sind theils senkrecht gestellt, indem sie an den Yerbindungsflächen je zweier Wirbel festhaften, theils bilden sie liorizontal liegende und concentrisch einander umschliessende Blätter. Je näher dem Aveichen Kerne, desto mehr gewinnen die elastischen Fasern die Oberhand. Ihre theils senkrechte, theils concentrisch ge- krümmte Anordnung erklärt es, warum der Querschnitt einer Band- scheibe kein homogenes Ansehen darbietet, sondern eine Streifung zeigt, indem glänzend helle Ringe mit dunkleren abzuwechseln scheinen. Dass diese Streifung nicht auf einem su])stantiell verschiedenen Ma- terial beruht, sondern der optische Ausdruck der Durchschnitte abwechselnd verticaler und horizontaler Faserungsrichtung ist, beweist der Umstand, dass die hellen Linien der Durchschuittsfläclie dunkel, und die dunkeln hell werden, sobald man die Schnittfläche von einer anderen Seite her beleuchtet. Zwischen den Faserbündeln finden sich Knorpelzellen eingestreut, Avelche sich, an Menge zu- nehmend, bis in den weichen Kern der Bandscheibe hinein erstrecken. Dieser letztere zeichnet sich durch eine merkwürdige Quellbarkeit aus, indem er, selbst wenn er gänzlicli eingetrocknet ist, im Wasser über und über aufschwillt. Seine homogene Grundsubstanz wird nur spärlich von verticalen und schief gekreuzten elastischen Fasern mit eingestreuten Knorpelzellen durchzogen. Bei älteren Individuen finden sich im Centrum des Kernes grössere oder kleinere Hohl- räume, mit glatten oder ausgebuchteten Wänden. Sie sind, ihrem Wesen nach, den Hohlräumen der Gelenke verwandt, und erscheinen wie diese, mit einer Art von Synovialmembran ausgekleidet. Ausführliches über rlen Bau thr Zwischenwirbelschcibcn (jioht Luschka in dir Zeitschrift für rationelle Med.. Bd. VIT. §. 126. Bänder der Wirbelsäule. 361 2. ZAvischenbogenbänder, oder gelbe Bäuder (Ligamenta mtercruralia s. flava). Sie füllen die Zwisclienräiime je zweier Wirbel- bogen aus, bestehen nur ans elastischen Fasern, und besitzen deshalb, nebst der gelben Farbe, auch einen hohen Grrad von Dehnbarkeit, welcher bei jeder Yorwärtsbeug-ung der Wirbelsäule in Anspruch genommen wird. Sie ziehen nicht vom unteren Kande eines oberen Wirbelbogens zum oberen Eande des nächst unteren, sondern mehr zur hinteren Fläche des letzteren. 3. Von den Zwischendorn- und 4. den Zwischenquerfort- satzbändern (Ligamenta interspinalia und intertransversalia), sowie von den Kapselbändern der auf- und absteigenden Grelenkfortsätze, sagt der Name Alles. Am besten entwickelt trifft man sie am Lendensegmente der Wirbelsäule. Die sogenannten Spitzenbänder der Dornfortsätze (Ligamenta apicum) sind wohl nur die hinteren verdickten Eänder der Zwisehendornbänder. Vom siebenten Hals- Avirbeldoru bis zur Protuherantia occipitalis externa hinauf fehlen sie, und werden durch das im hohen Grade elastische Nackenband (Ligamentum nuchae) vertreten, welches beim Menschen viel schwächer ist, als bei jenen Thieren, deren Köpfe schwere Geweihe tragen, oder zum Stossen und Wühlen verwendet werden. Man fühlt mit dem Finger das Band sehr gut am eigenen Nacken, in der Nähe des Hinterhauptes, wenn man den Kopf stark nach vorn beugt. Nucha stammt aus dem Arabischen (vox arabica est, sagt Constantinus Africanus). Es bedeutet Eück eumark, nicht aber Nacken (§. 162). Die Aehnlichkeit der Worte nucha und Nacken verschuldete es, dass nucha im medicinischeu Latein, welches nicht zum reinsten gehört, für Nacken ge- braucht wird: vesicans ad nucham, luxatio nuchae, etc. C) Besondere Sander zwischen einzelnen Wirbeln. Um die Beweglichkeit des Kopfes zu vermehren, konnte er weder mit dem ersten Halswirbel, noch dieser mit dem zweiten durch Zwischenwirbelseheiben verbunden werden. Es waren besondere Einrichtungen nothwendig, um den Kopf beweglicher zu machen, als es ein Wirbel auf dem anderen zu sein pflegt. Bewegt sieh der Kopf in der verticalen Ebene, wie beim Jasagen, so drehen sich die Processus condyloidei seines Hinterhauptes, in den oberen concaven Gelenkflächen der Seitentheile des Atlas, welcher ruhig bleibt, um eine quere Axe. BeAvegt sich der Kopf um seine senkrechte Axe drehend nach rechts und links, so ist es eigentlich der Atlas, welcher diese Bewegung ausführt, indem er sich um den Zahn des Epistropheus, wie ein Rad um eine excentrische Axe, dreht; — der Kopf, welcher vom Atlas getragen wird, macht nothwendig die Drehbewegung des Atlas mit. Beim Neigen des Kopfes gegen eine Schulter wird die Halswirbelsänle als Ganzes nach der Seite zu 362 S l-'' Binder il^r Wirbelsäule. g-ebogcn, wozu, n:ifli llcnk«', uocli eiiu' in (lit*>«Mn Sinne stOir geringe Bewen'lii'likeit der Ilint»'rli;ni|>t-Atl;is;;i*lfnk«» luMträ^t. 1. Bänder /wischen Athis und 1 1 i n t erli :i n p t l>ei n. Der Kaum, welclier xwiscluMi dem vorderen llall)rin^' des Atlas lind der vorderen Pei"i|>lierie des Hinterlianptloelies, sowie zwischen dem hinteren Ilalltrini;' und (h-r hinteren Peripherie dieses liUches ührii;' bleibt, wird dureh zwei fibröse lläiit«» verschlossen, das vordere und hintere Verstoptu Ui;sba nd, Meiuhrami ohtiivatov'ui mittrlor und po.'^tt'vlor. Ersteres ist stärker und stratler, letzteres dünner und schlatier und wird l)eiderseits, dicht an seinem äusseren Kaude, durch die Wirbelarterie durchbohrt, welche von dem l^oche des Qnerfortsatzes des Atlas sich zum g-rossen lliuterhauptloche hiu- krünimt. Die (lelenktlächen der Prores.iKs conilyloidei des Hinter- hauptes und der Seitentheile des Atlas werden durch ( Jelenkkapselu mit schlatt'en Wänden ziisammengehalttni. 2. Bäntler zwischen Epistropheus, Atlas und Hinter- ha u I» tk u ochen. Die Grelenk Verbindung- zwischen Atlas und Zahn des Epi- stropheus ist ein Radgelenk, Articulatio trocho'ules. Der Zahn des Epistropheus wird durch ein starkes Querbaud, TA(jaineutum trans- vevsuiii atlantis, an die Gelenkfläche des vorderen llalbriuges des Atlas angedrückt gehalten. Dieses Querband liegt in der Ebene des Atlasringes und ist von einem JSeiteutheil zum anderen nicht ganz quer gespannt, sondern vielmehr im massigen Bogen um den Zahn herumgelegt. Das Band, welches dort, wo es über den Zahn weg- streift, knorpelartig" verdickt erscheint, theilt die grosse Oeffnung- des Atlasringes in einen vorderen für den Zahu des Epistroplieus und in einen hinteren, grösseren, für das Rückenmai'k bestimmten Raum ein. Vom oberen Räude dieses Bandes geht ein Fortsatz zum vor- deren Rande des grossen Hiuterhauptloches hinauf und vom unteren Rande ein gleicher zum Körper des Epistropheus herab. Diese beiden senkrechten Fortsätze bilden mit dem Querbaud ein Kreuz. — Damit der Zahn aus dem durch den vorderen Halbriug- des Atlas und durch das Querband begrenzten Raum nicht herausschlüpfe, wird er auch an den vorderen Umfang- des grossen Hinterhaupt- loches durch drei Bänder — ein mittleres imd zwei seitliche — Vjefestigt. Das mittlere (Ligamentum Suspensorium dentis) g-eht von der Spitze des Zahnes zum vorderen Rande des Foramen occipitale niagnum; die beiden seitlichen (Ligamenta alaria s. Maucharti) erstrecken sich von den Seiten der Zahnspitze zu den Seitenrändern des Hinterhauptloches und zuri uueren Fläche der Processus condy- loidei. Sie beschränken die Drehbewegung des Kopfes. David §. 126. Bänder der Wirbelsäule. -363 Mauchart, Professor in Tübingen, handelte zuerst von ihnen in der Schrift: De lu.ratione nuchae. Tuh., 1747. Der hier beschriebene Bandapparat wird durch eine fibröse Membran zugedeckt, welche über dem vorderen Rande des grossen Hinterhauptloches entspringt, von der sie bedeckenden harten Hirn- haut durch zwischenlagernde Veneugeflechte getrennt ist und am Körper des zweiten Halswirbels dort endet, wo das Ligamentum longitudinale posterius beginnt. Ich nenne sie Membrana ligamentosa, und verstehe unter dem Namen Apparatus ligamentosiis, welchen ihr alte und neue Schriftsteller beilegen, die Gresammtheit der Bänder zwischen den zwei oberen Halswirbeln und dem Hinterhauptbein. Der Name Apparatus drückt ja eine Vielheit von Theileu aus und kann auf Ein Ligament nicht angewendet werden. Zwischen der vorderen Peripherie des Zahnfortsatzes und der anstossenden Gelenkfläche des vorderen Atlasbogens befindet sich eine kleine SynoA'ialkapsel. Zwischen der hinteren Peripherie des Zahnes und dem über sie quer weggehenden Ligamentum trans- versum findet sich eine viel grössere Synovialkapsel, welche sich auch um die Seiteufläche des Zahnes herumlegt. Der vom vorderen Atlasbogen und dem Ligamentum transversum gebil- dete, zur Aufnahme des Zahnfortsatzes bestimmte Hohlraum ist kein cj'lin- drischer, sondern ein konischer — oben weiter, als unten — da auch der Zahn einen dicken Kopf und einen schmächtigeren Hals besitzt. Dass auch dieser Umstand dem Herausschlüpfen des Zahnes aus seiner Aufnahmshöhle entgegen- wirkt, liegt auf der Hand. — He nie hat zuerst darauf hingewiesen, dass die einander zugekehrten seitlichen Gelenkflächen des Atlas und Epistropheus, im frischen Zustande, bei der Kopfrichtung mit dem Gesicht nach vorn, sich nicht in allen Punkten, sondern nur mit transversal gerichteten niedrigen Firsten berühren, vor und hinter welchen sie klaff'end von einander abstehen. Wird eine Seitendrehung des Kopfes, z. B. nach rechts ausgeführt, so tritt linkerseits die hintere Hälfte der seitlichen Gelenkfläche des Atlas mit der vorderen Hälfte derselben Gelenkfläche des Epistropheus in Contact, während zugleich rechterseits die vordere Hälfte der seitlichen Gelenkfläche des Atlas mit der hinteren des Epistropheus in Berührung kommt. Bei der Kopfdrehung nach links findet das entgegengesetzte Verhältniss statt. Diese Bewegungen wären ohne sehr bedeutende Weite und Schlaff'heit der betreftenden Gelenks- kapseln absolut unausführbar. Zerreissung des Querbandes und der Seitenbänder des Zahnfortsatzes, wie sie durch ein starkes und plötzliches Niederdrücken des Kopfes gegen die Brust entstehen könnte, würde den Zahnfortsatz in das Eückenmark treiben und absolut tödtliche Zerquetschung desselben bedingen. Die Gewalt, welche eine solche Verrenkung des Zahnfortsatzes nach hinten bewirken soll, muss sehr intensiv sein, da die Bänder des Epistropheus ein Gewicht von 125 Pfund, ohne zu zerreissen, tragen (Maisonabe) und die Stärke des Querbandes wenigstens nicht geringer ist, die übrigen Bänder und Weichtheile gar nicht gerechnet. — Man hat behauptet, dass beim Hängen der Verbrecher, wenn, um die Dauer des Todeskampfes zu kürzen, gleichzeitig an den Füssen gezogen wird, eine Verrenkung des Zahnes nach hinten jedesmal eintrete 364 S. V2'. lietraolitnn(» der Wirl>plsaiilc als Ganzes. (J. L. Petit). Ich habe an zwei Leichen gehenkter Mörder keine Zerreissung der Bänder des Zahnes beobachtet, möchte jedoch die Mögliclikeit derselben nicht in Zweifel ziehen, wenn, wie es in Frankreich vor Einführung der Guillotine geschah, der Henker sich auf die Srhultern des Delinquenten schwingt und dessen Kopf mit beiden Händen nach unten drückt. Petit könnte somit wohl Recht gehabt haben. In einem Falle, wo ein junger Mensch sicli auf einen andern stürzte, welcher gerade mit seinem Leibe ein Rad schlug, kam in Folge von Zersprengung der Bänder des Zahnes augenblicklich tödtliche Luxation des Zahnes vor. Ich muss noch hinzufügen, dass Mackcnzie und Monro. welche mehr als 50 gehenkte Verbrecher auf die fragliche Verrenkung untersuchten, dieselbe nicht vorfanden. Ebenso liat Orfila. welcher an 20 Leichen directe Versuche hierüber vornahm, wohl einmal einen Bruch des Ziihnfortsatzes, aber nie eine Luxation desselben nach hinten entstehen gesehen. Der Bandapparat zwischen Zahn des Epistropheus, Atlas und Hinterhaupt- bein wird am zweckmässigsten untersucht, wenn man an einem Nacken, welcher bereits zur Muskelpräparatidn diente, die Bogen der Halswirbel und die Hinter- hauptschu]ipc absägt und den Rückgratkanal mit dem grossen Hinterhau]ttlochc dadurch öffnet. Nach Entfernung des Rückenmarkes trifft man die harte Hirn- haiit. Unter dieser folgt die Membrana ligantentosa und, bedeckt von dieser, das Ligamentum cruciatum, nach dessen Wegnahme das Ligamentum Suspen- sorium und die beiden Ligamenta alaria übrig bleiben. 3. Bäiidor zvvischoii Kreuz- iind Stoissbein, Die Spitze des Kreuzbeins wird mit dem ersten Steissbein- stück, imd die folgenden Stücke des Steissbeins unter einander, dnrcli F;iserknor|)elselieiben Avie Avalire Wirbel vereinigt. Dazu kommen vordere, liintere nnd seitliche Yorstärkungsbänder — TAga- menta san(lscheil)en der TAgamenta inter- vertehralhi, letztere durch die Ligdinentd flava s. intercruralia aus- gefüllt, so dass beiderseits nur die Foramina intervertehraUa für die austretenden Rückenmarksnerven offen bleiben. Die Länge der Säule, ohne Rücksicht auf ihre Krümmungen, in gerader Linie vom Atlas bis zum Kreuzbeine gemessen, beträgt durchschnittlich den dritten Theil der ganzen Körperlänge. — Die einzelnen Glieder der Säule — die Wirbel — nehmen bis zum Kreuzbein an Grösse all- §. 127. Betrachtung der Wirbelsäule als Ganzes. 365 mälig- zu, vom Kreuzbein bis zur Steissbeinspitze aber schnell ab. Die Breite der Wirbelkörper wächst vom zweiten bis zum siebenten Halswirbel. Yom siebenten Halswirbel bis zum vierten Brustwirbel nimmt sie wieder etwas ab und steigt von nun an successive bis zur Basis des Kreuzbeins. Die Höbe der einzelnen Wirbel ist am Hals- segmente fast g-leicb und wächst bis zum letzten Lendenwirbel in steigender Progression. Der Kanal für das Eückenmark bleibt in den Halswirbeln ziemlich gleichweit; in den Eückenwirbeln, vom sechsten bis zum neunten, ist er am engsten; in den oberen Lenden- wirbeln wird er Avieder weiter imd verenget sich neuerdinffs ffea-en die Kreuzbeinspitze. Die SeitenöfFnungen des Kanals (Foramina intervertehralia), deren wir mit Inbegriff der vorderen Kreuzbein- löcher dreissig zählen, sind an den Brustwirbeln enger, an den Lenden- und Kreuzwirbeln weiter als an den Halswirbeln. — Die grösste Entfernung je zweier Dornfortsätze kommt am Halssegmente der Wirbelsäule vor, wegen horizontaler Eichtunff und fferins-er Dicke dieser Fortsätze. Am Brustsegmente erscheint sie, wegen üebereinanderlagerung der Dornen, am kleinsten, und im Lenden- segmente kaum kleiner als am Halse. Das dachziegelförmige Ueber- einanderschieben der mittleren Brustwirbeldornen schützt das Eücken- mark gegen Stich und Hieb von hinten besser, als am Halse imd an den Lenden. — Der Abstand zweier Bogen zeigt sich zwischen Atlas und Epistropheus am grössten, sehr klein bei den Eücken- wirbeln, grösser bei den Lendenwirbeln. Verletzende Werkzeuge dringen am leichtesten zwischen Hinterhaupt und Atlas, wie zwischen Atlas und Epistropheus in die Eückgratshöhle ein. Die Spitzen der Querfortsätze der sechs oberen Halswirbel liegen in einer senkrechten Linie über einander. Der Querfortsatz des siebenten Halswirbels weicht etwas nach hinten ab, welche Abweichung sämmtlichen Brustwirbel- Querfortsätzen zukommt und sich an den Lendenwirbeln wieder in die rein quere Eichtung verwandelt. An der hinteren Seite der Wirbelsäule liegen zwischen den Dorn- und Querfortsätzen aller Wirbel zwei senkrechte Rinnen, Sulci dorsales, welche den langen Eückenmuskeln zur Aufnahme dienen. Die Wirbelsäule ist nicht vollkommen geradlinig und darf es nicht sein. Denn würde der Kopf auf einer geradlinigen Wirbel- säule ruhen, so müsste jeder Stoss, welcher, wie beim Sprung und beim Fall auf die Füsse, von untenauf wirkt, Erschütterung des G-ehirns mit sich bringen. Besitzt aber die Wirbelsäule mehrere Krümmungen, so wird der Stoss grösstentheils in der Schärfung der Krümmungen absorbirt und wirkt somit weniger nachtheilig auf das Grehirn. Die Krümmungen der Wirbelsäule sind nun folgende. Der Halstheil erscheint nach vorn massig convex, der Brusttheil stark nach hinten gebogen, der Lendentheil wieder nach vorn convex, das Kreuzbein nach hinten. Diese vier Krümmungen addiren sich zu 366 §• 1'-". Betrachtung der Wirbelsäule als Ganzes. einer torrhnitenden Sclilangenkrüinnum'i;'. Man priij^t sieh das Gesetz der Krümnuinii' am besten ein, wenn man festhält, dass jene Reihen von \A irbeln, welche mit keinen Nehenknochen in Yerhindunj:; stehen (Hals- nnd Lendenreihe) nach vorn, dap,ej»'en die mit Nebenknochen des Stammes verbundenen Reihen (Brustwirbel und Kretizbein) nach hinten eonvex a;ekrüjnmt sind. Die nach hinten convexen Krüm- mungen vers^rössern den Rauminhalt der vor ihnen liegenden Höhlen der Brust und des Beckens. Die Krümmungen der Wirbelsäule entwickeln sich erst mit dem Vermögen aufrecht zu stehen und zu gehen. Bei Embryonen und bei Kindern, welche noch nicht gehen lernten, sind .sie nur angedeutet. Sie stellen sich aber bei Thieren, welche auf zwei Füssen zu gehen abgerichtet wurden, zur Zeit des Aufrechtseins sehr kennbar ein. — Die Uebergangsstelle der nach vorn convexen Lendencurvatur in die nach hinten convexe Kreuz- beincurvatur heisst Aorberg, Prornontoriunt. Eine schlangenfönnig: frekrüinnite Wirbelsäule trägt besser als eine gerade. Rechnung und Versuch zeigen, dass bei zwei oder mehreren geraden Säulen von verschiedener Höhe, wenn sie vertical aufgestellt und vertical gedrückt werden, im Moment des beginnenden Biegens sich die Druckgrössen verkehrt wie die Säulenhöhen verhalten. Eine kurze Säule erfordert somit mehr Druck, um gebogen zu werden, als eine längere. Die Wirbelsäule, welche bis zum fixen Kreuzbein herab aus drei in entgegengesetzten Richtungen gekrümmten Segmenten besteht, muss sich also in drei entgegengesetzten Richtungen krüm- men, d. h. sie besteht eigentlich aus drei über einander gestellten, kurzen Säulen, welche somit zusammen mehr tragen können, als eine gerade Säule, deren Länge der Summe der drei kurzen Säulen gleich ist. — Man kann es eben so leicht zur Anschauung bringen, dass die nach unten verlängerte Schwer- punktslinie des Kopfes, welche zwischen beiden Processus condyloidei des Hinterhauptbeins durchgeht, die Chorda der drei oberen Krümmungen der Wirbelsäule bildet. — Bei sehr alten Menschen geht die schlangenförmige Krümmung der Wirbelsäule (mit Ausnahme der Kreuzbeincurvatur) in eine einzige Bogenkrümmung über, deren Convexität nach hinten sieht und als Senkrücken bezeichnet wird. Die nach vorn convexen Krümmungen der Wirbelsäule werden durch die Grestalt der Zwischenwirbelscheiben bedingt, welche an ihrem vorderen Umfange höher als am hinteren sind. Die nach hinten convexe Krümmung der Brustwirbelsäule hängt nicht von den Zwischenwirbelscheiben ab, die hier vorn und hinten gleich hoch sind, sondern wird durch die vorn etwas niedrigeren Körper der Brustwirbel erzeugt. — Die leichte Seitenkrümmung der Brust- wirbelsäule nach rechts fehlt nur bei Wenigen. Sie erklärt sich durch den vorwaltenden Gebrauch der rechten oberen Extremität, denn bei Individuen, welche ihre Linke geschickter zu gebrauchen wissen, krümmt sich die Brustwirbelsäule nach links. — Die .weib- liche Wirbelsäule unterscheidet sich von der männlichen darin, dass §. 128. Bewegliclikeit der "Wirbelsäule. 367 die Querfortsätze der Brustwirbel stärker nacli hinten abweichen und das Lendensegment verhältnissmässig etwas höher ist. Die Zusamrnendrtick'barkeit der Zwischenwirbelscheiben erklärt es, warum der menschliche Körper bei aufrechter Stellung kürzer ist, als bei horizontaler Kückenlage. Auch die Zunahme der Krümmungen der Wirbelsäule bei aufrechter Leibesstellung hat auf diese Verkürzung Einfluss. Nach Messungen, welche ich an mir selber vorgenommen habe, beträgt meine Körperlänge nach sieben- stündiger Ruhe 5 Schuh 8 Zoll, vor dem Schlafengehen dagegen nur 5 Schuh 7 Zoll 3 Linien. Nach längerem Krankenlager fällt oft die Zunahme der Körper- länge auf. Sie verliert sich jedoch wieder in dem Maasse, als das Ausserbettsein des Eeconvalescenten die elastischen Zwischenwirbelscheiben durch verticalen Druck auf eine geringere Höhe bringt und die Krümmungen der Wirbelsäule an Schärfe zunehmen. Oft findet man die rechte Hälfte eines Wirbels merklich höher als die linke, was, wenn keine Ausgleichung durch ein entgegengesetztes Verhältniss des nächstfolgenden Wirbels herbeigeführt wird, Seitenverkrümmung (Scoliosis) bedingt. — Die Gesetze des Gleichgewichtes fordern es, dass, wenn an einer Stelle eine Verkrümmung des Rückgrats auftritt, in dem nächst unteren Seg- mente der Wirbelsäule eine compen sirende, i. e. entgegengesetzte Krümmung sich einstellt. — Die Dorn- und Querfortsätze sind als Hebelarme zu nehmen, durch deren Länge die Wirkung der an ihnen sich inserirenden Rückgratmuskeln begünstigt wird. §. 128. Beweglichkeit der Wirbelsäule. Nur das aus den vierundzwanzig' wahren Wirbeln gebildete Stück der Wirbelsäule ist nach allen Seiten beweglich. Das zwischen die Beckenknochen eingekeilte Kreuzbein steckt fest und sein Appendix — das Steissbein — kann nur in geringem Grade nach vor- oder rückwärts bewegt werden. Die Beweglichkeit der wahren W^irbel hängt zunächst von den ZAvischeuwirbelscheiben ab. Jede Bandscheibe dieser Art stellt ein elastisches Kissen dar, welches dem darauf liegenden Wirbel eine geringe Bewegung nach allen Seiten zu erlaubt. Wenn auch die Beweglichkeit zweier Wirbel gegen einander sehr limitirt ist, so wird doch die ganze Wirbel- säule durch Summirung der Theilbewegungen der einzelnen Wirbel einen hohen Grrad von oe,schmeidio;er Biegsamkeit erhalten, lieber die Beweglichkeit der Wirbelsäule belehren nns folgende Beob- achtungsergebnisse. 1. Die Beweglichkeit der Wirbelsäule ist nicht an allen Stellen derselben gleich. Jene Abschnitte der Wirbelsäule, in welchen der Kanal für das Rücken- mark eng ist, haben eine sehr beschränkte oder gar keine Beweglichkeit (Brustsegment, Kreuzbein), während mit dem Weiterwerden dieses Kanals an den Hals- und Lendenwirbeln die Beweglichkeit zunimmt. Die grössere oder geringere Beweglichkeit eines Wirbelsäulensegments wird von folgenden Punkten abhängen: aj von der Menge der in ihm vorkommenden Bandscheiben; bj von der Höhe der Bandscheiben-, cj von der grösseren oder geringeren Spannung der fibrösen Wirbelbänder; dj von der Kleinheit der Wirbelkörper; ej von einer günstigen oder ungünstigen Stellung der Wirbelfortsätze. 3G8 S. 128. Howcffli.-lik.Mt i\oy Wiib.'lsnal". 2. Da mit der ]\Irnpo der Bandscheibiu an einem Wirbelsegmcnte von bestimmttr vertieakr AusdeinnuiEr die ]\Ienge des bewegliehen Elementes der Wirbelsäule wüehst, wird die Halswirbelsäule einen höheren Grad von allseitiger Bcwegliehkeit besitzen, als das Brust- oder Bauchsegment, was uns Lebende und Todte bestätigen können. Beugung, Streckung, Seitwärtsneigung, selbst ein geringer Grad von Drehbarkeit um die Axe kommt der Halswirbelsäule, nicht aber der Brustwirbelsäule zu. Die Höhe der Zwisehenwirbelscheiben nimmt vom letzten Lendenwirbel bis zum dritten Brustwirbel ab, wächst aber bis zum vierten Halswirbel wieder, um von diesem bis zum zweiten Halswirbel neuer- dings kleiner zu werden. Nach den Messungen der Gebrüder Weber beträgt die mittlere Höhe der letzten Zwischenwirbelscheibe 10,9 Millimeter, zwischen drittem und viertem Brustwirbel 1,9, zwischen fünftem und sechstem Hals- wirbel 4,6, zwischen zweitem und drittem Halswirbel 2.7. Die Summe der Höhen aller Zwischenwirbelscheiben gleicht dem vierten Theil der ganzen Säulenhöhe. Die unbeweglichsten Wirbel sind der dritte bis sechste Brustwirbel, sowie der zweite Halswirbel. 3. Die kleine Peripherie der Halswirbelkörpcr und die verhältnissmässig nicht unansehnliche Dicke ihrer Bandscheiben fördert ihre Beweglichkeit nach allen Seiten. Die Halswirbelsäule besitzt selbst, wie die Lendenwirbelsäule, einen geringen Grad von Drehbarkeit. 4. Die Stellung der Fortsätze der Wirl)el, ihre Bichtung und Länge influirt sehr bedeutend auf die Beweglichkeit der Wirbelsäule. Die horizontabn und unter einander parallelen Durnen der Hals- und Lendenwirbel sind für die Bückwärtsbeugung der Hals-' und Lendenwirbelsäule günstige, die dach- ziegelförmige Ueberciuanderlegung der Brustdornen dagegen ungünstige Momente. — Die ineinander greifenden auf- und absteigenden Gelenkfortsätze der Lenden- wirbel begünstigen die Axendrehung der Körper dieser Wirbel, welche Be- wegung durch die Höhe der Zwisehenwirbelscheiben in erheblichem Grade gefördert wird. Drückt man auf eine präparirte und vertical aufgestellte Wirbelsäule von oben her, so werden ihre Krümmungen stärker und verflachen sich Avieder bei nachlassendem Drücke. Während des Druckes drängen sich die Ränder der Zwisehenwirbelscheiben wie Wülste hervor, welche bei nachlassendem Drucke wieder verschwinden. Die Beweglichkeit der Wirbelsäule an einzelnen Stellen wurde durch E. H. Weber dadurch bestimmt und gemessen, dass er an einer mit den Bän- dern präparirten Wirbelsäule drei Zoll lange Nadeln in die Dorn- und Quer- fortsätze einschlug, welche als verlängerte Fortsätze oder Zeiger die an und für sich wenig merklichen Bewegungen der Wirbel in vergrössertem Maassstabe absehen Hessen. Unter Anderem führten diese Untersuchungen zur Erkenntniss. dass beim starken Ueberbeugen der Wirbelsäule nach rückwärts sie nicht gleich- förmig im Bogen gekrümmt wird, sondern dass es drei Stellen an ihr giebt, wo die Biegung viel schärfer ist. als an den Zwischenpunkten und fast wie eine Knickung der Wirbelsäule aussieht. Diese Stellen liegen \. zwischen den unteren Halswirbeln. 2. zwischen dem eilften Brust- und zweiten Lendenwirbel, 3. zwischen dem vierten Lendenwirbel und dem Kreuzbein. An Gymnasten. welche sich mit dem Kopfe rückwärts bis zur Erde beugen, kann man sich von der Lage der einspringenden Winkel, welche durch das Knicken der Wirbelsäule entstehen, leicht überzeugen. Die mit Zerreissung der Bänder auftretenden Wirbelver- renkungen kommen fast ausschliesslich nur an den drei genannten Stellen vor. — Wie gross die Festigkeit des ganzen Bandapparates der Wirbelsäule ist, kann §. 129. Brustbein. 369 man aus Maisonabe's Versuchen entnehmen, nach welchen ein Gewicht von 100 Pfund dazu gehört, um eine Halswirhelsäule, von 150 Pfund, um eine Brust- wirbelsäule, und von 250 Pfund, um eine Lendenwirbelsäule zu zerreissen. b) Nebenknoclien des Stammes. §. 129. Brustbein. Die Nebenknochen des Stammes construiren mit den Brust- wirbeln den Brustkorb. Sie sind: das Brustbein nnd die Rippen. Das Brustbein oder Brustblatt (Sternum, von GteQeog, hart, fest, quia munit ßrmatque pectüs, nach Spigelius) wird auch Os s. Scutum pectoris und Os ociphokles genannt; bei Hippocrates ffT-ij^o?, woher Stethoskop für ein in der neuen Medicin viel gebrauchtes Instrument zum Untersuchen der Brustorgane. Bei den altdeutschen Anatomen heisst das Brustbein „die Platten". Deshalb wäre Brust- platte richtiger als Brustblatt. Das Brustbein liegt der Wirbelsäule gegenüber, au der vor- deren Fläche des Stammes. Man hat seine Gestalt mit dem kurzen, nur zum Stoss dienenden Schlachtschwert verglichen, dessen sich die Römer bis zu Hannibars Zeit bedienten (ensis, il(pog\ wo sie das lange und scliAvere celtiberische Schwert einführten. Aus dieser Schwertgestalt des Brustbeins ergab sich die in unserer Zeit allge- mein angenommene Eintheilung in den Griff, in den Körper oder das Mittelstück (auch Klinge genannt) und in die Spitze oder den Schwertfortsatz. Der Griff oder die Handhabe (Manubrium) stellt den obersten und breitesten Theil des Knochens dar. Er liegt der Wirbelsäule näher als das untere Ende des Brustbeins und hat eine vordere, leicht convexe, und eine hintere, wenig coneave Fläche. Der obere Rand der Handhabe ist der kürzeste, mit halbmond- förmigem Ausschnitt, Incisura semilunaris. Der untere Rand ist gerade und dient zur Vereinigung mit dem oberen Rande der Klinge. Rechts und links von der Incisura jugularis liegt eine sattelförmig gehöhlte Gelenkfläche für das innere Ende des Schlüsselbeins (In- cisura clavicularis) . Die massig convergirenden Seitenr ander der Handhabe setzen sich in jene des Körpers (Klinge) fort. Dieser Körper ist dreimal länger, aber zusehends schmäler als der Griff und trägt an seinem unteren Rande den zugespitzten oder abge- rundeten oder gabelförmig gespaltenen Schwertfortsatz (Processus xiphoideus s. ensiformis). Zuweilen zeigt er ein Loch von verschie- dener Grösse, — sehr selten zwei. Er verharrt durch das ganze Leben im knorpeligen Zustande und heisst deshalb auch allgemein Schwertknorpel. Seine totale Yerknöcherung und knöcherne Yer- sehmelzung mit dem Körper des Brustbeins zählt zu den Seltenheiten. Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl. 24 370 8. 129. BTOst>iein. Ich habe ihn bei einer 104jährigen Pfrfindnerin noch unverknöchert gesehen. Die Seitenränder des Bru.stbeins stehen mit den inneren Enden der sieben oberen Rippenknorpeln in Verbindung. Der erste Rippen- knorpel geht ohne Unterbrechung oder Zwischenraum unmittelbar in die knorpelige Grundlage des Manubriums über. Der zweite Rippenknorpel articulirt mit einem (irülK-lien zwischen Handgriff und Klinge; der dritte, vierte, fünfte und sechste legen sich in ähn- liche, aber immer flacher werdende Grübchen ( Foreolae codales) im Verlaufe des Seitenrandes, und der siebente Rippenknorpel in eine sehr seichte Vertiefung zwischen Klinge und Scliwertfortsatz. — Das weibliche Brustbein charakterisirt sich durch die grössere Breite seiner Handhabe und durch seine schmälere, aber längere Klinge. — Das Brustbein besitzt nur eine sehr dünne Rinde von compacter Knochensubstanz, welche eine äusserst fein genetzte Suhstantia spon- aiosa umschliesst. Daher rührt die Leichtigkeit des Knochens, welcher zugleich, da er blos durch die elastischen Rij)penkuorpel gehalten wird, eines erheblichen Grades von Schwungkraft theilhaftig wird. Nach Luschka (Zcitsclirift für rationelle Med., 1855) wird die Verbindung zwischen Handhabe und Körper des Brustbeins beim Neugeborenen und noch beim Kinde bis in das achte Lebensjahr nur durch Bindegewebe und elastische Fasermasse ohne Thcilnahme von Knorpelsubstanz vermittelt. Im reifen Alter besteht die Verbindungsmassc aus zwei hyalinen Knorpelplatten, welche durch zwischenliegendes Fasergewebe zusammenhalten. Im Greisenalter kommt es selbst ausnahmsweise zur Bildung einer spaltförmigen Höhle zwischen beiden Knorpel- platten, also zum verspäteten Auftreten eines Gelenks. Die Synchondrosc zwischen Handhabe und Körper verwächst häufig schon im frühen Mannesalter. Im Kindesalter zeigt sie, besonders bei Athmungsstörungen (Engbrüstigkeit, Keuchhusten), eine oft sehr auffallende Beweglichkeit. — Am unteren, etwas breiteren Ende des Körpers des Brustbeins existirt abnormer Weise ein angeborenes Loch von 1 — 4 Linien Durchmesser, welches im frischen Zustande durch Knochenknorpel und Beinhaut verschlossen wird und Anlass zu tödtlichen Verletzungen durch spitzige Instrumente geben kann. In meinem Besitze findet sich ein weibliches Brustbein, an welchem zwei vertical über einander stehende Löcher coexistiren; der einzige Fall dieser Art! Das untere der beiden Löcher übertrifft das obere, 12 " Weite, zweimal an Durchmesser. — Zuweilen besteht der Körper des Brustbeins aus mehreren, durch Knorpel ver- einigten Stücken, bei den Säugethieren aber meistens aus so vielen Stücken, als sich wahre Rippen finden. — Kurze Brustbeine sind gewöhnlich breiter als lange. Das Brustbein des donischen Kosaken in der Blumenbach'schen Samm- lung ist handbreit. — Die Verbindung des Brustbeins mit den Knorpeln der wahren Rippen verleiht ihm so viel Schwungkraft, dass es durch Stoss von vornher nicht leicht bricht. Portal zergliederte zwei durch das Rad hinge- richtete Verbrecher und fand an ihnen keine Brüche des Brustbeins. Verknöchern aber diese Knorpel, so wird die Beweglichkeit des Brustbeins sehr beschränkt, mit mehr weniger Athmungsbeschwerde. Dass sie nicht nothwendig im vor- gerückten Alter auftritt, beweist Thomas Parry (alias Parr), welcher 130 Jahre alt wurde (nach einigen Angaben 160) und bei dessen Zergliederung §. 130. Kippen. 371 Harvey alle Rippenknorpel unverknöchert antraf. In seinem 115. Jahre hatte Parry noch einen Process wegen Stuprum violentum durchzumachen (Th. Bar- tholinus, Hist. anat. rar. Cent. V., Hist. 28). — In sehr seltenen Fällen kommt es gar nicht zur Entwicklung des Brustheins und dieser Schlussstein des Brustkastens fehlt, wodurch eine Spalte entsteht, durch welche das Herz aus dem Brustkasten treten und vor demselben eine bleibende Lage einnehmen kann (Ectopia cordisj. — Eechtwinkelig nach innen gekrümmte oder durch Länge ausgezeichnete Processus xiphoidei wurden beobachtet. Desault sah den Schwertfortsatz bis an den Nabel hinabreichen. — Ein nach vorn gekrümmter Schwertfortsatz hebt die Haut der oberen Bauchregion zu einem runden, mit dem Finger deprimirbaren Hügel empor. — Bei den Arabisten heisst der Schwert- fortsatz Pomum granatum oder Malum punicum: „quia — wie es im Seren- garius Carpensis heisst — assimilatur parti balaustii floris mali granati" (weil er einem Blatt der Krone der Granatapfelblüthe ähnlich sieht). Bre sehet (Recherches sur differentes pieces du squelette des animaux vertehris encore peu connues. Paris, 1838) handelt ausführlich über zwei Knochenkerne, welche am oberen Rande der Handhabe des Brustbeins, einwärts von der Incisura clavicularis liegen und im Menschen, wenn auch nicht con- stant, doch häufig genug vorkommen. Er nannte sie Ossa suprasternalia und erklärte sie für paarige Rippenrudimente, indem er in ihnen die Andeutung des Sternalendes einer sogenannten Halsrippe zu sehen meinte (Note zu §. 121), deren Vertebralende durch die sich öfters vergrössernde und selbstständig werdende vordere Wurzel des Querfortsatzes des siebenten Halswirbels darge- stellt wird. Nach Luschka (Denkschriften der Wiener Akad., Bd. XVI) sind die Ossa suprasternalia paarig, symmetrisch, an Form dem Erbsenbeine der Handwurzel ähnlich und mit dem Brustbein durch Synchondrose verbunden. Sie haben auch eine starke Bandverbindung mit dem in §. 136 erwähnten Zwischenknorpel des Sterno - Claviculargelenks. Da nun wahre Ossa supra- sternalia gleichzeitig mit vollkommen entwickelten, d. h. bis zum Sternum reichenden Halsrippen vorkommen, so wird Breschet's Deutung derselben als Sternalenden unvollkommen entwickelter Halsrippen unhaltbar. Ich kann es nicht unterlassen, hier zu bemerken, dass, genau betrachtet, das Brustbein nicht einem Schwert, sondern nur dem Griffe eines Schwertes ähnlich sieht, dessen Klinge, freilich nur sehr unvollkommen, durch den Pro- cessus xiphoidetts repräsentirt wird. Was wir jetzt Griff des Brustbeins nennen, ist eigentlich nur der Knauf dieses Griffes, an welchem der kleine Finger der das Schwert fassenden Faust anliegt. Auch die Riffe, mit welchen ein Schwert- griff versehen wird, um fester gehalten werden zu können, werden einiger- maassen durch die von den Foveolae costales bedungene Unebenheit der Seiten- ränder des Brustbeins dargestellt. Vesal und Spigelius haben die Sache schon so angesehen. An einem Schwert den Griff (jetziges Manuhrium) breiter zu machen als die Klinge (jetziges Corpus sterni), wäre Unsinn. Aber der Un- richtigkeiten in der anatomischen Sprache giebt es so viele, dass diese allein zu rügen Niemand aufgelegt ist, obgleich das Unrichtige der jetzigen Ein- theilung des Brustbeins wohl jeder Anatom und jeder Schüler der Anatomie fühlt. §. 130. Eippen. Rippen (Costae, nlsvQai und a-ita'&ai. bei Aristoteles) sind zwölf paarige, zwischen Wirbelsäule und Brustbein liegende, bogenförmige, seitlich comprimirte, sehr elastische Knochen. Die Yielheit derselben, 24* 372 §• 130. Rippen. welche beim ersten Blicke auf ein Skelet «gleich in die Augen fällt, veranlasste zweifellos den .Ursprung des Wortes Gerippe. Werden die Rippen mit Ausnahme der ersten und der zwei letzten auf eine TiscliHäche gelegt, so liegen .sie nicht in ihrer ganzen Länge auf. Sie können somit keine Kreissegmente sein, wie sie denn wirklich ausser der Flächenkrümmung auch eine Krümnuing nach der Kante und eine leichte T(>rsi(»u in ihrer Länge aufweisen. Jede Bip[»e besteht ;ius einer knöchernen S])aug(' und einem knorpeligen Verlängerungsstücke derselben, dem Rippenknorpel. Erreicht der Knorpel einer Rij)pe den »Seitenrand des Brustbeins, so heisst die Rippe eine wahre (Co.st(( vera). Die oberen sieben Paare sind A\alire J^ippeii. Erreicht aber der Ri[)penkn(>rpel das Brustbein nicht, wie an den fünf unteren Ri|)p(Mij)aaren, so legt er sich ent- weder an den Knorp(d der vorhergehenden Ri])pe an, wie bei der achten, neunten und zehnten Rip])e, oder er endet frei in der Bauch- wand, wie bei der eilften und zwölften. In lieideu Fällen heissen die Rippen falsche (Costae spuriae). Die eilfte und zwölfte werden in.sbesondere, ihrer grossen Beweglichkeit wegen, auch schwankende Rippen (Costae fluctuantes) genannt. Die falschen Rijipen heissen auch Costae nothüc (von ro&og, eigentlich ein mit einer Beischläferin er- zeugtes Kind), dann aber auch unecht und falsch. iJoduc nn'atJo.sde, wie sie ebenfalls genannt werden, ist ein stinkender grammatikalischer Bock, ^Qnn inpe besitzen ein rundliches Köpfchen. Nur wenn die Gelenkfläche zur Aufnahme des ersten Ri])penkopfes zugleich vom siebenten Halswirbel gebildet wird, trägt das Köpfchen der ersten Rippe zwei unter einem Giebel (i^rista capiUiH) zusammenstossende, platte Gelenkflächen, welche am Köpfchen der zweiten bis zehnten immer vorkommen, am Kopfe der eilften und zwölften aber zu einer §. 130. Rippen. 373 einfachen convexen Gelenkfläche ohne Crista verschmelzen. Der Kopf der zehn oberen Rippen sitzt auf einem rundlichen Halse. Wo dieser Hals in das breitere Mittelstück der Rippe übergeht, bemerkt man nach hinten den Rippenhöcker (Tuherculum costae), welcher sich mittelst einer überknorpelten Fläche an die ihm zugekehrte Grelenk- fläche des betreffenden Wirbelquerfortsatzes anstemmt. Im Sulcus costalls findet man, nahe am Halse oder an diesem selbst, mehrere Foram'ma nutritia, welche in Ernährungskanäle führen, deren Eichtung dem Köpfchen der Rippe zustrebt. — An der Aussenfläche des hinteren Segments der dritten bis letzten Rippe macht sich eine mehr weniger stark ausgeprägte, schräg nach aussen und unten gerichtete, rauhe Linie bemerklich, durch welche dieses Segment von dem Mittelstück der Rippe abgegrenzt wird. Diese rauhe Linie stört zugleich die bogenförmige Krümmung der Rippe in der Art, dass der hintere Theil der Rippe gegen den mittleren wie in einem stumpfen Winkel abgesetzt erscheint. Ängulus s. Cubitus costae lautet der Name, welchen seit Vesal dieser stumpfe Winkel führt. An der ersten und zweiten Rippe fällt der Ängulus costae mit dem Tuherculum zusammen. Alle Rippen einer Brustseite sind einander ähnlich, aber keine ist der anderen gleich. Die einzelnen Rippen difFeriren in folgenden Punkten: 1. Durch ihre Länge. Die Länge der Rippen nimmt von der ersten bis zur siebenten oder achten zu; von dieser gegen die zwölfte ab. Die Abnahme geschieht rascher als die Zunahme und es muss somit die zwölfte kürzer sein als die erste. 2. Durch ihre Krümmung. Man unterscheidet drei Arten von Krümmungen: 1. eine Krümmung nach der Kante, 2. nach der Fläche, 3. nach der Axe (Torsion). Die Krümmung nach der Kante ist an der ersten Rippe am ausgesprochensten. Die Flächenkrümmung zeigt sich an allen, von der zweiten bis zwölften, und zwar um so stärker, je näher eine Rippe der zweiten steht, oder mit anderen Worten, die Kreise, als deren Bogensegment man sich eine Rippe denken kann, werden von oben nach unten grösser. Die Torsions- krümmung, welche an den mittleren Rippen am meisten auJÖFällt, lässt sich daran erkennen, dass jene Fläche einer Rippe, welche nahe an der Wirbelsäule vertical steht, sich um so mehr schräg nach vorn und unten richtet, je näher sie dem Brustbein kommt. 3. Durch ihre Richtung. Die Rippen liegen nicht horizontal, sondern schief, mit ihren hinteren Enden höher, als mit den vorderen. Nebstdem kehren die der ersten zunächst folgenden Rippen, ent- sprechend der fassförmigen Gestalt des Brustkorbes, ihre Flächen nicht direct nach aussen und innen, sondern zugleich nach oben und unten. 4. Durch das Yerhältniss des Halses zum Mittelstück. Absolut genommen, nimmt die Länge des Rippenhalses von der ersten bis siebenten Rippe zu, relativ zur Länge des Mittelstücks 374 S- 131. Verbindungen der Rippen. ;il>er :il). An den hoideu letzteu Rippeu fehlt wegen Mangel des Tuherculuui ancli dtM- Hals. Die lii i> jxMik ii(»rj)el, (\ir(if(((iitit's coftfannii, -welclie für die zelin ol)eren Hippen Haelii;edrüc*kt, für die zwei unteren aber rund- licli und zugespitzt ersclieinen, stimmen hinsiclitlicli ihrer Länge mit den l?ip|)en, welchen sie angeliören, überein, d. h. je länger die Rippe, desto länger auch ihr Knorj)el. Ihre von ol)en nach unten ab- nehmende Stärke, sowie ihre Verl)in(hiugsart mit dem Brustbein und unter sifli. hat auf die verschiedene BeAveglichkeit der Rippen Eintluss. Die Richtung dei* drei obei'en Knorjiel mag nahezu horizontal genannt werden. Die fdlgeudeu Rippenknorjtel steigen, abweichend von (Um- Richtung ihi-er Rippen, schräge gegen das Brustbein auf. Die Knorj)el der sechsten bis neunten Rippe, seltener der fünften bis zehnten, senden sich einander kurze, aber breite Fortsätze zu, mittelst welcher sie unter einander articiiliren. Als rarae aves stellen sich am Schwertkiiorpel paarige appendiculäre Knorpelstücke ein, wekhe offenbar Andeutungen selbstständiger Rippenknorpel sind (Oehl, in den Sitznugsberieliten der Wiener Akad., 1858, Nr. 23). — Die wtildicht^n Ri}ipen unterscheiden sich dadurch von den männlichen, dass die Krünunung nach der Fläche an ihrem hinteren Ende stärker, die Krümmung nach der Kante schwächer sich ausprägt. Der Aimiln.f s. Cubitus weiblicher Rippen ist zugleich schärfer als jener der männlichen. Nach M ecket sind, selbst in kleineren weiblichen Körpern, die ersten beiden Rippen länger als bei Männern. Zuweilen theilt sich eine Rippe oder ihr Knorpel vorn gabelförmig oder es verschmelzen zwei, ja selbst drei Rippen theilweise zu einem flachen, breiten Knochenstück oder es gehen zwei Rippen in Einen Knorpel über. — Die Zahl der Rippen sinkt auf eilf herab, wobei nicht die erste, sondern die zwölfte Rippe fehlt und der zwölfte Brustwirbel ein überzähliger Lendenwirbel wird. — Vermehrung der Rippen ereignet sich in der Regel durch Einschiebung eines rippentragenden Wirbels zwischen dem zwölften Brust- und ersten Lenden- wirbel. Jedoch bildet sich die dreizehnte Rippe auch oberhalb der sonstigen ersten, indem die ungewöhnlich verlängerte und selbstständig gewordene vordere Spange des Querfortsatzes des siebenten Halswirbels ihr in der Entwicklungs- geschichte begründetes Recht als Halsrippe geltend macht. Der von Adams beschriebene Fall, wo das erste Rippenpaar das Brustbein nicht erreichte, gehört offenbar Lieber. — Bertin will auf beiden Seiten fünfzehn Rippen beobachtet haben, was nicht unmöglich erscheint, wenn man sich die Bedeutung der Querfortsätze der Lendenwirbel als Proce.'^.ms costarü vergegenwärtigt. — — Das Pferd hat achtzehn, der Elephant neunzehn Rippenpaare.— Der gelehrte Albertus Magnus hat die Frage: ob Adam beim letzten Gericht mit vier- undzwanzig oder dreiundzwanzig Rippen erscheinen werde, einer gründlichen Untersuchung werth gefunden. §. 131. Verbindungen der Rippen. Die Verbindungen, welche die Rippen eingehen, sind für die "Wahren und falschen Rippen verschieden. §. 131. Verbindungen der Rippen. 375 Die wahren Rippen verbinden sict an ihren hinteren Enden mit der Wirbelsäule, an ihren vorderen durch ihre Knorpel mit dem Seitenrande des Brustbeins. Beide Yerbindung-en bilden Gelenke — die Articulationes costo- spinales und costo-sternales. Bei den falschen Rippen fehlt die Verbindung mit dem Brustbein. A) Die Gelenke zwischen den hinteren Rippenenden und den Wirbeln sind für die zehn oberen Rippen doppelt: 1. zwischen Rippenkopf und seitlichen Gelenkgrübchen der Wirbel- körper (Articulationes costo-vertebrales) , und 2. zwischen Höcker der Rippe und Wirbelquerfortsatz (Articulationes costo-transversales) . Bei den zwei letzten Rippen fehlt mit dem Höcker auch die zweite Gelenksverbindung. 1. Jede Articulatio costo-vertehralis besitzt eine Kapsel, welche durch ein vorderes, strahlenförmiges Hilfsband (Ligamentum radia- tum) bedeckt wird. Im Inneren des Gelenkes findet sich bei den zehn oberen Rippen, von der Crista ihrer Köpfchen zur betreffenden Zwischenwirbelseheibe gehend, das Ligamentum transversivm capituli costae. An den Köpfchen der zwei letzten Rippen fehlt es, sowie auch am Köpfchen der ersten Rippe, in dem Falle, wenn die Grube für dieses Köpfchen vom ersten Brustwirbel allein, ohne Theilnahme des siebenten Halswirbels gebildet wird. Das Ligamen- tum transversum ist kein gewöhnliches fibröses Band, sondern zählt, seinem Baue nach, zu den Faserknorpeln. — An den beiden unteren Rippen habe ich das Costo-Yertebralgelenk durch eine Synchondrose ersetzt getroffen. 2. Da die Rippen bei den Athembewegungen sich an den zu- gehörigen Querfortsätzen etwas verschieben, so wurde die Errichtung der Articulationes costo-transversales für die zehn oberen Rippen nothwendig. An jeder Articulatio costo-transversalis findet sieh eine dünne Kapsel, und ein starkes Hilfsband, welches die hintere Seite des Gelenkes deckt (Ligamentujn costo-transversale). Auch die, von dem nächst darüber liegenden Querfortsatze zum oberen Rande und zur hinteren Fläche des Rippenhalses herabsteigenden, vorderen und hinteren Ligamenta colli costae, siehern die Lage der Rippe, ohne ihre Erhebung beim Einathmen zu beschränken. B) Die Gelenke zwischen den vorderen Rippenenden und dem Brustbeine gehören der zweiten bis inclusive siebenten Rippe an, da der erste Rippenknorpel sich ohne Gelenk an das Brustbein festsetzt. Ausnahmsweise kann jedoch auch der erste Rippenknorpel eine Gelenksverbindung mit der Brustbeinhandhabe eingehen. Die Gelenke der Eippenknorpel mit dem Brustbein besitzen keine fibrösen Kapseln, sondern nur Synovialkapseln mit vorderen Bandauflagen {Ligamenta 3/0 §. IS2. Allgpmeine Betrachtung de« Brustkorbes. .-•terno-cot^talia radiataj. — In Jtiii GtKiik des zweiten Ivippenknorpcls findet sich sehr häutig ein, das tjelenk liorizuntal durehset/.ender und seine Höhle in zwei Räume theilender Faserknorpel, als Verlängerung des Knorpels zwischen Handhahe und Körper des Brustbeins. — Voin sechsten und siebenten Rippen- knurpcl gibt das stramme Ligamentum cnsto-.riphoideum /um Sehwertfortsatz. s?. lo2. Allgemeine Betrachtung des Brustkorbes. Die zwölf Kippeupaare biUleu, mit deu zwölf Bni.stwirbeln und mit dem Bru.stbeiu, den Brustkorb oder Brustkasten, Thorax (von &wqai„ der metallene Brustharnisch). Der Brustkorb stellt ein fassförmiges Kuothengerüste dar, zu welchem die Rippen gewissermassen die Reifen l)ildeu. (Seine vordere Wand ist die kürzeste, flacher als die übrigen, und wird vom Brustbein und den Knorpeln der wahren Rippen gebildet. Sie liegt derart schräg, dass das untere Ende des Brustbeins zweimal so weit von der Wirbelsäule absteht, als das obere. Die hintere Wand erscheint, durch die in die Brusthöhle vorspringenden AA irbelkörper, stark eingebogen, nnd geht ohne scharfe Grenze in die Seitenwände über. Die Länge der vorderen, der hinteren, und der Seitenwand verhält sich wie 5 : 11 : 12 Zoll. Der horizon- tale Durchschnitt des Brustkorbes hat eine bohnenförmige, — der senkrechte, durch beide Seitenwände gelegte, eine viereckige Gestalt mit convexen Seitenlinien. Der Brustraum (Cavum thoracis) steht oben und unten offen, und erscheint auch durch die eilf Zwisehenrippenräume (Spatia intercostalia) seitlich wie aufgeschlitzt. Die obere, kleinere OefFnung (Apertu'ra thoracis svperior) wird durch den ersten Brustwirbel, das erste Rippenpaar mit seinem Knorpel und durch die Handhabe des Brustbeins gebildet. Die untere, viel grössere OefFnung (Apertura thoracis inferior) wird vom letzten Brustwirbel, dem letzten Rippen- paare, den Knorpeln aller falschen Rippen, und dem Schwert- fortsatze des Brustbeins umschrieben. Die Ebenen l)eider Oeffnungeu sind, wegen Kürze der vorderen Brustwand, auf einander zugeneigt und eonvergiren nach vorn. — Eine stark vorspringende, volle und convexe Brust ist ein nie fehlendes Zeichen eines kraftvollen, gesunden Kutuheubaues, wälirend ein schmaler, vorn gekielter Thorax ein physisches Merkmal kör])erlicher Schwäche und angebornen Siechthums abgiebt. Die ZAvischenrippenrä u nie können, da die Rippen nicht parallel liegen, somit nicht überall gleich weit von einander ab- stehen, auch nicht in ihrer ganzen Länge gleich weit sein. Sie erweitern sich nach vorn zu, sind an der Uebergangsstelle der Rippen in ihre Knorpel am geräiiniigsten, und werden, gegen den I §. 132. Allgemeine Betrachtung des Brustkorbes. 377 Rand des Brustbeins hin, wieder schmäler. Die zwei letzten Inter- costalräume (10 und 11) sind, da die eilfte nnd zwölfte Rippe frei in der Bauchwand endigt, nach vorn nicht abgeschlossen, sondern offen. Das vordere Ende einer Eippe steht tiefer als das hintere. Es kann deshalb, wenn die Hebemuskeln der Rippen wirken, die Eichtung der Eippen sich der horizontalen nähern, wodurch das Brustbein emporgehoben und von der Wirbelsäule entfernt wird. Die Gelenke am hinteren Eippenende und die Elasticität der Knorpel am vorderen, erlauben auch den Eippen (am wenigsten der ersten) einen geringen Grad von Drehung, wodurch ihr Mittelstück gehoben, und ihr unterer Rand mehr nach aussen bewegt wird. Beide Bewegungen finden beim tiefen Einathmen statt und erweitern den Brustkorb im geraden, vom Brustblatte zur Wirbelsäule gezogenen, und im queren, von einer Seite zur anderen gehenden Durchmesser. Die verticale Vergrösserung der Brusthöhle beim Einathmen wird nicht durch die Hebung der Eippen, sondern vorzugs- weise durch das Herabsteigen des Zwerchfells erzielt. Hören die Muskelkräfte,- welche die Eippen aufhoben und etwas drehten, zu wirken auf, so stellt sich das frühere Verhältniss wohl schon durch die Elasticität der Knorpel wieder her. Der grösste Umfang des Brustkorbes fällt nicht in die untere Brust- apertur, sondern etwa in die Mitte seiner Höhe und beträgt im Mittel 25 Zoll. Die Breite der hinteren Brustwand erlaubt dem Menschen auf dem Eücken zu liegen, was die Thiere nicht können, da sie keine Eückenfläche, sondern nur eine Eückenkante haben. Der weibliche Brustkorb erscheint in verticaler Eichtung etwas länger und mehr fassartig geformt, als der männliche, welcher ihn übrigens an Ge- räumigkeit übertriift. Bei Frauen, welche /Sich stark schnüren, wird der untere Umfang des Brustkorbes auffallend verkleinert, die recht- und linkseitigen falschen Rippen werden zusammengedrängt und die Knorpel der achten Rippen stossen selbst zuweilen vor dem Schwertknorpel an einander. — Wenn ein weiblicher und ein männlicher Leichnam von gleicher Grösse horizontar neben einander liegen, so steht bei letzterem die Brust merklich höher als die Schooss- fuge, bei ersterem niedriger oder gleich hoch. Umständliche Erörterung dieser Verhältnisse des Brustkorbes in beiden Geschlechtern enthält Sömnierring's kleine Schrift: Ueber die Wirkung der Schnürbrüste. Berlin, 1793. Der Ausdruck Brustkorb passt nur auf den Thorax des Skeletes, da dieser, wie das Flechtwerk eines Korbes, Lücken besitzt (Spatia intercostalia). Brustkasten dagegen kann nur der durch seine Muskelauflagen zu einem geschlossenen Räume gestaltete Thorax genannt werden, in welchem, wie in einem Kasten, die Brusteingeweide enthalten sind. Im gemeinen Leben hören wir öfter die Hirnschale, welche das Gehirn einschliesst, Hirnkasten nennen. — Brustkorb und Hals wurden zusammen mit dem hohlen und bauchigen Körper und dem Griffblatt einer Zither verglichen. Daher schreibt sich der Hippocratische Ausdruck ■Ki&aQog für Brust. Das Wort lässt seine persische Abstammung nicht verkennen. Denn die ältesten Zithern hatten nur vier Saiten fciar, vier, tar, Saite). Das arabische sadar (Brust) und unsere Guitarre (italienisch chitarraj entstanden daraus. 378 S. 133. Eintheilung der oberen Extremitäten. C. Knochen der oberen Extremitäten oder l^rustolieder. §. 133. Eintheilung der oberen Extremitäten. Die beiden oberen Extremitäten bestellen aus vier beweglich unter einander verbundenen Abtheilungen: der Schulter, dem Oberarm, dem Vorderarm, und der Hand, Avelche letztere selbst wieder in die Handwurzel, die Mittelhand, und die Finger abgetheilt wird. — Kxtremitas für Gliedmasse findet sich nur bei Plinius (e.itremitates corporis und e.rtreuiitahon dolores). Andere römische Schriftsteller, wie Celsus, als unser sprachlich-medicinischer Gewährsmann, sagen Memhra oder Artus. §. 134. Knochen der Schulter. Schlüsselbein. Der Anatom versteht unter Schulter etwas Anderes als der Laie. Im gewöhnlichen Sprachgebrauch gilt als Schulter, eine am äusseren oberen Contour der Brust befindliche, weiche, dem Delta- muskel entsprechende Wölbung, während die Anatomie unter diesem Namen zwei Knochen der oberen Extremität zusammenfasst: das Schlüsselbein und das Schulterblatt. Das Schlüsselbein, Clavicida (Os juc/idi im Celsus, im Homer, der Querlage des Knochens wegen, xh^Tg, in der Bedeutung als Riegel), ist ein massig S-förmig gekrümmter, fingerdicker und starker, sich mit der ersten Rippe kreuzender Röhrenknochen, durch welchen die obere Extremität mit dem Stamme zusammenhängt. Sein inneres Endstück (Extreuiitas sternalis), dicker als das äussere, stützt sich mittelst einer stumpf dreieckigen, massig sattel- förmig geb(tgeuen Gelenkfläche auf die im Allgemeinen wohl ent- sprechend gekrümmte, aber nicht vollkommen congrueute Incisxira clavicxdaris des Brustbeins. Es hat an der, dem ersten Rippenknorpel zugekehrten Gegend, eine längliche Rauhigkeit, zur Anheftung des Liciamentum costo-claviculare. Sein äusseres Endstück (Eairemitas acroinlalis), breiter als das innere, und \^n oben nach unten flachgedrückt, zeigt an .seinem äussersten Rande eine kleine, ovale Geleukfläche, zur Verbindung mit dem Acromium des Schulter- blattes. An seiner unteren Fläche bemerkt man eine rauhe Stelle, zur Befestigung des Ligamentum coraco-claviculare. Das mehr weniger abgerundete Mittelstück des Schlüsselbeins, schliesst nur eine kleine Markhöhle ein. Die Krümmung des Knochens ist in den beiden inneren Dritteln nach vorn convex, am äusseren Drittel §. 134. Knochen der Schulter. Schlüsselhein. 379 nach vorn concav. Der Halbmesser der ersten Krümmung übertriiFt jenen der zweiten. Im weiblichen Geschlechte finden wir das Schlüsselbein, be- sonders an seinem äusseren Drittel, weniger gebogen, und zugleich mehr horizontal liegend, als im männlichen. Portal behauptet, das rechte Schlüsselbein sei in beiden Geschlechtern stärker gekrümmt als das linke. — Bei Mensehen aus der arbeitenden Classe verdickt sich die Extremitas sternalis des Schlüsselbeins, wird kantiger, schärfer gebogen, vierseitig pyramidal, und ihre Gelenkfläche über- ragt die Incisura clavicidaris des Brustbeins nach vorn und nach hinten. Dem Schlüsselbein, als Verbindungsknochen der oberen Extremität mit dem Stamme, kommt eine hohe functionelle Wichtigkeit zu. Es hält, wie ein Strebepfeiler, das Schultergelenk in gehöriger Entfernung von der Seitenwand des Thorax und bedingt mitunter die Freiheit des Gebrauches des Armes. Bricht es, was meistens auswärts seiner Längenmitte geschieht, so sinkt die Schulter herab, das Oberarmgelenk reibt sich bei Bewegungsversuchen an der Thoraxwand und die Bewegungen der oberen Extremität werden dadurch in bedeutendem Grade beeinträchtigt. — Die oberflächliche Lage des Knochens erleichtert zwar das Erkennen und Einrichten seiner Brüche, aber seine grosse Beweglichkeit gefährdet die Erhaltung der Einrichtung. — Je kraftvoller, viel- seitiger und freier die Bewegungen der vorderen Extremitäten bei den Thieren werden, desto grösser und entwickelter erscheint das Schlüsselbein, z. B. bei kletternden, grabenden, fliegenden Säugethieren. Bei den Katzen nimmt es nur die Hälfte des Abstandes zwischen Brustbein und Schulterblatt ein und fehlt gänzlich bei den Ein- und Zweihufern, welche ihre vorderen Extremitäten nur zum Gehen, nie zum Greifen verwenden. — An der hinteren Gegend des Mittel- stücks finden sich 1—2 kleine Foramina nutritia, welche in eben so viele, gegen die Extremitas acromialis des Knochens gerichtete Canales nutritii führen! Der Name Schlüsselbein drückt doch eine Aehnlichkeit mit einem Schlüssel aus. Kein römischer Schlüssel sieht aber dem Schlüsselbein ähnlich. Sie sehen nach den Abbildungen, welche A. Eich von ihnen gegeben hat, alle wie unsere jetzt gebräuchlichen Schlüssel aus. Es könnte auch keine absurdere Form für einen Schlüssel gedacht werden, als eine S-förmige, weil ein so gestalteter Schlüssel sich im Schlüsselloch nicht umdrehen lässt. Dagegen war bei der römischen und griechischen Jugend ein Spielzeug gebräuchlich, in Gestalt eines metallenen Eeifens, welcher mit vielen losen, bei der Bewegung des Eeifens klingenden Eingelchen und Schellchen behängt war (garruli annuli bei Marti al, auch tintinnabulaj. Der Eeif wurde nicht mit der Hand, sondern mit einem gleichfalls metallenen Stab von S-förmiger Krümmung getrieben. Das Ende des Stabes, welches mit der Hand gefasst wurde, war etwas breiter (wie die Extremitas acromialis unseres Schlüsselbeins), das entgegengesetzte Ende etwas verdickt (wie die Extremitas sternalis). Der Eeifen hies Trochus, der Stab aber Clavis trochi. Von dieser Clavis führt das Schlüsselbein seinen Namen. Die Clavis war, nach der Abbildung auf einem antiken, geschnittenen Stein zu urtheilen, welche den Eeif und seinen Treiber darstellt, etwa 1V„ Fuss lang, gab also im Diminutiv: Clavicula. — Seltener ist die Benennung des Schlüsselbeins als Ligula (von ligare, binden, weil es die Schulter mit dem Brustbein verbindet). — Der im Mittelalter gebräuchliche Ausdruck Furcula bezieht sich nicht auf Ein Schlüsselbein, sondern auf beide zusammen. 380 §. 136. Schulterblatt. §. 135. Schulterblatt. Das S i' li II l t «M" 1; 1 ;i t t , Si'(i{>i(/(i, li«^nt als ein In-citer, flaclier, bei seiner Grösse zugloicli Iciilitci-, in der Mitte oft sogar durfli- sc'lieiuender Knttclien, wie ein knoi-liernes Seliild anf der liinteren Thoraxwand, wo es die zweite l)is siel)ente oder achte Hippe theil- weise bedeckt. Seiner dreieckii^en Clestalt Avegen wird es in eine vordere nud hintere Fläche, drei Ränder, nnd ebenso viele Winkel eiugetheilt. Dazn kommen noch zwei Fortsätze. Die vordere Fläche ist, da sie sieh der convexen hinteren Thoraxwand anschmiegt, leicht ausgehöhlt, unil mit drei bis fünf rauhen Leisten gezeichnet, welche die ITrsprungsstellen einzelner Bündel des 3Iusri(Ius ftubscapitlavifi sind, und nicht durch den Ab- druck der Kippen entstehen, wie man früher glaubte, und der alte Name Costae scupulares noch ausdrückt. Die hintere Fläche wird durcli ein stark vorragendes KuochenrifF, Spina scapulae, Schulter- gräte (besser ISchultergrat, da man auch Rückgrat sagt, von Grat, d. i. Kante), in die kleine Obergrätengrube, Fossa supra- spinata, und in die grössere Untergrätengrube, Fossa infraspinata, abgetheilt. Da es kein Adjectiv Spinatus giebt, wäre es richtiger, die beiden Gruben als Fossa supra und infra spinam zu benennen. — Der der Wirbelsäule zugekehrte, scharfe, innere Rand des Schulterblattes ist der längste; der äussere ist kürzer und dicker und zeigt an starken Schulterblättern zwei deutliche Säume oder Lefzen. Der obere Rand ist der kürzeste, etwas concav und scharf. An seinem äusseren Ende findet sich ein tiefer Einschnitt, Incisura scapulae. Der untere Winkel ist abgerundet, der obere innere spitzig ausgezogen, der obere äussere aufgetrieben, massiv, und mit einer senkrecht ovalen, flachen Gelenkgrube für den Kopf des Oberarmknochens versehen (Cavitas glenoidalis) . Die Furche, welche diese Gelenkgrube von den übrigen Knochen gleichsam ab- schnürt, heisst Hals. Der an der hinteren Fläche der Scapula aufsitzende Schulter- grat verlängert sich nach aussen und oben, in einen breiten, von oben nach unten comprimirten Fortsatz, welcher über die Gelenk- fläche des Schulterblattes wie ein Schirmdach hinausragt, und Grätenecke oder Schulterhöhe, Sumrnus humerus s. Acrornion (rö uxQov Tov couov, Höhe der Schulter), genannt wird. An dem äussersten Ende derselben befindet .sich, nach innen zu, eine kleine Gelenkfläche für die Extremitas acromialis des Schlüsselbeins. Xebst dem Akromion wird die Gelenkfläche noch durch einen anderen Fortsatz — Rabenschnabel fortsatz, Processus coracoideus — überwölbt, welcher zwischen Incisura semüunaris und Cavitas gle- §. 135. Schulterblatt. gg]^ noidalis scapulae breit entspringt, sicli nach vorn imd aussen fast im rechten Winkel, ähnlich einem halbgebogenen kleinen Finger, über die Gelenkfläche wegbiegt, und aus so compacter Knochenmasse besteht, dass er unbedingt der stärkste Theil des Schulterblattes genannt werden kann. Er wird von der Extremitas acromialis des Schlüsselbeins, welche quer über ihn läuft, gekreuzt. Betrachtet man Schulterblatt und Schlüsselbein beider Schultern m ihrer natürlichen Lagerung am Skelete, so bilden sie zusammen einen unA-ollkommenen knöchernen King oder Gürtel, den Schulter- gürtel, welcher aber vorn und hinten offen ist. Die vordere Oeff- ming wird durch die Handhabe des Brustbeins ausgefüllt. Seine hintere OefFnung (zwischen den inneren Rändern beider Schulter- blätter) bleibt unausgefüllt, und wird mit der verschiedenen Stellang der Schulterblätter breiter oder schmäler werden müssen. Die Lage des Schulterblattes, welches nur durch eine sehr kleine Ge- lenkfläche mit dem Schlüsselbeine, und durch dieses mit dem Skelete zusammen- hängt, verändert sich je nach der Stellung des Armes. Hängen die Hände ruhig herab, so stehen die inneren Eänder der beiden Schulterblätter senkrecht und sind der Wirbelsäule parallel. Hebt man den Arm langsam, bis in die verticale Eichtung nach aufwärts, so folgt der untere Winkel des Schulter- blattes diesen Bewegungen und entfernt sich, einen Kreisbogen beschreibend, von der Wirbelsäule. Muskeln überlagern das Schulterblatt dergestalt, dass sie nur die Spina scapulae bei mageren Personen durch die Haut, ja durch den Rock erkennen lassen. - Das Akromion wird in seltenen Fällen als Os acromiale ein selbst- ständiger Knochen, welcher mit der Spina scapulae nur durch Knorpel zu- sammenhängt. E. Wagner, Enge und Grub er haben das Akromion sogar durch ein wahres Gelenk mit der Spina scapulae articuliren gesehen. Enge gedenkt eines Falles, in welchem sich zwei Ossa acromialia vorfanden (Zeitschr. für rat. Med., VH. Bd.). Ausführlich hierüber handelt Grub er, im Archiv für Anat. und PhysioL, 1863. - In der Mitte der Untergrätengrube kommt, als Thierbildung, zuweilen eine grosse Oeffnung vor, sowie auch die Incisura semilunaris, durch eine knöcherne Querspange in ein Loch sich umwandelt. — Die mehrfachen Foramina nutritia des Schulterblattes finden sich theils längs seines äusseren Eandes, theils in der Nähe der Cavitas gUnoidalis. - Beim sogenannten phthisischen Habitus liegen, wegen Schmalheit des Thorax, die Schulterblätter nicht mit der ganzen Breite ihrer vorderen Fläche auf der hinteren Thoraxwand auf, sondern entfernen sich von ihr mit ihrem inneren Rande, welcher sich nach hinten wendet und die Haut des Eückens aufhebt: Scapulae alatae. Das Schulterblatt kommt als Scutulum im Celsus und als Omoplata im Galen vor. Da die Schulterblätter der Opferthiere zum Wahrsagen benützt wurden, hiess dieser Knochen auch Scoptula, von aninro^mi, sehen. Veraltet sind die Benennungen Pterygium und Chelonium, welche von den griechischen Aerzten gebraucht wurden, weil seine Lage auf dem Eücken an Flügel {nreQvi) oder an das Eückenschild der Schildkröten (xslävr]) erinnert. Die anatomischen Schriften, des Mittelalters führen das Schulterblatt als Spatula und Spathula auf, von ß7tK&7], ein breites Stück Holz zum Umrühren, was wir Spatel Oo2 S 18fi. VertiindiiiiRen der i^rhuUprlcnoohpn. nennen. Zna&r] heisst auch ein lireites, zweischneidiges Schwert, wie es die Leibgarde der griechischen Kaiser trug (die t^pada der Italiener). Ein Com- mandant (Protospatharius) dieser Leibgarde, unter Kaiser Heraclius im 7. Jahrhundert. Namens Theophil us. welcher zugleich Bischof war, schrieb ein. aus dem Galen und Rufus Ephesius compilirtes, anatomisches Werk, nach dessen lateinischer Ucbersetzung (Theoph. Protospatharii de corp. hum. fahrica), im 13. Jahrhundert an der Pariser Universität die Anatomie gelehrt wurde (Bulaeus). §. 136. Verbindungen der Schulterknochen. Wir Iial)en liier zuerst die Verl)iniein. J)a> untere Ende erxlieiiir breiter und tlaclier, A> das obere. Avie von vorn nach hinten /.nsaniniennednickt. und Ix^sitzt, zur Ver- bindung mit jedem der beiden Vorderarmknodien, besondere (xebihle. Diese sind: o) die Rolle (Tronnt, welche zuweilen, besonders bei alten Indiviflnen durchbrochen gefunden wird. Neben der Rolle liegt nach aussen h) das kugelige Köpfchen (Eminenbia capitata), welches, wie die Rolle, mit Knorpel ül)erzogen ist, und zur (ielenk- verbindung mit dem Radius dient. Verfolgt man die äussere und innere Kante des Mittelstücks, mit dem Finger nach abwärts, .so gelangt man auf den äusseren kleineren, und inneren grösseren Knorren des Oberarms (i^ondy- liis e.vternns und interni'.s), welche, da sie den Streckern und Beugern der Hand und (h'i- Finger zum Ursprünge dienen, ganz gut Condylus extenaorlus (der äussere), und flexor'ms (der innere) zu nennen wären. Bei französischen Anatomen heisst allgemein der äussere Condylus: Epkondyle, der innere: Epitrochle'e. Schon aus der bedeutenden Grösse des inneren Knorrens lässt sich schliessen, dass die Gesammt- masse der von ihm entspringenden Beugemuskeln grösser als jene der Streckmuskeln sein wird. Zwischen Condylus fnteriws und Trochlea, Hndet sich an der hinteren Seite des unteren Endes des Oberarmlieins eine tiefe Furche (Sidcus vbiaris), für den A erlauf des Ellbogennerven. Das Oherarmbein cistlieint im (Tanzen etwas nacli innen und vurn ge- wunden (coxirhure de torsion der französischen Anatomen, was Albin mehr galant als richtig, mit den Worten bezeichnet: „tamqvam si aptet se ad am- ple,vu}n"J. — Der Kopf dieses Knochens heisst im Volksninnde: die Kugel, beim Pferde der Kegel, seine Verrenkung: das Auskegeln. i Vü l^is 2 Zoll über dem Condvlns internus sitzt nicht ganz selten ein gerader oder liakenförmig nacli abwärts gekrümmter Fortsatz an der inneren Fläche des Knodiens auf, welcher seiner Stellung und seines Verhältnisses zur Arteria hrachialis und zum Nervus medianns wegen, zu dem bei vielen Säuge- thieren vorkommenden Canalis supracondyloideus in nächster Beziehung steht, und von Joseph i (Anatomie der Säugethiere, I. Band, pag. 319) Processus supracondvloideus genannt wurde. Melir hierüber bei Otto, De rarioribus quibus- dam sceleti huniani cum sceleto animaliuin aiialogiis. Vratisl., 1839; ho\ J^arkow, Anat. Abhandl. Breslau. 18.^1; und mit ganz ausgezeichneter comparativer Vielseitigkeit bei W. Gruber, in seiner „Monographie des Canalis supracon- diiloideus' , St. Petersburg, 1856. — Grub er hat diesen Fortsatz unter 220 Leichen sechsmal angetroffen. Jedesmal dient er einem accessorischen Fascikel des Musculus pronator teres zum Ursprung. Seine Spitze wird mit jener des §. 188. Schnltergelenk. ggg Condylus humeri internus durch ein Ligament verbunden, wodurch ein Foramen supracondyloideum zu Stande kommt. Einen Fall von Processus supracondv- loideus an beiden Armen eines Neugeborenen besitze ich in meinem Museum. — Auf die Vererbbarkeit dieses Fortsatzes hat Prof. Struthers in Aberdeen aufmerksam gemacht (The Lancet, 1813, Febr. 15.). §. 138. Schultergelenk. Das Schultergelenk, Articulatio humeri, ist das freieste Ge- lenk des menschlichen Körpers — die vollkommenste Arthrodie. Der Kopf des Oberarmknochens bewegt sich auf der flachen Gelenkgrube des Schulterblattes so allseitig, dass wir jeden Punkt unserer Körperoberfläche mit der Hand erreichen können. — Der Kopf gleicht an Umfang beiläufig dem dritten Theil einer Kugel von 17.2 Zoll Durchmesser. Die Cavitas glenoidalis des Schulter- blattes aber ist ein kleineres Segment einer ebenso grossen Halb- kugel, und steht sonyt nur mit einem Theile der Oberfläche des Kopfes in Berührung, Sie hat an ihrem Rande einen ringförmigen, knorpeligen Aufsatz (Limhus cartüagineus s. Labrum gUnoidale), welcher sie etwas tiefer macht. — Die weite und schlaff'e fibröse Kapsel, welche vom anatomischen Halse des Oberarmknochens zur Peripherie der Cavitas glenoidalis scapidae geht, beschränkt keine der Bewegungen des Oberarms. Wäre sie straff" gespannt, so würde sie, bei den grossen Bewegungsexcursionen des Oberarms, noth- wendig hemmend einwirken. Die SchlaffTieit ihrer Wände erlaubt dagegen ein sonst bei keinem Gelenk in so grossem Maassstabe zu beobachtendes Gleiten und Drehen des Oberarmkopfes in der Cavitas glenoidalis, wodurch jeder Punkt des ersteren an letzterer vorbei- geht. Der untere Eand der Kapsel setzt über beide Tubercula brückenartig weg, und verwandelt den Sidcus intertubercularis in einen Kanal, durch welchen die Sehne des langen Kopfes vom Musculus biceps in die Gelenkhöhle dringt, um sich an der höchsten Stelle des Limhus cartilagineus festzusetzen. Die Synovialkapsel versieht diese Sehne mit einer Scheide, welche sich nach abwärts, dem Sidcus intertubercularis entlang, bis zur Anheftungsstelle der Sehne des grossen Brustmuskels erstreckt, und nach aufwärts die Bicepssehne, bis zu ihrer Insertion an die höchste Stelle des Limhus cartilagineus, begleitet. Eine sackartige Ausstülpung der Synovial- kapsel schiebt sich zwischen den Rabenschnabel und die oberen Bündel des Musculus suhscapidaris ein. Die untere Wand der fibrösen Kapsel ist die schwächste. Schlemm beschrieb drei Verstärkungsbänder an der Kapsel des Schalter- gelenks (Müllers Archiv, 1853), als Ligamentum coraco-brachiale, glenoideo- hrachiale internum und inferius, deren Namen ihre Lage bezeichnen. Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl. 25 386 t. 13p. Knochen des Vorderarms. Die uneingeschränkte Beweglichkeit des Schultergelenks bedingt die Häufigkeit seiner Verrenkungen, die nach jeder Riclitung, nur nach oben nicht (ausser mit gleichzeitigem Bruch des Acromium), denkbar sind, indem die Kraft, welche den Oberarmkopf nach oben treiben könnte, an dem Widerstände des elastischen Ligamentum coracft-acromüile gebrochen wird. — Die fibröse Kapsel kann, ilirer Schlaftlieit wegen, die Knochen des Schultergelenks nicht an einander halten. Der fortwährende innige Contact beider Gelenkflächen hängt nicht von ihr, sondern vom Luftdrücke ab (wie beim Hüftgelenk, §. 150). §. 139. Knochen des Vorderarms. Der Vorderarm, Brachlum (aucli Antihrachium, vielleicht rich- tiger Autfbrachium), enthält zwei neben einander liesjende Röhren- knochen: die Ellbogenrcihre und die Armspindel. A. Die Ellbogenröhre (Ulna, Cuhitus, Focilc majus, Canna major, nifivg) ist der grössere der beiden Yorderarmknocheu. Ihr oberes Ende, bedeutend massiger als das untere, wird durch einen überknorpelten, tiefen, senkrecht gestellten, halbmondförmigen Aus- schnitt (Caritas shjinoidea s. luaata major) ausgehöhlt, welcher genau die Rolle des Oberarmbeins umfasst. Ein erhabener First theilt die Concavität des Ausschnittes in zwei seitliche Facetten, welche den- selben Facetten der Rollenfurche des Oberarms entsprechen. Die obere, dicke, und hinten rauhe Ecke dieses Ausschnittes heisst EUbogenhöcker, Olecration, (Id est: ro kquvov rt^g d)kkvi]g, capat cu/üti), oder Ilakenfortsatz, Processus anconaeus,yün «yxwv, Haken. Die untere, weniger vorspringende und stumpf zuges])itzte Ecke des Ausschnittes stellt den sogenannten Kronenfortsatz dar (Processus coronoideus, über dessen Etymologie schon in der Note zu §. 113 gesprochen wurde). Der oben erwähnte First in der Cavitas slg- moidea major zieht sich von der Spitze des Olecranon zu jener des Processus coronoideus hin. Häufig wird die Ueberknorpelung der Cavitas sigmoidea major durch eine (juerlaufende, rauhe, nicht über- knorj>elte Furche unterbrochen. Was vor dieser Furche liegt, gehört dem Processus corom>ideus an; was hinter derselben, dem Olecranon. — Seitlich am Kronenfortsatze, und zwar an der dem Radius zu- gekehrten Gegend desselben, liegt eine kleinere, überknorpelte, halbmondförmige Vertiefung (CariUis sigmoidea s. lunata )ninor), zur Aufnahme des glatten Umfanges des Köpfchens der Armspindel. Unter dem Kronenfortsatze befindet sich die Tuherositas idnae, für die Insertion des 3Iusculus hrachialis internus. — Das Mittelstück ist dreiseitig. Die schärfste Kante (Grista ulnae) sieht der Arm- spindel zu. Die beiden Flächen, welche diese Kante bilden, sind grösser als die dritte, in welche sie durch abgerundete Winkel übergehen. Bei ruhig herabhängendem Arm lassen sich diese drei Flächen als äussere, innere, und hintere bezeichnen. An der §. 139. Knochen des Vorderarms. 387 inneren Fläche liegen, ober der Mitte des Knochens, ein bis zwei schräg nach aufwärts führende Ernährungslöcher. — Das untere Ende oder Köpfchen (Capitulmn) hat eine in der Mitte etwas eingedrückte Gelenkfläche, welche sich auch auf jenen Theil des Randes fortsetzt, der mit dem unteren Ende der Armspindel in Berührung steht. Am hinteren Umfange des Köpfchens ragt ein zwei Linien langer, stumpfspitziger Fortsatz (Processus styloideus ulnae) herab. Zwischen ihm und dem äusseren Umfange des Köpf- chens verläuft die Rinne für den Musculus vlnaris eocternus. Das Köpfchen der Ulna fühlt und sieht man am Handrücken als rund- liche Erhabenheit. JB. Die Armspindel, Speiche, Radius (Focile minus, Canna minor, Additamentum ulnae, 2Ianuhrium manus, xf^xi'?), verhält sich in ihren Eigenschaften der Ulna entgegengesetzt. An ihrem oberen Ende fällt uns das auf einem schmächtigeren Halse aufsitzende Köpfchen auf, welches eine seicht vertiefte, sich über den Rand des Köpfchens herabsenkende Cxelenkfläche besitzt. Unter dem Halse liegt ein rauher Höcker (Tuherositas radii) zur Anheftung des Mus- culus hiceps hrachii. — Das Mittelstück ist dreiseitig. Die schärfste Kante (Crista radii) sieht der Orista ulnae zu, und bildet mit dieser den in der Mitte breitesten, oben und unten zugespitzten Zwischen- knochenraum (Spatium interosseum). Die innere und äussere Fläche gehen durch abgerundete Winkel in die vordere über. Diese Namen beziehen sich auf jene Stellung des Radius, welche er bei ruhig herabhängendem Arm einnimmt. An der Crista, oder im oberen Bezirk der inneren Fläche, liegt ein einfaches, schräg nach oben führendes Ernährungsloch. — Das untere Ende, breiter und dicker als das obere, kehrt seine grösste Fläche nach abwärts gegen die Handwurzel. Diese Fläche, elliptisch, concav und über- knorpelt, wird durch eine quere Kantenspur in zwei kleinere Fa- cetten getheilt. Wo dieses untere Ende mit dem Köpfchen der Ulna in Berührung tritt, ist es leicht halbmondförmig ausgeschnitten (Incisura semilunaris radii), und überknorpelt. Dem Ausschnitt gegenüber verlängert sich das untere Ende der Armspindel in einen stumpfen Höcker (Processus styloideus radii). Die äussere rauhe Seite des unteren Endes zeigt zwei, seltener drei longitudinale Muskelfurchen. Die Ausdrücke Canna major und minor stammen aus vor-Vesalisclier Zeit. Man nannte damals die Eöhrenknochen, weil sie hohl sind wie Eohr, cannae, auch arundines, so z. B. canna hrachii, für Oberarmbein, cannae cruris, für Unterschenkelknochen. Das französische canne, Eohrstock, und das italie- nische cannone, dickes Eohr (Kanone), haben dieselbe Ableitung. — Focile majus und minus sind spottschlechte Uebersetzungen des arabischen Zendan (Dual von Zend), welches einen aus zwei neben einander liegenden Hölzern 2ä* 388 i. 140. Ellbogengelenlt. bestehenden Apparat bezeichnet, mit welchem die Araber durch Reiben Feuer machten. Die Hölzer hatten die Länge und Dicke der beiden Vorderarmknochen, welche deshalb von den arabischen Aerzten Zend und Zendnn genannt wurden. Dass die Mönche, welche den Avicenna tibersetzten, diese Worte durch /oa7e wiedergaben, geschah in klösterlicher Einfalt und Unschuld, denn focile ist gar kein lateinisches Wort, und wurde von ihnen neu geschmiedet, wobei ihnen allerdings foeiis (Feuerstätte) und focillare (erwärmen) im Geiste vorgeschwebt haben mochte. Die Ulna kann am Vorderarm in ihrer ganzen Länge, der Radius aber nur an seiner unteren Hälfte, wo er weniger vom Muskelfleisch bedeckt wird, durch die Haut hindurch gefühlt werden. — Die beiden Knochen des Vorder- arms verhalten sich hinsichtlich ihrer anatomischen Eigenschaften verkehrt zu einander. Die Ulna ist oben, der Radius unten dick, — die Ulna hat ihr Ca- pitulum unten, der Radius oben. — das Capittdum idnae liegt in dem Halb- mondausschnitt am unteren Ende des Radius, das Capitulum radii in der Cavitas sigmoidea minor am oberen Ende der Ulna, — die Ulna ragt um die Höhe des Olekranons weiter nach oben, der Radius mit seinem unteren Ende weiter nach abwärts, — die Ulna kehrt, bei ruhig herabhängendem Arme, ihre Crista nach vorn, der Radius nach rückwärts. — endlich vermittelt das obere Ende der Ulna, durch das Umgreifen der Rolle des Oberarmbeins, die feste Verbindung des Vorderarms mit dem Oberarme, während das untere Ende des Radius, durch seine Gelenksverbindung mit den zwei grössten Knochen der ersten Handwurzelreihe, zum Träger der Hand wird, und daher von den Fran- zosen le porte-main genannt wird. §. 140. Ellbogengelenk. Das Ellbog-engelenk, Articulatio mbiti, trägt den Charakter eines gemischten Gelenks, da es Winkelbewegung und Rotation ausführen kann. Wir wollen es einen Trocho-ginrihimus nennen. Das Ellhogengelenk bringt uns das erste Beispiel eines Gelenks vor Augen, zu welchem drei Knochen concurriren. Dasselbe besteht also eigentlich aus drei Gelenken, welche durch eine gemeinschaft- liche fibröse und synoviale Kapsel, zu Einem Gelenke vereinigt werden. Die Trochlea des Oberarmbeins bildet mit der Cavitas sig- moidea majo)' der Ulna, die Articulatio humero-ulnaris, — die Emi- nentia capitata des Oberarmbeins mit dem Capituban radii, die Arti- cidatio humero-radialis, und der überknorpelte Rand des Capitulum radii mit der Cavitas sigmoidea minor ulnae, die Articulatio radio- idnaris. Bei der Beugung und Streckung des Vorderarms geschieht die Bewegung in den beiden ersten Gelenken, das dritte bleibt voll- kommen ruhig. Bei der Drehung des Radius, durch welche die Hand nach innen oder nach aussen gewendet wird (Pronatio und Supinatio), bewegt sich das erste Gelenk nicht, indem die Axen- drehung des Köpfchens der Armspindel nur im zweiten und dritten Gelenke eine Bewegung veranlasst. Wäre der Radius ein vollkommen geradliniger Knochen, so würde die Axendrehung seines Köpfchens zugleich den ganzen Radius, wie eine Walze, §. 140. Ellljogengelent. 339 um seine Längenaxe drehen, ohne dass er seinen Ort verlässt. Da er aber, vom Halse angefangen, sich derart krümmt, dass bei hängend gedachtem Arm, sein unteres Ende nicht vertical unter dem oberen steht, so muss, wenn das Köpfchen sich um seine Axe dreht, das untere Ende einen Kreisbogen be- schreiben, dessen Centrum das unverrückte Köpfchen am unteren Ende der Ulna ist. Die gemeinscliaftliclie fibröse Kapsel des Ellbogen- gelenks entspringt über der Rolle und der Eminentia capitata des Oberarmbeins, nnd schliesst somit aucb die vordere und hintere Fovea supratrochlearis ein. Der Radius wird an die Cavitas sig- moidea minor tdnae durch das Ringband (Ligannentum annulare radii) angedrückt, welches den überknorpelten Rand seines Köpf- chens und die oberste Zone seines Halses umgreift, und an dem vorderen und hinteren Ende der Cavitas sigmoidea minor befestigt ist. Das dreieckige innere Seitenband entspringt schmal am Condylus internus des Oberarmbeins, und endigt breit an der inneren Seite des Processus coronoideus, und am inneren Rande der Cavitas Ixmata 'major ulnae. Das äussere Seitenband, schmäler als das innere, geht vom Condylus externus des Oberarmbeins aus, und darf nicht am Radius endigen, sondern verwebt sich mit dem Ring- bande, ohne an den Radius zu treten. Die Drehbewegung des Radius würde ja, durch die Befestigung des äusseren Seitenbandes an ihn, allzusehr beschränkt worden sein. Aus demselben Grrunde kann auch die fibröse Kapsel sieh nicht an beiden Knochen des Vorderarms, sondern nur an der Umrandung der Cavitas sigmoidea major ulnae inseriren. Sie setzt sich auch wirklich, ebenso wie das äussere Seitenband, nicht an den Radius, sondern nur an das Ring- band seines Köpfchens an. Das den Zwischenknochenraum ausfüllende Ligamentum inter- osseum, reicht nicht bis zum oberen Winkel dieses Raumes hinauf. Die von der Gregend des Processus coronoideus ulnae zur Tuherositas radii schräg herablaufende Chorda transversalis cubiti, ersetzt zum Theile diesen Mangel. Ihre Faserrichtung ist jener des Ligamentum interosseum entgegengesetzt. Indem das Olekranon sich, im höchsten Grade der Ausstreckung des Vorderarms, in die Fovea supratrochlearis posterior des Oberarmknochens stemmt, kann die Streckung auf nicht mehr als 180" gebracht werden. Das Maximum der Beugung tritt dann ein, wenn der Processus coronoideus ulnae auf den Grund der Fossa supratrochlearis anterior stösst. — Die fibröse Kapsel dient nicht dazu, die drei Knochen des Ellbogengelenkes an einander zu halten. Man kann die vordere und die hintere Kapselwand quer durchschneiden, und man wird' dadurch nichts an der Festigkeit des Gelenks geändert haben. Erst wenn ein oder beide Seitenbänder zerschnitten sind, weichen die Knochen aus einander. Indem ferner das untere Ende des Eadius mit den zwei grössten Knochen der ersten Handwurzelreihe durch Bänder hinlänglich fest zusammen- hängt, die Ulna aber (wie oben gesagt wurde) mit der Handwurzel in keine 300 8. 141. Ivnnohon der ITand, unmittelbare Beiührunff koiinnt. so wird die Hand jeder Bewegung des Radius folgen, und durch die Drelnmg diises Knoeliens nach innen oder aussen, sich so stellen, dass die Hohlhand naeli hinten oder nach vorn sieht, d. h. die Pronations- und Suiiinationsbewegungen beschreiben zusammen einen Kreis- bogen von 180". Soll die Bewegung der Hand in einem noch grösseren Bogen vollführt werden, so muss auch zugleich der Oberarm sich um seine senkrechte Axe drehen, was die Laxität der fibrösen Capsula humeri leicht gestattet. — Die Bedeutung der Spirale bei den Bewegungen des Ellbogengelenkes, würdigte H. Mei/er, Arch. für Anat. und Phys., 186G. Beiträge zur Mechanik dieses Gelenks lieferten Lrcomte, Areh. gen. de med., 1874 und 1877, wie auch Braune und Flügel, im Arch, für Anat., 1882. Der Name Ellbogen stammt von dem altdeutschen ele, d. i. cuhittis (verwandt mit ulua und (bXtvrj, sowie mit dem englischen eil, dem französischen atilne, dem italienischen und spanischen alnaj und von dem gliichfalls alt- deutschen boga, d. i. biegen. §. 141. Knochen der Hand. Das Skelet der Haiul be.stelit aus drei Abtheiliingen : Hand- wurzel, Mittelhand und Finger. A. Erste Ahtheihing. K}ioche)i der Handwurzel. Die erste, sicli an die Vorderarmknochen anschliessende Ab- theilung- der Hand, ist die Handwurzel, (Jarjuis (vielleicht von u'qtiü), greifen). Sie l)esteht aus acht kleinen, meist vieleekigeu, in zwei Keihen (zu vieren) grup})irten Knoclien. Diese kleinen Knochen werden durch kurze und starke Bänder so genau und fest zusammen- gehalten, dass sie fast Ein knöchernes Ganzes zu bilden scheinen, welches jedoch durch ein Mininiuni nKiglicher Verschiel)barkeit der einzelnen Handwurzelknochen an einander, eines geringen Grades von Beweglichkeit theilhaftig wird. Brüche einzelner Handwurzelknochen kommen deshalb nur höchst selten vor, und zwar blos an den grösseren, niemals an den kleinen. Nur bei Zer- malmung der Handwurzel werden die kleinen Ossa carpi, wie die grossen, in Trümmer gehen. Der Stoss, welchen Ein Handwurzelknochen aufnimmt, ver- theilt sich auf alle übrigen, und wird dadurch so abgeschwächt, dass die Inte- grität der Handwurzel gewahrt bleibt. Ohne in eine detaillirte Beschreibung der einzelneu Hand- wurzelknochen einzugehen, geben wir nur folgende allgemeine und für das Bedürfniss des Anfängers genügeiKh^ Anhaltspunkte, Man möge, zum leichteren Yerständniss derselben, eine nicht mit Draht sondern mit Darmsaiten gefasste Hand vor Aujjen haben. 1. Die erste oder obere Reihe der Handwurzelknochen wird, wenn man von der Radial- gegen die Ulnarseite zählt, durch das Kahnbein. Mondbein, dreieckige Bein (Pyramidenbein bei Ilenle), und Erbsenbein zusammengesetzt (Os scaphoideum s. §. 141. Knochen der Hand. 391 naviculare, hmatum, triquetrum, pisiforme). Die zweite oder un- tere Reihe entliält, in derselben RicTitnng gezählt, das grosse und kleine viel eckige Bein (Trapez- und Trapezoidbein nach Henle), das Kopfbein und das Hakenbein (Os multangulum majus, minus, capitatum, hamatum). Das Kopfbein ist der grösste Handwurzelknoclien — daher Os magnum bei älteren Autoren. Os scaphoideum stammt von scapha (a-nacpr] oder OKacpig), und bedeutet ein gekieltes Boot, wie es auf grösseren Seefahrzeugen zum Ausschiifen ver- wendet wird, — das englische skiff, und das französische esquif. Os naviculare aber kommt von navia, nicht von navis. Navia war ein kleines Boot, nur wenig gehöhlt, wie es unser Os naviculare ist; navis dagegen ein grosses Segelschiff, mit tiefem und geräumigem Hohlraum, wie ihn das Os naviculare sicher nicht hat. 2. Yon den Knochen der ersten Reihe werden nur die drei ersten für das Grelenk zwischen Yorderarm und Handwurzel ver- wendet. Der vierte (Erbsenbein) betheiligt sich nicht an diesem Ge- lenk, weshalb er, genau genommen, nicht die Bedeutung eines Handwurzelknochens hat. Er wurde deshalb von Alb in nicht zur Handwurzel gezählt: „ad carpum re vera non pertinet". 3. Obwohl alle Handwurzelknochen eine sehr unregelmässige und schwer durch Worte anschaulich zu machende Gestalt haben, so darf man sich doch erlauben, um die Verbindungen leichter zu übersehen, an jedem derselben sechs Gegenden (nicht mathe- matische Flächen) anzunehmen, welche, wenn man sich die Hand nicht liegend, sondern herabhängend, und die Hohlhand dem Stamme zugekehrt denkt, in die obere und untere, die Dorsal- und Yolargegend, die Radial- und Ulnargegend eingeth eilt werden. 4. Die oberen Gegenden der drei ersten Knochen in der oberen Handwurzelreihe sind convex und überknorpelt. Sie bilden zusammen , einen querelliptischen Gelenkskopf, welcher in die Con- cavität am unteren Ende der Yorderarmknochen aufgenommen wird. Die erste Facette der unteren Gelenkfläche des Radius steht mit dem Kahnbein, die zweite mit dem Mondbein in Contact. Der dritte Knochen — das dreieckige Bein — stösst aber nicht an das Köpfchen der Ulna, weil dieses, nach Angabe des §. 139 und dessen Note, nicht so weit herabreicht, wie das untere Speichenende. Es bleibt vielmehr ein Raum zwischen beiden Knochen übrig, gross genug, um einen dicken Zwischenknorpel, Cartilago interarticu- laris, aufzunehmen. — Die unteren, gleichfalls überknorpelten Gegenden derselben drei Knochen bilden, durch ihre Nebeneinander- lagerung, vom Radial- gegen den Ulnarrand hin, eine annähernd wellenförmig gekrümmte Fläche. Das besonders tiefe Wellenthal, welches durch die Vertiefung des Os scaphoideum und hmatum ge- bildet wird, hat zu seinen beiden Seiten schmale Wellenberge, 392 § Ul Knorlien der Hand. deren äusserer dem Os scaphoideinn, deren innerer dem Os irigiiehntm angehört. — Die Dnrsalg;eg;end ist massig- convex, die Volar- gegend ebenso ooneav. Beide sind rauh. Die Ueberkuorpelun^ der oberen Fläche der drei ersten Knochen dieser Reihe greift etwas auf die Dorsalgegend derselben über. — Die einander zugekehrten Ulnar- und Radialgegenden der drei ersten Handwurzelknochen sind, sowie dieselben Gegenden der vier Knochen der zweiten Handwurzelreihe, theils rauh, zur Anheftung sehr kurzer Zwischen- l)andmassen, theils aber auch zur wechselseitigen Articulation mit kleinen Gelenkflächen versehen, als seitliche Fortsetzungen der an den oberen oder unteren Gegenden dieser Knochen vorkommenden Ueberkuorpeluugen. 5. Die vier Knochen der zweiten Reihe lassen sich unter demselben allgemeinen Gesichtspunkte auffassen, wie jene der ersten Reihe. Die oberen Gegenden derselben bilden, da sie sich an die untere Gegend der ersten Reihe anlagern, eine zu jener um- gekehrte Wellenfläche, deren mittlerer hoher Wellenberg, vorzugs- weise durch den Kopf des Os capitatum und nur theilweise vom Os hamatum erzeugt wird. Das kleine, radialwärts liegende Wellen- thal nimmt die convexen unteren Flächen des Multangulum inajxis und minus auf, während das ulnarwärts liegende, dem Os hamatum angehörige Wellenthal, dem Os triquetrum der ersten Reihe ent- spricht. Die Ueberkuorpelung des durch das Os capitatum und hamatum gebildeten Gelenkkopfes, greift etwas auf die Volargegend dieser beiden Knochen über. — Die unteren Gegenden der vier Knochen dieser Reihe stossen mit den Mittelhandknochen zusammen, und bilden eine Reihe von Gelenkflächen, deren erste, für den Mittelhandknochen des Daumens bestimmte, dem Os multangulum majus allein angehört, sattelförmig gehöhlt ist, und von den ebenen, unter Winkeln im Zickzack zusammenstossenden unteren Gelenk- flächen der übrigen Knochen dieser Reihe, durch eine kleine, nicht überknorpelte, rauhe Zwischenzelle getrennt wird. Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass 1. die untere Fläche des Mult- angulum majus den Mittelhandknochen des Daumens und überdies noch einen kleinen Theil des Mittelhandknochens des Zeigefingers trägt; "2. jene des Mult- angulum minus mittelst eines vorspringenden Giebels, in einen Winkel- einschnitt der Basis des Mittelhandknochens des Zeigefingers passt; 3. jene des Capitatum an den Mittelhandknochen des Mittelfingers, und 4. jene des Haken- beins an die Mittelhandknochen des vierten und fünften Fingers stösst. — Die übrigen Gegenden dieser Knochen verhalten sich wie die gleichnamigen der ersten Handwurzelreihe. 6. Beide Reihen zusammen bilden einen, gegen den Rücken der Hand convexen, gegen die Hohlhand concaven Knochenbogen. Der erste und letzte Knochen jeder Reihe wird somit gegen die §. 141. Knoclien der Hand. 393 HoMhand stark vorspringen, und dadurcli die sogenannten Eminentiae carpi erzeugen, welche in zwei Eminentiae radiales und zwei ulnares zerfallen. Die Eminentia carpi radialis superior gehört einem Höcker des Kahnbeins, die inferior einem Höcker des grossen vielwinkligen Beins an, — die Eminentia carpi idnaris superior wird durch das Erbsenbein, die inferior durch den hakenförmigen Fortsatz des Häkenbeins erzeugt. Von den Eminentiae carpi radiales zu den ulnares geht ein starkes queres Band (Ligamentum carpi trans- versum), welches die eoncave Seite des Bogens in einen Kanal für die Sehnen der Fingerbeuger umwandelt. Sehr selten finden, sieh neun Handwurzelknochen. Grub er hat über das Yorkommen eines neunten Handwurzelknochens und seine Deutung sehr genaue Erhebungen gepflogen, und im Archiv für Anat., 1866, 1869 und 1872 nieder- gelegt. Die Vermehrung der Handwurzelknochen auf neun vollzieht sich ent- weder durch Zerfallen des Os naviculare in zwei Knochen, oder durch Ein- schub eines neuen, dem Os intermedium s. centrale gewisser Säugethiere ana- logen Knöchelchens. Grub er fand die Zahl der Handwurzelknochen selbst auf eilf vermehrt. Um die Handwurzel als Ganzes kennen zu lernen, muss man sie an einer gefassten Hand studiren. Lose Handwurzelknochen machen den Anfängern allzu viel zu schaffen. Am brauchbarsten sind jene gefassten Hände, deren Hand- wurzelknochen nicht mit Draht unbeweglich verbunden, sondern so an Darm- saiten aufgeschnürt sind, dass sich je zwei derselben in zwei auf einander senkrechten Eichtungen von einander entfernen, und wieder zusammenschieben lassen. — Mit einer feinen Laubsäge Durchschnitte durch eine frische Hand- wurzel und die daran stossenden Enden der Vorderarm- und Mittelhandknochen zu legen, ist sehr lehrreich. Man erhält durch die Ansicht solcher Schnitte die beste Vorstellung von der Beweglichkeit beider Handwurzelreihen an einander und an den Vorderarm- und Mittelhandknochen, wie auch von der Lagerung des zwischen Capitulum ulnae und Os triquetrum eingeschalteten Zwischen- knorpels. S. Zweite Abtheilung. Knochen der Mittelhand. Die fünf Mittelhandknochen (Ossa metacarpi) bilden den breitesten, aber auch den am wenigsten beweglichen Theil der Hand. Sie werden vom Daumen gegen den kleinen Finger gezählt. Wenn die flache Hand auf einer Unterlage aufruht, liegen die Mittelhand- knochen in einer Ebene neben einander, wie die Zähne eines Kammes, daher der alte Name der Mittelhand, als Pecten manus. Nur bei hängender Hand, oder wenn sie zum Greifen in Verwen- dung kommt, tritt der Mittelhandknochen des Daumens aus der Ebene der vier übrigen heraus. Diese letzteren nehmen vom Zeige- finger gegen den kleinen Finger an Länge und Stärke ab. Das obere überknorpelte Ende, Basis, ist am Daumen sattelförmig gestaltet, am Zeigefinger winkelig eingeschnitten, an den drei übrigen Fingern schräg abgestutzt (am stärksten am Zeigefinger). Die Ueber- nOl 8. Hl. Knoihoii der U:iii.l. kiiorpclimi;- der Basis setzt sicli aiii zweiten his vierten Metacarpus in kleinere, an der Radial- und Ulnarseite der Basis ])efindlic'lie Geleukflächen fort. Das untere Ende ist spliärisch convex (Capi- tuliim), mit einem GrüUolien an der Radial- und Ulnarseite für Bandanlieftun«^. Das Mittelstück ist dreikantii»- ])risniatiscli. Die Dorsalseito desselben finden wir an allen massig convex, die ilir f^egenüherstehende Volarkante leicht concav. Der Mittelhandknochen (Us Daumens fO.* metacarpi polUcis) unterscheidet sich von den übrigen durch seine mit einer sattelförmigen Gelenkfliiche ver- sehene Basis, sein von oben nach unten flachgedriiektes, breites Mittelstück, wodurch er der Phalanx prima eines Fingers ähnlich wird, ferner durch seine Kürze und seine abweichende Lage, da er mit den übrigen nicht in einer unveränderlichen Ebene liegt, sondern frei beweglich ist. — Da bei den alten Anatomen der Carpus Brachiale hiess, nannten sie consequent den Meta- carpus: Postbrachiale. C. Dritte Abtheilung. Knochen der Finger. Die Knochen der Finger führen den (iesammtnamen Phalanges digitoruni manus. Sie sind trotz ihrer Kürze dennoch den langen Knochen beizuzählen, da sie im jüngeren Alter einen Körper und eine Epiphyse, und zwar nur eine obere, aufweisen. Das griechische Wort qpaA«y| bedeutet Schlachtreihe (ante phalam phalerata phalanx f regere phalanges), aber auch kurzer runder Stab oder Walze. Beide Bedeutungen passen auf die Fingerglieder. — ^aXäyytq, als Knochen der Finger, finden sich zuerst bei Aristoteles. Der Daumen hat zwei, die vier übrigen Finger drei Phalangen oder Glieder. Da die Fingergelenke, ihrer fühlbaren Aufgetriebenheit wegen, bei Celsus Nodi heissen, so Averden die Phalangen bei älteren Autoren auch häufig Tnternodia genannt. Die Nodi sind die Ursache, warum an abgezehrten Händen, bei aneinander geschlossenen Fingern, spaltförniige Räume zwischen den Gliedern je zweier be- nachbarter Finger klalTen. Alle Phalangen sind oblong, der Länge nach kaum merklich gebogen, mit einer dorsalen convexen, und volaren concaven Fläche, zwei Seitenrändern, einem oberen und unteren Ende versehen. Das obere Ende heisst, wie bei den Mittel- handknochen, Basis. Das erste Glied jedes Fingers hat an seinem oberen Ende eine einfache concave Gelenkfläehe, — den Abdruck des Capitulum des zugehörigen Mittelhandknochens. Sein unteres Ende zeigt zwei durch eine seichte Vertiefung getrennte C&ndt/li, welche zusammen eine Art von Überknorpel ter Rolle bilden. Seit- wärts gewahren wir an diesem unteren Ende noch zwei rauhe Grübchen zur Befestigung der Seitenbänder. — Das zweite Glied, welches am Daumen fehlt, hat am oberen Ende zwei flache, durch eine Erhöhung geschiedene Vertiefungen zur Aufnahme der Rolle §. 141. Knochen der Hand. 395 am unteren Ende des ersten Gliedes; — am unteren Ende besitzt es eine Kolle, wie das erste. — Das dritte Grlied, — am Daumen das zweite, — hat oben zwei Vertiefungen, unten läuft es in eine raulie, huf- oder scbaufelförmige Platte aus. — Die Länge der Fingerglieder nimmt, so wie ihre Breite und Stärke, vom ersten zum dritten ab. Die französischen Anatomen gebrauchen für erstes, zweites und drittes Fingerglied die Ausdrücke phalange, phalangine und phalangette (Chaussier). Ist der Daumen zwei- oder dreigliedrig? Dem Nichtanatomen, welcher seinen Daumen unbedingt für zweigliedrig hält, erscheint diese Frage über- flüssig, wo nicht absurd. Anatomen denken anders. Galen hielt das Os meta- carpi polUcis für die erste Phalanx des Daumens, welcher somit, wie jeder andere Finger, drei Phalangen, aber keinen Mittelhandknochen hätte, — eine Ansicht, welche in Vesal, Duverney, Bertin, Cheselden und J. Bell Anhänger fand. Durch sein Exterieur yerräth sich das Os metacarpi pollicis gewiss als naher Vetter eines ersten Fingergliedes. Seine Beweglichkeit unter- scheidet es functionell von den nur wenig beweglichen Mittelhandknochen, und seine Entwicklung erfolgt nach demselben Gesetze, wie die jeder Phalanx prima. Jede Phalanx prima nämlich entsteht aus zwei Ossificationspunkten, einem oberen und unteren. Der untere wird zu Ende des dritten Embryo- Monats in der knorpeligen Grundlage des Mittelstückes niedergelegt; der obere bildet sich erst im fünften Lebensjahre, und bleibt bis zum Pubertätseintritt, oft auch noch länger, mit dem Mittelstücke unverschmolzen. Das untere Ende erhält keinen besonderen Knochenkern. Genau so verhält es sich mit dem Metacarpus des Daumens, während die Metacarpusknochen der übrigen Pinger im Anfange des dritten Embryo-Monats einen Ossificationspunkt im Mittel- stück, und schon im zweiten Lebensjahre einen Knochenkern für das untere Ende (Capitulum), aber keinen für das obere Ende erhalten. Auch das winzige Ernährungsloch des sogenannten Metacarpus des Daumens weicht von jenem der übrigen Metacarpi darin ab, dass es nicht wie bei diesen nach aufwärts, sondern wie bei den Phalangen nach abwärts gerichtet ist. Da ferner der Metacarpus des Daumens mit dem Os multangulum majus durch ein, einer Arthrodie sich näherndes Sattelgelenk, und mit der ersten Phalanx durch ein Winkelgelenk verbunden wird, so verhält er sich auch in dieser Beziehung mehr wie eine Phalanx prima der übrigen Finger. Morphologisch wäre somit der. Daumen dreigliedrig, aber metacarpuslos, und betrachtet man die Bewe- gungen der Finger und des Daumens an der eigenen Hand, so zeigt es sich, dass bei den Bewegungen der Finger die Metacarpusknochen ruhen, bei den Bewegungen des Daumens aber der sogenannte Metacarpus desselben die Be- wegungen der beiden Phalangen mitmacht. Nur Ein Merkmal der Metacarpus- knochen kommt dem Metacarpus pollicis zu, nämlich, dass er an seinem unteren Ende keine EoUe trägt, wie die unteren Enden der Phalangen, son- dern ein Capitulum, wie die unteren Enden der Ossa metacarpi. Dieses Capi- tulum ist aber nicht kugelig, sondern quer-elliptisch. Es bleibt natürlich Jedem unbenommen, an die Zwei- oder Dreigliedrigkeit seines Daumens zu glauben. Ich halte es mit der Zweigliedrigkeit, aus Eücksicht für die allge- meine Meinung, welcher Viele huldigen, ohne im Geringsten an ihre Unfehl- barkeit zu glauben. Mehr hierüber enthält Uff elmann. Der Mittelhandknochen des Daumens. Gott., 1863. Ueber die Sesambeine der Hand, siehe den nächsten Paragraph C. 396 5 145 nander der Hand. §. 142. Bänder der Hand. A. Bilnder ih'r Ifduilictirz»'/. Die Bewegungen, welclH^ di»^ Hand als (lauzes ausführt, sind 1. Beugung- und Streckung, 2. /uz,iehuug und Abzieliuug, 3. Supi- nation und Pronation. Die beiden ersten Bewegungen können in ziemlich grossem Maassstabe ausgeführt werden. Vom Maximum der Beugung bis zum Maximum der Streckung beschreibt die Hand einen Bogen von 180"; von der grössten Zuziehung bis zur grössten Abzieliung einen Bogen von 80". Die Abziehung (Sejtenbewegung nach der Ulna zu) ist mehr gestattet als die Zuziehung (Seiten- bewegung nach dem Radius zu), weil der zwischen Ulua und Os triquetrum eingeschaltete Knorpel eine Compression erlaubt. Ein- uud Auswärtsdrehung der Hand geschieht nicht in dem Handwurzel- gelenk, sondern, wie im §. 140 gezeigt wurde, im oberen Drehgelenk des Radius mit der Ulna, also im Ellbogengelenk. Wir müssen an der Handwurzel folgende vier Gelenke unterscheiden. 1. Articulatio radio-ulnaris inferior. Am unteren Ende beider Vorderarmknochen findet eine eigen- thümliche Gelenkverbindung derselben unter sich statt. Sie gehört also nicht dem Carpus an, kommt aber hier zur Sprache, da ihre Kenntniss für jene der Articulatio carpi wichtig ist. Das untere Ende des Radius stösst mit seinen beiden Geleukfacetten direct auf die zwei ersten Knochen der oberen Handwurzelreihe (Kahn- und Mondbein). Das untere Ende der Ulna dagegen reicht nicht so weit herab, um den dritten Knochen der oberen Handwurzelreihe (drei- eckiges Bein) zu berühren. Die Berührung wird nur durch die Dazwischenkunft eines Knorpels vermittelt. Dieser erstreckt sieb vom kurzen (hinteren) Rande der unteren Gelenkfläche des Radius gegen den Processus styloideus idnae, an welchen er durch ein kurzes Band, welches seiner Farbe wegen Lig. suhcruentum heisst, geheftet wird. Der Zwischenknorpel hat nun eine obere und untere Fläche. Die obere bildet zugleich mit der Incisura semiliinaris, am unteren Ende des Radius eine Nische für das Capihdum xdnae; die untere liegt in der Verlängerung der unteren Gelenkfläche des Radius, und stösst an den dritten Knochen der oberen Handwurzelreihe. Eine weite Kapsel (Membrana sacciformis) nimmt das Capihdttm ulnae, die Incisura semilunaris radii, und die obere Fläche des Zwischen- knorpels in ein gemeinschaftliches Cavum auf. Der Zwischenknorpel ist in der That eine Verlängerung des am unteren Ende des Radius befindlichen Knorpelbeleges. Man findet ihn öfter, besonders bei älteren Individuen, in der Mitte durchbrochen, wodurch die Articulatio radio-ulnaris inferior mit der gleich zu schildernden Articulatio brachio-carpea in Höhlencommunication zu stehen kommt. §. 142. Bänder der Haad. . 397 2. Articulatio brachio-carpea, kurzweg Ärticulatio carpi. Die grosse Beweglichkeit der Handwurzel am Yorderarm be- dingt eine laxe fibröse Kapsel, welche von dem Umfang der unteren Gelenkfiäche des Radius und des dreieckigen Zwischen- knorpels entspringt, und sich an der Peripherie des durch die oberen Flächen der drei ersten Handwurzelknochen gebildeten Kopfes be- festigt. Das Os pisiforme wird nicht in die Höhle dieser Kapsel ein- bezogen, sondern articulirt für sich mit einer kleinen Gelenkfläche an der Ulnarseite des Os triquetrum. Die Synovialhaut der Arti- culatio hrachfö-carpea setzt sich in die Fugen zwischen den drei ersten Carpusknochen nicht fort. — Die Volarseite der fibrösen Kapsel wird durch zwei Bänder verstärkt, welche vom Radius und von dem Zwischenknorpel zwischen Köpfchen der ülna und Os tri- quetrum, zu den drei ersten Handwurzelknochen in gerader und schiefer Richtung laufen (Ligamentum accessorium rectum und obliquum). An der Dorsalseite der Kapsel liegt das breitere Ligamentum rhom- hoideum, vom Radius zum Os lunatum und triquetrum gehend; — vom GrifFelfortsatz des Radius zum Kahnbein erstreckt sich das Ligamentufn laterale radiale, und vom GrifFelfortsatz der ülna zum dreieckigen Bein das Ligamentum laterale ulnare s. Funicidus liga- mentosus. Man kann die Articulatio brachio-carpea eine beschränkte Arthrodie nennen, da sie Beugung und Streckung, Zu- und Abziehung der Hand, aber keine Axendrehung vermittelt. 3. Articulatio intercarpea. Die erste und zweite Handwurzelreihe bilden unter einander die Articulatio intercarpea. Sie sind durch keine eigentlich fibröse Kapsel, wohl aber durch eine Synovialkapsel mit einander vereinigt. Da sich die üeberknorpelung der Contactflächen je zweier Knochen der Handwurzel auch eine Strecke weit auf die Seitenflächen der- selben fortsetzt, sieht man nach Eröff'nung der Kapsel Spalten zwischen diesen Knochen. Kurze und straff'e Bänder, welche an der Dorsal- und Yolarseite der Handwurzel, von der ersten Reihe zur zweiten gehen, beschränken die Beweglichkeit dieses Gelenkes so sehr, dass nur eine geringe Beuge- und Streckbewegung übrig bleibt, Zuziehung und Abziehung aber ganz ausgeschlossen wird. — Unter den volaren Verstärkungsbändern der Articidatio intercarpea übertriff"t jenes zwischen dem Erbsenbein und dem Haken des Haken- beins (Ligamentum piso-uncinatum) die übrigen an Stärke. Das Liga- mentum carpi transversum, welches die Endpunkte der zwei knöchernen Handwurzelbogv^n mit einander verbindet, geht über die concave Seite dieser Bogen wie eine Brücke weg, und verwandelt sie in einen theils knöchernen, theils ligamentösen Kanal, dessen schon bei der Betrachtung der Handwurzelknochen erwähnt wurde. 398 S U-' Haniler .ler Hand. Die in >?. 141. Nr. 4 uiul 5 «rwähntfn Verhältnisse bringen es mit sich, dass das Brachio-Carpalgelcuk nielir lioiiii Stricken der Hand, das Intercarpal- gelenk dagegen mehr beim Beugen der Hand in Anspruch genommen wird. Der Versuch an der Leiche macht dieses ersichtlich. Ueberdies werden auch die seitlichen Contactflächen der Handwurzelknuchen (mit Ausnahme des Erbsenbeins), so weit sie nicht üborknuriK'lt sind, durch kurze, stramme und starke Bandfasern — Lhjamenta interoK!fi/rc, höliiii.: sollest im p<'dkii' der Lappländer). Die AffiMiliand, dcri'ii StuimiicldaiiiiKMi Kustafliiiis jtollcr rl- dicidus nannte, ist ein iinvolllvninnieneres nieelianisclies Werkzeug-, als die Menscdienliand. das <>r(i<(iiini iHvaiiorinn des Ana x a<;(ir a s. Einig-e Affengattiingen entbehren selbst der ( )pp(»siti(»ustälii<;keit des Daumeus. — Die nngleiclie Länge <'el)eneinan(hM-lageruug in einer gog-en den Kücken der Hand convexen Ebene, erleiclitert die Ausliöhlung der Hohlhaud zum pocnlum Dlogenls. In der Zehnzahl der Finger, Avelche bei den ersten Kechnungs- versuchen der Menschen zum Zählen diente, liegt gewiss die anato- mische Ursache unseres jetzigen Zahlen-Dekadensystems. Es "■iebt wilde Völker, welche nur nach den Fingern bis zehn, andere, welche mit Hinzunahme der Zehen nur bis zwanzig zählen kcinnen (wie die Nahoris), und für alle Zahlen darüber, nur Ein Wort haben: Viel (miribiri). Die römischen Ziffern I — X, sind aus Fingerstellungen hervorgegangen. — Die grosse Beweglichkeit der Finger und die zahlreichen Combinationen ihrer Stellungen machten sie zu Vermittlern der Zeiclu'nsprache für Solehe, Avelehe sich durch die I.(auts])rache nicht gegenseitig mittheilen können. Die tiefen Trennungsspalten zwischen je ZAvei Fingern erlauben das Falten der Hände, und die nur im Winkel mögliche Beugung der zwei letzten Phalangen giebt der geballten Faust eine Kraft, die einst statt des Rechtes galt. Auch die Römer gebrauchten manus für GeAA'alt, \A'ie im manu capere tirbem bei Sallust, und manu reducere, mit GeAAalt unterwerfen, bei Julius Cäsar. Wie nothwendig das Zusammenwirken beider Hände zu gewissen Ver- richtungen wird, beweist das alte Sprichwort: manus manum lavat. Eine fehlende Hand kann doshalb nur unvollkummen durch die andere Hand ersetzt ■werden, und der Verlust Einer Hand wird schwerer gefühlt, als jener eines Auges oder Ohres, da zum Sehen und Hören unter allen Verhältnissen Ein §. 144. Eintlieilung der unteren Extremitäten. 403 Auge und Ein Ohr hinreicht. — Die tausendfältigen Verrichtungen der Hände (HantieiTingen), welche die Nothwendigkeit dietirt und der Verstand raffinirt, und welche ein ausschliessliches Prärogativ des Menschen sind, werden nur durch den weise berechneten Bau dieses Werkzeuges ausführbar. Wir können uns keine Vorrichtung denken, durch welche die mechanische Brauchbarkeit der Hand auf einen höheren Vollkommenheitsgrad zu bringen gewesen wäre. Jede wie immer beschaifene Zugabe würde eher hemmend als fördernd wirken. So liegt z. B. in einem sechsten Finger wahrlich keine Vollkommenheit der Hand; sonst würde der Besitzer desselben nicht wünschen, dieser Vollkommen- heit quitt zu werden, und die Chirurgen würden sich nicht dienstfreundlichst beeilen, sie wegzuschneiden. Den Frommen empfehle ich zu lesen: Chr. Donatus, Demonstratio Del ex manu hominis. Viteb., 1S66, — den Uebrigen: Godofr. de Hahn, De manu, hominem a hrutis distinguente. Lips., 1716. — Das Glossarium germanicum sagt über die Hand: „manus symbolum est possessionis, potestatis, juris, voluntatis, fidei, prondssi, violentiae, artis et dexteritatis" . Das altdeutsche han aber, als Wurzel von Hand, kommt von dem obsoleten lateinischen hendo, welches sich nur noch in prehendo (ergreifen, fassen) erhalten hat. D. Kuoclien der unteren Extremitäten oder BaucWlieder. §. 144. Eintheilung der imteren Extremitäten. Die untere Extremität besteht, wie die obere, aus vier beweg- lich mit einander verbundenen Abtheilungen: der Hüfte, dem Oberschenkel, dem Unterschenkel, nnd dem Fusse, welcher selbst wieder in die Fusswurzel, den Mittelfuss, und die Zehen zerfällt. §. 145. Hüftbein. Die Hüfte verhält sich zur imteren Extremität, wie die Schnlter zur oberen. Sie besteht jedoch nicht, wie diese, aus ZAvei Knochen, sondern nur aus einem. Dieser ist das Hüftbein, Os in- nominatum, s. coccae, s. coxendicis. Beide Hüftbeine fassen mit ihren hinteren oberen Stücken das Kreuzbein zwischen sich, iind bilden mit ihm den Beckeng'ürtel oder Beckenring. Die sonderbare Benennung des Hüftbeins als Os innominatum klärt uns Spigelius mit den Worten auf: Galenus dväwiiov, i. e. innominatum vocavit, quod suo tempore nomine careret (De humani corporis fabrica, Lib. II, Gap. 24). — Bei den Arabisten erscheint das Hüftbein als Os fenestratum, des grossen fejisterartigen Loches wegen, welches später als Foramen obturatum zur Sprache kommt. Das Hüftbein wird in drei Theile eingetheilt: Darmbein, Sitzbein und Schambein; es hiess deshalb bei den alten deutschen Wundärzten: das „Drcybein" (S c h y 1 h a n s). Die Eutwicklungs- 26* \0i §. 145. Das Tlnrthein. i-escliiclite des KnocluMis hegrüudet diese Eintheiluni;-, indem das llüt't])ein noch im JüD<;linu,salter aus drei, diircli einen vpsilon- tVirmi^^en Knorpel verbnnrlenen Stücken ])esteht, welche die ol>en angegebene, allgemein übliche Eintheilnng veranlassten. Hält man sich an die, etwas nnter (Um- Mitte des Knochens befindliche grosse Gelenkgrnbe (die Pfanne), so liegt das Darmbein über ihr, das Sitzbein nuter ihr, nnd das Scdianibein an ihrer inneren Seite. Die drei genannten Bestandtlieile des Hüftbeins betheiligen sich an der Bildung der Pfanne, und man kann es an einem jüngeren Exemplare des Knochens, mo noch die Knorpel zwischen seinen drei Bestandtheilen existiren. sehr gut absehen, dass das Darmbein den oberen, das Sitzbein den unteren, und das Schaml)ein den inneren Umfang der Pfanne bildet. — Bei zwei Säugethieren, dem Schnabelthiere und der Echidna, Ideiben diese drei Stücke durch das ganze Leben getrennt. A. Das Darmbein, Os ilcl .s. iliin/i, führt diesen Namen, weil es mit seiner inneren, concaven P^läche, jenen Theil des dünnen (xedärmes trägt, welcher, seiner vielfachen Windungen Avegen, ilevm heisst (von silta, winden). Dick an seiner Basis, Avelche die obere Wand der Pfanne bildet, geAvinnt dieser Knochen nach oben zu die Gestalt einer breiten, in ihrer Mitte dünnen, selbst durch- scheinenden Phitte, Avelche dem A'erbogenen Kamme eines antiken Helmes ähnlich sieht, und an Avelcher man eine äussere nnd innere Fläche, und einen dicken Begrenzuugsrand unterscheidet. Die äussere Fläche ist an ihrem vorderen Abschnitt convex, am hinteren concav, und besitzt eine, selbst bei älteren Individuen nicht immer scharf ausgeprägte, mit dem oberen Rande des Darm- heins nicht ])arallel laufende Linie (Linea semicircularls s. arcuato externa), als die Ursprungsgrenze des MusckJks glutaeus minimus. Sonst ist diese F^läche glatt, mit einem grossen Ernährungsloch in ihrer jMitte, und vielen kleineren gegen den Rand zu. Die innere Fläche Avird durch die von hinten nach vorn und unten gerichtete T/inea arcuata interna, in eine kleine untere, und viel grössere obere Abtheilnng gebracht. Die untere hilft die SeitenAvand des kleinen Beckens, nnd zugleich den Grund der Pfanne bilden; die obere ist an ilirer vorderen Hälfte concav und glatt (Fossa iliaca), an ihrer hinteren Hälfte mit einer beknorpelten oh rmnsch ei- förmigen Verbindungsstelle für die ähnlich gestaltete Fläche am breiten Seitenrande des Kreuzbeins, und hinter dieser mit einem umfänglichen, rauhen Höcker (Tuherositas ossis ilei), versehen. — Der Begrenzungsrand des Darmbeins zerfällt 1. in den oberen Rand oder Kamm (Crista ossis ilei), Avelcher, so Avie die äussere Fläche des Darmbeins, vorne nach aussen, und hinten nach innen. g. 145. Das Haffbein. 405 also S-förmig g-ekrümmt ist, und eine äussere, mittlere und innere Lefze für die Befestigung der drei breiten Bauclimuskeln besitzt; 2. in den vorderen und hinteren Rand, welche beide kurz und nicht so dick sind, wie die Crista, und fast senkrecht von den Endpunkten der Crista abfallen. Jeder derselben besitzt einen halbmondförmigen Ausschnitt, flacher und länger am vorderen Rande, am hinteren tiefer und kürzer. Die Ecken der Ausschnitte heissen Spinae, und es muss somit eine Spina anterior superior und inferior, desgleichen eine Spina posterior superior und inferior geben. Unter der Spina posterior inferior liegt die grosse Incisura ischiadica major s. iliaca, welche sich bis zum später zu erwähnenden Stachel des Sitzbeins herab erstreckt. B. Das Sitzbein, Os ischii, erhielt seinen Namen von laxsiv •KaS'T^fjisvovg, quod sedentes sustineat, Riol. Bei den älteren Anatomen Frankreichs finden wir: l'os de Vassiette, der Knochen des Sitzes. Dasselbe wird in den Körper, den absteigenden und auf- steigenden Ast eingetheilt. Der Körper bildet die untere Wand der Pfanne, ist dreiseitig, und hat an seinem hinteren Rande einen ' Sporn oder Stachel (Spina ossis ischii), welcher, mit der Spina ossis ilei posterior inferior , die oben genannte Incisura ischiadica major s. iliaca begrenzt. Der absteigende Ast (Ramus descendens) ist eine Fortsetzung des Körpers, dessen drei Flächen er beibehält. Er endigt nach unten mit dem massigen Sitzknorren (Tuberositas ossis ischii), dessen untere, sehr rauhe Endfläche als Sitzfläche dient. Zwischen diesem und der Spina ischii liegt die seichte Incisura ischiadica Tninor. Der aufsteigende Ast (Ramus ascendens) erhebt sich vom Sitzknorren nach innen und oben, und ist von vorn nach hinten flachgedrückt, mit vorderer und hinterer Fläche, nebst einem inneren stumpfen, und äusseren schärferen Rande. C. Das Schambein, Os puhis, zerfällt in einen horizontalen und absteigenden Ast. Der horizontale Ast bildet mit seinem äusseren Ende die innere Pfannenwand, und stösst an seinem inneren Ende durch eine breite, rauhe Yerbindungsfläche , und darauf haftenden Faserknorpel, mit dem gleichnamigen Knochen der anderen Seite zusammen. Die Stelle, wo das äussere Ende des horizontalen Astes sich mit dem Pfannenstück des Darmbeins beim Jüngling verbunden hat, bleibt durch das ganze Leben als ein, von vorn nach hinten gerichteter Hügel oder Rücken kennbar, welcher Tuber- culum ileo-peQtineum oder ileo-puhicum genannt wird. Der horizontale Ast stellt ein kurzes, dreiseitiges Prisma dar, dessen Flächen, weil das äussere und innere Ende des Prisma dicker ist als das Mittel- stück, sämmtlich etwas concav sein müssen. Die Concavität zeigt sieh besonders an der unteren Fläche so sehr ausgesprochen, dass 400 §. \ir<. Pas HftltlM'in. eiuig'o An;it»tmen sio mit dcMii Nmiihmi einer hi'oiteii Fiirdio belei;pn, deren lvi(;litimi;' von ;iiisseii imd elieii ii;icli innen nnd nnten i;i'lit. — A'oii den drei Jiändern oder \\ inkeln des horizont.ilen S(di;iin- beiuastes ist der obere der scliärlste, nnd lieisst Scliiiin l»ei nk ;ini ni (Pevten .'?. Cr/.std ossi,s puhis). Kr setzt sicli niu-li nns.sen, liinter dem TuhevculiiiH ih'o-peciint'uiii, in die Linea nrcuata internd des J);irni- beins fort, und endii;t uncli innen aiii Schanibeinliöcker (TaWr- rnli(iii ])i(J>H'Hni)- Die beiden nnteren Räuder gelten ohne Unter- brecliuni;- in die Ränder i\os xom Sitz- und Scliambein nniscldosseneu «grossen Loches (Foramen ohlurdtorimn) über, und zwar der vordere nntere in den äusseren, der hintere uutere in den inneren Ik'and des Ijoehes. Yoni inneren Knde des lioi-izontalen Astes wächst der absteigende Ast dem aufsteigenden Sitzbeinaste entgegen, und versclnnilzt mit ihm. Er liat, wie dieser, eine vordere und hintere Fhiche, eiuen äussereu und inneren Rand. Der Winkel, unter welchem der absteigende Schambeinast zum horizon- talen steht, heisst AikjuIus ossis pubh, zum Unterschied vom Angulus ossium jmbis, unter welchem man den Raum versteht, der zwischen den absteigenden Aesten beider Schambeine enthalten ist, und welcher, weil er besonders im männlichen Geschlecht sich nach oben zuspitzt, immerhin ein Avgulus genannt werden kann. Bei Weibern, wo dieser Winkel zum Bugen Avird, heisst er Arcus ossium puhis. Wo die drei Stücke des Hüftbeins znsammenstossen, hegt die tiefe Gelenkgrube zur Aufnahme des Obersehenkelkopfes — die Pfaune, Acetaluhnn. Sie gleicht an (Irösse uud Form den Essig- schälchen der alten Renner — inde nohien.^) Ihre rauhe, sich gegen den freien Rand hin etwas zusehärfende Umgrenzung der Pfanne heisst Sitperc'dimii acetabidi. Sie bildet keine vollkommene Kreis- linie, sondern wird an der inneren und unteren Peripherie durch die Incisura acetahuli ausgeschnitten. Die innere Oberfläclie der Pfaune zeigt sieh nicht dnrchaus überknorpelt, sondern hat an ihrem (irunde eine knorpellose, vertiefte Stelle (Fossa acetahuli), welche sich bis zur Incisura aretafndi ausdehnt, und g'egen das Licht gehalten, meistens matt dnrehscheinend g-etrofFen wird. Eine Rinne zwischen unterem Pfannenrand und Sitzknorren nimmt einen Theil des äussereu Verstopfungsmuskels auf. Einwärts von der Pfanne, und etwas tiefer als diese, liegt das sogenannte Yerstopfungsloch (Foramen oMuratoriinn, besser vhtti- ratum oder ovale) — das grösste Loch am menschlichen Skelet. ') Auch die kleinen Becher, deren sich die römischen Taschenspieler und Oaukler bedienten, hcissen bei Seneca acetahula (so in Epist. 45: praesligüitormti acetabula et calculi), und ein Maass für eine kleine Quantität Flüssigkeit ('/^ Heniiua , führt bei Varro denselben Namen. — Kor vi ij ahn bedeutet alles Hrdile : ijuodcum(jue cavum est, ■x.oxvhjv vocaut (Apoll«. doriis". Selbst die Hohlliand liiess Tiotvlrj. Die Arabisten haben für ucetabulum ganz willkürlich das Wort l:i9 lli'ili.n als Ganzes. innen und nntcn niicli ohcn und iiiisscn liintcndcr (i;ui^' (('(tiidlis iil>ltiritlih-((is) oflcn l>l('il)t. I)i(' kIxtc AN'and dieses lviirz«Mi (iiiiii;es Avirtl dnrcli die iintcfc rhiclic des liin-i/itntalcn Seliinnheinastcs er- z«Mij^t, von wclclici- iVülicr IxMiicrkt wurde, dass sie tiirelieuäliulicli ausa^elnihlt ist. l>urcli die Svinplivsiii orlmlton die Hüftbeine ein Miiiiinuin vt»n Beweg- liclikiil. wekhos durch den trel.ukerten Zustand derselben in d?(6/s, und 2. den queren zwischen beiden Sitz- knorren. Der quere ist constant; der gerade aber durch die Beweglichkeit des Steissbeins vergrösserbar. Es wird deshalb, um auch für den geraden Durchmesser eine constante Grösse zu haben, noch ein zweiter von der Spitze des Kreuzbeins (nicht des Steissbeins) zum unteren Rande der Symphysis jndns gezogen. r) In der Höhle des kleinen Beckens nimmt man folgende Durch- messer an: 1. den geraden, von der Yerschmelzungsstelle des zweiten und dritten Kreuzbeinwirbels zur Mitte der Scham- beinvereinigung, und 2. den queren, von einem Pfannengrund zum andern. Um eine richtige Vorstellung von der Lage des Beckens zu erhalten, muss man es so stellen, dass die Conjugata mit dem Hori- zonte einen "Winkel von 65" bildet. Dieser Winkel giebt die soge- nannte Neigung des Beckens und variirt sehr wenig bei verschie- denen Individuen. Bei Männern ist er um einige Grade kleiner, als bei Weibern. Hat man einem Becken diese Neigung gegeben, so §. 148. Unterschiede des männliclieu und weiblichen Beckens. 413 wird man finden, dass die Spitze des Steissbeins nngefälir sieben Linien böber liegt, als der untere Rand der Schambeinfuge. Die Neigung des Beckens oder der Winkel der Conjugata mit dem Hori- zonte wurde lange Zeit für viel kleiner als 65° gehalten, indem man die Spitze des Steissbeins mit dem unteren Eande der Schamfuge in einer horizontalen Linie liegend annahm. Dieser irrigen Vorstellung über die Neigung des Beckens/ welche selbst durch die besten anatomischen Abbildungen verbreitet wurde, verdanken die unrichtigen, aber noch immer gebrauchten Ausdrücke: horizon- taler und absteigender Ast des Schambeins, aufsteigender Ast des Sitzbeins, etc., ihren Ursprung. Bei einer Neigung von 65" wird der horizontale Ast des Schambeins eine sehr abschüssige Lage einnehmen; der absteigende Ast wird stark schief nach hinten, und der aufsteigende Sitzbeinast nach vorn gerichtet sein. Dem deutschen Geburtshelfer Nägele gebührt das Verdienst, durch Messungen an Lebenden die wahre Neigung des Beckens ausgemittelt zu haben. Da die verschiedenen Menschenracen verschiedene Schädelformen auf- weisen, die schon an den Embryonen zu erkennen sind, so wird sich auch das Becken nach diesen Kopfformen richten, und einen osteologischen Eacencharakter darstellen. So sticht z. B. die längsovale Form des Beckens der Negerinnen von der mehr querovalen Form bei der weissen Eace auffallend ab. I §. 148. TJnterscliiede des mämiliclien und weiMichen Beckens. Der hervorragendste sexuale Charakter des Skeletes liegt in der Beckenform. Kein Theil des Skeletes bietet so auffallende und, Avegen ihrer Beziehungen zum Greburtsact, so wichtige Greschlechts- verschiedenheiten dar, wie das Becken. Dass es sich hier vorzugs- weise um das kleine Becken handelt, muss Jedem einleuchten, denn das grosse Becken wird, seiner Weite wegen, keinen Einfluss auf die Geburt ausüben. Nur im kleinen Becken werden Dimen- sionsänderungen auf den Ablauf des Greburtsgeschäftes einwirken können. Der anatomische Charakter des weiblichen Beckens liegt in dessen Weite und Kürze. Das männliche Becken charakterisirt sich dagegen vergleichungsweise durch Enge und Höhe. Der Geburtsact bedingt diesen Unterschied. Die Bewegung des Kinds- kopfes durch den Beckenring wird leichter durch die Weite des Beckens, und ist schneller beendigt durch die Kürze desselben. Die Weite des kleinen Beckens nimmt beim Weibe in doppelter Beziehung zu. Erstens gewinnt die ganze Beckenhöhle gleichmässig mehr an Umfang als die männliche, und zweitens geht die konische Beckenform des Mannes, beim Weibe in eine mehr cylindrische über, indem bei ihm, die untere Beckenapertur weiter ist. Der grössere Umfang des weiblichen kleinen Beckens wird durch die grössere Breite des Kreuzbeins, sowie durch die grössere Länge der Linea arcuata interna, der beiden Darmbeine und der horizontalen Schambeinäste bedingt. Die mehr cylindrische Form Ali §. li"*. T'nlprscliiodo cU-s niAiiiilii'hon und weiMirlien Hockeiis. (Icsscllx'ii r<'>ultirt ;iii> dtMii i;r»'iss('r(Mi l*;ir;ill('lisiniis der liciiii Manne nach iiiitcii (•(iiivcruircndon Sit/lx'inc Die Pfannen nnd die Sitz- knorren stehen somit im Weihe mehr auseinander nnd der ^Ircun osö-iuin pu/iis Avird offener nnd weiter sein müssen, als im männlichen Geschlechte. Darauf I)ernht elien der im vorherg-eg-ani^enen P;ira- j;raph ang'eg-ebene Unterschied von ^{ugiihis nnd Arms ostshnn puhis. Letzterer "vvird noch dadurch vergrössert, (hiss die absteigenden Scham- nnd anfsteii;enden Sitzbeinäste Avie um ihre Axe «gedreht erscheinen, so (hiss ihre inneren Ränchn* sich etwas nach vorn wenden. Das Hache und stark nach liinten gerichtete Kreuzbein veri;TÖss(M-t <;auz vorzüglich den Kaum der weiblichen kleinen Becken- höhle, nnd die grosse Beweglichkeit des Steissbeins bedingt ebenso augenfällig die bedeutende Erweiterungsfähigkeit des Beckenaus- ganges während des Geburtsactes. Die Kürze des weil)lichen Beckens ergiebt sicli aus der geringeren Länge der Sitzbeine. Das grosse Becken bietet keine so erheblichen Differenzen der Durchmesser dar, und zeichnet sicli im AYeilje nicht so sehr durch seine Weite, als durch einen juerklichen Grad von Schmal- heit und Niedrigkeit der Darmbeine vor dem männlichen aus. Folgende Tabelle dient zum Vergleiclie der wichtigsten Durch- messer des kleinen Beckens in beiden Geschlechtern. Im Manne Im Weibe Apcrtio'u pclvis super io>\ Conjugata '. . 4" 4" 3'" Querer Durchmesser 4" 9'" 5" Schiefer Durchmesser 4" G'" 4" 8'" Umfang der Linea innominata . . . 15" IG" 6"' Cavuin lyeli'is. Gerader Durchmesser 4" 4" 6'" Querer Dui-chmesser 4" 4" 3"' Senkrechter Durchmesser von der Mitte der Linea avcuata zum Tuber ossis isrhii 4" 3" G " Grösster Umfang 13" G'" 1-5" G"' Aper iura pelvls inferior. Yeränderlicher gerader Durchmesser, vf)n der beweglichen Spitze des Steiss- beins zum unteren Rande der Scham- fiige 2" 9"' 3" 4"' Constanter gerader Diirclimesser, von der unbeweglichen Si/mph^fsis saero- cocei/r/ca ebendahin 3" G"' 4" 3"' Querdurchmesser 3" 4" §. 149. Oljersclientelbein. 415 Auf die Ausmittlung der Beckenweite legt der Geburtshelfer grossen Wertli, um zu «ntscheiden, ob eine Geburt ohne Kunsthilfe möglich ist, oder nicht. Von besonderer Wichtigkeit ist eine sufficiente Grösse des geraden Durchmessers des Beckeneinganges zwischen Schamfuge und Promontorium fConjugataJ. Allzu starkes Hineinragen des Promontorium in den Beckenraum, macht es zu keinem Promontorium bonae spei, und die Geburt kann durch dasselbe bis zur Unmöglichkeit erschwert werden. Dass aber selbst bei sehr verengertem Becken einer Schwangeren, durch Zusammenraffen der letzten Wehenkraft, eine normale Geburt möglich ist, beweist jener Fall, wo bei einer Gebärenden die Unmöglichkeit der Geburt auf natürlichem Wege, wegen Ver- krüppelung des Beckens, ärztlich ausgemittelt und festgestellt, sofort der Kaiserschnitt als das einzige Eettungsmittel für Mutter und Kind resolvirt wurde, und der um seine Instrumente nach Hause eilende Wundarzt bei seiner be- waffneten Rückkunft die Frau — eines gesunden Knäbleins genesen fand. Der veränderliche gerade Durchmesser des Beckenausganges kann nach Meckel bis auf 5 Zoll erweitert werden, welche Erweiterung jedoch nicht ganz und gar der Geburt zu Gute kommt, weil der constante, zwischen fixer Kreuzbeinspitze und Schamfuge gezogene Durchmesser des Ausganges nur 4" 3'" misst. — Die gegen das Ende der Schwangerschaft eintretende Auflockerung- der Symphysen des Beckens, welche von Galen schon gekannt {non tantum dilatari, sed et secari tuto possunt, ut internis succurraturj, von P ine au und Hunt er constatirt wurde, bleibt nicht ohne Einfiuss auf die Beckenerweiterung. Bei Frauen, welche schon oft geboren haben, sind sämmtliche Beckendurch- messer etwas grösser, und die Symphysis puhis breiter, als bei Frauen, welche nicht Mütter wurden. Man will bemerkt haben, dass der rechte schiefe Durch- messer des Beckeneinganges immer etwas kürzer als der linke ist. Das menschliche Becken unterscheidet sich durch seine Breite und durch die Neigung seiner Darmbeine nach aussen, vom thierischen, dessen schmale Ossa ilei nicht nach aussen umgelegt sind. — Die breiten concaven und nach aussen geneigten Darmbeine können einen Theil der Last der Eingeweide stützen, und sprechen somit für die Bestimmung des Menschen zum auf- rechten Gange. §. 149. Obersclienkelbein. Das Obersclieukelbein (Os femoris, Femur, bei den alten Anatomen coxa, bei den Griechen fii^^o? nnd G'/.elog) repräsentirt den längsten nnd stärksten Eöhrenknoclien des Skeletes. Es entspriclit durclr Lage nnd Form dem Oberarmbein. Das seiner Länge nacb etwas nacb Yorn gekrümmte Mittel- stück dieses Knockens gleicht einer dreiseitig prismatischen Sänle mit vorderer, änsserer nnd innerer Fläche. Yon den drei Winkeln oder Kanten ist der hintere der schärfste. Er heisst Linea aspera s. Crista femoris und zeigt zwei Lefzen, Labia, welche gegen das obere nnd nntere Ende des Knochens als zwei Schenkel auseinander weichen, Avodnrch diese Enden, besonders das untere, vierseitig werden. In oder neben der Linea aspera liegen, an nicht genau be- stimmten Stellen, ein oder zwei nach oben dringende Ernährungs- löcher. Ist nur Eines vorhanden, so befindet es sich gewöhnlich unter der Längenmitte der Linea aspera. 41(> §. U9. nbersr1ienljfll>eiii. Das obere Endstück des Kiiotdiens bildet mit dem Mittel- stück eiueii Winkel, welcher grösser ist als ein redliter, und träfet auf einem von vorn nach hinten etwas comprimirten, lanj^en Halse (Collum femoris) einen wohl nicht j^anz genau sphärischen, über- knorpelten Kopf (Coput fe)no)'is), auf welchem eine kleine rauhe CTru])e (Foveoht) zur Insertion des runden Bandes dient. Nur bei oberflächliclier IJesichtigung' seines äusseren Umrisses kann dieser Kopf kug-elig" g'enaiiut werden. In ^^ ahrheit aber ist er kein Kugelabschnitt, sondern ein Seg-ment eines der reinen Kugelgestalt sehr nahe stehenden Ellipsoides. Die Dicke des Schenkelhalses in der Kiclitnng von oben nach unten ül)ertrifi"r jene von vorn nach hinten. Der Sehenkel- hals wird deshalb den verticalen Stössen, wie sie beim S])rung. beim Lauf und l)eim Fall auf die Füsse vorkommen, besser widerstehen, als {\i'n von vorn nach hinten Avirk(»nden Brech- gewalten. , — An der winkelig geknickten Uebergangsstelle des Halses in das Mittelstück ragen zwei Höcker, die Rollhügel (Trochanteres, von r^oyog, Rad), hervor, Avelehe für die Dreh- muskeln des Sclienkels als Hebelarme oder Speieheu dienen, und ihnen ihre Wirkung erleichtern. Der äussere Rollhügel über- trifft den inneren bedeutend an Grösse, liegt in der verlängerten Axe des ]\Iittelstückes, steht also gerade nach oben gerichtet und hat an seiner inneren Seite eine Grube, die Fossa trochanterica. Seine Spitze liegt mit dem Mittelpunkte des Schenkelkopfes in gleicher Höhe. Der kleinere innere Rollhügel steht etwas tiefer und ist mehr nach hinten gerichtet. Beide Trochanteren werden durch eine vordere, nur schwach angedeutete, und eine hintere, scharf aufgeworfene, rauhe Linie (Linea intertrochanterlca anterior und posterior) unter einander verbunden. Der äussere Rollhügel lässt sich am lebenden Menschen durch die ihn bedeckenden Weichtheile hindurch sehr gut fühlen; der innere nicht, da er von der Musku- latur an der inneren Seite des Schenkels ganz maskirt wird. — Unter dem grossen Trochanter findet sich nicht eben selten ein variabler Vorsprung, welcher dem Trochanter tertius der Säugethiere gleichgestellt Averden kann. In der Configuration des Schenkelkopfes, wie in jener des Oberarm - kopfes, fehlt es nicht an individuellen Verschiedenheiten. Es lässt sich annehmen, dass sie von der Gebrauchsweise der betreffenden Gelenke abhängen. Wer möchte es bezweifeln, dass das Heben, Tragen und Schleppen centnerschwerer Lasten, womit schwer arbeitende Menschenclassen ihr ganzes Leben hinbringen, im Laufe der Jahre, und bei abnehmender Elasticität der Gelenksknorpel, eine bleibende Veränderung in der Form der Gelenkflächen zu Stande bringen kann. Es würde sich lohnen, hierüber bei Kindern, Weibern und Männern, welche von angestrengter harter Arbeit leben. Untersuchungen anzustellen. §. 149. Obers chenkelTiein. 417 Das untere Endstück des Oberschenkelbeins ähnelt einer massig-en Rolle. Dasselbe zeigt nämlich zwei nur an ihren unteren nnd vorderen Gegenden iiberknorpelte Knorren, Condylus eMernus nnd internus. Die üeberknorpelung' des einen Knorrens setzt sich an der vorderen Seite in jene des anderen nnimterbrochen fort, und bildet zwischen diesen beiden Knorren eine sattelförmige Vertiefun«-, eine Art von Eutschbahn, in Avelcher die Kniescheibe bei den Streck- nnd Beug-ebewegungen des Unterschenkels auf- und niedergleitet. Hinten sind beide Condyli durch eine tiefe, nicht iiberknorpelte Grrube (Fossa Poplitea s. intercondyloidea) getrennt. Der äussere Condylus ragt mehr nach vorn heraus als der innere und ist zugleich um 3 Linien kürzer und breiter als dieser. Für den Ursprung der inneren und äusseren Seitenbänder des Kniegelenks steht an der Seitengegend der beiden Condylen eine flache, rauhe Erhebung bereit — Tuberositas condyli. Merkel (Medicin. Centralblatt, XL) beschrieb unter dem Namen des Schenkelsporns einen im Innern des Schenkelhalses von der Corticalsubstanz desselben ausgehenden, in die schwammige Substanz leistenartig vorspringenden, soliden Fortsatz. Er entspringt in der Gegend des kleinen Trochanter, und verliert sich an der vorderen Seite des Halses, dicht unter dem Kopfe, nimmt also eine Lage ein, auf welcher bei aufrechter Körperstellung der grösste Druck lastet. Am weiblichen Schenkelbeine erscheint der Hals länger und mehr wag- recht, als am männlichen. Da das Oberschenkelbein nicht vertical, und mit seinem Gespann nicht parallel gegen das Knie gerichtet ist, sondern mit ihm convergirt, so werden die Eichtungen beider Schenkelbeine mit der Verbin- dungslinie beider Pfannen ein Dreieck bilden, dessen Basis beim Weibe, wegen grösserer Pfannendistanz, breiter sein muss. als beim Manne. Demzufolge ist der Winkel, welchen die nach unten convergirenden Schenkelbeine bilden, beim Weibe grösser als beim Manne. — Eine die Mittelpunkte beider Schenkelköpfe verbindende Linie giebt die Axe für die Beuge- und Streckbewegung des Stammes auf den Köpfen der Oberschenkelbeine. Der Schwerpunkt des mensch- lichen Körpers liegt beim Erwachsenen beiläufig 374 Pariser Zoll über der Mitte dieser Axe. Nur beim Menschen und den anthropoiden AflFen wird das Schienbein vom Schenkelbein an Länge übertroffen. Das längste Schenkelbein wird im Wiener anatomischen Museum aufbewahrt. Es misst 26 Zoll, 6 Linien. Das dazu gehörige Schienbein hat eine Länge von 21 Zoll, 9 Linien, und das Hüft- bein (von der Mitte der Crista bis zum Tuher ischvj von 12 Zoll. Das im anatomischen Museum zu Marburg befindliche Schenkelbein, welches für das grösste galt, misst nur 23 Zoll, S'/a Pariser Linien. — Bei angeborener Ver- renkung des Hüftgelenkes fehlt zuweilen am Schenkelkopfe das Grübchen für das runde Band. — Ueber einen dem Processus swpracondyloideus humeri ana- logen Fortsatz des Schenkelbeins handelt sehr ausführlich Grub er, in seiner Monographie des Canalis supracondyloideus, etc., Petersburg, 18S6. Ich habe ihn am Lebenden beobachtet (Sitzungsberichte der Wiener Akad., 1858). Ein Vergleich des Oberschenkelbeins mit dem Oberarmbein macht es ersichtlich, dass das Gafut femoris dem Caput humeri, das lange Collum Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl. 27 418 f. 150. HflftgelenV. femoris dein sehr kurzen Collum anatomicwm humeri, je ein Trochanter einem Tuberctdum, das untere Ende des Oberschenkels der Trochlea des Oberarm- beins, die Fossa poplüea der Fovea supratrochlearis posterior, und die Tube- rositates der Condyli femoris den Condyli am unteren Ende des Oberarmbeins entsprechen. Nur die Eminentia, capitata des Oberarmbeins ist ain Ober- schenkelbein nicht vertreten, und die dreikantigen prismatischen Mittelstücke beider Knucheu sind gegen einander um 180" verdreht, indem der Oberschenkel eine Fläche, der Oberarmknuchen aber eine Kante nach vurn kehrt. §. 150. Hüftgelenk. Das Hüfti^elenk (AHkuUitio coaae s. fcmoria) tlioilt mit dem Kniegelenk den Ruf des stärksten und festesten Gelenkes des menschlichen Körpers. Die Bestimmung- der unteren Extremität, als Stütze des Körpers beim aufrechten Gange zu dienen, machte eine grössere Festigkeit des Hüftgelenks und eine beschränktere Beweg- lichkeit desselben nothwendig, als am Oberarmgelenk vorkam. — Das tiefe Eindringen des Schenkelkopfes in die Pfannenhöhle be- dingt jene Form beschränkter Arthrodie, -welche in der Sprache der Techniker Nussgelenk heisst. Die Tiefe der Pfanne wird durch einen faserknorpeligen Ring, welcher auf dem knöchernen Pfannenrand fest aufsitzt und in einen freien scharfen Rand ausläuft, vergrössert, jedoch nicht in dem Grade, dass sie den ganzen Schenkel- kopf aufnelniien könnte. Sie hat nur für zwei Drittel desselben Raum. Es bleibt also an der grössten Peripherie des Kopfes eine Zone der überknorpelten Schenkelkopffläclie ausserhalb der Pfanne. Seg- mente dieser Zone rücken bei den verschiedenen Bewegungen des Schenkels in die Pfannenhöhle ein, z. B. das vordere Segment beim Beugen des Hüftgelenkes. Nothwendiger Weise muss bei diesem Eingehen des vorderen Segments in die Pfanne hinten ebenso viel Kopflläche aus der Pfanne hervortreten. — Der Liiahus cartilagineus acetabuli geht über die Lieisuni acetahuli brückenartig weg, als Lig. transversutn acetabuli, und verwandelt sie in ein Loch, durch welches Blutgefässe in die Pfauneuhöhle dringen. — Die fibröse Kapsel des Gelenks entspringt vom rauhen Umfange des knöchernen Pfanuenrandes und vom Lig. transversutn, schliesst somit den faser- knorpeligen Ring noch ein und befestigt sich vorn an der Linea intertrochantcrica anterior, hinten dagegen nicht an der posterior, sondern, mit nach aufwärts umgeschlagenen Fasern, au die hintere Fläche des Schenkelhalses selbst, und zwar in geringer Entfernung über der Linea iutertrocluuiterica posterior. Dieser umgeschlagene, au die hintere Fläelie des Schenkelhalses sich inserirende Theil der Kapsel ist sehr dünnwandig, und es fehlt nicht an Autoren, welche die hintere Kapselwand gar nicht an den Knochen adhä- riren lassen, und den Abschluss des Gelenkrauuies der Synovialhaut I §. 150. Hüftgelenk. 4]^9 allein zumuthen. Dem Gesagten zufolge enthält die fibröse Kapsel des Hüftgelenks nicht blos den Kopf, sondern auch den Hals des Schenkelbeins in sich, und zwar seine ganze vordere Fläche und den grösseren Theil der hinteren. Die vordere Kapsel wand wird durch ein von der Spina ante- rior inferior ossis ilei entspringendes, ungemein kräftiges, 4 Linien dickes Band verstärkt (Ligamentum Bertini s. accessorium anticum). Dasselbe endet theils an der Linea intertroclianterica anterior, theils bildet es, mittelst zweier, um den Hals des Femur herumgehenden, und sich hinten zu einer Schlinge vereinigenden Schenkeln, eine Art Halsband (Zona orhicularis Weber i) für das Collum femoris. Dieses Band adhärirt nirgends an den Hals selbst, sondern umschliesst ihn nur lose. Die Zone beschränkt die Streckung des Schenkels, ohne seine Beugung oder Axendrehung zu hemmen. Das Ligamentum Bertini hemmt ebenfalls die Streckung, wohl auch die Zuziehung und die Auswärtsrollung, aber nicht die Einwärtsdrehung. Bertin handelte ausführlicher als seine Vorgänger von der Stärke dieses Bandes in seinem Traue, d'osteol. Paris, 1754. Die schauderhafte Hinrichtung Damien's in Paris, 17S7, durch Viertheilen, bei welcher die unteren Extre- mitäten nicht ausgerissen werden konnten, sondern im Hüftgelenk ausge- schnitten werden mussten, gab ihm später einen neuen Beweis der enormen Stärke seines Ligaments. Die Synovialkapsel überzieht die innere Oberfläche der fibrösen Kapsel, den Limhus cartilagineiis und den Hals des Schenkel- beins; die Reibflächen der Gelenkknorpel erhalten von ihr keinen Ueberzug. In der Höhle des Gelenks liegt das von der Syno- vialmembran überkleidete runde Band des Schenkelkopfes (Liga- mentum teres), welches an der Incisura acetabuli entspringt, und, bei richtiger Neigung des Beckens, senkrecht zur Grube des Schenkel- kopfes aufsteigt, wo es sich, in fettige Umgebung (JPulvinar) ein- gebettet, einpflanzt. Das Band besteht oberflächlich nur aus einer dünnen Faserschichte, im Inneren aus lockerem Bindegewebe, dessen Querschnitt dem Bande, bei flüchtigem Besehen, den Anschein von Hohlsein giebt. Man hat dem fetthaltigen Ligamentum teres den Zweck zugemuthet, die Zuziehung des Schenkels zu beschränken. Ich zeigte dagegen, dass nach Durchschneidung des Bandes in der von der Beckenhöhle aus eröff'neten Pfanne, die Zuziehungsfähigkeit des Schenkels nicht vermehrt wird. Das einzige Hemmungsmittel der Zuziehung liegt im Ligamentum Bertini. — Das runde Band hätte, wenn es in die Höhle des Gelenks vorragen würde, diirch Reibung viel Unerträgliches zu leiden gehabt. Ja selbst seine Existenz wäre compromittirt, wenn nicht die knorpellose Fovea acetabuli zu seiner Aufnahme bereit stünde. — Es giebt keine vollkommene Verrenkung des Hüftgelenkes ohne Zerreissung des runden Bandes. Angeborenes 27* 420 t. 150. Hftftpplenlc. Fehlen des Bandes gehört als Thi«M-älinliclikeit (Elephant und Rhi- noceros) zu den grössten Seltenheiten. Wodurch wird der Schenkelkojil in dtr Pfanne gehalten? — Die Lösung dieser Frage, die wir den Untersuchungen der Gebrüder Weber vordanken (Mechanik der niensclilichon (tohwerkzcugc. (iottingen. 1836). führte zu dem überraschenden Resultate, dass das Zusanniienhalten der Kuuchcu im Hüft- gelenke nur vom Druck der Atniosphilrc abhängt; eine Wahrheit, welche auch für gewisse andere Gelenke in gleicher Weise gilt. — Bei den Nussgelenken, welche der Mechaniker baut, hat die Pfanne wenigstens in einem ihrer Bogen mehr als 180". umfasst somit den Kopf und lässt ihn nicht heraus. Die mensch- liche Hüftjifannc hält in keinem ihrer Bogen mehr als 180". Der Limbus cartilfuiineuti geht wohl über den grüsstcn Kreis des Schenkelkopfes hinaus, kann ihn aber nicht in der Pfanne zurückhalten, da er in diesem Falle durch die Reibung bald abgenützt und unfähig gemacht würde, eine so schwere Last, wie sie in der ganzen unteren Extremität mit ihren Weichthcilen gegeben ist, zu tragen. Die Kapsel und die Zona orb/ndnriti können am Cadaver zer- schnitten werden, ohne dass der Koi)f aus der Pfanne weicht. Sie nützen also für das Verbleiben des Schenkelkopfes in der Pfanne ebenso wenig, wie der knöcherne und der knorpelige Pfannenrand. Um den Einfluss des Luftdruckes bei der Fixirung des Schenkclkopfes in der Pfanne einzusehen, stelle man sich einen hohlen (Jyliiider vom Durchmesser der Pfanne vor, welcher oben abge- rundet und zugeschlossen ist. In die untere Oeffnung desselben passe man den Schenkelkopf ein und schliesse sie dadurch luftdicht. Denkt man sich nun die Luft im Cylinder verdünnt werden, so muss der Schenkelkopf durch den äusseren Luftdruck aufsteigen, und ist der Cylinder ganz luftleer geworden, so wird der Schenkelkopf am oberen, pfannenähnlich abgerundeten Ende desselben anstehen. Das Stück des Cylinders, welches der Schenkclkopf während seines Aufsteigens durchlaufen hat, kann man nun wegnehmen und durch einen faserknorpcligen Ring (Limhus cartilaßineus) ersetzen, welcher sich um den Kopf des Schenkelbeins genau anlegt. Bei jedem Versuch, den Schenkel aus der Pfanne zu ziehen und dadurch in der Pfanne einen luftleeren Raum zu bilden, wird der äussere Luftdruck den faserknorpeligen Ring, wie ein Ventil, um den Kopf herum andrücken und das Heraustreten des Kopfes verhüten. Bohrt man in den Pfannengrund vom Becken aus ein Loch, so hält die ein- strömende Luft dem äusseren Luftdrucke das Gleichgewicht. Der Schenkel wird nicht mehr durch den Luftdruck balancirt, sondern tritt, seiner Schwere folgend, so weit aus der Pfanne heraus, bis er vom Limhus cartilagineus ge- tragen wird. Zerschneidet man diesen, so fällt der Schenkelkupf ganz heraus. Wird er wieder in die Pfanne zurückgebracht und das Bohrloch hierauf mit dem Finger zugehalten, so balancirt er wieder wie früher und stürzt nach Ent- fernung des Fingers neuerdings herab. Da die Grösse der Kraft, mit welcher der Luftdruck auf das Hüftgelenk wirkt, gleich ist dem Gewicht einer Queck- silbersäule von der Höhe des Barometerstandes und dem Umfange des Pfannen- randes, so lässt sich diese Grösse leicht berechnen. Sic wird dem Gewichte der unteren Extremität nicht gleich gefunden, sondern etwas grösser als dieses, so dass der Luftdruck, welcher auf das Hüftgelenk wirkt, mehr tragen könnte, als das Gewicht der unteren Gliedmasse. Dem Gesagten zufolge vermittelt der äussere Luftdruck das Zusammen- halten der Knochen im Hüftgelenk. Der Schenkel schwingt somit bei seinen Bewegungen wie ein Pendel, und die Gesetze der Pendelschwingungen finden auf die Bewegungen des Schenkels volle Anwendung. Sie erklären uns, warum §. 151. Knochen des Unterschenkels. 421 alle Schritte desselben Menschen gleich lang sind, warum kleine Menschen kurze, und grosse Menschen lange Schritte machen, warum die Beweguno-en kleiner Menschen schnell und hurtig, jene grosser Menschen gravitätisch und langsam sind, warum ein kleiner und grosser Mensch Arm in Arm nur schwer zusammengehen, und bald aus dem Schritt fallen, warum man im Militär die grossen Leute in eigene Compagnien, und die grössten davon in eine Reihe stellt, u. V. a. Gegen die Weber'sche Lehre versuchte E. Rose Bedenken zu erheben (Mechanik des Hüftgelenks, im Archiv für Anat. u. Physiol., 1865). Die Schlüsse, zu welchen Rose durch seine Versuche und Beobachtungen an Kranken ge- langte, sind: dass der Luftdruck für die Festigkeit des Hüftgelenks belanglos ist, und dass, nebst der durch die Synovia bedingten Adhäsion der Gelenk- flächen, vorzugsweise den Muskeln und Bändern das Zusammenhalten der Knochen im Hüftgelenke obliegt. Auch durch Buchner hat die Weber'sche Lehre Angriffe erfahren (Archiv für Anat. u. Physiol., 1877), welchen zum Trotz sie heute noch ihre Geltung behauptet. — Bereicherungen der Anatomie des Hüftgelenkes verdanken wir Schmidt, Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. V; — Albert, Med. Centralblatt, Nr. '40, — Aeby, Archiv für Anat. u. Physiol., 1880, — Welcker, Zeitschrift für Anat. u. Entwicklungsgeschichte, Bd. 1, und Archiv für Anat. u. Physiol., 1878. — Auch ein Doctor weiblichen Geschlechts, Elisabeth Clark, hat seine Inauguralis über das Hüftgelenk geschrieben. Bern, 1877. §. 151. Knochen des "Untersclienkels. Das Skelet des Untersclienkels besteht aus zwei langen Knochen: dem Schien- und Wadenbein mit der Kniescheibe als Zug-abe. A. Das Schienbein, Tlhia (Canna major cruris, Kv^fiTj), ist der grössere der beiden Knochen des Unterschenkels und nächst dem Schenkelbein der grösste Köhrenknochen. Stellt man das Schienbein umgestürzt vor sich hin, so gemahnt seine Grestalt an jene einer Sehalmeie oder Clarinette, deren Mundstück der gleich zu erwähnende Knöchel vorstellt, daher der lateinische Name Tibia (tibüs canere). Die marklosen Schienbeine grosser Vögel wurden besonders gerne zu Pfeifen verwendet, wie jetzt noch die Vogelsteller ihre Lockpfeifchen aus den Schienbeinen der Gänse bereiten. Der deutsche Name Schienbein aber ist das angelsächsische Skynban. Das veraltete deutsche Wort Schin bedeutet, wie das englische skin, eine Haut (noch in schinden erhalten), und Schin- bein somit einen Knochen, welcher gleich unter der Haut liegt, und deshalb dem Gefühle in seiner ganzen Länge zugänglich ist. Das Schienbein bildet die einzige knöcherne Stütze im Unterschenkel, denn das nebenliegende Wadenbein hat am Stützen nicht den geringsten Antheil. Viermal an Masse und Grewicht ist das Schienbeip dem Wadenbein überlegen. Sein Mittelstück ist, wie bei fast allen langen Knochen, eine dreiseitige Säule. Die vordere, besonders scharfe Kante heisst Schienbeinkamm, Crista tihiae. Sie kann am lebenden Menschen durch die Haut hindurch gefühlt werden. Minder scharf ist die äussere, und am stumpfsten die 422 §■ ""'l Kiiorlipn dp« rntprirhenkpl«. innere Kante. Die hintere Fläche zeiyt in ihrem obersten Theile die rauhe, scliief von aussen und uhen uacli innen und unten hiufende fJiiea Poplitea. Nehen dem unteren Ende dieser Linie liegt, naoli der äusseren Kante zu, dass grtisste aller Ernährunii^slocher, welches schief abwärts in den Knoclien dringt. Die äussere Flüche ist der Länge nacli scliwach concav, die i nnere etAvas convex. Letztere kann durch die Haut hindurch in ihrer ganzen Ausdelinuug; leicht gefühlt werden. Das obere Ende i)reitet sich wie ein Siiulenknauf in die zwei seitlicli vorspringenden Schieubeinkuorreu (CoikUiH tibiae) aus, welche an ihrer oberen Fläche nur sehr seichte Gelenk- flächen besitzen. Die G(denkfläche des inneren Condylus ist etwas tiefer ausgehöhlt, und steht zugleich etwas höher, als die äussere. Zwischen beiden Gelenkflächen liegt eine, in zwei stumpfe Spitzen getheilte Erhabenheit ( Emlnentia intereotuliflohlea). Vor und hinter derselben fallen rauhe Stellen auf, für die Anheftung- der Kreuz- bänder (]e!> Kniegelenks. Jeden Condylus umgiebt ein breiter, senk- recht abfallender, poröser Rand. Unter der vorderen \(Ml»indungs- stelle Iteider Ränder Iiemerkt man die Tuherositas tihuie als Ausgangs- punkt der vorderen Kante des Mittelstücks. Sie heisst in älteren Handbüchern auch Spina tihiae (Stachel), obwohl sich Niemand noch an ihr g'estochen hat. Am hinteren seitlichen Umfange des äusseren Condylus sieht man eine rundliche, kleine, schräg nach abwärts sehende Gelenkfläche, für das Kcipfchen des Wadenbeins. — Das untere Ende hat eine viereckige, nach abAvärts schauende, von vorn nach hinten concave Geleukfläche, welche nach innen durch einen kurzen, aber breiten und starken Fortsatz, den inneren Knöchel, jSIalleohts internus, begrenzt Avird, dessen nach aussen sehende Gelenkfläche mit der ersteren fast einen rechten Winkel bildet. An der hinteren Gegend des inneren Knöchels verläuft eine rerticale Furche für die Sehnen des hinteren Schienbeinmuskels \ind des langen Zehenbeug;ers. Dem inneren Knöchel gegenüber zeigt das untere Ende des Schienbeins an seiner äusseren Seite einen zur Aufnahme des unteren Wadenbeineudes dienenden Aus- schnitt, Incisura ßbidaris. — Das Schienbein nimmt nur bei Indivi- duen, welche in ihrer Jugend Anlage zur Rhachitis hatten, eine 4eise Biegung nach vorn und aussen an. Seine vordere Kante ist jedoch, selbst bei vollkommen gut gebauten Beinen, an der oberen Hälfte nach innen, an der unteren nach aussen gebogen, also schwach S- oder wellenförmig gebogen. B. Das Wadenbein, Fibula (Canna minor cruris, TceQSvtj), associirt sich als schlanker Nebenknochen dem Schienbein. Es hat mit diesem gleiche Länge, steht aber im Ganzen etwas tiefer, so dass sein oberes Ende oder Köpfchen (Capitulum) an die nach §. 151. Knochen des Unterschenkeh. 423 abwärts gerichtete kleine Grelenkfläclie des Conclylus externus tihiae, nicht aber an den Oberscbenkelknocben anstösst, und sein unteres Ende, welches den äusseren Knöchel (Malleolus externus) bildet, weiter herabreicht, als der Malleolus internus des Schienbeins. Da nun das Wadenbein weder oben an das Schenkelbein anstösst, noch unten sich auf die Fusswurzel stützt, kann es auch nicht als Stütz- knochen für die Körperlast in Verwendung kommen. — Am Gapi- tulum filndae wird ein nach oben hervorragender Höcker bemerkt, als Tuherculum fibulae — ein Andenken an die Fibella einiger Säugethiere. Die dem Schienbeine zugekehrte, überknorpelte, innere Fläche des äusseren Knöchels steht mit der entgegensehenden Fläche des inneren Knöchels parallel, also senkrecht. Zwischen beiden MalleoU wird somit eine tief einspringende Gelenkhöhle für den ersten Fusswurzelknochen (Sprungbein) gegeben sein. An dem hinteren Rande des äusseren Knöchels, welcher mehr einer schmalen Fläche gleicht, zieht eine zuweilen nur seicht vertiefte Furche für die Sehnen des langen und kurzen Wadenbeinmuskels herab. Das Mittelstück erscheint als ein unregelmässig vier- kantiger Schaft, dessen vordere schärfste Kante Crista ßbulae heisst, dessen innere, dem Schienbein zugekehrte stumpfe Kante dem Ligamentum interosseum zur Anheftung dient. Gegen das Köpfchen hinauf geht die vierseitige Gestalt des Mittelstücks in eine drei- seitige über, welche, ganz nahe am Köpfchen, durch Abrundung der Kanten zum Collum fihulae wird. 0. Die Kniescheibe, Patella (Diminutiv von patera, flache Schale), heisst auch Mola, von (ivItj bei Aristoteles, imd bei den Anatomen des Mittelalters: Epigonis, von yow, Knie, und Rottda — la rotule der Franzosen. Sie wurde, ihres Verhältnisses zur Streck- sehne des Unterschenkels wegen, von Bertin für ein wahres Sesam- bein erklärt, — le grancl os se'samoide de la jambe. — Die Kniescheibe hält ganz gut den Vergleich mit dem Olekranon der Ulna aus, da sie, wie dieses, den Streeksehnen zur Anheftung dient. Die Patella wäre demnach ein frei und selbstständig gewordenes Olekranon. Dieses wird durch den alten Namen der Kniescheibe: Olecranon Qnobile, ganz richtig ausgedrückt, wie denn auch das Olekranon der Ulna Patella fixa hiess. Wie das Olekranon in dem Einschnitte der Trochlea des Oberarms, beim Strecken und Beugen des Vorderarms, auf und nieder gleitet, ebenso gleitet die Kniescheibe in der Ver- tiefung zwischen beiden Condyli femoris, beim Strecken und Beugen des Unterscjienkels, auf und ab. Ihre Gestalt mag flach kastanien- förmig genannt werden, mit oberer Basis und unterer Spitze, welche letztere durch ein sehr starkes Band (Ligamentum patellae proprium) mit dev Spina tibiae zi\ssim.m.enhä,ugt. Ihre vordere Fläche 424 § IT'- Kniegelenk. ist (.'(imex 1111(1 iMiili; ilin- liiiitci'f Ix'stelit ;iiis zwei iiiitiT ciiMMii sehr stumpfen Giel)el znsainmenstossendeii, flacli Cfnioaveu Gelenk- fläclien, «»inor äusseren «••rösseren. Hie aiit" dein i\>ii(liihi.s externun, und einer inner«Mi kh'ineren. die aut dem <\nitli>lii,s internus fcinor/s rulit. Das Stduen- und Wadenhein Averden oben durtdi die Arti- viihitio til>io-jil>uhiris mit einander zusammeugeleukt, welehe aus einer sehr straffen Kapsel und einem vorderen Vei'stärkungsband besteht. Das TiiJu-rrtihiin ßhulae ragt über das obere Ende des Gelenks 2 bis 3 Linien hinauf. Schien- und Wadenbein werden ül)erdies noch der Länge nach dureli die Menilintuf/ tnferos.sea zusammengehalten, und an iliren unteren Enden durch die vorderen und hin- teren Knöciielbänder sehr fest verl)unden, welche vom Malleoltin e.rternns quer zum vorderen und hinteren Ende dev Ltciburu ßbidarin des Schienbeins laufen. Beide Knochen können deshalb ihre gegen- seitige Lage nur in äusserst geringem Grade ändern. §. 152. Kniegelenk. Die anatomische Einrichtung des Kniegelenks (Articalatio (jenu) stempelt dasselbe zum Winkelgelenk, erlaubt aber dem Unter- schenkel, nebst der Beugung und Streckung, im gebeugten Zustande noch eine Axendrehung (Pronation und Supination), welche bei gestrecktem Knie nicht niTtglich ist. Wir haben es somit, wie beim Ellbogengelenk, mit einem Trociwgimiliimus zu thun. Im Ellbogen- üelenk ist die Winkelbewe^unji: und die Axendrehunti- auf ver- schiedene Knochen vertheilt; — im Kniegelenk, wo von den Knochen des Unterschenkels nur das Schienbein als theilnehmender Knochen auftritt, mnss durch eine besondere Modification der Bänder die Coexisteuz dieser beiden, sonst einander ausschliessendeu Bewegungs- arten au Einem Knochen möglich gemacht werden. Im Ellbogen- gelenke wird das Maximum der Beugung durch das Stemmen des Processus coronohleus in der Fovea snpratrochlearis anterior, und das Maximum der Streckung durch das Stemmen des Olekranon in der Fovea supratrochlearis posterior bestimmt; — im Kniegelenke fehlen am Schienbein solche stemmende Fortsätze, und doch kann man den Unterschenkel nicht auf mehr als 180° strecken, und nur mit Hilfe der Hand so weit beugen, dass die Ferse die Hinterbacke berührt. Die Ursache dieser Beschränkung liegt einzig und allein im Bandmechanismus, welcher an diesem Gelenke eine^ Einrichtung besitzt, wie sie bei keinem anderen Gelenke vorkommt. Der Bandapparat des Kniegelenks besteht aus folgenden Ein- zelnheiten: §. 152. Kniegelenk. 425 1. Die zwei halbmondförmigeu Zwiselienknorpel, Fihro- cartilagines interarticulares (ancli semilunares, falcatae, lunatae, meni- scoideae). Die stark conrexe Oberfläche der beiden Condyli femoris würde die seichten Grelenkflächen der Condt/li tihiae nur an einem Punkte berühren, wenn nicht, durch die Einschaltung der Zwischen- knorpel, der zwischen den Condi/li femoris und tibüte übrig bleibende Raum ausgefüllt und die Berührungsfläche beider dadurch rer- grössert würde. Jeder Zwischenknorpel hat die Gestalt eines C, eines Halbmondes, dessen conrexer und dicker Rand gegen die fibröse Kapsel, dessen concayer schneidender Rand gegen den Mittel- punkt des Gelenks sieht. Beide Zwischenknorpel sind nicht gleich gross. Der innere ist weniger scharf gekrümmt, und an seinem convexen Eande mit der fibrösen Kapsel ver- wachsen. Der äussere hat eine schärfere Krümmung, ist an seinem convexen Eande niedriger als der innere, und mit der fibrösen Gelenkkapsel nicht ver- wachsen, sondern nur durch eine Falte der Synovialhaut mit ihr verbunden. Diese Umstände bedingen es, dass der äussere Zwischenknorpel sich einer grösseren Verschiebbarkeit erfreut, als der innere. Die durch ein kurzes Quer- band verbundenen vorderen Enden beider Zwischenknorpel sind in der Grube vor der Eminentia intercondyloidea des Schienbeins, die hinteren Enden aber, hinter dieser Erhabenheit, durch kurze Bandfasern befestigt. Die Zwischenknorpel vertiefen die seichten Gelenkflächen der Schien- beinknorren, und adaptiren sie der Convexität der Schenkelbeinknorren, — sie vergrössern die Contactflächen des Gelenks, und verhüten dadurch die Ab- nützung der sich an den seichten Schienbeinpfannen reibenden Condyli des Oberschenkels. Sie vermehren zugleich die Stabilität des Gelenks, dämpfen als elastische Zwischenpolster die Gewalt der Stösse, welche das Gelenk beim Sprunge auszuhalten hat, und verhindern, da sie den luftleeren Eaum des Gelenks ausfüllen, eine durch den äusseren Luftdruck möglicher Weise zu bewirkende Einklemmung der Kapsel zwischen den auf einander sich verschie- benden Condyli femoris und tihiae. 2. Die zwei Kreuzbänder, Ligamenta cruciata, liegen in der Höhle des Kniegelenks, entspringen an den einander zugekehrten, die Incisura mtercondijloidea begrenzenden, rauhen Flächen der Condyli femoris, und inseriren sich in den Gruben vor und hinter der Eminentia intercondyloidea tibiae. Das vordere Kreuzband geht vom hinteren Theile der inneren raxihen Fläche des Condylus eocternus femoris zur vorderen Grube, das hintere Kreuzband rom vorderen Theile der äusseren rauhen Fläche des Condylus internus zur hinteren. Sie kreuzen sich somit wie die Schenkel eines X. Die schiefe Richtung fällt jedoch nicht an beiden Kreuzbändern gleich gut in die Augen, indem sich die Richtung des hinteren mehr der senkrechten nähert. 3. Die zwei Seitenbänder, Ligamenta lateralia, liegen ausser der Kapsel. Das äussere Seitenband entspringt von der Tube- rositas des äusseren Schenkelknorrens, ist rundlich und befestigt 426 8. ir>2. Kniegelenk. sich am Köpt"cli»Mi des ^^ adciilioins. Das innere ents[)rin^t an der Tuberositas des inneren Sclienkelknorrens, ist breiter, länii;er und stärker, als das äussere, und setzt sieb 2 bis 3 Zoll unter dem in- neren Oondvlns, an der inneren Kante des Schienbeins fest, Wäi'cM b(M(b' Coii(li//l fiiinir/.s Walzenstücke mit cylindrischer Oberfläche, deren Axe durch die Ursprun«i,sstellen beider Seiten- bäuder i;eht, so Avürden die Seitenbänder bei o-ebon^enem und g-e- strecktem Znstande des Gelenks dieselbe Si)anunng- haben, und die Axendrehung- des Unterschenkels bei keiner dieser beiden Stellungen gestatten. Da aber die I^ogrenzuiin'slinie der Schenkelknorren kein Kreisbogen, sondern ein Stück einer S[)irale ist, als deren Endpunkt wir die Ti(herosit(i.'i coii(h/li nehuKMi kTmueu, an welcher eben die Seitenbänder entspringen, so werden diese Ursprungsstellen der beiden Lif/arjieuto loleral/a bei gestrecktem Knie höher als bei ge- beultem Knie zu stehen kommen, und dadurch die Seitenbänder nur bei gestrecktem Knie angespannt, bei gebogenem dagegen relaxirt sein müssen, wodurch, im b'tztcreu Falle, ein Drehen des Schienbeins um seine Axe möglich wird. Das mächtige Ligamentum patellae niagnum der Autoren, zwischen Kniescheibe und Tuberosit:V Knochen des Fasses. rande der Kniescheibe in die Kapsel eingestochene Messerklinge die Kreuzbänder, wodurch also die Kapsel ausser der kleinen Stichfiffnung ganz bleibt, so hat man die Festigkeit des Gelenks im gebogenen und gestreckten Zustande total vernichtet. Der Unterschenkel entfernt sich durch seine Schwere vom Ober- schenkel, so weit es die SchlaflDieit der Kapsel gestattet. — Wurde an einem anderen Exemplare die Kapsel ganz entfernt, die Seiten- und Kreuzbänder aber geschont, so bleibt die Festigkeit des Gelenks im gebogenen und gestreckten Zustande dieselbe, wie bei unversehrter Kapsel. 2. Die Seitenbänder bedingen im gestreckten, aber nicht im gebogenen Zustande die Festigkeit des Kniegelenks. Trennt man an einem Kniegelenk die Kreuzbänder mit Schonung der Seitenbänder, so bemerkt man am gestreckten Knie keine Verminderung seiner Festigkeit. Je mehr man es aber beugt, desto mehr beginnt es zu schlottern, der Unterschenkel ent- fernt sich vom Oberschenkel, und kann um sich selbst gedreht werden. Da das innere Seitenband breiter und stärker gespannt ist, als das äussere, so wird bei der Drehung des Unterschenkels nur der äussere Schienbeinknorren einen Kreisbogen beschreiben, dessen Centrum der Mittelpunkt des inneren Knorrens bildet. 3. Die Kreuzbänder bedingen theils im gebogenen, theils im gestreckten Zustande die Festigkeit des Kniegelenks. Werden die Seitenbänder durchgeschnitten, die Kreuzbänder aber nicht, so klappert das Kniegelenk, und der Unterschenkel lässt sich nach aussen drehen. Diese Drehung nach aussen erfolgt im gebogenen Zustande des Gelenks von selbst, indem die Kreuzbänder sich von einander abzuwickeln und parallel zu werden streben. Nach innen kann sich der Unterschenkel nicht drehen, da hiebei die Kreuz- bänder sich schraubenförmig um einander winden müssten. Das hintere Kreuz- band liefert zugleich ein einflussreiches Hemmungsmittel der Streckung des Unterschenkels, welcher, wenn dieses Band zerschnitten wird, sich auf mehr als 180" strecken lässt. Das vordere Kreuzband bezeichnet durch seine auf's Höchste gediehene Spannung die Grenze, über welche hinaus die Beugung des Unterschenkels nicht melir gesteigert werden kann. — Der Einfluss der Kreuz- bänder auf die Limitirung der Streckung und Beugung lässt sich nur dann verstehen, wenn man in Anschlag bringt, dass das Kniegelenk keine fest- stehende Drehungsaxe hat, sondern Unterschenkel- und Oberschenkelknorren bei den Winkelbewegungen auf einander nicht blos rollen, sondern auch schleifen, was nothwendig eine Aenderung in der Spannung der Ligamenta cruciata herbeiführt. Ueber das Kniegelenk handeln ausführlich: H. Meyer, in Müllers Archiv, 1853. — Robert, Untersuchungen über die Mechanik des Kniegelenks, Giessen, 1855. — Henke, Zeitschrift für rat. Med., 3. Reihe, 14. Bd. — H. Albrecht, Anat. des Kniegelenks. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie, 7. Bd. §. 153. Knochen des Fusses. Die Knoclieii de.s Fusses (Oasa pedis) werden, entsprechend den Knochen der Hund, in die Knochen der Fusswurzel, des Mittelfusses und der Zehen eingetheilt. A. Erste Ähth^ilunp. Knochen der Fusswurzel. Die Fusswurzel, Tarsua (Homer gebraucht ra^acJ? für Platt- fuss), fällt die ganze hintere Hälfte des Fussskeletes zu. Sie besteht §. 153. Knochen des Fusses. 429 aus sieben kurzen und dicken Knochen (Ossa tarsi), welche aber nicht mehr in zwei transversale Keihen, wie die Handwurzelknochen, geordnet sind, sondern theils über, theils der Länge und Quere nach neben einander zu liegen kommen. 1. Das Sprungbein, Talus s. Astragalus, (vor Zeiten auch Os tesserae s. haUstae) hat seinen griechischen Namen von der Grestalt seines Körpers erhalten, welcher so ziemlich einem Würfel deicht {aöTQccyaXog, lateinisch talus, Würfel, — ccaxQayaXlUtv, mit Würfeln spielen, im Homer). Dieser Knochen vermittelt allein die Verbin- dung des Fusses mit dem ünterschenkeL Er wird in den Körper, Hals und Kopf eingetheilt. Der Körper zeigt sich uns als ein würfelförmiges Knochenstück, welches in die Vertiefung zwischen beiden Knöcheln hineinpasst. Die obere, durchaus überknorpelte Fläche erscheint von vorn nach rückwärts convex, von einer Seite zur anderen massig concav. Am vorderen Rande ist die obere Fläche breiter als am hinteren. Ihre Ausdehnung von vorn nach hinten übertrifft dieselbe Ausdehnung der an sie stossenden Gelenkfläche des Schienbeins, so dass bei einer mittleren Stellung des Gelenkes (zwischen Maximum der Beugung und Streckung), ein Stück der Sprungbeingelenkfläche am vorderen, und ein ebensolches am hinteren Rande frei bleibt, d. h. mit dem Schienbein nicht in Contact steht. — Die überknorpelte obere Fläche des Sprungbeinkörpers geht ununterbrochen in die seitlichen Gelenkflächen über, von welchen die äussere perpendieulär abfällt, länger, und in senkrechter und querer Richtung concav erscheint, die innere aber kürzer ist, und mit der oberen keinen rechten, sondern einen stumpfen Winkel bildet. — Die untere Gelenkfläche des Körpers vermittelt die Ver- bindung des Sprungbeins mit dem P'ersenbein. Sie ist ein Stück einer cylindrischen Hohlfläche, deren längster Durchmesser schräge von innen nach aussen und vorn geht. — Nach vorn zu wächst aus dem Sprungbein der kurze, aber dicke, etwas nach innen gerichtete Hals hervor, welcher den mit einer sphärisch gekrümmten Gelenk- fläche versehenen Kopf trägt, dessen Knorpelüberzug sich ununter- brochen in eine kleine, an der unteren Seite des Halses befindliche, plane Gelenkfläche fortsetzt. Zwischen dieser Gelenkfläche des Halses und der unteren Gelenkfläche des Körpers läuft eine tiefe, rauhe Rinne (Suleus tali) schief von innen und hinten nach vorn und aussen. Der Kopf des Sprungbeins kann am Rücken des ge- streckten Fusses, welcher in der Volkssprache Rist heisst (bei den Schustern der Span), deutlich gefühlt werden. Bei hinterer Ansicht des ßprungbeinkörpers bemerkt man zwischen der oberen und unteren Gelenkfläche desselben eine Furche schief nach unten und innen herabsteigen. Sie nimmt die Sehne des langen Beugers der grossen Zehe auf. 430 '• IBS- Knorhen des Fasses. Der al^ Taliu'^ und Astragaltui benannte Würfel der Römer und Griechen war oblong, an seinen beiden Endflächen convex. und hatte nur auf seinen vier platten Seiten Augen, wähnnd der als nvßog. ciibus, gebräueliliehc Würfel deren auf allen sechs Seiten führte. Das Sprungbein der Hausthierc. insbe- sondere des Schafes, wurde seiner Gestalt wegen ganz besonders als Würfel gebraucht, und erhielt deshalb den Namen Talus oder Ästragalus, welcher erst später aucl» auf das menschliche Sprungbein übertragen wurde. — Die Knöchel und die P'erse hiessen ebenfalls bei den Römern Talus, daher Talipes. auf den Knöcheln gehend, d. i. Klumpfuss, und a vertice ad taluni, vom Scheitel bis zur Ferse — talon der Franzosen. 2. Der j^n'i.s.ste Fii.s.swiu-zelkiKtclit'ii i>t das Fei-seulitMii, Calcaiieus, von culco, treten {mk^va im Illppocra tes). Pls liegt unter dem Spruugbeiu, reicht uaeli vorn ehciiso weit wie dieses, üherraj^t es aber rückwärts beträchtlich, wodurch der Fersenvorsprun;ii^ (die Hacke, euLv oder calcar pediö) i^ej-eben wird, auf welchem die Last des Körpers beim Stellen und beim Auftreten zum grössten Tlieile anfruht. Es ist ländlich viereckig-, zugleich seitlich comprlmlrt, und endigt nach hinten als Fersen höcker, Tuherositas calcanei, au welcliem sich gewöhnlich nocli zwei nach unten sehende, ungleich grosse Hervorragungen bemerkbar machen, deren innere die äussere etwas an Grösse übertrifft. An seiner oberen Fläche sieht man in der Mitte die längliche, concave, schief von innen nach aussen und vorn gerichtete (relenkfläche zur Verbindung mit der entsprechenden unteren Gelenkfläche des Sprungbeinkörpers. Vor ihr liegt eine rauhe Furche (So/cua calcanei), welche mit der ähnlichen, an der unteren Gegend des Sprungbeins erwähnten, den Sinus tarsi bildet. Einwärts von dieser Furche überragt ein kurzer, aber starker, nach innen gerichteter Fortsatz (Sustentaculum s. Processus lateralis) die innere Fläche des Knochens, und bildet mit dieser eine Art Hohl- kehle, in welcher die Muskeln, Gefässe und Nerven vom Fnter- schenkel zum Plattfuss ziehen. Das Suslcntaculum führt an seiner oberen Fläche einen Knorpelbeleg, um mit der Gelenkflächc an der unteren Seite des Sprungbeinhalses zu arti- culiren. Am vorderen inneren Winkel der oberen Fläche liegt zuweilen noch eine Nebengelenkfläche, welche einen Theil der unteren Peripherie des Sprung- beinkopfes stützt, und entweder vollkommen isolirt ist, oder mit der Gelenk- fläche des Sustentaculum zusannnenfliesst. Camper's Vermuthung, dass diese Verschmelzung bei Frauenzimmern vorkomme, welche, wie es zu seiner Zeit üblich war, Stöckelschuhe mit hohen Absätzen trugen, wird dadurch widerlegt, dass sie auch heutzutage, wo die Fussbekleidung der Damen, mit Ausnahme der Modeaff"en, zweckmässiger geworden, nicht selten vorkommt, und von mir auch an ägy])tischen Mumien an einem oder an beiden Füssen angetroff'en wurde. — Angeborene Verwachsung des Fersenbeins mit dem Sprungbein, auch mit dem Kahnbein, zählt zu den anatomischen Raritäten. — Da man beim Scbrittmachen mit der Ferse zuerst auftritt, wird alles Schuhwerk an der Ferse viel stärker und dicker gearbeitet sein müssen (Absätze), als weiter i §. 158. Knochen des Fnsses. 431 vorn, um einer schnellen Abnützung zuvorzukommen. Der lateinische Name calceus für Schuh hängt hiemit zusammen. Die vordere Fläche des Fersenbeins ist die kleinste, iinregel- mässig viereckig-, und ganz iiberknorpelt, zur Verbindung mit dem Würfelbein. Die äussere und innere Fläcbe besitzen, wie die untere, keine Gelenkflächen. Die untere Fläche ist schmäler als die obere, massig concav, und gegen ihr vorderes Ende hin, zu einer Querwulst erhöht. An der äusseren Fläche fällt sehr oft ein schief nach vorn und unten gerichteter Vorsprung auf, hinter welchem eine Furche bemerklich wird, in welcher die Sehne des Ilusctdus peronaeus longus ihren Verlauf angewiesen hat. Ausnahmsweise wird dieser Vorsprung so hoch, dass er den Namen eines Processus inframaUeolaris calcanei, welchen ich ihm beigelegt habe, voll- kommen verdient. Dieser Processus ist dann immer an seiner hinteren Fläche, auf welcher die Sehne des langen Wadenbeinmuskels gleitet, mit Knorpel incrustirt. Ich habe ihn so lang werden gesehen, dass er die ihn bedeckende Haut als einen Hügel emporhob, an dessen Spitze ein durch die Eeibung mit dem Leder der Fussbekleidung gebildetes Hühnerauge thronte. Der Fortsatz verdient die Beachtung der Wundärzte und gewiss auch der Schuhmacher. Hierüber und über andere Fortsätze dieser Art handelt mein Aufsatz: Ueber die Trochlearfortsätze der menschlichen Knochen, in den Denkschriften der Wiener Akad., 18. Bd. 3. Das Kahnbein, Os scapJwideum s. naviculare, liegt am in- neren Fussrande, zwischen dem Kopfe des Sprungbeins und den drei Keilbeinen. Seine hintere Fläche nimmt in einer tiefen Höhlung den Kopf des Sprungbeins auf; seine vordere convexe Fläche hat drei ziemlich ebene Facetten, für die Anlagerung der Keilbeine; die convexe Dorsal- und die concave Planta rgegend sind rauh. Am inneren Rande der letzteren ragt die stumpfe Tuherositas ossis navicidaris hervor, hinter welcher eine Rinne (Sulcus ossis navicula- ris) verläuft. Die äusserst selten vorkommende angeborene Verwachsung des Kahn- beins mit dem Sprungbeinkopf erinnert an das Os talo-naviculare der reis- senden Thiere. 4. 5. 6. Die drei Keilbeine, Ossa am^i/onma«, liegen vor dem Kahnbein, mit dessen drei Facetten sie articuliren, und werden vom inneren Fussrande nach aussen gezählt. Das erste oder innere Keilbein (Entocuneifortne) ist das grösste. Die stumpfe Schneide des Keils sieht gegen den Rücken des Fusses, somit die rauhe Basis gegen die Plantarfläche. Die innere Fläche ist rauh, und von oben nach unten sanft convex, die äussere concav, und gegen den oberen, sowie gegen den hinteren Rand mit einer schmalen, zungenförmigen Grelenkfläche (einer Fortsetzung der hinteren), zur Anlagerung des zweiten Keilbeins versehen. Die vordere über- knorpelte Fläche erscheint bohnenförmig, mit nach innen gerichteter Convexität, und vermittelt die Verbindung mit dem Mittelfussknochen 432 ^- '•"'^ Knochen des Fnsses. (1er grossen Zolle. — Das zweite odiM- mittlere Keilbein (Mc.so- cuneifornii), das kleinste von den dreien, kehrt seine Sehneide nach der PlantarHäche, somit seine Basis nach oben. Es stösst hinten an die mittlere Facette des Kahnheins, nnd vorn an den Mitteltuss- knochen der zweiten Zehe. Seine Seitenflächen sind theils rauh, theils mit Knorpel i;ej;lättet, zur beweglichen Verbinduni;- mit den anu:renzenden Nachl)arn. — Das dritte oder äussere Keilbein (Edocuneiforme), der (irösse nach das mittlere, «gleicht an Gestalt und Lai;e dem zweiten, stösst hinten an die dritte Facette des Kahnbeins, vorn an den Mittelt'ussknochen der dritten Zehe, innen an tlas zweite Keilbein, und aussen an das Würfelbein. Die über- knorpelten Flächen, welche die Verbindung; der Keilbeine unter einander bezwecken, nehmen nur Theile der betreffenden Seiten- ":eij:enden dieser Knochen ein. 7. Das Würfelbein, Os cuhoideum, liegt am äusseren Fuss- rande vor dem Fersenbein. Seine obere Fläche ist rauh, die untere mit einer von aussen nach innen und etwas nach vorn ge- richteten Rinne versehen, hinter Avelcher ein glattrandig-er Wall sich hinzieht — Stdcus und Tuherositas ossis cuboidei. Die innere Fläche besitzt eine kleine, ebene GelenkÜäche für das dritte Keil- bein, und zuweilen hinter dieser eine noch kleinere, für eine zu- fällige vierte Gelenkfacette des Kahnbeins. Die äussere, rauhe Fläche ist die kleinste; — die vordere, überknorpelte, stösst mit der Basis des vierten und fünften Mittelfussknochens zusammen. Denkt man sich die obere Querreihe der Handwurzelknochen so ver- grössert, dass ihre einzelnen Knochen die Grösse der Fusswurzelknochen an- nehmen, und denkt man sich zugleich diese vergrösserte Eeihe der Länge nach unter das untere Endo der Unterschenkelknochen gestellt, so wird diese Reihe das untere Scliienbeinonde nach vorn und hinten überragen, das Mondbein wird in die Gabel zwischen beiden Malleoli passen und das Sprungbein vorstellen, das Kahnbein (der Handwurzel) wird zum Kahnbein der Fusswurzel werden, und das mit dem Erbseubein verwachsen gedachte Os friquetrum wird das Fersenbein repräsentiren. — Die drei Keilbeine und das Würfelbein verhalten sich in ihren Beziehungen zu den Metatarsusknodien, wie die Kmichen der zweiten Handwurzelreihe zu ihren Metacarpusknuchen, so dass das erste Keil- bein dem Os multanguluni majtui, das zweite dem minus, das dritte dem capi- tatum, und das Würfelbein dem hamntum äquivalirt. Es fehlt nicht an Beobachtungen über Vermehrung der Fusswurzel- knoclien durch Zerfallen eines der gegebenen. So hat Bland in das Würfelbein, Grub er, Turner und Friedlpwsky das erste Keilbein, Stieda das Fersen- bein in zwei Knochen zerfallen gefunden. Grub er sah auch den an der hinteren Fläche des Sprungbeins vorhandenen stumpfen Höcker, welchen er Tubercidum laterale nennt, sich vom Körper dieses Knochens ablösen und sclbstständig werden (Archiv für Anat., 1864). Einen überzähligen kleinen Fusswurzelknochen von Keilgestalt fanden Bankart und Pie- Smith zwischen dem ersten Keil- bein und der Basis des zweiten Metatarsusknochens eingeschaltet. §. 153. Knochen des Fusses. 433 B. Zweite Äbtheilung. Knochen des Mittelf usses. Die fünf Mittelfiissknoclien (Ossa metatarsi) liegen in einer von aussen nacli innen conrexen Ebene parallel neben einander, wie die Zähne eines Kammes, weshalb der Mittelfuss bei alten Anatomen auch Peden pedis heisst (bei Hippocrates nESlov). Sie sind kurze Röhrenknochen, der Länge nach ein wenig aufwärts convex gebogen, mit einem Mittelstück, hinterem dicken, und vorderem kugelig geformten Ende. Das Mittelstück ist dreiseitig prismatisch, mit Ausnahme des fünften, welches schief von oben nach unten comprimirt erscheint. Das hintere dicke Ende (Basis) wird durch eine ebene Gelenkfläche senkrecht abgeschnitten, und besitzt an den drei mittleren Mittelfussknochen noch kleine, seitliche, überknorpelte Stellen zur wechselseitigen Yerbindung. Das vordere, kopfförmige Ende (Gapitidum) zeigt seitliche Grübchen für Band- insertionen. Die Mittelfussknochen werden, wie die Keilbeine, vom inneren Fussrande nach aussen gezählt. Der erste Mittelfussknochen, der grossen Zehe angehörig, Os metatarsi hallucis s. primurn (hallux, richtiger hallex, grosse Zehe), unterscheidet sich von den übrigen durch seine Kürze und Stä.rke. An der unteren Fläche seines überknorpelten Capitulum erhebt sich ein longitudinaler Kamm, zu dessen beiden Seiten sattelförmig ge- höhlte Furchen für die beiden Sesambeine liegen. — Der Mittel- fussknochen der zweiten Zehe ist der längste, weil das zweite Keilbein, an welches seine Basis stösst, das kürzeste ist. — Der Mittelfussknochen der kleinen Zehe zeichnet sich, nebst seiner schief von oben nach unten etwas comprimirten Gestalt, noch durch einen Höcker seiner Basis aus, welcher am äusseren Fussrande über das Würfelbein hinausragt, und durch die Haut leicht gefühlt werden kann. Die Mittelfussknochen bilden zugleich mit der Fusswurzel einen von vorn nach hinten, und von aussen nach innen convexen Bogen, welcher beim Stehen nur mit seinem vorderen und hinteren Ende den Boden berührt. Dieser Bogen hat einen äusseren, mehr flachen, und einen inneren, nach oben convexen Eand, auf welchen die Körperlast durch das Schienbein stärker, als auf den äusseren drückt. Die Spannung des Bogens ist veränderlich. Er verflacht sich in der Eichtung von vorn nach hinten, und von aussen nach innen, wenn der Puss beim Stehen durch die Körperlast von obenher gedrückt wird, und nimmt seine frühere Convexität wieder an, wenn er gehoben wird. Eine bleibende Flachheit des Bogens bedingt den Plattfuss, welcher mit seiner ganzen unteren Fläche auftritt. — Das Skelet des Tarsus und Metatarsus kann zur Verlängerung der unteren Extremität benützt werden, wenn man sich während des Stehens durch Strecken der Füsse höher macht (auf die Zehen stellt), wobei der Fuss sich nur mit den Köpfen der Mittelfussknochen, insbesondere des ersten und zweiten, auf den Boden stemmt, während die Zehen, ihrer schwachen Axenknochen wegen, nie dazu verwendet werden können, die Leibes- Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl. *o 434 §• 153. Knochen des Kusses. last ZU trageu. — Durch die Beweglichkeit der einzelnen Stücke des Bogens kann sich der Fuss ilen Unebenheiten des Bodens besser anpassen, und der Tritt wird sicherer. — Das Breiter- und Längerwerden des Fusses beim Auf- treten wird durch unsere harten Fussbckleidungen sehr eingeschränkt. Ihnen verdanken wir die peinlichen, und leider sehr allgemein gewordenen „Hühner- augen", welche sich an der äusseren Seite der kleinen Zehe am häufigsten vor- finden, weil diese durcli den Druck des Stiefellcders mehr zu leiden hat, als die übrigen Zehenseiten. (7. Dritte Atithcihnig. Knochen der Zehen. Die Zeheuglieder bieten uns die letzten Knochen dar, welche die Anatomie abzunagen hat. Sie heissen Phalanges digitorum pedis, entsprechen durch Zahl, Form und Verbindung jenen der Finger, und sind, wie diese, Röhrenknoclien en miniature. An der Hand, deren Bau auf" vielseitige Beweglichkeit abzielt, Avaren die frei be- Aveglichen Finger wohl die Hauptsache. Am Fusse dagegen, dessen Bau auf Festigkeit und Tragfähigkeit berechnet ist, wären finger- lange Zehen etwas sehr Uebertlüssiges, ja für das Gehen selbst etwas sehr Naehtheiliges gewesen. Die Zehen sind deshalb bedeutend kürzer als die Finger. Ihre einzelnen Plialangen müssen somit eben- falls kürzer sein, und zugleich rundlicher und schwächer, als die einzelnen Plialangen der Finger. Die Phalangen der dreigliedrigen Zehen liegen aber nicht, wie die Fingerphalangen, in einer geraden Linie, denn die erste Zeheuphalanx ist schief nach oben, die zweite fast horizontal, die dritte schief nach unten gerichtet. Die ganze Zehe l)ekommt dadurch die Krümmung einer Kralle, welche nur mit dem Ende der dritten Phalanx den Boden berührt. Die besten Abbildungen vom Fussskelete sind in dieser Beziehung unrichtig zu nennen, weil sie nach gefassten Füssen entworfen sind, an Avelchen die Zehenphalangen in gerader Richtung aneinander gefädelt wurden. — Die dritten Phalangen werden an den ZAvei äussersten Zehen häufig durch enge und unnachgiebige Fussbekleidung verkrüppelt gefunden; die zweiten sind mehr viereckig als oblong, und öfters an der kleineu Zehe mit der dritten Phalaux verwachsen. Die zwei Phalangen der grossen Zehe (die mittlere fehlt wie am Daumen), zeichnen sich durch ihre Breite und Stärke vor den übrigen aus. An der dritten und vierten Zehe finde ich die zweite Phalanx etwas kürzer als die dritte. Man hat es nicht beachtet, dass die letzte Phalanx der Zehen sehr oft an ihren Seitenrändern ein Loch hat, und, wenn dieses fehlt, einen entsprechenden Ausschnitt besitzt, durch welchen die ansehnlichen Zweige der Digitalgefässe und Nerven zum Rücken der Zehe, namentlich zum blut- und nervenreichen Nagelbett verlaufen. Nur Henle gedenkt dieser Löcher. An schön gebildeten Füssen soll die grosse Zehe etwas kürzer als die zweite sein, und die vordere Vereinigungslinie der Zehenspitzen einen Bogen §. 154. Bänder des Fusses. 435 bilden. So sieht man es wenigstens an den elassischen Arbeiten älterer und neuerer Kunst, wenngleich nicht geläugnet werden kann, dass bei der ungleich grösseren Mehrheit der Füsse die grosse Zehe länger ist als die übrigen. Viel- leicht übt die Festigkeit der Fussbedeckung, welche das Wachsthum des starken Hallux weniger beschränkt, als jenes der zweiten Zehe, hierauf einen Einfluss. Dem Künstler mag es erlaubt sein, die anatomische Eichtigkeit der gefälligeren Form zum Opfer zu bringen, denn eine gebogene vordere Begrenzungslinie des Fusses hält der Kunstsinn jedenfalls für schöner, als eine gerade. §. 154. Bänder des Fusses. 1. Bänder der Fusswiirzel. Der Fiiss führt am Unterschenkel dreierlei Bewegungen ans: 1. die Streckung und Beugung in verticaler Ebene; 2. die Dreh- bewegung um eine verticale Axe (Abduction und Adduction), bei welcher die Fussspitze einen Kreisbogen in horizontaler Ebene be- schreibt; 3. die Drehung des Fusses um seine Längenaxe, Supination und Pronation genannt, wodurch der äussere oder innere Fussrand gehoben wird. Yersuchen an Leichen zufolge, verhält sich der Um- fang dieser drei Bewegungen wie 78°: 20°: 42°. Die erste Bewegung wird durch das Grelenk zwischen dem Sprungbein und dem Unter- schenkel vermittelt, und die Drehungsaxe geht horizontal durch beide Knöchel. Die zweite Bewegung tritt in demselben Grelenke auf, indem die innere Geleukfläche des Sprungbeins am inneren Knöchel vor- und rückwärts gleiten kann, und dadurch einen Kreis- bogen beschreibt, dessen Centrnm im äusseren Knöchel liegt. Die dritte Bewegung leistet das Kugelgelenk zwischen Sprung- und Kahnbein, und das Drehgelenk zwischen Sprung- und Fersenbein. Sie combinirt sich immer mit der zweiten Bewegungsform, welche an und für sich sehr klein ist, und nur durch gleichzeitiges Ein- treten der dritten im Bogen von 20° ausführbar wird. Die Bänder der Fusswurzel bedingen: a) theils eine Verbindung dieser mit dem Unterschenkel, h) theils eine Vereinigung der einzelnen Fusswurzelknochen unter einander. a) Die Verbindung der Fusswurzel mit dem Unter- schenkel bildet das Sprunggelenk (Articulatio pedis s. talo-cruralis), welches seinen deutschen Namen von jener Be- wegung erhielt, bei welcher dieses Grelenk seine grösste Kraft- anstrengung ausführt — dem Sprunge. Die beiden Malleoli des Unterschenkels (wörtliche Uebersetzuug von ra. aq)VQa, Mallei, ■ Hämmer, oder Schlägel) fassen die Seiten des Körpers des Sprungbeins gabelartig zwischen sich, und gestatten ihm beim Beugen und Strecken des Fusses in verticaler Ebene, sich um seine Queraxe zu drehen. Es wurde früher erwähnt, dass bei jener mittleren Stellung des Grelenks, wo die Axe des Fusses 28* 4;i(> S. 154. Bniider dp= Fusses. mit der Axe des Untersclienlvcls eiueii recliteu Wiukel bildet, der vordere breiteste xind der liiiitere schmälste Rand der oberen Gelenkfläche des Spruugbeius nicht mit der unteren (lelenktläche des Schienbeins in (\)ntact stehe. Erst beim Strecken des Fusses im Sprunggelenk kommt der hintere schmale Rand dieser (lelenkfläche, und beim liougen der vordere breite Rand derselben mit der Schienbeini;elenkfläc'he in ßerülirung-. Letzteres wird nur dadurch möglich, dass der äussere Knöchel etwas nach aussen weicht, und es begreift sich somit, Avarum das Schienbein nicht beide Knöchel bilden durfte, indem sie in diesem Falle nicht die geringste Ent- fernung- von einander gestattet hätten. Es erhellt zugleich aus dieser Angabe, dass ein gebeugtes Sprunggelenk viel mehr Festigkeit besitzt, als ein gestrecktes. Um einen Begriff von der Festigkeit dieses Gelenks im gebogenen Zustande zu haben, muss man es im frischen Zustande untersuchen, indem an ge- bleichten Knochen die Knorpelüberzüge so eingetrocknet sind, dass das Sprungbein in der Gabel der Knöchel klappert. Die Bänder des Sprunggelenks sind, nebst der fibrösen und Synovialkapsel, Avelche die Ränder der beiderseitigen Gelenk- flächen umsäumen, die drei äusseren und das einfache innere Seitenband. Die drei äusseren sind rundlich, strangförmig, entspringen vom Malleolus e.vternus und laufen in divergenter Richtung, das vordere schief nach vorn und innen, zur äusseren Fläche des Halses des Sprungbeins, als Ligamentum ßbulare toU (üitunnn, — das hintere fast horizontal nach innen und hinten, zur hinteren Fläche des Sprungbeinkörpers, als Lüfamenhim ßbulare tali posticum, während (bis mittlere zur äusseren Fläche des Fersenbeins herabsteigt, als Ligamentum ßJndare calcanei. Das innere Seiten- band entspringt breit vom unteren Rande des Malleolus internus, nimmt im Herabsteigen noch an Breite zu, und endigt an der inneren Fläche des Sprungbeins und am Sustentaculum des Fersen- lieins. Seine Gestalt giebt ihm den Namen Ligamentum deltoides. — Eine Fortsetzung der Synovialkapsel des Sprunggelenks dringt von unten her, als eine kleine Tasche oder Blindsack, zwischen die Con- tactflächen des Schienbeins und des unteren Wadenbeinendes ein. h) Die Bandverbindungen der Fusswurzelknochen unter einander müssen bei dem Drucke, welchen der Fuss von obenher auszuhalten hat, überhaiipt sehr stark, und an der Sohlenseite überwiegend stärker, als an der Dorsalseite sein. Von diesem sehr verwickelten Bandapparate soll hier nur die Hauptsache berührt werden. §. 154. Bänder des Fusses. 437 Die einander zngekelirten Gelenkfläclien je zweier Fusswurzel- knoclien werden durch eine fibröse, mit Synovialhaiit gefütterte Kapsel nnd dnrcli Yerstärkungsbänder zu einem Grelenke vereinigt, welches den Namen von den betreffenden Knochen entlehnt: Arti- culatio talo-calcanea, calccmeo-cuhoidea, talo-navicidaris, u. s. f. Diese Gelenke erfreuen sich nur einer geringen Beweglichkeit. Nur die Articulatio talo-navicularis macht eine Ausnahme von dieser Regel, weil in ihr die Berührungsflächen der beiden Knochen sphärisch gekrümmt sind, wie es die in diesem Gelenke gestattete Dreh- bewegung des Fusses um seine Längenaxe (Supination und Prona- tion) erheischt. — Das Kahnbein wird mit den drei Keilbeinen nicht durch drei besondere, sondern durch eine gemeinschaftliche Kapsel verbunden. Die Yerstärknngsbänder, welche den Namen des Gelenks tragen, dem sie angehören (Ligamentum talo-calcaneicm, calcaneo- cuboideimi, etc.), werden, ihrem Vorkommen nach, in äussere und innere, dorsale und plantare eingetheilt. Die plantaren verdienen ihrer Stärke wegen besondere Würdigung. 1. Das Ligamentum calccmeo-cuboideum, plantare, von der unteren Fläche des Fersenbeins zur Tuherositas ossis cuhoidei gehend, ist eines der stärksten Liga- mente des Körpers und besteht aus einer oberflächlichen und einer tiefen, durch etwas zwischenliegendes Fett getrennten Schichte. Die oberflächliche Schichte ist länger als die tiefliegende, und gerade von vorn nach hinten gerichtet. Sie heisst deshalb Ligamentum plantare rectum s. longum, und sendet über die Furche des Würfelbeins hinüber eine Fortsetzung zu den Basen der zwei letzten Mittelfuss- knochen. Die tiefliegende Schichte dieses Bandes wird von der hochliegenden nur th eilweise bedeckt, ist bedeutend kürzer und schief nach innen gerichtet (daher Ligamentum plantare obliquum), da sie sich einwärts von der Tuherositas ossis cuhoidei an der unteren Fläche dieses Knochens befestigt. 2. Das Ligamentum calcaneo- naviculare plantare, welches, seiner häufigen, durch Verknorpelung bedungenen Rigidität wegen, auch Ligamentum cartilccgineum genannt wird, schliesst nicht selten einen Knochenkern ein. Es zieht vom Sustentaeulum des Fersenbeins zur unteren Gegend des Kahnbeins, und hilft mit seiner oberen Fläche die Gelenkgrube des Kahnbeins zur Aufnahme des Sprungbeinkopfes vergrössern; — daher seine Ver- knorpelung und gelegentliche Yerknöcherung. Hieher gehört noch: das Ligamentum, intertarseum, eine kurzfaserige und feste Bandmasse, welche im Sinus tarsi zwischen Sprung- und Fersenbein angebracht ist. 2. Bänder des Mittelfusses. Sie sind: 1. Kapselbänder, zur Verbindung der einzelnen Mittelfussknochen mit den eorrespondirenden Flächen der Fusswurzel- 4!^,9 §. 154. Bftndpr «los Fnssas. kiiHclicn. wodiircli die liinf stnilfon Articulattones tarso-metatarseae ciitstolioii. (loren Svnovialk;ij)seln sich zwisclien die s«Mtliclipn Grolenk- lläclioii der Bases osshitn )iH'f kommt, obAvohl nicht constaiit, noch ein (h-ittes vor. Die zuweilen an der inneren Fläche des ersten Keilbeins, und an der äusseren Ecke der Taherositas ossis cuhoidei vorfindlichen Sesambeine sind unwertli dieses Namens, da sie keine überknorpelte, einer (lelenkliöhle zugewendete Fhiche haben, sondern als accessorische, in §. 85 erwähnte Ossificationspunkte jener Knochen zu iichMicn sind, auf welchen sie aufsitzen. — Mehr als hier Avird für den wisshcgierigen Leser in meinem Handbuch der prakt. Anatomie, Wien, 1800, über die Bänder des Fusses gesagt. Vun dein inneren und zugleich grüsseren Scsaiiibein der grossen Zehe (qii,od tiKujiae sectatore.s Albndaram vocant, liiol.) ghiubten die Mystiker, dass dasselbe nicht verwese ftotuni corpu.i putresrit, excepto illo o.ssej, sondern sich als Keim in der Erde erhalte, damit aus ihm, wie aus einem Samenkorn, der ganze Mensch zum jüngsten Gericht wieder auferstehe. So lese ich z. B. mit Heiterkeit bei Fr. Cosm. Laurent!: „os, nuUI corruptioni obnoxmm, po»t mortem rerondituiii, instar semhiis hominem, in e.dremi judicii die, pm- durturum" fOnomatologia anthropotom. liomae, IS.'il, pay. 41). Die Talmu- disten nannten diesen unzerbrechlichen, unverbrennbaren, und überhaupt un- zerstörbaren Knochen: Ossiculum. Lus s. Luz (R. Nathan, Lex. Talmud. Verb. Lus). Rabbi Uschaia, anno 210 nach Christus, war der Erfinder dieser Fabel, welche auch die Anatomen des Mittelalters insofern beschäftigte, als sie dieses Knüchekhen mit Baal Aruch nicht an der grossen Zelie, sondern an der Wirbelsäule aufsuchten (Luz est os in fine ocfodedm vertebrarum), §. 155. Allgemeine Bemerkungen ftber den Fuss. 439 aber natürlich nicht fanden, und in dieser Verlegenheit zuletzt das Steissbein dafür hielten. Man liest noch hie und da vom Judenknöchlein. Eine Stelle des alten Testamentes (Psalm 34, Vers 21), welche lautet : „custodit Dominus ossa justorum, ununi ex Ulis non confringetur", hat ohne Zweifel den hebräischen und christlichen Auslegern der Schrift Veranlassung gegeben, nach diesem nicht existirenden Knochen zu fahnden. §. 155. Allgemeine Bemerkungen über den Tuss. Der Bau der unteren Extremität richtet sicli nach demselben Typus, wie jener der oberen, deren Abtheilnng-en sie mit wenig Verschiedenlieiten wiederholt. Das Gesetz der strahligen Bildung, mit Zunahme der Axenknochen von eins bis fünf, drückt sich in beiden aus. Das Hüftbein entspricht der Schulter, und man braucht ein Schulterblatt nur so aufzustellen, dass seine Gelenkfläche nach unten sieht, um die Aehnlichkeit desselben mit dem Darmbeine evident zu machen. Dass das Sitzbein dem Rabenschnabelfortsatz des Schulterblattes, und das Schambein dem Schlüsselbeine ent- spricht, lässt sich an jugendlichen Hüftbeinen, deren drei Bestand- theile noch nicht durch Synostose vereinigt sind, leicht absehen. Um den Bewegungen der oberen Extremität den möglichst grössten Spielraum zu geben, musste das Schulterblatt, welches so vielen Muskeln des Armes zum Ursprünge dient, selbst ein verschiebbarer Knochen sein. Das Hüftbein dagegen, durch welches der Stamm auf dem Oberschenkelknochen ruht, musste mit der Wirbelsäule in festerem Zusammenhange stehen, wie er denn durch die Symphysis sacro-iliaca gegeben ist. Das Schenkelbein wiederholt durch seinen Kopf und Hals, durch seine beiden Trochanteren am oberen Ende und seine rollen- artig vereinigten Condyli am unteren, den Kopf, den Hals, die Tuber- cula und die Trochlea des Oberarmbeins. Der Unterschenkel besteht, wie der Vorderarm, aus zwei Röhrenknochen, von denen jedoch nur das Schienbein mit dem Oberschenkel articulirt. Das Wadenbein, welches nicht bis zum Oberschenkel reicht und somit auch keinen Theil der Körperlast trägt, ist nur der Lage nach, und durch den Malleolus externus, welcher dem Processus styloideus des Radius entspricht, dem Radius vergleichbar. Genauer genommen, vereinigt das Schienbein die Eigenschaften der Ulna und des Radius, und zwar lässt sich seine obere Hälfte mit der Ulna, seine untere mit dem Radius vergleichen. Man setze die obere Hälfte einer Ulna mit der unteren Hälfte eines Radius zusammen, und man wird einen Knochen erhalten, welcher dem Schienbein viel ähnlicher ist, als eine ganze Ulna. Denkt man sich noch die Kniescheibe mit ihrer Spitze an die Tibia angewachsen, so springt die Aehnlichkeit noch mehr in die Augen. Die Knie- 440 S. 155. Allgomoinp HiMni'iliunfjo» nbor (li>ii Fuss. scIhmIx' t";iss<' icli ;ils das solltststäiulii;- ^owordcnc ( Uckramni des Unterschenkels auf. Beide entwickeln sieh aus besonderen Ossi- ficationspunkten und dienen den Streckmuskeln zur Insertion. Der C)ssilicationsj)unkt des Olekranon verschmilzt bald mit dem Körper der l^lna. Es Avurdcn jedocli von mir \\ni\ de la Clieual Fälle beschrieben, "\vo das Olekranon einen Substantiven, nicht mit d«>r Ulna verschmolzenen Knochen darstellte, Avas bei mehreren (hittun^en der Fledermäuse als Norm erscheint. Das Schienbein führt allein die Winkel- und Drehbeweg'ung-en ans, in welche am Vorderarm sich Ulna und liadius theilen. Das Kniegelenk entspricht also formell und functionell dem Ellbogengelenk. Dem Kniegelenk im gebogenen Zustande Avohnt aber eine Bedeutung inne, welche dem gebogenen Ellljogengelenk abgeht. Denn Avir drücken durch Beugung i\(^s Knies, nicht des Ellbogens, Achtung und Ehrfurcht aus, und der Bittende iimfasst die Kniee dessen, von dem er eine Gnade erfleht. „Per tua genua te ohsecro", heisst es bei Plautus, und Plinius sagt: „homhüs geiiibus qvaedam religio inest". Die Menschen knieen vor dem höchsten Gott und den allerhöchsten Monarchen. Die sklavische Demuth des Orien- talen kriecht selbst auf allen Vieren. Der Fuss besteht, wenn man mit Albin das Erbseubein nicht zum Oarpus zählt, der Zalil nach aus eben so viel Knochen, wie die Hand. Jedoch untersclundet sich die Zusammensetzung der Fuss- Avurzel durchaus von jener der Handwurzel. Das Sprungbein ist durch seine Einleukung am Unterschenkel nicht den drei ersten Handwnrzelknochen analog-, sondern entspricht, wie früher gezeigt Avurde (Note zu §. 153), nur dem Oa hoiatum des Carpus. Die Fuss- Avurzel stellt zugleich den grössten Abschnitt des Fnsses dar, Avährend die HandAvurzel der kleinste Bestaudtheil der Hand ist. Theilt man sich die Länge des Fnsses in zAvei gleiche Theile, so besteht der hintere nur ans der FnssAvurzel, der vordere aus Mittelfuss und Zehen, Avährend bei der Hand die obere Hälfte von HandAvnrzel und Mittelhand, die untere aber nur von den Fingern gebildet Avird. Die Hand liegt in einer Flucht mit der I^ängenaxe des Vorderarms. — der Fuss bildet mit dem Unterschenkel einen rechten AVinkel. P\"ir ein Piedestal des menschlichen Leibes Avaren Festigkeit und Grösse unerlässliche Bedingungen. Diesen beiden Bedingungen entspricht der Fuss 1. durch die Länge und Breite des Tarsus und Metatarsns, und 2. durch seine Bogenkrümmung-, Avelche durch die Stärke der Plattfnssbänder, auch bei der grössten Belastung des Körpers, aufrecht erhalten Avird. Die Zehen kommen, ihrer Kürze und SchAA'äche Avegen, beim Stehen nicht sehr in Betracht, da die Endpunkte des festen Fussbogens im Fersenhöcker und in den §. 155. Allgemeine Bemerkungen über den Fuss. 441 Köpfclien der Metatarsusknoclien liegen. In der geringen Festigkeit der Zehen, und in ihrer Zusammensetzung aus kurzen, dünnen Säulenstücken liegt auch, der Grrund, dass wir uns nicht auf ihre Spitzen erheben können. Wenn wir glauben, auf den Zehenspitzen zu gehen, so gehen wir eigentlich nur auf den Köpfen der Metatarsus- knoclien, vorzüglich jener der grossen und der nächsten Zehe, und dieses Grelien würde ein sehr unsicheres, und yielmehr nur ein Trippeln sein, wenn die durch ihre Muskeln gebeugten, und nur mit ihren Spitzen den Boden berührenden Zehen in diesem Falle nicht als eine Art elastischer Schwungfedern wirkten, durch welche die Schwankungen des Körpers corrigirt werden und die Sicherheit des Trittes vermehrt wird. Ein Mensch, Avelcher die Zehen verloren hat, kann mit gestreckten Füssen nur wie auf kurzen Stelzen gehen. Uebrigens sind die Zehen viel unwichtiger für den Fuss, als die Finger für die Hand. Ein Fuss, welcher durch Grangrän oder Ver- wundung alle Zehen verlor, hat nur seinen unwesentlichsten Bestand- theil verloren, während der Verlust aller Finger, oder jener des Daumens allein, die Hand ihrer nothwendigsten Grebrauchsmittel beraubt. Es lässt sich deshalb rügen, dass die deutschen Anatomen des 17. Jahrhunderts die Zehen „Fussfinger" nannten. Sie hätten ebensosrut die Finder Handzehen nennen können. Die Zehen der Füsse kommen im Theuerdank als Zinken vor. Auch eine be- sonders grosse Nase hiess im Altdeutschen ein Zinken. Ein Hauptunterscheidungsmerkmal des Fusses von der Hand liegt in dem Unvermögen, die grosse Zehe wie einen Daumen den übrigen Zehen entgegenzustellen, um zu fassen oder zu halten. Wenn behauptet wurde, dass bei Ziegeideckern, guten Kletterern, und bei den Hottentotten die grosse Zehe opponirbar sei (Bory de St. Vincent), so muss dieses so lange für eine blosse Meinung eines Nichtanatomen gehalten werden, bis es durch anatomische Untersuchungen gerechtfertigt sein wird. Es ist uns nicht bekannt, wie es die Wilden Neuhollands zu Wege bringen, ihre langen Speere im hohen Grrase mit den Füssen nachzuschleppen, wenn sie einen Ueberfall auf Europäer beabsichtigen, und dieselben durch schein- bares Unbewehrtsein täuschen wollen. Hätte die grosse Zehe die angeborene, aber durch Vernachlässigung verlernte, oder nicht zur Entwicklung gekommene Oppositionsfähigkeit, so würde sich diese gewiss bei jenen Individuen in ihrer ganzen Grösse zeigen, welche mit Mangel der Hände geboren wurden und welche die Noth lehrte, sich ihrer Füsse statt der Hände zu den gewöhnlichen Verrichtungen des täglichen Lebens (Schreiben, Spinnen, etc.) zu bedienen. Ich habe an einem Mädchen mit angeborenem Mangel der oberen Extremitäten, welches es so weit brachte, mit den Füssen eine ^42 *• "'^'- AllgcTOPinp BpTnorVnnpeTi nVier den Fnss. Pi>t<)l(' ZU laden 1111(1 ;il»zii(lriickon, die jurosse Zclic iiiclit (»utgegen- >tellh:ir i;etiin(l('n. Es fehlt ja ül)rigeiis aiicli die Muskulatur liiezu. Schon die plumpe (lestalt der grossen Zehe, welche die ül)rii;en Zehen an blasse -weit mehr ühertrifft. als der Daumen die Finger, eignet sie durchaus nicht zu jenem Gehraiiche, -welchen Avir von unserem Daumen machen können. Die Zehen des Fusses können unter Umständen nur s(dir nothdürttiii' zum Ergreifen dienen, Avie die Finger der Hand ohne Mithilfe des Daumens, allein die Sicherheit des Anfassens und Festhalteus ist ihnen versagt. — Durch ihre AdductionsbeAvegung können beide Füsse einen festen Körper umklammern, wie es beim Emporkletteru an einem Baumstamme oder Seile, oder beim festen Schluss des Reiters auf einem sich bäumenden Pferde ge- schieht. Wie unvollkommen und unbehilflich der beste Kletterer unter den ^Menschen ist. zeigt die Behendigkeit und Schnelligkeit der kletternden Thiere. Wenn die Füsse die Aufstellungsbasis des Leibes abgeben, so sind grosse Füsse jedenfalls anatomisch vollkommener als kleine. Der Schönheitskenner denkt anders und schwärmt für einen kleinen Puppenfuss. Alle germanischen und lateinischen Vulksstiliiime haben grössere Füsse als die celtischen. Die kleinsten Füsse der Welt aber haben die Weiber der Eskimos und der Hotten- totten (Blum enb ach). Die Füsse an den wadenlosen Unterschenkeln der Wilden Ncuhollands sind auffällig breit und kurz. Das Stehen mit parallelen Plattfüssen, wobei die Zehenspitzen gerade nach vorn gerichtet sind, ist wegen Grosse der zwischen beiden Füssen liegen- den Basis das sicherste. Je weiter die Fussspitzen sich nach aussen wenden, desto kleiner (schmäler) wird diese Basis, desto schwerer und unsicherer wird somit auch das Stehen. Der Bauer steht fester als der Soldat en parade. Eine massige Entfernung der Füsse von einander ist zu einer festen Positur noth- wendig, darf aber ein gewisses Maximum nicht überschreiten. — Stellt man die beiden Füsso mit vorwärts gerichteten Spitxen so hinter einander, dass die Spitze des hinteren Fusses die Ferse des vorderen berührt, so ist die Unterstützungsbasis des Leibes am kleinsten. Das Gleichgewicht lässt sich bei dieser Stellung nur unter Beihilfe der als Balancirstangen ausgestreckten oberen Extremitäten erhalten. Jede Bewegung, welche der Fuss am Unterschenkel ausführt, kann der Unterschenkel ebenfalls am Fusse machen. Der Untersehenkel beugt sich und streckt sich im Sprunggelenk gegen den Fuss beim Niederkauern und Er- heben, — er dreht sich mittelst des Sprungbeins am Kahn- und Fersenbein, um mit weit ausgespreiteten Extremitäten und ganzer Sohlcnfläche zu stehen, — und der innere Knöchel dreht sich um die innere Gelenkfläche des Sprung- beins, wenn man, auf Einem Fusse stehend, Drehbewegungen mit dem Stamme macht. Bei sehr starker Aus- und Einwärtsdrehung der Fussspitzen in auf- rechter Stellung dreht sich die ganze untere Extremität im Hüftgelenke, und man fühlt den Trochantcr einen ebenso grossen Bogen beschreiben, wie die Zehen. Sonderbarer Weise behaupten die alten Anatomen (Spigelius), dass starke Knöchel bei neidischen, kleine bei trägen Individuen vorkommen, sowie noch in neuerer Zeit Dupuytren und Malgaigne angeborene Breite des §. 156. Literatur der Knoclien- und Bänderlelire. 443 Vorderarms in der Xähe der Handwurzel für ein organisches Zeichen geistiger Schwäche erklärten. Ueber die Analogien der oberen und unteren Extremitäten schrieben: Bergmann, Zur Vergleichung des Unterschenkels mit dem Vorderarme. in Müller s Archiv, 1841. — R. Owen, On Nature of Limbs. London, 1849. — Cruveilhier, Traite d'anatomie descriptive. 4. edit., t. I. — Girant Teulon, in der Gaz. med., 1854, Nr. 5, 6. — L. Fick, Hand und Fuss, in Müllers Archiv, 1857, _ Ch. Martins, Nouvelle comparaison des membres pelviens et thora- ciques. Montpellier, 1857, und desselben Autors: Comparaison des membres pelviens et thoraciques. Paris, 1873. — G. Murray Humphry, On the Limbs of Vertebrate Animals. Cambridge, 1860, und desselben Autors: The Human Foot and the Human Hand. London, 1861. — G. Lucae, Die Hand und der Fuss. Frankfurt, 1865. §. 156. Literatur der Knocheii- und Bänderlelire. A) Knoclienlehre. a) Gesammte Osteologie. Unter allen organisclien Systemen wnrden die Knochen am frühesten genan bekannt. Schon die älteste osteologische Literatur enthält treffliche Beschreibungen einzelner Knochen, und das Gra- len\sche Werk: De usu partium wird, selbst in unseren Tagen, noch immer als Muster classischen Styls und geistreicher Behandlung dieses Gregenstandes gelesen, obwohl es, wie Yesal bewies, sich meist auf Affenknochen bezieht. Nichtsdestoweniger hat selbst die neueste Zeit noch Vieles in der Osteologie entdeckt, die Formtheile der Knochen durch Benützung der Entwicklungsgeschichte in einem neuen Lichte erscheinen lassen, und insbesondere durch genauere Würdiffuns: der Grelenkflächen der Knochen, die Mechanik der Gelenke zum Gegenstande streng wissenschaftlicher Untersuchungen gemacht. Wenden wir unsere Aufmerksamkeit der neueren Zeit zu, so bewundern wir als unerreicht: B. S. Albini, Tabulae sceleti et mus- culorum corp. hum. Lugd. Bat., 1747, fol. max., und dessen Tabulae ossium. Leidae, 1753, fol. max. Die Genauigkeit der Beschreibungen und die künstlerische Yollendung der Zeichnungen (von Wande- laer's Meisterhand) machen diese beiden Werke zum Hauptschatz der osteologischen Literatur. Hieran schliessen sich: S. TL Sömmering, Tabulae sceleti feminini. Traj. ad Moen., 1797, fol., ferner die osteologischen Tafeln in den Atlassen von Jul. Gloquet und M. J. Weher (Skeletabbil düngen in natürlicher Grösse, mit dem Schatten der Umrisse der Weichtheile). Die Leichtigkeit, womit man sich bei jeder anatomischen An- stalt Knochen verschafft, macht heutzutage das Studium der Knochen ij.44 §• !''•''• Literatur der Knoclien- uiiil Bandorlelire. nach ()rii;in;ileu viel oinpfelilciisAvortlior, als die BeiuUziuig- osteo- l(ii;is('li('r Ahl)il(liingen. iJit'.sc diciuni siclior molir zum Sclimiick dtM- Dihlidtliekt'ii, als ziiin Erlonicii der Ostooloi;!«'. Die l)est(Mi s})eeiell('n ()s(('()';ra|»lii(Mi sind: ./. Pii(iii\ Do liimi. coi-j). (»ssil)us. Liigd. Bat., 1(315, -1. Icli \vürde tliesos Biu-li nicht anlüliren, Avcnii ich es niclit sehr nnter- lialteud g-etiHKh'n liätte, Avas man von anatoiniselien AVerkeii nur selten sagen kann, deren ausschliessliches Yorreclit: langweilig- v.w sein, starr und steif aus jeder Zeile spricht. — .7. F. Blinncnhurh, (liesellichte und Beschreibung der Knochen. Göttingen, 1807. Durch die vielen eingeschalteten, comparativ-anatomischen Bemerkungen selir interessant. — S. Th. Sömincj-hu/, Lehre von den Knochen und Bändern, mit Ergänzungen und Zusätzen herausgegehen von R. Wagiier. Leipzig, 1839. Wird durch IIe)äe\s Knochenlehre weit- aus ühertrofFen. — L. Holden, Human Osteology, Avith Plates, 2. edit. Lond. Die Tafeln sind Originalien, der Text enthält jedoch nichts Neues. — G. Jlurraif IIurnplir}i, A Treatise on tlie Human Skeletim, inchiding the joints. London, 1881. Sehr ausführlich, mit prak- tischen Anwendungen, und Berücksichtigung der Entwicklungs- geschichte und der Bewegungsgesetze. Zahlreiche Originaltafeln, besonders von Durchschnitten, sehr correet. — R. Owen, On the Archetype and Homologies of the Yertebrate Skeleton. Lond., 1848, untl dessen: On the Nature of Limbs. Lond., 1849. Ebenso geist- reiche als fassliche, für die Deutung der Knochen und die Zurück- führung ihrer Formen auf eine Grundidee, höchst Averthvolle, ver- gleichend anatomisch durchgeführte Reflexionen. — Vür Lehrer und Schüler der Anatomie empfiehlt sich C. Locliow, Das Skelet des Menschen, auf 14 lith. Tafeln dargestellt, als Grundlage zum Nacii- zeichnen. Würzburg, 1865. h) Schädelknochen. C. G. Jung, Animadversiones de ossibus generatim, et in speeie de ossibus rapho - geminantibus (Nahtknochen). Basil., 1827. — J^. Halliaana, Die vergl. Osteologie des Schläfebeins. Hannover, 1837. — F. S. Tjcuchart, Untersuchungen über das Zwischenkieferbein des ^Menschen. Stuttgart, 1840. — P. Lammers, Ueber das Zwischen- kieferbein und sein Verhältniss zur Hasenscharte und zum Wolfs- rachen. Erlangen, 1853. — Engel, Ueber den Einfluss der Zahn- bildung auf das Kiefergerüst, in der Zeitschrift der Wiener Aerzte, 5. Jahrgang. — Dieterich, Beschreibung einiger Abnormitäten des Menschenschädels. Basel, 1842. — G. J. Schultz, Bemerkungen über den Bau der normalen Menschensehädel. Petersburg, 1852. Hält eiue. oft in Kleinigkeiten absehweifende Nachlese über bisher unbe- §. 156. Literatur der Knoclien- und Bänderlelire. 44:5 achtete osteologisclie Yorkommnisse. — L. Fick, Ueber die Archi- tektur des Schädels, in Müllers Archiv, 1853. — Ch. G. Lucae, Zur Architektur des Menschenschädels, mit 32 Tafeln. Frankfurt a. M., 1857. — H. Welcker, Ueber Wachsthum und Bau des mensch- lichen Schädels. Leipzig, 1862. — W. Gruber, Beiträge zur Ana- tomie des Keilbeins und Schläfebeins. Petersburg, 1859, und dessen Beiträge zur Anatomie des Schädelgrundes. Petersburg, 1869. — L. Barhoiv, Erläuterungen zur Skelet- und Grehirnlehre. Breslau, 1865, fol. — Landzert, Beiträge zur Craniologie. Frankfurt, 1867. — Gräber, Ueber den Stirnfontanellknochen, in den Mem. de l'Acad. de St. Petersbourg, XIX. — Sehr lehrreich in gerichtsärztlicher Beziehung ist die Abhandlung Hoffmanns über Spaltbildungen und Ossificationsdefecte an den Schädeln Neugeborener (Prager Yiertel- jahresschrift, Bd. 123). — Hensel, Ueber die Ossa interparietalia, im Archiv für Anat., 1874. — E. Zuckerkandl, Zur Morphologie des Gesichtsschädels. Stuttgart, 1875. c) Deutung und Zurückführung der Schädelknochen auf die allgemeinen Normen der Wirbelbildung. Nebst R. Owens oben citirten Werken: C. B. Reichert, Ueber die Visceralbogen der Wirbelthiere, in Müller s Archiv, 1837, und dessen vergleichende Entwicklungsgeschichte des Kopfes, Königs- berg, 1838. — Spöndli, Ueber die Primordialschädel der Säugethiere und des Menschen. Zürich, 1846. — Bidder, De cranii conformatione. Dorpati, 1847. — ■ Kölliker, Mittheilungen der Zürcher naturforschen- den Gesellschaft, 1847, und dessen Bericht über die zootomische Anstalt in Würzburg. Leipzig, 1849. — H. Müller, Ueber das Vor- kommen von Resten der Chorda dorsalis nach der Geburt. Zeitschr. für rat. Med., n. F., II. Bd. — R. Virchoiv, Ueber die Entwicklung des Schädelgrundes, etc., mit sechs Tafeln. Berlin, 1857. — Die Ent- wicklungsschriften von Baer, Rathke, Bischoff, u. A. — • G. Joseph, Morphol. Studien am Kopfskelet, Breslau, 1873. d) Schädelformen und Altersverschiedenheiten des Kopfes. J. F. Blumenbach, Collectio crauiorum diversarum gentium. Gottingae, 1790 — 1828. — S. Th. Sömmering, Ueber die körperliche Verschiedenheit des Negers vom Europäer. Frankfurt a. M., 1758. — ■ S. G. Morton, Crania americana, etc. Philadelphia, 1839 — 1842. — R. Froriep, Die Charakteristik des Kopfes nach dem Entwicklungs- gesetz desselben. Berlin, 1845. — Sehr wichtige Beiträge zur Kenntniss der Alters-, Geschlechts- und Racenunterschiede des Schädels enthält Huschkes ausgezeichnetes Werk: Schädel, Hirn und Seele des Menschen. Jena, 1854. — L. Fick, Ueber die Ursachen 446 §■ If'''- I'itt'''''>''ir ilcr Knochen- und liilndpilelire. der KiioclHMifonnon. (lüttiiigon, 1857, und dessen Neu«^ Unter- sucliung-en, etc. Marburg-, 1850. — O. Lucae, Zur M()rpliulotbeins und von der angrenzenden Pars mastoidea, des Schläfebeins entstellt, und mit dem der anderen Seite etwas con- vergirend, an die Galea tritt, (liegen die Schläfe herab verliert die Galea ihren aponeurotischen Charakter und nimmt das Ansehen einer BindegeiA'^bsmembran an. — Es lassen sich auch die Stirn- muskeln als der vordere, die Hinterhauptmuskeln als der hintere Bauch und die (üalea als die Sehne eines einzigen Muskels be- trachten, welcher dann Musculus epicranlus oder occipito-frontalis zu nennen wäre. • — Die beiden Stirnmuskeln werden die Galea nach vorn, die beiden Hinterliauptmuskeln nach hinten ziehen, und da die Galea sehr innig mit- der behaarten Haut des Schädels zusammen- hängt, wird letztere den Bewegungen der Galea folgen. Wirken die Stirn- und Hinterhauptmuskeln gleichzeitig, so wird die Galea an den Schädel stärker angepresst. Wirkt der Muscultis frontalis allein, so wird er, zugleich mit der Bewegung der Galea nach vorn die Stirnhaut in quere Falten legen, welche, wenn sie zu bleibenden Runzeln werden, die gefurchte Stirne der Greise bilden. Cruveilhier dagegen stellt, gestützt auf Reizungsversuche des Muskels, die Behauptung auf, dass der Musculus frontalis immer seinen fixen Punkt an der Galea nehme, die Stirnhaut und die Augenbrauen nach aufwärts bewege, und dem Gesichte jenen Aus- druck verleihe, welchen es bei heiteren AfFecten und freudiger Ueberraschung annimmt. Ueber einen der beiden Stirnmuskeln, und zwar häufiger über den rechten als über den linken, verläuft die bei körperlichen Anstrengungen und Geinüths- bcwegungen schwellende Stirnvene (Vena pracparataj, „die Ader des Zornes", aus welcher man vor Zeiten Blut zu lassen pflegte. Fast regelmässig findet sich abwärts vom Musculus occipltalis noch ein dünner Muskclstrcil'cn, welcher in der Gegend der Protuheranüa occipilalis externa vun der Nackcnfascie entspringt, den Kopfurspruiig des CucuUaris in querer Richtung überlagert, und sich in der Gegend der Kopfinscrtion des Kopfnickers entweder in der Nackcnfascie oder in der Fascia parotldea verliert (Affcnälnilich- keit). Santorini erwähnt ihn zuerst als Occipltalis »imor oder Corrwjator posticus. Jetzt heisst er Transversus nuchae (Schulze). 6. ^tlß. Kopfmuskeln, welche sicli an Weichtheilen inseviren. 455 Der durch sehr kurzes und straffes Bindegewebe vermittelte innige Zusammenhang der Galea mit der behaarten Kopfhaut ist der Grund, warum von den Anfängern öfters, bei der Ablösung der Kopfhaut, die Galea mitge- nommen wird, welche denn auch bei gerissenen Lappenwunden der Kopfhaut immer im Lappen enthalten ist. Die alten Aerzte hielten die behaarte Kopf- haut, welche besonders in der Hinterhauptgegend sich durch ihre Dicke aus- zeichnet, und deshalb von ihnen Kopfschwarte genannt wurde, für porös. Die vermeintlichen Fori sollten dazu dienen, die Dämpfe des Gehirns fSuper- fiuitates fumosae cerebri), welche durch die Nähte nach aussen dringen, ver- dampfen zu lassen. Ist die Kopfschwarte ungewöhnlich dick, so lässt sie dieses Verdampfen nicht zu, wodurch sich die Hirndämpfe verdichten und unter der- Haut zu den Gelenken wandern, um dort die Gicht zu erzeugen. Die Medicin hat durch lange Zeit den Unsinn in allen Formen für Wissenschaft genommen. B. Muskeln um die Oeffnungen des Gresichts. Sie bilden so viele Grrnppen, als Oeffnnngen im Gesichte vor- kommen. 1. Muskeln der Ang-enlidspalte. Vom inneren Winkel der Augenlidspalte gekt ein kurzes, aber breites Bändchen (Licfamenhon palpebrarum internum) zum Stirnfortsatz des Oberkiefers, welches man am eigenen Kopfe sehen kann, wenn man vor dem Spiegel die Augenlidspalte, durch Zug an ihrem äusseren Winkel, gegen die Schläfe hindrängt. Yon diesem Bändchen und vom Stirnfortsatz des Oberkiefers selbst, entspringt der Schliessmuskel der Augenlider, Musculus orhicularis s. SpJiincter palpebrarum, welcher im Kreise um den Umfang der Orbita herumgeht, und theils an demselben Bändchen, theils am inneren Drittel des Margo infraorbitalis endigt, woselbst Faser- bündel des Muskels auch zur Wangenhaut herabsteigen (Merckel). Man braucht den Muskel nur einmal zu sehen, um überzeugt zu sein, dass er seinen Namen mit Unrecht trägt, indem er nur die Haut um die Orbita herum zusammenschieben und in strahlenförmige Falten legen kann, mit den Augenlidern aber nichts zu schaffen hat. Es wäre deshalb richtiger, ihn Orhi- cularis orbitae statt Orhicularis palpehrarmn zu nennen. Die Schliessung der Augenlider wird vielmehr durch ein besonderes, dünnes, unter der Haut der Augenlider liegendes, gelblich-röthliches Muskelstratum bewirkt, welches, im Gegensatz zum Orhicularis orbitae, ^Is Orhicularis palpehrarum zu bezeichnen wäre, oder nach seinem Entdecker als Musculus ciliaris Riolani. Jene Bündel dieses Muskelstratums, welche zunächst am freien Lidrande lagern, sind etwas dicker und dichter zusammengedrängt, als die übrigen. Sie werden die freien Lidränder bis zur Berührung einander nähern. Eine Partie von Pasern des Orhicularis entspringt von der äusseren Wand des Thränensacks, und von der Crista des Thränenbeins als ein schmales, viereckiges Pleischbündel. Dieses ist der schon von Duvernoy gekannte, von Rosenmüller abgebildete Musculus Horneri (Philadelphia Journal, 1824, Nov.). Homer betrachtete ihn aber nicht als Theil des Orhicularis, sondern liess ihn, in zwei Schenkel gespalten, an den inneren Endpunkten der beiden Augenlidknorpel endigen, welche er nach innen spannen soll, weshalb er denn auch sofort als Tensor tarsi benannt wurde. 4,")4 S 'f'8- Koiifmusliplii. «-flrlif fivh an Wi'irliflii-ilpii insorir4>n. Her seliuiale Aui;(' ii 1) r;i ii oii r ii n zier. 3fi<.-icitli(ü cornifidtor .^hjuw i'iHi, ziclit die ohore Augenln'aiie gegen die Nasenwurzel und zugleich etwas luTah. Vom Stirnmuskel und Orhicuhiriti }>a1pehrerci/l(irls nach aussen und verweht sich, heiläufig in der Mitte des 3I<(ror cralaiiiiT Weise ITmbiliciis Veneris genannt wnrdf. l>ino)ieiirot(ca crnnü, und tritt, im Abwärtssteigen sich zuspitzend, an die hervorragendste Stelle der dem Schädel zugekehrten Fläche des Ohrknorpels. 2. Der Anfzieher des Olires, Musculus nttvahens anriculae, liegt über dem Jochbog^en, entspringt von der Fascia temporalis und geht horizontal zum vorderen Rande der Ohrkrempe. 3. Die Rückwärtszieh er des Ohres, Musculi retrtihentes auriculae, zwei oder drei kleine Muskeln, entspringen vom Processus mastoideus über der Anheftungsstelle des Kopfnickers, und inseriren sich an der convexeu Fläche der Ohrmuschel. Eine Gruppe kleiner Muskeln, welche die Gestalt des Ohrknorpels zu ändern vermögen, da sie an ihm entspringen und an ihm auch endigen, wird erst bei der Beschreibung des Gehörorgans vorgenommen. §. 15i3. Muskeln des Unterkiefers. Die Einrichtung des Kiefergelenks zielt auf eine dreifache Be- wegung des Unterkiefers ab, welcher gehoben und gesenkt, vor- und rückwärts, soAvie nach rechts und links bewegt werden kann. Als Motoren dieser Bewegungen Avirken folgende Muskeln: a) Der Schläfemuskel, Musculus tetnjjoralis, führt seinen grie- chischen Namen: crotaphites, von xqotbo), pulsare, weil man auf ihm die Schläfenarterie pulsiren fühlt, und bei alten Leuten auch häufig pulsiren sieht. Er ist der grösste, aber nicht der §. 159. Muskeln des Unterkiefers. 459 stärkste Kaumuskel. Man weist ihm die Linea semicircularis temportnn und die ganze Ausdehnung' des von dieser Linie um- grenzten Planum temporale zum Ursprung an. Ein Theil seiner Fasern entspringt auch von der inneren Oberfläche einer ihn überziehenden, sehr starken, fibrösen Scheide, Fascia temporalis, welche von der Linea semicircularis temporum zum oberen Rande des Jochbogens zieht. Die strahlig zusammenlaufenden Fleisch- bündel des Schläfemuskels werden auf halben Weg tendinös, und vereinigen sich zu einer breiten, metallisch schimmernden Sehne, welche unter den Joehbogen tritt und sich am Kronen- fortsatze des Unterkiefers festsetzt. Der Schläfemuskel hebt den gesenkten Kiefei'. War der Kiefer vorgestreckt, so wird er durch ihn wieder zurückgezogen. Zwischen der Fascia temporalis und der breiten Sehne des Schläfe- muskels findet sich immer Fett, dessen Schwinden hei auszehrenden Krank- heiten oder im decrepiden Alter, die Schläfegegend zu einer Grübe einsinken macht. — Sind zwei Lineae semicirculares an der Schläfe vorhanden (§. 101), so bildet die untere derselben den Begrenzungsrand des Schläfemuskels. b) Der Kaumuskel, Musculus 7nasseter, von fiaoGaofiai, kauen, ist ein kurzer, dicker, länglich viereckiger, mit fibrösen Streifen durchzogener Muskel. Er entsteht vom Jochbogeü, mit zwei Portionen, einer starken vorderen, oberflächlichen, und einer schwachen hinteren, tiefer gelegenen, deren Richtungen con- vergiren, indem die vordere schief nach unten nnd hinten, die hintere schief nach unten und vorn geht. Die vordere, ungleich kräftigere, nnd mit einer starken Ursprungssehne versehene Portion deckt die hintere, viel schwächere, zum grössten Theile zu, und beide zusammen befestigen sich an der äusseren Fläche des Unterkieferastes bis zum Kieferwinkel herab. — Der Kau- muskel hebt den Kiefer und schiebt ihn durch seine vordere Portion auch nach vorn. Ich finde keinen Schleimbeutel zwischen beiden Portionen, wie ihn Theile erwähnt. c) Der innere Flügelmuskel, Musculus pterygoideus internus, wird darum so genannt, weil er aus der Fossa pterygoidea kommt. Er befestigt sich an der unteren Hälfte der inneren Fläche des Unterkieferastes, bis zum Angulus maocillae herab, Richtung und Form des Muskels stimmt mit jener der vorderen Masseterportion genau überein. Er wird deshalb den Kiefer nicht blos heben, sondern ihn zugleich vorschieben, wohl auch, wenn er nur auf einer Seite wirkt, nach der entgegengesetzten Seite bewegen. Für die beiden letztgenannten Actionen hat er einen gewaltigen Helfershelfer im d) äusseren Flügel muskel, Musculus pterygoideus extemus. Dieser nimmt den tiefstgelegenen Raum der Schläfegrube ein, 460 S "^^ MnsVeln den Untprkleferq. imd entspringt, seinem Namen znf«»lg'e, vorzugsweise v(»n der äusseren f^läche der äusseren Platte d(>s Prores.'^iis ph'vi/aoitlexs. Seine »»leersten Bündel vindiciren sich jedooli aucli die Wurzel des grossen Keilbeinflügels. Das am Keilbeinflügel entspringende Fleiseli wird von dem übrigen durcli eine Spalte getrennt, welche der Ä'en'us hiircindtorlus passirt. Insofern mag man von zwei Portionen (K(ipten) des Muskels reden. Seine kurze, aber starke Sehne inserirt sich an der vorderen und inneren Seite des Halses des Unterkiefers und am Innenrande des Zwischen- knorpels des Kiefergelenks. — Würdigt man seine in einer horizontalen Ebene nach rück- und auswärts zum Unterkiefer- halse gehende Kichtung, so ist es klar, dass er, wenn er auf beiden Seiten wirkt, die Vorwärtsbewegung des Kiefers aus- führt, wenn al)er nui- auf E!iner Seite thätig, die Seitwärts- bewegung des Kiefers, und somit die durch die breiten Kronen der Mahlzähne zu leistenden Reibbewegungen vorzugsAveise vermitteln wird. Thiei-e, Avelche der Vor- und Rückwärts- bewegung des Kiefers ermangeln, wie die Fleischfresser, werden deshalb des Pterygoideus externus verlustig. > Bemerkung über die Bewegtimi des Kiefers. Von den Bewegnngpn des Unterkiefers muss das Heben mit grosser Kraft ausgeführt werden, um die Zillme der Kiefer auf die Nahrnngsnüttel, deren Zusammenhang durch das Kauen aufgehoben werden soll, mit hinläng- lichor Stärke einwirken zu lassen. r>ic Ilebemuskeln oder eigentlichen Beiss- muskeln werden somit die kraftvollsten Bewegungsorgane des Unterkiefers sein. Hieher gehört der Mu.oculus temporalis, masseter und 'pterygoideus internus. — Die Senkung des Kiefers, welche schon durch die Schwere des Kiefers allein erfolgt, kann durch den Musculus hiventer beschleunigt werden. — Die Yor- und Uückwärtsbcwegung wird nur als Nebenwirkung von den Hebemuskeln geleistet, weil die Ilichtung dieser Muskeln zum Unterkiefer keine senkrechte, sondern eine schiefe ist, welche in eine verticale und horizontale Componente zerlegt werden kann. Der vertical wirkende Theil der Kraft hebt den Kiefer, der horizontale verschiebt ihn nach vorn oder hinten. — Die Vorwärtsbewegung, und wohl auch die Seitwärtsbewegung des Unterkiefers hängt vorzugsweise vom Musculus pterygoideus externus ab. — Da beim Kauen alle drei Bewe- gungen des Kiefers wechselnd auftreten, so bezeichnet man die Muskeln des Unterkiefers zusammen als Kaumuskeln. — Da jede Hälfte des Unterkiefers einen einarmigen Winkolhebel vorstellt, und die Hebemuskeln sich nahe am Stützpunkte dieses Hebels inseriren, so werden diese Muskeln nur mit grossem Kraftaufwande wirken können, und die vom Angriffspunkte der bewegenden Kraft weit entfernten Schneidezähne nur geringerer Kraftäuss'erungen fähig sein, als die Mahlzähne. Man beisst eine Birne mit den Schneidezähnen an, und knackt eine Nuss mit den Mahlzähnen auf. — Um die Insertionsstelle des Schläfemuskels zu sehen, muss die Jochbrücke abgetragen, und sammt dem Masseter herabgeschlagen werden. Der äussere Plügelmuskel wird nur nach Wegnahme des Kronenfortsatzes des Unterkiefers und des daran befestigten §. 160. Fascien des Gesichtes. 461 ScMäfemuskels zugänglich. — Der Mitsculus biventer, als Herabzieher des Kiefers, folgt bei den Halsmuskeln. §. 160. Eascien des G-esiclites. Es sind deren zwei: Fascia temporalis und huccalis. Die Fascia temporalis wurde bereits im nächstyorliergehenden Paragraphe er- wähnt. Es harrt somit nur melir die Fascia huccalis einer prompten Erledigung durch Folgendes. Sie liegt auf dem Masseter und Bucci- nator und lässt zwei Blätter unterscheiden. Das hochliegende Blatt deckt die äussere Fläche des Masseter und die zwischen diesen Muskel und den Warzenfortsatz eingeschobene Ohrspeichel- drüse, Parotis, daher dasselbe auch Fascia parotideo-masseterica ge- nannt wird. Dieses Blatt hängt mit der unter der Haut liegenden Fett- schichte des Gesichtes sehr innig zusammen, setzt sich nach vorn auf die äussere Fläche des Biiccinator fort, und verschmilzt hier mit dem diesen Muskel überziehenden, tiefen Blatte. Nach oben hängt es an dem Jochbogen, nach hinten an dem knorpeligen äusseren Grehörgang an, und steigt über die Insertion des Kopfnickers am Warzenfortsatze nach abwärts zum Halse, um in das hochliegende Blatt der Fascia colli überzugehen. Das tiefliegende Blatt, Fascia hucco-pharyngea, deckt die äussere Fläche des Buccinator, läuft nach rückwärts, um an der inneren Seite des Unterkieferastes den Musculus pterygoideiis internus zu umhüllen, und mit dem Ligamentmn laterale internum des Kiefergelenks zu verschmelzen, überzieht hierauf die seitliche und hintere Wand des Pharynx bis zum Schädelgrunde hinauf, und identificirt sich, dieses letzteren Verhaltens wegen, mit dem tiefliegenden Blatte der Fascia colli (§. 167). — Zwischen beiden Blättern der Fascia huccalis bleibt am vorderen Rande des Masseter ein Baum übrig, welcher durch einen rundlichen Fettknollen aus- gefüllt wird. Diese Fettmasse, von Bichat la hoiile graisseuse de la Jone genannt, dringt zwischen der Aussenfläche des Buccinator und der Innenfläche des Unterkiefers bis in den Grund der Fossa tempo- ralis hinauf. Schwindet sie bei allgemeiner Abmagerung, so fällt die Backenhaut zu einer Grube ein, wodurch die den abgezehrten Ge- sichtern eigenthümliche hohle Wange gegeben wird. §. 161. Einige topographische Beziehungen des Masseter und der Pterygoidei. Der Musculus masseter beansprucht, wegen seiner constanten Beziehungen zu- gewissen Gefässen und Nerven des Gesichts, eine besondere topographische Wichtigkeit. Wir wollen sie nicht un- beachtet lassen. Am vorderen Rande seiner Befestigung am Unter- kiefer steigt die Arteria maxillaris externa vom Halse zum Gesichte 462 ®- 'ß-- F'>''n>- Einthi'ilunff uml ZiisanimeiiS('t/>in(r des Halses. eminT iiiul {)ul.sirt unter dem auf^eleji^ten Finger. An seinem hinteren Rande iiej^t, von den Körnern der Parotis umgeben, die Fortsetzung der Carotis eaterna und der Stamm der hinteren (iesichtsvene; — seine äussere Fläche wird von Iiinten lier durch die Parotis über- deckt, und der Quere nach von dem Ausfülirungsgange dieser Drüse (Ductus Sti'uoiitiiitKö), von der ((uei'eu Gesichtsarterie und den Zweigen des Antlitznerven (Nervus conununicans fuciei) gekreuzt, und am oberen Rayon seiner inneren Fläche tritt der durch die Incisura schtilunaris zwischen Kronen- und Gelenkfortsatz des Unterkiefers zum Vorschein kommende Nervus tnassetericus in ihn ein. So oft der Masseter sich zusammenzieht und dadurch dicker wird, coiuprimirt er die zwischen ilim und der unnachgiebigen Fiiscia pen Gefässe und Nerven des Halses, welche vom tiefen Blatte der Fascia colli eingehüllt werden. Hat man diese Theile entfernt, so präsentirt sich die vordere Fläche der Wirbelsäule mit den auf ihr liegenden tiefen Halsmuskeln. — Das über dem Zungen- beine liegende Revier der vorderen Halsgegend bildet mit dem darunter liegenden, bei gerader Richtung des Kopfes, einen ein- springenden rechten Winkel und entspricht dem Boden der Mund- höhle, weshalb es auch zu den Kopfregionen gezählt werden kann. ^. 163. Specielle Beschreibung der Halsmuskeln, welche den Kopf und den "Unterkiefer bewegen. Der breite Halsmuskel des Halses, Platysma myoides (nXatvOfitt (ivoBidtg, muskelartige Ausbreitung im Galen), heisst auch Subcutaneus colli und Latissimus colli, bei französischen Autoren le peaucicv. Wir erkennen in ihm das letzte UeberbleibseF jenes grossen subcutanen Hautmuskels vieler Tliiere, welcher Panniculus carnosus heisst, und durch dessen Besitz dieselben befähigt sind, jede Partie ihrer Haut in zuckende Bewegung zu versetzen, um, wie man an unseren Hausthieren sehen kann, die lästige Plasre stechender Fliegen abzuwehren. Das Platysma erscheint, wenn es sorgfältig präparirt vorliegt, im Menschen als ein breiter, dünner, blasser, viereckiger und parallel gefaserter Muskel. Er entspringt von der Fascie des §. 163. Specielle BescüreiTjung der Halsmuslceln. 465 grossen Brustmuskels in der Gegend der zweiten Rippe und steigt über das Sclilüsselbein zur seitlichen Halsgegend, und mit dem der anderen Seite convergirend, zum Unterkiefer hinauf. Seine inneren Bündel befestigen sich am unteren Rande des Unterkiefers, Avährend die übrigen über den Unterkiefer hinüber zum Gresicht gelangen, wo sie im Mundwinkel und in der Fascia parotideo - masseterica endigen. Der Conyergenz beider Muskeln wegen kreuzen sieh die inneren Fasern derselben unter dem Kinne. Die mittlere Halsgegend wird von ihnen nicht bedeckt. — Der breite Halsmuskel zieht den Kiefer herab und hebt, wenn dieser fixirt ist, die Haut des Halses von den tiefer liegenden Organen empor, indem der gebogene Muskel, während seiner Coutraction, geradlinig zu werden strebt. Dieses Auf- heben der Haut erleichtert die während des Schlingens stattfindende Hebebewegung der Organe in der mittleren Halsregion. — JR. Froriep, Der Hautmuskel des Halses, im Archiv für Anat. und Pliysiol., 1877. Zuweilen geht ein Theil der hinteren Bündel dieses Muskels nicht zum Gesichte, sondern zum Winkel des Unterkiefers; öfter dagegen begeben sich einige derselben hinter dem Ohre zur Linea semiclrcidaris superior des Hin- terhauptbeins oder zum Warzenfortsatz. — Bei unvollkommener Entwicklung des Muskels fehlt seine untere, nicht seine obere Hälfte. Der Kopfnicker, Muscultis sterno-deido-tnastoideus,^) liegt unter dem Platysma, an der Seite des Halses zwischen Brustbein und Warzenfortsatz. Er entsteht mit zwei, durch eine dreieckige Spalte von einander getrennten Köpfen, von der vorderen Fläche der Handhabe des Sternum, _ und von der Extremitas sternalis des Schlüsselbeins. Beide Köpfe schieben sich während ihres Zuges zum Warzenfortsatze so übereinander, dass die Sternalportion die Schlüsselbeinportion deckt. Der durch ihre Verschmelzung gebildete dicke Muskelkörper setzt sich am Warzenfortsatze und an dem angrenzenden Stücke der Linea semicircidaris snp)erior des Hinter- hauptes an. Wirkt er unilateral, so dreht er den Kopf mit dem Gesicht nach der entgegengesetzten Seite und neigt den Kopf gegen die Schulter seiner Seite. Bei fixirtem Kopfe kann er wohl den Brustkasten heben, und somit auch bei forcirter Inspiration mit- wirken. Dieses beweist seine oft bedeutende Massenzunahme bei chronischen Lungenleiden, besonders Emphysema und Oedema pul- monum. Den Namen Kopfnicker führt er aber mit entschiedenem Unrecht. Seine Insertion am Kopfe liegt ja hinter der queren, durch die Mittelpunkte beider Condyli des Hinterhauptbeins gehenden ^) Er prangt mit einem sehr ungeschickt gewählten Namen. SUrno-chido-masio- ideus heisst Brustbein-, Schlüsselbein-, Brustwarzen-ähnlicher Muskel. Ein höherer Unsinn lässt sich schon nicht mehr denken. Da unser Muskel weder dem Bru.stbein, noch dem Schlüsselbein, noch dem Warzenfortsatz, noch allen Dreien zusammen ähnlich ist, wie der Ausgang in ideus ausdrückt, würde er, wenn man seinen sesquipedalen Namen schon nicht aufgeben will, nur als Sterno-cleido-masticus richtig benannt sein. Hyrtl, Lehrljucli der Anatomie. 20. Aufl. ^^ ^(■((j §. Iß3. Speoinlle Hfsfliioilnin); der Ilslsinusltoln. Drehiinysiixe für die Nickl>ew('<;iinj^. Er wäre, in Anbetracht dieses Aviclitigcn Umstandes, vielmehr ein Strecker des Kopfes. Mir scheint es plansibel, den Kopfnicker als Sustentator capitia, :ils K()i)fli älter .iiifzufassen, da er bei jeder Stellung des Kopfes ilm in (h'rsell)on zu erhalten h;it. Dieses kann man mit eigenen Jländen am Halse greifen, -wenn man (h'n Kopf nach verschiedenen Richtungen aus seiner Gleichgewichtslage bringt. Nur insofern will ich sein Anrecht als Kopfnicker nicht bestreiten, als er, wenn er auf beiden Seiten wirkt, die Halswirbelsäule nach vorn zu beugen im Stande ist, wodurch der Kopf sich gegen die Brust neigt. Bleibt aber die Hiilswirbelsäuie riiliig, Avie beim Nicken, so sind i\vY Rectus capiÜK 'int'icu.^ niKJor und iniuor die wahren Kopfnicker. Siehe i?. 105. — Ein humoristischer Anatom des Mittelalters nannte den Kopf- uicker den .,K;ithsherrnmuskel". Prüf. Vlacovich in Padua hat es zuerst erkannt, dass das Verschmel- zen der beiden Ursprungsküpt'e dieses Muskels nicht huohstählich zu nehmen sei. Er unterschied am Kopfnicker drei Portionen: Sterno-mastoideus, Cleidn- mastoideus und Clddo-oi-cip'ifidis. Diese drei Portionen bleiben bis zu ihrer Kupfinsertion hin durch dünne Bindegewebslagen von einander getrennt CAtti ddV Istituto Veneto, Ser. V, vol. 2, p. 541, seqq.). G. Krause, welchem diese Untersuchungen fremd blieben, vermehrte später (Centralblatt der med. Wissensch., Nr. 25) die Zahl der Portionen auf vier, indem er eine Portio stemo-occipifalis hinzufügte, welclie aber schon in der Portio sterno-mastoidea von Vlacovich enthalten ist. Der Kopfnicker ist zuweilen dreiköpfig. Der überzählige dritte, gewöhn- lich sehr schwache Kopf, liegt entwialer zwi&chen den beiden gewöhnlichen, oder an der äusseren Seite der Clavicularpurtion. — Als Thicrähnlichkeiten sind ferner zwei Abnormitäten interessant. 1. Es löst sich vom vorderen Rande des Muskels ein Bündel ab, um zum Winkel des Unterkiefers zu gehen (beim Pferde setzt sich die ganze Sternalportion am Unterkiefer fest), oder es ver- längert sich 2. ein fleischiges Bündel der Sternalportiun, über den Brustbein- ursprung des Perfnralis major nach abwärts, zur vorderen Fläche des Brust- beins und befestigt sich entweder am fünften, sechsten oder siebenten Eippen- knorpel, oder reicht selbst bis zur Scheide des geraden Bauchmuskels herab. Dieses abnorme Bündel cursirt als 3fusculu.'< sternalis brutorum in den Hand- büchern. Ueber die äussere Fläche des Sterno-deido-mastoideus läuft die Vena jv^ularis externa herab; — dieselbe Fläche wird vom schräg nach vorn auf- steigenden Nervus auricularis magnus, und von den aus dem Plexus cervicalis entspringenden Hautnerven des Halses gekreuzt; — am hinteren Rande seines oberen Drittels zieht der Nervus occtpitalis minor zum Hinterkopf empor. — Die ]\Iitte des vorderen Randes des ^^luskels dient bei der Aufsuchung und Unterbindung der Carotis communis zum Anhaltspunkt. Die Spalte zwischen seiner Sternal- und Clavicularportion entspricht der Vena jugularis interna. Der Nervus accessorius Willisii durchbohrt den hinteren Rand seines oberen Endes. Der zweibäuchige Unterkiefermuskel, Biventer s. diga- stricus maxillae inferioris, entspringt mit seinem hinteren Bauch aus §. 164. Muskeln des Zungenbeins und der Zunge. 467 der Incisura mastoidea. Sein vorderer Baiicli entstellt am unteren Rande des Kinns. Beide Bänclie Averden durcli eine mittlere rund- liche Sehne verbunden, vv^elche durch ein schmales fibröses Blatt an das Zungenbein anhängt. Der Muskel bildet deshalb einen nach unten convexen Bogen, welcher, wenn man an der Leiche das Zungen- bein stark nach abwärts zieht, ein spitziger Winkel Avird. Häufig durchbohrt die Sehne des Biventer den GrrifFel-Zungenbeinmuskel vor seiner Insertion am Zungenbeine, und wird in diesem Falle von einem kleinen Schleimbeutel umhüllt. Die vorderen Bäuche beider Digastrici werden oft durch eine fibröse Querbinde mit ein- ander verbunden, oder tauschen gegenseitig ihre innersten Fleisch- bündel aus. — Der Biventer zieht den Kiefer herab und öfi'net den Mund. Ist der Unterkiefer clurcli seine Hebemuskeln gehoben und fixirt, so ge- winnt auch der vordere Bauch des Biventer einen festen Punkt, und der Muskel wird, wenn er sich zusammenzieht, das Zungenbein heben. Er kann auch bei fixirtem Kiefer seine Thätigkeit umkehren, und den Warzenfortsatz sammt dem Hinterkopf herabziehen, wodurch der Vorderkopf in die Höhe gerichtet und der Mund geöifnet wird. Man überzeugt sich davon, wenn man das Kinn auf die Hand, oder auf den Eand eines Tisches stemmt, und den Mund zu öffnen sucht. Dass die am Hinterhaupte angreifenden Nackenmuskeln hiebei mitwirken, versteht sich von selbst, wenn man die Schwere des Kopfes mit der Schwäche des Biventer zusanuuenhält. Eine sehr interessante und zugleich sehr seltene Anomalie des Biventer besteht darin, dass seine beiden Bäuche nicht durch eine Zwischensehne mit einander verbunden werden, sondern jeder für sich seine Insertion am Zungen- bein nimmt. Dann sind statt des Einen Biventer zwei selbstständige Muskeln vorhanden, welche als Heber des Zungenbeins functioniren. Die Versorgung der beiden Biventerbäuche durch zwei verschiedene Hirnnerven (5. und 7. Paar) prädestinirt wahrscheinlich diese Anomalie. §. 164. Muskeln des Zungenbeins und der Zunge. Die Muskeln des Zungenbeins bilden zwei Grruppen, von welchen die eine über, die andere unter dem Zungenbeine liegt. Die Muskeln der Zunge dagegen liegen blos über dem Zungen- beine und schliessen sich an die obere Grruppe der Zungenbein- muskeln so an, dass ihre Beschreibungen einander folgen können. Alle Zungenbein- und Zungenmuskeln sind paarig. A.. ZTingenbemmuskeln. a) Grruppe der Zungenbeinmuskeln, welche unter dem Zungenbeine liegt. Sie besteht aus folgenden vier Muskeln, welche sämmtlich Herabzieher des Zungenbeins sein müssen. 1. Der Schulterblatt-Zungenbeinmuskel, Musculus omo- hyoideus. Er hat seinen fixen Punkt am oberen Rande der Scapula, 30* 468 ^- 1^*- Muskeln dos Zungenbeins und der Zunge. iialio ;mi AiiNx-lmittc. oder iiiii (i)iiorl>äii(lcli('n de.s Ictztoron, läuft als ein lanu;er nnd dünner ISIuskclstrani;- schräg-, mit l)()i;enlV'>riiii<;er Krüinnuini:', nacli innen nnd oben, ki'eiizt sicli mit dem Kopfnicker, welcher ilm Itedeckt, ist an der Stelle, wo er üher die grossen Ge- fässe des Halses -wengelit, seliniif-. wird dann wieder fleischig, nnd setzt sieh am unteren Rande der Basis des Zungenl)eins fest. Er wird zu den zweibäuchigen Muskeln gezählt. Das Ursprungsfleisch bildet den unteren, das Insertionsfleiseh den oberen Bauch des Muskels. Ausnahmsweise entspringt der Omo-kyoideus nicht am Sdiulterblatt, sundern am Akrumialende der Clavicula, selbst vom Mittelstück, ja sogar vom Sternal- ende dieses Knochens. — Seine mittlere Sehne und sein unterer Bauch hängen mit dem tiefliegenden Blatte der Fascia colli innig zusammen, welches der Omo-hioidett.4. MiHkcln il(':i Zniigenlit'ins und iler Ziinge. dienende Werkzeug, also audi für den Unterkiefer gel)rau(ht. So kam der Kiefer- Zunjfi'nbeinninskel zu seinem, vor /.wrilmndert Jahren von Cowjpfr eilund.ncii Namen : Myl"-hvo!deus. 3. Der Kinu-Znui!,onl)einiiui.skel, Musculus (/enio-hi/oiJeus (j't'vfiov, Kinn), liei;t über dem vorigen, ontsprinot sclini:il von der Sjiina iiioititlis ititenia, und läuft, etwas breiter vverdcMid, zur Basis des Zungenbeins lierab. Er schmiegt sich an densellKni Musktd der anderen Seite so fest an, da.ss er liäufig sich mit ilim zu einem selieinbar unpaaren Muskel vereinigt. Da das Heben und Senken des Zungenbeins eine überein- stimmende Bewegung des mit ilim zusammenhängenden Kehlkopfes bedingt, das Heben und Senken des Kehlkopfes aber mit Reibung- des vorspringenden Poinmn Adomi an der inneren Fläche der Hautdecken des Halses verbunden sein muss, so findet sich auf und über dem Pouiuni ein umfängliche]' Schleimbeutel vor, welcher sich unter den beiden Tluireo-liyoulcl l)is zum oberen liande der hinteren Fläche des Zungenbeinkörpers erstreckt, und deshalb Bursa mucosa suhhyoidt'a genannt wird. Füllung desselben durch copiöses Secret kann, wie mir ein Fall bekannt wurde, für Kropf gehalten werden. Die Namen der hier hesehriohenen Muskeln gelallen den Studirenden ausserordentlich, da sie TTrsiirung und Ende jedes Einzelnen derselben angehen. Aher diese Namen sind dennoch durch und durch verwerflich, Aveil sie, wie der Knochen, an dem die betreffenden Muskeln endigen, auf ideus ausgehen. Diese Endsylben drücken bei einem Knochen seine Aehnlichkcit mit einem be- kannten Dinge aus (tiboq. (Jestalt). Ist der Knochen einem gewissen Dinge ähnlich, so ist es doch gewiss der i\luskel nicht, welcher diesen Knochen be- wegt. Was heisst z. B. Mui^culus omo-hijoidcua? Es heisst: Schulter- Ypsilon- ähnlicher Muskel. Das ist flagranter, für alle in hyoideiis ausgehende Muskeln geltender Unsinn, welchen die Anatomen seit lliolan's Zeiten gedankenlos nachbeten. Kann es ferner etwas Absurderes geben, als einen 31usculus sterno- cleidn-maMoideiis, d. h. einen Brustbein-Schlüsselbein-Warzenähnlichen Muskel, während Sterno-cleido-mai^ticus doch so nahe liegt ? Diese Bemerkungen gelten nicht blos für eine Jlenge von Muskeln, sondern auch für allerlei andere Ge- bilde, welche sich in gleichen Benennungsverlegenheiten befinden. Warum hat man nicht schon lange daran gedacht, sie umzutaufen? Mit den Muskeln des Zungenbeins ginge dieses sehr leicht, man l)rau(lit nur, statt hyoideus, hynlis zu sagen. B. Zuiigeiimuskelii. Die Zunge besitzt zweierlei Muskeln. Die einen entspringen an Knochen und endigen in der Zunge; — die anderen entspringen und endigen in der Zunge selbst. Nur die ersteren werden liier geschildert. 1. Der Kinn-Znn'^L'nmwükel, Jfi(sculus yenio-glossus, ist allen ülirigen Muskeln der Zunge an Stärke überlegen. Er liegt über dem Genio-hfoideus, entspringt mit einer kurzen, jiber starken Sehne Ton der Sjnna mentalis interna, und läuft nach rückwärts gegen die §. 165. Tiefe Halsmuskelii. 471 untere Fläche der Zunge, in welche er hinter dem Zungenbändchen mit strahlig auseinander fahrenden Faserbündeln eindringt. Dicht unter der Schleimhaut der Mundhöhle hinziehend, bildet er vor- zugsAveise den Boden der letzteren. Ein Schleimbeutel zwischen den beiden Genio-glossi, welche mit ihren inneren Kändern dicht anein- ander liegen, wurde Yon mir niemals gesehen. — Der Genio-glossiis zieht die aufgehobene Zunge nieder, und nähert ihren Grrund dem Kinnstachel, wodurch die Spitze desselben aus der Mundhöhle heraus- tritt. Ich nenne ihn deshalb auch Exsertor oder Protriisor Imguae. 2. Zungenbein-Zungenmuskel, Musculus hyo-glossus. Nach Entfernung des Biventer, Mylo- und Stylo-hyoideus, sieht man ihn vom oberen Rande des Mittelstücks des Zungenbeins, sowie von dem grossen und kleinen Hörne entspringen. Er wurde dieses dreifachen Ursprunges" wegen sehr überflüssig in drei besondere Muskeln getheilt: Basio-, Cerato-, und CJwndroglossus, von welchen der Chondroglossus öfters fehlt. Dünn und breit, steigt er schief nach vorn und oben zum hinteren Seitenrande der Zunge empor, und ist ein Depressor linguae. Seine äussere Fläche wird vom Nervus hypoglossus gekreuzt. 3. Der Grriffel-Zungenmuskel, Musculus styloglossus, ent- springt von der Spitze des GrrifFelfortsatzes und vom Ligamentum stylo-maocillare, und liegt über und eiuAvärts vom Stylo-hyoideus. Er geht bogenförmig zum Seitenrande der Zunge, wo er sich mit den aufsteigenden Fasern des Hyo-glossus kreuzt, und theils zwischen den Bündeln desselben in das Zungenfleisch eindringt, theils, sich allmälig verjüngend, bis zur Spitze der Zunge ausläuft. Zieht, wenn er einseitig wirkt, die Zunge seitwärts, wenn er auf beiden Seiten wirkt, direct nach rückwärts. — Zuweilen entspringt ein acces- sorischer Bündel dieses Muskels, von der unteren Wand des knor- peligen Grehörgangs. Die in der Zunge selbst entspringenden und endigenden Muskeln (Binnen- muskeln) werden erst im §. 255 erwähnt. §. 165. Tiefe Halsmuskeln. Nachdem der Unterkiefer ausgelöst, und alle Weichtheile des Halses bis zur Wirbelsäule entfernt wurden, hat man die Ansicht der tiefliegenden Halsmuskulatur vor sich. Sie bildet zwei Gruppen, deren eine die Seitengegend der Wirbelsäule einnimmt, die andere auf der vorderen Fläche der Wirbelsäule aufliegt. 1. Muskeln an der Seitengegend der Halswirbelsäule: Hier liegen die drei Rippenhalter oder ungleich drei- seitigen Halsmuskeln, Scaleni, von GKalr^vSg, ungleich. Sie ziehen von den Querfortsätzen gewisser Halswirbel zur ersten und zweiten 472 S- l"!"'- Tiofc llaNmiiski'lii. K'ijijic lici'.il). lind k(">ini('n (IcsIkiH» ;i1s II('1)(miiiin1\('1ii (li<>s(M' llijtpoii ;iiij;('><'li('ii werden, vor;nis<>os('t/>t, d.iss dci- ll.ds dnrdi andere Mn>keln fixii-t i>t. Sind aKer die lvij>pen lixirt. und der Hals l)ewei;licli, so Averden die Sraleiif den Hals drelien, Avenn sie nur auf Einer Seite au;iren, odor ihn vorwärts l)eiig'eii, wenn sie sinudtan ant" beiden Seiten "wirken. Der vordere Klppenlialter, Musculus .sralenus anticus, ent- s]>ringt mit vier Zacken von den vorderen Höckern der Qnerfort- sätze des dritten bis sechsten HalsAvirbels, nnd läuft an der änsseren Seite des gleich zu erwähnenden Longxis colli zur oberen Fläclie der ersten Kippe herab, wo er sich auswärts vom Tuherculuni Lis- franci mit einer breiten, metallisch glänzenden Sehne (Scalenus- spiegel) inserirt. Oefters fehlt eine Ursprun^szacke; selten kommt eine fünfte hiezu. Der mittlere Rippenhalter, Musculus scalenus medius, folgt hinter dem vorderen, welchen er an Stärke nnd Länge übertrifft. Er entspringt mit sieben Zacken nahe an den vorderen Höckern der Querfortsätze aller HalsAvirbel, nnd befestigt sich am oberen Rande und an der äusseren Fläche der ersten Rippe. ZAvischeu dem Ursprung- des vorderen nnd mittleren Scalenus bleibt eine dreieckige Spalte mit oberer Spitze offen, durch welche die im folgenden Paragraph bezeichneten Nerven nnd Geffisse der oberen Extremität passiren. Der hintere Rippenli alter, Musctdus scalenus posticus, ist der kleinste, und häufig- mit dem mittleren verAvachsen. Er geht von den hinteren Höckern der Querfortsätze des fünften bis siebenten Halswirbels zur Anssenfläehe der zAveiten Rippe. Eine typische Uebereinstimmung; des Scalenus anticus und 7ne- (lius mit den Intercostalmuskeln (§. 1G9) und des j)osticus mit den Rippenhebern (§. 179), mnss Jedem einleuchten, Avelcher die Be- deutung- der vorderen und hinteren Spangen und Höcker der Hals- Avirbel-Querfortsätze zu Avürdigen versteht (zAveite Note zu §. 121). Die vf)rderen Spangen und Höcker dieser Querfortsätze entsprechen den Kippen; — die hinteren den (^uerfortsätzen. Ueberzähligo Scaleni kommen nur als solLststiindig gewordene Fleisch- l)nndel der drei normalen vor. Am meisten bekannt ist der Scalenus m'mhmts Albini, welcher dadurch zu Stande kommt, dass die Arteria subclavia nicht, wie es im folgenden Paragraph heisst, zwischen Scalenus anticus und luedius durchtritt, sondern den anticus so durchbohrt, dass der schwächere, hinter dt-r Arterie liegende Antheil des durchbohrten Muskels, das Ansehen eines selbst- ständigen Muskels gewinnt. 2. Muskeln auf der vorderen J'läche der HalsAvirbel- >äule: Der grosse vordere g-erade Kopfmuskel, Musculus rectns cajntis anticus major, entspringt mit vier sehnig-en Zipfeln dort, wo §. 165. Tiefe Halsmuskeln. 473 der Sealenus anticus entspringt, d. i. vom vorderen Rande des dritten bis sechsten Halswirbel-Querfortsatzes. Er steigt, etwas naeb innen gerichtet, empor, und heftet sich an die untere Fläche der Pars hasilaris des Hinterhauptbeins. Er wirkt zugleich mit dem folgenden als Kopfnicker, d. h. beide beugen den Kopf nach vorn und protestiren somit gegen den ihnen von den alten französischen Zergliederern (z. B. Dupr^, 1698), beigelegten Namen: rengorgeurs frengorger, sich brüsten, den Kopf aufwerfen). Der kleine vordere gerade Kopfmuskel, Musculus rectus capitis anticus minor, entsteht am vorderen Bogen des Atlas, geht schief nach innen und oben, wird vom vorigen bedeckt, hat mit ihm dieselbe Insertion, und somit auch dieselbe Wirkung. Der seitliche gerade Kopfmuskel, Musculus rectus capitis lateralis, zieht vom Querfortsatz des Atlas zum Processus jugularis des Hinterhauptbeins. Er gehört, genau genommen, zur Grruppe der in §. 180 aufgeführten Musculi intertransversarii antici der Wirbelsäule. Der lange Halsmuskel, Musculus longus colli, liegt nach innen vom Rectus capitis anticus major, und bedeckt die vordere Wirbelsäulenfläche vom ersten Halswirbel bis zum dritten Brust- wirbel herab. Er hat einen sehr complicirten Bau, und besteht nach Luschka's genauer Untersuchung eigentlich aus drei Muskeln, welche füglich als selbstständig angesehen werdert sollten. Der erste der- selben, der Lage nach der innerste, ist ein gerader, gefiederter Muskel, welcher sich vom Körper des dritten Brustwirbels bis zum Körper des Epistropheus erstreckt. Er beugt die Halswirbelsäule. Der zweite, kleinere, etwas schräg nach auf- und auswärts gerichtete Muskel, Ohliquus colli anticus inferior, entspringt fleischig von der Seite des Körpers des zweiten und dritten oberen Brustwirbels, und inserirt sich mit zwei oder drei kurzen Sehnen am oberen Rande der zwei oder drei letzten Halswirbel-Querfortsätze. Sein Ursprung lässt sich von jenem des früheren nicht scharf trennen. Seiner schrägen Richtung wegen wird er die Halswirbelsäule drehen. Der dritte, etwas stärkere, ist der Ohliquus colli anticus superior. Er entspringt mit zwei Zacken von den vorderen Rändern der Quer- fortsätze des dritten imd vierten Halswirbels, läuft schief nach innen und oben, und setzt sich an das Tuberculum des vorderen Halb- ringes des Atlas. Beugt die Halswirbelsäule und dreht sie zugleich, aber in entgegengesetzter Richtung, als der zAveite. Die obere und untere schiefe Portion der beiderseitigen langen Hals- muskeln bilden einen langen Rhombus, durch dessen Ebene die beiden geraden Portionen aufsteigen. Die Gesammtwirkung der drei Portionen zielt auf die Beugung des Halses ab. — Ausführliches von Luschka in Müller s Archiv, 1854. 4 I 1 §. löß. Kiir/c topograpliiäclio roborsiclil ilt's Halses s. l<'»'>. Kurze topog'rapliische TJebersicht des Halses. s NmcIkUmii der Aiit';iiiL;('r die l)islH'r :il)i;('li;in(l(*lt('n Muskeln im KinzcliUMi (lurrlii;ei;;inu,('ii, uiiterl.isso er es nii-lit, diis Enseinl)Ie der- Mdlieii. und ilire I>ezii'liuni;'eii zu den ül)riiien Weit*ligel)ilden am Halse zum ( Je;;-en>tand einer sori^fälti^cn /eri;lied(nMing'Sarbeit zu maclien, und sifli in der t()p<>i;ra|)liiseli-anat()mischen Präparirun«;' des Halses zu versuclien, welche jedenfalls nützlielier ist, als die isolirte Dar- stellung' einzelner Muskeln. Es handelt sioli hier nicht um eine erschöpfende Detailschildorung der Lagerungsverliältnisse säninitlicher am Halse untergebrachten Weichtheile, welche für Anfänger, die noch nichts als das Skelet kennen, grossen Theils unverständlich wäre, sondern um die Würdigung des Neheneinanderseins der wichtigeren Gefässc und Nerven, welche in gewissen constanten Beziehungen zu den ]\[uskeln des Halses stehen. Diese Beziehungen sind so sicher und verlässlich, dass sie hei dem Aufsuchen grösserer Gefässe und Nerven die besten Führer abgeben. Naeli Entfernung' der Haut, des PhiliiaiiKi iniiii'nh's, und des liocTi- liegenden Hlattes der /'"«f.sc/ff ro/li (\uu welclier im nächsten Paragrapli), bemerkt man vorerst, dass die Richtungen des Steruo-clcido-mastoi- cleus und des Oino-luioidi'uti sich kreuzen. Ersterer läuft von innen und unten nach oben und hinten, letzterer von aussen und unten nach oben und vorn. Die gekreuzten Muskelrichtungen beschreiben die Seiten zweier, mit den Spitzen aneinander stossender Dreiecke. Denkt man sich die liichtung des Oino-liyoidens, über das Zungen- bein liinaus, bis zum Kinn verlängert, so ist die Basis des oberen Dreiecks der untere Itaud des Kiefers, jene des unteren der obere Rand de.s Schlüssell)eins. Wir wollen das obere Halsdreijsck deshalb TrhjoHnni infrainaxiUare, und das untere Trigonum supraclavicidare nennen. Beiden Dreiecken entsprechen schon bei äusserer Ansicht des noch mit der Haut ])edeckten Halses magerer Individuen, zwei seichte Gruben: eine obere als Fo-isa inframaocüliiri)<, und eine untere als Foasa aupradai'icidaria. Man beginne mit der Untersuchung des unteren Halsdrei- eckes, und trenne, uin es zugänglicher zu machen, den Schlüssel- beinursprung des Kopfnickers. Ist dieses geschehen, so findet man die Area des Dreieckes durch das tiefliegende Blatt der Fascia colli bedeckt, welches mit dem MuschIuö' omo-hyoideus verwachsen ist, und durch ihn gespannt werden kann. Unter dieser verschiebbaren Fascie, folgt laxes, grossblättriges, fettführendes Bindegewebe, welches die Drüsen des Plcrnn h/mpliatlcus supraclavicularls enthält, und vor- sichtig abgetragen werden muss, um die im Grunde der Grube liegenden Weichtheile zu schonen. Man stösst nun auf die seitliche Gegend der Halswirbelsäule, und die an ihr haftenden Scaleni. Wird hierauf das Schlüsselbein weii-ii-enommen, oder durch starkes Nieder- §. 166. Kurze topograpliisclie TJebersiclit des Halses. 4:75 zieheik des Armes so Aveit gesenkt, dass man die obere Fläelie der ersten Rippe erreichen kann, so findet man auf dem Scalenus anticus den Zwerchfellsuerr, Nervus phrenicus, Yon aussen und oben, nack innen nnd imten zur oberen Brustapertur laufen, und am inneren Rande desselben Muskels die Arteria thifreoidea inferior aufsteigen. Yor der Rippeninsertion des Scalenus anticus ziekt die Vena sub- clavia über die erste Rippe weg nack innen, und vereinigt sick liier mit der durck die Verbindung der Vena jugularis interna mit der eHerna gebildeten Vena jugularis communis. Zwiscken dem Scalenus anticus und tnedius bleibt eine dreieckige Spalte frei, durck welcke die vorderen Aeste der vier unteren Halsnerven und des ersten Brustuerven kervortreten, um sick zum Plexus s^ibclctvms, welcker im Aveitereu Laufe zum Plexus axillaris wird, zu verketten. Unter dem ersten Brustnerv kommt die Arteria subclavia gleickfalls aus dieser Spalte kervor, und krümmt sick über die erste Rippe nack abwärts in die Ackselkökle kinab. Das obere Halsdreieck ist viel grösser, und sein Inkalt zaklreicker, aber auck leickter zugäuglick. Wäkrend der Sterno- cleido-mastoideus nock den vorderen Rand des unteren Halsdreieckes bildet, deckt er die grossen Gefässe und Nerven zu, welcke am Halse gerade auf- und absteigen: Carotis communis, Vena jugularis interna, Nervus vagus, etc. Durck die Ricktung des Muskels nack kinten und oben, werden diese Gefässe und Nerven im oberen Hals- dreiecke nickt iiiekr von ikm, sondern nur von der Fascia colli, welcke sie ZAviscken ilire beiden Blätter aufnimmt, bedeckt sein. Nack Abtragung des oberfläcklicken Blattes der Halsfascie findet man im oberen Halsdreieck zuerst, liart am Unterkiefer, die Glan- chda suhmaxillaris, in deren näclister Nackbarsckaft einige Lympk- drüsen von Linsen- bis Erbsengrösse vorkommen. Isolirt man die Glandula submaxillaris von dem sie in ilirer Lage befestigenden Bindegewebe, wobei man am vorderen Rande der Drüse den Aus- fükrungsgang derselben zu sckonen kat, so kann man sie aus ilirer Niscke, gegen das Kinn zu, keraussckälen. Man überblickt sodann den Musculus biventer, stylo-liyoideus und mylo-hyoideus, und sielit den Muscidus hyoglossus vom Zungenbein keraufkommen, und, gegen den Kiefer kinauf, vom Musculus stylo-glossus gekreuzt werden. Hat man den Musculus biventer ganz entfernt, so gewakrt mau, wie der Ner- vus hypo-glossus das Bündel der grossen Blutgefässe von aussen um- greift. Es tritt zugleick die Tkeilung der Carotis communis in die externa und interna vor Augen, wie auck die Yerästelung der Carotis externa, und die Einmündung jener Yenen, welcke den Aesten der Carotis extermi entsprecken, in die Vena jugularis interna. Die Aeste der Carotis externa lassen sick okne Müke verfolgen, und 47(> S. IfiT. Fasrie des llalsps. es sind von ilmcn die nncli vorn ;il)<>'olien(lon drei: Arteria thyreoi- (h'ti siiperior, die Arferiif Iiitiiiiii/i--< und Arteria ma^villari.s externa in pr:iktiscli(M" Bc/.ieliuni^- Ix'sondcrs Avicliti«^. — Ist man l)is anf den Ursprnni;' des Muscnluif stylo-hifohleu.^ oiug'edrnngen, so wii-d man zni;l«M(di i\Qi^ Nervus Jlii(ni' "1 'ler voiiloron und scitliclifn Urustgcgpiid. In (ItT M('tverw(m(luu<;' darin zu bestehen, das Schlüsselbein Ix'i allen Stellungeu, welche es aunehmen kann, gegen das Brustbein va\ fixiren. Ich nehme hier Anlass, den von Luschka entdeckten, schmalen und spindelförmigen Muscvlibs sterno-davicularis zu erwähnen, welcher vom oberen Rande der inneren Hälfte des Schlüsselbeins zur vorderen Fläche der Brust- beinhandhabe zieht. Er ist nicht constant. Unter 83 Leichen fand ich ihn viermal so, wie ihn Luschka beschrieb (Müllers Archiv, 1856), zweimal da- gegen abweichend. (Ueber zwei Varianten des Musculus sterno-clavicularis. in den Sitzungsberichten der Wiener Akad., 1850, März.) — Zwischen dem Mus- 1-uhi.t Kubclavius und der ersten Rippe sieht man die Gefässe und Nerven der oberen Extremität zur Achselhöhle hinziehen, in der Ordnung, dass die Vena subclavia nach innen, die Nerveustämme nach aussen, und die Arteria subclavia zwischen beiden in der Mitte liegt. Der kleine ßrustmuskel, Musculus pectoralis minor, ent- si)ringt mit drei oder vier Zacken von der äusseren Fläche der zweiten oder dritten bis fünften Rippe und ihren Knorpeln, und setzt sich mit kurzer und schmaler Sehne an die Spitze des Pro- cessus coracoideus fest. Zieht die Schulter nieder, oder kebt die §. 169. Muskeln an fler vorderen und seitlielien Brustgegend. 481 Kippen als Inspirationsmiiskel. Seines zackigen Ursprunges wegen heisst er aucli Musculus serratus anticus minor. Der JSIusculus suhclavius und pectoralis minor sind von einer Fascie bedeckt, welche vom Eabenschnabelfortsatz ausgebt, wo ihre Dicke sehr bedeutend ist. Ihr äusserer Abschnitt verschmilzt mit jenem Theile der Fascia hrachü, welcher über die Achselgrube wegläuft (§. 186); ihr mittlerer Abschnitt fasst den kleinen Brustmuskel zwischen zwei Blättern ein. Ihr innerer und oberer Abschnitt verhält sich ebenso zum 3Iusculus suhclavius, befestigt sich am unteren Eande deT Clavicula und übertriift die beiden anderen an Stärke. Er wird als Fascia coraco-clavicularis erwähnt, welchen ISTamen man auch der Gesammtheit der drei erwähnten Abschnitte beilegt. Die Fascia coraco-clavicularis begleitet und schützt die unter dem Musculus suhclavius hervortretenden Gefässe und Nerven auf ihrem Wege zur Achsel. Ihre Stärke und ihre Spannung setzen dem • von aussen her unter das Schlüsselbein eingebohrten Finger ein kaum zu bewältigendes Hinderniss entgegen. Der grosse sägeförmige Muskel, Musculus serratus anticus major, nimmt die ganze Seitenfläcke des Thorax bis zur acliten oder neunten Rippe herab eiu. Er entspringt mit acht oder neun spitzigen Zacken (daher sein Name Serratus) von der äusseren Fläche der genannten Rippen. Die Zacken associiren sich zn einem breiten find flachen Muskelkörper, welcher die Seitenwand der Brust nach hinten nmgreift, zwischen das Schnlterblatt und die Brustwand ein- dringt, und sich au die ganze Länge des inneren Randes der Sca- pula ansetzt. Hiebei ist Folgendes zn bemerken. Die erste nnd zweite Zacke (von oben gezählt), fleischiger als die folgenden, treten an den inneren oberen Winkel des Schulterblattes; — die dritte und vierte, welche den dünnsten Theil des Muskels bilden, nehmen die ganze Länge des inneren^ Schnlterblattrandes für sich in Besitz, — und die vier oder fünf übrigen Zacken drängen sich alle gegen den unteren Schnlterblattwinkel zusammen. Dieser Muskel zieht, wenn die Rippen durch Zurückhalten des Athems festgestellt sind, das Schulterblatt nach vorn und fixirt es am Thorax. In dieser Fixirung des Schulterblattes liegt eine conditio sine qua non für den Gebrauch jener Muskeln, welche am Schulterblatt entspringen und am Oberarm oder Yorderarm angreifen. Sie Avürden, im Falle eine schwere Last mit den Armen gehoben werden soll, lieber das leicht bewegliche Schulterblatt aus seiner Stellung bringen, als die be- absichtigte Hebewirkung leisten. Hieraus wird es erklärlich, warum Lähmung des Serratus die Kraft des Armes schwächt. Nicht selten kommt es vor, dass der Muskel mit neun Zacken von den acht oberen Eippen entspringt, wo es dann die zweite Eippe ist, welche zwei Zacken desselben auf sich nimmt. — Um diesen schönen Muskel in seiner ganzen Grösse zu sehen, muss das Schlüsselbein entzweigesägt, und der Mus- culus suhclavius und pectoralis minor entfernt werden, so dass das Schulterblatt vom Stamme wegfällt, und nur mehr durch den Serratus anticus major mit der Brust zusammenhängt. Hyrtl, Lelirliucli der Anatomie. 20. Aufl. ''^ 432 ^- ^^'^- Miislteln an der vonlt ren und seitlirhrn nrnsfgegeml. C. Dritte Schichte. Sie bestellt aus den, die eilt' Zwisclienrippeurcäunie ausfüUendeu äusseren und inneren Intercostalmuskeln, welclie zwei dünne, fleisch ig-sehnij;:e Muskellagen liiiden. Heide entspringen vom unteren Rande einer Rippe und endigen am ol)eren der nächst darunter liegenden. Die Richtung der äusseren geht schräge nach vorn und unten, die der inneren schräge nach hinten und unten. Die Insertion des äusseren erstreckt sich an der nächst unteren Rip])e blos bis zum Anfange ihres Knorpels, jene des inneren aber bis zum vorderen Ende des von ihnen eingenommenen Zwlschen- ripi)enraunies. Der äussere ist somit um die Länge eines Ripi)en- knorpels kürzer als der innere und ersetzt, was ihm an Länge fehlt, um das Brustbein zu erreichen, durch eine dünne, ghinzende Apo- neurose, das sogenannte Ligamentum cornsccuiis. Die Ursprünge beider Intercostalmuskeln fassen die am unteren Rippenrande befindliche Furche und die darin laufenden Gefässe und Nerven zwischen sich. Die Intercostah's e.rterni und interni sind Einathmungsmuskeln. J )ie in neuester Zeit wieder in Aufnahme gebrachte ältere Ansicht, dass die Tufcrcth^tales interui Ausathmungsmuskeln seien, wurde von Budge widerlegt. Er zeigte, dass nach Durchschneidung der Inter- eostales eaterni in einem oder mehreren Zwischenrippenräumen an Thieren, dennoch inspiratorische Verengerung dieser Zwischen- rippenräume eintritt. — Beim Einathmen wird die erste Ripi)e zuerst durch die Scaleni gehoben. Die ersten Intercostales extcrni und interni stellen nun zwei schiefe Kraftrichtungen vor, deren Resultirende die zweite Rippe gegen die gehobene erste hebt, und so fort durch alle folii:enden Intercostalräume. Nach Entfernung beider Intercostalmuskeln gelangt man noch nicht auf das Rippenfell (Pleura), sondern auf eine äusserst dünne, und deshalb bisher übersehene Fascie, welche die ganze innere Oberfläche der Brusthöhle auskleidet, und sich zu dieser, wie die Fascia transversa zur Bauchhöhle verhält. Ich nenne sie Fascia endothoracica. Sie verdickt sich bei gewissen krankhaften Zuständen der Lunge und des Rippenfells, und fällt dann besser in die Augen. Zieht man in einem durch Wegnahme der vorderen Wand geöffneten Thorax, dessen Inhalt herausgenommen wurde, das Rippenfell von der inneren Oberfläche der Rippen ab, so überzeugt man sich ohne Schwierigkeit von dem Dasein dieser Fascie. welche, besonders gegen die Wirbelsäule hin, als ein selbstständiges fibröses Blatt, mit Vorsicht in grösserem Umfange isolirt werden kann. Luschka hat dieser Fascie eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. (Der Herzbeutel und die Fascia endothoracica, in den Denkschriften der kais, Akad., 17. Bd.) Sehr oft finden sich an der inneren Oberfläche der unteren Hälfte der seitlichen Brustwand flache und dünne Muskelbündel vor, welche vom unteren Rande einer oberen Rippe nicht zur nächst unteren, sondern, diese übersprin- gend, zur zweiten ziehen. Sie nehmen zuweilen die ganze innere Oberfläche der Seitenwand des Thorax ein, und wurden von dem Niederländer Phil. §. 170. Allgemeines über die Bauchwand. 483 Verheyen, welcher sie entdeckte fCompend. anat. Brwxell., IT 10), Musculi infracostales genannt, von Winslow aber subcostales. An der hinteren Fläclie des Brustbeins nnd der Rippenknorpel liegt der Musculus triangularis sterni s. sterno-costalis, eine Succession von breiten nnd flaelien Fleisebzaeken, welche aponenrotisch A^om Körper und Sehwertfortsatz des Brustbeins entspringen, nnd schief nach oben nnd aussen an die hintere Fläche des dritten bis sechsten Rippenknorpels treten. Er zieht die Rippenknorpel bei forcirtem Ansathmen herab und bietet so viele Spielarten dar, dass Meckel ihn den veränderlichsten aller Muskeln nannte. Der Triangularis sterni und die oben erwähnten Musculi subcostales entsprechen dem Transuersus ahdominis, — die Intercostales interni dem Obliquus internus und die Intercostales externi dem Obliquus externus des Unter- leibes (§. 171, B). Nach Luschka (Sitzungsberichte der Wiener Akad., 1838) kommt in seltenen Fällen ein besonderer Muskel hinter dem Manubrium sterni vor welchen er als Transversus colli bezeichnet. Er entspringt etwas unter der Mitte des oberen Randes des ersten Eippenknorpels, besteht aus drei bis vier lose zusammenhängenden Bündeln, welche durch Bindegewebe an die hintere Fläche des Ursprungs des Sterno-hyoideus adhäriren, und geht in Sehnenfasern über, welche mit jenen der anderen Seite in der Medianlinie zusammenfliessen. Er kann den untersten Theil des tiefen Blattes der Fascia colli in die Quere spannen. D. Muskeln des Bauches. §. 170. Allgemeines über die Bauchwand. Bauch oder Unterleib (Abdomen, s. Imiis venter), welchen der römische Dichter ingenii morwnque largitor nennt, heisst jener Theil des Stammes, welcher zwischen Brust und Becken liegt. Abdomen wird weniger für den menschlichen Unterleib als für den feisten Wanst der Mastthiere, insbesondere des Schweines gebraucht. Imus oder infimus venter schreibt der classische Celsus; das wäre deutsch: unterer Leib, le bas-ventre der Franzosen, englisch belly und womb, im Altdeutschen Wamba — Wampen -im Wiener Patois. Die grosse Lücke, welche am Skelet zwischen dem unteren Rande des Thorax und dem oberen Rande des Beckens existirt, wird nur durch fleischig häutige Decken geschlossen, welche ge- meinhin den Namen Bauchwand führen. Der von der Bauchwand umgürtete Raum ist das Cavmn ahdominis, welches sich nach abwärts in den Raum der Beckenhöhle fortsetzt. In diesem Cavum sind die Organe der Verdauung und der grösste Theil des Urogenitalsystems verpackt. — Der Rauminhalt der Bauchhöhle zeigt sich viel grösser, alß es nach der äusseren Ansicht der Bauchwand zu vermuthen wäre. Indem sich nämlich die Bauchhöhle nach abwärts in die grosse und kleine Beckenhöhle fortsetzt, wird auch der knöcherne 31* I ^^ I S. 170. Alliremeini's ülior «lio Raucliwaiill)ung der Baucliwand ist bei mageren Personen mit leen'm Bauch nach innen, liei wohlgenährten nach aussen gerichtet, und bei aufrechter Stellung an der unteren Gegend der vorderen Bauchwand stärker, als bei horizontaler Rüekonlage. Das Einathmen vermehrt, das Ausathmen vermindert di(»se Wölbung. Der t;rosse rmfang //ia an- terior .siijH'rior des Darmbeins, und eine andere vom unteren Winkel des Schulterblattes zum hinteren Dritttheil der Crista ossis ilei, so hat man die P(n-ipherie der Baucliwand in eine vordere, zwei seitliche und eine hintere Gegend al)getheilt. Die beiden seit- lichen heissen Bauchweichen oder P^lanken;- die hintere zerfällt durch die D(.rnen der Lendenwirbel in eine rechte und linke Hälfte, welche Lendengegenden, Jlcifiotie.s lumhfdeö; genannt werden. Führt man nun vom zeliuten Kij)i>enknorpel einer Seite zu dem- selben der anderen Seite eine Querlinie, Avelche über dem Nabel liegt, und verbindet durch eine ähnliehe Linie die beiden vorderen oberen Darmbeinstacheln, so hat man dadurch die vordere Gegend des Bauches in drei Zonen getheilt, von welchen die obere: Refüo epigastrk-a, die mittlere: Retfio meso(icustrica und die untere: Reoio lt}iponastric«-liwinden «rrosser Beleibtlieit auftreten sali. Die Fascia superficialis des Bauclies Lisst uns, besonders in der unteren Baucbgegend. zwei deutlich getrennte Blätter unter- sc'hei^S S. 171. Spi-ricll.' nc^.lii.'il.nnR der l!aniliiniisl|);iin^il"Mi ^\'llM'l.ll•/t \ n i. d <• (I i in In- ni .1 1. Siclic ^j>^. Ü'O und 200. Will man das Poupartsilic liand nicht als niiterpu Rand der Apo- ntuiwst' des äiissiTon schiefen Bamhnuiskcls anscheu, sondern seiner Diilie wegen lür ein selbstständiges Band halten, so müsste man sagen, dass die A]ioneursenMi .scliiefen Ilaucliniiiskels eine dreieckige, seliräge naeli aussen und ol)en geschlitzte (JefTnung als äu.ssere Oeffnung des l^eisteukanals. oder Leistenriug (Äpertura ex- ti'rnii i-iiiinJ}s lii'iiiliiii/is .V. ^{iniiijus iiKiuiiialh). Die Basis der drei- eckigen Oeirnung wird durch das innere Ende des horizontalen Schaniheina.vtes. tier äussere (untere) ]va?id oder Schenkel, durch (his LiiiiiiiH'iitiiin /'oHjnirtlf, der innere* (obere) Rand durch jenen Tlicil der Aponeurose (h's äussi'ren schielen Dauchmuskels gehildet. welcher nicht zur weissen Uauclilinie, sondern zur vorderen P^läche der Schanif'uge tritt, wo er sich mit demselben aponeiirotisclieu Schenkel der anderen Seite kreuzt (der linke deckt den rechten), und mit dem Aufhängebande des männlichen Gliedes verschmilzt. — Der LeistiMiring ist die ä ussere Oet't'n ung eines Kanals, welcher diircli die i^anze Dicke der liauchwand durch, schief nach oben und aussen aufsteigt, um nach einem Verlaufe von anderthalb Zoll Dänge, durch die innere Oeffnung (>?. 3 72) in die Bauchhöhle einzu- münden, ^lan nennt deshalb die äussere Oeffnung auch die Leisten- öttnung, und die innere h/ilci(i /riifre ii,k1i spannen, so kann sie ancli ihrer Läni;»» nael» ges]>annt werden dnrcli den in die Snlistanz ilires vorderen Blattes einge- schlossenen, knrzen und dreieckigen J/usci(/ui>- pi/raiiii(Jringt und an die hintere Fläche der weissen Banchlinie sich ansetzt, wird als Ailntlaictdunt fineae albae angeführt. Di-n Namen Linea kelu an alten Weibern, welche oft schwanger waren, oder über- haupt an Leichen, deren Bauch bereits durch Päulniss grün geworden, auch nur einigermassen befriedigend untersuchen können. Da man aber oft nehmen nnisä. was man eben bekommt, so hat das Gesagte nur auf jene anatomisclien Anstalten Anwendung, denen keine wohlthätigen Leichenvereine ihre Lehr- §. 173. Leistenkaiial. 493 und Lernmittel sclimälern. Jedenfalls wäre es den Verstorbenen lieber gewesen, während ihrer Lebzeiten die Beweise einer werkthätigen christlichen Nächsten- liebe empfang<3n zu haben, als nach ihrem Tode ein Gratisbegräbniss zu er- halten. §. 173. Leistenkanal. Es yerdient der Leistenkanal, CcmalAs inguinalis, eine be- sondere Würdigung, da er zu einer der häufigsten chirurgischen Krankheiten — den Leistenbrüchen — Anlass giebt, deren Dia- gnose und chirurgische Behandlung die genaue anatomische Kennt- niss dieses Kanals Yoraussetzt. — Wir müssen am Leistenkanal eine äussere und eine innere OefFnung und seine Wand besonders in Betrachtung ziehen. Die äussere Oeffnung des Leistenkanals liegt in der über dem Ponpart'schen Baude befindlichen sogenannten Leistengegend, Regio inguinalis (ßovßav im Homer, woher hubones). Sie wird durch Spaltung der Aponeurose des äusseren schiefen Bauchmuskels ge- geben, welche in zwei Schenkel (Crura) auseinander weicht. Das Crus internwn befestigt sich, wie in §. 171 gesagt, an der vorderen Seite der Schamfuge; das Crus extermon, welches so innig mit dem Ponpart'schen Bande zusammenhängt, dass es mit ihm Eins zu sein scheint, am Tuherculum ossis puhis. Die Oefi"nung zwischen beiden ScheDkeln hat eine dreieckige Gestalt. Ihr Mittelpunkt steht von jenem des oberen Eandes der Symphyse, bei vollkommen ausge- wachsenen Leuten, beiläufig fünfzehn Linien ab. Der von der Spitze des Dreiecks gegen die Basis gezogene Durchmesser beträgt im Mittel einen Zoll. Die Basis misst sechs bis acht Linien. Die Fascia superficialis hängt an die Eänder der OefFnung fest an, und verlängert sich von hier aus als biudegeAvebige Hülle (Fascia Gooperi) über den Samenstrang, welchen sie umkleidet. Der Begriff der Leistengegend ist etwas vag. Dem Wortlaute zufolge mag diese Gegend ursprünglich wohl nur auf die nächste Umgebung des P o up ar t'- schen Bandes angewandt worden sein, welches wie eine gut fühlbare, und an mageren Individuen auch gut zu sehende Leiste, zwischen zwei festen Punkten des Beckens (Schamfuge und vorderer oberer Darmbeinstachel) ausgespannt ist. Wir verstehen unter Leistengegend die über dem Ponpart'schen Bande liegende unterste Region der vorderen Bauchwand. Bezüglich der Wand des Leistenkauais gilt Folgendes. Yon der äusseren Oeffnung bis zur inneren durchläuft der Leistenkanal einen Weg von anderthalb ZolL Schräg nach ans- und aufwärts gehend, hebt er successive die unteren Känder des inneren schiefen und queren Bauchmuskels auf, entfernt sich dadurch mehr und mehr von der Oberfläche, und endigt an der inneren, von der Fascia transversa gebildeten Oeffnung. Die untere Wand des Kanals bildet das Poupart'sche Band, dessen Fläche sich nach hinten umkrümmt, 401 S- '"*• T-ifisiengrnhen. 1111(1 (ladiircli die Form (Mucr J\iiiiu' anniiniiit. Die obere Wand U^eliört den aufgehobenen unteren Kändern des inneren schiefen und (|U('ren Hauchmuskels an. Die vordere AVand muss benreiflicher Weise bei dem allmäli;;- tieferen Eindringen des Leistenkanals in die Bauehwand immer dicker werden, indem sie anfangs lilos aus der Aponeurose des äusseren schiefen I^auclimuskels, später, wenn der Leistenkanal unter die unteren Känder des inneren scliiefen und des queren Bauchmuskels eingedrungen ist, auch durch diese beiden Muskelränder erzeugt wird. Die hintere Wand verhält sich umgekelirt wie die vordere, indem sie in der Ebene der äusseren Leistenoffming durch den inneren schiefen und (jueren liauclnnuskel, und . Il> rn'iii (rnplnrii tltT AltiMi. ili'sci'iilc der Fr;in/n>eii). Einen licsondcrcn Nnnion ci-liMlt der IW-iicli vom der ( )eHinini;' ( Ih'iieli pforte), diii'cli ■welche er liorvori;('treten. z. I>. Leistenbruch, N;il)ell)rueh. Sch<'nkell)rnch, etc. ^I.in huhlii;te hislier nllgeniein der ^leinunj^-, d;iss ein l^in^eweide, welches einen Bruch ])ilden soll, d.is B.iuch- f'ell, als das natürliche Verschlussinittel der l)etrettenden Oetinun«^ der Bauchwand, vor sich hertreihen oder ausstülpen nuiss, so dass es in diesem wie in ein«Mn Sacke (Bruchsa ck) eiiij^eschlossen liegt. Der r.nichsack wii-d uns. seiner l)irnt'örnng-en Gestalt wegen, einen in der Bruchpforte liegenden Hals, und einen nach Verschiedenheit der (Irösse des Bruches imdir weniger uintnnglichen Grund unter- scheiden lassen. In neuester Zeit jedoch wendete man sich der Ansicht zu. dass hei der Entstehung eines Bruches das Bau(dit'ell nicht durcli ein Eingeweide hervorgedrängt Avird, sondern durch eine nicht näher /u präcisirende Tendenz desselben, Divertikel zu bilden. >icli von selbst, d. li. nicht durch den Druck eines Ein- geweides, herau.s>tülpt und einen Bruchsack bildet, welcher erst :ende Beschreibuni^ nicht für alle Fälle gelten k.inn und nur für das häufigere Vor- kommiMi passt. /') Der Kipp entheil (Pars cofitaUs) entspringt beiderseits von der inneren Fläche der sechs oder sieben unteren Rippen, vom Sclnvertfortsatz. sowie auch von zwei fibrösen Bögen (Lüjaiiienfa nrnnifa UdUeri), deren innerer vom Körper des ersten Lendenwirliels über den Psoas weg, zum Querfortsatz desselben Wirbels ausgespannt ist, Avährend der äussere, aus- wärts von ersterem gelegen, vom Querfortsatz des ersten Len- denwirbels, über den Quadratus lumhomm weg, zur letzten Rippe tritt. Die Rippenursprünge der Pars costalis erscheinen als Zacken. Avelche zwischen die Ursprungszacken des queren Bauchmuskels eingrcMfen, und von diesen durch eine ähnliche Zickzacklinie getrennt sind, wie jene, Avelche zwischen den Urs])rüngen des Ohliquvs ahdomlnis extermis, Serratus antlcus major und Latissimus dorsi bereits (?rwähnt wurde. Sämmt- liche Zacken convergiren .gegen den Umfang des sehnigen Theils, an welchem sie sich festsetzen. c) Der sehnige Theil (Pars tendinea s. Centrinn tendineinn) nimmt so ziemlich die Mitte des Z^verchfells ein, und liegt, der kupjndförmigen Wölbung des Zwerchfells Avegen, höher als der fieischige Antheil dieses Muskels. Sein im frischen Zu- stande überraschend scluiner, metallischer Schimmer verhalf ihm zu dem sonderbaren, von dem holländischen Arzt und Philosophen van Helmont entlehnten Namen Speculum Hel- inontil. Seine Gestalt ähnelt jener eines Kleeblattes, in dessen rechtem La])pen, unmittelbar vor der Wii'belsäule, eine vier- eckige, nach hinten durch stark vorspringende tendinöse Streifen begrenzte OefFnung mit al)gerundeten Winkeln liegt, durch welche die untere Hohlvene in die Brusthöhle aufsteigt — das Foramen pro vena cava s. quadrilaterum. — Die obere Fläche des Zwerchfells wird von dem Rippenfelle, die untere von dem Bauchfelle bekleidet. An die obere Fläche der Pars tendinea ist die Basis des Herzbeutels anuewachsen. Neb.st den genannten drei grossen Oeffnungen kommen im Zwerchfelle noch mehrere kleinere, für den Verlauf minder umfangreicher Gefässe und Nerven bestimmte Spalten vor, welche keine besonderen Namen führen. So befindet sich zwischen dem inneren und mittleren Schenkel eine Spalte zum Durchgang des Nervus splcmchnicus major und der Vena azygos (linkerseits hemiazygos). Der mittlere Schenkel wird häufig durch den Nervus splanch- §. 176. Zwerchfell. 501 nicus minor durchbohrt. Zwischen dem äusseren und mittleren Schenkel tritt der Sympathicus aus der Brust- in die Bauchhöhle. Die Wölbung des Zwerchfells ragt rechterseits, wegen der Lagerung der voluminösen Leber im rechten Hypochondrium, höher in den Thorax hinauf, als linkerseits. — Beim Einathmen verflacht sich die Wölbung des Zwerchfells, indem das bogenförmig an das Centrum tendineum tretende Fleisch der I*ars costalis und lumhalis während der Contraetion mehr geradlinig wird. Dadurch muss die Bauchhöhle um so viel verengert werden, als die Brusthöhle ver- grössert wird. Das Centrum tendineum steigt während der Contraetion des Zwerchfells nicht mit seiner ganzen Ebene herab, sondern neigt sich blos so, dass sein hinterer Eand tiefer zu stehen kommt, als sein vorderer. — Der höchste Stand der Zwerchfellskuppel entspricht dem Mittelpunkt einer durch das Sternalende des dritten Rippenknorpels gelegten horizontalen Durchschnitts- ebene des Thorax-, — der tiefste Stand einer ebensolchen, aber durch den fünften Rippenknorpel geführten Ebene. — Man unterlasse es nicht, um sich von dieser wichtigen Sache zu überzeugen, die Stellung des Diaphragma an zwei Kindesleichen zu vergleichen, an deren einer die Lunge durch die Luft- röhre vollständig aufgeblasen wurde, an der anderen aber nicht, wodurch also die Einathmungs- und Ausathmungsstellung des Zwerchfells zur deutlichen An- schauung kommen. Durch den Druck, welchen das Zwerchfell beim Einathmen auf die Baucheingeweide ausübt, bethätigt es die Fortbewegung der Contenta des Darmschlauches, fördert die Blutbewegung in den grossen Venenstämmen im Unterleibe, und unterstützt mechanisch die Secretionen und Excretionen der drüsigen Nebenorgane des Verdauungssystems. Da die von oben her gedrückten Eingeweide dem Drucke weichen müssen, so drängen sie sich gegen die nach- giebige vordere Bauchwand, und wölben sie stärker. Hört beim Ausathmen der Druck des Zwerchfells zu wirken auf, so schiebt die nun beginnende Zu- sammenziehung der muskulösen Bauchwand die verschobenen Eingeweide wieder in ihre frühere Lage, und zwingt das nun relaxirte Zwerchfell, wieder zu seiner früheren Wölbung zurückzukehren, wobei die in den Lungen enthaltene Luft durch die Luftröhre und die Stimmritze des Kehlkopfes entweicht. Die Einge- weide befinden sich sonach, so lange das Athmen dauert, fortwährend in einer hin- und hergehenden Bewegung, welche in demselben Maasse gesteigert wird, als der Athmungsprocess lebhafter angeht. Ist, während die Bauchmuskeln wirken, die Stimmritze geschlossen, so kann die Luft aus den Lungen nicht entweichen, somit auch das Zwerchfell nicht in die Höhe steigen, und die Lage der Eingeweide des Unterleibes nicht verändert werden. Die Eingeweide werden dann nur gedrückt, und enthalten sie Entleerbares, so wird dieses herausgeschafft. Diese von den Bauchmuskeln geleistete Compression der Unter- leibsorgane tritt als sogenannte Bauchpresse (Prelum abdominale) bei allen heftigen Anstrengungen in Thätigkeit, und gibt auch ein Entstehungsmoment für Hernien ab. Bei Verwundungen und Rissen des Zwerchfells, bei angeborenen Spalten desselben, kann ein Eingeweide des Bauches, am häufigsten die Milz, das Netz oder der Magen in die Brusthöhle schlüpfen, und eine Hernia diaphragmatica bilden. Die durch Fall und Erschütterungen entstandenen Zwerchfellrisse finden sich häufiger auf der linken Seite, da auf der rechten die Leber das Zwerch- fell stützt. — Zwischen dem Costalzacken, welcher vom siebenten Rippen- knorpel kommt, und jenem der am Processus xiphoideus entspringt, existirt eine dreieckige Spalte, durch welche Brustfell und Bauchfell in Contact r)02 S- •""• Allgemeini» Hetriiilitiing dos linckni^i »iiiil Eindit'ilung seiner Muskoln. geratlit'ii. Larrey rioth, ilurcli diese Spalte die Punction des Herzbeutels vor- zuiiclniien. — Der veränderlielic Stand des Zwerelifells erklärt es, warum eine und dieselbe penetrirende Wunde ganz andere Theile verletzt liaben wird, wenn sie im Momente des Ein- und Ausathmens beigebracht wurde. — Ver- hindern grosse Geschwülste im Unterleibe, Bauchwassersucht oder Fettleibig- keit, den De^icensiAs diaphragmatis beim Einathmtn, so wird die dadurch be- schränkte Raumvergrösserung des Thorax durch stärkeres Heben der Rippen compensirt; sowie umgekehrt bei behinderter Rippenbewegung durch Ver- knöcherung der Knorpel, durch Wunden des Thorax, oder Entzündung des Rippenfelles, das Diaphragma allein die Einathmungsfunction übernimmt. Hii^raiif beruht der von den Aerzten gewürdigte Unterschied zwischen Respiratio thoracica und abdominalis. Das Zwerchfell führt ausser dem gewöhnlichen Namen: Diaphragma (von 8i«(pQdTTiiv, abgrenzen), noch folgende bei älteren Autoren: JDiazoma im Aristoteles, — Septuni transversum im Celsus, — Praecordia im Plinius, — Disseptum im Macrobius. Der Ausdruck Phrenes und Musculus phrenicus beruht auf der alten Vorstellung, dass das Denk- und Willensvermugen ((pQijv), sowie Begierden und heftiges Verlangen {(pQtvfg) in diesem Muskel ihren Sitz haben müssen, weil die Athmungsbewegung des Zwerchfells bei allen leiden- schaftlichen Aufregungen schneller und intensiver wird. Die verschollenen (pQivr,£ des Hippocrates erklären es uns, warum auch jetzt noch die Gefässe und Nerven, welche das Zwerchfell versorgen, Arteria und Vena )>hrenica, und Nervus phrenicus heissen. — Diaphragma heisst bei den Griechen jede Scheidewand, ohne Rücksicht auf ihre Richtung. Das Trommelfell, die Scheide- wand des Herzens, der Hirnkammern (Septum pellucidum), der Nasenhöhle, und die Mittelfelle fmediastinaj, waren ihnen Dinphragmata. Nur das Septum transversum, und das Zwerchfell der Deutschen, drücken die Querlage deut- lich aus. Zwerchfell sollte jedoch in Zwerchmuskel umgetauft werden, da unter Fell eine behaarte thierische Haut verstanden wird fpellisj. Bauchfell, Brustfell, Mittelfell und Trommelfell bedürfen deshalb ebenfalls einer Correctur. E. Muskeln des Rückens. §. 177. Allgemeine Betrachtung des Rückens und Eintlieilung seiner Muskeln. Wir begreifen unter Rücken, Dorsum s. Tergimi, die hintere Gegend des Stammes, welche von oben nacli unten gerechnet, aus dem Nacken (hintere Halsgegend), dem eigentlichen Rücken (hintere ThoraxAvand), den Lenden (^hintere Bauchwand), und dem Kreuze (hintere Beckenwand) besteht. Die Nackengegend ist von oben nach unten leicht concav, von einer Seite zur anderen convex, und unten durch den Vorsprang des siebenten Halsdornes vom Rücken abgegrenzt. Die eigentliche Rückengegend ist in der Längen- und Querrichtung massig convex. Längs der Mittcdlinie fühlt man die Spitzen der Dornfortsätze der Brustwirbel. Au ihrer oberen seitlichen Gegend liegen die beweg- lichen Sdiulterblätter, welche bei muskulösen Körpern einen mehr §. 178. Breite Rückemnuskeln. 503 glelehförmig gerundeten, bei mageren einen durch die Spma scapulae sctarf gezeichneten Yorsprung bilden. Die in der Längsrichtung massig coneave Lendengegend besitzt in der Medianlinie eine ver- ticale Rinne, . welche den zwischen den fleischigen Bäuchen der langen Rückgratsstreeker versenkten Lendendornen entspricht. Die convexe Kreuzgegend wird am wenigsten von Weichtheilen bedeckt, und fühlt sich daher im ganzen Umfange hart an. Die Haut des Rückens zeichnet sich durch ihre Dicke und Derbheit aus. Die Rückenhaut der Thiere liefert deshalb das beste Leder. Auch in der zur französischen Revolutionszeit bestandenen Menschenlederfabrik zu Meudon wurde Sattelleder aus der Rücken- haut menschlicher Leichen, — Zäume und Riemen für Patrontaschen aus der Haut der Schenkel und Arme fabricirt. — Man findet die Haut des Rückens an den Leichen durch Senkung des Blutes meist blau oder dunkelroth gefleckt (Todtenflecke) — eines der sichersten Zeichen des Todes. Auf dem Kreuzbeine und anderen am Rücken fühl- und sichtbaren Knochenvorsprüngen unterliegt sie bei schwer Erkrankten, dem Yerbranden durch Aufliegen (Decubitus). Eine Fascia superficialis existirt nur als äusserst dünner Binde- gewebsüberzug der ersten Muskelschichte, und kann somit ohne Schaden ganz ignorirt werden. — Den ganzen Raum zwischen Haut und Knochen, welcher zu den Seiten der Dornfortsätze bedeutend tief ist, nehmen Muskeln ein, deren anatomische Darstellung einen wahren Probirstein für die Geduld und Geschicklichkeit der Stu- direnden abgiebt, weshalb sie sich keiner grossen Beliebtheit zu rühmen haben. — Ihrer Gestalt nach bilden die Rückenmuskeln drei Gruppen: die breiten, die langen, und die kurzen, welche in den nächsten Paragraphen gesondert zur Sprache kommen. Func- tionen aufgefasst, zerfallen sie in vier Gruppen. Die erste oder hochliegende dient zur Bewegung der oberen Extremität, die zweite bewegt die Rippen, die dritte den Kopf, die vierte die Wirbelsäule. Weder Gefässe noch Nerven von grosser praktischer Wichtigkeit verzweigen sich auf oder zwischen ihnen. Daher sind Fleischwunden des Rückens minder gefahrvoll, und es lag somit eine Art von Rücksicht in der Barbarei gewisser Körperstrafen, welche, wie die Knute, die Spiessruthen, und die neunschwänzige Katze, auf den Rücken der Delinquenten applicirt werden. §. 178. Breite Eückenmuskeln. Sie liegen unter allen Rückenmuskeln am oberflächlichsten. Die Mehrzahl derselben, und zwar gerade die breitesten und stärk- sten unter ihnen, gehören dem Schulterblatte und dem Oberarm an, wie der CucuUaris, Latissimus dorsi, die beiden Mhomboidei, und der 504 ®- l'S' Hri'if«' Rnckenmuskeln. Ltcvator scapulae. Die übrio^en heAve2;en die Rippen, wie die l)ei(len Serrati postici, oder (h'ii Kopt. \\ ie die Splenü. Der Kappen- oder Ka p iizcninuskel, Jfuscuhis CHCiilhiris s. trapeziiis entspringt von der Linea semicircularis Kuperior nud der Pro- tulwrantia externa des lliiit('ili;m[)tl)ein.s, yom. Ligamentum nuehae, den Spitzen der Dorntortsätze des siebenten Halswirl)els und aller IJrustwirbel (zuwt'ilen mit Ansnalune des letzten, oder der beiden letzten). In den Zwischenräumen je zweier Dornspitzeu dienen die lApamenta interspinal iit d«'n Fasern dieses Muskels zum Urspruus^e. Von dieser langen Ursprungsbasis laufen die einzelnen Uündel con- vergirend zur Schulter, wo sieh die oberen an den hinteren Kand der Sflina seapnlae in seiner ganzen Län<^e, ferner an den inneren Rand des Akromion, und ausserdem noch an das Schulterende des Schlüsselbeins ansetzen, während die unteren nur von der inneren Hälfte der Spina seapulae Besitz nehmen. Es kann sonach der IVIuskel die äussere Hälfte der Spina heben, und die innere senken, was zu einer Drehung des Schulterblattes um eine horizontal von vorn nach liinten gehende Axe fülirt. Bei dieser Drehung geht der untere Schulterblattwinkel nach aussen, der obere äussere, welcher die Gelenkfläche trägt, nach oben. Bilateral wirkend, nähert er die beiden Schulterblätter. — Oefters gesellen sich vom Kopfursprung des CiiruUaris abgeb'iste Fleischbündel der Portio elavicularis des K(ti)fnickers l)ei. Der Kopfursiirung des CucullarU wird von dem von F. E. Schulze in Rostock 1865 entdeckten Musculus transversus nuchae (§. 158, A, Note) überlagert. Die Convergenz der Fleiscliliündel des Tnipezius bedingt eine dreieckige Gestalt dieses Muskels. Hat man beide Cv^uUares präparirt vor sich, so bilden die mit ihren langen Basen an einander stussenden Dreiecke ein ungleichseitiges Viereck, woher der Name Musculus tmpezius abzuleiten ist, welcher Name somit nicht auf einen, sondern auf beide Cucullares zusammen genommen passt. — Der lange, untere, spitzige Winkel dieses Vierecks, welcher den gleich zu erwähnomlen Lntisshuus dorsi überlagert, ähnelt dem Zipfe einer zurückgeschlagenen [Mönchskappe (CucuUus), daher die Benennung Musculus cucullaris. CucuUus war ursprünglich eine Papierdüte. deren sich die Krämer be- dienten (cucullus piperis, Mart. Ep. 111, 2J. AVegcn Aelinlichkeit mit dieser kegelförmigen Düte wurde auch die Kapuze am Soldatenmantel fsrigumj, am Reisekleid (pamula), am Winterkleid flacernaj, und im ]\Iittelalter an der Münchskutte, cucullus genannt. So gab Spigelius diesen Namen dem ersten Rückenmuskel, „quia, cum conjuge suo, cucullum monacJwrum non inepte ex- primir. Er sclireibt ihn aber sehr unrichtig Ckicularis, Avas nidit sein darf, da euculus Kukuk. und bei Plautus auch Gimpel (als Schimpfwort) bedeutet. — Trapezius kommt von trnpezium, d. i. verscliobenes oder ungleichseitiges Viereck. Da aber das griechische zQäntta, Tisch bedeutet (contrahirt aus rizga und ni^a, vier Füsse), ist der Cucullaris auch zu einem anderen, und zwar sehr unpassenden Namen gekommen: 3Iusculus mensalis, Tischmuskel. §. 178. Breite Eückenmuslceln. 505 Ein unregelmässiges Viereck zur Tischplatte zu machen, ist noch keinem Tischler eingefallen. Der breiteste Rücken miiskel, Musculus latissimus dorsi, liat unter allen Muskeln die grösste Flächenausdelinung. Er ent- spring-t mit einer breiten Aponeurose, welche das oberfläehliclie oder hintere Blatt der Fascia lumbo-dorsalis bildet (Note zu §. 179), von den Dornfortsätzen der vier bis sechs unteren Brustwirbel, aller Lenden- und Kreuzwirbel, und von dem hinteren Segment des Labiwn externum der Darmbeincrista. Der scharf abgesetzte Ueber- gang dieser breiten Sehne in Fleisch erfolgt in einer gegen die Wirbelsäule zu convexen Linie. Zu diesem sehnigen Ursprünge gesellen sich noch drei fleischige Zacken, welche von den untersten Rippen stammen und sich an den äusseren Rand des Muskels an- schmiegen. Er läuft, die hintere und die Seitenwand der Brust umgreifend, und zusehends schmäler werdend, über den unteren Winkel des Schulterblattes zum Oberarmknochen, bildet die hintere' Wand der Achselhöhle, und inserirt sich mit einer ungefähr zoll- breiten, platten Sehne, an die Spina tuherculi minoris. Die End- sehne des Musculus teres major legt sieh an jene des Latissimus an, und es wäre gar nicht unpassend, den Teres major, welcher vom unteren Winkel des Schulterblattes entspringt, als die Scapular- portion des breitesten Rückenmuskels anzusehen. — Die Wirkung des Latissimus gestaltet sich ebenso mannigfaltig, wie jene des Pectoralis tnajor, und hängt von der Stellung des Armes ab. Den herabhängenden Arm zieht er nach rückwärts, und nähert die Hand dem Gesässe zu einem gewissen Zweck, welchen man anständigen Lesern nicht näher zu bezeichnen braucht, woher sein obscöner älterer Name: Tersor s. Scalptor ani („2(rsfra^ermäu5letn" im Heister) stammt. Spigelius sagt in dieser Beziehung: „dbsque hoc musculo id officium haud exhiheretur" . Seine interessanteste Varietät besteht in einer Verbindung seiner End- sehne mit der Sehne des grossen Brustmuskels, durch ein über die Armnerven und Gefässe weglaufendes fleischiges Bündel, — eine Einrichtung, welche beim Maulwurf und in der Classe der Vögel wiederkehrt. — Es giebt noch eine zweite, und zwar constante Verbindung zwischen der Sehne des Latissimus und dem langen Kopfe des Triceps brachii. — Zwischen der Sehne des La- tissimus und dem Oberarmbein liegt ein Schleimbeutel. Nach Entfernung des Cucullaris und Latissimus erscheinen: Der grosse und kleine rautenförmige Muskel, Musculus rhomboideus Tnajor und minor. Sie machen eigentlich nur Einen Muskel aus, welcher vom Cucullaris bedeckt wird. Er entspringt von den Dornfortsätzen der zwei unteren Halswirbel und der vier oberen Brustwirbel, läuft schräg nach ab- und auswärts, und endet am inneren Rande des Schulterblattes. Ist die von den Halswirbeln f'f()(} 8. 178. Rrt>ilt' üfl.kcnmuskeln. ent.sprini;on(le Portion von dtMii Reste des Muskels diireli eine Spalte •'•etreiiiit. so nennt ni;iii sie ^/llSl•ul^(S rhonihoideus mhior s. saperior, und was übrii;' Meilit, Mi(firi(lu.t rJunnho/th'ns major s. inferior. Beide uälieru di«' Sclinlter der "Wirbelsäule, nud drehen das Scluilterl)latt in einer der ^Virkun^•s\v('ise des Cucullaris entgeg-eugesetzteii Richtung. Der Aut'heher des Schulterblattes. Mascuhis levator sca- ptdiic, entspringt mit vier seimigen Kepfeu von den hinteren Höckern der Qnerfortsätze der vier oberen Halswirbel, und steigt zum inne- ren oberen "Winkel des Schulterblattes herab. Er hebt den inneren (d»eren Winkel des Schulterblattes, und heisst scherzweise Musaihts jHitit'iitidv ( „u nie per jocinn ita voeatus", sagt Spigelius). Bei vielen Säui>'etliieren verwächst er mit dem Serratus anticus major zu einem Muskel. Unter dem 3fi(sei(Ius rhomhoideus findet sich: Der hintere obere sä geförmige Mwakel, Masculus serratus postirus superior. Ursprung: Dorufortsätze der zwei unteren Ilals- und zwei oberen Brustwirl)el. Ende: mit vier Zacken an die zweite l)is fünfte Rippe. "Wirkung: Ri[)penheben. Weit entfernt von ihm liegt: Der hintere untere säge förmige Muskel, Musculus serra- tus postieiis inferior. Er wird ganz und gar vom Latissimus bedeckt, von dessen Ursprungssehne (Fa^cia lumbo-dorsalis) er in der Gegend der zwei unteren Brust- und oberen Lendenw'irbel seine Entstehung nimmt. Er befestigt sich, schräg aus- und aufwärts laufend, mit Itreiten, dünnen, fleischigen Zacken, an den vier letzten Rippen, welche er niederzieht. Der rieuKMi- oder bauschä iiuliche Muskel des Kopfes und Halses, Museulns splenius capitis und colli, liegt unter dem Halstheil des Cucullaris, und wird an seinem Ursprünge vom Rhom- boideus und Serratus posticus superior bedeckt. Er entspringt von den Dornfortsätzeu des dritten Halswirbels, bis zum vierten Brust- wirbel herab, steigt mit schräg aus- und auf^värts gehenden Fasern zum Hinterhaupt und zur Seite der Halswirbelsäule empor, und befestigt sich theils an der Linea semicircularis superior des Hinter- hauptes, und am hinteren Rande des Warzenfortsatzes als Splenius capitis, theils an den Querfortsätzen der zwei oder drei oberen Halswirbel als Splenius colli. Dreht den Kopf und Hals. Seine beiden Portionen werden auch als zwei verschiedene Muskeln be- schrieben. SpUnius stammt nicht von Spien, Milz, sondern von anlrjviov, ein mit Pflaster bestrichener Leinwandstreif, zum Auflegen auf Wunden und Geschwüre. Splenhnn gebrauchten die Classiker für Scbönhei tspflästerchen. Die Chi- rurgen des Mittelalters nannten ihre Leinwandbauschen und Coinpressen Sple^iia. §. 179. Lange Rückenrauskeln. 507 Den Musculus splenius mit milzähnlicher Muskel zu übersetzen, müssen wir unseren Yorfahren verzeihen, welche bessere Anatomen als Sprachkenner waren. §. 179. Lange Eückenmuskeln. Die nun zu erwälmeuden Muskeln folgen der Läng-enrielitung der Wirbelsäule. Sie liegen in den zwei Furchen eingebettet, ■svelebe zwischen den Dorn- und Querfortsätzen sämmtliclier Wirbel zu ihrer Aufnahme bereit gehalten sind. Der gemeinschaftliche Rückgratstrecker, Musculus erec- tor trunci (bei Sömmerring Opisthothenar) , entspringt mit einem dicken, fleischigen Bauche Yon der hinteren Fläche des Kreuzbeins, der Tuherositas und dem hinteren Ende der Crista ossis ilei, und den Dornfortsätzen der Lendenwirbel. Dieser Ursprung wird von einer starken, aus zwei Blättern bestehenden Scheide, Vagina s. Fascia lumho-dorsalis, umschlossen, deren innere Oberfläche selbst einige neue Ursprungsfascikel des Muskels erzeugt. Das hochliegende oder hintere Blatt der Fascia lumbo-dorsalis, kennen wir schon als die Ursprungssehne des Latissimus dorsi. Es erstreckt sich weit am Eücken hinauf, dringt unter dem Khomboideus bis zum Serratus posticus superior empor, mit dessen Ursprungssehne es verschmilzt, und setzt seinen Weg über ihn hinaus, also zwischen CucuUaris und Splenius, wo es Fascia nuchae heisst, bis zum Hinterhaupte fort. Das tiefliegende oder vordere Blatt ist viel kürzer, entspringt an den Querfortsätzen der Lendenwirbel, dient den mittleren Fleischfasern des queren Bauchmuskels, ja selbst den hintersten Fasern des inneren schiefen Bauchmuskels zum Ursprung, und füllt den Eaum zwischen der letzten Eippe und dem hinteren Theile der Darm- beincrista aus, indem es mittelst Dedoublirung, zugleich eine Scheide für den Quadratus lumborum erzeugt. Jenes Blatt, welches die Bauchfläche des Qua- dratus deckt, bildet mit seinem oberen verdickten Eande das bei der Pars costalis des Diaphragma erwähnte, äussere Ligamentum arcuatum Halleri (§. 176). — Ueber die Fascia lumho-dorsalis, und ihr Verhältuiss zu den Bauch- und Eückenmuskeln, liegt eine ausgezeichnete Arbeit von P. Lesshaft vor: Die Lumbaigegend in anatomisch-chirurgischer Beziehung, im Archiv für Anatomie und Physiologie, 1871. Während des Laufes nach aufwärts giebt der in der Vagina s. Fascia lumbo-dorsalis eingeschlossene Ursprungsbauch des gemein- schaftlichen Eückeustreckers einzelne Bündel an die Querfortsätze und die Processus accessorii der Lendenwirbel ab, und theilt sich, am ersten Lendenwirbel angekommen, in zwei Portionen, welche über den Eücken bis zum Halse hinauflaufen, und als Musculus sacro-lumhalis (äussere Portion) und Musculus longissimus dorsi (innere Portion) unterschieden werden. a) Der Sacro-lumhalis heftet sich mit zwölf sehnigen Zacken an die unteren Ränder aller Rippen in der Gregend des An- gulus s. Cuhitus costae, und schickt zuweilen eine dreizehnte Zacke zum Querfortsatze des letzten Halswirbels. Während 508 ^- ''^- !'•■>"«<' Ko.lipninusVeln. diese Zacken xn ihren respoctiven Insertionsstellen aufsteigen, erhält der Sacro-hunhd/is von (hm sechs oder sieben unteren Kijijjen Verst:ii-knni;sl)ün(lel. Seine ileiseliineu Ursprünge an den t'ünt' oth'r serhs oheren Ki|tj)en vereini<;eu sich niclit mit dem Siicro-IinitlKilts, sonchM-n treten zu einem besonderen hing- liehen Muskelkörper zusanunen, welcher sich schief nach oben und aussen zu den (J)uertortsätzen des sechsten bis vierten Halswirbels begiebt, wo er mit drei sehnigen Spitzen endet. Er bildet sonach gewissermassen eine Zugabe oder Yerlän- "•erun«»- des Sdcro-liiuilialis, und wird auch als besonderer Muskel unter dem Namen Musculus cervicalis ascenäens aufgeführt. h) Der Longissiinus dorsi steigt mit dem früheren parallel am Kücken hinauf, bezieht unconstante Verstärkungsljündel von den oberen Lenden- und unteren Brustwirbeln, welche erst gesehen werden, wenn man den Körper des Muskels auf die Seite drängt, und spaltet sich in eine Folge kurzer, fleischig- sehniger Zacken, welche theils an die hinteren Enden der Ki])pen, zunächst an ihren Tuberculis (mit Ausnahme der ober- sten »ind untersten), theils an alle Brustwirbelquerfortsätze sich inseriren. — Das obere Ende des Loutjiss'tmus dorsi geht in den j\fusculus transrersalis cervicis über, welcher von den (^uer- fortsätzen der vier oberen Rücken- und zwei unteren Hals- wirbel zu den Querfortsätzen der fünf oberen Halswirbel läuft. Die vereinigte Thätigkeit des Sacro-ltunhaUs und Lonqisshnus dorsi auf beiden Seiten richtet den gebogenen Rücken wieder auf; — auf einer Seite wirkend, krümmen diese Muskeln die Wirbelsäule nach der Seite. Der Sacro-lumhalis kann auch die Rippen beim Ausathmen herabziehen, und der Cervicalis ascendois und Trans- versiilis cervicis werden die Drehungen der Halswirbelsäule unter- stützen. Eine sorgfältige Revision dieser Muskeln, welche zur Aufstellung eines neuen Mu-iculus costalis dorsi führte, hat Luschka vorgenommen f Müller s Archiv, 1854). — Derselbe vielverdiente Anatom entdeckte in der Sacralgegend einen der Verbindungsstelle der Cnrrtvui sacraUa mit den Cornua coccygea entsprechenden subcutanen Schleinibeutel. welcher, wenn auch nicht constant, doch auch nicht zu den animialen liildungen gehnrt (Zeitschrift für rat. Med.. 8. Bd.). Nach Entfernung der Rippeninsertionen des Sacro-lumbalis kommt man zur Ansicht der Rippenheber, Levatores costarum, welche an den Spitzen der QiuM-fortsätze, vom siebenten Halswirbel bis zum eilften Brustwirbel heral), entspringen, und sich, etwas breiter werdend, an der nächst unteren Rippe, auswärts vom Tuber- culum festsetzen. Sie heissen Levatores costarum hreves. An den §. 179. Lange Eückenmuskeln. 509 unteren Rippen finden sich noeli die Levatores longi, welche nicht zur nächst unteren Rippe, sondern zur zvveitfolgenden herabsteigen. Unter dem Splenius capitis und colli, zwischen den Dornfortsätzen der Wirbelsäule und dem Transversalis cervicis, liegen drei, durch eingewebte Sehnenstreifen gekennzeichnete Muskeln: der zwei- bäuchige, der grosse und kleine durchflochtene. Der zw ei bäuchige Nackenmuskel, Musculus biventer cer- vicis, entspringt mit drei oder vier tendinösen Zacken von den Spitzen der Querfortsätze eben so vieler oberer Rückenwirbel, einwärts von den Insertionen des Longisshnus dorsi, wird bald nach seinem Ursprünge fleischig (unterer Bauch), steigt schief nach innen in die Höhe, und geht in eine zwei bis drei Zoll lange Sehne über, welche in der Gegend des sechsten Halswirbels vollkommen fleisch- los ist. Sie verwandelt sich über dem sechsten Halswirbel wieder in einen fleischigen Strang (oberer Bauch), welcher häufig eine Liscriptio tendinea zeigt, und sich zuletzt unterhalb der Linea semicir- cularis superior des Hinterhauptes ansetzt. Zieht den Kopf nach hinten. Der grosse durchflochtene Muskel, Muscidus complexus major, liegt neben dem vorigen nach aussen, und ist oft gänzlich mit ihm verwachsen. Er entspringt gewöhnlich mit sieben Bündeln von den Querfortsätzen der vier unteren Halswirbel, und der drei oberen Brustwirbel, sowie von den Gelenkfortsätzen des dritten bis sechsten Halswirbels, und endigt, mit mehreren Sehnenbündeln durchwirkt, in dem Räume zwischen der oberen und unteren halb- mondförmigen Linie des Hinterhauptbeins. Wirkt wie der Zwei- bäuchige. Der kleine durchflochtene Muskel, auch Nackenwarzen- muskel, Musculus complexus minor s. trachelo-m,astoideus (rqdj'YiXog, Nacken), liegt zwischen Complexus major und Transversalis cervicis, und kann von letzterem häufig nicht getrennt werden. Er entspringt von den Querfortsätzen und Gelenkfortsätzen der vier unteren Hals- wirbel und der drei oberen Brustwirbel, steigt gerade aufwärts, und befestigt sich am hinteren Rande des Warzenfortsatzes, Zieht den Kopf nach hinten und dreht ihn zugleich. Die Benennung Musculus complexus, soll durch pertextus ersetzt werden. Complexus ist kein Adjectiv, sondern ein Substantiv, und bedeutet Umarmung, auch Zusammenfassung, in welchem Sinne es auf einen Muskel gar nicht anwendbar ist. Kiolan hat diesen absurden Namen der Anatomie aufgebürdet. Die jetzt an die Reihe kommenden Dorn- und Halbdornmuskeln des Rückens und Nackens sind theils unter sich, theils mit ihren angrenzenden Nachbarn mehr weniger innig verschmolzen, und können deshalb nur mit grosser PräparirgeAvandtheit nach dem Texte ihrer Beschreibung dargestellt werden. 510 S. 180. Kiirzo Hötlionmusliolii. her l)nr II III ii.skcl des Ivückeu.s, Jliiscu/n.s .y>tnii/i.s dorfii, lie^t zwisclu'ii (li'iii J^onimsitnittf / iiiid den Wirlx'ldornen, — (licht ;iu letzteren. p]r kommt von den Dorutortsätzen der zwei oberen Lendenwirliel niid der drei unteren Bru.stwirl)el, *>;eht am I )ornt'ort.satze des nennten Hrnstwirltels vorbei, und setzt .sicli ;in die darüber tollenden Dornen bis zum zweiten Brustwirbel liinauf fest. Er lässt sicli <>eAV(tlinlicli nur scliwer und künstlicli vom Lon- l/issintu/i iforsi und vom Multifulus spinae trennen, welchen er bedeckt. Hilft die Wirbelsäule strecken. Der Halbdornmuskel des Kückens, J/il-^cuIus semispiitnlii>' ilomi, entspringt mit sechs langen, sehnigen Fascikeln von den Quer- fortsätzen des sechsten bis eilt'ten Brustwirbels. Die Ursprungssehnen sanuneln sich zu einem flachen Muskelbauch, welcher sich nach oben und innen in sechs Spitzen auszieht, welche mit platt rund- lichen Sehnen sich an den Dornfortsätzen des letzten Halswirbels und der fünf oberen Brustwirbel inseriren. Er unterstützt die Seit- wärtsbiegung und vielleicht die Axendrehung der Wirbelsäule. Der Dornmuskel des Nackens, Musculus spinalis cervicis, verhält sieh durch Lage und Wirkung zur HalsAvirbelsäule, wie der Spinalis dorsi zur Brustwirbelsäule. Man kann seiner häufigen A ariationen wegen von ihm nur ungefähr sagen, dass er von den Dornen der unteren Halswirltel und einiger oberer Rückenwirbel seine Entstehung nimmt, um sich an den Dornen der oberen Hals- wirbel, vom zweiten an, zu befestigen. Er streckt den Halstheil der Wirbelsäule. Der Halbdornmuskel des Nackens, Musculus semispinalis cervicis, zeigt uns eine Wiederholung des Semispinalis dorsi am Halse. Er wird vom Biventer cervicis und Complexas major bedeckt, und deckt selbst den Spinalis cervicis und den Multifidus spinae. Er entspringt von den Spitzen der Querfortsätze der oberen Rücken- wirbel, läuft schräge nach oben und innen und befestigt sich mit vier sehnigen Zacken an die Dornfortsätze des zweiten bis fünften Halswirbels. Da die Eiditung seiner Fasern mit jener des Semispinalis dorsi ganz übereinstimmt, und .sich sein unterstes Bündel an das oberste des letzteren anschmiegt (was aber nicht immer der Fall ist, indem Ein Wirbel zwischen beiden frei bleiben kann), so Hessen sich der Semispinalis dorsi und cervicis in Einen Muskel vereinigen. §. 180. Kurze Rückenmuskeln. Den Nachtrab dieses zahlreichen Heeres von langen Rücken- iniiskeln bilden die kurzen. Ihre Bearbeitung an der Leiche ist der mühsamste Theil der Anatomie der Rippenmuskeln. Sie liegen, bedeckt von den langen Rückenmuskeln, unmittelbar auf den Wir- §. 180. Kurze Kiickeumuskelu. öll beln auf, und bilden kurze, fleiscliig-selinige Muskelkörper, welcTie entweder zwisclieu je zAvei Wirbeln sicli wiederlioleu, oder einen Wirbel, seltener zwei, überspringen. Der vielgetheilte Rückenmuskel, Musculus multißdüs Spinae, führt einen Beinamen, welchen einst auch die vielarmige Donau trug: multifidus Ister, bei Martial. Er soll eigentlich nur als eine Succession vieler kurzer und schiefer Muskelbündel aufgefasst werden, welche von den Gelenk- und Querfortsätzen unterer Wirbel zu den Dornfortsätzen oberer Wirbel hinziehen. Die ürsprungs- stellen dieser zahlreichen Bündel sind: a) am Kreuzbeine: die Cristae sacrales lateixdes, ß) an den Lendenwirbeln: die Processus accessorn imd obliqui, y) an der Brust: die oberen Ränder der Quer- fortsätze, S) am Halse: die Grelenkfortsätze der vier unteren Hals- wirbel. Von jedem dieser Punkte treten Muskelbündel ab, welche theils zum nächst darüber liegenden Dornfortsatze, theils zum zweiten, auch dritten oberen Dorne (bis zum zweiten Halswirbel hinauf) schräge aufsteigen. Jene tiefgelegenen Bündel des Multifidus spmae, ■welche fast quer von ihren Ursprungspunkten, zum unteren Eande des Bogens und zur Basis des Dornfort- satzes des nächst darüber liegenden Wirbels sich erstrecken, wurden von Theile als ßotatores dorsi beschrieben. Es ist klar, dass, je mehr die Eichtung eines Bündels sich der queren nähert, seine Zusammenziehung desto leichter eine Drehung des darüber liegenden Wirbels auf dem darunter liegenden bewirken, und dass, je schiefer die Bündel aufsteigen, ihre Wirkung desto mehr auf ein Strecken der Wirbelsäule abzielen wird. Die Zwischendornmuskeln, Musculi interspinales, finden sich, mit Ausnahme des zweiten oder dritten bis zehnten Brust- wirbels, zAvischen je zwei Dornfortsätzen. Sie sind, wo sie vor- kommen, immer paarig, und werden durch die Zwischendornbänder von einander gehalten. An den Halswirbeln lassen sie sich, wegen der gabeligen Spaltung der Dornfortsätze in zwei Höcker, am besten darstellen. Die Zwischenquerfortsatzmuskeln, Musculi intertransver- sarii, füllen den Zwischenraum zweier Querfortsätze aus. Am Halse treten sie am entwickeltsten auf und kommen auf beiden Seiten doppelt vor, als antici und postici, indem sie an den vorderen und hinteren Schenkeln der durchbohrten Querfortsätze entspringen und endigen. An der Brust fehlen sie für die oberen Brustwirbel gänz- lich und treten zwischen den unteren nur einfach auf. Am Lenden- segment der Wirbelsäule werden sie wieder doppelt. Die vorderen liegen hier zwischen je zwei Querfortsätzen (Processus costarii), die hinteren zwischen je zwei Processus obliqui. In einzelnen Fällen findet sich zwischen der hinteren Fläche des letzten Kreuzwirbels und dem letzten Steissbeinstücke ein paariger sehniger Muskel- 512 S. ISO. Kurze ünckenmuskelii. stranp. als Wicibrliolnnp «ics Itii iiitliiin-n Säugethifiiii viirkoiiiiiu'inlou Sarro- cocrygeu» fnnticuti .y. JCuteriKor rorrii^iis. Scltenor stillt siili aurli ein Curvator foren. Eincin für die oberen lind unteren Gliedniassen i>-eltenden Gesetze zufulj^e, ist die Haut an der Streckseite säinnitliL'lier Gelenke derber und dicker, an den Beug-estellen um so feiner und /;irrei\ je tiefer i^eliöhlt diese sind. Sie wird somit in der Aeliselj;rul)e feiner, als im EUbo^enbug-, und in diesem wieder dünner, als an der Beugeseite der Handwurzel >eiu. An letzterer Stelle fällt eine, den Vorderarm von der Hand trennende, nach unten convexe Hautfurche auf, welche bei der Beuguu!;- der Hand tiefer wird, und selbst bei grösster Streckung der Hand nie ganz verschwindet. Bei neugeborenen Kindern, sowie an fettreichen oib'r hydropischen Armen, erscheint die Furche be- sonders ausgeprägt, so dass die Carpalgegend das Ansehen bekommt, als wenn sie mit einem Faden umschnürt wäre. Diese Furche — die Basceta^) der Chiromanten — entspricht genau der Articulation zwischen A^orderarm und erster Handwurzelreihe. Unter ihr fühlt man die harten Eiidnentiae carpi, auf welche die muskulösen Wülste des äusseren und inneren Handballens (Thenar und Hypothenar) folgen. Der Tlwnav und Ilypothenar bilden beim Hohlmachen der Hand die seitlichen Begrenzungen einer seichten Vertiefung, in welcher mehrere, auch bei flach gemachter Hand fortbestehende Furchen auffallen. Diese Furchen verkünden dem Aberglauben das Schicksal des Menschen; dem Anatomen aber sind sie, ihrer con- Ntanteu Beziehung zu gewissen tief liegenden Gebilden der Hohl- hand wegen, kennenswerth. Sie entstehen keineswegs durch Knickung der Haut, in Folge des öfteren Hohlmachens der Hand, denn sie >ind schon im' Embryoleben mit derselben Schärfe gezeichnet, wie im Erwachsenen. Die den Fingern am nächsten gelegene Hohlhand- furche heisst Linea mensaUs, geht zwischen Zeige- und Mittelfinger aus und endet am Ulnarrande der Hohlhand. Sie entspricht der Artkidatio inetacarpo-phdlangea der drei letzten Finger. Die zweite, Linea vitalis genannt, beginnt zwischen Daumen und Zeigefinger, und zieht durch die Hohlhand nach aufwärts, um in der früher erwähnten Grenzfurche zwischen Vorderarm und Hand zu endigen. Sie umkreist den Daumenballen und führt, wenn man an ihrem oberen Ende einschneidet, auf den Mediannerv. Scharfes Ausgeprägt- sein dieser Furche verheisst ein langes Leben, inde nomen. Die erste und zweite Furche kehren sich ilu-e convexen Seiten zu, welche entweder durch zwei kleinere, im Winkel zusammenlaufende, manchmal sich kreuzende Furchen vereinigt werden und beiläufig die Gestalt eines M annehmen, oder un vereinigt bleiben, und eine dritte Furche ZAvischen sich aufnehmen, welche mit der zweiten Im Aviceuua und bei den Arabisten erscheint die Handwurzel al.s Rasceta. §. 181. Allgemeine Betrachtung der Form der oberen Extremität. 515 gemeinscliaftliclien Ursprung" hat, und nicht ganz bis zum Ulnarrand der Hand yerläuft. Wenn man in ihr einschneidet, kommt man auf die Ursprünge der Musculi lumbricales. Die Dorsalseite der Hand lässt bei dürren Händen die Sehnen sämmtlicher Streckmuskeln der Finger absehen. Spannen diese sich an, so entstehen Gruben zwischen ihnen. Bei schönen Händen muss der Ulnarrand gerade, nicht durch ein vorspringendes Capitulum ossis metacarpl digiti minimi höckerig aufgetrieben sein; die massig konisch zulaufenden Finger müssen, wenn sie aneinander gelegt werden, mit ihren Spitzen etwas convergiren; man darf weder Muskelsehnen, noch blaue Venen am Handrücken sehen, und an jeder Articidatto metacarpo-phalangea soll bei der Streckung der Finger ein kleines Grübchen einsinken. — Derlei Angaben inter- essiren mehr den Maler als den Anatomen. Das subcutane Bindegewebe zeigt sich an der vorderen und hinteren Gegend der Schulter gleich lax, und adhärirt fester an die Haut, als an die unter ihm liegende Fascie. Es kann sich ziemlich reichlich mit Fettcysten füllen, bleibt jedoch über den Knochen- vorsprüngen auch bei grosser Wohlbeleibtheit fettarm. Am Akro- mion nimmt es zuweilen eine subcutane Bursa mucosa auf, welche nach meinen Erfahrungen bei Individuen, welche häufig Lasten auf den Schultern, oder mittelst breiter Schulterbänder auf dem Eiicken tragen, nie fehlt. Am Oberarme lagert sich Fett bei Kindern nnd Weibern in den Furchen zwischen den Muskeln copiöser ab, und rundet dadurch die Form der Gliedmasse. Schwindet es durch harte Arbeit oder colliquative Krankheiten, so treten die Muskelstränge deutlicher hervor, was besonders vom zweiköpfigen Armmuskel gilt, an dessen äusserer und innerer Seite ein longitndinaler Eindruck entsteht, als Sulcus hicipitalis eocternus und internus. In der Achsel verschmilzt das subcutane Bindegewebe mit der Fascie und bleibt fettarm, nimmt dagegen Lymphdrüsen in grösserer Menge auf. In seinen tieferen Schichten verlaufen die subcutanen Gefässe und Nerven. Von diesen sind besonders die Venen bemerkenswerth, welche bei ungewohnter Anstrengung und bei Athmungshindernissen turgesciren, als blaue Wülste ihren Lauf durch die Haut verrathen, und deshalb allgemein in der Ellbogenbeuge zur Vornahme der Aderlässe benützt werden. Am Olekranon bleibt das subcutane Bindegewebe fettlos, und zeigt daselbst einen subcutanen Schleim- beutel, welcher, wenn er durch Exsudat anschwillt, eine äusserlich sichtbare GescWulst bildet, die unter den Arbeitern in den engli- schen Kohlengruben häufig vorkommt, und dort unter dem Namen ihe miners elbow bekannt ist. Gegen den Carpus vermindert sich der Fettreichthum des subcutanen Bindegewebes, und ist am Kücken 33* .",16 S. 182. Mnslceln an der Schnlter. der Hand iimiwr geringer, als in der Hohlhand. — Unter dem sub- cutanen Rindegewehe folgt eine dünne, fettlose F(uci} Zweite Schichte. Der h o c h 1 i e g e n d e F i n g e r b e u g e r, Musculus flexor digitorum snhliniis s. perforatus, entsteht vom Condylus internus humeri, vom inneren Seitenbande des Ellbogengelenks, von der inneren Fläche des Kronenfortsatzes der Ulna, und vom Radius unterhalb seiner Tuberosität bis zur Insertionsstelle des Pronator teres herab. Der Fleischkörper des Muskels theilt sich gegen das untere Drittel des Vorderarms in vier spindelförmige Stränge, welche in verschiedener Höhe sehnig werden. Die Sehnen treten unter dem queren Hand- wurzelbaude in die Hohlhand herab, w^o sie divergirend zum zweiten bis fünften Finger laufen. Am ersten Gliede des betreffenden Fingers wird jede Sehne durch einen Längenschlitz gespalten, zum Durchgang der Sehne des tiefliegenden Beugers. Die Spaltungs- schenkel vereinigen sich am zweiten Gliede wneder so mit einander, dass ihre inneren Fasern sich kreuzen (Chiasma Camperi, von liu^fo, kreuzen), trennen sich aber neuerdings, um sich am Seitenrande des zweiten Gliedes zu inseriren. Zuweilen fehlt die Sehne für den kleinen Finger, oder befestigt sich, nicht gespalten, am Radialrande des zweiten Gliedes dieses Fingers. Ich sah die fehlende Sehne für den kleinen Finger durch einen kurzen, wurmförmigen, vom queren Handwurzelbande entsprungenen Muskel ersetzt, dessen Sehne durch jene dej; tiefliegenden Beugers des kleinen Fingers perforirt wurde. §. 184. Muskeln am Vorderarme. o25 Dieser kleine Muskel wird dadurch besonders interessant, weil in ihm eine Erinnerung an das Verhältniss des hoch- und tiefliegenden (langen und kurzen) Zehenbeugers geboten wird (§. 196 und 197). In der Eegel schickt das Fleisch des hochliegenden Fingerbeugers jenem des tiefliegenden, oder des Flexor polUcis longus, ein Bündel zu. g) Dritte Schichte. Der tiefliegende Finge rbeiiger, Musculus flexor digitorum profundus s. perforans, übertrifft den vorigen an Stärke. Er ent- springt von den zwei oberen Dritteln der inneren Fläebe der Ulna, sowie aneb vom Ligamentum interosseum. Unbeständige Fleiscb- bündel, welcbe von der inneren Fläche des Radins entstehen, gesellen sieb diesem Ursprünge des Muskels bei. Der biedurcb gebildete flache nnd breite Fleisehkörper spaltet sich etwas weiter unten, als der hochliegende, in vier Sehnen, w^elche auf dieselbe Weise, wie die Sehnen des hochliegenden Beugers verlaufen. Die Sehnen, welche zum Mittel-, Ring- und kleinen Finger ziehen, tauschen, während des Durchtritts unter dem queren Handwurzelbande, einzelne Faser- bündel gegen einander aus, während die für den Zeigefinger be- stimmte Sehne sich in diesen Austausch nicht einlässt. Am ersten Fingergliede schieben sich diese Sehnen durch die Spalte der Sehnen des hochliegenden Beugers durch, und endigen am dritten Grliede, welches sie beugen. Zahlreiche Yarietäten im Verhalten der Beugesehnen der Finger wurden von W. Turner beschrieben (Transactions of the R. S. of Edinburgh, Vol. XXIV). Beim Eintritt in die Hohlhand entspringen vom Radialrand der Sehnen des tiefliegenden Beugers die vier spulenförmigen Regen- wurmmuskeln, Musculi lumbricales, welche zu den Radialrändern der ersten Fingerglieder laufen und hier die Hohlhand verlassen, um in die Rücken aponeurose der Finger überzugehen. Von den alten Anatomen wurden sie Musculi fidicinales, Greigermuskeln, genannt. Hat man einen derselben, am besten jenen des Zeigefingers, bis in die Rückenaponeurose des Fingers verfolgt, und zieht man an ihm, so findet man, dass die Wirkung dieses kleinen Muskels in einer Beugung der Phalanx prima und in gleichzeitiger Streckung der Phalanx secunda und tertia besteht, eine Bewegung, welche der Finger bei der Führung der Haarstriche während des Schreibens und beim Austheilen von Nasenstübern macht. Der lange Beuger des Daumens, Musculus flexor pollicis longus, liegt auswärts von dem tiefen Fingerbeuger, wird von ihm durch den Nervus interosseus und die Arteria interossea getrennt, nimmt seine Entstehung an der inneren Fläche des Radius, von der Insertionsstelle des Biceps angefangen, bis zum unteren Drittel des r)2(') 5. 184. Muskeln am Vorderarme. Knochens lieral), erhält meistens vom hochliegenden Fingerbeiiger ein Fleischhündel zug-eschickt und geht, nachdem er sehnig- ge- worden, mit den übrigen Bengesehnen unter dem Ijuiainentnin carpi trauiwersmii zu in ersten Danmengelenke, wo er zwischen den beiden hier Ix'iindlit-hen Sesambeinchen desselben an die zweite Phalanx tritt, an welcher er endet. — Drängt mau am unteren Ende des Vorderarms seine Sehne aou jenen des tiefliegenden Beugers weg, so geräth mau auf: Den viereckigen Einwärts dreh er, Jftisculus pronator qua- (InitKs (Pro)Hitor transverisua WinsloAv), welcher an der inneren und hinteren Fläelie des unteren Endes der Ulna entspringt, dieses Ende umgreift, und über das Lhjumentum interossenm (juer zum unteren Ende des Radius herüber läuft, an dessen innerer Fläche er endigt. — Wir erblicken in ihm einen Ueberrest jenes Muskels, welcher bei vielen Fleischfressern die ganze innere Fläche der A Orderarmknochen einnimmt. Der Muskel ist rtich an Varietäten, welche Macalister zusammen- stellte (Journal of Anat., VII.). Man niuss gestehen, dass seine Wirkungs- weise als Pronator nichts weniger als einleuchtend erscheint. Der Muskel krümmt sich ja nicht um das untere Ende des Eadius herum, wie es bei einem Pronator der Fall sein müsste, sondern um jenes der Ulna, welche nicht ge- dreht werden kann. il) h^ ihr Öse und Sj/novialscheideu der Sehnen und Fhigerheuger. Das Convolut der Sehnen der Fingerbeuger wird während seines Durchganges unter dem Litjamentum carpi traitsversum, von einer weiten, mehrfach gefalteten Synovialscheide eingehüllt. Diese bildet für jede einzelne Sehne einen besonderen Ueberzug, welcher bis zum Ursprünge der Lumbricalmuskeln reicht. Es wurde behauptet, dass der Synovialsack, welcher sämmtliche Beuge- sehnen unter drm queren Haudwurzelbande einhüllt, sich nur in die Synovial- auskleidung der fibrösen Scheiden der Beugesehnen des Daumens und kleinen Fingers, aber nicht der übrigen Finger, ununterbrochen fortsetzt. Denn, wenn man die dritten Phalangen aller fünf Finger einer Leiche amputirt, und Wasser in den Synovialsack unter dem queren Handwurzelbande einspritzt, strömt dieses nur aus den Stümpfen des klfinen Fingers und des Daumens, nicht aber aus denen der drei mittleren Finger aus. Gilt, meinen Erfahrungen nach, nicht als allgemeine Regel. Ebensowenig allgemeine Geltung hat es, dass die Sehne des langen Beugers des Daumens nicht in dem Synovialsack der übrigen Beuge- sehnen liegt, sondern eine besondere Synovialscheide besitzt. Die Sehnen des Flexor perforans und perforatus jedes Fingers werden durch eine starke fibröse Seheide an die untere Fläche des Fingers angedrückt erhalten. Sie haftet an den Radial- und Ulnar- randern der einzelnen Phalangen, und erzeugt sonach mit der unteren Fläche der Phalangen einen Kanal mit zur Hälfte fibröser, zur Hälfte knöcherner Wand, in welchem die Beugesehnen bei der §. 184. Muskeln am Vorderarme. ^)27 Beugung und Streckung der Finger gleiten. Der Kanal ist mit Sy- novialmembran ausgefüttert. Die fibröse (untere) Wand des Kanals wird durch Querspalten in melirere Stücke getlieilt, deren Ränder sieh bei der Beugung des Fingers einander näkern und bei der Streckung A^on einander entfernen. Ein ununterbrochener fibröser Halbkanal hätte bei der Beugung des Fingers stellenweise einge- knickt werden müssen. — Die einzelnen Stücke der Scheide nehmen nach der Richtung ihrer Fasern den Namen der Querbänder und Kreuzbänder an. Fehlt an einem Kreuzband einer der beiden Schenkel, so heisst der noch übrig bleibende: schiefes Band. — Die Synorialhaut, welche die innere Oberfläche des theils knöchernen, theils fibrösen Kanals an der Yolarfläche der Finger auskleidet, sendet faltenförmige Verlängerungen, welche Retinanda heissen, zu den im Kanal liegenden Beugesehnen, um auch diese zu umhüllen. Längs der Eetinacula ziehen feine Blutgefässe Ton der Beinhaut zu den Sehnen. JRetinacuhon war bei den Römern das Tau, durch welches Schiffe am Ufer befestigt wurden. Die Eetinacula sind Ueberreste einer in den ersten Entwicklungszeit- räumen stattgefundenen Einstülpung der Synovialhaut der Scheide durch die Beugesehnen. Sie finden sich regelmässig vor, sind am ersten Fingergliede breiter und stärker und enthalten immer auch sehnige Fasern, welche das Periost der betreffenden Phalanx mit den Beugesehnen in Verbindung bringen. Die Richtung der Eetinacula stimmt aber mit jener der Beugesehneu nicht überein, denn während die Beugesehnen gegen die Fingerspitzen gerichtet sind, streben die Eetinacula gegen die Basis der Finger. Sie können deshalb ganz sicher nichts für die Sicherung der Lage der Sehne in ihrer Scheide leisten, und sind nur als Bahnen für die ernährenden Gefässe der Sehnen ¥on Belang. Ebenso ungerechtfertigt muss also auch der Name erscheinen: Vincula tendinum accessoria. B. Muskeln an der äusseren und Radialseite des Vorderarms. Sie sind vorzugsweise Strecker der Hand oder der Finger und Auswärtsdreher. Ihre Richtung geht theils mit der Yorderarmaxe parallel, theils kreuzt sie diese, wie es für die drei auf der Aussen- seite des Vorderarms «'eleffenen langen Muskeln des Daumens der Fall ist, welche sich schief zwischen den Längenmuskeln gegen die Radialseite des Vorderarms hervordrängen. — An der Dorsalgegend des Carpus treten ihre Sehnen unter dem Ligamentum carpi com- mune dorsale durch, welches für je eine oder zwei derselben be- sondere Fächer bildet. Der lange Auswärtsdreher, Muscidus supinator longus, ent- springt vom unteren Dritttheile der äusseren Kante des Oberarm- beins und an dem daran befestigten Ligamentum intermusculare eocter- num, hält sich an die Radialseite des Vorderarms imd endet am unteren Ende der Armspindel, über dem Processus styloideus. Ist die 528 S. 184. Mnslioln am Vordorainic. Ann.spindcl tuicli einwärts g-edroht (pronirt), so erscheint der Muskel in einer weiten Spiraltour um den Radius wie lier um gelegt, bei supinirtem Radius dagegen geradlinig. Er wird somit nur bei der ersteren Stellung des Radius als Supinator wirken können. Bei der zweiten Stellung unterstützt er die Beugung des Ellbogens. — In- dem die Auswärtsdrehung des Radius den Handteller nach oben richtet, wie beim sogenannten Handaufhalten der Bettler, führte der Muskel vor Alters den nicht unpassenden Namen Musculus paiiperum .y. mendirantlion. — Sehr häufig gehen einige Fleisch- fasern des Brachidlis internus in den Ursprungsbauch des Supinator longus über. Da die Arteria radialis sehr constant längs des inneren Randes des Supinator longus verläuft, nannte Cruveilhier diesen Muskel: Musculus satelles arteriae radialis. — Der innere Eand des Supinator longus bildet mit dem oberen Rande des Pronator teres die Seiten einer nach unten spitzig zulaufenden, dreieckigen Grube, Fovea s. Plica cuhiti, deren Grund den Inser- tionsstellen des JBicejys und Brachialis internus entspricht. Sie wird von der Fascia antibrachii und dem Lacertus fibrosus der Bicepssehne überdeckt, und sohliesst die Arteria brachialis, nebst ihren beiden begleitenden Venen und dem Nervus medianus ein. Die Arteria brachialis liegt am inneren Rande der Sehne des Biceps auf dem Brachialis internus, und theilt sich hier in die Arteria radialis und den kurzen gemeinschaftlichen Stamm der Ulnar- und Zwischen- knochenarterie. Der Nervus medianus liegt an der inneren Seite der Arteria brachialis. Der kurze Auswärtsdreher, Musculus supinator brevis, wird vom Sujyinator longus und den beiden äusseren Speicheumuskeln bedeckt, entspringt vom Condylus externus brachii und von dem Ringbande des Radius, schlägt sich mit oberen queren und unteren schiefen Fasern um das obere Ende des Radius herum, und be- festigt sich an der inneren Fläche desselben unter der Tuberositas. Er umgreift, wenn der Arm sich in der Pronationsstellung befindet, drei Viertheile der Peripherie des Radius, und ist deshalb der ein- fiussreichste und am günstigsten Avirkende Auswärtsdreher desselben. Er wird, wie so viele andere Muskeln der oberen Extremität, von einem Nerven, dem Ramus profundus nervi radialis, durchbohrt, und kann bei stärkerer Entwicklung der Durchbohrungsspalte auch doppelt werden. Der lange und kurze äussere Speichenmuskel, Musculus rarlialis eoctet^us longus und brevis, s. Extensor carpi radialis longus und hrevis, liegen neben dem Supinator longus und haben mit ihm gleicbe Richtung. Der lange entspringt über dem Condylus e.iiemus hrachii, von der äusseren Kante dieses Knochens, unmittelbar unter dem Ursprünge des Supinator longus; der kurze kommt vom Con- dylus externus selbst und vom Ringbande des Radius. Beide gehen, parallel mit dem Radius, auf der Aussenfläche des Vorderarms herab, wobei der lange den kurzen bedeckt, passiren ein ihnen §. 184. Muskeln am Vorderarme. 529 gemeinscliaftliclies Fach unter dem Ligamentum carpi dorsale, und befestigen sicli, der lange an der Basis des Metacarpus indicis, der kurze an derselben Stelle des 3Ietacarpus digiti medii. Sie strecken die Hand und adduciren sie; letzteres besonders, wenn sie mit dem Radialis internus gleichzeitig wirken. Der gemeinschaftliche Fingerstrecker, Musculus extensor digitorum communis, entsteht, mit dem kurzen Speichenmuskel ver- wachsen, vom Gondylus externi(s humeri und der Fascia antibrachii, und trennt sich in der Mitte des Vorderarms in vier Bäuche, welche bald plattsehnig werden. Die vier Sehnen bleiben bis über die Hand- wurzel hinaus mit einander parallel, passiren ein für sie allein bereit gehaltenes Fach unter dem Ligamentum carpi dorsale, divergiren sodann am Handrücken, wo sie durch breite Zwischenbänder unter sich zusammenhängen, und gehen am Rücken des ersten Finger- gliedes in eine Aponeurose über. Diese ist mit der Streckseite der Kapseln der Articulationes metacarpo-phalangeae innig verwachsen, wird durch die seitlich an sie herantretenden Sehnen der Musculi interossei und lumhrlcales verstärkt, und spaltet sich auf dem Rücken der ersten Phalanx in drei Schenkel, deren mittlerer und zugleich schwächster am oberen Ende der zweiten Phalanx angreift, während beide seitlichen an den Seiten der dritten Phalanx sich befestigen. Der Muskel streckt vorzugsweise das erste Fingerglied. Die Zwisclienb ander der Sehnen des gemeinschaftlichen Fingerstreckers am Handrücken variiren in Hinsicht ihrer Lage, Breite und Stärke. Am stärksten und constantesten trifft man die Verbindung der Strecksehne des Eingfingers mit jener des kleinen und des Mittelfingers. Dieses erklärt uns, warum man, wenn alle Finger zur Faust eingebogen sind, den Eingfinger allein nicht vollkommen strecken kann. Zwischen der Strecksehne des Zeigefingers und jener des Mittelfingers fehlt in der Eegel das Zwischenband. — In diesen Zwischenbändern der Strecksehnen der einzelnen Finger liegt auch die Schwie- rigkeit, die Finger der auf eine Tischplatte flach aufgelegten Hände einzeln und schnell nach einander zu strecken. Uebung und Geduld führen erst nach vielen misslungenen Versuchen zum Ziele. Der eigene Strecker des kleinen Fingers, Musculus ex- tensor digiti minimi, ist an seinem Ursprünge mit dem gemeinschaft- lichen Fingerstrecker, an dessen Ulnarseite er liegt, verwachsen, und geht am unteren Ende des Vorderarms in eine dünne Sehne über, welche ein eigenes Fach des Ligamentum carpi dorsale für sich in Anspruch nimmt, und längs des Metacarpus digiti ■minimi zur vierten Sehne des Extensor communis tritt, um mit ihr mehr weniger vollkommen zil verschmelzen. Er fehlt zuweilen, wo dann die vom Extensor communis stammende Strecksehne des kleinen Fingers doppelt wird. Seine Sehne kann sich auch in zwei Schnüre theilen, welche an den Eing- und kleinen Finger treten (Säuge- thierbildung). — Man sollte glauben, dass der Besitz eines Extensor proprius Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl. 34 530 i*' '8*- Miiskolii am Vorderarme. diu\ kliiiioii Killger oino gewisse Selbstständigkeit in i::('ninuskel, Mvscvlvs idnaris crternus n. E,vteniie nun zu beschreibenden sind zwischen sie eingeschaltet, drängen sich schief zwischen ihnen aus der Tiefe empor und kreuzen somit ihre Richtung. Der lange Abzieher des Daumens, Musculus abductor pol- licin longuK, platt und ziemlich stark, taucht zwischen Eoctensor digi- torum comtnunin und den beiden Radiales e.vterni auf, entspringt vom mittleren Theile der äusseren F'läche der Ulna, des Ligamentum interossetnii und des Radius, läuft, nachdem er allmälig sehnig ge- worden, zugleich mit der dicht an ihm liegenden Sehne des Ew- tt'ii.ior pollififi l>i\'vis, ül)er die Sehnen der beiden Radiales edterni schief nach vorn und unten, und befestigt sich an der Basis des Metacarpus des Daumens. Eine P^lrche an der Aussenfläche des unteren Radiusendes leitet die Sehne dieses Muskels zu dieser Insertionsstelle. Seine Sehne schickt nicht selten ein Fascikel zum Os umltangtdum mnjus oder zum Ahductor polliris brevis, selbst zum Opponens. Zuweilen sieht man ihn, seiner ganzen Länge nach, in zwei Muskeln getheilt, von welchen die Sehne des schwächeren sich unmittelbar in das Fleisch des Abductor poUicis brevis fortsetzt. Der kurze Strecker des Daumens, Muscidvs extensor pol- licis brevis, kürzer und schwächer, spindelförmig, liegt an der ülnar- seite des vorigen, mit welchem er gleichen Ursprung und Verlauf hat. Schickt seine Sehne zur Aponeurose auf der Dorsalfläche der ersten Phalanx des Daumens. Man sieht am Präparat, dass er und sein Vorgänger, bei der Pronations- stellung der Hand, das untere Ende des Radius spiral umgreift. Sie können somit durch ihre Action die Auswärtsdrehung der Hand unterstützen, wenn §. 184. Jlusteln am Vorderarme. odl diese kräftig ausgeführt werden soll, wie beim Eintreiben eines Bohrers, oder beim Aufsperren eines verrosteten Schlosses. — Bei sehr kräftigen, sowie bei sehr abgezehrten Armen lebender Menschen sieht man, während der Daumen mit Kraft abducirt wird, den schiefen Verlauf der dicht aneinander liegenden Sehnen beider Muskeln ganz deutlich am unteren Ende der Eadialseite des Vorderarms, durch die Haut hindurch markirt. Der lange Strecker des Daumens, Musculus eoctensor pol- licis longus, nimmt seinen Ursprung von der Grista ulnae und dem Ligamentum interosseum. Er wird bis in die Nälie des Handgelenks vom Extensor communis digitorum, bedeckt, kreuzt mit seiner langen und starken Sehne die Sehnen der beiden Radiales externi etwas tiefer unten, als es die beiden vorhergehenden gethan haben, ver- schmilzt auf der Dorsalseite des Metacarpus poUicis mit der Sehne des kurzen Streckers, und verliert sich mit dieser in der Kücken- aponenrose des Daumens. Streckt und abducirt man den Daumen, so sieht man zwischen der Sehne des langen Daumenstreckers und jenen des Extensor hrevis und Abductor longus, eine dreieckige Grube einsinken, welche bei älteren französischen Anatomen la tabatiere du pouce genannt wird. Der eigene Strecker des Zeigefingers, Musculus indicator, liegt an der Ulnarseite des vorigen, und bedeckt ihn zum Theil; entspringt von der Crista und der äusseren Fläche der Ulna, und verschmilzt am Handrücken mit der vom Extensor communis abge- gebenen Strecksehne des Zeigefingers, Man findet seine Sehne sehr oft der Länge nach gespalten. Ein Schenkel der gespaltenen Sehne geht zum Mittelfinger, oder sendet selbst ein Fascikel zum ersten Gliede des Eingfingers. Der Muskel kann auch fehlen, und wird durch einen besonderen kleinen Muskel ersetzt, welcher vom Ligamentum carpi dorsale entspringt (Moser). Als Thierähnlichkeiten sind diese Variationen nicht uninteressant, indem bei vielen Quadrumanen der Strecker des Zeige- fingers einen Sehnenschenkel zum Mittelfinger abgiebt, oder, wie bei Cehus, ein besonderer Strecker des Mittelfingers vorkommt. Sämmtliche über die Streckseite der Handwurzel herablaufende Sehnen der eben beschriebenen Muskeln werden durch einen, sechs bis acht Linien breiten, queren Bandstreifen, — das Eückenband der Handwurzel, Ligamentum carpi commune dorsale s. armillare, — an die Knochen niedergehalten, so dass sie sich, selbst bei der stärksten Streckung der Hand, nicht von ihnen entfernen können. Ich betrachte das Ligamentum, carpi commune dorsale eigentlich nur als einen durch quereingewebte Faserzüge, welche vom GrrifFel des Kadius zum dreieckigen und Erbsenbeine herüberlaufen, verstärkten Theil der Fascia antihrachii. Yon seiner unteren Fläche treten fünf Scheidewände coulissenartig an das untere Ende der Vorderarm- knochen, wodurch sechs isolirte Fächer für die Aufnahme einzelner Sehnen dieser Gegend geschaffen werden. Diese Fächer werden vom Eadius gegen die Ulna gezählt. Sie enthalten, das erste: den 34* 532 §• 185. MiisVoln an der Hand. l:inij;eu AU/.ielicr und kiir/cn Strecker des Daumens, das /«weite: die InMden Speiclieiistrecker der Hand, das dritte: den langen nauinen>trei'ker, das vierte: den gemeinscliartliclien J^ing-erstrecker, und den eigenen Strecker des Zeigefingers, das fünfte: den Strecker des kleinen Fingers, und das sechste: den Tlnarstrecker der Hand. Sie bedingen die nnveränderliche Verlaufsriclitung der Muskeln, und erlauben ihnen keine Yerrückung, oder gegenseitige Beirrung durch Reibung. Willi (Inrch rinc ]ilützlieho forcirtc Action eines der genannten Muskeln, sein Facli zersprengt, so schnellt er sich aus seiner Lage und ist bleibend ver- renkt. — Alle Fächer sind innen mit Synovialmembranen geglättet, welche dureli ihr schlüpfriges Secret die Reibung der Selinen vermindern. Vermehrung und Verdickung ihres flüssigen Inhalts kann unmöglich die unter dem Namen der Ueb erb eine bekannten Geschwülste am Handrücken erzeugen, weil diese immer die längliehe Gestalt der betrelTenden Fächer liaben müssten. welche ihnen aber niemals zukommt. Die Ueberbeine, Avelclie ihrer Härte wegen so genannt werden, sind ganz gewiss entweder wirkliche Neubildungen (Cysten), oder abgeschnürte Aussackungen der Synovialmembran der Sehnenscheiden. — lieber die Sehnenscheiden der Beuger und der Strecker der Finger, siehe Aus- führliches bei Schüller. in der Deutschen med. Wochenschr.. ISIS, Nr. 29 — 31. Als gute praktische Uebung mag es dienen, nachdem man die Muskeln der oberen Extremität studirt hat. sich die Fragi' zu stellen und zu beant- worten, welche Muskeln beim Amputiren an verschiedenen Stellen dieser Ex- tremität durchschnitten werden müssen, und welche ganz bleil>en. Man wird daraus die Bewegungen entnehmen, deren der Stumpf nnch fällig ist. Ebenso kann man mit den I\Iuskeln der unteren Extremität verfahren. §. 185. Muskeln an der Hand. An der Hand ist nur nielir für kurze Muskeln Platz. Sie bilden drei natürliche (xruppen, deren eine die den Ballen des Daumens zusammensetzenden Muskeln, die zweite die Muskeln am Ballen des kleinen Fingers, und die dritte die zwischen die Meta- carpusknochen eingesenkten Musctdi interossei begreift. Die Spul- muskeln (Musculi /i(mhricaJes) wurden sclion beim tiefliegenden Fingerbeuger geschildert. .1. Muskeln des 1) a ii in enha Ileus, Thenar. Der kurze Abzieher des Daumens ist der äusserste, und zugleich der oberflächlichste am Ballen, entspringt vom Lif/amenhan carin transversinn, und endigt am Radialrande der Basis des ersten Gliedes des Daumens. Ein schöner myologischer Fund erregte vor Kurzem verdientes Auf- sehen. Lepine zeigte, dass auf dem Äbductor polücis brevig ein bisher unbe- kannt gebliebener Hautmuskel aufliegt, welcher von der Endsehne des Äbductor entspringt, und rückläufig in der Haut des Daunienballens sich verliert. Seine Länge beträgt drei bis vier Centinieter. Er fehlt nur selten. Wir haben ihn oftmals und von ansehnlicher Stärke gesehen. In jeder Form seines Vorkom- §. 185. Muskeln an der Hand. 533 mens erscheint er mir eigentlich als ein zweiter, aus der Haut des Daumen- ballens hervorgehender Kopf des Abductor poUicis brevis. Im Plattfuss kommt er nicht so constant vor, und steht in derselben Beziehung zum Abductor hallucis. Dictionn. des progres des seiences med., 1864. Das Wort Thenar bedarf einer Erklärung. SsvaQ, von ■d-dva, schlagen, bedeutet ursprünglich die flache Hand, mit welcher man schlägt und drückt. Gegensatz dvTi&tvaQ, Eücken der Hand, Die Fusssohle hiess •d-ivoiQ nodög, und die Grube am Altar, in welche die Opfer gelegt wurden, d-ivaQ ßcoiiov. Später bezeichnete man mit Thenar insgesammt das kurze Muskelfleisch der Hohlhand und des Plattfusses, welches man in der Kindheit der Anatomie noch nicht in einzelne Muskelindividuen zu zerlegen verstand. Man unterschied sofort an ihm einen eigentlichen Thenar (Fleisch des Daumens), einen Hypo- thenar (Fleisch des kleinen Fingers), und ein zwischen beiden liegendes v.oTlov X^i'QÖg, „Höhle der Hand", welchem man später den Namen Mesothenar bei- legte. Als man aber die Muskeln der Finger und Zehen genau isolirte, und sie nach ihrer Wirkungsart benannte (Adductor, Abductor, Flexor, Opponens), wurden die alten Namen Thenar und Hypothenar für die Gesammtheit dieser Muskeln aufgelassen, und nur für die Wülste oder Ballen beibehalten, welche die hohle Hand an der Daumen- und Kleinflngerseite begrenzen. Bei den Arabisten lese ich für Thenar auch Ir, welches Wort als Hir schon im Cicero vorkommt fFin. 2. 8, 23), und offenbar das latinisirte xhq ist. Der Gregen st eller des Daumens wird vom vorigen bedeckt, liat mit ihm g'leiclien Ursprung, und heftet sich an den Radialrand und an das Köpfchen des Metacarpas pollicis. Der kurze Beuger ist zweiköpfig. Der oberflächliche Kopf, welcher fast immer mit dem Gegensteller mehr weniger ver- wachsen ist, entsteht vom queren Handwurzelbande, — der tiefe Kopf vom Os multangulmn majus, capitatu^n und hamatum. Beide Köpfe fassen eine Rinne zwischen sich, für die Sehne des Flexor pollicis longus, und inseriren sich an beiden Rändern der Basis des ersten Gliedes des Daumens, wie auch an den beiden Sesambeinen der Kapsel des Metacarpo-Phalangealgelenkes (§. 142, C). Si parva licet componere tnagnis, entspricht nach dieser Darstellung unser Muskel dem Flexor digitorum perforatus oder sublimis der übrigen Finger, während der lange Beuger des Daumens den Flexor perfo- rans oder profundus wiederholt. Der Zuzieher des Daumens liegt tief im Grunde der Hohl- hand, bedeckt von den Sehnen der Fingerbeuger. Er lässt sich vom tiefen Kopfe des kurzen Beugers oft nicht trennen, entspringt breit vom Metacarpus des Mittelfingers, und heftet sich zugespitzt an das innere Sesambein des ersten Daumengelenks. Der freie Rand der Hautfalte, welche sich spannt, wenn der Daumen stark abducirt wird, schliesst den freien Rand dieses dreieckigen Muskels ein. B. Muskeln des Kleinfingerballens, Hypothenar. Bei der sorgfältigen Präparation der Muskeln am Kleinfinger- ballen, findet man zuerst einen im subcutanen Bindegewebe ein- r^^\ 8. isn. Miisk.'lii an ilri llan.l. "•ela<'-orteu viereckigen, und :ils J\iliiiaris hrevls l»en;mnteii Muskel vor, Avelclicr vom Ulnarrandc iKm- Aponeurouls palmai^i.s ausgeht, mit drei l>is vier (|iiergericliteteu nüiideln die Muskeln des Kleinfinger- hallens ülx'rkrenzt, und sich in der Haut am Ulnarrande der Iland verliert. Er ist es, Avelchei- durch seine C'uutractiou das melirfach grnhige P^insinken der Haut am Ulnarrantle der Hand bewirkt, ■wenn diese mit Kraft /Jir Faust geschhjsseu wird. — Nach seiner Kutferuuug- lassen sich am Kleinfingerballen noch folgende drei kh-ine Längenmuskelu isoliren: Der Abzieher liegt am Ulnarrande der Hand, entspringt vom Os luüiforine, und tritt an die Basis des ersten Gliedes des kleinen Fingers, theilweise auch zur Rückenaponeurose dieses Fingers. Der kurze Beuger geht vom queren Handwurzelbande und vom Haken des Hakeubeins zur selben Ansatzstelle, wie der vor- genannte, mit welchem er sehr häufig- verschmilzt. Aber selbst in diesem Falle deutet ein kleiner Schlitz, durch welchen' der Plohl- handast des Nei^us ulnaris und der gleichnamigen Arterie hiudurch- tritt, die Trennung- beider Muskeln an. Der Gegensteller des kleinen Fingers, unrichtig auch als Zu zieh er angeführt, entspringt wie der kurze Beuger, von welchem er bedeckt wird, ist aber mehr gegen die Mitte des Handtellers gelagert, und endigt am Mittelstück und am Köpfchen des Meta- carpus J'kjiÜ minimi C. Die ZwischenknochenniKskeln, Musculi interossei. Sie zerfallen in innere und äussere. Innere finden sich drei. Sie entspringen nur an einer Seitenfläche eines Mittelhaud- l)eins, verschliessen somit das Spatitmi iuterosseuin nicht vollständig, und erlauben dadurch den äusseren Zwuschenknochenmuskeln, sich bis in die Hohlhand vorzudrängen. Der erste Interosseus internus «Mitspriugt von der ülnarfläche des Metacarpus indicis, der zweite und dritte von der Radialfläche des Metacarpus des Ring- und kleinen Fingers. Ihre Endsehnen steigen neben den Köpfchen der betrefl'enden Mittelhandknochen zur Rückenfläche des ersten Finger- gliedes empor, imd verlieren sich in dessen Rückenaponeurose. Sie ziehen die ausgespreiteten Finger gegen den Mittelfinger zu. — Aeussere finden sich vier, in jedem Interstitiurn interosseum einer. Sie entspringen von den einander zugekehrten Flächen je zweier Ossa metacarpi, füllen also ihren ZAvischenraum ganz aus, und lassen vom Handrücken her die Interossei interni nicht sehen. Der erste geht zur Radialseite der Rückenaponeurose des Zeigefingers, der zweite und dritte zur Radial- und IJluarseite der Rückenaponeu- rose des Mittelfingers, und (Um- vierte zur Hliiarseite derselben §. 186. Fascie der oberen Extremität. 535 Aponeurose des Ringfingers. Die zwei Antlieile des ersten Inter- osseus externus, welclie am Metacarpus poUicis und indicis entstehen, bleiben länger von einander getrennt, als jene der übrigen, — ein Grrnnd, warum man den vom Mittelhandknocben des Daumens ent- springenden Antbeil des ersten Interosseus extermis, irriger Weise aueli als Musculus ahductor indicis beschrieb, und den vom Mittel- liaudknocheu des Zeigefingers kommenden Antheil, als ersten Inter- osseus internus gelten liess, wonach somit nur drei Externi, aber vier Interni ang'enommen wurden (Albin). Die Interossei externi ziehen die Finger vom Mittelfinger ab, und spreiten sie aus. Die Wirkung der Musculi interossei interni und externi, und ihr Zahlen- verhältniss, wird am besten folgendermassen aufgefasst. Jeder Finger muss der Mittellinie der ganzen Hand, deren Verlängerung durch den Mittelfinger geht, genähert, d. i. adducirt, und von ihr entfernt, d. i. abducirt werden können. Die vier Interossei externi sind sänimtlich Abduetores, die drei interni Adduc- tores. Das macht sieben. Da der Daumen bereits seinen besonderen Adductor hat, so war nur mehr für den Zeige-, Eing- und kleinen Finger ein eigener Adductor nöthig (also drei Interossei interni), um diese Finger dem Mittel- finger zu nähern. Da ferner der Daumen und der kleine Finger, je einen be- sonderen Abductor besitzen, mussten die drei mittleren Finger eigene Abduc- toren erhalten, und zwar deren vier, weil der Zeige- und Eingfinger nur nach Einer Seite, der Mittelfinger aber nach zwei Seiten, radialwärts und ulnarwärts, von der durch ihn gehenden Mittellinie der Hand entfernt werden kann. — "Wenn, wie eben gesagt, der Interosseus externus pnmus den Zeigefinger abdu- cirt, so kann sein Zeigefingerkopf nicht nach Alb in als erster Interosseus in- ternus genommen werden, denn alle Interossei interni sind Adductoren. §. 186, Tascie der oberen Extremität. Die fibröse Fascie oder Binde der oberen Extremität zerfällt in die Schulterblatt-, Oberarm-, Vorderarm- und Handfascie, welche ununterbrochen in einander übergehen, und einerseits eine, complete fibröse Hülle für die vier Abtheilungen der oberen Extre- mität bilden, sowie andererseits durch coulissenartig in die Tiefe eindringende Fortsetzungen, Scheidewände zwischen einzelnen Muskel- gruppen der Extremität erzeugen. Zwischen Fascie und Haut lagert noch ein anatomisch darstellbares Blatt verdichteten Bindegewebes, welches als Fascia superficialis von der eigentlichen fibrösen Fascie unterschieden wird. Die Fascie des Schulterblattes, Fascia scapularis, umhüllt das Schulterblatt, an dessen Rändern sie adhärirt. Sie verwandelt die Fossa supra- und infraspinata, und die Fossa subscapidaris in eben so viele Hohlräume, welche durch die gleichnamigen Muskeln aus- gefüllt werden. Man unterscheidet somit eine Fascia supraspinata, infraspinata und subscapidaris. Letztere ist viel schwächer, als die beiden anderen. Diese Fascien begleiten die von ihnen bedeckten 5,^0 S- '86. Fasoip «It-r nhoien Extremität. Mn.skeln zu ihren re.-röse Kapsel des Schnlternelenks. Die Fascia infrasp'nuita erzeugt zwei Fortsetzungen, von welchen die stärkere zwischen den Teres major und mitior, die scliwäcliere zwischen Teres minor und Lifra- sj)iti<(tii.'< eindringt. Die Fascie des Oberarms, Fascia hrachii, entspringt an den Ursprungsstellen des Deltamuskels. Sie hängt vorn mit der dünnen Fascie, welche den grossen Brustmuskel überzieht, hinten mit der Fascie, welche den Muscalus infraspinatus bedeckt, zusammen. Sie dedoublirt sich, um den Deltamuskel mit einem schwachen, hoch- liegenden, und einem stärkeren tiefliegenden Blatte zu umschliessen. Y(»m äusseren liande des grossen Brustmuskels geht sie zu dem- selben Rande des Latisshnus dorsi hinüber, und bildet während dieses Ueberganges einen bogenförmigen, den Gefässen und Nerven der Achselhöhle zugekehrten und sie überspannenden Rand, — den Aehselbogen. Ein Antlieil der Fascia coraco-pectoralis, welcher sich an die Fascia hrachii ansetzt, zieht dieselbe so stark in die Achselgrube hinein, dass die mit ihr verbundene allgemeine Decke ihr nachzufolgen gezwungen wird, und als Achselgrul)e, Fovea a.rillaris, einsinken muss, in welcher die Arteria und Vena axillaris, der Ph'.rus axillaris der Armnerven, und reichliches Bindegewebe enthalten ist, in dessen Maschen Lymphdrüsen lagern: Gl. alares, contrahirt für axillares, wie Cicero sagt: „ita vestra axilla ala facta est, elisione literae vastioris". (Litera vasta ist das scharfklingende X.) — Unter der Insertion des Deltamuskels wird die Fascie durch Antheile der Sehnen des Deltoides, Pectoralis major, und Latissiinns dorsi verstärkt, Avelche Muskeln somit einen spannenden Einfluss auf sie au.sübon. Sie schickt zur äusseren und inneren Kante des Oberarmknocliens, bis zu den Condyli herab, zwei Fortsetzungen in die Tiefe, welche natürliche Scheidewände zwischen den Bezirken der Strecker und Beuger des Vorderarms vorstellen. Diese heissen Ligamenta interiniiscularia, ein extertann und internum. Das extermnn erstreckt sich von der Insertionsstelle des Deltamuskels bis zum Condylus ea^ernus herab; — das internum vom Ansatzpunkte des < 'oraco-brachialis bis zum Condylas internus, und ist breiter und stärker als das externum. Zwischen Biceps und Brachialis internus wird ein drittes Blatt quer eingeschoben, welches mit der die Ge- fässe und Nerven im Sulcus bicii>italis internus umhüllenden Binde- gewebsscheide im Zusammenhange steht. Die Fascie des Vorderarms, Fascia antibrachii, wird am Ellbogen durch Aufnahme der von den Sehnen des Biceps und Triceps stammenden Verstärkungsbündel, und durch Ringfasern, §. 186. Faseie der oberen Extremität. 537 welche längs des hinteren Winkels der Ulna entspringen, bedeutend verstärkt. Sie lässt selbst das Fleisch der um das Ellboffenffelenk gruppirten Muskeln, welche am Knochen nicht genug Platz zum Ursprung finden, von ihrer inneren Fläche entspringen, und schiebt zwischen ihre Bäuche zahlreiche fibröse Fortsätze zu demselben Zweck ein. Die Abgangsstellen dieser Fortsätze können schon bei äusserer Ansicht einer wohlpräparirten Faseie, als weisse Streifen erkannt werden. — An der Aussenseite des Vorderarms erseheint die Faseie doppelt so stark, als an der Innenseite. In der Ellbogen- beuge liegt sie nur lose auf den Gefässen und Nerven der Plica cubiti auf, von welchen sie durch fettreiches Bindegewebe getrennt wird. Hier besitzt sie auch eine grössere Oeffnung, durch welche die tiefliegenden Brachialvenen mit der extra fasciam gelegenen Vena mediana mittelst eines ansehnlichen Yerbindungsastes commu- niciren. An die Muskeln, Avelche die Seiten der Ellbogengrube bilden, adhärirt sie sehr innig. Fast alle Muskeln des Vorderarms, und die zwischen ihnen laufenden Grefässe und Nerven erhalten Scheiden von ihr. — Besondere Erwähnung verdient ein zwischen der ersten und zweiten Schichte der Muskeln an der inneren Vor- derarmseite durchziehendes Blatt der Fascia antihrachii, welches um so stärker erscheint, je näher dem Carpus man dasselbe untersucht. — In der Nähe der Articulatio carpi verdichtet sich die Fascia antihrachii zum Ligamentum carpi commune dorsale und volare. Das dorsale verhält sich zu den unter ihm durchgehenden Streckmuskeln, wie im §. 184 schon gesagt wurde; das volare liegt auf dem Liga- 7nentum carpi transversum auf, verschmilzt th eil weise mit ihm, und wird von ihm, gegen den Radius zu, durch die Sehne des Radialis internus, gegen das Erbsenbein zu, durch den Nervus idnaris und die gleichnamige Arterie, und in der Mitte durch die Sehne des Falmaris longus getrennt. Das Ligamentum carpi dorscde setzt sich in die Dorsalaponeurose der Hand fort, welche ein hochliegendes, die Strecksehnen deckendes, und ein tiefes, etwas stärkeres, die Rücken- fläche der Musculi interossei überziehendes Blatt unterscheiden lässt. Das Ligamentwn carpi commune volare hängt mit der Aponeu- rose der Hohlhand (Aponeurosis pcdmaris) zusammen,, welche die Weichtheile in der Hohlhand zudeckt, in der Mitte des Handtellers am stärksten ist, auf der Musculatur des äusseren und inneren Ballens der Hand sich verdünnt, und am Ulnar- und Radialrande der Hand mit der Dorsalaponeurose sich in Verbindung setzt. Der mittlere, die Beugesehüen der Finger deckende Antheil der Aponeurose ist dreieckig, kehrt seine Spitze der Sehne des Palmaris longus zu, welche in sie übergeht, und divergirt, gegen die ersten Finger- gelenke hin, in vier durch Querfasern verbundene Zipfe, welche 538 '■ '8"' Allgemeine P.etraclilung der unferen Extremität. tlioils mit den fiUniscD Sclieidi'H (1er SelnuMi der P^'iigerl)o\i|)tcii der MittelliMiidkiKielieii lieiiierklcir werden ( Mantli-ii/i der ( 'Idroinaiiten). Einzeliu; AliMieilunijen der i'rwiilnitcn Fascieii uiiiscbliessen als Soheiden die Muskulatur so fest, dass, wenn sie eingeschnitten werden, das Muskolfleiscli über die Oefl'nung der Scheide vorquillt. Dieses Vorquellen wird, wenn die Oeti- nung der Scheide ein zufallig entstandener Riss ist, von den Chirurgen M usk ei- lt ruch (Jlernia muscularüi) genannt, und wurde namentlich am Supinator loTii/us schon mehrmals beobachtet. — Die Festigkeit und Unnachgiebigkeit der Fascien am Ellbogen und in der Hohlhand erklärt hinlänglich die heftigen Zufälle, welche gewisse tiefliegende Entzündungen und Eiterungen veran- lassen, und rechtfertigt die frühzeitige Anwendung des Messers bei Abscessen unter diesen Fascien. — Die vielen Fortsätze, welche die Fascie der oberen Extremität in die Tiefe sendet, sind der Orund, warum man sie beim Ampu- tiren nicht zugleich mit der Haut von den ^ruskeln lospräparirt, sondern die Haut allein ohne Fascie als ^lanschette zurückschlägt. Die Fascie wird hierauf zugleich mit den ]\Iuskcln durchschnitten. G. Muskeln der unteren Extremität. §. 187. Allgemeine Betrachtung der unteren Extremität. Die untere Extremität, welche die Last des Stammes zu stützen und zu tragen hat, benöthig't aus diesem Grunde grössere Länge und Stärke, kraftvollere Muskeln und eine viel weniger beweg'liche Verbindung mit dem Stamme, als die obere. Ihre Läng;e, im Ver- gleich zur oberen, liefert den triftigsten Beweis gegen Moscati's possierliche, aber in allem Ernste aufgestellte Behauptung, dass der (Jang auf allen Vieren der naturgemässe, und jener auf zwei Füssen nur eine üble Angewohnheit des Menschen sei. Moscati selbst hat es übrigens bequemer gefunden, auf zwei J^üssen zu gehen und wie andere Menschenkinder zu leben, statt pecudum more auf vieren zu kriechen und in grüne Kohl- und Krautköpfe zu beissen. Das der ersten Abtheilung der unteren Extremität, der Hüfte, zu (irunde liegende Hüftbein verbindet sich durcli die feste S^/m- phiftiii tiacru-iliaca mit dem Kreuzbein des Rückgrates, Dadurch wird der ganze Apparat von Muskeln, Avelclier an der ol)eren Extremität die bewegliche Schulter lixiren niusste, au der unteren entbehrlich. Dagegen erreichen die vom Darmbein und Sitzbein zum Ober- schenkel gehenden Muskeln, welche das Becken auf den Schenkel- köpfeu beim aufrechten Gange balancirend festhalten, eine Stärke, welche mit dem zu dieser Thätigkeit erforderlichen Kraftaufwande im Verhältnisse steht. Dadurch wird denn auch die starke Wölbung der Fleischmassen der Hinterbacken, Nafe.'i s. (Jlunes (Gesäss, sedes). §. 187. Allgemeine Betraclitung der unteren Extremität, 539 gegeben, welche nur dem menschlichen Geschlechte eigen ist, wie Buffon sagt: „les fesses n appartiemient qua l'espece humaine". ■ — ■ Beide Hinterbacken berühren sich in der Spalte des Gesässes, welche den After birgt. Vor dem After liegt das Mittelfleisch, Perineuftn, welches beim Manne sieh bis zur Basis des Hodensacks erstreckt, beim Weibe aber nur bis zum hinteren Winkel der Schamspalte reicht. Bei ausgemergelten Individuen schlottert die hängende Hinterbacke, und wird vom Oberschenkel durch eine tiefe, schief vom Steissbeine gegen den grossen Trochanter ge- richtete Furche, den Sulcus suhischiadicus, getrennt, welcher bei der Fülle und Prallheit eines vollen und harten Gesässes weniger tief erseheint. Die mächtigen Muskellager und das subcutane fettreiche Binde- gewebe des Gesässes lassen nur die Crista des Darmbeins, und, wenn die Schenkel gegen den Bauch angezogen werden, auch das Tuber ossis ischil fühlen. Die dicke Haut des Gesässes kann man bei fetten und kerngesunden Menschen weder falten, noch zwicken. Sie verdünnt sich gegen den After, wo sie viele Talgdrüsen ent- hält, und wird auf dem Mittelfleische so zart, dass man die sub- cutanen Venen durchscheinen sieht. Das Bindegewebe unter der Haut erreicht am Gesäss durch Fettablagerung eine bedeutende Dicke, und schliesst zuweilen auf dem Tuber iscliii, sowie an der Spina ossis ilei anterior svperior, eine Bursa mucosa subcutanea ein. Bei den Frauen der Buschmänner und einigen Affengeschi eehtern geht diese Fettwucherung in's Monströse. Cuvier hat das enorme Gesäss von der seiner Zeit sehr bekannten Yenus hottentottica in Paris abgebildet. Das dicke Fleisch des Oberschenkels hüllt das Femur so vollkommen ein, dass nur der grosse Trochanter und die beiden Condylen am unteren Ende der befühlenden Hand zugänglich sind. Der grosse Trochanter gibt deshalb bei der Ausmittlung von Ver- renkungen des Hüftgelenks einen sehr verlässlichen Orientirungs- punkt ab. — Indem die Muskeln am Obersehenkel gegen das Knie herab sämmtlich sehnig werden, so vermindert sich der Umfang des Schenkels in derselben Eichtung, und man kann am Knie die Enden der Ober- und Unterschenkelknochen, die Kniescheibe, die Tuberositas s. Spina tibiae, das Ligainentum patellae proprium, und selbst die Seitenbänder des Kniegelenks bei manueller Untersuchung fühlen. — Man findet die Haut an der äusseren Seite des Ober- schenkels dicker und minder empfindlieh, als an der inneren, wo sie sich, besonders gegen das Leistenband zu, so verdünnt, dass man bei mageren Schenkeln die Leistendrüsen, die Hautvenen, ja selbst den Pulssehlag der Arteria femoralis sehen kann. Auf der 540 S. 187. Allpeinpine lii'traclitung der unten-n Extremität. Kniescheibe wird die Haut liiirt und raidi, und bei hjuifigeni Knien seliwielii;-. — Das Unt(M'liautl)indei;owel)e ist ül)or dem grossen Tro- cliantor und auf dor KnicsclioÜK' immer fettarm, und enthält an Itcidcn Stellen eine Bursa miirosa stihaitanea. Unter der Jiiivsa mn- CdSd auf der Knieseheibe liegt noch eine zweite (siehe §. 100). Diese Scldeimbeutel veranlassen durch copiöse Secretion ihres In- haltes die unter dem Namen des Hi/f/roma cystiacm initellore be- kannte chirurgische Krankheitsform, welche, da sie bei Dienstboten, welche den Fussboden zu scheuern haben und dabei auf den Knien herumrutschen, häufig vorkommt, in England „tlte Jumsenudils knee" genannt wird. Fromme AVallfahrer. welche die Runde durch die Kirchenaltäre auf den Knien machen, tragen gar nicht selten als An- denken ihrer Devotion ein lliigvotna cu/sticuni nach Hause. — An der hinteren Gegend des Kniegelenks fühlt man bei den Beugebewegungen die Sehnen der Unterschenkelbeuger sich anspannen, und eine drei- eckige, nach oben sj)itzige Grube begrenzen. Avelche als Wieder- holung der l*lic(( s. Fos^(( mhiti, den Namen Kniekehle, Fossa Poplitea, führt, — bei den Engländern „fhe hollvi" of the leg". Der Unterschenkel gleicht noch viel mehr, als der Ober- schenkel, einem abgestumpften Kegel, dessen stumpfe Spitze dem Sprunggelenke, dessen Basis dem dicken Fleische der Wade ent- sjjricht. Nur der Mensch erfreut sich so niuskelstarker Waden, des aufrechten Ganges wegen. Plinius sagt: Jwmiul tantmn siirae car- uosae sunt". — An der äusseren Seite des Unterschenkels lindet sich, nach ölten zu, noch kräftiges Muskelfleisch vor; — nach unten zu wird das Wadenbein schon fühlbar. An der inneren Seite deckt nur Haut und P'ascie das leicht zu fühlende Schienbein. Der Fuss besitzt an seiner Dorsalgegend ein dünnes und sehr verschiebbares Integument, durch welches die Sehnen der Streckmuskeln und die Yorsprünge der Knochen dem Gefühle zu- gänglich werden. — In der P\isssohle, Planta, treffen wir die un- verschiebbare Haut an der Ferse und am Ballen der Zehen sehr dick, die Ej)idermis über zwei Linien Mächtigkeit verhornt, und das reichlich mit tendinösen Balken durchzoffeue Unterhautbinde- gewebe lässt die tiefer liegenden Gebilde nicht durchfühlen. — Den in i?. 181 erwähnten Handfurchen gegenüber werden die Furchen im Plattfuss von den Anatomen gar nicht erwähnt. Sie sind bei Weitem nicht so scharf gezeichnet, wie jene in der Hohlhand. In der Anthropmietria von Eis holz, p. 253, werden folgende Furchen im Hohl fuss erwähnt und abgebildet: die Linea solaris und lunaris, deren erste den Ballen der grossen Zehe, deren zweite jenen der übrigen vier Zehen umkreist, sowie vier kurze, hintereinander fol- gende Querfurchen, welche von vorne nach rückwärts gezählt, und §. 188. Muskeln an der Hüfte. 541 Linea Saturni, Jovis, Martis und Veneris benannt wurden. Eine ein- fache oder doppelte Linea Mercurii schneidet diese vier Qnerfnrchen senkrecht. — Unter der Tuherositas calcanei und den Köpfen des ersten und fünften Metatarsiisknochens liegen subcutane Schleim- beutel, deren Entstehung nicht dem Drucke zuzuschreiben ist, welchen diese drei Punkte beim Grebrauche des Fnsses zum Grehen und Stehen aiiszuhalten haben, indem sie schon im neugeborenen Kinde vor- handen sind. §. 188. Muskeln an der Hüfte. Es werden unter dem Namen der Hüftmnskeln nur jene verstanden, welche die äussere und innere Fläche des Hüftbeins einnehmen und am oberen Ende des Oberschenkels endigen. Viele der vom Hüftbeine entspringenden Muskeln gehen weiter am Schenkel herab, überspringen sogar das Kniegelenk, um am Unterschenkel anzugreifen, und werden deshalb nicht zu den Hüftmuskeln gezählt, sondern unter den Muskeln an der vorderen und hinteren Seite des Oberschenkels in den folgenden Paragraphen besehrieben. A. Aeussere Muskeln der Hüfte. Der grosse Gresässmuskel, G-lutaeus niagnus {ylovzog^ Hinter- backe), an Masse der gewaltigste Muskel des menschlichen Leibes, kommt zuerst nach Entfernung der Haut am Gresässe zum Vor- schein. Er hat eine rautenförmige Grestalt und entspringt vom hinteren Ende der äusseren Darmbeinlefze, von dem die hintere Kreuzbeinfläche deckenden Blatte der Fascia lumho-dorsalis, dem Seitenrande des Steissbeins, und dem Liffamentum tuberoso-sacrum. Seine zahlreichen, parallelen, groben und locker zusammenhaltenden Bündel bilden gewöhnlich eine Fleischmasse von einem Zoll Dicke, welche schräge nach aussen und unten herabzieht, und in eine breite starke Sehne übergeht. Diese Sehne inserirt sich theils an dem oberen Ende der äusseren Lefze der Linea aspera, femoris, theils geht sie in die Fascia lata über. Zwischen der Endsehne und dem grossen Troehanter, welchem sie aufliegt, wird ein ansehnlicher, einfacher oder gefächerter Schleimbeutel eingeschoben, dem im weiteren Laufe der Sehne noch zwei bis drei kleinere folgen. Bei aufrechter Stellung decken seine unteren Bündel den Sitzknorren, und gleiten beim Niedersitzen von ihm ab, so dass die Last des Körpers den Muskel nicht drückt. Es kann deshalb der quere Durchmesser des Beckenaus- ganges am Lebenden nur im Liegen, mit gegen den Bauch angezogenen Schenkeln, ausgemittelt werden. — Alle guten lateinischen Autoren schreiben nicht Gluteus, sondern Glutaeus, nach dem aus ylovzög gebildeten Adjectiv yXovxaTog, d. i. zum Gesäss gehörig. Der mittlere Gresässmuskel, Glutaeus medius, liegt unter dem vorigen, welcher jedoch nur seine hintere Hälfte bedeckt. Er 542 S. 188. MusVelii an der llnric. entsj»riii<;l vom \ orderen Tlieile der liiissereii I );irml)eiMlet"ze, welclie der rinige Muskel, Musculus piriformis s. pyramidalis, entspringt in der kleinen Beckenhöhle von der vorderen Fläche des Kreuzbeins, in der Gegend des zweiten und dritten vorderen Foramen sacrale. Er tritt aus der Beckenhöhle durch das Foramen ischiadicvm majus heraus, streift in fast querer Kichtung an der hinteren Fläche der Hüftgelenkskapsel vorbei, und befestigt sich mit einer kurzen, runden Sehne unterhalb des Glutaeus minimus am Oberschenkelbein (Sehleimbeutel). Rollt den Schenkel auswärts. Man sah ihn auf beiden Seiten fehlen und öfter auch durch ein Bündel des Nervus ischiadicus durchbohrt werden. Auf ihn folgt nach unten: der innere Verstopfungs- oder besser Hüftbein lochmuskel, Musculus obturator s. obturatorius in- §. 188. Muskeln au der Hüfte. 543 tenms, welcher g-leichfalls in der kleinen Beckeniiölile, vom Um- fange des Foramea ohturatum, nnd tlieilweise von der inneren Fläche des Verstopfnngsbandes entspringt, seine Fleischbündel gegen das Foramen ischiadicum minus zusammendrängt und hier in eine flache Sehne übergeht, welche, während sie das genannte Foramen passirt, sich um die Incisura ischiadica minor wie um eine Kolle herum- schlägt und quer über die hintere Wand der Hüftgelenkskapsel, zur Fossa trochanterica ablenkt. Grleich nach dem Austritte aus dem Foramejt ischiadicum, minus erhält diese Sehne ein Paar muskulöse Zuwüchse, — die beiden Zwillingsmuskeln, Gemelli, — welche als subalterne, extrct pelvim befindliche Ursprungsköpfe des Obtu- rator zu betrachten sind. Der obere kommt yon der Spina, der untere von der Tuherositas ossis ischii. Sie hüllen mit ihrem Fleische die Sehne des Ohturatorius internus vollständig ein und verschmelzen mit ihr, bevor sie ihren Insertionspunkt in der Fossa trochanterica erreicht, Obturator internus und Cfemelli rollen nach aussen. Dieser Beschreibung gemäss kann die Richtung des Obturator internus keine geradlinige sein. Der innerhalb und der ausserhalb des Beckens liegende Antheil dieses Muskels bilden mit einander einen Winkel, dessen Spitze in die Incisura ischiadica minor fällt. Hier also muss sich die Sehne des Muskels am Knochen reiben, welcher deshalb mit einem knorpeligen Ueberzuge ver- sehen erscheint, auf welchem die Sehne mittelst eines zwischenliegenden Schleimbeutels gleitet. Häufig ist dieser Knorpelüberzug der Incisura ischiadica minor durch scharfe Riflfe, deren Richtung mit der Richtungslinie der Sehne übereinstimmt, in mehrere Furchen getheilt, welchen entsprechend die flache Sehne des Obturator internus in eben so viele Bündel geschlitzt erscheint. — Der obere Zwillingsmuskel fehlt als Aflfenähnlichkeit. Meckel vermisste sie beide (Regel beim Schnabelthier und bei den Fledermäusen). — R. Columbus und Spigelius betrachteten beide Gemelli als Einen Muskel, welcher die Sehne des Ohturatorius beutelartig einhüllt, und gaben ihm deshalb den Namen: Marsupium carneum (fleischiger Beutel). Lieutaud nannte den Muskel, wahrscheinlich seiner geschlitzten oder gefurchten Sehne wegen, le cannele. — Da der fleischige Ursprung des Obturatorius internus in der Beckenhöhle liegt, so wird seine Präparation unter Einem mit jener des Psoas und Iliacus internus vorgenommen. An den Gemellus inferior schliesst sich der viereckige Schenkelmuskel, Musculus quadratus femoris, an, welcher in trans- versaler Richtung, vom Sitzknorren zur Linea intertrochanterica poste- rior geht. Er ist, seiner wagrecht zum Femur gehenden Richtung wegen, der kräftigste Auswärtsroller. Er deckt den Obturator externus zu, welcher aber nicht von hinten her, sondern viel bequemer von vorn her präparirt werden soll, und deshalb erst nach Bearbeitung der Muskeln an der inneren Seite des Schenkels dargestellt werden kann. — Riolan machte aus dem Pyriformis, den beiden Gemelli, und dem Quadratus, einen einzigen Muskel, welchen er Quadrigeminus nannte. 544 S. 188. Musk.'ln an d.T Hafte. I)«'r :i\i,sMM-(' 1 1 ü fr l)(>i II locli 111 iiskcl, J/iisi-ii/ii.f ohtumtor s. ohturatoriti.s ciirniu.i, platt und dreiseitig-, entspringt vom inneren und unteren ümtange des Fortoiwn ohtuiuttinn, aber nicht von der Mi'mhntiiti ohturtitoriit, welche er hlos bedeckt. Seine (juer huifenden lind nach aussen convergirenden Faserbündel gehen dicht an der liiiitereii Wand der 1 lüt'tgeleiikskapsel vorbei, und bilden eine runde, starke Scliiie, Avelclie sich am (rninde der Fossa troclmiderica inse- rirt. Wirkt, wie seine Vormänner, aiiswärtsrollend auf den Schenkel, oder, bei fixirtem Schenkel, drehend auf das Becken, wenn man auf einem Fusse steht. B. Innere Muskeln der Hüfte. Der g^rosse Lendenmuskel, Musruliis psoas major (Ji ipSa^ Lende), entspringt von der Seitenfläche und den Querfortsätzen des letzten Brustwirbels und der vier oberen (öfters aller) Lendenwirbel, sowie von den Intervertebralscheibeu derselben. Dieser fleischige Ursprung Itildet einen konischen, nach abwärts sich verschmächti- genden Miiskelkörper, welcher ül)er der Si/ntph/fsi.s saero-iliaea sehnig wird und unter ertl)iei(.'<, neben dem Trieeps beschrieben wird, als vierten Kopf eines Adductor quadrlceps nehmen, da sein Ursprung;, seine Rich- tung und seine Insertion, somit auch seine Wirkung, mit den Köpfen des Trieeps übereinstimmt. Es ist nichtsdestoweniger noch immer üblich, der Kürze wegen, die Bezeichnung Trieeps zu ge- brauchen. Der lange Zuzieher, Adiluctor longits (früher Giqnit longum tririplfis), entspringt, auswcärts vom Gracilis, kurzsehnig am inneren Ende des Schambeins, dicht unter dem Höcker desselben, nimmt im Herabsteigen an Breite zu und heftet sieh an das mittlere Drittel der inneren Lefze der Linea aspera femoris, hinter dem Ursprung des Vastus hdernus. Der kurze Zu zieh er, Adductor brcvis (Caput breve tricipitis), wird vom langeu Zuzieher und vom Kammmuskel bedeckt. Er nimmt seinen Ursprung vom Beginn des absteigenden Schambeinastes, und endigt au der inneren l>efze der Linea aspera femoris, über dem langen Zuzieher, bis zum kleinen Trochanter hinauf. Der grosse Zuzieher, Addador inarjaus (Caput nuiijnniii tri- cipitis), entspringt breit am absteigenden Schambein- und aufstei- jienden Sitzbeinaste, sowie vom Tidier ischii, deckt den Obturator e.vternKS, und grenzt nach hinten an den SeinitendinosKs und Semi- nieinbranosus. Seine oberen Bündel laufen fast quer und werden von dem unteren Rande des Quadratus femoris durch eine nicht immer sehr scharf uiarkirte Sj)alte getrennt. Die übrigen treten schief nach aussen und unten zum Obcrsclienkel. Die lange und breite Sehne, an welche sicli alle P^loisclibündel des Muskels einpflanzen, befestigt sich längs der Linea aspera femoris, vom Ende der Insertion des Qaadrafiis femoris, bis zum unteren Drittel dieser Linie herab. Von hier an endigen die untersten Bündel unseres Muskels an einem starken, fibrösen Bogen, welcher bis zu seiner Endinsertion am Condylas iiäernas femoris hin, eine klaffende Lücke überspannt, durch welche die Arteria und Vena craralis zur Kniekehle treten. So ist es zu verstehen, wenn iler Kürze wegen gesagt wird, dass «lie Arteria und Vena rruralis die Sehne des grossen Zuziehers durchbohren. Die Adductorcs bewirken die kräftige Zuziehung der Beine, wie beim Sobenlielschluss des Reiters. Ihr alter Name, auf welchen sie aber nur beim weiblichen Geschlechte, und auch da nicht allzulangen Anspruch haben, ist: Cu^tos virginum. — Wirken sie gleichzeitig mit dem Extensor cruris quadrlceps, so folgt der Schenkel der Diagonale beider rechtwinklig auf einander stehen- den Bewegungsrichtungen, und wird über den anderen Schenkel geschlagen. §. 192. Topographisches VerhäHniss der Muskeln und Gefässe des Oberschenkels. 551 Die Adductores und Extensores sind somit, wenn sie simultan wirken, die eigentlichen Schneidermuskeln. — Der lange Zuzieher erscheint zuweilen in zwei Portionen getheilt. Der Kammmuskel, Musculus 'pectineus s. lividus, entspringt Ton der ganzen Länge des Scliambeinkammes und von einem Bande, welches am Darmbein in der Gegend der Pfanne entstellt, nnd längs des Pecten pubis bis zum Tuherculunn inibis verläuft (Liga- mentum pubicum Gooperi). Er deckt den Ohturator exfeimus und den kurzen Kopf des Triceps, und befestigt sich an die innere Lefze der Crista femoris unter dem kleinen Trocbanter. Zieht zu und rollt nach aussen. Der sonderhare Name Lividus, welcher ihm von alten Myelogen beigelegt wird, stammt wohl davon her, dass der Muskel, welcher in so nahe Berührung mit der auf ihm aufliegenden grossen Vena cruralis tritt, sich mit dem Blut- serum tränkt, welches hei beginnender Fäulniss durch die Veneuwand dringt, imd den zersetzten Färbestoff des Blutes aufgelöst enthält. Eiolan, Spigelius und Bartholin, welche diesen Namen gebrauchten, sagen nichts über seinen Ursprung. §. 192. Topographisches Yerhältniss der Muskeln und G-efässe am vorderen TFmfang des Oberschenkels. -Die in den beiden vorhergehenden Paragraphen abgehandelten Muskeln stehen zu den Grefässen und Nerven des Oberschenkels in so praktisch-wichtigen Verhältnissen, dass der Anfänger nie unterlassen soll, bei der Zergliederung der Muskeln auch auf die Grefässe und Nerven Rücksicht zu nehmen, deren Verlaufsgesetze an so vielen Orten von der Anordnung der Muskelstränge abhängen. Hat man die Fascia lata (welche erst am Schlüsse der Mus- keln der unteren Extremität in §. 199 geschildert wird) vom Liga- mentum Poupartii losgetrennt, und sie so weit abgelöst, dass die einzelnen Muskelkörper, welche zwischen der Schamfuge und dem vorderen oberen Darmbeinstachel liegen, nett und rein zu Tage treten, so bemerkt man unter dem Pouparfschen Bande einen dreieckigen Raum, dessen Basis durch dieses Band, dessen Seiten nach aussen vom Sartorius, nach innen vom Gracilis und den Ad- ductoren gebildet werden. Dieser Raum, von Velpeau Triangulus inguinalis, von mir Triangulus subinguinalis genannt, schliesst ein zweites, kleineres Dreieck ein, welches mit ihm gleiche Basis hat, dessen Seitenränder aber aussen durch den vereinigten Psoas und Iliacus, innen durch den Pectineus dargestellt werden. Der Raum dieses Dreiecks vertieft sich konisch gegen den kleinen Trochanter zu. So entsteht die in chirurgischer Beziehung hochwichtige Fossa ileo-pectinea. Sie wird von abundantem Fett und von den tiefliegen- den Leistendrüsen ausgefüllt, und enthält die grossen Grefässe und "j,"!"^ §. ü'i- Topogrnphisches Vorhaltniss «1er Muskeln und GefUsse des Obersclienlcolg. Nerven. AvcU-lie unter dem Poupart'selieu Baude zum oder vom Becken zielieu. Man kann von dieser Grube aus, nachdem ihr Inhalt rein i)räj)arirt wurde, drei Finger in die Bauchhöhle einführen, durch eine queruvale Oeffnung;, welche vom Ligamentum Poupartii über- spannt wird. Durch diese OefFnuug tritt eine mit dem Iliacus aus der Beckenhühle herabsteigende P^ortsetzung der Fascia iliaca (§. 188, B.) hervor. Sie lässt ihren oberen und zugleich äusseren Rand mit dem Poupart'schen Bande, ihren unteren und zugleich inneren Kand mit dem Tuherculum ileo-pectineum verwachsen, und wird deshalb an dieser Stelle Fascia ileo-pectinea genannt. Durch die Fascia ileo- pectinea wird die grosse Oeffnung unter dem Poupar tischen Bande in zwei seitliche Lücken abgetheilt. Die äussere Lücke ist die Lacuua muscidaris. Sie lässt den Psoas, Iliacus und zwischen beiden den Nervus cruralis aus dem Becken heraustreten. Die innere heisst Lacuim vasorum cruralium, und dient zum Durchgange der Arteria und Vena cruralis, Avelche sich in das Fettlager der Fossa ileo- pectinea so einhüllen, dass wenig Fett auf ihnen, vieles unter ihnen liegen bleibt. Beide Gefässe sind in eine gemeinschaftliche, durch eine Zwischenwand in zwei Fächer abgetheilte, fibröse Scheide ein- geschlossen. Sie folgen, während sie blos vom hochliegenden Blatte der Fascia lata bedeckt sind, einer Linie, welche man beiläufig vom Beginne i\{.^^ inneren Drittels des Po upart'schen Bandes gegen die Spitze der Fussa ileo-pectinea herabzieht. Die Arteria cruralis liegt dicht an der Fascia ileo-pectinea an, die Vena cruralis neben der Arterie nach innen, und nimmt hier die Vena saphena interna auf. Beide Gefässe füllen die Lacuna vasorwn nicht ganz aus. Zwi- schen der Vena cruralis und der dritten Insertion des Poupart'sclien Bandes, am Pecten puhis (Ligamcntvin Ginihcrnati), bleibt ein Raum frei, welcher mir von der Fascia transversa des Unterleibes und dem Bauchfell verschlossen wird. Da durch diesen Raum die Ein- geweide aus der Bauchhöhle, so gut wie durch den Leistenkanal oder die innere Leistengrube, austreten können, um eine Hertiia cruralis zu bilden, so nennt man ihn: Bauchöffnung des Schenkel- kanals — Aunulus cruralis. Die Schenkelöffnun"- des Schenkel- kanals und die Bildung des Kanals selbst, werden im §. 199 be- schrieben. Vom unteren Winkel des Triauijulas subinguinalis augefangen, wird die Arteria und Vena cruralis vom Musculus sartorius bedeckt, und liegen beide, bis zu ihrem Durchtritte durch den Schlitz in der Seline des grossen Zuziehers, in einer Rinne, welche durch die Adductoren und den Vastus internus gebildet wird. Der Nervus cruralis wird in der Fossa ileo-pectinea von der Arteria cruralis durch die Fascia ileo-pectinea und die Seline des §. 193. Muskeln an der hinteren Gegend des Obersclienkels. 553 Psoas getrennt, und theilt sicK gleich unter dem Ponpart'sehen Bande, in hocli- und tiefliegende Zweige. Erstere sind Hautäste, letztere Muskeläste. Einer von den Hautästen begleitet als Nervus saphenus die Cruralarterie, liegt anfangs an ihrer äusseren Seite, kreuzt sieh hierauf mit ihr, um an ihre innere Seite zu kommen, verlässt sie dann bei ihrem Eintritt in den Schlitz der Adductoren- sehne, und begleitet yon nun an die Vena saphena inagna bis zum Fusse hinab, weshalb er Nenms saphenus genannt wird. Es erhellt aus diesen Verhältnissen, dass die Arteria cruralis, deren Unterhindung bei gewissen chirurgischen Krankheiten nothwendig wird, im Triangulus subinguinalis, wo sie nicht von Muskeln bedeckt wird, am leich- testen zugänglich ist, und man sie hier, wenn die Wahl der Unterbindungs- stelle frei steht, am liebsten blosslegt. Da sie während ihres Laufes durch dieses Dreieck die meisten ihrer Seitenäste abgiebt, von denen die Profunda femoris, einen bis anderthalb Zoll unter dem Ponpart'sehen Bande die stärkste ist, und man so weit als möglich unter dem letzten Collateralast die Unter- bindung vornimmt, so ist nach Hodgson die beste Ligaturstelle der Arteria cruralis am unteren Winkel des Triangulus subinguinalis gegeben, welcher, wenn man den inneren Eand des Sartorius verfolgt, leicht zu finden ist. Die sehr veränderliche, bald höher, bald tiefer gelegene Kreuzungsstelle der Arteria cruralis mit dem Nervus saphenus erheischt Vorsicht. — Von der Spitze des Triangulus subinguinalis bis zum Durchgang durch den Schlitz der Adductor- sehne muss, wenn hier die Unterbindung der Cruralarterie nach dem Hunter'- schen Verfahren vorgenommen werden sollte, der Sartorius durch einen Haken nach aussen gezogen werden. Unmittelbar an der Eintrittsstelle in den Schlitz der Sehne des Adductor magnus, wäre dem Gefässe auch vom äusseren Eande des Sartorius her, oder durch eine Längenspaltung seines Fleisches, beizu- kommen. — Das Verhältniss der Vena cruralis zur Arterie ist so beschaffen, dass am horizontalen Schambeinaste die Vene an der inneren Seite der Arterie liegt, sich aber im Herabsteigen so hinter sie schiebt, dass über dem Schlitz der Sehne des Adductor, die Arterie die Vene genau deckt. — An keiner anderen Stelle des Verlaufes der Arteria cruralis lässt sich eine Compression derselben leichter bewirken, als am horizontalen Schambeinaste, wo sie durch den Finger, der ihren Pulsschlag fühlt, einfacher und sicherer als mit künst- lichen Vorrichtungen ausgeführt werden kann. Wie wohlthätig anatomische Kenntnisse auch dem Nichtarzte sein könnten, beweist folgender Fall. Ein Prager Student schnitt sich auf einem Spazier- gange einen Weidenstock zu. Um ihn zu schälen, zog er ihn unter der Schneide eines Taschenmessers durch, welches er an den Schenkel stemmte. Einer seiner Gefährten stiess ihn an, das Messer fuhr in den Schenkel, schnitt die Arteria cruralis durch, und bevor Hilfe kam, war er eine verblutete Leiche. Ein Fingerdruck auf den horizontalen Schambeinast hätte ihn wahrscheinlich gerettet. §. 193. Muskeln an der hinteren &egend des Obersclienkels. Sie sind bei Weitem weniger zahlreich, als jene an der vorderen und inneren Peripherie. Sie gehen sämmtlich vom Tuber ischii zum Unterschenkel, welchen sie beugen. Es sind ihrer drei. 554 S. 193. MnsV^ln an der lilnteren Gegend des OberschenVels. Vom Sitzknorren entspringend, divergireu sie nulssig- im Herab- steigen so, (lass der eine schief gegen die äussere Seite des Knie- gelenks, die beiden anderen gerade g;egen dessen innere Seite ziehen. Der erste nimmt im Herabsteigen einen von der äusseren Lefze der Linea aspera femoris, unterhalb der Insertion des Glutaeus magmis entspringenden kurzen Ko])f auf, und heisst deshalb der Zwei- köpfige, Bicep.s feiiiori-<. Steine Endsehne befestigt sieh am Waden- beinköpfchen, unter dem Ligamentum laterale eocternum des Knie- gelenks, Avo ein Schleimbeutel vorkommt. Die beiden anderen sind der halbsehnige und der halbhäutige Muskel, — Musculus semi- tendlnosus und semimembi'anosus. Der Halbsehnige bedeckt den Halbhäutigen, ist an seinem Ursprünge mit dem langen Kopfe des Blceps femoris ebenso ver- wachsen, wie der Coracobrachialis am Oberarm mit dem Ursprung des kurzen Bicepskopfes, verschmächtigt sich im Herabsteigen pfrie- menförmig, und geht in der Mitte des Oberschenkels in eine lange, schnurförmige Sehne über, Avelche sich unter dem inneren Knorren des Schienbeins nach vorn krümmt, und unter der Sehne des Gra- cilis zur inneren Schienbeinfläche gelangt, um sich neben der Spina iihiae zu implantiren (Schleimbeutel). Da seine Sehne so lang ist, wie sein Fleisch, so wäre sein Name: Halb- sehniger gerechtfertigt. Sein Fleisch wird durch eine, die ganze Dicke des Muskels schräge schneidende fibröse Einschubsmembran (als Inscriptio tendinea zu deuten) durchsetzt, an welcher die Fleischfasern der oberen Hälfte endigen, und jene der unteren beginnen. Der Ha 11) haut ige lieiirt zwischen SeniitenJinosus und Adductor magnus. Seine dreieckige breite Ursprungssehne reicht an der einen Seite seines Muskelfleisches bis zur Mitte des Oberschenkels herab, wo zugleich seine Endsehne an der anderen Seite des Fleisches be- ginnt. Das Fleisch des Muskels bildet, drei Querfinger breit über dem Knie, einen runden starken Bauschen, Avelcher plötzlich mit einem scharfen Absatz wie abgeschnitten aufhört, und durch eine kurze, aber sehr kräftige Sehne, sich am hinteren Bezirk des Con- . dylus internus tlhkie einpflanzt. Zwischen dieser Sehne und dem inneren Seitenbande des Kniegelenks liegt ein Schleimbeutel. Ebenso einer zwischen derselben Sehne und dem Ur- sprung des inneren Kopfes des Gastroenemius. Dieser letztere Schleimbeutel steht zuweilen mit der Synovialkapsel des Kniegelenks in Hühlencommunication. Ein breites Faserlnindel löst sich vom äusseren Rande der Endsehne des Semimembranosus ab, geht im Grunde der Kniekehle gegen den Condylus ej:ternus femoris herüber, verwebt sich mit dem Ligamentum popliteum (§. 152, 4), und verschmilzt zuletzt mit der Ursprungssehne des äusseren Kopfes des später zu beschreibenden Gastroenemius. Da die Beugung des Unterschenkels unter Umständen, z. B. beim Niedersetzen, nicht blos durch den Semimembranosus und seine beiden Helfershelfer (Biceps und Semi- §, 194. Topographie der KniekeWe, 555 tendinosus) bewerkstelligt, sondern zugleich durch Mithilfe des Gastrocnemius vollzogen wird, so muss sich, wenn der Semimembranosus und der äussere Kopf des Gastrocnemius sich contrahiren, um das Knie zu beugen, das Liga- mentum popUteum anspannen, wodurch die mit ihm verwachsene hintere Wand der Kniegelenkkapsel gleichfalls gespannt, aufgehoben und vor Einklemmung geschützt wird. §. 194. Topographie der Kniekehle. Durch die nacli unten, gegen das Knie gerichtete Divergenz der langen, vom Sitzknorren entspringenden Muskeln, wird an der hinteren Seite des Oberschenkels, gegen das Kniegelenk herab, ein dreieckiger Raum zwischen ihnen entstehen müssen, dessen äussere Wand durch den Biceps, dessen innere durch den Semi- tendinosus, Semimembranosus und Gracilis erzeugt wird. In der nach unten offenen Basis dieses Dreiecks, drängen sich die beiden con- vergirenden ürsprungsköpfe des zweiköpfigen Wadenmuskels (Gastro- cnemius) aus der Tiefe hervor, und verwandeln den dreieckigen Raum in ein ungleichseitiges Viereck, dessen obere Seitenränder lang, dessen untere viel kürzer sind. Dies ist die Fossa poplitea, Kniekehle. Da Poples kein griechisches, sondern ein lateinisches Wort ist, muss die von vielen Autoren beliebte Schreibweise: Fossa popUtaea, für unrichtig erklärt werden. Es giebt kein griechisches Wort jrojrAtTatog. Eigentlich ist Fossa Poplitea ein Pleonasmus, da poples allein schon bei den Classikern für Kniekehle oder Kniebeuge steht, zum Unterschied von genu, wodurch die Streck- seite des Kniees ausgedrückt wird. So bei Seneca: „succisis poplitibus in genua se excipere". Leiten doch auch die Sprachforscher das Wort poples von post- plicari ab. Die Kniekehle schliesst die grossen Grefässe und Nerven dieser Gregend in folgender Ordnung ein. Nach Abnahme der Haut und des subcutanen Bindegewebes, welches sich hier zu einer wahren Fascia superficialis verdichtet, und an der inneren Seite des Knie- gelenks die vom inneren Knöchel heraufsteigende Vena saphena interna einschliesst, gelangt man auf die Fascia poplitea, als Fort- setzung der Fascia lata. Sie deckt die Kniekehle und schliesst die vom äusseren Knöchel heraufkommende Vena saphena posterior s. minor in sich ein. Unter der Fascie folgen die zwei Theilungsäste des Nervus ischiadicus, dessen Stamm unter dem Musculus biceps in den oberen Winkel der Fossa poplitea eintritt. Der äussere (Nervus popliteus externus), welcher im weiteren Verlaufe zum Nervus pero- naeus wird, läuft am inneren Rande der Sehne des Biceps zum Wadenbeinköpfchen herab. Der innere, stärkere (Nervus popliteus internus, im weiteren Verlaufe Nervus tibialis posticus genannt), bleibt in der Mitte der Kniekehle, und kann bei gestrecktem Knie sehr leicht durch die Haut gefühlt werden. n.'iO 8. 195. Muskeln !\n dor vorderen und äusseren Seitp des rnterBchenkels. Um di«', tiot' im (i runde der Kniekehle lag-eruden Blutgefässe ;int/iidec'ken. gelit nuin am inneren Kande des Neri'ui^ popllteus 'nil>riiiis in das Fettlager ein, wfdclies die g'anze Grube auspolstert, und lindet in der Tiefe zuerst die Vena poplitea, welche hier ge- Avidmlieli die W'na .saphena minor aufnimmt, und unter ihr, zugleich etwas nach innen, durch kurzes Bindegewebe knapp an sie geheftet, die Fortsetzung der Arteria eruralis, als Arieria poplitea, Avelche nniiiittclbar auf dein unteren Ende des Schenkelbeins, und der liinteren Wand der Kuiegelenkkapsel aufliegt. Der leichteren Fixirung dos Lagerungsverhältnisses der durch die Knie- kehle hindurchziehenden Gefässe und Nerven hilft Herr Eichet durch den mnemotechnischen Ausdruck NVA (gesprochen Neva), — eine anatomische Wirkung der viel gesuchten und noch immer nicht gefundenen französisch- russischen Allianz! Der Raum der Kniekehle ist bei activer Beugebewegung des Kniees tiefer, als im gestreckten Zustande, indem die Muskeln, welche die langen Seitenwände derselben bilden, sich während ihrer Contraction anspannen und vom Knochen erheben. — Da die Arteria eruralis, einem allgemein giltigen Gesetze zufolge, die Beugeseiten der Gelenke an der unteren Extremität auf- sucht, also von der Leistengegend zur Kniekehle läuft, auf welchem Zuge ihr die Sehne des langen Adductor im Wege steht, so folgt hieraus die Nothwen- digkeit der Durchbohrung der letzteren. — Man liest es häufig, dass die Arteria eruralis sich um den Schenkelknochen windet. Man braucht jedoch nur einen Schenkelknochen in jene Lage zu bringen, in welcher er im aufrecht stehenden Menschen sich befindet, um zu sehen, dass eine Arterie, ohne sich im Geringsten zu winden, von der Leistenbeuge zur Fossa poplitea verlaufen kann, wenn sie die innere Fläche des Knochens einfach kreuzt. — Die tiefe Lage der Arteria poplitea macht ihre Unterbindung sehr schwer, und sie ist heutzutage nur mehr ein anatomisches Problem, da die Wundärzte, wenn sie die Wahl der Unterbindungsstelle frei haben, seit Hunter lieber die Arteria eruralis unterbinden. — Die Häufigkeit des Vorkommens krankhafter Erwei- terungen f Aneurysmata) an der Arteria poplitea ist bekannt, wenn auch nicht genügend erklärt. — Es kam schon vor, dass man Abscesse in der Kniekehle, oder Ausdehnungen der bei den Muskeln erwähnten Schleimbeutel, deren flüs- siger Inhalt die Pulsationen der Arteria poplitea fortpflanzt, für Aneurysmen dieser Arterie gehalten hat. §. 195. Muskeln an der vorderen und äusseren Seite des Unterschenkels. Sie sind sämmtlich lange Muskeln, und erscheinen so um die Knochen des Unterschenkels lierumgelagert, dass nur die innere Schienbeinfläche, die vordere Schienbeinkante, und die beiden Knöchel von ihnen unbedeckt bleiben. Keiner von ihnen entspringt am Oberschenkel. Sie kommen vielmehr alle von den Knochen des Unterschenkels her, setzen über das Sprunggelenk weg, und schicken ihre Sehnen theils zu den Fusswurzel- und Mittelfussknochen, theils zu den Zehen. §. 195. Muskeln an der vuidereu und äusseren Seile des Unterschenkels. 557 Ä. Vordere Seite. Die Muskeln an der vorderen Seite des Unterschenkels haben den Kaum zwischen Schien- und Wadenbein in Besitz. Yon innen nach aussen gehend, findet man sie in folgender Ordnung gelagert: Der vordere Schienbeinmuskel, Musculus tibialis anticus s. Mppicus, der stärkste unter ihnen, entspringt vom äusseren Knorren und der äusseren Fläche des Schienbeins, vom Zwischenknochen- bande, und von der Fascia cruris, und verwandelt sich am unteren Drittel des Unterschenkels in eine stai-ke Sehne, welche über das untere Ende des Schienbeins, und über das Sprunggelenk weg, schräge nach innen läuft, um am ersten Keilbein und an der Basis des Os metatarsi hallucis zu endigen (Schleimbeutel). Beugt den Fuss und dreht ihn zugleich ein wenig so um seine Längenaxe, dass der innere Fussrand nach oben sieht, wie beim Eeiten nach der altspanischen Schule. Vielleicht rührt der längst ausser Grebrauch gekommene Name Hippicus daher (von 'LitTtog, Pferd). Spigelius neunt ihn Musculus catenae, ,,quia dissecto per transversum hujus tendine, catenam aegri, cujus beneficio ambulantes pedem flectant eleventque, portare cogwntur'' . De corp. hum. fahr., Cap. XXIV. — Wir sahen ein tief- liegendes Stratum dieses Muskels mit breiter Sehne sich am Halse des Sprung- heins und in der vorderen Wand der Sprunggelenkkapsel inseriren. Der lange Strecker der grossen Zehe, Musculus eoctensor hallucis longus, halbgefiedert, nimmt seinen Ursprung vom Mittel- stück der inneren Wadenbeinfläche und am Zwischenknochenbande. Seine schrägen Fleischfasern treten an eine lange, am vorderen Kande des Muskels befindliche Sehne, welche über das Sprung-, Kahn- und erste Keilbein wegzieht, und über die Eückenfläche des Os metatarsi hallucis zum zweiten Gliede der grossen Zehe geht. Der lange gemeinschaftliche Strecker der Zehen, Mus- culus extensor digitorum coinmunis longus, entspringt von dem Köpfchen und der vorderen Kante des Wadenbeins, dem Condylus externus tibiae, und dem Ligamentum interosseum. Er ist halbgefiedert. Die an seinem vorderen Rande befindliche Sehne theilt sich über dem Sprunggelenk in fünf platte Schnüre, von welchen die vier inneren zur zweiten bis fünften Zehe laufen, um mit den Sehnen des kurzen gemeinschaftlichen Streckers, die Kückenaponeurose der Zehen zu bilden, welche sich wie jene der Finger verhält. Die fünfte oder äusserste Sehne setzt sich an der Rückenfläche des fünften Mittel- fussknochens, öfters auch des vierten fest, nahe an dessen Basis. Häufig schickt sie auch eine fadenförmige Strecksehne zur kleinen Zehe. Oft ereignet es sich, dass das Fleisch des Eoctensor communis, welches dieser fünften Sehne den Ursprung giebt, weit hinauf vom 2:emeinschaftlichen Muskelbauche des Zehenstreckers abgetrennt er- 55^ S. 11*5, Musl(c)ii an der Tordoron und Süsseren SoHe des Uiiterüchonltel^. scheint. Dieses Fleiscli führt dcslialb .s«Mt WIiisIoav den besouderen N.'iincM ^^u,scaIllli pertniaeus tertiu.i. Indem die Sehnen der Muskeln an der vorderen Seite des Unterschenkels über die Beugeseite des Sprunggelenks laufen, und sich bei jeder Spannung von ihr emporheben würden, so müssen sie durch starke, in die Fa^cia crurls kreuzweise eingewebte SehnenstreifVn auf dem Fussrüste niedergehalten werden. So ergiebt sich die Nothwcndigkeit des Ligamentum cruciatum. Es besteht dieses Band aus zwei sich schief kreuzenden Schenkeln, von welchen der eine vom inneren Knöchel zur äusseren Fläche des Fersenbeins geht, während der zweite vom 0.« navirulare und cuneiforme primum entspringt, bis zur Kreu- zungsstelle mit dem ersten stark ist, und von hier an nur selten bis zum äusseren Knöcliel deutlich ausgeprägt erscheint. Zwei an der inneren Oberfläche des Kreuzbandes entspringende Scheidewände schieben sich zwischen die Sehnen des Tibicdis anticus, Extensor hallucis longus, und Extensor communis digito- )-um longus ein, und bilden gesonderte Fächer, die mit Synovialhäuten, welche die Sehnen auch über das Kreuzband hinaus begleiten, gefüttert werden. Für das Bündel der Sehnen des langen Zehenstreckers steht am Rücken des Sprunggelenks noch eine besondere Bandsehlinge bereit, welche von Retzius als Ligamentum fundiforme tarsi, Schleuderband, beschrieben wurde (Müller s Archiv, 1841). Man sieht dieses Band, nach vorsichtigem Los- präpariren des Kreuzbandes, aus dem Sinus tarsi herauskommen, und, nach- dem es das erwähnte Sehnenbündel sehlingenförniig umgriffen, wieder dahin zurückkehren. Die Innenfläche der Schlinge oder Schleuder erscheint nicht selten in solchem Grade verknorpelt, dass man diese Stelle des Bandes bei mageren Füssen durch die Haut sehen, und mit dem Finger fühlen kann. Das Band verhindert während der Zusammenziehung des Muskels die Erhebung seiner Sehnen vom Fussrücken. Die Arteria tihialis antica, ein Zweig der Arteria poplitea, welcher durch die obere Ecke des Zwischenknochenraumes zur vorderen Seite des Unterschenkels gelangt, befindet sich zu den Muskeln dieser Gegend in folgen- dem Verhältnisse. Sie läuft auf dem Zwischenknochenbande anfangs zwischen dem Fleisch des Tibialis anticus und Extensor digitorum communis (weiter unten Extensor hallucis longus) herab, lagert sich unten auf die äussere Fläche des Schienbeins auf, passirt das mittlere Fach unter dem Kreuzband am Fussrüst, und folgt im Ganzen einer geraden Linie, welche von der Mitte des Abstandes zwischen Capitulum fibulae und Spina tibiae, zur Mitte einer, beide Knöchelspitzen verbindenden Linie herabgezogen wird. Nebst zwei Venen hat sie den JS^ervus tibialis anticus zum Begleiter, welcher aus dem Nervus popli- teus extemus stammt, unter dem Wadenbeinköpfchen sich nach vorn krümmt, indem er den Musculus peronaeus longus und Extensor digitorum communis longus durchbohrt, und anfänglich an der äusseren, später an der inneren Seite der Arterie, deren vordere Fläche er kreuzt, herabläuft. — Im oberen Dritttheil ihres Verlaufes liegt die Arterie so tief, und die sie bergenden Mus- keln sind unter sich und mit der dicken Fascia cruris so innig verwachsen, dass man ausser der oben genannten Linie keinen weiteren Führer zum ge- suchten Gefässe hat, und die Unterbindung desselben somit eine schwere ist. In den beiden unteren Dritteln des Unterschenkels leitet die Kenntniss der Lage der Sehnen ganz sicher zur Auffindung dieser Arterie. Am Fussrücken, wo sie dicht auf dem Tarsus liegt, wird sie zwischen den Sehnen des Extensor hallucis longus und Extensor digitorum longus weniger dem Finger zum Puls- fühlen, als den verwundenden Werkzeugen zugänglich sein. §. 196. Muskeln au der hinteren Seite des Unterschenkels. 559 B. Aeussere Seite. Die hier befindliclien Muskeln, zwei au Zahl, folgen der Längen- richtnng des Wadenbeins. Der lange Wadenbeinmuskel, 3fusculus peronaeus longus (schlecht, aber sehr oft als Peroneus aufgeführt), entspringt mit zwei, durch den Wadenbeinnerv ron einander getrennten Portionen, mit der oberen vom Köpfchen des Wadenbeins, mit der unteren unter dem Köpfchen bis zum letzten Viertel der Knochenlänge herab. Seine Sehne gleitet in der Furche an der hinteren Gegend des äusseren Knöchels herab, tritt hierauf in eine flache Rinne an der äusseren Fläche des Fersenbeins, dann über den Höcker des Würfelbeins, in die Furche an der Plantarfläche dieses Knochens, kommt bis an den inneren Fussrand, und endigt daselbst am ersten Keilbeine, wie auch an der Basis des ersten und zweiten Mittel- fussknochens. Streckt den Fuss, abducirt ihn, und wendet die Sohle etwas nach aussen. In der Sehne des Peronaeus longus finden sich an jenen Stellen, wo sie sich während ihrer Verschiebungen am Knochen reibt (am äusseren Knöchel, am Eintritt in den Sulcus ossis cuboideij, verdickte, faserknorpelige Stellen, von welchen jene am Würfelbeine selbst verknöchern, und dann mit einem Sesambein verglichen werden kann. Der kurze Wadenbeinmuskel, Musculus peronaeus hrevis, entspringt, vom zweiten Drittel des Wadenbeins angefangen bis zum äusseren Knöchel herab, und wird vom vorigen, mit welchem er parallel liegt, bedeckt. Seine Sehne geht hinter dem Malleolus ex- ternus zum äusseren Fussrande, wo sie sich an die Tuherositas ossis metatarsi qiiinti befestigt. GreAvöhnlich sendet sie noch eine dünne accessorische Strecksehne zur kleinen Zehe. Der Muskel wirkt wie der vorige. Ich habe von der oben erwähnten accessorischen Strecksehne der kleinen Zehe gezeigt, dass sie immer die Insertionsstelle des Peronaeus tertius an der Basis des fünften Metatarsus, oder, wenn dieser Muskel sich am vierten Meta- tarsus inserirt, ein Band durchbohrt, welches die Basis des Metatarsus der kleinen Zehe mit jener des vierten verbindet (Ligamentum intermetata.rseum dorsale). Ueber die accessorischen Strecksehnen der kleinen Zehe, in den Sitzungsberichten der Wiener Akad., 1863. — Um das Ausschlüpfen der Sehnen beider Peronaei aus der Furche des äusseren Knöchels zu verhüten, verdickt sich die Fascie des Unterschenkels hier zu einem starken Haltbande — Reti- naculum s. Ligamentum annulare externum — welches sich vom äusseren Knöchel zur äusseren Fläche des Fersenbeins herabspannt. Das Eetinaculum bildet zur Aufnahme beider Sehnen zwei besondere Fächer. §.196. Muskeln an der hinteren Seite des TJntersclienkels. Sie werden durch ein zwischen sie eingeschobenes Blatt der Fascia surae, in ein hochliegendes und tiefliegendes Stratum geschieden. 560 S. l!>fi. MiisVoln an dor liinicron Seite dos Unterschenkels. A. Ilochlieffcndt's Stratam. Es enthält die Strecker des Fiisses. Diese sind drei an Zahl: Gastrocii4')tiius, Soh'us und Plantaris, — welche Muskeln, da sie eine gemeinschaftliche, am Höcker des Fersenbeins sich inserirende End sehne (Teiulo Ächillis s. Chorda magna Hippocratis) besitzen, besser als Köpfe Eines Muskels, denn als besondere Muskelindivi- duen zu nehmen sind. Der zweiköpfige Wadciimuskel oder Zwi iiingsniuske! der Wade, Muscidus gemellus surae („sunt gemelli, quia mole, rohore, et actione pares", sagt Riolan), führt seinen griechischen Namen: frastrocnemius, von ya6Tr]Q, Bauch, und Kvrjfir], Wade. Derselbe ent- springt mit zwei convergenten Köpfen, welche den unteren Winkel der Fos.ier grele). Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 20. Anfl. 36 r)(l2 !>• IJ*''- Jluski^lii .111 (l(>r IniitiTi'H M'itc lies IJiiterschenkels. (.lalen, wolclior sicli, wio aus vicltiU Stcllon seiner Werke erhellt, vor- zugsweise der Aft'enleiehen zu seinen Zerglietlt-rungen bediente, und die Ergeb- nisse derselben auf den Mensehen übertrug, Hess den Musculus plantdris, welcher nur bei einigen Süugethieren in die Afioneurosis plantaris übergeht, auch beim Mensehen dahin gelangen (De uäu partium, Lib. 2, Cap. 3). Daher der allgemein angenommene Name Plantaris. — Douglas, welcher den Gastrucnemius und Soleus zusammen als Extensor tarxi umijnus erwähnt, nannte dtn l'laiitaiis gan/ e«insei|Uiiil Extensor tarsi minor. li. y^lt'f/ h'i/i'iides Sfraluiii. Nach HesiMtit;uiig' der iu A. hesclirlebenen Muskeln und des tief- liegenden Blattes der Fx.-^i-ia .-^itrac, kommt man hinter und unter dem Knieii'elenk auf den kurzen, dreieckigen Musculvs i)opUten.s, nnd ab- wärts \ttM (liescin. .luf lii'ci in der Rinne zwischen beiden Unter- schenkelknoclicn eingeix'ttete Muskeln (Tlhudi.^ jwkÜchs, Fhwor ilii/itorinii hnniii.'' und F/c.iur ha/ZiicIs h)ii(/t(.-i), welclie als Antagonisten der an der vorderen Seite des rntersclienkels gelegenen Muskeln functioniren, und ihre Sehnen hinter dem inneren Knöchel zum Plattfuss treten lassen, um entweder die Ausstreckung des Fusses zu unterstützen oder die Zehen zu beugen. Der K n i e k e h 1 e n m ii s k e 1, Arusculus popUteus (nicht poplUaeus), wird erst gesehen, wenn die beiden Ursprungsk:ö})fe des Gastro- cneniius durchschnitten und zurückgeschlagen sind. Er nimmt das dreieckige, ül)er der Linea /toplitea gelegene Feld an der hinteren Fläche des oberen Schienlyeinendes ein. Die äussere Fläche des Condylus ej'ternus femoris dient ihm zum Ursprung, das obere Ende der inneren Kante des Schienbeins zum Ansatz. Beugt den Unter- schenkel und dreht ihn nach innen. Eine Fascie, welche mit der Endsehne des Semimembranosus zusannnen- hängt, deckt ihn. Unter seiner Ursprungssehne findet sich ein Schleimbeutel, welcher mit der Kniegelenkhöhle eommunicirt. — W. Gruber entdeckte im 3lensehen einen anomalen, neuen Musculus peroneo-tibialis, welcher vom Mu.<- culus popliteus bedeckt wird, und den oberen Winkel des Zwischenknochen- raumes einniriimt. Er entspringt vom Kopfe des Wadenbeins, und endigt am oberen Ende des Schienbeins, über dem äusseren Ende der Linea poplitea. In der Ordnung der Affen und Fleischfresser kommt dieser Muskel normgeraäss vor. (Archiv f. Anat. und Entwicklungsgeschichte, 1877.) Der hintere Schienbeinmuskel, Musctdus tibialis postictus, ist ein halbgefiederter Muskel, liegt zwischen dem Flexor (Ufjitorum cominuni/i low/ti.i und Flewor halluciti longu.^. Er leitet seinen Ur- sprung theils von der hinteren Fläche des Schienbeins, vorzugsweise aber von der hinteren Fläche des Zw^sehenknochenbandes ab. Er wird vom Fleocor digitomm communis so überlagert, dass dieser entfernt werden muss, um zu seiner vollen Ansicht zu gelangen. Seine rundlich platte Sehne kreuzt sich über und in der Furche des inneren Knöchels mit der Sehne des Flexor digitorum communis. §. 196. Muskehl an der hinteren. Seite des Unterschenkels. . 563 und g-elit von hier über die innere Seite des Sprnngbeinkopfes, wo sie durch Anfnahme von Faserknorpelmasse sich verdickt, zur Tii- herositas ossis navicularis. Nebenschenkel dieser Sehne begeben sich auch zu den drei Keilbeinen, zum Würfelbein und zu den Basen des zweiten und dritten Mittelfussknochens. Streckt den Fuss und zieht ihn zu, so dass man sitzend mit beiden Füssen eine Last zu fassen und aufzuheben oder beim Klettern sich mit den Füssen zu stützen und den Leib weiterzuschieben vermag. Theile nennt ihn Schwimmmuskel. Diese Benennung ist jedoch eine unrichtige Uebersetzung des alten Namens Musculus nauticus, indem nauta nicht Schwimmer, sondern Schiffer bedeutet, und der Tibialis posticus heim Schwimmen nicht mehr als ein anderer Muskel des Fusses in Anspruch genommen wird. Ebenso unpassend kommt es mir vor, den Namen nauticus von der Anheftung an das Schiffbein herleiten zu wollen. Ich finde bei Spi- gelius, welcher der erste war, der diese sonderbare Bezeichnung gebrauchte, folgende ganz treffende, die Benennung Musculus nauticus erklärende Stelle : „Mc a me nauticus vocari solet, quod eo nautae potissimuni utuntur, dum malum scandunt" (De hurn. corp. fahr., Lih. IV, Cap. X2^IV) — also Ma- trosenmuskel, weil er zum Erklettern der Masten hilft. Der lange Beuger der Zehen, Musculus flexor communis digitorum longas s. perforans, entspringt mit seinem langen Kopfe an der hinteren Fläche des Schienbeins und geht über dem inneren Knöchel in eine lange Sehne über, welche jene des Tibialis jjosticus kreuzend bedeckt, sich an der inneren Seite des Sprungbeins zur Fusssohle wendet, vom Musculus abductor hallucis und vom Mus- culus fleocor digitorum hrevis überlagert wird, und in der Mitte der Sohle die Fleischfasern eines zweiten accessorischen Kopfes aufnimmt, welcher von der unteren und inneren Fläche des Fersen- beins entsteht, und gewöhnlich Caro quadrata Sylvii genannt wird, obwohl J. Sylvius ihn als Massa s. Moles carnea aufführt. Hierauf theilt sich die Sehne in vier kleinere Stränge für die vier äusseren Zehen, welche sich so wie jene des tiefliegenden Fingerbeugers verhalten, d. h. den vier Musculi lumhriccdes zum Ursprünge dienen, an der ersten Phalanx der Zehen die Sehnen des Fleocor digitorum, hrevis durchbohren, und am dritten Zehengliede endigen. — ■ Fibröse Scheiden, wie sie an den Fingern zur Aufnahme der Beugesehnen dienen, finden sich auch an den Zehen. Der lange Zehenbeuger bietet häufig Spielarten dar. Die wichtigsten sind: 1. Der Ursprung des kurzen Kopfes reicht bis zum Schienbein hinauf. 2. Vom unteren Ende des Wadenbeins gesellt sich ein Fleischbündel zum langen Kopfe, welches zuweilen isolirt zum Fersenbein herabläuft, und sich im Fette zwischen Achillessehne und Sprunggelenk verliert, wo dann gewöhn- lich der Plantaris fehlt. Ich habe dieses Bündel ungewöhnlich lang werden und in der Kniekehle von der Fascie auf dem Musculus popUteus entspringen ge- sehen. Rosenmüller sah dieses abnorme Fleischbündel an ein besonderes accessorisches Knöchelchen am Sprunggelenke treten. 3. Eine oder die andere 36* ,j()4. §. 10<".. ^tiiski'ln an iler liintoren Si'ite dos Unterschenkels. (lor vier Endsehnen verschmilzt mit jener des kurzen Beuffers mehr weniper vollkommen, wie es hei den Allen vorkommt. 4. Die Beugesehne der zweiten Zehe entwickelt sich, wie ich öfter sah, nur aus einem besonderen Fascikel der Massn cnrnea Sylvii. Sieh' ferner Gie.", im Archiv für Anat., 1868. Der lau HP Bcui'er der gro.ssen Zelie, Jfiii^rxJuft ßcvor hd- liiriK JiDHiiis, ist der stärkste im tiefon Strattiin der Wade. Er liegt auswärts vom lani;eu Zelieid)en<;er. Von den beiden unteren Dritteln des Wadenbeins ausi^eliend, lässt er seine Sehne in einer an der hinteren Seite des Sprun^heinkörpers befindlichen Furche herab- steig^eu. Unter dem Susteutacuhnn taJ! <;eht diese Sehne in die Sohle, wendet sich gegen den inneren Fussrand, kreuzt sich mit der Sehne des lanijen Zehen l)eugers. hängt mit ihr durch ein ten- dinöses Zwischenbündel zusammen, und hiut't endlich zwischen beiden Sesam])einen an der Articuhitio metatarMi-iiliahin/jea hallu<;is zum Nagelgliede der grossen Zehe, an Avelchem sie endet. Die Sehnen des Tihlalis posticus und Flexor dlgitorwn com- munis longvs werden in der Furche an der hinteren Seite des inneren Knöchels durch ein von diesem entspringendes, zum Fersenbein xind zur Irspruugssehue des Ahdudor hallucis herablautendes, und sich fächerförmig ausbreitendes Band, Ligamentum laciniatum s. annulare intemum, in ihrer relativen Lage erhalten. Eine fibröse Scheidewand theilt den Raum unter dem Bande in zwei mit Synovial- membran ausgekleidete Fächer. Das Fach für die Sehne des Tibialis posticus liegt dicht am Knöchel an, — jenes für den Fle.ror communis weiter daAon ab. — Das Ligantenfum annulare intemum spaltet sich, während es zum Fersenbein herabzieht, in mehrere divergente Fascikel oder Zipfel (laciniae) , woher sein Name Ligamentum laciniatum rührt. Ueher die Verbindung der Sehne des Flexor hallucis longus mit der Sehne des Fle^Kor digitorum communis longus in der Fusssohle handelt, auch auf comparative Daten eingehend: D. Schulze, in der Zeitschrift für wiss. Zool., \1. Bd., 1867. Der Nervus tibialis posticus, welcher längs der Medianlinie der Kniekehle zum unteren Winkel derselben herabzieht, birgt sich zwischen den beiden Köpfen des Gastrocnemius, dringt unter dem oberen Rande des Soleus in die Tiefe, und gesellt sich zur Arteria tibialis postica, welche auf dem Musculus popliteus aus der Kniekehle herabkomrat. Beide laufen unter dem tiefliegenden Blatte der Fascia surae, zwischen Flexor hallucis longus und Flexor communis diiiiforum (die Arterie einwärts vom Nerven liegend) längs einer Linie herab, welche von der Mitte der Kniekehle zur Mitte des Raumes zwischen Achilles- sehne und innerem Knöchel reicht. Hinter diesem Knöchel fühlt man die Arterie deutlich pulsiren. So weit diese Schlagader vom Gastrocnemius und Soleus bedeckt wird, ist ihre Unterbindung äusserst schwer. Es müsste einen halben Zoll vom inneren Rande der Tibia entfernt, durch Haut und Fascie ein sechs Zoll langer Einschnitt gemacht, der innere Rand des Gastrocnemius nach aussen gedrängt, der Tibialursprung des Soleus in derselben Ausdehnung §. 197. Muskeln am Fusse. 565 durchschnitten, das tiefe Blatt der Vagina surae aufgeschlitzt, und das Ge- fäss mit Umgehung des Nerven und der beiden Begleitungsvenen isolirt werden. In der Nähe des Knöchels gelingt diese Unterbindung viel leichter. Ein zwei Zoll langer Haut- und Fascienschnitt in der Mitte zwischen Tendo Achillis und Malleolns internus fällt direct auf die Gefässscheide. — Die Arteria 'peronaea, die schwächste von den drei Arterien des Unterschenkels, entspringt von der Arteria tihialis postica, zwei Zoll unter dem unteren Eande des Popli- teus, und zieht, bedeckt vom Flexor hallucis longus, am inneren Winkel der Fibula herab. §. 197. Muskeln am Eusse. A. Dorsalseite. Hier findet sich nur ein Muskel. Es ist der kurze Strecker der Zehen, Musculus extensor digitorum communis brevis. Er ent- springt vor dem Eingänge des Sinus tarsi an einem Höcker der oberen Fläche des Fersenbeins, wird von den Sehnen des langen Zehenstreckers überschritten und theilt sich in vier Zipfe, welche in platte, dünne Sehnen übergehen, die schief nach yorn und innen über den Fussrücken laufen, und, mit den Sehnen des Extensor communis longus verschmelzend, iji die Dorsalaponeurose der vier inneren Zehen übergehen. Nur selten existirt eine fünfte Endsehne für die kleine Zehe. Häufig dagegen stellt die zur grossen Zehe gehende Portion, welche allein genommen so stark ist, wie die drei übrigen zusammen, einen besonderen Muskel dar. Die Hauptschlagader des Fussrückens, Arteria dorsalis pedis, eine Fort- setzung der Arteria tibialis antica, folgt einer Eichtungslinie, welche von der Mitte des Sprunggelenks zum ersten Jnterstitium interosseum gezogen wird. Sie liegt unmittelbar auf den Fusswurzelknochen, zwischen den Sehnen des Ux- tensor hallucis und Extensor digitorum communis longus. Bevor sie zum be- zeichneten Zwischenknochenraum gelangt, durch welchen sie sich in den Platt- fuss hinabkrümmt, wird sie von der zur grossen Zehe gehenden Strecksehne des Extensor digitorum communis brevis gekreuzt. Ihre Unterbindung wird wegen leichter Ausführbarkeit einer verlässlichen Compression nicht gemacht. £. Plantarseite. Die Muskeln der Plantarseite zerfallen in yier Grruppen, deren eine längs des inneren, deren zweite längs des äusseren Fussrandes liegt, die dritte zwischen diese beiden, und die vierte in den Zwischen- räumen je zweier Ossa m,etatarsi eingeschaltet ist. 1. Längs des inneren Fussrandes finden sich die eigenen Muskeln der grossen Zehe. Diese sind: Der Abzieher der grossen Zehe. Er entspringt vom Tuber und von der inneren Fläche des Fersenbeins, sowie vom Ligannentum laciniatum des inneren Knöchels, und endigt am ersten Grliede des Hallux und an dem inneren Sesambeine der Articulatio metatarso- phalangea dieser Zehe. f^OQ I. 19T. MnsVnln am Fnsse. Der kurze Roiiü^or der ütossoti Zoho entsprlnüt von den drei KeilUcinen und zum Tlicilc auch von den Bändern, welche in der Fnsss(dile die Verbindung- zwischen Tarsus und Metatarsus unterhalten. Er theilt sich in zwei Portionen, welche sieh an die hriden O.sga sesamoicha der sprossen Zehe anheften. Zwischen beiden passirt die Sehne des Fle.vor haUucls lonrfus durch. Jene Portion, welche an das innere Sesambein tritt, verschmilzt mit dem gleich- falls dahin gelangenden Abdudor hallucis und wird von einigen Autoren als ein zweiter Kopf dieses Muskels angesehen. Der Anzieher der grossen Zehe besitzt zwei Köpfe. Der eine, auswärts vom kurzen Beuger liegend, kommt von der Basis des zweiten, dritten und vierten Metatarsusknochens, aucli von der fibrösen Scheide, welche die Sehne des Peronaens longus einschliesst, und geht zum äusseren Sesambein des ersten Gelenkes der grossen Zehe, wo er mit dem anderen Kopfe verschmilzt, welcher von der unteren Wand der Kapsel der Articulatio metatarso-phalangea des vierten, selten auch des fünften Metatarsusknochens entspringt und f(uer hinter den Köpfen des vierten, dritten und zweiten Metatarsus- knochens zur selben Stelle zieht. Casscrius entdeckte diesen zweiten Kopf des Anziehers der grossen Zehe, betrachtete ihn aber als selbststiindig, und nannte ihn. seiner Richtung wegen, Transversalis pedis. Da man glanl)te, er könne durch Zusammendrängen der JVIetatarsusknochen die Sohle der Länge nach rinnenförmig hohl machen, um sie gleichsam zum Ergreifen von Unebenheiten des Bodens geschickt zu machen, so heisst er l)ei älteren iranziisisehen Anatomen le couvreur (Muskel der Ziegeldeckorj, in den lateinischen Uebersetzungen 3IuscuIvjS scandvlarius, obwohl scandnla nicht Dachziegel, sondern Schindel bedeutet, weshalb auch scandnla als srlnd^ila vorkommt. Der Ziegel hiess tegula .riit .stfperßcialiJ^ zeigt sich au der vorderen und inueren Seite der oberen Hälfte des Oberschenkels und au der Wade am l)esten entwickelt, enthält gewisse oberflächlich verlaufende Gefässe und Nerven, und kann, wo diese zahlreich auftreten, selbst Avieder in zwei Blätter, ein hochliegendes fetthaltiges, und ein tiefes fett- loses getrennt werden. Die eigentliche fibröse Fascie bildet eine vollkommen geschlossene Scheide für die gesammte Muskulatur der unteren Gliedmasse, und wird, der leichteren Uebersicht Avegen, iu eine Fascia femoris (Fascia lata), Fascia cruris und Fascia pedis abgetheilt. Jede dieser Abtheilungen sendet eine verschiedene Anzahl von Blättern zwischen einzelne Muskeln oder Muskelgruppeu ab, wodurch Scheiden entstehen, welche die Verlaufsrichtuug der in ihnen enthaltenen Muskeln bestimmen. Vou jeder einzelnen der drei erwähnten Fascien ist viel zu sagen. §. 19!). Schenkelbinde und Schenkelkanal. J. Scheu k ei binde, Fascia lata. Die Sclieiikel bi nde, Fascia femoris s. Fascia lata, entspriug-t theils vom fAihiurn exterman der Darmbeincrista und dem Kreuzbein, theils vou den Aesten des Sitz- und Schambeins. Man kann sie deshalb in eine Portio ilen-sarraHs und isfhlo-pxJiica a])theilen. l)ie /*i>rtio ilcv-.sticralis s})altet sich in zwei Blätter, welche den Musculus (jlntaeus inaijniis zwischen >ich fassen. Das Blatt, welches die äussere Fläche dieses Muskels deckt, ist so schwach, dass es kaum flen Namen einer P^ascie vei'dient; das innere dagegen sehr stark, und dient zugleich einei- ruindelscliiclite des Musciikts glutaeus iiiedius zum LTrsjJi-unge. Haben sicli die l)eiden Blätter, nachdem sie den Glutaciis iiialJanfai't.-< kann unbedingt für den stärksten Theil der ^esaniiuteu Fascie der unteren Extremität erklärt werden. Sie ist iu der Mitte der Sohle am dicksten und an der Tuherositas calcanei, wo sie fest adhärirt, eine Linie und darüber stark. Die Seitentheile der.selben verdünnen sich und heften sich an die Ränder des Fasses, wo sich auch die Fussrückenfascie befestigt. Zwei Scheidewände, welche von ihr in die Tiefe der Sohle eindringen, theilen die Muskeln i\e^ Plattfusses in die in i^. 197, B, erwähnten drei CnMippen, und verweben sich mit einem fibnisen Blatte, welches die untere Fläche der JlascuU interos.^ei überzieht. (Jegen die Zehen zu wird die Fascia plantaris breiter und dünner, und spaltet sich vor den Capitulis ossiani metatarsl in fünf Schenkel, welche theils an die Scheiden der Sehnen der Zehenbeuger treten, theils mit den (^uerbäudern der Köpfchen der Mittelfussknochen sich verweben. Die Stärke und Unnachgiebigkeit der fibrösen Fascie der unteren Extre- mität erklärt die heftigen Schmerzen, welche bei entzündlicher Anschwellung tief gelegener Organe nothwendig entstehen müssen, macht die grossen Zer- stijrungen begreiflich, welche tiefliegende Abscesse veranlassen, und rechtfertigt den frühzeitigen Gebrauch des Messers zur Eröffnung derselben. Die Fascia plantaris wirkt, ausser dass sie die in der Hohlkehle des Plattfusses verlau- fenden Gefässe und Muskeln beim Gehen gegen Druck in Schutz nimmt, zu- gleich als Band, um die Wölbung des Fusses aufrecht zu erhalten, und kann, wenn sie in Folge eines angeborenen Bildungsfehlers zu kurz ist, abnorme Krümmung des Fusses bedingen, deren Beseitigung eine subcutane Trennung der Fascie erheischt. §. 202. Literatur der Muskellehre. Nach Galen's Zeugniss hat Lycus zuerst über die Muskeln geschrieben und eine grosse x\nzahl derselben entdeckt. Rufus von Ephesus belegte einige Muskeln mit besonderen Namen, während die meisten von Galen und seinen Nachfolgern blos durch Zahlen \()n einander unterschieden wurden. Jacob Sylvius, Professor fler Medicin am Colh'ye royal ch' France (1550), und später Joh. Riolan, führten für die meisten Muskeln zuerst jene Nomenclatur ein, welche jetzt noch üblich ist. Ueber Synonymik der Muskeln schrieben Fr. Chaussier (Dijon, 1789), Th. Schreger (Leipzig, 1794), und L. Dumas (Montpellier, 1797). Die gesammte Muskellehre behandeln: B. S. Alhinus, Historia musculorum hominis. Lugd. Bat., 1734 bis 1736, 4. — Ejusdem tabulae sceleti et musculorum hom. Lugd. Bat., 1747, fol. — ./. G. Walter, Myologisches Handbuch zum Ge- §. 202. Literatur der Muskellelire. ö i O braiicli derjenigen, die sich in der Zergliederungskimst üben. 3. Auf- lage. Berlin, 1795. — J. C. M. Langenheck, Icones anat. Grött., 1838, fol.; sehr correct. — /. B. Günther und J. Milde, Die chirurgische Muskellehre in Abbildungen. Hamburg, 1839. — Th. Sömmerring, Lehre von den Muskeln und Gefässen. Herausgegeben von Theile. Leipzig, 1841; durchaus genaue und auf eigene Untersuchungen gestützte Beschreibungen, mit zahlreichen Angaben über Muskelvarie- täten. — Herde' s Handbuch enthält zugleich die genauesten Angaben über den Ursprung und die Eintrittsstellen der einzelnen Muskelnerven. Ueber die Muskeln einzelner Gegenden handeln, nebst den im Texte der Myologie angegebenen: D. C. Coureelles, Icones musculoriim capitis. Lugd. Bat, 1743. — Ejusdem icones musculorum plantae pedis. Amstelod., 1760. — D. Santorini, Observ. anat. Veuet., 1714; reich an sorgfältigen Be- obachtungen über die kleineren Muskeln des Gesichts, des Kehl- kopfes und der Genitalien. — J. B. Winslow, Observations sur la rotation, la pronation, la supination, etc., in den Mem. de l'Acad. de Paris, 1729. — A. Fr. Walther, Anatome musculorum teneriorum corporis hum. Lips., 1731. — J. He'deaheck, De musculis cervicis et dorsi comparatis. Berol., 1836. — F. W. Theile, De musculis rota- toribus dorsi. Bernae, 1838. — A. Haller, De musculis diaphragmatis, in dessen Opp. minor., vol. 1. — ^4. Thomson, Sur l'anatomie du bas ventre. 1" liv. Paris; minutiös bis in\s Ueberflüssige. — Langer, Ueber die Achselbinde und ihr Verhältniss zum Latissimus dorsi, in der österr. med. Wochenschrift, 1846. — F. Dursy, Beiträge zur Kenntniss der Muskeln, Bänder und Fascien der Hand. Heidelb., 1852. — Duchenne de Boidogne, Recherches electro-physiologiques sur les muscles, qui meuvent le pied. Paris, 1856. — J. Budge, Ueber die Musculi intercostales, im Archiv für physiol. Heilkunde, 1857. — Ch. Aehy, Die Muskeln des Vorderarms und der Hand, in der Zeitschrift für wiss. Zool., 10. Bd., 1. Heft. — R. Martin, Die Gelenkmuskeln des Menschen. Erlangen, 1874. Unter den Gesammtwerken über Anatomie, welche der Muskel- lehre eine besondere Aufmerksamkeit widmen, verdient immer noch genannt zu werden: Winsloivs Exposition anatomique de la structure du Corps humain. Amstelod., 1752, wo dem Mechanismus der Mus- keln ein eigener, sehr lehrreicher Abschnitt gewidmet ist. Ueber Muskelvarietäten schrieben: A. Fr. Walther, Observationes novae de musculis. Lips., 1733. — A. Haller, Observationes myologicae. Gott., 1742. — J. F. Isen- flamm. De musculorum varietatibus. Erlang., 1765. — /. G. Rosen- müller. De nonnuUis musciüorum varietatibus. Lips., 1804. — H. J. Sels, Diss. musculorum varietates sistens. Berol., 1815. — G. Fleisch- 576 S- -''-• Litt'riiliir der JluskcUelire. iniiiiii. Anat. \\ alinu>limuii,i;on ühcr nocli iinbcnierkte \ arietilteri (Ut ^Iiiskelii. in den Abhandhinoen der physiol.-med. Societät in Er- langen. IJ^IO. — Bcnt'iJck, Dissertatio de lusil)iis natiirae praecipuis in disponendis iniisculis faciei. Vind(tl)., 1836. — W. Gruher, Ab- liandliinf»en aus dein (Tel)iete der nied.-cliinr. Anatomie. Berlin, 1847, nnd in seinen anatonüsclien Abliandlungen. Petersburg-, 1852. Seither vergellt kein Jahr, ohne naniliatte Beiträge dieses ausgezeichneten Anatomen über Muskelvarietcäteu zu bringen. — W. Gmher, Die Musculi Kuhscapulareg. — Dursy und Bansen, in der Zeitschr, für rat. Med.. 1868 (Obere und untere Extremität). — Alex. Jlacalistcr hat in seinem, mit dem grössten Fleisse verfassten Catalogue of Muscular Anomalies, Dublin, 1872, die reichste Aehrenlese eigener und fremder Beobachtungen zusammengestellt. — Ueber die als Mus- culus sternalis hrutorum in >?. 163 angeführte Varietät des Musculus stenw-clel(1<)-i)uisfoi. und ihre Deutung, handeln Bardelehen und Hesse, in der Zeitschrift für Anatomie und Entwicklungsgeschichte, 1. Band. Es Avii'd eine Zeit kommen, in welcher die Bedeutung der Varietäten der Muskeln b(\sser verstanden sein wird, als jetzt, wo man sie nur als Curiositäten zu behandeln geneigt ist. Darwin's Lehre wird in den Mnskelvarietäten, insofern sie Wiederholungen thierischer Bildungen sind, eine Hauptstütze finden. Ueber Schleimbeutel und Schleimsclieiden: A. Moiiro, A Description of all the Bursae Mucosae of the Human Hody. Edinl)., 1788, fol. Deutsch von Rosenmüller. Leipzig, 1799, fol. — E. Gerlach, De biirsis teudinum mucosis in capite et collo rej)eriuudis. c. tab. Viteb., 1793. — N. G. Schreger, De bursis mucosis subcutaneis. Erlaug., 1825, fol. — Dursy, Ueber Fascien und Schleimbeutel der Fusssohle, in der Zeitschrift für wiss. Med., VI. Bd., 3. Heft. — W. Gruher s im Texte citirte Abhandlungen und desselben: Die Bursae mucosae der Spatia intermetacarpo-pha- langea und bitennetatarso-phalangea. Petersburg, 1858. — A. Bou- chard, Sur les gaines synoviales du pied. Strasbourg, 1856. Ueber Fascien handeln die in der allgemeinen Literatur an- geführten Werke über chirurgische Anatomie, und über die Bezie- hungen der äusseren Form zum Muskelsystem, die Werke über plastische Anatomie, von welchen ich nur die besten anführe: J. H. Lavater, Anleitung zur anatom. Kenntniss des mensch- lichen Körpers für Zeichner und Bildhauer. Zürich, 1790. — J. G. Salvage, Anatomie du gladiateur combattant. Paris, 1812, fol. — P. Mascagni, Anatomia per uso degli studiosi di scultura e pittura. Firenze, 1816, fol. Prachtwerk. VIEETES BUCH. Sinnenlehre. Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl. - 37 §. 2U3. Begriff der Sinneswerkzeuge und Eintheilung derselben. Organe oder zusammeng-esetzte Apparate, welche nur eine bestimmte Art äusserer Reize aufnehmen, und vermittelst der Empfindung, welche sie veranlassen, zum Bewusstsein bringen, heissen Sinneswerkzeuge. Jener Zweig der Anatomie, welcher sich mit ihrer Untersuchung beschäftigt, ist die Sinnenlehre, Aestheslologia. Empfindungen, und durch diese Yorstellungen an- zuregen, ist die gemeinsame physiologische Tendenz aller Sinnes- werkzeuge; — die Art der Empfindung dagegen in jedem einzelnen Sinneswerkzeuge eine verschiedene. Da die Empfindung blos ein zum Bewusstsein gelangter Erregungszustand eines Nerven ist, so wird die anatomische Grundbedingung aller Sinnesorgane in einer, für die Aufnahme eines äusseren Eindruckes zweckmässig: orffani- sirten Nervenausbreitung gegeben sein müssen. Dem Wesen nach stellt somit jedes Sinneswerkzeug nur eine modificirte Nervenendi- gung dar, und die Sinneslehre Aväre demnach ein Theil der Nerven- lehre. Da jedoch die Vorrichtungen, durch welche die äusseren Eindrücke auf die peripherische Endausbreitung eines Sinnesnerven geleitet werden, bei gewissen Sinnen sehr complicirt erscheinen, und eine eigene Darstellung erfordern, so bilden die Sinneswerkzeuge mit Recht das Object einer besonderen Lehre der beschreibenden Anatomie. Die Sinneswerkzeuge werden in einfache und zusammen- gesetzte eingetheilt. Zu den einfachen zählt man das Tast-, Gre- ruchs- und Geschmacksorgan; zu den zusammengesetzten das Seh- und Hörorgan. Bei jenen trifi't der äussere Eindruck die sensitive Nervenausbreitung direct; bei diesen kann er nur durch die Ver- mittlung besonderer Vorrichtungen, welche ihn leiten, schwächen oder verstärken, auf sie wirken. — Alle Sinneswerkzeuge sind paarig, oder symmetrisch unpaar (Zunge als Geschmackswerkzeug), und nehmen, mit Ausnahme des Tastorgaus, die am Gesichtstheil des Kopfes für sie bereiteten Höhlen ein, um, wie der Geruchs- und Geschmackssinn, über den Eingängen des Leibes zu wachen, oder, wie der Gesichts- und Gehörssinn, möglichst freien Spielraum und leichte Zugänglichkeit zu gewinnen. — Der Geschmackssinn, dessen Träger die Zunge ist, wird nicht hier, sondern in der Ein- geweidelehre, §. 252, abgehandelt. 37* igQ S. 204. Bepriff dos Tastsinnes. In den Sinneswerkzeugen ist das Band gegeben, welches die Seele des Menschen an die körperliche Welt knüpft. Von ihnen gehen die ersten Impulse zu seiner intcllectu.lKn Entwicklung aus. sie erregen seinen Geist, und be- reichern ihn mit Vorstellungen und Begriffen. Nihil eH in intellectu, quod non priu» fuerit in sensu. — Wir erfahren durch die Sinne zunächst nur den Erregungszustand gewisser Nerven, nicht die Qualität eines äusseren Einflusses. Da jedoch derselbe Erregungszustand eines Sinnesnerven sich so oft wiederholt, so oft derselbe äussere Einfluss wiederkehrt, so sind wir durch Gewohnheit dahin gelangt, die durch die Sinne zum Bewusstsein gebrachten Eindrücke als Attribute der Körper ausser uns zu nehmen, und Farbe, Ton, Geruch als etwas Objectives aufzufassen, obwohl diese Worte nur das Bewusstwerden des Erregungszustandes eines bestimmten Sinnesnerven ausdrücken. A. T a s t o r g a n. §. 204. Begriff des Tastsinnes. Das allen orgauisclien Gebilden, mit Ausnahme der Horn- gewebe, in verscliiedenem Grade zukommende, durch die Gegen- wart sensitiver Nerven vermittelte Empfindungsvermögen entwickelt sich in der Haut zum Tastsinn. Dieser belehrt uns über die Eigenschaften der Körper der Aussenwelt, über ihre Gestalt, Schwere, Härte, Weichheit, Temperatur, etc. Die Haut tritt somit in die Reihe der Sinnesorgane. Das Vermögen der Haut zu empfinden, hängt von der Menge ihrer sensitiven Nerven ab, deren durch ver- schiedene äussere Einflüsse hervorgerufener Erregungszustand die grosse Verschiedenheit von Gefühlen bedingt, welche zwischen Schmerz und AVollust liegen. Dieses Empfindungsvermögen ist jedoch noch kein Tastsinn. Um zu letzterem zu werden, wird die Muskel- thätigkeit in Anspruch genommen. Die blosse Berührung eines äusseren Körpers erregt kein eigentliches Tastgefühl, und verschafft uns höchstens eine Vorstellung von der Grösse des Widerstandes, welchen ein Körper auf die Haut ausübt. Zur Bestimmung der Ausdehnung, Form, Härte und Beschaffenheit der Oberfläche eines Körpers muss eine mit hoher Empfindungsfähigkeit begabte Haut- partie, wie sie am tastenden Finger gegeben ist, durch Muskelwirkung an der Oberfläche des zu betastenden Körpers herumgeführt und an ihn angedrückt werden. Wir werden der Grösse der Muskelan- strengung, welche hiezu erforderlich ist, bewusst, combiniren dieses Bewusstsein mit der durch die einfache Berührung entstandenen Gefühlsperception, und gelangen auf diese Weise zu einer genauen A orstellung über die mechanischen Eigenschaften eines Körpers. Der Tastsinn bildet mithin den natürlichen Uebergang von der Muskel- zur Sinnenlehre. i. 205. Structnr der Haut. 581 §. 205. StTuctur der Haut. Die Haut des menschlicten Leibes (integumentwn commtine) bestellt aus drei in anatomisclier und vitaler Beziehung sehr ver- schiedenen Schichten, welche von aussen nach innen als Oberhaut, Lederhaut oder eigentliche Haut und subcutanes Binde- gewebe auf einander folgen. Nur die mittlere, — die Lederhaut (Cutis, Corium, to dsqfia, von öeqco, abhäuten, schinden) — erscheint als Träger und Vermittler der Tastempfindungen, und wird deshalb hier vor den übrigen abgehandelt. Cutis ist verwandt mit nvrog, eine Hülle, welche etwas in sich fasst. Pellis ist Thierhaut, das deutsche Fell. Dagegen wird Corium, verwandt mit XÖqiov, meist nur für gegerbte Haut, also für Leder gebraucht, wie z. B. im Seneca: corium forma publica percussum, das Ledergeld der Spartaner, und im Sallustius: scuta ex corlis, die ledernen Schilde der Numidier. Die Grundlage der Cutis bildet ein aus Bindegewebs- und elastischen Fasern bestehender Filz. Der Faserfilz wird um so dichter, je näher der Oberfläche. Sein äusserster Saum erscheint an mit Chlorgold behandelten senkrechten Hautschnitten fast homogen. Zahlreiche Blutgefässe und Nerven durchsetzen ihn in schief auf- steigender Richtung. Spindelförmige und netzförmig unter einander anastomosirende Zellen lagern in Menge zwischen den Faserzügen, zwischen welchen auch serumhältige Lücken vorhanden sind, welche als Lymphräume bezeichnet werden. Sie stehen mit den im sub- cutanen Bindegewebe vorhandenen Lymphgefässen in ofi'enem Zu- sammenhang. Organische (glatte) Muskelfasern finden sich in der Haut ent- weder als subcutane Muskelschichten, wie im Hodensack und im Hofe der Brustwarze, oder im Gewebe der Haut selbst, jedoch nur an behaarten Hautstellen, wo sie aus der obersten Schichte der Cutis schief abwärts zum Grunde der Haartaschen treten. Diesen Muskel- fasern verdankt die Haut ihre lebendige Zusammenziehungsfähigkeit, welche durch Einwirkung von Kälte, und bei gewissen Verstimmungen des Nervensystems als sogenannte Gänsehaut, Cutis anserina, in die Erscheinung tritt. Man kann solche Zusammenziehungen auch künstlich hervorrufen, wenn die Pole eines magneto-elektrischen Apparates auf eine befeuchtete Hautstelle applicirt werden. Der eigentliche Vorgang bei der Entstehung der Cutis anserina ist der, dass die von der obersten Schichte der Haut zu den Haar- taschen ziehenden glatten Muskelfasern, diese gegen die freie Fläche der Haut emporheben, wodurch ihre Mündungsstellen vor- springender werden, ungefähr wie die zahlreichen kleinen Hügel, welche man an der Haut gerupfter Gänse sieht. Daher der Name Gänsehaut. 582 8- 205. Struclur der Haut. Die H.iut liäii^t mit den iiiilcr ihr heiindlielien Gebilden, z. B. den Faseieii, und stellenweise dem Periost, durch sehr zahlreiche Faserbündel bindeg'ewebiger Katur zusammen, deren Dehnbarkeit, Läni;e und Stärke mit der Faltbarkeit und Yerschiebbarkeit der Haut im geraden Verhältnisse steht. Diese Bündel bilden geräumige Maschen v<»n verschiedener Grösse, in welchen Fett abgelagert wird. Faserbündel und Fett zusammen geben den Panniculus adiposut^. Jedes solche Bindegewebsbündel tunctionirt wie eine Art Ilaltband für die Haut. Wo die Haut nicht in Falten aufgehoben werden kann, nehmen diese Bündel einen fast tendinösen Charakter an, wie am Handteller, am Plattfuss, an der behaarten Kopfhaut und an den Seitengegenden der Finger. An gewissen Stelleu der Haut ver- binden sich mehrere solche Bündel zu breiten Streifen (Retinaiida cutifi), welche die Haut noch inniger an die Fascien heften, und durch den 2ug, AveK-hen sie auf die Haut ausüben, rinnenförmige Ver- tiefungen oder Furchen erzeugen, Avelche z. B. in der llohlhand und an den Beugeseiten der Gelenke sehr markirt erscheinen. Sie glätten sich während der Dehnung der Haut etwas aus, verschwinden aber niemals gänzlich. A'^on diesen Furchen sind jene zu unterscheiden, welche temporär durch die Wirkung gewisser unter der Haut vor- handener Muskeln entstehen. Hieher gehfiren flie Furchen an der Stirne, im (lesichte, am Hodensack, am Ballen des kleinen Fingers. Sie gleichen sit-h während der Ruhe der Muskeln wieder aus, nnd werden erst mit den .Jahren zu bleibenden Runzeln. Ueberdies ist die ganze äussere Oberfläche der Haut durch uiiregelmässig- gekreuzte, kleinere und kleinste Furciien wie facettirt, und verliert dieses fein gewürfelte Ansehen nur durch hohe Ausdehnung.sgrade bei Wasser- suchten, wo sie glatt, weiss und glänzend wird. Die Dicke der lioderhaut unterliegt an verschiedenen Kürperstelien ver- schiedenen Ahstnfungen. Es kann als Gesetz gelten, dass die behaarte Kopf- haut und dir Haut an der Streckseite des Stammes und der Gliedmassen dichter, derber und dicker ist, als am Gesichte und an den Beugeseiten der Gelenke, wo sie sich so verdünnt, dass subcutane Gefässc durch sie durch- scheinen, wie in der Leistengegeml, an din Brüsten, am Hodensack, und an den Augenlidi-rn. Die Haut in der Achselgrube, am ]\Iitte]t1eisch. in der Gesäss- spalte, wird durch die warme Hautausdünstung tortwiihrend gebäht, und erhält dadurch einen Grad von Empfindliclikeit, welcher den durch häufigen Druck abgestumpften Hautpartien des Gesässes und des Rückens abgeht. Zartheit des Gewebes und feinere Behaarung zeichnet die weibliche Haut vor der männlichen aus. In der Lederfabrik zu Meudun wurde zur Zeit der französischen Kcvolution die Haut von Guillotinirtcn verarbeitet, um wohl- feiles Leder zu erzeugen. Das männliche licder wurde in „consistance" besser befunden, als Gemsenleder; — das weibliche war nur zu Hosenträgern und Suspensorien zu gebrauchen (Montgailliard, IV, pag. 290). Die Mitglieder des Nationalconvents, Barere und Vadier trugen Stiefel aus Menschenleder, uud ein Exemplar der französischen Constitution vom Jahre 1793, welches §. 206. Tastwär^chen. 583 Granier de Cassaignac besass, war in Menschenleder gebunden. Lange vor der französischen Gerberei der Menschenhaut haben die Scythen und Alanen sich ihre Kriegsmäntel aus der Haut der erlegten Feinde bereitet. Kirchen- räuber wurden im frühen Mittelalter in England lebendig geschunden, und ihre Haut, zur wohlgemeinten Warnung für alle Einbrecher, an die Kirchen- thür genagelt, wo Eeste derselben, besonders unter den breiten Köpfen der Nägel, durch Jahrhunderte aushielten, ohne gänzlich zu verderben. Ich sah ganz leidliche mikroskopische Durchschnitte solcher Hautreste, welche an dem Hauptthor einer alten Kirche in Salisbury hafteten, bei Quekett in London. Die durch die Richtung der Hautfaserzüge gegebene Spannung der Cutis, sowie ihre Elasticität, erklären die bedeutende Zurückziehung der Haut bei Amputationen. Es wurde deshalb den Wundärzten zur Regel, die Haut tiefer als die Muskeln zu durchschneiden, um den zur Deckung der Wunde nöthigen Hautlappen zu ersparen. Das Klaffen der Wundränder und die Nothwendigkeit der Anlegung der Nähte ergiebt sich ebenfalls aus der Retraction der Haut, welche auch an der Leiche nicht verloren geht, indem ein kreisförmiges, an der Leiche ausgeschnittenes Hautstück die Lücke nicht mehr ausfüllt, welche durch seine Wegnahme entstand. — Wo die Richtung der Easerbündel in der Haut mit der Drehungsrichtung des Integuments sich kreuzt, müssen die zwischen den Faserbtindeln befindlichen Maschenräume bei zunehmender Deh- nung breiter werden. War die Dehnung eine sehr intensive, so kann es ge- schehen, dass nach dem Aufhören derselben die Faserbündel nicht mehr zu ihrer früheren Annäherung zurückkehren. Das Gewebe der Haut wird deshalb an den, den Maschenräumen entsprechenden Stellen rareficirt erscheinen, und weil die Epidermis über diesen verdünnten Stellen grubig einsinkt, wird es zur Entstehung von narbenähnlichen Vertiefungen an der Haut kommen müssen. Auf diese Weise entstehen die bekannten flachen, den Pockennarben ähnlichen Furchen und Grübchen am Bauche von Frauen, welche öfters schwan- ger waren. Grössere Hautwunden mit Substanzverlust schliessen sich nicht durch Regeneration der Haut an den offenen Stellen, sondern nur durch die allmälig von Statten gehende Zusammenziehung der Wundränder, und durch das neu- gebildete Narbengewebe, welches in anatomischer Beziehung vom normalen Hautgewebe verschieden ist, indem es zwar wie die Haut aus Bindegewebs- fasern in verschiedenen Entwicklungsstadien besteht, aber weder Schweiss- noch Talgdrüsen enthält, und der Tastw"ärzchen vollkommen entbehrt. Um die Structur der Haut und aller zugehörigen Gebilde (Tastwärzchen, Drüsen, Haare, Nägel, etc.) einem grösseren Kreise von Zuhörern vor die Augen zu führen, dienen die Wachspräparate des Herrn Dr. Ziegler in Freiburg im Breisgau. Schönheit, Naturtreue und Billigkeit empfehlen sie allen anatomischen Lehranstalten und Museen, wo sie nicht fehlen dürfen. §. 206. Tastwärzclieii. Die Oberfläclie der Cutis ist von den Tastwärzchen (Pcqnllae tactus) wie übersäet. Die Summe derselben wird für eine eigene Schiclite der Haut angegeben, — Corpus s. Stratum jyapillare. Die Verbreitung der Tastwärzchen ist keine gleichförmige. An den Lippen, an der Eichel, an den kleinen Schamlefzen der Weiber stehen sie sehr dicht gedrängt, und zeichnen sich an den weiblichen 584 *• 20«. Tastwftrzxhen. Brustwarzeu durch ihre Läug'e aus. Au der Eichel uud au den Muüdlipiien i'agen die Tastwärzchen nicht bis in die verhornte ober- flächliche Schichte der Epidermis (§. 20S) hinauf. Au der Brust- warze und Eichel gesellen sie sich zu Gruppen oder Inselcheu von vier bis zehn zusammen. An der Volarseite der Hand und der Finger stehen sie in gekrümmten, concentrisch verlaufenden l^inieu oder Riffen, welche an den Fingerspitzen vollständige Ellipsen bilden (Tastrosetten), deren lange Axe am Daumen und Zeigefinger mit der Längenaxe des Fingers übereinstimmt, an den übrigen Fingern aber gegen den Ulnarrand derselben abweicht. Jedes solche liiff enthält eine doppelte Reihe von Tastwärzchen. In der Allee zwischen den beiden Warzenreihen eines Riffes, münden die gleich zu erwähnenden Schweissdrüsen der Haut mit feinsten Oeffnungen aus. x\n der Schleimhaut der Augenlider, der Zunge, der Backen, des Scheideneinganges und des Gebärmuttermundes, kommen eben- falls Tastwärzchen vor. — An ihren Basen confluirende Tast- wärzehen heissen, im Gegensatz zu den isollrt bleibenden oder ein- fachen: zusammengesetzt. Die Grösse der Tastwärzchen viiriirt vom kauiii iiierkljaren Höckerchen, wie auf der Haut des Rückens. Lis zu einem, eine halbe Linie und darüber hohen Kegel mit abgerundeter Spitze (Ballen der Ferse). Ich habe gefunden, dass die Tastwärzelien an der Ferse von Leuten, welche immer blossfüssig einhergingen, ungleich länger und dicker sind, als an beschuht gewesenen Füssen. So sind sie an einem Hautinjectionspräparate aus der Ferse eines Zigeuners doppelt so hoch und dick, als an einem gleichen Präparate aus der Ferse eines Mädchens aus besserem Stande. Jede Tastwarze besteht aus demselben faserigen Grundgewebe, wie die Cutis, nur nehmen die Bindegewebsfasern mehr parallele und zugleich longitudinale Richtung an, und werden, gegen die Axe «ler Tastwarze zu, von elastischen Fasern in verschiedenen Ent- wicklungsstufen durchsetzt. An vielen Tastwärzchen zeigt sich, wie an der Cutis, noch ein sehr zarter, structurloser, subepidermoidaler Saum. In der Regel tritt zu jeder Tastwarze eine capillare Arterie, welche unverästelt in ihr aufsteigt, an der Spitze der Warze um- biegt, rückläufig wird, und in eine Yene übergeht, — Gefäss- schlinge der AVarze. Die Schlingen erscheinen häufig um ihre T.ängsaxe gedreht. Sie kommen sonst nirgends im menschlichen Leibe vor, und sind ein ausschliessliches Attribut der Tastwärzchen. Nur an grösseren und an zusammengesetzten Wärzchen treten mehrere Arterien in die Basis derselben ein, um, nachdem sie die erforderlichen Schlingen gebildet, zu einer einfachen oder doppelten "\ ene zu werden. In den Tastwärzchen an der inneren Fläche der Backen, besonders in der Umgebung der Insertionsstelle des Ductus §. 207. Drttsen der Haut. 585 Stenonianus, bilden die einfaclien Arterien derselben Knäuel (Gh- 7neruli), welche icli durch Injectionspräparate an Kindern und Er- wachsenen sichergestellt habe. Nach Teichmann senden die in der Cutis eingetragenen Lymphgefässräume blinde Ausläufer in die Tastwärzchen ab. R. Wagner zeigte zuerst, dass nur jene Tastwärzchen Nerven besitzen, welche die von ihm und Meissner entdeckten Tast- körperchen enthalten (§. 70). Die übrigen besitzen nur Grefäss- schlingen. Dem entsprechend wurden die Tastwärzchen in Nerven- und in Grefässpapillen eingetheilt. Die Gefässpapillen sind in der That ungelöste physiologische Räthsel, da man nicht begreifen kann, wie nervenlose Gebilde Vermittler von Gefühl seindrücken sein können. Sind sie aber solche Vermittler nicht, dann weiss man wieder nicht, wozu sie überhaupt da sind. — W. Krause sah die primitiven Nervenfasern in den Tastwärzchen der Lippen mit Endkolben auf- hören, lieber die Endigungsweise der sensitiven Nerven in den Tastkörperchen wurde schon §. 70 gehandelt. Die Empfindlichkeit der Haut variirt an verschiedenen Stellen der Leibes- oherfläche. H. "Weher fand, dass die zwei Spitzen eines Zirkels an gewissen Hautstellen nur Einen, an anderen Stellen aber zwei Gefühlseindrücke erzeugen. Die kleinste Entfernung der Zirkelspitzen, bei welcher dieselben noch doppelt gefühlt wurden, war auf der Zungenspitze 0,5 Pariser Linien, am Tastpolster der Fingerspitze 1'", am Lippenroth 2'", an der Nasenspitze 3'", am Zungen- rand 4'", an den Backen 5'", am harten Gaumen 6'", auf dem Jochbein 7'", auf der Rückenseite der Metacarpusköpfchen 8'", an der inneren Fläche der Lippen 9'", an der Ferse 10'", am Nacken, am Oberarm und Oberschenkel aber 30'". Die auf den Fingern und auf dem Rücken der Hände bei jungen Indi- viduen häufig vorkommenden, und oft von selbst wieder vergehenden "Warzen fVerrucaeJ enthalten mehrere, drei bis vier Mal verlängerte, und an ihrem Ende kolbig verdickte Tastwärzchen. Es lässt sich in der Haut ein System von Linien verzeichnen, welche die Grenzen der Verästlungsgebiete der einzelnen, sehr zahlreichen Hautnerven gegen einander abmarken. Diese Linien sind höchst constant. Die durch sie gegebene Mappirung der Körperoberfläche ist von hohem Interesse, da sie erwiesener Massen mit der Entwicklung und werdenden Gestaltung des Men- schenleibes zusammenhängt. Nach ihrem Entdecker, Ch. Voigt, will ich sie die Voigt'schen Linien nennen. Ausführliches über sie gab "Voigt in den Denkschriften der "Wiener Akademie, XXH. Band. §. 207. Drüsen der Haut. Die Haut besitzt zweierlei Arten von Drüsen: a) Talgdrüsen, Glandulae sebaceae. Sie zählen zu den ein- fachen acinösen Drüsen (§. 90). Um den als Epidermis gleich zu beschreibenden hornigen Ueberzug der Haut, und die in der Haut wurzelnden Hornfäden (Haare) gegen die Ein- 5,96 S. 207. ürttson «ler ll;iul. Wirkung- tief Liit't und (\i'> J^cli weisses zu srliützcn, sie i;e- sclinn'idii; /u ihmcIkmi, und iliri' 1 );iu»'rliartii;keit /u vcniiolircn, werden diese (Jehilde mit einer fetten Salhe l)eölt. welche in den Tali^drüseu der Haut bereitet, und durch (h-ren Ausfüh- ruu!j;sii,"änge ahs s();j;enannte 11 a u tschniiere oder llauttalg, Selnan .v. Smcoiita cutaneinu, an die Oberfläche des Integuments i;eschiift't wird. Nur vollkoiunien haarlose Keviere der Haut, ■wie der Handteller, die Sohle, die Dorsalfläehe «ler zweiten und diitten Phalangen, und die Haut des niännliclien Gliedes (ohne dessen Wurzel) entbehi-en der Talgdrüsen. Ihre Gestalt g-eht vom einlachen keulen- oder birntVirmigen Schlauche, z. B. am Kücken, in ein mehrlach ausgebuchtetes, acluöses Säckchen übei". wie an der Nase, den Lippen, und im Umkreise ihii tinden sieh staeheliihnliehe Fortsiltze in grosser ]\Ienofe. mittelst welcher je zwei naeh- barliehe Zellen so in einander greifen, wie zwei mit den Borsten gegen einander gedrückte Bürsten (Stach elzellen). Sind, statt der Stacheln, scharfe Leist- chen vorhanden, so heisscn solche Zellen Riff Zeilen. Die Riffe und Stacheln treten mit dem Höherrücken der Zellen immer mehr und mehr zurück, und ver- schwinden zuletzt gänzlieli. Zwisehtii den Zellen der tieferen Schichten des jl/ttctw Malpighii wurden Wanderzellen nachgewiesen, welche aus dem subcutanen Bindegewebe, wo sie in der Nähe der Blutgefässe sich auflialten, durch die Cutis, bis in den ^faljtighi'schen Schleim auswandern. Sie kommen besonders zahlreich unter pathologischen Bedingungen vor, z. B. bei Ekzem und Condylom. Marklos gewordene Fasern der Hautnerven sollen sich über die Cutis hinaus, zwischen die Zellen des Mucun Malpiyhü vordrängen und daselbst mit knopfförmigen Anschwellungen endigen, oder in die Zellen der Epidermis selbst eindringen, sich in denselben theilen, sogar Knäuel bilden und mit End- anschwellungen aufliüren (?j. Leider lassen sich diese merkwürdigen Dinge niemals an frischen Präjiaraten sehen. Sie treten nur nach Behandlung der Hautschnitte mit Goldlösungen hervor, und können möglicher Weise etwas Anderes sein, als Nerven. — Ueber Nervenendigungen in der Haut sieh' auch J. Jantschitz. in den Abhamllnngen russischer Aerzte und Naturforscher, Warschau. IS'Tß. Einen selir einleuchtenden Beweis für das Eigenleben der Epidermis liefert die von den französischen Aerzten erfundene »jreffe epiderndque. Wenn man auf eine Wundfläehe, welche sieh zur Heilung anschickt, ein Stückehen frisch ab- getragene Epidermis legt, an welches noch Mucus Malphjhii anhängt, so heilt dieses Stückchen an. wächst durch Zellenbildung im Umfang und trägt wesent- lich zur schnelleren Vi-rnarbung der Wunde bei. Die schwarze Hautfarbe des Negers hat ihren Grund einzig und allein in dem dunklen Pigmentinhalt der tiefsten Zellenlage des Mucus Malpighii. Die Laus des Negers, welche sieh vom pigmentirten Zelleninhalt des Mucus Malpighii nährt, ist deshalb wie ihr Besitzer schwarz. Je höher aber die tief- liegenden Zellen durch das Abfallen der obersten zu liegen kommen, desto mehr entfärben sie sieh, und die eigentliche Oberhaut des Negers ist nicht schwarz, sondern graulich. Dieselbe Farbe zeigen die Narben nach den Brand- wunden, mit welchen die Humanität der weissen Menschen, trotz so viel Moral und Religion, ihre schwarzen Brüder zeichnet, wie der Viehhändler seine Hammel. Dunkle Hautstellen der weissen Menschenrace, wie der Warzenhof. der Hodensack, die Umgebung des Afters, enthalten keine pigmenthaltigen Epidermiszellen, wohl aber Pigmentmoleküle zwischen den Zellen des Mucus Malpighii. Uebrigens erscheint die Cutis nach Abstreifen des Malpighi'schen Schleimes bei allen farbigen Racen ebenso lichtfarbig, wie jene der weissen. §. 209. Physikalische und physiologische Eigenschaften der Oberhaut. Die Epidermis theilt mit allen Horngebildeu das Vorrecht, ein schlechter "Wärme- und Elektricitätsleiter zu sein, Sie beschränkt die Absorptionsthätio^keit der Haut, und hindert die zu rasche Ver- dampfun,^ der Ilautfeuchtigkeit. Von letzterer Wirkung- kann man sich an Leichen überzeugen, au denen die Epidermis durch An- §. 209. Physikaliselie und physiologische Eigenschaften der Oherhaut. 591 Wendung' von Yesicatoren während des Lebens entfernt, oder durch mechanisclie Einwirkungen abgestreift wurde. Die der Epidermis beraubten Stellen der Haut vertrocknen in diesem Falle sehr schnell zu pergamentartigen, harten Flecken. Am Lebenden, dessen Haut fortwährend neue Feuchtigkeit durch die Blutgefässe zugeführt er- hält, tritt dieses Yertrocknen an epidermislosen Stellen nicht ein. Man hat diese Beobachtung auch zu yerwerthen gesucht, wenn über wirklichen oder Scheintod einer Person ein Urtheil abzugeben war. — Durch anhaltenden Druck verdickt die Epidermis sich zu hornigen Schwielen, welche an den Zehen den trivialen Namen der Hühneraugen, besser Leichdorne (Clavi), führen. Solche Schwielen können überall entstehen, wo der zu ihrer Erzeugung nothwendige Druck wirkt. Ich habe sie bei Lastträgern am Kücken, auf dem Dornfortsatze des siebenten Halswirbels, und auch an der Darmbeinspina bei Frauen, welche feste, bis über die Hüften reichende Mieder, besser Kürasse, trugen, beobachtet. Da ich meine Feder hart führe, entsteht, wenn ich viel zu schreiben habe, am Innenrande des Nagelgiiedes meines Mittelfingers durch den Druck der Feder regelmässig ein artiges, von selbst wieder vergehendes Hühnerauge. — Das Hühnerauge hat seinen Namen von dem grauen oder bräunlichen Fleck, welcher sich in der Regel, und bei alten Hühneraugen immer in der Mitte seiner Schnittfläche zeigt. Er entsteht dadurch, dass sich zwischen der Basis des Hühnerauges und der Cutis ein Tröpfchen Blut er- gossen hat, welches, zwischen den sich fortwährend von unten auf neu bildenden Epidermisschichten eingeschlossen, allmälig gegen die Oberfläche des Hühner- auges gehoben wird, wobei der Blutfärbestofif eine Umwandlung in dunkles Pigment erleidet. Oft umschliesst das Hühnerauge einen weissen Kern, welcher aus phosphorsaurer Kalkerde besteht, und durch seine Härte die Beschwerden beim Drucke auf das Hühnerauge steigert. Die vielfach gerühmte xinwendung von verdünnter Schwefelsäure oder vegetabilischen Säuren (z. B. im Safte der sogenannten Hauswurzel, Sedum acrej. löst diesen Kern, und schaff't dadurch bei schmerzenden Hühneraugen oft anhaltende Linderung. Unter alten Hühneraugen entwickelt sich regelmässig ein kleiner Schleimbeutel. Das sogenannte Ausschneiden der Hühneraugen ist keine radicale Exstir- pation, sondern eine palliative schichtweise Abtragung derselben, welche nur für kurze Zeit hilft, da das Entfernte bald wieder nachwuchert. Es sind Fälle bekannt, wo auch diese harmloseste aller wundärztlichen Verrichtungen durch phlegmonösen Kothlauf zum Tode führte (P. Frank, Opusc. posthumaj. Kein Jahr vergeht, ohne Nachricht zu bringen von tödtlichen, durch Phlebitis und Pyämie herbeigeführten Folgen ungeschickter Beschneidung der Hühneraugen. Die vertrockneten Epidermisschüppchen schwellen im Wasser wieder auf, erweichen sich und werden in diesem Zustande leicht durch Reiben ent- fernt, wonach die Hautausdünstung leichter von Statten geht, und die heilsame Wirkung der Dampf- und Wannenbäder zum Theil erklärlich wird. Die Dampf- bäder aber Schwitzbäder zu nennen, ist barer Unsinn, da der heisse Wasser- dampf der Badestube sich auf die kältere Haut des Badenden niederschlägt, also die Nässe der Haut gewiss kein Schweiss ist. — Noch schneller als im Wasser erweichen sich die Epidermiszellen in Kalilösung, weshalb man sich zum Waschen der Hände allgemein der Seife bedient. - Die hygroskopische Eigenschaft der Epidermis bedingt das Anschwellen, und dadurch das jeden 502 §• -!"• 'N*(?el- Witt, rungswechsel begleitende Schmerzen der Leichdorne, und lehrt es ver- stehen, warum hei Li;is(lie Einonsi-liafliMi dor llnarp. ( ntlialtiii ist. Längenschnitte derselben bereitet man sich durch vorsichtiges Schallen des Haares. Querschnitte der eigenen Haare erhält man in Menge, wi nn man sich in kurzer Zeit zweimal rasirt. Befeuchtung der Haarschnitte mit verdünnten Alkalien oder Säuren erleichtert wesentlich die Erkenntniss der Structur der verhornten Haarbestandtheile. Epidermis und Muctis Jlalpighii setzen sidi durch die AustrittsöflFnung des Haares in den Haarbalg hinein fort. Dadurch bilden sie sofort eine doppelte Scheide für die Haarwurzel, und zwar die Zellen des Mucus Malpitjhli die äussere Wurzel seh ei de, jene der Epidermis die innere Wurzelscheide des Haares. An der inneren Wurzelscheide unterscheidet man wieder eine ein- fache äussere Lage kernloser Zellen, und eine innere mehrfache Lage kern- haltiger Zellen, als Henle's und Huxley's Scheiden. Die Schüppchen der Oberhaut des Haarscbaftes decken sich einander dachziegelförmig so, dass die der Wurzel näheren Schüppchen sich über die entfernteren legen. Sie kehren sich beim Befeuchten des Haares mit verdünnter Schwefelsäure vom Haarschaft ab. wodurch dieser ästig oder filzig wird. Auch durch Streichen eines Haares von der Spitze gegen die Wurzel werden die Schüppchen des Haarschaftes stärker abstehend, und durch Schaben in dieser Richtung völlig abgestreift. Nach Withof standen hei einem massig behaarten Manne auf einem Viertel-Quadratzoll Haut, am Scheitel 293, am Kinne 39, an der Scham 34, ara Vorderarme 23. an der vorderen Seite des Schenkels nur 13 Haare. Die Richtung des Haares steht nie senkrecht auf der Hautoberfläche, sondern schief gegen dieselbe. An feinen Durchschnitten gehärteter Cutis sieht man, dass auch die Haarbälge schief gegen die Cutis streben. Im Allgemeinen sind die Haare einer Gegend gegen die stärkeren Knochenvurragungen gerichtet (Olekrannu. Steissbeinspitze. Crista tibiae, Rückgrat). Die schiefe Richtung sämmtlicher Haare Einer Gegend lässt sich mit der Richtung der schief übereinander fallenden Grashalme einer vom strömenden Wasser überfluthetcn Wiese vergleichen. Daher der Name Haar ströme. Mit einander convergirende oder divergirende Haarströme bilden die sogenannten Haarwirbel, welche sofort in convergirende und divergirende eingetheilt werden. Die Menschenhaare scheinen einem ähnlichen, wenn auch nicht so regel- mässig erfolgenden, periodischen Wechsel zu unterliegen, wie er bei Thieren als Hären und Mausern bekannt ist. Die Wahrscheinlichkeitsgründe dafür liegen 1. in dem gleichzeitigen Vorhandensein junger Ersatzhaare mit den reifen und abzustossenden in einem und demselben Haarbalg; 2. in dem nie fehlenden Vorkummen ausgefallener Haare zwischen den noch feststehenden; 3. in dem l'mstande, dass zwischen Haaren, welche man regelmässig und in kurzen Zwischenräumen zu stutzen pflegt, und welche deshalb die Spuren der Scheeren- wirkung an ihren Spitzen zeigen, immer einzelne dünnere Haare vorkommen, deren Spitzen vollkommen unversehrt sind. i?. 212. Physikalisclie und physiologisclie Eigenschaften der Haare. Das Haar vereinigt einen, im Yerhältniss zu seiner Gracilität hohen Grad von Stärke und Festigkeit mit Biegsamkeit und Ela- sticität. Ein dickes Haupthaar trägt ein Gewicht von drei bis fünf Loth. ohne zu zerreissen. und dehnt sich, bevor es entzwei geht, fast i. 'ii^. Ptysikallsche und physiologische Eigenschaften der Haare. 597 um ein Drittel seiner Länge aus. Trockene Haare werden durcli Reiben elektriscli und können selbst Funken sprühen. Yon Katzen und Rappen ist dieses vielfältig bekannt geworden, wie auch die Entwicklung der Elektricität im Harzkucheu, welcher mit einem Fuchsschwänze gepeitscht wird. Die hygroskopische Eigenschaft der Haare wurde in der Physik zu Feuchtigkeitsmessern benutzt. Saussure fand selbst das Mumienhaar noch hygroskopisch. Das fette Oel, welches die Haare von den Talgdrüsen erhalten, und welches ihnen ihren Grlanz und ihre Geschmeidigkeit giebt, beeinträchtigt die Empfänglichkeit der Haare gegen Feuchtigkeitsänderungen, imd muss durch Kochen in Lauge oder durch Aether entfernt werden, um ein Haar als Hygrometer zu verwenden. Das Haar widersteht, wie die übrigen Horngebilde, der Fäulniss ausserordentlich lange, löst sich aber im Papiniani'schen Digestor auf, schmilzt beim Erhitzen, verbrennt mit Horngeruch und hinterlässt eine Asche, welche Eisen- und Manganoxyd, Kiesel- und Kalksalze enthält. Die Farbe des Haares durcliläuft alle Nuancen vom Schneeweiss bis Pecb- schwarz. Bei Arbeitern in Kupfergruben hat man grüne Haare gesehen. Die Haarfarbe steht mit der Farbe der Haut in einer, wenn auch nicht absoluten Beziehung, und erhält nur bei einem Säugethiere — dem Cap'schen Maulwurf — metallischen Irisschimmer. — Die Pigmentirung der Zellen und Zellenkerne in der Einde des Haarschaftes bedingt die Haarfarbe. Gelblichweiss erscheinen die Haare bei den Kakerlaken fLeucaethiopes, Dondos, Blafards) wegen Mangel des Pigments. Rothe Haare enthalten mehr Schwefel als andere, und ändern deshalb ihre Farbe durch längere Zeit gebrauchte Bleisalben, selbst durch den Gebrauch bleierner Kämme. — Das plötzliche in wenigen Stunden erfolgte Ergrauen der Haare durch Schreck oder Verzweiflung (Thom. Morus, Marie Antoinette), kann durch die Umstimmung der lebendigen Thätigkeit im Haare, vielleicht auch durch die chemische Einwirkung eines in der Hauttranspiration enthaltenen unbekannten Stoffes bewirkt werden. Auch das Festwachsen mit der Wurzel ausgezogener und auf ein zweites Individuum verpflanzter Haare, bekräftigt das Walten einer lebendigen Thätigkeit im Haare. Das Fortwachsen der Haare an Leichen erklärt sich nur aus dem Eingehen und Schrumpfen der Haut- decken, wodurch die Haarstoppel vorragender werden, oder aus dem Rigor der organischen Muskelfasern der Hautbälge, welche den Haartaschenboden heben, und somit die Spitze des rasirten Haares aus der Cutis hervordrängen. — Bei allen Operationen an behaarten Stellen müssen die Haare vorläufig abrasirt werden, denn ihre Gegenwart erschwert die reine Schnittführung-, einzelne Haare, welche zwischen den Wundrändern liegen, hindern ihre schnelle Ver- einigung, und die Verklebung der Haare mit den angewandten Heftpflastern macht nicht blos das Wechseln des Verbandes schmerzhaft, sondern gefährdet diesen Wechsel auch durch Wiederaufreissen der kaum verharschten Wundränder. Die physiologische Bedeutung der Haare ist nichts weniger als klar. Als Schutzmittel des Leibes können sie nur bei den Thieren gelten, deren obere Körperseite in der Regel eine dichtere Haarbekleidung trägt, als die untere. Als natürlicher Schmuck erfreuen sich die Haare einer besonderen Pflege bei allen gebildeten und ungebildeten Nationen, insonderheit bei den Frauen, und man ist darauf bedacht, den Verlust derselben durch die Kunst zu verbergen. 508 8. 21!1. UnterhaulliindegfwtOie. Der buschige Keiz eines wohlbestellten l^ackenbartes, die Bürste des Schnurr, hartes, der Vollbart des Kapuziners und Demokraten haben auch im starken Geschlechtc ihre Verehrer, weil sie selbst nichtssagenden Gesichtern einen ge- wissen Ausdruck geben. Ein schönes Haar ist eine wahre Zierde des mensch- lichen Hauptes, wt-nn dieses nicht hässlicli ist. Scheeren des Kopfes war im Mittelalter mitunter Strafe der Prostitution, und bei den alten Deutschen wurde nach Tacitus den Ehebrecherinnen das Haupthaar abgeschnitten; eine jeden- falls mildere Strafe, als das Steinigen bei den alten Hebräern, und das einst in Skandinavien über beide Schuldige verhängte Zusammenpfählen auf einem Haufen von Dorngestrüpp. Das Keimen der Scham- und Antlitzhaare kündigt als Vorbote den erwachenden Geschlechtstrieb an. Warum die Frauen keinen Bart bekämen, erklärt das Alterthum: „marein ornat barba, quam ob yravi- tatem natura concesfiit; feminis eam negavit, quas ad suavitatem magis, quam ad gravitatem factas esse voluit" ; und der gelehrte Commentator des Mun- dinus (Matth. Curtius) fügt hinzu: ..veque feminas graves esse oportebat, sed omnino placidas et jocosas". Die Haupthaare der Hottentotten wachsen niclit gleidif/irinig über das Schädeldach vertheilt, sondern stehen, wie die Borsten unserer Bürsten, in Büscheln, deren einzelne Haarfäden sich zu kleinen, wie Pfefferkörner aus- sehenden Klumpen zusamraenkräuseln. §. 213. TJnterliautbindeg'ewebe. Das üuterlia utbi 11(1 egew(? 1)0 (Tt',dus eeUidotsus suhcutaiwus) i.st eine .sehr uacligiebii^e und dehnbare, aus Bindegewebsfaser- büiideln und ebistischeii Fasern gebildete Unterlage der Cutis. Es vermittelt die Verbindung der Haut mit den tieferen Gebilden, insbesondere mit den Fascien. Je laxer dieses Bindegewebe, desto grösser die Verschiebbarkeit und Faltbarkeit der Haut. Seine Faser- böndel gehen in das Gewebe der Cutis über. Zwisclien den Bündeln bleiben Lücken frei, welche unter einander commiiniciren. Diese Lücken werden von Fett eingenommen.. Massenhafte Ablagerung des Fettes kann die Dicke dieser Bindegewebsschichte bis auf zwei Zoll und darüber bringen. In solchem mit P^ett geschwängerten Zu- stande wird das subcutane Bindegewebe auch Fetthaut, Panniculus üiliposus genannt (Aon pannus, ein Tuch, eine Hülle). Am Halse und au den (iliedmassen finden wir unter dem Panniculus adiposus eine mehr weniger entwickelte und fettfreie IJindegewebsschichte, welche als Fascia super/icialis Anlass zu mancherlei anatomischen Zcänkereien gegeben hat. — Das Unterhautbindegewebe des männ- lichen Gliedes, des Hodensackes, der Augenlider, der Nase und der Ohrmuschel bleibt immer fettlos. ■ — Die freie Communication der Bindegewebsräume im Textus cellulosus suhcutaneus erklärt die leichte ^ erbreitung von Luft im Bindegewebe bei Emphysemen Aon Blut- Eiter- und Jaucheergüssen, und das Zuströmen des Wassers zu den tiefstgelegenen Körperstellen bei Wassersucht. i. !il4. Aeussere Nase. 599 Bei den Mauren gilt grosse Fettleibigkeit einer Frau für grosse Schön- heit, und bei den Kelowi in Centralafrika muss eine tadellose Odaliske das Gewicht und den Umfang eines jungen Kanieels besitzen, welches denn auch durch einen mit grosser Beharrlichkeit durchgeführten Mästungsprocess ange- strebt wird (Ule, Neueste Entdeckungsreisen). Es muss befremden, dass das subcutane Fett an jenen Stellen, welche starken und anhaltenden Druck aushalten, wie das Gesäss und die Fusssohle, nicht zum Weichen gebracht, oder aus seinen Bläschen herausgedrückt wird. Die Stärke der Wand der Fettcysten und der sie umschliessenden Bindegewebs- maschen, sowie der Umstand, dass Fett, in feuchte Häute eingeschlossen, selbst bei hohem Drucke nicht durch die Poren derselben entweicht, erklärt dieses Verhalten. — Die Armuth an Blutgefässen und Nerven, und die dadurch ge- gebene geringe Vitalität des Fettes, sind der Grund, warum Operationen im Panniculus adiposus wenig schmerzhaft sind, Wunden desselben wenig Tendenz zur schnellen Vereinigung haben, und die Vernarbung äusserst träge erfolgt. Die unglücklichen Eesultate des Steinschnittes und der Amputationen bei fetten Personen sind allen Wundärzten bekannt, und die Beobachtung am Krankenbette lehrt, dass bei allen grossen Wunden das Fett der Schnittflächen früher durch Eesorption schwinden muss, bevor die Vernarbung erfolgt. B. Geruch Organ. §. 214. Aeussere läse. Die äussere Nase (Nasus, Qtg, von q£co, fliessen, und ftvJCTT^o, von ^vKog, Schleim, auch ittv^wrtj^, von ^v'S,a, Schnupfen) bildet das Yorhaus des Geruchorgans und besteht aus einer pars fixa und mohilis. Die fixe obere Partie der Nase wird, wie wir in der Knochen- lehre sahen, durch die Nasenbeine imd die Stirnfortsätze der Ober- kiefer gebildet. Die bewegliche untere Abtheilung besteht aus einem unpaaren und wenig beweglichen, und aus zwei paarigen beweg- licheren Knorpeln, welche sämmtlich zu den hyalinen Knorpeln zählen, und bleibende Ueberreste des knorpeligen Cranium primordiale des Embryo sind. Beide Abtheilungen der äusseren Nase bedingen durch ihre bei verschiedenen Menschen sehr verschiedene Form, die zahl- losen individuellen Verschiedenheiten des Nasenvorsprungs, vom Stumpfnäschen bis zur Pfundnase. Als das vorspringendste Gebilde im Gesicht bestimmt die Nase vorwiegend den Typus des letzteren, und fallen ihre Entstellungen höchst unangenehm in die Augen. Schon Galen bemerkt: „si exiguum quiddam de naso fuerit ahscissum, tota fades deformis futura est" (De usu partium, Lib. XI, Cap. 8). Der unpaare Nasenscheidewandknorpel, Septum carti- lagineum s. Cartilago quadrangidaris, stellt den vorderen Theil der Nasenscheidewand dar, deren hinterer, knöcherner, durch das Pflug- scharbein und die senkrechte Siebbeinplatte gegeben ist. Er hat eine ungleich vierseitige Gestalt und ist mit seinem hinteren Winkel ßOO *■ ^1^' Aeussere Nase. in den zwischen der senkrechten Siebbeinphitte und dem Vomer übrig;fi;elassenen einspringenden Winkel fest eingelassen. Sein liin- t(M-er oberer Rand passt somit auf den unteren Rand der senkrechten ►Siebbeinplatte; sein hinterer unterer au den vordei'eu Rand des Vomer. Sein vorderer oberer Rand liegt in der Verlängerung des knöchernen Nasenrückens; sein vorderer unterer ist frei, geht aber nicht bis zum imteren Rande der die beiden Nasenlöcher trennenden, und blos durch das Integument gebildeten Scheidewand (Septum membranaceuni s. Columna) herab. Wenn man Daumen imd Zeige- finger einer Hand in beide Nasenlöcher einführt und das Septwn memhranaceum nach rechts und links biegt, fühlt man den freien Rand des Scheidewandknorpels ganz deutlich. Im Embryo ist die ganze Nasenscheidewand knorpelig (Primordialknorpel). Das Pflugscharhein entsteht zu beiden Seiten des hinteren Abschnittes dieses Knorpels, und wird somit aus zwei Platten bestehen, zwischen welchen der ursprüngliche Nasenscheidewandknorpel noch existirt. Dieser Knorpel schwindet erst spät mit der vollständigen Entwicklung des Pflugscharbeins. So lange er existirt, findet sich zwischen dem oberen Rande des Vomer und der unteren Fläche des Keilbeins ein Loch, durch welches ein Ast der Arteria pharyngea zum Knorpel gelangt. Die paarigen dreieckigen oder Sei tenw and knnrpel der Nase, Cartilagines trianguläres s. laterales, liegen in den verlängerten Ebenen beider Nasenbeine. Sie stossen mit ihren oberen Rändern an einander, und verschnudzen am Nasenrücken mit dem Nasenscheide- wandknorpel so innig, dass sie mit vollem Rechte als integrirende Bestandtheile desselben genommen werden können. Die paarigen Nasenflügelknorpel, Cartilagines alares s. Plnnae narium, liegen in der Substanz der Nasenflügel, auf deren . Form sie Eiufluss nehmen. Sie reichen aber nicht bis zum freien, seitlichen Rande der Nasenlöcher herab, welcher blos durch das Integument gebildet wird. Sie dehnen sich zur Nasenspitze hinauf, biegen sieh von hier nach einwärts um, Averden schmäler, und enden im Septum membranaceuni, gewöhnlich mit einer massigen Verdickung. Sie bilden demnach die äussere, und den vorderen Theil der inneren Umrandung der Nasenlöcher, wcdche sie offen erhalten. Mit dem unteren Rande der dreieckigen Nasenknorpel, und mit dem Seiten- rande der Incisura pyriformis nariuni hängen sie durch Bandmasse zusammen, in welcher häufig mehrere kleinere, rundliche oder eckige Knorpelinseln, die Cartilagines sesamoideae , eingesprengt liegen. Schneidet man zwischen den beiden nach innen umgebogenen Theilen der Nasenflügelknorpel senkrecht ein, so kommt man auf den vorderen, unteren, freien Rand des viereckigen Nasenscheide- waudknorpels. B. 215. NasenhöUe und Nasenschleimhaut. 601 Die äussere Oberfläche der knorpeligen Nase wird von der allgemeinen Decke überzogen, welche durch kurzes fettloses Binde- gewebe fest an die Knorpel anhängt und nicht gefaltet werden kann, was doch auf der knöchernen Nase sehr leicht geschieht. Sehr grosse Exemplare Yon Talgdrüsen (r2 Linien Länge) münden in der Furche hinter dem Nasenflügel aus. Die aus den Nasen- öfi"nungen hervorwachsenden Haare (Vihrissae) sind theils nach abwärts gegen die Oberlippe, theils direct gegen die Nasenscheide- wand gerichtet, und werden im Alter und bei Männern überhaupt länger als bei Weibern gefunden. Sie wachsen sehr rasch nach, wenn sie ausgezogen werden. Das Thränen der Augen beim Aus- zupfen derselben ist ein sprechender Beleg für die Sympathie der Nasenschleimhaut mit der Bindehaut des Auges. Huschke beschrieb zwei neue Nasenknorpel als einen halben Zoll lange, paarige, knorpelige Streifen, welche den untersten Theil der knorpeligen Scheidewand ausmachen, und sich vom vorderen Ende des Yomer bis zur Spina nasalis anterior erstrecken. Er nannte sie Vomer cartilagineus dexter und sinister. Die Muskeln, welche auf die Bewegung der Nasenknorpel Einfluss nehmen, wurden schon im §. 158 abgehandelt. Aeusserst selten steht die Nase vollkommen symmetrisch median, — eine Beobachtung, welche von jedem Porträtmaler bestätigt werden kann. Am öftesten weicht sie nach links ab. — Auch das Septum narium osseum und cartüagineum biegt sich nach der einen oder anderen Seite, wo dann die, der concaven Fläche der Krümmung entsprechende Nasenmuschel sich durch Grösse auszeichnet. Sehr selten findet sich ein angeborenes Loch, bis zur Grösse eines Pfennigs, im Scheidewandknorpel vor. Ich habe es in meinem anatomischen Leben nur dreimal beobachtet. Es wird leicht sein, eine angeborene Oeffnung von einem vernarbten, durchbohrenden Geschwür zu unterscheiden, da das an- geborene Loch einen kreisrunden, glatten und nicht gezackten Eand hat, das durch Ulceration entstandene dagegen eine unregelmässige, wulstige Contour zeigt. Die geheilte geschwürige Perforation des Scheidewandknorpels kommt weit öfter vor, als die angeborene. Zucke rkandl hat sie unter 150 Leichen achtmal vorgefunden. §. 215. lasenhöhle und lasenscMeimliaut. Die Nasenhöhle wurde bereits in der Osteologie abgehandelt. Es erübrigt somit blos die anatomische Betrachtung der Nasen- schleimhaut. Der Greruchsinn residirt in der Schleimhaut der Nasenhöhle — Riechhaut, Membrana olfactoria s. pituitaria narium s. Schneideri. Sie verdient letzteren Namen mit vollem Eecht, da Victor Con- radin Schneider, Professor in Wittenberg, vor dritthalbhundert Jahren zuerst bewies, dass der Nasenschleim, und der bei Katarrhen ß02 S- 215. Nasenhohle und Nasenschleimhaut. au.si;»'1iust('t(' Sclilciiu iiiclit, wie Gjilcn hilirte, vom (Jcliirn her- koiiinio imd diircli das Sieldx'iii in die Nasen- uud Haclieuhöhle liorahträufle, sondorn eiu Aljs()iideriings])rüduct der Scldeiinliaut der Naseuliöhle und der Respirationsorgaue ist. Sclineider liat durch diese Entdeckung- eine formliclie Revolution in der medicinisclien (ledaiikemvelt li ervorgerufen, aber das durch diese Entdeckung sinnhis gewordene Wort ..Katarrh" (xara und qsco, herabfliessen) hat sich dennoch in allen Sprachen bis auf den lieiitigeu Tag erhalten. Die Nasenschleinihaut erscheint uns als eine an verschiedenen Stellen der Nasenhöhle verschieden dicke, nerven- und gefässreiche, aber papilleulose, aus Bindegewebsfasern mit eingestreuten zahlreichen Kernen, jedoch ohne irgend eine Beimischung elastischer Fasern bestehende Membran, welche die innere oder freie Oberfläche der die Nasenhöhle bildenden Knochen und Knorpel überzieht, an den vorderen Nasenlöchern mit der Cutis im Zusammenhange steht, durch die hinteren NasenöiFnung-en in die Schleimhaut des Rachens übergeht, und in alle Nebenh(')hl('u eindringt, welche mit der Nasen- höhle in Verbindung stehen. J)ie in ihr eingetragenen Eudigungeu der Nenii olfactorii vermitteln die (xeruchsempfindungen, während die gleichfalls ihr augehörenden Nasaläste des Triijeminus blos Tast- gefühle veranlassen. Ihr Reichthum an kleinen acinösen Drüsen, Blutgefässen und Nerven ist nur in der eigentlichen Nasenhöhle bedeutend. In den Nebenhöhlen verdünnt sie sich auffallend und nimmt durch ihre Verarmung au Blutgefässen und Nerven mehr das Ansehen einer serösen Haut au, behält aber noch immer eine gewisse, wenn auch unbedeutende Anzahl kleiner Schleimdrüsen. In den oberen Regicmen der Nasenhöhle, im Siebbeinlabyrinth, sowie am Boden der Nasenhöhle uud in den Naseugäugen wird sie dünner angetroffen, als auf der mittleren und unteren Nasenmuschel und auf der Nasenscheidewaud. Am dicksten aber findet mau sie am unteren freien Räude der unteren Naseumuschel, wo sie sehr oft wie eiu weicher und schlotternder Wulst herabhängt. — Die Dicke der Nasenschleimhaut verengt stellenweise den Raum der knöchernen Nasenhöhle bedeutend. Es kann deshalb geschehen, dass bei krank- hafter Lockerung- und Aufschwellung- derselben die Wegsamkeit der Nasenhöhle für die zu inspirireude Luft j^anz und gar aufge- hoben wird, wie im sogenannten Stockschnupfen, Gravedo, — dem Pfnusel der Wiener. Die Xasenschleiinhaut besitzt zwei verschiedene Arten von Drüsen. In der unteren Region der Nasenhöhle, wo sich der Trigeminus verästelt (Regio respiratoriaj, finden sich acinöse Schleimdrüschen; in der oberen Region, wo sich der Geruchnerv verzweigt (Regio olfactoriaj, treten lange, gerade oder an ihren Enden leicht gewundene, tubulöse Drüsen auf. Im Bereich der Regio olfactoria befindet sich nur der oberste Bezirk des Septum narium osseum §. 215. Nasenhöhle und Nasenschleimhant. 603 und die Concha ethmoidalis superior. Alles Uebrige ist Regio respiratoria. — Der geringe Umfang der Regio olfactoria verschuldet es, dass unser "Ver- mögen zu spüren und zu wittern weit hinter jenem der Thiere zurücksteht. Die Nasenselileimliaut führt in der Regio olfactoria Cylinder- epithel, in der Megio respiratoria Flimmerepithel mit eingestreuten Becherzellen. Das Flimmerepithel beginnt aber erst an der Licisura pyriformis der knöchernen Nasenhöhle. An der inneren Fläche der paarigen Nasenflügelknorpel nnd am Septwn narium, memhranaceum findet sicli nur geschichtetes Plattenepithel. Die Flimmerrichtung geht in der Nasenhöhle gegen die Choanen hin, in den Nebenhöhlen gegen die Einmündung in die Nasenhöhle. — Das Epithel der Regio olfactoria der Nasenhöhle wurde in neuester Zeit das Object sehr sorgfältiger Untersuchungen. Es werden in ihm zwei Arten von Zellen unterschieden. Die eine Art sind palissadenförmig gruppirte Cylinderzellen, welche an ihrem freien Ende durch einen sehr zarten, glatten und hellen Saum begrenzt werden, an ihrem Basalende aber in einen Faden auslaufen, welcher seitliche Ausbuchtungen und Zacken trägt, und mit etwas breiter werdender Basis in die Schleim- haut sich einzähnelt. Die seitlichen Zacken mehrerer benachbarter Zellen greifen in einander. Diese Fäden, ihre Zacken, und wohl auch theilweise der Zellenleib selbst enthalten gelbliche Pigment- körner. Dadurch erhält die Schleimhaut der Regio olfactoria ein gelbliches Ansehen, als Locus luteus autorum. — Die zweite Art von Zellen ist schlanker (daher auch Stäbchenzellen genannt). Ihr zwischen den fadenartigen Verlängerungen der Cylinderzellen liegender Körper wird von einem grossen runden Kern völlig aus- gefüllt. Ihr Körper verschmälert sich gegen ihr freies Ende, welches im gleichen Niveau mit dem freien Ende der Cylinderzellen liegt, und läuft nach abwärts in einem feinen Faden fort, welcher sich mit einer Primitivfaser des Nervus olfactorius in Verbindung setzen soll, mit welcher er histologisch die vollkommenste Uebereinstimmung zeigt. Diese zweite Art von Zellen würde demnach als Neuroepithel aufzufassen sein, da die fraglichen Zellen das peripherische Ende der Fasern des Nervus olfactorius darstellen, weshalb Schnitze sie mit dem Namen Eiechzellen belegte. Die Zahl der Stäbchenzellen überwiegt jene der Cylinderzellen. Bei Flächenansicht erscheint jede Cylinderzelle von 3 — 5 Stäbchenzellen kranzförmig umsäumt. M. Schnitze hat den Zusammenhang der Eiechzellen mit den Olfac- toriusfasern nicht selbst gesehen, sondern blos angenommen. Exner sah nun auch diesen Zusammenhang, aber nicht durch directe Verbindung, sondern durch Vermittlung einer Art von Geflecht, in welches sich die Primitivfasern des Olfactorius auflösen. Krause dagegen lässt die fadenförmigen Verlänge- rungen der Stäbchenzellen mit einem kleinen Knöpfchen oder Kegelchen auf- hören, welches sich in die Schleimhaut einzahnt. ß04 '- ^"^' NasenhOlilf und Masenschleirahaut. Um das Gebiet der Nasenschleiinhaut als Ganzes zu überschauen, niOge man sich die in §. H6 geschilderten knöchernen Wandungen der Nasenhöhle in's Gedächtniss zurückrufen. Da nun diese Wandungen als bekannt voraus- gesetzt werden, so brauche ich über die Verbreitung der Nasenschleimhaut nichts weiter zu sagen. Zuckerkandl's Normale und patholog. Anat. der Nasenhöhle. Wien, 1882, hat nicht blos unsere Kenntniss des knöchernen Ge- rüstes dieser Höhle, sondern auch die Topographie der Nasenschleimhaut wesentlich bereichert, und die Chirurgie hat durch die Erfindung des Rhinoskops die finstere Nasenhöhle so zu beleuchten gewusst, dass Sitz, Form, Grösse und Beschaffenheit krankhafter Gebilde in derselben mit dem Auge auf viel sicherere Weise erkannt werden können, als dieses durch die bisher nur mit der Sonde vorgenommene Untersuchung möglich war. Die Venennetze der Nasenschleimhaut sind in der Regio respiratoria sehr ansehnlich, besonders am hinteren Umfang der Muscheln. Stellenweise, jedoch nur in der Regio respiratoria, sowie an der Einmündung und in der ganzen Länge des Thränennasenganges, nehmen sie das Ansehen eines caver- nösen Gewebes an. Die profusen Nasenblutungen, und die beim fliessenden Schnupfen so copiösen Absonderungsmengen, werden hicdurch verständlich. Auch lässt sich aus dem Anschwellen dieser Netze durch Blutanhäufung er- klären, warum man häufig durch das Nasenloch jener Seite, auf welcher man im Bette liegt, keine Luft hat. Die Communicatinnsöffnungen der Nasenböblc mit den Nebenhöhlen werden, der theilweise über sie wegstreifenden Sdileimhaut wegen, im frischen Zustande kleiner gefunden, als am macerirten Schädel. Besonders auffallend ist dieses bei dem Eingange in die Highmorshöhle, welcher in der Leiche nur als eine in der Mitte des Meatus narium medius befindliche, eine Linie bis anderthalb Linien weite Spalte gesehen wird, während er am skcletirten Kopfe eine weite, zackige Oeffnung bildet. — Die Mündung des Thränennasenganges liegt im Meatus narium inferior in einer Bucht, welche dem Ansätze des vorderen Endes der unteren Nasenmuschel an die Crista des Nasenfortsatzes des Oberkiefers entspricht. Häufig rückt sie an der äusseren Wand dieses Meatus etwas tiefer herab. Im ersten Falle erscheint sie rundlich, im zweiten spaltförmig. Ihre fmtfernung vom unteren Rande des äusseren Nasenloches beträgt circa neun Linien. Nil Stenson (De muscuUs et glandulis. Amstel., 1664, pag. 37) ent- deckte eine Communication der Nasen- mit der Mundschleimhaut, in Form zweier enger häutiger Gänge, welche durch die knöchernen Canales naso- palatini vom Boden der Nasenhöhle zum Gaumen verlaufen. Jacobson (Än- nales du mus. d'hist. nat., t. 18) und Rosen thal (Tiedemann und Treviranus, Zeitschr. für Physiol., t. II) entrissen diese Entdeckung der Vergessenheit. Nach meinen Beobachtungen verhalten sich die Stenson'schen Kanäle wie folgt: Einen Zoll liinter der Spina nasalis anterior liegt beiderseits von der Crista nasalis inferior eine längliche, mit einem Borstenhaar zu sondirende, geschlitzte Oeffnung, welche in einen häutigen Schlauch geleitet, der schräg nach vorn läuft, sich durch knorpelartige Verdickung seiner Wand trichter- förmig verengt, durch den Canalis naso-palatinus zum harten Gaumen tritt, und sich bald mit dem der anderen Seite vereinigt, bald neben ihm auf einer Schleimhautpapille ausmündet, welche unmittelbar hinter den oberen Schneide- zähnen in der Medianlinie des harten Gaumens steht. Die Weite des Kanals ist sehr veränderlich und nicht durch seine ganze Länge, welche ungefähr fünf Linien misst, gleichbleibend, — Der Kanal hat keine besondere physiologische §. 216. Augenlider und Augenbrauen. 605 Bedeutung. Man kann es als sichergestellt hinnehmen, dass er die auf ein Minimum reducirte grosse Communicationsöffnung zwischen der embryonischen Nasen- und Mundhöhle ist. Der Kanal wird öfters auch als Jacohson'sches Organ erwähnt, welche Benennung ihm aber nicht zukommt, da das von Ja- cobson bei mehreren Säugethierordnungen beschriebene, räthselhafte Organ beim Menschen spurlos fehlt. Dasselbe besteht aus einem paarigen, am Boden der Nasenhöhle neben der Scheidewand gelegenen, langgezogen birnförmigen, von einer knorpeligen Kapsel umschlossenen Schleimhautsack, welcher sich mit feiner Oeffnung in den Stenson'schen Gang seiner Seite öffnet. Beim Schafe mündet das Organ neben den Gaumenöffnungen dieser Gänge. In der Befeuchtung der Nasenschleimhaut liegt eine unerlässliche Be- dingung der Geruchswahrnehmung. Hieraus erklärt sich der Eeichthum dieser Membran an Blutgefässen und Drüsen. Bei trockener Nasenschleimhaut geht der Geruch verloren, und viele Körper riechen nur, wenn sie befeuchtet oder angehaucht werden. Da die Riechstoffe nur durch das Einathmen in die Nasen- höhle gebracht werden, so dient das Geruchorgan zugleich als Atrium respi- rationis, und giebt uns warnende Kunde über mephitische und irrespirable Gasarten. Es wäre insofern nicht unpassend, die Nasenhöhle die Athmungshöhle des Kopfes zu nennen. — Versuche haben es hinlänglich constatirt, dass die Schleimhaut der Nebenhöhlen der Nasenhöhle f Sinus frontales, Antrum High- mori, etc.) für Gerüche unempfindlich ist. Ich habe selbst bei einem Mädchen, welches an Hydrops antri Hiyhmori litt, vier Tage nach gemachter Function der vorderen, stark hervorgewölbten Wand der Höhle, durch zehn Tropfen Acet. arom., welche durch eine Canüle in das Antrum eingeträufelt wurden, keine Geruchsempfindung entstehen gesehen. Deschamps u. A. haben dieselbe Er- fahrung an der Stirnhöhle gemacht. — Nur in der Luft suspendirte Riechstoffe werden gerochen. Füllt man bei horizontaler Rückenlage seine eigene Nasen- höhle mit Wasser, welches mit Eau de Cologne oder anderen Riechstoffen ver- setzt wurde, so entsteht keine Geruchsempfindung. C. Sehorgan. I. Schlitz- und Hilfsapparate. §. 216. Augenlider und Augenbrauen. Die deutsche Sprache zeichnet das Sehorgan vor den übrigen Sinneswerkzengen dadurch aus, dass sie dem ganzen Yorderkopf von ihm den Namen des Gresichtes gab. Das Wesentliche am Sehorgan sind die beiden Augäpfel, welche beim Sehen wie Ein Organ zusammenwirken. Sie werden zur Aufrechthaltung ihrer so oftmal zufällig von aussen bedrohten Existenz mit Protections- und Hilfsapparaten umgeben, welche sie theils gegen äussere mechanische Beleidigungen bis auf einen gewissen Grrad schützen, theils ihrer durch allzugrelles Licht bewirkten üeberreizung vorbauen, wie die Augenlider und Brauen, — oder ihre der Aussenwelt zuge- wendete durchsichtige Vorderseite abwaschen und reinigen, wie die Thränenorgane, — oder sie in die zum Fixiren der äusseren Gre- sichtsobjecte zweckmässige Stelhmg bringen, wie die Augenmuskeln. 60t) S- -16- Augenlider und Augenbrauen. Zum Al)t'('i;('n uml l\(Miiii;('ii der AugiMi dienen die Augen- lider, Palpehrae, welclie ihren Namen, nacli Cicero, von ihrer Bewegnnü:, palpitdrc, füliren, wälirend (h*r griechische Name: r« ßkt(paoa, von ßUrca, seilen, stammt. Sie sind zwei bewegliche, durch Falten des Integuments gebildete, und tlurch einen eingelagerten Knorjiel g-estüt7.te Deckel oder Khippen — - ojuuaroqpuAA«, oculi folia, bei den Diciitern — welche sich vor dem Auge bis zum Schlüsse der Lidspalte einander nähern und wieder von einander entfernen. Sie streiten durch diese Bewegung das Auge ab, und fegen dadurch zufällige mechanische Tinpedimenta vims von ihm weg, verbreiten aber auch die für den (rlanz und die Durchsichtigkeit des Auges noth- wendige Feuchtigkeit (Thränen und Secret der Conjunctiva) gleich- massig über dasselbe. Ihre willkürliche Bewegung setzt das Sehen unter den EinHuss des Willens. Die zwischen ihren freien, glatten Rändern offene Querspalte, Fissura s.Iiinia palpehraruin, bildet mit Ihren beiden Enden die Augenwinkel, Canthi, von welchen der äussere spitzig zuläuft, der innere abgerundet oder gebuchtet erscheint. Galen nannte deshalb den inneren AugenAvinkel Ammli(S mcumus, den äusseren aber Anaulus parviis. Sogenannte grosse Angen sind eigent- lich nur grosse Augenlidspalten, durch welche mau einen grösseren Theil der Augäpfel ültersieht. und letztere deshalb für grösser hält, als sie bei kleinen l^ids})alten erseheinen. Der freie Rand der beiden Augenlider hat eine gewisse Breite, und zeigt deshalb eine vordere scharfe Kante, wo die Wim per- haare stehen, und eine hintere, mehr abgerundete, an welcher die Oeffnungen der Meibom'schen Drüsen gesehen werden. Die Wimper- haare (Cilia) sind kurze, steife, im oberen Augenlide nach oben, im unteren nach unten gekrümmte Haare von zwei Linien bis vier Linien Länge. Am oberen Augenlide sind sie länger als am unteren, und an beiden in der Mitte der Ränder länuer als ffes-en die Enden zu. An der Bucht des inneren Augenwinkels fehlen sie. Ihre Wurzel- bälge liegen längs des Saumes der Lidränder, und werden von den der Lidspalte nächsten Bündeln des Muscidus orhindaris palpebrarum überlagert. Die Cilien unterliegen, wie alle Haare, einem gewissen Wechsel durch Ausfallen und Wiedererzeugung, und man findet in dem Haarbalge einer alten Cilie die junge schon bereit, die Stelle derselben einzunehmen, wenn sie durch Ausfallen erledigt sein wird. In die Wurzelbälge der Cilien entleeren sich kleine Talgdrüsen, wie in alle Haarbälge überhaupt. Die Grundlage der beiden Lider bildet ein zellenarmer Faser- knorpel. Er heisst Tarsus, wahrscheinlich von raoaSg, in der Be- deutung als Blatt. Der Tarsuskuorpel ist der vorderen Augapfel- fläche entsprechend gewölbt. Er vordickt sich gegen den freien §.216. Augenlider und Augenbrauen. bü 7 Rand des Augenlids hin. Der Knorpel des oberen Augenlids über- tx'ifFt jenen des unteren an Breite und Steifheit. Die Lidknorpel werden in ihrer ganzen Breite an den oberen und unteren Margo orhitalis durch starke fibröse Membranen suspendirt (Ligamentum tarsi superioris und inferioris) . Der innere Augenwinkel wird überdies noch durch das kurze und starke Ligamentum canthi internum an * den Stirnfortsatz des Oberkiefers, — der äussere Augenwinkel durch das yiel schwächere, aber breitere Ligamentum canthi externum an die Augenhöhlenfläche des Stirnfortsatzes des Jochbeins angeheftet. Auf der vorderen convexen Fläche der Lidknorpel liegt, durch eine dünne Bindegewebsschichte von ihr getrennt, der Musculus orbicu- laris palpehrarum (§. 158, B), als eigentlicher Schliesser der Augen- lider. — Das subcutane Bindegewebe der Augenlider ist fettlos, spärlich und lax; die Haut selbst dünn und sehr leicht in eine Falte aufzuheben. Bei der Ansicht der hinteren eoncaven Fläche der Augenlid- knorpel wird man die Meibom'schen Drüsen gewahr, eine Art von Talgdrüsen, beschrieben von Henr, Meibom, De vasis palpebrarum novis, Helmstaä., 1666. Diese Drüsen waren jedoch schon dem Casserius bekannt und Avurdeu von ihm auch abgebildet im Pentaetheseion. Venet., 1609. Man sieht au der hinteren Kante des freien Lidrandes feine Oeffnuugen (am oberen 30 — 40, am unteren 25 — 35), welche in dünne, in der Substanz des Augenlidknorpels eingelagerte, und durch ihn gelblich durchscheinende Drüsen- schläuche Ton verschiedener Länge führen, auf welchen längliche Bläschen (Acini) in ziemlicher Anzahl, und zwar ohne Stiele aufsitzen. Drückt man den freien Eand eines ausgeschnittenen oberen Augenlides, an welchem die Drüsen grösser sind als am unteren, mit den Fingernägeln, so presst man den Inhalt der Drüsen als einen feinen, gelblichen Talgfaden hervor. Dieser Talg ist das Sehum palpebrale s. Lema, welches im lebenden Auge den Lidrand beölt, um das Ueberfliessen der Thränen zu verhindern. Das Wort Lema stammt vom griechischen Xr]^r] = albus hwmor in oculo collectus, — bei Plinius gramiae, welche permiitata liquida, aus dem griechischen ylä(ii.a hervorgingen. Die für abgeschlossen gehaltene Anatomie der Augenlider hat durch H. Müller eine interessante Bereicherung erlebt, indem von dem genannten, um die mikroskopische Anatomie des Auges hochverdienten und einem thaten- reichen Leben so früh entrissenen Forscher, an beiden Augenlidern ein System organischer Muskelfasern entdeckt wurde, welche sich in longitudinaler Eichtung an die Lidknorpel inseriren, und die Lidspalte offen erhalten. — Eine massen- hafte Anhäufung organischer Muskelfasern füllt, nach Müller, auch die Fissura orhitalis inferior aus, und erinnert an die Membrana musculo-elastica, welche bei Säugethieren die äussere Wand der Orbita bildet, und den Bulbus wieder vordrängt, wenn er durch seine Retractores in die Augenhöhle zurückgezogen war (Würzburger Verhandlungen, IX. Bd.). Beide diese neuen ]\ruskeln stehen 608 §.217. ronjunctiva uniiT (Irin KiiiHii.^s ilrs Sviii|ialliiiii.^. \Viiau, und aus den oomj)licii-ten Ableitung-swegen der Tliränen in die Nasenluilde. Die Autoren reden vmter der grösseren. Beide bestehen aus rundlichen Äcini, welche in der oberen Drüse durch Bindegewebe zu einem ziemlich festen Kuchen zusammengehalten werden, oder nur lose mit einander ver- bunden sind, Avie in der unteren. Die den Augapfel berührende §. 218. Thränenorgane. 611 FläcHe dieses Kuchens muss eoueav sein, während die äussere, der Grrube wegen, in welcher sie liegt, convex geformt ist. Die obere Thränendrüse überragt den Augenhöhlenrand gar nicht; — die untere aber so wenig, dass nach Abtragung des Augenlids an der Leiche nur ihr vorderer Kand gesehen wird. Die nicht eben leicht zu findenden Ausführungsgänge beider Thränendrüsen, zehn an Zahl, ziehen schräg nach innen und abwärts, durchbohren über dem äusseren Augenwinkel die Umbeugungsstelle der Conjunctiva des oberen Lids (Fornix conjunctivae superior), wo ihre feinen OefFnungen in einer nach innen concaven Bogenlinie stehen, und ergiessen ihren Inhalt bei den Bewegungen des Lides an die vordere Fläche des Bulbus. Die über die vordere Fläche des Augapfels durch die Be- wegungen der Augenlider verbreitete Thränenflüssigkeit mischt sich mit dem Secret der Conjunctiva, und wird bei jedem Schliessen der Lidspalte gegen den inneren Augenwinkel gedrängt. Der Weg, Avelchen sie hiebei nimmt, soll nach veralteten Yorstellungen ein Kanal sein, welcher im Momente des Augenschlusses zwischen den Lidrändern und der vorderen Fläche des Bulbus gebildet wird, — der Thränenbach der älteren Autoren, Rivus lacrymarum. Dieser Kanal existirt nicht. Die Thränen werden vielmehr durch die For- nices conjunctivae, in welche sie sich zunächst ergiessen, gegen den inneren Augenwinkel geleitet. Die Fornices werden nämlich beim Schliessen der Lider so gespannt, dass die in sie ergossenen Thränen einen Druck erleiden. Die Lidspalte wird aber nicht an allen Punkten ihrer Länge zugleich geschlossen, sondern fortschreitend vom äusseren Augenwinkel gegen den inneren. Dadurch werden die Thränen bestimmt, in den Fornices gegen den inneren Augenwinkel zu strömen. Es gibt somit zwei Thränenbäche, wie es zwei For- nices gibt. Die Bucht des inneren Augenwinkels, welche die Plica semi- limaris und Garuncula lacrymalis enthält, heisst Thränensee, Lacus lacrymarum. In ihm sammeln sich die durch die Thränenbäche hie- her geleiteten Thränen. Nur wenn die Thränen im Uebermass zu- strömen, kann er sie nicht halten, und lässt sie über die Wange ablaufen. Bei gewöhnlichen Absonderungsmengen aber werden sie durch die am inneren Ende der hinteren Kante der beiden Lid- ränder liegenden, kleinen, etwas kraterförmig aufgeworfenen OefF- nungen — Thränenpunkte, Puncta lacrymalia — aufgesaugt, oder, besser gesagt, durch den Sphinder palpebrarum beim Schliessen der Lider in sie hineingepresst. — Jedes Augenlid hat nur Ein Punctum lacrymale. Das untere kann man am eigenen Auge im Spiegel leicht sehen, wenn man das untere Augenlid etwas mit dem Finger herab- 89* ßl2 fi. 218. TlirUiipnovganp, (Irückt. und (Indiircli >(mii(Mi tVoieii K:iii(l oin wenig' vom lliillui> ;il>- stelien maclit. Das untere ist zngfeicli etwas j^rösser als das obere. I\Ian liat dasselbe auf beiden Seiten als angeborene Missbildung' fehlen gesehen (Magnus). Die Tiiränen|>iiidito geloiteu in dio Th rä nenröhrcheu (Ca- nalicidl I((<-nfiiit(Je.^, (^iriixa /Iiikuwk). Diese ziemlich dickhäutigen, beim Durchschnitt klaffenden, nicht znsamnienfallencbMi, durch eine in die Tliräncnpuukte eindringende, äusserst zarte Fortsetzung der Conjunctiva ausgekleich^ten Kanälchen, zeigen in ihrem Anfang noch das Lumen der Thränenpunkte, erAveitern sich aber allsogleich zur sogenannten Ajh pulle, verengern sich neuerdings, und ziehen in Hachen Bogen über und unter der Caruucula g<\gen den inneren Augenwinkel, wo sie in der Kegel zu einem sehr kurzen Eöhrchen verschmelzen, welches sich in die äussere Wand des Thränensacks einsenkt. Ich liabe darauf hingewiesen, dass Injection der Thrilncnröhrehen mit erstarrender Masse zuweilen eine spirale, in Absätzen, selten continuirlich verlaufende Furche an ihrer Oberfläche, immer aber ein ausgebuchtetes Ansehen derselben sichtbar macht. Von einer spiralen Drehung der Röhrchen selbst habe ich nie etwas erwähnt. Der Referent in den anatomischen Jahresberichten, welcher diese von mir nicht angegebene spirale Drehung des Rührchens vom Injectionsdruck ableitet, hat sich nicht die Mühe genommen, meine Angaben aufmerksam zu lesen. Es Aväre zu wünschen, dass diese Herren, welche jedes neue Zellenschwänzchen eingehend besprechen, auch den Ergebnissen der soliden, d. h. der präparirenden Anatomie, mehr Beachtung angedeihen Hessen. — Ueber die in den Thränenwegen vorkommenden, unbeständigen und wandelbaren Falten, und über die Spirale der Thränenrülirchen, handelt meine Corrosions- anatomie und deren Ergebnisse. Wien, 1872, fol. Die alten Anatomen kannten nur das untere Punctum lacrymale. Man meinte damals, wo man die Function der Thränendrüse noch nicht kannte, und deshalb dieser Drüse auch keinen Namen zu geben wusste finde: Gl. inno- minataj, dass der untere Thränenpunkt die Thränen an die vordere Fläche des Augapfels ergiesse. Der innere Augenwinkel heisst deshalb im Hesychius: nrjyrj, die Quelle. Erst durch Nie. Stenson (Stenonius) wurden die Thränenwege genauer untersucht und beschrieben, in dessen Observationes anat. Lugd., 1662. Der Thräneusack, Saccus lacrymalis s. Dacryocystis, liegt in der Fossa lacrymalis der inneren Augenhöhlenwand, Avird in seinem oberen Drittel vom Ligamentnm palpehrale intermim quer gekreuzt, und an seiner äusseren, dem Bulbus zugekehrten Fläche, von einer Hbrösen Haut, als Fortsetzung der Periorbita, überzogen. Anderthalb Linien unter seinem oberen blindsackförmigen Ende münden die zu einem sehr kurzen Stämmchen vereinigten Canaliculi lacrymales ein. Nach abwärts gebt er in den häutigen Thränennasengang über, Avelcher kaum merklicb enger als der Thränensack ist, und, wie beim Geruchorgan (§. 2L5) bemerkt Avurde, bald höher, bald tiefer, an der Seitenwand des unteren Nasenganges, unter dem vor- §. 218. Thränenorgant-, 613 deren zugespitzten Ende der unteren Nasenmuscliel ausmündet. An der Grenze zwischen Thränensack und Thränennasenkanal erwähnen Lecat und Malgaigne eines niedrigen, halbmondförmigen, zuweilen kreisrunden Schleimhautfältchens. Hasner (Prager Vierteljahresschrift, II. Bd.) hat die von Mor- gagni erwähnte halbmondförmige Schleimhautfalte an der Mündung des Thränennasenganges im imteren Nasengang wieder in Anregung gebracht. Die Klappe soll sich durch die beim Ausathmen an die Wände obiger Bucht anprallende Luft auf diese Mündung legen, und die Thränenwege luftdicht von der Nasenhöhle absperren, wo- durch es erklärlich wird, warum man durch heftige Ausathmens- anstrengung bei geschlossener Mund- und NasenöfFnung keine Luft aus der Nasenhöhle in die Thränenwege treiben kann. Sie fehlt jedoch sehr oft, besonders bei hoher Stellung der Ausmündungs- öffnung. Wenn sie vorhanden ist, kommt sie nur dadurch zu Stande, dass der Thränennasengang bei tieferer Ausmündung desselben sich eine Strecke weit an der äusseren Wand des unteren Nasenganges nach abwärts fortsetzen muss, so dass er von der Nasenschleimhaut eine innere häutige Wand erhält, welche von der angewachsenen äusseren Wand mit der Piucette aufgehoben werden kann, und in diesem Zustande einer Klappe auf ein Haar gleicht. Thränensack und Thränennasengang haben zusammen beiläufig fünf Viertel Zoll Länge. — Ein vor dem eigentlichen Thränensack gelegener Saccus lacrymalis accessorius wurde von Vlacovich beobachtet (Osservazioni anat. sulle vie lagrimali. Padova, 187 IJ. Der untere Thränenpunkt wird, seiner grösseren Weite wegen, zu Ein- spritzungen dem oberen vorgezogen. — Dass bei alten Leuten der obere Thränenpunkt verwachse, und dadurch Thränenträufeln entstehe, glaubt kein Anatom. — Die in älteren Kupferwerken geradlinig convergent abgebildeten Thränenrührchen, veranlassten den sonderbaren Namen derselben, alsSchnecken- hörner, Cornua limacum. — Die" das ganze System der Thränenwege aus- kleidende Schleimhaut, mittelst welcher die Conjunctiva mit der Nasenschleim- haut in Verbindung steht, vermittelt eine im gesunden und kranken Zustande häufig zu beobachtende Sympathie zwischen diesen beiden Schleimhäuten, z. B. das Uebergehen der Augen bei scharfen Gerüchen, oder bei den Erstlings- versuchen der Tabakschnupfer. — In den feinen Ausführungsgängen der Gl. lacrymalis und in den Thränenröhrchen findet sich geschichtetes Cylinder- epithel, im Thränensack und im oberen Bezirk des Thränennasenganges Flimmerepithel. Den sogenannten Musculus Horneri des Thränensackes (Philadelphia Journal, 1824, Nov.) betrachte ich als einen Antheil des Orhicularis palpe- brarum, welcher an der Crista des Thränenbeins und zum Theil auch an der äusseren Wand des Thränensacks entspringt, quer über den Thränensack nach vorn geht, und sich in zwei Bündel theilt, welche die zwei Thränenröhrchen einhüllen, und in die am Augenlidrande verlaufenden Fasern des Schliessmuskels der Augenlider übergehen. Andere Anatomen lassen seine beiden Bündel am ()14 8- 219. AugenmuRleln. iiincri'n .Knd'' l)ei(ler Lidknoipcl omlen. Wfloho er dieser Vorstellung: znfulsfe anspannt, und sonach als Tensor tarsi Amt und Würde erhält. §. 219. Augenmuskeln. Mit Ueljergeliung des Schlies.smuskels der Aiiu;enli(ler, welcher bei den Gesichtsmuskeln abgehandelt Avurde, kommen liier nur jene ^Muskeln in Betrachtung-, welche in der Augenhöhle .selbst liegen. E.s finden sich in der Augenhöhle sieben Muskeln. Sechs davon bewegen den Bulbus, — einer das obere Augenlid. Sechs Muskeln des Bulbus genügen, um dem Auge die Möglichkeit zu gewähren, sich auf jeden Punkt (h*s änsseren Gesichtskreises zu richten. Je zwei gegenüber liegende Augenmuskeln bewegen das Auge um eine Axe. Solcher Axen gibt es somit drei. Sie stehen senkrecht auf einander. Da, wie die Mechanik lehrt, ein um drei auf einander senkrechte Axen drehbarer Körper nach jeder Kicli- tung gedreht werden kann, so müssen wir gestehen, dass die all- seitige Beweglichkeit des Augapfels, welche zur Beherrschung des au.sgedehntesten Gesichtsfeldes unerlässlich wird, durch die einfach- sten Mittel erreicht wurde. Hat man an einem Kopfe, an weh-Jiem bereits die Schädelhöhle geöffnet und entleert wurde, die obere Wand der Augenh(')hle durch zwei gegen das Sehhich convergirende Schnitte abgetragen, so lindet sich unter der Perioi-l)ita zunächst: Beim Oeffnen der Lid.s|».il(e sinkt d;is untere Augenlid schon durch seine Schwere herab. I);i> obei-e j.jd daiieü-en l)enöthi''t eines eigenen Hebemuskels. Dieser ist der A u ['lieber des oberen Augen- lids, Tjcvator ji(i//>ehr(ie super iuris, welcher von der olieren Peri- l)herie der Scheide des Sehnerven, dicht vor dem Fardiiicn opticmn, entspringt, und geradem nach vorn laufend, unter dem Äliir;ii> orhi- talis sitpcrinr, und hinter dem /.ii/unirnttna dirsi fniprriori.-^ aus der Augenhöhh^ tritt, um mit einer platten, fächerförmig breiter wer- denden Sehn«^ sich an den oberen Hand (\qs oberen Lidknorpels zu inseriren. Nach Entfernung des Li'ra/itr iKilju-Jiriti' und des in der Augen- höhle immer vorfindlichen Fettes sieht man noch fünf Muskeln, rings um das Foranten optictnn. von der starken fibrösen Scheide des Seh- nerven ent.s])ringen. Wov davon verhiiifen geradlinig, alier divergent zur oberen, unteren, äusseren und inneren J'eripherie des Augapfels. Sie werden ihrer Richtung wegen Mecti genannt, und wir zählen einen liechi.s iidemus, euiernus, super ior um\ inferior, — das Trink-, Zorn-, — Hoffahrts- und Dem iithsmäuslei n unserer Vor- fahren. Letzteres führt im Anatomischen Abriss von H. Schae- vius, pag.. 39, den erbaulichen IS'amen: Musctdus eapuzinortnn. — §. 219. AugenmusVeln. 615 Die vier geraden Augenmuskeln haben die Riclitung von Tangenten zur Augenkugel, endigen aber nicht an der grössten Peripherie derselben, sondern verlängern sich über dieselbe hinaus, gegen die Cornea hin, indem sie sich der Convexität des vorderen Augapfel- segments genau anschmiegen, und sich zuletzt mit dünnen, aber breiten Sehnen, an der fibrösen Haut (Sclerotica) des Augapfels, zwei bis drei Linien entfernt vom Rande der Cornea, inseriren. Der obere Rectus ist der schwächste, der äussere der stärkste. Dieser entspringt, nicht wie die übrigen, einfach, sondern mit zwei Por- tionen, zwischen welchen das dritte und sechste Nervenpaar, und der JEimnus naso-ciliaris des ersten Astes des fünften Paares hin- durchziehen. Der obere und untere Rectus drehen den Augapfel um seine quere Axe, — der äussere und innere Rectus um seine senkrechte. Nebst dem Levator palpebrae und den vier Recti kommt noch vom Foramen opticum ein sechster Muskel her, welcher nur auf einem Umwege zum Augapfel gelangt. Er zieht längs des oberen Randes der inneren Orbitalwand nach vorn, und lässt hierauf seine dünne Sehne über eine knorpelige Rolle (Trochlea) laufen, welche durch zwei an ihren Rändern haftende Bändchen an die Fovea oder den Hamulus trochlearis des Stirnbeins aufgehängt ist. Jenseits der Rolle ändert die Sehne plötzlich ihre Richtung, geht breiter Averdend nach aus- und rückwärts, und tritt unter der Insertions- stelle des oberen Rectus an die Sclerotica. Die schiefe Richtung seiner Sehne zum Augapfel giebt diesem Muskel den Namen des oberen schiefen Augenmuskels, Ifusculus obliquus superior, sein Yerhältniss zur Rolle den des Rollmuskels, Musculus trochlearis, und seine supponirte Wirkung bei GremüthsafFecten jenen des Mus- culus patheticus. An der Stelle, wo die Sehne des Obliquus superior die Eolle passirt, schwächt ein kleiner Schleimbeutel die Eeibung. Selten wird der Obliquus superior von einem Nebenmuskelchen begleitet, welches mit ihm gleichen Ursprung und Verlauf hat, aber nicht an den Bulbus gelangt, sondern sich in die Scheide der Sehne des Hauptmuskels verliert. Albinus, welcher ihn zuerst beschrieb, nannte ihn Gracilliinus oculi. Der letzte Muskel des Augapfels, der untere schiefe, Mus- culus obliquus inferior, entspringt nicht hinten am Foramen opticum, wie die übrigen Augenmuskeln, sondern am inneren Ende des unteren Augenhöhlenrandes. Er geht unter der Endsehne des Bectus inferior nach oben und hinten zur äusseren Peripherie des Bulbus, und inserirt sich an die Sclerotica, zwischen dem Sehnerveneintritt und der Sehne des Rectus eocternus. Die beiden schiefen Augen- muskeln drehen das Auge um seine gerade, von vorn nach hinten ziehende Axe. 010 •• 219. AngonmasVeln. Das Augen vcidrolicn . 221. Sclerotica und Cornea. ])ie weisse oder harte Augenhaut, Sclerotica (hi'>>^i'r Sclera, von OKhjoog, hart), und die d ii rch s i c h t Ii; c Hornhaut, Cornea, bilden zusainiuen die äussere II üHf des I)ulbiis. Sclerotica und Cornea waren nie von einander geti'cnnt. incb'ni beide, in den ersten Zeiten fler Entwicklung des Auges, eine geschlossene, un- durchsichtige Blase bilden, von welcher sich der vordere Abschnitt erst später zu klären und aufzuhellen anfängt, als Cornea transparens, während die übrige Blase, als Sclerotica, undurchsichtig bleibt, und deshalb von den Alten f'ornca opaca genannt wurde. (i) Sclerotica. I)ie Sclerotica, auch Alhnjinca, hat keine optischen Zwecke zu erfüllen. Sie bestimmt die (Jrösse und Form des Augapfels und zählt zu den fibrösen Membranen. An ihrer hinteren Peripherie besitzt sie eine kleine OefFnung, zum Eintritte des Sehnerven in den Bulbus, und an ihrer vorderen eine viel grössere OefFnung, in welche die durchsichtige Hornhaut eingepflanzt ist. Die SehnervenöfFnung liegt nicht im Mittelpunkt des hinteren Sclerasegments, sondern circa eine Linie einwärts von ihm. Der Sehnerv giebt. bevor er in den Bulbus eintritt, sein Neurilemm, welches er von der harten Hirnhaut entlehnte, an die Sclerotica S. 221. Sclerotica und Cornea. 619 ab. Schneidet man den Sehnerv im Niveau der Sclerotica quer durch, so sieht man mit dem Yergrösserungsglase sein Mark durch ein feines Fasersieb in die Höhle des Bulbus vordringen. Zerstört man das Mark durch Maceration, so bleibt das feine Sieb zurück. Dieses gab Veranlassung, in der Sehnervenöffnung der Sclerotica eine besondere Lamina crihrosa anzunehmen, welche jedoch, dem Gresagten zufolge, nur die Ansicht des Querschnittes der die ein- zelnen Faserbündel des Sehnerven umhüllenden Scheiden sein kann. — Die äussere Fläche der Sclerotica wird von der bereits er- wähnten Capsula Tenoni (Note zu §. 219) umgeben, in welcher sich der Augapfel, wie ein kugeliger Grelenkskopf in seiner sphärischen Pfanne, nach allen Seiten drehen kann. Ihre innere Fläche hängt mit der zunächst nach innen folgenden Augenhaut (Choroidea) durch zarte und lockere Bindegewebsbündel zusammen, welche stern- förmige, dunkelbraune Pigmentzellen einschliessen und Lamina fusca heissen. In dem Interstitiuia zwischen Sclerotica und Choroidea ist Lymphe enthalten, welche allenthalben die Faserhündel der Lamina fusca ' bespült. Schwalbe nennt deshalb dieses Interstitinm : perichoroidealer Lymph- raum. Dieser Raum steht mit den Subarachnoidealräumen des Gehirns (§. 342) durch einen, das Foramen opticum passirenden Lymphweg in Verbindung. Er unterhält ferner durch Lymphgefässe, welche mit den Vasis vorticosis (§. 223j die Sclerotica nach aussen durchbohren, eine Communication mit dem Hohlraum der Capsula Tenoni. Feinste Spaltöffnungen in der Sclerotica, welche nament- lich um die Durchbohrungsstelle der Sclerotica durch den Sehnerv sehr zahl- reich anzutreffen sind, vermitteln auch einen directen Verkehr dieses Eaumes mit den Lymphbalinen innerhalb der Sehnervenscheide, und sofort mit den Subarachnoidealräumen des Gehirns. Ausführlicheres hierüber und die Lymph- bahnen des Auges überhaupt, giebt Schwalbe im Archiv für mikrosk. Anat., 1870, und F. Heisrath, Ueber die Abzugswege des Humor aqueus, mit besonderer Berücksichtigung des Schlemm'schen und Font an ansehen Kanals. Königsberg, 1881. Das Mikroskop zeigt in der Sclerotica flache Bündel von Bindegewebs- fasern, vielfach gemengt mit elastischen Fasern. Die äusseren Lagen der Bündel laufen nach der Eichtung der Meridiane der Augenkugel, die inneren nach den Parallelkreisen derselben. Beide stehen durch wechselseitigen Faseraustausch in Verbindung. — Die Sehnen der Augenmuskeln verweben ihre fibrösen Ele- mente mit den Faserzügen der Sclerotica so, dass die Sehnenfasern der Mecti in die Meridianfasern der Sclerotica übergehen, jene der Obliqui dagegen in die Fasern der Parallelkreise. — Die Fasern der Sclerotica gelangen nicht aUe bis zum Hornhautrande. Sie biegen sich haufenweise in verschiedener Entfer- nung von diesem nach hinten um, wodurch die grössere Dicke der hinteren Partie der Sclerotica erklärlich wird. Mit dem vorderen Abschnitt der Sclerotica verweben sich die Sehnen der Augenmuskeln und. verdicken ihn gleichfalls. — Die Gefässarmuth der Sclerotica bedingt ihre weisse Farbe. Selbst bei Ent- zündungen steigt ihre Färbung nicht über das Rosenroth, und bei venösen Stasen in der zweiten Augenschichte, erscheint sie bläulich-weiss. Um den Eintritt des Sehnerven herum, befindet sich in der Sclerotica ein arterieller, 520 *■ 221. Sclerotiia und Cornea. von (Ion liintcrcn Ciliararterien gebildeter Kranz, welcher jedoch in der Regel nicht ganz geschlossen ist — der Circulus arterhsus^ Ilalleri. — Die Festigkeit und geringe Ausdehnbarkeit der Sderotica erklärt die wüthenden Schmerzen, welche bei Entzündungen der von dieser IMiinbran umschlossenen inneren Ge- bilde des Aug.s vorzukommin pflegim. Bochdalek hat im Auge des Menschen, des Rindes, und des Kaninchens nachgewiesen, dass die Nervi ciliares, welche den hinteren Abschnitt der Rclerotica durchbohren, um zu den Häuten der zweiten Augenschichte zu gelangen, während ihres sehr schiefen Durchgangs durch die Sclerotica, der letzteren feine Zweigchen abgeben, ein schöner, seither allerwärts bestätigter Fund. h) Cornea. Die durclislelitii^e Horuliaut, Cornea, deren vollkommen glatte Oberfläche dem Augenstern seinen spiegelnden Glanz verleiht, dient der Camera ohscura des Auges gleichsam als Objectivglas. Sie bildet eine Art von xVufsatz an der Vorderseite des Bulbus, mit circa iTint" Linien Querdurchmesser an der Basis, und einem kleineren Krümmungshalbmesser als der Bull)us. Ihr grösster Umfang erscheint bei vorderer xVnsicht als ein quergestelltes Oval, indem die Sclerotica sich oben und unten weiter über die Cornea vorschiebt, als aussen und innen. Bei hinterer Ansicht aber erseheint die Peripherie der Cornea kreisrund, Aveil jenes Yorscliielien der Sclerotica ül>er sie daselbst nicht stattfindet. Die Sclerotica setzt sicli niunittf Ibar in die Cornea fort, und ist mit ilu- Eins, weil sie, wie früher gesagt, gleichzeitig mit ihr, und ungetrennt von ilir entsteht. Der sogenannte Rand der Sclerotica, welclier die Cornea umfasst, ist nur die jVlarke, von wo aus die Sclerotica ihre histologischen Eigenschaften aufgiebt, um ander«^ anzunehmen, und zur Cornea zu werden. Im Innern der Uel)ergangsstclle der Sclerotica in die Cornea findet sich ein kreisförmiger Raum (Canalis SchlemmiiJ, welcher einen Plexus feinster Venen enthält fPlexuf s. Sinus venosus ciliarisj, und weit genug ist, um eine Borste in ihn einfüliren zu können. Galen geltrauchte für die Cornea den Namen -Ki^QciTOfidijg xItcdv (horn- ähnliehe Schicht, von v.fQaq, Hörn). Das von den Neueren für Hornhautent- zündung gebrauchte Wort Ceratitis sollte also richtig Ceratoiditis lauten, denn ■jugarirts hiess bei den Griechen der wilde Mohn. Die Grundsubstanz der Hornhaut besteht aus Fasern, welche den Bindegewebsfasern sehr nahe stehen, sich aber von ihnen da- durch unterscheiden, dass sie beim Kochen keinen Leim, sondern Chondrin geben. Am Rande der Cornea gehen diese Fasern in jene der Sclerotica über. In der Substanz der Cornea selbst verbinden sie sich zu platten Strängen, deren P^lächen den Flächen der Cornea entsprechen. Die Stränge kreuzen sich wohl mannigfaltig, verflechten sich aber mehr nach der Breite, als nach der Tiefe. Denn es gelingt leicht, mehrere Lagen dieser platten Faserstränge als Blätter von der Cornea abzuziehen, weshalb denn auch das Gefüge der Horn- haut als lamellös bezeichnet Avird. Schon die Aerzte des Mittelalters §. 221. Sclerotica und Coinea. t)21 hatten eine Ahnung- von diesem lamellösen Bau der Hornhaut, indem sie A"on vier squamae corneae reden. — Nebst den Fasern enthält die Cornea, zwischen den Faserbündeln eingestreut, eine grosse Anzahl spindel- und sternförmiger, kernhaltiger, den Binde- gewebskörperehen ähnlicher Zellen (Hornhautkörperchen, wahre Zankäpfel der Mikroskopiker), deren Aeste in die spaltförmigen Lücken der Fasersubstauz eindringen, und unter einander netzförmig anastomosireu. Eine zweite Art von Hornhautzellen verändert durch ihre Contractilität nicht blos ihre Grestalt, wenn die Cornea gereizt wird, sondern ändert auch den Ort ihres Aufenthaltes, indem diese Zellen in den Spalten und Lücken der Fasersubstanz förmliche Wanderungen ausführen (Wa u d er z eilen, von welchen im §. 20 bereits umständlich gehandelt wurde). Die vordere Fläche der Cornea wird vom geschichteten Pflaster- epithel, die hintere Fläche von der elastischen, aber structurlosen Membrana Descemetii s. Demoursü überzogen. Die tiefste Schichte des Epithels der Cornea besteht aus Cylinderzellen, Avelche mittelst einer breiteren, polygonalen und feingezackten Basis oder Fuss- platte, in die Substanz der nächst unterliegenden Hornhautschicht eingezahnt sind. Auf sie folgen mehrere Strata eckiger und ab- geplatteter Zellen, deren oberflächlichste plattenartig erscheinen, mit fast linearem Querschnitt. Unter diesem Pflasterepithel der vorderen Corneafläche wurde von Bowman eine sehr dünne, structurlose Schichte als anterior elastic niemhrane beschrieben, welche jedoch von den deutschen Mikrologen nicht für eine selbstständige Mem- bran, sondern für die vorderste und zugleich dichteste, deshalb homogen erscheinende Lamelle der Hornhautsubstanz gehalten wird. — Nach dem Tode fallen die oberflächlichen Epithelialzellen der Hornhaut einzeln oder gruppenweise ab, vielleicht schon im Sterben, beim Brechen der Augen. Dadurch verliert die Hornhaut ihren Glanz, und w^ird matt. Auch bei gewissen Augenkrankheiten, wo die Cornea wie bestäubt erscheint, beruht dieses, als Cornea pid- veridenta bezeichnete Ansehen, auf partieller Exfoliation der Epi- thelialzellen. Die structurlose Membrana Descemetii (Descemet, An sola Uns crystallina cataractae sedes. Paris, 1158) führt ihren Namen mit Unrecht, da sie schon 1729 von E. Duddel (Treatise on the Diseases of the Horny Coat of the Eye. Lond.J beschrieben wurde. An mehrere Tage lang macerirten, oder an gekochten Hornhäuten von Nagethieren lässt sie sich als continuir- liche Membran' abziehen, was am Menschenauge nur stückweise möglich ist. Das einschichtige Pflasterepithel der Membrana Descemetii setzt sich in das auf der vorderen Irisfläche befindliche Epithel fort. Blutgefässe besitzt die Cornea im gesunden Zustande nicht. Xur an ihrem äussersten Saume gelingt es, Schlingen von Capillargefässen durch 622 S- -22. Cliüroidfii und Iris. Injcction zu liilliii. Im tiitzüiukteii Auge diigcgLii. lit-i licscliwürsbiMung, und liei der als Pannus: bekannten Krankheit der Cornea, treten neiigebildetc Gefässe, selbst in bedeutender Anzahl auf, wie an dem, in der anatomischen Sammlung des .Tosiphinums befindlichen Präparate Römer's (abgebildet in Ammon\eide wurden vor Alter.s als Eine Haut zu.samnienget"asst, welche Uvea liiess. Die griechischen Autoren nannten nämlicli die Iris und Choi'oidea zusammen Qayosiö'iig jjtTwv, d. i. Tran heuhau t (vdu (iu^, Weinbeere, uva), weil sie zusammen dem IJalge einer Weinbeere mit ausgerissenem Stiele ähnlich sind. Die Pupille stellt das Loch vor, wo der Stiel der Beere ausgerissen wurde. So erklärt sich auch der Name Uvea, welcher in alten deutschen Anatomien mit Weinberlin übersetzt wurde, und jetzt noch als Traul)enhaut spitradiseli vorkommt. (i) ('horuidea. Die Clioroidea (richtiger Chorioidea, v(m xoqlov und ii8og, hautartig) ist eine mit der Sclerotica concentrische, sehr getass- reiche Membran, weshalb sie auch Vaseulosa ocidi heisst. Es lassen .^ich an ihr drei Schichten unterscheiden. Die äussere wurde schon bei der Sclerotica als Lamina fusca erwähnt. Die mittlere Schichte schliesst, in einer fast homogenen Grundlage, die Blutgefässe der Choroidea ein, und ist die eigentliche Gefässschichte derselben. Die Blutgefässe bilden an der inneren Oberfläche dieser Schiebte ein Capillargefässuetz, als Lamina Ruyschii („in patris honorem" vom Sohne Ruysch's also genannt), während an der äusseren Oberfläche §. 222. dioroidea und Iris. 623 derselben die grösseren Venenstämmclien, diirclx ihre eigentMmliclie, quirlähnliche Yereinigung zn vier bis fünf Hauptstämmcben, die Vasa vorticosa Stenonis (Strudelvenen) erzengen. Die innere oder dritte Scbichte der Choroidea bestellt blos ans einer continnirlieben Lage eckiger Pigmentzellen, Sie heisst Tapetum nigrinn. Zwischen der zweiten nnd dritten Seliiclite wird nocli eine structurlose, glas- helle Zwischenlage, als Tunica elastica choroideae, erwähnt. — Orga- nische Muskelfasern begleiten die grösseren Arterienstämmchen der Choroidea. Die Choroidea besitzt an ihrer hinteren Peripherie eine OeiF- nung für den Eintritt des Sehnervenmarks. Bevor sie den vorderen Rand der Sclerotica erreicht, geht sie in den Strahlenkörper, Corpus ciliare s. Orhicidus ciliaris über, welcher aus zwei einander deckenden Lagen besteht. Die oberflächliche Lage bildet einen granlichweissen, über eine Linie breiten Ring — das Strahlen- band der älteren Anatomen (Lu/anientum ciliare). Man weiss gegen- wärtig, da>ss dieses sogenannte Strahlenband ein Muskel ist: Mus- culus ciliaris, auch Tensor choroideae. Er besteht aus glatten, von der inneren Wand des Canalis Schlemrnii zum vordersten Abschnitt der Choroidea laufenden, geradlinigen Muskelfasern, zwischen welchen, namentlich in den tiefereu Schichten, Kreisfaseru eingeschaltet liegen sollen. — Die tiefe Lage des Corpus ciliare erscheint als ein Kranz von siebeuzig bis achtzig Falten (Corona ciliaris), welche ihre freien Ränder gegen die Axe des Anges kehren. Das Wort „Falten" drückt nur die Form ans, denn wahre Falten, d. i. Dnpli- caturen der Choroidea, sind sie nicht, da sie als solide Wülstchen oder Kämme sich nicht ansgleichen lassen. Sie erinnern, als Ganzes gesehen, an die Blättchen einer Corolla radiata. Jede einzelne Falte heisst Ciliarfortsatz, Processus ciliaris. Die vorderen Enden der einzelnen Ciliarfortsätze liegen hinter dem äusseren Rande der Iris. Der festonirte oder zackige Sanm, durch welchen dieser gefaltete Theil der Choroidea sich als Corpjus ciliare von der übrigen schlichten und ebenen Choroidea absetzt, heisst Ora serrata. — Das Tapetum nigrum überzieht auch, und zwar in mehrfachen Zellenlagen, die Falten des Corpus ciliare, und die hintere Fläche der Iris. Das Tapetum nigrum erfüllt denselben Zweck, wie die Schwärzung an der inneren Oberfläche aller optischen Instrumente. Es dient dasselbe zur Absorption jenes Lichtes, welches bereits die Eetina passirte. Die Zellen dieses Pigments sind, wie die Stücke eines Mosaikbodens, in der Fläche neben ein- ander gelagert, wobei ihr dunkler Inhalt durch weisse, helle Begrenzungslinien umsäumt erscheint, welche Linien der Dicke der Zelleuwände entsprechen. Sie enthalten kleinste, mikroskopisch nicht mehr messbare Pigmentmoleküle und einen hellen Kern, sammt Kernkörperchen. Der Kern wird aber von der mole- kularen Pigmentraasse so umlagert, dass er nur zufällig zur Anschauung kommt. 624 S. 222. Clioroidea und Iris. wenn lue Zelle platzt, und ihren Inhalt entleert. Selbst an den idgnientloscn Augen der Albinos (Kakerlaken) finden sich die Pigmcntzellen. aber ohne molekularen gefärbten Inhalt. Tapetuvi und Tapete (von tarcTjg, Teppich, bei Homer) kommt bei Virgil fAcn. XI, .'12 7 J vor, als ein langhaariger WoUen- stoft". welcher als Fuss- und Bettdecke, auch als Wandtapete benützt wurde, lieber den von Chesterfield zuerst erwähnten, von Wallace als JIicsculus ciliari^ beschriebenen, und von Brücke als Tensor chorioideae aufge- führten Muskel, sieh' H. Müller und A. Iwanoff, im Archiv für Ophthalmo- logie, Bd. III und XV. — Der Name Processus ciliares, welcher von den Wimpern fCilia) der Augenlider entlehnt ist, wurde zuerst von Th. Bartholin gebraucht: Processus ciliares sunt tenuia quaedam filamenfa, referentia lineas nigras, palpeh rar « m c i l i i s sirn lies. h) Tvls. Die Keii,(Mil)(ii;euli;iut oder Blencluug' (Iris) ist eine rini^- förmige, seLr gefässreiclie MeniLran, deren Ebene senkrecht auf der Augenaxe stellt. Sie wird niclit genau in ihrer Mitte dnrch das Selilocli (Pupilla, x6qij) dureld>roclien, Avelelie.s IjOcIi, des dunklen Hintergrundes wegen, scliwarz ersclieint. Die Iris vertritt im Auge die Stelle de.^^ in allen dioptrisclien In.strunienten zur Abhaltung der Randstralden angebrachten Diaphragma. Die mit der Ab- und Zu- nahme de.s Lichtes unwillkürlich erfolgende Erweiterung und Ver- engerung der Pupille lässt gerade nur die zum deutlichen Sehen nöthige l^ichtmenge in diMi Iiiutercn dunklen Raum der Camera ohscura des Auges eindringen. In älteren SidiriftiMi hei.s.st die Pupille auch Sehe, oder Augenstern. Die Iris hat vor sich die Cornea, hinter sich die KrystalUinse mit ihrer Kapsel. Zwischen Cornea und Iris befindet sich die vor- dere Augeukammer, zwischen Iris und Linsenkapsel die hintere. Beide entlialten eine wasserklare Flüssigkeit (Humor aqueus). Die hintere Augenkammer darf man sich jedoch nicht so vorstellen, als stünde die Iris mit ihrer ganzen Breite von der Linsenkapsel ab. Die Iris liegt vielmelir nur mit ihrem inneren Rande auf der Linsen- kapsel auf, so dass also zwischen der flachen Iris und der convex vortretenden Kapsel der Linse ein mit Humor aqueus gefüllter Raum von der Gestalt eines kreisrunden Meniscus, als hintere Augen- kammer existiren muss. Die hintere Aug-enkammer wäre sonach ein ringförmiges Reservoir von Augenwasser. Dass ein solcher mit Humor aqueus gefüllter Raum wirklich vorhanden ist, sieht man an gefrorenen Augen, an welchen man zwischen Iris und Linsen- kapsel Eisstückchen des gefrorenen Humor aqueus hervorholen kann. Wo aber Eis ist, dort muss Wasser gewesen sein, und wo Wasser sein konnte, musste ein Raum für dasselbe vorhanden gewesen sein. Der äussere Rand der Iris, Margo ciliar is, hängt mit der Membrana Descemetii dadurch zusammen, dass diese Membran sich an ihrer äussersten Peripherie in Fasern splittert, welche in die §. 222. Choroidea und Iris. 625 vordere Fläclie der Iris als Ligamentum pectinatum iridis übergelien. Reisst man die Iris yon der Descemet'schen Haut los, so bilden die zerrissenen Fasern am Rande der letzteren einen zackigen Con- toiir, welcher eben die Benennung Ligamentum pectinatum veranlasst zu haben scheint. Bei den Wiederkäuern enthält das Ligamentum pectinatum einen Kanal, wahrscheinlich Lymphraum, welcher als Canalis Fontanae irriger Weise auch dem Menschen zugeschrieben wurde. — Der innere Rand der Iris, Margo pupiUaris, säumt das runde Fensterchen der Pupille ein, welches nicht genau der Mitte der Iris entspricht, sondern etwas nach innen und unten, also gegen die Nase abweicht. — Die vordere Fläche der Iris wird von einer einfachen Schichte von Pflasterepithel bedeckt, welches mit jenem der Membrana Descemetii im Zusammenhange steht. — Ihre ver- schiedene Färbung erhält die Iris durch eingestreute Pigmentzellen, sowie durch freie Pigmentmoleküle. Die hintere Fläche der Iris überlagert ein Stratum schwarzer Pigmentzellen als Fortsetzung des Tapetum nigruin. Die Augenärzte gebrauchen für diese Pigmentlage der Iris den Namen Uvea. Im Biudegewebsstroma der Iris findet sich ein doppeltes Sy- stem glatter Muskelfasern vor, als Sphincter und Dilatator pupillae. Der Dilatator wird nicht so allgemein zugegeben, wie der Sphincter. Die Wirkung beider Muskeln erfolgt viel rascher, als es sonst bei glatten Muskelfasern zu geschehen pflegt. Der Sphincter umgiebt in Form eines schmalen, nur eine halbe Linie breiten Ringes den Pupillarrand der Iris. Der Dilatator liegt auf der hinteren Fläche der Iris, unmittelbar unter der Pigmentschichte, Er entspringt am Rande der Cornea vom Ligamentum pectinatum, und besteht aus geraden, hie und da unter spitzen Winkeln anastomosirenden Bün- deln, welche bis zum Pupillarrande ziehen, wo sie sich mit dem Sphincter verweben. Die Wirkung der Kreisfasern verengert die Pupille, die geraden Fasern erweitern sie. Der Sphincter pupillae wird, wie der Tensor choroideae, vom Nervus ocidomotorius, der Di- latator dagegen vom Sympathicus innervirt, deshalb erzeugt Reizung des Sympathicus am Halse Erweiterung der Pupille, Reizung des Oculomotorius aber Yerengerung derselben. Ich hielt den Dilatator pupillae nicht für muskulös, sondern für ein System elastischer Fasern, indem es mir unwahrscheinlich vorkam, dass der Sphincter sich durch Lichtreiz, der Dilatator durch Dunkelheit, also Mangel an Reiz, zusammenziehe. Besteht aher der sogenannte Dilatator nicht aus muskulösen, Sondern aus elastischen Fasern, so braucht nur der Sphincter durch Lichtmangel zu erlahmen, um den elastischen Fasern die Erweiterung der Pupille zu überlassen. Dieser Ansicht trat A. Kölliker (Zeitschrift für wiss. Zoologie, Bd. I, 6. Heft) durch ein, wenigstens am Kaninchenauge sehr schlagendes Experiment entgegen. Es wurde, nach vorläufiger Abtragung der Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl. 40 t)26 §• '"3- Blulgefllsse und Nerven der Choroidoa und Iris. Cornea, der Puiiillarrand der Iris, welcher den Spliineter enthält, ausgeschnitten, und der Rest der Iris hierauf durch einen schwachen Strom des Duhois'schen Apparates gereizt. Bei wiederholten Versuchen ergab sich jedesmal eine Dila- tation der Pupille. Der Dilntator pupillae muss also ein Muskel sein, da, wenn er ein elastisches (tebilde wäre, seine Reizung erfolglos ])leiben müsste. Ist ileninach (versteht sich beim Kaninchen) der Dilatator pupillae iin mn^knlöse^ und kein elastisches Gebilde, so bleibt es unerklärt, warum Einträufeln von narkotischen Lösungen in das menschliche Auge, die Pupille erweitert. Die Narcotica sollten ja beide Muskeln der Iris lähmen, und dadurch an der Weite der Pupille nichts ändern. In neuerer Zeit haben Grünhagen und Hampeln tlen Kampf gegen die Existenz eines Dilatator pupillae mit guten Gründen fortgesetzt. Dass auch das auf der hinteren Fläche der Iris lagernde Pigment auf die Färbung dieser Membran Einfluss nimmt, zeigt der Umstand, dass beim Felilcn dieses Pigments, wie bei den Albinos, die Iris, ihres Blutreichthums wegen, roth erscheint. Bei Kindern finden wir sie immer lichter, als bei Er- wachsenen, Aristoteles sagte schon, dass alle Kinder mit blauen Augen geboren werden, und erst später braune oder schwarze bekommen. — Indem die hintere Pigmentlage der Iris bei den Bewegungen dieser Membran leicht lose werden und abfallen könnte, lassen es Einige von einem durchsichtigen, wasserhellen Häutchen bedeckt sein, welches die hinterste Irisschichte bilden soll, und für eine Fortsetzung der später (§, 225) als Membrana limitans Pacini zu erwähnenden, structurlosen Schichte der Netzhaut gehalten wird. §. 223. Blutgefässe und Iferven der Clioroidea und Iris, a) Arterien. Die Arterien, welche die zweite Schichte des Augapfels zu versorgen haben, stammen aus drei verschiedeneu Quellen, Diese Quellen sind: 1. Die Arterlae ciliares jjosticae breves (vier bis zehn). Sie kommen aus der Arteria ophthalmica, und treten, uach kurzem, ran- kenförmig ^eschlängelteiu Verlauf, in der nächsten Nähe des Seh- uerveueintrittes durch die Sclerotien hindurch zur Choroidea, an deren innerer Fläche sie sich in das als Lamina Ruyschii bezeichnete Capillarnetz (Membrana chorio-capillaris autorum) auflösen, welches sich bis zur Ora serrata erstreckt. 2. Die Arteriae ciliares posticae Iviuiae. Es giebt ihrer nie mehr aU zwei. Sie sind gleichfalls stark geschlängelte Aeste der Arteria ophthalmica, welche, nachdem sie die Sclerotica zu beiden Seiten des Selinerveneintrittes durchbohrten, zwischen Sclerotica und Cho- roidea geradlinig nach vorn laufen. Während dieses Laufes liegt die eine an der Schläfeseite, die andere an der Nasenseite, beide somit ziemlich genau in der horizontalen Ebene des Augapfels, Bevor sie den Ciliarmuskel und den äusseren Rand der Iris er- reichen, — nicht aber, Avie geglaubt wird, in der Iris selbst — spaltet sich jede in zwei Aeste, welche in entgegengesetzten Rieh- §. 223. Blutgefässe uud Nerven der Choroidea und Iris. 627 tungen, auf- und absteigend, von beiden Seiten her mit einander zu einem Kranze znsammenfliessen: Circidus iridis arteriosus major, welcher dem äusseren Rande des Irisringes entspricht, und aus welchem Aestchen für den Ciliarmuskel, für die Processus ciliares, und zwanzig bis dreissig etwas geschlängelte Zweigchen für die Iris selbst entstehen. Letztere bilden nahe am Pupillarrande der Iris einen zweiten, aber kleineren, und nicht immer geschlossenen Kranz (Circulus iridis arteriosus minor). Sehr feine Zweigchen gehen aus dem Circulus iridis arteriosus major nach hinten, zur Verbindung mit dem, von den Arteriae ciliares posticae breves gebildeten Capillar- gefässnetz der Choroidea, welches man sehr mit Unrecht als eine eigene Membran betrachtete, und als Membrana chorio - capillaris benannte. 3. Die Arteriae ciliares anticae (fünf oder sechs). Sie stammen aus den Mami musculares der Arteria ophthalmica. Sie durchbohren die Sclerotica an ihrem vordersten Segment, d. i. im Umkreise der Cornea, und treten in den Musculus ciliaris ein, dem sie Zweige geben, worauf sie theils in den Circulus iridis arteriosus major ein- münden, theils mit den Aesten des Circulus major gegen den Pupillar- rand der Iris ziehen, um daselbst an der Bildung des Circidus iridis arteriosus minor Theil zu nehmen. h) Venen. Diesen drei Bezugsquellen arteriellen Blutes für Choroidea und Iris entspricht vorzugsweise nur Ein ableitendes Venensystem. Das- selbe besteht aus vier bis fünf Stämmchen, welche an der Aussen- fläche der Choroidea, durch den Zusammenfluss vieler, bogenförmig zusammenlaufender kleinerer Venen gebildet werden. Dadurch ent- stehen Grefässfiguren , welche, um einen passenden Vergleich zu machen, das Bild eben so vieler Springbrunnen darstellen, die ihr Wasser in Bogen nach allen Seiten auswerfen. Diese Figuren wurden von ihrem Entdecker N. Stenson (1669) Vasa vorticosa genannt. Die Vasa vorticosa nehmen das Blut aus der Choroidea, aus der Iris und aiis dem Ciliarkörper auf. Die Stämmchen der Vasa vorticosa durchbohren die Sclerotica etwas hinter ihrer grössten Peripherie, imd entleeren sich in die Vena ophthalmica cerebralis. Bei den Wiederkäuern, nicht im Menschenauge, kommt in der Choroidea eine ringförmige Anastomose vor, als Circulus venosus Hovii. Allerdings giebt es auch Venae ciliares posticae breves und Venae ciliares anticae. Aber die posticae breves führen nur ein Minimum von Blut aus der Choroidea und Sclerotica zurück, und sind deshalb äusserst schwach, während die winzigen Ciliares anticae nur aus dem Venenplexus im Schlemm'- schen Kanal hervorgehen, welcher Sicherermassen sein venöses Blut nicht aus der Iris, sondern nur aus dem Musculus ciliaris erhält. Venae ciliares posticae longae fehlen demnach gänzlich. — Es verdient noch erwähnt zu werden, dass 40* (328 §• --*■ lietina. die Vcni'ii iliT Iris, auf ilirein Wcjje zu flon ]''asa vnrticof<(t, sich zuerst an den freien IJainl der Procesi^us ciliares halten, dann in parallelen Zügen an der inneren Oberfläehe des vorderen Abschnittes der Choroidea nach hinten ziehen, also nicht durch den Mtisculu/i ciliaris treten, und somit auch keiner Conipression durch diesen Muskel ausgesetzt sind. c) Nerven der Iris und Choroidea. Sie ent.sprin<;en, als Xcrvl riliarcti, überwiej^end aus dem Gaiifflion ciliare, einig'e auch aus dem Xerrus luiJio-ciliarit). Ihre Zahl kann bis auf sechzehn steigen. Sie durchbohren die Sclerotica an ihrem liinteren Umfange, um zwischen ihr und der Choroidea nach vorn zum J/hsckIii.s ci/l((ris zu ziehen, auf Avelehem Wege sie in der äusseren Schichte der Choroidea sich zu Netzen verbinden, welche an ihren Knotenpunkten Ganglienzellen führen. In den Ciliarmuskel einge- treten, lösen sie sich in ihre Primitivfasern auf, welche theils im Muskel bleiben, theils in die ("ornea und Ii-is übertreten. In der Iris theilen sich die Primitivfasern wiederholt, werden marklos, und bilden zuletzt geschlossene Eudnetze. Sympathische Nervenfasern sollen gleichfalls in der Bahn der Nei'vi ciliares zur Iris gelangen, und den Ddatator pupillae innerviren, während der Sphincter unter dem Einfluss des Nervus oculomotorius steht, welcher die dicke Wurzel des Ganillari;('tassnetz der Ketiua, welches in die übrigen Schicliten keine Ausläufer entsendet. Dieses Capillarnetz wird nur von der Ärteria centralis retinae ge- speist, welche mit keiner anderen Schlagader im Augapfel irgend- welche Anastomose eingeht. 5. Die letzte Schicht der Retina nach innen ist die structur- lose MemJ>rana limitans interna. Sie soll sich über die Ora serrata hinaus auf die Ciliarfortsätze und auf die hintere Fläche der Iris fortsetzen. Eine zwischen Stab- und Körnerschicht befindliche structurlose Schicht, in Avelche die in 1) erwälinten Stäbchen und Zapfen hineinragen (sie durchbohren), stellt die Membrana limitans externa dar. Die charakteristischen Formelemente der ersten vier Schichten liegen in einem gemeinsamen Gerüste unmessharer, feinster Stützfasern eingetragen, deren Bindegewebsnatur theils zugestanden, theils bestritten wird. Letzteres wohl mit Recht, da diese Fasern von dem empfindlichsten Reagens auf Binde- gewebe (Salpetersäure und chlorsaures Kali) gar nicht alterirt werden. Die Fasern des Gerüstes gehen in Menge von der fünften Schicht (Limitans interna) aus, und durchsetzen unter unzähligen Begegnungen und Kreuzungen die übrigen Schichten bis zur Stabschicht hin, wo sie in die structurlose Membrana limitans externa übergehen sollen. Sie mögen nach ihrem Entdecker H. Müller, Müller'sche Fasern, oder ihrer Riditung wegen Radiärfasern, auch Stütz- fasern nach Köllikcr genannt werden. Ueber den Zusammenhang der verschiedenen Schiditen der Retina unter einander, lässt sich Folgendes sagen. Die nach innen gehenden Fäden der Stäbchen und Zapfen verbinden sicli mit den nach aussen gerichteten Fort- sätzen der Körner, so zwar, dass die Fäden der Stäbchen mit den Körnern der äusseren Körnerschicht, die Fäden der Zapfen mit jenen der inneren Körner- schicht zusammenhängen. Die nach innen gerichteten Fortsätze der Körner verbinden sich mit den nach aussen gerichteten Fortsätzen der Zellen, während die nach innen sehenden Fortsätze der Zellen ganz sicher mit den marklosen Nervenfasern der Faserschicht in Continuität stehen. Dieser Anschauung zufolge, existirt ein ununterbrochener Zusammenhang zwischen den Retinaschichten i, 2, 3, 4, und wahrscheinlich sind die in der Axe der Stäbchen gefundenen Streifen (Ritter'schc Fasern) mit ihren knopfförmigen Anschwellungen, als die letzten Enden der Sehnervenfasern anzusehen. Da die Zahl der Fasern des Sehnerven kleiner ist, als jene der Stäbchen und Zapfen der Retina, so müssen sich die Sehnervenfasern theilen, um mehrere Stäl)chen und Zapfen versorgen zu können. Am gelben Fleck der Retina fehlt die Faser- und Körnerschicht, die Zellenschicht liegt unmittelbar auf der Membrana limitans auf, in der Stab- schicht fehlen die Stäbchen, und werden nur durch Zapfen vertreten. Da nun gerade die auf den gelben Fleck fallenden Bilder äusserer Sehobjecte am schärfsten gesehen werden, so ergiebt sich wohl von selbst, welche Elemente der Netzhaut die optisch wichtigsten sind (Zellen und Zapfen). i. 226. Kern des Auges. Glaskörper. 633 Nur die Faser- und Zellenschicht der Netzhaut enthalten Blutgefässe; — alle übrigen Strata dieser Membran sind gefässlos. — Ich habe gezeigt, dass nur die Eetina der Säugethiere und des Menschen Blutgefässe besitzt, jene der Vögel, Amphibien und Fische vollkommen gefässlos ist. Ueber an- angische Netzhäute, in den Sitzungsberichten der kais. Akad., XLIII. Bd. §. 226. Kern des Auges, (rlaskörper. Der Kern des Auges, um welchen sicli die im Vorigen abge- handelten Häute wie Schalen herumlegen, besteht aus zwei voll- kommen durchsichtigen und das Licht stark brechenden Organen. Diese sind: der Grlaskörper, Coyyus vitrewn, und die Krystall- linse, Lens crystallina. Der Grlaskörper füllt die becherförmige Höhlung der Retina aus, und stellt eine Kugel von structurloser, wasserklarer, sulziger Masse dar, deren verdichtete äusserste Grrenzschicht, welche hie und da Kerne enthält, als Grlashaut, Hyaloidea (von vaXog, Grlas), be- nannt wird, obwohl sie sich als ein continuirliches Involucrum nicht Yom Grlaskörper ablösen lässt. Die Kugel hat vorn eine teller- förmige Yertiefung (Fossa patellaris s. lenticularis), welche von der Krystalllinse occupirt wird. In der Gegend der Ora serrata lasse ich die Hyaloidea sich in zwei Blätter theilen, von denen das vordere, als Zonula Zinnii, faserigen Bau annimmt und zum Rande der Linsenkapsel geht, um sie in ihrer Lage zu halten, während das hintere zur tellerförmigen Grube einsinkt. Da die Processus ciliares sich in die Zonula hineinsenken, und jeder einzelne Processus ciliaris die Zonula faltig einstülpt, so geschieht es in der Regel, dass, wenn man den Ciliarkörper vom Kerne des Auges abzieht, das Pigment desselben in den Falten der Zonula haften bleibt, wo- durch ein Kranz schwarzer Strahlen um die Linse herum zum Vorschein kommt, welcher wohl zuerst Corona ciliaris genannt wurde, — ein Begriff, den man später auch auf die Summe der Falten des Corpus ciliare übertrug. — Durch die Divergenz beider Blätter der Hyaloidea entsteht, rings um den Rand der Linsen- kapsel, ein ringförmiger Kanal (Canalis Petiti), welcher ein kleines Quantum seröser Flüssigkeit enthält, und somit für einen Lymph- raum erklärt werden muss. Durch Anstich seiner vorderen Wand (Zonula) kann er aufgeblasen werden, wobei sich die durch die Einsenkung der Processus ciliares entstandenen Falten dieser vor- deren Wand hervorblähen, und somit ein Kranz von Buckeln ent- steht, welcher den von Petit gewählten Namen des Kanals: canal godronne, erklärt. Der Canalis Petiti kann, nach Schwalbe, von der Augenkammer aus injicirt werden, indem die Zonula Zinnii am Eande der Linsenkapsel Spalt- 534 •• M6. Korn des Anges. Glaskörper. Öffnungen besitzt, ilunh welche die Augenkammfr und der Petit'sche Kanal mit einander in Coniniunication stehen. (De canali Petiti et Zonula ciliari. Balis, IS 70.) Der Glaskörper des Emi)ryo besitzt eine bindegewebige Grund- lage. Die Maschen zwischen den Bindegewebsfasern erfüllt gallert- artiger Schleim, welcher der Wharton'schen Sülze des Nabel- straniies «rleicht. Das Bindegewebsstroma verschwindet aber nach lind nach, während der gallertartige Schleim sich erhält und die blasse des Glaskcirpers im Auge des Erwachsenen darstellt. Der Glaskörper besteht also, kurz ausgedrückt, aus dem im §.21 er- wähnten homogenen oder gallertigen Bindegewebe — Virchow's Schleimgewebe — (lauter entsetzliche Benennungen, denn aus Gallerte oder Schleim lässt sich nichts weben, und was homogen erscheint, ist sicher nicht gewebt). — Die Kerne an der inneren Oberfläche der Hyaloidea sind nur Ueberreste derselben. Wander- zellen fehlen auch im Glaskörper nicht. Die alten Augenärzte Hessen den Glaskörper aus einem Aggregate vieler, unter einander nicht comraunicirender, mit einer klaren, eiweissartigen Flüssig- keit gefüllter Räume oder Zellen bestehen. Dieser Glaube war durcli die Wahr- nehmung futstanden, dass ein angestochener oder angeschnittener Glaskörper nicht gänzlich ausläuft. Brücke (Müllers Archiv, 1843) glaubte gefunden zu haben, dass sich im Glaskörper von Schafen und Rindern concentrisch geschichtete Membranen vorfinden, von welchen die äusserstcn der Retina, die innersten der hinteren Linsenfläche näherungsweise parallel verlaufen sollen, wodurch die Schnittfläche eines mit essigsaurer Bleioxydlösung behandelten Glaskörpers das Ansehen eines feingestreifton Bandachates erhält. Das essigsaure Blei soll sich nämlich, beim Tränken des Glaskörpers mit der "Auflösung, auf den con- centrischen Membranen desselben niederschlagen, und dieselben sichtbar machen. A. Hannover beschrieb hierauf (Müllers Archiv, ISi.S) im Menschenauge häutige Septa, welche durch die A.xe des Glaskörpers gehen und seinen Raum, wie die Meridianebenen einer Kugel, in eine grosse Anzahl von Sectoren theilen, nicht unähnlich den Fächern an der Qucrschnittflächc einer Orange. Diese Septa sollen so dünn, und so schwach lichtbrechend sein, dass sie durch che- mische ^Mittel (Chromsäure) sichtbar gemacht werden müssen. Brück e's An- gaben wurden durch Bowman widerlegt (Lectures on the Parts concerned in the Operations on the Eye. London, 1849), indem er zeigte, dass die concen- trirte Bleioxydlösung nicht nur von der Oberfläche des Glaskörpers, sondern von jeder beliebigen Schnittfläche desselben aus, den Anschein einer Schichtung im Glaskörper erzeugt. Da im Embryo die in der Axe des Nervus opticus liegende, für die Netzhaut bestimmte Arterie sich durch den Glaskörper durch bis zur Linsen- kapsel erstreckt, so muss die Hyaloidea dieses Gefäss scheidenartig umgeben, und einen Kanal bilden, welcher von Cloquet: Canalis hyaloideus genannt wurde, und an die Einstülpung erinnert, welche die Hyaloidea beim Vogelauge durch das Marsupium s. Pecten (eine gefaltete, in den Glaskörper eindrin- gende Fortsetzung der Choroidea) erleidet. Der trichterförmige Anfang dieses Kanals ist die Area Martegiani. Im Erwachsenen ist vom Kanal und vom Martegiani'schen Trichter keine Spur zu sehen. §. 227. Linse. 635 Bei den Fröschen, deren Glaskörper aus einer tropfbaren Flüssigkeit mit sehr wenig Fasergehalt besteht, erscheint die Hyaloidea als eine wirkliche, sackförmige, seröse Membran, welche, wenn ihr flüssiger Inhalt durch einen Ein- stich herausgelassen wird, sich zu einer Kugel aufblasen lässt. Ich habe gezeigt, dass diese Hyaloidea zugleich mit einem sehr schönen Gefässnetz ausgestattet ist. §. 227. Linse. In der KrystalUinse besitzt das Auge sein stärkstes, licht- breehendes optisches Medium. Sie wird von einer vollkommen durch- sichtigen, structurlosen, häutigen Kapsel eingeschlossen, und liegt mit dieser Umhüllung in der tellerförmigen Grrube des Griaskörpers. Die vordere Wand der Kapsel ist zweimal so dick als die hintere, liegt frei, und wird nur vom Pupillarrande der Iris berührt. Die hintere Kapselwand verschmilzt mit der Grlashaut der tellerförmigen Grube. Hiedurch wird bewirkt, dass die Linse mit ihrer Kapsel nicht vom Posten weichen kann, avozu noch die als Zonula Zinnii früher angeführte Lamelle der Hyaloidea, welche sich an die grösste Peripherie der Kapsel ansetzt, beiträgt. Die Linsenkapsel unterhält, wie es heisst, keine Verbindungen mit der Linse, welche in ihr, wie der Kern in der Schale, frei liegt. Diese Ausdrucksweise ist, streng genommen, nicht ganz richtig, denn auf der hinteren Fläche der vorderen Kapselwand lagert eine einfache Schichte heller, poly- gonaler, kernhaltiger Epithelialzellen, welche zur Entwicklung der gleich zu erwähnenden Linsenfasern in innigster Beziehung stehen. An der vorderen Fläche der hinteren Linsenkapselwand fehlen diese Zellen. Die Linse füllt ihre Kapsel nicht genau aus. Der Rand der Linse — Aequator — erscheint nämlich nicht in dem Grrade scharf, dass er ganz genau in den durch die Divergenz der vorderen und hinteren Kapselwand gebildeten spitzen Winkel einpasste. Es muss somit in der Kapsel drinnen ein um den Rand der Linse herum- gehender, wenn auch noch so unbeträchtlicher Raum erübrigen. Dieser Raum enthält den wasserklaren Humor Morgagni, welcher aus der angestochenen Kapsel aufgefangen werden kann, imd meistens losgelöste Zellen des Kapsel epithels enthält. — Die Linse selbst hat eine vordere, elliptische, und eine hintere, viel stärker gekrümmte, parabolische Fläche. Als man die Flächen noch für sphärisch gekrümmt hielt, Hess man den Halbmesser der vorderen zu dem der hinteren sich wie 6 : 1 verhalten, was beiläufig genügt, um über die Yerschiedenheit der Krümmungen eine Vorstellung zu bekommen. Die Mittelpunkte der vorderen und hinteren Linsen- fläche heissen Pole, — der grösste Umfang der Linse: Aequator. Quetschen der Linse zwischen den Fingern belehrt uns, dass die Dichtigkeit des Linsenmaterials von der Peripherie gegen das (^36 8. 027. Linsr, ('(Mitriiui zunimnit. — liei alten LeutiMi liiidet man dii' Linse, ohne Beeinträelitignng- dos kSehvermögens, fast regelmässig- bernsteingelb. rndiirt'lisiclitig\verd('n derselben ])edingt den grauen Staar, welcher durch Entfernung der Linse ueheilt werden kann. Der schwarze Staar beruht auf Lähmung der Netzhaut, und ist unheilbar. Beim grauin Staar erscheint tlie Pupille grau. Weil aher die Pupille auch Augenstern heisst, und Stern im Altdeutschen als Stairn (englisch starj vorkommt, kann das Wort Staar nur als Stern, und Staarhlindheit nur als Sternhlindheit verstanden werden, welcher Ausdruck denn auch in oberdeutschen Mundarten jetzt noch als Starnhlindheit cursirt. — Die alten Aerzte liessen den Staar durch einen Tropfen Feuchtigkeit entstehen, welcher auf unerlaubten Wegen vom Gehirn in das Auge gelangt (daher schon hei den Römern der Staar suffusio hicss), und dort entweder zu einem grauen Häutchen gerinnt (grauer Staar), oder seine Durchsichtigkeit zwar beibehält, aber dennoch das Sehvermögen der Netzhaut aufhebt (schwarzer Staar). So • lassen sich die älteren Bemnnungen des grauen und schwarzen Staares, als gutta opaca und aiUta serena, ganz gut verstehen. Erst zu Anfang des vorigen Jalirhunderts stellte der ehrenwerthe deutsche Wumlarzt und Anatom. Laurentius Heister, fest, dass der graue Staar nicht durch einen verirrten und geronnenen Tropfen Hirnfeuchtigkeit bedungen wird, sondern auf einer Trübung der Krystalllinse beruht. Er lehrte denn auch zuerst, den grauen Staar durch Entfernung (Ex- traction) der undurchsiclitig gewordenen Linse zu heilen, und wurde durch diese einfache, nur selten misslingendc Operation, welche Tausenden von Staar- blinden ihr Augenlicht wieder giebt, riner der grössten Wohlthätcr des Menschen- geschlechtes. Die liistologischen Baumittel der Linse bilden sehr feine, sechs- seitig-prismatische, abgeplattete Fasern von albuminöser Natur, an welchen zwei gegenüberliegende Seiten doppelt so breit sind, als die übrigen. Sie können durch verdünnte Chlorwasserstoft'säure gut von einander isolirt werden. Die Fasern der oberflächlichen Linseustrata lassen, an ihren Riss- oder Schnittstellen, einen albuniiuösen zähen Inhalt sich hervordrängen, und wurden deshalb von Kölliker für Röhren erklärt. Sie legen sich mittelst zackiger Ränder (letzteres besonders schön bei Fischen) au einander, und bilden dadurch Blätter, welche an gehärteten I.nuen. Nur die äussersten Schalen haben die Form der Linse. Je näher dem Centrum, desto mehr geht die Linsenform der Schalen in die kugelige über. Diese kugeligen Schalen liegen auch viel dichter aneinander, als die äusseren, und bilden den harten Kern der Linse. — Die Linsenfaseru entwickeln sich aus den Zellen des Epithels an der inneren Oberfläche der vorderen Kapselwand, jedoch nur aus jenen, welche dem Rande der Linse am nächsten liegen. Jede dieser Zellen verlängert sich .spindelförmig, und wächst in eine Faser aus, Avelche sich an beide P^lächen der Linse spangen- artig anschmiegt. Die Kerne der zu Fasern verlängerten Zellen §. 227. Linse. 637 gehören alle der vorderen Linsenfläclie an, wo sie, nahe am Rande der Linse, anzntrefFen sind, nnd die sogenannte Kernzone derselben bilden. — üeber die Entwicklung der Linsenfasern handelt Becker, im 9. Bande des Archivs für Ophthalmologie. Nicht an frischen, wohl aher an etwas macerirten, oder in Chromsäure gehärteten Linsen, sieht man an der vorderen und hinteren Tläche, vom Mittel- punkt aus, drei Linien wie Strahlen gegen die Peripherie der Linse laufen, durch welche drei Winkel, jeder von 120 Grad, gebildet werden. Die drei Linien der hinteren Fläche correspondiren nicht mit jenen der vorderen; — je eine hintere Linie entspricht vielmehr (wenn auch nicht immer ganz genau) der Mitte des Ahstandes je zweier vorderen. Gegen die Peripherie der Linse hin theilen sich diese Linien gabelförmig, wodurch die Figur eines verzweigten Sternes entsteht. Die Strahlen des Sternes müssen etwas Anderes sein, als faserige Linsensubstanz. Man fühlt sich geneigt, sie für die Kanten von structur- losen Blättern anzusehen, welche die Linsensubstanz durchsetzen, senkrecht auf den betreffenden Flächen der Linse stehen, und die Ausgangs- und Endpunkte der Linsenfasern aufnehmen. Bei dem Nichtübereinstimmen der vorderen und hinteren Strahlenzeich- nung der Linse, können die Linsenfasern nicht wie Meridiane um die ganze Linse herumlaufen. Die Fasern müssen vielmehr kleinere Curvensysteme bilden, deren Complexe Linsenwirbel genannt werden. Man kann sich das Verhalten dieser Fasern am besten auf folgende Weise versinnlichen. Ich nehme an jedem der drei Strahlen an der vorderen und hinteren Linsenperipherie, einen polaren und einen peripherischen Endpunkt an. Die am Polarpunkt eines vorderen Strahles entstehende Faser endet am peripherischen Punkt des entsprechenden hinteren Strahles, und die vom peripherischen Punkt eines vorderen Strahles ausgehende Faser endet am Polpunkt des hinteren Strahles. Die Fasern aber, welche von den Zwischenpunkten der vorderen Strahlen, zwischen Pol und Peripherie, ausgehen, enden um so näher am Pol der hinteren Strahlen, als sie näher am peripherischen Punkt der vorderen ihren Ausgangs- punkt genommen haben. Die Lage der Linse im Auge kann keine unveränderliche, sondern muss eine veränderliche sein. Die Linse erzeugt nämlich ^ein verkehrtes Bild der Gesichtsobjecte, welches auf die Retina fallen muss, um gesehen zu werden. Da nun das Bild von nahen und fernen Objecten nicht in derselben Entfernung hinter der Linse liegt, sondern bei nahen Gegenständen weiter hinter derselben, bei fernen näher an ihr, so müssen im Auge Veränderungen geschehen, welche die Linse der Retina nähern oder von ihr entfernen, damit von fernen, wie von nahen Objecten das Bild jedesmal auf die Retina fallen könne. Die Fähig- keit des Auges, den Stand der Linse durch einen unbewussten Vorgang zu ändern, heisst Accommodationsvermögen. Der Musculus ciliar is, und die Elasticität der Zonula, scheinen die wichtigsten und thätigsten Vermittler der Accommodation zu sein. — Hat das Auge sein Accommodationsvermögen für nahe Gegenstände verloren, so ist es weitsichtig (PreSDVOpsiej, im entgegen- gesetzten Falle 'kurzsichtig (Myopsie). Verbindet man den Mittelpunkt der Cornea mit jenem der Linse, und verlängert diese Linie, bis sie die Retina trifft, so hat man die optische Axe construirt. In ihr liegt der Drehungspunkt des Augapfels (zweite Note zu §. 219). Er fällt genau an jene Stelle, wo die verlängert gedachte Axe des 638 §■ "S- Aiigriikaiiiiuoiii, Jluinvr it'jiuiif, und lifsuiidi'iu Mciiilnaiiun dos cnitvryun. Auges. Selincrvoii, ili«.- optisrlic Axo unter oinom spitzen Wiiikil hinter der Linse schneidet. §. 22S. Augenkammern, Humor aq?ie2is, und besondere Membranen des embryonischen Auges. Die Aui;enk;ininieru entlialten die wä.sserii;o Fo»ielitii>'keit, Humor aqveus. Die grössere Menge dieser Feuclitigkeit befindet sich zwischen Cornea und Iris in der vorderen Augenkaninier. Ein kleinerer Antheil derselben nimmt den kreisförmigen, menis- coiden Ranm zwischen Iris und Linse ein, welcher Raum als hintere Augeukammer gilt. Die Existenz dieser hinteren Augen- kammer wurde in neuerer Zeit bestritten, indem man die vordere P^'läche der I^insenkapsel mit der Iris in Fläehenberührung sein Hess. Was wir von (lieser Neuerimg zu denken liaben, wurde im §. 222, h) schon gesagt. Nur der Piipillarrand (h»r Iris liegt auf der Linsenkapsel auf; auswärts vom Piipillarrand(^ der Iris dagegen, zwischen der planen hinteren Irisfläehe und der vorderen convexen Linsenkapselwand, lässt sich ein mit Humor aqueus gefülltes Spatium, als ringförmige hintere Augenkamn)er nicht wegläugnen. — Die beiden Augenkammeru sind als Lvmpliräume aufzufassen, welche durch die in §. 22() in der Zonula Zlnnii erwähnten Spaltöftnungea mit dem Canalis Petiti in A^ erkehr stehen. Der Humor aqueus hält die Linse in gehöriger Entfernung von der Cornea. Wird er bei Augenoperationen entleert, so legt sich die Iris und die Linse an die Cornea an, und die Augenkammern sind verschwunden. Verschiebt sicli die Linse, bei der Accommodation für nahe Gegenstände, nach vorn, so niuss, weil der Humor aqueus nicht comprimirbar ist, die Cornea convexer werden, was durch Beobachtung constatirt Avurde. Kehrt diese Accommodationsform oft wieder, und wird sie lange Zeit unterhalten, Avie bei der Anstren- gung der Augen in geAvissen GeAverben und Beschäftigungen, so kann die Convexität der Hornhaut eine bleibende Averden, und da- durch erAvorbene Kurzsichtigkeit entstehen. Durch Wachendorff (Couunerciumlit. Noricum, 1740) Avurde eine feine gefässreiche Haiit im Auge des menschlichen Embryo bekannt, Avelche die Pupille verschliesst — die Membrana pupillaris. Sie existirt nur bis zum achten Embryomonat in voller EntAvicklung, und beginnt hierauf zu schAvinden, indem sich ihre Gefässe vom Centrum der Pupille gegen die Peripherie derselben zurückziehen, und sie selbst so durchlöchert Avird, dass, Avenn man die Gefässe des Auges mit einer feinen gefärbten Flüssigkeit injicirt, einzelne Gefässchen in der Ebene der Pupille frei ausgespannt, oder als Schlingen tiottirend angetroff'en Averden. Selbst in den Auo-en Neu- §. 229. Eintheiluiig des Gehörorgans. 639 geborener lassen sich die Grefässreste der Membrana pupülaris in der Pupille zuweilen noch durch Injection nachweisen. — Die Blut- gefässe der Pupillarmembran sind Verlängerungen der Irisgefässe, welche, so lange die Membrana pupülaris existirt, keinen Girculus arteriosus minor bilden, sondern sich bis gegen das Centrum dieser Membran verlängern, um daselbst schlingenförmig umzulenken. Sie hängen noch mit den Gefässen einer anderen embryonalen Haut des Auges zusammen, welche von Hunt er zuerst aufgefunden, durch Joh. Müller und Henle der Vergessenheit entrissen und genauer untersucht wurde. Diese ist die Membrana capsulo-pupillaris, M^elche sich von der grössten Peripherie der Linsenkapsel, durch die hintere Augenkammer, zur Iris und Membrana pupillaris erstreckt (Henle, De membrana pupillari. Bonnae, 1832). Ueber die Abflusswege des Humor aqueus aus dem Auge handelt F. Heisrath in einer besonderen Schrift, Königsberg, 1881. D. Gehör Organ. §. 229. Eintheilung des Grehörorgans. Das Grehörorgan ist von der Vorderfläche des Antlitzes weg- gerückt, und an die Seitengegend des Schädels verwiesen. Es be- steht, wie das Sehorgan, 1. aus einem w^esentlichen Theile, dem Grehörnerv, welcher mit einer specifischen Empfindlichkeit für Luftschwingungen, die er als Töne wahrnimmt, ausgerüstet ist, und 2. aus einer Menge accessorischer Gebilde, welche die Schall- wellen aufnehmen, leiten und verdichten, oder, wenn sie zu intensiv werden, dieselben abschwächen und dämpfen. Nur ein kleiner und ziemlich unwichtiger Theil dieses complicirten Sinnesorgans ragt an der Aussenseite des Kopfes als äusseres Ohr hervor. Alles üebrige liegt in der knöchernen Schädelwand, und zwar in den Höhlen des Schläfebeins verborgen. Man kann deshalb ein äusseres und inneres Gehörorgan unterscheiden. Das innere besteht selbst wieder aus zwei auf einander folgenden, scharf geschiedenen Ab- theilungen, so dass es zur leichteren Uebersicht des Ganzen zweck- mässig erscheint, das Gehörorgan in eine äussere Sphäre (Ohr- muschel und äusserer Gehörgang), eine mittlere (Paukenhöhle), und eine innere (Labyrinth) zu gliedern. Die mittlere und innere Sphäre sind der Beobachtung im lebenden Menschen so gut als unzugänglich. Auch die anatomische Untersuchung derselben zählt zu den schwierigsten Aufgaben der praktischen Anatomie. Obwohl Avir ihren Bau so genau als jenen irgend eines anderen Sinnes- werkzeuges kennen, ist dennoch die Pathologie der Krankheiten 640 ^- -3'^- '^l>r'""scliPl. der inneren Sphäre des (lelM'trorü^ans cm ehonso nnbekanntes Feld, als die Kunst, sie zu heilen, hisher arm an Erfolsi;en war. I. Aeussero Sphäre. §. 280. Olirmuschel. J)ie Ohrmuschel, Äuris (ovg, gen. (ox6g) wird bei den Clas- sikern häufig als Aurkida erwähnt, wie z. B. in der Impertinenz dos Persius: auriculas <(smi quis nou habet? Sie stellt zugleicli mit ihrer nach innen gehenden Fortsetzung (knorpeliger Gehörgang), ein sogenanntes Hörrohr dar, welches die Schallstrahlen fängt und nach innen leitet. Die Ohrmuschel verdankt ihre so eliarakteristische Configuration einem sehr elastischen J^aserknorpel, welcher im Ganzen die Form eines weiten Trichters hat. Der Trichter kehrt seine Concavität vom Schädel ab, seine Convexität dem Schädel zu. Sein äusserster, etwas verdickter und leistenförmig aufgekrempter Rand lieisst Leiste, Helir {s'^i^, alles Gewundene). Die Leiste ent- springt an der concaven Fläche des Knorpels, über dem Anfang des MecUus auditorms e.vternus, als Spina s. Crista hellcis. Verfolgt man am hinteren Rande der Ohrmuschel die Leiste des Ohrknorpels mit den P^ingern nach abwärts, so fühlt man, dass sie nicht in das Ohrläppchen übergeht, welches 1)l()s durch die Haut gebildet Avird, Fehlen der Leiste bedingt jene unangenehme Ohrform, welche häufig in der mongolischen Race, als unschöne Seltenheit auch bei uns vorkommt (Stutzohr). Eine bei vielen Menschen in der Mitte des oberen freien Randes der Leiste vorkommende dreieckige Er- habenheit erinnert an das AfFenohr. — Mit der Leiste mehr weniger parallel, und durch die schiffförmige Grube von ihr getrennt, verläuft die Gegenleiste (Anlheliv), welche über der Spina helicis mit zwei convergirenden Schenkeln (Crura furcata) beginnt. Vor dem Eingange in den äusseren Gehörgang verdickt sich der Ohr- knorpel zum sogenannten Bock, oder zur Ecke, Tragus {TQuyog = hircns, Bock). Der Tragus überragt, wie eine aufstehende Klappe, den Anfang des äusseren Gehörganges von vorn her, und Avird von der ihm gegenüberstehenden Gegenecke (Gegenbock, Antitragus), durch die fncisura intertragica getrennt. — Die am Tragus und in der Incisura intertragica sprossenden steifen und kurzen Haare, wachsen öfters, besonders bei alten Leuten, zu tVirmlicheu Büscheln an, welche, wie es in Hlancardi's Lex. med. heisst: demani hirci barhidam e.iprimunt. Von diesem Bocksbärtel erhielt ohne Zweifel der Tragus seinen Namen. — Die vertiefteste Stelle der Ohrmuschel zieht sich als Concha trichterförmig in den äusseren Gehörgang hinein. — Elastisch-fibröse Bänder, vom .Tochfortsatz und Warzenfortsatz ent- §. 230. Ohrmuschel. 641 springend, befestigen das äussere Ohr in seiner Lage, und erlauben ilim eine gewisse BeweglieLkeit. Der mit Wollliaareu und Talg- drüsen besonders in der Concha reichlich ausgestattete Hautüberzug der Ohrmuschel hängt an der concaren Fläche des Knorpels fester, als an der convexen an, und bildet unter der Incisura intertragica einen, mit fettlosem, blutgefäss- und nervenarmen Bindegewebe ge- füllten flachen Beutel — das Ohrläppchen, Lohus s. Lohulus auri- culae, Auricula infima moUior, im Cicero, — welches, wie die Ohr- zierrathen der Wilden beweisen, eine ungeheure Ausdehnbarkeit besitzt, und beim Ohreusteehen, dem ersten, der weiblichen Eitelkeit dargebrachten Opfer, weder erheblich schmerzt, noch blutet. — Kein Ohr eines Thieres hat ein Ohrläppchen, und kein im Wasser lebendes Säugethier besitzt eine Ohrmuschel. Der Name Lohus wurde ursprünglich für das ganze Ohr gebraucht. Er stammt von loßttv, abschneiden, „solehant enim hanc partem turpiter ßagitiosis abscindere, ad manifestanda scelera" (Spigelius, Lib. I, Cap. 1). Der Ohrknorpel hat ausser den Muskeln, welche ihn als Granzes bewegen (Levator, Attrahens, Retraliens, §. 158, 4), auch einige ihm eigenthümliche, auf Veränderung seiner Form berechnete Muskeln, welche, da sie an ihm entspringen und endigen, bei den Gesichts- muskeln nicht berücksichtigt wurden. Der Musculus helicis major entsteht in der Concavität des Ohrknorpels, an der Spina helicis, geht nach vor- und aufwärts, und inserirt sich an der Umbeugungs- stelle des Helix nach hinten. — Der Musculus helicis minor liegt auf dem Anfange der Spina helicis; — der Musculus tragicus auf der vorderen Fläche des Tragus; — der Muscuhis antitragicus geht vom unteren Ende des Anthelix zum Antitragus; — der Musculus transversus auriculae besteht aus mehreren blassröthlichen Bündeln, welche an der convexen Seite des Ohrknorpels die beiden Er- habenheiten verbinden, welche der Concha und der schifi"förmigen Grube entsprechen. Die praktische Unwichtigkeit dieser Muskeln entschuldigt diese kurze Abfertigung derselben. Zuweilen findet sich ein Muskel am Tragus, welcher von Santorini: Musculus incisurae majoris auriculae, von Th eile: Dilatator conchae genannt wird. Ich sah ihn vom vorderen Umfange des äusseren Gehörganges entspringen, von wo er nach ab- und auswärts zum unteren Eande des Tragus verlief, welchen er nach vorn zog, und den Eaum der Concha dadurch vergrösserte. Mir ist kein Beispiel bekannt, von sichergestellter willkürlicher Gestalt- veränderung der Ohrmuschel durch das Spiel dieser kleinen Muskelchen. Da- gegen kommt Willkürliches Bewegen der Ohrmuschel als Ganzes, durch die in §. 458 angeführten Ohrmuskeln, welche am Schädel entspringen und an der Ohrmuschel endigen, nicht so selten vor. Hall er führt f Eiern, phys., t. V, pag. 190) viele hieher gehörige Fälle auf, und B. S. Alb in, ein berühmter Anatom des vorigen Jahrhunderts, nahm, wenn er über die Ohrmuskeln vor- Hy rtl, Lehrhuch der Anatomie. 20. Aufl. *J (J42 ''• -■''• Aöi'^serer (iehörgang. trug, jedesmal die Porrücko ab, um stinon Stliülorii zu z.-igcn, wie sehr er die Bewegungen der Ohrmuschel in seiner Macht hatte. : Die Ohrmuschel leistet heim Menschen weit weniger für die Aufnahme von Schallstrahlen, als hei Thieren, welche ihre grossen tütenfr.rmigen Ohren beliebig einer Schallquelle zuwenden können. Verlust der Ohrmuschel schwächt deshalb das Gehör nur sehr unbedeutend. Thiere. welche uns an Schärfe des Gehörs weit übertreffen, haben gar kein äusseres Ohr, wie die Vögel. Ein Darwinianer könnte die Ohrmuschel nur für ein verwendungslos ge- wordenes, aber durch Vererbung sich erhaltendes Gebilde ansehen. §. 231. Aeusserer Geliörgang'. Der liussere Geli>cr('ii iiiul mittleren Sphäre des Gehörorgans, d. i. zwisclieu äusserem (xeliörgang" und Trommelhöhle. Da man jedoch wenigstens einen 1'lieil seines oberen Contour, bei geschickter Behandlung des Ohres und richtiger Stellung des Kopfes gegen das Licht, über-, sehen kann, so schliesse ich es dem äusseren (xehörgange an. Es vei-niittelt die Ueliertragung der Schallwellen vom äusseren (xehör- gange auf die Kette der GehörkiitK-helchen, und entspricht durch seine Spannung und Elasticität vnllk(»iumen dem akustischen Be- dürfniss, welches, um den Uebergang von Luftwellen auf feste Körper zu erleichtern, der Intervention einer gespannten Membran bedarf. Ein am inneren Ende des knöchernen Meatus auditor'ms befindlicher Falz (Sidcxis pro memlirana tifmjyani) nimmt die längs- ovale Umrandung des Trommelfells wie in einem Rahmen auf. Der im Falz befestigte verdickte Randsaum des Trommelfells (Ännulaa tendinosus) enthält theils einzeln stehende, theils in Gruppen an- gehäufte Kuorpelzellen. Er sollte deshalb richtiger Annuhis cartila- tjineus heissen. — Die äussere Pläche des Trommelfells erscheint concav, die innere convex. Die tiefste Stelle der äusseren Concavi- tät, welche dem Ende des mit der Troinniclliaut verwachsenen und durch sie hindurchsclieinenden Hammergriffes entspriclit, heisst U/nfio. — Nahe am ol)eren Rande Avird die Trommelhaut durch den Processus minor des Hammers, welcher sich an sie von innen her anstemmt, etwas hervorgetrieben. Da Umbo bei den Classikern imnicr nur eine Erhaljenheit ausdrückt, niemals aber eine Vertiefung, sollte eigentlich die durch den Processus minor des Hammers bewirkte Hervortreibung des Trommelfells Umbo genannt werden. Nur ein einziger Anatom — Hildebrandt — hat gewusst, was Umbo ist, und denselben richtig angewendet. Trotz ihrer Düunheit bestellt die Trommelhaut doch aus drei darstellbaren Schichten, von welchen die äussere der Haut des Miuitiis auditorius und ihrer Epidermis (äusseres, mehrschichtiges Plattenepithel), die innere der Schleimhaut der Trommelhöhle an- gehört, die mittlere und zugleich mächtigste aber eine aus band- artigen Bindegewebsfasern bestehende, nicht contractile Membran ist, an welcher sich Avieder eine äussere radiäre, und eine innere Kreisfaserschicht unterscheiden lässt. Dass das einschichtige Platten- epithel auf der inneren Fläche der Trommelhaut flimmert, wird von Einigen behauptet. Die Ebene des Trommelfells streicht schief nach innen und unten, so dass, wenn man sich beide Trommelfelle in dieser Rich- tung nach einwärts und unten verlängert denken würde, sie sich unter einem Winkel von 130" schneiden müssten. Unter Trommelf eil ta sehen versteht man zwei, am oberen Contour dieser Haut, durch den Uebertritt der Schleimhaut der g. -233. TrommelhöMe und Ohrtrompete. ß45 Trommelhölile auf den Hals des am Trommelfell angehefteten Ham- mers gebildete Biicliten, — eine vordere seielite, nnd eine hintere tiefe. In dem freien coneaven Kande der hinteren Tasche liegt die Chorda tyinpani eingeschlossen. Die an den Hals des Hammers tretenden beiden Schleimhautfalten heissen Ligamenta mallei. Das schon lange aufgegebene Foramen Rivini (A. Q. Rivinus, De auclitus vitiis. Lipsiae, 1717), wurde neuerer Zeit durch Bochdalek in integrum restituirt. Es findet sich nämlich in der Membrana tympani ein einfacher oder doppelter Kanal vor, welcher in der Nähe des oberen Randes der inneren Fläche dieser Membran, dicht hinter dem kurzen Fortsatz des Hammers be- ginnt, schräge nach ein- und abwärts zieht, und hinter dem unteren Ende des Hammergriifes nach aussen mündet. Der Kanal lässt sich mit einer dünnen Schweinsborste sondiren (Prager Vierteljahresschrift, 1866, 1. Bd.). Die dank- bare Wissenschaft wird diesen Fund als Canalis Bochdalekii bewahren, da er doch gewiss etwas ganz Anderes betrifft, als Eivinus gemeint hat. Man hat das Foramen Rivini bisher nur bei jenen Menschen zugegeben, welche, ohne eine Zerreissung oder geschwürige Perforation des Trommelfells erlitten zu haben, Tabakrauch aus den Ohren blasen können. Die Gefässe und Nerven des Trommelfells gehören vorzugsweise der äusseren, vom Integument des äusseren Gehörganges abgeleiteten Lamelle des- selben an, und sind Fortsetzungen der Gefässe und Nerven der oberen Wand des äusseren Gehörganges, welche sich auf die äussere Fläche des Trommelfells herabschlagen. Der aus dem Ramus auriailaris vagi stammende Nerv des Trommelfells ist sensitiver Natur, und erklärt uns die hohe Empfindlichkeit dieser Haut gegen mechanische Berührung. Es versteht sich auch dadurch, warum krankhafte Processe in der äusseren Schicht des Trommelfells meistens mit Schmerzen verbunden sind, während bei ihrem Auftreten in der inneren Schicht, wie bei chronischem Katarrh der Trommelhöhle, die Kranken nur durch die stetig zunehmende Schwerhörigkeit, nicht aber durch schmerzhafte Gefühle, auf ihr Leiden aufmerksam gemacht werden. — Kessel sah die Primitivfasern der Nerven des Trommelfells in das äussere Epithel dieser Haut übergehen. Dass das Trommelfell durch einen Kuss auf das Ohr zerrissen werden könne, haben wir auf einer Wiener Klinik erfahren. Ein junger Mann, welcher nach langer Abwesenheit seine Geliebte wieder sah, küsste sie in freudigster Aufregung auf ihr niedliches Ohr. Ein Schrei des Mädchens, und heftige, an- dauernde Schmerzen im Ohre folgten dieser Zärtlichkeit. Auf der Klinik wurde ein Eiss des Trommelfells constatirt. Da das Küssen eigentlich ein kurzer Act des Saugens ist, kann ein Kuss auf das Ohr die Luft im äusseren Gehör- gang so sehr verdünnen, dass die Luft in der Trommelhöhle durch ihre über- wiegende Expansivkraft das Trommelfell von innen nach aussen durchbricht. Herzhaft ohne Zweifel muss dieser Kuss gewesen sein. Daher etiam in oscu- lando tenere modum. II. IMittlere Sphäre. §. 233, Trommelliölile und Ohrtrompete. Die Trommel- oder Paukenhöhle (Cavum tympani) stellt ein kleines, sehr unregelmässiges Cavum dar, welches zwischen dem Cy^(y §. 233. TroniiiiolliOlili> und Olnlrompelc. Troinineltc'll und dein FelscntlHMlo des Scliläfebelus (Mnü;elag('rt er- scheint. Sie k;iiin mit jener Art von IIand[):aike verglielieu werden, welche beim Dienste der Cybele j;e])rauclit Avurde, und ri;,u7t«rov hiess, — dalier iiir Name. Mittelst der Eustaclii'sclien Ohrtrompete hängt .sie mit der Rachenhöhle zusammen, wird von dieser aus mit Luft gefüllt, und enthält die Gehörknöchelchen. In der äusseren "Wand der Tronimelhöhlo liefindet sich die Membrana hnnpani. Die ühri"'en Wände sind: 1. Die hintere Wand, mit einer geräumigen Oeffnung, durch welche man in die Zellen der Pars mastoidea des Schläfeheins gelangt. 2. Die obere, zugleich die grösste, welche durch ein dünnes, zuweilen siebartig durchlöchertes Knochenblatt gebildet wird. Dieses Blatt wurde unter dem Namen Tegmentum ti/mpani, als eine Verlängerung der vorderen oberen Wand der Schläfebeinpvramide, in der Knochenlehre bereits erwähnt. 3. Die untere, sehr schmale, mit zahlreichen kleinen Knochenbälkchen besetzte Wand, entsj)richt der Drosseladergrube der Schläfebein- pyramide, und wird von dieser nur durch ein dünnes Knochenblatt aligegrenzt. 4. Die vordere, zugleich kleinste, mit dem Canalis musculo-tuharius, dessen untere Etage die knöcherne Tuba Eustachii bildet, während die obere den Musculus tensor iijmpmd enthält. 5. Die innere Wand besitzt die zahlreichsten Merkwürdigkeiten, welche sind: 1. Das ovale Fenster (besser das boh neu förmige) Fenestra ovalis s. vestUndi, zum Vorhof des Labyrinthes führend. Es wird durch die Fussplatte des Steigbügels verschlossen. 2. Unter dem ovalen P^enster liegt das runde Fenster (Fenestra rotunda, besser triquetra), zur Sehnecke leitend, und durch ein feines Häutchen geschlossen, welclies seit Scarpa den Namen Mem- brana tympanl secundaria führt. Die Ebene des runden Fensters bildet mit jener des ovalen fast einen rechten Winkel. Man sieht deshalb am macerirten Schläfebein, durch den äusseren Gehörgang nur das ovale Fenster gut, das runde aber unvollkommen, oder gar nicht. Die Membrana tympani secundaria ljestv Ver- hingerung des ku()chernen, erweitert sich tricliterförmig, nnd biUlet die RachenöfFnung der Tuha. Er besteht aus einem rinnenförmigen F'aserknorpel, Avelcher nacli unten durch eine fibröse Membran zu einem Kanäle gesclüossen wird. Die laterale Wand der Knorpel- rinne übertrifft die mediale bedeutend an Dicke. Der knöcherne Antheil der Tuba ist kürzer als der knorpelige. Wo beide anein- anderstossen, hat der Tubenkanal die geringste Weite (circa eine I^iiiie). Die Schleimhaut der Eustachischen Trompete besitzt Flimmerepithel. Ebenso die Trommelhöhle, mit Ausnahme des Promontorium, des Ueberzuges der Gehürknüchelchen, und der inneren Oberfläche der Trommelhaut, wo ich nur ein einschichtiges Plattenepithel kenne. §. 234. Grellörknöclielclieii und ihre Muskeln. Die drei Gehörknöchelchen (Ossicida auditus) erreichen unter allen Knochen des menschlichen Leibes am frühesten ihre vollkommene Ausbildung, denn man findet sie im ungeboreneu Kinde kaum merklich kleiner als im Erwachsenen. Sie l)ilden eine durch Intervention von Gelenken gegliederte, knöcherne Kette, durch welche die äussere Wand der Trommelhöhle mit der inneren in leitende Verbindung gebracht, und die Schwingungen der Trommelhaut auf das Labyrinth fortgepflanzt werden. Das erste und zugleich das grösste Gehörknöchelchen ist der Hammer, Midlcns. Er hat aber nicht die Gestalt unseres Hammers, sondern jene eines Sehlägeis, mit welchem die römischen Priester die Opferthiere durch einen Schlag auf den Kopf betäubten, bevor ihnen der Cultrarius die Kehle durchschnitt. Dieser Schläs-el hiess jMalleus. — Der Hammer wird in Kopf, Hals, Handhabe und in zwei Fortsätze eingetheilt. Kopf heisst sein oberes, dickes, aufge- triebenes Ende, an dessen hinterer Fläche eine zur Articulation mit dem nächstanliegenden Aiubos bestimmte, aus zwei unter einem vorspringenden Winkel vereinigten Facetten bestehende Gelenk- fläche vorkommt. Der Kopf kann durch die Trommelhaut hindurch nicht gesehen Averden, da er sammt dem Halse, auf welchem er aufsitzt, in die Concavität der oberen Wand der Trommelhöhle hin- aufragt. Griff und Handhabe nennt man das seitlich zusammen- gedrückte, an der Spitze etwas abgeflachte Knochenstielchen des Kopfes, welches, unter Yermittlung einer zarten Lage von Knorpel- zellen, mit der Trommelhaiit fest zusammenhängt. Dasselbe ist nämlich zwischen die doppelte Faserlage der mittleren Lamelle des S. 2S4. Gehörknöchelchen und ihre Muskeln. 649 Trommelfells liineingewaelisen, wälirend die innere und äussere Scliiclite der Membrana tympani darüber weglaufen. Der GrrifF des Hammers reicht bis über die Mitte der Trommelhaut herab, tind zielit diese so nacli innen, dass er ihre ebene Spannung in eine nach aussen coneave verändert, deren tiefster Punkt bereits als Umbo, obwohl sprachlich unrichtig, angeführt wurde. Fortsätze finden sich am Hammer zwei: der kurze und der lange. Der kurze Fortsatz richtet sich o-eo-en die Trommelhaut nnd drängt sie an ihrem oberen Umfange konisch als TJmho hervor. Zwischen diesem Fortsatz, welcher mit einer dünnen Knorpelschicht überzogen ist, und der Trommel- haut, befindet sich nach L. Grruber ein winziges Gelenk. Der lange Fortsatz (Processus FoUi s. Ravii) geht vom Halse nach vorn, ist dünn und abgeplattet, und liegt bei Kindern lose in der Fissura Glaseri, verwächst aber bei Erwachsenen mit der unteren Wand derselben, so dass er abbricht, wenn er mit Gewalt heraus- gezogen wird. Nur ein kurzes Stück desselben bleibt sodann am Hammer zurück, welches man früher kannte (seit Caecilius Folius, Nova auris interna deli- neatio. Venet., 1645), als die flache, spateiförmige, mit der Glaserspalte ver- wachsene Portsetzung desselben, welche erst durch Jac. Eavius, einem durch seine Grobheit bekannten deutschen Chirurgen und Professor der Anatomie zu Leyden erwähnt wurde. Sieh' den Appendix zu Valentini, ÄmpMtheatrum zootom. Francof., 1719. Der Ambos (Incus) erinnert an die Gestalt eines zweiwur- zeligen Backenzahns, dessen Wurzeln aber rechtwinkelig divergiren. Yesalius benannte ihn zuerst als Incus (von incudere, schmieden), aber auch als Dens molaris s. niolari shnilis. Den sonderbaren Namen Incus verdankt dieser Knochen der Vorstellung, dass der durch den Schall in Bewegung gesetzte Hammer auf ihn, wie auf einen Amboa, aufschlägt. Sein Körper (Krone des Zahns) hat eine nach vorn gekehrte, winkelig einspringende Gelenkfläche für die hier eingreifenden, giebelartig vorspringenden Gelenkfacetten des Hammerkopfes. Seine beiden Fortsätze zerfallen in den langen, welcher mit dem Griff des Hammers parallel nach unten nnd innen gerichtet ist, und in den kurzen, welcher direct nach hinten sieht, und an die hintere Wand der Trommelhöhle durch ein kurzes Bändchen fest adhärirt, oder auch in einem Grübchen dieser Wand steckt. Der lange Fortsatz trägt an seinem, gegen das ovale Fenster etwas einwärts gekrümmten Ende das linsenförmige Beinchen, Ossiculum lenticulare Sylvii. Dieses repräsentirt jedoch kein selbst- ständiges Gehörknöchelchen, sondern nur eine Apophyse des langen Ambosfortsatzes. Das Linsenbeinchen articulirt mittelst einer schwach couvexen Gelenkfläche mit dem Kopf des Steigbügels (Stapes), welcher seinen Namen von seiner Gestalt führt. Die Fussplatte f)50 §■ -34- Oeliörlcnöclielclion und ilire MusVelri. (los Stpiiibfijfels verschliesst das ovale Feuster, in wclcheni sie aber niflit tt'ststeckt, soudern durch ein fibröses Häutchen, welches den iin^-eniein kleinen Zwischenraum zwischen dem Rande der Fuss- jdatte und dem Rande des Fensters ausfüllt, beweg-lieh. gleichsam schwellend. eingejtHanzt ist. Die l)eiden Schenkel des Steigbügels, von welchen der vordere mehr, der hintere weniger gekrümmt er- scheint, vereinigen sich am Köpfchen, und lassen zwisciien sich einen scbwibbogenartigen Raum frei, Avelcher durch die fibröse Mem- hrana propria stapedis verschlossen wird. — Der Steigbügel und der lange Fortsatz des Ambosses stehen zu einander im rechten Winkel. Das Köpfchen des Steigbügels ist somit gegen die Trommelhaut ge- richtet, und empfängt jene Stösse, welche durch die Schwingungen dieser Membran dem Hammer, von diesem dem Ambos, und von diesem dem Stoiglnigol mitgetheilt werden, von dessen Fussplatte sie in das Laliyrinthwasser übergehen. Das Gelenk zwischen Hammer und Ambos besitzt eine erst in der neuesten Zeit gewürdigte Anordnung, welche darin besteht, dass auf den Ge- lenkfliichen des Hammers und Ambosses kleine Hervorragungen vorkommen, welche so gestellt sind, dass sie dem Hammer gestatten, nach aussen zu gehen, ohne den Ambos und Steigbügel mitzunehmen, dass aber beim . Einwärts- drängen des Hammers, die Hervorragungen im Gelenk wie Sperrzähne in einander greifen, wodurch Hammer, Ambos und Steigbügel, wie Ein Ganzes, die Bewegung nach einwärts ausführen. Die Geschichte der Anatomie schreibt die Entdeckung des Hammers und Ambosses, zu Anfang des 16. .Jahrhunderts, dem Berengarius Carpensis in Bologna, und jene des Steigbügels dem Phil. Ingrassias in Palermo zu. — Stapes ist kein römisches Wort, denn die Römer kannten die Steigbügel nicht. Sie schwangen sich aus freier Hand, oder mittelst eines Schemels auf das Pferd; — Reiche Hessen sich durch einen Sclaven (anaholeus) Jiinaufheben. Im 6. Jahrhundert bedienten sich die Reiter zweier kurzer Leitern, welche beiderseits am Sattel befestigt waren und Sccdae hiessen. Stapes wurde erst im Mittelalter aus stare und pes gebildet, als stapeda und stapia, woraus stapes entstand (Eustachius, Org. auditus, pag. 154). Die Altmeister der Anatomie nannten den Stapes: Stegreif. Ausser der Schallleitung von der Tronuialliaut durch die Trias der Gehör- knöchelchen zum Labyrinth, giebt es noch eine zweite. Die Oscillationen der Trommelhaut werden auch durch die Luft der Trommelhöhle auf die das runde Fenster schlicssende Membrana tympani secundaria, und durch diese auf das Labyrinth übertragen. Es existirt sonach eine doppelte Leitung, durch Knochen und durch die Luft der Trommelhöhle. Erstere wirkt, wie .loh. Müller's Ver- suche zeigten, ungleich kräftiger als letztere. Pflanzt man nämlich in sein eigenes Ohr einen kleinen hölzernen Trichter ein, dessen Anfangs- und End- öffnung durch eine darüber gebundene Haut verschlossen sind, so stellt derselbe ein Cavum tympani, und die beiden Häute die Membrana tympani propria und secundaria vor. Hält man das andere Ohr zu, so hört das betrichterte Ohr sehr schlecht. Verbindet man aber die beiden Verschliessungshäute des Trichters durch ein Holzstäbchen, so wird der Trichter zu einer Imitation der Trommelhöhle mit den Gehörknöchelchen. Die äussere Verschliessungshaut §. 235. Vorhof. 651 repräsentirt das Trommelfell, die innere die durch die Fussplatte des Steig- bügels verschlossene Fenestra ovalis, und das Holzstähchen die Kette der Gehör- ' knöchelchen. Man hört bei dieser Modification des Apparates viel schärfer als früher. Zwei animale Muskeln, die kleinsten im menscliliclien Körper, vollziehen die Bewegung der Gehörknöclielclien, 1. Der Spanner des Trommelfells (Tensor tympani) entspringt in der oberen Etage des Canalis musculo-tuharius der Schläfepyramide, läuft im SemicanaUs tensoris tympani nach innen, und schickt seine rundliche Endsehne um das Rostrum cochleare, wie um eine Rolle herum, zum Halse des Hammers. Er zieht den Hammer nach einwärts, und ver- mehrt dadurch die Concavität des Trommelfells durch Spannung desselben. — 2. Der Steigbügelmuskel (Musculus stapedius) nimmt die Höhle der Eminentia pyramidalis ein, und schickt seine faden- förmige Sehne, durch das Löchelchen an der Spitze der Pyramide, zum Köpfchen des Steigbügels. Man schreibt ihm die Wirkung zu, den Steigbügel im ovalen Fenster zu fixiren. — Obwohl die Muskeln der Grehörknöchelchen, ihrer quergestreiften Primitivfasern wegen, zur Sippschaft der animalen Muskeln gehören, erlauben sie sich dennoch, der Willkür durchaus nicht zu gehorchen. Der nur von wenig Anatomen noch angeführte Erschlaff er des Trommelfells (Laxator tympani), welchen man von der Spina angularis des Keilbeins entspringen, und durch die Glaserspalte zum langen Fortsatz des Hammers gehen Hess, kann nicht mehr zugelassen werden. Ich habe mich erst spät überzeugt, dass seine Fasern keine Muskelfasern, sondern Bindegewebe sind, und zwar das gleich zu erwähnende Ligamentum mallei anterius. Die Schleimhaut des Eachens setzt sich durch die Tuba Eustachii in die Trommelhöhle fort, kleidet n||ht blos die Wände dieser Höhle und die mit ihr communicirenden CeUulae mastoideae aus, sondern überzieht auch die Ge- hörknöchelchen, und bildet an den Uebergangsstellen von den Wänden zu den Knöchelchen Duplicaturen, welche, weil sie Bündel wirklicher Bandfasern ent- halten, als Haltbänder der Ossicula dienen. In den Specialschriften (sieh' Literatur), wird über sie mehr als hier gesagt. Ich erwähne blos das Liga- mentwn Suspensorium mallei, an den Kopf des Hammers tretend, — das Liga- mentum mallei anterius, welches eine von der Spina angularis ausgehende, und durch die Fissura Glaseri in die Trommelhöhle gelangende Bandmasse zu einem Grübchen an der lateralen Fläche des Hammerkopfes geleitet, — eine an den langen Ambosfortsatz tretende Schleimhautfalte, welche, mit dem . Trommelfell, eine nach vorn offene Tasche begrenzt, — eine den Steigbügel und die Sehne des Musculus stapedius überziehende Schleimhautfalte. III. Innere Sphäre oder Labyrintli. §. 235. Voitof. Das Labyrinth besteht, wie schon sein Name vermuthen lässt, aus mehreren Räumen und Gängen von sonderbarer Form, ß52 *• -^^- Vorliof. welche alle untereinander in ^'erl)in(lun^• stehen, und in der Felsen- niasse der Schläfeheinpyraniide eingeschlossen, so schwer darstellbar sind, dass die au Hilt'sniitteln und Untersuchung^smethoden armen Anatomen .vriiilli. lie<'eu(luu Spiiulclzellen darsrcllt. Es wurde zwar niclit im Menschen, aber bei Fischen sichergestellt, dass die Priinitivfasern des Gehör- nerven bis in diese epitheliale Schichte der Säckchen vordringen. — A'oni Sacctdus elUpticus gehen, wie gesagt, die häutigen Bogen- "änge aus, Avelehe die knöchernen nicht ganz ausfüllen, weshalb noch Raum für Perilynipha erübrigt. Ihr Bau stimmt mit jenem der Yorhofssäckchen überein. An einem ihrer Schenkel bilden sie, entsprechend den AmpuHeu der kntichernen Bogengänge, eine Haschen- förmige Erweiterung (Ämptdla memhranacea) , welche die ÄinpuUa ossea fast vollständig ausfüllt. Die häutigen Bogenröhrchen enthalten Endolympha. An jonon Stellen der Siickchen, weicht- ilen drei Maculae cribrosae, und der Pyramis vestibuli, somit den Eintrittsstellen der Fasern des Nervus vestibuli in die Siickclien entsprechen, henicrkt man kreideweisse, auf der Innenfläche der Säckchen aufliegende, rundliche Plättchen, welche aus einer Anhäufung nükroskopischer Krystalle von kohlensaurem Kalk (sechsseitige, an heiden Enden zugespitzte Prismen) bestehen. Die Krystalle werden durch ein zähes Cement zu concav-convcxen Scheibchen zusammengehalten. — Sie kommen übrigens auch frei in der Endolympha und in dem Serum, welches die Schnecken- höhle auslüUt, vor. Bei den Sepien und Fischen werden diese Scheibchen sehr hart und gross, und bilden di(> sogenannten fJehörsteine oder Otolithen. — Züttchen an der inneren Fläche der häutigen Rogengänge, und brückenartige Verbindungen zwischen den Wänden des knöchernen und des häutigen Laby- rinths, wurden von Eüdinger nachgewiesen. Der Gehörnerv theilt sich im Meatus auditorius internus in den Nervus vestibuli und Nervus Cochleae. Der Nervus vestibuli passirt durch die Ijöcherehen der drei Mac^dae crihrosae, und muss sich somit in so viele Bündelchen auflösen, als Löcherchen existiren. l^iese zarten Bündel betreten die Wand der Yorhofssäekchen, und jene der drei Ampullen, ohne in die Höhle derselben einzudringen, und sich in die lange Zeit angenommene Ptdpa acustica aufzulösen. Sie sollen mit entgegenkommenden Ausläufern der ol)en erwähnten spindelförmigen Zellen in der Wand der Vorhofssäckchen in A^er- bindung treten. Des Nervus Cochleae Avurde bereits im vorhergehen- den Paragraph gedacht. Jene Fäden des Nervus vestibuli, welche direct zu den Ampullen der häutigen Cannles semicirculares gehen, drängen die äussere Wand derselben etwas gegen ihre Höhle hinein, und erzeugen v dadurch äusserlich eine Furche, und innerlich einen Vorsprung von 0,2 Linien Höhe. So entsteht der Sulcus und das Septum ampullae (Steifensand, Müller. x Archiv, 183S). — In den häutigen Bogenröhren selbst fehlt, mit Ausnahme der Ampullen, jede Spur von Nerven, obwohl die Dicke der Böhrenmeiiibran das Doppelte von der Haut der Säckchen beträgt. Ueber das häutige Labyrinth handelt ausführlich Rüdinger (Münchner akad. Sitzungsberichte, 1863. und Monatsschrift für Ohrenheilkunde, 18(37). — Die Endigungsweise des Hörnerven im Lal)yrinth beschrieb 31. Schnitze, in S. 239. Innerer Geliörgang und Fallopischer Kanal. 661 Müller s Archiv, 1858, und Böttcher ^ De ratione, qua nervus Cochleae termi- natur. D'orp., 1856. §. 239. Innerer Greliörgang und Tallopisclier Kanal. Zwei Kanäle des Felsenbeins, welche mit dem Greliörorgane in näherer Beziehung stehen, müssen hier noch erwähnt werden: der innere Grehörgang, nnd der Fallopische Kanal. Der innere Gre hörgang beginnt an der hinteren Fläche der Felsenpyramide, und dringt in schief nach auswärts gehender Rich- tung so weit in die Masse derselben ein, dass er vom Vestibulum und von der Basis der Schnecke nur durch eine dünne Knochen- lamelle getrennt bleibt. Sein blindsackähnliches Ende wird durch eine quer vorspringende Knochenleiste in eine obere und untere Grube getheilt. Erstere vertieft sich wieder zu zwei kleineren Grübchen, wovon das vordere sich zum Fallopischen Kanal ver- längert, das hintere aber mehrere feine OefFnungen besitzt, welche zur Macula crihrosa superior des Vestibulum führen. Die untere Grube enthält den, der Basis des Modiolus entsprechenden Tractus spiralis foraminulentus, und hinter diesem, einige kleinere OefFnungen, welche zur Macula crihrosa media geleiten. Eine grössere, daselbst befindliche Oeffnung führt zur Macula inferior. Der innere Gehörgang enthält den Nervus acusticus, den Nervus com- municans faciei, die Ärtei-ia auditiva interna, und dieser Arterie entsprechende sehr feine Venen, Venae auditivae internac, welche in den Sinus petrosus inferior oder transversus einmünden. Der Fallopische Kanal geleitet den siebenten Hirnnerv (Gomniunicans faciei) aus der Schädelhöhle heraus. Er läuft, von seinem Ursprung im inneren Gehörgang, durch die Knochenmasse des Felsenbeins anfangs nach aussen, dann über dem ovalen Fenster nach hinten, und zuletzt nach unten zum Foramen stylo-inastoideum. Er besteht somit aus drei, unter Winkeln zusammengestückelten Abschnitten. Die Winkel heissen Genicula. Das erste Knie ist scharf geknickt, fast rechtwinklig; das zweite erscheint mehr als bogen- förmige Krümmung. Am ersten Knie zeigt der Fallopische Kanal die an der vorderen oberen Fläche der Pyramide bemerkte Seiten- öfFnung (Hiatus s. Apertur a spiiria canalis Fall.), zu welcher der Sulcus petrosus superficialis hinführt. Im Hiatus mündet der in der Fossula petrosa entspringende, in der Pauke über das Promontorium nur als Furche aufsteigende, und unter dem Semicanalis tensoris tympani zum Fallopischen Kanäle führende Canaliculus tympanicus. Das zwischen dem ersten und zweiten Knie befindliche Stück des Canalis Fallopiae liegt ZAvischen Fenestra ovalis und Cancdis semi- circularis eocternus, und wölbt sich in die Paukenhöhle bauchig vor. Yom zweiten Knie an steigt der Kanal hinter dev Eminentia pyra- (\(\0 S. 240. Literatur der gosammten i*inn<>iili>lire. ,ii(esclir(Ml)iini;' (h's SchläfelM'Ins {§. KU) wurde dieser Dinge schon gechicht. §. 240. Literatur der gesammten Sinnenlehre. /. Tastun/an. Anss(*r dem in neuester Zeit liet'eruug•s^A•eis(» erscheinenden vortrefilichcn Lelirltuch der Anatomie sämmtlicher Sinnes- organe von Gr. Si-hicalhe, Erlangen, 1888, seqq.. werden hier noch einige ältere und neuere verdienstliclie Werke und Abhandlungen über (Muzelne Sinneswerkzeuge angereiht. Ueber Epidermis, Mete Malpiglüi, Haare, Isägel, findet man alles Wissenswerthe in den Handbüchern der Geweblelire. Ilenle und KöUiker. Eine umta.sX'iKb' Zusammcnsteliimg- /i. alinuutarius) von Avt'cli.sclnder Weite, welcher die Au.st"üliriin»j^s«j;änge einiger drüsiger Nebenjjebilde aufnimmt. Die Ver- riclitiniLi' dessellten. welclie nur an seinem Anfange nnd Ende der AVillkür unterliegt, zielt daliin, aus den genossenen Naliningsmitteln jene Stoffe auszn/ielien, widclie im Stande sind, die Verluste zu ersetzen, die der Organismus diircli Ausscheidung seiner ver- brauchten und zum Leben ferner unv<»rweudl)aren Materien fort- während erleidet. Wie schon in der Einleitung erwähnt wurde, sind die Theilehen, aus welchen der thierische Leib besteht, w'älirend des Lebens nicht auf ein ruhiges Nebeneinandersein angewiesen. Sie befinden sich vielmehr in einem fortdauernden Wechsel, durch welchen die älteren aus ihren Verlnndungen treten, und neue an ihre Stelle kommen, um wieder anderen Platz zu machen. Dieser StofFumtausch, in welchem das Hauptmerkmal des thieriscbeu und pflanzlichen Lebens liegt, und welcher, wie man sagt, die Pflanze im Thiere vorstellt, kann nur dann eine Zeit lang ohne Verzebrung und Aufreibung im Organismus dauern, wenn der Zuwachs dem Verluste gleichartig und proportionirt ist. - Die Stoffe, aus welchen der thierische Leib sich ernährt, finden sich als solche in der pflanz- lichen und thierischen Nahrung vor. Es handelt sich nur darum, sie aus dieser auszuziehen, und rein von jeder anderen Zugabe darzu- stellen. Diesen Act hat die Natur den Verdauungsorganen anvertraut. Er wird auf chemische, leider noch nicht ganz genau bekannte Weise durchgeführt. Wie der Chemiker, wenn er einen reinen Stoflf aus einem zusammengesetzten Körper darzustellen hätte, diesen in kleine Stücke zerschneidet oder zu Pulver zermalmt, mit Flüssig- keiten digerirt, mit Säuren behandelt, von einem (lefässe in ein anderes giesst, um neue Reagentien anzuwenden, und den Rück- stand, welcher ihn nicht mehr interessirt, Avegschüttet, so besteht der Verdauungsact der Form nach in einer Reihe ähnlicher Ver- richtungen, welche als Kauen, Einspeicheln, Schlingen, Magen- und Darmverdauung, und endlich Kothentleerung auf einander folgen. Der ganze Complex der Verdauungswerkzeuge kann somit in folgende Abtheilungen gebracht werden: 1. Mundhöhle mit Zähnen und Speicheldrüsen, 2. Schlingorgane, als Rachen- und Speiseröhre, 3. eigentliche Verdauungsorgane: Magen, Dünn- und Dickdarm, sammt ihren drüsigen Nebenorganen: Leber, Bauch- speicheldrüse. Milz, und endlich -4. Ausleerungsorgan: Mastdarm. i^. 243. Mundhöhle. Der Verdauungskanal beginnt mit einer, am unteren Theile des Gesichtsschädels zAvischen den Kiefern liegenden Höhle — Mundhöhle, i'arum oris — in welcher die Speisen eine Vorberei- §. 243. Mimahölile. 673 tiing für die Magenverdaiiung', durch das Kauen, Masticatio, und Einspeicheln, Insalivatio, erleiden, d. i. auf mechanische Weise jener Aenderung ihrer Cohäsion unterzogen werden, welche sie taug- lich macht, verschlungen zu werden. Bei geschlossenen Kiefern zerfällt die Mundhöhle durch die Zähne in eine vordere, kleinere Abtheilung (Vestihulmn oris), und in eine hintere, grössere — die eigentliche Mundhöhle. Beide Abtheilungen stehen rechts und links durch eine zwischen dem letzten Backenzahn und dem vorderen Eande des Krouenfortsatzes des Unterkiefers offen bleibende Lücke in Yerbindung. Bei ge- senktem Unterkiefer fliessen sie in ein grosses Cavum zusammen, welches seitwärts durch die Backen, oben durch den harten Gaumen, imd unten durch die vom Unterkiefer zum Zungenbein gehende Muskulatur begrenzt wird, vorn imd hinten aber offen ist. Die vordere Oeffnung ist die, von den zwei wagrechten, gewulsteten, mit Empfindlichkeit und Tastvermögen begabten Lippen, Labia, begrenzte Mundspalte (R'mia oris, ar6^a)^ an deren Saume das äussere, an Haarbälgen und Talgdrüsen reiche Integument der Lippen mit der gefässreichen, und deshalb hochrothen Schleimhaut der Mundhöhle in Verbindung tritt. Beide Lippen {xdlea, von X^etv loyov, quocl vocem efundant) werden durch eine von ihrer inneren Fläche senkrecht sich erhebende Schleimhautfalte (Frenulwri lahii superioris et inferioris), an das hinter ihnen befindliche Zahnfleisch geheftet, und besitzen, wegen ihrer nothwendigen Mitwirkung beim Kauen, Sprechen, Saugen, Blasen, Pfeifen, etc., einen so hohen Grrad von Beweglichkeit, dass die Mundspalte die verschiedensten Formen annehmen kann. „Labia perpetuo hiantia stultitiae signum sunt," sagt Eisholz. In der Mitte der Oberlippe befindet sich ein gegen die Nasenscheidewand sich erstreckendes Grrübchen, Philtrum genannt, „quia amoris illecebra in eo continetur", nach Spigelius; deshalb heissen auch die Liebestränke Philtra. Bei Säuglingen macht sich an der Oberlippe, unmittelbar unter dem Philtrum, ein Knötchen bemerkbar — das Tuberculum labii superioris. Der Schleimhautüberzug der hinteren Lippenfläche setzt sich auf die innere Fläche der Backen fort, wo er, dem zweiten oberen Mahlzahn gegenüber, in die Mündung des Ausführungsganges der Ohrspeicheldrüse eindringt. Von den Backen und Lippen schlägt sich die Schleimhaut zur vorderen Fläche der Alveolarfortsätze der Kiefer um, umhalst als Zahnfleisch die Hälse der Zähne, und gelangt zwischen je zwei Zähnen aus der vorderen Mundhöhle in die hintere, wo sie den Boden und das Dach derselben, den harten Gaumen überkleidet. Vom Boden der Mundhöhle erhebt sie sich faltenförmig, um das Zungenbändehen (Fremdumlinguae), welches Hyrtl, LelirlDuch der Anatomie. 20. Aufl. 4^3 b74 S- -**• Woiflier Gaunion. IsHinnif /nncitim, miil Mandeln. vorziig'sweise ;iii.s ela.stiseluMi Fasern l)e^t^'llt, /,ii ül>('r/,ii'luMi. und sofort die g-auze freie Übertliiclie dieses Orgaus einzuhüllen. Rechts und links vom Zuiigenbändehen dringt sie in die ]\Iündunu,en der Ausführungsgänge der l'nterkiefer- und Luiterzungen-S[)eiclieldrüse ein. Am liartcii (Jaumcu verdickt sie sieh auselinlieh, hängt durch sehr derbes IJindegewcbe mit der Beiuliaut des knöcliernen Gaumens innig zusammen und l)il(let, bevor sie durch die hintere üefFnung der Mundhöhle in di(^ Ixachcidifhlc übergelit, eine vom liintereu Rande des harten Gaumens schief nach unten und hinten gegen die Zungenbasis herabhängende Falte — den weichen Gaumen, Palatum molle, s. mobile, s. pendidum. Die aus Bindegewebs- und elastischen Fasern bestehende Schleimhaut der Mundbühle besitzt ein geschichtetes Pflasterepithel. Die Zellen der obersten Schichte dieses Epithels sind zu Plättchen abgeflacht, während die tieferen ruudlich-eokig, und die tiefsten cylindrisch gestaltet sind. — Die Mund- höhlenschleimliaut führt, ausser den stellenweise (z. B. am Lippensaum) auf- tretenden Papillen, eine Anzahl von Drüsen (Schleimdrüsen), welche man allge- mein für acinüs hält, wogegen einige ihren tubulüsen Bau hervorheben, mit kolbenfürniigen Enden. Alan unterscheidet sie, nach dem Orte ihres Vorkommens, als Glandulae labiales, buccales, palatinae und l'mijuules. Ihre Grösse und Zalil variirt an verschiedenen Stellen der Mundschleimhaut, und ist an der vorderen Fläche des weichen Gaumens am ansehnlichsten. Hier bilden diese Drüsen eine continuirliche, anderthalb Linien dicke Schichte, welche sich auch auf den harten Gaumen, aber mit nach vorn abnehmender Dicke fortsetzt. Die Glandulae linguales lagern theils längs des Zungenrandes, theils am hintersten Bezirk des Zungenrückens. Eine Gruppe von Schleimdrüschen, welche einwärts vom hinteren Mahlzahn liegt, und die Mundschleimhaut etwas hügelig aufwölbt, wurde von He nie als Glandulae molares benannt. — In den einfachen oder zusammengesetzten Papillen der Mundschleimhaut fehlen die Tastkörperchen, dagegen endigen ihre doppelt contourirten Nervenfasern mit kolbigen End- anschwellungen. §. 244. "Weicher Graumen, Isthmus faucium, und Mandeln. Der weiche Gaumen, auch Gaumensegel genannt, erscheint zunächst als eine bewegliche Grenzwand zwischen der Mund- und Rachenhöhle, Avelche aber nicht vertical herabhängt, sondern schief nach hinten und unten gerichtet ist. Er zeigt uns eine vordere und hintere Fläche, einen oberen, am hinteren Rande des harten Gau- mens befestigten, und einen unteren freien Rand, welcher in seiner Mitte einen stumpf kegelförmigen Anhang trägt, — das Zäpfchen, Cvula (Diminutiv von uva, wie das griechische ffragovi?) von ßracpig, Traube). Die alten Namen des Zäpfchens als Gurgulio und Garga- reon, erinnern an gurgeln. Die selten vorkommende Uvula duplex ist kein doppeltes, sondern ein gespaltenes Zäpfchen. Durch das Zäpfchen wird der untere Rand des Aveichen Gau- mens in zwei seitliche, bogenförmige Hälften getheilt. Jede dieser §. 244. Weicher Gaumen, Isthmus faiicium, und Mandeln. 675 Hälften tlieilt sich wieder in zwei, nacli vor- und rückwärts von einander dirergirende Schenkel, welche Graumenbogen, Arcus pa- latini, heissen. Der vordere geht zum Seitenrande der Zunge als Gaumenzungenbogen, Arcus palato-glossus. Der hintere setzt sich in die Schleimhaut der Raehenhöhle fort, als Graumenrachen- bogen, Arcus palato-pharyngeus. Beide Schenkel kehren ihren con- caven oder freien Eand der Axe der Mundhöhle zu. Zwischen beiden Schenkeln einer Seite bleibt ein nach oben spitziger, drei- eckiger Kaum übrig, in welchem ein Aggregat von Balgdrüsen liegt — die Mandel, Tonsilla s. Arnygdala. Die Mandeln liegen also ein- ander gegenüber, was ihr alter griechischer Name ccvridSeg wieder- giebt, woher die Antiaditis, Halsentzündung, stammt. Grewöhnlich ragt die Mandel über die inneren Ränder der Gaumenbogen etwas hervor, und kann deshalb von der Mundhöhle her gesehen werden. — Zwischen dem unteren Rande des weichen Gaumens, dem Zungen- grunde, und den beiderseitigen Arcus palatini mit den Mandeln, befindet sich eine OefFnung, welche aus der Mundhöhle in die Rachenhöhle führt — Racheneingang oder Rachenenge (Isth- mus faucium), auch Schlund, von dem altdeutschen schlinden, d. i, schlingen, Isthmus ist Landenge, also festes Land. Eine Oelfnung, wie der Eachen- eingang, soll aber nicht den Namen eines festen Körpers führen. Deshalb wäre / Fretum oris weit besser, als Isthmus faucium, denn i^reitsm ist Meerenge, auch Strömung, und passt gut für eine Oeffnung, durch welche alles Genossene geht. — Das Wort Faux wird nie im Nominativus singularis gebraucht, son- dern immer im Plural. Warum hat nun die einfache Oeffnung des Schlundes einen Namen im Plural: Fauces? In jedem römischen Palais führten dunkle Gänge, durch welche nur die Sklaven des Hauses verkehrten, aus dem eigent- lichen Wohnzimmer, Atrium, in das innere Peristyl. Es waren ihrer immer zwei, je einer an der Seite des Tablinum (Gemach, wo die Familienpapiere, tabulae, aufbewahrt wurden). Sie führten den Namen Fauces, welche Benennung von Gelsus (Lib. IV, Caf. 4) auf den einfachen menschlichen Schlund über- tragen wurde. Die Mandeln sind Conglomerate einer sehr veränderlichen Anzahl von Balgdrüsen (§. 90). Diese Balgdrüsen sind aber sehr oft nur iindeutlich von einander isolirt, und verschmelzen vielmehr zu einer mehr weniger continuirlichen Schicht von lymphoider (conglobirter) Drüsensubstanz. Jede Balgdrüse der Mandel stellt eine mehrfach ausgebuchtete und mit der Mundhöhle durch eine relativ kleine OefFnung communicirende Tasche dar. Diese Tasche wird an ihrer, Innenfläche von einer Fortsetzung der Mundschleim- haut und ihres Epithels ausgekleidet. Gewöhnlich münden auch acinöse Schleimdrüsen in die Höhle der Tasche, welche deshalb immer mehr weniger Schleim enthält. Die Wand der Balgdrüsen wird von einem reticulären, an den Knotenpunkten kernhaltigen 43* Bindeu^ewebe i^ebildet. in dessen Maschen eine reiche Meui^e von Lyniphkörperchen lagert. Die dem ZithuiKs fuuciunt zngeAvendete Fläche der ^Mandeln zeigt fünfzehn bis zwanzig Oeffnungen, durch welche die Mandeln ihren Inhalt Avährend des Dnrchpassirens des Bissens durch den Isthmus fahren lassen, und diese enge Passage schlüpfrig machen. Diese Oeff'nungen erinnern an die Grübchen und Tüpfeln auf der Schale eines Pfirsichkernes (AmygilaUs) — hvle nomen. l*li. Stör, Tober Mandeln uml Balgiliüsen, in Virchoio^s Arcliiv, 97. Bd. So lange die zu- und abführenden Lyraphgefässe der Bälge in den Mandeln nicht nachgewiesen werden, fühlen wir uns nicht berechtigt, sie, nach Brücke, für peripherische Lymphdrüsen zu halten. (Man sehe hierüber §. 58.) Ein unpassenderer Ort für Lyniphilrüsen wäre kaum zu fimb-n gewesen, als die Substanz der dicken Bälge eim'S Sfcretionsorgans, was doch die Mandel unbezweifelbar ist, da man durch Fingerdruck ein Quantum schleimigen StoflFes aus ihr herauspressen kann. Die Mandeln schwellen bei Entzündungen so bedeutend an, dass sie den Isthmus, und selbst den, hinter dem Isthmus liegenden Bezirk der Rachenhühle ausfüllen, und Erstickungsgefahr bedingen (Antjina tonsillaris). Eine bleibende Vergrösserung derselben verursacht beschwerliches Schlingen, genirt die Sprache, veranlasst selbst Schwerhörigkeit wegen der Nähe der Eachenmündung der Ohrtrompete, und erfordert ihre Ausrottung mit dem Messer. Bei alten Indi- viiluen, welche oftmals an Entzündungen der Mandeln mit partieller Vereite- rung derselben gelitten haben, findet man sie geschrumpft, und theilweise oder vollkommen geschwunden. Die Oeffnungen an ihrer Oberfläche sind zugleich zu seichten Grübchen geworden, ohne drüsiges Parenchym. — In altdeutschen Schriften werden die ^landein als Knoden erwähnt, welchen Namen aber auch die beiden Malleoli am Sprunggelenk führten. Um eine belehrende Anschauung vom Isthmus faucium zu erhalten, bereite man sich zwei Durchschnitte eines Schädels. Der eine gehe senkrecht durch beide Angenhühlon bis in die Mundhiihle, und lasse Unterkiefer und Zunge unberührt. Man bekommt durch ihn eine freie Ansicht des weichen Gaumens, seiner Schenkel und der Mandeln, von vorn her. Der andere, eben- falls senkrechte, aber mit der Nasenscheidewand parallele, theile die Mund- höhle in zwei seitliche Hälften. Er giebt die Ansicht des weichen Gaumens, seiner Bogen, und seiner Beziehungen zur Mund- und Bachcnhöhle im Aufriss. §. 245. Die Muskeln des weiclien Graumens. Der weiche (Taumen Avird durch Muskeln bewegt, welche ent- weder ganz, oder nur mit ilireu Enden, zwischen seinen beiden Schleimhautblättern liegen, ihn heben, senken, oder in der Quere spannen und dadurch die Weite und Gestalt des IdhimiK faucium verändern. Sie können am besten nur von hintenher präparirt werden. Man hat die Wirbelsäule abzutragen, den Rachensack zu öffnen, und findet sie leicht nach Entfernung des hinteren Blattes der Schleimhaut des weichen Gaumens bis zur Eustachischen Trom- §. 245. Die Muskeln des weiclien Gaumens. 677 pete hinauf. — Nur Ein Gaiinienmuskel ist scheinbar nnpaar, die übrigen paarig'. Der unpaare Azygos uvidae geht von der Spina palatina (hin- terer Nasenstachel) zum Zäpfchen herab. Er besteht immer aus zwei ganz gleichen, bis zur innigsten Berührung genäherten Hälften, und ist somit eigentlich kein Musculus azi/gos, d. h. ohne Gespann. Der Levator veli palatmi s. Petro-salpingo-stapjluilmus (von n^Qa, Felsen, cdlmy'^, Trompete, Gracpvlri, Zäpfchen), entspringt mit einer rundlichen Sehne an der unteren Felsenbeinfläche vor dem caroti- schen Kanal, sowie auch von dem Knorpel der Eustachischen Ohr- trompete, und verwebt seine Fasern im weichen Gaumen theils mit den Fasern des Azygos, theils fliessen sie, in einem nach abwärts convexen Bogen, mit jenen des gleichnamigen Muskels der anderen Seite zusammen. Der Tensor veli palatini, s. Circumfleocus, s. Spheno-salpingo-staphy- linus, liegt als ein platter und dünner Muskel an der äusseren Seite des vorigen, zwischen ihm und dem JPteri/goideus internus. Er ent- steht an der Spina angularis des Keilbeins, sendet einige Fasern zur knorpeligen Ohrtrompete, zieht, sich massig verschmächtigend, vertical nach abwärts, und verwandelt sich in der Nähe des Hamu- lus pterygoideus in eine breite Sehne, welche sich um diesen Haken nach innen herumschlägt, um im weichen Gaumen auszustrahlen, wo sie sich theils am hinteren Rande des Palatum durum anheftet, theils mit der Sehne des gegenständigen Tensor verschmelzend, eine Aponeurose erzeugt, welche als die eigentliche Grundlage des weichen Gaumens angesehen werden mag. Der Muskel bildet somit einen Winkel, dessen Spitze an dem Haken des Flügelfortsatzes liegt (Schleimbeutel). Der Zusammenhang des Levator und Tensor veli palatini mit der knor- peligen Ohrtrompete verleiht diesen Muskeln auch einen unverkennbaren Ein- fluss auf die Erweiterung dieses Kanals. Der Musculus palato-glossus und pcdato-pharyngeus liegen in den gleichnamigen Schenkeln des weichen Gaumens eingeschlossen. — Alle Gaumenmuskeln sind kürzer als ihre griechischen Namen. Der schwache Palato-glossus führt auch den Namen Constrictor isthmi faucium, weil er unter der vorderen drüsenreichen Schleimhautplatte des weichen Gaumens in jenen der anderen Seite bogenförmig (nach oben convex) übergeht, somit den weichen Gaumen niederzieht, und denconcaven Rand des Arcus palato-glossus nach einwärts vorspringen macht, wodurch der Isthmus faucium von oben und von den Seiten verengert wird. — Der Palato-pharyngeus, bei Weitem stärker als der Palato-glossus, hängt mit der Aponeurose des Tensor palati zusammen, auf welcher auch die Fasern der beiderseitigen Palato-pharyngei bogenförmig in einander übergreifen. _ Im Arcus palato-pha- ryngeus herabsteigend, befestigt er sich theils am hinteren Rande des Schild- 078 §. Qiil. Zäline. Structur derselben. knorpcls, tlicily verliert er sieh in der hinteren riKirynxwanil, deren Längen- muskelfasern er vorzugsweise zu liefern seheint. Lässt man am Lebenden, dessen Hals untersueht werden soll, hei ge- öffnetem Älunde eine tiefe Inspiration maehen, oder den Vocal a ausspreehen, so erhebt sich der weiche Gaumen, der Isthmus wird grösser, und man kann durch ihn hindurch, einen grossen Theil der hinteren Eachenwand übersehen. Lässt man Schlingbewegungen machen, welche ohnedies häufig unwillkürlich eintreten, wenn man mit der Mundspatel den Zungengrund nach abwärts drückt, so sieht man. wie sich die concaven Ränder der Gaumenschenkel gerade strecken, und sich (namentlich jene der vorderen) so weit nähern, dass nur eine kleine Spalte zwischen ihnen frei bleibt, welche durch das herabhängende Zäpfchen verlegt wird. Durch diese Spalte muss der zu verschlingende Bissen durchgepresst werden. Auch beim Singen hoher Töne nimmt der Isthmus die Gestalt einer senkrechten Spalte an. Reich an interessanten Ergebnissen über die feinere Anatomie des weichen Gaumens und seiner Muskulatur ist Rüdingers Schrift: Zur Morphologie des Gaumensegels, etc. Stuttgart, 1879. §. 240. Zähne. Structur derselben. Die Zäliue, Dentes, bilden .saniint den Kieteru die passiven Kanwerkzeng-e; — die activen sind durch die Kaumuskeln g'e- jjeben. Durch ihre Härte sowohl, wie durch ihre Form (Meissein, Keile. Stamj)fon) -wirken sie ausschliesslich als mechanische Zer- kleinerungsmittel der Nahrung". — Grosse Zähne kommen mit weiten Mundspalten, starken Kiefern und kräftigten Beissmuskeln vor. Jeder /ahn ragt mit einer nackten Krone in die Mundhöhle frei hinein. Auf die Krone folgt der vom Zahnfleisch umschlossene Hals. Der in die Lücken des Alveolarfortsatzes, Avie der Nagel in die Wand eingetriebene, konische und mit einem Periost versehene Eudzai>fen des Zahnes heisst Wurzel. Hals und Krone schliessen zusammen eine Höhle ein, welche mittelst eines feinen, durch die ganze Länge den- AVurzel verlaufenden Kanals, an der Spitze der letzteren ausmündet (Canalis radicis). In dieser Höhle liegt die Pulpa dentis (Zahnkeim, richtiger Zahn- kern), ein weicher, aus undeutlich faserigem, kernführendem Binde- gewebe zusammengesetzter Körper, zu welchem Gefässe und Nerven durch den Wurzelkanal eindring'en. Eine mehrfache Schicht kern- haltiger Zellen überzieht die Oberfläche des Zahnkeimes. Wir er- kennen in der Pulj»a des Zahnes einen Ueberrest der embryonischen Zahnpapille, welche das ^lodell darstellte, um welches sich die harte Masse des Zahnköi'per.s bildete. Der Nervenreichthum der Pulpa ist ein wahrhaft überraschender. Er erklärt die hohe Empfind- lichkeit dieses Organs, welches, wie der Zahnschmerz Jedem von uns gelehrt hat, trotz seiner Kleinheit, den Sitz eines unerträglichen Leidens abgiebt, für welches es nur Ein radicales Heilmittel giebt — das Ausziehen des erkrankten Zahnes. §. 246. zahne. Structur derselben. 679 Man untersclieidet an jedem Zahn drei Substanzen: 1. Der Schmelz, aucli Grlasnr, oder Email genannt (Sub- staniia adammitina s. Encauston dentis), bildet die äussere, sehr harte und feste Rinde der Krone, welche an der Kaufläche des Zahnes am dicksten ist, sich gegen den Hals zu yerdünnt, um mit scharf gezeichnetem Rande plötzlich aufzuhören. Er deckt somit den freien, in die Mundhöhle hineinragenden Theil des Zahnes, wie eine dicht aufsitzende Kappe. — Der Schmelz repräsentirt die härteste Substanz, welche im thierischen Haushalt erzeugt wird. Die Zahn- ärzte, welche das Abfeilen des Schmelzes oft genug vorzunehmen haben, klagen darüber, dass die besten englischen Feilen in kurzer Zeit sich an ihm stumpf reiben. Er besteht aus prismatischen, etwas geschlängelteu, äusserst feinen und soliden Fasern (Schmelzfasern), welche der Bruchfläche der Krone Seidenglanz geben. Sie liegen so dicht zusammen, dass sich eine Zwischensubstanz nicht nachweisen lässt. — Eine structurlose, d. i. nicht gefaserte, sehr dünne Schichte deckt die freie Oberfläche des Schmelzes. Diese ist das sehr un- passend sogenannte Schmelzoberhäutchen. Zähne, bei welchen das Email eine longitudinale Streifung oder Furchung zeigt, sind als Riffzähne bekannt. Sie kommen nur selten vor. Der Schmelz verdankt seine Härte denselben Kalksalzen, welche wir in der Knochensubstanz kennen gelernt haben (§. 77). Das Verhältniss dieser Salze zum organischen Bestandtheil des Schmelzes ist aber wie 10 : 1, im ausgewachsenen Knochen nur 3 oder 4:1. 2. Das Zahnbein oder Dentin (Ehur s. Substantia propria dentis) bildet den Körper des Zahnes und umschliesst zunächst die Zahnhöhle und den Wurzelkanal. Es besteht aus feinsten Röhrchen, und einer, diese unter einander verbindenden, structurlosen, sehr harten Kittsubstanz, Diese Substanz enthält dieselben Kalksalze, welche den erdigen Bestandtheil der Knochen bilden, — daher der Name Zahnbein. — Die Röhrchen des Zahnbeins beginnen mit ofl'enen Mündungen in der Zahnhöhle und im Wurzelkanal. Sie sind sanft wellenförmig gebogen, nach Welcher korkzieherartig in sehr gedehnter Spirale gewunden, und gegen die Oberfläche zu vielfach gabelförmig getheilt. Ihre Richtung, welche man lange als radiär gegen die Oberfläche des Schmelzes bezeichnete, ist in der That eine sehr verschiedene, so dass es zu wahren Kreuzungen derselben kommt, und an Schliffen des Zahnbeins, eine Anzahl Röhrchen in der Längenansicht, eine andere im Querschnitt sich präsentirt, wodurch mitunter sehr regelmässige Zeichnungen gegeben werden. Die zahlreichen Aeste der Röhrchen anastomosiren theils noch im Zahnbeine mit benachbarten, theils dringen sie in den Schmelz ein, wo sie blind endigen, oder sie münden in die zwischen ('»80 §■ -*'*• ''••'*l'"e- Stiuctui- derselben. Zaliiil)eiu 1111(1 (AMiient Ix'liiidliclu'ii Intcr^ldltiihirräuiiit' ein, von Avelclieu .s})äter. Sicliergestellt ist es, dass viele von ilmeu in die gleich zu erwälinende Rinde der Zalnnvurzel (Ceinent) übertreten, und sich mit den Aestchen der daselbst befindlichen Kuochenkör- perchen verbinden. Man daihte siidi. dass diese Köhrchen des Zahn- beins eine zur Ernährlln^■ des Zalines dienende ^^lüssi^•keit, den Zahnsaft, enthalten, welcher aus den l]luti;efässen der Zahnpulpa staiiinit. Tonies zeigte jedoeli, dass sie Aveiche, diircdisichtige und sehr feine Fräsern einschliessen, in -welchen er Ausläufer jener Zellen erkannte, mit welchen die Oberfläche des Zahnkeims überzogen ist (Odon tob lasten). Zwischen diesen Fasern und den Röhrchen des Zahnbeins, in welchen sie liegen, befindet sich allerdings ein Mini- mum von Eruälirungsflüssigkeit. — Behandlung des Zahnbeins mit verdünnter Salzsäure bist, wie um Knochen, die erdigen Bestand- theile desselben auf, und hinterlässt einen, dem Kuochenknorpel ähn- lichen Rückstand, den Zahnkuorpel. Da dem Gesagten zufolge die Structur des Zahnbeins eine rührige ist, so erscheint der Name Zahnhein nicht glücklich gewählt. Beine (Knochen) besitzen ja keinen röhrigen, sondern einen lamellüsen Bau. — Jener Theil des Zahnbeins, welcher die Höhle des Zahnes zunächst uiiischliesst, lässt uns rundliche Vorsprünge erkennen, welche den von Czermak entdeckten Zahn- beinkugeln angehören. Die Zahubeinkugeln stehen mit der Ablagerung von Kalksalzen in der anfänglich weichen Substanz des Zahnes in nächster Be- ziehung. Diese Ablagerung erfolgt nämlich in Furm rundlicher Massen, welche zwar immer mehr und mehr mit einander zusammenfliessen, aber dennoch nicht so vollständig, dass nicht unverkalkte Theile der ursprünglichen weichen Zahnmasse zwischen ihnen zurückblieben, welche dann, beim Trocknen des Zahnes, durch Einschrumpfen schwinden, so dass an ihrer Stelle Lücken er- scheinen, welche Interglobularräume genannt werden. 3. Die Wurzel rinde (Crusta ostoldes radicis), gewöhnlich Cement genannt, findet sich nur au der Oberfläche der Wurzeln der bleibenden Zäliue. An den Milchzähnen fehlt sie. Sie besitzt nebst dem blätterigen Bau auch die mikroskopischen Elemente der Knochen: die Müller'scheu Knocheukörpercheu, jedoch unregel- mässiger gestaltet, und nur mit spärlichen Aestchen. Die Beinhaut der Alveoli der Kiefer ist zugleicli die Beiuhaut der Zahnwurzel (Periodoatiuin). Sie hängt an die ZaliuAvurzel uicht besonders fest an, und besitzt einen grösseren Reiclitlaun an Nerven, als irgend ein anderes Periost. — Als Grenzlinie zwischen Zahnbein und A^ urzelrinde wird an feinen Längenschuitten des Zahnes ein bei durchgehendem Lichte dunkler Streifen gesehen, in welchem sehr grosse Knochenkörperchen liegen, deren Aestchen sich mit jenen der Wurzelrinde verbinden, und ganz bestimmt auch mit den Röhrchen des Zahnbeins communiciren. An der Spitze der Zahn- wurzel setzt sich die Rinde noch etwas über die Spitze des Zahn- §. 247. Formen der Zäline. 681 beins fort, und bildet dadurch allein den Anfang des Kanals der Zahnwurzel. Aus der zahlreichen Literatur über den Bau der Zähne, hebe ich nur folgende Arbeiten heraus: J. Czermak, Zeitschr. für wissenschaftliche Zoologie, 1850. — H. Welcher, Zeitschrift für rat. Med., N. F., VIE. Bd. - Tomes (Zahnfasern), Phil. Transact., 1846, P. II. — Ueber Bau und Entwicklung der Zähne, H. Her::, im Archiv für pathol. Anat., 37. Bd. — Die Arbeiten von BoU und Hohl im Archiv für mikrosk. Anat., 1866 und 1868, und jene von Pflüger und Jlühl- räter in der Vierteljahresschrift für Zahnheilkunde, 1867 und 1868. — J. Koll- mann, Entwicklung der Milch- und Ersatzzähne. Leipzig, 1869. — Waldeyers Entwicklung der Zähne, Danzig, 1864, enthält eine vollständige Literatur über Bau und Entwicklung der Zähne. — L. Holländer, Die Anatomie der Zähne. Berlin, 1877. — Hauptwerk für vergleichende Anatomie der Zähne, ist die prachtvolle Odontographie von R. Oiven, 2 Bände. London, 1840 — 1845. §. 247. rormen der Zähne. Die Zalil der bleibenden Zähne beträgt ZAveiunddreissig. Jeder Kiefer trägt seclizebn, welche in die vier Schneide-, zwei Eck-, vier Backen- und sechs Malilzähne eingetheilt werden. Die vier Schneidezähne (Dentes incisivi, rofisTg) haben meissel- artig zugeschärfte Kronen, mit vorderer, massig convexer, und hin- terer concaver Fläche. Der Hals und die einfache konische Wurzel erscheinen an den Schneidezähnen des Unterkiefers seitlich compri- mirt, an jenen des Oberkiefers mehr rundlich. Die beiden inneren Schneidezähne sind im Oberkiefer stärker, und haben breitere Kronen als die äusseren. Da die Schneidezähne des Oberkiefers beim Lachen entblösst M'erden, hiessen sie bei den Griechen yelaalvoi, von yb).ct der Kiefer auf das Innigste verwachsen, besitzt wenig Empfind- §. 249. Entwicklung und Lebenseigenscliaften der Zäline. 683 liclikeit, aber grossen Grefässreichthum. Es blutet deshalb leiclit beim Bürsten der Zäline. Man unterscheidet an ihm eine vordere xmd eine hintere Wand oder Platte, welche zwischen je zwei Zähnen durch Zwisehenspangen mit einander zusammenhängen, und nach Yerhist der Zähne in ihrer ganzen Länge mit einander verschmelzen. — Man hat G-ingiva, nicht Gingwa zu sagen, laut Juvenal's: „Frangatur misero ging'iva panis inernii." Das Zahnfleisch sorgt nicht für die Ernährung, sondern für die Befestigung der Zähne. Lockert sich dasselbe auf, wie bei Speichelfluss und Scorbut, so wackeln die Zähne. Durch das Zahn- fleisch und durch die Einkeilung der Zahnwurzeln in die Alveolar- fortsätze der Kiefer werden jedoch die Zähne nicht in dem Grade befestigt, dass ihnen nicht ein Minimum von Beweglichkeit erübrigte. Diese Beweglichkeit führt nothwendig während des Kauens zu Reibungen der Seitenflächen je zweier Zahnkronen. Daraus erklären sich denn auch die an diesen Seitenflächen vorkommenden kleinen Abreibungsflächen. An der hiuteren Wand des Zahnfleisches erwähnte Serres (Mein, de la Societe d'emulation, t. VIII, pag. 128) kleine, hirsekorngrosse Drüschen, welche eine schleimige Flüssigkeit absondern. Diese Flüssigkeit soll den Zahn oberflächlich gleichsam einölen, wie das Hautsebum die Epidermis, um ihn dauerhafter zu machen. Er nannte sie glandes dentaires. Krankhafte Verände- rung dieses Secretes soll den Zahnstein bilden, welcher nach Serres nicht als Niederschlag aus dem Speichel angesehen werden kann, da seine chemische Analyse mit jener der fixen Bestandtheile des Speichels nicht übereinkommt. Meckel hat diese Drüschen für kleine Abscesse gehalten. Solche Drüsen existiren nun im Zahnfleisch durchaus nicht, wohl aber kommen daselbst rundliche, blos aus angehäuften Pflasterzellen bestehende Körper vor, welche entweder im Innern des Zahnfleisches, oder in grubigen Vertiefungen seiner Oberfläche lagern, und über deren Natur sich eine bestimmte Aussage nicht machen lässt. — Im Schleime, welchen inan mit dem Zahnstocher zwischen den Zähnen herausholt, leben, nebst ästigen Fadenpilzen, unzählige, parasitische, sich zitternd bewe- gende Wesen thierischer Natur f Vibrio denticolaj. Henle vermuthet, dass die Caries der Zähne mit der Wucherung dieser Parasiten in Verbindung stehe, welche Annahme durch das Vorkommen ähnlicher Parasiten bei anderen ge- schwürigen Processen, wie bei Aphthen, Kopfgrind, Sykosis, zulässlich er- scheint. Man dl verirrte sich so weit, den Zahnstein für die petrificirten Leiber abgestorbener Infusorien des Zahnschleims zu halten. — Die chemische Zusammen- setzung des Zahnsteins (phosphorsaure Salze, Ptyalin, Schleim), und seine theilweise Löslichkeit in vegetabilischen Säuren und Alkohol, erklärt es, warum Obstliebhaber und Branntweintrinker gewöhnlich weisse Zähne haben. Bei alten Leuten wird der Zahnstein zuweilen in so grosser Menge abgelagert, dass er Zähne, welche sonst schon lange ausgefallen wären, noch an ihre Nachbarn festhält. §. 249. Entwicklung und Lebenseigenschaften der Zäline. Die Kiefer des Embryo bilden am Schluss des zweiten Monats Rinnen, welche mit dem Epithel der Mundhöhle ausgekleidet sind. ()84 §• '-i''>- Eritwickluiij,' uiij Lobenseigenscliafli'ii dor Z&hno. Diest^s Epitlicl •wuchert zu einem Zellenstranj;- heran, welcher im (irunde der Rinne au Dicke zunimmt, .uejjen die Mundliöhle zu aber, durch Conuivenz der Riüuh'r der Kinne, verdünnt wird. Da sicli aus diesem Zellenstranj;;, durch Umwandlung seiner Zellen in Fasern, und Verkalkuni;- dieser Fasern, der Schmelz der Zälme bildet, heilst er der Schmelzkeim. Vom Grund der Kinne wachsen Papillen enipor, welche f;leiclii"alls aus Zellen bestehen. Die ober- fläcldichen Zellen der Papillen macheu eine Metamorphose dureli, deren Ergebuiss die Bildung des Zahnbeins ist, während die tiefen Zellen, die zukünftige Pulpa dentis darstellen. Die immer mehr anwachsenden Papillen, welche Gefässe und Nerven bekommen, drängen sich in den Schmelzkeim ein. Da nun gleichzeitig auch Scheidewände zwischen den einzelnen Papillen emporwachsen, welche sich gleichfalls in den Schmelzkeim eindrängen, und denselben so- zusagen in Stücke zerschneiden, so wird jede Papille ihren Antheil von Sclimelzkeim erhalten, welcher auf ihr wie eine Kappe auf- sitzt. Mittlerweile hat sich die Rinne der Kiefer, durch Bildung des Zahnfleisches, oben gänzlich geschlossen, die Scheidewände haben die Rinne in Fächer abgetheilt, und jedes J^ach enthält einen werdenden Zahn, weshalb die Fächer von nun au Zahnsäckchen genannt werden. Wie aus den Zellen des Schmelzkeinis die Fasern des Schmelzes entstanden, so entstehen aus den oberflächlichen Zellen der Papille die Röhrchen des Zahnbeins, indem diese Zellen sich verlängern nnd Fortsätze austreiben, welche sich verästeln, und um welche herum sich Knochenerde in Röhrenform ablagert. Die tiefliegenden Zellen der Papille entwickeln sich zu BindegeAvebe, welches den Körper der Pulpa dentis bildet. Hat sich der Zahn so weit entwickelt, dass seine Form schon zu erkennen, namentlich auch seine Wurzel, welche erst nach der Krone entsteht, schon vorhanden ist, so wird das Periost des Al- veohis, in Avelcher die Wurzel steckt, eine Schichte wahrer Knochen- substanz um dieselbe herum erzeugen, wie das Periost der langen Knochen sich auf gleiclie Weise au der secundären Bildung von Knochensubstanz betheiligt (§. 85). Diese Knocheuschicht ist das Cement. In Kürze also ausgedrückt, geht die Bildung der festen Substanz des Zahnes von drei Seiten aus: 1. vom Mundhöhlen- epithel (Email), 2. von der Zahnpapille (Zahnbein), und 3. vom Periost (Cement). Obwohl die Natur schon in den frühen Perioden der Entwicklung des Embryo, am Ende des zweiten Monats, mit der Bildung der Zähne beginnt, so ■wird sie doch so spät damit fertig, dass erst im sechsten oder siebenten Monate nach der Geburt, die inneren Schneidezähne des Unterkiefers durchbrechen können, welchen bald nachher jene des Oberkiefers folgen. Nach vier bis sechs Wochen brechen die äusseren Schneidezähne des Unter- und Oberkiefers hervor. §. 249. Entwicklung und Lebenseigenscliaften der Zähne. 685 Nun sollten der Tour nach die Eckzähne kommen. Es erscheinen aber früher, und zwar am Beginne des zweiten Lebensjahres, die unteren und oberen ersten Backenzähne, und erst, wenn diese ihren Platz eingenommen haben, kommt der Eckzahn (im achtzehnten Monat), worauf dann zuletzt die äusseren Backen- zähne zu Tage treten. Am Ende des zweiten Lebensjahres hat der kindliche Mund zwanzig Zähne. Es folgen nun keine anderen nach, da die Kiefer des Kindes keinen Eaum für sie haben. Diese zwanzig Zähne heissen, ihrer milch- weissen Farbe wegen, Milchzähne, Dentes lactei s. caduei, auch decidui, temporarii, und pueriles. Die Schneide- und Eck-Milchzähne sind kleiner als die bleibenden, die Backen-Milchzähne dagegen grösser. Letztere ähneln durch ihre breite, viereckige, mit vier oder fünf Erhabenheiten besetzte Krone, den bleibenden Stockzähnen, mit welchen sie auch durch die Zahl ihrer Wurzeln übereinstimmen. — Die Milchzähne bleiben bis zum siebenten oder achten Lebensjahre stehen, wo sie in derselben Ordnung, als sie geboren wurden, ausfallen, und den bleibenden Zähnen, welche zum Ausbruche bereit im Kiefer vorliegen, Platz machen. Der Beginn des Zahnwechsels wird gewöhnlich durch das Erscheinen des ersten bleibenden Mahlzahnes angezeigt. Sind alle zwanzig Milchzähne durch bleibende ersetzt, so reihen sich dem bereits vorhandenen ersten Mahlzahn noch auf jeder Seite zwei Mahlzähne an, wodurch die Zahl der bleibenden Zähne auf zweiunddreissig gebracht wird. Die Zeiten des Durch- bruches der bleibenden Zähne zählen aber nicht nach Monaten, wie jene der Milchzähne, sondern nach Jahren. So erscheinen die Schneidezähne im achten Jahr, die Backenzähne im zehnten bis dreizehnten Jahr, die Eckzähne im eilften Jahr, der zweite Mahlzahn im zwölften Jahr, der dritte im zwanzigsten bis fünfundzwanzigsten Jahr, der erste Mahlzahn aber schon zwischen sechstem und achtem Jahr. — Den Durchbruch der Milchzähne begreift man als Dentitio prima, — den Wechsel derselben mit den bleibenden Zähnen, als Dentitio secunda. Die Bestimmung des Zahnes, als passives Kaiiorgan zu dienen, bedingt seine physischen Eigenschaften, seine Härte, imd seinen geringen Antheil an animalischen Substanzen, welcher im Email, nach Berzelius, nicht einmal ganz zwei Proceut beträgt. Der erdige Bestandtheil des Emails enthält an phosphorsaurem Kalk und Fluorcalcium 88,50, an kohlensaurem Kalk 8,00, und an phos- phorsaurer Talkerde 1,50. Darum Avird der Zahn von Säuren so leicht angegriffen. Der animalischen Substanz liegt es ob, die Bindung der mineralischen zu vermitteln. Nach Zerstörung der ersteren durch Calciuiren, oder im Leben durch übermässige und lange fortgesetzte Anwendung alkalischer Zahnpulver, z. B. der Tabaksasche, wird der Zahn mürbe und brüchig. Wahr ist es, dass ein vollkommen ausgebildeter Zahn nicht mehr an Grösse zunimmt, und die Natur deshalb gezwungen ist, die Milchzähne, welche nur für den kindlichen Kiefer passen, und für den entwickelten Beissapparat zu klein gewesen wären, wegzuschaffen, und durch grössere zu ersetzen. Allein das Stationärbleiben der Grösse eines Zahnes schliesst einen inneren Wechsel seines Stoffes nicht aus. Der Zahn kann ja erkranken, und muss deshalb leben. Gewiss dringen von der Zahnhöhle aus Nahrungssäfte in die Kanälchen des Zahnbeins ein, und dienen dem Leben des Zahnes. Dass dieses Leben im Zahne, wie im Knochen, fortwährend wirkt und schafft, beweisen die Fälle von 686 §. -19. Entwicklung und Lebenseigenschaften der Zahne. gclieilttii /aliiiriacfuiiii (stlir lilurcich jcnor im Ihcshuicr Musi'Uiii). Icli ])Ositze solVtst einen ihirch Callus «geheilten Urueh tles Halses eines mensehlichen Sehneidezalines, und den Soliliff eines Elephantenzahnos mit geheilter Fraetur. — Die Veränderung der Zähne in gewissen Krankheiten, z. B. das Acndcrn ihrer Farbe und ihr Durchscheinendwerden bei Lungensüchtigen, ihr Brüchig- werden bei Typhösen, sowie das Schwinden der Wurzeln der Milchzähne vor ihrem Ausfallen, spricht ebenso überzeugend für das Dasein einer inneren ^Metamorphose im Zahne. Diese Metamorphose beschränkt sich aber im fertigen Zahn nur auf das Erhalten des Bestehenden. Durch Abnützung oder durch Feilen Verlorenes wird dem Zahne nicht wieder ersetzt, und abgesprengte Kanten werden nicht rcproducirt. — Die Erschütterung der kleinsten Zahn- theilchen, welche sich beim Beissen auf ein Sandkorn, bis zur Pulpa dentis fortpflanzt, lässt dem Zahne, oder vielmehr den Nerven seiner Pulpa, auch Gefühlseindrücke zukommen. Dass gewisse, meist saure Stoffe, wenn sie mit den Zähnen in Berührung kommen, selbst zwischen den Zähnen durchströmende kalte Luft, sehr unangenehme Gefühle hervorrufen, ist wohl Jedem bekannt. Im vorgerückteu Alter fallen die Zähne in der Regel aus. Verkuöclieriing- der Zalinpulpa, Obliteratiou der Zahnarterien und der Kanälehen des Zahnbeins, sind die Ursachen davon. Im Greisenalter neu zum Vorschein kommende Zähne sind entweder wirkliche Neu- bildungen (Dentitio tertia), oder erklären sich auch einfach durch den Umstand, dass, Avenn beim Wechseln der Zähne ein Zahn, welcher sich zwischen zwei andere hineinschieben soll, z. B. ein Eckzahn, keinen Platz findet, und auch nicht als Ueberzahn an der vorderen oder hinteren Wand des Alveolus hervorbricht, er im Kiefer stecken bleibt, und erst nach dem x\usfallen eines seiner Nebenzähne zum Vorschein kommt. Nebst den älteren Berichten über eine Dentitio tertia senilis von Die- merbroeck, Foubert, Blancard und Palfyn, bestätigen auch neuere Beobachtungen (gesammelt^ von E. H. Weber, in dessen Ausgabe der Hilde- hrandt'idhevL Anat., 4. Bd.) ihr Vorkommen. Ein geistlicher Herr, welcher mit einer dritten Dentition beglückt wurde, ruht im Dom zu Breslau, und erhielt folgende Grabschrift: „Decanus in Kircliberg, sine dente canus, ut anus, Iterum dentescit, ter juvenescit, hie requiescit." Das vorschnelle Zugrundegehen der Zähne, welches selbst durch die ängstlichste Sorgfalt beim Reinigen derselben nicht hintangehalten werden kann, scheint mitunter durch den plötzlichen Temperaturwechsel bedingt zu werden, welchem die Zähne bei unserer Lebensweise unterliegen. Man denke an die heissen Suppen bei Winterkälte, an das Wassertrinken auf heissen Kaffee, an den beliebten Genuss von Gefrorenem und Eiswasser im Sommer, u. s. w.. In Obersteier, wo das heisse Schmalzkoch eine Lieblingsnahrung der Landleute ist, findet man kaum eine Bauerndirne ohne eingebundenes Ge- sicht, und unter den Städtern sind schöne Zähne leider eine solche Seltenheit, dass, wenn mau deren zu sehen bekommt, sie in der Regel falsch sind. Beachtung verdient es, dass die Zähne nicht an ihren freien Flächen, welche von den Lippen und von der Zunge fortwährend abgefegt werden, sondern an ihren gegenseitigen Berührungsflächen schadhaft (cariös) werden. Unbekannte mikro- skopische Parasiten stehen im Verdachte, die Urheber der .Caries zu sein. §. 250. Varietäten der Zähne. 687 An allen männlichen Neuholländer-Schädeln aus älterer Zeit fehlen die mittleren Schneidezähne des Oberkiefers. Sie wurden, beim Mannbarwerden der Knaben, ausgeschlagen. Spitziges Zuschärfen der Zähne kommt unter den Papuas und Neuholländern vor. Auf den Sandwichsinseln war es Pflicht eines guten Staatsbürgers, sich, wenn der Häuptling starb, einen Zahn auszu- brechen, und selben in die Einde eines dazu bestimmten Baumes einzuschlagen. Solche, mit Millionen von Zähnen bespickte Bäume, stehen jetzt noch auf den grösseren Inseln der Sandwichsgruppe. §. 250. Yarietäten der Zähne. Als Varietäten der Gestalt und Stellung der Zähne verdienen folgende hier erwähnt zu werden. 1. Yersetzujagen der Zähne. Ich besitze einen schönen Fall, wo beide Eckzähne, statt der Schneidezähne, die Mitte der Kiefer einnehmen. 2. Abnorme Ausbruchsstelle. Man findet Zähne am Gau- men, am vorderen oder hinteren Zahnfleisch als sogenannte U eber- zäh ne zum Vorschein kommen. Ich habe einen Zahn aus der Nasenhöhle eines Cretins gezogen. 3. Inversion, wo die Krone eines Backenzahnes des Ober- kiefers in die Highmorshöhle hinaufragt. (Prager Museum.) 4. Verwachsung. Sie wurde an den Schneidezähnen im Ober- kiefer mehrmals gesehen. Sehr schöne Fälle im Prager Museum, 5. Nebenzähne, als kleine Zähnchen neben einem normalen Backen- oder Mahlzahn vorkommend. 6. Email Sprossenzähne, wo eine Druse von Schmelz wie ein Auge auf dem Halse eines Zahnes aufsitzt, oder sich zwischen den Wurzeln desselben seitwärts hervordrängt, 7. Haken- und Knopf zahne, deren VTurzeln hakenförmig umgebogen, oder zu einem mehr weniger höckerigen Knopf auf- getrieben erscheinen. Sie sind schwer auszuziehen, und geht bei ersteren das von dem Wurzelhaken umfasste Stück der Alveolar- scheidewand mit. 8. Verkittung der Zähne durch Zahnstein, vidgo Wein- stein, Hieher sind die von den Alten (Plinius, Pollux, Plutarch; erwähnten Fälle zu zählen, wo alle Zähne in einen einzigen, hufeisen- förmigen Zahn verwachsen gewesen sein sollen, wie bei Pyrrhus, Euryptolemus, Marc. Cur. Dentatus, und Anderen. 9. Obliteration der Zahnhöhle durch Verknöcherung der Pulpa, oder durch Deposition phosphor- und harnsaurer Salze, Avie ich einen ausgesuchten Fall dieser Art vor mir habe. Zahlreiche Beobachtungen über Zahnvarietäten enthält Tomes, Dental Physiology and Surgery, London, 1848. Hieher gehören auch: Thon, Abwei- chungen der Kiefer und Zähne. Würzburg, 1841; Gruher's Abhandlungen aus Oöo §• -ül. SpoiclieldrOscn A(Missero Vorlillltnissr derselben. iUt iiifiiscliliilK'ii uuil vergloicliLinUii Auatuinit.'. Petersburg, 1852; und Salter, Mod.-chir. Transactions, t. XVII. — Der Atlas zur Pathologie der Zähne, von Jleider und Wedl, Leipzig, 1868, enthält sehr merkwürdige und seltene Form- anomalien. — Die reichhaltigste Samnilnng von Zahiianomalien, welche ich kenne, besass Prof. ITcider in Wien, und der Zaiinarzt Desirabode in Paris. §. 251. Speicheldrüsen. Aeussere Verhältnisse derselben. Als accessorische, zur Muudliölile ;j;oliörIi;e Geliilde treten die Speicheldrüsen, Glamlulae salivales, auf. Sie bereiten den Avasser- reiclien Speichel, Salir(( (von rb 6ia}.ov, Geifer), -welcher, wenn er mit den Nahruni;snntteln durch (his Kauen inuii;- gemi.scht wird, zur Bilduni; des weichen Teine.s beiträgt, w^elcher als Bissen, Bolus, leicht durch die Schliu;;werkzeu^e in den Mai;en befördert wird. Der Speichel löst zuj;leich die löslichen Uestandtheile der Nahrun«^- auf, und erre>;t, durch die Befeuchtunii,- und Tränkuni^' der Geschmacks- wärzchen mit dieser Lcisunii. die Geschma(dvsemj)finduni;'en. Es finden sich drei Paar Speicheldrüsen, w'elche ihrer Lag-e nach in die Ohr-, Unterkiefer- und Unterzuiii;endrüsen ein- getheilt werden. Die Ohrspeicheldriise, Gluii(Jul<( purotis {naQa rro rar/, neben dem Ohre), die grösste von allen. llei;t vor und unter dem Ohre, in dem Winkel, welcher zwischen dem Aste des ITnterkiefers, dem Warzenfortsatzc. und dem äusseren Gehöri;ani;e übrig' gelassen Avird. Sie schiebt sich von hier übei- die äussere Fläche des Masseter, bis zum unteren Kande des Jochbogens vor. Nach innen dringt sie bis zum Processus sti/Ioideus ein. Sie hat ein gelapptes Ansehen. Jeder Lappen besteht ans Läppchen, und diese aus traubenförmig gruppirten .iclni. Der Ilauptausführungsgang der Drüse. Ductus Stenoniantis, welcher sich durch die Dicke seiner Wand, und durch die Enge seines Ijumens auszeichnet, und deshalb sich hart anfühlt, tritt am oberen Drittel des vorderen Randes der Drüse hervor. Er entsteht durch successive Yereinigung aller Ausführungsgänge der kleineren Drüsenlä])pchen, läuft mit dem Jochbogen parallel, etwa einen Zoll unter ihm, an der Anssenfläche des Masseter nach vorn, und senkt sich am vorderen Rande desselben durch das Fettlager der Backe zum J/usculus huccinator herab, welchen er durchbohrt, um an der inneren Oberfläche der Backe, dem zweiten oberen Mahlzahn gegenüber, auszumünden. Oftmals liegt vor der Parotis und auf dem Ductus Stenonianus noch eine kleinere Nebendrüse (Parotis accessoriaj, welche ihren Ausführungsgang in den Ductus Stenonianus münden lässt. Kings um die Insertionsstelle des Ductus Stenonianus lagert eine Gruppe hanfkorngrosser Schleimdrüsen, als Glandulae buccales, in variabler Menge. §. 251. Speicheldrüsen. Aeussere Verhältnisse derselben. 689 Die Parotis unterliegt Lei jedem Oeifnen des Mundes einem Druck, indem der Eaum zwischen Unterkiefer ast und Warzenfortsatz sich bei dieser Bewegung verkleinert. Dieser Druck befördert die Entleerung des Drüsensecrets während des Kauens, wo dessen Gegenwart eben am nöthigsten ist. — Galen legte den Namen Parotis nur der durch die Entzündung dieser Drüse bedingten Geschwulst bei, welche auch bei uns als Mumps oder Bauernwetzel bekannt ist, und nicht selten epidemisch auftritt. Die Drüse selbst führte bei ihm keinen besonderen Namen, und wurde nur allgemein zu seinen ddivsg (glandulae) gestellt. Er kannte die absondernde Thätigkeit der acinösen Drüsen nicht, weil ihre Ausführungsgänge ihm unbekannt waren. So hielt er sie denn für Organe, welche, wie Schwämme, überflüssige Feuchtigkeit aufzusaugen haben. Die Drüsen neben den Ohren hatten namentlich das Gehirn von solcher Feuchtigkeit zu befreien, und führten deshalb bei den lateinischen Autoren des Mittelalters den Namen: Emunctoria cerehri, bis sie Joh. Riolan zuerst als Parotides benannte (Änthropogi-aphia, Lib. IV, Ca}). 10). Die Griechen nannten auch die Ohr- läppchen und die Haarlocken vor dem Ohre: Parotides. Die innere Fläche der Parotis wird durch das tiefliegende Blatt der Fascia colli, von der Vena jmjidaris interna und Carotis interna getrennt. Ihre äussere Fläche überzieht die Fascia parotideo-masseterica. Die Carotis externa und Vena facialis posterior durchbohren die Parotis in senkrechter Richtung, der Nervus communicans faciei in horizontaler Richtung von hinten nach vorn. Der Däne Nil Stenson (Nicolaus Stenonius) beschrieb den Ausführungs- gang der Parotis beim Schafe in seiner Inaugural-Dissertation: JDe glandulis oris, etc. Lugd., 1667. Man kannte jedoch den Gang schon früher. Julius Casserius erwähnt, a7ino 1660, die Durchbohrung des Backenmuskels durch diesen Gang, und Gualtherus Needham behauptet, ihn schon 1658 entdeckt zu haben fde formato foetu, in praefationej. Die Unterkiefer- Speicheldrüse (Gflandula suhmaxillaris s. angularis), um die Hälfte kleiner als die Parotis und minder deutlicli gelappt, liegt unter dem Musculus mylo-kyoiäeus, zwischen dem hoch- nnd tiefliegenden Blatte der Fascia colli, in dem dreieckigen Räume, . welcher vom unteren Rande des Unterkiefers und den beiden Bäuchen des Musculus hiventer maxillae begrenzt Avird. Der Ausführungsgang derselben, Ductus Whartonianus, längs welchem sich noch eine Reihe von Drüsenläppchen hinzieht, geht über die obere Fläche des Mus- culus mylo-hyoideus, zwischen ihr und der Glandula subungualis, nach innen und vorn, und mündet an der stumpfen Spitze einer, zu beiden Seiten des Zungenbändchens befindlichen Papille — Caruncida subungualis. Angeborener Mangel der Unterkiefer-Speicheldrüse wurde von Grub er beobachtet (Arch. für path. Anat. 102. Bd.). Die Arteria maxillaris externa liegt in einer tiefen Furche der oberen Fläche dieser Drüse, deren Acini nicht so rund, wie jene der Parotis, sondern kolbig, selbst fingerförmig in die Länge gedehnt erscheinen. — Die skrophu- lösen Geschwülste, welche in der Gegend der Unterkiefer-Speicheldrüse, unter dem Winkel des Unterkiefers, häufig vorkommen, sitzen nicht in dieser Drüse selbst, sondern in den Lymphdrüsen, welche neben der Glandula suhmaxillaris lagern. Diese Geschwülste heissen in der Volkssprache Mandeln. — Thom. Hyrtl, Lehrhuch der Anatomie. 20. Autl. ^^ 01*0 S. 'Jf)!. Sp.i.liclilnHoii. Acu-L'K" Vcilialtnissc clci-ulbcn. W hart 011 gab doiii Ausfüliruiigsgaiig der Glandula sitb))t(uiUer I'IO annns neijlectns" , Haller). I)io r 11 1 P r z 11 n i;' c ii - S p (> i c Ii c 1 d r ü s o , Glaudulti suhlingualis, i^elnirt wiilirscIuMiilicIi <;;ir niclit zu den SjXMclicldriiscMi, soiulern zu «len SehloiiiidrüstMi. Kleiner als die vorhor^cilicndo, lai^ert sie auf der oberen Fläche des Muscidn.^ inylo-hyohh'nfi, nur von der Sclileiiiiliaut des Bodens der Mundli»"ihlo bedeckt, welche sie etwas hervorwölbt. \)'\^ Arteria suhliiiriKalis verläuft unter ihr. Ihre feinen Ausführunjjs- »•^nge, acht bis zwölf an Zahl, Ductus Jllvini, münden theils hinter der CfUrioicnla sahflnf/ucdis in die MiiiKllnilile ein, theils vereinigen sich einig-e derselben, seltener auch alle, nach Art der übrigen Speichel- drüsen, zu einem giv'tsseren (Jange. J)i(rfiis liartholiai, welcher ent- weder eine besondere Endiiiüiidung auf dei* Canincnla besitzt, oder mit dem Ductus Whartoaianus zusammenfliesst. Gh. Beyer, Histologie der Glandula suhlin ijualis, Breslau, 1879. Quirinus Rivinus, Professor in LciiJzig, in der Mitte des sieben- zehnten Jalirhunderts. war eigentlicli kein Anatom, sah aber doch die Aus- führungsgänge der Unterzungendrüse zuerst, und erwähnt ihrer in seiner nicht anatomischen Schrift: De dyspepsia. lAps., 1678. Genauer beschrieb sie Fr. A. Walther, De lingua. Lips., 1724. Die Vereinigung der Ausführungs- gänge der Unterzungendrüse zu einem grösseren, wurde von Casp. Bartho- linus zuerst gesehen, und in dem Büchlein: De ductu .'^alivali hactenus non descripto. Hafn., 1684, besehrieben. Die specifischen Verschiedenheiten der Secrete der drei Speicheldrüsen sind noch nicht genau bekannt. Der Parotidenspeichel enthält keinen Schleim, welcher dagegen im Secret der Unterzungendrüse vorkommt. Bernard fComptes rendus, 1852) behauptete, dass der Parotidenspeichel zur Durchfeuchtung und Knetung des Bissens, jener der Glandula suhlinijualis zur schleimigen Um- hüllung desselben, um leichter geschlungen zu werden, jener der Glandula subma.villaris aber zum Schmecken besonders beitrage. Der Speichel (von speien = ausspucken) besteht, nach Berzelius, aus 99 Procent Wasser und i Procent fester Stoffe (Speichelstotf oder Ptyalin, Schleim, Chlornatrium. Casein). Rhodankalium führt nur der Speichel der Parotis. Sonst enthält er auch noch abgestossene Epithelialplättchen der Mund- schleimhaut, und die schon von Leeuwenhoek gekannten, rundlichen, den Lymphkörperchcn gleichenden Speichelkörperchen, deren Protoplasma feine Körner enthält, welche lebhafte Molekularbewegung zeigen. Man meint, dass ihre Erzeugungsstätte in den an Lymphkrn-perchen reichen Balgdrüsen der Zunge und in den ^landein zu suchen sei. Auf eine massenhafte Auswanderung der Lymphkörperchcn aus den Mandeln in die Mundhöhle hat Ph. Stör auf- merksam gemacht in Virchow's Archiv, 27. Bd. Jedenfalls ist und bleibt es eine sehr sonderbare Verwendung der Lymphkörperchen: ausgespuckt oder verschlungen zu werden. Der Speichel hat zweifache Verwendung. Erstens eine, welche er schon in der Mundhöhle leistet. Sie besteht in dem Durchweichen der gekauten Nahrungsmittel, als nothwendige Vorbereitung zum Schlingen, und in der Auflösung leicht löslicher Bcstandthoile derselben, zu Gunsten der Geschmacks- §. 252. Bau der Speicheldrüsen. 691 empfindung. Zweitens bewirkt der Speichel eine chemische Veränderung im gekauten Bissen, durch Verwandlung der Stärke in Zucker und Dextrin. — Die Nachtheile, welche durch die Unart des häufigen Ausspuckens dem Orga- nismus erwachsen sollen, hat. man wohl etwas zu hoch angeschlagen. Den Fischen und Cetaceen fehlen die Speicheldrüsen gänzlich. — Da das Wasser des Speichels durch die heim Athmen durch die Mundhöhle ein- und aus- streichende Luft fortwährend als Dampf weggeführt wird, so erklärt sich hier- aus die Bildung jener Niederschläge aus dem Speichel, welche als Zahnstein (Tartarus dentiumj besonders die hintere Fläche der unteren Schneidezähne, wo der Speichel sich aus den Carunculae sublinguales ergiesst, und die Hälse aller Zähne im Unterkiefer incrustiren, sich zwischen Zahn und Zahnfleisch eindrängen, und die Zähne zwar entstellen, aber gewiss für ihre Dauerhaftig- keit eher nützlich als schädlich sind, obwohl dieses die Zahnärzte nicht zu- geben wollen. — Die giftigen Wirkungen, welche der in den Magen oder in die Venen eines lebenden Thieres injicirte Speichel hervorbringt, sind nicht Wirkungen des Speichels als solchen, sondern des giftigen Nicotins im Tabake, welcher geraucht wurde, um die zum Versuche nothwendige Quantität Speichel zu erhalten. Ebenso ist die ansteckende Kraft des Geifers von wuthkranken Thieren eine grundlose Chimäre. Bruce, Harries und Hertwig konnten durch Uebertragung dieses Geifers auf gesunde Thiere, ja selbst durch Ein- impfung desselben in das Blut, niemals die Wuthkrankheit erzeugen. §. 252. Bau der Speicheldrüsen. Alle Speiclieldi'üsen sind nacli demselben Typus — dem der zusammengesetzten acinösen Drüsen (§. 90) — gebaut. Der Haupt- ausführung'sgang theilt sicli wiederliolt in kleinere Zweige, deren letzte Enden mit rundlichen oder längliclien, traubig zusammen- gebäuften Endbläseben (Acini) in Verbindung stehen, welche mit capillaren Blutgefässen netzartig umsponnen werden, und in welchen die Bereitung des Speichels aus den Elementen des Blutes Yor sich geht. — Die Speichelgänge besitzen eine bindegewebige Grrund- membran, auf deren innerer Fläche eine sehr dünne structurlose Schichte aufliegt. Die Bindegewebsmembran nimmt aber mit der zunehmenden Verfeinerung der Gänge an Mächtigkeit dergestalt ab, dass in den feinsten Ramificationen, und in den auf ihnen auf- sitzenden Acinusbläschen, nur die structurlose Schicht erübrigt. Auf dieser lagert in den grösseren Speichelgängen ein stattliches Cylinder- epithel, in den kleineren und in den Acini dagegen Pflasterepithel. Die Zellen der letzteren sind die eigentlichen Herde der Speichel- bereitnng, Sie sind gross, rundlich, und ragen so weit in das Lumen der Acinusbläschen und ihrer Ausführungsgänge hinein, dass sie dasselbe fast ganz für sich in Anspruch nehmen. — Die Wand des Ductus Wliartonianus enthält glatte Muskelfasern — jene des Ductus Stenonianus aber nicht (Kölliker). Nach dem Ergebniss von Injectionen, welche Pflüg er vornahm, sollen die letzten Verzweigungen der Speichelgänge, mit äusserst feinen Gängen im 44* G02 §• -fA '/-»ngp. Verkehr stehen (S peicheleai»ill:ireii), welche zwischen die Epithelialzclkn vordringen, und sie ebenso umspinnen, wie die Lobcrzellen von den feinsten (lallcnwegen umgeben werden. Bistiiligung dieser Angabe ist bis jetzt nocli nicht erfolgt. Derselbe Forselier liat zugleich «ehr merkwürdige Eigenschaften der Zellen des Cylinderepithels in den Speichelgängen namhaft gemacht, be- treflfend den Zusammenhang derselben mit den Primitivfasern der die Speichcl- gänge in grosser Menge begleitenden Nervenfasern, wnrüber in Strirkers Ge- webslehre, 14. Cap., ausführlidi geliandogen de.s Unterkiefers nmfa.s.st wird. Man unterscheidet an ihr eine obere und nntere Fläche, zwei Seitenränder, die Spitze, den Kcirper, und die Wurzel. Die obere convexe Fläche der Zunge, welche bei g(»schlos.senem Munde an dem harten Gaumen anliegt, ist bi.s zum /dh)iuis fiiucimn hin, mit den Geschmackswärzchen so dicht be.säet, das.s sie ein knrzzottio;es, ge- schoi'enem Sammt ;ihnliche.s An.sehen erhält. — Der liinterste Ab- schnitt der Zunge, welcher sich vom Isthmus faucium bis zum Zungen- bein herab erstreckt, heisst Wurzel. Man sagt, dass dieser Bezirk der Zunge keine Geschmackswärzchen besitze. Es finden sich jedoch auch hier feine fadenförmige Paj)illen vor, deren mikroskopische Kleinheit, und unter dem dicken Plattene])ithel vergrabene Lage, sie übersehen Hess. Dagegen kommen an der Zungenwurzel Schleim- drüsen und grosse Balgdrüsen Aor (§. 90). An der Zungenwurzel Wilden die Balgdrüsen, welche von den Alten als Glan- dulae lenticulares linguae bezeichnet wurden, ein fast continuirliches, in die Muskelsubstanz eingreifendes Drüsenlager. .Teder Balgdrüse entspricht ein flacher Hügel auf der Oberfläche der Zungenwurzel, welcher an der eigenen Zunge mit dem Finger gefühlt werden kann. Eine Oeffming auf dem Hügel führt in eine kleine Höhle desselben, in deren "Wand die geschlossenen Bälge mit ihrem Inhalt von Lymphkörperchen lagern. Die Bälge sind jedoch keine constanten Vorkommnisse. Sie fehlen zuweilen. In diesem Falle erscheint die aus reticulärem Bindegewebe bestehende "Wand der Drüsenhühle, wie auch bei den IVlandeln bereits bemerkt wurde, über und über mit Lymphkiirperclien infiltrirt. Böttcher denkt selbst an einen pathologischen Ursprung der Bälge (Archiv für pathol. Anat.. 18. Bd.). — Die Balgdrüsen des Zungengrundes, der Mandeln, und die Drüsen an der vorderen Fläche des weichen Gaumens, bilden zusammen einen Drüsengürtel um den Isthmus faucium herum, dessen Aufgabe es ist, diesen engen Weg, während des Durchganges des zu verschlingenden Bissens, gehörig schlüpfrig zu machen. — Das geschichtete Pflasterepithel der Zunge kleidet auch die Höhle der Balgdrüsen aus, und unterscheidet sich nicht von jenem der übrigen Mundhöhlenschleimhaut. Die oberflächliche Lage dieses Epithels besteht aus grossen, breiten und flachen Zellen (Plattenepithel), welche sich abstossen, §. 253. Zunge. 693 und wieder erzeugt werden. Bei Verbrühungen und gewissen Ausschlagskrank- heiten, fällt das ganze Epithel der Zunge in grösseren Stücken ab. — Ueber die Zungendrüsen handelt Ebner: Die aeinösen Drüsen, und ihre Beziehung zum Geschmacksorgan. Graz, 1873. Die untere Fläche der Zunge ist kleiner als die obere, und entbehrt der Greschmackswärzchen vollständig. An ihr inserirt sieh das vom Boden der Mundhöhle als Schleimhautfalte sich erhebende Zungenbändchen (Frenulum linguae), welches dem Umschlagen der Zunge nach hinten entgegenwirkt. — ■ Bei Neugeborenen und Kindern fallen an der unteren Zungenfläche zwei, nach vorn cou- vergirende, mit einem fein ausgezackten Rand versehene Schleim- hautfalten auf, — ■ Cristae oder Plicae fimhriatae , von welchen im Erwachsenen nur Spuren sich erhalten. — Der weiche Gaumen schickt zu den Seitenränderu der Zunge die beiden Arcus palato- glossi herab. Die Wurzel der Zunge haftet mittelst des Musculus hyo-glossus am Zungenbeine, und steht auch mit dem Kehldeckel durch drei IJebergangsfalten der Schleimhaut (ein mittleres und zwei seitliche Ligamenta s. Frenula glosso-epigloüica) in Verbindung. Von der Spitze bis zum Isthmus faucium nimmt die Zunge an Dicke zu, vom Isthmus bis zum Zungenbein aber an Dicke bedeutend ab. Der vor dem Isthmus liegende Abschnitt der Zunge liegt horizontal in der Mundhöhle; — der hinter dem Isthmus befindliche (Zungen- wurzel) fällt fast senkrecht gegen den Kehldeckel ab. Je mehr die Zunge aus der Mundhöhle herausgestreckt wird, desto mehr wird auch die senkrechte Richtung der Zungenwurzel in die horizontale einbezogen. Die fleischige Substanz der Zunge Avird durch eine, von der Mitte des Zungenbeins entspringende, blattförmige und dünne, senk- rechte, fibröse Platte — Blandin's Cartilage median — • in zwei seitliche Hälften getheilt. Diese Faserplatte, welche ich, da sie keine knorpelige Structur besitzt, richtiger Septum medianum Linguae nenne, erscheint nur in der Wurzel der Zunge gut entwickelt, — g'^o®^ die Spitze zu versch^vindet sie. Die von A. Nuhn beschriebene Zungendrüse (Ueber eine bis jetzt noch nicht näher beschriebene Zungendrüse. Mannheim, 1845) wurde schon in Blan- din's Traite d'anatomie topograpliique, Paris, 1834, fag. IIb, erwähnt. Sie ist paarig, besteht nur aus wenigen Acini, und liegt in der Spitze der Zunge, zu beiden Seiten der Medianlinie, zwischen den Faserzügen des Hyo- und Stylo- glossus, näher der unteren Zungenfläche als der oberen. Ihre Ausführungsgänge münden mit 4 — 5 in einer Längsreihe liegenden Ostien, an der unteren Fläche der Zungenspitze, am vorderen Ende, auf einem niederen, gefransten, schief nach rück- und auswärts gerichteten Schleimhautsaum fCrista fimbriataj. Unter den Thieren findet sie sich nur beim Orang-Utang. Sie wird für eine Schleimdrüse gehalten. Der grosse Gefässreichthum und die Weichheit der Zungensubstanz, er- klärt die enorme Anschwellung der Zunge bei Entzündungen, und die augen- blickliche Linderung der diese Schwellung begleitenden Erstickungszufälle ()9 l §. -54. Guäcliinat.-kswni7.i'lii'ii und Gesiliiii:uk>liiiüsiioii der Zunge. ilurcli EiIl,■^(■llnittc in ar über dem Zungenbeine, (b-n IJoden der Muntlböhb', und somit die Zunge, nach oben und liinten drückt. Die Zunge vtolegt hiebei den /stlitim.t /tiurium, und drängt den weiclien Gaumen gegen die Wirbelsäule, wodurcii der Luftzutritt von der Mund- und Nasenhöhle her aufgehoben wird. Beim Selbsterliängen, wo die Schnur nicht kreisrund um den Hals zusammengeschnürt wird, sondern der Hals in einer Schlinge hängt, welche liinter beiden Winkeln des Unterkiefers in die Höhe steigt, erfolgt der Erstickungstod auf diese Weise. §. 254. (jescliniackswärzclien und Gesclimacksknospen der Zunge. Am Rücken der Zunne, welcher durch eine, nicht immer deut- liche Läügenfissur, in zwei gleiche Hälften i^etheilt wird, finden ^sich drei Arten von GeschnKickswärzchen, Papillae (justatoviae: 1. ])le fadenförmigen Wärzchen, Papillae ßUfornies, welche der Zunge ilir pelziges Ansehen geben, nehmen in imzähliger i\Ienge den Rücken iiiid die Seitenränder der Zunge ein, und stehen in parallelen Reihen, welche von der Mittellinie schief nach vorn und aussen gegen die Räuder gerichtet sind. Sie sind dünner und läuger als die übrigen Zungen wärzchen, und nehmen gegen die Zungen- spitze liiu nicht au Zahl, wohl aV)er an Länge ab. Die wenigsten von iliuen enthalten Nerven, wodurch ihre iJedeutung als Geschmacks- wärzchen verdächtig wird. Die Nerven enden schon unter der Basis der Papillen mit kleiuen Ku»')j)fchen (Krause). Auch ihr dicker und verhornter Epithelialüberzug, welcher aus dachziegel förmig übereinander geschobenen Zellenplatten besteht, stellt ihre lebhafte Betheiligung an den Geschjuacksempfiuduugen sehr in Zweifel. Ein Vergleich derselben mit den Hornstacheln auf der Katzenzunge, würde etwas für sich haljen, wenn ihre Richtung nicht nach vorne ginge. Die Hornstacheln auf der Rau})thierzunge gehen nach hinten, nt fi(i/iluram ab ove jjraeilam retineaid, wie Haller sagt. Sehr häutig erscheint der Grundstock einer fadenförmigen Warze, welcher, wie bei allen Geschmackswärzclien, aus längsgefasertem Bindegewebe besteht, mit kleineren secundären Pa])illcn besetzt, oder die Spitze desselben in melnere kleinere Wärzchen wie zerklüftet. Auch zeigt das Epithel nicht selten das eigenthümlichc Verhalten, dass es von der Spitze der Warze aus, sich in feine, haarförmige Fortsätze spaltet, welche der Warze ein pinselförmiges Ansehen verleihen. Dieses Zerfasern des Epithels wird besonders an weiss belegten Zungen beobachtet, und darf nicht verwechselt werden mit den, bei krank- haften Zuständen der Zungenschleimluuit, auf dieser wuchernden Fadenpilzen CLeptothrix buccalis, Robin), welche sich zwischen dir E])itlieliiilzellen der Zunge eindrängen, und dieselbe förmlich umspinnen. 2. Die schwamm- oder keulenförmigen Wärzchen, Pa- pillae fungiformes, s. clavatae, finden sich in veränderlicher Zahl §. 254. Gresclimacliswärzclien und G-escliinacllil(' dadiircli in zwei ül)er iMnauder gelehari/nucco-}?/iar(/n(/t'(( an, die mittlere besteht aus einer Lage animaler Muskeln, — die innere ist Schleimhaut. Im Cavum pharyntjo- nasale erscheint die Schleimhaut röther, und drüsenreicher, als im Canon pluiriiiijo-lariingeuni. Sie besitzt im erstgenannten Räume ein flimmerndes Epithel, im letzteren ein mehrfach geschich- tetes Pflastere])ithel. Die Drüsen der Schleimhaut zerfallen in Schleim- drüsen und Balgdrüsen. Sclileinidrüseu iinden sicli an der hinteren Wand des Rachens. Je weiter gegen den Anfang (h'r Speiseröhre herab, desto spärlicher werden sie. Balgdrüsen kommen vereinzelt und accuniulii-t vor. In (U'ui obersten Bereich des Rachens, dem Fornia; pltarifntiis, l)ilden die Balgdrüsen einen bis drei Linien dicken Drüsengürtel (Tonsilla ijharjinima, von Lacauchie 1853 entdeckt), welcher hinter dem oberen Rande beider Choanen, von einem Ostiuni tubae Eustachianae zum andeiMi hinüberreicht. Ich möchte die Kachcnhülile den Kreuzweg der Rcspirations- und Ver- dauungshöhle des Küi)ies nennen (cnnimunis axrix et nutrimentorum via, Hallcr). Die durch die Nase eingeatlnnete Luft, und der zu verschlingende Bissen, ge- langen durch den Eachen zum Kehlkupf und zur Speiseröhre. Da nun der Uebergang des Rachens in die Speiseröhre hinter dem Kehlkopfe liegt, so müssen sich die Wege des Lui'tstromes und des Bissens in der Rachenhöhle kreuzen. Ist der Bissen in den Rachen gekommen, und wird dieser durch die Constrictores verengert, so könnte der dadurch gedrückte Bissen, ebenso gut gegen die Choanen lünauf-, oder gegen den Kehlkopf hinabgedrängt werden, als in die Speiseröhre gelangen. Den Weg zu den Choanen schlicsst der weiche Gaumen ab, indem er sich gegen die Wirbelsäule stellt. Der Eintritt in den Kehlkopf wird durch den Kehldeckel versperrt, welcher, wenn der Kehlkopf beim Schlingen gehoben, und die Zunge nach rückwärts geführt wird, sicli wie eine Fallthüre über das Ostiuni laryngis legt. Es ist nicht richtig, wenn gewöhnlich gesagt wird, dass der niedergedrückte Kehldeckel dem Bissen als Brücke dient, über welche hinüber er in den Schlundkopf, und sofort in die Speiseröhre geschafft wird. Denn der Kehldeckel kommt eigentlich mit dem Bissen in gar keine Berührung, da er nicht durch den Bissen, sondern durch den Zungengrund, gegen welchen er beim Heben des Kehlkopfes wälirend des Sclilingens ange- presst werden muss, niedergedrüekt wird. — Nur l)eim Erbrechen kann Festes §. 257. Radienmuskeln. 699 oder Flüssiges aus der Raclienliölüe in die Nasenhöhle hinaufgcschleudert werden, oder bei einem tiefen und hastigen Einathmen, wie es dem Lachen voranzugehen pflegt, aus der Mundhöhle in den Kehlkopf gerathen. Das graue, filzige oder pelzige Ansehen, welches die Rachenschleimhaut bei einer, besonders in neuerer Zeit sehr mörderisch aufgetretenen Einderkrank- heit annimmt, hat dieser Krankheit ihren modernen Namen gegeben: Diph- theritis, von Öicp&SQa, Pelz. Zu meiner Zeit hiess sie Angina alba. Schon die alten Griechen kannten das Wort Di-phtlierititf, verstanden aber darunter ein in Ziegenfelle gekleidetes Bauernweib! Luschka, Der Schlundkopf des Menschen, Tübingen, 1868, und Ueber die Drüsenformation im Pharynx, im Archiv für mikrosk. Anat., 4. Bd. §. 257. E-acheninuskeln. Wir unterscheiden Hebe- und Sclinürinuskeln des Rachens. Beide sind willkürlich bewegliche Muskelgruppen. Als Hebemuskel wirkt der paarige Stiilo-pharyngeus. Er entspriogt am GrrifFelfortsatz, oberhalb des Stylo-glossus, zieht, mit seinem Gespann convergirend, zur Seite des Pharynx herab, und verliert sich theils zwischen dem mittleren und oberen Schnürmuskel, theils findet er eine solide In- sertion am oberen Rande des Schildknorpels. Die Schnürmuskeln (Constrictores pharyngis) bilden die Seiten- wände und die hintere Wand des Rachens, gegen deren Median- linie (jRJuqyJie) sie von beiden Seiten her zusammenstreben. Man zählt drei Paare, als Constrietor pharyngis superlor, tnedius, und mferior, welche, von hinten her gesehen, sich derart theilweise decken, dass (bei der Ansicht von hinten her) der untere Constrietor sich auf den mittleren, und dieser auf den oberen hinaufschiebt. Alle knöchernen, fibrösen und knorpeligen Grebilde, welche zwischen Schädelbasis und Anfang der Luftröhre gelegen sind, dienen den Faserbündeln der Rachenschuürer zum Ursprünge, und es muss deshalb, wenn man jedem Bündel einen eigenen Namen giebt, eine sehr complicirte Muskulatur herauskommen. Da der obere Con- strietor im Allgemeinen nur von gewissen Kuochenp unkten an der Schädelbasis entspringt, der mittlere nur vom Zungenbein, der untere nur vom Kehlkopf, so wäre es nicht ungereimt, sie als Cephalo-, Ilyo- und Laryngo-pliaryngeus anatomisch zu taufen. Der Constrietor superior nimmt die oberste Partie der hinteren Ptachen- wand ein, welche den Choanen gegenübersteht. Er entspringt vom Hamulus pterygoideus (als Pterygo-pharyngeusJ , von dem hinteren Ende der Linea mylo-liyoidea (als Mylo-pharyngeus) , vom Seitenrande der Zunge (als Glosso- pharyngeusj, und von einem, zwischen Ober- und Unterkiefer, hinter den Mahlzähnen ausgespannten Streifen der Fascia bucco-pharyngea (als Bucco- pharyngeusj. — Die Wirkung dieses Muskels ist nichts weniger als klar, da der zu verschlingende Bissen. nie in sein Bereich kommt, indem er, des weichen Gaumens wegen, nicht nach aufwärts gegen die Choanen getrieben werden kann. Wenn er, wie man annimmt, während des Schlingactes die hintere 700 8. 258. SpeiKerOhre. Rachenwand hcnorwölben soll, um sie dem weichen Ganinen näher zu hringen und den Anschluss heider zu erleichtern, so frage ich, wodurch der leere Raum ausgefüllt werden soll, welcher sich, bei einem solchen Vorgang, hinter der Rachenwand bilden muss? — Der schwache Constrictor medi'us kommt mit zwei Bündeln vom grossen und kleinen Hornc des Zungenbeins, als Cerato- und Chondro-pharyngeus. Seine oberen Fasern streben in der hinteren Rachen- wand nach aufwärts, seine unteren nach abwärts, während seine mittleren horizontal bleiben. So muss es denn zu einer oberen und unteren Spitze der beiderseitigen Muskeln kommen. Die obere Spitze schiebt sich auf den Con- strictor superior hinauf, die untere wird von der gleich anzuführenden Spitze der beiden Constrictor es inferiores überdeckt. — Der Constrictor inferior ent- springt vorzugsweise von der äusseren Fläche des Schildknorpels (Tliyreo- pharyngeusj, und von der Aussenfläche des Ringknorpels fCrico-pharyngeusJ. Auch seine Bündel kommen mit den entgegengesetzten in der Rhaphe zu- sammen. Die oberen von ihnen schieben sich, mit einer nach oben gerichteten Spitze, über den Constrictor medius hinauf. Der Weg des Bissens von den Lippen bis zum Pharynx steht unter der Aufsicht und Obhut des freien Willens. Hat aber der Bissen den Racheneingang passirt, so hält ihn nichts mehr auf, und er wird ohne Zuthun des Willens in den Magen geschaflft. Kitzeln des Rachens mit dem Finger oder einer Feder, wohl auch durch ein verlängertes Zäpfchen, erregt kein Erbrechen, sondern Schlingbewegung, — Kitzeln des Znngengrundes und des weichen Gaumens dagegen keine Schlingbewegung, sondern Erbrechen. Beide Formen von Be- wegungen sind somit Reflexbewegungen. Die anatomische Darstellung des I'haiynx nius^ von rückwärts und nach folgenden Regeln vorgenommen werden: ]\ran löst an einem Kopfe die Wirbel- säule aus ihrer Verbindung mit dem Hinterhaupte, und entfernt sie. Dadurch wird die hintere Rachenwand, welche an die vordere Fläche der Wirbelsäule durch sehr laxes Bindegewebe befestigt war, frei. Man entfernt nun vorsichtig die Reste der Fascia hucco-pharyngea, und verfolgt die unter ihr liegenden Faserbündcl der Levatores und Constrictores bis zu ihren Ursprüngen, wodurch auch die Seitengegenden dos Pharynx zur Ansicht kommen. Führt man von unten her durch die Speiseröhre einen Scalpellgrilf oder eine starke Sonde in die Rachenhöhle ein, so kann man damit die hintere Rachenwand aufheben, und bekommt eine Idee von der Ausdehnung und Form dieses häutig-musku- lösen Sackes. Nun spaltet man durch einen Längenschnitt die eben präparirte hintere Wand, und durch einen Querschnitt ihre obere Anheftung an der Schädelbasis, legt die beiden dadurch gebildeten Lappen wie Flügelthüren aus einander, und befestigt sie durch Haken, damit sie nicht wieder zufallen. Man übersieht nun die vordere Rachenwand von hinten lier, und lernt die Lage der Oeffnungen kennen, welche in die Nasen-, Mund- und Kehlkopfhöhle führen. Die Choanen sind vom Isthmus faucium durch das Palatum molle, — der Isthmus vom Kehlkopfeingang durch die elastische Knorpelplatte des Kehldeckels getrennt. Seitwärts und oben sieht man hinter den Choanen, die Rachenmündungen der Eustachischen Trompete. §. 258. Speiseröhre. Der Rachen geht vor dem sechsten Halswirbel in die Speise- röhre, Oesophagus, über, welche den Rachen mit dem klagen ver- bindet, und, ausser der mechanischen FortlxMvegung Ac^ Verschlun- §. 258. Speisevölive. 701 g'enen, keine andere Nebenbestimmiing zu erfüllen hat. Sie liegt hinter der Luftröhre, mit geringer Abweichung nach links, geht durch die obere Brustapertur in den hinteren Mittelfellraum, kreuzt sich mit der hinteren Fläche des linken Luftröhrenastes, und legt sich, von der Theilungsstelle der Luftröhre an, an die rechte Seite der Aorta, verlässt hierauf die Wirbelsäule, kreuzt sich neuerdings mit der vorderen Fläche der Aorta, um zum links gelegenen Foramen oesophagewn des Zwerchfells zu gelangen, und geht durch dieses in die Cardia des Magens über. Sie beschreibt also, kurz gesagt, eine langgedehnte Spirale um die Aorta. Eng an ihrem Beginne, erweitert sie sich hierauf etwas, und nimmt vom sechsten Brustwirbel ange- fangen, an Weite wieder ein weuig ab. Lockeres Bindegewebe versieht die Speiseröhre mit einer äusseren Umhüllungsmembrau. Die darauf folgende Muskelhaut besteht aus einer äusseren longitudinalen, und einer inneren spiralen oder Eingfaserschicht. Die Schleimhaut lässt im zusammengezogenen Zustande des Oesophagus Längeufalten erkennen, welche sich beim Durchgange des Bissens glätten, um das Lumeu des Rohres zu er- Aveitern. Ihr Substrat besteht aus Bindegewebs- und elastischen Fasern, mit einer äusseren Auflage von longitudinaleu organischen (glatten) Muskelfasern. Diese bilden eine mit dem Messer darstell- bare Schichte der Schleimhaut, welche sich von nun an durch die ganze Länge des Darmkanals erhält. Winzige Grefässpapillen fehlen auf der Speiseröhrenschleimhaut nicht. Ihre Schleimdrüsen gehören zu den kleineren Formeu, und stehen solitär oder gruppirt. Sie reichen bis in das submucöse Bindegewebe, und die grösseren derselben dringen selbst in die Maschen der Längen- und Querfasern der Muskelhaut ein. Das Epithel der Speiseröhre ist ein dickes geschichtetes PflasterepitheT. Bei Embryonen soll das Epithel der Speiseröhre flimmern (Neu mann). Die Muskelfasern der Speiseröhre sind am Halstheile derselben quer- gestreift, am Brusttheile in der Mehrzahl glatt. Es treten zuerst in der Eing- faserschicht glatte Mustelfasern zwischen den quergestreiften auf, und nehmen, je weiter die Speiseröhre gegen den Magen herahkommt, desto mehr an Zahl zu, ohne jedoch die quergestreiften gänzlich zu verdrängen. — Die von mir entdeckten Musculi broncJw- und pUuro-oesophagei (Zeitschrift der Wiener Aerzte, 1844), führen nur glatte Fasern. Sie haben sich seit ihrer Bekannt- machung häufig wieder gefunden. Der Broncho-oesophageus entspringt von der hinteren membranösen Wand des linken Bronchus, der Pleuro-oesophageus von der linken Wand des Mediastinum. Beide contribuiren zur Bildung der Längen- muskeln der Speiseröhre. Der Pleuro-oesophageus kommt öfter vor, als der Broncho-oesophageus. In einem kürzlich beobachteten Falle hatte der Pleuro- oesophageus eine Breite von SYa Zoll. Eingehend Hess sich Luschka über beide Muskeln vernehmen in seiner Abhandlung: Der Herzbeutel und die Fascia endothoracica (Denkschriften der kais. Akad., 17. Bd.). Grub er fand, 7Ü2 §• -6'^- ü(>liorsiclit der L.igo des Vordiiuuiin-kanals in der naucliliOliIe. dass auch vom vochti^n Broiulm? zuweilen ein ^luskelbündel an den Ooso- phasjus tritt (Aicliiv für Anat., 1869). — Muskelfasern, welche vom Zwerch- fell, und zwar vom Foramen oesojihaiteum zur Siieiserührc «jehen sollen, habe ich nie tjesehen. — Beim Durehj,Mn-ste Organ des Trddu.^ (iii/i'storiiis. Die Störung seiner Yerricditnng liefert eine friiclitl)are. und so lange die Mensch- heit nicht von unvernünftigen Tliieren l(M-nen Avill, im Essen und Trinken Maass zu halten, eine» sehr gewohnliche Ursaclie voll Er- krankungen. „Per tM(Mni- haut auch eine in die Fläche ausgebreitete Drüse genannt. Die Pepsindrüsen {niitroa, verdauen) gehören der Familie der einfachen tiil)ul()sen Drüsen an. Ihre Länge gleicht so ziemlich der Dicke der Magenschleimhaut. Ihre Weite wechselt zwisclien O.Ol Linie und 0,0:') Linien. Ihr (irund ragt in die Muskelschichte der Schleimhaut liineiii. so dass er allenthalben von Muskelfasern umgeben wird, Avelche denn auch durch ihre Zusammenziehung auf die Entleerung des Inhaltes der Drüsen P>influss nehmen werden. Die Richtung der Pepsindrüsen steht senkrecht auf der freien Fläche der Magen.schleimliaut. Der aus structurloser W and l)estehende Schlauch einer Pei)sin(lrüse, bleibt in der Jvegel einfach und un- gespalteu. YjV kann sich aber, gegen sein bliudes Ende zu, in zwei oder drei parallel neben einander liegende Zweige theilen. Und so mag man denn, wenn es beliebt, einfache und zusammengesetzte Formen zugeben. Das Cvliiidcrepitliel der Magenschleiinhaiil grenzt sicli von dem geschichteten Ptlasterepithel di^^s Oesophagus durch eine scharf gezeichnete zackige (irenzlinie ab. Neuesten Berichten zui'olge. sollen die Zellen des Cyliuderepithels, gegen die Magenhöhle zu, offen sein, wie die Becherzelleu. — Das ('ylinder('j)itliel dringt in alle Pepsindrüsen eine Strecke weit ein, und vindicirt sich ohngefähr ein Drittel oder Viertel ihrei' Länge. Von der Stelle an, wo das Cylinderepithel der Pepsindrüsen aufhört, enthält der Schlauch der Drüsen zweierlei Zellenformatioiien. Die eine älmeh noch den ('\- linderzellen des Epithels im Halse der Drüse, und lagert gegen die Axe des Drüsenschlauches hin. Die andere aber hält sich an die Wand des Drüsenschlauches, und Ix'steht aus verhältnissmässig grossen, rundlichen Zellen, mit körnigem Inhalt. Man hält sie für die eigent- lichen Bereituiigszellen des Pepsins, und nennt sie Labzellen, da man sie in den Drüsen des Labmagens (vierter Mageu, Abomasus) der Wiederkäuer zuerst beobachtete. Lab ist ein altdeutsches Wort, und bedeutet soviel als Gerinnsel, Coa(juhnn. Bekanntlich gerinnt die genossene Milch im Magen, durch die Säure des Magensaftes, wodurch die Benennungen Labmagen und Labsaft gerechtfertigt erscheinen, ^lau hat diese zweite Zellenformatiou mit dem Namen delomorph belegt, die erste aber adelomorph genannt: zwei un- glücklich gewählte Namen, da nicht die Form (i.ioQ(pt'i\ sondern der Lihalt der Zellen dcntlich oder undeutlich ist. Diese beiden Zellen- §. "iöt^. ritructur des Magens. 711 gattnngen füllen den Schlancli einer Pepsiuclrüse nicht A'ollkommen aus, sondern lassen eine feinste LieKtung (von 0,002 Linie) frei. Nur das blinde Ende der Pepsindrüsen wird von ilinen vollkommen erfüllt. Zwischen den Labzellen finden sich in den Pepsindrüsen aneli Kerne, und eine klare Flüssigkeit (Labsaft), welche während der Verdauung in reichlichem Maasse abgesondert wird, den ge- formten Inhalt der Drüsen mechanisch herausschwemmt, und sich mit ihm mischt. Das endliche Schicksal der Labzellen besteht im Bersten derselben, entweder schon während der Entleerung der Drüsen, oder nach derselben. Dadurch wird der flüssige Inhalt der Zellen frei, mischt sich mit dem Labsafte, und bildet mit ihm den Magensaft (Succus gastricus). Filtrirter Magensaft aber, welcher keine Labzellen und keine Reste derselben mehr enthält, verdaut so gut wie unfiltrirter. — Die mit den Labzellen zugleich entleerten Epithelialzellen der Pepsindrüsen, gehen unverwendet zu GTrunde. Die Pepsindrüsen entleeren ihren Inhalt nur während der Verdauung. Dass die Anhäufung dieses Inhaltes, während des Nüchternseins, das Gefühl des Hungers veranlasse, ist eine ganz willkürliche Annahme. Wäre dieses der Fall, so müsste man in der Frühe, da der Magen bis dahin am längsten leer war. den grössten Hunger haben. — Streift mau die innere Fläche eines frischen Thiermagens mit dem Messer ah, um das Secret der Magendrüschen zu erhalten, und verdünnt man dieses mit angesäuertem Wasser (Salzsäure), so hat man sich künstlichen Magensaft bereitet, welcher zu Verdauungsversuchen extra ventriculum verwendet werden kann, und jetzt auch als Heilmittel An- wendung findet. Ausser den Pepsindrüsen besitzt die Magenschleimhaut noch Schleim- drüsen an der Cardia und am Pylorus. An letzterem Orte zeichnen sie sich durch die langgestreckte Form ihrer Schläuche aus. — Man stösst auch, jedoch nicht constant, hie und da auf vereinzelte Follikel, welche Glandulae lenti- culares genannt werden, und von welchen dasselbe gilt, was von den Folli- keln der Schleimhaut des Dünndarmes gesagt werden wird. Die Blutgefässe der Magenschleimhaut zeigen ein interessantes Ver- halten zu den Pepsindrüsen. Schon im submucösen Bindegewebe zerfallen die Arterien in feinste Zweige, welche zwischen den Schläuchen der Pepsindrüsen senkrecht aufsteigen, sie mit Capillarnetzen umspinnen, und zuletzt in relativ weite Venen übergehen, welche die Grübchen der Magenschleimhaut, in welche die Gruppen der Pepsindrüsen ausmünden, mit weiten Maschen umzäunen. Aus diesen Maschen gehen noch stärkere Venen hervor, welche zwischen den Drüsenschläuchen, ohne von ihnen noch weiter Blut aufzunehmen, geradlinig herabsteigen, um in grössere. Venennetze des submucösen Bindegewebes einzu- münden. Die Bewegung des Magens, Motus peristalticus. welche durch die ab- wechselnde Zusammenziehung seiner verschiedenen Muskelfasern bewerkstelligt wird, und von der Cardia gegen den Pylorus wurmförmig fortschreitet, wirkt darauf hin, nach und nach jedes Theilchen des Mageninhaltes mit der Schleim- haut und ihrem Drüsensecret in Berührung zu bringen, und, was bereits chymificirt wurde, in das Duodenum abzustreifen. Stärkerer Kraftäusserungen ist der menschliche Magen nicht fähig. Er vermag es- z. B. nicht, weich- 712 *• 2113. Dftnndftrm. gekochte Hülsenfrüchte mit dickerer Epidermis zu 7.erdrüik«ii. welche denn auch unversehrt mit dem Koth abgehen. — Die Kraft, mit welcher beim Er- brechen die Magencontenta ausgeworfen werden, hängt nicht von der Muskel- haut des Magens, sondern hauptsächlich von der Wirkung der Bauchpresse ab. Merkwürdiger Weise schreibt Celsus allen Gelehrten einen schlechten Magen zu: „imhecilles stomacho, quales maxima pars liferatorum. omnesque fere atpjdi literarum sunt". Die Zeiten und die I\lägen haben sieh, seit Celsus. sehr geändert. P. Eisler, zur Histologie der Magenschleimhaut, Leipz. 1885. §. 263. Dünndarm. Ueber die drei Abtlieiluugcn des J)ünnd;irnis ist Folgendes zu merken: 1. Am Zwölffingerdarm (Intestiman duodemim) unterscheidet man drei, mittelst abgerundeter Winkel in einander übergebende Abscbnitte, Avelclie zusammen eine melir als halbkreisförmige Krüm- mung um den Kopf des Pankreas bilden. Der allgemein beliebte Yergleicli mit einem Hufeisen entspricht dieser Krümmung nicht, da der Anfang und das Ende derselben einander sehr nahe kommen. Das obere (^uerstück geht vom Pylorus über den rechten Lum- baltheil des Zwerchfells (pier nach rechts, bengt in das rechts von der AVirbelsäule liegende absteigende Stiick um, AV(dches in das untere Querstück übei\geht, das, nach links und oben ge- richtet, die Aorta und Vena cava ascemJens kiciizt. Das obere Quer- stück besitzt einen fast vollständigen Peritonealüberzug; — das ab- steigende Stück nur einen unvollkommenen, blos an seiner vorderen Fläche vorhandenen; — das untere Qiun'stück liegt zwischen beiden Blättern des ((ueren ririnimdarmgekröses eingeschlossen. Die Länge des Zwülffingerdanns inisst ungefähr zwölf Daumenbreiten, woher sein, von Herophilus zuerst gebrauchter Name stammt: c)fijc)£XKd«/£Ti'Aov. Dieser Name könnte passender in Pförtnerdarm oder Gallendarm um- geändert werden. — Trcitz entdeckte einen constanten, dem Zwölffingerdarm eigenen Muskel, welchen er Musculus suspensorius duodeni nannte. Er geht aus dem dichten Bindegewebe hervor, welches die Ursprünge der Arteria coeliaca und rnesenterica superior umgiebt, und verliert sich in dem longi- tudinalen Muskelstratuni des Zwölffingerdarms in der Gegend der unteren Krümmung (Prager Vierteljahrsschrift, 18ö3). Der Muskel wurde aller Orten bestätigt. 2. und o. Der Leer- und Krummdarm (Intestinum jejunum und lleum) bilden zusammen ein circa fünfzehn Fuss langes, gleich- weites Rohr, welches, um in der Bauch- und Beckenhöhle Platz zu finden, sieh in viele Schlingen legen miiss. Dieser Schlingen wegen heisst das dünne Gedärm im Yolksmund das Geschling. Bei der Abwesenheit einer scharfen Grenze zwischen Jejunum und lleum, rechnet man ZAvei Fünftel der Gesammtlänge beider auf das Jejunum, g. 263. Dttnadarm. 713 drei Fünftel auf das Ileiim. — Das ScUingenconvolut des vereinigten Leer- und Krnmmdarms nimmt die mittlere, die nntere nnd die seitliclien Gregenden der BaucWiölile ein, nnd lässt bei leerer Harn- blase seine untersten Schlingen bis in die kleine Beckenliöhle herabhängen. Die Peritoneal- und Muskelhaut des dünnen Darms zeigen nichts Besonderes. Die Schleimhaut besteht aus einer zunächst unter dem Cylinderepithel gelegenen, äusserst dünnen, structurlosen Mem- bran (hasement memhrane der englischen Anatomen), und unter dieser aus einem Stratum reticulären Bindegewebes, mit allenthalben ein- gelagerten Lymphkörperchen, als eigentliche Schleimhaut. An dieses Stratum schliesst sich die organische Muskelschichte der Schleimhaut an, worauf das submucöse Bindegewebe folgt. Leer- und Krummdarm werden durch eine grosse Bauchfell- falte, — das Dünndarmgekröse (Mesenterium) — an der Wirbel- säule aufgehangen. Der altdeutsche Name des Darms: das Gehenek erklärt sich hieraus. Der Beginn dieser Falte (Radix mesenterii) haftet an der Lendenwirbel säule, und zieht schief vom zweiten Lendenwirbel zur rechten Si/nq^ht/sis sacro-iliaca herab. Gregen ihre Anheftungsstelle an den Dünndarm hin, wird die Falte immer breiter, so dass sie einem Dreiecke gleiclit, dessen abgeschnittene Spitze der Wirbelsäule, dessen breite Basis dem Dünndarm ent- spricht. Da der Dünndarm viele Schlingen bildet, so muss sich das Mesenterium wie ein Jabot (Halskrause) in Falten legen, und erhielt deshalb den Namen des Gekröses (Gekrause). Je weiter die Dünndarmschlingen von der Wirbelsäule entfernt liegen, desto länger muss der ihnen zugehörige Antheil des Mesenterium werden, und desto freier wird die Beweglichkeit des Darms. Wenn man die Gesammtlieit der Düundarmsclilingen mit beiden Händen zusammenfasst nnd aufhebt, kann man das Mesenterium wie einen Fächer oder "Wedel hin und her bewegen. Es versteht sich daraus, dass der Dünndarm mit jeder Aenderung der Körperlage auch seine eigene Lage ändern muss. Die grösste Entfernung von der Wirbelsäule, und somit die grosste Volubilität, hat die letzte, in das kleine Becken herabhängende Schlinge des Dünndarms. Diese Darmschlinge wird deshalb auch am häufigsten den Inhalt eines Schenkel- oder Leistenbruches bilden. Mesenterium ist das (ieG£VT£Qiov des Aristoteles, quasi medium inter intestina nach Spigelius. Cicero fDe nat. deor., Lih. 3J hat ebenfalls medium 'intestinum, für Mesenterium. Man findet bei den Alten auch fifffK()at(w, welches Wort sich in Arteria und Vena mesaraica (statt mesentericaj jetzt noch er- halten hat. Meaccqaiov kann sich aber nur auf das Gekröse des dünnen Gedärms beziehen, da äQai6q dünn bedeutet. Für das Dickdarmgekröse galt dann ^£ffo- •Kiolov, nach Galen. ' \ .\ S. ^'U. Spoi'k'IU' Hi'triiclifuiifr «l«'!" Pttninlarmsi'liU'imliüut. §. 2G4. Specielle Betraclitung der Dünndarmsclileimliaut. s Die Seliloiinliaut (l»'s (lüniuMi (ledarnis verdleut eine aiist'ülir- liflie Betraclitnni;-. Ihre Attribute, als Falten, Zotten, und Drüsen, s(»llen desliallt einzeln zur Spraclie koininen. J. Falten. Sie finden sicli 1. als (^uertalten, Valvulae connivcntes Ker- krhigii, -welclie nicht die i;anze Peripherie des Darnindirs, sondern liöchstens drei Viertheile derselben umkreisen. ^ om absteig-enden Stücke des Zwölffingerdarms erstreckt sich ihr Territorium bis zum Blinddarme bin. Im Zwölt'fing-erdarme stehen sie dichter an einander als im Jejununi und Ileum, so dass bei der hängenden Lage der- selben, der Kand einer oberen Falte, die Basis der nächst unteren deckt, und alle Falten somit dachziegelförmig über einander reichen. Je "weiter vom Zw(')lt'(inger(larme entfernt, desto niedriger werden die Falten, und rücken zugleich Aveiter aus einander, so dass sie sich im Krummdarnie nicht mehr imhr'irathn decken. Sie sind reine Schleimhautduplicaturen: tue Muskelhaut des Darms trägt zu ihrer Bildung nichts bei. — Lange vor Theodor Kerkring waren diese Falten schon Fallopia und Vidus Vi d ins bekannt. Ausser der Ver"rösserunii der Schleimhautfläche des Dünndarms, kommt ihnen keine andere Verwendung zu. 2. Eine Ijängen falte, eigentlich ein kurzer, kaum der Rede werther Längen wulst, findet sich nahe am inneren Kande der hinteren Wand des al)steigenden Stücks des Zwölffingerdarms. Sie kommt (hidiirch zu Stande, dass der gemein- schaftliche Gallengaug, l)evor er in dieses Darmstück einmündet, eine kurze Strecke weit zwischen Muskel und Schleimhaut nach abwärts läuft, und dadurch die letztere zu einem flachen Wulst aufwölbt. Am unteren Ende dieses Wulstes mündet der J}uctus choledochus, und der Ausfühningsgang der Bauchspeichebji'üse mit einer gemein- schaftlichen Oeffnung aus. — :>. An der rebergangsstelle des Ileum in den Dickdarm I)iMet die Schleimliaut eine ;:weilippige Klappe, die Blinddarmklappe (Valvida ileo-coccalis, auch Valvula Bmihini, s. TidpH, s. Fidlopiae, s. coli), welche, wie das Kotherbrechen beweist, den Rücktritt der Fäcalmassen aus dem Dickdarm in den Dünndarm uiclit zu hindei-n vermag. Sie enthält Muskelfasern, deren Richtung jener des freien Randes (b»r beiden Klappenlippen ent- spricht. Die Kla])pe wird gewöhnlich als Einschiel)ung (Invagination) der Schleimhaut, Zellhaut, und der Kreismuskelschichte des Dünn- darms in die Höhle des Dickdarms betrachtet. Die Ivängenmuskel- schichte und der Bauchfellüberzug gehen schlicht und ungetaltet über die Einfaltung-sstelle der drei jjenannten Häute weg. §. 264. Specielle Betraclituug der Dünndannschleimhaut. 715 An aufgeblasenen und getrockneten Präparaten der Uebergangsstelle des Dünndarms in den Dickdarm zeigt es sich, dass die zwei Lippen der Blind- darmklappe transversal liegen, etwas gegen einander convergiren, und dadurch einen querliegenden, trichterförmigen Raum bilden, dessen Basis dem Ileum, und dessen lanzettförmige, nach vorn abgerundete, nach hinten spitzig zulaufende Oeffnung dem Blinddarm zugewendet ist. Man sieht aber auch zugleich, dass die untere Lippe der Klappe, durch die schief von unten nach oben und aussen erfolgende Insertion des Ileum in das Coecum bedungen wird, — die obere Lippe dagegen in der That nur die erste PLica sigmoidea des Colon ascendens darstellt (§. 268). Würde das Ileum sich nicht in schiefer, sondern in quej-er Richtung in das Coecum einpflanzen, so würde sicher auch die untere Lippe der Klappe fehlen, die obere aber fortbestehen. Dass dem so ist, lässt sich leicht beweisen. Man führe um die Einsenkungsstelle des Dünndarms in den Dickdarm einen Kreisschnitt, welcher nur die Peritoneal- und Muskelhaut trennt, ziehe den Dünndarm, so weit es geht, aus dem Dickdarm heraus, blase das Präparat auf, trockne es schnell, und trage die äussere Wand des Blind- darms ab, um eine freie Ansicht des Innern zu gewinnen, so wird man finden, dass die untere Lippe der Valvula coli verschwunden ist, die obere aber nicht. Da der Ductus choledochus und pancreaticus durch iJire Vereinigung einen sehr kurzen gemeinschaftlichen Gang bilden, welcher weiter als jeder Gang für sich ist, hat Abr. Vater, Professor zu Wittenberg, daraus sein Diverticulum gebildet fDe novo bilis diverticulo. Witteb., 1720), welches als Diverticulum Vateri in allen Anatomien fortlebt. Bei den Katzen und Ele- phanten ist dieses Divertikel wirklich ansehnlich. Sehr unpassend wird auch eine kleine Schleimhautfalte, über der Ausmündung der vereinigten Gänge, Diverticulum Vateri genannt (Eosenmüller). Caspar Bauhinus, Professor in Basel, schreibt sich die Entdeckung dieser Klappe zu, 1579, im Theatruni anat., Lib. I, Cap. 17. Vidus Vidius und Const. Varolius aber kannten sie schon, und noch früher G. Fallopia, welcher sie mit den Worten erwähnt: „plicae duae, ad inscrtionem ilci, quae in inßatione et repletione comprimuntur, et regressum prohibent" (in der als Handschrift aufgefundenen Anatomia Simiae, vom Jahre 1553). — Die Hol- länder nennen die Klappe Valvula Tulpii, zw Ehr' und Andenken des Nico- laus van Tulp, Arzt und Bürgermeister zu Amsterdam, welcher durch sein energisches Auftreten die schmachvolle Uebergabe dieser Stadt an die Fran- zosen, anno 1672, vereitelte. Er gedenkt dieser Klappe in seinen Observationes med. Amstel., 1641. Eines der grössten Meisterwerke von Ruhens — „die anatomische Vorlesung" — welches auch als Stich sehr bekannt und verbreitet ist, bringt das Porträt dieses muthigen Bürgermeisters, von welchem sonst nichts Anatomisches verlautete. 2. Zotten. Yon der Valvula pylori bis zur Valvula coli seLen wir die Sclileimliaiit des Dünndarms mit zahllosen, kleinen, im nüchternen Zustande platten, im gefüllten Ziistande mehr gleichförmig cylindri- schen, oder keulenförmigen Flocken besetzt, welche, wenn man ein Stück Schleimhaut unter Wasser bringt, flottiren, und ihm ein föin- zottiges Ansehen verleihen. Sie sind die thätigsten Organe der Ab- sorption des aus dem Chymus ausgeschiedenen nahrhaften Speisen- 716 •• 204. Specielle Betrachtung der DQnndarinsclilelmhaQt. extracts, des Chi/lus, und -wcrdon Dnrui/.ottcn. 17/// /titestiiKiIcs, i^enannt. Im ohoren (,)iiorstiu'k Aos Duodeiuiin scheiueu sie iusoferne zu fehlen, als die Sclileiniliaut dasolhst nur falten förniit;p AufAvürfo zei,i;-t, welclie mau sich aber aus der reihenweise erfolgten Ver- seil n1('lzun^• mehrerer Zotten, hervorgegangen denken mag. Iiu ab- steigenden und unteren Querstücke des Duodenum, sowie im Anfange des Jejunum erscheinen sie am breitesten, nehmen im Yerlatife des Dünndarms bis zum Ende desselben an Höhe und Breite al), sind aber selbst an der oberen Fläche der unteren Lippe der Blinddarm- klappe noch nicht ganz versclnvunden. Beiläufig kann ihre Gesammt- menge auf vier Millionen angeschlagen werden. Man ist selbst so liberal, noch sechs Millionen hinzuzugeben. Jede Zotte stellt eine Avahre Verlängerung oder Erhebung der Dünndarmsehleimhaut dar, und besteht demgeinäss aus allen In- gredienzien dieser Schleimhaut: Cylinderepitliel, structurlose Haut, reticuläres ])in,'e"\vorfen('n SclihMinlKuirsanni umrandet. ])ie zwischen den einzelnen Follikeln einer (irn|)j)e heiindliclie Schl(»imhaut, führt /otten. Oft sind diese (iiMi])|)en zahlreich, oft fehlen sie g'änzlich. I)nr(h \ erschnielzunt^' mehrerer Grn])j)en der Läng-e nach, k()nuen die Atjinhia Pcijt'ri eine Länge von seclis bis acht Zoll erreichen, sell)st darüher. — Ihr Staudort kann öfter sclnm bei äusserer Besichtiguni;- des Darms, einei" leichten Wölhnng' oder anderer Färhung- lU'V I)ai-niH:'iche wegen, erkannt werden. Die Kuppen der solitärcn uiul dir aggregirtou F'^illikel unterliogcn sehr oft, unter pathologischen Bedingungen, einer Erosion von der Dannhöhle her, wo- durch zackige oder scharfgorandete Oeffnungen entstehen, durch welche die Lyniphkörpcrchen der Follikel sich in die Darinhühle entleeren, und leere Räume zurückbleiben, welche für Drüsenhühlungen iniponiren. Solche Höhlungen sieht man in den Leichen von Menschen, welche an chronischen Krankheiten mit erschöpfenden Diarrhöen zu Grunde gingen, in grosser Menge. Die Pever'schen Drüsengruppen wurden von dem Schweizer Arzte, Conrad Peyer. zuerst beschriebi'n (Exercitatin ile prurh darauf, für eine eigene Abtheiluug des dicken Darms genommen zu werden. Dass er dennoch dafür angesehen wird, datirt aus jener längstvergangenen finsteren Zeit, in welcher die Anatomie nur an Thieren betrieben werden konnte. Affen, Wiederkäuer, Pferde, Schweine und Nager, haben einen sehr langen und weiten Blinddarm, — zuweilen von grösserem Umfange als der Magen, wie z. B. das Kaninchen. Was man in diesen Thieren sah, übertrug man auch auf den Menschen, und so ist es gekommen, dass wir in ihm einen Blinddarm statuiren, was nie geschehen wäre, wenn blos menschliche Leichen die Objecte der Zergliederung abgegeben hätten. Der menschliche Blinddanii wäre dann immer nur für den Anfang des Colon genommen worden, was er auch ist, denn sein Bau stimmt mit jenem des Colon ganz und gar überein. Der Blinddarm liegt auf der Fascia iliaca dextra. Ein vom unteren Ende seiner inneren Gegend ausgehender, in der Regel zwei bis drei Zoll langer, und in die kleine Beekenhöhle hinab- hängender, wurm förmiger Anhang (Processus vermicularis , s. Appemli.v vermiformis), von der Dicke einer Federspule, zeichnet ihn vor dem übrigen Dick(hirm aus. — Auf den Blin(klarm folgt iler Grimmdarm (Colon, y.rolor, bei Galen), welcher als Colon ascendens vor der rechten Niere bis zur concaven Fläche der Leber aufsteigt, dann unter der Cin^vaturn major ventricnli als Colon trans- versum quer nach links geht, um am unteren Ende der Milz, vor und etwas auswärts von der linken Xiere. wieder als Colon descendens §. 269. Specielles über die einzelnen Schichten des Dickdarms. 723 nach abwärts zu laufen, und mittelst der Flexura sigmoideä s. S romanum, in den Mastdarm liberzngelieu. Dieser letztere zieht nur bei Thieren g-anz gerade zum After fort. Daher sein Name: rectum. Im Menschen bildet er zwei Krümmungen, von welchen die obere, an der linken Symphysis sacro-iliaca beginnt, und der Concavität des Kreuzbeins folgt, die untere, kleinere aber, sich mit vorderer Convexität, von der Steissbeinspitze bis zum After (Anus) erstreckt. Die obere Mastdarmkrümmung übertrifft die untere an Länge nahezu um das Yierfache. Bei den altdeutsclien Anatomen heisst der Mastdarm: Sclilechtdarm, und bei den Metzgern hie und da jetzt noch das Schlecht. Schlecht ist ein veralteter Ausdruck für gerade, und wir gebrauchen ihn heute noch in der Eedeusart schlechtweg, schlechterdings und schlecht und recht. Die deutsche Benennung Mastdarm verdankt ihren Ursprung der reichlichen Fettumgebung dieses Darmstückes bei den Hausthieren (gemästeter Darm). Afterdarm wäre vorzuziehen. In einem uralten Vocabular aus dem 12. Jahr- hundert, finde ich den Mastdarm als Vaertz-odir, was im modernen Deutsch als Ader der Blähungen zu geben wäre. Die Arabisten kennen ihn nur als Longano und AstaJe^ letzteres aus dem Extalis des Vegetius corrumpirt. Das Coecum und das Colon des Dickdarms unterscheiden sich, schon bei äusserem Ansehen, auf sehr auffällige Weise durch ihre Weite, ihre Fasciae (nächster Paragraph), und ihre buchtenreiche Oberfläche von dem Dünndarm. Die Ausbuchtungen führen den Namen der Haustra (Schöpfeimer), auch Gellulae, daher Intestinum celhdatum für Dickdarm bei den älteren Anatomen. Zwei und zwei Haustra sind bei äusserer i\.usieht durch eine Einschnürung von einander getrennt, welcher im Inneren eine Schleimhautfalte — Plica sigmoideä ■ — entspricht. Die Länge des Dickdarms misst vier bis fünf Fuss. Einige Autoren rechnen die Curvatura sigmoideä nicht zum Colon, sondern zum Rectum, obgleich sie, durch ihre Fasciae und Haustra, dem äusseren Habitus des Colon viel ähnlicher sieht, als jenem des Eectum, welches weder Fasciae noch Haustra besitzt. Der Wurmfortsatz am Blinddarm fehlt bei sehr jungen Embrj^onen. Er bildet sich aber nicht etwa durch Hervorwachsen aus dem Blinddarm, sondern dadurch, dass der. untere Abschnitt des embryonischen Blinddarms nicht mehr an Umfang zunimmt, während der obere fortfährt zu wachsen. Der durch Wachsthum nicht zunehmende Abschnitt des Blinddarms heisst dann Wurm- fortsatz. Nur zwei Säugethiere besitzen ihn: der Orang und der Wombat. Ueber sein Fehlen im Menschen liegen einige Eeferate vor. §.269. Specielles über die einzelnen ScMcMen des Dickdarms. Einen vollständigen Peritonealüberzug besitzen in der Begel nur das Coecum und dessen Wurmfortsatz, das Colon transversum, und Ä* romanum. An den übrigen Stücken des Dickdarms bleibt ein grösserer oder geringerer Theil ihrer hinteren Fläche ohne Bauchfell- 46* 724 8. -»'O. Spi'cielli's nhor die «'inzolnon Scliioliten dos IMokdnrms. üborziii^-, 1111(1 wird (hircli Hiiidem'wolx' ;in die Ix'iKuhlKirtcii Stellen der Bauc'li- nder rieckenwaiid Ixdesti^t. Der Mastdarm verliert vom dritten KreuzwirUel an, wo er die, den Boden der kleinen Heeken- liftlile bildende Fascio Inipnaa.^tr'icii diircli1>olirt, seinen Hauchtell- liberzuii' v( dl kommen. Die Dickd.irmsti'Kdu' mit iiiivollkommeneu Bauehtellüberzüg-eu kiMinen, dem (iesai;ten /iitoli^c. keine Mesenterien, d. i. do])j)el- blätterig'e, peritoneale Autliäiii^eltäiider besitzen. Sie werden deshall) aneli nnver.seliiebV)ar sein. Nur wenn >icli diese Darmstücke, bei Kelaxation des Bindeg'ewebes, welclies ihre vom Peritoneum nicht überzogene Seite an die BandiAvand heftet, von letzterer entfernen, was jedesmal geschehen miiss. wenn sie den Inhalt eines I^eisten- oder Schenkelbruches bilden, ziehen sie das Bauchfell als Falte nach sich, jedoch ohne dass sich die bei«bMi Blätter der Falte vollständig; an einander legten. Avie es bei dem ]\Iesenterinm «les Dünndarms der Fall ist. J\lan kann insofern um- iiiirichtig von einem Mesocolon ascendens und ilescendens, und einem ^fesorectum sprechen. Dagegen existirt ein Mesocolon trmisversum, ein Jfcsenterwm curvaturae sig- inokleae, und ein Mesentevhnn proccssia vermlcidaris, unter denselben Yerhältnissen, wie das Mesenterium am Dünndarm. — Am Colon und Rectum bildet der pjaueldellüberzug kleine, fettgefüllte, bentelförmige Verlängerungen — Apjtendlces cpqdolcac s. Omeiifidii. Die Muskelhallt des DickihuMus scliiel)t ihre l>ängenfaseru auf drei Stränge zusammen, welche Fasciae, Tocniae, oder ['^ittae, aucli Lhiamenta coli heissen (haiides liijamcnteuses bei Win slow). Einer dieser Stränge erstreckt sicli längs der Anheftungsstelle des Omentum (mstrocolicum am Golon fransrersion, und heisst Fascia omentalis. Ein zweiter liegt am Mesenterialrande, als Fascia ynesen- tcrica. Dei" dritte aber ist frei, als Fascia iiuda s. lihera. Am Rectum werden diese Fascien so l)reit, dass sie au einander stossen, und dieses Darmstück somit von einer fast ununterbrochenen muskulösen Längsfaserscliichte umgeben wird, weshalb auch die Haustra an ihm fehlen. In dieser Längenfaserschichte kommen, in der Nähe des Afters, animalische Muskelfasern eingewebt vor. Die longitudinalen Fasciae s. Taeniae schieben den Schlauch des dicken Darms auf eine geringere Länge zusammen, und verursachen, unter Mitwirkung der Kreisfasern, welche von Stelle zu Stelle das Dickdarmrolir stärker einschnünm, das bauschige, Avie zusammeugeschoppte xVnsehen des- selben, und somit auch die Entstehung der oben erwähnten Ilaustra. in welchen der Koth durch Aufsaugung seiner flüssigen Bestanrl- theile härter wird, und sich zu ballen anfängt. Am Afterende des Mastdarms bilden die durch die ganze Länge des Dickdarms nur als sehr dünne Schichte vorkommenden, und nur an den einffe- §. -169. »pecielles über die einzelnen r^chichteii des Dickdarms. 725 scliuürten Stellen zwisclien je zwei Haustra etwas stärker ent- wickelten Kreisfasern, einen dickeren Muskelring, den Splihicter ani internus, welcher den After hermetiscli schliesst. Wenn dieser innere Schliessmiiskel des Afters in seiner Wirkung- naclilässt, kann er durch den Sphincter ani externus (nächster Paragraph), welcher ein der Willkür gehorchender Muskel ist, auf eine gewisse Dauer vertreten werden. Fascia, Taenia, und Vitta drücken alle etwas bandartig Langes und Schmales aus, wie solches zum Umwickeln des Kopfes, der Glieder, des ganzen Leibes der Neugeborenen, zum Binden der Schuhe, der Haare, des Unterleibes, selbst der Brüste, dass sie nicht zu voll werden, gebraucht wurde, so z. B. im Ovid: „Angiistum circa fascia pectus eat." Selbst der Bandwurm heisst Taenia. Die Schleimhaut des dicken Darms zeigt, Avie kurz vorher gesagt, viele, in Abständen von einem halben bis einen Zoll auf einander folgende, halbmondförmige, durch die stärkere Entwicklung der Kreismuskelfasern bedingte Falten (Plicae sigmoideae), welche gewöhnlich von einer Fascia s. Taenia zur andern reichen, somit nicht mehr als den dritten Theil der Perij)herie des Darms ein- nehmen, und mit verschiedener Höhe (bis einen halben Zoll) in die Darmhöhle vorragen. Man kann sie nicht mit den Valvulae con- niventes des Dünndarms vergleichen, da sie Segmente der Kreis- muskelfasern in sich enthalten, welche den Schleimhautfalten des dünnen Gedärms abgehen. Im Mastdarm kommt nur Eine Plica sigmoidea vor. Sie steht ohngefälir zwei Zoll über der Aftermündung, an der vorderen und zum Theil an der rechten Wand des Rectum, üeber ilir trifft man noch auf zwei kleinere Falten, welche aber durch Zug am Rectum sich ausgleichen und verschwinden, was die wahren Plicae sigmoideae nicht thuu. Die Dickdarmschleimhaut besteht aus einem bindegewebigen Stroma, in dessen Maschen eine variable Menge von Lymphkörper- chen angetroffen wird. Zotten fehlen ihr gänzlich. Yon Drüsen finden sich nur Lieberkühn'sche Krypten und solitäre Follikel vor. Letztere übertreffen jene des Dünndarms an Grösse, und unter- scheiden sich zugleich dadurch von ihnen, dass auf der Höhe der Schleirahauthügel, welche der Lage der Follikel entsprechen, ein Grübchen vorkommt, welches man irriger Weise für die Ausmün- dungsöffnung der Follikel genommen hat. — Die Lieberkühn'schen Drüsen des Dickdarms sind wie jene des Dünndarms gebaut. Sie stehen durch die ganze Länge des Dickdarms, auch des Wurmfort- satzes, sehr dicht gedrängt an einander, so dass sie das eigentliche Bindegewebsstroma der Schleimhaut ebenso verdrängen, wie es von den Magendrüsen bemerkt wurde. Ihi-fe Oeffnungen geben, unter dem 72ii'l>;irtl<;' durdi- löcliortcs AiiseluMi. .IcmIc Ocfrmini;' wird von einer capilhiren Getass- luaselie iiiider dem Alter bildet die Siddcindiaiit des ^la.st- darms sechs bis aclit loiiiiitiidiuale, drei l)is fünf Linien lange Auf- "svüi-fe oder Wülste (('ohnuiKie Mor an. Der äussere Schi iessmuskel, Sjthinder ani cxtemus, ent- springt tendinös von der Steissbeinspitze, umgreift mit zwei Schenkeln die x\fteröffnung, iiml kann, wie einst Aeolus, nach Umständen, et premere, et laaas ilare ^//.s.y/^y kahcnas. Vor dem After vereinigen sich seine beiden Schenkel zu einer kurzen Sehiu', welche beim Manne sich in die sehnige lvlia])lK' o- cavernosus fortsetzt, l)eim Weibe sich mit dem Constrictor cuuui verbindet. Es crgiebt sieli aus dieser Beschreibung, dass die beiden Sclienkel des Sphincter ani externus den After nicht zusammenschnüren, sondern nur von den Seiten zusammendrücken können. Sic bilden ja eine Klemme, aber keinen Ring. Compressor ani wäre demnach statt Sphincter ani zu sagen. Der Heber des Afters, Levator ani, ein breiter, aber dünner Muskel, entspringt an der Seitenwand des kleinen Beckens, von der g. 271. Uebor den Splänctcr anl tcrtius. 727 Spina OSSIS isehii, vom Arcus tendineus der Fascia pelvis (§. 323), sowie aiiela von der hinteren Fläche und dem absteigenden Aste des Schambeins. Beide Levatores convergiren gegen den After herab. Ihre obere Fläche wird vom parietalen Blatt der Fascia pelvis, ihre untere Fläche von einer Fortsetzung der Fascia perinei propria (§. 324) überzogen. Das Verhältniss zum Anus gestaltet sich anders für die hinteren, mittleren, und vorderen Bündel dieses Muskels. Die hin- teren Bündel, Avelche an der Spina isehii entspringen, treten nämlich nicht an den Anus, sondern pflanzen sich theils am Seitenrande des Steissbeins ein, wo sie mit dem Musculus coccygeus verschmelzen (nach Einigen ihn allein bilden), theils vereinigen sie sich vor der Steis.sbeinspitze aponeurotisch mit den gleichen Bündeln der ent- gegengesetzten Seite. Die mittleren Bündel, Avelche vom Arcus tendineus ausgehen, treten an den After, und verweben sich mit dem Sphincter ani externus. Die vorderen Bündel, welche vom Scham- bein entspringen, begeben sich, mit dem Compressor tirethrae (§. 322, d) vereinigt, zur Pars memhranacea urethrae, zur Prostata (als Le- vator prostatae), und zum Blasengrund, bei Weibern zur Scheide. Begreiflicherweise werden blos die mittleren Bündel dieses Muskels den After einwärts ziehen (heben). — Bei der Untersuchung der Fascien des Mittelfleisches (§. 323, 324), und der Steissdrüse (§. 326) kommen wir auf diesen Muskel wieder zurück. Hier sei nur noch erwähnt, dass sich beide Levatores ani zusammen, mit ihren von den Fascien des Beckenausganges gebildeten Ueberzügen, als ein fleischig- aponeurotischer Trichter auff'assen lassen, dessen weiter Eingang an der Wand des kleinen Beckens haftet, dessen off"ene Spitze der After ist, und dessen vordere Wand der Harnröhre, bei Weibern auch der Mutterscheide, den Durchlass gestattet. Zwischen dem Trichter und der Wand des kleinen Beckens muss ein Raum übrig- bleiben — das Cavum ischio-rectale, — welches durch abundantes Fett ausgefüllt wird. — In neuerer Zeit wurde es modern, diesen Trichter als Diaphragma pelvis zu benennen. Der Name mag hin- gehen. Nur behalte man im Auge, dass das Diaphragma thoracis durch seine Zusammenziehung den Brustraum in verticaler Richtung erweitert, das Diaphragma pelvis aber den verticalen Durchmesser des kleinen Beckens verkürzt. Ueber die Beziehungen des Levator ani zur Prostata und zur Pars memhranacea urethrae, handelt ausführlich Luschka in der Zeitschrift für rat. Med., 1858. §. 271. lieber den Sphincter ani tertius. Man war lange der Ansicht, dass der im unteren Ende des Mastdarms sich anhäufende Darmkoth, durch Druck auf die beiden 728 8- -"-• l-.o1>i^r. Aoutsere Veilidltiiissp «U-raolbon. Sphluc'torcn, (Ins Redürfniss der Entleeruni; voranlassc. Dass die Kotlisäule nlclit ])is zu den beiden Seliliessniuskeln lierabreiclie, sondern höher oben durch einen dritten S|)liincter am Herabsteig-en s^ehindert werde, ist eine Thatsache, von welcher die praktische Chirurgie viel früher, als die Anatomie Notiz genommen liar. AVären die beiden Schliessmuskeln die einzigen Kräft(>. welche die Fäces zurückhalten, so müsste bei jeder Operation, durch welche die Sphineteren zerschnitten Averden (Operation der Mastdarmfistel, Ex- stirpation des Anus, Mastdarm-Blasenschnitt), das Unvermögen, den Stuhlgang zurückzuhalten, sich einstellen, was, laut Zeugniss chirur- gischer Erfahrung, nicht der Fall ist. Untersucht man den Mastdarm an Lebenden mit einer dicken Cauüle oder mit dem Finger, so findet man in der Kegel den zunächst über den Spliincteren befind- lichen Raum desselben leer. Etwa drei oder vier Zoll über dem Anus stösst die Canüle auf ein Hiii(U»rniss. und kann von hier aus nur mit einiger Kraft weiter geschoben Averden. Wurde es über- wunden, so pfeift ge\v()linlich eine Blähung aus der Canüle hervor. Das Hinderuiss rührt von einer permanenten Zusammenziehung des Mastdarms her. Diese kann aber nur durch die Wirkung von Ring- fasern gegeben sein, welche als Sphincter tertlua in Thätigkeit sind. Nelaton hat ihn als Sphinder ani si(2}erior in die Anatomie ein- geführt. Die Untersuchung lehrt, dass, wenn auch nicht immer, doch in vielen Fällen, die Ringfasern des Mastdarms an der genannten Stelle sich zu einem stärkereu Bündel zusammendrängen. Ich habe nur einmal einen Zusammenhang dieser Fasern mit dem Periost des Kreuzbeins deutlich erkannt und (iffeutlich demoustrirt; Velpeau sah ihn öfters (Mnlyaijue, Auat. cliir., pag. 879). l>(.r Darinküth hat sich alsu nicht im unteren Mastilarnii'nde, sundern darüher bis in die Curuatura f^hjmoidca hinein, anzusammeln. Diese Curvatur hängt im leeren Zustande an der Seite des ^Mastdarms in ilic Beckenhöhle herab, und erhebt sich durdi ilire succcssivc Ausfüllung su, dass die Fäces auf den oberen Schliessmuskel drücken, welcher nachgiebt. Nun rücken die Fäces bis zum Anus herab, und können vernnttelst des willkürlicli wirkenden Sphincter ani extetTiiis eine Zeit lang zurückgelialten werden, wozu selbst die zusammen- gejiressten Hinterbacken mitwirken müssen, um den Entleerungsdrang zu über- winden. Man hütet sich deshalb, in dieser kritischen Lage grosse Schritte zu machen. Aber der Sphincter e.vternus kann nicht längere Zeit contrahirt bleiben. Als animalischer Muskel muss er früher oder später crlalimen, und das Unver- meidliche geschieht gegen den besten und lestesten Willen. §. 272. Leber. Aeussere Verhältnisse derselben. Die Leber, Hepar (»jTr«^) s. Jecur, auch Jocin' im Plinius, das grösste und schwerste Bancheingeweide, ist eine Drüse, welche sieh dadurch von allen anderen Drüsen nnterscheidet, dass sie, aiis.ser arteriellem Blut, auch venöses durch eine eigene Vene — §. -ITI. Leber. Aeassere Verliältiiisse derselben, 729 Pfortader — zugefiilirt erhält. Sie bereitet also ihr Secret, die Gralle, nicht allein ans arteriellem Blut, sondern grösstentheils aus dem venösen Blut der Pfortader. Im rechten Hypochondrium ge- legen, erstreckt sie sich durch die Rer/io epigastrica bis zum linken Hypochondrium herüber. Sie hat im Allgemeinen eine läno-lich- viereckige Grestalt mit abgerundeten Winkeln. Ihr vorderer Kand, welcher den unteren Thoraxeontour und den Schwertknorpel mehr weniger weit überragt, ist scharf, und mit einem, das vordere Ende des Ligamentum Suspensorium aufnehmenden Einschnitte versehen. In Folge der durch den Gebrauch der Schnürleiber bewirkten Compression der unteren Circumferenz des Thorax, ragt dieser Rand bei Weibern mehr als bei Männern unter den Rändern der Rippen nach abwärts vor. Er lässt sich aber, der Weichheit des gesunden Leberparenchyms wegen, durch die Bauchwand nicht fühlen, was nur dann der Fall ist, wenn krankhafte Härte oder höckerige Auf- treibung desselben vorkommt. Der hintere stumpfe Rand entspricht der Uebergangsstelle der Pars lumhalis diaphragmaüs in die Pars costalis. Er steht zugleich höher als der vordere, wodurch die Lage der Leber nach vorn abschüssig wird. Der rechte Rand ist stumpf wie der hintere. Der linke, scharfe und kurze Rand, gegen welchen hin sich die Masse der Leber allmälig verdünnt, zieht sich in einen flachen abgerundeten Zipf aus, welcher Aor der Cardia des Magens liegt. Die obere, convexe Fläche der Leber steht mit der Con- cavität des Zwerchfells in Contact. Das an sie befestigte Ligamentum Suspensorium hepatis bezeichnet die Grrenze zwischen dem rechten, grösseren, dickeren, und dem linken, kleineren, und dünneren Leberlappen. Das Relief der unteren, zugleich nach hinten ge- richteten Leberfläche gestaltet sich eomplicirter, als jenes der oberen. Diese Fläche ist etwas concav, berührt das obere Ende der rechten Niere, und erhält zuweilen von ihr einen seichten Eindruck (Facie- cula renalis). Sie deckt das Ende des aufsteigenden, und den Anfang des queren Grimmdarms, den Pylorus, und einen grossen Theil der vorderen Magenfläche, und zerfällt durch drei, sich wie die Linien eines H kreuzende Furchen, in vier Abtheilungen oder Lappen. Die Furchen werden als Fossa longiludinalis dextra und sinistra, und Fossa transversa bezeichnet. Die letztere führt insbesondere den Namen der Pforte, Porta hepatis. Rechts von der Fossa longitudinalis dextra liegt der rechte Leberlappen, links von der Fossa longitudinalis sinistra der linke. Vor der Fossa transversa lagert zwischen den beiden Fossae longitudinales der viereckige, hinter ihr der Spigel'- sche Leberlappen („lohus exiguus, ah anatomicis nondum descriptus", Spigelius, Lib. VIII, Cap. 6). Am Lohus Spigelii bemerken wir einen stumpfkegelförmigen Höcker, Tuherculum papilläre, und einen, 730 *• 272. Leber. Aeussoro Verliültiiissc der.selljen. auf den rccliteii Leberlappon sicli liiiiülx'rzlelicndcn Fortsat/,. Tiihcr- i'idiini ciiuil<(tinii, wolclier die hintere Hälfte des reelitcii SdicnkeU der Il-P^urclie ülx'rwäcli.st und unterl)riclit. Richtig genoinincn sind der Lohns quadratus und der Lohns Spigelil nur Additamcnta des rechten Leberlappens, denn, wird durch die Insertions- stelle des Liiiamentum suspensorhim hepatis, welches die feste Grenze zwise1)errande sich ansetzt. Die beiden Blätter dieser Falten weichen an der Leber auseinander, um sie, und die in ihren Furchen enthaltenen Gebilde zu umhüllen. Das Nabelband der Leber ist ein rundlicher Bindegewebsstrang, wird daher auch gewöhnlicli Lir/funeiduni teres genannt, kommt vom Nabel zum vor- deren Abschnitt der linken Längenfurche herauf, und liegt im unteren freien Rande des mit grossem Unrecht so genannten Auf- hängebandes eingeschlossen. Ich sage „mit Unrecht", da das Lier nach abwärts gehende Blutstrom der Cava ernährt die Organe des Unterleibes und die unteren Glied- massen. Man fasste also die Blutbewegung in den Venen nicht als eine centri- petale, sondern -als eine centrifugalc auf, d. h. nicht von den Organen, sondern zu den Organen gerichtet. Erst im siebenzehnten Jahrhundert wurde durch die Entdeckung des Kreislaufes und des Milchbrustganges (Ductus thoracicusj, die alte Galen'sche Lehre zu Fall gebracht, und die Leber ihres Amtes als Blutbildnerin entsetzt fHepar eocauctoratum des Th. Bartholin). 732 8- -'S- l'iaVtiM'lie l'.elianJluii-: iU«i LbI.pi in der Leiclie. §. 273. Praktische Behandlung der Leber in der Leiche. Bevor inaii dio L('))pr licniiiMiIiiiint, um iliro untere P^läclid iiiir (lortMi Lappen nnd (irnhen zu studireu. müssen die (letässver- l)indun^•en derselben in der Leielie präparirt werden. Man eröft'net liiezu auch die Brustli(»lile, und trägt von den Rippen so viel al), als nötliig' ist, um die Leher gegen die Lungen liiuaufsc-hlageu zu können, "wodurch ihre untere Fläche zur oheren wird. Das L'uni- uu'iitum hepato-duodeualc spannt sieh dahei strangartig an. Hinter demselben gelangt der Finger durdi das Foramen Winslovii in die Höhle des hinter dem Magen l^efiudlichen Netzheutels. Das Liia- menhon heputo-diiodenale muss, da es die Gelasse enthält, Avelche der Galleuhereitung dienen, zuerst untersucht Averden. Man ört'net es der Länge nach, und iiudet in ihm eingeschlossen ein Gefässhündel, in welchem sich folgende IStämme isoliren lassen: L Die Arteria liepa- tica. »Sie liegt links und oben im Getässbündel, kann leicht bis zu ihrem Ursprung aus der Arteria coeliaca verfolgt werden, und Avird von einem dichten Nervengeflecht (Plexus liepaticus) allseitig umgeben. 2. Der gemeinschaftliche (i alleugang, Ductus cholcdochns (70^)'/, (italle, blypiicii, aufnehmen), rechts und unten im Bündel gelegen. Man verfolgt ihn gegen die Leber zu. und sieht da1)ei, dass er aus der sehr spitzwinkligen Vereinigung von zwei Gängen hervorgeht. deren einer aus der Pforte, als Lebergallengang, Ductus hepaticus, deren anderer aus dem Halse der Gallenblase, als Gallenblasen- Gallengang, Ductus cysticus, hervorkommt. Der Ductus cJioledochus hat den Umfang eines F'ederkiels; der Ductus cifsticus ist etwas dünner. 3. Die klappenlose Pfortader, Vena portae. Sie führt der Leber das zur (iallensecretion nöthige venöse Blut zu, liegt hinter der Artcria hepatica und dem Gallengange, und hat beiläufig die Stärke des kleinen Fingers. Gegen die Porta hepatis aufsteigend, theilt sie sieh, wie die Arteria hepatica, in zwei . Aeste, für den rechten und linken Leberlapj)en, Avelche sich arhoris ad instar in der Leber verästeln. — Nun trennt man das Colon transversum von seinen Verbindungen mit dem Magen und der Leber, und schlägt es nach unten. Dadurch wird die Krümmung des Zwölffingerdarms und der von ihr umschlossene Kopf des Pankreas zugänglich. Mau präparirt den Bauchfellüberzug dieser Orgaue los, lüftet das obere Querstück und den rechten Rand des absteigenden Stücks des Zwölffingerdarms, um den Ductus chuledochns nach abwärts verfolgen zu können, und findet, Avie er die hintere Wand des Duodenum schief nach unten und innen durchbohrt. Schneidet man den Ductus choledocJius irgend^vo an, und führt durch ihn eine Sonde gegen di'u Zwölffingerdarm, welchen man der Länge nach öffnet, so erreicht §. '273. Praktische Behandlung der Leber in der Leiche. 733 man seine Ansmiindungsstelle am inneren Eande des absteigenden Stückes des Zwölffingerdarms. Präparirt man liieranf den Kopf des Pankreas mit der ihn umgreifenden Ciirvatur des Duodenum von der Wirbelsäule los, so findet man den Zusammenfluss der Vena splenica, Vena mesenterka, und einiger Venae pancreaticae, zur Bildung des Pfortaderstammes. Die Pfortader sammelt das venöse Blut aus den Venen der Milz, des Pankreas, und des Yerdauungskanals, und führt es zur Leber, in welcher sie, nach xVrt einer Arterie, sich verästelt, und zuletzt capillar wird. Sie gleicht somit, wenn man sie aus der Leber und aus den Eingeweiden herausgerissen denken möchte, einem Baume, dessen Wurzeln im Yerdammgskanale, Milz und Pankreas stecken, dessen Zweige in das Leberparenchym hineinwachsen, und dessen Stamm im Ligamentum hepato-duodenale liegt. — Die Nerven be- gleiten als Ple.nis hepatkiis vorzugsweise die Arterut hepatica. Die Lymphgefässe folgen in grosser Menge den Grefässen, besonders der Vena portae. — Das Bindegewebe, welches die genannten G^efässe zu Einem Bündel vereinigt, und sich vom gewöhnlichen Bindegewebe durchaus nicht unterscheidet, begleitet die Bamificatiouen der Ge- lasse in das Leberparenchym hinein, und wurde von Franciscus G-lisson (Anat. hepatis. Loncl, 1654, Cap. 55) irrthümlich für mus- kulös gehalteil, weil es in der Leiche, durch Lnblbition von Pfort- aderblut, geröthet erscheint, Avie Muskelfleisch — daher der noch immer gebräuchliche Name: Capsula GUssonä. Hat man den Inhalt des Ligamentum hepato-duodenale auf die geschilderte Weise untersucht, so schneidet man das ganze Gefäss- bündel entzAvei, und sieht hinter ihm den Stamm der Vena cava inferior zum hinteren Leberrande aiifsteigen, wo er sich in die hintere Abtheilung der rechten Längenfurche legt, und daselbst die Venae hepaticae aufnimmt, welche somit nicht in der Pforte zu suchen sind. Nun wird das Ligamentum Suspensorium und coronarium ge- trennt, und die Leber, sammt dem zugehörigen Stücke der Vena cava inferior herausgenommen, um die Furchen an ihrer unteren Fläche, und was in ihnen liegt, darzustellen. Es wird leider nur zu oft dem Secanten bei dieser Arbeit sehr unbehaglich, wenn sie an Leichen vorgenommen werden muss, deren Venen von Blut strotzen, welches bei der Durchschneidung derselben den Arbeitsplan überschwemmt, und mit Schwämmen aufgesaugt und weggewaschen werden muss. Verstopfung der Schnittenden der Vena cava inferior mit Schwammstücken oder Leinwand- bauschen, baut dem Wiederholen der lästigen Blutinundation vor. Die Fossa longitudinalis de.rtra enthält in ihrem vorderen Ab- schnitte die Gallenblase, und im hinteren die untere Hohlvene, also Organe, welche im Erwachsenen dieselbe KoUe spielen, wie im / o [ §. Q74, Gallonblase. Emln'vo. I)io Fossa JoiniUiidiiKtTis simstra daneben belierljer!j;t im Eiiihryo A oiuMi. welclio nach der Gcljurt (»hlitcn'iron, und sieli zu Bindei;(Mvel)ssträni;tMi nMiwandclii. W ir linden im vorderen Abschnitt die Vena uinhUivaUi, im hinteren (Umi JJuclus venosus Aratitü. A ran t ins. mit dem auffälligen Taufnainen Julius Cäsar, war ein Schüler des Vesal. Er bi-scliricb den von ihm ontdeekttin Ductus vfnosus in einer kleinen Schrift: De humatio foelu, welche 1564 in Rom aufgelegt wurde. „Brevis sed utilis Hbethift," nennt Il.iller dieses inhaltsreiche und sehr gut geschriebene Opuscuhnn. Das Nabelband der liclx'r. als Kcst der oljsolescirten Vena umbilicaUs, kann leicht l>is zum linken Pfortaderaste verfoli^t werden, mit welchem es verwächst, und den Weg- anzeii;-t, welchen die em- bryonische Nabelvene zur Ptbrt;ider einschluii,'. Der im hinteren Abschnitt der linken Lfin^ciitiirche enthaltene, verkümmerte Rest des Ductus veno.siis Arantti, lässt sich, wenn er nicht gänzlich schwand, ebenfalls j)räj)ariren, und <;iebt uns dann die Richtun«;' an, welche der Ductus im Embrvo v(»m liiduMi Pf(»rtaderaste, den Lohns Spigelii von rückwärts und\reiM'nd, zum Stamme der (aivh inferior, oder zur gnissten, sich in die Cava entleerenden Lebervene, «genommen hatte. — Zuletzt schlitzt man die Vena cava inferior an der von der l-.eber al)^;ew(Mid('ten Seite auf, um die an Zahl und Grösse ver- schiedenen lusertionsöffnung'en der l^ebervenen zu sehen. Dass die Vena portae häutig Vena portaruin genannt wird, wie z. B. in dem Adagium der praktischen Aerzte: vena portarum, porta malorv/m, er- klärt sich aus Hippe erat es, welcher die Lehtu-lappen, zwischen denen die Pfortader eintritt, nvlctq, d. i. portas nannte, und die Pfortader: cpUßcc, tni rng Tivlag iJTraTog. §. 274. Grallenblase. Die Gallenblase, Vesieula fellea, s. Choleci/siis, liegt im vor- deren Segmente der Fossa. Ionfjiti(dinalis deiiru. Da die Absonderun«^ der Galle ununter1)r(»chen von Statten geht, die Gegenwart der Galle im Darmkanale aber nur zur Zeit der Dünndarmverdauung benöthigt wird, so muss am Ausführungsgange der Leber ein Neben- behälter (Gallenblase) angebracht sein, in welchem die Galle bis zur Zeit der Verdauung aufbewahrt wird. Die biruförmii'e Galleublase raiit mit ihrem Grunde über den vorderen Leberrand etwas hervor, und verschmächtigt sich nach hinten zum engen, etwas gewundenen oder mehrfach eingeknickten Halse, welcher in den Ductus cysticus übergeht. Sie wird nur an ihrer unteren Fläche und am Grunde vom Peritoneum überzogen; ihre obere Fläche liängt durch leicht zerreissliches BindegeAvebe an die Lebersubstanz an. Ihre Wand besteht aus einer äusseren Binde- gewebshaut, einer mittleren Muskelhaut mit Längen- und Kreis- fasern, und einer inneren Schleimhaut mit einschichtigem Cvlinder- §. 275. Bau der Leber. 7b5 epithel. Die Sclileimhaiit erhält clurcli eine Unzahl niedrig'er Fält- chen, welche sich zu kleinen eckigen Zellen wie in einer Honig- wabe gTuppireu, ein zierlich gegittertes Ansehen unter der Loupe, und zeigt im Halse, wie auch im Ductus cysticus, eine mehr weniger Spiral an der Wand hinziehende, mit seitlichen Nebenfältchen be- setzte Falte (Valvula Heisteri). Das Cylinderepithel der Gallenblase nnd der Grallengänge lässt an der freien Wand seiner einzelnen Zellen denselben gestrichelten Sanm erkennen, wie er am Cylinder- epithel des Darmkanals vorkommt. — Vesicula fellea gehört zn den Barbarismeu, deun felleus bedeutet gallbitter. Ein gnter Lateiner kann nur Vesicula hilis oder hiliarid sagen. Die in der Leber bereitete, und in der Gallenblase einstweilen aufbe- wahrte Galle (BilisJ, bestellt in einer Lösung von Kalk- und Natronsalzen, deren eigenthüniliche Säuren unter dem Namen der Glycochol- und Taurochol- säure bekannt sind. Sie enthält ausserdem noch Cholesteariu und Lecithin, und zwei Farbstoffe, einen gelben und braunen. Der gelbe Farbstoff wird, wenn die Galle in den Magen gelangt, durch die Salzsäure des Magensaftes höher osjdirt, und nimmt eine grüne Farbe an. Deshalb ist die erbrochene Galle grün. — Durch die Mischung der Galle mit dem Ch3'mus wird die Aus- scheidung der nahrhaften Bestandtheile des letzteren auf noch unerforschte Weise befördert, die Aufsaugung der Fette des Chylus ermöglicht, die durch die natürliche Wärme im Unterleibe begünstigte faule Gährung des Chymus verhindert, und die peristaltische Bewegung der Gedärme bethätigt. Ein Theil der Galle wird resorbirt, ein Theil aber mit dem Darmkoth ausgeleert. Sie ist somit kein blosser Auswurfsstoff f Humor excrementltius) . Nebst der Galle erzeugt die Leber durch einen gährungsähnlichen Process auch Zucker, und zwar aus einem besonderen chemischen Ingrediens des Leberparenchyms, welches man vor der Hand als glycogene Substanz bezeichnet. Der Leberzucker wird aber nicht mit der Galle ausgeführt, sondern geräth in das Blut der Lebervenen, und durch diese in das Blut der unteren Hohlader. — Das Wort Galle stammt von dem mittellateinischen giallus ab = gelb, das italienische giallo. §. 275. Bau der Leber. Die wichtigsten Ergebnisse der mikroskopischen üntersuchnngen über den Ban der Leber, dränge ich in folgenden Punkten zu- sammen: a) Leberläppchen. Kiernan hat die von Malpighi aufgestellte Ansicht, dass die Leber ein Aggregat gleichartig gebauter Läppchen (Acini s. Lohuli) sei, anf dem Wege mikroskopischer Untersuchung weiter ausgeführt. Da wir unter Acinus die traubenförmig gruppirten End- bläschen der Ausführungsgänge gewisser Drüsen verstanden haben, so leuchtet ein, dass die Leberacini etwas Anderes sein müssen, als die Drüsenacini überhaupt. Leberacini sind keine Grruppen von Endbläschen der Gallengänge, sondern Massentheilchen, d. i. Läpp- chen des Leberparenchyms. Um Begriffsverwirrungen vorzubeugen, 736 S. .275. Raii Her I.ehor. soll VOM mir tort;iii (l;is Wort LofmlKs statt AciiiKti ^ohraiiclit Averden. — Man Hess die LclxM-lohiili in ciiu» Bindegewebshülle eingeschlossen sein, Avelche als eine Fortsetzung der, mit den Blutgefässen der Pforte, bis zn den Lobuli gelangten Capsula Glissonü genommen wurde. Diese Hülle der Lobnli lässt sieh aber in der Menschenleber nicht nachweisen. Allerdings gelangen Bindegewebsbüiulel der Cap- sula (rlissonii mit den Oefässen in das Parenchyni der Leber hinein. Aber sie Itilden keine isolirenden Begrenzungsliüllen für kleinere, als Lol)uli zu bezeichnende Parenchymtheile der Leber. Dennoch Avird der Name ..Leberlobuli" noch beibehalten, und ver- steht man darunter die kleinen luselchen, welche an der Oberfläche, nicht so deutlich an Durchschnitten der Leber, durch ihre dunklere P^ärbung sich von der hellereu Zwi.schensubstanz bald mehr bald weniger deutlich unterscheiden. Die dunkel gefärbten Inseln sind Complexe von den in c) dieses Paragraphen zu erwähnenden Leber- zellen; (He liellero /\vischensul)stanz entspriclit den in /') angeführten 1 '^asK interlohularia. Jene Anatnnuii, welclie ileii J.obiili der Menschenleljer huldigen, ge- brauchen hinsielillidi ihrer Begrenzung den Ausdruck: „unvollkommen getrennt", selbst „zusammonfliessend", so dass es ihnen mit der Vorstellung der Isolirt- heit der Lobuli unmr.glioh recht Ernst sein kann. Dagegen lässt sich der lobuläre Bau in d.r Leber des Scliweines, des Octodon. und des Eisbären nicht leugnen. — E. H. Weber sagte es geradezu heraus: „Die ganze Leber ist nur Ein Acinus." Das wäre kurz, klar und verständlich, wenn es nur auch richtig wäre. l>) Vasa inter- und intralohularia. An Durchschnitten des injicirten Leberparenchyms sieht man die von Bindegewebsbündeln der Glisson'sclien Kapsel begleiteten Aeste der Arfcria hepatlca und }\!na povtae zwischen den Lobuli verlaufen und sich verzweigen. Diese Verzweigungen werden des- halb Vasa interlohularia genannt. Die ersten ^Vürzelehen der Leber- venen dagegen stecken in der Axe der Lttbuli, und heissen Vasa ■intralohularia, oder Venae centrales. Die Vasa inter- \u\(\ intralohularia stehen mittelst eines Capillargefässnetzes in Verbindung, welches den Lobulus durchdringt. Die aus den wandlosen Gallenwegen (d, 4) in den Lobuli entspringenden grösseren Ductus hiliarii, gesellen sich ausserhalb der Lobuli, den Vasa interlohuhiria bei. Das Verhältniss von Blut- und (iallengefässen wäre somit für jeden Lobulus das- selbe, wie es für die ganze lieber in §. 274 geschildert wurde. Auf das Vorkommen kleinster Arterienzweigchen, welche aus dem Leber- parenchym heraustreten, um unter dem Bauchfellüberzug der Leber sehr feine und weitmaschige Netze zu bilden, hat Kölliker aufmerksam gemacht; die aus diesen Netzen hervorgehenden feinen Venen kehren wieder in die Leber- substanz zurück, und münden daselbst in die Zweigchen der Pfortader ein. §. 275. Bau der Leber. 737 c) Leberzellen. Die Leberzellen sind die eigentlichen Absonderungsstätten der Grallenbestandtheile (Secretionszellen). Sie bilden, sammt den Blut- nnd Grallengefässen, die Substanz der Lobuli. Die Zellen eines Lobulus haben ungleiche Grösse. Die der Axe des Lobulus näher liegenden sind grösser, als die davon entfernteren. Ihr mittlerer Durchmesser beträgt 0,007 Linien. Die Leberzellen füllen die Maschen des Capillargefässnetzes in den Lobuli aus. ünregelmässi«- polyedrisch an Gestalt, enthalten sie einen oder zwei Kerne. Zwi- schen Kern und Hülle der Zellen befindet sich eine zuweilen mit Fetttröpfchen gemischte, und, besonders in den Lebern von Gelb- süchtigen, dunkel grüngelbe Flüssigkeit (Galle). Die Zellen erzeugen und enthalten auch zahlreiche Körnchen, — das Glycogen, eine stickstofffreie, stärkemehlähnliche, mit Jodtinctur sich roth färbende, sich sehr leicht in Zucker umsetzende Substanz, welche nicht in die Galle, sondern in das Yenenblut der Leber übergeht, und auch in den Muskeln, und in vielen Organen des Embryo ange- troffen wird. d) Anfänge der Gallengefässe. Einige ältere Ansichten will ich hier nicht übergehen, da sie höchst achtbare Namen zu Vertretern haben. L Die Gallengefässe in den Lobuli bilden Netze. Die Wand dieser Netze ist structurlos, und wird aus den Wänden der linear an einander gereihten, und durch Resorption der Berührungsseiten in einander geöffneten Leberzellen gebildet (Hassall, E. H. Weber). 2. Die structurlose Wand der Gallengefässe im Lobulus ist eine Fortsetzung der bindegewebigen Wand der Gallengefässe extra lohulum, und die Leberzellen sind die Epithelien der intralobulären Gallengefässe (Kruckenberg, Schröder van der Kolk). 3. Die Leberzellen gruppiren sich zu Balken, in deren Inne- rem ein nur von diesen Zellen begrenzter Gang enthalten sein soll, welcher die von ihnen bereitete Galle aufnimmt. Die Balken der Leberzellen bilden ein Netzwerk, welches die Maschen des capillaren Blutgefässnetzes ausfüllt (Beale, Eberth). Gegenwärtig hat der Fleiss deutscher Forschung über die Frage, wie die Gallengefässe in den Läppchen beginnen, folgende befriedigende Antwort gegeben. Die Anfänge der Gallengefässe in den Lobuli entbehren einer eigenen Wand, und sind Intercellular- gänge zwischen den Leberzellen. Sie werden allgemein als Gallen- capillaren bezeichnet. In Hering's Arbeit über die Wirbelthier- leber (Sitzungsberichte der Wiener Akad., 1866 und 1867) Avird hervorgehoben, dass die Leberzellen die Maschen des Capillargefäss- netzes der Lobuli so ausfüllen, dass jede Leberzelle zwischen je Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl. * ^ ^38 §. "'6. BuucbäpcicheldrQsc. vier ddcr drei riijtilhircii wie i'iii>;cv-\v;ui^t li('i;t. iiiul /,iii;l('ieli mit aclit bis zi'liii N;ielil);ir/,t'll(Mi in inniger Flächenltcniliriini;- stellt, i'lieils zwischen den stinnpten Kanten der zusanniieiistossenden Leiterzellen, tlieils zwischen den sichtlich ausgehöhlten IJerühruni;s- wänden je zweier Zellen, befinden sich die einer Eiu;enwaiid ent- behrenden Intercellnlari^änge, als Anfänge der (iallen2;efäs>e. Die ]-.eberzellen brauchen nur zu dehisciren, um ihren Galleninhalt in die Anfänge der Gallengefässe zu entleeren. Mit dieser Lehre geben sich, vor der Hand, alle Anatomen zufrieden. Die Wand der stärkonn Galh.iigängc besteht aus Schleiniliaut mit cin- seliielitigem Cylindeiepithel, iiiul aus einer mit organisehen Muskelfasern ver- sehenen Bindcgewcbsschichtc. Die feineren Gallcngangsverzwcigungcn lassen einen Unterschied zwisclien Sehleim- und Bindegcwehsmemhran nicht mehr crkeinien, und die AVand der feinsten Aestchen derselben soll nur epitlielialor Natur sein. In den Wänden aller Gallengänge grösseren Kalibers finden sich kleine Drüschen eingelagert. Sie sind in der Gallenblase und im Ductus cysticxv^ viel spärlicher, als in den Eamificationen des Ductus hepaticus. Luschka giebt ihre Zahl in der Gallenblase nur auf sechs bis fünfzehn an. Sie haben entweder die Form rundlicher, acinusähnlicher Drüschen, oder blinddarmförmig ver- längerter Schläuche, welche einzeln oder mehrfach zu einem gemeinschaftlichen Gang zusammentretend, in den Gallengang einmünden. — Es verlautete in neuester Zeit, dass die Capillargefässe der Lebcrlobuli von Lymphräumen um- geben sind, welche mit den die Vasa interlobularia begleitenden tiefen Lymph- gefässen der Leber in Zusammenhang stehen (Gillavry). Der Ductus hepaticus giebt schon vor seinem Eintritt in das Lcber- parcnchym Zweige ab, welche sich in der Capsula Gllssonii und im Binde- gewebe der grossen Leberfurchen zu oberflächlichen Netzen vereinigen, deren Ausläufer sich in das Parcnchym der Leber einsenken, und sich daselbst wie die parenchymatösen Verzweigungen des Ductus hepaticus verhalten. Zwischen den beiden Blättern des Ligamentum coronarium hepatis, be- sonders seines linken Flügels, tauchen Gallengänge aus der Substanz der Leber auf, um durch wechselseitige Anastomosen Netze zu bilden. Auch in den Furchen der Leber findet man solche extraparenchymatöse Gallengefässe. Sie werden durch Injectionen des Ductus hepaticus sehr leicht dargestellt. Man nennt sie Vasa aberrantia. In Henles Anatomie, 2. Bd., findet der Leser alles Historische hierüber zusammengestellt. §. 276. Bauclispeiclieldrüse. Die PJaiiclispeicheldrüse, Paacreas, hält in ihrem Exterieur und in ihrem Baue den Typus der Speicheldrüsen ein, zälilt also zu den zusammengesetzten acinösen Drüsen, mit länglichen, keulen- förmig- gestalteten Acini. Als die grösste aller acinösen Drüsen spielt sie bei dem Verdauung-sgeschäfte eine sehr wichtig-e Rolle, da die UniAvandlung des Amylum der Nahrungsmittel in Dextrin und Traubenzucker, dem eiweissreichen und alkalinischen Saccus pan- creaticus obliejjt. §. 276. Bauchspeicheldrüse. 739 Das Pankreas lagert hinter dem Magen, vor der Pars lumhalis dlaphrcKjmatis und der Aorta abdominalis, nnd wird von der hinteren Wand des Netzbentels (§. 272) bedeckt. Es g;renzt mit seinem linken schmächtigen Ende (Gauda) an die Milz, mit dem rechten dickeren (Caput) an die concave Seite der Zwölffingerdarmkrümmnng. Der Hanptausführnngsgang dieser Drüse, Ductus pancreaticus s. Wirsun- gianus, folgt ihrer Längenaxe, und wird von den Acini ringsum so umschlossen, dass er nirgends zu Tage liegt. Er ist sehr dünnwandig und in der Leiche immer leer. Die Ausführungsgänge der einzelnen Acini, oder Grruppen derselben, münden rechtwinklig in den Haupt- gang-, welcher deshalb von den französischen Anatomen mille-pattes (Tausendfuss) genannt wird. Der Ductus pancreaticus verbindet sich mit dem Ductus choledochus, während dieser zwischen den Häuten des Duodenum verläuft. Beide besitzen demnach eine gemeinsame Oeffnung im Duodenum. Es wurde aber bemerkt, dass zwei aparte, durch ein Qaerfältchen von einander getrennte Ostia vorkommen. Im Kopf des Pankreas zweigt sich vom Ductus pancreaticus nicht selten ein starker Seitenast ab, welcher die Ausführungsgänge der grösseren Mehr- zahl der Acini des Pankreaskopfes aufnimmt, und eine besondere Einmündung in den Zwölffingerdarm besitzt, und zwar einen bis anderthalb Zoll über der Mündung des Ductus choledochus. Er heisst Ductus Santorini. Als Nebenpankreas lassen sich jene drüsigen, dem Pankreas gleich gebauten acinösen Gebilde bezeichnen, welche von Klob, Zenker, und mir in der Magenwand (untere Curvatur), in der Wand des Dünndarms (oberste Schlinge des Jejunum), und in dem Mesenterium eines Dünndarm-Divertikels beobachtet wurden. Sie besitzen besondere, in die Magen- oder Darmhöhle einmündende Ausführungsgänge. Klob, Zeitschrift der Wiener Aerzte, 1859; Zenker, Archiv für path. Anat., 1861; Hyrtl, Sitzungsberichte der Wiener Akad., 1865. Wenn man das kleine Netz vom oberen Magenbogen abtrennt, und den Magen etwas herabzieht, bekommt man den mittleren Theil des Pankreas zu Gesichte. Um es ganz zu übersehen, muss auch das grosse Netz und das Ligamentum gastro-lienale vom grossen Magenbogen abgelöst, und der Magen, jedoch ohne Milz, gegen den Thorax hinaufgeschlagen werden. Man sieht das Pankreas, bedeckt vom hinteren Blatte der Bursa omentalis, quer vor der Wirbelsäule liegen, und sich von der Milz bis in die Curvatur des Duodenum erstrecken. Präparirt man nun den Hiatus aorticus des Zwerchfells, vor welchem das Pankreas vorbeistreicht, so sieht man aus ihm eine kurze, aber starke, unpaarige Arterie hervorkommen. Diese ist die Arteria coeliaca, welche sich, sobald sie zwischen den Schenkeln des Hiatus herausgetreten, in drei Aeste theilt: Arteria hepatica, Arteria coronaria ventriculi superior sinistra und Arteria lienalis. Letztere zieht am oberen Kande des Pankreas mit der Vena splenica, welche unter ihr liegt, zur Milz. Am unteren Eande des Pankreas tritt der zweite unpaarige Aortenast — Arteria mesenterica superior — in das Mesenterium des Dünndarms ein. Werden in der rechten Hälfte der Drüse nun einige von den oberflächlich gelegenen Acini des Pankreas behutsam weggenommen, so braucht man damit nicht tief zu gehen, um den dünn- häutigen, graulichweissen Ductus pancreaticus zu finden, welchen man öffnet, . 47* 740 §• -'"• MiU. und eine Sonde gegen «his Diiuikiiuiu einleitet. Die Sonde führt uns zur Ein- niünduni,' des Ganges in diis Emle des Ductux choledochus. In der linken Hälfte der Drüse liegt dieser Gang näher an der hinteren als an der vorderen Drüsen- waiid. — Der Ductus pancreaticus besttht aus Sehleinihaut mit Cylinder- epithel, und aus einer Bindegewehsseiiicht mit sehr spärliehen organischen Muskelfasern. Das Cylindercpithel wird in den feineren Ramiticationon des Ganges, und in den längliehen keulenförmigen Acini, so hoch, dass nur ein sehr enges Lumen des Ganges offen bleibt. Der Ausführungsgang des Pankreas wurde 1642 von Georg Wirsung, einem Baier, in Padua am Menschen entdeckt, nachdem Moriz Hoffmann denselben etwas früher im Truthahn aufgefunden, und dem Wirsung ge7,eigt hatte. 1643 fiel Wirsung, wie es heisst, durch Mörderhand, nach beglaubigten Berichten aber, welche ich hierüber in Padua eingezogen habe, im Duell mit einem dalmatinischen Conte. Hoff mann wurde Professor der Anatomie in Altdorf, allwu lange Jahre hindurch, seine Entdeckung alljährlich von den Aerzten und Studenten durch ein Gastmahl gefeiert wurde. Hall er, J5i6^. anat., t. I., pag. 416. Wirsung hat über seine Entdeckung nichts ge- schrieben, sondern nur eine Abbildung des Ganges an die Pariser Akademie eingesendet. Das Wort Pancreas (aus nnv und Kgiag, Fleisch, zusammengesetzt) wird uns erst verständlich, wenn wir bedenken, dass das Wort xgeag von den Alten nicht blos für Muskelflcisch, sondern auch für Drüsensubstanz gebraucht wurde, Pancreas somit ein Ausdruck ist, welcher so viel bedeutet, als ,ganz aus Drüsensubstanz bestehend". — Dass auch die deutsche anatomische Sprache unter „Fleisch" nicht immer das Muskelfleisch verstellt, beweisen uns die Worte Zahnfleisch, Fleischbruch, Fleischwärzchen u. m. a. Bei den deutschen Veteranen der Anatomie erscheint das Pancreas als Eyttel fleisch (d. i. ganz und gar fleischig) und Magenrücklein. §. 277. Milz. Ich folge einem alten Brauch, wenn ich die Milz (Lien, Spien, öjihjv) zu den Verdauungsorganen stelle. Die Zeit ist endlich gekommen, welche sagen darf, dass für sie die Milz nicht mehr ein rni/sterü plenum orffcinon ist, wie sie von Galen und allen Anatomen bis zu unseren Tagen genannt wurde. Die Fortschritte der Mikroskopie haben das Dunkel etwas aufgehellt, in welches die Anatomie dieses Organs gehüllt war, und seine weitschichtige Verwandtschaft mit den Lymphdrüsen und den Schwellijeweben eruirt. Als ein dem Ansehen nach drüsiges, ungemein gefässreiches Gebilde ohne Ausführungsgang, liegt sie am Fundus ventricidi, im linken Hvpochondrium. Sie ist von braun- oder violettrother Farbe, hat die Grösse einer Faust, die Gestalt einer Kaffeebohne, ein Gewicht von vierzehn bis achtzehn Loth, und eine teigige Con- sistenz. Grösse und Gewicht des Organs unterliegen vielen, selbst periodisch eintretenden Schwankungen, indem beide während der Verdauung zunehmen. — Ihre äussere, zugleich obere, convexe §. 277. Milz. 74 X Fläcte, sclimiegt sicli der Concavität des Eippentheils des Zwercli- fells an. Ihre innere, dem Magen gründe zugewendete Fläelie, wird durch einen senkrechten, auf einer kammförmigen niedrigen Erhe- bung sich hinziehenden Längeneinschnitt (Hüus) in zwei schwach concave Facetten abgetheilt, von denen nur die vordere, grössere an den Fundus ventricidi anliegt, die hintere, kleinere mit dem linken Lumbaltheil des Zwerchfells in Contact steht. Ihr vorderer Rand ist etwas schärfer als der hintere, und gegen das untere Ende mit uneonstanten Kerben eingeschnitten, deren eine so tief werden kann, dass ein Theil der Milz dadurch vollkommen, als sogenannte Nebenmilz, Lien succenturiatus, von dem eigentlichen Körper der Milz abgetrennt wird. Diese Form von Nebenmilzen gehört jedoch zu den grossen Seltenheiten. Häufiger wird eine kleine Nebenmilz, von der Grösse einer Erbse oder kleinen Kirsche, an der unteren Fläche des Mesocolon transversiiin angetroffen, welche natürlich nicht für einen abgeschnürten und selbstständig gewordenen Theil der eigentlichen Milz angesehen werden kann, da ein solcher an der oberen Fläche des Mesocolon transversum liegen müsste. Der Peritonealüberzug der Milz stammt als Ligamentum gastro- lienale vom Magengrunde, und als Ligamentum phrenico-Uenale vom Zwerchfell her. Unter der Peritonealhaut, und untrennbar mit ihr verwachsen, folgt die Tunica propria lienis, eine Bindegewebshülle, welche am Hilus in das Milzparenchym eindringt, und Scheiden für die daselbst wechselnden Blutgefässe bildet. Sucht man sie von der Oberfläche der Milz abzuziehen, so gelingt dieses nur schwer und unvollkommen, indem eine Unzahl von verästelten Fortsätzen der- selben, welche elastische Fasern und sehr reichliche organische Muskelfasern enthalten, in das weiche Milzparenchym eindringen, als Milzbalken, Traheculae lienis. Diese contractilen Elemente in der Architektur der Milz reagiren auf elektrische Reizung sehr auf- fallend, und bedingen durch ihre Contraction eine rasche Verklei- nerung der Milz, welche bei Erschlaffung der Muskelfasern wieder schwindet. Viele von diesen Balken folgen den Venenverzweigungen, verstärken und fixiren ihre Wand, und verhindern ihren Collapsus, wenn die Milz durchschnitten wird. Aehnliche, feinverästelte Balken gehen auch von den die Blutgefässe in das Milzparenchym hinein begleitenden Scheiden ab, verbinden sich vielfältig mit ersteren, und erzeugen auf diese Weise ein lückenreiches und sehr feines Fachwerk. Di« weiche, braunrothe Masse, welche die Lücken des Fachwerks einnimmt, heisst Pulpa lienis. Die Pulpa lienis besteht aus einem feinen, durch die Verästelung der Milzhaiken gebildeten Fasergerüste, welches den anderweitigen Elementen der Pulpa als Stütze dient, und mit dem in den Lymphdrüsen vorfindlichen Faser 742 §. 2"". Milz. netze die grösste Uebereinstimiiiung besitzt. In den Masehen des Fasevnetzes der Pulpa lagern massenhaft Lyniithkürperehen, in allen Stadien der Entwick- lung. Zwischen diesen Lymphkörperchen stüsst man auf grössere Zellen, welche entweder körniges Pigment (Haematoidin), oder wirkliche rothe Blutkörperchen enthalten. Einige haben geglaubt, dass die alten und abgelebten lUutkörperchen in diesen Zellen ihrer endliehen Auflösung unterliegen, und in Pigment zer- fallen. Andere dagegen sehen diese Blutkörperchen als neugebildete au, welche ihre Rolle noch nicht ausgespielt, sondern erst anzutreten haben. — Noch sind als Ingredienzien im Bau der Milz die Malpighi'schen Körperchen anzu- führen, deren Zahl und Grösse (ohngefähr ein Sechstel einer Linie) bedeutenden Variationen unterliegt. Sie sitzen entweder einzeln oder zu mehreren auf den arteriellen Gefässverzweigungen in der Milz auf. Sie besitzen eine binde- gewebige Hülle, welche von der Scheide des betreifenden Gefässes stammt, und im Innern des Körperchens ein, dem Fasergerüste der Pulpa ähnliches, nur etwas gröberes Netzwerk erzeugt, in welchem sich Lymphkörperchen und die- selben blutkörperchenhältigen Zellen vorfinden, wie in der Pulpa. Gewöhnlich durchdringen feine Zweigchen jener Arterie, auf welcher die ^Malpighi'schen Körperchen aufsitzen, das Innere derselben. Der Inhalt der Malpighi'schen Körperchen stimmt im Ganzen mit den Alveolen der Lymphdrüsen und den oft erwähnten Lymphfollikeln baulich überein. Vergleicht man das über den Bau der JMilz bis jetzt Mitge- theilte mit dem Bau der Lymphdrüsen, so lässt sich eine Ueber- einstimmung- zwischen beiden nicht verkennen. Es giebt aber auch einen sehr auliallenden Unterscliied, Dieser besteht in dem Yer- halten der Arterien und Venen zum Fasergerüst der Pulpa lienis. Die feineren Verästhingen der Milzarterie löseu sich in sehr rascher Aufeinanderfolge in mtch zartere Zweigchen auf (Penkilli), welche aber nicht in ein Capillarsystem übergehen, sondern frei in die Lücken und Räume des Fasergerüstes der Pulpa einmünden, und ihr Blut in dasselbe ergiessen. Aus denselben Lücken entwickeln sich, wie es sonst nur noch in den Schwellgeweben (Corpora caver- nosa) vorkommt, die Anfänge (h^r Venen, welche verhältnissmässig weite und sehr engmaschige Netze bihlen, (kn-en abführende Arenen sich zu den grösseren Stäinmclien der Milzvene vereinigen, welche sich nicht an die Arterien halten, soiuhu-u ihre eisienen Weiie zum Hilus lienis gehen. Die Blutbahu in der Milz ist also keine continuir- liche, sondern durch die Pulpa unterbrochene, und hierin beruht die wesentliche Eigenthümlichkeit des Milzbaues. Während das Blut durch die Pulpa strömt, nimmt es die Lymphkörperchen auf, welche es umspült und mit sich fortführt. .Schneidet man eine dieser grösseren Venen der Milz der Länge nach auf, so zeigt ihre innere Oberfläche ein siebartig durchbrochenes, durch die zahlreichen Einmündungen der kleinereu Venen bedingtes Ansehen. Diese OefFnungen sind die sonst bedeutungslosen Stigmata Malpiiiliii. — Eigenthündiche End- apparate an den grauen Fasern der Milznerven, als elliptische, kern- haltige Gebilde, wurden von Schweigger-Seidel und W.Müller I §/ 278. Bauchfell. 743 beschrieben. Wozu sie da sind, weiss man niclit, was denn aucL, trotz so reicher mikroskopischer Anfklärungen über ihren Ban, mit der ganzen Milz der Fall ist, deren Exstirpation von den Thiereu ohne Nachtheil ertragen wird, und selbst bei Menschen sine immi- nente vitae discrimine vorgenommen wurde, wenn bei Bauchwunden vorgefallene, zerrissene oder brandige Milzen ihre Entfernung noth- wendig machten. Die eingehendsten Gewebsuntersuchungen der Milz verdanken wir Bill- roth und Schweigger- Seidel, im Archiv für path. Anat., Bd. 20 und 23. Dasselbe Archiv enthält auch die Arbeiten von Axel Key (22. Bd.), von Stieda (24. Bd.), sowie die Zeitschrift für rat. Med. (3. F., 18. Bd.), die Abhandlungen von W. Müller und Timm. — Ueber Lymphgefässe der Milz handelt Tomsa, Wiener Sitzungsberichte, 1864. — Der kurze, in bündigster Klarheit geschrie- bene Aufsatz von W. Müller (Milz) in Stricker s histologischem Handbuch, schliesst mit einem vollständigen Literaturverzeichniss. Wie die Derbheit und das härtliche Anfühlen der Substanz der Leber, diesem Organ zu seinem Namen Leber verhalf (von dem altdeutschen Lab, ein Gerinnsel, Coagulum, „quia hepar sanguini coagulato simile est', heisst es im Berengar), so schreibt sich die Benennung Milz, vom altdeutschen milt = weich her, der weichen Beschaffenheit und des linden Anfühlens der Milz wegen. Dieses milt hat sich in der englischen und dänischen Benennung der Milz, als milt, unverändert erhalten, und wurde die Mutter der italienischen milza. Mollis, weich (mollet der Wiener), ist im altfranzösischen le mou, für Milz, noch zu erkennen, während das neufranzösische la rate von dem nieder- ländischen rate = Honigflade entstand, mit welcher die weiche, zellig-poröse Beschaffenheit der Milzsubstanz einen Vergleich zulässt. — Bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts schrieben die deutschen Anatomen und Aerzte: das, nicht die Milz. Nur die Fleischer halten es jetzt noch mit ihnen. §. 278. BaucMell. Das Bauchfell, Peritoneum, sollte richtiger Peritonaeum ge- schrieben werden, da es aus dem Griechischen stammt: tö TtsQizovawv ÖEQixa, welcher Ausdruck von Tte^advco, d.i. umspannen, abgeleitet ist. Peritoneum bedeutet also die Um spann ungshaut der Unter- leibseingeweide. Dasselbe kann als ein zusammenhängendes Granze erst dann studirt werden, wenn alle Einzelnheiten der Lage und der Verbindungen der Verdauungsorgane bekannt geworden sind. Da das Peritoneum auch die kleine Beckenhöhle bis zu einer gewissen Tiefe herab auskleidet, tritt es zu den in der Beckenhöhle ent- haltenen Organen des Harn- und Greschlechtssystems in dieselbe Beziehung, wie zu den Verdauungsorganen. Das Bauchfell ist die umfangreichste und complieirteste aller serösen Membranen. Dasselbe bildet, wie alle serösen Häute, einen geschlossenen Sack, welcher theils die innere' Oberfläche der Bauch- und Beckenwandungen überzieht, theils durch die Eingeweide, welche sich in den Sack hineindrängen, faltenartig eingestülpt wird. 744 §. 278. Bauclifüll. Ilicrant' IxTulit die allg-emein ii])liclie Eiiitlicilun«^ des Bauclifells in eiu Peritoneum parietale und viscerale. Nur im -wcihliclien Ge- schlechte ist das Peritone\im kein vollkommen i^esehlossener Sack, sondern hat zwei Oeffnnng-cu: die Ostia ahdouiimdia der Tuhae Fallopianae. Die innere Obertiäclie des Peritoneum parietale, und die ihr zu- g-ekelirte äussere des Peritoneum viscerale, besitzen Plattenepitliel, nnd sind glatt, feucht und schlüpfrig. Beide Oberflächen werden durch den Druck, welchen die Bauchpresse auf die Unterleiljs- organe ausübt, in inniger Berührung" gehalten. Es bleibt nirgends ein Zwischenraum, welcher sich erst bildet, wenn bei Bauchwasser- süchten oder Verwundungen, Wasser oder Blut in die vom Peri- toneum umschlossene Höhle ergossen wird. Die (xlätte der freien Flächen erleichtert das Hin- und Hergleiten der l)eweglichen Ein- geweide, wie solches mit ihrer Füllung; und Entleerung, mit ihrem peristaltischen Motus, und ilirer Verschielning bei den Athmungs- bewegungen gegeben wird. Die äussere Fläche des Peritoneum parietale haftet durch kurzes Bindegewebe (Textus cellulosus suh- peritonealis s. suhserosus) fest an der inneren Oberfläche der Bauch- wand, wie die innere Fläche des Peritoneum vi.'tcerale an der äusseren 01)erfläche der Eingeweide. Das subseröse Bindegewebe des Peritoneum parietale enthält in der unteren Abtheilung der Bauchhöhle mehr Fett, als in der oberen. Einzelne Fettklunipen können, wenn sie in der Nähe des Leisten- oder Schenkelkanals oder des Nabelringes liegen, durch diese nach aussen dringen, und Bruch- geschwülste vorspiegeln (Herniae adiposaej, welche, wenn sie grösser werden, das Peritoneum beutelartig nach sich ziehen, und secundär eine wahre Hernie veranlassen. Der Verlauf des Peritoneum parietale diff'erirt in der Becken- höhle beider Geschlechter. Im Manne steigt es vom Nabel herab, um den Scheitel und die hintere Wand der Harnblase zu ü])erziehen, und n)acht dann einen Sprung zur vorderen Fläche des Mastdarms, an welcher es wieder zur hinteren Wand der Bauchhöhle emporzieht. Zwischen Harnblase und Mastdarm bildet das Peritoneum somit einen Blindsack (E.vcavatio vesico-rectalis), welcher bei leerer Harnblase einige Schlingen des Intestinum ileum enthält, und auf dessen Boden die beiden Plicae semilvnares Doiujlasii gesehen werden, Avelche sich vom Blasengrunde zu den beiden Seiten des i\Iastdarms hinziehen, sich ihre concaven Ivänder zukehren, und stärker vorspringen, wenn man den Blasengrund nach vorn drängt. Da die beiden Falten mit ihren vorderen oder hinteren Enden ;iuch in einander verfliessen können, und dann nifr Eine Falte mit hinterer oder vorderer Con- cavität gegeben ist, so liest man hie und da die Plicae Douylasii aucli im Singular. — Beim Weibe drängt sich der Uterus mit seinem §. 278. Bauchfell. 745 Zugeliör (Tuhae, Ovaria, Ligamenta rotunda) zwisclieii Harnblase und Mastdarm von unten lier in die EfXcavatio vesico-rectalis ein, und hebt ihren Grund als Querfalte auf, welche die Excavatio vesico-rectalis in zwei kleinere theilt. Die vordere von ihnen heisst Excavatio vesico -uterina, die hintere, viel tiefere, Excavatio utero -rectalis. Die Reste der paarig-en Nabelarterien an den Seiten der Blase (Chordae umbilicales), und der vom Blasenscheitel zum Nabel auf- steigende Rest des Urachus, erhalten faltenartige Ueberzüge vom Bauchfell. Die von der Schenkelarterie unter dem Poupart'schen Bande zur hinteren Fläche des geraden Bauchmuskels schräg auf- steigende Arteria epigastrica inferior mit ihren beiden Yenen, wird von der Plica epigastrica umschlossen. An der äusseren Seite der Plica epigastrica geht, bei Embryonen männlichen Geschlechts, ein sackförmiger Fortsatz des Bauchfells (Processus vaginalis) durch den Leistenkanal aus der Bauchhöhle bis in den Grund des Hodensacks hinab, wo er durch den Hoden ebenso eingestülpt erscheint, wie der grosse Bauchfellsack durch die einzelnen Baucheingeweide. Nach der Geburt verwächst dieser sackförmige Fortsatz, vom Leistenkanal an, gegen den Hoden hinab. Die Verwachsung hört aber etwas oberhalb des Hodens auf, und schreitet nicht weiter nach unten fort. Der Hode muss somit beim Erwachsenen in einem doppelten serösen Beutel liegen, dessen äusseres Blatt ihn nur einhüllt, ohne mit ihm zu verwachsen, dessen inneres dagegen an seine Oberfläche ange- wachsen ist. Dieser seröse Doppelsack ist die Timica vaginalis pro- pria testis. Auch bei weiblichen Embryonen sieht man einen kegel- förmigen, aber viel engeren und kürzeren Fortsatz des Peritoneum in den Leistenkanal eindringen, und daselbst blind endigen. Er führt den Namen: Diverticulum Nuckii. Diejenige Stelle des Bauchfells, welche die BauchöfFnuug des Leistenkanals verdeckt, und von welcher aus sich beim männlichen Embryo der Processus vaginalis in den Hodensack vordrängte, führt im Erwachsenen den Namen Fovea inguinalis externa, während die an der inneren Seite der Plica epigastrica befindliche, der äusseren OefFnung des Leistenkanals vis-a-vis gelegene Vertiefung Fovea in- guinalis interna heisst (§. 173, 174, 175). Oft findet man das Anfangs- stück des Processus vaginalis auch beim Erwachsenen noch ein wenig- offen, wodurch eine Disposition zur Entstehung eines äusseren Leisten- bruches gegeben wird. Von der vorderen Bauchwand geht noch eine Peritonealeinstül- pung aus, Avelche das Ligamentum teres der Leber aufnimmt, und, längs des Diaphragma weiter ziehend, als Ligamentum Suspensorium hepatis bereits beschrieben wurde. Dieses Ligament wird zum serösen Ueberzug der Leber, dieser zum kleinen Netz und Ligamentum 74(i §. 278. Bauchfell. hepato-(h(oiJenaIe; dio.sc Ix'idcii werden zum serösen Ueberzug des Mag'en> iiiul de.s Diiodcniiin, iiinl zuletzt zum grossen Netz, welches an seinem unteren, in die Heckenliolile lierahreiclienden Rande, sicli nach rück- und aufwärts umscliläi;t, gegen den Quergrimmdarm her- aufläuft, und, ihn umlassend, als Mesocolon zur Wirbelsäule zieht, wo seine beiden Blätter neuerdings auseinander weichen, um das Pankreas aufzunehmen. Das obere Blatt des Mesocolon wird dann zur hinteren AYand der hinter dem Magen liegenden Bursa omoitalis (Netzbeutel), zu Avelcher das AVinslow'sche Ijoeh, zwischen Li(ja- menturii liepato-dKodennlc und duodeno-renale, den Zugang bildet (§.272). Das untere Blatt beugt sich aber, vom unteren Kande des Pankreas, gleich wieder nach abwärts, \\\\\ mit dem Peritoneum parietale der hinteren Bauchwand zu verschmelzen. Die Anatomie der Gekröse bedarf nach dem, was bei den betrefteudeu Darmstüekea schon gesagt wurde, keiner weiteren Er- örterung. Sie sind die Heerstrassen, auf welchen Blutgefässe und Nerven zum Darmkauale gelangen. Spannt man das Mesenterium des Dünndarms an, schneidet man z. B. sein linkes Blatt an der Wirbelsäule durch, und reisst es, gegen den Darm hin, von dem rechten Blatte los, so sieht man, Avie die Wurzel des Mesenterium die Aorta zwischen ihre beiden Blätter fasst, und wie die Arteria. meseuterica superior und inferior, sowie die Zweige, Avelche die Vena mesenterica zusammensetzen, ferner die Nerven imd Lymphgefässe des Darms mit ihren Drüsen (Glandulae mesaraicae) zwischen den Blättern des Mesenterium eingelagert sind. Ich weiss aus Erfahrung, wie schwer es dem Anfänger wird, sich von einer so complicirten Membran, wie das Bauchfell ist, eine befriedigende Vor- stellung zu bilden. Sehr häufig wird an der Leiche der hier geschilderte Ver- lauf des Bauchfells durch abnorme Adhäsionen entstellt gefunden, welche sich in Folge von Bauchfellentzündungen bildeten, und von Unerfahrenen leicht für normale Duplicaturen des Bauchfells gehalten werden. Am zweckmässigsten ist es, das Peritoneum an Kindesleichen zu studiren, und selbst dann wird die Bildung der Netze, und der bereits in §. 272 erwähnten Bursa omentalis, noch immer dem Schüler ein Räthsel bleiben, zu welchem nur die Entwicklungs- geschichte des Darmkanals den Schlüssel giebt. Das Folgende möge deshalb aufmerksam gelesen werden. Wenn man das Bauchfell blos an Leichen untersucht, deren Darmkanal bereits in jenen Verhältnissen sich befindet, welche durch's ganze Leben bleibend verharren, ist es unmöglich, sich einen Begriff davon zu machen, warum das grosse Netz auf einem so langen Um- wege an das Colon transversum tritt, und wieso es zur Bildung einer Höhle (Bursa omentalis) hinter dem Magen kommt, welche durch das Foramen Winslovii mit der übrigen Bauchhöhle in Verkehr steht. Durch die an Embryonen vorgenommenen Untersuchungen Joli. §. 278. Bauolifell. 747 Müller's (lieber den Ursprung' der Netze beim Menschen, in Mechel's Arcliiy für Anat. imd Pliys., 1830), werden diese Punkte auf die befriedigendste Weise erörtert. Im vier- und fünfwöclieutliclien Embryo nämlicli lieg't der Magen, welcher als eine Erweiterung des Oesophagus auftritt, senkrecht vor der Wirbelsäule. Der Darm tritt vollkommen geradlinig- vom Magen in den Nabelstrang, wo er umbeugt, um ebenso gerade zum After herabzusteigen. Die grosse Curvatur des Magens sieht nach links, die kleine nach rechts. An die kleine Curvatur setzt sich das von der Leber herabkommende Omentum minus fest. Ein Omentum majus fehlt noch. Dagegen inserirt sich an die linke grosse Magencurvatur ein Mesenterium — wie an den übrigen Darmkanal. Dieses Magenmesenterium (Mesogastrium Mülleri) geht von der Wirbelsäule aus, und wendet sich gleich nach seinem Ursprünge nach links, um die linke Curvatura ventricuU zu erreichen. Es bleibt also zwischen dem Mesogastrium und der hinteren Magenwand ein dreieckiger Raum frei, dessen Kante nach links, dessen Basis nach rechts sieht. Diese Basis ist ihrer gan- zen Länge nach offen. Nach und nach stellt sich der Magen aus der senkrechten Richtung in die fast quere. Der Pylorus, welcher früher die tiefstgelegene Stelle des Magens war, steigt auf; das Omentum minus wird kürzer, und die grosse Eingangsöffnung* des hinter dem Magen befindlichen leeren Raumes wird auf die gewöhn- lichen Dimensionen eines Foramen Winslovü reducirt. Das Meso- gastrium folgt dieser Lageveränderung des Magens, und stellt sich ebenfalls quer, buchtet sich aber zugleich nach unten aus, und hängt als laxe Falte vor dem übrigen Darmkanale herab. — Die nach unten stark ausgebogene Falte des Mesogastrium besteht aus einem vorderen, absteigenden, vom grossen Magenbogen kommenden, und einem hinteren, aufsteigenden, zur ursprünglichen Entstehimgs- stelle des Mesogastrium zurücklaufenden Antheile. Letzterer läuft über das Colon transversum zurück zur Wirbelsäule, und ist mit dem Mesocolon transversum, auf welchem er liegt, parallel. In diesem Zustande bleibt die Sache bei den Säugethieren, wo das Omentum majus mit dem Colon transversum keine Verbindung hat, durch das ganze Leben hindurch. Im Menschen dagegen verwächst der zurück- laufende Theil des Omentum majus mit der oberen Platte des Meso- colon transversum, oder beide Blätter des Omentum iimfassen das Colon transversum, und gehen somit in die beiden Blätter des Meso- colon transversum, über. Schlägt' man das Colon transversum nach oben, und drängt man das Convolut der Dünndarmschlingen nach rechts nnd unten, so gewahrt man an der Uehergangsstelle des Duodenum in das Jejunum, eine halbmondförmige Peritonealfalte, deren oberes Hörn in die untere Platte des Mesocolon trans- versum übergeht, deren unteres Hörn aber der erwähnten Uehergangsstelle des 748 §• 2VP. Bi'grilV und Eintlicilung des liespirationssysiems. Duodenum in das Jojunum ontspriolit. Rie mag Plica duodeno-jejtmalis heissen, und deckt eine blinde BuuclifflltasclK' flicce.''sus duodenn-jt'junitli.'c1;;i'nisl desselben. Kiiiulc, in der Nälic dci' I>;isis {\i's grossen Ilornes, findet sich ;Misn;iliiiis\veise eine ()enMinv:;'. dnindi welche die ArliTia Itiri/njea in den Kehlkopf tritt. (-h'Qt'ig, Ycrwaiult mit {^vqk (Tliüic), war ursiirünglich das Vcrscliluss- mittd iKt TliüröH'nung, — anfangs eine Steinplatte, später aus Holz gezimmert. Die grossen vii-reckigon, liolzurnen Srliildir der t^riodicn, welche den ganzen Mann deckten, gliclion an (Jestalt den Tlniren, wokhe sicher in den ältesten Zeiten zuerst als Schilder verwendet wurden. Die Benennung der Tliüren wurde also aut die Schilder iihertragen. Bei den liiiinern hiessen diese grossen Schilder scuta, die kleinen pdtae. wodurch der Schildknorpel zu seinem Namen Carti- lasseu untere Hörner ihn zwischen sich fassen. Er hat die (Jestalt eines horizontal liegenden Siegelringes, dessen schmaler Reit" nach vorn, dessen Platte nach hinten gerichtet ist. Seine äussere Fläche besitzt zu beiden Seiten eine kleine Gelenk fläche, zur Articulation mit den unteren Hörnern des Schildknorpels; die innere wird von der Kehlko|)tschleimhaut überzogen. Sein unterer Rand ver- bindet sich durcli (his Tji(janicntma crico-trachealc mit dem ersten Luftröhrenknorpel. Der obere Rand des hinteren Hali)ringes zeigt zwei ovale, c(»nvexe, schräg nach aussen und unten ab- fallende Gelenkfiächen, auf welchen die Grundflächen der Giessbeckenknorpel beweglich aufruhen. c) Der rechte und linke Giessbecken- oder Giesskanueu- knorpel, Carühig'tnes ari/ttrenoideae (aQvrcavci, Giessbecken, von c4Qv(o, schöpfen), sind senkrecht stehende, dreikantige Pyra- miden, deren Basis auf den eben erwähnten Gelenkflächen des oberen Randes der Platte des Ringknorpels aufsitzt, und deren Spitze sich etwas nach hinten biegt. Die Spitzen beider Knorpel schliessen au einander, und fassen eine Rinne zwischen sich, welche, so lange sie noch mit der Kehlkopfschleimhaxit über- zogen ist, wirklich dem Schnabel einer Kanne oder eines Giessbeckens ähnlich sieht. Die drei Flächen der Pyramide eines Giessbeckenknorpels stehen so, dass die innere, ebene und gerade, jener der anderen Seite zugewendet ist, die äussere nach vorn und aussen, die hintere, concave, gegen die Wirbelsäule sieht. Die Ränder werden somit ein vorderer, ein hinterer äusserer, und hinterer innerer sein. Ueber der vorderen Ecke der Basis befindet sich der Stimmband fort- satz, Processus uoccdis. Die äussere Ecke verlängert sicli zum §. 280. KelilkopE Knorpclgerüst desselben. 751 stärkern uucl etwas uacli hinten gerichteten Processus nmscii- larls. Auf der Spitze jedes Giessbeckeuknorpels haftet, durch Bandfasern mit ihr verbunden, die kleine pyramidale Cartilago Santorliüana s, Coriiiculum. In der neueren Zeit tauchte ein neuer Name dieses Knorpels auf — Stellknorpel, da von seiner veränderlichen Stellung- die Spannung der im nächsten Paragraphen auf- tretenden Stimmbänder abhängt. Die Römer kannten die d^vrccLva als GvMurnium, daher lieissen die Giessbeckenknorpel bei den alten Anatomen häufig Cartüagines gutturnales, auch cymbalarcs, da man vor Zeiten die Vorstellung hatte, dass diese Knorpel beim Tonangeben an einander schlagen, wie zwei Handschellen (Cymbeln). d) Der Kehldeckel, Epvjlottis, hat die geschwungene Gestalt einer Hundszunge, wie sie dem keuchenden Thiere aus der Mundhöhle ragt. Er stellt eine in hohem Grrade elastische Klappe vor, deren freier, abgerundeter Rand nach oben und hinten, deren dicke, von fetthaltigem Bindegewebe umgebene Spitze nach unten und vorn, gegen den Winkel des Schild- knorpels gerichtet ist, wo sie durch das Lifjamentum tJiyreo- eptglottlcwin befestigt wird. Die obere, gegen den IstJwius ferne kmi sehende Fläche des Kehldeckels ist sattelförmig gehöhlt, d. h. von vorn nach hinten concav, von einer Seite zur anderen convex. Die untere Fläche verhält sich bezüglich ihrer Krüm- mung verkehrt. Ihr zunächst an der Spitze der Epiglottis befindlicher Abschnitt bildet den sogenannten Epiglottiswulst. — Im Mundinus und Berengarius erscheint die Epiglottis als Lingua ßstulae, d. i. Zünglein der Luftröhre. Zwischen den Blättern der als Ligamenta e'piglottideo-aryfaenoidea zu erwähnenden Schleimhautduplicaturen, liegen die öfters fehlenden, stab- oder keilförmigen Cartüagines Wrishergii, zuerst erwähnt von dem Göttinger Pro- fessor H. Aug. Wrisberg, in seinen Anmerkungen zu Haller's Primae lineae pJiysiol., 4. Auflage, 1780, Nr. 83. — Dicht am äusseren Rande der Giessbeckenknorpel, drei Linien unter der Spitze derselben, entdeckte Luschka seine gleichfalls unconstanten Cartilagines sesamoideae (Zeitschrift für rat. Med., 1859, pag. 271). Ueber die seltene, unpaare Cartilago interarytaenoidea, und andere interessante Vorkommnisse an Knorpeln und Bändern des Kehl- kopfes, handelt derselbe Autor, im Archiv für Anat. und Physiol., 1869. Die Kehlkopfknorpel sind, ihrer mikroskopischen Structur nach, theils hyaline Knorpel, theils Faserknorpel. Der Schildknorpel, der Ringknorpel, und die Giessbeckenknorpel sind hyalin; der Kehldeckel, die Santorini'schen und Wr isberg'schen Knorpel dagegen sind Faserknorpel. — An dem Winkel, unter welchem beide Schildknorpelplatten zusammenstossen, ändert sich ihre Structur derart, dass die Knorpelhöhlen kleiner werden und dichter stehen. Diese Aenderung, welche sich durch grössere "Weichheit und mattere Färbung des Knorpels dem unbewaffneten Auge kundgiebt, veranlasste die Annahme einer Lamina mediana des Schildknorpels, welcher Name hingehen mag, so 752 S. 281. Bander der Kelilkopfliiiorpel. lange man sich untor iliiu iiiilit tiiuii wirkliclicn Eiiisihuli zwischen die Seitenplatten des Schildknorpels denkt. Der Kehldeckel verknöchert nie, der King-, Schild- und Giessbecken- knurpel aber häufig im vorgerückten Alter (vom 30. bis 40. Lebensjahre, — später nicht). Verknöcherte Schildkninpel haben schon olt den tödtlichen Schnitt aufgehalten, welchen die Hand der Selbstmörder auf den Kclilkopf führte, in der Meinung, hier das lebenswichtigste Organ des Halses zu treffen. — In der Erstlingsperiode meiner anatomischen Laufbahn, nahm ein junger Mann aus Russisch-Polen Stunden bei mir über die Anatomie des Halses. Ich vermuthete, er wolle sich zum Sänger ausbilden. Kurze Zeit nach Schluss des Cursus, fand ich ihn mit durchgeschnittouou Halse in der Leichenkammer des allgemeinen Krankenhauses. Das ist Willensstärke oder — Verrücktheit. §. 281. Bänder der Kelilkopfknorpel. Mau kann sie in "wahre Bäuder iiiul iu Sclilciiiiliau tl)äu(ler abtlieilen. 1. Walire Bänder. Die wahren Bänder des Kehlkopfes dienen entweder zur Ver- bindung^ des Kehlkopfes mit den darüber und darunter liegenden Gebilden (a, h), oder zur Yereiniguu2^ einzelner Knorpel unter ein- ander (c, d, e, f). Wir zählen folgende: a) Die Ligamenta thyreo-hyoidea, deren drei vorkommen: ein medium und zwei lateralia. Das medium ist breit, lieisst deshalb auch Membrana obturatoria laryngis, und füllt den Raum zwischen dem oberen Schildknorpelrande und dem Zungenbein aus. Es befestigt sich jedoch keineswegs an dem unteren Rande des Zungenbeinkürpers, sondern am oberen, zu Avelchem es an der hinteren Fläche des Zungenbeins emporsteigt. Da nun die hintere Fläche des Zungenbeinkörpers ausgehöhlt ist, so wird zwischen Zungenbein und Band ein Raum erübrigen müssen, in welchen sich der in §. 164, A, erwähnte Schleimbeutel (Bursa mucosa suhhyoidea) hinein erstreckt. Die beiden Liga- menta thyreo-hyoidea lateralia verbinden die oberen Hörner des Schildknorpels mit den grossen Zungeubeinhörnern, sind rundlich, strangförniig, und enthalten gewöhnlich einen läng- lichen Faserknorpelkern, — das Corpusculum triticeum. Fehlt das obere Sehildknorpelhorn, welches Fehlen beiderseitig oder nur auf einer Seite (gewöhnlich links) vorkommt, so wird das Corpusculum triticeum ent.sprechend länger und stärker gefunden. h) Das Ligamentum crico-tracheale, zwischen dem nnteren Ring- knorpelrande und dem oberen Rande des ersten Luftröhren- knorpels. §. 281. Bänder der Kehlkopfknorpel. 753 c) Die Ligamenta crico-thyreoidea lateralia. Sie sind Kapsel- bänder, welche die unteren Schildknorpelhörner mit den seit- lichen Grelenkflächen des Ring-knorpels verbinden. d) Das Ligamentum crico-thi/reoideuin medium, welches vorzugs- weise ans elastischen Fasern besteht, nnd deshalb die charak- teristische gelbe Farbe der Ligamenta, ßava besitzt. Es verbindet den nnteren Schildknorpelrand mit dem oberen Rande des voi'deren Halbring-es des Ringknorpels. Die nach oben con- vergirenden Faserzüge dieses Bandes verschafften demselben auch den Namen Lig. conictim. e) Die Ligamenta crico-arytaenoidea. Sie sind weite und schlaffe Kapselbänder, und dienen zur beweglichen Verbindung der Bases der Griessbeckenknorpel mit den am oberen Rande des "hinteren Halbringes des Ringknorpels befindlichen Gelenk- flächen. f) Die untere Spitze der Epiglottis hängt mit der Incisura car- tilaginis thyreoideae superior, durch das starke Ligamentum thyreo-epiglotticmn zusammen. Lusclika beschrieb unter dem Namen Ligamentum jugale, zwei von den nach hinten umgebogenen Spitzen der Cartilagines Santorini entspringende, nach abwärts gerichtete, mit einander convergirende Bänder, welche zu einem einfachen medianen Bandstreifen verschmelzen, der sich in der Mitte des oberen Eandes des hinteren Halbringes des Eingknorpels inserirt. Dieser mediane Bandstreifen enthält zuweilen einen Knorpelkern, als Cartilago inter- arytaenoidea. 2. Schleimhautbänder. Sie kommen in Form folgender Falten vor: 1. Während die Schleimhaut der Zungenwurzel nach rück- und abwärts, auf die vordere Fläche der Epiglottis übergeht, bildet sie drei faltenartige Erhebungen, welche Ligamenta glosso- epiglottica genannt werden. Die mittlere Falte übertrifft die beiden seitlichen an Höhe und Stärke. Sie schliesst ein Bündel elastischer Fasern ein, und wird auch Fremdum epiglottidis genannt. 2. Der Schleimhautüberzug des Kehldeckels springt von den Seitenrändern diesem Knorpels zur Spitze der Griessbecken- knorpel hinüber, und erzeugt dadurch die Ligamenta epiglottideo- arytaenoidea (kürzer ary-epiglottica), welche einen Raum zwischen sich frei lassen — Aditus laryngis. In ihnen eingeschlossen finden sich die im vorausgegangenen Paragraph angeführten stabförmigen Cartilagines Wrishergii, deren Längenaxe senk- recht gegen den freien Rand dieser Schleimhautfalten ge- richtet ist. H y r 1 1 , Lehrtuch der Anatomie. 20. Aufl. 48 t 54 §• -8'i. Stiiiinili.'liuler iiinl Scliltümliaut ilos KtOilkc>i>t'(ts. 3. Vou der Seite des Kehldeckels zum Arc((s j>hurifii(jeH{< des weiclieJi Gauiiieiis, zieht sich selir oft eine ►Schleiinhaiit- falte hinauf, welche unter spitzigem Winkel mit dem Arrim palato-phariimjeus verschmilzt. F. Betz hat diese Schleim- hautfalte als L/iiftdaention ep'Kjlottico - pahitinum h(;schrieben. (Archiv für physiol. Heilkunde, .1849.) Er nennt sie auch, da ilir oberes Knde zwischen dem vorderen und hinteren Gaiimenboi»'eu lieg't, Areas pdlathnns mcdius. Das IJand ist insofern nicht ohne Interesse, als zwischen ihm und dem Arcus palato-pluiriitKjctis eine Läng-engrube liegt (Fovea navi- cularis), in welcher fremde Körper beim Verschlingen stecken bleiben können. Ich habe auf das Vorküiiimcii einer Schkimhautfalte aufmeiksaiu «^0- iiiaiht, welche auf der hinteren, dem Rachen zugekehrten Wand des Schild- knorpcls vorkommt, sich von der Basis des (iiessbeckcnkn(iri)els zum Ende des grossen Zungenbcinhornes in schief aufsteigender Richtung hinaufzieht, und, weil sie den Nervus laryngeus stiperior in sich einschliesst, Plica nervi laryngei von mir genannt wurde. Sitzungsberichte der Wiener Akad., 1857. §. 282. Stimmbänder und Sclüeimliaut des Kehlkopfes. Die bisher lieschriebenen Bänder des Kelilko])tes haben nur den Zweck, Getrenntes zu verbinden. Die Stimmbänder dagegen erzeugen durch ihre Sch^vingungen die menschliche Stimme, und imponiren uns insofern als die wichtigsten Organe des Kehlkopfes, welchen zu dienen alle anderen geschaffen wurden. Es finden sich im Innern des Kehlkopfes zwei Paar Stimm- bänder. Sie liegen über einander, entspringen vom Winkel des Schildknorpels, und ziehen horizontal nach hinten zu den Giess- beckenknorpeln. Sie heissen deshalb Limmenta thijreo-arylaenoidea. Das obere Bandpaar inserirt sich am vorderen Rande, das untere am Processus voccdis der Giessbeckenknorpel. Die freien Ränder dieser Bänder sehen gegen die Axe des Kehlkopfes. Das obere, schmälere Bandpaar springt weniger, das untere breitere aber stärker vor. Es bleibt somit zwischen den recht- und linkseitigen Bändern eine spaltförmige OefFuung frei, welche für die wenig vor- springenden oberen Ligamenta thyreo-art/taenoidea grösser, für die stark vorspringenden unteren Ligaiaenta thiireo-arytaenoidea enger sein muss. Diese spaltförmige Oeffnung heisst für die oberen Bänder: falsche Stimmritze (Glottis spuria), für die unteren: wahre Stimmritze (Glottis vera). Man besehe sich dieselbe genau, um eine Vorstellung zu bekommen, wie eng der Schlitz ist, von dessen Wegsamkeit ein Menschenleben abhängt, und wie wenig dazu gehört, dieses kleine Lebens])förtlein gänzlich zu verschliessen. Die Bänder, zwischen welchen die Stiznmritzen sich befinden, können. §. 282. .Stimmbänder und Suhleimliaut des Kehlkopfes. 755 statt der langen, aus ihrem Ursprung und Ende zusammengesetzten Namen: Ligamenta thyreo-arytaenoidea superiora und inferiora, einfach wahre und falsche Stimmritzenbänder (Ligamenta glottidis verae et spuriae) heissen. Zwischen dem oberen und unteren Stinim- ritzenbaud je Einer Seite, liegt die drüsenreiche Schleimhautbucht der Ventricidi Morgagni s. Sinus laryngei. — Yon Galen wurde die Stimmritze zuerst als yXarrlg benannt, von yXwTza, Zunge, aber auch Mundstück einer Pfeife. Experimente haben bewiesen, dass nur die unteren Stimm- ritzenbänder, welche die Glottis vera zwischen sich fassen, zur Er- zeugung der Stimme dienen; — sie heissen deshalb vorzugsweise Chordae vocales. Ihre Länge misst beim Manne sechs bis sieben Linien, beim Weibe vier bis fünf Linien, ihre grösste Breite über eine Linie. Liegen die Cartilagines arytaenoideae mit ihren inneren Flächen an einander, so ist die Glottis vera so lang, wie die Liga- menta glottidis verae; weichen aber jene Knorpel aus einander, so wird die Stimmritze um die Breite der Knorpel bis auf zehn und eine halbe Linie verlängert. Genau betrachtet, sind die vier Stimmritzenbänder nur einfache Faltungen einer, die ganze Kehlkopfhöhle auskleidenden, sehr dünnen, elastischen Membran, welche selbst wieder mit der Kehl- kopfschleimhaut im innigsten Zusammenhange steht, und an den Stimmritzenbändern sich mit ihr vollständig identificirt. Die Schleimhaut des Kehlkopfes stammt aus der Rachenhöhle, und dringt durch den Aditus laryngis in die Kehlkopfhöhle ein. Ihr Reichthum an Blutgefässen steht anderen Schleimhäuten nicht unerheblich nach. Ihre Farbe dunkelt deshalb niemals so in's Roth, Avie die Schleimhaut der Mundhöhle. Dagegen kenne ich keine Schleimhaut, welche eines grösseren Aufwandes von Nervenfasern sich rühmen könnte. Die Empfindlichkeit der Stimmbänder ist des- halb ausserordentlich gross, so dass die mechanische Berührung derselben durch fremde Körper, seien sie noch so klein, den inten- sivsten Reflexhusten hervorruft. — Flimmerepithel deckt diese Bänder, von der Basis des Kehldeckels angefangen, und lässt nur die unteren Stimmritzenbänder frei, welche geschichtetes Pflaster- epithel führen. Kleine, im submucösen Bindegewebe eingelagerte acinöse Schleimdrüschen, sind besonders im Ventriculus Morgagni, am vorderen und hinteren Ende der Stimmritze, und an der hinteren Fläche der Epiglottis (wo sie in kleinen Grübchen des Knorpels liegen) zahlreich vorhanden. Ein Haufe derselben findet sich am Kehlkopfeingang im Ligamentum epiglottideo-arytaenoideum, dicht vor den Spitzen der Cartilagines arytaenoideae eingelagert, als Glandulae arytaenoideae laterales. 48* 756 S. 2«3. Muskeln des KehlkopfeB. Die praup Sprenkoluns; iit>s dunh Räuspern ausgeworfenen Kehlkopf- schleimes, beruht nicht, wie man vermeinte, auf der Gegenwart von Pigment, sondern auf Niederschlägen des mit der eingeathmeten Luft in die Kehlkopf- höhle gebrachten und dort deponirten Rauches und Russes, an welchem es unsere geheizten Stuben und die tragbaren kleinen Oefen der Tabakraucher ebenso wenig fehlen lassen, als die Schornsteine unserer Häuser, und die wirbelnden Schlote unserer Fabriken und Locomotivcn. Vom Nasenschleim gilt das Gleiche, nur in noch höherem Grade. Die Ventriculi Morgagni sollten besser Ventriculi Galeni heissen, da Morgagni selbst sagt: „Galenus has cavitates princeps invertit et ventriculos appellavit." Advers. anat., pag. 17. §. 283. Muskeln des Kehlkopfes. Die Muskeln, welche den Kehlkopf als Ganzes bewegen — heben und senken — wurden schon bei den Muskeln des Zungen- beins (§. 164, A) besprochen. Die Muskeln, welche die Stellung ein- zelner Knorpel gegen einander ändern, spannen eben dadurch die Stimmritzenbänder an oder ab. Da nun diese Bänder mit einem Ende an die Cartilago thyreoidea, und mit dem andern an die Car- tilago arytaerioidea angeheftet sind, so werden die betreffenden Mus- keln, welche säniiiitlich paarig sind, ihre Insertionen nur an diesen Knorpeln finden können. Am Ringknorpel befestigt sich keiner von ihnen, wohl aber dient dieser Knorpel vielen derselben zum Ursprung. Auf der Aussenfläche der Peripherie des Kehlkopfes liegen folgende Muskeln: a) Der Musculus crico-ikyreoideus. Er geht vom vorderen Halb- ring der Cartilago cricoidea, schief nach oben und aussen zum unteren Rande der Cartilago thyreoidea. Er neigt den Schild- knorpel nach vorn herab, entfernt seinen Winkel von den Griessbeckenknorpeln, und spannt somit die Ligamenta glottidis. h) Der Musculus crico-arytaenoideus posticus entspringt von der hinteren Fläche des hinteren Halbringes der Cartilago cricoidea, ist breit und dreieckig, und befestigt sich, mit nach aussen und oben convergirenden Fasern, am Processus muscularis der Basis der Cartilago arytaerioidea. Dreht den Giessbeckenknorpel so, dass dessen vorderer Winkel nach aussen gerichtet wird, wodurch die Stimmritze sich erweitert, und zugleich, wegen Aiiseinanderweichens der inneren Flächen der beiden Cartila- gines arytaenoideae, nach hinten verlängert. Ein kleines, un- constantes Bündel desselben tritt zuweilen an den hinteren Rand des unteren Schildknorpelhorns als Musculus cerato-cri- coideus (Merkel). c) Der Muscidvs crico-arytacnoidevs lateralis entsteht am oberen Rande des Seitentheiles der Cartilago cricoidea, wird von der i. 283. Muskeln des Kelilkopfes. 757 seitlielien Platte des Schildknorpels (welclie abgetragen werden muss, um ihn zu sehen) bedeckt, läuft schräg nach hinten und oben zum Processus muscularis der Cartilago arytaenoidea, und befestigt sieh daselbst vor der Insertion des Arytaenoideus posticus, dessen Antagonisten er vorstellt. d) Die Musculi arytaenoidei transversi und ohliqui gehen in querer und in schräger Richtung von einer Cartilago arytaenoidea zur anderen, deren hintere concave Flächen sie einnehmen, so dass die ohliqui auf den transversi liegen. Sie nähern die Griess- beckenknorpel einander. Unter ihnen liegt der von Luschka beschriebene, paarige, dreieckige Musculus arytaenoideus rectus, welcher von der hinteren concaven Fläche des Giessbecken- knorpels zur Cartilago Santoriniana aufsteigt. Die Arytaenoidei ohliqui setzen sich in die Ligamenta ary-epiglottica fort, und gelangen bis an die Seitenränder des Kehldeckels. Im Innern des Kehlkopfes liegen: a) Der Musculus thyreo- arytaenoideus. Er entspringt an der inneren Oberfläche der Cartilago thyreoidea, hart am Winkel derselben, läuft nach der Richtung des unteren Stimmritzenbandes, und mit diesem Bande verwachsen, nach hinten, und befestigt sich am Processus vocalis und dem vorderen Rande der Cartilago arytaenoidea. Einzelne Fasern desselben sollen sich im unteren Stimmritzenbande selbst verlieren. Ich glaube nicht, dass er das untere Stimmritzenband durch Zusammen- schieben seines vorderen und hinteren Befestigungspunktes erschlaffe. Es scheint vielmehr seine Wirkung dahin gerichtet zu sein, das Band vorspringender zu machen und dadurch die Stimmritze zu verengern. Er kann jedoch diese Wirkung nur dann äussern, wenn der Schildknorpel und der Giessbeckenknorpel durch andere Muskeln fixirt sind. Von beiden Musculi thyreo-arytaenoidei setzen sich Faserbündel an die hintere Fläche der Cartilagines arytaenoideae fort, und fliessen mit den Arytaenoidei ohliqui zusammen. — Santorini ge- denkt noch eines Musculus thyreo-arytaenoideus superior im oberen Stimm- ritzenband. h) In der Schleimhautfalte des Ligamentum, epiglottideo-arytaenoi- deum liegt eine sehr dünne, aber breite Muskelschichte ein- getragen, an welcher sich zwei Abtheilungen unterscheiden lassen. Die eine derselben entspringt auswärts und oberhalb des Thyreo-arytaenoideus am Schildknorpel, die andere am Giessbeckenknorpel oberhalb der Insertion des oberen Stimm- ritzenbandes. Beide befestigen sich am Seitenrande der Epi- glottis. Sie können als Thyreo-epiglotticus und Ary-epiglotticus benannt werden. Die Varietäten der Kehlkopfmuskeln wurden von Tourtual, Merkel, Grub er, Turner, u. A. sorgfältig untersucht, worüber He nie ausführlich handelt (Anat., 2. Bd.). Einen Musculus hyo- und genio-epiglotticus beschreibt 758 §• 2H4. Lunrnlnc iiml d.TPii Aosto. Luschka, (losscn llaii|>t\viik iilur dm Krlilkojil ('l'üliiiisjcn. 1S71. mit 10 Tai'.) Alles riitliiilt. was ilii- sorjjlallii^'sti' anatniiiisdif Untt'isuchuMt,' dioscs Ois^ans, in allen Bestandtlieilon ilcsselben zu »ruiren veiiuiichtf. Sehr verdienstlich ist Fürbrin jrer's Schritt: Beitrüge zur Ktnutniss d. r K( hlko])fiiiuskeln. Jena. 1875. Nicht die Luft, sondern dii' unterm Stijniiiritzeiibänder crzeULren ])riiiiär im Krhlkiiide den Schall, dessen Ilülie und Tiefe als Ton. von der Länir«- und Si)annung der Stimmritzenbänder, wohl auch von der Stärke des Anblasens durch die ausgeathmete Luft, abhängt. — Der Kehlkopf des Weibes, dessen Durchmesser beiläufig um ein Viertel kürzer sind, als jene des männlichen, hat ein höheres Tonregister, als der Kehlkopf des Mannes. Ebenso ist es bei Knaben vor dem sogenannten INfutiren. welches einige Zeit vor der Geschlechts- reife stattfindet. Um zur Ehre Gottes weiblichen Snpran mit männlicher Stärke zu singen, hat man zu Ende des vorigen Jahrhunderts noch — castrirt. — Die oberen Stimmritzenbänder und die knorpeligen Wände des Kehlkopfes, verstärken den Ton durch Mitschwingen, und die Ventriculi Galeni durch Resonanz ihrer Luft. — Da die ausgeathmete Luft durch die Rachen-, Mund- und Nasenhöhle streicht, so werden diese Höhlen den 'i'imbre des Schalles wesentlich ntiodificiren. — Elasticität, Eeuchtigkeit, und ein zureichender Spannungsgrad der Stimmbänder, sind unerlässliche Erfordernisse für die Tonbildung-, Abwesenheit dieser Bedingungen bewirkt Heiserkeit, selbst Stimm- losigkeit — Aphonie. — Durch den verschiedenen Tensionsgrad der Stimm- bänder lässt sich eine Tonfolge von anderthalb bis zwei Octaven (Brusttöne) erzielen. Nur sehr selten reicht der Stimmumfang einer Sängerin in die dritte Octave hinein. Bei Falsetttönen schwingen nur die inneren Ränder der Stimm- bänder. — Die Stimmkraft des männlichen Kehlkopfes äussert sich zwar dröhnender, aber auch unlicholfener, als jene des weiblichen, wegen der Grösse der Knoritel und der Dicke der Bänder. Der männliche Bass hält darum volle Noten, während der w^eibliche Sopran eine Roulade in Vierundsechzigsteln aus- führt. — Die Stimmritze erweitert sich auch bei jedem Einathmen, und ver- engert sich beim Ausathmen. Beim Anhalten des Athenis mit gleichzeitigem Drängen, schliesst sie sich vollkommen, sowie beim Schlingen, wo der Kehl- deckel zugleich wie eine Fallthüre auf den Aditus lanmj)en der rechten Lunge stellt ein sclbststilndiges, der linken Tainge abgehendes Ek'ment dar (Aeby). I)Io (las Atltmuni>;soeseliiift vcriiiittclndcii ricfäs.sc jeder Lunj;e treten nur aiii lliliis aii.s und ein. Sie sind: 1. der liroiiclms, 2. die Ai'ti'rid puhiHniaflfi, 3. dio zwei Veiuie pulmonales. Sie werden mit den die P^i'nälirung' de.s Tjiinii'enparenclivms besorgenden Arter'uw und Veiiar hronchiales, mit den Nerven und den Saiig-adern der Luuge, dnrcli Bindegewebe zu einem ]>üudel vereinigt. Dieses IJündel lieisst Lu n gen wurzel. Jiadiv s. Pednrwulus puhmmis, an welcher die Lunge liäni;t, wie die Frucht am Stiele. Eine Duplicatur der Pleura erstreckt sich von der Luni;enwurz(d längs des hinteren Luni;cnrandes bis zum Zwercht'ell lierab, als Ll/itoiientiiin lutian pulitiuntf<. Die Oberfläche der Lunge Avird von der J^leura pulmonalis überzogen (v?. 288), Avelche sich in die tiefen Trennungseinschnitte zwischen den Lungenlappen hineinsenkt, ohne jedoch ganz bis auf ihren (irund zu gelangen. Die Pleura hängt fest an die Lunge an, und kann nur mit grosser Vorsicht in kleinen Strecken abgezogen werden. Die Oberfläche der Lunge zeigt sich ferner im gesunden Zustande in kleinere, eckige, und durch dunklere Linien von ein- ander getrennte Felder (Insulae pulmonales) getheilt, welche die Basen der keulenförmigen oder pyramidalen Lungenläppchen, Lohiilf pulmonales, sind, aus denen die ganze ]\lasse der Lungen zusammengesetzt ist. J(Hles Lungenläppchen steht, an seiner nach innen gerichteten Spitze, mit einem letzten Ast der Luftröhren- verzweigungen, sowie mit einer feinen Arterie und Vene in Zusammen- hang. Der Ijühulus 2)uhnonaUs stellt somit eigentlich „eine Lunge im Kleinen" dar, mit allen, der ganzen Lunge zukommenden ana- tomischen Elementen, wie im nächsten Paragraphen ausgeführt wird. §. 286. Bau der Lungen. Die Aeste des in der Lunge sich verzAveigendeu Bronchus theilen sich Aviederholt und meist gabelförmig in kleinere Zweige, Syrinpes s. Canales ai'riferi. Sind die Zweige fein genug geworden (etwa 0,1 Linie Durchmesser), so treten sie, wie oben bemerkt, in die Spitzen der Lolntli pulmonales ein, theilen sich in diesen noch einige Male in feinere Röhrchen, welche sich trichterförmig er- Aveitern (Infundil)ula). Um die feineren Röhrchen und ihre Infuudi- bula schaart sich rings herum eine Anzahl bläschenartiger Aus- buchtungen, deren Zahl vielfach variirt, von zwanzig bis sechzig. §. SSR. Bau der Lungen. 763 Diese Ansbuehtung-en sind die Lungenbläschen, Cellulae s. Vesi- ctdae aereae pidmonwn der älteren Anatomen, oder die Alveoli einiger Neueren. Man möelite einen Yergleich ziilassen zwischen den bläschen- tragenden Bronchusenden, und den Aeini eines Drüsenausführuugs- ganges. Die auf der Seitenwand der Infundibula aufsitzenden oder wandständigen Lungenbläschen können Celhdae lyarietales genannt werden, ■ — die auf dem, gegen die Oberfläche der Lunge gerichteten breiteren Ende der Infundibula befindlichen aber: Celhdae terminales. Die Grösse und Form dieser Bläschen variirt begreiflicherweise nach Verschiedenheit ihrer Füllung mit Luft. Die Grösse nimmt überdies mit dem fortschreitenden Alter zu. Den Durchmesser der Bläschen auf 0,06 Linie bis 0,2 Linie anzugeben, mag beiläufig richtig sein. Bei krankhafter Ausdehnung kann er bis zwei Linien betragen (Empliysema vesicidare). — Die Lungenbläschen beider Lungen werden von Huschke auf die Kleinigkeit von 1700 bis 1800 Millionen geschätzt. Ihre Flächen, in eine Ebene zusammen- gestellt, würden beim Erwachsenen ein Area von 2000 Quadratfuss geben. — Es ist noch zu bemerken, dass die Bläschen der Infundibula eines Lobulus nicht mit jenen benachbarter Lobuli communiciren. Wohl aber stehen sie unter einander in Höhlencommunication, indem die durch die Yerschmelzung der Wände benachbarter Lungen- bläschen gegebenen Septa, hie und da durchbrochen sind, nicht selten sogar in den Lungen alter Leute auf feine Bälkchen reducirt erscheinen. Hierin liegt der wesentliche Unterschied zwischen dem Bau der Vesicidae aereae und den Acini eines Drüsenausführungs- ganges, welche nie mit einander in Höhlencommunication stehen. Die Art. pidmonalis, welche aus der rechten Herzkammer ent- springt, und venöses Blut führt, folgt mit je einem ihrer beiden Aeste den Yerästlungen des Bronchus, und löst sich endlich in das Capillarnetz der Vesiculae aereae auf, aus welchem die ersten An- fänge der Venae pulmonales hervorgehen. Während das venöse Blut durch dieses Capillarnetz strömt, tauscht es seine Kohlensäure gegen das Oxygen der in jedem Lungenbläschen vorhandenen Luft aus, wird arteriell, und kehrt durch die Lungenvenen, deren jede Lunge zwei hat, zur linken Herzvorkammer zurück. Die Aeste und Zweige der Bronchien verlieren, je mehr sie sich im Parenchvm der Lunge durch Theilung verjüngen, ihre Knorpelringe nach und nach, indem diese an den grösseren Bron- chialverzweigungen noch als Querstreifen vorhanden sind, an den kleineren aber zu eckigen oder rundlichen Scheibchen eingehen, welche in der Wand dieser Luftwege wie eingesprengt liegen, dann aber in Bronchialästen von 0,5 Linie Durchmesser spurlos ver- schwinden. — Die aus einer äusseren, knorpelführenden Faser- 7G4 §• -^^- "!>" '•«'■ I'Ungpn. scliiclit, lind clnor inneren Sclilelniliaut bestehende, mit zaldreiclien Schleinidnisclien ausgestattete Wand der grösseren Broncliialäste, geht in den letzten A'erüstlungen derselben, sowie in den Lungen- bläschen selbst, zu einer structurlosen, mit elastischen Fasern um- sponnenen Meml)ran ein. Die queren Muskelfasern, welche die Enden der C'-förmigen Knorpel der Luftröhre und ihrer Verzwei- gungen mit einander verbinden, entwickeln sich in dem Maasse, als die Knorpel kürzer werden und schwinden, zu Kreisfasern, welche sicli zwar bis an die I^ungenbläschen hin erhalten, jedoch letztere nicht mehr einzeln, sondern ganze (iruppeu derselben um- g;eben. — Die Zellen des flimmernden Cylinderepithels der grösseren Bronchialäste werden in den feineren immer niedriger, nehmen in den feinsten die Form von Pflasterzellen an, und verlieren als solche ihre Flimmerhaare. In den Lungenbläschen werden diese Epitlielial- zellen so niedrig, dass sie nur mehr Plattenform besitzen. Wie verhält sich nun dieses Plattenepithel zum respiratorischen Gefäss- netz der Lungenbläschen? Dieses äusserst engmaschige Capillar- gefässnetz liegt in der structurlosen Wand der Lungenbläschen derart eingetragen, dass seine Stämmcheu nur zum Theil in diese Wand eingebettet sind, mit dem übrigen Theil ihrer Oberfläche aber frei in die Höhle der Lungenbläschen hineinragen, ja selbst schliugenartig sich in dieselbe vordrängen. Während nun einige Mikrologen behaupten, dass das Plattenepithel der Lungenbläschen nur die Maschen des Capillargefässnetzes einnimmt, die freie Über- fläche der Capillargefässe aber nicht überzieht (ßainey, J. Arnold), sprechen sich Andere für ein continuirliches Plattenepithel der Lungenbläschen aus, und Avieder Andere stellen das Vorkommen von Epithel gänzlich in Abrede (Schultz, Grerlacli, Henle). Quot capita, tot sententiae. Nach Kölliker's, an der ganz frischen Lunge eines Hingerichteten angestellten Untersuchungen, nehmen kern- haltige und protoplasraareiche Zellen die Maschen des Capillar- netzes der Lungenbläschen ein, während etwas grössere, anscheinend kernlose dünne Platten, auf den Capillargefässen selbst aufliegen. Die Nerven der Lunge stammen vom Vagus und Syrapathicus, und bilden an der Lungenwurzel den für ein so grosses Organ unansehnlich zu nennenden Plexus pulmonalis. Die Verästlungen des Plexus pulmonalis folgen grösstentheils den Aesten der Bronchien, verlieren sich in ihnen, und besitzen die von Kemak in so vielen Parenchymen entdeckten, von Schiff auch an den feineren Bronchien nachgewiesenen mikroskopischen Ganglien. Der Vagus scheint der Empfindlichkeit der Luftwege vorzustehen, der Sympathicus ihrer Contractilität und ihrer Ernährung. Die Empfindlichkeit der Lunge ist so gering, dass selbst weit ausgedehnte Zerstörungen ihres Parenchyms, ohne intensive Schmerzen verlaufen, und das verfallene Leben der Phthisiker gewöhn- lich mit der Euhe des Entschlummerns schliesst: „non moriuntur, sed vivere cessant, — ex.^tinyuuntur uti dlychnlum (Larapendocht), deficiente oleo" (P. Frank). §. 287. Ein- und Ausathinen. /DO Die oberflächlichen Lymphgefässe der Lunge bilden unter der Pleura pulmonalis ansehnliche Netze. Die tiefliegenden folgen dem Zuge der Bronchien- äste, und passiren durch kleine, linsen- oder hanfkorngrosse Drüsen, Glan- dulae pulmonales, welche auch ausserhalb der Lungen die Wurzel derselben umlagern, und dann Glandulae bronchiales heissen. Letztere erreichen zuweilen, besonders im Theilungswinkel der Trachea, eine stattliche Grösse. Ihr grau- und schwarzgesprenkeltes Ansehen, verdanken sie einer Ablagerung von körnigem, sternförmige Gruppen bildendem Pigment. Sie erscheinen bei hoch- bejahrten Menschen zu Säcken mit schmierigem, schwarzen Inhalt meta- morphosirt. Ausser den grossen Luft- und Blutkanälen, welche die Alten als Vasa publica pulmonum bezeichnete -i, hat die Lunge auch ein besonderes, auf ihre Ernährung abzielendes Gefäs_system — Vasa privata. Diese sind die Ärteriae und Venae bronchiales. Die aus dem Aortensystem abstammenden Artei'iae bronchiales nehmen, nachdem sie die Wand der ersten drei bis vier Bronchial- verästlungen und der grossen Blutgefässe mit Capillargefässen versorgten, auch an der Bildung der respiratorischen Capillargefässnetze der Lungen Antheil. Isolirte Injection der Ärteriae bronchiales, gab mir immer dasselbe Resultat: Füllung des respiratorischen Capillargefässnetzes der Vesiculae aereae. Die Venae bronchiales, deren jeder Lungenflügel in der Eegel zwei besitzt, tauchen im Hilus der Lunge auf, und entleeren sich in die Vena azygos und hemiazygos, seltener in die den Stamm der oberen Hohlader bildenden Venae innominatae. Sie führen aber nur jenes Blut ab, welches die Ärteriae bronchiales dem Bronchus bis zu seiner vierten Theilung zuführten. Dieses Blut ist entschieden venös. Die der übrigen Verzweigung des Bronchus angehörigen Venen, welche meiner Ansicht nach, wohl richtiger als Wurzeln der Venae pulmonales auf- zufassen sind, da sie aus dem respiratorischen Gefässnetz der Bronchien arte- rielles Blut abführen, ergiessen sich in die Venae pulmonales. Die Literatur über den Bau der Lunge, welche F. E. Schulze voll- ständig zusammenstellte (Stricker's Gewebslehre, Cap. XX.), wurde durch eine stoffreiche Abhandlung von L. Stieda (Zeitschrift für wissenschaftl. Zoologie, 30. Bd.) wesentlich bereichert. — Ausführliches über die Vasa bronchialia giebt Zuckerkandl im 84. Bd. der Sitzungsberichte der Wiener Akad., 1881. §. 287. Ein- und Ausatliinen. Diircli die Inspirationsmiiskeln wird der Thorax erweitert, und die Luft in die Lunge eingezogen. Die Lunge vergrössert sich um so viel, als die Erweiterung des Thorax beträgt. Sie bleibt hiebei mit der inneren Fläche der Brusthöhle in genauem Contact. Die einströmende Luft erzeugt durch Eeibung an den Theilungswinkeln der BronchialverzAveigungen und durch Ausdehnen der zahllosen Vesiculae aereae, ein knisterndes Greräusch, welches in jenen Krank- heiten, wo diß Luftwege mit Exsudaten gefüllt sind, fehlt, imd des- halb von den Aerzten als Hilfsmittel benutzt wird, die Wegsamkeit des Lungenparenchyms zu imtersuchen. — Das Ausathmen erfolgt durch Verkleinerung des Thoraxraumes. Diese Verkleinerung stellt sich schon durch die Elasticität der Thoraxwände und der Lungen I (30 §. -'87. Ein- unil A\isatliiin>n. von seihst ein. wcim die Iiis[iir.itiniismuskt'lii zu wii'kiMi ;iurli<>r(.*u. Nur "wenn das Ausatlimeii torcirt wird, wie z. ]>. heim Sc-lireit'n, inüssen Muskelkräfte den 'rii(tr;ixr;iuiii verkleinern licltVn. — Heim Ausiitiimen Avird nicht ;ilh' Lut't. ■welche in den Lung'en war, heransgetriehen. Es hleiht ein (j)n;intnin zurück. Die Leiclienlunu^e ist deshalb nicht luftleer. Das elastische (Jewelie in dem Bestandwesen der Lunt^e, sucht auch in der Leiche nncli das Luni^'envolumen zu verkleinern. Es kommt jedoch nicht zu dieser A'erkleineruni;, da die Luni^e sieh von der Wand des allseitii;' abgeschlossenen Brustkasteu.s nicht ent- fernen kann. Eine solche Entternun«'- der Lunge von der Thorax- wand, würde zw-ischen beiden (iinen leeren Raum schaffen, dessen Entstehen unmöglich ist. Wird al>er die Tlioraxwand der Leiche eingeschnitten, so bringt das elastische Element im Lungengewebe, das Lungenvolunien auf sein Minimum, weil die einströmende Lutt das zwischen Ijunge und ThoraxAvand entstehende Yacuum aus- füllen kann. Bei ruliigem Athmen ])eträgt das ein- und ausgeathmete Luft- quantum 16 — 20 Cubikzoll. Die in den l^ungen zurückbleibende, nicht ausgeathmete Luft, wird auf 170 (Cubikzoll angeschlagen. Hutchinson's Untersuchungen zeigten, dass ein ^Luin von fünf bis sechs Scludi Körperhöhe, nach vorausgegangener tiefer Inspiration, 225 Cubikzoll Luft durch die möglichste Verkleinerung des Thorax ausathmet. Dieses Ijuftquantum nennt man vitale Capacität der Lungen, 225 -|- 170 = 395 Cubikzoll wäre soinit die absolute Luft- menge, welche die Lunj^en enthalten können. Die vitale Capacität der Lungen nimmt mit der Zunahme der Körperhöhe zu, nielit aber mit der Zunahme des Körpergewichtes. Für jeden Zoll über die früher angegebene Körperhöhe, steigt die vitale Lungencapacität um einen Cubikzoll. Vom 15. — 85. Lebensjahre nimmt die vitale Capacität der Lungen zu; vom 35. — 65. Lebensjahre nimmt sie jähr- lich um einen Culnkzoll ab. Bei Lungensucht vermindert sie sich, nach dem Grade der Krankheit, um 10 — 70 Pi'ocent. Die ausgeathmete l^nft enthält, statt des Oxygens, welches sie an das venöse Blut abgegeben, um arterielles daraus zu machen, eine entsprechende Menge Kohlensäure, Wasserdampf und flüchtige thierische Stoffe, wie z. B. beim stinkenden Athem. Bei den Einathmungen, deren im Mittel, bei ruhigem Körper und Geist, sechzehn auf die Minute kommen, binnen welcher Zeit der Puls fünf- und sechzigmal schlägt, ändern die vorderen Ränder der Lungen ihre Lage, und schieben sich vor den Herzbeutel, nähern sich also, umschliessen das Herz vollkommener, und dämpfen seinen Sehlag. Die Seiteuflächen der Lungen gleiten zugleich an der Brust- §.288. Brustfelle. 767 wand herab, und die Spitzen der bei besonders tiefer Inspiration vollauf ausgedehnten und vergrösserten Lungenkegel, erheben sich hinter dem Scaleuus anticus ein klein wenig über den Rand der ersten Rippe. Die hinteren Ränder der Lungen bleiben in den Vertiefungen zwischen der Wirbelsäule und den Rippen, und ver- rücken sich nicht. Die mit der Ausdehnung der Lungen gegebene Verschiebung derselben, verdient die volle Aufmerksamkeit des Arztes. Mittelst des Schalles, welchen das Percutiren der Thoraxwand giebt, verschafft er sich Kunde von der Aus- dehnung und dem jeweiligen Stande der Lunge, wie auch von dem gesunden oder kranken Zustande derselben, und von dem Vorhandensein von Ergüssen in den Brustraum. Kein Schüler soll es unterlassen, an den Leichen in den Secirsälen sich im Percutiren des Thorax, mit und ohne Plessimeter (eine thalergrosse Elfenbeinplatte mit aufgeworfenem Eand), zu üben, und durch die Verschiedenheit des Percussionsschalles die Grenzen zu bezeichnen, welche den Lungen, dem Herzen, der Leber, und anderen Eingeweiden zukommen. §. 288. Brustfelle. Es finden sich in der Brusthöhle drei seröse, vollkommen geschlossene Säcke. Zwei davon sind paarig, und zur Umhüllung der rechten und linken Lunge bestimmt. Der dritte ist unpaar, liegt zwischen den beiden paarigen, und schliesst das Herz ein. Die paarigen heissen: Brustfelle, Pleurae, — der unpaarige: Herz- beutel, Pericardium, dessen Beschreibung erst bei der speciellen Beschreibung des Herzens an die Reihe kommt. Das griechische Wort TtlevQu bedeutet sowohl Seite, als Rippe, und auch Brustfell. Das Yerhältniss der Pleurae zur Thoraxwand und zu den Lungen, wird man sich auf folgende Weise am besten klar machen. Man denke sich jede Hälfte der Brusthöhle durch eine einfache seröse Blase eingenommen (Pleura), und die Lungen noch fehlend. Jede Blase sei an die innere Oberfläche der Rippen und ihrer Zwischenmuskeln angewachsen, als Pleura costalis, Rippenfell, sowie auch an die obere Fläche des Zwerchfells, als Pleura phrenica. Beide Blasen stehen mit ihren einander zugewendeten Seiten nicht in Berührung. Es bleibt somit ein freier Raum zwischen ihnen, welcher sich vom Brustbein zur Wirbelsäule erstreckt. Dieser Raum heisst Mittelfellraum, Cavum mediastini, und seine durch die Pleurae o^egebenen Seitenwände sind die Mitt elfeile, Mediastina. In dem Mittelfellraum lasse man nun beide Lungen entstehen und gegen die Seite des Thorax zu sich vergrössern, was nur dadurch geschehen kann, dass jede Lunge das ihr zugekehrte Mittel- fell in die Höhle der serösen Blase der Pleura einstülpt, und da- durch von ihr einen Ueberzug erhält, welcher als Pleura pulmonalis (Lungenfell) von der Pleura costalis umschlossen sein wird. Die 768 i. 288. Brnstfelle. Stelle, wo dii.s IMitteltVIl in dir Plaiva pulnwnalis übergeht, wird von der Liini;en\viirzel eingenomnien. Auch d;i.s Herz denke man sieh, samnit seinem Beutel, in dem Mittelfellraum entstehen, den- selben aber nicht ganz ausfüllen, weshalb denn vor und hinter ihm ein Theil dieses Raumes frei bleibt, und als vorderer und hin- terer Mittelfellraum, Cavum mediastini anterms und posterins, in der Anatomie perennirt. Hier muss bemerkt werden, dass der vordere Mittelfellraum })ei unerötl'netem Thorax uiclit l)estehen kann, da das Herz an die vordere Thoraxwand anliegt. Nur am geöffneten Thorax der I^eiche, fällt das Herz durch seine Schwere gegen die hintere Thoraxwand, so dass, Avenn man das ausgeschnittene Brustblatt wieder auflegt, ein Raum zwischen demselben und dem Herzen enthalten sein muss. — Der Mittelfellraum kann vorn nur so lang sein als das Sternunr, hinten Avird er so lang sein, als die Brustwirbel- sänle, welche seine hintere Wand bildet. Besser wäre es, den vor- deren und hinteren Mittelfellraum ganz aufzugeben, und nur von Einem Mittelfellraum zu reden, welcher sich vom Steruum bis zur Wirbelsäule erstreckt, und das Herz, dessen grosse Gefässe, die Thymus, die Luftröhre und alles Andere enthält, was durch den Thorax auf- oder niederzusteigen hat. Wir erkennen, dem Gesagten zufolge, in jeder Pleura einen serösen Sack, Avelcher sich nur an Einer Stelle einstülpt, um Ein EingeAveide (die Lunge) zu überziehen, und somit zAvei Ballen bildet, einen äusseren und einen inneren. Der äussere Ballen ruht unten auf dem ZAverchfell als Pleura phrenica, und wird an dieses, soAvie an die innere Oberfläche der BrustAvand als Pleura costalis, durch kurzes BindegeAvebe angeheftet. Dieses subpleurale BindegeAvebe verdichtet sich gegen die Wirbelsäule hin, geAvinnt eine festere Textur, und Avurde von mir als Fascia endothoracica aufgefasst und be- schrieben. Betrachtet man die vorderen L^mbeugungsstellen der Pleurae costales zu den beiderseitigen Mittelfelhvänden, und die Richtung dieser Wände selbst etAvas genauer, so findet man, dass sie nicht mit einander parallel laufen. Sie nähern sich vielmehr von den Rändern des Manuhrkim sterni nach abAvärts, und kommen am Corpus sterni bis zur Berührung zusammen, um gegen das untere Ende des Brustbeins Avieder aus einander zu Aveichen, avo dann die linke Mittelfelhvand hinter den äusseren Enden der linken Rippen- knorpel, die rechte dagegen hinter der Mitte des Sternum, zuweilen selbst am linken Rande desselben herabgeht. Der Mittelfellraum hat somit, Avenn er von vorn her angesehen Avird, die Form eines Stundenglases. Bei der Anatomie des Herzbeutels (§. 391) kommen Avir auf diesen Gegenstand zurück. §. 289. Nebendrüsen der Kespirationsorgane. Schilddrüse. 769 Der anatomische Ausdruck Mediastinum scheint auf mediatenus = zur Mitte hin, zu beruhen; nach Spigelius aber, quod per medium stet. Der Mediastinus dqr Classiker dagegen war ein Sklave für allerlei Dienstleistungen niederer Art, im Horaz auch ein Städter (von aarv, Stadt). Dass man 3Iedia- stlnum, nicht aber Mediastinum zu sprechen habe, ersehen wir aus Horaz: „Tu, mediastinus tacita prece rura petebas." Galen bezeichnete die Laminae mediastini als viiijv Slkcpqccttcov, was Vesal mit membrana thoracem intersepiens, richtig übersetzt. Bei Erwachsenen begegnet man, häufig genug, Adhäsionen der Lunge an die Thoraxwand, das will sagen: der Pleura pulmonalis an die Pleura costalis, durch organisirte Exsudate nach Lungen- und Brustfellentzündungen. Seit man die pathologische Entstehung dieser Adhäsionen kennt, ist der Name derselben: Ligamenta spuria, in der Anatomie verschollen. Ueber die Pleurae handelt ausführlich: Mein Handbuch der topogr. Anat., L Bd., ferner Luschka, im Archiv für path. Anat.. Bd. XV, und Boch- dalek. Ueber das Verhalten des Mediastinum, in der Prager Vierteljahrsschrift, Bd. IV. — Ueber die Fascia endothorncica, und den Herzbeutel, liegt eine treffliche Abhandlung von Luschka im XVH. Bande der Denkschriften der Wiener Akad. vor. §. 289. lebendrüsen der Eespirationsorgane. ScMlddrüse. Mit dem Hals- imd Brusttheil der Atlimiingsorgane stehen zwei Drüsen in näherer anatomiselier Beziehung, deren physio- logische Bedeutung noch nicht so weit aufgeklärt ist, wie wir es wünschen, — die Schilddrüse und die Thymusdrüse. Die Schilddrüse, Glandula thyreoidea, hat die Grestalt eines Hufeisens oder Halbmondes, mit sehr stumpfen Hörnern. Ihr Mittel- stück, welches gewöhnlich weniger massig ist, als ihre Seitenlappen, und deshalb Isthmus heisst, liegt auf den oberen Luftröhrenknorpeln auf, ihre paarigen Seiteulappen, Cornua lateralia, an und auf der Cartilafio thyreoidea. Sehr selten fehlt der Isthmus, als Thier- ähnlichkeit. — Die vordere Fläche der Schilddrüse Avird von den Musculi sterno-thyreoidei bedeckt. Die hintere Fläche der Seitenlappen liegt auf dem Bündel der seitlichen Halsgefässe auf, und erhält, wenn die Drüse sich zum Kröpfe vergrössert, von diesem einen longitudinalen Eindruck. Das sehr gefässreiche Parenchym dieses Organs verschaffte ihm seinen alten Namen: Ganglion vasculosum. — Die Drüse wird von einer dünnen, aber festen Bindegewebsmembran, Tunica propria, umschlossen, welche Fortsetzungen in die Tiefe schickt, um die Drüsenmasse in grössere und kleinere Läppchen abzutheilen. Die Trenuungsfurchen der I^appen und Läppchen werden an der Oberfläche der Drüse durch die grösseren Blut- gefässe eingenommen. Das Parenchym selbst besteht, wenn es gesund ist, aus einem Bindegewebslager mit einer zahllosen Menge kleiner, rundlicher, vollkommen geschlossener Bläsehen von verschiedener Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl. ^^ I I (i §. 289. No'benJifl.scn der Kespiralionsorgano. PcliiUilrOse. Grösse (0,02 bis 0,2 Linie), mit flüssij^-eni, ;in)iiniin(»s(Mn Inlialt, und einer einfachen Epitlielscliiclit ans cul)isclien Zellen. Bei zunelunendeni Alter treten in diesen Bläselien Yeränderuni^en ein, welche man als colloide Metamorphose bezeichnet. Der Inhalt der sich allmäli^- vergTÖssernden Bläschen wird nämlich in eine gallertartige, bern- steinfarbii^e Masse nmgewancUdt. Die Grüssenziinahme der Bläschen kann so bedeutend werden, dass das umhüllende Bindei^ewebe ver- drängt Avird, und die BläscluMi zu imnun' grösseren Höhlen zu- sammenfliessen. wodurch endlich die ganze Drüse zum Cystenkropt" entartet. — Im frühen Embryoleben enthält die Zellenanlage der beiden Seitenlappen der Schilddrüse eine mit Epithel ausgekleidete Höhle, welche sich in die Schlundröhre cifFnet, und mit der fort- schreitenden Entwicklung der Drüse versclnvindet. Vom Isthmus geht häufig ein unpaariger Processus pyramidalis s. Cornu medium aus, welcher über die linke, seltener über die rechte Schildknorpel- platte (oder auch median) bis zu deren oberem Rande, und selbst bis zum" Zungenbein sich erhebt. Zuweilen schnürt sich der Processus pyramidalis vom Körper der Schilddrüse vollkommen ab, und wird dadurch zu einer Glandula thyreoidea accessoria. Solche accessorische Schilddrüsen kleinerer Art finden sich auch zuweilen, einfach oder mehrfach, im laxen Bindegewebe hinter dem unteren Eande der Schilddrüse eingebettet. Zwei derselben sollen nach Sand- ström constant sein. Sicher gehört auch die häufig vorkommende, hanfkorn- grosse, zuerst von Verneuil beobachtete Glandula suprahyoidea hieher. E. Zucke rkandl, Ueber eine bisher nicht beschriebene Glandula supra- hyoidea. Stuttg., 1879. — Kadyi, Lieber access. Schilddrüsen, Archiv für Anat, 1879. Dass die Schilddrüse zu dem Kehlkopf in näherer physiologischer Be- ziehung steht, ist eine blosse Vermuthung, welche allerdings durch die Nähe dieser beiden Organe, und durch die Beobachtung einen Schein von Berechti- gung erhält, dass in der Classe der Vögel, wo der Stimmkchlkopf in die Brusthöhle an die Theilungsstelle der Luftröhre herabrückt, auch die Schild- drüse in den Thorax versetzt erscheint. Da aber auch stimmlose Amphibien eine Schilddrüse besitzen, und bei den Schlangen, deren Kehlkopf am Boden der Mundhöhle sich öffnet, die Schilddrüse weit von diesem Kehlkopf entfernt liegt, so fehlt es nicht an Gründen zum Geständniss. dass wir die functionelle Bedeutung der Schilddrüse noch nicht verstehen gelernt haben. — Man hat die Schilddrüse durch Eiterung (Thyreophyma acutum) zerstört werden gesehen, ohne nachtheilige Folgen für Gesundheit und Stimme. Dieses war bei dem gefeierten Kliniker Peter Frank der Fall, welcher sich rühmen konnte, am Tessin. an der Newa, und an der Donau, den Jüngern Aesculaps seine jetzt vergessene Lehre gepredigt zu haben. Damals aber stand diese Lehre sehr hoch im Ansehen, woran das classische Latein, in welchem die Epitome de curandis hominum morbis geschrieben war, den meisten Antheil hatte. Bei LTnterbindungen der Carotis, dem Speiseröhren- und Luftrühren- schnitt, sind die anatomischen Verhältnisse der Schilddrüse von grossem Be- lange. Die nach unten zunehmende Vergrösserung des Isthmus der Drüse bei Erwachsenen, und seine geringe Höhe bei Kindern, macht, dass die Luftröhre der Kinder dem Messer zur Tracheotomic leichter zugänglich ist, während bei Erwachsenen die Laryngotomie häufiger geübt wird. — Der Gefässreichthura §. 290. Tliymtis. 771 der Drüse ist so bedeutend, dass ihre Verwundung bei Selbstmordversuclien tödtlich werden kann, ohne dass die grossen Gefässstämme des Halses verletzt wurden. Die Schilddrüse hat, ihrer Masse wegen, nicht die entfernteste Aehnlich- keit mit einem Schilde, und sollte deshalb richtiger Schildknorpeldrüse genannt werden, weil sie in der unmittelbaren Nachbarschaft dieses Knorpels liegt. Dann müsste auch der Ausdruck Glandula thyreoidea (schildähulich) in Parathyron umgeformt werden {itaQo. und ^vQSÖg — neben dem Schilde). Aber den Anatomen liegt an Sprachrichtigkeit sehr wenig, sonst würden sie so viele unsinnige Benennungen in ihrer Wissenschaft nicht so lange ge- duldet haben. §. 290. Thymus. Ueber der Verriclitimg- der Thymusdrüse (Thymus s. Lactes, im Wiener Dialekt Bries oder Briesel, nach dem hochdeutschen Bries = Drüse), schwebt dasselbe physiologische Verhängniss, wie über der Bestimmung der Schilddrüse, d. h. man weiss über ihre Function so viel wie nichts, obwohl ihre Structur ebenso genau bekannt ist, wie jene der Glandula thyreoidea. Die Thymus existirt in ihrer vollen Entwicklung nur im Embryo, und im frühen Kindes- alter. Um die Zeit der Greschlechtsreife herum, ist sie entweder ganz verschwunden, oder auf einen unansehnlichen Rest reducirt, welcher sich auch durch's ganze Leben erhalten kann. Sie hat beim Neu- geborenen das körnige Ansehen einer acinösen Drüse, und besteht aus zwei, durch Bindegewebe zu einem länglichen platten Körper vereinigten, ungleich grossen Seitenlappen, welche wieder in kleinere Läppchen zerfallen. Ihr unterer Rand ist concav, und verlängert sich nach abwärts in zwei stumpfe Hörner. Sie liegt hinter dem Manubrium sterni, wo sie die grossen Gefässe der oberen Brust- apertiir und theilweise den Herzbeutel bedeckt. Beim Embryo reicht sie bis zum Zwerchfell hinab. In der Axe der beiden Thymuslappen findet sich eine Höhle, als Gang, welcher zwei blinde Enden hat, und verschiedentlich ge- formte Ausbuchtungen zeigt. Den Inhalt des Ganges und seiner Ausbuchtungen bildet eine eiweissreiche, milchige, schwach sauer reagirende, freie Kerne und Lymphkörperchen führende Flüssigkeit. Um Gang und Ausbuchtungen herum gruppiren sich die Läppchen der Drüse, welche selbst wieder hohl sind, und durch schlitzförmige OefFnungen mit den Ausbuchtungen des Ganges im Verkehr stehen. Jedes Läppchen besteht aus einem blutgefässreichen Bindegewebe, welches theils die Oberfläche des Läppchens überzieht, theils im Innern desselben ein Netzwerk bildet, in dessen Maschen Gruppen von Lymphkörperchen lagern, wie in den Alveolen der Lymphdrüsen. Isoliren sich einzelne Läppchen von dem Körper der Drüse, so werden sie als Neben- Thymusdrüsen bezeichnet. 49* < ( 2 §• -91- I-ago lier EiiJgf wt'iile in der l!ru>lhöhle. I )ii' I l;iii|it>t;iiiiiii(' der I>liiti;('las.se der Tli\ iiiii> li('i;('ii iiiclit auf ilirer ObcrHäclic, wie jene der Schilddrüse, .sondern dringen in das Innere der Drü.se ein. wo sie sieh an die Wand des centralen Gani;'es anlegen, und von liier aus ihre zahlreichen Aeste in die Läppchen der Di'üse entsenden. — Das A^orkoninien eines centralen (langes in den lia})j)en der Thymus unterliegt jedoch Ausnahmen, denn es linden sich Thymusdrüsen mit solidem Parenchym. Krücke lässt den Gang durch einen, im Innern der i )rüse stattfindenden Er- Aveichungs- und Schmelzungsprocess entstehen, "welcher die Rück- bildung der Drüse einleitet, und uach und nacli die ganze Drüse aufzehrt. Das Vorhandensein des Ganges in Thymusdrüsen, welche noch in der Blüthe ihrer Entwicklung stehen, wie bei Embryonen und Kindern, steht dieser Annahme entgegen. Ob durch Vergn'isserung der Thymusdrüse die Luftröhre und die grossen Blutgefässe hinter dem Manubrium sterni comprimirt, und dadurch das sogenannte Asthma thi/micum bewirkt Averden könne, muss verneint werden. Man findet in den Leichen von Kin- dern, welche nicht am Asthma starben, oft genug die Thymus den ganzen vorderen Mittelfellraum einnehmen. Die Vorschläge Allan Burns, wie man sich zu benehmen habe, um eine ver- grösserte Thymus zu exstirpiren, wird also hoffentlich Niemand am Lebenden in Ausführung bringen. Wir finden bei den Griechen das Wort Thymus in verschiedenem Sinne angewendet. Ovfi'jg ist Leben {&vfi6v dnonvHiov, das Leben aushauchend), dann Gefühl, Mutli und Wille. Gv^og und •d-vixov heisst auch der Quendel (Thymian). Bei Pollux finde ich &vfiog, für eine Flcischgeschwulst oder Feigwarzc ge- braucht, deren lappige Oberfläche an jene unserer Drüse erinnert. — Das deutsche Wort Kalb er milch, vor •welchem sich die Anatomie anstandshalber zu be- wahren wusste. erscheint uns als eine Uebersetzung der lactes bei den Classi- kern. Der milchige Saft in der Höhle der Drüse, hat ohne Zweifel auf die Benennung lacte.^ Einfluss genommen. Das altdeutsche Bries stammt von Brose oder Bröse (ein Krüm- chen), und dieses von dem angelsächsischen brysan, zerreiben (französisch briser, und englisch to hruise). Das kleinkörnige, krümelige Ansehen der Thymusdrüse wird also durch die Benennung Bries ausgedrückt. §. 291. Lage der Eingeweide in der Brustliöhle. Die Lage der Hrusteingeweide zu untersuchen, erfordert weit weniger Mühe, als jene der Bauchorgane, indem es sich im Thorax nur um drei Eingeweide handelt, welche nach Entfernung der vor- deren Brustwand leicht zu übersehen sind. Zwei davon — die Lungen — bilden Kegel mit nach oben gerichteter Spitze; das dritte — das Herz — einen Kegel mit unterer Spitze. Die seitlichen Räume des Thorax, aus welchen sich die Lungen herausheben lassen, bedürfen keiner besonderen Präparation. Der Mittelfellraum dagegen, §. 291. Lage der Eingeweide in der Brusthöhle. <'73 in welcliem das Herz imd die grossen Gefässe liegen, wird durch den Yerkehr dieser Gefässe nnter einander, nnd ihre Beziehungen zu den Lungen, etwas complicirter. Die Contenta des Mittelfell- raumes werden, von vorn nach rückwärts, auf folgende Weise unter- sucht. Man trägt die vordere Brustwand nicht wie gewöhnlich, an der Verbindungsstelle der Rippen mit ihren Knorpeln ab, sondern sägt die grösste Convexität, also beiläufig die Mitte der Eippen nnd der Clavicula durch, wozu eine feingezahnte Säg^e verwendet wird, da die gewöhnlichen grobgezahnten Amputationssägen mehr reissen als sehneiden, wodurch die Schnitte der unter den Sägezügen hin- und herschwankenden Eippen nicht rein und eben, sondern zackig werden, nnd zu den bei dieser Arbeit häufig vorkommenden Ver- letzungen der Hände Aulass geben. Der Schnittrand der Thorax- Avand wird mit einem dicken Leinwandlappen, oder besser noch mit der abgelösten Cutis bedeckt, welche man mit ein paar Nadel- stichen befestigen kann, um sich gegen die erwähnten Verletzungen zu sichern. Ist dieses geschehen, so reinigt man den Herzbeutel von dem laxen Bindegewebe, welches ihn bedeckt, und überzeugt sich von seiner Eiuschiebung zwischen die beiden Mittelfelle. Der Zwerchfell- nerv liegt an seiner Seitenfläche dicht an. Gegen die obere Brust- apertur hinauf, wird das Bindegewebe eopiöser, nnd schliesst, wenn man an einer Kindesleiche arbeitet, die Thymusdrüse ein. Hinter diesem Bindegewebslager trifft man, an der rechten Mediastinum- wand anliegend, die obere Hohlvene, welche aus dem Zusammenfluss der beiden ungenannten Venen (Venae innomhuitae) entsteht. Die rechte ist kürzer, und geht fast senkrecht zur Hohlvene herab. Die linke muss einen weiteren Weg machen, um von links zur rechts gelegenen Hohlvene zu gelangen, und läuft deshalb fast quer über die hinter ihr gelegenen, auf- und absteigenden Blutgefässe herüber, wo sie die unteren Schilddrüsenvenen und wandelbare Herzbeutel- und Thymnsvenen aufnimmt. Jede ungenannte Vene, nach aussen verfolgt, führt zu ihrer Bildungsstelle aus der Vena jugularis communis nnd subclavia. Nun wird der Stamm der oberen Hohlader vorsichtig isolirt, Avobei man die in seine hintere W^and sich einpflanzende Vena azygos gewahr wird, welche im Cavum mediastini posterius an der rechten Seite der Wirbelsäule nach aufwärts zieht, und sich über den rechten Bronchus nach vorn krümmt, nm zur Cava superior zu stossen. — Hinter den genannten Venen liegt der Bogen der Aorta, ans dessen convexem Eande, von rechts nach links, 1. die Arteria innominata, 2. die Carotis sinistra, nnd 3. die Arteria sub- clavia sinistra entspringen. Man versäume nicht, auf etwa vor- kommende Ursprungsvarietäten dieser Gefässe zu achten. — ■ Hinter 7(4 §• 291. Lage der Eingeweide in der Brusthöhle. dem Aorteubogen stösst mau auf die Lut'trölire, und hinter dieser, etwas nacl» links, auf die Speiseröhre. — Die Arteria innominata theilt sich in die Arteria subclavia nnd Carotis communis dejtra. Diese Gefässe des Aortenbogens werden so weit verfolgt, als es n("»tliig ist, lim den Durchgang der Subclavia zwischen dem vorderen und mittleren Scalenus, und die geradlinige Ascension der Carotis cohtmunis zu selien. Vor der Artcria subclavia dextra. sieht man den Vagus, und am inneren Rande des Scalenus anticus den Ncnms phrenicus in die obere Brustapertur eindringen. Hinter der Sul)- clavia steigt der Ä\'rvus si/mpathicics in die Brusthöhle herab, und umfasst diese Arterie mit einer Schlinge — Ansa Vieussenii. Jetzt wird der Herzbeutel, welcher mit seiner Basis an das Centrum tendinewn diaphragmatis angewachsen ist, ge(')ffnet. Man ge- Avahrt, dass er, ausser dem Herzen, einen Theil der grossen Gefässe einschliesst, welche vom oder zum Herzen gehen. Er schlägt sich au diesen Gefässen nach abwärts um, um einen kleineren Beutel zu bilden, welcher au die Oberfläche des Herzens angewachsen ist. Der Herzbeutel verhält sich somit zum Herzen, wie die Pleura zur Lunge, — er ist ein seröser Doppelsack. Der äussere Ballen dieses Doppelsackes ist mit dem fibrösen Herzbeutel innig verwachsen. Der Herzbeutel wird nun von den grossen Gefässen abgelöst, um diese isoliren zu können. Man sieht die obere Hohlader gerade zur rechten Herzvorkammer herabsteigen. Wii'd das Herz auf- gehoben, so bemerkt man auch die untere Hohlader durch das Zwerchfell zur selben Vorkammer ziehen. Von der Basis des fleischigen Herzkörpers, welcher die beiden Herzkammern enthält, findet man die Arteria pulmonalis und die Aorta abgehen. Er.stere entspringt aus der rechten Herzkammer, und geht nach links und oben, letztere aus der linken Kammer, und läuft nach rechts und oben. Beide Gefässe decken sich somit gleich nach ihrem Ur- sprünge, so dass die Arteria jndnionalis auf dem Anfange der Aorta liegt. Man reinigt nun den Aortenbogen, und verfolgt ihn, um seine Krümmung über den linken Bronchus zu finden. — Am concaven Rande des Aortenbogens theilt sich die Arteria pulmonalis in den rechten und linken Ast. Der rechte Ast ist länger, und geht hinter dem aufsteigenden Theile des Aortenbogens und hinter der Cava superior zur rechten Lungenpforte; der linke, kürzere, hängt durch das Aortenband (obsoleter Ductus arteriosus BotalJi des Embryo) mit dem concaven Rande des Arcus aortae zusammen, und geht vor dem absteigenden Theile der Aorta zu seiner Lungenpforte, aus welcher (wie aus der rechten) zwei Venen zur linken Herzvorkammer zurücklaufen. Um letztere zu sehen, muss auch die hintere Wand des Herzbeutels entfernt werden. §. 292. Eintlieilung der Harn- und GeschlecMsorgane. 775 Alle diese Arbeiten erfordern eine vorläufig durch Leetüre der betreffenden Beschreibungen erworbene Kenntniss des relativen Lagenverhältnisses, und können ohne einen Gehilfen, welcher durch Finger oder Haken die bereits isolirten Gefässe aus einander hält, um Eaum für das Aufsuchen der tieferen zu schaffen, kaum unternommen werden. Hat man den Bronclms, die Arteria pulmonalis, und die beiden Venae pulmonales, bis zur Pforte der Lnng-e dargestellt, so kann man an ihnen die Lunge, wie an einem GrrifFe, aus der Brusthölile lieben, auf die andere Seite legen, durcli Klammern befestigen, und sich dadurch die Seitenwand des hinteren Mittelfellraumes zugänglich machen. Diese Seitenwand wird eingeschnitten, und gegen die Rippen zu abgezogen, worauf die hintere Wand des Bronchus er- scheint, welche der Yagus kreuzt, der hier seine Contingente zur Erzeugung des Plexus -pulmonalis abgiebt. Wurden beide Wände des Mediastinum vor der Wirbelsäule eingeschnitten und weg- genommen, so zeigt sieh, wie der Aortenbogen auf dem linken Bron- chus gleichsam reitet, ebenso wie rechts der Bogen der Vena azygos über den rechten Bronchus wegschreitet. Werden nun Herz und Lungen ganz entfernt, der Aortenbogen aber gelassen, so überblickt man die oben geschilderte Yerlaufsweise des Oesophagus, §. 258, als lange Spiraltour um die Aorta. Zugleich tritt der Inhalt des hinteren Mittelfellraumes vor Augen: die Vena azygos rechts, die nur halb so lange Vena hemiazygos links von der Aorta descendens, den fett- umhüllten Ductus thoracicus zwischen Vena azygos und Aorta. Ver- folgt man den Ductus thoracicus nach aufwärts, so findet man ihn hinter der Speiseröhre nach liuks und oben gehen, und in die hintere Wand des Vereinigungswinkels der Vena jugularis communis und subclavia sinistra einmünden. Beide Vagi begleiten, von der Lungenwurzel an, den Oesophagus; der Knotenstrang des Sym- pathicus läuft an den Rippenköpfchen herab, und liegt schon nicht mehr im Cavian mediastini. A. W. Otto, Von der Lage der Organe in der Brusthöhle. Berlin, 1829. — C. Ludwig^ Icones cavitatum thoracis et abdominis. Lips., 1750. — JS. Luschka, Brustorgane des Menschen. Tübingen, 18S7. , III. Harn- und GrescLleclitsorg'ane. §. 292. Eintheilung der Harn- und G-eschleclitsorgane. Die Harn- und Greschlechtswerkzeuge des Mannes (Organa uro-genitalia) stehen durch ihre Entwicklungsgeschichte, und durch das Zusammenfliessen ihrer Ausführungsgänge zu einem, beiden Werkzeugen gemeinschaftlich angehörigen, unpaarigen Ausmüu- dungsschlauch (Harnröhre) in so naher Verwandtschaft, dass sie, uno-eachtet ihrer sehr verschiedenen Functionen, als Einem ana- 776 8. -J'-'S. Nioron und Il;irnl.>it.>r. tdinisclicn Svstoinc an^clirn-cnd Ix'lraclitet werden. I )iese Einholt, welclie im iii;iiiiili(lien (ieselileclite vollstänflii^er liervortritt. nls im •\veihliclien, spricht .sich aucli durch das Verlialten der Schleimhiuit .ins, Avelche ohne Uutorhrechiiuu;' die innere Oberfläche der llarn- iind der Geschleelitsorj^ane, als Zweige Eines Systems anskleidet. Die männliclien und Aveiblichen llarnwerkzenge bestehen ans paarigen, den Harn absondernden Drüsen mit deren Ansführnngs- gängen (Nieren und Harnleiter), und ans einer unj)aarigen »Samm- Inngsblase des Harns (Harnblase), welche durch die Harnröhre an der Leibesoberfläche ausmündet. Dieselbe Eintheilung lässt sich auch auf die Qol) liegen in der J-iet/io lumbalis der Bauchhöhle, extra cavinn peritonei, an der vorderen Seite des MuscuIks quadratuö liunliurum. Sie grenzen nach vorn unmittelbar an das über sie wegstreichende Bauchfell, und mittelst dieses au das Colon ascen- (lens (rechts), Colon descendenti (links), nach innen an die Pars lani- hidts des Zwerchfells, und nach oben an die Nebenniere. Die rechte Niere liei>t etwas tiefer als die linke, da sie durch die voluminöse §. 293. Nieren und Harnleiter. 777 Leber mehr lierabgedrückt wird. — • Die Grestalt der Nieren ist bolmenförmig', der äussere Rand convex, der innere eoneav, nnd mit einem Einschnitte (Stigma der Bohne) versehen, welcher als Aus- nnd Eintrittsstelle der Nierengefässe dient, iind deshalb, wie bei der Lunge, Leber, und Milz, Hüus s. Porta genannt wird. Ihre Farbe ist rothbraun, bei Blutcongestion dunkler und blauroth; ihre Consistenz bedeutend; ihre Länge fast das Doppelte der Breite. Da die Nieren um so flacher erscheinen, je länger sie sind, so bleibt ihr Yolumen und ihr Gewicht ziemlich constant. Letzteres beträgt durchschnittlich vier Unzen. Ein Lager fettreichen und lockeren Bindegewebes umgiebt sie als Capsula adiposa, und sichert ihre Lage, jedoch nicht so verlässlich und unverrückbar, dass nicht in Folge mechanischer Einwirkungen, z. B. Schnüren bei Frauen, Druck von benachbarten Geschwülsten, consecutive Lageveränderungen einer oder beider Nieren auftreten. Die Nieren können selbst ausnahmsweise, durch Lockerung ihrer Ver- bindungen mit der Umgebung, und durch Verlängerung der Gefässe, an welchen sie hängen, eine solche Verschiebbarkeit erlangen, dass die praktischen Aerzte sie als wandernde Nieren zu bezeichnen pflegen. Man hat solche wandernde Nieren vor der Wirbelsäule, am Promontorium des Kreuzbeins, in der Fossa iliaca, in der kleinen Beckenhöhle, selbst zwischen den Platten des Dünn- darmgekröses angetroffen. Es lässt sich leicht entscheiden, ob eine abnorme Nierenlage angeboren oder erworben ist, da sich im letzteren Falle der Ursprung der Nierengefässe normal, im ersteren abnorm verhalten wird. — Angeborene Lage beider Nieren auf der rechten Seite (die linke über der rechten) habe ich in meinem langen anatomischen Leben nur einmal gesehen. Die äussere glatte, wohl auch Furch enspiiren enthaltende Ober- fläche der Nieren wird von einer dicht anschliessenden fibrösen Hülle (Tunica propria s. Capsula ßhrosa) überzogen, welche sich sehr leicht abziehen lässt, und am Hilus in das Parenchym der Nieren eindringt, um auch jene Höhle des Nierenkörpers auszu- kleiden, in welcher das später zu erwähnende Nierenbecken sammt den Stämmen und primären Zweigen der Blutgefässe lagert. Diese Höhle ist der Sinus renis. Schneidet man eine Niere ihrer Länge nach, vom convexen gegen den concaven Rand durch, so findet man, dass ihre Substanz keine gleichförmige ist. Man bemerkt grauliche, dreieckige, mit der Basis gegen den convexen Rand gerichtete Stellen (Substantia medullaris), und eine sie umgebende braunrothe Masse (Substantia corticalis). Diese Benennungen, die dem blossen Ansehen entnommen wurden, sind jedoch veraltet. Ich gebrauche aus gleich zu erörtern- den Gründen für Substantia medullaris den Namen Substantia tubu- losa, und für Substantia corticalis, lieber Sid)stantia vasculosa s. glonie- rtdosa. Die dreieckii>-en Stellen an der Durchschnittsfläche der Niere / / 8 §• -93. Nitren und Harnleiter. sind die Durchsehuitte der Malpighrsclien Pyraiii i deu, deren iiae-Ii dein HIlu.s gerichtete, al)i^eriindete Spitzen Nieren wärzehen, Papulae renales, lieissen. Die Zalil der Pyramiden in einer JSiere übersclireitet nur selten sechzehn. Sind ihrer weniger, so erscheinen sie breiter und dicker. Die zwischen den j\rali>igh i'siclien Pyiauiidtn einthiugenJen Massen von Corticalsubstanz, lieissen i'nlumvae Bertini. Nicht selten fehlen zwischen zwei nachbarlichen Pyramiden die cJitsprechenden Columnae, wodurch es zur Verschmelzung dieser Pyramiden kommt, und sogenannte / willingspyra- miden entstehen, deren Wärzchen doppelt so gross sind, als jene der ein- fachen. Bei sehr vielen Säugethieren fehlen die Columnae Bertini gänzlich, wodurch sämnitliche Pyramiden ihre gegenseitige Isolirung einbüssen, und zu einer einzigen grossen Pyramide, iiiit einfacher, breiter Nierenwarze ver- schmelzen. Ich erwähne noch, dass man an den Pyramiden auch kleine, konische, in die Riudensubstanz eindringende, nicht immer deutlich hervortretende Fort- sätze, als Pyramidenfortsätze anführt. Sie werden wohl nur dadurch er- zeugt, dass die von der Rinde in die Pyramide übergehenden Harnkanälchen und Blutgefässe, sich schon früher, bevor sie die eigentlidie Pyramide betreten, zu kleineren Bündeln sammeln. Die Nieren Neugeborener sind an ihrer überfläclie nicht glatt, sondern mit Furchen gezeichnet, also gelappt (Renes lobatij. Jeder Lappen entspricht einer Pyramide, mit zugehöriger Corticalsubstanz. Bei vielen Säugethieren (Fischotter, Bär, Seehund, Delphin) greifen die Furchen so tief ein, dass die gesammte Niere in viele, völlig isolirte Keilstücke (Revunculi) zerfällt, deren jeder seine besondere Mark- und Rindensubstanz besitzt. Angeborene Verschmelzung beider Nieren an ihren unteren Enden, welche sich vor der Wirbelsäule und der auf ihr liegenden Aorta begegnen, wird als Hufeisenniere nicht so selten beobachtet. Der Bau der Nieren, iin allgemeinen Umriss nur gezeichnet, g-iebt folg-endes Bild. Die sehr mächtige Arteria renalis verästelt sich nur in der Suhstautia corticalis. Sie dringt, vom Ililus aus, mit mehreren Aesten zwischen den Malpighi'schen Pyramiden gegen die ()1)erfläche der Niere vor. Sie zerfallt in immer kleiner und kleiner werdende Zweigchen, welche nie mit einander anastomosiren. Bevor diese arteriellen Zweigchen capillar werden, knäueln sie sich auf, und bilden die sogenannten Gefässknäuel, Glomeruli renales s. Cor- jyvscula Malpigldi. Diese Knäuel werden von häutigen Kapseln um- geben. Während der Aufknäuelung spaltet sich die Arterie mehrmal, geht aber, nachdem .sie durch die Vereinigung ihrer Spaltungsäste wieder einfach geAvorden, an derselben Stelle aus dem Knäuel wieder heraus, an welcher sie in ilm eintrat, und löst sich nun erst in capillare Verzweigungen auf, aus welchen sich die Anfänge der A enen hervorbilden. Die Grösse der Knäuel beträgt zwischen 0,01 bis 0,06 Linie. Ihre Zahl ist Legion. An wohl gelungenen Injections- präparat(m scheint die Suhstantia corticalis nur ein Aguregat von §. 293. Nieren uud Harnleiter. 7/9 QlomeruU zu sein, weslialb sie eben Substantia glomerulosa von mir genannt wurde. — Die Harnkanälclien (Tubuli uruüferi) nehmen ihren Anfang aiis den Kapseln der Malpighi'scheu Körperclien. Jede solche Kapsel hat nämlich eine OeiFnimg, welche der Eintritts- stelle der Knäuelarterie in die Kapsel gegenüber liegt. An dieser OefFnung beginnt ein Harnkanälchen. Die Harnkanälchen, deren es also so viele als Kapseln giebt, verlaufen anfangs geschlängelt durch die Corticalsubstanz als Tubuli contorti, und treten dann in die Pyra- miden ein, um in ihnen früher oder später schlingeuförmig umzu- beugen (Ansäe Henlei), und zur Corticalsubstanz zurückzukehren, in welcher sich mehrere derselben, unter mannigfaltigen Krümmungen, zu einem grösseren Stämmchen verbinden. Diese Stämmchen treten neuerdings unter dem Namen der Tubidi Belliniani s. recti in die Pyramiden ein, in welchen sie vollkommen geradlinig, imd pro- gressiv je zwei und zwei unter sehr spitzigen Winkeln zusammen- fliessend, gegen die Warze der Pyramide verlaufen. Die spitz- winkelige Yersehmelzung je zweier Tuhtdi Belliniani wiederholt sich so oft, dass an der Warze selbst, von der sehr grossen Anzahl der in die Pyramide eingetretenen Tubuli, nur noch ungefähr vierzig erübrigen, also nicht vier- bis fünfhundert, und noch darüber, wie die mit Zahlen freigebigen Schulbücher sagen. Die Oeffnuugen, mit welchen die Tubuli Belliniani an der Nierenwarze münden, sind das Crihrum benedictum der alten Anatomen, Avelche von der Wichtig- keit der Harnsecretion, und den lethalen Folgen ihres Unterbleibens dieselbe richtige Yorstellung hatten, wie wir. Jede Malpighi'sche Pyramide der Marksubstanz ist somit nur ein Bündel von Tidndi Belliniani. Ich gebrauche deshalb den Namen Substantia tuhidosa statt medidlaris. Durch die wiederholte gabelförmige Verschmelzung der Tubuli, und die dadurch bedungene, gegen die Warze fortschrei- tende Yerminderung ihrer Zahl, wird eben die Pyramidenform des Bündels gegeben. Da circa 40 Oeffnungen an der Warze einer Pyra- mide vorkommen, so muss das Röhrchenbündel einer Malpighi'- schen Pyramide auch aus circa 40 Theilbündeln (Pyramides Ferreinii) bestehen. Die Pyramiden enthalten aber, ausser den Ansäe Henlei und den geradlinigen Tubidi Belliniani, auch sehr zahlreiche Capillar- gefässe, welche aus dem Capillargefässsysteme der Substantia corti- calis abgehen, tief in die Pyramiden hineindringen, und sich durch bogenförmige Uebergänge gegen die Nierenwarze zu, an Zahl so reduciren, dass in der Warze selbst, nur etwa ebensoviel Capillar- gefässschlingen vorkommen, als Tubidi Belliniani daselbst ausmünden. Diese Blutgefässschlingen liefern offenbar das Materiale, aus welchem die zwischen ihnen lagernden Ansäe Henlei und Tuhidi Belliniani 780 §• -»3. Niorpn und Harnloiter. den ll;ii-n Itcrciton, welcher :iiis den ()en'minL;('n der Pttpilhte renales .•ihti-äiitelt. Die Tiibuli JJelUniani waren seilen dein Kiistachius bekannt, welcher sie Sulci und C'analirul! nannte. Laiir. Ilrllini erkannte zuerst ihre Ver- wenrlnnEf als harnhereitende Kanäle fJJe structura renum. Flor., IIJUQ). Die Piipilhie renales werden von kurzen, liäiilij;"eii Schläuclien iiiiir;iNst, in Avelclie die Papillen wie Pfropfen liineinrag-en. Diese Scliläiu'iie sind die N ierenkelclie ((\dices renales minores), -welche zu zwei oder drei in Aveitere Scldänclie überi;elien ((\iUees majores), durcli deren ZnsamnienHus.s endlicli der g'rös.ste Calix entsteht — das Nierenbecken, Pelvls renalis. Das Nierenbecken liegt hinter der Arteria nnd Vena renalis im Ilihfs nnd Sinas renis, und geht, trichterförmig sich verengend, in den Harnleiter über (Ureter), welcher an der vorderen Fläche des Psoas maijwis herabsteigt. Am Einj^ano" des kleinen Beckens kreuzt er sich mit der Arteria und Vena iliaca communis, tritt hieranf in die PUca Douglasii ein, in welcher er, mit dem entgegengesetzten Ureter convergirend, zur hinteren Wand der Harnblase gelangt, sich hier beim Manne neuer- dings mit dem Vas deferens kreuzt, und am Grunde der Harnblase, deren Muskel- und Schleimhaut schief durchbohrt wird, in die Blasenhöhle einmündet. Der aus den Papillae renales hervorquellende Harn durchströmt also, auf seinem Wege zur Harnblase, die klei- neren und grösseren Nierenkelche, das Nierenbecken, nnd den Harn- leiter. Im weil)lichen Geschlechte fassen lieide Ureteren, bevor sie zum Blasengrund kommen, den Hals der Gebärmutter zwischen sich, woraus es sich erklärt, warum mit Anschwellung verbundene Erkrankungen der Gebärmutter, ein mechanisches Impediment der Harnentleerung, mit consecutiver Erweiterung der Ureteren, und der mit ihnen zusammenhängenden übrigen Haruwege im Nierenparen- chym abgeben können. — Nicht eben selten finden sich im Hilus renis ZAvei Niei'enbecken vor, ein grösseres und kleineres. Damit hängt notlavendig auch Verdopplung des Harnleiters zusammen. Grosse und kleine Nierenkelche, Nierenbecken und Harnleiter, bestehen aus einer äusseren Bindegcwebsniembran, worauf eine zweischichtige, längs- und quergefaserte organische Muskelschichte, und zuletzt eine Schleimhaut mit mehrfach geschichtetem Epithel folgt, dessen oberflächlichste Schichte aus niedrigen Cylinderzellen besteht, welche ihrer gegenseitigen Abplattung wegen, auch für Pflasterzellen ausgegeben werden können. Meine Abhandlung: Ueber das Nierenbecken des Menschen und der Säugethiere, im XXXI. Bande der Denkschriften der Wiener Akademie, enthält bisher unberücksichtigt gebliebene Verhältnisse der Niere, insbesondere der Harnwege. — Ueber die topographischen Verhältnisse der weiblichen Ureteren handelt Luschka, im Archiv für Gynäkologie, HI. Bd. Unterwirft man eine durch Arterien injicirte Niere der Corrosion, welche das ganze Nierenparenchym zerstört, und nur den injicirten Gefässbaum unver- §. 294. Näheres über Einzelnheiten der Nierenanatomie. 781 sehrt übrig lässt, so kann man mittelst einer, zwischen die beiden etwas er- wärmten primären Spaltungsäste der Nierenarterie eingeführten Pincette, welche man federn lässt, den Gefässbaum in zwei Schalen, wie eine gähnende Auster, aus einander legen, eine dorsale und ventrale. Die beiden Schalen stehen in gar keiner Gefässverbindung unter einander, d. h. eine Arterie der dorsalen Schale greift nie in die ventrale Schale über, und umgekehrt. Wurde auch das Nierenbecken vom Ureter aus injicirt, so sieht man dieses zwischen den beiden Schalen eingeschlossen liegen. Da das Gesagte für alle Säugethier- nieren gilt, machte ich aus ihm das Gesetz der natürlichen Theilbarkeit der Niere. Eine, den grössten Umfang der Niere umsäumende Linie, durch welche die dorsale und ventrale Schale derselben von einander abgemarkt werden, mag Niere näquator heissen. Ich halte die Sache nicht blos für ein anatomisches Curiosum, — sie lässt sich auch pathologisch verwerthen. Meine Corrosionspräparate über die natürliche Theilbarkeit der Niere, erregten auf den Weltausstellungen solches Aufsehen, dass ich Jahre lang beschäftigt war, fremde anatomische Museen damit zu versehen. §. 294. Mheres über Einzelnheiten der lierenanatomie. 1, Malpiglii'scTie Körperclien. Sie gehören, Avie gesagt, nur der Rindensubstanz der Niere an. Die in den Gefässknäuel eines Malpighi'sclien Körpereliens eintretende Arterie ist nicht capillar. Sie löst sieh erst nach ihrem Austritte aus dem Knäuel in capillare Zweigchen auf. In das Mal- pighi'sche Körperchen eingetreten, theilt sich die Arterie mehrmal in kleinere Aestchen, welche sich Avieder zu einem einfachen austretenden Stämmchen vereinigen. Das Zerfallen einer grossen oder kleinen Arterie in Aeste, und das Wiedervereinigen der Aeste zu einem einfachen Stämmchen, nennt man: bipolares Wundernetz, ein Name, welcher schon A^on Galen für Geflechte grösserer Arterien an der Gehirnbasis gewisser Säugethiere gebraucht wurde (§L%xoeiöeg nlrff^ia). Die Malpiglii'schen Körperchen sind also wahre Wundernetze, aber nicht in der Fläche ausgebreitet, sondern durch Aufknäuelung zusammengeballt. — Das austretende Gefäss eines Knäuels hat ein kleineres Kaliber als das eintretende, — ein Umstand, welcher den Gedanken anregt, dass in Folge der Blut- stauung im Knäuel, Avelche durch die Ungleichheit des Zufuhrs- und Abziigsweges gegeben ist, der wässerige Bestandtheil des Blutes durch die Wände der Knäuelgefässe durchgepresst wird, das Blut in den Knäuelgefässen somit an Quantum verliert und an Consistenz gewinnt, d. h. eingedickt Avird. Ludwig meint, dass das austretende Gefäss eines injicirten Knäuels nur deshalb enger als das eintretende erscheine, weil der Injectionsdruck stärker auf das eintretende als auf das austretende wirkt. Ich kann erwidernd nur anführen, dass, wenn diese Meinung berechtigt wäre, das austretende Gefäss eines Knäuels um so enger" erscheinen müsste, je zahlreicher die Theilungen und Aufknäuelungen des eintretenden Gefässes sind, und umgekehrt. Aber 7ö2 §• 204. Nftlieres ftlior Eiii/tfliilioilen cU>r Niorpiinnalomie. gerade bei beschuppten Amphibien, deren kleine Knäuel nur wenig Kiüni- niungen aufweisen (wie bei Testudo, Coluber, Pseudopus), ist der Dicken- unterschied des austretenden Gefässes zum eintretenden sehr auffallend, so wie gegentheilig, bei nackten Am]>hibion, deren Knäuel gross und sehr verschlungen sind, der Unterschied weniger in die Augen fällt. Weder grössere noch kleinere Zweige der Arteria renalis treten je mit einander in anatomische Verbindung. Jedem Aste der Nicrenarterie entspricht somit ein, nur von ihm allein versorgter Bezirk der Rindensubstanz. Die Venen fügen sich dieser Regel nicht. Die in den Colunmae Bertini verlaufenden grösseren Stämme derselben, gehen um die Malpighi'schen Pyramiden herum kranzförmige Anastomosen ein. — Die in den Wänden des Nierenbeckens und der Nierenkelche sich verzweigenden Arterien, ])ildon keine Knäuel. 2. Capillargetasf;netze der Niere. Erst die aus den Knäueln dei- M al j)ii;1ii'selien Körperclien herausgetretenen Arterien werden eapillar, und l)ildeu in der Rinden- substanz der Niere durch Anastomosen Netze, in Avcdchen die Mal- pighi'schen Knäuel wie einges})rengt liegen. Durch die Maschen dieses Gefässnetzes müssen sich die in der Rinde vorfindlichen Ilarukanälchen hindurchwinden. Ferner gehen aus diesen Capillar- gefässnetzen lange und unverästelte Zweige liervor, welche in die Malpighi'schen Pyramiden eindringen, zwischen den Tnhdi Belli- niani ^egen die Papilla renalis verlaufen, und während dieses Laufes, oder erst am Ende desselben (in der Papilla selbst) schlingenförmig in einander übergehen. Diese Schlingen sind überaus zahlreich. Sie ähneln an Zahl und Form den im vorhergehenden Paragraphe er- wähnten Ansäe Henlei. Nur diese Aehnllchkeit habe ich in meiner Abhandlung (lieber Injection der Wirbelthierniere, Sitzungsberichte der Wiener Akad., 1863) erwähnt. Es fiel mir nicht ein, He nie eine Yerwechslung- dieser Gefässschlingen mit den von ihm ent- deckten Schlingen zuzumuthen, wie mich Jene beschuldigen, welche meine Schrift nur oberflächlich oder 2:ar nicht o-elesen haben. Die Venen der Substantia corticalis ergiessen sich in grössere Stämme, welche die Basen der Xierenpyramiden kranzartig umgeben CArctis venosij. Diese Arcus sammeln das Blut aus der Cortical- und Marksubstanz. Die kleinen Venen der Corticalsubstanz verbinden sich sternförmig zu grösseren Stäminchen. Die sternförmigen Venenfiguren, welche man in ihrer natürlichen Blutfüllung häufig genug an der Oberfläche der Corticalsubstanz wahrnimmt, sind die sogenannten Stellulae Verheyenii. — lieber die Venen der Niere handelt aus- führlich Lenhossek, im Archiv für path. Anat., 68. Bd. — Dass kleine Venen der Rindensubstanz die fibröse Kapsel der Niere durchbohren, und in die Venen der Capsula adiposa einmünden, wurde von Stein ach bemerkt. (Wiener akad. Sitzungsberichte, 1884.) 3. Kapseln der Malpighi'schen Körperchen, und Harn- kauälchen. Die häutige Kapsel, von welcher jedes Mal pighi'sche Körper- chen umschlossen Avird, hat zwei Oeffnungen, eine für die ein- und §. 294. Näheres über Einzelnlieiten der Nierenanatomie. 783 austretenden Arterien des Malpig'lii'sclien Körperchens: — eine zweite, der ersten gegenüber stehende, als Beginn des Harnkanäl- chens. Die Kapsel besteht aus structurloser oder undeutlich ge- faserter Wand, mit Pflasterepithel. Sie umschliesst das in ihr liegende Malpighi'sche Körperchen ziemlich lose. Ob die Harnkanälchen der Kindensubstanz nur mit Einer, oder mit mehreren Knäuelkapseln in Zusammenhang stehen, ist noch unentschieden. Liegt der Malpighi'sche Gefässknäuel nackt in der Kapsel, oder erhält er einen Ueberzug von ihr? Es fehlt nicht an Autoritäten, welche in der Kapsel der Malpighi'schen Körperchen nur Eine Oeffnung, jene des begin- nenden Harnkanälchens annehmen, und sich das Verhältniss der Kapsel zum Körperchen so vorstellen, wie jenes der serösen Häute zu den von ihnen um- schlossenen Organen, d. h. sie lassen die Kapsel durch das Malpighi'sche Körperchen eingestülpt sein, und letzteres somit nicht frei in der Höhle der Kapsel liegen, sondern von dem eingestülpten Antheil der Kapselwand über- zogen werden. Ich kann dieser Ansicht nicht beipflichten, weil sie eben nur eine Ansicht ist. Nicht die Kapsel, wohl aber ihr Epithel setzt sich auf die Oberfläche des Malpighi'schen Körperchens fort. Es wäre der Ausscheidung von Blutserum aus den Malpighi'schen Knäueln in die Höhle der Kapsel wahrlich nicht geholfen, wenn die Knäuel, der eben gerügten Vorstellung nach, ausser der Kapsel lägen. Die Kapsel verwächst vielmehr an der Ein- und Austrittsstelle der Arterie des Malpighi'schen Körperchens mit dieser Arterie, ohne sich auf das Körperchen umzustülpen, welches somit frei in der Höhle der Kapsel liegt. 4. Harnkanälchen. Vom Ursprünge eines Harnkanälchens aus der Kapsel des Malpighi'schen Körperchens, bis zur Mündung desselben an der Papilla renalis, lassen sich an ihm vier Abtheilungen unterscheiden: 1. der Tnhulus contortns in der Substantia corticalis, 2, die Ansa Henlei in der Malpighi'schen Pyramide, 3. das geschlungene Ver- laufsstück des rückläufigen Schenkels der Ansa in der Einde, und 4. der geradlinige Tuhulus Bellinianus in der Pyramide. Die Harnkanälchen bestehen, in allen diesen vier Kategorien, aus struc- turloser "Wand und Epithel. Das Epithel ändert sich aber nach dem Kaliber der Kanälchen. So findet sich in den, 0,02 Linie weiten Tubuli contorti ein, dieselben fast ganz ausfüllendes Epithel aus Pflasterzellen, mit feinkörnigem, den Kern verdeckendem Inhalt; — in den engen Ansäe Henlei (0,008 Linie), ein Epithel aus hellen ovalen Zellen, welche aber in dem aufsteigenden, sich etwas erweiternden Schenkel der Ansäe, wieder feinkörnigen Inhalt führen. In den stärkeren Tubuli BelUniani findet sich Cylinderepithel, — in den feineren und in den gcschlängelten Verbindungsgefässen derselben mit den Ansäe Henlei helles Pflasterepithel. — Diese Structurverschiedenheiten verschiedener Ab- schnitte der Harnkanälchen, lassen auch auf einen verschiedenen Antheil der- selben an der Harnbereitung schliessen. Worin dieser Antheil bestehe, kann zur Zeit Niemand sagen. Ebenso verschieden sind die pathologischen Zustände der Bellini'schen und Henle'schen Harnkanälchen. Der Harnsäure-Infarct beschränkt sich nur auf erstere, — die Incrustation mit Kalksalzen und die Fettinfiltration nur auf letztere. 784 §■ -94. Näheres Über Ein/.i'liilioitt'ii der NierenaiiMtomie. 5. Yori^-an«;- (Ut llaniltcriMtiiiii;. ^Venn die ^ewimdciicii Artcrii'ii eines jNI a 1 pi i; li i'sclieii Kor- pert'lieiis, zutnl^c des in ilinen i;('steiiierteii IMiitdruekes, den wässe- rigen IJlutlx'standtlieil (S(')-uiii) durclisickern lassen, so muss dieser von der Kapsel, welche das Körperclien iinigielit, aufg-efangen werden, und da die Kapsel sicli in ein Ilarnkanälelieu fortsetzt, so wird er sofort in letzteres einstnhnen. Die ;;ewiindeuen Ilarn- kanälclien sind aber in der Kindeusubstauz der Niere mit den Maschen der Capillargefässe in innigem Contact; und ebenso stehen auch die Fortsetzungen der gewundenen Harnkanälehen als Ansäe Hetdi'i, und die geradlinigen Tnhull BiHiniinü in der Substanz der Nierenpyramiden, mit den bei-eits erwi'ilmten langgestreckten Gefäss- scldingen, welche mit denn ('apillari;(*fässnetz der Rindensubstanz zusammenhängen, in allseitiger Berührung. Das l'apillargefässnetz der Kiudeusul)stauz, und die mit ihm zusammenhängenden Schlingen in den Pyramiden, führen aber eingedicktes IJlut, weil sie jenseits der Gefässknäuel der Rindensubstanz liegen. Dieses eingedickte Blut enthält die stickstoilVeichen, zur Ausscheidung bestimmten Zer- setzungsproducte des Stoffwechsels, während die Harnkanälehen blos Blutwasser führen. Wenn nun zwei chemisch verschiedene Flüssig- keiten durch eine thierische Haut (hier die äusserst dünnen Wan- dungen der Harnkanälehen und der Capillargefässe) von einander getrennt sind, so geschieht, durch die trennende Wand liindurch, ein wechselseitiger Austausch ihrer Bestandtheile, in Folge dessen das Serum in den Harnkanälehen, durch Aufnahme der auszuschei- denden, stickstoffigen Bestandtheile des Blutes — Harnstoff und Harnsäure — zu Harn Avird. Dieses Wenige mag genügen, um dem Antänger beiläufig eine Idee vom Hergange der Harnliereitung zu gel)en, und es ihm ver- ständlich zu machen, Avaruni die Nieren, welche dieser Darstellung zufolge Reinigungsorgane dcvs Blutes von unbrauchbaren, ja höchst schädlichen Auswurfsstolfen sind, so nahe au dem Hauptstamme des Arteriensystems liegen, so grosse Schlagadern erhalten, und eine grössere Menge Absonderungsflüssigkeit liefern, als die um so viel umfangreichere Leber. Die Schlingen der Harnkaiiälcheu in den Pyramiden der Nieren ent- deckte Henle (Zur Anatomie der Nieren. Gott., 1862). Er war aber der Meinung, dass diese Schlingen mit den Tubuli Bellininni nicht zusammen- hängen, sondern, wie ihr absteigender Schenkel aus dem Tubulus contortus einer Bowman"schen Kapsel hervorgeht, so auch ihr rückläufiger Schenkel auf dieselbe Weise mit einer Bowman'schen Kapsel zusammenhängt. Henle fasste also die Schlingen als ein für sich bestehendes, besonderes ^^analsystem in der Niere auf, welches, zum Gegensatz des an der Nierenwarze offenen Systems der Tubuli Bellininni, als geschlossenes Kanalsystem zu betrachten §. 295. Neliennieren. 785 sei. Eine Unzahl von Specialabhandlungen über diesen Gegenstand, von welchen ich nur jene von Roth, Herz, Kollmann, Steudener und Schweigger- Seidel nenne, hat es nun mit mehr weniger Beweiskraft dargelegt, dass das von Eenle als anatomisch selbstständig aufgefasste System der Harnkanälchen, mit dem Belliniani'schen Kanalsystem ein Continuum bildet. Es gab nur Einen Weg, diese Continuität zu beweisen, und dieser war die Eüllung der Bowman'schen Kapseln vom Ureter aus, bei welcher Füllung die Injections- masse durch die TubuU Belliniani in die Ansäe HenJ.ei, von diesen in die Tubuli contorti, und so fort in die Kapseln der Malpighi'schen Körperchen getrieben werden musste. Dieses Kunststück gelang Schweigger- Seidel an der Niere eines fünfmonatlichen Embryo. Mir ist es nicht gelungen. 6. Intermediäre Nierensiibstanz. Ausser Blut- und Harngefässen besitzt die Niere noeK eine eigenthümliehe, zwisclien den Blut- und Harngefässen eingelagerte, und diese verbindende, intermediäre Substanz. Blut- und Harn- gefässe allein könnten dem Nierenpareneliym nicht jene Derbheit verleiben, welche ihm thatsächlich zukommt. Bowman nennt die Zwischensubstanz ein granulirtes Blastem, Toynbee lässt sie aus Zellen bestehen. Wir betrachten sie als ein mehr weniger homo- genes Bindegewebe, dessen fibrillärer Zerfall besonders in der Nähe der Grefässwandungen deutlich hervortritt. Organische Muskelfasern wurden in ihm, entlang den Blutgefässen, nachgewiesen. Blattartige Ausbreitungen dieser Bindegewebssubstanz, sollen ferner lappen- förmige Abtheilungen des Nierenparenchyms umschliessen, und um sie herum förmliche Kammern bilden, welche mit den Saugadern in offener Verbindung stehen. §. 295. Nebennieren. Nebennieren oder Obernieren, Glandulae suprarenales, Renes succenturiati s. Capsulae atr abiliar iae, gehören functionell ganz gewiss nicht zum uropoetischen System. Nur die freundnachbarliche Beziehung zwischen ihnen und den Nieren, lässt ihre Untersuchung sich hier anreihen. Ihr Daseinszweck ist völlig unbekannt. Sie sind zwei dreiseitige flache, gelbbraune, scheinbar drüsige Organe ohne Ausführungsgang, welche mit einer concaven Fläche am oberen Ende der Nieren aufsitzen, ohne mit ihnen in Grefässverkehr zu stehen. Ihre hintere, etwas convexe Fläche liegt auf der Pars lum- halis diapliragmatis auf. Die vordere, mehr geebnete Fläche der rechten Nebenniere berührt die Leber, jene der linken den Magen- grund. Die vordere und hintere Fläche sind gefurcht. An der vor- deren Fläche findet sich, nahe der Basis, ein tiefer Einschnitt, Hilus, durch welchen die Hauptvene des Organs hervortritt. Die Arterien benützen wohl den Hilus als Eintrittspforte, treten aber auch von anderen Seiten her in die Drüse ein. Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl. öO i 86 §. -95. Nelu'iiniert'n. Die Nebt'iitiierc besitzt eine fibröse riiiliülliiii^>Ii;iut, und inner- halb derselben eine derbere Rinden- und eine Aveichere, wie schwammige Marksubstauz. Von der Umliüllungshaut dringen Faserzüge in die Rin(h*nsul)stanz ein, um sie taclierig al>zutheilen. Die einzelnen J^ächer ersclieincn Ix'i mikr()sk(»|iischer Untersuchung mit Zellen gefüllt, welche sich der Länge nach an einander reihen. Die mittleren Zellen einer Reihe verschmelzen zu länglichen Schläuchen, während die an den End})unkten einer Reihe liegenden nnverschmolzen bleiben. Die Zellen beherbergen nur einen Kern; die Schläuche mehrere — bis zwanzig. Was das für Zellen sind, weiss man bis jetzt noch nicht. Sie haben deshalb auch noch keinen Namen erhalten. — Die Marksubstanz besteht aus einem Netzwerk von weiten Capillargefässen (besonders Venen) und lockerem Binde- gewebe, in welchem dreierlei Formen von Zellen lagern: 1. kern- führende Zellen, von cylindrischer oder prismatischer Gestalt, jenen in der Corticalsnbstanz ähnlich, und ebenso namenlos wie diese; 2. wahre kleine Ganglienzellen, aber ohne Aeste, also insular; 3. wahre grosse Gauglienzelleii der breiteste Theil oder Grund, welcher beim Manne auf dem Mittelflei.sche und einem Tlieil der vorderen Mastdarmwand autruht, beim Weibe da- i;eg"en auf der vorderen AYand der Mutterscheide. Die Seitenwände der ]>lase Averden dureli die Ligamenta vesico-umhilicalia lateralia (obliterirte Nabelarterieu) mit dem Nabel verbunden. Jenen Theil des Blaseng-rundes, von Avelchem die Harnröhre abgeht. Blasenhals (Collum vesicae) zu nennen, ist wohl üblich, aber ganz und gar unpassend. Ebenso unrichtig ist es, diesem Blasen- halse die Gestalt eines Trichters zuzuschreiben, dessen weites Ende gegen die Blase sieht, dessen engeres Ende in die Harnröhre fort- läuft. Keine anatomische Autopsie rechtfertigt diese Annahme. Man findet an aufgeblasenen und getrockneten Harnblasen die Harnröhre immer nur mit einer scharf gerandeten, nicht trichterförmig gestal- teten Oeffnung beginnen. Wenn man den Terminus eines Blasen- halses schon nicht aufgeben will, so kann nur (h-r erste Abschnitt der Harnröhre, welcher von der Prostata umwachsen ist (Pars prostatica vrethrae), mit diesem Namen bezeichnet werden, da er als der enge Hals der Aveiten Harnblase angesehen Averden mag, wie es denn Avirklich in allen alten Anatomien gescliieht, Avelche die Pars prostatica urethrae als Collum vesicae behandeln. Aus Luschka's Untersuchungen über die Reste des embryonischen Urachus im Erwachsenen (Arcliiv für path. Anat., Bd. XXIII), hat sich er- geben, dass der Urachus nicht immer zu einem soliden Bindegewebsstrang eingeht, sondern, wenigstens theilweise, seinen ursprünglichen Charakter als Hohlgang beibehält. Es orstrcckt sich nämlich zuweilen eine röhrenartige Ver- längerung der Blascnscliloimhaut in seiner Axe mehr weniger weit gegen den Nabel hinauf. Diese Verlängerung kann sich von der Blasonhöhle abschnüren, durch Verwachsung ihres Anfangsstückes am Blasenscheitel. Ihr Verlauf gegen den Nabel kann Windungen bilden, und durch grössere oder kleinere Aus- buchtungen knotig erscheinen. Die Ausbuchtungen können auch durch Ab- schnürung zu selbstständigen Cj'sten werden. Man unterscheidet an der Harnblasenwand, von aussen nach innen gehend, folgende Schichten: 1. Einen nur an ihrem Scheitel, an der hintereu und an der seitlichen Wandung vorhandenen Bauchfellüberzug; 2. eine aus Längen- und Ringfasern bestehende organische Muskelhaut, deren Längenfasern als Detrusor urinae benannt Averden, und deren Kreisfasern um die BlasenöfFnung der Urethra herum den Sphincter vesicae bilden; 3. ein submucöses Bindegewebe, mit elastischen Fasern reich- licli gemischt, und 4. eine Schleimhaut, Avelche im leeren Zustande unregelmässige Falten bildet, und besonders gegen den Blasenhals hin, zahlreiche §. 297. Praktisclie Bemerkungen über die Harnblase. iov kleine Sehleimdrüschen enthält. Ein mehrseliiclitiges Epithel, die Mitte haltend zwischen Pflaster- nnd Cylinderepithel, überzieht die Schleimhaut der Harnblase, Am BlasengTunde münden die Ureteren in die Blase ein, mit spaltförmig-en Oeffnungen, welche ohngefähr anderthalb Zoll Yon einander entfernt liegen, nnd mit dem Anfange der Harnröhre die Ecken eines gleichschenkeligen Dreieckes darstellen (Trigonum Lieutaudii), an welchem die Mnsknlatnr der Harnblase stärker ent- wickelt ist, nnd die einzelnen Bündel derselben dichter zusammen- gedrängt sind, als sonst avo. Jos. Lientand, Professor in Aix, beschrieb dieses Grebilde, welches schon lange yor ihm bekannt war, nnd den gesammten Blasengrund, sehr ausführlich in den Me'moires der Pariser Akademie, 1753. — Die Schleimhaut des Trigonum, welcher man eine grosse Empfindlichkeit zuschreibt, hängt an der unterliegenden Muskelschicht so fest an, dass sie sich bei entleerter Blase daselbst nicht in Falten legt. Die gegen die Harnröhren Öffnung gerichtete, etwas aufgewulstete und abgerundete Spitze des Trigonum Lieutaudii heisst bei französischen Anatomen luette ve'sicale (Uvula vesicae). An den Seitenrändern des Trigonum sieht man gerade Muskelbündel vom hinteren Eande der Prostata zur Einmündung der Ureteren ziehen. Diese Muskelbündel haben die Bestimmung, auch bei voller Blase die Mündungen der Ureteren klaffend zu erhalten, und dadurch das Einströmen neuer Abson- derungsquantitäten des Harns möglich zu machen. Ueber die Befestigungsbänder der Blase siehe §. 323. In morphologischer nnd anatomischer Beziehung lehrreich sind Barkow's Untersuchungen über die Harnblase des Menschen. Breslau, 1838, foL, mit 13 Tafeln. — Interessante, praktisch verwerthbare Mittheilungen über die Lage- veränderung der Harnblase bei Ausdehnung des Mastdarms, gab G. Garson, im Archiv für Anat. und Physiol., 1878. §. 297. Praktisclie Bemerkungen über die Harnblase. Man kann sich von den Beziehungen der Harnblase zu den übrigen Beckeneingeweiden nur dadurch eine richtige Idee bilden, wenn man sie nicht, wie gewöhnlich in den Secirsälen geschieht, aus der Beckenhöhle sammt den Greschlechtstheilen herausnimmt, und im aufgeblasenen Zustande studirt, sondern an einem Becken ein Os innominatmn so entfernt, dass die Symphysis puhis ganz bleibt. Man hat sich dadurch die Beckenhöhle seitlich geöffnet, und sieht die Harnblase im Profil. — Ist die Blase leer, so liegt sie, klein und zusammengezogen, genau hinter der Symphysis, und ein Theil des Ilenm lagert sich zwischen sie und das Rectum in die Excavatio recto-vesicalis. Wird sie aufgeblasen, so nimmt sie den Raum des kleinen Beckens so sehr in Anspruch, dass sie in denselben fest 790 §• -P"- Praklisclie Beint'ikunffen Ober die Harnblase. eingopHanzt ersclieiut, und die JSclilingen des Iknun in die grosse Beckeuliölde liiuaiifgedräugt ^verden. Man bemerkt zugleich, dass sie nicht vollkommen senkrocht steht, sondern mit ihrem Scheitel etwas nach rechts abweicht, wegen linksseitiger Lage des Mastdarms. Von jener Stelle an, wo das Peritoneum die hintere lilasen- wand verlässt, um suh forma der PUca Douglasii zum Mastdarm zu tret(»n, bis zum lilasenhals herab, erstreckt sich der Tioulns ve-^lcae, welcher auf dem Rectum aufliegt, und seitwärts durch laxes Binde- gewebe mit den Samenbläschen verbunden ist. Der in den Mast- darm eingeführte Finger erreicht leicht die Mitte des Blasengrundes, und kann ihn empordrängen. Die Exploration eines Blasensteiues, und die Möglichkeit eines Recto-Vesicalschnittes, um ihn auszuziehen, beruhen auf diesem anatomischen Verhältnisse. — Der Fundus vesicae steht l)ei voller Blase tiefer, als bei leerer, und nähert sich somit der Ebene des Mittelfleisches. Es soll deshalb, wenn ein Steinschnitt durch das Mittelfleisch ausgeführt werden muss, eine Injection der Blase vorausgeschickt Averden. — Der Scheitel der Blase ragt im gefüllten Zustande, besonders bei Kindern, stark über die Symphyse hinaus. Demgemäss wäre bei Kindern die Eröffnung der Blase über der Symphysis (Sectio hypogastrica), um so mehr dem Perineal- schnitte vorzuziehen, als der Fundus der kindlichen Blase, wegen Enge des Beckens, weit Meniger entwickelt ist, und das Peritoneum weiter an ihm herabgeht, als bei Erwachsenen, wodurch eine Ver- letzung der PUca Douglasii nur schwer vermieden Averden könnte. — Im weiblichen Geschlechte überzieht das Peritoneum einen klei- neren Theil der hinteren Blasenfläche, als beim Manne, indem es bald an die vordere Gebärmutterwand übertritt. Drängt sich durch pathologische Bedingungen die Schleimhaut der Blase aus dem Gitter der Muskelbündel beutelähnlich heraus, so entstehen die Diverticula vesicae ui^inariae, welche nie am Grunde, sondern an der Seite der Blase vorkommen. Bilden sich Harnsteine in diesen Divertikeln, was um so leichter geschehen kann, als die Diverticula einer Muskelhaut entbehren, und der in ihnen befindliche Harn bei längerem Verweilen daselbst Niederscliläge ablagert, so heissen diese Harnsteine eingesackt. Eingesackte Steine sind von angewachsenen zu unterscheiden. Unter letzteren versteht man solche, welche entweder durch Exsudate an die innere Oberfläche der Harnblase geheftet, oder durch Wucherungen der Schleimhaut umschlossen und festgehalten werden. — Durch Hypertrophie der Muskelbündel der Blase, welche ein g^ewöhnlicher Begleiter chroni- scher Blasenentzündungen ist, uud in seltenen Fällen bis zur Dicke eines halben Zolles sich der is'ame Sinus yocularis richtig ausdrückt. (Mehr über diesen Sinus in i?. 305.) — Dicht am Rande der OefFuung der Vesicula prostatica, münden rechts und links die beiden Ductus ejaculatorü in die Harnröhre ein, und seitwärts vom Schnepfenkopfe findet man die feinen und zahlreiclieii Oefrnungen der Ausführungsgänge lir(' l)('(liiii;»Mi. Zwisclicn diesen F;iU(»n fiuden sich die, nur bei kranker llanirolirenseldeiinliaut vorkoninionden, tasclionartip^en Grühclien der Sclileimliaut, Ldcimae 3Ionfa[j)u, Avelclio naniontlieli an der unteren Wand so tief Averden können, dass sie die Fortbewegung- eingefülirter dünner Sonden aufzulialten im Stande sind. ])ie kleinen acinösen Drüsclien der Pars cavernosa sind als Qlandnlac lAltrianae i)ekannt. Sic» finden sich schon in der Pars 7neml>ramicea vor. — Bevor die Ilarnnihre an der Eichel mit einer, durch zwei seitliche I..ip[)en beg-renzten, senkrechten OefFnung mündet, bildet ihre untere Wand eine seichte Vertiefung- — die scliiff- förmige Grube — (Fossa navicularis), in av elcher die ersten Er- scheinungen der Harnröhrenentzündung (Tripper) auftreten. Die Harnröhre besteht 1. aus einer, an elastischen Fasern sehr reichen Schleimhaut, mit winzigen kegelf<'»rmig-en Papillen, beson- ders an der unteren Wand; 2. aus dem submucösen, venenreichen Bindegewebe; 3. aus einer Schichte organischer Kreis- und Längs- muskelfasern, deren Mächtigkeit in den verscliiedenen Abschnitten der Harnröhre wechselt, und 4. aus einer, die Harnröhre mit ihren nachbarlichen Organen verbindenden fettlosen BindegeAvebsschichte. Das Epithel der Harnröhre ist ein mehrfach geschichtetes. Jene, welche nicht wissen, ob sie das Epithel Pflaster- oder Cylinderepithel nennen sollen, weil die niedrigen, und gegen einander abgeplatteten Cylinderzellen auch für Pflasterzellen angesehen werden können, haben klugerweise den Namen: Ueber- gangsepithel erfunden. In der Nähe der Fossa navicularis hat das Harn- röhrenepithel den unverkennbaren Charakter eines geschichteten Pflasterepithels. Mündet die Harnrühre nicht an der Eichel, sondern an der unteren Fläche des Gliedes aus, so heisst dieser Bildungsfehler Hypospadie. Aus- mündung der Harnröhre auf der Piückenfläche des Gliedes (Anaspadie) kommt ungleich seltener, und in der Eegel nur mit anderen Bildungsabwei- chungen der Harnorgane vergesellschaftet vor. Das zur Besichtigung der Lage der Harnblase benützte Präparat dient zugleich zur Untersuchung des Verlaufes der Harnröhre, welche eine genaue Bekanntschaft mit den topographischen Verhältnissen des Mittelfleisches voraus- setzt (§. 321 — 32.5), weshalb hier schon dasjenige nachzusehen wäre, was später über die Anatomie des Mittelflcisches gesagt wird. Erst wenn man mit dem Verlaufe der Harnröhre in's Klare gekommen ist, wird sie herausgenommen, ihre I*ars prostatica und membranacea von oben gespalten, und der Schnitt bis zum Scheitel der Harnblase verlängert. Die aufgeschlitzte Harnröhre und Harnblase werden mit Nadeln auf einer Unterlage befestigt, um das Caput gallinaginis mit der Mündung der Vesicula prostatica, die Oefl'nungen der Ductus ejaculatorii und der Prostatagänge, das Triyonum Lieutaudii, und die Insertionen der Harnleiter zu sehen. Man bemerkt hieb ei zuweilen, besonders bei Greisen, dass von dem gegen die Harnblase gerichteten Ende des Caput gallinoAjinis, zwei halbmondförmige, niedrige, symmetrisch gestellte Schleim- hautfalten seitwärts auslaufen, welche ihre Concavität nach vorn kehren. Sie können ein Hinderniss beim Katheterisiren abgeben. Ebenso triffst es .sich, dass bei abnormer Vergrösserung der Prostata, ilir mittlerer Lappen die Schleim- §. 299. Eintheilung der GeschlechtsTverlczeuge. 795 haut des Blasenhalses in die Höhe heht, und einen queren Vorsprung erzeugt, welcher von Amussat fRecherches sur Vuretre de Vhomme et de la femme, Arch. gen. de med., t. IV.) als Valvula pylorica vesicae beschrieben wurde. b) Weibliche Harnröhre. Die weibliche Harnröhre hat mir eine Länge von anderthalb Zoll. Sie kann, nach ihrer Lage nnd Structnr, mir mit jenem Theile der männlichen Harnröhre verglichen werden, welcher sieh von der Blase bis zur Einmündung der Ductus ejacidatorii erstreckt. Sie lässt sich überdies noch bis auf sechs Linien Durchmesser aus- dehnen. Instrumente sind deshalb leicht in sie einzuführen, und ziemlich grosse Blasensteine können mit dem Strahle des Harns, oder durch die Zange herausbefördert werden. Das Harnen der Weiber dauert, wegen Dicke des Harnstrahles, kürzer als bei Männern, — Die weibliche Urethra hat eine schwach bogenförmige, nach oben concave, nach vorn und unten abschüssige Richtung. Ihre Befestigung durch das Ligamentum trianguläre urethrae ist die- selbe, wie beim Manne. Während ihres kurzen Verlaufes steht sie mit der vorderen Wand der weiblichen Scheide in so inniger Ver- bindung, dass .sie nur mit grosser Behutsamkeit von ihr lospräparirt werden kann. Ihre äussere Mündung liegt in der Tiefe der Scham- spalte, dicht über dem Scheideneingange, und hat eine rundliche Gestalt, mit etwas gewulsteten hinteren Rand, welcher bei einiger Uebung im Untersuchen der äusseren Grenitalien des Weibes, leicht gefühlt werden kann, — Eine Schleimhaut, und eine aus quer- gestreiften Fasern bestehende Muskelhaut, bilden die Wand der weiblichen Urethra, Die Muskelhaut besteht 1, aus einer inneren Kreisfaserschicht, welche einen wahren, der Willkür gehorchenden Sphincter urethrae darstellt, und 2. aus sattelförmig über die Urethra gelegten Muskelstreifen, welche rechts und links an der vorderen Wand der Vagina befestigt sind. Wie gross die Erweiterungsfähigkeit der weiblichen Harnröhre ist, hat mir ein Fall bewiesen, wo ein sieben Linien Querdurchmesser haltender Blasen- stein, welchen ich aufbewahre, von selbst, ohne alle Kunsthilfe abging, und ein zweiter, noch seltenerer, und vielleicht beispiellos, wo ein Frauenzimmer mit angeborener com.j)letei- Atresia vaginae, durch die Harnröhre, welche bei der ärztlichen Untersuchung der Geschlechtstheile den Zeigefinger leicht in die Blasenhöhle gelangen Hess, oftmals begattet wurde. B. Greschlechtswerkzeuge. §, 299. Eintheilung der Gresclileclitswerkzeiige. Die Geschlechts- oder Zeugungsorgane, Organa sexualia s. genitalia, bestehen aus denselben Abtheilungen, wie die Harn- l\){t §■ 300. Hodf und Nebt-nhoile, V'm defrrens, Sperma mul Spermatozoon. Organe. Eine paarige, den Zeugungsstoff secernirendc Drüse mit ihrem Aust'ülirungsgauge, ein Heliälter zur Aut'bewalirung und Reifung desselben, und ein Aii.stVdiriingsgang- dieses Behälters, Nind ihre Aveseutliehen Bestaudtheile. Ilire Bestimmung zielt nicht, wie jene aller übrigen Eingeweide, auf die Erhaltung des Individuums, sondern auf die F()rti)flanzung >(Mner Art hin. Ihre Eintheilung in äussere, mittlere, und innere, läs>t sich nicht auf beide Geschlechter auAvenden, da die den inneren weiblicIuMi (Jenitalieu entsprechenden männlichen, ausserhalb der Bauchhöhle, im Hodensack liegen. Besser ist die Eintheilung in eigentliche Zeugungs- und Begattungs- organe. Die Zeugungsorgane bereiten die ZeugungsstofFe, die Be- "•attunusorgane vermitteln die durch die gesehleclitliche Vereiniü'un"- zu Stande kommende Befruchtung. Zeugungsorgane sind im männlichen Geschlechtc: die Hoden, die »Samenleiter und die Samen- bläschen; — im Weibe: die Eierstöcke, die Eileiter, und die Gebär- mutter. Die Begattungsorgane werden im Manne durch das Zeuuuniisglied, — im Weibe durch die Scheide und die äusseren Geschlechtstheile repräsentirt. I. IVIäniiliche Geschlechtswerkzeug'e. §. 300. Hode und lebenliode, Vas defevem, Sperma und Spermatozoen. Die Hoden, als Zeichen und Zeugen der Mannheit, heissen Testes, und als relativ kleine Organe, auch TesticuU. Sie sind als Secretionsorgane des befruchtenden Zeugungsstoffes, das Wesentliche am männlichen Generationssystem, und bedingen allein den Ge- schlechtscharakter des Mannes. Castraten und verschnittene Thiere dienen als Zeugen, das der Verlust dieser Organe das Zeugungs- vermögen vernichtet, und die übrigen Attribute des Geschlechtes nutzlos werden oder schwinden. Bei den Griechen hiessen die Hoden dldv^oi, d. i. ZwiUinge, auch ol oQXitg; — Poma amoris bei Eiolan. altdeutsch: Heckdrüsen, Heildrüsen, Hochbälglein, und ihrer Paarigkeit wegen Gleichlinge, auch Gailen und Geilen. Von den Geilen stammt das Wort Geilheit für lascivitas, und Bibergeil, welches lange Zeit für den Hoden des Bibers gehalten wurde. Die Hoden hängen an ihren Samensträngen (§. 302), und liegen im Grunde des Hodensackes so neben einander, dass der rechte meistens eine etwas höhere Lage als der linke einnimmt. Würden beide Hoden gleich hoch aufgehangen sein, so Aväre es besonders bei relaxirten Hodensäcken unvermeidlich, dass sie sich beim Sprung und Lauf an einander stossen, was für so delicate Organe nicht ganz gleichgiltig wäre. — Selten sind beide Hoden gleich gross; §. 300. Hode und Nelienhude. Vas dtferens, Sperma und Spermatozoen. ^97 nieisteus wird der linke etwas grösser gefunden, als der reclite. Partielle Anscliwellnngen des Nebenhoden, oder Cysten im Samen- strange, haben die älteren Berichte (Yarol, Borelli, Graaf) über Männer mit drei, vier, ja selbst fünf Hoden, veranlasst. Fernel erwähnt einer Familie, deren säramtliche männliche Sprossen drei Hoden hatten! Cryptorchismus und Monorchismus, d. i. Verbleiben beider oder eines Hoden in der Bauchhöhle, sind Entwicklungshemmungen. Wahrer Defect der Hoden (AnorcMsmus) wurde nur bei Missgeburten gesehen. Der Hode besteht aus dem eigentlichen Hoden (Testis), und dem Nebenhoden (Epididymis s. Parastata varicosa). Ohne auf die in den folgenden Paragraphen zu betrachtenden Hüllen dieser beiden Organe Eücksicht zu nehmen, befassen wir uns hier blos mit der Kenntnissnahme ihres Baues. a) Der Hode hat eine eiförmige, etwas flachgedrückte Grestalt, mit einer äusseren und inneren Fläche, einem vorderen und hinteren Eande, einem oberen und unteren Ende. Er liegt nicht ganz senkrecht, indem sein oberes Ende etwas nach vorn und aussen, sein unteres nach hinten und innen, sein vorderer Eand etwas nach unten, und sein hinterer nach oben gewendet ist. h) Der Nebenhode schliesst sich als ein länglicher, spangen- förmiger Körper an den hinteren Eand des Hoden an. Sein dickes oberes Ende heisst Kopf, sein unteres dünneres und in den Samenleiter (Vas deferens) sich fortsetzendes Ende Schweif. Das Aveiche Parenchym des Hoden wird von der Tunica alhu- ginea, einer dicken fibrösen Haut, so knapp umschlossen, dass der Hodenkörper sieh hart und prall anfühlt. Das gemeine Yolk in England nennt die Hoden deshalb stones (Steine). Die Albuginea des Hoden entsendet von ihrer inneren Oberfläche eine Menge sehr zarter bindegewebiger Scheidewände (Septida testis), durch welche Fächer gebildet werden. Gegen die Mitte des hinteren Eandes des Hoden strahlt ein ganzes Bündel solcher Scheidewände von einem niedrigen, und sechs bis acht Linien langen, keilförmigen Fortsatz der Albuginea aus, welcher Corpus Highmori s. Mediastinum testis genannt wird. Die Scheidewände theilen das Hodenparenchym in sehr viele Läppchen — man spricht von zwei- bis vierhundert — deren jedes ein Convolut von zwei bis fünf s'amenabsondernden Eöhrchen, Tubuli seminiferi s. spermatophori, enthält. Der Hode repräsentirt somit jene Drüsenform, welche ich Glandida tuhulosa composita genannt habe (§. 90). Die Tuhidi seminiferi der Hoden endigen aber nicht blind, wie es für die Ausführungsgänge der lUPi S '■^"^'- ""ile und N.'Ii.'iiIi.mI.., r.n •!(/(, nix. Spi'iiiiii iiixl Sprimalo/nrn. tul)ul<"f>('ii Dnisi'ii lu':;(»I ist. sondtTii i^clicii ;in ilii-cii |)('ri|)|i('riselipn Enden bog-enlVu-inii;- in ciiKUHlcr liltiT. Ilirc L:iii<;«' ist w.ilirliat't ühcr- rascluMul. Kümitc man .sänmitlii-li«» TuhuU sciuinifi'ri licransnclimcn, ilire xaliUoscn Krüiuiniini»t'n all^^•leiclleu, und .sie in gerader Linie an einander stücdieln, so erliielte man ein Sameni^efäss von circa 1050 P""u.ss (Krause), nach Monro so<;ar von 5208 Fuss Länge. Was bei den zusammengesetzten acinösen Drüsen dureli Aviederlifdte Spaltungen der Ansriilirnngsgänge an Grösse der absondernden Fläclie gewonnen wurde, wii-d also in den Hoden dureli die Länge der Samenwege erreicht. — Die Wand der Tulnili sci/ilni/i'ri besteht aus einer structurlosen Meudiran, mit bindegewebiger Umhüllung. Die Tubuli ha1)en (Muen Durehmesser von circa 0*05 Linie, und sind zu Knäueln zusammengeballt, deren l)reitere Basis gegen die Oberfläche di's Iloden, deren Spitze gegen das Corpus Huihmori sieht. Die epitheliale Auskleidung der Tubuli besteht aus mehreren Zellenlagen, welche nur ein sehr feines Lumen frei lassen. Es ist sichergestellt, dass viele dieser Zellen von der Zeit an, in welcher die Pubertät erwacht, fortwährend durch eine successive sich voll- ziehende Umgestaltung zu Erzeugungsstätten der Sperjuatozoen werden, von welchen etwas später mehr gesagt wird. — Die aus einem I^äppchen herauskommenden Samenkanälchen, treten in das Corpus Hhihmori ein, und lülden daselbst durch Anastomosen mit den übrigen, das Hete Halleri, aus welchem zwölf bis neimzehn geradlinige und stärkere DuctaVt effcrentes hervorgehen. Diese durch- bohren die Albuginea, und bilden neuerdings zahlreiche und dicht gedrängte Windungen, welche kleine kegelförmige Läppchen dar- stellen. Diese Läj)pchen kehren ihre Spitze gegen den Hoden, ihre Basis gegen den Kopf des Nebenhoden. Der Kopf des Nebenhoden ist, genau genommen, nichts Anderes, als die Summe aller dieser Läppchen, welche, ihrer umgekehrt kegelförmigen Gestalt wegen, Coui vasculosi Ilalleri genannt werden. Durch den Zusammenfluss aller Coni Ihülcri entsteht ein einfaches Samengefäss, welches eine Unzahl von dicht an einander liegenden Krümmungen erzeugt. Eine, mit organischen Muskelfasern reichlich dotirte Bindegewebshaut hält diese Krümmungen zusammen, und vereinigt sie so zur Wesenheit des Nebenhoden. — Das einfache, in zahllose Windungen und Krümmungen verschlungene Samengefäss des Nebenhoden, nimmt gegen den Sclnveif hin. an Dicke zu, und geht mit allmäliger Ab- nahme seiner Schlängelungen, am unteren Ende des Nebenhoden in den geradlinig aufsteigenden Samenleiter (Vas deferens) über. Das Vas deferens wird auch, seiner vom Hoden gegen den Banch gehenden Richtung wegen, z u r ü c k 1 a u f e n d e s S a m eng e f ä s s genannt. Es steigt im Samenstrange, in welchem es, seiner Härte wegen. §. 300. Hode und Nebeiihode, Vas de/erens, Sperma und Spennatozoijn. 799 leicht gefühlt werden kann, gegen den Leistenkanal anf, dringt dnrch diesen in die Bancliliöhle, biegt sich, die Arteria epigastrka inferior kreuzend, zur hinteren Wand der Harnblase herab, und läuft nun, mit dem der anderen Seite convergirend, zum Blasen- grund, wo es an der inneren Seite seines zugehörigen Samenbläs- chens (§. 304) anliegt. Nachdem es den Ausführungsgaug des letz- teren aufgenommen hat, tritt es in eine Furche der Prostata ein, und mündet, unter auffälliger Yerengerung seines Lumens, als Ductus ejaculatorius am Ccqyut gallinaginis der Pars prostatica urethrae, wie früher gesagt (§. 298), aus. An dem am Blasengrunde hinziehenden Endstück des Vas deferens findet eine erhebliche Dickenzunahme seiner Wandung, und eine spindelförmige Erweiterung seines Lumens statt, als Ampulla vasis deferentis, welche mit mehr weniger entwickelten Ausbuchtungen besetzt erscheint. Die an schlauchförmigen Drüsen reiche Schleimhaut der Ampulla und ihrer Buchten weist netz- förmig gruppirte Fältchen auf. Der Same (Sperma, 6neQf.ic(, Alles, woraus etAvas entsteht), welcher bei der Begattung entleert wird, stammt aus den Samen- bläschen, wo er die zur Befruchtung nothwendige Reife erhalten hat. Seine chemische Zusammensetzung ist bis jetzt für die Physio- logie der Zeugung weit weniger belehrend gewesen, als seine schein- bar lebendigen Inwohner — ■ die Samenthierchen, Samenfäden, Spermatozoa, von dem Leydner Studiosus Ludwig t. Hammen, 1677 entdeckt. Sie bestehen aus einem dickeren Kopfende, und einem fadenförmigen, in das Kopfende eingelenkten Schwanz. Sie zeigen keine Spur von innerer Organisation, aber eine lebhafte, scheinbar willkürliche Bewegung, welche jedoch erst nach Verdünnung des Samens mit indifferenten Flüssigkeiten zu Tage tritt, und mehrere Stunden andauert. Henle mass die Schnelligkeit dieser Bewegungen, und fand sie = 1 Zoll in 77., Minuten. Ueber die Thiernatur dieser so auffallenden Gebilde, welche die wirksamen Bestandtheile des Samens repräsentiren, wurde seit Langem verneinend entschieden. Man weiss mit Bestimmtheit, dass sie in gewissen Zellen des Epi- thels der Samenkanälchen entstehen (Sperma toblasten), deren Kerne sich vermehren und in einen Schweif auswachsen, so dass jede solche Zelle die Mutter einer ganzen Colonie von Spermato- zoen wird. Bei der Betrachtung der Bewegungen der freigewordenen Spermatozoen, drängt sich der Gredanke auf, dass man einhaarige Flimmerzellen vor sich hat, Sie bedingen für sich allein die Zeugungs- kraft des Sperma, welche mit ihrem Fehlen verloren geht. Schon Prevost hat gezeigt, dass der Froschsame seine befruchtende Eigen- schaft verliert, wenn seine Spermatozoen abfiltrirt werden. ÖUÜ §. 300. ITimIo und Ncbonlioilc. r.« t1rfa\m. Sperma und Piiormalozofn. Piinli die Feststellung der Tliatsachp, dass die Spermatozoon iiitlit blos mit dem zu befruchtenden Ei in (Jontact kommen, sondern sich durch die Poren der Dotterhaut des Eies (]\Iikrop} len) in das Innere desselben ein- bohren, wobei ihnen das kantig zugeschärfte Ende ihres Kopfes gute Dienste leistet, wurde eine der wichtigsten Entdeckungen in der Geschichte des Er- zeugens gemacht. Newport hat das Eindringen der Spermatozoon in das Froschei, Barry in das Kaninchcnfi zuerst gesehen, und fortan mehrt sich die Zahl der hioher gehörigen Beobachtungen. Das Eindringen geschieht mit dem Kopfende voraus, unter bohrender Bewegung des Schwanzendes. — Was im Ei aus den Spermatozoon wird, weiss man nicht. — W. Bischoff, Bestäti- gung des Eindringens der Spermatozoen in das Ei. Giessen, 1844, und G. Meissner, lieber das Eindringen der Samenelemente in den Dotter, in der Zeitschrift für wissenschaftl. Zoologie, 6. Bd. Ueber die Spermatozoon aller Thierclassen handelt La Vallette, in Strick er's Histologie, Gap. XXIV. Die Genesis der Samenkörper behandelt derselbe Autor im Archiv für mi- kroskopische Anat., 15. Bd. — Die neueste Zeit hat auch einen neuen, leider sehr beliebt gewordenen Xamen der Spermatozoon gebracht. Er lautet Zoospermon. Qui autcm linguae graecae genium summis tantum labris oscu- latus est, wird wissen, dass Zoosperma Thiersame, nicht aber Samenthier bedeutet. Ausser den Samenfäden finden sich in der entleerten Samen- flüssig-keit 1. nocli Eleinent;irk()rnelien, und 2. krystallinische Gebilde, als Rliond)()«'der von |)liosj)horsanreni Kalk, Avelclie sicli aber erst während der Untersuelinng- des Samens anf dem Objectträg-er, durch Verdunsten i]os Wasserg-ehaltes bilden. Am Kopfe des Nebenhoden kommt öfter ein kleines, gestieltes, hirse- bis hanfkorngrosses Bläschen vor, welches klare Flüssigkeit mit Zellen und Zellenkernen enthält, und dessen solider Stiel sich bis in das Bindegewebe des Samenstranges verfolgen lässt. — Fast constant ist eh\ zM'citcs bläschen- förmiges, aber nicht gestieltes Gebilde am Kopf des Nebenhoden, dessen Höhle entweder für sich abgeschlossen ist, oder mit dem Samenkanal des Nebenhoden in oifener Verbindung steht. Im letzteren Falle enthält die Höhle des Bläschens Spermatozoen. Man hat dieses Gebilde auch ohne Höhlung angetroffen. Ohne Zweifel repräsentirt es ein Ueberbleibsel eines Kanälchens des Wolff'schen Körpers (§. 32'.»). Beide Formen sind als Ilydatis Morgagni schon lange be- kannt. Ausführliches über diese Hvdatide, sowie über andere Accessorien der Tunica vaginalis propria, giebt Luschka in VircliovJ's Archiv, 1853, unter dem Titel: die Appendiculargebilde des menschlichen Hoden. Nach Fleischl's Untersuchungen (Med. Centralblatt. 1871) .stellt die ungestielte Morgagni'sche Hydatide ein solides Körperclien dar, dessen Stroma ein zartes, gefässreiches, kernführendes Bindegewebe ist. Rings um die Basis dieses Körperchens hört das Pflasterepithel der die äussere Fläclie des Nebenhoden überziehenden Tunica vaginalis propria mit einem scharfen Rand auf, und wird zu Flimmerepithel, welches (wie am Ovarium) schlauchartige blinde Fortsätze in das Stroma des Körperchens absendet. Fleisch 1 adoptirte deshall) für diese Form der Mor- gagni'schen Hydatide den Namen: Ovarium masculinum. An dem mit Quecksilber injicirten Samenkanal des Nebenhoden, zeigt sich häufig ein vielfach gewundenes Anhängsel, als Vasculum aberrans Halleri. Dasselbe bildet entweder ein langes, selbstständiges, am Rande der Epididymis sich hinziehendes Läppchen, oder es steigt nur wenig geschlängelt im Samen- g. 300. Hode und Nebenhode, Vas deferens, Sperma und Spermatozoen. 801 stränge auf, um blind zu endigen. Letztere Form wird von Hall er, So mm er- ring und Huschke, allein erwähnt. Wenn es am Nebenhoden anliegt, endigt es nicht immer blind, sondern mündet öfters in den Samenkanal desselben wieder ein. Zwischen dem Kopf des Nebenhoden und dem Vas deferens, dicht an letzteres angeschlossen, entdeckte Giraldes (Bulletin de la Soc. anat., 1857, pag. 189) noch ein anderes accessorisches Organ. Es besteht aus einer ver- änderlichen Anzahl platter, weisslicher Körper, von zwei bis drei Linien Durchmesser, deren jeder einen Knäuel eines, an beiden Enden blinden Kanäl- chens darstellt. Giraldes nannte seinen Fund: Corps innomine (Parepi- didymis, Henle). Aller Wahrscheinlichkeit nach ist auch dieses Organ ein verkümmerter Ueberrest des Wol ff 'sehen Körpers. Vor Kurzem wurde eines manchmal vorkommenden Vascuhim aberrans Erwähnung gethan, welches, aus dem Kopfende des Nebenhoden hervorgehend, in die Morgagni'sche Hydatide eintritt, um am Eande derselben offen auszu- münden, und auf diese Weise eine Communication des Samenganges mit der Höhle der Tunica vaginalis propria testis (§. 301) zu unterhalten (M. Eoth in Virchow's Archiv, 81. Bd.). Durch diesen schönen Fund hat die Hydrocele spermatica, bei welcher Samenthierchen in dem die Höhle der Tunica vaginalis communis einnehmenden Serum vorkommen, ihre Erklärung gefunden. Die Wand des Vas deferens besteht aus einer inneren Schleimhaut mit Cylinderepithel, einer darauf folgenden, relativ dicken Schichte organischer Längs- und Kreismuskelfasern, und einer äusseren Bindegewebshaut. Ln Neben- hoden finden sich dieselben Elemente in den Wandungen seines vielfach ge- wundenen Samenganges, mit dem bemerkenswerthen Unterschiede, dass in jenem Theile des Vas deferens, welcher den Kopf des Nebenhoden bildet, sowie in den Co7ii vasculosi Halleri, und in den Ductuli eferentes des ßete testis kein Cylinderepithel, sondern Flimmerepithel vorkommt, dessen Flimmer- bewegung vom Hoden gegen das Vas deferens gerichtet ist. — Ueber den Bau der Samenkanälchen im Hoden handeln Ebner's Untersuchungen, Leipzig, 1871. und Merkel im Archiv für Anat., 1871 (Stützzelleu). Die Arterien des Hoden sind die Ärteria spermatica interna, und Arteria vasis deferentis Cooperi. Erstere stammt aus der Bauchaorta, letztere aus einer Arterie der Harnblase. Beide anastomosireu mit einander, bevor sie am Corpus Highmori die Albuginea durchbohren, um Capillarnetze zu bilden, welche aber nicht jedes einzelne Samenkanälchen, sondern Gruppen mehrerer umspinnen. Die Venen des Hoden bilden im Samenstrang, bis zum Leistenkanal hinauf, ein mächtiges Geflecht (Plexus pampiniformisj, dessen krankhafte Ausdehnung die Varicocele erzeugt. Erst im Leistenkanal, oder an der Bauchöffnung des- selben, vereinfacht sich dieses Geflecht zur einfachen oder doppelten Vena spermatica interna. Es darf nicht wundern, dass die Arterien und Venen des Hoden aus den grossen Gefässen der Bauchhöhle stammen, da der Hode sich nicht im Hodensacke, sondern in der Bauchhöhle des Embryo bildet, und somit seine Blutgefässe aus den nächstgelegenen Stämmen des Unterleibes (Aorta und Vena cava ascendensj bezieht. — Die im Samenstrange aufstei- genden Lymphgefässe des Hoden, münden in die Lymphdrüsen der Lenden- gegend. Sie pässiren somit den Leistenkanal, während die Saugadern der Scrotalhaut und der Scheidengebilde des Samenstranges, sich zu den Leisten- drüsen begeben. — Die Lymphgefässe des Hoden sollen, nach Ludwig und Tomsa, aus weiten, zwischen den Tubuli spermatophori he&nälichen. Y/anälosen Lymphräumen (Lacunae) hervorgehen, welchen Frey und His einen Epi- Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl. "1- 802 8 3^'- Verhaltniss de» Hoden zum reiitonoum. Tuniai vaginalLi propria ttstU. thelialbeleg zusprechen, wie er in den Lymphgefässen überhaupt vorkommt. — Die Nerven des Hoden entspringen theils aus dem sympathischen Plexus {tpermatictt-s internuti, welcher die Arteria spermatica interna umstrickt, theils aus den Spinalnerven (Lendengeflecht) als Nervi tipermafici extemi. Erstere sind für das Parenchym des Hoden und Nebenhoden, letztere vorzugsweise für die Hüllen des Sanienstrange.s bestimmt. Nach Letzerich endigen die Axen- cylinder der Primitivfasern in der Wand der Samenkanälchen, und zwar zwischen der btrutturloicii Membran und dem Epithel, mit kiiopfformigen Anschwellungen. i^. 301. Verhaltniss des Hoden zum Peritoneum. Tam'ca raginalis propria iesfis. Aus der Ent\vicklun!;sge,^ehic!ite der niäimlicheü (jebeldeclits- theile lernt mau die Rildunj^ der besonderen Scheidenhaut, Tnnica vooiiudis propria testis, verstehen, welche zwei Ballen bildet, deren innerer mit der äu.s.sereu Oberfläche (h'r AlbiKjinea testis fest verwachsen ist, deren äusserer den Iloch-n nur lax umhiebt, ohne irg'endwo mit ihm Ncrwaclisru zu >('in. Her llodc entwickelt sich in den Er.Ntliii^.s|K'riodeii des F()tuslel)ens, in (h>r iiauchholde, an der unteren Fläche eines drüsi<;en Ori;;ius, welches /,u l»eiileu Seiten der Wirbelsäule liei;t, in der Eiitwicklung-sgeschichte als WoltTscher Körper eine wichtige Kolle s[)ielt, und in demselben Maasse schwiuih't, als Ilode und Niere sich ausbilden. Das Bauchteil l^ildet, \()n (U'r Lende her, eine Einstülpung", um den embryonischen Hoden ■/AI ül)erzielien, — das Jlrsorchiiiin. Das V^as deferens und die Blut- gefas>e senken sich in die hintere Wand des Hoden ein, welche nicht vom Peritoneum überzogen wird, und liegen somit cdrct t'«<'«//i peritonei. Das Mesorchium reicht bis zur Bauchöfriumg des Leisten- kanals als Falte herab, und schliesst einen wahrscheinlich coutractilen Strang- ein, welcher vom Ilodensack durch den Leistenkaual in die Bauchhöhle und bis zum Hoden hinaufgeht, mit Avelchem er ver- wächst. Denkt nuin nun, dass dieser Strang sich allmälig verkürzt, M» leitet er den Hoden gegen den Leistenkanal, und, durch diesen hindurch, in den Hodensack herab. Er lieisst darum Leitband des Hoden, Guhernacidiiin Uunteri. Da der Hode fest mit dem Bauch- felle verwachsen ist, so muss eine beutelförmige Ausstülpung (Pro- cessus vaginalis peritonei) von dem herabsteigenden Hoden aus der Bauchhöhle mit herausgezogen werden. Es wird in diesem Stadium des Descensus testicuU möglich sein, von der Bauchhöhle aus mit einer Sonde in den offenen Leistenkanal einzudringen, da dieser von dem mit dem Hoden herausgeschle[)pten beutelförniigen Peritoneal- fortsatz ausgekleidet wird. Die Blutgefäs.se und das Vas deferens werden, weil sie ursprünglich extra cavum peritonei lagen, nicht in der Höhle dieses Beutels liegen können. Nach der Geburt verwächst dieser Beutel, und zwar von der BauchöfFnung des Leistenkanals §. 301. Verhältniss des Hocieu zum Peritoneum. Tunica vaginalis propria testis. 803 an, gegen den Ploden lierab. Die YerwacTisimg hört aber dicht über dem Hoden auf, und dieser imiss somit von einem serösen Doppelsack umschlossen sein, dessen innerer Ballen mit der Tunica albuginea testis schon in der Bauchhöhle verwachsen war, dessen äusserer Ballen sich erst durch das Nachziehen des Peritoneum, während des Descensus testicuU bildete. Beide Ballen kehren sich ihre glatten Flächen zu, und fassen einen Raum zwischen sich, welcher, so lange der Processus vaginalis peritonei offen und unver- wachsen bleibt, mit der Bauchhöhle communicirte. — In diesem Räume, welcher nur wenige Tropfen gelblichen Serums enthält, ent- wickelt sich durch üebermaass seröser Absonderung der sogenannte Wasserbruch — Hydrocele. Schlitzt man den äusseren Ballen der Tunica vaginalis propria auf, und drückt man den Hoden heraus, so sieht man, dass auch der Nebenhode einen, wenn auch nicht ganz vollständigen üeberzuo- von dieser Haut erhält. Während die Tunica vaginalis propria vom Nebenhoden auf den Hoden übersetzt, schiebt sie sich beuteiförmig zwischen die Contactflächen beider Organe hinein, und erzeugt dadurch eine blinde Bucht, deren EingangsöfFnung dem mittleren Theile des Nebenhoden entspricht. Die halbmondförmigen Ränder dieser OefFnung bilden die sogenannten Ligamenta epicliclymiclis. Die Stelle der Albuginea testis, wo die Samengefässe aus- und eingehen, wird, da sie schon beim Embryo vom Peritoneum unbedeckt war, auch im Erwachsenen von der Tunica vaginalis propria nicht über- zogen sein können. — Ein Analogon des Processus vaginalis des männlichen Embryo findet sich auch bei weiblichen Embryonen, indem das Peritoneum bei letzteren gleichfalls eine Strecke weit sich in den Leistenkanal als blind abgeschlossener Fortsatz längs des runden Mutterbandes aussackt. Dieser Fortsatz ist das, schon bei der Betrachtung des Bauchfells (§. 278) erwähnte Diverticulum Nuckii, welches ausnahmsweise auch im erwachsenen Weibe offen bleiben kann. Sollte der Processus vaginalis j^eritonei hei Embryonen männlichen Geschlechtes nicht verwachsen, so können sich Bauch- eingeweide in seine Höhle vorlagern, und den sogenannten ange- borenen Leistenbruch bilden, welcher sich von dem nach vollendeter Verwachsung des Processus entstandenen sogenannten erworbenen Leistenbruch dadurch unterscheidet, dass er keinen besonderen Bruchsack hat, wenn man nicht den offenen Processus peritonei selbst dafür ansehen will, und dass das vorgefallene Ein- geweide mit dem Hoden in unmittelbarer Berührung steht. Ein dünner Bindegewebsfaden im Samenstrang ist Alles, was vom ein- gegangenen und verödeten Processus vaginalis peritonei im Erwachsenen er- übrigt. Haller nannte ihn Ruinae processus vaginalis. Ich will ihn Ligula 51* 804 ^- ^^-- P:>nien8)ran(r und dossoii Hüllen. nennen. Zieht man an ihm, so wird jene Stelle des Peritoneum, welche die Bauchöffnung des Leistenkanals deckt, und von welcher aus der Processus vamnalis zuerst sich zu schliessen begann, trichterförmig in den Leistenk&nal hineingezogen. i?. 302. Samenstrang und dessen Hüllen. Der Sa inenstra ng', Funiculns spt-rmatieus, sii>|)t'ii(lirt den Hoden im llodeusack. Er enthält Alles, was znm Hoden geht und vom Hoden kommt, und stellt somit ein Bündel von (Jet'ässen und Nerven dar, welche durch lockeres lündegewebe zusammengehalten werden, und überdies, durch besondere Scheidenbildungen, die Form eines Stranges annehmen. Die Scheide, welche zunächst die Ele- mente des Sameustranges umhüllt, führt den Namen der Tuiiica vaijiiudis communis, da sie den Sameustrang und den Hoden gleich- massig umfängt. Wir betrachten sie als eine Fortsetzung der Faseta transvcvsa ahdominis, welche den durch den Leistenkanal heraus- tretenden Samenstrang trichterförmig umschliesst, und daher auch an ihrem Beginne Fascia iiifandibiiliformis heisst. Sie bildet keine H(')hle, d. li. ihre innere ObcrHäclie ist nicht frei, indem sie am Samenstrange mit dem Bindegewebe um die Gefässe herum, am Hoden aber mit dem äusseren Ballen der Taiiica vaginalis propria verwächst. Ihre äussere Fläche wird von den schlingentVirmigen Bündeln tles vom inneren schiefen und «jueren Bauchmuskel abge- leiteten Crcmasti')' (Hebemuskel des Hoden) bedeckt, Avorauf nach aussen noch eine feine, libr(">,se Meml)ran folgt, welche von den Räudern der äusseren Oeffnung des Leistenkanals ausgeht, und den Samenstrang, als Fascia Cooperi, umhüllt. Verfolgt mau den Samenstrang nach aufwärts durch den Leistenkanal in die Bauchhöhle, so findet man ihn, von der äusseren üeft'nung des Leistenkanals an. immer dünner werden. Er verliert zuerst die Fascia Cooperi (an (h'r äusseren OeH'nung des Leisteu- kanals), hierauf den Cremaster (im Leistenkanal), dann die Tioiica >'n()iualis cmninunis (an der Bauchöffnung des Leistenkanals). Nach seinem Eintritt in die Baiiclihöiile ist er durch Verlust seiner Hüllen, und das A])lenken des Vas dcferens in die Reckenhöhle hinab, auf ein einfaches, aus der Artcria, der Vena, und dem begleitenden Nervengeflecht (Plexus spermaticus internus) bestellendes Gefässbündel reducirt, welches hinter dem Bauchfelle zur Lendengegend auf- steigt, um jene grossen Blutgefässe des Bauches zu erreichen (Aorta und Vena cava ascendens), aus Avelchen der Hode, schon während er noch in der Bauchhöhle lag, die zur Samenbereitung nothwendigen Gefässe bezog. Der Samenstrang besitzt, ausser den zum Hoden gelangenden Arterien CSpermatica interna und Arteria vasis deferentis. %. 300). noch eine dritte Schlag- §. 303. Hodensaok und Ttmka dartos. 805 ader, welche blos für die Scheidengebilde des Samenstranges und Hoden be- stimmt ist. Sie entspringt als Arteria fpermatica externa, oder auch Arteria cremasterica Cooperi, aus der Arteria epigastrica inferior. Ein nennenswerthes mikroskopisches Vorkommen an der gemeinschaft- lichen Scheidenhaut bilden die kolbenförmigen Excrescenzen auf derselben, welche aus Bindegewebs- und elastischen Fasern bestehen, und in Form und Bau den Pacchioni'schen Granulationen der Arachnoidea verwandt sind. (Rektor zik, Sitzungsberichte der Wiener Akad., 23. Bd.). §. 303. Hodensack und Tum'ca dartos. Hode nud Samen sträng liegen, zusammt ihren Hüllen, in einem, durch die Haut des Mittelfleisches und der Schamgegend gebildeten Beutel — dem Hodensack, Scrohim, an welchem eine mediane Leiste, Rhaphe, zwei niclit ganz gleiche Seitenhälften unterscheiden lässt. Das dünne, durchscheinende, und gebräunte Integument des Hodensacks faltet sich bei zusammengezogenem Serotum in quere Runzeln. Daher der altdeutsche Name ^crümpfet Pcutelin. Krause und kurze Haare, sowie zahlreiche Talgdrüsen, statten dasselbe aus. Unter der Haut, und mit ihr durch spärliclies, fettloses Bindegewebe verbunden, liegt die Fleischhaut des Hodensackes, Timica dartos. Ihr griechischer Name stammt A^on ösQoi) (ecvcorio, abhäuten, schinden), weil sie sich sehr leicht abziehen lässt. Sie bestellt aus Bündeln glatter Muskelfasern, deren vorwaltend longitudinale Richtung, während ihrer Coutraction, eben die quere Runzelung der Hoden- sackbaut erzeugt. Ihrer röthlichen Farbe wegen, führt sie bei den Alten den Namen Tunica erythroides, von eQv&Qog, roth. Sie hängt nach oben mit der Fascia superficialis des Unterleibes, und nacb hinten mit dem oberflächlichen Blatte der Fascia perinei super- ficialis zusammen. Eine der Rhaphe entsprechende Scbeidewand, Septum scroti, theilt die Höhle der Dartos in zwei Fächer, in welchen die Hoden und Samenstränge so lose eingesenkt sind, dass sie leicht aus denselben herausgezogen werden können. In den anatomischen Schriften des Mittelalters hiess das Serotum auch Scortum, Bursa testium und Marsupium, — bei Aristoteles öaxeog. Den Namen Bursa und Bursula testium erhielt der Hodensack durch Bauhin (Theatrum anat., Lib. 1., Cap. 11). Da die gegerbten Hodensäcke der Haus- thiere die ersten Geldbeutel lieferten, wird lursa auch für Geldsäckel (Börse), und selbst für Geld gebraucht fcontinens pro contentoj. Wohlthätige Geldspenden und Stiftungen zur Verpflegung armer Studenten, hiessen eben- falls bursae, woraus Bursche (hursariusj und Burschenschaft hervorging. Die Franzosen gebrauchen hursa nur im Plural für Hodensack: les hourses. Im Altdeutschen- hiess der Hodensack: Gemächt (von machen, /. e. erzeugen), auch Geschäft, und Gr omensack, wie in der deutschen Uebersetzung des Fabr. Hildanus. Ich glaube nicht zu irren, wenn ich in Gromen. eine germanisirte crumena (Beutel) vermuthe, da der Hodensack in den Vocabularien der Mönche als Crumena nuptialis und Crumena amoris vorkommt. Der in gO(5 §. n04. Sampnl)l!lsrlicti und Aussprll/ung^Vanalp. Nonldoutscliland gobriiuclilicho Ausdruck Klosssark, orklärt sich leicht, weil flie KoJcn und die Kanonenkugeln, ihrer runden Gestalt wegen, Kliisse (Knödel) genannt wurden. Die Wiener nenmn den Hodensaek schleelitweg Beutel, das gemeine Volk auch Zwiefachel, seiner zwei Fächer wegen, r.iini Hengst lieisst erGeschrot, von schroten, d. i. castriren. Dio l'nyloiclilicit der lioidcn 1 lodcnsackliälllcn, welclic darin bestellt, da.ss die linke niei.stons tiefer lierahreiclit, als die rechte, lässt sich auf mechauische AVeise erklären. Wäre die ronipressiou, welche die Vena spcrtnatica InferiKt sliiistva durch die Curvatura sipmoidea recii erfährt (IJlandin), d(M- Grnnd einer g-rösseren Tur- «;escen/ und somit or(>sserer Schwere des linken Hoden, .so niüsste bei allen Männern der linke Ilode tiefer häno-eu, als der rechte. Allein nach M ,i I o a i ii'ne's Beobachtnugen an t)'» Individuen war dieses nur an A?> der Fall. In der Rhaphe haben wir den bleibenden Ausdruck iler ursprünglichen Bildung des Hodensackes aus seitlichen Hälften vor uns. Konimt es nicht zur Verwachsung der beiden Hälften, bleiben zugleich die Hoden in der Bauch- höhle, und ist das männliche Glied klein, so wird der gespaltene Hodensack einer weiblichen Schanis}ialte ähnlich sehen, und das betreflende Individuum mit scheinbar weiblicher Bildung der äusseren Genitalien, dennoch männlichen Geschlechtes sein fUeruiaphroditismus .ipurwsj. §. 304. Samenbläsclien und Ausspriizungskanäle. Die Sa nienbläschen, Vi'sicvJae sewiuales, liegen am Blasen- grnnde hinter der Prostata. Sie haben die (restalt von anderthalb Z(dl langen und einen halben Zoll breiten. H.ichen und ovalen Blasen mit liTickeriger OberHäche, und l)estehen bei genauerer Untersuchung aus einem zwei bis drei Zoll langen, ziendich weiten, iinregelniä.s.sig gebuchteten, und mit kurzen l)lin(leu Seiteuästen be- setzten Schlauch, welcher zusammengeballt am Blasengrunde liegt, und durch das ihn umgebende, mit <;latteu Muskelfasern reichlich versehene Bindegewebe zur gewcdin liehen Form eines Samen- bläseheus gebracht Avird. Entfernt mau dieses Bindegewebe, so kann man das Samenbläschen, bei einiger Vorsicht und Geschick- lichkeit, als geradlinigen Schlauch, mit hakenförmig umgebogenem Endstück, entwickeln. Besitzt der Schlauch die oben angegebene liänge nicht, so sind dafür seine blinden Seiteuäste läuger. Der ans dem vorderen, etwas zugespitzten Ende eines Sameu- bläschens hervorkommende Ausführnngsgaug mündet in das Vas defereii.^ ein. welches jenseits dieser Einmündung, g-egeu die Harn- röhre zu, sich zusehends verengert, und Ausspritznngskaual, Ductus ejacuhttorius, heisst. Beide Dudus ejacuhdorii couvergiren mit einander. Sie gehen zwischen der Prostata uud der hinteren AA and der Pars prostatica xirethrae zum Caput gaUinaginis, wo sie §. SOS. Prostata. SO 7 mit separaten Oeffnimgen zu beiden Seiten der Vesicnla prostatica aiTsmiiudeu (§. 298). — Die Samenbläsclien besitzen im Wesentliclien denselben Bau, wie die Ampulle des Vas deferens, aber sie führen kein Cylinder-, sondern Pflasterepithel. Die Feinheit der Ductus ejacidatorii und die ärmlichen Mustel- fasern in seiner sehr dünnen AYand, müssen es Jedem klar machen, dass diese Kanäle nicht die Kraft aufbringen können, mit welcher der Same ejaculirt wird. Sie führen also einen Namen, welcher ihnen nicht gebührt. Es muss somit angenommen werden, dass der Same, während der wollüstigen Aufregung, welche der Begattung vorangeht, aus den Samenbläsehen und aus der Ampulle der Vasa deferentia, durch die Contraetilität dieser Gebilde, in die Harnröhre befördert wird, sich in der Pars onemhranarea derselben, und in der nach unten ausgebuehteten Pars huJhosa (§. 298, 3) anhäuft, und die zuckende Zusamraenziehung des Muscnlus hnibo-cavernosus als Eeflex- bewegung hervorruft, welche stark genug ist, den Samen durch die lange Urethra stossweise auszutreiben. Deshalb führt dieser Muskel mit unbestreitbarem Kecht den Namen Ejacidator seminis (§. 322, b). Indem der Ductus ejaculatorius viel dünnwandiger ist, als das Vas deferens. wird er von dem derben Gewebe der Prostata leicht compri- niirt. Diesem Umstände, sowie seinem gegen die Ausmündungsstelle in der Urethra bis auf 0,3 Linie abnehmenden Lumen, mag es zugeschrieben werden, dass der Same nicht fortwährend abfliesst, wie das Secret anderer Drüsen. — Der Drüsenreichthum der Schleimhaut der Samenbläschen lässt auf reich- liche Absonderung schliessen. Worin diese bestehe, und welchen Einfluss sie auf die Veredlung des Samens ausübe, ist unbekannt. — Auifallend ist es, dass der Same der Samenblasen weit weniger Samenthierchen enthält, als jener des Vas deferens. J. Hunter hielt die Samenbläschen nicht für Auf- bewahrungsorgane des . Samens, sondern für besondere Secretionswerkzeuge, deren Absonderung vom Samen verschieden ist. Die vergleichende Anatomie giebt hierüber keine Behelfe an die Hand, da die Samenbläschen bei Säuge- thieren häufig fehlen. Der Umstand, dass bei Castraten die Samenbläschen nicht schwinden, was sie als blosse Receptacula seminis wohl thun müssten, scheint für ihre Selbstständigkeit als secretorische Apparate zu sprechen. Schon Eufus Ephesius, Cap. XIY., sagt: „eunucM semen quidem, sed infecundum, ejiciunt". — Grub er f Müllers Archiv, 1847) fand bei einem Castraten die Samenbläschen zwar verkleinert, aber doch mit einem schleimigen Fluidum gefüllt. Ebenso Bilharz, welcher die Genitalien von schwarzen Eunuchen untersuchte. Am auffallendsten war bei den Verschnittenen der Schwund der Prostata. - §. 305. Prostata. Die Vorsteherdrüse, Prostata, bat eine herz- oder kastanien- förmige Gestalt, mit hinterer Basis nnd vorderer Spitze, oberer nnd unterer Fläcbe. Sie umfasst mehr weniger vollständig das Anfangs- stück der Harnröhre (Pars prostatica nrethrae), grenzt nach hinten und oben an die Samenbläsehen, nach vorn an das Ligamentum triiuiniihtre iinthrur, ii;icli imtcn :in die vin-ilcr«' Mustdarmwaiul, (liinli wcli'lio sie mit (Umii Finji:er gofülilt werden kann. Sie \virefvls (§. '^2'^) in ilirer Lage erhalten. Deutliche Lappen kommen an der Prostata nicht vor. Was man gewöhnlich Tjohus iiiid'uis nennt, ist nur das zwischen den l>ei;etidds im weihliclien Be"-attnn"'s()rf;an i^ericlitete r.cstimmiini;. aui'rein meclianiselie \V eise. In dieser Errei;nm;' der Aveihliclien iJei;attiings(iri;:ine lie^•t eine wesentliclie I>edini;iin^- für die Anfnalime des Samens in das innere Geselilechtsoriian. Das männliclie (ilied mnss Noiiiit eine Einriclituni^ besitzen, dnrcl» welelie eine Vernrössernnn dessell)en mit i;leieli- zeiti""er Ri^,idität (Ereotion) mönlicli wird. Oline diese würde es weder dnrdi Drnck nocli K'eihnnn' reizend Avirken können. Das mannlielie (rlied liat nnn /,n diesem Zweeke drei Seli wel 1 k t'»r i>er, ('i»'i>ora ctn'i-riiosii, zwei ])aarii;e und einen nnpaaren, von denen letzterer der llarurölire aniicliört. Sie werden deshalb in die zwei Corpora caremofia }>e)tts, nnd das Corpus rarernoston ?;ire Zwieliol der Ilarnrölire (Bvllms nnthriii), ^\;illrend die kei;eltV»rnii;;e Verdickung,- seines vorderen Endes die Eichel des (iliedes ((Ulatis peiiis, ßc'Xnrng) erzeiii>t. — Der Sclnvellkorper der H;iriirtdire h;it kleinere» Masdienräniiie, strotzt während der l*'recrion nicht so Ix'dentend, wie die Corpora cuferHOsn poils, und Meiht deshall) -vveicdier. Die Eichel sitzt auf dem vorderen al>i;ernndeten Ende der Schwellkorper des Gliedes wie eine Ka|ii»e nut'. Sie hat eine stumpf keii'elförniiii;e Gestalt. Ihre schief ahwärts gerichtete Spitze, Apex (jlandis, wird durch das spaltförmine Ustium ritldneinn iirethrae senkrcH-ht geschlitzt. Ihre Basis zeii;t einen wulstigen Rand, Corona a/ainlis, hinter welcliem eine Furche, als ( 'oll um, die Grenze zwischen Eichel und Glied- schaft l>ezeichnet. Nach Mayor fFroriep's Notizen, 1834, Nr. 883) soll in der Eichel grosser Glieder ein jtrismatischer Knorpel existiron. welcher, wenn sein Vor- kommen sichergestellt wäre, eine entfernte Analogie mit dem Os Priapi vieler Säugethiere (Allen, Nager, reissende Thiere) darbieten würde. Dieser vermeint- liche Knorpel stellt sich jedoch nur als eine verdickte Stelle in der Scheide- wand der vorderen Enden der linthensehwellkiirper heraus. Sie enthält keine Knorpel/eilen. Die Haut des männlichen (iliedes ist sehr verschiebbar, un- behaart, und ihr Unterhautzellii'ewelje vollkommen fetth)s. Um die \ erlängeruug- des (iliedes während der Erectiou zu o-estatten, bildet sie eine die Ghms umgebende Duplicatur — die Vorliaut, Prae- put'non. Die Vorhaut läuft nämlich vom Collum (/lamlis frei über die Eichel lierab, schläft sich dann nach innen um, und gelit wieder zum Collum (/hnidis zurück, um nun erst die Eichel ahs selir feiner, mit deren schwammigem Gewebe innig- verwachsener Ueber- zui; einzuhüllen, welcluM* am Orijiciuin cutancuin vrethrae in die Sddeimliaut der IIarnr»">lire überüeht. Die Vorhaut wird durch eine für Friction selir empfindliehe, longitndinale Falte — das Bändchen, Freiiulum praeputii — an die untere Fläche der Eichel angeheftet. — Die Fascia SKpcrjicialls des Bauches setzt sich, unter der Haut des Gliedes, «als Fascia j)enis fort, bis zur Corona (jlamUs, avo sie mit der Tunica allw/inea der Schwellkörper verschmilzt. Sie wird am Rücken der Wurzel des Gliedes durch ein Bündel von Bandfasern verstärkt, welches von der vorderen Fläche der Schanifuge als Lipa- mentuin Suspensorium penis herunterkommt. Das Wort Prneputiuw ersclieint zuerst bei Juvenal fSat. XIV.), und ist verdorben aus ttqott'.g^iov. von Trpo und ttög&tj s. Tröad-iov fpenisj, somit vi uominh: „was vom am Gliede ist". §. 308. Anatomischer und pliysiologisclier Charakter der weiblichen Geschlechtsorgane. 813 Bei der Erection gleicht sich die Hautdiiplioatur des Präputium nur zum Theil aus, und ihre beiden Platten werden zur Deckung des verlängerten Penis in Anspruch genommen, wodurch die Eichel mehr weniger frei wird. Der Ueberzug der Eichel besitzt kleinste, und gruppenweise beisammenstehende Tastwärzchen in grosser Zahl, aber keine Talgdrüsen, obAvohl solche in den älteren Schulbüchern unter dem Namen der Glandulae Tjsonkmae (auch amhrosiacae!) angeführt werden. Diese Drüsen sollen auch in der Furche hinter der Corona ilde, wie der Name Zona verstanden werden könnte, sondern der optische Ausdruck der durchsichtigen, dickwandigen Umgebung eines undurchsichtigen Inhalts (Dotter). Die Dotterhaut wird von feinsten Porenkanälchen (Micropvlen) in radiärer Kichtung durchsetzt. Vergleicht man das Ei mit einer Zelle, so entspricht die Dotter- hant der Zellen wand, der Dotter dem Zelleninhalt (Protoplasma), das Keimbläschen dem Kern, und der Keimfleck dem Kern- körperchen. §. 311. Schicksale dea FoUicuUis Graafii und Ava Eies. 817 Der DUcus ooplwrus hat an deii Metamorphosen, welche das befruchtete Ei eingeht, keinen Antheil. Er streift sich schon theil- weise während des Austrittes des Eies aus dem Grraaf'schen Fol- likel ab, und verliert sich gänzlich, während das Ei durch die Tuba in die Gebärmutter befördert wird. Die Grraaf'schen Follikel entwickeln sich, nach Pflüger's und Wal deyer's Entdeckung, nicht aus dem bindegewebigen Stroma des Ovarium, wie man lange Zeit glaubte, sondern, und zwar schon im dritten Monat des Embryolebens, als schlauch artige Einsenkungen des Eierstockepithels. Diese Schläuche lösen sich in Haufen von Zellen auf, an welchen eine grössere centrale Zelle — die Eizelle - — und eine Anzahl kleinerer Zellen sich unterscheiden lässt, welche die g'rössere umgeben, und später die Membrana granulosa des Grraaf'schen Follikels, und den Discus oophorus darstellen, in welchem die Eizelle eingebettet liegt. So bildet sich also schon sehr früh- zeitig die Grundanlage der Organisation des Eierstockes zu seinen erst viel später eintretenden Leistungen. Was wir Folliculi Graafii nennen, hielt der niederländische Arzt, Eegnerus de Graaf, für die menschlichen Eier, benannte sie als Ova, und beschrieb sie ausführlicher in seiner Schrift: De muliermn organis. Lugd., 1672, Ca]). 12. Der eigentliche Entdecker der Graafschen Follikel war aber Nie. Stenson fSpec. myol. Florent., 1667, pag. 117). Auch er hielt sie für Eier, und nannte deshalb das Organ, in welchem sie sich bilden, zuerst Ova- rium. Die in der praktischen Medicin gebräuchlichen Worte: Oarion, Oophoron (von aöv, Ei), und Oophoritis, Eierstockentzündung, kannten die Griechen nicht. Sie sind modernen Ursprungs. Hauptwerk über den Bau des Eierstockes: Waldeyer, Eierstock und Ei. Leipzig, 1870. Der Nebeneierstock (Parovariu^n) hat keine functionelle, sondern nur eine morphologische Bedeutsamkeit. Er liegt zwischen . den Blättern der Äla vespertüionis, als ein Complex von fünfzehn bis zwanzig länglichen, vom Hilus ovarii in die Ala vespertilionis eindringenden, an beiden Enden blinden Kanälen, von 0,15 bis 0,02 Lin. Dicke. Die Entwicklungsgeschichte der Genitalien erkannte in diesen Kanälchen den Ueberrest eines embryonischen Organs — des Wol ff sehen Körpers (§. 330). — Häufig findet sich am Eier- stock, oder an einer Fimbria der Muttertrompeten ein, der Morgagni'- schen Hydatide am männlichen Hoden ähnliches, gestieltes Bläschen. Das Nähere über das Verhältniss des Nebeneierstockes zum Wolff- schen Körper des Embryo, enthält KoheWs Schrift: Der Nebeneierstock des Weibes. Heidelberg, 1847. §. 311. ScMcksale des FolHculus Graafii und des Eies. Die Grösse der Graafschen Follikel variirt in einem und demselben Eierstocke. Die der Oberfläche näher gelegenen sind Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl. ^*^ ^\^ S ='"• S'liicksiilf (l.,'h Folliciiliis Orn-ißi und iK's Eii'S. klfiinT, ;il> t diiri-li Ihr zuiieliincude.s Wachs- tlium «lic ( HxTllficlio des Ki('r>t(tekc'.s iTreiclicn. Die i;rr>ssten von ilirieii r;ii;('ii üIht tlir Fläche (\{':^ Eicr.stockes als JIrii;el liervor, auf (h'rcii Kiiji|)('ii >ich die A lltiii;iii('a so vci'düimt, (hiss sie diirch- hroidu'ii zu sein scheint. Diese verdünnte Stidle heisst Slii/iiia. J)urt:h Ke"rier"s und nisc-hoffs Untersu(diuni;('n -wurcU' nnn eonstatirt, dass sich in der I^nnist/i'it der Thiere, und hei jetler Menstriial- periode des Weihes, ein reifer (Jraaf scher Follikel an dieser vorragendsteu Kuppe durch Dehiscenz öflnet, und der Liquor J'olli- cidi, sainnit dem ])iscus oophorus und dem darin eingebetteten Ei, in die Tuha entleert wird, deren Flimmerstrom das Ei in die (jiebärmutterh<')hle führt. An dem Ovaiiiuii eines <,'esun(li.n IMiidcliciis, wilclics wiiln-end der ersten Menstruation eines zulalligon Todes starb, und dureli rrot. 1! odid ali k's (iüte völlig frisch, mir zur Untersuchung zugestellt wurde, fand ieli den geplatzten FoUiculus Graafii fünf Linien im längsten Durchmesser haltend, und ein Ei von 0,13 Lin. Durehniesser im Eileiter. Es bestand aus einer durchsichtigen Hülle, in welelier eine Dntterkugcl von 0,02ö Lin. eingeschlossen war. Den Raum zwischen Hülle und Dotterhaut schien eine Flüssigkeit einzunehmen, da die Dottcrkugel in der Dotterhaut durch Druck verschiebbar war. Nach der Ber.stuug' des Graaf'schen Follikels, welche man lange nur als die unmittelbare Folge eine.s vollzogeneu Beischlafes ansah, sinkt seine Wand faltig zusammen, nnd Avird seine Höhle theils durch ergossenes und coagulireudes Blut, theils durch eine schon vor der Berstung des Follikels in seiner Theca eingeleitete Bindegewebsneubildung ausgefüllt. Durch eine Reihe von Metamor- phosen schrumpft diese, anfangs aus der Oeffnung des geborstenen Follikels herauswuchernde, sehr beträchtliche AusfüUungsniasse der Follikelhöhle wieder zusammen, und reducirt sich zuletzt auf einen rundlichen Kör})er, Avelcher die Stelle des (Iraafschen Follikels einnimmt, und, seiner gelbröthlichen Farbe wegen, Corpus luteum genannt wird. Die vernarbte Oeffnuni;- des Follikels heisst Cicatriv. Die gelbe Farbe verdanken die Corpora lutea dem Hämatoidin des ergossenen Blutes. Da. dieser Stoff in Weingeist sich entfärbt, so erklärt sich hieraus, warum die gelben Körper, Avenn sie in Spiritus aufbewahrt werden, ihre Farbe verlieren. Je grösser die Zahl der vorausgegangenen Menstruationen, also je älter das Individuum, desto narbeureicher zeigt sich die Oberfläche der Eierstöcke. Bei einem Mädchen, welches nach der achten Menstruation an Lungenentzündung starb, fand ich in jedem Eierstocke vier Narben. — Wurde das Ei, weichesaus dem Graaf- schen Follikel austrat, befruchtet, und tritt Schwangerschaft ein, so Avird das nun sich bildende Corpus luteum viel grösser sein, als wenn keine SchAvangerschaft erfol'>:te. Der lanir andauernde Reizun^-s- §. 311. Schicksale des Follkitlus Graafii und des Eies. 819 zustand, welclieu die fortsclireitende Entwicklung- eines befruchteten Eies Avährend der Scliwangerscliaftsdauer im Eierstock nnterliält, wird nämlich eine eopiösere Aussehwitzung von plastischen Stoffen im geborstenen Graafschen Follikel, und eine reichlichere Neu- bildung von Bindegewebe veranlassen, als die nach wenig Tagen wieder schwindende Grefässaufregung im Eierstocke während der Menstruation erzeugen konnte. Man unterscheidet deshalb wahre und falsche Corpora lutea. Ein wahres Corpus luteum erhält sich durch die gauze Schwangerschaftsdauer; ein falsches verschwindet schon nach sechs bis acht Wochen. Die falschen sind, immer klein; — die wahren können, wenn sie den Höhepunkt ihrer vollen Ent- wicklung erreicht haben, selbst grösser als der Eierstock sein. Dass sich auch ausser der Menstruationszeit durch einen be- fruchtenden Beiscklaf ein Grraaf 'scher Follikel öffnen, und sein Ei entleeren könne, ist eine Vermuthung, welche durch Bischoffs , Arbeiten zwar nicht mIs unmöglich erscheint, aber. Alles erwogen, für sehr unwahrscheinlich erklärt werden muss. — Da der Same in der That durch die Tuben bis auf den Eierstock gelangt, und da- selbst seine befruchtende Kraft einige Zeit bewahrt, so wird wohl in der Regel die Befruchtung des Eichens unmittelbar bei seinem Austritt aus dem Eierstock selbst stattfinden. Es ist jedoch denkbar, dass ein bei der Menstruation in die Tuba gelangtes Ei, in ihr, oder vielleicht erst in der Uterushöhle, durch den Samen einer bereits vorausgegangenen, oder nun erst stattfindenden Begattung befruchtet wird. Da sich zur Aufklärung des wirklichen Sachverhaltes keine Beobachtungen und Experimente in den weiblichen Genitalien anstellen lassen, kann es hierüber blos Vermuthungen geben. Judi- cium autem sine experientia fallaoc. Hipp. Wenn nun das Ovarium bei jeder Menstruation ein Ei ver- liert, und die verwendungslos gewordenen Follikel A^eröden, so muss der Yorrath an entwicklungsfähigen Eiern einmal erschöpft werden, und das weibliche Zeugungsvermögen erlöschen, was durch das Schweigen der Menstruation vor den fünfziger Jahren (amii climac- terici) angezeigt wird. So weit wäre nun Alles recht. Nur begreift man dabei nicht, warum die Frauen nicht fortwährend schwanger sind, und aus dem Schwangersein ihr Lebelang nicht herauskommen, da es docli bei gesundem Zustande des Eierstockes nicht an der inneren Bedingung dazu, und ebensowenig an der objectiven äusseren, legaler oder illegaler Weise, fehlt. Dass auch Mädchen, welche noch nicht menstruirt haben, und Frauen, welche schon aufgehört haben zu menstruiren, schwanger geworden sind, wurde von Aerzten constatirt. Es lässt sich daraus 52* "-^120 fi. ;112. (lol'ftiiiMiller. Aousscro Vorliillliiis>f lU'isoll'on. mir sflilioxMi. (l;is> das luTstcii i-iiies Follikels, und die Kiitleeninff seinos Eies, aiieli stattfinden könne, ohne von einer scddien Gefäss- aufreniin;:; ini Sexiialori^nn hejilcitet zu sein, wclclic /jiiii incnstrualen r>liital)gaiii;' tulirt. Das Menstnialldiit ist ülu-igens ^anz j^ewölmliclics lUiit. wel- clieni Sclileim aus den (Jescldeclitswei;en, insbesomlerc aus der ScdiiMde, in grösserer oder g'erini^erer Men^e l)ei,i;eniisclit ist. 151 ut- Hecken in der Wäsche sind deshall), wenn sie von MenstrualMut herrühren, steifer als Blutflecken von Verwundungen. Erstere haben auch einen lichten Rand, weil sich der Schleim weiter in der I^eiu- wand fortsaui;t, als die rotheu Körperchen des Blutes. Dieser Unter- schied der Blutflecken und Blutspuren, kanu hei einem ärztlichen fiutachten in i;erichtlichen Fällen sehr gut verwerthet werden. Auslululiches über die Corpora lutea gab His im Arehiv für mikro- skopische Anat., I. Bd. §. 312. Grebärmutter. Aeussere Yerhältnisse derselben. Die Gebärmutter, auch ^lutter kurzweg, oder Fruchthäl- ter (Uterus), lagert als ein unpaariges, dickwandiges und mit einer kleinen Höhle versehenes Organ, zwischen Blase und Mastdarm. Inter feces et urinas naschmir, jammert der Kirchenvater. Sie brütet, sozusag^en, das empfangene uud befruchtete Ei aus, dessen Ent- wicklung, bis zur Reife des Embryo, in ihr von Statten geht. Ihre Gestalt ist länglich biruförmig, zugleich von vorn nach hinten etwas abgeplattet. Die lange Axe der Gebärmutter steht nahezu senkrecht zur Conjugata, mit geringer Abweichung nach rechts, wahrscheinlich Avegen linkseitiger Lage des Mastdarms. Ihr breiter Grund, Fundus, liegt in der Ebene der oberen Beckenapertur. Er ist nach oben und vorn gerichtet, während der sich verschmächtigende, cylindrische Hals, Collion s. Cerviv, nach unten und hinten sieht. Was sich zwischen Grund uud Hals befindet, heisst Körper der Gebärmutter. Die Insertionsstellen der beiden Eileiter (Tuhae Fallopianae) bezeichnen die Grenze zwischen dem Körper und dem Grunde. Eine, besonders bei jugendlichen Personen merkliche Einschnürung, Avird zwischen Kör])er und Hals bemerkt. Der unterste Abschnitt des Halses ragt wie ein Pfropf in die Mutterscheide hinein, welche sich rings um ihu anschliesst, wie ein Calix reman um eine Nierenw^arze, und heisst Scheidentheil der Gebärmutter, Portio vcu/iiMlis uteri, Mutterkegel bei den Hebammen. — Die vordere Fläche des Körpers der Gebärmutter ist flacher als die hintere, und zugleich von oben nach unten etwas concav, um sich besser an die hintere Fläche der vollen Harnblase anzuschmiegen. Die Seitenränder, welche die vordere und hintere Uterusfläche von einander trennen, dienen §. 312. Gebarmutter. Aeussere Verhältnisse derselben. 821 den breiten Mutterbändern, Ligamenta lata, welche in den äusseren serösen Ueberzug der Grebärmutter übergeben, zum Ansatz. Die Grrösse der Grebärmutter bestimmt anzugeben, ist eine missliehe Sache. Begreiflicherweise wird sie bei Jungfrauen und bei Müttern eine andere sein. Zwei Zoll Länge, auf anderthalb Zoll grösste Breite, und fast ein Zoll Dicke am Grrunde, mag als beiläufiges Maass eines jungfräulichen Uterus gelten. Am meisten individuelle Verschiedenheiten bietet die Portio vaginalis uteri dar. Ihre Länge misst circa drei Linien, kann aber abnormer "Weise bis auf andert- halb Zoll zunehmen (Lisfranc). Die runden Mutterbänder, Ligamenta rotunda, sind wahre Verlängerungen der Gebärmuttersubstanz, welche von den Seiten des Grundes als rundliche, in der vorderen Lamelle der breiten Mutter- bänder eingeschlossene Stränge abgehen, und durch den Leisten- kanal zur äusseren Schamgegend verlaufen, wo sie sich im Gewebe der grossen Schamlippen verlieren. Nebst den breiten und runden Mutterbändern tragen die faltenartigen Uebergangsstellen des Bauch- fells, von der Blase zum Uterus (Ligamenta vesico-uterina), und vom Rectum zum Uterus (Ligamenta recto-uterina) , zur Sicherung der Lage der Gebärmutter, besonders der schwangeren, bei, und werden dies um so leichter thun, da sie wirkliche Bandfasern von bedeutender Stärke einschliessen, welche der Fascia hypogastrica angehören. Für die manuelle Exploration der Gebärmutter zu praktischen Zwecken erscheint es nothwendig zu wissen, dass sie durch ihre eigene Schwere hei aufrechter Stellung des Leibes, durch die Wirkung der Bauchpresse und der Schnürleibchen, tiefer zu stehen kommt, und der Scheidentheil derselben mit dem Finger leicht erreicht werden kann. Der verschiedene Füllungsgrad der an die Gebärmutter angrenzenden Beckenorgane, nimmt gleichfalls Einfluss auf ihre Lage. — Nach vorausgegangenen Geburten nimmt der Uterus nie wieder seine jungfräulichen Dimensionen an, und rückt wegen Relaxation seiner Be- festigungen etwas tiefer in die Beckenhöhle herab, was auch vorübergehend bei jeder Monatreinigung der Fall ist. — Die Nachbarorgane der Gebärmutter, welche bei deren Yergrösserung in der Schwangerschaft durch Druck zu leiden haben, erklären die Stuhl- und Harnbeschwerden, das schwere Athmen, die Gelbsucht, das Anschwellen der Füsse, das Einschlafen derselben, das Wölben und Hartwerden des Unterleibes, und die dadurch bedingte stärkere Biegung des Oberleibes nach hinten, mit Vermehrung der Lendencurvatur der Wirbel- säule, um die Schwerpunktlinie zwischen den Beinen zu erhalten. Man kennt es aus letzterem Grunde einer Frau auch von rückwärts an, ob sie guter Hoffnung ist. Das Wort Uterus stammt von uter, utris, Schlauch, da der Uterus bicornis der Hausthiere, welchen man früher kannte, als den einfachen Uterus des menschlichen Weibes, zwei lange häutige Schläuche repräsentirt. Matrix, woher das französische la matrice, für Uterus, finden wir zuerst bei Seneca. — Das deutsche Wort Mutter drückt etwas Hohles, Enthaltendes, auch Ent- wickelndes aus, wie wir aus Perlmutter, Schraubenmutter, Essigmutter, und 322 ^- ^1^- ^■'•l'üimultovlinhlo. ^Iiiüi'i<;i'sloin (wclrhos amliM'o i\rin('ialii^n cinsrliliesst) ersehm. G ol)ärinutter rntstaiiil wolil ans 1! ilrni ntter, d. i. Tnigimitter. von dem altdeutschen baeren (uocli in Ralirc zu erkennen), ijotliisrli hah-a», Leide verwandt mit cphQtiv, d. i. tratjcn, enj^lisili fn bear. Der Naturjiliilosojdi Oken nannte den Uterus die Bare. — Von dem trrircliisilifii Ausdrurk für (iel»ilrmutter: i-ir'jTQa, bil- deten sich die Aerzte ilirt' j\fetrtll.-< (Gilnirmutterentzünduiip). und von varfga ihre Hysterie. "TßTtQcc ist das Keiiiininnm des Adjectivs varfgog, der letzte. Der Uterus ist ja das unterste oder lot/.te Einf:^e\v<'ide im Leihe des Weihes. §. 813. {jebärmutterliöhle. Dio ripbririmittpi'liülilo. i'arion vtev'i, iniiss, im Yerliältnisse zur (Grosso (los Oi-gans, kloiii i;-eii;tnnt Averdoii. Iliro (rostalt i;leiclit im Dnrclisdinitto, Ix'i Frauen, wolclio mn-li niclit i^olxn'on liaben, einem Dreieck mit eing-ebogeiien Seiten. Die IJasis des Dreieckes entspricht dem (i runde der Gebärmutter, — die beiden IJasalwinkel entlialten die Einmündungen der beiden T!il)en, — die untere »Spitze des Dreiecks setzt sieli in einen, dnrcli die Axe des Gebürmutterlialses in die Sclieide herabt'ülirend«'n Kanal fort, Canalis cervicis uteri. Dieser Kanal ist in der Mitte seiner Länge etwas weiter, als an seinem oberen und unteren Ende. Das mit der Gel)ärmutterliölde in /usammenliang stehende ol)ere Ende des Kanals lieisst: innerer Muttermund (Orificlnin ideriniiin), und das untere, in die Scheide führende: äusserer IMuttermund (Orißeium ra//i)iale). Der äussere Muttermund stellt bei Jungfrauen und Frauen, welche noch nicht gel)oren haben, eine (juere Spalte dar, mit einer vorderen längeren, und einer hinteren kürzeren Lippe (Ltihium aiUerhis und posterius); bei Weil)ern dagegen, welche schon öfters geboren haben, besitzt er eine rundliche Form. — Die vordere und liintere Wand der Uterushöhie stellen in Contact, und die Höhle kann somit kein eigentlicher Iloldraum mit abstehenden Wänden sein, sondern bildet sich erst, wenn die zusammenschliessenden Wände durch was immer für einen Einschub von einanch'r entfernt werden. Ueher die Topograpliie des Uterus verdanken wir neue, und praktisch verwerthhare Aufschlüsse den von ü/ä vorgenommenen Untersuchungen (Ar- chiv für Anat. und Physiol., 1878). Nacii abgelaufener Schwangerschaft wird der äussere Muttermund rund- litli. klafl't mehr, und seine T'mrandung erscheint gekerbt, durch vernarbte Ein- risse an derselben. Solche Einrisse ereignen sich ganz gewöhnlich bei allen Erstgebärenden, und sind nicht gefährlich, vorausgesetzt, dass sie nicht tief gehen, was in der Regel auch der Fall ist. — Bei bejahrten Frauen, welche oft geboren haben, kann die Portio vaginali.i uteri ganz verstreichen, und der Muttermund steht dann am olieren Ende der Scheide. Das knorpelharte An- fühlen der glatten Lijtpen eines jungfräulichen Muttermundes (ähnlich der Mundspaltc einer Schleie, Cyprinus tincaj, hat zu der Benennung Os tincae, Schlei enmaul, Anlass gegeben, welches zu meiner Schülerzeit noch mit Tinkaknochen übersetzt, und selbst zu Os tineae (tinea ist Kopfgrind) cor- §. 314. Bau der Gebärmutter. 823 rnmpirt wurde. Lieutaud hat diese Benennung zuerst in die Anatomie ein- geführt, als museau de tauche. — Zuweilen erscheint die Portio vaginalis schief abgestutzt, welche Form Ricord als col tapiro'id hezeichwet — Schweins- rüssel, Hundsschnauze, unserer gebildeten Hebammen. §. 314. Eau der Grebärmutter. Man iinterscheidet iu der Gebärmutterwand drei Sehieliten. A. Die äussere geliört dem Banclifell an, welches von der hinteren Blasenfläche anf die vordere Gebärmutterfläche gelangt, den Grund und die hintere Fläche des Uterus überzieht, und an den Seitenwänden mit den breiten Mutterbändern zusammenfliesst. 13. Die innere ist eine Schleimhaut, welche sich in die Tuben fortsetzt. Sie besitzt, wie ich mit Sicherheit behaupten kann, bei Jungfrauen Flimmerepithel bis beiläufig in die Mitte des Clanalis cervicis uteri herab, wo geschichtetes Pflasterepithel beginnt, welches sich in jenes der Vagina fortsetzt. Die Verschiedenheit der Angaben über die Ausdehnung des Flimmerepithels in der Gebärmutterhöhle, lässt sich vielleicht daraus erklären, dass das Alter und die Men- struation, bei welcher das Epithel streckenweise abgestossen wird, auf diese Angaben Einfluss genommen haben. — ■ Die Schleimhaut der Gebärmutter kann nur mit der grössten Vorsicht und nur in kleinen Strecken, als continuirliche Membran abgelöst werden, da sie mit der nächst an sie grenzenden, mittleren Schichte der Gebär- mutter, durch Vermittlung eines netzförmigen Bindegewebes, auf das Genaueste zusammenhängt. An der vorderen und hinteren Wand des CcinaUs cervicis bildet die Schleimhaut eine longitudinale Falte, von welcher seitwärts kleinere, schief nach aufwärts gerichtete Fältchen abgehen, welche zusammengenommen dem Schafte einer Feder mit der Fahne, oder einem Palmblatte gleichen, und absurder Weise Palmae plicatae genannt werden. Denn nicht das Palmblatt ist gefaltet, sondern die Stellung der Falten sieht einem Palmblatt ähnlich. Man soll deshalb Plicae palmatae, nicht aber Palmae fli- catae sagen. Bei Aelteren heisst die Faltengruppe auch Ärhor vitae, oder Lyra. Die vordere und hintere Faltengruppe stehen einander nicht genau gegenüber, da, wenn man den Cervix uteri mit den Fingern von vorn nach hinten zusammendrückt, diese Gruppen neben einander zu liegen kommen. Zwischen den Fältchen der Plicae palmatae ündien sich einfache, kurze, schlauchförmige Buchten, welche man für Schleimdrüschen hält, sowie auch zerstreute, voll- kommen geschlossene, über die Fältchen vorragende, mit schleimiger oder colloider Flüssigkeit gefüllte Bläschen, die Ovula Nabothi, welche aller Wahrscheinlichkeit nach, nur infarcirte Schleimdrüschen sind. Martin Naboth, Professor zu Leipzig, ein sonst ganz unbekannter Mann, suchte diesen Bläschen, welche die Anatomen bisher für^ H3'datiden P24 * '*'* ^'^^ ''*' GebSrmntter. hitlten. die Bedt^utung der wahren mensehliclien Kier zu vindieireii rZ)/.*.«. de sterilitate. Lips., 7 707, Äf. l'J. I.V. In der unteren Hälfte des Ctiaalis cerricis, sowie auf" der Ge- sanimtolierfläclie der Pars luiginalis uteri, besitzt die Scldeimhaut eine bedeutende Menge nervenreicher Papillen, und erhält dadurch einen (irad von Einplindlicdikeit. welcher den eigentlichen Sitz des weiblichen Wollustgefühles bei der I^egattuni;', in dem Scheidentheil der ( Jebänuutter annehmen lässt. — Im ('armn uteri erscheint die sehr wenig" empfindliche Schleindiaiit vollkommen faltenlos, und überaus reich an mikroskopischen, tulnilösen, ungetheilten oder ästig gespaltenen Drüschen (Glamhiltd' utricularen), welche bis in die muskulöse Gebärnnittersubstanz (mittlere Schichte der Gebärmutter) hineinreichen. Die Menge derselben ist so bedeutend, da.ss das, was man Schleimhaut des li^terus nennt, eigentlich nur als die Summe dieser Drüschen angesehen werden muss. Das flimmernde Epithel der Iternsschleimhaiit kleidet die Si-hlänclie der Drüschen aus. Da die Flimmerrichtung in der Gebärmutter und in den Eileitern nicht gegen den Eierstock, sondern gegen die Vagina gerichtet ist, muss sie das Vordringen der Spermatozoi-n gegen das zu befruchtende Ei erheblich er- schweren. T'nzählige dieser oigentlichi-n Träger der befruditenden Kraft des Sperma werden durrli den Fliinnierstrtini aus dem l'terus lönnlich herausgefegt. und man mürhte es fast nur für Zufall halten, wenn dieselben, trotz der Hin- dernisse, den rechten Weg in jenen Eileiter finden, in welchem sich gerade ein der Befruchtung harrendes Ovulum humanuni befindet. So erklärt es sich, warum nicht jt^de Begattung befruchtet. — In der Periode der monatlichen Reinigung lockert sich die Uterussrlileimliaut auf. wird drei- bis viermal dicker, und wirft ihr Flpitliel ab. welclies alsbald durch neues ersetzt wird. In der Schwangerschaft scliält sich die Schleimhaut gänzlicli von der Innen- fläche dos Uterus ab. und wird als Membrana decidua saramt den Hüllen der Frucht bei der Geburt ausgestosson. Schon während des Abschälens der alten Schleimhaut beginnt die Bildung einer neuen. ' '. Die mittlei'e Schichte der (Jebärmutter bildet die eigent- liche (i ebärmuttersubstanz, welche, bei dem Missverliältnisse der Grösse des Uterus zur Kleinheit seiner Höhle, eine bedeutende Dicke haben muss, und zugleich ein so dichtes Gewebe besitzt, dass, nach dem Gefühle zu urtheilen, die (ilebärmutter, nächst der Pro- stata des Mannes, das härteste Eingeweide ist. — Die Gebärmuttersubstanz besteht vorzugsweise aus Bündeln glatter Mu.skel fasern, welche sich vielfältig durchkreuzen, und durch ein spärliches homogenes, oder schwach gefasertes, kernführendes Bindegewebe so innig mit einander verbunden werden, dass eine Trennung derselben in einzelne Schichten kaum ausführbar wird. Man kann an durchschnittenen und gehärteten Uteri, nebst Längen- imd Kreisfaserbündeln, auch schief von einer Uterushälfte auf die andere übersetzende, und somit sich in der Medianlinie kreuzende %. 315. Eileiter. 825 Bündel untersdieiden. Die Kreisfasern haben die drei Oeffnungen des Uterus zu ihren Mittelpunkten. Die Längenfasern gehen schlingen- förmig' Ton der vorderen zur hinteren Fläche. Bindegewebe, Blut- gefässe, und Nervengeflechte, an deren Bildung sich spinale und sympathische Elemente betheiligen, lagern in den Zwischenräumen der Muskelbündel. Die Muskelschichte der Gebärmutter betheiligt sich ausschliesslich an der Zunahme der Wanddicke eines schwangeren Uterus. Sie hat ja die Kraft aufzubringen, durch welche der reife Embryo aus seinem bisherigen Aufent- haltsorte ausgetrieben werden muss. Die Dicke dieser Muskelschicht nimmt in der Schwangerschaft durch Neubildung von Muskelfasern so bedeutend zu, dass die Zusammenziehungen der Gebärmutter die grössten Geburtshindernisse zu überwältigen vermögen, und selbst Schwangere, an denen der Kaiserschnitt vorbereitet wurde, durch eine letzte Wehenanstrengung auf natürlichem Wege gebaren. — Die organischen Muskelfasern der Gebärmutter setzen sich in die runden Mutterbänder, in das Ligamentum ovarii proprium, und in die Tuben fort. Auch zwischen den Blättern der breiten Gebärmutterbänder hat man Muskelfasern gefunden, welche mit jenen der Gebärmutter in Verbindung stehen. — lieber Verbreitung und Verlauf der Muskelfasern in der nicht schwangeren Gebärmutter, wurden von E. Kreitzer in der Petersburger med.- Zeitschr., 1871, umfassende Untersuchungen veröffentlicht. Die Arterien der Gebärmutter verlaufen im schwangeren und nicht schwangeren Zustande in kurz gewundenen Spiralen. Die Venen sind mit der sie umgebenden Uterussubstanz auf das Innigste verwachsen, und klaffen deshalb an der Schnittfläche einer Gebärmutter. Sie nehmen während der Schwanger- schaft in so erstaunlicher Weise an Dicke zu, dass sie sich beim Durchschnitte als fingergrosse Lücken zeigen, welche man früher für Sinus hielt. Es handelt sich in praxi öfters darum, zu entscheiden, ob eine tiefere Stellung des Uterus im Becken, durch abnorme, angeborene Kürze der Vagina, oder durch Relaxation der Befestigungsmittel des Uterus bedingt wird. Im ersteren Falle kann der Uterus durch den in die Vagina eingeführten Finger nicht emporgedrängt werden, was im letzteren Falle leicht gelingt. Die ange- borene Kürze der Vagina ist ein wichtigerer Formfehler, als es auf den ersten Blick erscheint. Er macht die Begattung schmerzhaft, und unterhält dadurch einen chronischen Reizungszustand in der Gebärmutter, welcher zu bedenk- lichen Folgeübeln führen kann. Cruveilhier hat in einem solchen Falle das Ostium uteri so erweitert gefunden, dass kein Zweifel obwalten konnte, der Penis habe durch sein Eindringen bis in die Höhle des Uterus diese Erwei- terung erzeugt. Eine andere Consequenz der abnormen Kürze der Scheide be- ruht in einer durch die Begattung bedingten, derartigen Verlängerung des hinter der I'ars vaginalis uteri befindlichen Fornix vaginae fle vagin artifidel bei französischen Autoren), dass diese künstlich entstandene Scheidenverlän- gerung die Länge der natürlichen Scheide noch übertrifft. §. 315. Eileiter. Hinter den runden Mutterbändern gehen vom Fundus der Gebärmutter die beiden Eileiter oder Mutter trompeten ab, Tubae Fallopianae s. Oviductus, welche mehr weniger geschlängelt, im oberen freien Rande der breiten Mutterbänder liegen. Ihre mit S2G S. nir.. EileiteT. der (i('l);iniintt('r zusaniniciili.'iniAcndc iiiiioro Ilfilfto zci-it ;nn (^»ihm-- si-linitr mir fin ;'iiissor>t ciiüos |Mmls Liiiiu'ii. iiiul licisst (l('sli;ill> T.-roprlimi für den Aiisfrdinmi;su,aiii; des EiiM'stockos liiolt, und dass(>ll)0, dieser lilee entsnrecliend, Jhicfii.'^ e}che Muskelliaut. 1 )ie Schleim- haut besitzt nur in der Ampulla blinddarmförmige Drüschen, und ebendaselbst auch mehrere faltige Erhel)ungen mit seitlichen Neben- falten, wodurch die aufgeschnittene Tuba an dieser Stelle ein ge- §. 315. Eileiter. 827 fäcliertes Ansehen darbietet. Das FHmmerepitliel der Schleimhaut setzt sich, über den Rand des Ostium abdominale tubae hinans, anch auf die äussere Fläche der Fimbrien eine sehr kurze Strecke weit fort. — Am Ostium abdominale tubae geht die Schleimhaut der Tuba in das Bauchfell über, — der einzige Fall des üeberganges einer Schleimhaut in eine seröse Haut. Nach Richard's Beobachtungen f These inaugurale. Paris, 1851) kommen zuweilen an den Tuben, ausser den beiden endständigen Oeffnungen, noch mit Fimbrien gezierte Seiten Öffnungen vor. Sie wurden in dreissig untersuchten Fällen fünfmal gesehen, und zwar entweder in der Nähe des Ostium abdo- minale, oder in der Längeiunitte der Tuba. In einem Falle war eine solche Seitenöffnung in eine kurze membranöse Eöhre ausgezogen. — Corrodirte Güsse von Tuben zeigen sich mit einer veränderlichen Menge kleiner Zäpfchen besetzt, welche nur Abgüsse von Diverticula oder Drüsenschläuchen sein können. — Von den Blindgängen (Diverticula oder Drüsenschläuche?) an den Tuben handelt Hennig, im Archiv für Gynäkologie, 13. Bd. Man stellte sich bis auf die neueste Zeit vor, dass die Fransen des Ostium abdominale tubae das Ovarium in jenem Momente umfassen, in welchem durch Berstung eines Graafschen Follikels, ein Ei aus dem Eierstocke ab- geht. Es leuchtet aber nicht ein, wie die zarten Fransen sich zu einer solchen Umklammerung anschicken sollen. Es mangelt ja an freiem Bewegungsspiel- raum für die Fransen in der unter dem Druck der Bauchpresse stehenden Unterleibshöhle. Man müsste ferner den Fransen des Eileiters eine Art von Instinct zuschreiben, sich gerade an jenen Stellen des Eierstockes anzuklam- mern, wo eben ein Follikel zu bersten im Begriffe ist. Ich war nicht im Stande, durch GalVanisiren der Eileiter bei Thieren, eine Umklammerung der Eier- stöcke durch die Fransen des Infundibulum hervorzurufen. Die Art und Weise, wie der Uebertritt des Eies aus dem Eierstock in die Tuba bewerkstelligt wird, liegt also noch im Dunkel. Dass die von Delille zuerst erwähnte, und von Henle als Finibria oarica bezeichnete Franse, bei der Ueberführung des Eies in die Eileiter betheiligt sein kann, will ich nicht in Abrede stellen. Diese Franse ist länger und breiter als die übrigen, geht mit dem äusseren Ende des Eierstockes eine Verbindung ein, und faltet sich zugleich der Länge nach so, dass sie eine Rinne bildet, längs welcher das Ei. unter dem Einflüsse der Fliramerbewegung in der Einne, seinen Weg zum Trichter der Tuba finden mag. Henle lässt das vom Ovarium ausgestossene Ei durch die Flimmer- bewegung der Fimbria oarica gleichsam einfangen, und in das Ostium tubae geleiten. Die Beobachtung Thiry's (Göttinger Nachrichten, 1862), dass sich bei den Batrachiern, deren Oviducte sich weit vom Eierstock entfernt öffnen, während der Brunst förmliche Strassen von Flimmerepithel auf dem Peri- toneum entwickeln, welche gegen die Oeffnung der Oviducte convergiren, ge- währt dieser Ansicht eine mächtige Stütze. — Das von der Tuba aufgefangene Ei wird durch sie in den Uterus geleitet, in dessen Höhle es, wenn es mitt- lerweile nicht befruchtet wurde, durch Aufsaugung verschwindet, aber weitere Umbildungen erfährt, wenn es die belebende Einwirkung des männlichen Sa- mens erfuhr. Bevor Fallopia den Eileitern den Namen Tubae gab. Wessen sie Cornua uteri (Galen), auch Meatus seminales, Vasa semen deferentia s. eja- culatoria ovarii, indem man vor Alters die Ansicht hegte, dass in den Eier- stöcken der weibliche Same bereitet werde, welcher durch die Tuben in die g28 •• !^'ö. Mutteradieide. (3ol)äniuitter geleitet wird, um sicli dort mit dem milnuliilu n Samen zu miselien. aus welelier 'Mixtur solort der Kml)rvii iiervursrelit. §. 81 1;. Muttersclieide. Die Muttorsf'lieide oder Sclieide, Vofjina (x(5An;o?), nimmt im Paiiniimsacte das männliclio Glied vcifiinae ml hmfar auf, - — dalier ihr Name, (ranz i^egen die Regel: propr/'a quae marilnis, heisst sie im Fi'anzösisclien /<' variin. Die Sclieide verbindet den Uteru.s mit dem äusseren Genitale i\(>^ AVeibes. Ihre Längte wird auf vier Zoll ani»;ej;el)en. Dieses ist unrichtig für die Vagina in .ntu, Avelche in der Regel nur dritthall) Zoll lang gefunden wird. Wo müsste bei vier Zoll Länge der Scheide, der zwei Zoll lange Uterus mit seinem Grunde stehen? Gewiss nahe zwei Zoll über dem Niveau der oberen Beckenapertur, was nicht der Fall ist. - Der (^uerdurclimesser der Seheide l)e- trägt, bei gel)ührlicher Weite, nur einen Zoll. Die Sclieide beginnt in der äusseren Schamspalte mit dem senkrecht elliptischen Scheideneingang-, Ostinm vaginae, Avelcher der engste und am wenigsten ausdehnbare Theil der ganzen Scheide ist, und bei der ersten Begattung dem Eindringen des Penis fast ebenso starken Widerstand leistet, wie das Jungfernhäutchen. Er steht noch ül)erdies untei* dem Eintliiss eines der Willkür gehorchen- den Muskels, des Scheidenschuürers, (^onstricfor cinni/,\on welchem in §. 322, r, mehr gesagt wird. Die Scheide liegt, wie die Gebärmutter, zwischen Harnblase und Mastdarm und endigt nach oben mit dem Scheideugewölbe, Fornir, in welches die Pars vaginalis uteri als stumpfer kegelförmiger Vorsprung hineinragt, und dadurch das Scheidengewölbe in ein vorderes seichteres, und hinteres tieferes trennt. — Die Axe der Scheide stimmt mit der Axe des kleinen Beckens überein, ist somit ein Segment einer Kreislinie, dessen Concavität nach vorn sieht. Dieses ümstandes wegen Avird die vordere Wand der Scheide etwas kürzer sein müssen, als die hintere, Avodurch eben das vordere Scheidengewölbe seichter als das hintere sein muss. — Die A'ordere und die hintere Wand der Scheide stehen im Leben nicht von einander ab, sondern berühren sich, so lange nichts dazAvischen kommt. — Der Peritonealüberzug der hinteren Fläche des Uterus, ' erstreckt sich auch auf den obersten Theil der hinteren Scheiden- wand herab. Sonst hat die Scheide keinerlei Verbindung mit dem Bauchfell. Die Wand der Scheide Avird durch eine dicke, mit einer Schicht organischer Muskelfasern versehene, und mit elastischen Fasern durchAvebte BindegeAvebsmembran, und durch eine Schleim- §. oiT. Hymen. 820 liaut gebildet. Die mit starken Yeueuuetzeii durclizugeue Biiide- gewebsmeinbrau verbindet die Scheide mit deu an sie anliegenden vorderen und hinteren Nachbarorganen — mit der Harnblase und dem Mastdarm. Die ScMeimhautauskleidung der Scheide besitzt nur sehr spärliche Schleimdrüsen, aber zahlreiche Papillen, und ein mehrfach geschichtetes Pflasterepithel. Die beträchtliche Dicke des Pflasterepithels verdeckt die Schleimhautpapillen fast vollkommen. Die massenhaft sich abstossenden, und mit krankhaften Secreteu der Scheide sich mischenden Epithelialzellen geben diesen Secreten eine weissliche Farbe, woher der Name weisser Fluss (Fluor albuö; Leucorrhoe) stammt, — eine Plage vieler Frauen, auch mit reinem Gewissen. Durch Erschlaffung der Sclileimhaut bedingt, muss dieser Fluss, als Fluor benignus, von dem durch Ansteckung hervorgerufenen Fluor mallgnus wohl unterschieden werden. Die Schleimhaut bildet au der vorderen und hinteren Wand der Scheide ein System quer über einander liegender, gekerbter Kämme (irriger Weise auch Runzeln oder Falten genannt), als Columua plicarurn anterior und posterior, welche dicht hinter dem Ostimnvaginae externum am entwickeltsten sind, und gegen den Fornix hinauf allmälig an Höhe abnehmen, bei muUiparis auch gänzlich verstreichen. Die beiden Columnen stehen einander nicht genau gegenüber, sondern kommen, wenn die Scheide von vorn nach hinten zusammengedrückt Avird, neben einander zu liegen. Diese Kämme oder Runzeln sind nicht als Schleimhautduplicaturen aufzufassen. Ich sehe in ihnen vielmehr nur Riffe, welche auf einer ungefalteten Schleimhaut, als verdickte und aufgeworfene Stellen derselben, auf- sitzen. Nichtsdestoweniger behält man den Namen der Falten oder Runzeln bei, obwohl der Ausdruck Cristae, Kämme, wie mir scheint, bezeichnender wäre. Durch häufige Begattung, und noch mehr durch öftere Geburten, werden die Kämme der hinteren Wand der Scheide geglättet; die vorderen erhalten sich besser. Ihre Empfindlichkeit steigert während der Begattung die Geschlechtslust des Weihes, und vermehrt, durch Eeibung an der Glans, den Impetus coeundi des Mannes. Bei Jungfrauen fühlen sie sich fast knorpel- hart an. §. 317. Hymen. Die Schleimhaut des Scheideneinganges bildet im jungfräu- lichen Zustande, durch Faltung von unten auf, eine halbmondförmige Duplicatur — die Scheidenklappe, das Jungfernhäutchen, Hymen. Ihr oberer concaver Rand lässt nur soviel von der Scheiden- öffnung frei, als der Abfluss der monatlichen Reinigung erheischt. Nach Zerstörung dieses fragile honum durch die erste Begattung, bleiben die sogenannten Carunculae myrtiformes, als Gruppen warzen- 830 «• ;!1"- "ymen. ähiilielier i^ekerbtiT liV'.stc der /.crrissciicii Luppen (k'.s Ilyincu zurück. Kill z('r>t("irt<'r IIviiicii ri'i;cMit'rirt sich nie: „ — — — Nulbi rejHiraliiUs arte „Lae.tii pitdicitla est; — • ='"*■ Auusserc Siliain Sclil('iiiili;iiitr;ilt(' tl;i> Ihm dci" «'rsteii (ichiirt :;«'\ve- (Iciitiriii;- läs.st sicli für (l;is Fri'iiuluin der grossen Sclianilippen so wciiii;', wie für das Fri'iiiifiiin ftrarpnlii, und Frciiii/nm liiKiintc, aii.s- liiidii;' iiia(di('M. Nacli Ifiolan sidlcii dioc drei Fi'cmila iiiis zu (le- imitli tülircii: „(/ikkI lüarc Irilm.i oiyauis iitiKlcrutc uti deln'antas". Hinter dein Frennhnii vertieft sicli die Sclianispalte zur sclii t"ff<»rini;^ea (Jrnhe, Fos.sa navicK/ftri.s, einem Lieblini;s,sit/> der veuerisclien Coii- dvlonie. — Kleine Kiniisse (\vs P^-enulnni lial)en gar keine Bedeu- tuni;', oltwold sie nicht zusaninienlieilen, sondern sieh Überhäuten. Tiefere Kinrisse können in (his JMitteltieiseli, ja seihst bis zum After, ja sog-ar in diesen hinein sich erstrecken, und werden da- durch zu Objecten chirurgischer I>ehandluni;-. l>io iiussi.'re Flüche ilcr f^russrii Scliajnliiipcii Ix'sitzt iiucli ik'ii ullgc- iiiiinrii Cliaraktcr dos Intcf^'Uincnts, mit Haiiil)ill<,n'n uml 'J'alfjjdrüscn; die iniiertn f'läclirii beider Liip]nii lialien zwar, durch ihre Zarllieit und hhissc Tlüthc, das Ansehen einer Sclileiniliaut, cntbelnon aber der Selilcinidrüscn, wclclic durcli Glandulae sebaceae vertreten werden, (geschichtetes Ptlastcrcpithel überzieht die iiniere Fläehe der grossen, und beide Flächen der gleich zu erwähnenden kleinen Sehamlefzen. — Die grossen Schamlippen sehliesseu, durch gegenseitige Berührung, bei jungfräulichen Individuen die Schamsjialte genau zu, welche erst durch wiederholte Begattung oder Geburten klaffend wird. Fettreiches und dichtes Zellgewebe, vom Mons Veneris herabkonunend, giebt ihnen bei jugendlichen Personen, welche ihre Geschlechtstheile geschont haben, eine gewisse Prallheit, welche im späteren Frauenalter schwindet. Eine dieses Zell- gewebe deckende contractile Faserlage erinnert an die Dartos des männlichen Hodensackes. — Die grossen Sehamlefzen besitzen im Fötalleben eine grössere Ausdehnung nach hinten zu, so dass sie bis zum After reichen, — ein Zu- stand, welcher sich cxceptionell auch im späteren Alter erhalten kann. Oefter als dieses kommt es vor, dass die Labia majora mit ihren oberen Enden etwas von einander abstehen, so dass die Dorsalseite des Kitzlers zu Tage liegt. Im Celsus steht Vulva für Uterus und Vagina. Spigelius leitet das Wort von valva, Thürflügel, ab: „quod propter longam fissuram, qua labia genitalium disparantur, valvas aemuletur" . Bei Seneea wird auch Volva gelesen. Bei Htal( und Lai;e dem Penis i;l(Mohen(UMi, erectih'ii Köri)er hihU-n, welcher eine dlans, ein Präputium, ein doppeltes Frenulum, Musculi isclüo-ctdrnio^i, aber kein»* Harnröhre besitzt. Die weibliche Harn- röhre mündet vielmehr dicht über dem Scheidenein^an«;', zwischen den kleinen Schamlippen, mit einer rundlichen, und an ihrem hin- teren Rande etwas g-ewulsteten Oeflfnung-, um welche herum, sowie au den Seiten des Scheideneinganges, einige acinöse Schleimdrüschen sich einfinden. Pic Clitoris wird in südlichen Zonen grösser angetroffen, als in den gemässigten nnd kalten Breiten. Bei den Androgynen und lasciven Frauen überhaupt, nimmt ihre Grösse zu, und kann so stattlich werden, dass die Knnsthilfe einschreiten muss, um das Ueberflüssige zu beseitigen. In Abyssinicn und mehreren Ländern Centralafrikas hat die Beschnei düng der Mädchen einen volksthümlichen Charakter erlangt. Als bei der Bekehrung der Abyssinier zum Christenthume, die Missionäre die weibliche Beschneidung als Ueberrest lies Heidenthums abstellten, machten die Männer Kevolution, welche nicht früher beigelegt wurde, als bis ein von der Propaganda in Kom abgesandter Wundarzt die Nothwendigkeit des alten Brauches feststellte. — Bei besonderer Entwicklung, wie sie Thora. Bartholinus gesehen (sechs Zoll lang und lingordick), kann die Clitoris die Stelle des männlichen Gliedes vertreten, uml eine Anomalie geschlechtlichen Umganges veranlassen (Amor lesbicusj, wie die lascivc Muse Marti al's singt. „Inter se geminos audent committere cunnos, „Mentiturque virum, prodigiosa Vemis." Solche Frauenzimmer hiessen bei den Griechen TQißaösg, bei den Römern Ffiilricis. Auch unsere Sittenpolizei und gerichtliche Medicin kennt sie. Am Scheideueingange münden links und rechts die Barthie])en bis acht Ijinien beträgt. Schlüpfrigmachen des Scheidenein- i;anges für den Penis scheint die Bestimmung dieser Secretions- organe zu sein, denn sie nässen nur durante pruritu. — Bei unzüch- tigen Frauenzimmern sind diese Drüsen immer grösser, als bei schcuuhafteu. §. 319. Brüste. 835 Diese Drüsen wurden zuerst von J. G. Duverney in der Kuh gefunden, hierauf von Bartholin im Menschenweib entdeckt, dann vergessen, und erst in neuerer Zeit durch Tiedemann der Vergessenheit entrissen. (Von den Duverney'schen, Bartholiu'schen oder Cowper'schen Drüsen des Weibes. Heidelberg, 1840.) Die Mündungen derselben am Seheideneingang waren schon dem Spigelius bekannt: „non negligentia sunt duo coeca foramina, in quibus serosus Tiimior non parca quantitate pvodit, qui maris ptibeni in coitu madefacit" . §. 319. Brüste. Die Brüste sind der anatomische Ausdruck des g-aiiz nach aussen gekehrten, und für die Erhaltung eines fremden Daseins wirkenden, weibliehen Zeugung-slebens. Sie sitzen bei den meisten Säugethieren am Unterleibe, imd rücken beim Menschen und bei den Affen, wo die Bewegung- der oberen Extremität sich am freie- sten gestaltet, und den Säugling trägt, an die seitliche Gregend der vorderen Brustwand herauf. Die erste Classe der Wirbelthiere führt von dem ausschliesslichen Besitze dieser Organe, den Namen 3Iam- malia. Lebendig gebärende Thiere anderer Classen haben keine Brüste. Brüste von modestem Umfange (ut sit quod capiat nostra te»Mii;«'\vel>('.N, .il> von der Präviilonz A{^> t'ottbeladenen Umliüllungs- Bin(logewel)«'s ;il>. DcsIkiU) >'\n*\ es niclit iniiiier i;i-(>sm' Brüste, -wolt'lie viel Mileli i;elteii. Bei P^Miien, welclio iliri- Kintlcr >ell)>t stilU'ii. wird d'iv linke Brn>t li;uifig' etwas i'-rcisser gctnuden, ;il> die reelite. Dieses wird (hidurcli bedingt, dass die ^Intter den v^ängling, iiin den rechten Arm frei zu behalten, auf dem linken Arme trägt, und desliall) die linke Brust häufiger zum Stillen verwendet. — Am männlichen Tlmrax steht ausnahmsweise eine Brustwarze höher als die andere. Ihr Standort entspricht gewc'diulich dem Zwischenraum der vierten und fünften Rippe, nur selten dem der fünften und sechsten. — Sehr gewöhnlich findet man bei Schwangeren und Säugenden zehn und mehr kleine, milcliseceruirende Drüschen im Bereiclie des AVarzenhofes, wo sie die Haut desselben hügelig emporwölben, und auf der Höhe dieser Hügel münden. Morgagni hat sie als Tuhercula areolae erwähnt, (dme ihre Natur zu kenneu. Luschka bezeichnet sie als Glandidai' lactiferue aherranti's. Die Brustdrüse kommt beiden Gcschkchtcin zu. Die mäniiliclien Brüste (Mammillae), welche bis zur Pubertätszeit den Brüsten der Mädchen desselben Alters vollkommen «jleidien. vcrkünnnorn bei Erwachsenen, ohne jedoch gänzlich zu schwinden. Es gehört unter die seltensten Curiositätcn, wenn ihre Vitalität sich bis zur Erzeugung walircr Älilch steigert. Dieses kommt um die Pubertäts- periode von Knaben vor (llexenmilch). Der merkwürdigste und verbürgteste Fall von ]\Iilchabsonderung in männlichen Brüsten, wird von A. v. Humboldt (Reise in die Aequinoctialgegenden des neuen Continents, 2. Bd., pag. 40) erzählt, wo ein Mann, wälirend der Krankheit seiner Frau, sein Kind fünf Monate lang stillte. Plin neuerer Fall dieser Art wird von Häser, in dessen Archiv, 1844, pag. 272, beriditet. In unseren Schafzüchtereien kommen milchende Böcke nicht so selten vnr. — Vcrmoluung der Warzen auf einer Brust (Tiede- mann, Siebold), und abmirme Lage überzähliger Brüste als Mammae erraticac in der Achsel, auf der Scliulterhöhe, auf dem Rücken, am Schenkel (Bar- tholin, Siebold, Robert), gehören unter die vSeltenheiten. Der crstbikannte Fall einer Brustdrüse auf dem Rücken betritl't eine gehenkte Giftmisclicrin. Die Drüse liatte zwei Zoll Durchmesser, und einen Zoll Höhe. Ihre Warze war gut entwickelt (Tli. Warton. Adenograpliia. Lond.. 1G59, i)ag. 249). — Ueber das Vorkonnncn supernuinerärer Brüste und Brustwarzen in beiden Geschlechtern (zusanuiien 104 Fälle), handelt Leichtenstern in Virehoiu't< Archiv, 73. Bd. — VoUkonniiener ^Mangel der Brustwarzen, und Ausmündung der Milcligänge in einer Grube statt auf der Warze, hat Cruveilhier bei einer dreiundfünfzig- jährigen Frau beobachtet. — Bei den Beutelthieren (Marsupialia) stehen die Brustwarzen lücht an der Bauchwand, wie bei anderen Säugethieren, sondern sind in einem, über der Schamfuge befindlichen, und von der Haut des Unterleibes gebildeten Beutel (Miu:mpium) verborgen, dessen Eingangsöffnung durch einen Sphincter verschlossen werden kann. Die Jungen werden ganz unreif geboren, und von der Mutter in den Beutel gebracht, wo sie sich an die sehr langen Brustwarzen so ansaugen, dass, wie man an Durchschnitten der fest an den Beutel angesaugten Embryonen sieht, die Spitzen der Warzen ihnen bis in den Magen reichen. §. 320. Bau der Brüste. 837 Der lateinische Name der Brüste, 3Iammae, stammt von fiaV,u?j. Das griechische Wort (xdözot bedeutet sowohl Brüste als Brust- warzen. Man liest auch f^c'^ot, Avoher Amazoties. Bei Thieren spricht man nur von Ul>era, Euter, welcher Ausdruck von dem gTiechischen ovd'CiQ herrührt. §. 320. Bau der Brüste. Die Structur der Brust kann, mit belehrendem Erfolg-, nur an milchhältigen Brüsten ron Leichen hochschwangerer oder stillender Frauen untersucht werden. Nur an solchen Brüsten zeigt es sich deutlieh, dass sie nach dem Typus der acinösen Drüsen gebaut sind. Sie lassen sich aber nicht durch das Messer in mehrere, der Zahl der Ausführungsgänge entsprechende Lappen zerlegen, da die bindegewebige Grundlage des Drüsenparenchyms ein continuirliches Gerüste bildet, an welchem sich Septa, als Scheidewände einzelner Drüsenlappen, nicht darstellen lassen. Die sechzehn bis zwanzig baumartig verzweigten Ausführungsgänge der Brustdrüse, Ductus lactiferi s. galactopliori, convergiren gegen die Brustwarze, erweitern sich unter dem Hof der Warze als Sinus lactei, ohne zu anastomo- siren, verengern sich hierauf, und steigen zuletzt gegen die Kuppe der Warze auf, wo sie, zu zwei oder drei, zwischen den Runzeln derselben mit feinen Oeffnungen münden. Ihre Wand besteht aus Bindegewebe mit elastischen Fasern, aber ohne organische Muskel- fasern. An den traubig gruppirten Endbläsehen (Acini) der Ductus lactiferi, verdünnt sich die bindegewebige Wand sehr aufliillend, und wird structurlos. Der Hohlraum der Drüsengäuge und der Acini wird durch ein hohes Cylinderepithel bedeutend verengt. In den Zellen dieses Epithels sind Fetttröpfchen in grosser Menge enthalten. Die Fetttröpfchen werden durch Bersten der Zellen frei, und bilden, als Milchkörperchen, den Hauptbestandtheil der Milch. Es werden aber auch, besonders in den Tagen kurz vor und nach der Geburt, unversehrte grössere, rundliche Epithelialzellen mit ihrem Inhalt von Fetttröpfchen abgestossen, und schwimmen frei in der Milch als sogenannte Colostrumkugeln. In den klimakterischen Jahren der Frauen beginnt der Schwund der Brustdrüsen. Es erhält sich von ihnen, im hohen Alter der Frau, nur ein ärmliches Bindegewebslager, in welchem die ihrer acinösen Endbläschen verlustig gewordenen, dünnwandigen und collabirten Milchgänge mit spärlichen Ausläufern blind endigen. In den' Brüsten von neugeborenen Knaben und Mädchen finden sich nur die Hauptstämme der Milchgänge vor, an welchen, als An- deutung der erst später hinzukommenden Verzweigungen, kolben- förmige Anhängsel aufsitzen. Diese Verzweigungen, sowie die auf gr\3 5. !^20. Pavi itzen(leu Aciul, cntwickoln sicli aber erst in liereits iresclileclitsroifeu Mädchen, — bei Knal)eu unterbUMbt diese Eiit- •wickluiiii;;, und selbst die Ilanptstäinine der I\lilclii;änge sclnvinden in der Kegel. Die Brustwarze und der ^^'arzeuhof besitzen glatte jMuskel- fasern. In der AVarze bilden sie ein Netzwerk von Längs- und Kreisfasern, durch dessen Maschen die Ductus hictiferi gegen die Sj^itze der Warze aufsteigen. Die Kreisfaseru der Brustwarze be- dingen durch ilire Zusammenziehung die Verlängerung, und zugleich mit den Läu-isfaseru das Hartwerden der Warze auf mechanische Reize (Kitzeln. Sauden). Im Warzenhofe erscheinen die Faserzüge mehr concentrisch geordnet, und nehmen, gegen die Papille hin, an Stärke zu. Die dunkle Färbung der Brustwarze und ihres Hofes rührt von Pigmentirung der unteren Schicliten des 3riiri(S MaJ- phihii her. Die Arterien der Brust stammen aus der Arteria mammaria interna und der Arteria a^villaris. Die Venen übertreflFen die Arterien so sebr an Umfang, dass ihre hochliegenden Zweige auch bei gesunden Brüsten durch das zarte Intcgunient als blaue Stränge durchscheinen. Der von Hall er, und später von Sebastian fDe circulo venoso areolae. Groeningae, 1837J beschriebene Yenen- kreis im Warzenhofe ist an zwei Exemplaren, welche ich vor mir habe, nicht geschlossen, sondern umgiebt nur zwei Drittel der I^ustwarze. — Die Saug- adern der Brust verbinden sich mit den Lymphdrüsen des vorderen Mittelfell- raumes, und mit jenen der Achselhöhle. Auch eine oder zwei an der Clavicula liegende Lymplidrü«en nehmen Saugadern aus der Brust auf. — Nach C. Eck- hard (Beiträge zur Anatomie und Physiologie, 1. Heft, Giessen. 1855) zerfallen die Nerven der Brust in Haut- und Drüsennerven. Die Hautnerven ent- springen: i. aus dem zweiten bis sechsten Nervus intercostalis, und zwar aus jenen Aesten derselben, welche als Nervi cutanei pectoris lateroles und ante- riores bezeichnet werden, und 2. aus den vom Armnervengeflecht abgegebenen Nervi pectorales anteriores. Die eigentlichen Drüsennerven sind Aeste des vierten bis seehsten Nervus cutaneus pectoris lateralis, und jener sympathischen Zweige, welche mit der Arteria thoracica longa und mit den vorderen Rami perforantes der Arteriae intercostales in die Brustdrüse gelangen. Die Drüsen- nerven halten sich an die grösseren Ductus lactiferi, und kommen mit diesen bis in die Haut der Areola. Nicht alle Tastwärzchen der eigentlichen Cutis des Warzenhofes enthalten Nerven. Viele derselben besitzen blos Gefäss- schlingen. In den nervenhaltigen Papillen wurden bald Tastkörperchen, bald Pacini'sche Körperchen aufgefunden. Die Muttermilch, Lac, ist die naturgemässeste Nahrung des Neu- geborenen bis zum Ausbruche der Zähne, und die einzige, welche nichts kostet. Wir sehen in ihr eine Fettemulsion, welche aus Wasser, Käsestoft", Fett (Butter). Milrhzucker. und einem geringen Anthcil mineralischer Salze besteht. Mikro- sko])isch untersucht zeigt sie: 1. die bereits im Text erwähnten Milchkör- perchen. von 0,00o bis 0,05 Linie Durchmesser. Sie sind Fetttröpfihen, mit einer dünnen Hülle von KäsestoÜ'. fliessen beim Stehenlassen der Milch zu gröss^eren Kügeklien zusammen, und bilden den Eahm. 2. Colos trumkugeln (Donne), viel grösser, von 0,01 bis O.Oo Linie Durchmesser. Sie finden sich §. 821. Ausdelmnn? ntiä Grenzen des SFittelfleisches. 8o9 nur in der, darch einige Tage vor und nach der Gelnirt abgesonderten Milch (Colostrum), und sind ahgestossene, von Milchkörperchen strotzende Enchym- zellen der Ductus lactiferi der Brust und ihrer Acini. Es werden an ihnen amöhoide Bevregungen wahrgenommen, wie an den Lymplikörperchen. — Durcli Filtriren lassen sich die geformten Bestandtheile der Milch von dem flüssigen Menstruum derselben, Plasma lactis, abscheiden. Das Plasma aber trennt sich, durch den Act des Gerinnens, in KäsestofF und Molkenflüssigkeit f Serum lactisj, welche letztere aus Wasser, Milchzucker und Salzen besteht. — Pferde- und Eselsmilch stehen, in Hinsicht ihrer chemischen Zusammensetzung, der mensch- lichen Milch am nächsten. Die Kirgisen, welche ein aus Pferdemilch bereitetes, gegohrenes und berauschendes Getränk — den Cumis — gemessen, kennen die Lungensucht nicht. Man hat darum in neuester Zeit die Bereitung und den Gebrauch des Cumis auch bei uns als Vorbauungs- und Palliativmittel dieser mörderischen Krankheit empfohlen. III. ]Mittelfleisch. §.321. Ausdelmung' und G-ienzen des Mittelfleisclies. Mittelfleiscli, Perineum (tisqIveov bei Grälen, TreQivaiov bei Hippocrates), heisst die zwischen After nnd Hodensack bei Männern, zwischen After nnd hinterem Winkel der Schamspalte bei Weibern lieü'ende Ges'end. Das weibliche Perineum wird deshalb von vorn nach hinten kürzer sein, als das männliche. Seitlich geht das Mittelfleisch, ohne bestimmte Grrenze, in die innere Fläche der Schenkel über. Bei zusammengeschlossenen Schenkeln giebt es eigentlich gar keine Mittelfleischgegend, sondern nur eine Furche, welche von der.Scham- spalte zum After reicht. Erst bei abducirten Schenkeln breitet sich diese Furche zu einer Fläche oder anatomischen Gegend aus. Die Verbindungslinie beider Sitzknorren trennt die Mittel- fleischg-egend von der Aftergegend. In der Tiefe bestimmt der knöcherne Schambogen, von den Sitzknorren bis zur Schamfuge hinauf, seine Breitenansdehnnng. Die mediane Mittelfleischnaht (JRhaphe perinei) theilt es in zwei gleiche Hälften. Aeltere Schriftsteller führen das weibliche Perineum als Interfemmeum an, „quia inter femina (alte Diction st&tt ferner aj jacef. Man kann also auch das männliche Mittelfleisch sehr wohl Interfeminemn, aber niemals Interfemi- ninum nennen, was gar keinen Sinn hat, aber dennoch in anatomischen Schriften sporadisch vorkommt. Das Wort Perineum von 7tEQiv£co, umfliessen, abzu- leiten, weil diese Gegend stärker schwitzt, als andere, halte ich für verfehlt. Würde es aber von TirjQig oder n/iQa, Beutel, stammen, als Gegend hinter dem Hodensack, müsste es nrjQLvatov, nicht aber nsQivaiov geschrieben werden, wie es von Hippocrates geschrieben wurde, und könnte sodann nur auf das männliche Mittelfleisch anwendbar sein, sowie das Wort Damm nur auf das weibliche Mittelfleisch passt, welches wie ein Damm die Geschlechtsöftnung von der Afteröffnung trennt. Ich beschreibe zuerst die Muskeln, und dann die Pascien, welche am Mittelfleisch in nächster Beziehung zu den Ausführungskanälen des männlichen 840 §• 32-2. Muskfln des Mittelfleisclips. uiul wiiMiclu'n Siisttina urogenitale stehen, — Alles in gedrängter Kürze, wie sie tlem Hausbedarf des Studenten entspricht. Wer Ausführlichkeit wünscht, findet in den Anatomien von Henle und Luschka, was er sucht. Im höchsten Grade anregend ist die mit den Entwicklungsvorgängen in Verbindung ge- brachte Darstellung der Organe am ]\Iitteltleisch in (iegenbaur's liehrbuch der Anattimif, pag. 091—010. — Man vergesse nicht, dass bei der Beschreibung des Mittelfleisches Organe in Betracht gezogen werden müssen, welche ziemlich weit ab von jener Gegend liegen, die, als Perineum stricte tale. den schmalen Raum zwischen After und Hodensaek beim Manne, zwischen After und Scham- spalte beim ^Yeibe einnimmt. §. 322. Muskeln des Mittelfleisches. a) Der paarige Sitzknorren-Sclnvi'llk(»r|)('rmusk(*l. Mnscuhis ischw-caventosus. Er lio<;'t als (miic platte ^luskelscliiclitt» auf der iiuteren Fläche der Wurzel de.s Schwellk»'>rper.s des (Gliedes auf, entspringt, wie dieser, über dem Sitzknorren, wendet sich zur Aussenfläche des Schwellkörpers, und verliert sich in dessen fibröse Uinhülluugshaut (Alhuninea). Bei Weibern ist er viel weniger entwickelt, und hat dieselbe Beziehung zum Schwell- körper der Clitoris. Der I schio-cavernosus sidl die Wurzel des Schwellkörpers gegen den Sitzknorren drücken, und dadurch den Eückfluss des venösen Blutes hemmen, — somit Erection veranlassen, weshalb er früher Erector penis genannt wurde. Da er willkürlich wirkt, die Erection dagegen häufig unwillkürlich eintritt, und mitunter bei dem besten Willen nicht hervorgerufen werden kann, so wird auch in der Compression d'er Wurzel der Schwellköriier des Gliedes, wenn sie wirklich stattfindet, nicht die einzige Bedingung der Erection liegen können. Hier mag auch der von Santorini zuerst beobachtete (Tab. XV, Fig. 3j, aber seither vergessene, von P. Vlacovich in Padua wieder aufgefundene, anomale Musculus" ischio-pubicus erwähnt werden, dessen Ursprung und Ende der Name sagt. Ausführliches über ihn entliält ml. A' der Atti delV Istituto Veneto. b) Der nnpaare Z w i e b e 1 -S c h w e 1 1 k () r p e r m u s k e 1, Musculus hiilbo- cavernosus. Er umfasst den Bulhus urethrae vnn unten und von den Seiten. Nach Innten hängt er mit dem vorderen Ende des Sphincter ani extermis und dem oberflächlichen Musculus trans- versus perinei zusammen. Man kann an ihm zwei ganz sym- metrische Seitenhälften unterscheiden, welche von einem me- dianen tendinösen Längsstreifen (Rh(ii>he) entspringen. Die hinteren, den Hauptantheil des Muskels bildenden Fleisch- büudel umgreifen den Bulbus, und treten auf der oberen Gegend desselben aponeurotisch mit denselben Faserbündeln der anderen Hälfte des Muskels in Verbindung; — die vor- deren Fasern gehen in eine dünne Sehne über, welche auf der Rückenseite des Penis, über der Vena dorsalis penis, in die fibröse Faseie des Gliedes (^. 307, a) sich verliert. Diese vordere §. 322. Muskeln des Mitielfleisclies. 841 Abtheilung des Musculus Indbo-cavernosus wird durch Com- pression der Vena dorsalis penis den Rückfliiss des Blutes in derselben hemmen, Stauimg' des Blutes bedingen, und dadurch an dem Zustandekommen der Erection unzweifelbaren Antheil nehmen. Beide Hälften des Muskels mit ihrer medianen Rhaphe bilden somit eine Art Halfter um den Bulbus ^tretlirae, können durch Heben seiner unteren Wand die in ihm enthaltene Harn- röhre comprimireu, und wenn dieses Heben zuckend geschieht, den Samen aus der Harnröhre stossAveise hervortreiben. Daher sein Name: Ejaculator seminis. — Accelerator ^irinae, Harn- schneller, wie er bei den älteren Anatomen hiess, verdient er nicht genannt zit werden, da die Beschleunigung des Harn- abflusses nur durch die dem Willen unterthane Action der Bauchpresse geleistet Avird. Da, Avo im Manne der Bulbus urethrae liegt, im Weibe der Scheideneiugang sich befindet, erseheint der Musculus hulho- cavernosus durch diesen Eingang in ZAvei seitliehe Schenkel gespalten, Avelche am Ende dieses Paragraphen als Constrictor cunni angeführt werden. c) Die queren Dammmuskeln, 3fusculi transversi i^erinei. Der oberflächliche entspringt vom aufsteigenden Sitzbeinaste, unterhalb des Ursprunges des IscMo - cavernosus , geht nach ein- und etAvas nach vorwärts, und verbindet sich in der Mittellinie theils mit dem entgegengesetzten, theils mit dem Bulbo-cavernosus, Sphincter ani externus und Levator ani. Die Stelle, an Avelcher die genannten Muskeln, theils fleischig-, theils sehnig, sich mit einander verbinden, führt bei einigen Autoren den passenden Namen: Centrum carneo - tendineum perinei. — Der tiefliegende quere Dammmuskel entspringt vom absteigenden Schambein- und aufsteigenden Sitzbein- ast, und hat dieselbe Richtung und Insertion, wie der ober- flächliche. Er lässt durch eine Lücke zwischen seinen Fasern die Vena profunda penis zur Vena pudenda gelangen, und übt somit eine comprimirende oder wenigstens Aerengernde Wirkung auf dieses Gefäss aus, Avelche an der Erection des Gliedes unverkennbaren Antheil nimmt. Bei Weibern werden beide Muskeln viel schwächer angetroff"en. Der Transversus perinei profundus scliliesst sich an den Compressor urethrae so genau an, dass er mit ihm zu Einen Fleischkörper verschmilzt. Die Glandulae Cowperi Averden von den unteren Bündeln des Transversus perinei profundus förmlich umwachsen. d) Der Zusammenschnürer der Harnröhre, Musculus com- pressor s. constrictor urethrae, Avird kurzweg auch Musculus g^O fi- 322. JfusljtOn (Ipb MiMplfleischps. urethralis g-cMinimt. l oIxm' dic'scn Miiskol weiclien die Ai)g;il)en der Autoren bedeutend jil). Ich fasse ilui nach der einfachen Schihlerung- von Santorini (sunplex sii^illum veri) so auf. — Die hinter dem Ligamentum triawjulare urethrae gelegene Pars memJtranacca urethrae Avird von zwei ziemlich breiten Muskel- l)ündeln umfasst, -welche vom absteigenden Scliambeinaste ent- si)ringen. Das obere dieser beiiU'U Dündel geht über, das untere unter (U'r Pars mcmhranacea vrethrae weg. nui mit denselben Bündeln der anderen Seite zusammen zu kommen, Avodurch eine muskulöse Zwinge gegeben wird, welche die Harnröhre zusammenpressen kann. — Beim Weibe wird der Compressor nrethrae durch eine die Harnröhre umgebende, zu einem wahren Sphinder ausgebildete Muskelschichte dargestellt. e) Im weiblichen Geschlechte findet sich am Scheideneingang der Scheiden schnür er, Constrictor cunni. Da er nicht die ganze Schamspalte (eiinmis), sondern nur den Scheideneingang zu verengern vermag", sollte er richtiger Constrietor ostii vaainalis genannt werden. Es hält nicht schwer, sich durch Präparation dieses Muskels zu überzeugen, dass eine Anzahl seiner Faser- bündel dem Sphincter aui ea^ternus angehört, dessen rechter Schenkel Fasern zur linken Wand des Scheideueiuganges, und , dessen linker Schenkel Fasern zur rechten Wand dieser Oeffnung- entsendet, worauf sich beide au der Wurzel der Corpora cavernosa clitoruJis inseriren. Der Sphincter ani externus und Constrietor cunni lassen sich somit als Ein Muskel von der Gestalt einer 8 auffassen, welche oben durch die Clitoris geschlossen wird. Da der Sphincter ani externus ein Avillkür- licher Muskel ist, erklärt es sich, dass die Weiber einen gewissen Grad von A^erengerung des Scheideueinganges durch stärkere Zusammenziehung des Afters erzielen können. Cunnus (das griechische yovvog) erscheint im Martial und Catnll als weibliche Scham, — im Horaz als unzüchtiges Frauenzimmer. Literatur üher die Mittelfleischmuskeln: J. Wilson, Description of two Muscles surrüunding the Membranous Part of the Urethra, in Lond. Med. Surg. Transact., 1809. Wilson würdigte besonders die von der hinteren Schamfugen - fläche zur Pars membranacea urethrae herabkoramenden Muskelbündel (Wil- Ron'scher Muskel der Autoren), welche, seiner Angabe nach, eine Schlinge um die Harnröhre bilden sollen, was allerwärts in Abrede gestellt wurde. — G. J. Guthrie, Beschreibung des Musculus compressor urethrae. Leipzig, 1836, ganz nach Santorints Ansicht, aber bei Weitem ausführlicher. — C. Rouget, Sur les appareils musculaires du p^rinee, Gaz. med., 1855, Nr. 41. — H. Luschka, Ueber die ]\Iusculatur des weiblichen Perineum, in den Denkschriften der kais. Akad.. Bd. XX. — Vorzügliche Boaclitung verdient Kohlrausch, Zur Anatomie und Physiologie der Beckenorgane. Fol. Älit 3 Tafeln. Leipzig. 18.^4. I>iese Schrift reformivt viele herkümmliche Ansichten über Lacrerungs- und Formver- §. 3-23. Fascien des Jrittolfleisclies. Fascia peTvis. ' 843 liältnisse der Beckenorgane, und ist durclifius auf eigene XJntersucliungen ge- gründet. — P. Lesshaft, Die Muskeln und Fascien des weiblichen Mittel- fleisches, Morphol. Jahrb., Bd. IX. §. 323. Pascien des MittelMsclies. Fasda ijelvis. Man unterlasse nicht, vor dem Durchgelien dieses Paragraphen die Beschreibung des Miisctdns levator ani (§. 270) noch einmal nachzusehen, weil dieser Muskel mit den Fascien des Mittelfleisches und des Beckens im innigsten Zusammenhang steht, und ihre Widerstandskraft gegen die Wirkung der Bauchpresse durch seine lebendige Action erhöht. Zum Heben des Afters — einer sehr unbedeutenden Wirkung — war ein so umfangreicher Muskel- apparat, wie ihn beide Levatores ani darstellen, wahrlich überflüssig. Die Fascien, von welchen hier gehandelt wird, sind: 1. die Fascia perinei superficialis, 2. die Fascia perinei propria, und 3. die Fascia pelvis s. hypogastrica. Keine dieser drei Fascien gehört dem Mittelfleisch allein an. Wir werden von jeder derselben sehen, dass sie sich in Nachbarsregionen des Mittelfleisches fortsetzt, oder von diesen herkommt. Wir wollen die genannten drei Fascien in um- gekehrter Ordnung durchgehen, imd mit der letzten, als Fascia pelvis, beginnen. Ich glaube dem leichteren Yerständniss dieser Fascie dadurch Vorschub zu leisten, dass ich an ihr ein parietales und viscerales Blatt unterscheide. Das parietale Blatt entspringt im vorderen Um- fang der kleinen Beckenhöhle an der hinteren Wand der Sympliysis ossiuni pubis, an dem Schambeinskamra, sowie an der Linea, arcuata interna ossis ilei. Es hängt an diesen Stelleu mit den sich daselbst festsetzenden Fascien des grossen Beckens und der Baucliwand (Fascia iliaca und Fascia transversa) zusammen. Im hinteren Um- fang der kleineu Beckenhöhle haftet dieses Blatt an der vorderen Kreuzbeinfläche zwischen den Foramina sacralia anteriora mit mehreren Zacken. Wo das grosse Hüftloch sich befindet, springt die vom vorderen Umfang der kleinen Beckenhöhle herkommende Portion brückenförmig vom Sitzstachel zum Kreuzbein hinüber, und überbrückt mit einem freien, bogenförmig nach vorn gerichteten Rand, die durch dieses Loch aus- und eintretenden Gebilde. Das parietale Blatt steigt in die kleine Beckenhöhle hinab, bekleidet ihre Wände, und bedeckt daselbst drei Muskeln: OUurator internus, Coccygeus, und Pyriformis. Kwi A^m OUurator internus erstreckt sich dieses Blatt (hier Fascia obturatoria genannt) bis zu dessen unterem Eande herab, und verschmilzt daselbst mit dem Processus falciformis des Ligamentum tuheroso-sacrum (§. 146), Am ersten Steisswirbel wird durch Vereinigung der rechten und linken parietalen Antheile 844 S- 3^- Fa«=ci.'n .li-: Miltclfli-isclios. Finria ptlrif. (]i«'>er Fnscic v\n kleiner lio^cn uchildct. wclclicr ül)('r die vini der vorderen Kreii/beiiitl;ulie lieridd^oiuinende Arteria und Vcim Sdcralis jiK'diii liiinvenläiit'r. und von welclien ;in die Fjtseie ge^en deu After ansläult, iiiid ;iut' diesem kur/eu Wei^e den JIuscuIks cocci/aeus und die liintere I';irtif des Lcrafor ani überdeckt. Dieser I );irst('llnnn' gemäss li.it der |);irietale Antlieil der Fascia pelris mit dem Verschluss der unteren Deckenapertur nichts zu seliart'en. Dieser wird dureli deu visceralen Antlieil dieser Fascie aut" t"olj;'eude Weise zu Stande gebracht. Man denke sidi vom parie- talen Antlieil den viseeralen l;ini;s einer l>inie abtreten, Avelclie die Scliamfuj^e mit dem .Sit/J)einstacliel verbindet. Diese Abgauiisstelle des visceralen Blattes vom parietalen ersclieint als ein fibröser weisser Streifen, Avelclier als Arcus tcmlweus bezeichnet wird, sich schief ül)er die F((scia ohturatoria weg o"®-,^» ^^^ Sitzbeinstachel erstreckt, und dem Lcrator ani (§. 270) zum Ursprunu,- dient. Vom Arcus tc)i(Ji)h'us wendet sich das viscerale Blatt, schief nach innen und unten gerichtet, der Beckeuaxe zu, und gelangt dadurch an jene Organe, welche, Avie Prostata, Blasengrund und unteres End- stück des Rectum (bei Weibern auch Vagina), eine P^ixirung und Sicherung ihrer Lage in der unteren Beckenapertur benöthigen. Das viscerale Blatt bildet, indem es an diese Organe tritt, ein Avirksames Verschlussmittel der unteren Beckenapertur. Der Weg, welchen das viscerale Blatt einschlägt, um zu den genannten Or- ganen zu gelangen, lolgt der oberen Fläche des Fcvator ani, auf welcher dasselbe tliirch kurzes BindegcAvebe angeheftet wird. Da nun die vordersten Bündel dieses Muskels sich theils mit dem Com- pressor vrethrae und Transversus perinei profttmhis vereinigen, nieisten- theils aber an die Prostata treten, Avird auch der vorderste Ab- schnitt des visceralen Blattes zu diesem Organe als Liffamentum puho-prostaticum niediu/n und laterale gelangen. Diese Bänder fixiren recht augenscheinlich die Prostata, Avelche sie kapselartig umfassen (i'apsdla j>eh'io-prostatica), und durch sie auch die Harnblase. — Der mittlere Abschnitt des visceralen Blattes dringt als Fascia recto-vesicalis zwischen Blasengrund und Mastdarm ein, um sich mit demselben Antlieil der entgegengesetzten Beckenseite zu vereinigen. Er dient vorzugsAveise als Fixirungsmittel der vollen Blase. — Der hintere Abschnitt des A'isceralen Blattes vereinigt sich mit dem vom Steissbein herabkomnienden Zuge des parietalen Blattes, und verliert sich als dünne Bindegewebsschichte in der Umgebung des Mastdarmendes. Ausführliches enthält Luschka f- Abhandlung über Fascia pelvi.-; in den Wiener akad. Sitzungsberichten, 1859. §. 324. Fascia perinei propria und superficialis. 845 §, 324. Fascia perinei propria und superficialis. Die Fascia perinei propria kennen wir bereits zum Theile als Ligamentum trianguläre urethrae. So heisst nämlicli jener Abschnitt derselben, welcher den Schambogen verschliesst, und von der Harn- röhre, bei Weibern auch von der Scheide, durchbohrt wird. Knapp unter dem Ligamentum areuatirm inf. der Schamfnge lässt das Liga- mentam trianguläre urethrae eine kleine Lücke in der Ebene des Schambogens unverschlossen, welche den Rückengefässen des Penis zum Durchgang in die nud aus der Beckenhöhle dient. Die Basis des Ligamentum trianguläre urethrae entspricht der Yerbindnngslinie beider Sitzknorren. Hinter dieser Linie nimmt die Stärke der Fascia perinei propria plötzlich ab, so dass sie nur mehr eine dünne Bindegewebsmembrau darstellt, welche die ganze untere Fläche des Levator ani so überzieht, wie das viscerale Blatt der Fascia pelvis die obere Fläche dieses Muskels bekleidete. Mau lässt allgemein die Fascia perinei propria aus zwei Blättern bestehen. Das vordere stärkere Blatt ist das eigentliche Ligamentum trianguläre urethrae, von Avelchen, an der Durchbruchs- stelle der Urethra, für diese eine Scheide erzeugt Avird, welche in die Hülle des Corpus cavernosum urethrae übergeht. Als hinteres Blatt tritt sie SM&/orma der beiden Ligamenta ischio-prostatica an die Prostata, um sich an der Bildung der ßbrösen Capsula pelvio-pro- statica zu betheiligen. Die Fascia perinei superficialis beginnt am hinteren Rande des Ligameyitum trianguläre urethrae und an den Knochen, welche den Schambogen bilden, deckt als fettloser und dünner Ueberzug den Transversus perinei superficialis, den Ischio- und Bulbo-cavernosus zu, und verliert sich an der Wurzel des Gliedschaftes in die ebenso fettlose Fascia penis. Der Textus cellulosus subcutaneus, welcher diese Fascie überzieht, und deshalb von vielen Anatomen als oberfläch- liches Blatt der Fascia perinei superficialis genommen wird, enthält nur in der Nähe des Afters Fett, und zAvar sehr oft in bedeutender Menge. Nach vorn zu verliert sich das Fett, und es geht das sub- cutane Bindegewebe in die gleichfalls fettlose Tunica dartos des Hodensacks über. Den alten und wahren Spruch: „quiot capita, tot sententiae" kann die Anatomie der Mittelfleischfascien hestätigeu. Fast jeder Autor schildert sie anders. Ich habe sie so gegeben, wie es sich thun lässt, wenn man Kürze mit Verständlichkeit vereinbaren will. §. 325. Topographie des Mittelfleisclies. Cavwm ischio-rectale. Die Präparation des Mittelfleisches ist eine der schwierigsten Aufgaben für den Neuling in der praktischen Zergliederungskunst. 346 ■ ^'^- Topographie des Mittelfleisches. Cavtim ischio-rectalt. Sie Avird \V(»lil kmim heim ersten ^ crsiicli ^cliiincii. wenn nicht eine exacte \'(»r,st('lliini;- lihcr die locjilcn \ erliiilfnis^c «Icr P.isficn nnd Muskeln (lieser wiclitii^cn (Je^eud, das Messer l'üliren Iiill't. Hat man Ilodensaek nnd Penis geg'en den Banoh Iiinaul- gesehlai^en. und daselbst dunli Klammern fixirt, so wird die Haut und das fettreiche subcutane Bindegewebe des jMittelfleisehes los- präparirt. Es präsentireu sieh nun die Musculi isdüo- cavernos'i, Inilho-cavernos'i, und transvevsi perinei superficiales vor sich. Sie sind noch von der fettlosen Fascia perinei superficialis bedeckt, welche vorsichtij;- abgenommen werden muss. Nach Entfernung- des Traiis- versus perinei superficialis geräth mau auf die Glandulae Cowperi. — Der Ischio- cavernosus bildet die äussere, der Bulbo-cavernosus die innere, der Transversus perinei superficialis die hintere Wand eines dreieckigen Raumes, in welchem Arteria, Vena, und Nervus perinealis superficialis, nach vorn gegen das Scrotuni hinziehen. In diesem Dreiecke (Triangulus puho-uretkralis) Avird auch Ix'im seit- lichen Steinschnitt die erste Eröffnung der Harnröhre gemaclit, um das Steinmesser auf der Furche der in die Ifarnrcdire vorher ein- geführten Leituugssonde, bis in die Blase vorzuschieben. Hat man in die Harnröhre der vorliegenden Leiche einen Katheter eingeführt, was nie unterlassen werden soll, so fühlt man denselben durch den Bulbus urethrae durch, und kann hierauf den Ifusculus bulbo- cavernosus ganz entfernen, um die Art und Weise kennen zu lernen, wie man den Katheter am leichtesten in die Blase einführen kann. Dieses nützliche Experiment kann überhaupt nicht häufig genug vorgenommen werden, und wird dem Studirenden eine gewisse Fertigkeit in einer chirurgischen Manipulation verleihen, welche er schon kennen soll, bevor er an das Krankenbett tritt. Gewölinlicli stellt sich der Einführung des Katheters dort ein kleines Hindernis« entgegen, wo die Pars membranacea urethrae das Ligamentum tri- anguläre urethrae durchbohrt. Vor diesem Ligament liegt der Bulbus urethrae, in welchem die untere Wand der Harnröhre sich etwas ausbuchtet. Ist der Schnabel des Katheters in diese Bucht gelangt, und hat er die untere Wand derselben bei allzugrossem Druck des Katheters nach abwärts noch mehr vertieft, so muss, wenn man den (irifl' des Katheters senkt, in der Meinung, seinen Schnabel durcii die Pars membranacea urethrae weiter gleiten zu lassen, der Schnabel sich vielmehr am Lbjamentum triamjulare stemmen. Senkt man den Griff noch mehr, und übt man dabei einige Gewalt aus, ohne welche es bei Erstlingsversuchen nicht abgeht, so wird der Schnabel das Ligament durchbohren, und sich einen sogenannten falschen Weg bahnen, welcher sicher nicht in die Harnblase führt. Am Lebenden kann das Nämliche geschehen. Das beste Mittel, diesem §. 325. Topographie des Mittelfleisclies. Cavum ischio-rectale. 847 gefälirliclien Accidens vorzubeugen, besteht darin, das Griied auf dem in seiner Harnröhre steckenden Katheter so viel als möglich in die Höhe zu ziehen. Dadurch wird die Urethra gespannt, ihre, im Bulbus nach unten etwas ausgebiichtete Wand geebnet, worauf der Katheter nicht selten von selbst, dnrch seine eigene Schwere, über diese gefährliche Stelle weggleitet. Das anatomische Präparat des Mittelfleisches vor Angen, wird sich jeder anfmerksame und denkende Schüler die Eegeln des Katheterisirens selber entwerfen können, statt sie ans Büchern zu memoriren. Räumt man nnn das Fett aus dem Cavum ischio-rectale heraus, so kann man gewahren, Avie die Fascia perinel propria sich vom hinteren Rande des Ligamentum trianguläre als dünne Bindegewebs- binde auf die untere Fläche des Levator an'i fortsetzt, nnd wird hierauf der Tuber ischil abgesägt, so überblickt man den Zug der Fasern des Musculus levator ani, welche gegen den After herab convergiren. Die geringe Spannung dieses Muskels erschwert seine Präparation bedeutend, nnd es ist deshalb unerlässlich nothwendig, den Mastdarm mit einem cylindrisch zugeschnittenen Schwämme massig anzufüllen, nnd ein mit einem Faden versehenes Quer- hölzchen über dem Limhus ani in der Mastdarmhöhle zu fixiren, damit man das Rectum nach unten anspannen, und dadurch die zum Orißcium ani convergirenden Muskelfasern des Levator ani deutlicher unterscheiden kann. Wurde der ganze Hodensack entfernt, nnd nur das Glied be- lassen, so wird man, bei starkem Herabsenken des letzteren, und einiger Nachhilfe mit dem Scalpell, jenes Stück des Ligamentum trianguläre ansichtig werden, welches zwischen der Durchtrittsstelle der Urethra, und dem Ligamentum arcuatum pubis liegt, wie auch die zwischen diesem Bande und dem oberen Rande des Lig. tri- anguläre urethrae befindliche Lücke (§. 324), durch Avelche die Rückengefässe des männlichen Grliedes aus dem Becken hervortreten. Die Fascia pelvis, die Ligamenta pubo-prostatica oder vesicalia, können nur von der Beckenhöhle aus präparirt werden. Es wird dieselbe, durch Abtragung des linken ungenannten Beins, seitwärts eröffnet. Wurde die Harnblase mit Wasser massig gefüllt, und vom rechten Hüftbein abgezogen, so spannt sich das Peritoneum, Avelches von der Seitenwand des kleinen Beckens zur Harnblase geht, und muss abgelöst werden, um den Arcus tendineus der Fascia pelvis sehen zu können. Wird nun auch die Fascia pelvis abgetragen, so übersieht man die ganze Ausdehnung des Ursprungs des recht- seitigen Levator ani, von der Symphysis bis zur Spina ischii. Hat man den Schnitt nicht durch die Symphysis, sondern etwas links von ihr geführt, so lassen sich die Ligamenta pubo-prostatica und 848 S. :i-2ß. Die SteissdrOse. die Prö>t;it;i ^ell)^t nliiu' Mühe v«»n der reclitcn Seite her zur Au- .siclit briugeu, besonder^ wenn die Harnblase jj^egen das Kreuzbein liin >;edr;iui;t wird. — Wird die Harnblase in das g-rosse Becken liinaurnedrauiir, und da>ell)>r iixirt. so lassen sicli die am Blasen- Uruude liegenden W'öicii/iic fciniiudt'.^- mir den anliegenden Vana dcfe- reiitia, s(t wie die Fadcia ri'do-redit-alii:< und die Curvalinui jimstatica des Mastdarms, dureli Kutfernung- des sie uiidiülienden, venenreiclien Bindegewebes, mit einiger (jeduld uud (leM-liickliflikeit olme be- sondere Mülie zur Ansieht bringen. Am Seitenrand des Liff. trian- anlarc nrclhrttc steigt iWe Artcria und Vena puäiKtla communis eiu[)or, samnit dem gleielinamigen Nervengetieeht. Oeftcres Wiederholen dieser selnvicrigen Zergliederung wird nicht er- niiiiigeln, jenen Grad von Ortskenutniss zu erzeugen, welclier unorlässlich ist, um die Teolniik des Stciuschnittes, und die Pathologie der Mastdarniabseesse und Mastdarmfisteln verstehen zu lernen. Das bereits im §. 270 erwähnte (\ivum ischlo-redale ist ein zeltförmiger, mit reichlichem P^ett ausgefüllter Raum, dessen obere Kante »lem ^{rciia temJbwiis der Fuxi'la [xlci-^ entspricht, dessen innere A\ and durch den LenUor aiii, dessen äussere Wand durch den Sitzknorren und die I^HöC/'a ohtnratoria bis zum ArcKs temlineHS hinauf dargestellt wird. Seine hintere Wand wird durch die unteren Fleischbündel des (r/iitai'its mm/nns g;ebildet. Nach vorn zu verflacht sich das Cavum, und würde sich ununterbrochen in die Fyrclie zwischen dem Bidhud nirthrcw und der AVurzel der Schwellkörper des Gliedes fortsetzen, wenn nicht der Tronsver.'iiis pevinei super- ficialis ihm seine vordere Grenze anwiese. Die untere Wand oder Basis des Cavum ist offen, und lässt (bis Fett der Afterge^^end in den zeltförmigen Kaum eindringen, um ihn gänzlich auszufüllen. Geschwürige Zerstörung dieser Fettmasse bildet eine der gefähr- lichsten Complicationeu der MastdarmHstelu. Ausfüln-lidies enthält der 2. Bd. nieiucr topogr. Anat.. 6. Autl. — Special- schriften über das ]\Iittelfleiscli sind: Froriep, Ueher die Lage der Eingeweide im Becken. Weimar, 1815. — J. Houston, Views of the Pelvis. Dublin. 1829, fol. - A. Monro, Tlie Anatomy of the Pelvis of the Male. Edinb., 1825, fol. — C. DenonvilUers, Sur les aponevroses du perinee, Arch. gen. de med., 1837. — Th. Morlon, Surgical Anatomy uf tlie Perineum. London, 1838. — A. Retzius, Ueber das Lit;iiiiiiit iiH'i>t('iis aus InMil»ac'litwni;«'n an Tliiorcii. Cin (>r,scliöpfeii(io Ausiulirlichkcit handelt es sicli wolil iiiclit, iiidciM die Scliider diese Frauiuente ohnedies gewöhnlich ül»i'rsi-hlai;en. Denn edaclit gewesen, sich in solchen Gesundheitsumständen befinden wird, dass sein j)lötzlicher Tod nur durch Zufall oder Gewalt er- folgen kann. Auch sind die Beobachtungen über solche Fälle, oder über abortive Eier aus den ersten Schwangerscliaftsperioden, so §. 327. Veränderungen des Eies im Eileiter, ete. 85 1 unbestimmt uud so wenig- übereinstimmend, dass ' es notbwendig wird, diese Yorgänge am Thiere zu studiren, nnd durcli vorsichtige Anwendung der gewonnenen Resultate auf die menschliche Ent- wicklungsgeschichte, eine Lücke der anatomischen Wissenschaft auszufüllen. Was die Untersuchung des Thiereies über diesen Frage- punkt lehrte, lässt sich in folgenden Punkten zusammenfassen. 1. Das Ei erscheint im Eileiter noch von einem Reste des Uififus oophorus umgeben, in welchem es im Eierstocke eingebettet war. Dieser Rest stellt ein unregelmässiges, an mehreren Stellen wie eingerissenes Zelleustratum dar, welches, während der Wande- rung des Eies durch den Eileiter, allmälig abgestreift wird und schwindet, so dass beim Eintritte des Eies in den Uterus nichts mehr von ihm übrig ist. 2. Die Zona pellucida schwillt auf, tränkt sieh durch Imbi- bition von Flüssigkeit, und das Ei wird grösser, indem sich an die äussere Oberfläche der Zona noch eine neue Schicht Eiweiss ablagert. 3. Der Dotter wird consistenter, und seine Körnchen häufen sich so an, dass sie das Keimbläschen vollständig bergen. Man sieht es also nicht mehr, und viele Beobachter glauben deshalb, es habe aufgehört zu existiren. Der Dotter fliesst, beim gewaltsamen Zersprengen des Eies, nicht mehr als körnige Masse aus, sondern hält zusammen. Es bildet sich eine Furche um ihn herum, welche immer tiefer und tiefer wird, und endlich denselben in zwei Theile theilt, deren jeder einen hellen Fleck, wahrscheinlich das gleich- falls getheilte Keimbläschen enthält. Eine zweite Furche, senkrecht auf die erste entstehend, theilt den doppelten Dotter in vier kleinere kugelige Massen. An jeder Kugel wiederholt sich diese Theilung. Die Zahl der immer kleiner und kleiner werdenden Kugeln, wächst somit in geometrischer Progression. Man nennt diese Theilung des Dotters in kleinere und kleinste Kugeln, den Furchungsprocess, und die Kugeln selbst: Furchungskugeln. Durch das Zerfallen des Dotters in kleinere Kugeln, welche noch immer von der Z&iia pellucida zusammengehalten werden, erhält er, um einen rohen Ver- gleich zu machen, das höckerige Ansehen einer Maulbeere. Die Furchungskugeln haben keine besondere Hülle, und müssen daher, wenn man, wie es allgemein geschieht, für sie den Namen Zellen gebrauchen will, als nackte Zellen bezeichnet werden. 4. Während des Furchungsprocesses hat das Ei, durch gleich- zeitige Vergrösserung seiner Zona pellucida, so an Umfang zuge- nommen, dass die Furchungskugeln, welche sich nicht so rasch ver- mehren, als die Grösse des Eies zunimmt, auseinander weichen, sich an die innere Oberfläche der Zona als einfaches Stratum von Zellen anlegen, und so eine mit der Zona concentrische Blase bilden, 54* g')2 §. ;CS. Yi'rftnderungeii des Eies im ütorus. etc. wclflii* ;il.s Koinil)l;ise oder Koiinhaut ( ßhistodenna) den hellen Dotterrest uinseldiesst. Nur ;in einer bestimmten Stelle der Keini- li:nit liäiit'en sich die Zellen in mehreren .Schichten ;in. An dieser Stelle wird die Keimhnut ^\;eiss und opak erscheinen; — sie hat also einen Fleck erhalten, und dieser Fleck ist der Ausgangspunkt aller ferneren, auf die Bildun«;- eines Embryo abzweckenden Vor- gänge, "vveshalb er Keimhügel, Discus proUgerus, genannt wird (Tac/w t'mhryonnaire der Franzosen). Die Zellen, aus welchen der Diücus prolwerus besteht, sind sozusagen die Bausteine, aus welchen der spätere Leib des Embryo sich aufbaut. Sie werden deshalb Embrvonalzellen oder Uildungszellen genannt. So verhält sich der Heri;aii£^ nach Bischoff's Beobachtungen am Kaninchenei. Ob das menschliche Ei analoge Veränderungen während des Durch- gangs durch den Eileiter erleide, lässt sich nur vernmthen. Wie lange es im Eileiter verweile, kann bei dem Mangel aller hier einschlagenden Beobachtungen nicht gesagt werden. Bischoff meint, dass es vor dem zwölften bis vier- zehnten Tage nicht in den Uterus gelangen dürfte. — Die Auffindung des Eies im Eileiter ist oft sehr schwierig, besonders dann, wenn die anhängenden Reste des Discus oopliorus verschwunden sind. Zur Untersuchung in diesem Stadium empfiehlt sich besonders das Hundeei, dessen dichter, und bei auf- fallendem Lichte weiss erscheinender Dotter, dasselbe viel leichter auffinden lässt, als das fast durchsichtige Ei anderer Haussäugethiere. Man befestigt den seines Pcritonealüberzuges entledigten, und mit einer kleinen Scheere der Länge nach geöffneten Eileiter einer kürzlich läufig gewordenen und belegten Hündin, auf einer schwarzen Wachstafel mittelst Nadeln, und durchsucht die innere Oberfläche desselben genau mit der Loupe. Man findet die Eichen ge- wöhnlich als weisse, sehr kleine Pünktchen, auf einer Stelle des Eileiters zu- samraengehäuft, kann sie mit einer Scalpellspitze aufheben, und mit einem Zusatz von Speichel oder Eiweiss, um das schnelle Vertrocknen so zarter Ge- bilde zu verhüten, unter das Mikroskop bringen. Ueber den Furchungsprocess handelt Reichert in Müller s Archiv, 1846. §. 328. Veränderungen des Eies im Uterus. Erstes Erscheinen des Embryo. Auch hierüber liegen meist nur Beobachtungen an Thiereiern vor, deren Inhalt wir nur in flüchtigen Zügen Aviedergeben. — Das während seines Ganges durch den Eileiter vergrösserte Kaninchenei war am Ende des Eileiters von einer dicken Schichte Eiweiss um- geben, und sein D(jtter in zahlreiche Furchungskugeln zerlegt, welche die Keindiaut und den Keimhügel bildeten. Die ersten Veränderungen, welche das Kaninchenei im Uterus erleidet, betreffen seine Zona peUucida. Von ihrer ganzen äusseren Oberfläche nämlich wuchern fadenförmige Fortsätze hervor, welche in die erweiterten Drüsen der Gebärmutterschleimhaut (Glandulae utricidarees, §. 315) hineinwachsen. Sie sind keine bleibenden Gebilde, §. 328. Veränderungen des Eies im Uterus, etc. Sbo sondern yerscliwinden wieder, zusammt der Zona peUucida selbst, deren Bestand somit nur ein selir kurzer war. Man nennt die ron der Zona anstellenden, vergängiiclien Zotten: primäre, imd ihren Complex: primäres Cliorion. Für diese yerg-änglielien primären Zotten entstellen später neue, auf der äusseren Oberfläclie der Keimliaut selbst, und diese sind die secundären, aus denen sieb in der Folg-e der Mutterkueben, als Yerbindungsorg-an zwisebeu Embryo und Mutter, entwickelt. Der mit Zotten bewachsene Tlieil der Keimliaut beisst secundäres oder permanentes Cborion. Das Ei bestellt somit nun aus zwei concentriscben Blasen, einer äusseren (primäres Chorion), und einer inneren (Keimblase, Blastoderma) . An der Stelle der Keimhaut, welche als Embryonal- fleck im vorigen Paragraph erwähnt wurde, trennt sich die Keim- blase in zwei Blätter. Beide Blätter liegen dicht an einander, können aber mittelst Nadeln von einander getrennt, und einzeln untersucht Averden. Die DifFerenzirung beider Blätter schreitet rasch, unter fortwährender Proliferirung der Zellen durch Theilung, über den ganzen Umfang der Keimblase fort, so dass endlich die ganze Keiiii- blase zweiblätterig werden muss. Beide Blätter sind Aggregate von Bildungszellen, mit dem Unterschiede, dass die Zellen des äusseren Blattes dichter an einander liegen, während jene des inneren noch lose zusammenhängen, rundlicher und zarter sind, und weniger gra- nulirt erscheinen. Bischoff nennt, der Analogie mit der Keimhaut des Vogeleies zufolge, das äussere Blatt das seröse oder animali- sche, das innere das Schleimblatt oder das vegetative. Baer hat diese Benennungen zuerst für das Hühnerei gebraucht, dessen Entwicklung sich am leichtesten studiren lässt, da man mittelst künstlicher Bebrütung die nöthige Anzahl von Eiern sich verschaffen kann, um die Succession der Entwicklungsvorgänge in allen Stadien zu verfolgen. Baer war nun der Ansicht, dass sich aus dem serösen oder animalischen Blatt die Muskeln, Knochen, und Nerven, also die Organe des animalischen Lebens entwickeln, während aus dem Schleimblatt die Organe des vegetativen Lebens, die Eingeweide, entstehen sollen. Zwischen den beiden Blättern der Keimhaut nahm er noch ein intermediäres Blatt an, welches aber nicht über die Ränder des gleich zu erwähnenden Fruchthofes hinauswächst, also nicht zu einer Blase wird, wie die beiden anderen Blätter, sondern die Uranlage des Grefässsystems darstellt, weshalb er ihm den Namen Grefässblatt gab. Das Irrige dieser Ansicht wurde durch Reichert nachgewiesen, welcher feststellte, dass aus dem äusseren Blatte der Keimhaut nur die Oberhautgebilde des Embryo, aus dem inneren nur das Epithel des Darmrohres entsteht, während alles Uebrige aus einer zwischen beiden Blättern sich entwickelnden, pr»4 8- ^-^- Weitere FortschriHe der Entwicklung des Embryo, etc. 1111(1 (liirt'li rascho Prolifer.ition sich IxMlciitcnd verdicktMuhM» Zellen- scliiclite liprvorgelit, welche er als Membrana intermedia .sicherstellte. Bei weiterer Entwicklung- der Eier, bis auf einen Längen- durchuiesiser von vier Pariser Linien, sind die Stellen, wo sie im Uterus liegen, schon äusserlich als Anscliwellungen kenubar, welche /jigleich dünnwandiger erscheinen, als der übrige Uterus. Am neunten Tage ist das Ei von der Uteruswand, wie von einer fest anliegenden Kapsel umschlossen, wolohe mir die beiden Pole des Eies frei lässt. Der Keimhügel sell:»st erscheint in diesem Stadium der P]ut- wicklung- des Kanincheneies, nicht mehr rund, sondern oval, und zuletzt birnförmig-. Ein dunkler Saum umgiebt ihn, Avelcher, der Analogie mit dem Vogelei Avegen, dunkler Fruchthof, Areavascu- lona, g-enannt wird. Der von ihm eingeschlossene lichtere Theil heisst durchsichtiger Fruchthof — Area peUucida. Der Unter- schied beider Fruchthöfe beruht auf der grösseren oder g-eringeren Anhäufung von Bildungszellen. In der Axe des durchsiehtig-en Frucht- hofes tritt ein heller Streifen auf, der Primitivstreifen, Stria primitiva, welcher sich bei genauerer Betrachtung als eine Rinne oder Furche herausstellt. Unter der Stria primitiva bildet sicli die fadenförmige Chorda dorsalis, um welche herum sicli die Körper der Wirbel entwickeln. Zu beiden Seiten des Primitivstreifens erheben sich ein paar längliche Kämme, die Rückenplatten, Laminae dorsales, welche sich über der Rinne zusammenneig-en, und einen Kanal bilden, in welchem später das Gehirn und Rückenmark samnit ihren Hüllen entstehen. Nach aussen von diesen Kämmen, treten ein paar neue Längenwülste auf, welche sich gegen die Höhle der Keimblase zu entwickeln, und die erste Anlage der zukünftigen Rumpfwandungen des Embryo darstellen. Sie werden A'^isceral- oder Bauchplatten, Laminae viscerales s. ventrales, genannt. §. 329. Weitere Fortscliritte der Entwicklung' des Embryo. Ifabeiblase, Ductus omphalo-entericus, Allantois, und Sinus uro -genitalis. Die Rückenplatten schliessen sich anfangs nicht in der ganzen Länge ihrer convergirenden Ränder. Die A erwachsung beginnt viel- mehr zuerst in ihrer Mitte, und schreitet von hier aus gegen beide Enden vor. Hat sich der Kanal für das Rückenmark ganz geschlossen, so erweitert er sieb an seinem vorderen Ende blasenartig, und bildet drei hinter einander liegende Ausbuchtungen. Die diese Aus- buchtungen allmälig füllende Nervenmasse wird zum Grehiru, welches §. 329. Weitere Fortschritte der Entwicklung des Embryo, etc. 855 ■ somit bei seinem ersten Erscheinen gleichfalls drei hinter einander liegende Blasen darstellen wird. Gegen das hintere Ende schliesst sich der Kanal erst später, imd bildet, so lange er offen bleibt, eine lanzettförmige Spalte (Sinus rhomhoidalis) . Sobald sich das Kopfende des Kanals als blasenartige Erweiterung zu erkennen giebt, erhebt es sich über die Ebene der Keimhant, tritt ans ihr heraus und schnürt sich gleichsam von ihr ab. Zugleich krümmt es sich der Länge nach so, dass die drei Ausbuchtungen nicht mehr in einer geraden, sondern in einer gebogenen Linie liegen, deren höchster Punkt der mittleren Ausbuchtung angehört. Hat sich der Embryo noch nicht seiner ganzen Länge nach, sondern blos mit seinem Kopfende aus der Ebene der Keimhaut emporgehoben, und legt man ihn, während er noch mit der Keim- blase in Verbindung ist, auf den Rücken, so sieht mau, von der Keimblase her, das Kopfende nicht, da es nun unter der Keimhaut liegt, und von ihr verdeckt wird. Die Eiugangsstelle von der Höhle der Keimblase in die im Kopfende enthaltene Viseeralhöhle, wird nach der von Wolff beim bebrüteten Hühnerei gewählten Bezeich- nung: Fovea cardiaca, — der das Kopfende verdeckende Theil der Keimhaut: Kopf kappe genannt. Rings um den Embryo erhebt sich das äussere Blatt der Keim- haut in eine Falte, als erste Anlage des Amnion. Diese Falte über- Avächst von allen Seiten her den Embryo, so dass ihre Ränder über dem Rücken desselben zusammenstossen, wo sie sich auch schliessen (Amnionnabel). Das innere Blatt dieser Falte wird, wenn es bis zur Verwachsung gekommen ist, einen Beutel oder Sack vorstellen, dessen untere Wand der Embryo selbst ist. Beide Blätter der Falte liegen anfangs dicht an einander, und umschliessen den Embryo ziemlich eng. Sammelt sich in der vom inneren Blatte der Falte gebildeten Blase Flüssigkeit an, so wird sie ausgedehnt, und wächst zu einer grösseren Blase an, welche Amnion, Schaf- oder Wasser- haut, und deren flüssiger Inhalt Schafwasser, Liquor amnii, genannt wird. Nachdem sich das Amnion gebildet, beginnt auch der übrige Embryo, von welchem nur das Kopfende bisher über die Ebene der Keimhaut sich erhob, sich von der Keimhaut zu erheben. Es wiederholt sich zuerst am Schwanzende derselbe Vorgang, wie am Kopfende. Indem es sich erhebt, das Schleimblatt nachzieht, und die Visceralplatten sich auf einander zuneigen, entwickelt sieh eine vom Schleimblatt ausgekleidete Höhle in ihm, als hinterer Bezirk der Viseeralhöhle. Das abgeschnürte Schwanzende des Embryo wird, von der Keimblase aus gesehen, ebenfalls durch einen Theil der Keimhaut verdeckt, und dieser ist die Sehwanzkappe. J^56 ^ 3-^ Wcilt-rp FoH-üliriflo .I.t Eiilwiililuiii: d«'s Emliryo. olc. Zuletzt konuut die Keilie dos C'niivcrgireiis; aiicli auf (Vw mitt- leren Tlieile der Visceralplatten. Ihr ZusaininenscliHesseii. und die dndurcli bewirkte Bildung; der Runipt'liölile, erfolgt aber viel lang- samer. Der sich ül)er die Fläche der Keimhaut erhchcnde iMnbryo zieht das mit seiner unteren Fläche verwachsene Schleind)latt nach, welches somit eine gegen die Höhle der Keimblase offene Rinne (Darmrinne) bilden muss. Diese wird durch die, von vorn und von hinten gegen die Mitte vorschreitende, allmälige Schliessung der Visceralplatten, in ein Rohr umgewandelt, — der einfache und geradlinige Darrakanal. Ist die Schliessung der Visceral- [)latteu bis zur Mitte der Darmrinne gelangt, so geht die Ver- wachsung bis zur vollkommenen Abschnürung weiter. Es wird somit das Darmrohr. d. i. der in der Rumpfhöhle des Embryo zwischen den A'isceral])latten eingeschlossene, und durch sie gleichsam ein- geschnürte Theil des Schleimblattes der Keimblase, mit dem ausser- halb der Rumpfhöhle verbliebenen Theil der Keimblase, durch eine Oeffnung communiciren. Die üeffnung heisst : Darmnabel, und der extra emhryonem liegende Theil der Keimblase: Nabelblase, Vesi- cula tonhilicall-s. Die ( "oiniiiunicationsstelle der Nabelblase mit dem DaiMurolii- zieht sich nach iiiid nacli in einen Gang aus, Nabel- blasengang, JJadus omplialo-cidericus. Der kreisförmige Rand der um den JJadiis omphalo - entevicus zusammengezogenen Visceral- platten heisst IIautnal)el (»der eigentlicher Nabel. — Die Nabelblase ist sehr gefässreich. Da nun das in der Rumpfhöhle des Embryo enthaltene Darmrolir ebenfalls ein Theil der Keimblase ist, so müssen Blutgefässe vom Embryo zur Nabelblase und umgekehrt verlaufen. Diese Blutgefässe, eine Arterie und zwei Venen, ziehen am Ductus omphalo-entericus hin, und Averden Vasa oinphalo-mesen- terica genannt. Nebst der Nabelblase entsteht um dieselbe Zeit noch eine zweite Blase, welche für die einzuleitende Verbindung des Embryo mit der Gebärmutter von grösster Wichtigkeit ist. Sie heisst Allantois, Harnhaut, lieber ihre Entstehung sind die Meinungen getheilt. Bischoff leitet die erste Anlage der Allantois von einer aus Bildungszellen bestehenden, nicht hohlen Wucherung der Viseeral- jdatten des Schwanzes ab. Diese Wuclierung ist sehr gefässreich, indem die beiden Endäste der embryonischen Aorta (Arteriae iliacae) sich in ihr verzweigen, und ihre Venen sich zu zwei ansehnlichen Stämmchen vereinigen, welche zum Herzen zurücklaufen. Hat sich die Allantois, durch Verflüssigung ihrer inneren Zellenmasse, in eine Blase umgestaltet, so communicirt sie mit dem Darmende, und kann, der Form nacli, als Ausstüljning desselben genommen werden. Das untere Darmende, in welclies die Allantois mündet, heisst Clodca. §. 029. Weitere Fortachritte der Entwicklung des Embryo, etc. 857 Die Kloake sclmürt sicli alsbald in zwei OefFnnngen ab, von welchen die hintere den After rorstellt. Die vordere OefFnung, welche der AUantois angehört, heisst Sinus uro-genitalis, da sich ans ihm die änsserlich sichtbaren Organe des Harn- nnd Geschlechtsapparates hervorbilden. — Die AUantois wächst rasch, nnd erreicht schon frühzeitig eine solche Grrösse, dass sie durch die zum Hautnabel conniyirenden Yiseeralplatten, in zwei Theile getheilt wird, deren einer innerhalb, der andere ausserhalb des Embryo liegt. Der inner- halb des Embryo liegende Theil der Blase, wird in seiner unteren Hälfte zur Harnblase, in seiner oberen dagegen zum Harnstrang, Urachus. Der Urachus ist hohl, also ein Kanal, durch welchen die Harnblase mit der ausserhalb des Embryo befindlichen AUantois in Verbindung steht. Der Harn wird somit durch den Urachus aus der Blase in die Höhle der AUantois geschafft, Avoraus der Name Urachus sich ergiebt (ovqov, Harn, und yjco, giessen). — Die Arterien der AUantois sind die Fortsetzungen der beiden oben erwähnten Aortenäste (Arteriae iliacae), und werden Nabelarterien genannt. Die Venen vereinigen sich beim Menschen zu einem einfachen Stamm — Nabel vene — welcher sich in die mittlerweile entstandene Hohlader ergiesst. Wir sehen nun durch die eigentliche Nabelöffnung der Rumpfwand folgende Theile treten: 1. den Ductus omphalo-entericus mit den Vasa omphalo-mesenterica, und 2. den Urachus mit den doppelten Arteriae umhilicales, und der einfachen Vena umbilicalis. Eine vom Amnion für diese Grefässe gebildete Hülle heisst Nabelscheide, und geht am Nabelrand in die äussere Haut des Embryo über. Der Com- plex aller dieser Gebilde heisst Nabelstrang, Funiculus umbilicalis. Der ausserhalb des Embryo liegende grössere Abschnitt der AUantois wird dazu verwendet, eine Gefässverbindung zwischen dem Embryo und der Gebärmutter einzuleiten, und zwar auf folgende Weise. Er wächst nämlich so rasch, dass er die äussere Eihaut (Chorion) erreicht, sich an ihre innere Fläche anlegt, mit ihr ver- wächst, und seine Arterien in sie eindringen lässt. Ist dieses ge- schehen, so schwindet der extra-embryonale Abschnitt der AUantois vollständig. Nur seine Blutgefässe verbleiben. Seine beiden Arterien, welche, wie gesagt, Fortsetzungen der Arteriae iliacae des Embryo sind, verlängern sich bis in die, an der Aussenfläche des Eies auf- sitzenden Zotten, und beugen sich in denselben schlingenförmig zu Venen um, welche, von allen Zotten her, sich zu einem einfachen Stamm vereinigen, als Vena umbilicalis. Durch die mittlerweile von statten gehende Entwicklung des Mutterkuchens, Placenta, §. 336, gerathen die Zotten des Chorion mit den Gefässen der Gebärmutter in so innige Beziehung, dass ein Austausch der Bestandtheile beider Blutsorten durch Diffusion möglich wird. J^rjg J. 330. Wolff'scJier Körper. Dir zuiTst von Giilen geltrauolite Name AUantois (dllavToeiÖTig) stammt von (iXla^, gon. cikXävTog. eine Wurst; daher äXXavTonoiög hei Diog. Laertins ein Wurst mach er. und dXXavzoniblrjq hei Aristophanes ein Wursthändler. Die saeki'örmige Alhuitois hat nämlieh bei Schafen und Kälbern eine oblonge Wurstt'orm. So wird nun auch die Benennung Membrana farciminalis ver- ständlich, welche ihr von Vesal gegeben wurde. Farcimen, \on farcire, füllen, ist eine Wurst. c^. 330. Wolff'scher Körper. g Unter (leu hier gegebeneu P^raginenteu der Entwleklnngs- •••escliiehte muss aiicli der Wolffsche Körper eiueu Platz finden. Er verdient ilui schon Avegen seiner Beziehungen zur Entwicklung der uiännlichen Genitalien. Der Wolffsche Körper i.st ein paariges ()ri;:in. welches die ganze Bauchhöhle sehr junger Embryonen ein- niunnt, \n\d steht in jener Periode des embryonalen Lebens im oTÖssten Flor, in Avelcher von Harn- und Geschlechtsorganen noch nichts zu sehen ist. Er stellt eine tubulöse Drüse dar, welche, so lauge noch keine Nieren gebildet sind, mit der Ausscheidung der stickstoffliältigen Zersetzungsproducte des embryonischen Stoffwech- sels betraut ist, daher sein Name: Primordialniere. Die quer liegenden Kanälchen der Primordialnieren endigen an ihrem inneren Ende blind, an ihrem äusseren Ende aber gehen sie in einen Aus- tuhrungsgang über, Avelcher in das untere Ende der AUantois ein- mündet. Am inneren Rande des Wol ff sehen Körpers entsteht ein anfangs indifferentes Organ, welches erst in seiner Aveiteren Ent- wicklung zum Hoden oder Eierstock ward. Auswärts A'on diesem Organe zieht sich der Müller'sche Faden an der unteren Fläche des Wolff 'sehen Körpers hin. Er ist hohl, also eigentlich ein Gang, endigt vorn blind, und mündet hinten zwischen den Inser- tionen der Wolffschen Ausführungsgänge in die AUantois ein. Wird das am inneren Rande des Wolffschen Körpers sich bildende Organ zu einem Hoden, so schwindet der Müllersche Faden der- art, dass nur sein hinteres, in die AUantois einmündendes Ende perennirt, welches dann mit demselben Ende des anderen Mü Herr- schen Ganges zu einem Säckcheu zusammenfliesst — die in §. 298 erwähnte Vesicula prostatica. — Die Samenkauälchen des neu ent- standenen Hoden münden in die Querkanäle des Wolffschen Kör- pers ein. Was von letzteren diesseits dieser Einmündung liei^t, schwindet, während das jenseits der Einmündung liegende, mit dem Ausführung.sgang des Wolffschen Körpers zusammenhängende Stück derselben sich zu den Coni vasculosi llalleri (§. 300) umwandelt, und der Ausführungsgang selbst zum Nebenhoden wird. Von den vordersten Querkanälchen des AVol ff sehen Körpers, kann eines oder da^ andere als eine Fornr der Morgagni'scheu Hvdatide (§. 301) §. 331. Menschliche Eier aus dem ersten Schwangerschaftsmonate. 859 perenniren, während eines der hintersten sich zum Vasculum aberrans des Nebenhoden (§. 300) umbildet. Wahrscheinlich muss auch die Parepididymis (§. 300) für ein Residuum des Wo Iff sehen Körpers angesehen werden. Wird aber das anfangs indifferente Organ am inneren Rande des Wolff'schen Körpers zn einem Eierstocke, so schwindet der Müller'sche Faden (Grang) nicht, wohl aber der Wolff'sche Ans- führnngsgang. Der Müller'sche Faden öffnet sich an seinem Tor- deren Ende imd wird zur Tuba Fallopiae. Die hinteren Enden beider verschmelzen zu einem unpaaren Schlauch, welcher sich in Uterus und Yagina sondert. Einige Querkanälchen des Wolff sehen Körpers können (wie im m.ännlichen Greschlechte) perenniren, und bilden sodann den im §. 309 erwähnten Nebeneierstock. §. 331. MenscMiclie Eier aus dem ersten Schwangerscliafts- monate. Memhranae deciduae. Der Vergleich sehr junger menschlicher Eier mit den in den vorausgegangenen Paragraphen behandelten Säugethiereiern zeigt, bis auf minder wesentliche Differenzen, eine grosse Uebereinstimmung. Nach Thomson's Bericht über ein zwölf bis vierzehn Tage altes menschliches Ei, hatte dieses einen Durchmesser von 7io 2oll, Sein Chorion war mit Zotten besetzt. In diesem befand sich eine zweite Blase, welche die Höhle des Chorion nicht ganz ausfüllte, und auf welcher der Embryo dicht auflag. Die Seitentheile des Embryo gingen ohne Erhebung in diese Blase über. Sie war also die Keim- blase. Von Amnion und AUantois war nichts zu sehen. — In einem von R. Wagner untersuchten Ei von fünf Linien Durchmesser, war bereits das Darmrohr gebildet, und hing durch einen kurzen Kanal, Ductus omphalo-entericus, mit der Nabelblase zusammen. Al- lantois und Amnion waren gleichfalls schon entwickelt. Das Alter dieses Eies betrug drei Wochen. Ein dritter Fall, von Müller beschrieben, stimmt mit dem vorigen genau überein, und ebenso ein vierter, von Coste, in welchem das Alter des Eies auf zwanzig Tage geschätzt war. Diese wenigen Data genügen, um aus der Uebereinstimmung der ersten embryonalen Anlagen, auf eine gleiche Entwicklungsweise zu schliessen. In den sogenannten hinfälligen Häuteu, Memhranae deci- duae, liegt ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal des menschlichen Eies vom Säugethierei. Die Memhranae deciduae sind Eihüllen, welche nur im Menschen und bei den Simiae anthropomorpJiae vorkommeu. Ihre Entstehung geht aber nicht vom Ei aus, wie jene des Amnion und Chorion, sondern von der Gebärmutter. Denn es ist hinlänglich QQQ 8. 331. Mi'nsfhliche Eior ans ilem ersten Pcliwangorscliaftsmonate. (•(tiist.itirt, (lass, l)OV()r n(»cli ol:mi;t, ;in der innenMi Ohortläche der letzteren eine Haut sich entwickelt, -welche von allen Anatomen nicht mehr für eine Neu- liildunji' «i^ehalten, .sondern als die metamor])h()sirte Uterusselileinihaiit selbst anerkannt -wird. Sie wurde von Hunter zuerst untersucht und l)eschriel)eu, und lülirt, weil sie Avährend der Sch"\vanij;erschat't eine gewisse Rückbildung- eingebt, und bei der Geburt zugleich mit den Eihäutcu ausgestossen wii'd. den Namen: Membrana decldua Ifuiiter! .'<. der'ulua vera. Die Decidua ist nitldieliweiss, und einem plaNtischeu Exsudate ähnlich, wie es bei Entzündungen gebildet wird. Sic wurde desliall) aucli lange für ein solches gehalten. Ilire Dicke beträgt, in ihrem höchsten Eutwicklungsflor, bis drei Linien. Als aufgelockerte Uterinalschleimhaut besitzt die Decidua Blutgefässe, so wie vergrösserte und verlängerte Glandulae utriculares in grösster Anzahl, deren erweiterte Mündungen das siebförmige An.sehen der freien Fläche dieser Haut bedingen. Kommt nun das Ei durch die Tuba in i\(n\ Uterus, so soll es den, das Osüum utcrinian tuhae ver- schlie.ssenden "^riieil der Decidua vor sich lier drängen, und von ihm umwachsen werden. So entsteht die ]\JemJ>raita decidua reße.ra, durch welche das Ei gleichsam wie in einer Schwebe aufgehangen wird. An der Einstülpungsstelle der Decidua vera zur reflexa bildet sich eine neue, den Deciduae ganz gleiche Haut — die Decidua serotina. Sie ist es, an Avelcher sich da,s Ei, mittelst der Entwicklung der gleich zu besprechenden Placenta, bleibend an die l teruswand an- heftet. Die Anheftuugsstelle entspricht sonach einer TubenöfFnung. Durch das AVachstlium des Eie.s wird, .schon zu Ende des dritten Schwangerschaftsmouates, die Decidua reßea'a mit der vera in Contact gebracht, worauf beide H.äute zu einer einzigen verschmelzen. Man darf .sich aber die Einstülpung der Decidua Hunteri zur Decidua reße.ra nicht als ein gewaltsames mechanisches Vordrängen der ersteren vor.stellen, wozu das kleine Ei Avohl schAverlich genug Gewicht hat. Es ist im Gegentheil anzunehmen, dass das Orißcium vterimnn der Tuba, durch die Decidua gar nicht verschlossen wird, und das Ei bei seinem Anlangen an dieser OefFnung, durch die Wucherung der Uterinalschleimhaut umschlossen, und gänzlich um- wachsen wird. Dieses Umwachsenw^erden des Eies durch die Decidua kann in seltenen Fällen unterbleiben. Dann wird das Ei frei in die Uterushöhle gelangen, und sicli anderswo, als iji der Umgebung einer TubenöfFnung, im Uterus fixiren. Geschieht dieses in der Nähe des inneren Muttermundes, so muss dieser durch die .sich entwickelnde Placenta ül)erlagert und versclilossen werden. Tritt mm die Geburt ein, Avird die Placenta vor dem Kinde geboren w^erden müssen, während sie sonst der (reburt des Kindes naclifoliit. Den Geburts- §. 332. Menschliche Eier aus dem zweiten Schwangerschaitsmonate. 861 lielferu ist dieser, der Blutung wegen sehr gefahrvolle Zufall als Placenta praevia bekannt. Die Bildung einer Decidua lässt sich nicht blos auf den Fall einer ge- scliehenen Befruchtung des Eies zurückführen. Ich fand in zwei Uteri von Mädchen, welche während der Reinigung eines plötzlichen Todes starben, und deren eines ein vollkommen tadelloses Hj'men hesass, die Uterinalschleimhaut verdickt, aufgelockert, ihre Drüsenschläuche verlängert und erweitert, — kurz einer beginnenden Decidua ähnlich. Hieraus ergiebt sich, dass die mit jeder Menstruation eintretende Vitalitätssteigerung des Uterus, die Entwicklung einer hinfälligen Haut involvirt, welche theils durch Aufsaugung, theils durch Ab- stossung wieder schwindet, wenn nicht der, durch eine stattgefundene Be- fruchtung gegebene Impuls eine weitere Ausbildung derselben einleitet. Dass das Ei selbst auf die Entstehung der Decidua vera keinen Einfluss nimmt, beweist die durch zahlreiche Erfahrungen bestätigte Wahrheit, dass auch in Fällen, wo das befruchtete Ei gar nicht in die Uterushöhle gelangt, sondern in der Tuba, oder selbst in der Bauchhöhle seine Schwangerschaftsstadien durchmacht fGraviditas extra-uterinaj , dennoch die Decidua vera sich, wie bei normaler Schwangerschaft, entwickelt. §. 332. Menschliclie Eier aus dem zweiten Sdiwangerschafts- monate. Ueber menselilicbe Eier ans dem zweiten Scliwangerscliafts- monate sind die Beobachtungen ziemlieh zahlreich. Ein im Anfange des zweiten Monats durch Missfall (Abortus) abgegangenes Ei hat acht bis zwölf Linien Durchmesser. Es ist von der Decidua refiexa umhüllt. Die Decidua vera erscheint an ihrer äusseren Fläche rauh und zottig, an ihrer inneren glatt und glänzend. Den Raum zwischen Decidua reflexa und vera nimmt geronnenes Blut ein, wodurch das ganze Ei meistens für einen Blutklumpen gehalten, und statt in anatomische Hände, in den Abort gelangt. Das Chorion des Eies erscheint mit Zotten besetzt, welche durch die Decidua reflexa hin- durchwachsen. Die Zotten stehen an jener Stelle des Chorion, wo sich später die Placenta entwickelt, besonders dicht, und sind mit seitlichen Aestchen besetzt, wodurch sie das Ansehen von kleinen Bäumchen erhalten. Der Embryo selbst ist zwei bis drei Linien lang. Die Allantois existirt nicht mehr. Dagegen findet sich ein aus dem Nabel des Embryo kommender, und zu jener Stelle des Chorion verlaufender Strang, wo die Zotten bereits die Baumform ange- nommen haben. Dieser Strang enthält, nebst den Nabelbläschen und dessen Ductus omphalo-entericus, auch die Nabelgefässe: zwei Arteriae umbilicales, und eine Vena umbilicalis. Die Arterien senken ihre Zweige in die baumförmigen Zotten des Chorion ein, an deren Enden sie schlingenförraig in Venen umbeugen. Der Stiel, an wel- chem das Nabelbläschen hängt, ist länger als bei irgend einem Säugethiere, obliterirt aber schon um diese Zeit vollkommen, so gßO S. ;!;l;!. Zur liehurt roifes Ki. Amnion. (I;i,sh (la.s Ill;i>(li<'ii /.ur weiteren lOiitwieklnni; des 1 );iriulv;iii;(l.s keinen nezii,^' lialxMi k.inn. hasselhe rüekt solort vom Nabel weg', und ent- fernt sieli so weit von ilmi. da.ss e> in den Kanin zu liegen kommt, « o (las periplierisc'lie Amnion sich zur Nahelsclieide einstülpt. Zwisclien Cliorion und Amnion Ix'lindet sicli ein noch immer anselinliclier /wix'JKMiraum. mit einiT i;allert;ilin]i(lien Flüssigkeit gefüllt (J/(^///y/tf/ niii-idc', Velpeau). Das IVüIizcili^'o Solnviiidrii der Alhmlnis ist eine duiii iiieiiscliliclion Ei oijientliüinlitlio Phsrlicinunp. Die AUiintois lud Hie Bestimmung, die Nabol- frotässf flcs Eiii])ivo in das (jlmrion v.w li'iifii, in desson Zotten sie ihre letzte Verästliinp lialicn. Da nun im monscldiclu'n Ei nur jene Zutten (lot'ässe erhalten, weltlie der Jnsertionsstelle der Placenta cntsprcclien, so braucht die Allantois nicht weiter zu waclisen, als bis sie diese Stelle dos (Phorien erreicht. Sind ihre (Jefässc einmal in die Zotten eingetreten, so hat sie iluc Rolle ausgespielt, und iluc TirKk biMunt,' beginnt. §. 333. Zur Geburt reifes Ei. Amnion. Das reite FA hesit/,t zwei liäutige Hüllen, welclie unsere naiven Vorfahren [iwiinnlnila, \\ i n d e 1 n der Frucht, nannten: Amnion und ("liorion. Die Schaf'liaut des reifen Eies ( Amnion, aucli Amnion) um- schliesst znnäclist den Embrvo, und stellt fiie innere Eihaut des- selben dar. Getäss- und nervenlos, erscheint sie aks eine weite Blase, welche das Ausselien einer serösen Membran besitzt, und mit einer trülx-u, dicklichen Flüssigkeit — dem Frucht-, Geburts- oder Schafwasser, Liquor amnii — gefüllt ist. Ihre innere Ober- fläche ist glatt, ihre äussere liegt entweder am C'horion an, und verklebt so lose mit ihm, dass sie leicht abgezogen Averden kann, oder wird von iliin durch eine dem Liquor amnii ähnliche, grössere oder geringere Flüssigkeitsmenge getrennt, welche falsches Frucht- wasser, Liquor amnii spnrios, heisst. Dass das Amnion aus kern- haltigen Zellen besteht, lässt sich nur bei jungen Eiern erkennen. Um die Zeit der Geburt ist seine Zusammensetzung ans Zellen nicht mehr deutlich. Ein sehr schönes Pflasterepithel lagert an seiner inneren Oberfläche. Man liest Amnion und Amnios. T6 ciiiviov ist, eigentlich die Schale, mit welcher das Blut der Opferthiere aufgefangen wurde, und nur im Julius Pol- lux die fragliche Eihaut. 'Afjiviog = diivög bedeutet Schaf, und diivtiog, was vom Schafe kommt, also auch unsere Schafhaut. Spigelius meint f De form, foet., cap. 6), dass die Anatomen des Alterthums, welche ihre Untersuchungen über den Fötus, nur an träclitigeu Schafen anstellen konnten, den Namen Amnios, Schafhaut, deshalb erfanden, weil sie den Schaffötus in seiner Tota- lität durch diese durchsichtige Haut hindurch wahrnehmen konnten. — Alle Anatomen sprechen das i in Amnios kurz aus, nach der alten Begeh vocalis ante vocalem corripitur. Da aber dieses i den griechischen Diphtliong h vertritt, §. 334. Fruuht-wasser. 863 muss es lang gesprochen werden, also Ainntos, nicht Auaüos. Ob sich wohl Jemand an diese Weisung kehren wird? Der Nabelstrang, welcher den Embryo mit dem ausserhalb des Amnion liegenden Mutterkuchen verbindet, durchbohrt nicht das Amnion. Es stülpt sicli letzteres vielmehr um den Nabelstrang herum ein, bildet eine Scheide für ihn, gelangt an ihm zum Nabel des Embryo, und verschmilzt daselbst mit den Bauchdecken. §. 334. Fruclitwasser. Die Meiig'e des Fracht- oder Scliafwassers (Liquor avinn), Avelche die Höhle des Amnion ausfüllt, und in weicher, znnial in den ersten Monaten der Schwangerschaft, der Embryo so zu sagen schwimmt, ist in verschiedenen Schwangerschaftsstadien, und um die Geburtszeit, bei verschiedenen Frauen sehr ungleich. Seine Quantität nimmt bis zur Mitte des Fruclitlebens zu, und gegen die Geburt wieder ab, wo es im Mittel ein Pfund beträgt. Ebenso variirt seine Zusammensetzung, und die bisher vorgenommenen chemischen Analysen stimmen deshalb nicht überein. Man findet es bei sehr jungen Embryonen Avasserhell. Später wird es trübe und gelblich, schmeckt salzig, und hat einen eigenthümlichen tliierischen (jieruch. Es enthält im vierten Monate 97, im sechsten aber 99 Pro- cent Wasser; das üebrige sind Salzspuren iind Eiweiss. Der geriuge Elweissgehalt macht es unwahrscheinlich, dass, wie man glaubte, das, vom Embryo verschluckte Fruchtwasser zu seiner Ernährung ver- braucht werden könne. Die alte Medicin hielt das Fruchtwasser für den Schweiss des Embryo! Der auf der Leibesoberfläche der Frucht vorfindliche, mit Seifenwasser leicht abzuspülende, käseartige und fette Ueberzug (Vernix caseosa) ist kein Niederschlag aus dem FruchtAvasser, sondern das Secret der Talgdrüsen in der Haut der Frucht. — Vernix ist kein lateinisches Wort, sondern ein kecker Neuling in der anatomischen Sprache. Sein Alter datirt aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Höchst wahrscheinlich entstand es aus dem spätgriechischen ßeQviKri, d. i. glänzendes Harz. Die Verwendung des Fruchtwassers liegt auf der Hand. Seine (iregenwart schützt den Embryo vor den Gefahren mechanischer Be- leidigungen, welche bei der Zartheit und Yulnerabilität der Frucht ihre normgemässe Entwicklung leicht beeinträchtigen könnten. Nimmt die Menge des Fruchtwassers ab, wie es in den letzten Schwanger- schaftsmonaten Regel ist, so werden die Bewegungen der Frucht für die Mutter lästig und schmerzhaft. — Der im Fruchtwasser flot- tirende Nabelstrang kann den Bewegungen des Embryo leicht aus- weichen, und wird somit weder gedrückt, noch gezerrt werden, wodurch die .Ab- und Zufuhr des Fruchtblutes gesichert wird. — Das Eindringen der Amnionblase in den Muttermund am Beginn 864 ^- ^^^- Chorion. der Gebm-t, und diT Druck, welchen diese Blase, bei den als Wellen anftreteuden Znsanunenzieliungen der Gebärmutter, auf den ^Futtennund ausfdit (das sogenannte Einstellen der Blase), erweitert gleiclitVirnii«;- den engsten Tlieil der Gebiirtswege, und beteuclitet ihn samuit der Scheide l>eini Platzen der Blase. Sind die Fruchtwässer abgelaufen, und die Geburtswege trocken und heiss g^eworden, so wird die Geburt mit namhaften Schwierigkeiten zu kämpfen haben. — AUzufrrdier Abgang- des Fruchtwassers beding-t Abortus. Es kouimt als grosse Seltenheit vor, diiss der praevia capite zu gebärende Embryo das Amnion nicht, wie das Chorion, durchrcisst, sondern der Kopf des Kindes eine förmliche Mütze CGaleaJ von dem im Kreise gesprungenen Am- nion mit sich auf die Welt bringt. So geborene Kinder hält der Volksglaube für Glückskinder (Caput (jaleatum, tete coiffce der Franzosen). Ein Sohn des Caracalla, welcher mit einer solchen Mütze auf dem Kupfe geboren wurde, erhielt davon den Beinamen: Diadumenos. §. 335. Chorion. Die Gefässhaut des reifen Embryo, t'horloit, umschliesst (hi.s Amnion, und heisst deshalb auch äussere Eiliaut. Der Name Chorlou wurde von Aristoteles dieser Haut beigelegt. Er stammt von xoQiov^ welches überhaupt eine Haut bedeutet, und in diesem Sinne auch als coriinn in der lateinischen Sprache sich einbüi'gerte. Kernhaltige Zellen mit granulirtem Inhalt bilden an ihrer äusseren Fläche eine Epithelialschieht, unter welcher eine Biudegewebsschicht als eigentliche Wesenheit des Chorion lagert. Den Namen Gefäss- haut erhi(dt das Chorion nur wegen der Beziehung seiner gefäss- führenden Zijtten zur Entwicklung der Placenta. — Es wurde bereits erwähnt, dass das Chorion, bei sehr jungen Eiern, an seiner ganzen äusseren Fläche zottig ist, während seine innere Fläche glatt erscheint. Mit dem fortschreitenden Wachsthume des Eies, imd der damit ver- bundenen Ausdehnung des Chorion, werden die Zotten an der imteren Gegend des Chorion sj)ärlicher, häufen sich dagegen in der oberen Peripherie, und besonders an der, der Decidva serotina zugekehrten Stelle mehr unri mehr an (Chorion fronäosum s. ramosum der Autoren). Dieses Anhäufen der Zotten darf aber nicht als ein Wandern der- sell)en von entlegeneren Stellen des Chorion her ausgelegt werden, sondern ergiebt sich als Folge einer numerischen Zunahme der Zotten an der oberen Gegend des Chorion, während die Zotten an der unteren Peripherie, schon der zunehmenden Ausdehnung dieser Haut wegen, weiter aus einaiuler rücken, atrophisch werden, und beim reifen YA in so grossen Abständen stehen, \u\i\ zugleich so verkümmert sind, dass man diesen Abschnitt des Chorion immerhin zottenlos nennen kann (Chorion laeve). Die dichtgedrängten, baum- förmigen und gefässhältigen Zotten an der oberen Peripherie de.- §. 336. Mutterkuclien. 865 Chorion bilden den Körper der gleich zu erwähnenden Pla- centa foetalis. Die zerstreuten, verkümmerten Zotten des Chorion eines reifen Eies haben ein ganz anderes Ansehen, als die wahren, zur Bildung der Placenta zu verwendenden Zotten. Sie sind fadenförmig, gehen mit breiterer Basis vom Chorion ab, und senken sich mit ihren zugespitzten Enden in die Decidua ein, mit welcher sie oft so innig zusammenhängen, dass die Trennung beider Häute Schwierigkeiten macht. Sie enthalten keine Gefässe-, nur die der Placenta näher stehenden bekommen zuweilen Aestchen aus den Nabelgefässen. Ueber die Blutgefässe des Chorion und der Decidua handelt M. Hol! in den Wiener akad. Sitzungsberichten 1881. §. 336. Miitterkiiclieii. Der Mutterkuchen, Placenta, vermittelt, als ein äusserst ge- fässreiches Organ, den Blutverkehr zwischen Mutter und Frucht. In ihm geht mit dem Blute des Embryo jene Veränderung vor sich, durch welche es zur Ernährung desselben befähigt wird. Bevor der Mutterkuchen durch Realdus Columbus den Namen Placenta er- hielt (von TclaKovg, im Genitiv ■KlcrAovvtog, ein platter, aus Honig und Mehl bereiteter Kuchen, bei Horaz, Ep. I, 10. 11), hiess er Hepar uterimmi, da man ihm ganz richtig das Geschäft der Blut- bereitung für den Embryo zuschrieb, welches Gescliäft für den geborenen Menschen man damals der Leber zumuthete (hepar haemato-poeseos organon). Er hat die Gestalt eines länglich-runden, convex-concaven Kuchens, dessen grösster Durchmesser 5—8 Zoll und dessen Gewicht 1 bis 27^ Pfund beträgt. Seine convexe oder äussere Fläche sitzt an der inneren Oberfläche des Fundus uteri fest, jedoch nicht in dessen Mitte, sondern gegen das eine oder andere Orlficium uterinum tuhae. Das Amnion überzieht seine innere oder concave Fläche, in welche sich der Nabelstrang nicht in ihrer Mitte, sondern excentrisch und in schräger Richtung einpflanzt. Seine weiche schwammige Masse ist sehr reich an Blutgefässen, welche, indem sie theils dem Embryo, theils dem Uterus angehören, die Eintheilung des Mutterkuchens in einen Gebärmutter- und einen Fötaltheil (Pars uterina und foetalis placentae) veranlassten. Die Placenta foetalis ist, wie der Embryo selbst, eine Neubildung; — die Placenta uterina dagegen nur eine structurelle Umbildung jenes Bezirkes der Uterusschleimhaut, an welche sich die Placenta foetalis anschliesst. A) Föt altheil des Mutterkuchens. Es wurde früher er- wähnt, dass die ganze Aussenfläche des Chorion anfänglich mit Zotten besetzt erscheint. Diese Zotten sind wahre Excrescenzen des Chorion, und bestehen, wie dieses, aus faserigem Stroma und Epi- thel. Ersteres enthält die Blutgefässe. An jener Stelle des Chorion, Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl. 30 gßg i. 336. Mntterkuclien. WO das Ei sich mit rler Decidna serotina der Gebärmutter in Gefäss- vprhindung- setzen soll. li;uifen sich die Zotten an, entwickeln sich stärker, und wachsen zu kleinen näumchen an. Die Bäumchen !^rui>j>ir(Mi sich /u diclit gedrängten Büscheln, welche sich selbst wieder zu gr(')sst'ren, au der Aussenfläche einer vollkommen ausge- trageuen IMacenta noch orkcunharen Lappen oder Inseln, Cobilc- ,h>n,\i, ai>!ire"iren. Die beiden Artcriae iimhilicaleti des Nabelstranges theilen sich an der inneren Fläche der IMatouta in A»'>te und Zweige, welche in diese Lappen eindringen, und sich dunli wiederludte Theilung in kleinere (ielässe auflösen, welche zu den Zotten gehen. Das in die Zotte eindringende arterielle (let'äsbchen sendet in alle Aeste und Reiserchen der Zotte Zweige ab, Avelche, nachdem sie capillar geworden, zuletzt in die A'ene der Zotte übergehen. Durch allinälige Vereinigung aller Zt>ttenvenen entsteht schliesslich die Vena lonhilicalis, welche im Nabelstrang neben oder zwischen den beiden Umbilical-Arterien zum Endiryo zurückläuft. Kls muss somit das durch die beiden Äiieriae unibilicKlea in die Placenta foetalis geführte Blut des Embryo durch die Vena umbilicalis wieder zum Embryo zurückfliessen. Da noch keinf N<^rvpn in allertiiie Masse, welche die I51utiiefässe des Nabelstrano'es ^llu^•iel)t und 7a\- saimueuliält. il) Die Scheide des Nahelstraug-es. Sie wird durch die Ein- stülpung- des Amnion uehildet. und verseluuilzt an der Peri- l)herie des Nabels mit dein Integument des Embrvo. Wenn man einen Nabelstrang entzwei zu reissen versucht, wird man sich wundern, dass dieses Eutzweireissen an einem Bündel von drei Blutgefässen mit weicher, sulziger Umgebung, so äusserst schwer gelingt. Es gehört wirklich grosser Kraftaufwand dazu. Die Ursache dieser Widerstandskraft des Nabel- stranges gegen Dehnung und' Kiss, liegt in der (legenwart mehrerer Schnüre von dichtgefasertem Bindegewebe, welche, wenn man ihrer einmal an der Quer- schnittfläche des Nabelstrauges ansichtig geworden, mittelst Spaltung der Seheide des Stranges, sich in längeren Strecken anatomisch darstellen, oder auf rohere Weise von den Gefässen losreissen lassen. Ich liab.' sie als Chordae funiculi umbilicalis beschrieben. Dass Nerven im Nabelstrang vorkommen, behauptete Schott (Die Controverse über die Nerven des Nabelstranges. Frankfurt, 4836). Sie stammen für die L'mbilicalvene aus ('li;it"t>iU(m;it{'ii muI'. so dass das t'cnicr noeli /.imt'liiiiciKlc (irösseuwaflistlimn des l tonis, nur aiit" Kosten der Dicke seiner Wände, und dnrcli Einlx'/j'eliiini;- der J*»ii() vapi- iiii/i.-^ iili'i'i in den K<"'>r|ter des l'teiMis zn Stande i;el>raelit wird. Diese A'erdnnnnni; der l ternsuand (ritt nanientlicli in der nächsten Uniiiebmii;' «les Mntterniuntles so dentlicli liervor. dass dhe mit dem Nabel, im siebenten über demselben, im achten und neunten erreicht er die Herzgrube, und im zehnten (Mondmonat) steht er wieder etwas tiefer. Die Bauclid(»ckeu Avolben sich kugelig; hervor, di<* Nabelgrube verflacht sich, di<» Yagiual[>ortIon wird all- mälig zur Vergrösserung des Uterus, der Ctinalis crrclcis zur \ er- gr()ssernng der Uterushöhle verwendet. Am Muttermund verstreicht die vordere und hintere Lefze, er wird rnnd, (ifFnet sich vom fünften Monat angefangen, und wird im letzten Schwang-erschaftsmonat so weit, dass man durch ihn mit (b'm Finger die ges])annte Blase der Eihäute fühlt. Die ^ ergriisserung der (Jebärmutter kann nur dadurch vor sich gehen, dass die Nachl>arsorgane, welche sie beschränken könnten, ans ihrer Lage gedrängt werden, wodurch das topogra- phiscjie \ erhältiiiss der Baucheingeweide einige Aenderuug-en er- fährt. Die (iedärme sind zur Seite gedrängt, die Kippen^eichen werden deshalb voller; der Uterus liegt au der vorderen Baueh- wand dicht an. und kann leicht gefühlt werden. Der Druck auf die Eingeweide erzeugt Störungen der Verdauung, auf den Mastdarm Stnhlverstopfung, auf die (Jalleugefässe Gelbsucht, auf die Harn- blase Unregelmässigkeiten in der l'rinentleerung', auf die Venen des Beckens \ aricositäten der Vena saphena interna, auf die Lymph- drüsen eben(hiseli)st Öedem der Füsse, — Zufälle, welche sich mindern, wenn bei längerer Rückenlage der Frau, der Druck der G-ebärmutter auf andere Gebilde gerichtet wird. — Die Bewegung §. 339. Lage des Eml)i-yo in der Gebärmutter. 873 des Zwerchfells wird ebenfalls beeluträclitigt. -Gelieu, Laufen, Stiegen- steigen, wird häufig nicht gut vertragen; der Gang ist wackelnd, mit stark gestrecktem Kücken, um die Schwerpunktlinie des nach vorn belasteten Leibes, noch zwischen den Fusssohlen durchgehen zu machen. — Hat der Uterus durch die Geburt sich seiner Bürde entledigt, so verkleinert er sich so rasch, dass er schon in der ersten Woche nach der Entbindung-, auf seine früheren Durchmesser zu- rückgeführt erscheint. Während der Schwangerschaft nehmen nicht blos die Venen der Gebär- mutter, sondern auch jene benachbarter Organe (Scheide, Harnblase, breite Mutterbänder) an Weite zu. Unter den Gebärmuttervenen erweitern sich jene des Grundes viel mehr, als jene des Halses. — Die Nerven des Uterus ge- winnen erwiesenermassen in der Schwangerschaft an Stärke, und es sind vor- zugsweise die grauen Fasern, welche durch ihre Vermehrung die Dickenzunahrae der Uterinalnerven bedingen. Man überzeugt sich durch Auscultation des Unterleibes einer Schwangeren, dass der Puls des Embryo einen schnelleren Ehythmus hat, als der Puls der Mutter. §. 339. Lage des Embryo in der (rebäriiiutter. Der Embryo liegt, in der weitaus grösseren Mehrzahl der Fälle, so in der Gebärmutterhöhle, dass der Kopf nach abwärts, imd der Rücken nach vorn gekehrt ist. Der Häufigkeit dieser La- gerung liegt ein rein mechanisches Yerhältniss zu Grunde. Der Kopf, als der schwerste Körpertheil, sinkt nach unten, und der stark gekrümmte Rücken legt sich an die A'ordere Uteruswand, weil diese, der Nachgiebigkeit der Bauchdecken wegen, weiter aus- gebaucht ist, als die hintere, welche durch die nach vorn convexe Lendenwirbelsäule in ihrer Axisdehnung beschränkt wird. Da zu- gleich der Kopf des Embryo gegen die Brust geneigt ist, so wird das Hinterhaupt — nicht die Stirn oder das Gesicht — auf dem Muttermunde stehen. Man fühlt deshalb beim Touchiren vor der Geburt die kleine Fontanelle (Hinterhauptfontanelle) im Mutter- munde. Der gerade Durchmesser des Kopfes kann aber nicht mit dem geraden Beckeudurchmesser (Conjugata) übereinstimmen, weil letzterer nicht die hiezu gehörige Länge besitzt. Der Kopf muss also derart schief stehen, dass sein langer Durchmesser in der Richtung eines schiefen Durchmessers des Beckeneinganges liegt, was durch die Richtung der leicht zu fühlenden Pfeilnaht ausg€- mittelt wird. Die schiefe Stellung des Kopfes stimmt meistens (unter vier Fällen dreimal) mit dem linken schiefen Durchmesser des Becken- eingänges überein, d. h. das Hinterhaupt der Frucht ist gegen die linke Sehenkelpfanne, das Gesicht gegen die rechte Symphysis sacro- J^7^ 5. 339. Tage des Emliryo in ili-r PielilrTniitter. /■//(/(•»'ii in den läiiiisten I )iir(limesser des IJeekeiirauiues fällt. Her län".ste Duredimesser lie<;t aber für die ohere IJeckeiiapertiir seliief, für die Beckeuliölile und die untere Beekeuapertur gerade. Der Kindskopf wird somit eine Drehung- auszuführen liahen, um seineu ]äu'>"steu Durchmesser in den längsten Durclimesser der Beekenlndde und ihres Ausganges zu bringen. Die Gesiclitslage des Kopfes der Fruelit gestaltet sich für die (lel)urt weit weniger g-ünstig. als die Hinterhauptslage, da wegen des zum Nacken zurückgebogeuen Hinterhauptes, nebst dem seuk- reehteu Dnrchmesser des Kopfes, zugleich der Hals in den Mntter- nuind tritt. Die Häufigkeit der Oesichtslage verliält sich zu jener der Hinterhauptslage nach Carus wie 1 : 92. — Die Steisslage des zu gebärenden Kindes bringt für die Geburt den Nachtlieil mit sieh, dass der am schwersten zu gebärende Theil der Frucht — der Kopf — zuletzt hervortritt. Die durch frühere Anstrengungen erschöptten Wehen reichen dann liänfig uiclit mehr aus, die Geburt zu volleuden, weshalb die Kuusthilfe einschreiteu muss. Ein hiesiger Vorstadtwundarzt hat bei der sehr ausgiebigen Kunsthilfe, welche er einer Tagh'dinerin in Geburtsnöthen augedeiheu Hess, den Rumpf des Kindes vom Kopfe losgerissen, und letzteren im Uterus zurück- gelassen. (Das Kind war im Mutterleibe sdiou längere Zeit vor diesem heroischen Act abgestorben, uud ohne Zweifel in einem (irade macerirt, dass ein solches Geschehuiss nH">glicli wurde.") Die Frau verliess, mit dem Kindskopf im Leibe, das Wochenbett, und ging ihren (reschäfteu nach, verbreitete aber einen solchen Gestank um sich, dass der besorgte (xatte auf ärztliche Untersuchung drang, bei Avelcher dann das halb verfaulte Corpu-'t Jeltcf! zum allgemeinen Erstaunen an's Tageslicht gebracht wurde. Geht bei Steisslage des Kindes die Nabelschnur zwischen den Füssen desselben durch, und wird sie nicht gelöst, so muss der auf ihr reitende Embryo, bei seinem Vorrücken durch den Geburtsweg, sie so zerren nnd comprimiren, dass Unterbrechung des Kreislaufes eintritt, welche um so gefährlichere Folgen für das Leben des Kindes haben wird, als der noch in der Gebärmutter verweilende Kopf nicht athmen kann, somit das Vonstattengehen des Kreis- laufes durch die Lungen nothwendig unterbleiben muss. Unter den übrigen abnormen Fruchtlageu zählt die Fusslage wohl zu den häutigeren. Sie wird minder gefährlich sein, wenn beide Füsse, als wenn nur einer zur Geburt vorliegt, in welchem §. 340. Literatur der Eingeweiilelehre. 8 i O Falle die Kunsthilfe notliwendig interveuiren muss, um den soge- nanuteu Partus agrippimis zu vollzielien, dessen Namen Pliuiiis erklärt (Nat. hist., VII., 8): „in pedes procedere nascentem contra naturam est, quo argumento eos appellavere Afirippas, ut aegre partos''. Krause (Kritiscli-etymolog-. Lex., pag. 39) leitet den Ausdruck von ayqla InTca, ayQLTtna, wilde Stute, ab, weil die griecliisclieu Nomaden hinlänglich Grelegenheit hatten, das Werfen der Stuten zu beob- achten, und dabei zwei Füsse vorauskommen sahen. §. 340. Literatur der Eingeweidelelire. I. Verdauungsorgane. Die Literatur der Yerdauungsorgane besteht, mit Ausnahme der ausführlichen anatomischen Handbücher, grösstentheils nur in Special- abhandlungen über die einzelnen Abschnitte dieses Systems. So weit es sich dabei über Structurverhältnisse handelt, sind nur die neueren Arbeiten brauchbar. Sie wurden in den betreffenden Paragraphen bereits angeführt. Kopf-, Hals- und Brusttheil der Yerdauungsorgane. E. H. Weher, lieber den Bau der Parotis des Menschen, in Mechel's Archiv, 1 827. — C. H. Dzondi, Die Functionen des weichen Gaumens. Halle, 1831. — F. H. Bidder, Neue Beobachtungen über die Bewegungen des weichen Gaumens. Dorpat, 1838. — Sebastian, Recherches auat.-p\ysiol., etc. sur les glandes labiales. Groning,, 1842. — C. Th. Tourtual, Neue Untei-suchungen über den Bau des meuschlichen Schlund- und Kehlkopfes. Leipzig, 1846. — R. Froriep, De lingua auatomica quaedam et semiotica. Bonon., 1828. — Mayer., Neue Untersuchungen, etc. Bonn, 1842. — Fleischmann, De novis sub lingua bursis mucosis. Norimb., 1841. — H. Sachs, OhBervationes de linguae structura penitiori. Yratisl., 1857. — G. Echard, Zur Anat. der Zungendrüsen und Tonsillen, im Arch. für path. Anat., 1859. — Luschka, Der Schlundkopf des Menschen. Tüb., 1868. — Rüdinger, Beiträge zur Morphologie des Gaumensegels, etc. Stuttg., 1879. — J. Itiickert,Dev Pharynx als Sprach- und Schlingapparat. München, 1882. Magen- und Darmkanal. L. Rischoff, Ueber den Bau der Magenschleimhaut, in Müller s Archiv, 1838, und Ph. Stöhr, im Arch. für mikrosk. Anat., 20. Bd. — A. Retzhis, Bemerkungen über das Antrum pylori, in Müller s Archiv, 1857. — H. Luschka, Das Antrum cardiacum des mensch- lichen Magens, im Archiv für path. Anat., 1857. — C Kupffer, Epi- thel und Drüsen des menschlichen Magens. München, 1883. — 376 ^- ^^^- I-iiteratur iler Eingpweidelelire. J. (\ P('i/t'r, Exorcit;iti(> :iii;it. de i;l;m(l. iiitostin. Sc-apliii.s., 1077. — J. C ßniiiiii'r, N(>v;iriiiii i;l;iii(lul.iniiii iiitc^tiiKiliiiiu descriptio, in (I»mi Miseell. acad. nat. ciirios. 1 )ec. II., ItlSd. — ./, X. TJ('lH'rk-ii/iii, Diss. auat.-jdivsidl. d(» tal>rica et actione villoniin intost. Lnn'd. Bat., 1745. — Ij. BuIiiii, I )(' ulaiidiihiriini iiit('->liiialiiiiii sti-ii('tiii-a [xMiitiuri. lierol., 18:^5. — ./. (Mi, in den Denkschriften der kais. Akad., II. Bd., 1850. — Derselbe, Ueber das Mnskelsysteni der Magen- und Darnisehleiiuliaut, in den Sitznni;s])erieliten der kais. Akad., 1851, — /?. Ileideiihahi, Beitrag vaw Anat. der Peyer'si-lieu Drüsen, in j\rüllers Archiv, 1859. — Dönitz, l'eber die JSchleinihant des Darmes. Berlin, 1864. — W. Ilis, Untersuchungen iUjor den Bau der Pever'sclien Drüsen, und der Darmschleimhaut. Leipzig;, 1861. — Schwalbe, Drüsen der Darmwandungen, im Archiv für mikrosk. Anat., 8. Bd. — //. Freif, Die Lym])]iwege der Peyer'schen Drüsen, in Virchotc's Archiv, 1863. — //. B(Uir, Die Falten des Mastdarms. Giessen, 1861. — JxihVmger, Beiträge zur Anatomie des Verdauungs- apparates. Stuttgart, 1879, mit 5 Tafeln. — Neue Aufschlüsse über die Beeinflussung, "welche der Contact der Baucheingeweide auf Form und Lage derselben ausübt, brachte in Fülle W. His, Ueber Präparate zum Ä/7».v viseernm, im Archiv für Anat. und Physiol.. 1878. Bauchfell und dessen Du[)licaturen. F. M. hannenheck-, Comment. de structura peritouei, etc. Gott., 1817. — C. J. Baur, Anatomische Abhandlung über das Bauchfell. Stuttg-art, 1838. — C. H. Meyer, Anatomische Beschreibung- des Bauchfells. Berlin, 1839. — J. Müller, Ueber den Ursprung der Netze und ihr Verhältniss zum Peritonealsack, in MeckeVs Archiv, 1830. — //. C llenneek-e, Comm. de fuuctiouibus omentorum, Gott., 1836. — H. Meyer, Ueber das Vorkommen eines Processus peritonei vuuinalis beim weüdidien Fötus, in Müllers Archiv, 1845. — /. Cle- lamJ, The mechanisme of the Gubernaculum testis. Ediub., 1856. — W. Treitz, Hernia retroperitouealis. Pragae, 1856. — C. Toldt, Ueber die Gekröse, in den Denkschriften der Wiener Akad., 41. Bd. Ueber den Situs viscertrm handeln alle chirurgischen Anatomien ausführlich, und eine sehr getreue bildlielie Darstellung desselben gab Ortalli, Abbildungen der Eingeweide der Schädel-, Brnst- und Bauchhöhle des menschlichen Körpers in situ nati(rali. Mainz, 1838, toi. Illeher geliört auch: Engel, Einige Bemerkung-en über Lageverhältnisse der Baucheingeweide. Wien. med. Wochenschrift, §. 340. Literatur der Eingeweidelehre. 877 Nr. 30 — 41, lind E. Hof mann. Die Lage der Eingeweide, etc. Leipzig, 1863. Letzteres Werk für Aerzte und Studirende gleich empfehlenswerth. Leber, Pankreas und Milz. F. Kiernan, Anatomy and Physiology of tlie Liver, in Philos. Transact., 1833, P. IT. — E. H. Weher, Ueber den Bau der Leber, in Müllers Archiv, 1843. — Ä. Krukeaherg, Untersuchungen über den feineren Bau der menschlichen Leber, in Müller s Archiv, 1843, — L. J. Backer, De structura subtiliori hepatis. Trajecti ad Eh., 1845. — A. Retzhis, Ueber den Bau der Leber, in Müllers Archiv, 1849. — R. Wagner, Handwörterbuch der PhysioL, Art. Leber, von Professor Theile. — M. Rosenherg , De recentioribus structurae hepatis indagationibus. Vratisl., 1853. — L. S. Beale, On some points in the Anat. of the Liver. London, 1855. — Mac Gillavry, Wiener Sitzungsberichte, 1864. — Brücke, ebenda, 1865. — G. Asp, Zur Anat. der Leber, in den Berichten der königl. Gesellschaft der Wissenschaften in Leipzig, 1873. — M. Deutsch, Anat. der Gallen- blase. Berlin, 1875. — J. G. Wirsung, Figura ductus cujusdam cum multiplicibus suis ramulis noviter in pancreate observati. Patav., 1643. — F. Tiedemann, Ueber die Verschiedenheiten des Aus- führungsganges der Bauchspeicheldrüse, in MeckeVs Archiv, lY. — Verneuil, Gaz. med., 1851, Y, 25. — Bernard, Mem. sur le paucreas. Paris, 1856. — Langerhans, Beiträge zur mikroskopischen Anatomie des Pankreas. Berlin, 1869. — Jf. Malplghi, De liene, in ejusdem exercitat. de viscerum structura. Bonou., 1664. — J. Müller, Ueber die Structur der eigenthümlichen Körperchen in der Milz einiger pflanzenfressender Säugethiere, im Archiv für Anatomie und Physio- logie, 1834. — C. G. Giesker, Anat.-physiol. Untersuchungen über die Milz des Menschen. Zürich, 1835. — Grai/, On the Structure and Use of the Spleen. London, 1854. — Billroth, im XX. und XXIII. Bde. des Archivs für patholog. Anat., und Schiuelgger- Seidel, ebenda. — Letzterer, Disquisitiones de liene. Halis, 1861. — Basler, Ueber Milzgefässe. Würzburg, 1863. — W. Müller, Ueber den feine- ren Bau der Milz. Leipzig, 1865. IL Respirationsorgane. Kehlkopf. J. D. Santorini, De larynge, in ejus obs. anat. Yenet., 1724. — J. B. Morgagni, Adversaria anat. Lugd. Bat., 1723, adv. I. — S. Th. Sömmerring, Abbildungen des menschlichen Geschmack- und Sprachorgans. Frankfurt a. M., 1806. — 0. Th. Tourtual, Neue Untersuchungen, etc. Leipzig, 1846. — H. Rheiner, Beiträge zur 878 S- 340, Literatur der Eiii(,'eweidelelire. Histolofifie des Kt'lilko|tt('.s. Wür/hiii-^, 1852. — C. L. Merkel, Anat. und Pliysiol. des niensclil. vStinim- und Spracliorgaus. Leipzig, 1857, und Der Kohlkopf, mit 37 F\na,Mede- deelitii;eu der konigl. Akad., XI., 3. • - Ditme, Beitrag zur Anat. des Kehlkopfes. .lena, 1875. — Ilaiiittwerk üIxm- den Kehlkopf von Luschka, TüIk. 1871, mit 1<> 'rafclu. Liinj;'«'!! und Pleura. //. r. LHii>), lieber die Schilddrüse. Tüb., 1840. — S. ('. Lucae, Anat. [Intersuchung(»n der Thymus im Menschen und in Thicren. Frankfurt a. M., 1811, 1812. — A. Cooper, Anatomy of the Thymus Gland. London, 1832. — F. C. Ilaugsteil, Thymi in hom, et per seriem animalium descriptio anat. -physiol. Hafn., 1822. — J. Simon, Physiological Hssay on the Thyjuus (iland. London, 1845. — A. Ecker, in der Zeitschrift für rat. Med., VI. Bd., und TTi. Frerir-hs, ("eber tJjiHert- und Colloidgeschwülste. Gott., 1847. - Ferner der Artikel: Blutgefässdrüseu, in B. Wagners Handwörter- buch. — C. Bokitansky, Zur Anatomie des Kropfes, Denkschriften der kais. Akad., 1. Bd. — F. Günsburg, Notiz über die geschich- teten Körper der Thymus. Zeitschrift für klin. Med., 1857. — Hiss, Zeitschrift für wissenschaftl. Zoologie, 10. Bd. ///. Harnwerkzeuge. Nieren. Aeltere Schriften, mir von historischem Werth: L. Bellini, Exercitationes anat. de structura et nsn renum. Florent., 1662. — M. Malpighl, De renibus, in ejusdem Exercitat. de viscerum structura. Bonon., 1666. — A. Schumlansky, Diss. de §. 340. Literatur der Eingeweidelehre. 879 structura remim. Argent., 1782. — Ch. Cayla, Obserrations d'anat. microscopique snr le rein des mammiferes. Paris, 1839. (Nimmt Yerbindnngen der Harnkanälchen mit den Capillargefässen an.) Neuere Arbeiten: Bowman, in Lond. Edinb. and Dublin Pliilos. Magaz., 1842. — /. Gerlach, Beiträge znr Structnrlehre der Niere, in Müller s Archiv, 1845. (Lässt mehrere Malpighi'sche Kapseln anf Einem Harn- kanälchen aufsitzen.) — F. Bklder, Ueber die Malpighi'schen Körper der Niere, ebendas., pag". 508, seqq., und dessen Vergleichend ana- tomische Untersuchungen über die mäunlichen Gescldechts- und Harnwerkzenge der nackten Amphibien. Dorpat, 1846. (Lässt die Malpighi'schen Korperclien niclit in der Höhle der Kapsel, son- dern ausserhalb derselben liegen, nnd die Kapsel mehr weniger ein- stülpen.) — C Ludwig, Nieren, in Wagner s Handwörterbuch. — V. Patruhan, Beiträge zur Anatomie der menschlichen Niere, in der Prager Vierteljahrsschrift, Bd. XY. (8ali in der Schlangenniere zwei Harnkanälchen ans Einer Kapsel entspringen.) — v. Carus, Ueber die Malpighi'schen Körper der Niere, im 2. Bde. der Zeitschrift für Wissenschaft!. Zoologie. (Der Knäuel liegt entweder in einer erweiterten Stelle eines Harnkanälcliens [Triton], oder in dem blinden, angescliwollenen Ende desselben [die übrigen Thlere], und wird von einer einfachen Schichte Pflasterepithel überzogen.) — Hessling, Histologische Beiträge zur Lehre von der Harnsecretion. Jena, 1851. — J. Markusen, Ueber das Yerhältniss der Malpighi'- schen Körperchen zu den Harnkanälchen, in den Yerhandlungen der Petersburger Akademie, 1851. — W. Busch, Beitrag zur Histologie der Nieren, in Müllers Archiv, 1855. — R. Virchow, Ueber die Circulationsverbältnisse in den Nieren, im Archiv für pathologische Anatomie, 1857. — M. Sch^nidt, De renura structura questiones. Gott., 1860. — Wenn nach so zahlreichen Yorarbeiten Henle (Zur Anatomie der Niere, 1862) noch ein ganz neues Element im Baue der Niere — die intrapyramidalen Schlingen der Harnkanälchen — auffinden konnte, wirft dieses ein eigenthümliches Streiflicht auf die relative Genauigkeit der vorhergegangenen Untersuchungen. Folgende Schriften befassen sich ausschliesslich mit der überraschenden Ent- deckung Henle's: A. Colherg , im Centralblatt der medicinischen Wissenschaften, 1863, S. 48 und 49. — M. Rott, Drüsensubstanz der Niere. Bern, 1864. — E. Bidder, Beiträge zur Lehre von den Functionen der Nieren. Mitau, 1863. — Schiveigger- Seidel, Die Nieren des Menschen und der Säugethiere. Halle, 1865. — Th. Stein, Harn- und Blutwege der Niere. Würzb., 1865. — Ueber Injection der Wirbelthierniere und deren Resultate handelt mein Aufsatz in den Sitzungsberichten der kais. Akad., 1863. 880 §• 340. Literatur der Eingeweidelehre. Noln'ii liieren. //. B. HoyiiKdiii, DiN>. de i;l;iii(liiliN siiprareu. (lott., 1839. — Si'hn'aus. I>ert>l., 1842. — ^1. Erhcr, Der feinere B;ui der Nebennieren. I>r;iiinsrIi\veiL;-, 1S|(). (Auf ;;riindliclie, ver^leiclicnd- anatoiiiifsche Uiiter.siieliungen ba.sirtes Hauptwerk.) - U. Werner, De capsulis snprarenalihus. Dorpat, 1857. — ILnle, Leber das Gewebe der Nel>enniereii, Zeitschrift für rat. Med., 3. R., 24. Bd. — J. Arnold, iu Virchow's Arcliiv, 35. ln\. Harnblase und Ilarnrc'ilire. Ch. Bell, Treatise on tlie Uretlira, Vesica urinaria, Prostata and Rectum. London, 1820. — /. Wilson, Lectures on tlie »Structure aud tlie lMiysiob),<;y of tlie male Uriuary aml (Jenital Orleans. London, 1821. — J. Houston, Views of the Pelvis, etc. Dublin, 1820, — ix. J. Guthrie, On the Anatomy and Diseases of the Neck of the Bladder, and the Urethra, London, 1834. — C Sappet/, Sur la con- formation et la structure de Tiiretre de riiomme. Paris, 1854. Die chirurg'iscli-aiiatoml.schen Schriften von Leroy d'Ktoiles, Aniussat, Cii'iale, Cuzenare, widmen diesem in operativer Beziehuns;- höchst wichtigen Capitel besondere Aufmerksamkeit. Ebenso die für die topographische Anatomie aller Beckeuorgane selir lehrreiche Schrift von O. Kohlrauscli: Zur Anatomie und Physiologie der Becken- organe. Leipzig, 1854. IV. Mannlklie Geschlechtsoryane. Hoden. R. de Grau/, De virorum organis generationi inservientibus. Lugd. Bat., 16t)8. — A. Maller, Observationes de vasis seniinalibus. Gott., 1745. — A. Cooper, Observations «»n the Structure and Di- seases of the Testis. London, 1830. Deutsch: Weimar, 1832. — E. A. Lauth, Memoire sur le testicule humain, in Menioires de la societe de l'histoire naturelle de Strasbourg, t. I., livr. 2. — C Krause, in yfüUers Archiv, 1S37. — //. Luschka, Die Appendiculargebilde des Hoden, im Archiv für pathologische Anatomie, B. 0, lieft 3. — L. Fk'k, Ueber das Vas deferens, in Müllers Archiv, 1856. — Ueber die Lymphwege des Hodens handelt Ludwir/ und Tomsa, im 4t3, Bde. der Sitzungsberichte der kais. Akad. — Neumann, lieber Spermatozoiden, im Archiv für mikroskopische Anatomie, 11. Bd. Samenbläschen, Prostata und Cowper'sche Drüsen. /. Hunter, Observations on the Glands between the Rectum and Bladder, etc., in dessen Observations on Certaiu Parts of the §. 340. Literatur der Eingeweidelelire. 881 Animal Oeconomy. London, 1786. — E. Home, On the DiscoA^ery of a Middle Lobe of the Prostata. Pliilos. TransactionI, 1806. — W. Coirper, Glandularum qnarundam nuper detectarnm descriptio, etc. London, 1702, — A. Haase, De glandnlis Cowperi mncosis. Lips., 1803. — E. H. Weher, Ueber das Rudiment eines Uterus bei männlichen 8äugethieren, Ueber den Bau der Prostata, etc., 1846. — R. Leuckart, Das Weber'sche Organ und seine Metamorphosen, in der Illustrirten medicinischen Zeitung, 1852. — Fr. Will, Ueber die »Secretion des thierischen Samens. Erlangen, 1849. — Lanc/erhans, Accessorische Drüsen der Geschlechtsorgane, im Archiv für patho- logische Anatomie, 61. Bd. — N. Rüdinger, Zur Anat. der Prostata, des Uteras masculinus und der Ductus ejaculatorii. München, 1883. Penis. F. Tiedemann, Ueber den schwammigen Körper der Ruthe, etc., in MecJcel's Archiv, 2. Bd. — A. Moreschi, Comment. de urethrae cor- poris glandisque structura. MedioL, 1817. — J. C. Mayer, Ueber die Structur des Penis, in Froriep's Notizen, 1834, N. 883. — J3. Panizza, OsserA'azioni anthropo-zootomico-flsiolog. Pavia, 1836. — J. Müller, in dessen Archiv, 1835. — Krause, ebenda, 1837. Valentin, 1838. Erdl, 1841. (Ufeber die Vasa helicina.) — G. L. Kohelt, Ueber die männ- lichen und weiblichen Wollustorgane. Freiburg, 1844. — Kölliker, Ueber das Verhalten der cavernösen Körper, in den Würzburger Verhandlungen, 1851, V. Weibliche Geschlechtsorgane. Eierstöcke. R. de Graaf, De mulierum organis, Lugd. Bat., 1672. — F. Autenrieth, Ueber die eigentliche Lage der inneren weiblichen Geschlechtstheile, in Reil's Archiv, VII. Bd. — C. Negrier, Recher- ches anatomiques et physiologiques sur les ovaires. Paris, 1840. — Cr. C Kohelt, Der Nebeneierstock des Weibes, etc. Heidelberg, 1847. — W. Steinlein, Ueber die Entwicklung der Graaf'schen Follikel, in den Mittheilungen der Züricher naturforschenden Gesellschaft, 1847. — Ueber Structur der Eierstöcke handelt Pflüger s Mono- graphie. Leipzig, 1863, und Waldeyer, Eierstock und Ei. Leipzig, 1870. Die gesammte, sehr reiche, neuere Literatur, findet sich im 25. Capitel der Gewebslehre von Stricker. — Kapf, Beziehung des Ovarium zum Peritoneum. Berlin, 1872. Gebärmutter, C Cr. Jörg, Ueber das Gebärorgan des Menschen. Leipzig, 1808. — G. Kasper, De structura fibrosa uteri non gravidi. VratisL, 1840. — Purkinje, in Froriep's Notizen, N. 459. — Bischof, Ueber die HyrtI, Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl. oö gg2 8. 340. Literatur der Eingeweidelehre. Glandulae utricidares des Uterus und ihren Antheil an der Bildung der Decidua, in Müllers Archiv, 1846. — Ch. Rohin, Memoire pour servir ä Fiiistoire anatomique de la membrane muqueuse utei-ine, de la cadu(|ue, et des oeufs de Naboth, in den Archives generales, 1848. — A. KoUiker, Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, I. (glatte Muskelfasern). — V. Schivartz, De decursu musculoruni uteri et vaginae. Dorpat, 1850. — J7. Kilian, Die Nerven des Uterus, in Henle's und Pfeufers Zeitschrift, X. Bd. — Ilagemann, T"''eber die Uterushöhle, im Archiv für Gynäkologie, Y., 2. — Ed. Martin, Lage und Gestalt der Gebärmutter, in der Zeitschrift für Geburtshilfe, 1. Bd. — Blacher, Bau der menschlichen Eihüllen, im Archiv für Gynäkologie, 10. Bd. — Gr. Leopold, Ueber die Uterusschleimhaut, im Archiv für Gynäkologie, 11. und 12. Bd. Aeussere Scham und Brüste. A. Vater, De hymene. Gott., 1742. — B. Oslander, Abhandlung über die Scheidenklappe, in dessen Denkwürdigkeiten für Geburts- hilfe, 2. Bd. — C Devilliers, Nouvelles recherches sur la membrane hyinen et les caroncules hyjiienales. Paris, 1840. — Mandt, Zur Anatomie der weiblichen Scheide, in Henle's und Pfeuffer's Zeit- schrift, VII. Bd. — G. L. Kohelt, Die männlichen und weiblichen Wollustorgane. Freiburg, 1844. — Th. W. Bischoff, Aeussere weib- liche Geschlechtsorgane. München, 1879. — J. G. Klees, Ueber die weiblichen Brüste. Fi'ankfurt a. M., 1795. — W. Coivper, On the Anatomy of the Breast. London, 1839. — Fetzer, Dissertation über die weiblichen Brüste. Würzburg, 1840. — Ueber die männliche Brustdrüse handelt Gruber, in den Memoires de l'Academie de St. Peter.sbourg, YII. serie, t. X., und Li(schka, in Müllers Archiv, 1852. — Langer untersuchte in den Denkschriften der kais. Akad., lll. Bd., die histologischen Schicksale der Brustdrüse, in den ver- schiedenen Lebensepochen. Ebenso KölUker, in den W^ürzburger Verhandlungen, N. F. Bd. XIV. — TU. Midderdorp, Die Injection der Mamma.- Internat, anat. Monatschrift. Leipzig, 1887. Ueber die Metamorphose des Eies und die Veränderungen der weiblichen Geschlechtstheile in der Schwangerschaft handeln die In der allgemeinen Literatur (§. IG) angeführten Schriften über Ent- wicklungsgeschichte. Ueber die Uebereinstimmungen im Baue der Ilarn- und Geschlechtswerkzeuge der W'irbelthiere: //. Meckel, Zur Morjdiologie der Harn- und Geschlechtswerkzeuge der Wirbelthiere. Halle, 1848, und R. LeucTcart, in dem Artikel „Zeugung" im Hand- wörterbuch der Phvsioloü'ie. SECHSTES BUCH. Gehirn- und Nervenlehre. 56* A. Centraler Theil des animalen Nerven- systems. Gehirn und Rückenmark. §. 341. Hüllen des Grebirns und Rückenmarks. Dura mater. Uas Gehirn und Riickenmart besitzen, innerhalb der sie um- sehliessenden knöchernen Hirnschale, noch drei häutig-e Hüllen, welche als Velamenta cerehri und meduUae spinalis zusammengefasst werden. Sie heissen Dura mater, Araclmoidea und Pia mater. ') Die harte Hirnhaut (Dura mater, Meninx fihrosa), welche zu den stärksten fibrösen Membranen zählt, stellt nicht blos die äiTsserste Hülle des Grehirns und Rückenmarks dar, sondern dringt auch in alle OefFnungen ein, durch welche die Nerven des Grehirns und Rückenmarks austreten, mit deren Neurilemm sie verschmilzt. Man unterscheidet an ihr zwei Schichten, welche zwar durch das Messer nicht isolirt darstellbar sind, aber an gewissen Stellen von selbst auseinanderweichen, wodurch es zur Bildung von Hohlräumen kommt, welche, da sie das Yenenblut des Grehirns sammeln, bevor ') Zum Verständuiss der sonderbaren Benennung mater, welclie die Hirnhäute führen, diene folgende geschichthche Bemerkung. Das Wort fifjviyi, welches überhaupt Haut bedeutet, wurde zuerst von Aristoteles auf die Gehirnhäute angewendet, welchen es ausschliesslich verblieb. Galen, welcher nur die harte und die weiche Hirn- haut kannte, nannte erstere axli^Qccv Hccl nax^MV, d. i. aridam et crassam, letztere XtTtTTiv, d. i. tenuem, Galen's griechische Schriften wurden zuerst durch jüdische Aerzte in das Syrisch-Aramäische übersetzt, und später aus dieser Sprache iu's Arabische. Durch diese Uebersetzungen wurde der griechische Urtext nicht wenig entstellt. Die Benedictinermönche auf dem Monte Cassino und in Salerno, welche die Heilkunde be- trieben, und von welchen Einige durch den Besuch der von den ersten Chalifen gegrün- deten gelehrten und medicinischeu Schulen zu Bagdad und Bassora, mit dem Arabischen vertraut wurden, übersetzten im eilften Jahrhundert den arabischen Galen ins Lateinische. Im Arabischen wird das Umhüllende, Umschliessende, und Erzeugende ummon (Mutter) genannt. Im Deutschen findet Mutter in demselben Sinne öfters Anwendung, wie wir in Perlmiitter, Schraubenmutter, Essigmutter, Muttergestein, u. a. m., vor uns sehen. Kein Wunder also, dass jene Mönche den arabischen Ausdruck umnut-l-dimagh des Haly Abbas, welcher eigentlich Umhüllung des Gehirns bedeutet, durch mater cerehri wiedergaben. Wenn nun auch eine dura mater hingehen mag, so kann die Veranlassung, zart und weich durch pius auszudrücken, nur im Gehirne der frommen Mönche gesucht werden, welche in ihrem religiösen Eifer sich auch mehrerer anderer Wortentstellungen schuldig machten, z. B. die Ärteriae apoplecticae (Carotiden) in Ärteriae aposiolicae umwandelten. gS6 § ^*^- l'lMli-n des Gi-liiins und RnckenmarVü Pia-a mater. es iu die Abzug-skauäle der Seliädelli(tIdo oinströmt, lilutleiter (Sinus ilurae matria) geuaimt werdeu. Die äussere hellichte ist au dem (lehirnthoil der Dura mater düuner, lockerer, mid viel gefässreiclier, als die innere, derhere und festere. Sie kann als das PerlDuleian iii- tenuoii der Scliädelknoelicn aug-eselien werden, *la sie es vorzugs- weise ist, welcher die Diploe der Scliädelknuclicn ihre Iilnt/nfuhr verdankt. - Die innere, glatte (,H)errtäche der harten Hirnhaut besitzt eine einfache Lage von Pflasterepitliel. Der (xehirn- uud Kückenniarkstheil der Ihtni midcr ver- (litMien liesondere Schildei-ung. J) Der (Tehirntheil der harten Hirnhaut bildet einen ge- schlossenen S;K'k, welcher sich durch das grosse ninterhau})tloeh in den Kückenniarkstheil forts(»tzt. Kr hängt in (hn* Richtung der Sutureu, und der au der inneren OberHädie der Hirnschale vor- spriugeuden Leisten und Kanten (Crishi frontalis, oberer ^^ inkel der Felsenj)yraniide, hinterer Rand der schwertfcirniigeu Keilbeiu- flügel, kreuzf(')rniige Erhabenheiten des Hinterhauptbeins, etc.), so- wie au deu Räuderu aller Löcher der Hirnschale, zieuilieh fest mit deu Kuocheu zusarameu. Er ist bei Weitem reicher au Blutgefässen, als der Rückenniarkstheil der harten Hiruhaut. Die Blutgefässe halten sich au die äussere Schichte der Dura mater cerel>ri, in jeuer Richtung-, welche durch die Siilri arterioso-venosi au der inneren Schädelkuocheutafel vorgezeichnet wird. Der Gehirntheil der harten Hiruhaut erzeugt einen senk- rechten uud einen queren, in die Schädelhöhle vorspringenden Fortsatz, deren Richtungen sicli somit kreuzen, und dt>shalb zu- sammengeuommen Processus cruciatus Jiirae tnatris geuaunt Averdeu. Auf der Protuherantia occipitalis interna stossen die Schenkel dieses Kreuzes zusammen. Jeder derselben führt einen besonderen Namen. o) Der Processus falciformis major, Sichel des grossen (le- hirns, schaltet sich senkrecht zwischen die Halbkugeln des grossen Gehirns ein. Sein oberer, convexer, befestigter Rand entspricht der Mittellinie des Schädeldaches, von der Protu- herantia occijntalis interna angefangen, bis zur (\'ista (jalU des Siebbeius. Seiu unterer concaver uud scharfer Rand ist frei, und gegeu die obere Fläche des, beide Halbkugelu des Gehirns verbindenden Corpus callosurn gerichtet, ohne jedoch diese Fläche zu berühren. Da man sich die Hirnsicliel (hircli Faltung (Einstülpung) der inneren J,amelle der harten Hirnhaut entstanden denkt, so muss am oberen Befestigungs- rande derselben eine Höhle — siehellürmiger Blntleiter, Sinus falci- formis major — existiren. Eine im unteren Rande der Sichel verlaufende, nicht coustante Vene, wird vuu vielen Anatomen als Sinus falciformis minor be- zeichnet. — Ich finde die Hirnsichel sehr häufig, selbst an jugendlichen Indi- S. 3il. Hüllen cleR Gelilvns und RftrketiTnarks. T)wa water. 887 viduen, in der Nähe ihres unteren Randes siehartig durchhrochen. — Die Krümmung, und die von hinten nach vorn ahnehmende Breite dieses Fortsatzes der harten Hirnhaut, ist der Grund seiner Benennung als Hirnsichel. b) Der bei Weitem weniger entwickelte Processus faleiformis minor, Sichel des kleinen Geliirns, schaltet sich von hinten her zwischen die Halbkng-eln des kleinen Gehirns ein, nnd erstreckt sich, von der Protuherantia occipitaUs interna an, bis zum hinteren Umfange des Foramen occipitale magnum herab, avo er in der Kegel gabelförmig- gespalten endet. Auch er enthält einen kleinen, aber nicht immer vorfiudlichen Siniis in sich. c) Das Tentorium cerebelli, Zelt des kleinen Gehirns, bildet den Querschenkel des Processus cruciatus. Dasselbe schiebt sich zwischen die Hinterlappen des grossen, und die Halb- kngeln des kleinen Gehirns ein, um letztere ebenso gegen die Last der ersteren zii schützen, als die grosse Hirnsichel den nachtheiligen Druck beseitigt, welchen, bei Seitenlage des Schädels, eine Hemisphäre des grossen Gehirns auf die andere ausüben müsste. — Um dem Zelte mehr Tragkraft zu geben, befestigt sich sein vorderer Rand an die oberen Kanten beider Pyramiden der Schläfeknochen, und an die Processus clhioidei der Sattellehne. Hinter der Sattellehne erscheint die Mitte des vorderen Zeltrandes, wie ein gothisehes Thor, mit nach hinten und oben gerichteter Spitze ausgeschnitten, wodurch eine OefF- nung entsteht (Foramen Pacchioni), welche von dem Yierhügel und der Varolsbrücke des grossen Gehirns eingenommen wird. — Die Mitte der oberen Fläche des Gezeltes wird, durch die mit ihr zusammenhängende Sichel des grossen Gehirns, so in die Höhe gezogen und gespannt (tendo, spannen, daher ten- torium), dass zwei seitliche Abdachungen entstehen, wie bei einem Zelt (le dos d\me, Eselsrücken, bei alten französischen Anatomen). Durch diese Verbindung zwischen Zelt und Sichel erhalten beide den erforderliehen Grad von Spannung, welcher augenblicklich in beiden Gebilden nachlässt, wenn eines der- selben durchgeschnitten wird. Diesen Fortsätzen der harten Hirnhaut kann man noch einen vierten hinzufügen, welcher üher die Satteigruhe des Keilbeinkörpers horizontal weg- streicht, und in seiner Mitte durchhrochen ist, um den Stiel der in der Sattei- gruhe liegenden Hypophysis cerebri durchgehen zu lassen. Es mag dieser Fort- satz den Namen Operculum sellae turcicae, Satteldecke, führen (von operio, hedecken). Die Sattelgrube mit dem darauf liegenden, in der Mitte perforirten Deckel, lässt uns an einen Nachtstuhl denken, woraus sich der bei älteren, massiven Anatomen zu findende Ausdruck SeUa pertusa und Sella familiaris erklärt, welcher auch bei den Classikern vorkommt. ggg g. 341. Ilnl1.-M .U-': Ofliirn= nn.l I?ftikenmaik=. Dut-a mater. Das faserige Gewdie. inifti'lst desstii die liaite Hirnhaut an den Grund lies Türkensattels adhiirirt. dringt an den Siiiädeln von Neugflmrenen und von Kindern in den ersti-n LeliensniOJiaten, eine Strecke weit in den Keilbeinkörper als zaiilVnfurniigi'r Fortsatz ein, weUlier zuweilen liidil git'nnden wird (Canalis cramo-pharyui^fu.^J. Dieser Fortsatz durchsetzte in hundert Füllen zehnmal die ganze Höhe des Keilbeinkörpers, und hing mit der Beiuhaut an der unteren, dem Rachen zugekehrten Fläche des Keilheinkörpers zusammen. Ueber die Ent- stehung und Bedeutung dieses Fortsalzes, sowie über seine Heziehungen zu gewissen angeborenen Hirnbrüchen, sieh' 7'A. Lanzert. in der Petersburger med. Zeitschrift. 14. Bd.. 1868. V'erknöcherungen kommen an der harten Hirnhaut, besonders in der Nähe der Sichel, oder auf dieser selbst, nicht selten vor. Sie gehören eigentlich der inneren Oberfläche der harten Hirnluiut an, und Illingen mit ihr nur lose zusammen. Vor dem dreissigsten liebensjahre treten sie nicht auf. Ihre Grösse variirt von dem Umfange einer Linse, bis zu jenem eines Kreuzers, und dar- über. In ihrer Mitte sind sie am dicksten, und schärfen sich gegen den Rand zu. Sie besitzen wahre Knochentextur. Ihr Vorkninmen bringt keinen Nacbtlieil. B) Der Küekeumarkstlieil der luirieii lliruliaut. Da diircli alle Löcher tler Hiru.scliale scheiden form ige Fortsätze der harten Hirnhaut austreten, so niuss durch das grösste Seliädelloch (Foramen occipUah' maoiuiin) die ansehnlichste A erläiigerung dieser Hirnhaut iu den Wückgratskanal gelangen, als Hülle für das Hückenniark. ludeni aber der Kückgratskaual liereits mit einem eigeneu Periost versehen ist, so verliert der Kückenmarkstheil der harten Hirnhaut seine äussere gefässreiche Lamelle, welche iu der Schädelliöhle die Dienste eines inneren Periost versah. Er erstreckt sich iu Form eines langgestreckteu Sackes durch den ganzen Kückgratskanal, t'iilll ihu aber nicht genau aus, indem zwischen ihm und der Wand des Wirbelkanals ein, durch starke \ euengeflechte (Plexus venosi spiiiüJt's) eingenommenei" Raum übrig bleibt. Er endigt als Bliudsack am Hiatus sacro-coceyyeus. An jenen Stellen, wo der iiückgratskanal weit ist, wird auch der Sack der Dura mater sphialis weit ge- funden, wie am Halse und an der Lende. Im Bruststück der Co- luiiina vertehralis dagegen liegt er knapper au die Meilulla spinalis au. Seine innere Oberfläche besitzt ein einfaches Pflasterepithel, welches sicli von der Ara(dinoidea anf sie fortsetzt. \ On dieser inneren Fläche gehen zwanzig bis dreiundzwauzig paarige, zackenähnliche P^ortsätze nach innen zur Seitenfläche der Medulla sphudis. Diese Zacken sind sämmtlich dreieckig, mit Ausnahme der untersten, fadenförmigen. Sie ])efindeu sich zwischen den beiden Wurzeln der Rückeumarksnerven. Ihre Spitzen sind nach aussen, und ihre mit einer leisteuartigeu Erhebung der Pia mater des Kückenmarks ver- schmolzene Ba^is nach innen gerichtet. Sie sind als eben so viele Befestigungs- oder Suspensionsmittel des Rückenmarks zu nehmen, und l)ildeu, als (Janzes betrachtet, das gezahnte Band, Ligamentum dentii'ulatuiit, des Rückenmarks. §. 342. Aranhnoiclea. 889 Die drei Aeste des Nervus trigeminus, und der Vagus, versorgen die harte Hirnhaut mit animalen Nervenfasern. Auch vom Syrapathicus erhält sie Zweige, worüber Luschka (Die| Nerven des menschlichen Wirbelkanals. Tübingen, 1850, desselben: Nerven der harten Hirnhaut, Tübingen, 1850), und Eüdinger (Ueber die Verbreitung des Sympathicus. München, 1863) aus- führlich handeln. — In neuerer Zeit wurden auch im Gewebe der harten Hirnhaut kleine sympathisclie Ganglien gefunden. §. 342. Araclinoidea. Die gefässlose Spinn webenhaut, Araclinoidea s. Meninx serosa (aqdxvyj, Spinne und Spinneng-ewebe), ist keine durclilöelierte Membran, wie ihr übel g-ewählter Name vermuthen liesse. Sie führt diesen Namen vielmehr nur ihrer Zartheit wegen. Seit Bichat wurde sie allg-emein als ein seröser Doppelsack aufgetasst, dessen äusserer Ballen fest mit der inneren Oberfläche der Dura viater, dessen innerer mit der äusseren Oberfläche der Pia mater des Ge- hirns und Rückenmarks lose zusammenhängen soll. Man unterschied deshalb eine Araclinoidea menincfea, und eine Araclinoidea cerebro- spinalis. Der Zusammenhang' beider sollte dadurch zu Stande kommen, dass jeder vom Grehirn und Rückenmark abgehende Nerv eine Scheide vom inneren Ballen erhält, welche, bevor der Nerv durch die harte Hirnhaut austritt, in den äusseren Ballen übergeht. Kölliker hat jedoch gezeigt, dass die Araclinoidea nur aus einem einfachen Ballen — der Araclinoidea cerebro-spinaUs der Autoren — besteht, und dass die ano-enommene Araclinoidea meninciea weiter nichts, als das Pflasterepithel der harten Hirnhaut ist. Es lässt sich, auch durch das Sealpell nachweisen, dass jene scheideuartigen Fort- sätze der Araclinoidea, welche die Wurzeln der Grehirn- und Rüekenmarksnerven umhüllen, an den betrefl"enden Durchtritts- löchern dieser Nerven durch den Sack der Dura mater blind endigen. — Indem die Arachnoidea alle Furchen und Vertiefungen des Grehirns überbrückt, müssen, nach Verschiedenheit der Locali- täten, kleinere oder grössere, von Bindegewebszügen durchsetzte Hohlräume zAvischen ihr und der Pia mater enthalten sein, welche alle unter einander communiciren, und in ihrer Gresammtheit als (Javum subaracknoideale bezeichnet werden. Die grössten dieser Räume finden sich zwischen der Medulla ohlonciata und dem Klein- hirn, und an der (lehirnbasis in der Gregend des Türkensattels. Durch das grosse Hinterhauptloch findet ein freier Verkehr der- selben mit dem Arachnoidealsack des Rückenmarkes statt. Die veränderliche 'Menge seröser Flüssigkeit, welche in diesen Räumen und im jlrachuoidealsack des Rückenmarks enthalten ist, heisst Liquor cerebrospinalis. — Mit der Auskleidung der Gehirnkammern hat die Araclinoidea keinen nachweisbaren Zusammenhano-. — Die Qpf) 8. M2. Arsclnidulea. äiissciv Oherfläclie der AiMclmoidci ist. sowie die ilir 7-ng:ekel\rte innere Fläclu» der Dura iiiafcr, mit ser»)ser Fenolitiii;keit hetliaiit. Kninkh.irtc Vennelirnn«;' dieser Serositiit bedingt di^n /ft/tfnxrphitJiis nit'ii/iiiitu(.'< N. i-.i'fi'niiis, zum Unterseliiede vom Ui/ilrorci'hiihi.-^ vt'iilr/rit- lo)'ll)ll S. lilh'l'IIIIS. Dnrcli das i^rosse I liiilerliani»tlo('li lieranstreteiid. wird die -(4rac*7<- mnih'ü C('i\'hraHf< /air Ardchnoiih'a spiiKi/is. Diese uinscldiesst das Wnckenmark als verliältnissmässig weite Umliülluug. Da sie weder au (lie Ditra, uoeli an die f*ia uiatei' sicli anschliesst, soudern frei zwistdieu ihnen lieii,t. muss sie aueli ZAvei freie Flächen haben, vou welc'lieu aber uur die äussere Pflasterepithel führt. Sie erzeugt für jedeu Kückenmarksnerv eine anfangs weite, dauu sieli verschmäcli- tig-ende, und im betreflTeuden Foramen inten'ertehrale, als BHndsack eudinende Scheide. — l\ückeumark und Rüekenmarks-Nervenwurzeln werden vou dem serösen Inhalt der Arachnoidea spinalis (L!el liegt, setzt sieh die /-*/(/ lualfr als sogenannter Eud faden, FUuiix ienit'nuile, his zum unteren Knde des im Kreuzbeiukanal l)efind- licheu Bliudsackes der Dura inutfi' fort. Das Filuui termimde erhält von der Ann'linoiih'n spinalis einen Ueherzug, und enthält Blut- gefässe und das letzte Paar der Rückeumarksuerveu (Nervi eoi'cyyei). Ha 11 er nannte diesen Faden: Nervus impar. Der Centralkanal des Kückeumarks setzt sich in das Vduni tenninale fort. Die Pia mati'v gelangt durch i\e\\ Querschlitz des grossen Ge- hirns in die mittlere Gehirnkamnier, und liihlet daselhst die Tela i-honndea ftuperior, von welcher seitliche \ erlängernugen, als Ple.vus clioroidei laterales, in die seitlichen Gehirnkammern abgehen. Ebenso schiebt sie sich zwischen dem IJuterwurm des Kleinhirns und dem verlängerten Mark als Tela choruiilea inferior ein, und erzeugt da- durch die hintere, l>los häutige AVand der vierten (jrehirukammer. Der sonstige Ueberzug iler Wände der Gehirnkammern (Ependi/ma, besser Kiuhinia) ist aber kein Erzeugniss der Pia maler, sondern nur eine «einfache Lage von Epithelialzellen, welche an gewissen Bezirken der Wände Himmern. Einige sprechen noch von einem feinsten structurlosen Häutcheu unter dem Epithel. Lusclika liess das Vorkoiiuucn von Fliinmerepithel in den Hirnhühlen nur für Embryonen und für die ersten Leliensjahre des Kindes gelten. (Jerlaih liat jedoeli naehgewieseu. dass wenigstens im Aquaeductus Sylvli das flim- mernde Epithel perennirt (Mikroskopische Studien. Erlangen, 1858, pag. 27). Er beschrieb auch fadenförmige Fortsätze der einzelnen Flimmerzellen, welche in die Wand des Aquaeductus Siilvii eindringen, und mit den diese Wand zunächst bildenden Zellen der grauen Substanz eine Verbindung eingehen sollen. — Purkinje hat organische. Bochdalek aniniale Nervenfasern in df^r Fla mater beschrieben. In einigen Gehirnen enthalten die Adergeflechte (besonders die seitlichen) kleine, kaum durch das Gesicht, aber besser durch das Gefühl wie Sandkörner zu unterscht-idende, krystallinische. runde oder höckerige Concremente von phusphorsaurem und kuhlensaurt^ni Kalk, welche mit dem später zu erwähnen- den Hirnsand an der Zirbeldrüse denselben Ursprung und gleiche Beschaffen- heit liaben. §. :U4. Eintlieilung des Grehirns. Das Centralorgau des animalen Nervensystems besteht aus dem Gehirn, Enceplialun (von tv und y.ecpcih], was im Kopfe ist), und dem Rückenmark, Medalla spinalis. Das Gehirn stellt uns die in der Schädelhöhle eingesclilosseue Hauptmasse des Nervensystems §. 344. Emtheilung des Gehirns. , 893 dar. Das Rückenmark dagegen erscheint als strangförmige Yer- längerung des Grehirns in den Rückgratskanal hinab. Das Gehirn hat einen weit complicirteren Bau als das Rückenmark, mit welchem es gleichzeitig entsteht. Die wenigen, aber schweren Worte, welche Fantoni vor hnndertfünfzig Jahren über das Gehirn gesprochen: „ohscura te.iiura, ohscuriores morhi, fundiones obscurissimae" , können auch heute als Einleitung für jede Anatomie, Physiologie und Patho- logie des Gehirns dienen. Die Anatomie des Gehirns beschäftigt sich theils mit der Beschreibung der Form, theils mit der Erschliessung des inneren Baues. Die Anatomie der Form darf man wohl für vollendet an- nehmen, da man an keinem anderen Organe des menschlichen Kör- pers jedes, auch noch so unscheinbare äussere Merkmal, mit solcher redseligen Umständlichkeit beschrieb, als eben am Gehirn. Die Ana- tomie des inneren Baues des Gehirns ist dagegen, und bleibt wahrscheinlich für immerdar, ein mit sieben Siegeln verschlossenes, und überdies noch in Hieroglyphen geschriebenes Buch. Wir wissen nur mit Gewissheit, dass die graue, aus Zellen zusammengesetzte Substanz im Gehirn der eigentliche Sitz der Seelenthätigkeiten ist, und die weisse, aus Fasern bestehende Substanz nur die Leitung von Eindrücken besorgt, welche in der grauen angeregt, oder zu ihr von aussen her, durch die Nerven befördert werden. Aus diesem Grunde kann auch nie das Gesammtvolumen des Gehirns, sondern nur die Menge der grauen Substanz mit der geistigen Entwicklungs- fähigkeit des Menschen in Beziehung gebracht werden. Die Menge der grauen Substanz genau zu bestimmen, gehört bei der so com- plicirten Vertheilung derselben im Gehirn zu den Unmöglichkeiten. Dieses möge, vor der Hand, von Jenen beherzigt werden, welche den menschlichen Geist — die Seele — von der Gesammtmasse des Gehirns abhängig machen, und aus dem Einen auf das Andere Schlüsse zu ziehen, sich berechtigt glauben. Was nun die Functionenlehre des Gehirns anbelangt, beugen die Physiologen demüthig ihr Haupt, und bekennen, dass das menschliche Seelenwesen ihr durchaus unbekannt ist. Keine, wie immer verlautbarte Ansicht über die Hirnthätigkeit kann und wird es uns erklären, wie und wodurch den Factoren dieser Thätigkeit, den Ganglienzellen der grauen Substanz, Bewusstsein innewohnen kann. Da aber über Dinge, welche man nicht versteht, von jeher die Meinungskämpfe am bittersten waren, erklärt es sich, warum der Streit über die menschliche Seele einen so gehässigen Charakter angenommen hat. Der Materialismus hat sich zwar bemüht, zu be- weisen, dass das unbekannte »Seelenwesen nur die Summe der materiellen Vorgänge im Gehirnorganismus sei. Die materiellen 894 • S- 34^ Eintheilnng des Gehirns. Vor<;äDge aber ertolnen in allen (h'iiaiicn mit iinvci-ln'i'K'liliolier Nothweudi<;keit, uiid lauten in einer hestiiiiinten lu'ilienlolj;c ab, an welcher die ()ri;aiu' .selbst uiclits ändern können. J)as.selbe ninss also auch im Gehirn der P^all sein. Ist die Seele nur eine Pirsclieinuni^s- form des materiellen Hirnlebens, so ist sie auch in dieselben Fesseln der Nothwendigkeit s^eleijt, wie tlieses. Selbstbestimmung, Spon- taneität, Freiheit, und was wir sonst noch der Seele 7jizumuthen gewohnt sind, fällt Alles hinweg-, und es ninss mit d(»r neuen Lehre auch eine neue Weltordnung geschaffen werden, welche sicher keine moralische sein wird. Doch damit hat es noch keine P^ile. Denn die materiellen Vorgänge im Gehirn können nur als Bewegung anfgetasst werden, als Stoffwechsel, Atomengruppirung, oder Schwingung. Nun mnss aber auch der Materialismus zugeben, dass kein Ding aus sich selbst in Bewegung geratheri kann. Er hat also noch zu suchen und zu Hnden, von wo der erste Anstoss zu diesen Bewegungen ausgeht, und wie >(»torr der materielle Vorgang in das geistige Wesen der (Jedankenwelt umgesetzt wird. Mit der Behauptung, dass dieser Umsatz stattfindet, wurde er nicht zugleich bewiesen und verstanden, und »las erste Glied der materialistischen Gedankenkette besteht somit in der hypothetischen Annahme ihrer Richtigkeit. Die Psychologie aber für ein Gapitcl der Hiruanatomie zu erklären, durfte nur Broussais wagen. Das Gehirn (niedersächsisch {\^y Bvaegen, woher das englische bvain) wird in das grosse und kleine eiugetheilt — ( \' irh rum nnd Cevehclluta (l\irencej>hidii<, Nebenhirn, im Galen, bei den alten deutschen Anatomen: Hirnlein). An beiden werden zwei paarige Seitenhälften, als Halbkngeln oder Hemisphären, und ein unpaares Mittelgebiet unterschieden. — Die Fortsetzung des Knckenmarks, welche durch das F'orameu occipitale inagmini in die Schädelhöhle aufsteigt, und sich an das Geliirn anschliesst, wird, als verlängertes Mark (^feeu her, ihrer ganzen Länge nach, durch eine tiefe, mediane Spalte getrennt, in welche sich der grosse Sichelfortsatz der harten Hirnhaut hineinsenkt. A'orn und hinten dringt diese Spalte von der oberen bis zur unteren Fläche des Grosshirns durch, so dass die vorderen und hinteren Lappen beider Halbkugeln auch bei unterer Ansicht von einander getrennt erscheinen. In der Mitte dagegeri erreicht der Spalt nur eine gewisse Tiefe, indem das sogenannte §. 344. Eintheilung des Gehirns. §95 Mittelgebiet des grossen Gehirns nicht durchschnitten wird. Am kleinen Gehirn fehlt dieser Spalt, und wird nur durch einen Einbug des hinteren Randes, in welchen sich der kleine Siehelfortsatz der harten Hirnhaut einschiebt, unvollkommen repräsentirt. Dagegen hat die untere Fläche des kleinen Gehirns einen longitudinalen tiefen Eindruck (Vallecula), in welchen das verlängerte Mark zu liegen kommt. Bei oberer Ansicht werden somit die Halbkugeln des kleinen Gehirns in der Mittellinie ununterbrochen in einander über- gehen, und das verlängerte Mark bedecken. Man unterscheidet an den Hemisphären des grossen Gehirns drei, an jenen des kleinen Gehirns nur zwei Flächen. Für die Halbkugeln des grossen Gehirns giebt es eine untere, äussere (obere), und innere Fläche. Die untere Fläche wird durch eine, dem schwertförmigen Keilbeinflügel entsprechende, tiefe, horizontal nach aussen ziehende Bucht (Fossa s. Vallecula Sylvii) in einen vorderen kleinen, und hinteren grösseren Lappen geschnitten. Der vordere prominente Abschnitt des hinteren grösseren Lappens, welcher in der mittleren Schädelgrube liegt, und zunächst an die Fossa Sylvii grenzt, wird auch als unterer Lappen bezeichnet, so dass also jede Hemisphäre, bei unterer Ansicht, drei Lappen gewahren lässt, von welchen der vordere und der untere auf der Schädelbasis, der hintere aber auf dem Zelte des kleinen Gehirns lagert. Der vordere Lappen heisst auch Stirnlappen, der untere wird Schläfelappen, der hintere Hinterhauptlappen genannt. Die äussere convexe Fläclie der Hemisphären liegt an der Schädelwand an. Sie geht, in der Richtung der Pfeilnaht, in die innere, ehene und senk- rechte Fläche über, welche derselben Fläche der anderen Hemisphäre zugekehrt ist, und sie berühren würde, wenn der grosse Sichelfortsatz nicht dazwischen träte. Bei Mangel der Sichel, in Folge angeborener Hemmungsbildung des Gehirns, verschmelzen auch beide Hemisphären zu Einer Sphäre. Die Kante, unter welcher die äussere und innere Fläche der Hemisphäre zusammenstossen, heisst Mantelkante. Die Fossa Sylvii setzt sich an die äussere Fläche der Hemisphäre fort und spaltet sich daselbst in zwei kurze vordere Schenkel fRamus anterior hori- zontalis und ascendensj zum Stirnlappen, und in einen, horizontal nach hinten laufenden langen Schenkel (Ramus horizontalis posterior) . Durch diesen Schenkel wird die Hemisphäre in einen oberen und unteren Abschnitt ge- bracht, von denen der erstere den Stirnlappen und Scheitellappen in sich begreift, der untere der Schläfelappen ist. Die beiden letzteren fiiessen, nach hinten zu, zum Hinterhauptlappen zusammen. Nebst des hinteren Schenkels der Fossa Sylvii, ist an der äusseren Hemisphärenfläche noch einer anderen, wichtigen Furche zu gedenken, welche Sulcus centralis s. Rolandi heisst, schon im fünften Embryomonate auftritt, und deshalb zu den Primärfurchen zählt. Sie läuft von der Mitte der Mantelkante gegen die Mitte des hinteren Schenkels der Fossa Sylvii und bildet die Grenze zwischen Stirn- und Scheitellappen. 896 ^ ^** EnitheilunK des Gehirns. Fiiv dip Hemispliäron ili's klräsentiren sich uns am grossen (leliirn als darjnähnlich \er>chlnng'ene, am kleinen (lehirn als parallele grane Wülste. Sie bestehen oberflächlich aus grauer Kindensubstanz (Suhatdiitia cinerea ü. cortic((lii<), im Innern ans weisser Masse (Sahistantia incduUaris). Die graue Riildeusubstanz der Gyri lässt zunächst au der Mark- substanz, also in ihrer tiefsten Scliicht, eine eigenthümliclie, in's Rothbrauue spielende P^irbenuuance erkennen, wodurch man sich berechtigt hielt, sie als Substantia ferrvg'inea besonders zu benennen. — Die Gyri werden durch mehr -weniger tief penetrirende Furchen (Suh'i) von einander getrennt. Die Furchen nehmen die Falten der weichen Hirnhaut auf, nnd beheriiergen, der Oberfläche zunächst, meist einen stärkeren Venenzweig- der Pia mater. (iewi-sse Gyri und Sulci am grossen (lehirn sind auf beiden Hemisphären nicht symmetrisch angeordnet, andere dageg-en stimmen auf beiden Seiten immer ganz genau überein. Au den Enden des A'order- und Hinter- lappens sind sie immer schmächtiger, als an anderen Stellen. Da.ss Unsymmetrie und Vermehrung' der Gvri, sowie bedeutendere Tiefe der Zwischenfurchen bei geistvollen Menschen vork(»mmen, mag seine Richtigkeit haben, wurde jedoch von mir und Anderen auch bei Cretins gefunden. Kei mangelhafter, mit Blödsinn verbundener Ent- wicklung des Gehirns, wie sie bei Mikrocephalie vorkommt, finden sich auch Gifvi occultt, welche nicht bis an die Oberfläche der Hemi- sphären emporragen, sondern erst zur Ansicht kommen, wenn man zwei reguläre Gyri von einander abdrängt. Wenn mau sich vorstellt, dass die embryoiiischcu Gehirnblaseri rascher anwachsen, als die sie unischliessenden Hüllen, so müssen Faltungen der Blasen entstehen, und diese sind das Bedingende der Gehirnwindungen. Anfangs treten nur wenige solcher Faltungen als Furchen auf. Sic licisscn die primären, und unterscheiden sich von den später entstehenden secundären Furchen durch ihre Tiefe. So lässt sich z. B. eine besonders tiefe, die Mitte der Hemi- sphären schief nach aussen und unten schneidende Furche, als Ccntrallurche durch alle Altersperioden hindurch erkennen. Gall hat die Gehirnwinduugen als Gehirnorgane aufgefasst. Abge- sehen davon, dass es ganz unstatthaft ist, ein umschriebenes, mehr oder minder schärferes Hervortreten der Oberfläche eines Organs, selbst wieder ein Organ zu nennen, indem dann, um ein Beispiel zu geben, die Lappen der Leber, und ?. 345. Grosses Geliirn, von oTien untersuclit. 897 die Höcker derselben, wieder als besondere Leberorgane betrachtet werden müssten, werden die GalFscben Organe des Gehirns schon dadurch eine Chimäre, dass sie von ihrem Entdecker nur an die obere Fläche der Hemisphären ge- wiesen wurden, während doch an der inneren und unteren Fläche derselben gleichfalls Gehirnwindungen, und zwar in gleichem Entwicklungsgrade, vor- kommen, welche jedoch von Gall gänzlich ausser Acht gelassen wurden, da sie sich nicht abgreifen lassen. Die Eintheilung des Gehirns in das grosse und kleine, fusst auf dem äusseren Habitus des Gehirns. Die auf die Entwicklung des Gehirns basirte Eintheilung in Vorder-, Mittel- und Hinterhirn klingt allerdings wissen- schaftlicher, ist aber minder praktisch. Streng genommen kann man unter Mittelgehirn (MesencephalonJ nur das Corpus quadrigeminum, welches sich aus der mittleren embrj'onalen Hirnblase entwickelt, verstehen, und würde dadurch einem, der Grösse nach sehr untergeordneten Gebilde die Bedeut^^ng einer Hauptabtheilung anweisen. Es wird in den folgenden ParagTaplien die Anatomie des Grehirns auf jene Weise geschildert, wie sie sicli bei der Zergliede- rung von oben und von unten Ler ergiebt, ohne Kücksicht auf den inneren Zusammenhang der einzelnen Gehirnorgane, welcher ims ohnedem nur wenig bekannt ist. Ein kurzer Ueberblick über den Zusammenhang der Rückenmarksstränge mit dem Hirn, und über die Verbindung der Einzelheiten des Gehirns zum Ganzen, bildet den Inhalt des §. 351. §. 345. Grrosses G-eMrn, von oben untersucM. Um die Auffindung der hier zu erwähnenden Gebilde zu erleichtern, wird die Beschreibung derselben mit der Zergliederungs- methode verbunden. Wurde die Schädelhöhle mittelst eines, durch die Tuhera fron- talia und die Protuberantia occipitalis externa gehenden Kreisschnittes geöffnet, und das Schädeldach abgehoben, was zuweilen bei festeren Adhäsionen der harten Hirnhaut an die Schädelknochen einige Gewalt erfordert, so untersucht man vorerst die häutigen Hüllen des Gehirns, so weit dieses von oben her möglich ist. Die harte Hirnhaut wird durch zwei zu beiden Seiten des grossen Sichelfortsatzes laufende Schnitte gespalten. Yon der Mitte dieser Schnitte wird beider- seits einer gegen die Schläfe herab geführt, wodurch vier Lappen der harten Hirnhaut gebildet werden, welche man herabschlägt. Die Anheftung des grossen Sichelfortsatzes vorn an der Crista galli wird durchschnitten, und der ganze Fortsatz nach hinten zurück- geschlagen. Die von der Oberfläche des Gehirns in den oberen Sichelblutleiter eindringenden Venen müssen mit der Scheere getrennt werden, um dieses Zurückschlagen vornehmen zu können. Man über- blickt nun die äussere Oberfläche beider Hemisphären, und legt durch vorsichtiges Abziehen der Arachnoidea und Pia mater die Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl. ^'^ gQg $ Ue. Grosses (Jehirn. von (pben untersucht. Iliniw iii(Iiui,i;i'u blo.s.s. Man zieht beide Hemisphären etwas von ein- ander al), um die Tiefe des loni^itudinalen Zwischonspaltes zu prüfen, und dadurch zu erfaliren, v,ie weit man die Ili'misphärou durcli Ilorizontalscluiittt' mit eiuom l)r(MtGii uiu\ hingen Messer abtragen darf, um die Seitenkammeru nicht zu en'iftnen. Ist man durcli diese Schnitte 1)is zur oberen Fhiche des Balkens vorgedrungen, so bemerkt man, (hiss der Balken (Corpus callosum, s. Commissura nuixima, s. Tmhs cen'hri) ein Bindungsmittel zwischen der rechten und linken Hemisphäre abgiebt. Die beiden Seitenränder desselben strahlen näudich in die Markmasse der beiden Hemisphären aus, welche, in gleicher Hohe mit (Umh Balken, die grösste Ausdehnung erreicht, und die Decke der Seitenkatiimern, als Tegmentunt ventricuhrmn, s. Cent nun i:!enuofale yieutidfnii, darstellt. Raymond Vieussens, Pro- fessor in Montpellier, statuirte in diesem seinen Gehirncentriini den Sitz des Denkvermtigens ( Neiu'oijraphia universalis. Lyon, JObiö). An der oberen Fläche des Balkens zeigt sich eine, zwischen zwei Längenerhabenheiten, den Striae lonjitudinales Lancisii, von vorn nach rückAvärts verlaufende Furche, als Rhaphe snperior corporis callosi. Sie wird durch ein System querer Streifen (Striae, unrichtig Chonlae transrersales WilUsll) rechtwinkelig gekreuzt. — An der unteren, bei dieser Ilehandhmg nicht sichtbaren Balkenlläche, ver- läuft die Jiliaphe inferior. Die Striae transversales Willisii sind hier viel schärfer markirt, als an der oberen f^läche des Balkens. — Der vordere Rand des Balkens biegt sich nach ab- und rückwärts bis zur Basis des Gehirns herab, wo er den grauen Hügel, Tuber einereitni, erreicht. Der durch den Umbug des vorderen Balken- randes gebildete Winkel heisst das Balkenknie, Genu^ corporis callosi. Der hintere, verdickte Rand des Balkens heisst Balken- w u 1 s t, Spleniuni corporis callosi. Balkenknie und Balkenwulst weiden am besten gesehen, wenn man den Balken vertical durch die Rhaphe durchschneidet, was an dem Gehirne, welches zur Untersuchung vurliegt, und an welchem möglichst viele Organe ganz er- halten werden sollen, nicht gemacht werden kann. Man sieht an diesem Durch- schnitte zugleich, dass der Balken kein planes, sondern ein mit oberer convexer Flüche von vorn nach hinten gekrümmtes Gebilde ist. Ich finde mich veranlasst, hier die historische Berichtigung einzureihen, dass Willis nicht die erwähnten queren Streifen des Balkens, sondern die in der Höhle des Sinus falciforiiu." major vorkommenden Verbindungsbälkchen seiner rechten und linken Wand, Chordae transversales nannte. — Coiyus callosum ist die wörtliche Uebersetzung des Galcn'schen xvXohiöf-g aäfia, schwielenartiger Körper, von tvXog, Wulst. Der Ausdruck Commissura maxima stammt von committo, zusammenfügen, weil der Balken beide Hemisphären des grossen Gehirns verbindet. Trabs ist der deutsche Balken. Wo die Seitenränder des Balkens in die Hemisphären über- gehen, wird durch einen verticalen Schnitt die Seitenkammer, Ventri- §. 345. Grosses öeliirn, von oben untersucM. 899 culus lateralis, g-eöfFnet, imd von ihrer Decke so viel abgenommen, bis man ihre ganze Ausdehnung übersieht. Jede Seitenkammer schickt von ihrem mittleren Raum (Cella media) drei bogenförmig gekrümmte, sich nach verschiedenen Eichtungen in die Markmasse einbohrende Fortsätze oder Hörner ans, und heisst deshalb auch Ventriculus tricornis. Das Vorderhorn kehrt seine Concavität nach aussen, das Hinterhoru nach innen, und das bis an die Basis des Gehirns sich hinabkrümmende lange Unterhorn nach vorn. Um die den Sehnervenhügel umgreifende, nach vorn und unten gerichtete Krümmung des Unterhorns zu sehen, muss ein grosser Theil der Seitenmass.e der Hemisphäre durch senkrecht geführte Schnitte abge- tragen werden. Mau findet im Yorderhorn der Seitenkammer: a) Den Streifenhügel, Corpus striatum, von birnförmiger Gestalt. Sein dickes kolbiges Ende sieht nach vorn und innen, sein zuge- spitztes Ende (ScliAveif) nach rück- und auswärts. Er besteht vorzugsweise aus grauer Masse, welche seine freie Fläche ganz einnimmt, und im Innern desselben, mit der weissen, abwech- selnde Schichten bildet — nach Art der Plattenpaare einer Volta'schen Säule. Also nicht der Hügel erscheint gestreift, sondern sein Durchschnitt, Schneidet man die Markmasse der Hemisphäre, welche an der äusseren Seite des Streifenhügels liegt, schief nach aus- und ahwärts durch, so findet man in ihr den Linsenkern, Nacleus hntiformis, als einen ringsum von weisser Marksubstanz umschlossenen, flachen, hiconvexen Klumpen grauer Masse, dessen Flächen nahezu senkrecht stehen. Vor und unter dem Linsenkern liegt der Mandelkern, Nadeus amygdalae, ein kleineres, ebenfalls vollkommen von Marksubstanz eingeschlossenes graues Lager, und nach aussen vom Linsen- kern, eine fast lothrecht stehende graue Schicht, die Vormauer, Claustrum s. Nucleus taeniaeformis. Die weisse Markmasse, welche den Linsenkern vom Streifenhügel trennt, heisst die innere Hülse, Ca'psula interna, lene zwischen Linsenkern und Claustrum, äussere Hülse, Capsula externa. Die weisse Masse der Capsula interna wird durch zahlreiche graue Blätter durchsetzt welche vom Corpus striatum zum Nucleus lentiformis ziehen. Die grau- und weissgestreifte Zeichnung, welche der Durchschnitt zeigt, verschaffte eben dem Streifenhügel seinen Namen. b) Den Seh hü gel, Thalamus opticus. Er liegt hinter dem Streifen- hügel, dessen Schweif sich an seiner äusseren Peripherie hin- zieht, und scheint bei dieser Ansicht, wo die mittlere Hirn- kammer noch nicht geöffnet ist, kleiner als der Streifenhügel zu sein. Seine vo.Ue Ansicht gewinnt man erst nach Eröffnung der dritten Kammer, und des Unterhorns der Seitenkammer, welches ihn umgreift. Seine Farbe ist, mit Ausnahme seiner inneren grauen Fläche, markweiss. Im Innern enthält er drei graue Kerne: einen äusseren, inneren und oberen, &ala{iot nannte Galen die seitlichen Hirnkammern, weil v^KAK/iios überhaupt ein Wohn- 57* f)((() $. :UD. lirosses «ichirn. von oben unlersui-ht. ziiiiiiKr ihIit (iiiiiiuli buKuiot. Die Stliliügil tülni y't.ovTtn (Hinter- backen) an. Dlii Naiiiiu eines Gciiiaelis auf einen Hügel zu übertragen, wie Kiulan zuerst getlian. konnte nur dureb Unkenntniss der gricchiscben Sprache geschehen. r) Den Ilornstreifen, Stria coniea, welcher, von einer anliegen- den Vene (Veiui tennhudls) l)e,!;,leitet, als ein i;;raugelbliclier Streifen, /wisclien Streiten- nnd Seliliügel lai^ert. Der Ilorn- streiten ist nnr der freie Hand einer, zwischen Seh- und Streifen- hüi^el ein!;elauerten, vom Pedimadua ccrchri •A\\^%ivi\\\\Q.x\(\Qn Mark- platte, — der Ttienla setnirlrcidans. Im Hinterhorne linden sich: 1. 1 )t'r Vui;elsporn oder kleine SiM'[»ferdefuss, Ccdcar arii, s. Pe.i hippocanipi minor. Er bildet eine, an der inneren Wand des Hinterhorns hinziehende Erhabenheit. Die obere Wand des Hinterhorns führt, ihrer gestreiften Zeichnung' wegen, den Namen der Tapete. 2. Die seitliche Erhabenheit, Eininentia collateraJia MerheVd, deren Name von ihrer Nachbarschaft an dem gleich zu erwähnenden grossen Seepferdefnss herrührt, an dessen äusserer Seite sie in das Uuterhorn hinabläuft. Sie beginnt schon im Hinterhorn mit einem dreieckigen Wulste, welcher an der unteren Wand des Hinterhorns hervorragt. Im Unterhorne wird gesehen: «) Der grosse Seepferdefnss o(h'r (bis Animonshorn, Pcs liippocampi major, s. Cornu Ammonis. Er nmgreift, als ein nach aussen, vorn nnd nnten gekrümmter Wulst, den Sehhügel, und dnrchmisst die ganze Länge des Unterhorns bis zu dessen unterem Ende, wo er mit drei bis vier gernndeten Höckern. Klauen ( Difiitationes), endigt. Genauer untersucht, weist sich der grosse Seepferdefnss als eine Einstülpung der Substanz des Unterlappens aus, nnd entspricht somit einem, in gleicher Rich- tung mit ihm. an der Oberfläche dieses Lappens hinziehenden Sulcus. Er führt den Namen Seepferdefnss, seit Arantius, von einer Forrn- ahnlichkeit seines unteren Endes mit den ungegliederten, im Bogen gekrümm- ten Pfoten eines fabelhalten Thieres, dessen pferdeähnlicher Leib mit einem Fischschwanz, zuweilen auch mit Schwimmfüssen versehen, abgebildet wurde (Seepferd, IlippocanipusJ. Dieses Thier wird als Wasserthier öfter an monu- mentalen Brunnen angebracht, wie z. B. an dem herrlichen Monolith auf dem llauptplatzc in Salzburg, und an Bernini's Springbrunnen auf der Piazza Xavona in Rom. Sein zweiter Name schreibt sich von jenen Petrefacten vor- weltlicher Conchylien her, welche, ihrer Krümmung wegen, Cornua Ammonis genannt wurden. Diese Krümmung erinnert an das Horu des Widders. Der Stammvater unseres Widders hcisst im zoologischen System Ovis Ammon. g. 345. Grosses Gehirn, von oben untevsticlit. 901 An dem concaven Rande des Seepferdefusses verläuft, als Fort- setzung- der hinteren Schenkel des weiter nnten zn beschreibenden Gewölbes: ß) Der Saum, Fiinhria, als ein dünnes, sichelförmig gekrümmtes Markblatt, welches, nach unten zu, sich in die gekräuselte, graue Leiste, Fascia dentata, fortsetzt. Nach genommener Einsicht dieser in die Hörner der Seiten- kammer hiueinrag-enden Yorsprüng-e,, schreitet man zur Eröffnung der unpaaren dritten oder mittleren Kammer, Ventricidus tertius, welche vom Balken und dem unter ihm liegenden Grewölbe be- deckt wird. Hebt man den Balken in die Höhe, so findet man zwischen seiner vorderen Hälfte und dem unter ihm gelegenen Grewölbe, senk- recht gestellt: die durchsichtige Scheidewand, Septum pelluci- dum. Sie bildet eine verticale Wand zwischen den beiden Yorder- hörnern der Seitenkammern, und besteht aus zwei Lamellen, zwischen welchen ein schmaler, vollkommen geschlossener, nur im Embryo mit der mittleren Kammer communicirender Zwischenraum sich befindet. Dieser Zwischenraum ist der Ventriculus septi pellucidi. — Die hintere Hälfte des Balkens liegt unmittelbar auf dem Grewölbe auf. Hier fehlt somit das Septum pellucidum. Man gelangt am besten zur Ansicht des Septum pellucidum und seiner Kammer, wenn man den Balken etwas vor seiner Mitte quer durchschneidet, und die vordere Hälfte desselben mit den Fingern oder mittelst zwei Pincetten in die Höhe hebt, um sie nach vorn umzuschlagen, was aber nur an zähen und frischen Gehirnen nach Wunsch gelingt. — Der Ventriculus septi pellu- cidi wird von einigen älteren Anatomen auch Duncan's Höhle genannt, welcher Name aber nicht von dem schottischen König Dune an, sondern von einem Arzte in Montpellier, Daniel Duncan, herrührt, dessen kleine Schrift: Explication nouvelle, etc. Paris, 1678, eine neue Art, das Gehirn zu zer- gliedern, enthält. Das Grewölbe, Fornix tricuspidalis, liegt in der Furche, welche zwischen den sich an einander lehnenden Sehnervenhügeln nach oben übrig bleibt. Dasselbe geht nach vorn und hinten in zwei Schenkel über. Die vorderen Schenkel heissen Säulen des Grewölbes, Columnae fornicis. Sie hängen mit den beiden Blättern des S-eptum pellucidum zusammen, senken sich bogenförmig vor. den Sehhügeln in die Tiefe und steigen zuletzt geradlinig zu den beiden Mark- hügeln (Corpora mammillaria, §. 346) der Hirnbasis herab. Sie liegen auf den Sehhügeln nur lose auf, ohne mit ihnen zu ver- schmelzen. Es ' existirt also eine Zwischenspalte, welche sich nach vorn, unmittelbar hinter den Columnae fornicis, zu einem Loche er- weitert — Foramen Monroi. Durch dieses Loch lässt das bei der Pia mater erwähnte mittlere Adergeflecht (Tela choroidea super ior) ()Q2 5. 34B. Orossps fioliirn. von oben untpisnclit. eine Fortsetzunj; in die Seitenkammer gelangen. Die absteigenden vonleren Gewölbsclienkel bilden die dritte Seite eines dreieckigen Raumes, dessen beide andere Seiten durch das Balkenknie gegeben sind. Dieser dreieckige Raum -wird durch das Septum pellucidum ausgefüllt. Nach hinten spaltet sich das Gewölbe in die beiden liinteren Schenkel (Cnira j)osteriora), zwischen welchen ein einspringender Winkel mit vorderer Spitze frei bleibt. In diesem Winkel wird man, bei der Ansicht von unten her, ein dreieckiges Stück der unteren (|uergestreiften Balkenfläche zu Gesichte bekommen. Die Streifen rdineln den in einem dreieckigen Rahmen ausgespannten Saiten einer Harfe, oder den parallel aufgeAvorfenen Rändern der Blätter eines vielgelesenen Buches (ehrenhalber Psalm- oder Gebetbuch), weshalb im ersten Sinne der Name: Leier, Lyra Dacidis, und im zweiten Sinne der Name: Psalterium, für sie nicht unpassend gewählt wurde. Andere verstehen unter Lyra und Psalterium den zwischen den hinteren Fornixschenkeln sichtbaren Theil der gleich zu erwähnen- den Tela cluiroidea superior. — Jeder hintere Gewölbschenkel geht in die Find:)ria des Seepferd efusses über. Das griechische Wa).TrjQiuv ist eigentlich ein Saiteninstrument, Cither. Das zum Saitenspiel gesungene heilige Lied (Psalm) hiess Wdlfia, woher Sammlung dieser Lieder: Psalterium^ ein Psalter oder Gehetbuch. — Der Name Fornix wurde zuerst von Willis gebraucht. Er bedeutet Gewölbe oder Schwibbogen, aber auch eine verrufene, stinkende Höhle als Aufenthalt der gemeinsten öffentlichen Dirnen folens fornia: hai Horaz und Juvenal), daher fornicatio, die Hurerei. Schneidet man nun den Fornix in seiner Mitte quer durch, und schlägt man seine beiden Hälften nach vor- und rückwärts um, .so hat man die dritte Kammer noch nicht geöffnet. Sie wird viel- mehr noch durch eine sehr gefässreiche Membran zugedeckt, welche, als Fortsetzung der Pia mater, unter dem Balkenwulst und über dem Vierhügel zur dritten Ilirnkajnmer gelangt, und sich nach vorn bis zu den Säulen des Fornix erstrockt. Sie heisst Tela choroklea superior, enthält Verzweigungen der Arteria p>rofunda cerehri, und führt in ihrer Mitte zwei grössere Venenstämme, welche unter dem Balkenwulste zur unpaaren Vena cerehri magna zusammentreten. Die Tela choroidea superior zeigt zwei strangartige Verdickungen von rother Farbe und körnigem Ausehen. Diese werden durch Ver- knäuelungen der (Tefässe der Tela erzeugt, und heissen Plexus cho- roidei. Anfangs liegen l)eide, als Plexus choroideus medivs, dicht an einander, lenken aber hierauf, als Ple.vus choroidei laterales, durch die Foramina Mouroi in die S«Mtenkammern ab, wo sie sich längs des Ammon.shornes hU in (\o\\ rjrund des Unterhornes verfolgen lassen. •o' §. 345. Grosses Geliirn. von oben untersuclit. 903 Die Adergeflechte heissen bei Grälen %0Q0Ei8ri nXiy^ara, weil er sie mit ■ dem Chorion des Eies verglich. — Tela, toile der Franzosen, stammt von texo, wehen, griechisch veraltet zsy.tTv. Löst man hierauf die Tela choroidea von der convexen Selihügel- fläelie vorsichtig los, und zieht man hierauf beide Sehhüg-el, welche in der Leiche mit ihren inneren, fast ebenen Flächen zusammen- schliessen, von einander ab, so überblickt man die dritte Grehirn- kammer. Man kann an ihr sechs Wände unterscheiden. Die obere war zunächst durch die Tela choroidea superior gebildet, — die beiden seitlichen sind durch die inneren planen Sehhügelflächen gegeben, — die untere entspricht der Mitte der Hirnbasis, — die vordere wird durch die vorderen absteigenden Schenkel des Ge- wölbes (Säulen, Colwnnae), — die hintere durch den sich zwischen beide Sehhügel hineinschiebenden Yierhügel (Corpus quadricfeminum) dargestellt. — Die beiden Seitenwände der dritten Kammer stehen durch drei Querstränge (Comynissurae) in Verbindung. Die Cormnis- sura anterior liegt an der vorderen Wand, vor den absteigenden Schenkeln des Fornix, und kommt zu Gesicht, wenn man diese Schenkel auseinanderdrängt. Die Cotnmissura posterior liegt an der hinteren Wand, vor dem Vierhügel. Beide Commissuren sind mark- weiss und rund. Unter der Commissura anterior vertieft sich der Boden der dritten Kammer zum weiten Trichtereingang, Aditus ad infundibulum, und unter der Commissura posterior befindet sich die kleine dreieckige EingangsöfFnung in die Sylvi'sche Wasser- leitung (Aditus ad aquaeducium Sylvii), welche unter dem Vier- hügel zur vierten Hirnkammer führt. — Die breite und weiche Com- inissura media s. mollis ist grau und weich. Sie fehlt zuAveilen, imd stellt nur eine Ipcale Verschmelzung des grauen Beleges dar, mit welchem die inneren Flächen beider Sehhügel überzogen sind. Der Vierhügel, Corpus quadrigeminwn, ist ein unpaarer, durch eine Kreuzfurche in vier Hügel getheilter, weisser Höcker, welcher zwischen der dritten und vierten Hirnkammer steht, und unter welchem die Sylvi'sche Wasserleitung eine Verbindung dieser beiden Kammern unterhält. Sein vorderes Hügelpaar ist grösser, und steht höher; das hintere ist kleiner und niedriger, ein Verhältniss, welches sich bei allen pflanzenfressenden Thieren findet. Vesalius nannte das vordere Paar die Hinterbacken (Nates), das hintere die Hoden (Testes) des Gehirns. Bei seitlicher Ansicht des Vierhügels bemerkt man, dass beide Hügel- paare seitwärts in zwei walzig-rundliche Erhabenheiten übergehen, w^elche als Brachia corporis quadrigeinini, und zwar als vorderes und hinteres unterschieden werden. Das vordere hängt mit einer, am hinteren Ende des Thalamus opticus gelegenen, und von ihm überragten Anschwellung (vorderer Knichücker, Corpus gcniculatum anticum s. externunlj zusammen, und geht 904 8. nVB. Grosses Oflilin. von oVeii iintorsuclit. «^;mz und gar in Jen Sehhügcl ühir. Das hinter«' lirachium corporis quadri- oeinini geht eine Verbindung mit dem zwisclien beiden Brachia lagernden ( o>7>u.*n unterol und Haken einschneidet. Der Gyrus occipito-temporalis medialis heisst auch Gyrus linijualis, und greift, wie schon oben gesagt, nach vorne in den Gyrus hippocampi ein. Der Gyrus occipito- temj>oralis lateralis ist länger als der medialis, dehnt sich bis zum Temporalpol aus, und grenzt sich von dem neben ihm liegenden Gyrus hippocampi durch die vordere Hälfte des Sulcus ocnpito-temporalis ab. Als äusserste Windung, die laterale Kante des Schläfelappens bildend, lagert der Gyrus temporalis inferior, an dessen innerem Rande der Sulcus temporalis inferior sich befindet, welcher zumeist aus der Incisura praeoccipitalis sich entwickelt. Wer sich mit dem Detail über diesen Gegenstand beschäftigen will, findet die ausführlichsten Angaben darüber in den besonderen Schriften von Th. Bisch off, Bruca (im 2. Bd. der Revue d'Anthropologie), A. Ecker, Ad. Pansch, Berlin, 1879, und vor Allem in G. Schwalbe's Lehrbuch der Neurologie. Erlangen, 1881. Auch Henle und W. Krause haben diesem Theile der Gehirnanatomie die vollste Aufmerksamkeit gewidmet. §. ."UT. Anatomie des kleinen Greliirns von unten. Varolsbrücke. Yeiiängertes Mark. Bei 'Plml, V/i)iitft(ta!ls zur Varol^brücke aufsteigende Mark, in welchem einige eingesprengte graue Kerne gewissen Gehirnnerven als Ursprungs- stätten dienen. An der Stello. an wolchor dii- Corpora resd/ormia ausoinanflor zu weiclieii l>otjinn('n, niaclit sieli an ihnen eine Fuielie kenntlich, durch welche vom inneren Eande der Corpora restffnrmla ein schmaler Streifen als zarter Strang. Fttninilus oraciliti, abgemarkt wird. Derselbe schwillt dicht am hin- teren ^Vinkel der Rautengrube zur sogenannten Keule an fClavaJ. Der nach Abzug des zarten Stranges bleibende ansehnliche Rest des Corpits) restiforme heisst Keilstrang, Fnnicxdus cuneatus. Wo die Corpora restiformia in das kleine Gehirn eintreten, enthalten sie einen grösseren grauen Kern, Tuberculum cinereiitn. — Zu beiden Seiten der Mcdiani'urchc der Rautengrube wölben sich die runden Stränge, FinücuU teretes, etwas vor, welche im hinteren Theile der Rautengrube durch zwei zungenühnlich gestaltete Blätter grauer Substanz (Alae c'mereae) überdeckt werden. — Weisse Querfasern in der Lamina cinerea der Rautengrube werden als Cliordae actiaticae für die Wurzeln der Hörnerven gehalten, und ein paar feine Älarkstreifen, welche sich längs den Keulen der zarten Stränge, an die Corpora restiformia anschliessen, heissen Rienichen, Taeniae fossae rhoniboideae. Der zwischen den divergirenden Corpora restiformia einge- schlossene hintere Winkel der Rautengrube hat eine augenfällige Aehnlichkeit mit dem Ausschnitte einer Feder, deren Spalt durch den Sulcns longitndinalis posterior vorgestellt wird, und führt deshalb den von Ilerophilus eingeführten Namen der Schreibfeder, CalamuJi scriptorius^). Der vordere Winkel der Rautengrube, welcher erst nach Entfernung der grauen Gehirnklappe zu Gesichte kommt, hängt durch den Aquaednctus Si/Irii, dessen End()flFnung bei den Alten auch Amts cerehri hiess, mit der dritten Kammer zusammen. Die Seitenwinkel buchten sich, wie gesagt, zu den Nestern (Recessus laterales) aus, welche unvollkommene Wiederholungen der Seitenkammern des grossen Gehirns sind. Der graue Beleg nimmt hier (dicht am Austritte der Bindearme), als Locus eaerideus, eine auffällige dunkle Färbung an. Der zwischen dem Unterwurm und der Rautengrube befindliche Raum stellt nun die vierte Hirnkammer dar. Sie wurde von OntQ IlgiJcpiXog ffyia^tv uvayXvcpij •Äctlü^ov, Uerophitus cum excisura ca/ami comparavit. Galenus, JJe anot. administr.. L. IX, Cap. 4. §. 349. Embryoliirn. 919 den alten Anatomen, welche sämmtliclie Nerven von ihr entstehen Hessen, Ventriculus nohilis genannt, und in der That verdient sie auch heute noch diesen Namen, da wir sehen werden, dass acht Hirnnerven, entweder ganz oder zum Theil, aus grauen Kernen ihrer Basis (Rautengrube) entspringen. So wie die dritte Hirnkammer nach oben nicht zunächst durch Mark, sondern durch eine Fortsetzung der Pia mater, als Tela choroidea superior, begrenzt wurde, so wird auch der Raum der vierten Hirnkammer nach hinten nicht durch Markwand, sondern durch die Pia mater, als Tela choroidea in- ferior, zum Ahschluss gebracht. Durch ihre Verbindung mit den Eiemchen (am hinteren Winkel der Rautengrube), mit den Flockenstielen und mit den hinteren Marksegeln, wird die Tela choroidea inferior wie in einem Rahmen fixirt. In dieser häutigen Verschlusswand soll nach Magen die eine Oeffnung existiren, durch welche der vierte Ventrikel mit dem über ihm befindlichen Subarachnoidealraum verkehrt. Die Tela choroidea inferior bildet in der vierten Hirnkammer den paarigen, an die Auskleidungshaut der Kammer adhärenten Plexus choroideus ventriculi quarti, welcher sich mit zwei Flügeln längs den Flockenstielen hin erstreckt, mit dem Adergeflecht der dritten Kammer aber nicht zusammenhängt. Wird eine Hemisphäre des kleinen Gehirns quer durchgeschnitten, so sieht man in ihrem mit Aesten und Zweigen besetzten weissen Marklager, nach vorn und innen, den gezackten Körper, Nucleus dentahis, s. Corpiis rhoniboideum, s. ciliare, als einen weissen, mit einem grauen zackigen Saume eingehegten Kern der Hemisphäre. §. 349. EmbryoMrn. In den ersten Entwicklungsstadien haben wir das Embryohirn aus drei hinter einander liegenden, und unter sich communicirenden, häutigen Blasen bestehend gefunden (§. 329), deren dritte mit dem gleichfalls häutigen Rückenmarksrohr zusammenhängt. Man nennt die drei Blasen: Yorder-, Mittel- und Hinterhirn. Sie sind mit gallertigem Fluidum gefüllt. Auf dem Boden der hinteren und mitt- leren Blase, und an den Seiten der vorderen, entstehen Ablagerungen festerer Nervensubstanz, welche sich allmälig längs der Wände der Blasen nach oben ausdehnen. Die hintere Blase bildet das Substrat der Entwicklung des kleinen Gehirns; aus der mittleren Blase wird der Vierhügel; aus der vorderen entwickeln sich zunächst nur die beiden Sehhügel. Die durch Nervensubstanz nicht ausgefüllten Höhlen- reste der Blasen sind, für die hintere Blase: die vierte Hirnkammer, für die mittlere: der Aquaeductus Sylvii, für die vordere: die dritte Gehirnkammer. Da an der vorderen Blase die Ablagerung von Nervensubstanz nicht auch die obere Wand der Blase in Anspruch nimmt, erklärt es sich, warum die dritte Gehirnkammer auch im fertigen Gehirn, oben nur durch den als Tela choroidea superior er- wähnten Antheil der Pia mater abjjeschlossen erscheint. 920 §■ •'^•"'O- Rnckeiimarlv. Die lIemi^]^lläl■ou des g'r(»sseu Cüoliivns eutstelieu als Aiisbueli- tuumtMi (h'i- vorderen Blase. Es wuchern nänilieli aus der unteren Wand dieser Blase zwei in der Mitte mit einander verlötliete Bläs- rlien liervor. Diese zeigen au ihrer (»bereu Fläche eine Furche, welche mit dtn' spalt form igen lJ«»hle der dritten (jehirnkanimer zu- saiuiuenhängt. Dieses Doppelbläscheu, an dessen (Jrunde sich die Co)'i>oi'(( stridtit entwickeln, und dessen mittlere Yerlöthung dem zukünftigen Corpus eallosioii entspricht, wächst sehr rasch nach oben, und dann nach hinten au, so dass es die drei primären Blasen gänzlich von obenher ü])erlagert. Die beiden Furchen des Doppel- bläschens kommen, durch dieses Umschlagen des Bläschens, an seine untere Fläche zu liegen, und stellen, unter zunehmender Vertiefung und Ausweitung ihres (Jrundes, die erste Anlage der Seiteukammern des grossen (lehirns dar. Eine, in der Medianlinie sich bildende Einfaltnng scheidet die sich eben entwickelnden beiden (Irosshirn- hemisphären immer mehr von einander ab. Das rasche Anwachsen der, den beiden (irosshiruhemisphären zu (iruude liegenden Doppel- blase im engen Räume der Schädelhöhle, bedingt nothweudig Fal- tuuiien ihrer OberHäche, welchen die (ivri ihre Entstehung ver- danken. Au der hinteren llirublase müssen zwei Theile unterschieden werden. In dem vorderen Theile wölbt sich die Nervensubstanz oben A ollständig zusammen, uiul bildet dadurch die erste Anlage des kleinen (lehirns. während die uutei'e Waud sich zur A^arols- brncke entwickelt. In dem hinteren Theile dagegen wuchert die Nervensubstauz nur auf tiem Boden desselben, es entsteht kein Ge- w(tll)theil. und die Höhle i\es lliuterhirus ist somit nach oben und hinten often, als Rautengrube. §. 350. Eückenmark. Der in der Rückgratshöhle eingeschlossene, platt-cylindrische Abschnitt des centralen Nervensystems heisst Rückenmark, J/^- dulla apinalls (fivtXbg ^axirijs bei (xalen, fivsXog viorialog hei llippo- crates, von varog, Rücken, woher Phthisls notlas, Rückeumarks- darre bei älteren Nosologeu). Dasselbe verhält sich, dem Seheine nach, zum knöchernen Rückgrat, wie das Mark zu tlen langröhrigen Knochen. Dieser rohe Vergleich veranlasste seinen Namen. Es geht ohne scharfe (ireuze nach oben in die MeiluUa ohlo)iyata über, und endigt unten schon am ersten oder am zweiten Lendenwirbel mit einer stumpf kegelförmigen Spitze (Conus tenninalis), von welcher das Fi/um terminale (^. 343) sich bis zum Ende des Sackes der harten Rückenmarkshaut erstreckt. §. 350. Eückenmailc. 921 Mit jeder Beugung d-es Eückgrats rückt der Conus medullaris etwas höher. Ein durch das Ligamentum intervertebrale zwischen letztem Brust- und erstem Lendenwirbel eingestossenes Scalpell trifft den Conus medullaris nicht mehr, wenn der Rücken der Leiche gebogen war. Aus diesem Grunde wird auch bei Buckligen das Rückenmark höher als sonst, nämlich schon am letzten Rückenwirbel, enden. — Das Rückenmark bildet keinen gleichförmig dicken Strang; denn am Halse und gegen sein unteres Ende zu, erscheint es dicker, als in der Mitte seines Brustsegments. An beiden genannten Orten (Hais- und Lendenanschwellung) treten die stärksten Nerven des Rückenmarks ab. Es kann überhaupt als Regel gelten, dass die Dicke des Rückenmarks im geraden Verhältniss mit der Dicke der stellenweise abzugebenden Nerven zu- nimmt. Die vergleichende Anatomie liefert die triftigsten Belege dafür. So erscheint bei jenen Fischen, deren Brustflossen sich zu mächtigen Schwingen entwickeln, wie bei den fliegenden Fischen, jener Theil des Rückenmarks, welcher die Nerven zu den Flossen entsendet, unverhältnissmässig dick. Bei den Fröschen ist jene Anschwellung des Rückenmarks, aus welcher die Nerven für die hinteren, muskelstarken Extremitäten hervorgehen, ungleich grösser, als die vordere Anschwellung, welche den Nerven der vorderen schwächeren Extremitäten ihre Entstehung giebt. Bei den Schildkröten, deren Rumpfnerven, wegen des unbeweglichen Rückenschildes, sehr mangelhaft entwickelt sind, bildet das Rückenmark am Ursprung der Nerven der vorderen und hinteren Extremitäten, zwei ansehnliche, nur durch einen relativ dünnen Strang mit einander verbundene Intumescenzen. Das Rückenmark besteht ans zwei lialbcylindriselien Seiten- hälften mit äusserer mark weisser Rinde und innerem g-rauen Kern. Beide Seitenhälften liegen ihrer ganzen Länge nach so dicht an einander, dass sie nur Einen Cylinder zn bilden scheinen, an welchem jedoch die GegenAvart eines vorderen nnd hinteren Suleits longitndinalis, den Begriff der Paarung seitlicher Hälften auf- recht erhält. Der seichte Svlcus longitudinalis posterior lässt sich nur am Halssegment des Rückenmarks, und gegen den Conus ter- niinaUs zu, deutlich wahrnehmen; der tiefere anterior erstreckt sich aber durch die ganze Länge des Rückenmarks. Beide Sulci nehmen faltenförmige Fortsätze der Pia mater auf. Man spricht auch von zwei Sulci laterales, einem anterior und posterior, an der Seitenfläche des Rückenmarks. Wenn man unter Sulci laterales die Ursprungs- linien der vorderen und hinteren Wurzeln der Rückenmarksnerven versteht, mögen sie hingehen. Wahre Furchen, mit faltenförmiger Verlängerung der Pia mater in sie, sind sie aber nicht. Durch die Richtung der Sulci wird die Oberfläche des Rücken- marks in sechs longitudinale markweisse Stränge getheilt. Diese sind: a) Die beiden vorderen Stränge, rechts imd links vom Sulcus longitudinalis anterior. Ihre innersten und zugleich tiefsten Fasern kreuzen sich im Grunde des Sulcus longitudinalis ante- rior, wodurch die früher erwähnte vordere weisse Com- missur des Rückenmarks entsteht. h) Dio Itoidi'ii Seitcnstrango, zwiselien dou Ursprüngeu der vordcifu niul liiiitin-cn Wurzeln der Rückenmarksnerven. c) Die beiden hinteren Stränge, zu beiden Seiten des Sulcus loHflitiulhtalis jwsterior. Die Zahl dieser Stränge wird, gegen den ersten oder zweiten Halswirbel hinauf, durch einige neue, zwischen ihnen auftauchende Strangbildungen ver- mehrt. So schieben sich zwischen beiden vorderen Strängen die beiden Pyra- midenstränge ein, welche im Aufsteigen breiter werden, und in die beiden Pvramides der Mtdulln ohlmhjata übergehen. Im Atlasiing kreuzen sich die inneren Faserbündel der Pyraniidenstränge im Sulcus loiufiludinalis anterior (Decuamtio jyyramidumj. Zwischen den beiden hinteren Strängen tritt, zunächst am Sulcus loiujHudmalis posterior, ein neues Strangpaar auf — die zarten Stränge, und der noch übrige Rest der hinteren Stränge führt von nun an den Namen der Keil stränge. Die zarten und die Keilstränge bilden, wie in den Noten zu §. 348 erwähnt wurde, das Corpus restiforme der betreffenden Kleinhirnhemisphäre. Die ":raueu Kernsträniie beider Seitonliälf'ten des Rückenmarks, welclie nur aus wenig- Markfaseru, aber einer grossen Menge von Ganglienzellen bestehen, Averdeu durch eine mittlere graue Com- missur unter eiuander verkoppelt. Unmittelbar vor dieser greift auch eine Verbindung der Marksubstanz beider Seitenhälften durcii die vordere weisse Commissur Platz, welche dem Grunde des Sulcus loupiiudinalis anterior entspricht. Zwischen beiden Com- missuren liefindet sich der, au dünnen Querschnitten leicht erkenn- bare, selir feine, mit Flimmerepithel ausgekleidete Centralkanal des Rückenmarks. Gegen die Spitze des Conus fermi^ialis verschwindet die graue Com- missur, wodurch das Ende des Centralkanals mit der hinteren Längenfurche zusannnenfliesst, somit an der hinteren Seite der Conusspitze eine spaltförmige Oeffnung sich herstellt, welche, ihrer nach aussen etwas umgelegten Seiten- ränder wegen, Sinus rhomboidalis benannt wird. Querschnitte des Rückenmarks, in verschiedenen Ibihen ge- führt, belehren über das räumliche Verhältniss der weissen Rinden- und grauen Kernmasse. Das Bild gestaltet sich aber anders, je nach der Höhe, in welcher das Rückenmark durchschnitten wurde. Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass jeder Seiteutheil des grauen Kerns, die (lestalt einer nach aussen concaven, nach innen convexen Platte hat. Die convexen Flächen beider Platten hängen durch die mittlere graue Commissur zusammen, und gewähren somit im Quer- durchschnitt die Gestalt eines j\. Die beiden hinteren Ilörner dieser Figur sind länger und dünner, und gegen den Sulcus lateralis posterior gerichtet, welchen sie fast erreichen. Die vorderen Hörn er sind kürzer und dicker, und sehen gegen den Sulcus lateralis anterior. Sie enthalten grössere und ästereichere Ganglienzellen als die hin- teren. Die hinteren Hörner verdanken ihre grössere Läno-e einer §. 350. Eückenmarlc. 923 Auflagerung von gelblicher, gelatinöser, zellenfülirender, aber ihrem Wesen nach nicht näher bekannter Substanz (Suhstantia gelatinosa, Rolando), welche auch die nächste Umgebung des Centralkanals bildet. Der Vergleich vieler, in verschiedenen Höhen des Eückenmarks gelegter Qnerdurchschnitte lehrt ferner, dass die weisse Masse stetig von unten nach oben an Mächtigkeit gewinnt, die graue Masse dagegen durch ihr stellenweises Anwachsen, die stellenweisen Verdickungen des Rückenmarks (Hals- und Leifdenanschwellung) bedingt. Die weisse Rindensubstanz des Rückenmarks besteht nur aus Nerven- fasern, mit theils longitudinalem, theils transversalem Verlauf. Die longitudi- nalen Faserzüge erzeugen die gleich näher zu betrachtenden Eückenmarks- stränge; die transversalen dagegen sammeln sich zu den Wurzeln der Rückenmarksnerven. — Der graue Kern des Rückenmarks besteht, nebst grauen Nervenfasern, vorzugsweise aus multipolaren, granulirten Ganglienzellen, mit verästelten Fortsätzen, von welchen es feststeht, dass sie theils in die Fasern der Rückenmarksnerven, theils in die Fasern der Rückenraarksstränge übergehen, theils aber zur Verbindung der Zellen unter einander verwendet werden. Der Zusammenhang der Wurzeln der Rückenmarksnerven mit den Rückenmarkssträngen ist somit kein directer, sondern ein durch die Zellen des grauen Kerns vermittelter. Dieses wurde wenigstens für die vorderen Wurzeln der Rückenmarksnerven mit Bestimmtheit erkannt. — Die Frage, ob jede vordere Nervenwurzelfaser mit einer Faser der vorderen Rückenmarks- stränge correspondirt, muss verneinend beantwortet werden, denn genaue und übereinstimmende Zählungen haben nachgewiesen, dass die Menge der Fasern im Halssegment der Rückenmarksstränge dreimal kleiner ist, als die Summe der Fasern der vorderen Nervenwurzeln. Die Fasern der vorderen Wurzeln der Rückenmarksnerven mussten also durch die Zellen der grauen Substanz gruppen- weise zusammengefasst, und die Verbindung dieser Gruppen mit dem Gehirne gemeinschaftlichen Leitungswegen übertragen worden sein. — Wir wissen ferner mit Bestimmtheit, dass die Fasern der vorderen motorischen Wurzeln der Rückenmarksnerven aus den Ganglienzellen der vorderen Hörner des grauen Kerns, die Fasern der hinteren sensitiven Wurzeln der Rückenmarks- nerven dagegen aus den Ganglienzellen der hinteren Hörner ihren Ursprung ableiten. Beide Arten von Ganglienzellen sind in ihrem Habitus sehr ver- schieden. Die Ganglienzellen der vorderen Hörner sind gross, unregelmässig an Gestalt, mit zahlreichen Fortsätzen, und einem Kern (ohne Kernkörperchen), welcher sich durch Karmin viel stärker färbt, als der Zelleninhalt, während die Zellen der hinteren Hörner kleiner sind, zugleich aiich rundlicher, und einen Kern enthalten, welcher durch Karmin sich viel weniger färbt, als der Zelleninhalt. Mau hat es erst in neuester Zeit erkannt, dass auch das Bindegewebe ein berücksichtigenswerthes Constituens des Rückenmarks abgiebt. Bindegewebige Fortsätze der Pia mater nämlich, welche in das Innere der Rückenmarks- masse eingehen, bilden eine Art von Gerüste, für die Einlagerung der faserigen und zelligen Elemente des Rückenmarks. In der grauen Substanz des Rücken- marks wurde dieses Gerüste mit Sicherheit constatirt, ja man ist selbst geneigt, die Suhstantia gelatinosa ganz und gar für hyalines Bindegewebe anzusehen. 924 S. 3f>l. Einiges Obpr Structur und Zusamraenliang des Gehirns und Rackenmarks. §. 3f)l. Einiges über Structur und Zusammenhang des Grelnrns und Rückenmarks. Was in (ItMi voraiisi^egangenon Paragraplien g-esagt Aviirdt», ]>e- trifft nur die Lage. Gestalt, und die Art des NeLcncinandj'rseins der einzelnen (Vliirnorgane. Ilir innerer Zusanimcnliang unter sich und mit dem Kückeninark, ist der Gegenstand einer besonderen Untersucluing- eigens liiezn vorbereiteter und in Clironisäure gehär- teter Gehirne. Die schönsten nnd lehrreichsten (üehirnpräparate dieser Art hat Professor Hetz in Kiew, nach einer von ihm erfun- denen Metho(lc l»(M-('itet. Icli lialx' Gelegenheit gehabt, sie auf der Wiener Weltausstellung zu bewundern. Die Ergebnisse der Untersuchung gehärteter Hirnschnitte .sind jediich noch nicht so weit gediehen, um Anspruch auf Vollkommen- heit machen zu können, und es dürfte, wenn es je geschehen sollte, einer späten Zukunft vorbehalten sein, diese Lücke der anatomischen Wissenschaft auszufüllen. Die bi.sherigeu Versuche, den Gehirnorg;anismus unter einem einheitlichen Gesichtspunkte aufzufassen, waren auf Verfolgung der Markfasern vom Kückenmark zum Gehirn, und ihre Beziehungen zu der grauen Substanz gerichtet. Einen gedrängten Ueberblick dessen, was mau bereits in dieser Richtung gewonnen, enthält i'o\- gende Schilderung. 1. Die graue Substanz des (xehirus und Kückeumarks enthält bei weitem mehr Ganglienzellen als Nervenfasern, und erzeugt des- hall» für sich allein keine gefaserten Bündel oder Stränge. Sie setzt sich vom Kückenmark, dessen grauen Kern sie bildet, längs des Bodens der vierten unil dritten Kammer durch den grauen Hügel bis in den Trichter fort. Andererseits erscheint sie sowohl als eon- tinuirliche Belegungsmasse der Winrlungen des grossen und kleinen Gehirns, wie auch in Form von selbstständigeu, grösseren oder kleineren Klumpen grauer Masse, welche theils Markfasern des Gehirns und des Rückenmarks zugeführt erhalten, theils neue Faser- züge an sich entstehen lassen, welche sich an dem Aufl>au des Gehirnorgauismus und an der J^rzeugung der Wurzeln der Gehirn- und Rückenmarksuerven betheiligen. Solche selbstständige graue Massen im Gros.shiru und im verlängerten Marke sind: die grauen Kerne der Oliven, der Hemisphären des kleinen Gehirns, der Vier-, Seh- und Streifeuhügel, die graue Einschaltuugsmasse der Varols- brücke, das Tuberculum einereum der Corpora restiformia, die grauen Trsprungskerne mehrerer Hirnuerven im Boden der vierten Gehirn- kammer, im Boden des AquaeJiuius Siflvli, der Liusenkern, die A ormauer, die Mandel des grossen Gehirns, u. a. m. Die Ganglien- §. 851. Einiges über Structur und Zusammenhang des Gehirns nnd Rückenmarks. 925 Zellen dieser grauen Kerne stimmen durch ihre Grösse, ihre unregel- mässige Gestalt und ihre zahlreichen Fortsätze, mit den Ganglien- zellen in den vorderen Hörnern der grauen Kernstränge des Rücken- marks überein. 2. Die drei weissen paarigen Stränge des Rückenmarks gehen in die drei Stränge der Medulla ohlongata über, welche früher als Pyramidenstränge, Olivensträuge und Corpora restiformia angeführt wurden. Der Uebergang vollzieht sich aber mit einer bemerkens- werthen Umordnnng der Fasern, so zwar, dass die Seitensträoge des Rückenm-arks in die Pyramiden, die vorderen Stränge in die Oliven, und die hinteren in die Corpora restiformia sich umwandeln. Die Pyramiden verlängern sich sodann in die Peduncidi cerehri, die Oliven gehen in die Vierhügel über, und die Corpora restiformia streben, als Peduncidi cerehelli, dem kleinen Gehirn zu. Genauer betrachtet, ereignet sich hiebei Folgendes. Nicht die Gesammtheit der Fasern der hinteren Rückenmarksstränge geht in die Corpora restiformia über. Ein Theil dieser Fasern begiebt sich auch zur Haube. Der Seitenstrang zerlegt sich in drei Bündel. Das hintere hilft das Corpus restiforine erzeugen; das mittlere wird zum runden Strang der Rauteugrube, welcher zugleich mit den Crura cerehelli ad Corpora quadrigemina die Grundlage der Haube bildet; — das vor- dere wird zur Pyramide. Da nun der vordere Rückenmarksstrang zur Olive wird, und diese zum Yierhügel geht, welcher hinter und über dem Pedunculus cerebri und der Haube liegt, so müssen die vorderen Rückeumarkssträuge, in ihrem Aufsteigen zum Vierhügel, den runden Strang und die Pyramide ihrer Seite schlingenförmig umfassen, wodurch die Schleife, Lemniscus, gegeben ist. 3. Die soeben angeführten Faserzüge bilden den Stamm des grossen und kleinen Gehirns. Er besteht für das Grosshirn aus Pedunctdus cerebri und Haube, für das Kleinhirn aus dem Pedunculus cerebelli. Die grauen Massen, in welche sich der Hirnstamm ein- senkt, werden als Stammganglien bezeichnet. Sie sind bereits in 1. dieses Paragraphen genannt. 4. Aus den Stammganglieu gehen wieder massenhafte Faser- züge hervor, welche, anfangs in dickere Bündel zusammengefasst, dann in verschiedener Richtung auseinanderstrahlend, zur Rinde des Gross- und Kleinhirns aufsteigen und Stabkranz, Corona radiata, benannt werden. Die Fasern der Corona radiata stehen mit Aesten der Ganglienzellen der Rindensubstanz in Zusammenhang. 5. Die .Radiationen des Stabkrauzes werden aber zugleich • ... durch Faserzüge durchsetzt und umfasst, welche theils die Hemi- sphären unter einander, theils das Kleinhirn mit dem Grosshirn, theils einzelne Stammganglien gegenseitig verbinden. Sie heissen: [)^C) ?■ ilfil- Einiges ObiT Struitur und Zu«ammeiih.ii'g di's Ooliirns und KOrkenmarVs. Coiinii i.s.surcii. Die ( \)iniiii>Miri'ii zwiscIuMi den Ileiiüspliären des (Irostihirns sind: Das Corjjuä caltodutn niul tue i 'oiinni.^äiirn miterior \uu\ poiiti'rior der dritten Kammer. Die C'oimnissiiren der Kleinliirn- lieiiiis|diäreu sind: der Pons Varoli nud der Wurm, — die Com- niissuren zwiselieu Gross- niid Kleinliirn sind: die Crura cerehelli ttii i-orpora tjitudrioeinina, — zwischen Yierliügel, Ilaulie nnd Seh- liiigel: das Bracliiuin anticum nnd poslkum des Vierlinj;els. Das Brachium aiiticmn verbindet den Vierliügel mit dem Scldnigel, das posticuni mit der Haube. - Die i'rtira ccrchelU ad corpova quadri- gcmina zeij^en nocli die auffallende Einriclituni^-, dass sie sieh nicht «ranz an die runden Strän<»:e anschliesseu, sondern ein unteres Bündel derselben sich nnter den runden Sträng-en mit dem der anderen Seite im Bogen vereinigt, -wodurch die sogenannte hufeisenförmige Commissur entsteht. Ans dieser treten dann die vom rechten Crus cerehelli stammenden Fasern zur linken Haube, und umgekehrt, so dass die hufeisenförmige Commissur eigentlich eine Kreuzung der unteren Bündel der ('rura eerchelli darstellt. — Stabkrauz, Commis- snren nnd Ixindenwindungen (Gyri) Averden als Ilirnmantel dem Hirnstamme (3.) gegenüber gestellt. G. Von der grössteu Commissur — dem Jialkeu — lassen sich P^aserzüge weit in das Marklager der Grosshiruhemisphären verfolgen. Sil z. B. werden jene, -welciie als Strahlungen des Spleniutn corporis calloöi beiderseits in die Hinterla})|)en der Hemisj)liären eintreten, ihrer gegen einander gerichteten concaven Krümmungsseiten wegen, hintere Zange (Forceps posterior) genannt. Ein anderer Theil der Balkenstrahlung, welcher die Decke des hinteren und unteren Hornes der Seitenkammer bilden hilft, ist die Tapete, und die seitlichen Ausstrahlungen des Balkenkniees in die Vorderla])pen des Grossliirus werden, eines äimliclien Verhaltens ■wegen, wie wir es au den Strah- lungen des S})lenium erwähnt haben, als vordere Zange (Forceps anterior) aufgefü hrt. 7. Die äussere Oberiläche der Gyri und die innere Oberfläche der Wände der Ilirnkammern vird mit einer äusserst dünnen Lage weissgelblicher Substanz überzogen, welche an der Oberfläche des Gehirns die graue Rindensubstanz durchscheinen lässt, und deshalb sich lange der Beobaclitung entzog. In den Kammern bildet diese Lage J^'altungen, Avelche wie Streifen oder Schnüre aussehen, und als sogenanntes Chordensystem der Gegenstand einer ausfidir- lichen Untersuchung wurden, deren sich grösstentheils auf den Fundort derselben beziehende Resultate in Be^'gmanu's Unter- suchungen über die innere Organisation des (jehirns, Hannover, 1831, niedergelegt wurden. Die Wandelbarkeit dieser Chorden, ihr wahrscheinlich durcli den Collapsus des Gehirns im Cadaver §. 352. Erstes Paar. 927 mitunter bedingter Ursprung", und der durcli sie In die Gelilrn- anatomie eingeführte Wust von neuen Namen, lässt sie hier füglich übergehen. Dieses Wenige mag dem Anfänger genügen, welcher gewöhnlich schon mit der Nomenclatur der Hirntheile sich zufrieden giebt. Will er in einem so dunklen, aber anregungsvollen Gebiet sich weiter umsehen, als der enge Horizont dieses Schulbuches gestattet, findet er in den in der Literatur an- gegebenen Werken Stoff genug für die Befriedigung seiner Wissbegierde. Am verständlichsten, zugleich sehr bündig, und durch sehr einfache, aber sehr gute Abbildungen erläutert, finde ich diesen Gegenstand behandelt in Dursy's Lehrbuch der Anatomie, pag. 310—361. B. Peripherischer Theil des animalen Nervensystems. TsTerven. I. G e h i r n n e r V e n, §. 352. Erstes Paar. Die zAvölf Apostel der Gehirnnerven ') beginnen mit dem Riech- oder Geruchsnerv, Nervus olfactorms. Er entspringt, nach altem Styl, am inneren Ende der Fossa Sylvii aus der Caruncula mammillaris s. Trlgonum olfactorium, als ein anfangs breiter, aus drei convergenten Wurzelsträngen (deren mittlerer grau ist) gebildeter, dann sich dreikantig verschmälernder Streifen (Tractus olfactorius), welcher so weich ist, dass er bei der Herausnahme des Gehirns gewöhnlich von selbst entzwei geht, und nicht mit Scheere oder Messer getrennt werden muss, wie die übrigen Gehirnnerven. Der Ursprung seiner Wurzeln im Gehirn wird im Streifenhügel und in der vorderen Commissur angenommen. Der Eiechnerv verläuft in einer Furche der unteren Fläche des Vorderlappens des grossen Gehirns nach vorn, und schwillt auf der Lamina cribrosa des Siebbeins zu einem länglich -runden, flachen, ') Auf hartmäuligem Pegasus wurden von mir folgende lateinische Gedäcbtniss- verse über die Succession der zwölf Gehirnnerven geschmiedet: Nervorum capitis ducit olfactorius agmen; Succedit cernens, oculosque movens, patiensqu.e, Trifidus, abducens, facialis, acusticus, inde Glossopharyngeus, deinceps vagics atque recurrens, Bis seni ut flaut, hypoglosso clauditur agmen. Die alte Anatomie,' welche nur sieben Nervenpaare, als Syzygia oder Conjugationes zählte, half ihrem Gedächtniss mit folgenden zwei Hexametern aus: Optica prima, — oculos movet altera, — tertia gustat Quartaque, — quinta audit, — vaga, sexta est, — septima linguae. Lex. Blancardi, Edit. Kühn. 028 fi ^52. Erstes Taar. s>raiien Kolben (Riechkolhen, Bulbus olfadorius) an. Ton der unteren Fläche dieses Kolbens ij^elien zwei Reihen dünner und weicher Fäden ab, welche, mit scheidenarti^en Fortsätzen der harten Hirrdiaut nni- liiillt, diircli die LTtcher der /.inuimi rr/hrosa in die Nasenhöhle treten. Hier liilden sie Netze, welclie an der Nasenscheidewand und an der inneren Fh'iche der beiden Sii'l)l)einMiuscheln , sich nach abwärts erstre(d Marksid)stanz des (rehirns, und die (Jann'lienzellen des Riechkolbens gleichen jenen der grauen Hirnsubstanz. Es wäre somit der Tractus olfactoriuts und sein Bulbus eigentlich nur ein vorgeschobener Po.sten des Gehirns. Die Bedeutung wahrer Nerven kommt erst den Nasenästen des Riechkolbens zu, welche aber aus- schliesslich graue (gelatinöse) Fasern enthalten. An den Durclisclinitten in Weingeist gehärteter Rieehkullioii (rifi't man sehr hiiuHg eine kloine Höhle an, als Ueberrest der embryonalen rölirenf'örmigen Bildung des Rieehnerven, als Ausstülpung der vorderen Gehirnblase. Bei vielen Säugethieren kommt sie regelmässig vor. Der Nervus ol/actorius gilt für den einzigen Vermittler der Geruchs- emptindungen. Die Nasenäste des fünften Paares sind für Gerüche unempfäng- lich, und erregen nur besondere Arten von Tastgefühlen, wie Jucken, Kitzel. Beisscn, Stechen, u. s. w. Zerstörung des Nervus olfactorius, Atrophie, Com- pression durch Geschwülste, vernichtet den Geruchssinn, während die Nasen- schleimhaut für Reize anderer Art noch empfindlich bleibt. Magendie's An- gaben, dass die Nasenäste des fünften Paares, nach Durchschneidung des Olfactorius bei Hunden und Kaninchen, noch den Geruch vermitteln, lassen sich gründlich widerlegen. Wenn die Thiere. deren Riechnerven durchgeschnitten wurden, auf Amnioniakdärapfe durch Schnauben und Niesen rcagirten, so wirkten diese Dämpfe gewiss nicht als Riechstoffe, sondern als chemische Reize, für welche die Nasenäste des fünften Paares eben so gut empfänglich sind, wie die Tastnerven der Haut, welche auf Einreibung von Aetzammoniak durch prickelnde und stechende Gefühle reagiren. Solche Gefühle, in der Nase erregt, führen nothwendig zur Reflexbewegung des Niesens. Der Nervus olfactorius wurde erst im Jahre 1536, durch Nico laus Massa, unter die Gehirnnerven aufgenommen, und als erstes Paar derselben anerkannt. Vor Massa glaubte man allgemein, dass der Tractus olfactorius auf der Siebplatte als Kolben endige, und keine Aestc in die Nasenhöhle ab- sende. Die Löcher der Siebplatte sollten nur dazu dienen, die Gerüche aus der Nasenhöhle in das Gehirn selbst aufsteigen zu lassen. §. 353. Zweites Paar. 929 Sehr genaue Zusammenstellungen aller Ansichten über den centralen Ursprung des Riechnerven enthält Pressat's Dissertation: Sur un cas d'absence du nerf olfactif. Paris, 1837. Ueher die periphere Endigung des Eiechnerven siehe £. Oehl, Sulla terminazione apparente del nervo olfattorio. Milano, 1857, §. 353. Zweites Paar. Das zweite Paar, der Sehnerv, Ä^ervus opticus, entspringt aus dem Thalamus opticus, dem Corpus quaclrigeminum und geniculatum e.vternum, und nach Stilling auch aus einem grauen Kern im Pedunculus cerehri (Nucleus amygclalinus) , schlingt sich als ein platter, bandartiger und weicher Streif (Tractus opticus) um den Hirn- schenkel von aussen nach unten und innen herum, und nähert sich dem der anderen Seite so sehr, dass beide vor dem grauen Hügel zusammenstosseu, und durch Decussation ihrer Fäden die Seh- nerveukreuzung, Chiasma, bilden (§. 346, h). Yon dieser aus werden beide Sehnerven als rundliche Stränge divergent, treten durch das entsprechende Forameii opticwn des Keilbeins in die Augenhöhle, und gelangen durch das Fettlager, Avelches den pyrami- dalen Raum zwischen den geraden Augenmuskeln ausfüllt, zum Bulbus, dessen Sclerotica und Choroidea sie durchbohren, um sich zur Faserschicht der Netzhaut zu entfalten. Das durch die Augen- höhle ziehende Stück des Nerven ist etwas nach aussen gebogen, und besitzt unter allen Nerven das dickste Neurilemm, Avelches von der harten Hirnhaut stammt, und in die Sclerotica übergeht. Das fibröse Neurilemm des Sehnerven wird von einem äusserst dünn- wandigen Lymphraum f Sinus perivaginalis, besser circumvaginalisj umgeben, welcher nach vorn zu, mit der Tcnon'schen Kapsel (§. 219) zusammenhängt, nach hinten aber blind endigt. Ausser der fibrösen Scheide besitzt der Sehnerv noch eine zweite, sehr zarte, innerhalb der fibrösen Scheide vorfindliche Vagina', welche als eine Continuation der Pia mater verstanden wird. Sie hängt mit dem Mark des Nerven sehr fest zusammen. Zwischen beiden Scheiden existirt ein Lymphraum, Sinus intervaginalis, welcher theils durch feinste Spalt- öff"nungeu im fibrösen Neurilemm des Sehnerven, mit dem Sinus circum- vaginalis, theils mit den im Innern des Auges befindlichen Lymphräumen und Lymphbahnen im Verkehr steht. Er hängt mit dem Subarachnoidealraum des Gehirns, durch das Foramen opticum hindurch, zusammen. Der Sehnerv enthält in seiner Axe die Arteria centralis retinae, welche, nahe am Foramen opticum, in ihn eindringt, und mit ihm zur Netzhaut geht. — Ob alle Fasern der Sehnerven sich im Chiasma vollständig kreuzen, oder nur eine theilweise Kreuzung ( SemidecussatioJ stattfindet, bildet noch immer den Gegenstand einer Controverse. Pathologische Befunde sprechen für die Semidecussation, während die meisten Mikroskopiker sich für eine vollständige Kreuzung aussprechen. — Der Sehnerv reagirt, als specifischer Sinnesnerv, nur durch Licht- und Farbenempfindung auf Eeize aller Art, welche ihn treffen. Er ist kein Leiter für Empfindungen anderer Art. J. Müller, Vergleichende Physiologie des Gesichtssinnes. Leipzig, 1826. — B. Beck, Ueber die Verbindungen des Sehnerven mit dem Augen- und- Hyrtl, Lehrbueh der Anatomie. 20. Aufl. ö" 930 *• 3^*- Drittes, riertea und sechstes Paar. Nasenknoten. Hcidolb., 1847. — J. Wamer, Ueber den Ursprung der Sehnerven- fasern. Dorpat, 1862. — Die guten Wiener werden sich freuen, dass schon im Jahre lfi76, in Wien, wo bis zu dieser Zeit kein einziges anatomisches Opus gedruckt wurde, ein Werk, in Folio, über den Sehnerv, von Zacharias Traber veröffentlicht wurde, welches, anno 1600, eine zweite Auflage erlebte. Der dünne Foliant enthält aber leider nichts, was nicht schon in Const. Varolius, De nervis opt. Patav., 151.1, zu finden ist. §. 354. Drittes, viertes und sechstes Paar. Diese drei Paare versorgen die in der Aiigeiiliölile l)efindliclien Bewegiinj^sorgane des Aiig-aptels und des obereu Augenlids, wie auch die Binnenniuskeln des Auges. Ich behandle sie, der Gleichheit ihrer Bestimmung wegen, unter Einem. Das vierte Paar innervirt von den sieben Muskeln in der Orbita nur den Ohliqims siiperior, das sechste nur den 3Iusei versorgt weiden, haben ausgesprochene Tendenz zur Mitbewegung, d. h., sie wirken immer in beiden Augen zugleich. — Die Verengerung der Pupille hängt von den mo- torischen Fäden ab, welche der Nervus oculomotorius zum Ganglion ciliare schickt, und welche in der Bahn der Nervi ciliares zum Sphincter pupillae und zum Musculus ciliaris (Tensor choroideaej treten. Deshalb hat Durch- schneidung oder Lähmung des Oculomotorius. Erweiterung der Pupille zur Folge. Richtet man das Auge nach innen und oben (durch den vom unteren Zweige des Nervus oculomotorius innervirten Miisculits obliquus inferior), so verengert sich die Pupille. Die Erweiterung der Pupille dagegen, steht unter dem Einfluss des Syrapathicus. §. 355. Fünftes Paar. Erster Ast desselben. Das fünfte Paar, der dreii^etlieilte Nerv, Ncwus tr'Kjeiainus, übertrifft alle anderen Hirnnerven an Stärke. Er entspringt, wie ein Eückenniarksnerv, mit zwei getrennten Wurzeln. Die hintere, stärkere, aus nahe hundert Fadenbündeln bestehende Wurzel taucht aus einer Furche der vorderen Fläche des Crus cerehelU ad poiitem auf. Sie ist sensitiv. Ihre Fasern lassen sich bis in die hinteren Stränge des Rückenmarks verfolgen. Die vordere, viel schwächere Wurzel wird von der hinteren bedeckt, stammt aus einem grauen Nucleus, welcher im vorderen Theile des Bodens der vierten Ge- hirnkammer liegt, und tritt zwischen den vorderen Querfasern des Pons VaroU hervor. Sie ist rein motorisch. Beide Wurzeln legen sich an einander, werden durch die von der Spitze der Felsenbein- l)yramide zur Sattellehne ausgespannte Fortsetzung des Gezeltrandes überbrückt, imd gelangen in einen von der Dura nuiter gebildeten, unfl über dem inneren Ende der oberen Fläche der Felsenpyramide gelegenen Hohlraum (Cavum Meckelii). In diesem Räume erzeugt die hintere Wurzel, durch Spaltung und Verstrickung ihrer Faser- bündel, ein Geflecht, dessen Zwischenräume Ganglienzellen ein- nehmen, so dass ein wahrer halbmondförmiger Knoten — Gamilion Oasseri s. semilunare — entsteht, an dessen Bildung die vordere AVurzel keinen evidenten Antheil hat. Aus dem nach vorn, unten und aussen gekehrten convexen Rande des Gaivjlion Gasseri treten die drei bandartig flachen Aeste des Quintus hervor, welche ihrei- Verästlungsbezirke wegen, Ramus ophthalinicus, Rtonus nupra- und mframawillarls genannt werden. Der erste Ast des Qnintus ist sensitiv, und der schwächste von den dreien. Er läuft, anfangs in die obere äussere Wand des Sinv^ cavernosus eingewachsen, nach vorn, nimmt Fäden aus dem die Carotis interna umgebenden, sympathischpn Nervengeflechte auf, anastomosirt mit dem Nervus trochlearis, und sendet den feinen Nervus recurrens Arnoldi nach rückwärts zum Tentorium cerebelli. §. 355. Fünftes Paar. Erster Ast desselben. 93B Dann gelit er diircli die Fissura orhitalis superipr in die Augen- höhle, wo seine, schon vor dem Eintritte in diese Höhle sich isoli- renden drei Zweige, zu ihren verschiedenen Territorien auseinander treten. Diese Zweige sind: a) Der Thränennerv, Nervus lacrimalis. Er geht am oberen Rande des Rectus eocternus zur Thränendrüse, verbindet sieh gewöhnlich durch einen Nebenast mit dem Jochwangennerv, und versorgt die Glandula lacrymalis, die Conjimctiva, und die Haut in der Umgebung des äusseren Augenwinkels. Unter seinem Einfluss steht die Thräneiiabsonderung. Da nun alle be- kannten Secretionsnerven motorischer Art sind, der Ramus primus trigemini aber, aus welchem der Nervus lacrymalis stammt, sensitiv ist, so kann der Nervus lacrymalis nur durch die Anastomose, welche der erste Ast des Quintus mit dem motorischen Nervus trochlearis eingeht, motorische Fasern zugeführt erhalten. Daraus erklärt es sich auch, warum der Nervus trochlearis nur dann einen Ast zur Thränendrüse schickt, wenn die Anastomose des ersten Quintus- astes mit dem Trochlearis fehlt oder schwach ist (§. 354). b) Der Stirnnerv, Nervus frontalis. Er liegt gleich unter dem Dache der Orbita, und theilt sich, halbwegs zwischen Foramen opticum und 3Iargo supraorhitalis, in zwei Aeste: a) Der Nervus supratrochlearis läuft über dem Musculus trochlearis nach innen und vorn, geht mit dem Nervus infratrochlearis eine Verbindung ein, und verlässt über der Rolle die Augenhöhle, um die Haut des oberen Augenlids und die Stirne zu versehen. ß) Der Nervus supraorhitalis, die unmittelbare Fortsetzung des N'ervus fron- talis, begiebt sich, gewöhnlich in zwei Zweige getheilt, durch die Incisura supraorhitalis zur Stirne, um in der Haut derselben bis zum Scheitel hin- auf sich zu verbreiten. Das obere Augenlid und dessen Bindehaut erhält von ihm seine Nervi palpehrales superiores. Der Nervus supraorhitalis soll noch überdies in der Incisura supraorhitalis einen feinsten Zweig zur Auskleidungsmembran des Sinus frontalis senden. Die sensitiven Binde- hautzweigchen dieses Nerven (sowie jene des Nervus naso-ciUaris und infraorbitalisj lösen das, durch Eeizung des Auges hervorzurufende Blinzen der Augenlider, als Eeflexbewegung aus. Ist die Incisura supraorhitalis zu unbedeutend, um den Nervus supra- orhitalis aufnehmen zu können, so geht nur ein Zweig des Nerven durch die Incisur, — der andere Zweig aber schwingt sich einfach um das innere Ende des 3fargo supraorhitalis zur Stirn empor. Ist ein Foramen supraorbitale statt der Incisur vorhanden, so tritt der Nerv nicht durch das Loch, sondern über den Margo supraorhitalis weg zur Stirn. So sehe ich es wenigstens an den Präparaten dieses Nerven, welche ich verglichen habe. c) Der Nasen-Augennerv, Nervus naso-ciliaris, liegt anfangs neben der Arteria ophthalmica an der äusseren Seite des Seh- nerven, also tiefer als die beiden vorhergegangenen Zweige a und h, tritt mit dem Abducens durch den gespaltenen Ursprung des Musculus rectus eocternus hindurch, giebt hierauf die lange Wurzel des Ciliarknotens ab (Radix longa s. sensitiva ganglii ()^^ 8. 5M1. Zwcilor Asf «loa ftlnften Paaren. rillarh, §. 3G0). sclilägt sich ül»or diMi IVi^rvus optirus nach iniuMi, scluckt l)ior nncli einen bis zwei CMliarnerven ab, nnd theilt sich zwischen Ohliquas superior nnd Jxrclits Jnlernus in den Ä^i'rrus eth)uoi(hiIi.'^ und mfratrorhleavis. a) Der Nerinis i'thmoidolis (h-ingt durch das Fovameti ethmoidale anterms in die SchiidoUiölilo, und von da gleich wieder durch das vorderste Loch dir Lumina cribrosa in die Nasenhidile. Hier giebt er einen Ra- imis .lepti narhuii zum vorderen unteren Abschnitt der senkrechten Nasi-nsclieidewand, lagert sich sodann in einer Furche an der inneren Fläche des Nasenbeins ein, entsendet daselbst zwei bis drei Fäden zum vorderen Bezirk der äusseren Nasenhöhlenwand, und gelangt schliesslich zwischen dem Nasenbein und der Cartilago trianguJaris nasi zur Haut der äusseren Nase. — Reizung der Nasalverästlungen dieses Nerven er- zeugt die Reflexbewegung des Niesens. Luschka entdeckte einen sehr feinen und constanten Ast des Aervus naso-ciliaris — den Nervus spheno-ethmoidalis, — welcher durch das Foramen ethmnidah posterius in die Schädelhöhle, und von da, unter dem vorderen Rande der oberen Fläche des Keilbeinkörpers, in den Sinus sphenoidalis und in eine hintere Siebbeinzelle gelangt, wo er sich in der Schleimhaut dieser Cavitäten auflöst, f Müller s Archiv. ■1857.) Per zarte Nerv hat die Feuerprobe des Mikroskops bestanden. ß) Der Nervus infratrochlenris geht an der inneren Augenhöhlenwand, mit dem Nervus supratrocklearis anastomosirend, zur Rolle. Er verlässt, unter dieser hervorkommend, die Augenhöhle über dem Ligamentum, palpehrale internum, und verliert sich in der Haut der Nasenwurzel, im oberen Augenlid, und in der Glabella. Thränensack. Thränenkarunkel. Bindehaut, werden von ihm noch vor seinem Austritte aus der Orbita versehen. §. 3r)ß. Zweiter Ast des fünften Paares. Der zweite Ast i\es (^iiintus, Bauins suprama.viUaris, sensitiv wie dfM- erste, verhisst die Scliädelliülde durch das Forarnen rotun- dioii des Keilbein.s, durchsetzt die Flügelgaumengrube in der Rich- tung- zur Fi.s-sio'a orhifalls inferior hin, und entlässt während dieses Laufes folgende Aeste: a) Den Nervus z}/ifomaficnf> ff. suhcntaneus malae, Jochwangen- nerv. Diinn und weii-li. tritt er durch die Fissura orhitalis inferior in die Augenhtdile, und tlieilt sich alsbald in zwei Zweige, welche als J^tnnus temporalis und malaris unterschieden werden. Der Ramvs temporalis anastomosirt mit dem Thränennerv, und zieht an der äusseren AVand der Orbita nach vorn, um durch einen Kanal des Joch- beins fCanalls zygomaticus temporalisj in die Schläfegrube überzutreten, in welcher er sich nach vor- und aufwärts richtet, um am vorderen Rande des Schläfemuskels, einen Zoll über dem Jochbogen, die Fascia temporalis zu durchbrechen, und in der Haut der Schläfe sich zu verbreiten. Der Ramus malaris, näher an dem Boden der Augenhöhle nach vorn ziehend, gelangt durch den C'analis zygomaticus focialis zur Haut der Wangengegend. i. 858. Zweiter Ast des fünften Paares. 935 b) Den Nervus alveolaris svperior, oberer hinterer Zahnnerv. Er zieht am Tuher maxillare herab, nnd theilt sich in zwei Zweige. Der erste durchbohrt den Ursprung der oberen Por- tion des Buccinator, und geht zur Mundhöhlenschleimhaut und zum Zahnfleisch des Oberkiefers. Der zweite tritt durch ein Foramen maxillare superius in den oberen Alveolarkanal ein, als Nervus dentalis swperior posterior, und läuft bogenförmig nach Yorn, um theils die Schleimhaut der Highmorshöhle und die Pulpa der Mahlzähne zu versorgen, theils mit dem gleich anzuführenden, vom Nervus infraorUtalis entstehenden Nervus dentalis superior anterior schlingenförmig sich zu verbinden. c) Die Nervi pterygo-palatini s. spheno-palatini , Keilgaumen- nerven, zwei kurze Nerven, welche zu dem in der Tiefe der Fossa pterygo-palatina gelegenen Flügelgaumenknoten (Ganglion pterygo- s. spheno-palatinum, §. 361) treten. d) Den Nervus infraorhitalis. Er ist die eigentliche Fortsetzung des zweiten Quintnsastes, und gelangt durch den Canalis infra- orhitalis zum Antlitz, wo er, bedeckt vom Levator lahii supe- rioris, in eine Menge strahlig divergirender Aeste zerfährt, welche häufig mit einander und mit den Endästen des Com- municans faciei anastomosiren, und dadurch den sogenannten kleinen Gränsefuss bilden (Pes anserinus minor). Die Haut und die Bindehaut des unteren Augenlids, der Wange, der Nase, und der Oberlippe wird von seinen Zweigen versorgt. Wäh- rend des Laufes durch den Ganalis infraorhitalis giebt er den Nervus dentalis superior anterior ab, welcher in der Gesichts- wand des Oberkiefers, später in einer Furche an der inneren, die Highmorshöhle begrenzenden Fläche des Knochens herab- steigt und mit dem Nervus dentalis superior posterior (h) eine Schlinge (Ä'nsa supramaxillay^is) bildet, welche sich in einem nach unten convexen Bogen längs des Bodens der Highmors- höhle, vom Eckzahn bis zum Weisheitszahn erstreckt. Die aus dem convexen Rande der Schlinge hervorgehenden Aestchen bilden den Plexus dentalis. Dieser Plexus schickt seine grösse- ren Zweige zu den Wurzelkanälen der Mahl- und Backen- zähne, seine feineren Zweige aber in die schwammige Knochen- masse zwischen den Zahnwurzeln, von welcher sie in das Zahnfleisch übertreten. Einen halben Zoll über der Wurzel des Augenzahns bilden einige vom Nervus dentalis superior anterior abgegebene Zweigchen, durch Anastomose mit einem Faden des Nervus nasalis posterior medius, welcher die seitliche Nasenwand nach aussen durchbohrt, einen platten, eine Linie breiten und rundlichen Knoten, Ganglion Bochdalekii s. swpramaxillare (oft nur ein Ge- flecht), welcher in einer kleinen Höhle der vorderen Wand der Highmorshöhle (IfJO §. sr.:. ririll."!- Ast de? fOnft.-n Paares. eingeschlossen ist, und mit den Zwiigclien dis J*lt\vus denfalls in Verbindung steht. Die Solineidezähne, der Eckzahn, das Zahnfleisch, und die vorderste Partie des liarten (launiens, bozielien aus ihm ilire Nerven. Zuweihn tritt zwischen dem Xervuf denttin.< siiperlor anterior und postfrior nodi ein tned!u.'< auf, welcher sich gleichfalls an der Bildung des Plexus dentiilis hetheiligt. — Auch der zweite Ast des Quintus sendet noch in der Schädelhöhle einen Ritmus recurrens zur harten Hirnhaut, welcher den Stamm, oder den vorderen Ast der Arteria meninaea medi Quintus, liaiiius iitfrdma.rinarit,; wird durch eine Sununo von Fasoru, welche aus dem Ganylton (Jdsseri stanimeii, und durcli die «i'anze vordere motorische Wurzel des Quin- tus, welche an der inncu'en Seite {{i')^ Ganglion tangirend vorl)eizieht, zusammengesetzt. Beide mischen sich alshald zu einem kurzen, plat- ten, grobgeflochtenen Nervenstamm. Dieser tritt durch das Foramen orale des Keilheius aus der Schädelhöhle heraus, sendet einen von Luschka als Xcrrus spinosufi beschriebenen Ast durch ^i\% Foramen spinosiim des Keilbeins zur mittleren harten Iliruhautarterie, und theilt sich, gleich uuter seinem Austrittsloclie, in zwei Gruppen von Zweigen. I. Die schwächere dieser beiden Gruppen, der Lage nach die äussere, enthält die grössere Summe der Fäden der motorischen Wurzel des (j>uintus, und erzeugt deshalb vorzugsweise nur moto- rische Aeste für die Muskulatur des Unterkiefers (mit Ausnahme des Biventer) und für den Tensor reli pahitini. Diese Aeste sind: a) Der Nervus massetericKs. Er dringt durch die Incisnra semi- lunaris zwischen Kronen- und Gelenkfortsatz des Unterkiefers von innen her in den Musculus masseter ein. Zweigchen zum Kiefergelenk. b) Die AYri'i temporales profundi, ein vorderer und hinterer, krümmen sich an der Schläfenfläche des grossen Keilbein- flügels zum Musculus tcrnporalis empor, au dessen Innenfläche sie eintreten. Der vordere stärkere ist nicht selten ein Ableger des i\>rm.* buccinato- rius (daher die von I'aletta, für beide zusammen gebrauchte Benennung, als Aervus crotaphitico-huccinatoriusj. und der hintere, schwächere, ein Zweig des Nervus inassetericus. c) Der Nervus buccinatorhis zieht zwischen Schläfen- und äusse- rem Plügelmuskel, oder letzteren durchbohrend, zum Musctdus huccinator herab. Er lässt unstreitig Fasern in diesem Muskel zurück, giebt aucli zu einigen Muskeln der Mundöffnung §. 357. Dritter Ast des fttnften Paares. 937 Zweige, verliert sich aber vorzugsweise in der Schleimliaut der Backe. d) und e) Der Nervus yterygoideus internus imd eaiermis, für die gleichnamigen Muskeln des Unterkiefers. Der internus wnä ein für den Tensor veli palatini bestimmter Zweig desselben durch- bohrt das Ganglion oticurn (§. 362). Der externus ist oft ein Ast des Nervus huccinatorius , und zuweilen auch doppelt. Der mternus entspringt in der Eegel aus der inneren Fläche des noch uugetheilten dritten Quintusastes, dicht unter dem Foramen ovale. II. Die zweite stärkere Grruppe von Zweigen des dritten Astes, der Lage nach die innere, wird vorwaltend durch die sensitiven, ans dem Ganglion Gasseri kommenden Fäden gebildet, nnd besteht ans folgenden drei Nerven: a) Der oberflächliche Schläfe nerv, Nervus temporalis super- ficialis s. auriculo-temporalis, umfasst mit seinen beiden ür- sprungswurzeln die mittlere Arterie der harten Hirnhaut, und schwingt sich hinter dem Greleukfortsatz des Unterkiefers, und von den Acini der Parotis umgeben, zur Sehläfegegend auf, wo er in zwei Eudäste zerfällt, deren hinterer den Attrahens auricidae, die Haut der concavon Fläche der Ohrmuschel, und theilweise auch jene des äusseren Gehörganges (vordere Wand) versorgt, während der vordere dicht hinter der Arteria tem- poralis superficialis liegt, und sich als Hautnerv in der Schläfe- gegend ausbreitet. Während der oberflächliche Schläfenerv von der Parotis umschlossen wird, theilt er dieser Drüse Fädchen mit, deren Einfluss auf die Speichel- secretion durch Versuche sichergestellt wurde. Er anastomosirt daselbst auch mit den Gesichtsästen des Communicans faciei durch zwei Zweige, welche aber nicht bei ihm bleiben, sondern als Secretionsnerven sich in der Parotis auf- lösen. Ein Zweigchen seines hinteren Astes fNervus memhranae tympanij dringt an der oberen Wand des Gehörganges bis zum Trommelfell vor. b) Der Zungen nerv, Nervus lingucdis, nimmt bald unter seinem Ursprünge die Chorda tympani (§. 363) unter einem spitzigen Winkel auf, und geht mit ihr vereinigt, zwischen dem Unter- kieferast und dem inneren Seitenbande des Kiefergelenkes, anfangs an der äusseren Seite des Musculus stylo-glossus, dann an jener des hyo-glossus bogenförmig nach vorn und unten. Er versorgt den Arcus pcdato-glossus, die Schleimhaut des Bodens der Mundhöhle, und schickt, während er über die Glandula submaxillaris weggeht, ein bis ZAvei Zweigchen zum Ganglion suhmaocillare und zur Glandula subungualis. Er anastomosirt mit den Aesten des Nervus hypoglossus, und spaltet sieh in acht bis zehn eigentliche Zungennerven, welche zwischen Hyo-glossus und Genio-glossus in das Fleisch der Zunge ein- 03g I. 9R9. riiyplologldolies ftVer dftf» fnnfte Nervenpasr. (Iriiiuon, dassdhp von iinttMi iiMcli <)l»on durelisptzon, und sich in den Papillen der Ziini;e, mit Ausiialime der rirciDiuHillatae lind auch vieler jUiformes, auflösen. Es ist noch immer iineut- schieden, oh der Nervus linaifalis mehr als '^Pastnerv, oder als Geschmacksuerv der Zunge angesehen werden muss. An tliMi fcinorcn IvaniificatioiiPii dos Nervtis IhumnJis koinmeii zahlreiche kleinste Ganirlien vor. An don stärkeren Aesten linden sie sich beim Menschen nicht, wohl aher heim Schafe nnd heim Kalhe. f Müllers Archiv, i8;>2.) c) Der eigentliche Unter kie fern erv, Nennte mandUndaris, liegt liinter dem Nervus lincinalis, mit welchem er durch einen oder zwei Fäden zusammenhängt, steigt an der äusseren Seite des jifiii^i'uhis j)len/(ioidi'ns {»tenius zur inneren Oeff'nung des Unterkiet'erkanals lierah, und theilt sich hier in drei theils motorische, theils sensitive Aeste: «) Aenntit mylo-hiioiihus, welcher im Geleise des Sulcits mvlo-hiioideits des Unterkiefers nach vorn zieht, und sich im Miifcidus uivlo-hiioideui^, und im vorderen Bauche des Biventer maxillae verliert. {i) Nervus alveolaris inferior, welcher mit dem gleicli zu erwähnenden Nervus mentalis in den Unterkieferkanal einzieht, und sich in diesem zu einem Geflechte auflöst, welches die Arteria alveolar/s inferior um- strickt, durch jeden Zahnwurzelkanal einen Aussendling zur Pulpa dentis gelangen lässt, und die schwammige Substanz des Zahnlücken- randes des Unterkiefers, sowie das Zalinfleisch desselben mit seinen letzten Zweigchen versorgt, y) Der Xervus mentalis trägt zur Bildung des Geflechtes im Unterkiefer- kanal bei, durch Abzweigung feiner Fädclien, deren Verlust ihn jedoch nicht sehr schwächt. Er kommt vielmehr als ein noch ganz ansehnlicher Nervenstamm durch die Kinnüffnung des Kanals heraus, um, bedeckt vom Depressor anyuli oris, in einen Fächer von Zweigen zu zerfallen, welche die Haut, Schleimliaut, und Musculatur der Unterlippe und des Kinns versorgen, und mit dem iY■., / 705. Einer der inneren Ciliarnervon wird, nach Hirzol, zur IJildung des die Arttria ophthnlmka umstrickenden sympathischen Geflechtes einbezogen, aus welchem ein sehr feiner Faden mit der Arteria centralis retinae in den Nervta* opticn.'i eindringen, und sofort zur Retina gelangen soll. Dieser von vielen Seiten angefeindete Faden kann auch aus dem Ganijlion ciliare stammen. Die mikroskopische Untersuchung desselben wies mir aber in ihm nur Bindegewebe und Hlutgefässe, aber keine Nervenelemente nach. — Da auch aus dem Nervus nnso-ciliaris freie Ciliarnerven entstehen (einer bis zwei), welche wie die aus dem Ganglion entsprungenen Ciliarncrvcn verlaufen, so nennt mau erstere Nervi ciliares lotuji, letztere breves. Ein longnti und ein brevis vereinigen sich zu einem gemeinschaftlichen, unter dem Sehnerven verlaufenden Stämmchen. — Beck sah vom Ganglion ciliare feine Aestchcn zum Rectus inferior treten. Sie waren gewiss nur Fortsetzungen der Fasern der Radix brevis s. motoria. Ct. Scliwalbe führte durch eine Fülle von Thatsachcn aus der ver- gleichenden Anatomie und aus der Entwicklungsgeschichte, den Beweis, dass das Ganglion ciliare, einem Spinalganglion homolog ist, und eigentlich dem Nervus ocidomotoriits angehört, welcher, indem er die Elemente einer dorsalen und ventralen Rückenmarksnervenwurzel in sich enthält, die Stellung eines nach dem Typus der Spinalnerven gebauten Kopfnerven einnimmt. Sieh' dessen Schrift: Das Ganglion oculomotorii, in der Jenaischen Zcitsclirift für Natur- wissenschaft. Bd. Xlir, N. F. VI. §. 361. Ganglion spheno-palatimtm. Der Keilgauinen- oder Flügelgaumenkuoten, Ganglion spheno- s. ptenfoo-palatiuKiH, s. Meckelii, s. rhinicinn ((»"'? Nase), liegt, von reichlichem Fett umhüllt, in der Tiefe der Fossa pteriffjo-pala- tina, hart ain Foramen spheno-palatimim. Er ist zwei- bis dreimal grösser, als das Ganifliou ciliari', aber bedeutend weicher, und nicht so scharf begrenzt. Er hängt mit dem zweiten Aste des fünften Paares durch zwei kurze Faden, Xerri ptenjgo- s. spheno-palatini, zusammen, welche die liadic sensitiva des Ganglion darstellen. Sein nach hinten gerichtetes, sich zuspitzendes Ende wird vorzugsweise aus grauer Ofanglienmasse gebildet, während sein vorderer breiter Theil. in welchem die Nervi pterygo-palatini eintreten, nur Spuren grauer Substanz zeigt. Die Aeste , welche von ihm abgesendet werden, sind : a) Ramidi orbitales, fein und zart, dringen durch die untere Augen- grubenspalte in die Orbita, und verlieren sich in der Periorbita. Man hat Reiserchen derselben bis in das ■Neurilemma nervi optici verfolgt (Arnold, Long et). Hieher gehören auch die zwei Nervi spheno- ethmoidales von Luschka. Beide gehen durch die Fissura orbitalis inferior zur inneren Augenhöhlenwand. Der eine gelangt durch das Foramen ethmoidale posticum, der andere durch §. 361. Ganglion spheno-palatinum. 940 die Naht zwischen Paiiierplatte des Siebbeins und Keilbeiukörpers zu den hin- tersten Siebbeinzellen und zum Sinus sphenoidalis. b) Der Nervus Vidianus, iinriclitig Viduanus. Er liegt in der nacli hintea gedachten Verlängerung des Ganglion. Man hat ihn lange für einen einfachen Nerven gehalten. Er zeigt sich jedoch bei näherer Untersuchung aus grauen und weissen Fasern zusammengesetzt, welche, jede Art für sich, ZM^ei dicht über einander liegende Bündel bilden. Beide Bündel laufen durch den Vidiankanal von vor- nach rückwärts, und trennen sich am hinteren Ende des Kanals von einander. Das graue oder untere Bündel geht zu dem, die Carotis cerebralls vor ihrem Eintritt in den Canalis caroticus umstrickenden sympathischen Geflecht, oder kommt richtiger von diesem Geflechte zum Ganglion spheno-palatinum hinan f. Er wird als Nervus petrosiis profundus benannt. Das weisse oder obere Bündel ist der Nervus petrosus superficialis major. Er durchbohrt die Faser- knorpelmasse, welche die Lücke zwischen Felsenbeinspitze und Körper des Keilbeins ausfüllt (Fibrocartilago basilaris), und gelangt dadurch in die Schädelhöhle, wo er sich in die Furche der oberen Fläche des Felsenbeins legt, und durch sie zum Hiatus canalis Fallopiae geführt wird, um sich mit dem Knie des Communicans faciei zu verbinden. So lautet die gewöhnliche anatomische Beschreibung. Nach unserem Dafür- halten dagegen besteht der Nervus petrosus superficialis major theils aus Fasern, welche vom Ganglion spheno-palatinum zum Communicans ziehen, um diesem motorischen Nerv sensitive Fasern zuzuführen, theils aus solchen, welche umgekehrt vom Communicans zum Ganglion spheno-palatinum herüberkommen, und es ermöglichen, dass die weiter unten zu erwähnenden (f) Nervi palatini descendentes, auch gewisse Gaumenmuskeln ver- sorgen können. Die Verbindung zwischen Ganglion spheno- palatinum und Communicans ist also eine Anastomosis mutua (§. 363). — Dieser Anschauung zufolge wäre der Nervus Vidianus nicht so sehr ein Ast, als vielmehr eine Wurzel des Ganglion spheno-palatinum, und zwar die vereinigte moto- rische (grössere Menge der Fasern des oberen weissen Bündels) und trophische oder sympathische (unteres graues Bündel). c) Die Rami pharyngei sind an Zahl, Stärke und Ursprung nicht immer gleich. Oft ist nur einer vorhanden, welcher von dem unteren- grauen Bündel des Nervus Vidianus abgeht. Sie begeben sich in einer Furche der unteren Fläche des Keilbeinkörpers, welche durch den Keilbeinfortsatz des Gaumenbeins zu einem Kanal geschlossen wird, nach hinten zur Schleimhaut der obersten Eachenpartie. — Der erwähnte Kanal an der unteren Fläche des Keilbeinkörpers heisst bei den Autoren: P^4 8- 36' 0,tn<>lii>n .'phint-pnlntinum. Cinuili.t yteriino-paloduus. Idi vorwiire diese IJciKiiiiuiig. ihi sie bereits an den f'anafis pnlttHiius 1) erwähnte Verbindung mit dem (Janglion des Ple.i'us dentalis superior. Die oberen gelangen durch (his Foramen spheno-palatinum in die Nasenhöhle. Der mittlere und untere begleiten die gleich zu erwähnenden Nervi palatini tfescemlentes, nnd zweigen sich, während ihres abstei- genden Verlaufes (hirch den Canalis palatimis anterior, zur mittleren und unteren Nasenmuschel von ihm ab. oralis, den Nervi temporales profundi, dem Stirn- und Thränennerven ana- stomosiren, und sich in dem Attrahens und Levator auriculae. Frontalis, dem Orhicidaris palpebrarum, und Corrugator super- eilii auflösen. b) Ba?ni zygomatici, drei bis vier, welche parallel mit der Arteria transversa faciei zur Jochbeingegend ziehen, um mit dem Nervus zygomaticus malae, lacrymalis, und infraorUtalis sich zu ver- binden, und den Muscidus zygomaticus, orbicularis, levator lahii superioris et alae nasi zu versehen. c) Zwei oder drei Bami huccales, welche mit dem Nervus infra- orhitalis und hicciiicdoriiis des fünften Nervenpaares Yerbin- dungen eingehen, und die Muskeln der Oberlippe und der Nase betheilen. 950 §. 3C4. Arlites Paar. (/) liami siihi^vfinh'i ma.rilhie w/eriorift, zwei mit dem Ä\'nn(S hucci- iiiitiirliis iiikI nii'iitiiri.< (h's t'üiil'ttMi Paares aiiastomosiremle Aeste, tiir di«» Muskeln der Unterlippe. e) Nervus suhcutatwiis colli supev'tor, welclier sich mit dein Nervus ftiihnitam'Uf« colli meiliu.'^, und aurivularis inagnus aus dem Ple.rus verricdlis verl>indet. und das PlaUisma mifoides iunervirt. |)ie AiKotoniosen des ihmniuuicims fnciei mit anderen Gesichts- nerven sind nicht l>l<»s auf seine i^nisseren Zweige besclu'änkt. Auch die zartesten Kamiiicationen seiner Aeste und Aestcheu bilden unter einander, und mit den Verästlungeu des Qiiintus. schlingeuformige Verl)induni;en. welche theils die ISIuskeln Ak^s Antlitzes, oder einzelne Bündel derselben, theils die grosseren Blutgefässe des Gesichtes, ins- liesundere die Vena facialis anterior umgreifen, und sämmtlich so liegen, dass die convexe Seite der Scldingen der Medianlinie des Gesiclites zugekelirt ist. l>er i 'ommunicans faciei ziililt zu den ri-in motorischen Nerven. Die sensiblen Füdcn, welche er enthält, werden ihm durch die Anastomosen mit dem Quiutus und Vagus zugeführt. Seine Durchschneidung im Thiere, oder seine Unthiitigkeit durch pathologische Bedingungen im Menschen, erzeugt Lähmung sämmtlicher Antlitzmuskeln — Prosopoplegie. Nur die Kaumuskeln, Welche vom dritten Aste des Quintus iunervirt werden, stellen ihre Bewe- gungen nicht ein. Da das Spiel der Gesichtsnuiskeln der Phvsiognomie einen veränderlichen Ausdruck verleiht, so wird der Communicans auch als mimi- scher Nerv des Gesichtes aufgeführt; und da die Muskeln der Nase und Mundspalte bei leidenschaftlicher Aufregung in convulsivische Bewegungen gerathen. und hei den verschiedenen Formen von Athinungsbeschwerden, in angestrengteste Tliätigkeit versetzt werden, führt er. seit Vh. Bell, den phy- siulogisch nicht ganz zu rechtfertigenden Namen: Athmungsnerv des Ge- sichtes. Dass jedoch diese Benennung nicht einzig und allein auf einem geist- reichen Irrthum beruht, können die unordentlichen, passiven, nicht mehr durch den Willen zu regulirenden Bewegungen der Nasenflügel, der Backen und Lippen, bei (jesichtslähnuingeu, Apoj)lexien. und im Todeskampf beweisen, wo diese Partien wie schlaflV T,;ippen durch den aus- und einströmenden Luftzug mechanisdi hin und her getrieben werden. — Die in einzelnen Fällen von Lähmung des Facialis vorkonuuende Reizbarkeit gegen laute Töne, erklärt sich vielleicht aus der Lähmung des vom Facialis versorgten Musculus stapedius, zufolge welcher der Steigbügel im ovalen Fenster schlottert. J. F. Merkel, Vnii einer ungewöhnlichen Erweiterung des Herzens und den Spannadern (alter Name für Nerven) des Angesichts. Berlin, 1775. — D. F. Eschricht, De functionibus septimi et quinti paris. Hafn., 1825. — G. Morganti. Anatomia del ganglio genicolato, in den Annali di Omodei, 1845. — B. Beck, Anat. Untersuchungen über das siebente und neunte Ge- hirnnervenpaar. Heidelb., 1847. — L. C'alori, Sulla corda del timpano. Mem. deUa Accad. di Bologna, t. IV. §. 364. Achtes Paar. Das achte Paar, der Gehörnerv, Nervus acusticus, entspringt aus zwei grauen Kernen, deren einer am Boden der Rautengrube, §. S64. Achtes Paar. 951 der andere im Corpus restiforme liegt. Die ürsprirngsfasera ver- einigen sich zu jenen markweissen Qiierbiindeln, welche am Boden der vierten Kammer als Chordae aatsticae angeführt wurden. Ich sah diese Chordae bei Taubstummen fehlen. Die Ursprungsfasern sammeln sich zu einem weichen, von der Arachnoidea locker um- hüllten Stamm, welcher zwischen der Flocke und dem Brückenarm nach aussen tritt, und mit einer Furche zur Aufnahme des Com- municans versehen ist, mit welchem er in den Meatus auditorius internus eintritt, und daselbst mit ihm Verbindungen eingeht. Die Verbindungszweige des Acusticus mit dem Communicans faciei sind, ein oberer und unterer. Ersterer kommt aus der Portio Wrishergii, letzterer aus dem G-anglion geniculi. Der Grehörnerv theilt sich im Grrunde des inneren Grehörganges in den Schnecken- und Vorhofsnerv. Der stärkere Schnecken- nerv, Nervus Cochleae, wendet sich zum Tractus foraminulentus, dreht seine Fasern etwas schraubenförmig zusammen, und schickt sie durch die Löcherchen des Tractus in die Kanälchen des Modiolus, und sofort in jene der spongiösen Innensubstanz der Lamina spi- ralis, wo sie nach Cor ti ein dichtes Geflecht bilden, in welchem bipolare Ganglienzellen vorkommen. Wahrscheinlich treten die Pri- mitivfasern des Schneckennerven durch diese Ganglienzellen hin- durch, und werden jenseits derselben neuerdings zu einem Geflechte vereinigt, dessen austretende Fasern in den Canalis s. Ductus cochlearis der Lamina spiralis nfiemhranacea eingehen, um mit den hier ent- haltenen terminalen Endapparaten in Verbindung zu treten (§. 237). — Bevor der Schneckennerv zum Tractus foraminulentus gelangt, giebt er den Nervus sacculi hemisphaerici ab, welcher durch die Macula crihrosa des Recessus sphaericus, in den Vorhof und zum runden Säckchen geht. — Der schwächere Vorhofsnerv, Nervus vestibuli, liegt hinter dem vorigen. Er zerfällt in vier Aeste, von welchen der stärkste zum Sacculus ellipticus, die drei übrigen zu den Ampullen der drei Canales semicirculares, durch die betreffenden Maculae cribrosae gelangen. Ueber das eigentliche Ende der Primitiv- fasern des Vorhofsnerven weiss die Anatomie zur Zeit noch nichts auszusagen. Die Substanz der Gehörnerven am Grunde des Meatus auditorius internus, welclie sich durch grauröthliche Färbung von dem Stücke desselben eoetra meatum unterscheidet, enthält bipolare Ganglienkugeln, welche Gorti auch an den Verästlungen des Vorhofsnerven beobachtete. — Ueber die Nerven- verzweigungen im Labyrinth besitzen wir ausführliche Schriften von Delmas, Eecherches sur les nerfs de l'oreille. Paris, 1834, und A. Böttcher, Obser- vationes microsc. de ratione, qua nervus Cochleae mammalium terminatur. Dorpat, 1856. q^2 §■ ^'''•'- Nfiintcs Paar. §. 300. Neuntes Paar. Dio AnatonuMi sind iintor sicli niclit einig', ob sie das neunte Paar, den Ziingenscl» 1 ii nd k opfnerv, Nervus plosso-phari/naeus, für einen geniisehten Nerv, oder für einen sensitiven halten sollen. Die Anhänger der sensitiven Natur dieses Nerven berufen siel» auf das Yorkoninieu eines Ganglion (Ganglion petrosum) an ihm, und Gan"-Uen kommen nur sensitiven Nerven zu. Die Yertheidiger der gemischten (Qualität des Glosso-pharyngeus stützen sich auf einen «>e\vichti<'ereu (irund, auf das factische Vorhandensein von Muskel- ästen dieses Nerven. Ich schliesse mich den letzteren an. — Der (ilosso-pharvngeus entspringt aus einem grauen Kern des verlängerten Markes, welcher vor dem Kern des Vagus liegt, und oft nur eine Verlängerung desselben ist. Vor der Flocke des kleinen Gehirns zieht er zum oberen Umfange des Foramen jugulare, wird hier von einer l)es()nderen Scheide der l^ura mater umgeben, und durch sie von dem dicht hinter ihm liegenden Vagus, als dessen Hestandtheil er lange Zeit galt, getrennt. Im Foramen jugulare bilden seine hin- teren Fasern einen kleinen nicht constanten Knoten — das Ganglion jugulare, an welchem sich die vorderen Fasern des Nervenstammes nicht betheiligen. Dieses Ganglion erhält vom ersten Halsganglion des Svmpathicus einen Verbindungszweig. Nacli dem Austritte aus dem Loche schwillt der Nerv zu einem zweiten, grösseren und Constanten Knoten an, — das von Anderscli entdeckte Ganglion petrosum, — welches sich in die Fossula petrosa des Felsenbeins ein- bettet, und mit dem Ganglion cervicale pri mum des 8vm[tathicus, sowie mit dem Kanins auricularis vagi durch eine, hinter dem Bidbus der Vena jugularis nach aussen laufende Anastomose zusammenhängt. Der interessanteste Ast des Ganglion petrosum ist der Nervus iympa- nicus s. Jacobsonll. Dieser geht durch den Canaliculus tytnpanicus nach auf- wärts in die Paukenhöhle, wo er in einer Rinne des Promontorium liegt. Hier sendet er ein Aestchen zur Tuba Eustachii, ein zweites zur Schleimhaut der Paukenhöhle, und erhält von den carotischen Geflechten zwei feine Nervi carotico-tuinpanici. Er verl)indet sich zuletzt, nachdem er unter dem Semi- canali^ tensoris tmnpani zur oberen Paukenhöhlenwand, und durch ein Lö- chelchen derselben auf die vordere obere Fläche des Felsenbeins kam. mit jenem Antheile des Nervus pHrosus superficialis minor, welcher nicht an das Ganglion yeniculi tritt. 'Im Canaliculus tympanicus zeigt der Nerv eine kleine spindelförmige Anschwellung, welche aber nicht für ein Ganglion genommen werden kann, da sie blos durch eine gefässreiche Bindegewebsaufiagerung mit sternförmigen und pyramidalen Zellen bedungen wird. Krause bezeichnet sie als Glandula tympanica, und theilt mehr über sie mit im 'Med. Centralblatt, Nr. 41, pag. 737, seqq. Am Halse legt sich der Zuugenschlundkopfnerv zwischen die Carotis interna und eaterna, steigt an der inneren Seite des Musculus stulo-pharyngeus herab, und erzeugt: §. 365. Neuntes Paar. 953 a) Verbindimgszweige für den Vagus. h) Verbindnngszweige für die carotischen Gefleclite. c) Einen Verbindungszweig für den Ramus digastrimis und stylo- ki/oideus des Communicans faciei. Audi dieser Zweig ist als vom Communicans kommend, nicht zu ihm gehend, zu nehmen. d) Einen Muskelzweig für den Muscidus stylo-pharyngeus. Man hat durcli Reizungsversuche des Glosso-pharyngeus an Thieren, auch Contractionen im Levator palati mollis, im Azygos uvulae, und im Con- strictor pharyngis medius eintreten gesehen. Die anatomische Präparation hat aber directe Zweige des Glosso-pharyngeus zu diesen Muskeln noch nicht dar- gestellt, wohl aber solche vom Vagus kommend, nachgewiesen. Es ist möglich, dass die fraglichen Muskelzweige des Glosso-pharyngeus, durch die Verbin- dungszweige zwischen Glosso-pharyngeus und Vagus faj, in den letzteren ge- langen, und durch ihn den genannten Muskeln zugeführt werden. e) Drei oder vier Rami pharyngei für den oberen und mittleren Räch ens ehnür er . Die Fortsetzung seines Stammes geht zur Zunge, als Ramus lingualis. Er erreicht unter der Tonsilla den Seitenrand der Zungen- wurzel, versieht die Schleimhaut des Arcus glosso- palatinus, der Tonsilla, der ZungeuAvurzel, die vordere Seite des Kehldeckels, und verliert sich zuletzt in den Papulae circumvallatae. Seine Aeste in der Zungensubstanz besitzen zahlreiche mikroskopische Granglien. Bis zur Spitze der Zunge reicht kein Zweig des Glosso-pharyngeus, obwohl es von Hirschfeld angegeben wurde. Es liegt die Frage vor, ob der Glosso-pharyngeus von seinem Ursprung an ein gemischter Nerv ist, oder es erst durch die Aufnahme von Fasern anderer Hirnnerven wird. "Wie überall, wo Vivisectionen sich der Entscheidung einer Frage in der Functionenlehre der Nerven bemächtigen, stehen sich auch hier zwei feindliche Gruppen gegenüber. Arnold und Joh. Müller erklärten den Glosso-pharyngeus für einen gemischten Nerv; J. Eeid, Longet, Va- lentin, für einen rein sensitiven, da alle Fasern des Glosso-pharyngeus in das Ganglion petrosum eingehen, und Ganglien sich nur an sensitiven Nerven vorfinden. Die motorischen Aeste, welche er zu den Rachenmuskeln sendet, können ihm durch die Anastomose mit dem Communicans und Vagus (welcher sie vom Recurrens Willisii empfängt) procurirt worden sein. Nach Panizza (Ricerche sperimentali sopra i nervi. Pavia, 1834J wäre der Glosso-pharyngeus der wahre Geschmacksnerv der Zunge. Die Versuche von Joh. Müller und Longet sprechen aber dem Ramus lingualis vom Quintus specifische Geschmacksenergien, und dem Glosso-pharyngeus nur Tast- empfindungen zu. Auch Volkmann's Erfahrungen lauten gegen Panizza's Behauptung, welche in neuerer Zeit durch Stannius wieder eine Stütze er- hielt. Stannius glaubt auf dem Wege des Experimentes Panizza's Ansicht bestätigt zu haben. Er fand, dass junge Katzen, denen beide Nervi glosso- pharyngei durchschnitten wurden, Milch, welche mit schwefelsaurem Chinin bitter gemacht wurde, so gierig, wie gewöhnliche süsse Milch verzehrten. Der Glosso-pharyngeus wäre demnach der Geschmacksnerv für Bitteres. Wohl ge- merkt, man gab den Thieren keine süsse Milch, zugleich neben der bitteren. Nur wenn dieses geschehen wäre, hätte das Experiment einigen Sinn. Was aber (las gequälte Tliier empfindet, wenn es Chininniileli i linkt, liat e.'; noch Keinem geklagt. Bifl'i iunl Morganti fanden, dass die Durchselineiduiig des Glosso- pliaryngeus nur die (lesclimacksenipfindung am hinteren Theile der Zunge auf- hebt, dass sie aber an der Zungenspitze verbleibt CSu V nervi della lingua. Annali di Omodei, 1846). Müller, dem ieh vollkommen beistimme, hält auch die Gaumenäste des Quintus für Geschmackserregung empfänglich. Die usur- pirte Würde des (ilosso-pharxngeus als specifischer Geschmacksnerv ist also noch sehr in Frage gestellt. Die pathologischen Data, welche zur Lösung dieser Frage herbeigezogen werden kiinnten. sind zu w.-nig übereinstimmend, um Schlüsse darauf zu basiren. Das Ganglion jugulare des Glosso-pharyngeus wurde von einem Wiener Anatomen. Ehrenritter (Salzburger med.-chir. Zeitung. 1790. 4. Bd., pag. 320), zuerst beobachtet. Die Präparate verfertigte er selbst für das Wiener anato- mische Museum, wo sie zur Zeit meines Prosectorats noch vorhanden waren. Es wurde aber diese schöne Entdeckung von den Zeitgenossen nicht beachtet, und erst durch Job. Müller der Vergessenheit entrissen (Medicinische Vereins- zeitung. Berlin, 183:^). //. F. Kilian, Auat. Untersuchungen über das neunte Xervenpaar. Pest, 1822. — C. Vogt, Ueber die Functionen des Nervus lingualis und glosso- phuruiigeus. Müllers Archiv. 1840. — John Reid in Todd's Cvdopaedia of Auat..mv and Phvsi.dogy, vol. II. — B. Beck. lib. cit. — 0. Jacob, Ver- breitung des Nervus glosso-pharyngeus in Schlundkopf und Zunge. München, 1873. — Das Ganglion petro.o-^\\aryn- geus und des oberen Halsgangliou des Sympathicus, zu einem die Arteria pliaryngea asceiulens umgebenden (lefleeht (Ple.rns phar>/)i(/riif<) verbinden, dessen Aeste die Muskeln und die Schleim- haut des Kachens versorgen. ' Arnold crwülint. tlass der Neri'u.t phariingeus inferior auch Fiulon in den Levator palati mollis und Azyiios uvulae gelangen lässt. Der Ast zum Levator palati wurde durch Wolfert fDe nervo muscuU levatoris palati. Berol., 1855) bestätigt. Wahrscheinlich sind diese Fäden vom Glosso-pharyngeus in den Vagus übergegangen (§. 365. a). e) Nenms laryngeus superior. Er tritt aus dem unteren Ende des Knotengeflechtes hervor, geht an der inneren Seite der Carotis interna zum Kehlkopf herab, und theilt sich in einen Ramus e.rternus und internus. Der externus sendet zuweilen einen Ver- stärk ungsfa den zum Nen'us cardiacus longiis des ersten sym- pathischen Halsganglion, und endet im Musculus constrictor phari/iigis inferior und crico-thyrcoideus. Der internus, w^elcher complicirter ist, folgt anfangs der Arteria thyreoidea superior, und später dem als Arteria laryngea bekannten Zweige der- selben, tritt mit diesem durch die Membrana hyo-thyreoidea in das Innere des Kehlkopfes, und versorgt die hintere Fläche des Kehldeckels (die vordere ist schon vom Glosso-pharyngeus verpflegt) und die Schleimhaut des Kehlkopfes bis in die Stimmritze herab. — Der Ramus internus des Nervus laryngeus superior ist vorzugsweise sensitiver Natur. Auch jene Aeste desselben, welche in die Yerengerer der Stimmritze eintreten (Arytaenoideus oJdiquus und transversus), bleiben nicht in ihnen, sondern durchbohren sie, um in der Sehleimhaut zu §. 366. Zehntes Paar. 957 endigen. So behauptet man wenigstens. Dagegen sind motoriscTie Zweige zu den im Llgamentunt epiglottideo-ay^ytaenoideum ein- geschlossenen Muskelfasern, welche als Thyreo- und Ary-epi- glotticus in §. 283 erwähnt wurden, sichergestellt. Unter dem Namen Nervus depressor beschrieben Cyon und Ludwig (Bericht der säclis. Gresellschaft der Wissenschaften, 1866, Oct.) im Kaninchen einen Ner^, welcher aus dem Nervus laryngeus superior, öfter auch mit einer zweiten Wurzel, aus dem Stamme des Vagus entspringt, und an der Carotis communis in die Brust- höhle herabläuft, um an der Bildung des Plexus cardiacus zu par- ticipiren. Wird er durchgescbnitten, so bleibt die Reizung seines peripherischen Endes resultatlos; jene des centralen Endes dagegen setzt die Pulsfrequenz und den Blutdruck im arteriellen Gefäss- svstem auffallend herab, unde nomen Depressor. Der Nervus de- pressor übt demnach eine Reflexwirkung auf den Yagus aus, dessen Erregung, wie in der Note zum folgenden Paragraph gesagt wird, die Herzthätigkeit herabsetzt. Kr ei dm an n fand diesen Nerv constant auch im Menschen vor (Archiv für Anat. und PhysioL, 1878). Der Ramus internus des Nervus laryngeus superior anastoiuosirt regel- mässig durch einen zwischen Schild- und Ringknorpel herabziehenden Faden mit dem Nervus laryngeus recurrens, sowie, obwohl unconstant, mit dem Ra- mus externus, durch einen kleinen Zweig, welcher durch ein unconstantes Loch in der Nähe des oberen Schildknorpelrandes geht. Die feineren und feinsten Ramificationen des Laryngeus superior in der Kehlkopfschleimhaut, gehen mehrfache Verbindungen mit jenen des Laryngeus inferior ein. — Dass der Ramus internus, während seines Verlaufes von der Durchbohrungsstelle der Membrana hyo-thyreoidea bis zur Basis der Cartilago arytaenoidea, die Schleim- haut des Kehlkopfes als Falte aufhebt (Plica nervi laryngeij, wurde schon bei der Beschreibung des Kehlkopfes erwähnt, §. 281. f) Ein constauter Verbindungsfaden zum Ramus deseendens hypo- glossi, und mehrere unconstaute zum Plexus caroticus internus. Der erstere scheint es zu sein, welcher den Ramus cardiacus des Hypoglossus bildet (§. 369). g) Zwei bis sechs Rami cardiaci, s. Nervi molles, welche theils die Rami cardiaci der Halsganglien des Sympathicus ver- stärken, theils direct zum Plexus cardiacus herablaufen. "Warum das in der Brusthöhle liegende Herz seine Nerven, so hoch oben am Halse, aus dem Vagus und Sympathicus erhält, erklärt uns die Ent- wicklungsgeschichte. Das Herz entsteht nämlich aus einer verdickten Stelle des embryonalen Darmschlauches, in der Höhe des letzten Schädelwirbels, und empfängt somit seine Nerven aus den nächstliegenden Halsstücken des Vagus und Sympathicus. Diese Nerven dehnen sich, mit dem tieferen Herabsteigen des Herzens, in die Länge, ohne ihren hochgelegenen Halsursprung aufzugeben, welcher durch das ganze Leben bleibend verharrt. 958 *• ^'^- Zehntes Paar. B) Brusltheil In der oberen Brustapertur liej^t der A^agus liinter der Vena anonyma. Hierauf geht der reclitc ^'ag•u.s vor der Arteria subclavia dextra, der linke vor dem abstcigonden Stück des Aortenbogens herab. Jeder tritt dann an dir liiiitfic \\ and iU'> Hrotichus seiner Seite, an welche er dnrch kur/,«'» Rindegcwebe angeheftet wird. Unter dein nronchns legt .sich der rechte Vagus an die hintere, der linke an die vordere Seite des Oesophagus, als i'hordae oeso- phaqeae der Alten. Ueide Mlden (\rn Plcxua ocnophagcas. Die Aeste des Bru.sttheils sind: a) Der vor/aig'sweise inotorische Servus htrinnicas rccurreius. Der rechte ist kürzer, da er sich schon in der ol>eren Bru.stapertur um die Artcritt siihrlucin lut der Jiecurieiis deu unlereu Constrk'lor phnrvngifi hinter dem unteren Hörne der Cartilagn fhyreoidea, und zerfällt in einen Rmims cvtermis und internns. Der cxternns versorgt den Thyreo-arxilnfnoideuR und Crico-arxitanioideus lateralif; der inffmus anasto- mosirt mit detn Itavnis iiitcnius des Larimiicit" supf^'inr, und verliert sich im JHusniliis crico-arutaenoideus pns(icu.<, arytaenoideuf: obliquuK und transversus, aber aurh in der Schleimliaut des Kehlkopfes unterhalb der Stimmritze. Alter Name: Nervtts rfversivti^. im (»alen nccXlvÖQOfiog. h) Die Nervi hronehiales arder iore-s und i> beider Seiten sieh so mit einander verketten, dass jeder Plexxts bronrhialis, und dessen Fortsetzung als Plexus pulmonalis, Elemente beider Vagi enthält. Die Plexus pulmonales lösen sieh in der Schleimhaut und in den contraetilen Bestandtheilen der Hronchialverzweignngen auf, sind also gemischter Natur. Dass der motorische Antheil derselben aus dem Recurrens WilUsii stammt, lässt sich allerdings vermuthen. §. 367. Physiologisches über den Vagus. 959 c) Der Plexus oesophageus, durch Spaltung und Verstrickung des linken und rechten Yagus entstanden, läuft an der rorderen und hinteren Wand der Speiseröhre herab, und besorgt Schleim- haut und Muskelhaut der Speiseröhre. C) Bauchtheil. Der Bauchtheil des Yagus besteht nur in den Fortsetzungen des Plexus oesophageus, welcher sich in den an der vorderen und hinteren Wand des Magens unter der Bauchfellhaut befindlichen Plexus gastricus anterior und posterior auflöst. Der Plexus gastricus anterior sendet zwischen den Blättern des kleinen Netzes Strah- lungen zum Plexus hepaticus, der Plexus gastricus posterior aber ein nicht unansehnliches Strahlenbündel zum Plexus coeliacus, zu- weilen auch Fasern zur Milz, zum Pankreas, selbst zum Dünndarm und zur Niere. F. G. Thiele, De muyculis iiervisque laryngeiy. Jenae, 1825. — A. Solin- ville, Anat. disquisitio et descriptio nervi pneumogastriä. Turici, 1838. — E. Traube, Beiträge zur experim. Pathologie. Berlin, 1846. — Schiff, Die Ur- sache der Lungenveränderung nach Uurchschneidung der Vagi, in Griesingers Sechswochenschrift, 7. und 8. Heft. — E. Wolff, De functionihua nervi vagi. Berlin. 1856. — Luschka, Nerven des menschlichen Stimmorgans, in der Prager Vierteljahresschrift, 1869. §. 367. Physiologisclies über den Yagus. Die von Arnold zuerst ausgesprochene Ansicht, dass der Yagus, seinem Wurzelverhalte nach, ein rein sensitiver Nerv sei, und dass er seine motorischen Aeste nur der Anastomose mit dem Recurrens Willisii zu verdanken habe, welcher sich zu ihm, wie die vordere, ganglienlose W^urzel des Quintus zur hinteren verhält, wurde von Scarpa, Bischoff, Yalentin, durch Yersuche am lebenden Thiere, und durch comparativ anatomische Erfahrungen in Schutz genommen. Nach MüUer's und Yolkmann's Yersiche- rungen dagegen, soll der Yagus ursprünglich schon, wenigstens bei Thieren, motorische Elemente einschliessen, welche an dem Ganglion jugulare nur vorbeigehen, ohne an seiner Bildung zu participiren. Ich schliesse mich der Ansicht über die gemischte Natur der Ur- sprungsfasern des Yagus an, da die motorischen, oder doch theil- weise motorischen x\este des Yagus: Rami pharyngei, laryngeus su- perior und inferior, Plexus puhnonalis, oesophageus und gastricus, zu zahlreich sind, um allein von der verhältnissmässig schwachen Ana- stomose mit dem Recurrens Willisii abgeleitet werden zu können. Die sensitiven Yerästlungen des Yagus lösen folgende Reflex- bewegungen aus: 1. Erbrechen, durch Reizung der Graumenbögen, oder der oberen Partie der hinteren Pharynxwand, wobei auch 960 *• ^*^^- Physiologisches ober den Vagns. Glosso-pharvni^eiisfa.sern interveniren. 2. Schlingen, durch mecha- nische RtMzimi^- der unteren Partie der hinteren Rachenwand, 3. Schluchzen (Siii. Träge, Bewegung des Magens und dadurch bedingte unvollkommene Durch- tränkung der Nahrungsmittel mit Magensaft, dessen Absonderung durch die Trennung des Vagus nicht sistirt wird. 7. Den Einfluss §. 868. Eilftes Paar. 961 des Yagiis auf die Herzthätigkeit hat man als einen hemmenden oder regulatorisclien bezeichnen zu müssen geglaubt. Reizung des Vagus soll die Zahl der Herzschläge vermindern, nnd selbst Stillstand des Herzens bewirken. He nie hat an der Leiche eines geköpften Mörders, fünfzehn Minuten nach dem tödtlichen Streiche, mittelst Durchführung eines Stromes des Rotatiousapparates durch den linken Yagus, das Herzatrium, welches sechzig bis siebenzig Contractionen in der Minute zeigte, plötzlich im Expansionszustande stille stehen gemacht. Stromleitung durch den Sympathicus rief die Bewegung des Atrium wieder hervor. Dem Vagus käme sonach eine Hemmungswirkung auf die Herzbewegung zu, welche primär vom Sympathicus augeregt wird. Ich fand aber, bei Wiederholung des Reizuugsversuches, dass nur intensive Reizung des Vagus die Zahl der Herzschläge vermindert, schwache Reizung desselben aber das Gegeutheil bewirkt. Eine bethätigeude Einwirkung auf die Bewegung des Dickdarms wurde dem Vagus auf Grundlage zweifelhafter Vivisectionsresultate zugesprochen. §. 368. Eilftes Paar. Das eilfte Paar, der Bei nerv, Nervus recurrens s. accessorius Willisii, dessen motorische oder gemischte Natur durch die contra- dictorisch lautenden Vivisectionsresultate nichts weniger als sicher- gestellt wurde, hat einen sehr veränderlichen, und selbst auf beiden Seiten nicht immer symmetrischen Ursprung. Er entspringt vom Seitenstrange des Halsrückenmarks, und unterscheidet sich dadurch von allen anderen, aus dem Rückenmark hervortretenden Nerven, welche mit doppelten Wurzeln aus dem Sulcus lateralis anterior und posterior auftauchen. Seine längste Wurzel kann bis zum siebenten Halsnerven herabreichen, oder schon zwischen dem dritten und vierten entspringen. Während sie zum Foratnen occipitis magnum aufsteigt, zieht sie neun bis zehn neue Wurzelfäden an sich, und wird dadurch zum Hauptstamm unseres Nerven, welcher zwischen den vorderen und hinteren Wurzeln der betreffenden Halsnerven, und hinter dem Ligamentum denticulatum, zum grossen Hinterhaupt- loch gelangt, und durch dasselbe die Schädelhöhle betritt. Hier nimmt er vom Corpus restiforme seine letzte Ursprungswurzel auf, lind schliesst sich sofort an den Vagus an, woher sein Name stammt: Accessorius ad par vagum. Mit dem Vagus krümmt er sich nach aussen zum Foramen jugulare hin, in welchem er hinter dem Gan- glion jugulare vagi herabsteigt, und sich zugleich in zwei Portionen theilt. Die vordere, schwächere Portion verbindet sich einfach oder mehrfach mit dem Ganglion jugidare vagi, und geht in den Vagus nnd dessen Plexus nodosus über. Sie ist es, welche in den moto- Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl. ol 0(32 8. 368. Eilftes Paar. rischen Bahnen des Xervus phanfn'ieus, und laryngeus superior und inferior, wieder aus dem Vagus hervorkommt. Die hintere zieht hinter der Vennervpn ein (leHecht. welches sich nur im Jlusctilu« CKadlaris ramilicirt. — Der (irund des sonderbaren, vom Rückenmark zum Vagus hinaufstrebenden Verlaufes des Recurrens scheint mir der zu sein, dass der Vagus, welcher gleich nach seinem Austritte aus dem Foramen jio/ulare mehr motorische Aeste abzugeben hat, als er kraft seines Ursprungs besitzt, einen guten Theil derselben schon in der Sch<ädelhöhle durch den Accessorius zugeführt erhalte. Der Accessorius Willisii gilt allgemein für die motorische Wurzel des Vasrus. Die von mir constatirte Thatsache des Vor- kommens halbseitiger Ganglien am Accessorius, in welche ein Theil seiner Fasern übei'geht, lässt sicli mit der rein motorischen Natur des Nerven nicht wohl vereinbaren. (langlien kommen nur an sen- sitiven oder gemischten Hirnnerven vor, nie an motorischen. Es sind diese Ganglien nicht zu verwechseln mit jenem, welches an der Ver- bindung des Accessorius mit der hinteren Wurzel des ersten Hals- nerven vorkommt, und eigentlich das Oanni('ln(>v riiar.-i1itt>T der nncVomnrirV^norvon. >iii(l (I.iiMnf hcrocliiict. doii :iiis Üiikmi lu>rvt>ri;(»li(Mi(l(Mi |)('ri|)liorisclieii Zweigen, Fasern aus verscliiedenon Kücken inarksnerveu ziizntühreu. Da (las Rüekenmark um' l>is /aini ersten oder zweiten Lenden- wirl)el lieraUreielit, wo es als l\Iarkk(»i;'el autliört, so werden nur die AVurzeln der Hals- und I5rMstner\ cii nacli kurzem Verlaufe, welcdier für die Ilalsnerven »pier, für die IJrustnerven aber seliiet" nacli ab- wärts g-eriolitet ist, ilire Fovain'nut hiU'rvevtehyidiK erreiclien. Die Xii-ri lidiihiths, sid'i'dh'fi, und cornf;it'i dagegen, deren Austrittslöcher sieh immer mehr vom Ende des Kückenniarks (iJonns lenii'nndis) entfernen, müssen einen entspreoliemi langen Verlauf im liück- gratkanal nach abwärts nehmen, um an ihre Austrittslöcher zu g;elang'en. So geschieht es, dass, vom ersten oder zweiten Lenden- wirbel an. der Rest des llückgratkanals nur von den nach abwärts streben(b^n Lenden- und Kreuznerven eingenommen wird, welche, ihres parallelen und wellenlVu-migtMi \ erlanfes weg'en, von dem fran- zösischen Anatomen Andre Du Laurens (Laurentius) mit einem Pferdeschweif (C(fU(la equhut) verglichen wurden, welche Benen- nung ilinen fortan geblieben. fSeine Worte lauten: „MiHhdla, q^nini ad dovsi ßneni pervenit, iota in funicidos, camlam equinam referentes, ahsnmitur." If'tst. corp. hioih Parisiis, 1600, lAh. A", Cap. 12. Ich finde jeiloch die Cauda equina schon im Talniud erwähnt (Ginz- burger, Medichia ex Talmudicis ilfastrata. ihUI. J7'i4, pa/f. JO). — Indem ferner das Rückenmark sich am Conus ternuncdis zuspitzt, müssen nothwendig die vorderen und hinteren Wurzeln der Steiss- beinnerven so nalie an einander liegen, dass sie scheinbar zu einem einstämmigen l rsprung verschmelzen. Die harte Hirnhaut scliliesst sich nicht in gloiclicr Höhe mit dem Conus terminaliti der Medulla Spinalis ab, sondern erstreckt sich als lilindsack bis zum Ende des Canalis sacralis herab. Die Nervi lutuhales, sacrt' siiul sein- oi-i;iel)ii2,o Fiiiuloi-tt' von N(M-venf;isern ohno Ende (i;. 71). Die liintcnMi Zweite dci- llnlsiuM-von ricliteu sicli, mit Aiis- n:ilimt' der Ix'idon orst«n], Avolclio i;l(Meli nälior i;oscliil(lort worden sollen, n;i(li den im V(»rlu>r';oln'nd«Mi r.-iragrapho onvälinton all^p- int'iiHMi K('i;('ln. l)ir liintere Zweig des ersten Ilalsnerven geht zu dem dreieckigen Raum, w.lilur vom Ifectus capitis po.-iticus major, Ohliquus superior und inferior begrenzt wird, und versorgt, nebst den hinteren geraden und schiefen Kopf- muslieln, aucli den Itiventer cervicis und Comjdexus. Er wird Nervus infra- occifiitnlis genannt. — Der liintere Zweig des zweiten Halsnerven giebt Zweige zu den Nackenmuskeln, mit Ausnahme des CucuUaris, und steigt, nachdem er letzteren durchbohrte, mit der Arteria occipitali." zum Hinterhaupt •■mpor. wo er sich bis zum Sclieitid hinauf als Nerinis occipitatin nuiJiius in der Haut verästelt. Der dnrcli die vorderen Zweige der vier oberen Ilalsnerven gebildete Ple.rus cervicalis giebt folgende zahlreiche, theil.s niotori.sche, theils gemischte Aeste ab: 1. Verbindnngsnerven znm GanpIio7i cervieale prhmim (\esi Sym- pathicns, drei bis vier au Zahl. Sie bestehen, wie die Verbindungsfäden aller übrigen Rückenmarks- nerven mit den sympathischen (ianglien, aus einer doppelten Fasergruppe. Die eine Gruppe geht von den Spinalnerven zum Ganglion des S^mpathicus, und ist weiss. Die andere (graue) zieht umgekehrt vom Ganglion des Sympathicus zu diu Spinalnerven, und längs diesen rückläufig zum betreffenden Ganglion intervertehraJe. 2. A'erbindnngsnerven znm Pfe.rvs nodosus vapi, znm Stamme des ffi/j>0(fl. Verbindnngsnerven zu jenem Autheil des Recurrens WilUsii, welcher den Sterno-cleidomastoideus und Cncnllaris versieht. Sie gehen aus dem dritten und vierten Cervicalnerv hervor, und bilden mit dem Recurrens ein Geflecht, welches sich unter dem vorderen oberen Rand des ('uculliiris eine Strecke weit hinzieht, bis es in die untere Fläche dieses Muskels »'indringt, und sich in demselben verliert. 4, Mnskeläste für die Scaletii, den Lotufus colli, Rechts capitis anticus major und minor, und Levator scapidae. 5. Den Nervus occipitalis minor, weldier am hinteren Rande des Insertionsendes des Sterno-cleidomastoideus emporsteigt, sich mit dem Ä^errus occipitalis major und auricalaris profundus verbindet, und die Haut, samint dem Musculus occipitalis versorgt. Er besteht vorzugsweise aus Fasern des dritten Nervus cetvicalis. 0. Den Neri'ds auricularis nidfinus. Dieser construirt sicli, wie der Occipitalis minor, vorwaltend ans den Fasern des dritten Nervus cervicalis. Er tritt etwas über der Mitte des hinteren Randes des Kopfniekers aus der Tiefe hervor, und geht über die äussere Seite S. 372. Die vier unteren Halsnerven. 969 dieses Muskels bogenförmig nacli vorn nnd oben zur Parotis, wo er in. einen Ramus auricularis nnd mastoideus zerfällt. Der Ramus auricularis anastomosirt mit dem Auricularis prohmdus vom Communicans, und versorgt die convexe Fläche der Oln-muscliel, sowie einen Tlieil der concaven, durch ein perforirendes Zweigchen. Der Ramus mastoideus gehört der Haut hinter dem Ohre an, zuweilen auch dem Ifusculus occipitalis. 7. Den Nervus suhcidaneus colli zum Platysma und zur seit- lichen Halshaut. Er wird aus Antheilen des zweiten, besonders aber des dritten Halsnerven construirt, dessen eigentliche Fortsetzung er ist. Er umgreift etwas tiefer als der Auricidaris magmis den Kopf- nicker von hinten nach vorn, und theilt sich in zwei Zweige: Nervus subeutaneus colli medius nnd inferior. Der erste zieht längs der Vena pipularis externa empor, und anastomosirt mit dem Nerv^is sidmdaneus colli superior vom Communicans. 8. Die Ä^ervi supraclavicidares. Sie stammen au$ dem Nervus cervicalis quartus. Man findet deren meistens drei bis vier, welche am hinteren Rande des Kopfnickers zum Schlüsselbein herablaufen, dasselbe überschreiten, und sich in der Haut der vorderen Brust- und Schultergegend verbreiten. 9. Den AVz;ms i^/irenim^/ Zwerchfellsnerv, welcher in der Regel aus der vierten Schlinge des Plexus cervicalis stammt, vor dem Scalemis anticus schräg nach innen zur oberen Brustapertur geht, und auf diesem Wege durch wandelbare Anastomosen mit dem Plexus hracMalis, Ganglioyi cervicale medium uud inßmwn verbunden wird. An der äusseren Seite der Arteria mammaria interna (zAvischen Vena anonyma uud Arteria suhclavia) gelangt er in den Thorax, wo er zwischen Pericardium und Pleura zum Z^verchfelle herabsteigt, und sich in der Pars costalis, sowie mittelst durchbohrender Zweige auch in der Pars lumhalis dieses Muskels verästelt. Seine Endäste verbinden sich mit dem Zwerchfellgeflecht des Sympathicus, und bilden in der Substanz des Zwerchfells den Plexus phrenicus, in welchem ein grösseres, hinter dem Foramen pro vena cava liegendes, und mehrere kleinere Ganglien vorkommen. — Luschka hat in seiner Monographie des Phrenicus, Tübingen, 1853, Aeste des Phrenicus zur Thymus, zur Pleura, zur Vena cava ascendens, zum Peritoneum, sowie Verbindungen des Plexus phre- nicus mit dem Plexus solaris, hepaticus, und suprarenalis nachgewiesen. lieber einzelne Halsnerven handeln: J. Bang, Nervorum cervicalium anatome, in Ludwig, Scriptores neurol., t. I. — Th. Asch, De primo pare nervorum med.-spin. Gott., 1750. — G. F. Peipers, Tertii et quarti nervorum cervicalium descriptio. Halae, 1793. — W. Volkmann, lieber die motorischen Wirkungen der Halsnerven, Müller s Archiv, 1840. §. 372. Die vier unteren Halsnerven. Die vier unteren Halsnerven sind den vier oberen an Stärke weit überlegen, da sie, ausser den langen Rückgratsmuskeln, auch 070 S. Ä7.1 Par.t niprarJovIriiltirlf üri Armnorvpngpflpphti. Jen»' zu iiiiu>r\ ii-tMi Ii.iImmi. wclclio das Sc'Iiiilterl)latt. den C>l)i'rann, (Ifii \'(»nlerarin und die Hand lirwcucn, und ül)erdies noch sich iu der Haut der Brust, des Kik-keus, und der ganzen oberen Extremität ausbreiten, llirc hinteren Zweige verhalten sicli, hinsichtlich ihrer Verästlung, wie jene dov vier olteren Halsuerven. Sie versorgen die tiefen Muskeln und die Haut (\{'s Nackens. Die Hautäste durch- bohren den Sj>h')Uiis ropltis und CiiruJIiirls, ohne ihnen Zweige zu geben. Die vrtrderen Zweige bilden, nachdem sie zwischen dem vorderen und mittleren Scalenus oberhalb der Arteria subclavia in die Fossa supradaviculuris gekommen sind, und der vordere Zweig des ersten Brustuerveu sich zu ihnen gesellte, das Armnerven- ge fl echt, Plexus hrachialis. Dieses Geflecht wird, da es unter dem Schlüsselbein sich in die Achselhöhle fortsetzt, auch Ple.rns subclavius genannt. Man unterscheidet an ihm einen kleineren, über dem Schlüsselbeine gelegenen, und einen grösseren, unter dem Schlüssel- beine Itefindlichen Antheil. Alle an der Bildung des Armnerven- geflechtes theilnehmenden Nerven senden Verbindimgsäste entweder zum Stamm des Sympathicus, oder zum mittleren und unteren Hals- ganglion; der erste Brustnerv zum ersten Brustganglion. §. oTo. Pars mpraclavicularis des Armnervengefleclits. Sie liegt am (Irunde der Fussa supraclavicidarls, und wird vom IHiitjisma ))iui>ftle-^, dem h(diou und tiefen Blatte der Fascia colli, und der ('lavicular[)ortion des Kopfnickers bedeckt. Sie hat, genau ge- nommen, keineswegs (bis Ansehen eines Plexus, welches erst ihrer Fortsetzung: der Pars infraclavicnlaris, in vollem Masse zukommt. Aus ihr entspringen, nebst Zweigen für die Scaleni und den Louqus colli, folgende, nur für die Schultermuskeln bestimmte Zweige: a) Die Nervi thoracici anteriores und posteriores. Die zwei ante- riores gehen unter der Clavicula zum Jfusculus subclufius, pec- toralis majtir, minor, zur Schlüssell)einportion des Deltoides, und zur Haut der oberen Gegend der weiblichen Brustdrüse (Eckhart). Die zwei bis drei posteriores durchbohren, nach hinten gehend, den Scalenus medius, und suchen den Levator scapulae, Rhomboideus, und Serratus post. sup. auf. Einer von ihnen imponirt durch Grösse und Länge. Es ist der Nervus thoracicus longus, für den Serratus anticus major. Von den zwei Nervi thoracici anteriores geht der externns über die Arteria subclavia schief nach innen und unten zum grossen Brustnmskel; der internu.'» drängt sich zwischen Arteria und Vena subclavia durch, und geräth unter den kleinen Brustmuskel. Beide verbindet eine Schlinge, welche die innere Peripherie der Arteria subclavia umgreift. b) Der Nervus snprascapularis. Er zieht mit der Arteria trans- versa scapulae nach aussen und hinten zum Ausschnitt des §. 374. Pars infradavindavis des Armnervengeflechts. 971 oberen Scliulterblattrandes, durcli diesen zur Fossa supra- spinata, und von dieser zur injraspinata. Er gehört dem Mus- culus supra- nnd infraspinatus, und dem Teres minor an, nnd sendet aucli einen Zweig" zur Kapsel des Schultergelenkes. c) Die drei Nervi suhscapulares zum Muskel desselben Namens, zum Latissimns dorsi und Teres major. §. 374. Pars infraclavicidaris des Aimnervengeflechts. Sie gattert mit drei gröberen Nervenbündeln die Acbselscblag- ader ein, und heisst deshalb auch Pleanis axillaris. Aus ihr tritt eine Phalanx von sieben Aesten hervor: a) Nerinis cutaneus brachii internus. Er stammt aus dem achten Halsnerven und dem ersten Brustnerven, geht hinter der Achsel- vene herab, verbindet sich in der Regel mit einem Aste des zweiten Brustnerven (Nervus intercosto-hutneralis) , ^velcher ihn auch mehr weniger vollständig vertreten kann, durchbohrt die Fascia brachii in der Mitte der inneren Oberarmseite, und verliert sich als Hautnerv bis zum Ellbogengelenk herab. h) Nervus cutaneus brachii medius. Er entspringt vorzugsweise aus dem ersten Brustnerven, liegt in der Achsel an der inneren Seite der Veiia axillaris, und weiter unten an derselben Seite der Vena basilica, mit welcher er die Fascia brachii dnvch- bohrt, worauf er sich in den ßamus cutaneus pcdmaris und ulnaris theilt. Beide kreuzen die Venct mediana basilica im Ellbogenbug. Sie gehen öfter unter als über derselben weg. Der Cutaneus palmaris kommt in der Mittellinie des Vorder- armes bis zur Handwurzel herab; der Cutaneus 7(lnaris begleitet die Vena basilica, und anastomosirt über dem Carpus mit dem Haudrückenast des N'ervus ulnaris. Endverästlung beider in der Haut der inneren und hinteren Seite des Vorderarms. Die Theilungsstelle des Cutaneus brachii medius in den Ramus palmaris und ulnaris fällt bald höher, hald tiefer. Liegt sie nahe an der Achsel, so kreuzt sich nur der Ramus cutaneus palmaris im Ellbogenbug mit der Vena mediana basilica, und der Ramus cutaneus ulnaris lenkt schon über dem Con- dylus internus humeri von seinem Genossen so weit nach innen ab, dass seine Endverästlungen weit mehr der hinteren als der inneren Seite des Vorderarms angehören. — Viele Autoren beschreiben unseren Cutaneus medius als internus, und unseren internus als Cutaneus internus minor. So wurde die Sache auch von Wrisberg genommen, welcher den Cutaneus internus minor zuerst unter diesem Namen aufführte. c) N'ervus cutaneus brachii externus s. 7nuscido- cutaneus. Da der Name: Nervus 7nusculo-cutaneus, auch für die meisten übrigen Zweige des Aehselgefleehtes passt, indem sie sich in Muskeln und Haut auflösen, so könnte er für den Cutaneus externus P"2 §■ '"*• ■Po" MrarlavInilarU flp« Armnprvrnpoflorhtf«. tilircli (Ich |>:i>.stMi(l('r(Mi: Xi-rms prrfonots Caftsert! ersetzt werden, weil (lieser N«'rv tlcii Miis(n/iis coraco-hntchidlis diirclilxilirt. Er ist stärker als die Ix'iden anderen C'utanei, nnd i;ew('»liulieli an seinem l>et;inn mit dem Ni'rvus niedlmins versdimolzen. Er diircldtolirt den Mia^rti/iis cordco-hrtirlilulifi schief von innen nnd (il»en nach anssen nnd nnten, nnd scliieht siel» zwischen Biceps und Bi'iichiiilix iiitmui.« dnrcli, um in den Sidcus hicijiitaJIfi e.v- terniis zu i;elani;en, in welcliem er ye^en den Ellhog-en herab- zielit. liier durchhohrt er die I*asci(i hviichü zwischen Biceps nnd Lrsprnui; doi^ Supinator lonpus, nnd folgt, meist in zwei Zweige gespalten, der Vena cephaUca his zum Handrücken, avo er mit dem llaudrückeuast des Nervus raiVudls auastomosirt. Noch am Oberarm, giebt er dem Cornco-hrachudis, Biceps, nnd Biutchialis internus motorische Zweige. Erst am Vorderarm wird er ein reiner Hantuerv für die Radialseite desselben. Ein feiner Zweig dieses Nerven tritt an die Arteria proftmda hrachii, und umstrickt sie mit einem Geflechte, aus welchem ein Aestclien mit der Arteria nutritia hnichii in die I\rarkhühle des Oljerarmheins eindringt. — Sehr selten durchbohrt der Ä^ervvis cutaneus externus nicht blos den Coraco- brofhiali.t. sondern auch den Brachialis internus. Es liegt dann ein Theil dieses Äfuskels vor ihm. ein Theil hinter ihm. Der vordere steht immer dem hinteren an Stärke nach. Eine Reihe von mir aufgestellter Präparate macht es an- schaulicli, wie das vor dem Nerven liegende Fleisch des Brachialis internus sich so von dem hinteren absondert, dass es sich günzlich von ihm emancijdrt, nnd. als dritter Kopf des Biceps, sich an die Sehne dieses Muskels ansetzt. — Oefters sendet der Cutaneus e,vternus, jedoch nur, wenn er stärker als ge- wöhnlich ist. dem ÄWvtis medianus einen Verstärkungszweig zu. Dieser löst sich vor oder nach der Durchbohrung dis Coraco-brachialis von ihm ab, oder entspringt auch vi>n ihm. während er im Fleische des genannten Äluskels steckt. In diesem Falle durchbricht der Verstärkungsast zum Medianus das Fleisch des Coracfl-brachialis direct nach vorn, so dass der genannte Muskel von zwei Nerven (Stamm des Nervus ferforans und Verstärkungsast zum Medianus) durchbohrt wird. d) Nervus axillaris s. circumflexus. Er liegt hinter der Arteria axillaris, nnd umgreift mit der Arteria circwnße.ra posterior den Oberarmknochen, nnter dem Caput humeri. Hart an seinem Ursprung sendet er einen Zweig; znr hinteren Wand der Schnltergelenkkapsel, giebt einen erheblichen Hantast zur hinteren Gegend der Schulter nnd des Oberarms, Muskelzweige zum Teres minor, und endigt im Fleisch des Deltamuskels. e) Nervus meiliatnis, Mittelarmnerv. Sein Ursprung ans dem Aehselnervengefleeht ist zweiwnrzelig. Beide Wurzeln fassen die Arteria axillaris zwischen sich. Er setzt sich ans allen das Achselgeflecht bildenden Nerven, vorzugsweise aus den zwei Bündeln des Geflechtes, welche an der inneren und äusseren Spitze der Arteria axillaris liegen, zusammen. Im Sulcus biet- §. 374. Pars infraclavicularis des Armnervengefleclits. 973 pitalis internus lierablaiifend, hält er sich an die vordere Seite der Arteria hrachialis, geht aber oberhalb des . Ellbogens über die Arterie weg an ihre innere Seite, wird in der PUca cubiti vom Lacertus ßbrosud der Bicepssehne bedeckt, durchbohrt den Pronator teres, und tritt unter dem Radialis internus in die Medianlinie des Vorderarms ein. Hier treffen wir ihn zwischen Radialis Internus und hochliegendem Fingerbeuger. Er geht dann mit den Sehnen des letzteren unter dem Ligamentum carpi transuersum zur Hohlhand, wo er sich in vier Nervi digi- torum volares spaltet. Der erste ist nur für einige kleine Mus- keln (Abductor hrevis, Opponens, hochliegender Kopf des Fle,vor hrevis), und für die Haut der Kadialseite des Daumens, die folgenden drei für die drei ersten Äfusculi lumbricales, und für die Haut von je zwei einander zusehenden Seiten des Daumens und der drei nächsten Finger bestimmt. Der letzte von ihnen nimmt die gleich zu erwähnende Anastomose vom Hohlhandast des Nervus ulnaris auf. Am Oberarm erzeugt er keine x'^este, da der Cor aco- hrachialis, Biceps, und Brachialis internus bereits vom Cutaneus externus ver- sorgt wurden. Am Yorderarm dagegen lösen sich von ihm folgende Zweige ab: a) Muskeläste für alle Muskelu im der Beugeseite des Vorderarms, mit Ausnahme des Ulnaris internus. Der zum Pronator teres gehende Ast giebt einen Zweig zur Kapsel des Ellbogengelenks (Eüdinger). ß) Einen nicht constanteu Verbindungsast für den Nervus cutaneus externus und Nervus ulnaris. Ueber den letzteren handelt ausführlich G ruber, im Archiv für Anat. und Physiol., 1870. y) Den Nervus interosseus internus, welcher auf dem Ligamentum inter- ossemn, zwischen Flexor digitorum profundus und Flexor poUicis longus, beiden Aeste abtretend, zum Pronator quadratus herabzieht, in welchem er endigt. S) Einen Nervus cutaneus antibrachii palmar Is, welcher unter der Mitte des Vorderarms die Fascia antibrachii perforirt, um in der Richtung der Sehne des Palmaris longus als Hautnerv zur Hohlhand zu ver- laufen. f) Nervus ulnaris, E llbogenuerv. Er construirt sich aus allen Nerven des Plexus brachialis, vorzugsweise aus dem achten Halsnerven und ersten Brustnerven, liegt anfangs an der inneren und hinteren Seite der Arteria und Vena axillaris, durchbohrt das Ligamentum intcrmusculare internum von vorn nach hinten, um sich in die Furche zwischen Gondglus internus humeri und Olekranon einzulagern, durchbricht hierauf den Ursprung des Ulnaris internus, nimmt zwischen diesem Muskel und dem tiefen Fingerbenger Stellung ein, theilt beiden Aeste mit, und zieht mit der Arteria ulnaris, an deren innerer Seite er qy^ g. 374. Ptm infraHavictUari* des Armnorvengeflechts. lie"-t, zum C;irp»i>. Auf dieMMii ^^'('n•e ver.sornks <;elanuen (Rüdinger). lOine A'eri>iuduMu mit dem Mediainis ist nicht constant. (trulier sah den AV/v'».s iiliixris vor dem ('oiuJi/lifs hiomri internus gelagert, — vielleicht ein Verrenk uui^sfall, wie deren einii^e in neuester Zeit liei Turnern vorkamen. Lieber dem (-'arpus spaltet er sich in den Rücken- und Ilohl- h a n d a s t. a) I)er schwächere Rückenast erreiclit zwischen der Sehne des ('/iKiris iiiti'riiKs und dem unteren Pwide der Hlna die Dorsal- seite der Hand, wo er die Fascia durchbohrt, die Haut mit nnbeständi,i:;en Zweigen versielit, und sich gewöhnlich in fünf subcutane AV/w" iHls«nerven Kapsel tlos Kui»'i;elonks. Einen älmliclien Kapselnervcu erzeugt auch der Muskelast zum Vasftts c.ticrtius. Der Nervus cnintlis erzeugt auch, gleich nach seinem Hervortritt unter dem Poupart'schen Bande, einen bis zwei Zweige für die Arterin cruralis. Sie lassen sich bis zu den Aesten der Cruralis verfolgen. Von ihnen gelangt auch ein Aestchen mit der Arterin mitritio /emoris in die Markhöhle des Knochens. J. A. Sclniiidt. Comment. de nervis lniiibalil)us eorumque plexn. Vindob., l'7f)4. — L. Fischer, Descriptio anat. nervorum lumbalium. sacralium, et ex- tremitatum inf. Lips.. 1791. — E. Sti.i; Descriptio anat. nervi cruralis et obturatorii. Jenae, 1782. — C. Rosenmüller, Nervi obturatorii monographia. Lips., 1814. — Görino, De nervis vasa adeuntibus. Jenae, 1834. — B. Beck, Ueber einige in den Knochen verlaufende Nerven. Freiburg, 1846. — Rü- dinaer, Gelenknerven. Erlangen, 1857. §. 377. Kreuznerven und Steissnerven. Die fünf Kreuznerven, Xcrvi sacruleti, sind die stärksten, — der einfiiche Steissnerv, Nervus cocciigeus, der schwächste unter allen Rüekenmarksnerven. Die Kreuznerven nehmen von oben nach unten schnell au Dicke ab. Ihre Ganalia hiterrertehralla liegen noch im Rückirratskanal, wo auch die Theilnn"- der Sacraluerven in vordere und hintere Aeste stattfindet, welche durch verschiedene Oeffnungen diesen Kanal verlassen. Die schwachen hinteren Aeste des ersten bis vierten Kreuznerven, treten nämlich durch die Foramina sacralia postica, jene des fünften Kreuznerven und des Steissnerven durch den Hiatus sacro-coecyaeun nach rückwärts aus. Sie verbinden sich durch zarte, auf- und absteigende, einfache oder mehrfache Ana- stomosen, zum schmalen und wmxn^QXmXUAww Ple,rus sacralis posterior, aus welchem die den Ursprung des Glutaetis magmts durchbohrenden Ilautnerven der Kreuz- und Steissgegend entspringen. Die ungleich stärkeren vorderen Aeste der Kreuznerven gehen durch die Foramina sacralia aiiteriora, der fünfte durch das Foramen sacro- coccygeiim nach vorn in die kleine Beckeuhöhle, und bilden durch auf- und absteigende Verbiudungszweige unter sich, und mit dem vorderen Aste des Nervus cocci/f/eus, den Plexus sacro-coccif(jeiis, welcher zwi- schen den Bündeln des Musculus pyriformis und coccygeus durchdringt, mit den vier Gannlia sacralia und dem Oanglion coccygeiim des Sympathicus zusammenhängt, und den grössten Theil des vierten und den ganzen fünften Nervus lumhalis in sich aufnimmt. Er theilt sich in drei untergeordnete Plexus, welche von oben nach imten als Plexus ischiadicus, pudendalis, und coccygeus auf einander folgen. A) Der Pleocus ischiadicus, Hüftgef locht. Er liegt vor dem Muscidus pyriformis, und hinter der Arteria hypogastrica. Seine Richtung geht schräg Ton der vorderen Kreuz- §. 377. Kreuznerven uml Steissnerven. 983 beinflcäclie gegen das Foramen ischiadicum majus hin, durch welches er anstritt. Er besteht aus dem, dem Plexus sacro-coccygeus ein- verleibten Antheile der Nervi lumbales, und den zwei oberen Ansäe sacrales. Innerhalb des Beckens erzengt er nur zwei unbedeutende Muskelzweige für den Pyriformis und Obturator internus. Seine Yer- zweiguDgen extra pelvim sind: a) Der obere G es äs s nerv, Nervus glutaeus superior. Er geht in Begleitung der gleichnamigen Blutgefässe am oberen Rande des Musculus pyriformis, durch das Foramen ischiadicum majus zum Gesässe, wo er sich in dem Muscidus glutaeus medius, minimus, und Tensor fasciae verliert. h) Der untere Gesässnerv, Nervus glutaeus inferior, geht unter dem Muscidus pyriformis mit der Arteria iscliiadica durch das grosse Hüftloch zum Musculus glutaeus magnus. c) Der hintere Hautnerv des Oberschenkels, Nervus cutaneus femoris posterior, welcher ebenfalls unter dem Musculus pyri- formis zum Gesäss tritt, mit dem Nervus perinealis und glutaeus inferior anastomosirt, und seine Endzweige theils über den • unteren Rand des Olutaeus magnus zur Haut der Hinterbacke hinauf-, theils znr hinteren Seite des Oberschenkels herabschickt. d) Der Hüftnerv, Nervus ischiadicus, das Haupterzeugniss des Plexus ischiadicus, tritt uns als der stärkste Nerv des mensch- lichen Körpers entgegen. Sein Name ziert ungemein das reiche anatomische Yerzeichniss sprachlicher Absurditäten. 'löxiaSrnSg heisst bei den alten griechischen Aerzten: „ein an Lenden- weh leidender Patient"! Noch ärgerlicher klingt das fran- zösische nerf ischiadique. Die Breite dieses Nerven verhält sich zu seiner Dicke wie 5 : 2 Linien. Er geht wie h) und c) unter dem Muscidus pyriformis durch das grosse Hüftloch zum Gesäss, und steigt über die von ihm versorgten Auswärtsroller des Schenkels (Gemelli, Obturator internus, Quadratus femoris), zwischen Trochanter major und Tubero- sitas ossis ischii, zur hinteren Seite des Oberschenkels herab. Hier bedecken ihn die vom Sitzknorren entspringenden Beuger des Unter- schenkels so lange, bis er, ihrer Divergenz wegen, zwischen ihnen Platz nehmen kann, wo er dann höher oder tiefer sich in zwei Zweige theilt, welche in der Kniekehle den Namen Nervus popliteus externus und internus führen, und in ihrem weiteren Verläufe als Wadenbein- und Schienbeinnerv unterschieden werden. a) Der Wadenbeinnerv, Nervus peronaeus, zieht am inneren Rande der Sehne des Biceps femoris zum Köpfchen des Waden- beins hin, theilt der Kapsel des Kniegelenks zwei feinste Aestchen mit, und giebt zwei Hautnerven ab, welche als Nervus cutaneus P54 •• 3""- Kreurnerven und Steifsnerven. f>u)'ae e.rternus und inedius (der intcmufi war ein Ast des A^ennts »fiipheims major) die Fasviu pofilitea (lnrc'lil)t)liren. und in der Haut der Wade bis zur Aeliillesseline lierab sicli verbreiten. Hinter dem Köpfchen des Wadenbeins tlieilt er siili in einen oberfläcliliclien und ri cfl i eisend eu Ast, welche, (Nmi llals (h»s Wadenl)ein.s uuii;eliend, an die vordere Seite (b's (Tuter- sclienkels gelangen. 1. Der oberflächliche Ast. Nervus peronaeus superficialis, liegt an- fangs tief, zwischen dem Fleiscli der Peronaei und des E.vtensor diifitorum pedi.f lomius, welchen er Zweige giebt. Erst unter der Mitte des Untersclienkels durchbricht er die Fa-^cia crurls, und theilt sich l>ald darauf in zwei Zweige, welche über die vordere Seite des Sprunggelenks zum Fassrücken herablaufen, wo sie als Nervus cutaneus pedis dorsalis medius und internvs bezeichnet werden. Der medius verbindet sich mit dem aus dem Schienbeinnerven ent- springenden Neri'us suralis, — der internus mit dem Ende des Nervus sophe- nus ninjor. und einem Endaste des Neri'us peronaeus profundus. Beide senden Zweige zur Haut des Fussrückens, und bilden zuletzt, durch gabelförmige Spaltungen, sieben Zehenrückennerven, welche die innere Seite der grossen Zehe, die äussere der zweiten, beide Seiten der dritten und vierten, und die innere Seite der fünften Zehe versorgen, jedoch für alle nicht über die Phalanx prima hinaus. 2. Der tiefliegende Ast, Nervus peronaeus profundus, lagert sich auf die vordere Fläche des Zwischenknochenbandes, wo er sich an die äussere Seite der Arteria tibialis antica anlegt. Er wird deshalb auch Nervus tihialis anticus genannt. Er betheilt alle an der vorderen Seite des Unterschenkels gelegenen Muskeln mit Zweigen. Im weiteren Verlaufe nach abwärts kreuzt er die Arteria tibialis antica, und legt sich an ihre innere Seite, an der er, anfangs zwischen Exfetisor digitorum longus und Tibialis anticus, weiter unten zwischen Extensor longus hallucis und Tibialis anticus, zum Sprunggelenk herabzieht. Hier geht er durch das mittlere Fach des Ligamentum cruciatum zum Fussrücken. wo er in zwei Endäste zerfällt, den äusseren und inneren. Der äussere gehört dem Exfensor digitorum brevis; der innere verbindet sich mit dem aus dem Nervus peronaeus siiperficialis stammenden Nervus cutaneus pedis dorsalis internus, und versorgt mit zwei Zweigen die einander zuge- kehrten Seiten der grossen und der zweiten Zehe, welche vom Nervus pero- naeus superficialis nicht berücksichtigt wurden. Es hätten nun beide Seiten der fünf Zehen — nur die äussere Seite der kleinen nicht — ihre inneren und äusseren Rückennerven erhalten. Letztere wird nicht vom Nervus peronaeus, sondern von einem Aste des Nervus tibialis (sieh'/? dieses Paragraphen) mit einem äusseren Zehen- rückennerven versorgt. Was ist richtiger, peronaeus oder peroneus'/ IlfQÖvrj ist Wadenbein, somit ni^QovaTog, was zum Wadenbein gehört, wie der fragliche Nerv. rhQovaToq in's Latein übertragen, giebt aber peronaeus, nicht peroneus, es sei denn, dass man ein griechisches Substantiv, durch den allerdings guten lateinischen Aus- gang in eus, in ein Adjectiv verwandeln will, wo dann aber nicht peroneus, sondern peroneus gesprochen werden müsste, wie in osseus und cutaneus, nach der alten Regel: vocalis ante vocalem corripitur. ß) Der Sehienbeinnerv, ÄWru.s tihialii, steigt in der Mittel- linie der Fossa poplitea unmittelbar unter der Fascia poplitea §. 377. Kreu^nevven und Steissnerven. 985 herab. Seine Yerlaufsriclitnng kann bei mageren Individuen bei gestrecktem Knie nicht mir leicht gefühlt, sondern auch gesehen werden. Da er der hinteren Seite des Unterschenkels angehört, wird er auch Nervus tibiaUs posticus genannt, zum Unterschiede vom anticus, welcher der tiefliegende Ast des Nervus peronaeus war. Er dringt, nachdem er kleine Zweige in die hintere Wand der Kuiegelenkkapsel abgab, zwischen den beiden Köpfen des Grastroenemins auf den oberen Rand des Soleus ein, und geht unter diesem zur tiefen Schicht der Wadenmuskulatur, wo er mit der Arteria tlbialis postica, hintev dem Musculus tibialis posticus nach abwärts läuft, um unter dem inneren Knöchel bogenförmig zum Plattfuss zu gelangen. Im Plattfuss theilt er sich, unter dem Sustentaculum cervicis tali, in den Ramus plantaris externus und internus. In der Kniekehle erzeugt er: \. Den Nervus suralis s. communicans surae. Dieser zieht in der Furche zwischen beiden Köpfen des Gastrocnemius herab, durchbohrt das hochliegende Blatt der Fascia surae, gesellt sich zur Vena saphena posterior s. minor an der äusseren Seite der Achillessehne, und verbindet sich mit dem Nervus cutaneus surae externus vom Nervus peronaeus — daher der Name: Communi- cans surae. Unter dem äusseren Knöchel auf den Pussrücken übergehend, nimmt er hier den Namen Nervus cutaneus pedls dorsalis externus an (der medius und internus waren Erzeugnisse des Nervus peronaeus superficialis) , anasto- mosirt mit dem medius, und endigt, als letzter Zehenrückennerv, an der äus- seren Seite der kleinen Zehe. 2. Den einfach entspringenden, aber bald in zwei Zweige zerfallenden Ramus gastrocnemius, dann den starken Ramus ad soleum, und einen schwä- cheren Ramus ad poplitemn. Der Zweig, welcher zum Musculus popliteus geht, sendet einen langen Ast ab, welcher auf der hinteren Fläche des Zwischen- knochenbandes eine kurze Strecke weit fortzieht, dann zwischen die Fasern dieses Bandes eintritt, am unteren Ende desselben wieder frei wird, und sich in der Bandmasse zwischen den unteren Enden des Schien- und Wadenbeins verliert. Er wurde von Halbertsma in Leyden, als Zwischenknochennerv des Unterschenkels zuerst beschrieben. Während seines Verlaufes in der tiefen Schicht der Waden- muskeln giebt er ab: 1. Zweige zu den tiefliegenden Muskeln der Wade, und einen Faden zur Arteria nutritia des Schienbeins; 2. drei oder vier Hautnerven für die Umgebung der Knöchel und den hinteren Theil der Sohle. In der Sohle verhalten sich die beiden Endäste des Nervus tibialis posticus -folgendermassen: 1. Der Nervus plantaris internus tritt zwischen dem Abductor hallucis und Flexor digilorum brevis nach vorn, versieht diese Muskeln, sowie den ersten und zweiten Lumbricalis, und löst sich in sieben Nervi digitales plantares auf, welche die Fascia plantaris durchbohren, und an beiden Seiten der drei ^QQ 9. n''. KrenrniTven und ?ti'lssncivi>n ersten Zilien uml an der inneren Seite der vierten sich verlieren. Er hat somit dasselbe Verhfiltniss zu den Zehen, wie der N€rvu>> medianus zu den Fingern. i. Der Xervutf pl}ir{formis, und löst sich in zwei kleinere geflechtartige Nervenzüge auf, Avelche sind: a) Der mittlere und untere Mastdarm nerv, Nervus haemor- rhoidalis mediu.^ und Inferior. Beide zerfallen, nachdem sie mit dem Beckengeflechte des Sympathicus zahlreiche Verbindungen eingegangen haben, in Zweige, welche den Levator ani, den Fundus vesicae urinariae (bei Weibern auch die Yagina), den Sphlncter ani exten^us und iaterims, und die Haut der After- gegend versehen. h) Der Seh am nerv, Nerinis jnidendu.s. Er geht mit der Arteria pudenda communis durch das grosse Hüftloch aus der Becken- höhle heraus, und durch das kleine wieder in sie zurück, steigt mit ihr an der inneren Fläche des aufsteigenden Sitz- beinastes empor, und theilt sich in ZAvei Zweige, welche sind: et) Der Mittelfleischnerv, Nervus perinealis, zieht mit der Ar- teria perinei nach vorn zum Mittelfleisch, und schickt seine oberflächlichen Aeste zur Haut des Damme.s, seine tieferen zu den Musculi transversi perinei, biilbo-cavernosus, Sphincter ani eociernus (vorderer Theil desselben), und zuletzt zur hinteren Wand des Hodensaekes (Nervi scrotales posteriores) ; im weib- §. 378. Eintheilung des Pympathicus. und Halstheil desselben. 987 liehen G-eschlechte zu den grossen und kleinen Schamlippen, und. zum Yorhof der Scheide (Nervi labiales posteriores) . ß) Der Ruthennerr, Nervus peiiis dorsalis, steigt zwischen dem Musculus bulbo- und isclüo-cavernosus. letzterem einen Zweig mittheilend, bis unter die Schamfuge hinauf, legt sich mit der Arteria penis dorsalis, an deren äusserer Seite er verläuft, in die Furche am Rücken des Gliedes, sendet mehrere Rami cavernosi in das Parenchym der Schwellkörper, welche die Plexus cavernosi yerstärken, theilt der Haut des Grliedes und der Torhaut Aeste mit, und verliert sich endlich in der Haut der Grlans, und im vorderen Ende der Harnröhre. Beim Weibe ist er ungleich schwächer, und für die Clitoris und das obere Ende der kleinen Schamlippen bestimmt. C) Der Plexus coccycfeus, Steissgeflecht. Er verdient kaum diesen Namen, da er nur aus Einer Schlinge zwischen dem fünften Kreuz- und dem einfachen Steiss- beinnerven besteht. Er liegt vor dem Musculus coccygeus, und sendet vier bis fünf feine Zweige zum Ursprünge des Sphincter ani ex- ternus, zu den hinteren Bündeln des Levator ani, und zur Haut der Aftergegend. C. Vegetatives Nervensystem. §. 378. EintMlung des Sympathicus, und Halstheil desselben. Das vegetative Nervensystem, Nervus sympathicus, beherrscht die Bewegungserscheinungen im Herzen und im gesammten Grefäss- system. Die Physiologen nennen es deshalb das vaso-motorische Nervensystem. Der Sympathicus hat auch auf die Ernährungs- vorgänge einen, wenn auch nicht ausschliesslichen, doch durch physiologische Versuche hinlänglich sichergestellten Einfluss. Was der Sympathicus leistet, leistet er unwillkürlich, d. h. ohne unserem Bewusstsein davon Kunde zu geben. Der Sympathicus besteht: 1. aus zwei, längs der Visceralseite der Wirbelsäule, vom Atlas bis zum Steissbein verlaufenden Nervensträngen, welche an gewissen Stellen durch Ganglien unterbrochen werden, und deshalb Knoten- stränge, auch Grenzstränge des Sympathicus heissen; 2. aus einer Anzahl von Geflechten, mit und ohne eingestreute Ganglien, welche aus den Knotensträngen entspringen, und längs der in ihrer Nachbarschaft verlaufenden Arterienstämme zu den verschiedensten Organen gelangen. 938 *• 3'S- Einthellnng de' Sympathirus. and üalstheil desselben. I^ev Bau ilfv (ianglicn mpathicus kommenden J\iserzüge schlagen in diesen eine doppelte Richtung ein: nach oben und unten. Diese auf- und absteigenden Fasern gehen, höher oder tiefer, in jene peripherischen Aeste des Knotenstranges über, welche die Geflechte für die verschiedenen Einge- weide bilden. ])\e^ heiden KnotPiisträuge werden in einen H.ils-. I5rust-, Lenden- nnd K ren zliein tlieil eing-etlieilt. Der Il;ll^tlleil {\es KnetPnstviiug^p.s, Pars rerr/ndl.s- n. st/m- jxtthici, besitzt drei (xanglieii, irKmilht rerr/calia. A) Das obere llalsganglion, das grtisste von allen, hat in der Regel eine läuglicli-ovale, am oberen nnd nntereu Ende ange- spitzte Gestalt, ist meistens etwas plattgedrückt, und variirt in Grösse nnd Coufignration so hänfig, dass es die mannigfaltigsten Formen, von der spindelförmigen bis znr eckig- verzogenen Ausclivvelhmg annehmen kann. Seine Länge stellt zAviselieu acht bis sechzehn Linien, seine Breite zwischen zwei bis drei T^iuien, seine Dicke beträgt etwa auderthall) Linien. Es liegt auf dem AruscuJus rectus vapiti.'^ (int/cus iiuijor, vor den Qnerfortsätzen des zweiten bis dritten oder vierten Halswirbels, hinter der Carotis interna, und hinter dem Nervus vaxfus und hi/po(fIossus, an deren Scheiden es mehr weniger innig adhärirt. Die Aeste, welche es aufnimmt oder abgiebt, halten, von oben nach unten, folgende Ordnung ein: aj Zwei Gefässäste zur Carotis interna, an welcher sie den Plexus caro- ticits Internus bilden. Sie sind in der Regel anfänglich zu einem ein- fachen Stamme verschmolzen (Nervus caroticusj, welcher in der Ver- längerung des oberen spitzen Endes des ersten Halsganglion liegt. Seine Spaltung und Verkettung zum Plexus caroticus findet erst im carotischen Kanäle statt. bj Verbindungszweige zum H3poglossus, Ganglion juyulare und Plexus nodosus va^ii, zum Ganglion jv,gulare und petrosum des Glossopharyngeus. cj Verbindungszweige mit den vorderen Aesten der drei oder vier oberen Halsnerven. Sie gehen vom äusseren Rande des Knotens ab. dj Zwei bis acht zarte Nervi molles, welche an der Carotis interna bis zur Theilungsstelle der Carotis communis herabsteigen, um in den Plexus carotiMiiii.ithiiUs. {>-iicr heide am Steis.sbein \i\ einen uu})aareQ kleinen Knoten, das u corciitwinii /'injxir .-<. W'u/t/ivri (nicht ]\\i/terl), iiKeruehen. Die Kreuzheiuknoten i;el)en, nel).st den Ver- l>indnn;;s/, weinen /ai «len W'rri ,s(ti-r(i(e.'< , nnd den nicht immer evidenten ('omiiuinieation.staden der rechten nnd linken (Janj;lieu- reihe, noch Z\vei,i;chen /aini P/iwkü- /u/poifu.sli'icufi in/crior, — der Steissbeinknoten anch zum Ple.nis cocnftjcus, und zur 8tei.ssdrü.se. Der Inhalt dieser Drüse ist, neben seinen bläscheufönnij^en Ilohl- i>;ebilden, so reich mit Nerveuelementeu versehen, dass die Steiss- driise, mit dem llirnanhani^ und der Nebenniere, zu einer eigenen Drüseuü;rnppe — den Nervendrüsen — vereinii^t wurde. Was dieses Wort eii;eiitlich sa,i;en soll, wissen nur jene, welche es er- funden haben. J. (looig Walt her gab der erste eine gute Abbildung dieses Knöt- chens iu seinen Ta'm/ae nervontni tliorac. cl abd<~>min. ßevoL, 178.1., Tab. J, Füh 2. — J. Theopli. Walter, Professor in Berlin, nach welchem das Gan- . und OUmiiula rarotica. abgehandelt. Benennt man »Ion Xerras carotico-tyinpanii'us superior als Ncrvuf petrofitn pro/nndus minor, so niuss bj als major bezeiclinot werden. Aus dem P/e.rus caverNosuti ent.springeu: aj Feine Verbindiuigsfäden zum Gunjlkm GasKcri, zum Oeulomutuiius und Ratints prinnis tritjemini, welelie die äussere Wand des Sintis cavernosus durcliboliren, um zu diesen Nerven zu gelangen. b.i Zwei Fäden zum Nervus (ihdticens, wo er die Carotifi interna im Sinus cavernosus kreuzt. Einer von ihnen ist besonders stark, und galt früher, als man den Syminithieus mit zwei Wurzeln aus den (.iehirnncrven ab- leitete, als eine derselben. Die andere war der Aervus pctrosus pro- fundus. cj Die Radix sympathica des Ciliarkiiuteus, bereits erwähnt, §. 360. dj Etwas zweil'elliafte Verbindungszweige zum Gchirnanhang. ej Gefässnerven für die aus der Carotis interna entsprungene Arteria ophthahnica, welche mit liaarfeincn Zweigen des Nervus naso-cHiaris, und einiger Xcrei ciliares, den Ple^vus ophlhaliiticus zusammensetzen, aus welchem, wie allgemein angenommen wird, ein winziges Fädchen (welches auch aus dein Gamjlion ciliare stammen kann), mit der Arteria centralis retinae in den Sehnerven eintreten soll. Weder durch ana- tomische Darlegung, noch durch mikroskopische Untersuchung wurde constatirt, dass ein solches Fä.dchen überhaupt existirt. Man giebt sich leicht der Annahme hin, dass ein die Arteria ophthahnica umstrickendes Geflecht, jedem Ast und Acstchen derselben, somit auch der Arteria centralis, einen Faden mitgeben müsse. Mit Hilfe des Mikroskops lassen sich selbst an den kleineren, mit Creosot behandelten Verzweigungen der Arteria carotis interna sympathische Nervenfäden erkennen. Ich besitze ein Präparat, au welchem der die Artcria corporis callosi begleitende Zug sympathischer Fasern, mit mikroskopischen Knötchen eingesprengt erscheint, und ein an der Anastomose beider Dalken- artericn querlaufemler Faden die recht- uml liukseitigeu Geflechte in Verbin- dung bringt. 2, Plexus caroticuö- edternus. Die.se.s Geflecht kommt diireli die Verkettung der vom ersten Halsknoten des Sympatliicus ents})riingenen Nervi inolle.s zu Stande, welche tlieils an der Carotis interna bis zur Theilungsstelle der eo)niniinis herabsteigen, theils direct zwischen der Carotis interna und externa zur letzteren gelanoen. An der inneren Fläche des Stammes der Carotis conimanis, unmittelbar vor seiner Theilung, liegt das von den älteren Anatomen also benannte Gan- 'jlion intercaroficum, welches neuester Zeit, der sehlauchartigen Hohlgebilde wegen, welche sein bimlegcwebiges Stroma einschliesst, und welche mit den- selben Gebilden in der Steissdrüse, und in der llypophysis cerebri überein- stimmen, von Luschka als Glandula carotica bezeichnet wurde. Näheres hierüber enthält: S. Mayer, lieber das Ganglion intercaroticum. Tübingen, 1865, und Heppner, im Archiv für path. Anat., 46. Bd. — Die Glandula carotica muss als ein verkümmerter liest arterieller Gefässausbreitungen (Kic- mengefässc) der Fotalzcit aufgefasst werden. Ist die Suecession der Zweige der Carotis externa bekannt (§. 39ljj, so bedürfen die Strahlungen des IHcxus caroticus extcrnus nur nomineller Er- §. 383. Halsguflechte des Sympathicus. — §. 384. BrustgefLaehte des Sympathicus. 995 wähnung. Sie sind: der Plesiis thyreoideus superior, lingualis, maxülaris externus, pharyngeus, occipitalis, aurktdafis posterior, maxillaris internus, und temporalis. — In einigen dieser Geflechte kommen wandelbare Knötchen (Schaltkuoten, Ganglia infercalariaj vor, welche, nach "der Gegend, wo sie liegen, oder dem Organe, welchem sie angehören, verschiedene Namen erhalten: Ganglion pharyngeum (Mayer) — temporale (Paesebeck). — Treffen die carotischen Geflechte während ihres Verlaufes an den gleichnamigen Kopf- schlagadern auf Ganglien, welche den Gehirnnerven angehören (Ganglion sub- maxillarc, oticmn, etc.), so verbinden sie sich mit ihnen durch Fäden, so dass jedes Koiifganglion auf diese Weise mit dem 8ympathicus mittelbar verbrüdert wird. — Unter den älteren Nervenpräparaten der Präger Sammlung (von Prof. Bochdalek und Prosector Grub er) finden sich zwei schöne Fälle von Schalt- knoten, der eine am Ursprünge der Arteria laryngea, der zweite an jenem der Arteria maxillaris interna. — Siehe ferner H. Hörn, Eeperta quaedam circa nervi Sympathie, anatomiam. Wirceb., 1840. §. 383. HalsgeflecMe des SympatMcus. Die Halsgefleclite umgeben die in den Weich theilen des Halses sich verzweigenden Arterien. Nebst dem Plexus pharytujeus und thyreoideus superior, Avelche aus dem Plexus caroticus etcternus und somit ans dem Gawjllon cervieale priinum stammen, gehören hierher: aj Der schwache Plexus laryngcus, tlieils eine Fortsetzung des Plexus thyreoideus superior, theils durch Zweige der Laryngcalästc des Vagus gebildet. bj Der Plexus thyreoideus inferior, durch Aeste des mittleren und unteren Halsknotens zusammengesetzt. Wandelbare Knötchen (von Andersch zuerst beobachtet) kommen nicht selten in ihm vor. cj Der viel stärkere Plexus vertebralis dringt mit der Arteria vertebralis in den Wirbelschlagaderkanal ein. Er bildet sich aus aufsteigenden Aesten des letzten Hals- und ersten Brustknotens. Die zahlreichen und starken Anastomosen, welche er mit den vier bis sechs unteren Hals- nerven eingeht, lassen ihn hauptsächlich als eine Nervenbahn betrachten, durch welche Spinalnervenfasern dem Brusttheil des Sympathicus zuge- führt werden. — Die Stärke des Plexus vertebralis, seine regelmässige Verbindung mit den Halsnerven, und der Umstand, dass bei gewissen Thieren der freie Halstheil des Sympathicus fehlt, während der Plexus vertebralis in namhafter Entwicklung vorhanden ist, haben es veran- lasst, dass mehrere Anatomen ihn als tiefen Halstheil des Sympa- thicus bezeichnen. §. 384. Briistgefleclite des SympatMcus. Die Brustgeflechte gehören theils dem Grefässsystem als Plexus cardiacus und aorticus, theils den Lungen und der Speiseröhre als Plexus pulmoiialis und oesopliageus an. Das Herznervengeflecht, Plexus cardiacus, erstreckt sich vom oberen Rande des Aortenbogens bis zur Basis des Herzens herab, und wird aus dem Nervus cardiacus superior, inedius und inferior, sowie aus den Rami cardiaci des Vagus, Hypoglossus, und des ersten Brustknotens gebildet. Es umgiebt das aufsteigende Stück des Aortenbogens und den Stamm der Arteria pulmo - 63* 996 ^- ^^^- l'i'Ui'l'- U"J l'-eckeiigeüechtu Jea SyrapatUicus. nalit^. Der scliwäcliiTc Aiitluil ilcs (lolK'cliles. welduT am ooncaviii IJamlc des Aortciibupeiis und vor der reihton Artcria pubnonalix Hej^t, wird als ober- flächlielle^; Herznerveiigelleelit. von dem liinler dem Aortenliogen (zwisclien diesem und der TiUrtridirentlieilunsj:) sfelegeiien stärkeren, tiefliegenden unterseliieden. Das hoeliliegende Herznerveiigefieelit enthält über der Tlieilungs- stclle der Arlefias HerznervengcHeeht sendet Zweige an die primi- tiven Aeste des Aortenbogens, an die rechte und linke Artcria piilnionaii», die Hohl- und Lungenvenen, und schickt mit den Arteriae comnariac des Herzens Verlängerungen in das HerzÜcisch, als Plexus corouarias cordi,'< anterior und poifterior, welche zahlreiche kleine, fast mikroskopische Knötchen enthalten. Diese Ganglien, welche man am schönsten, ohne alle Präparation, in der durch- sichtigen Scheidewand der Vorkammern eines Frosch- oder Salamandcrherzens beobachten kann, sind als ebenso viele motorische Centra für die Herzbewe- gung anzusehen, und erklären es. warum ein ausgeschnittenes Herz iiocli lange fortpulsiren kann. Der Plf.ius arustknoten hervor, und begleitet die Aorta bis in die Pauehhöhle. Der Plexus oesopha'ieiis und puhnonalis gehören vorzugsweise dem 15rust- theile des Vagus an, und erhalten nur wenige sympathische Fäden aus den Herz- und Aorteugeflechten, und den oberen Prustganglien. §. 385. Bauch- und Beckengefleclite des Sympathicus. Die synipatliischen GeHecIitc dor I>;iiicli- und Beckenhöhle halten sich ;m den tSt;iiiim und ;in die A'erzweigungen der Baneh- aorta. Der AnthiMl de.s Yaou.s an der Bildung' die.ser Geflechte, i.st nur für den J'/i\nis cndiaciif,- evidtMit. Sie .sind im Allgemeinen sehr dicht i^enetzt, und schlies.sen zahlreiche Ganglien ein. Man unter- scheidet folgende: 1. PU'diia tiiiliafuä, — (his grösste und reichste Geflecht des Sympathicus. Dasselbe Avird dureii beide No-ul np/anchutfi, durch die Fortsetzung des PU\rttf< xorticiid thoi'aruu.'<, einen kleinen Antheil des Plrxuü ijastrirns posterior (vom Vagus), und von Fäden der zwei oberen Lendenknoten des Sympathicus gebildet. Es liegt auf der vorderen Aortenwand, diclit unter und vor dem Hiatus aorticus, und umgiebt tue Arteria coeliaca, ist somit uuj)aar. Seine stralilig- divergireuden Zweige rechtfertigen die ältere Benennung: Plexus solaris, Sonnengeflecht. Unter den gangliösen Anschwellungen, die es enthält, zeichnen sich zwei Anhäufungen von Ganglienmasse aus, welche eine halbmondförmige (Jestalt besitzen, ihre Concavitäten einander zukehren, und wohl auch durch A'erschmelzung ihrer llörner die Hufeisen- oder selbst Riuggestalt annehmen. Sie lieisseu, wenn §. 385. Bauck- und BecliengeflecMe des SympatMcus. 997 sie getrennt bleiben, G-anglia coeliaca, seinihmaria, abdominalia maxima, — wenn sie aber zu einer Masse yerschmelzeu, Ganijlion solare, Cerebrum abdominale s. Centrum nervosum Willisn. Der Plexus coeliacus sendet folgende Strahlungen ab: a) Den unpaarigen Ple.vus diaphragmaticus, — ß) den Plexus coronarius ventricuU superior, welcher mit der Arteria coronaria ventricidi sinistra zum kleinen Magenbogen hinzieht, — y) den Plexus hepaticus, welcher, die Arteria hepatica umgebend, zur Leber und deren Zugehür tritt, zum Pankreas und Duodenum Zweige giebt, und zur unteren Kranzschlagader des Magens den Plexus coronarius ventricuU inferior ausschickt, — 8) den Plexus lienalis, für die Milz und den Fundus ventricidi, — und zuletzt £) den unbedeutenden Plexus suprarenalis, quem nominasse sufficit. 2. Plexus •mesentericus superior. Grleichfalls unpaar, stellt er theils eine Fortsetzung des Plexus coeliacus, tlieils des Plexus aorticus abdominalis dar, enthält weit weniger und kleinere Knötchen als der Plexus coeliacus, und verbreitet sich mit der Arteria mesenterica superior, an deren Verlauf er gebunden ist, am Dünndarm und Dickdarm, mit Ausnahme des Rectum und Colon descendens. 3. Plexus renales. Sie sind paarig, ganglienarm, aus Contin- genten des Plexus mesentericus superior und aorticus, sowie des Nervus splanclmicus ininor aus dem Brusttheile des Sympathicus zu- sammengesetzt, umspinnen die Arteria renalis, und schicken einen Antheil zum Plexus suprarenalis, welcher mit dem Plexus phrenicus und coeliacus anastomosirt. 4. Plexus spermatici. Sie begleiten die Arteria spermatica interna auf ihrem langen Laufe zum Hoden (zum Eierstock bei Weibern), entspringen aus dem Plexus aorticus und renalis, und erhalten aucb Fäden vom Nervus spermaticus externus, aus dem Nervus genito-cruralis des Plexus lumbalis. 5. Plexus mesentericus inferior. Unpaar, versieht das Colon de- scendens und das Rectum, letzteres mit den Nervi haemorrhoidales superiores. Der Nervus JiaemorrJioidalis medius und inferior werden vom Plexus pudendalis der Nervi sacrales abgegeben. 6. Plexus aorticus abdominalis. Er zielit mit weiten Maschen und Sclilingen an der Bauchaorta herab, hängt mit allen voraus- gegangenen Gefleckten zusammen, bezieht seine Elemente vorzugs- weise aus den Ganglia lumbalia des Sympatkicus, und geht in den Plexus hypogastricus superior über, welcher auf der Grabel der Aortentheilung aufliegt, und die Vasa iliaca communia mit seinen Fortsetzungen , begleitet. In der kleinen Beckenhöhle zerfällt er in die beiden 7. Plexus hypogastrici inferiores, welche an den Seiten des Mastdarms liegen, durck sehr unbedeutende Fäden der Ganglia sacralia, wohl aber durch ansehnliche Ableger dies Plexus pudendalis ppg S n^r.. Literatur «Ip« ei-sammtcn Nervpnsytpm*. des vierton und fünt'tcn Kronzncrven verstärkt werdtMi, i;r("»ssere und kleinere Knötclien in viiriiihler Meng-e entliiiltcn. und sich in lol- y^end»' nntcrmMirdncte Gefleelite auflösen: «) Ple.nis uteriini.''. Er lifgt zwischen den Blättfni dcp L'ninmevtvm latum uteri. T*\c in flas Gewebe des Uterus selbst eindrinfrenden Fortsetzungen dieses Geflechtes führen zahlreiche kleine Ganglien. T>iese sind ebenso viele selbstständige Bewegungscentra des Uterus, und machen es ver- stündlich, dass Frauen im bewnsstlosen Zustande, ja selbst als Leichen geboren haben. Der letzte Fall dieser Art ereignete sich in Spanien, während des letzten Bürgerkrieges, wo eine schwangere Frau, von den Oarlisten gehängt, nachdem sie vier Stunden am Galgen hing, und somit schon lange ausgelebt hatte, ein lebendiges Kind gebar! ß) Plexus ve.ticali.« zu Harnblase, Samenbläschen, Vns deferen.t und Prostata (im Weibe zur Vagina als Ple.rufi veflcn-viiijinaliftj. y) Ple.nis cavernosjis. Er ist eine Fortsetzung des PlcriLf vefticalis. durch- bohrt mit der Arieria pudenda communis das Ligamentum trianguläre uretlmie, und gelangt dadurch an die Wurzel des Penis; hier theilt er sich in Zweige, von welchen die meisten in die Wurzel der Schwell- kürper eindringen, während die übrigen ein auf dem Bücken des Penis fortlaufendes Geflecht bilden, welches mit dem Nervus penis dorsalis anastomosirt, und in seine letzten Filamente sich auflösend, vor der Mitte des Penis ebenfalls die Faserhaut der Schwellkörper durchbohrt, nm im Parenchym derselben unterzugehen. — Im Weibe ist dieses Ge- flecht viel schwächer und für die Clitoris bestimmt. Es erscheint hier nur als Anhang des Plea's vesico-vagivnlis. Es leuchtet von selbst ein, dass, wenn man alle Geflechte ausfülirlich schildern wollte, welche zu den verschiedenen Organen der Körperhölilen aus- laufen, die engen Grenzen eines Lehrbuches bald überschritten sein würden. Dieses ist hier weder thunlich, noch überhaupt ntithig. Auch hänfen sich die Varietäten so sehr, dass durch ihre Zusammenstellung wahrscheinlich mehr Verwirrung als Licht in den Gegenstand gebracht würde. Der Umstand, dass die Geflechte grössttntheils den Schlagaderverzweigungen folgen, giebt dem Schüler ein leichtes Älittel an die Hand, die Quellen anzugeben, aus welchen die Organe ihre sympathischen Geflechte ableiten. Ch. Tlienph. Ludwig, De plexibus nervnrum abdominalium. Lipsiae, 1772. — A. Wri-'herg, De nervis viscerum abdominis, in Comment., vol. H. — J. G. Walther, Tabulae nervornm thoracis et abdominis. Berolini, 1784, fol. — Tiedemann, Tabulae nervorum uteri. Heidelbergae, 1822, fol. — J. Müller, Ueber die organischen Nerven der Geschlechtsorgane, etc. Berlin, 1836. — A. Gi'tz, Nenrologiae partium genitalium masculinarnm prndronius. Erlangae. 1823. — Peck und Lee. On the Nerves of the Uterus. Philosophical Trans- actions, vol. 41 und 42. - TL Körner, De nervis uteri. Vratisl., ISfi.-^. — R. Remak, Ueber fin selbstständiges Darnnurvensystem. Berlin, 1847. §. 3^6. Literatur des gesammten Nervensystems. Die neueste Literatur üljer die einzelnen Hirn- und Eücken- marksuerven wnirde schon in den betreffenden ParagTaphen der Nervenlehre ans-esfeben. §. 386. Literatur des gesammten Nervensystems. 999 Gresammte beschreibende Nervenlehre. C. Fried. Ludwig, sammelte unter dem Titel: Scriptores neuro- logiei minores, 4 vol., Lipsiae, 1791 — 1795, die besten Monographien einzelner Gehirn- und Rückenmarksnerven. — M. J. Langenheck, Nervenlehre. Göttingeu, 1831. Mit Hinweisung auf dessen Icones neurologieae, fasc. I — III. — /. Quain and W. E. Wilson, The Nerves, including the Brain and Spinal Marrow, and Organs of Sense. London, 1837. — J. B. F. Froment, Traite d'anatomie humaine. Nevrologie, t. I. et IL Paris, 1846. (Compilatorisch.) — L. Hirschfeld, und B. Leveille, Nevrologie. Paris. Giebt Beschreibungen und Ab- bildungen des Nervensystems und der Sinnesorgane, mit Angabe der Präparationsmethode. — Der Icon nervorum von R. Froriep, Weimar, 1850, enthält auf Einer Tafel das gesammte Nervensystem darge- stellt. — Eine vollständige Zusammenstellung älterer und neuerer Literatur bis zum Jahre 1841, findet sich in Sönmierring's Hirn- und Nervenlehre, umgearbeitet von G. Valentin. Gehirn und Rückenmark. F. J. Groll und G. Spurzheim, Recherches sur le Systeme ner- veux en general et sur celui du cerveau en particulier. Paris, 1809—1819. 4 vol., 100 planches, fol. — K. F. Burdach, Vom Bau und vom Leben des Gehirns. Leipzig, 1819 — 1826. — S. Th. Sömmer- ring. De basi encephali et originibus nervorum. Gottingae, 1778. — Ejusdem, Qiiatuor hominis adulti encephalum describentes tabulas commeutario illustravit E. d' Alton. Berolini, 1830. — J. C Wenzel, De penitiori structura cerebri et medullae spinalis. Tubingae, 1816. — F. Arnold, Tabulae anatomicae, fasc. I. Icones cerebri et medullae spinalis. Turici, 1838. — F. Tiedemann, Das Hirn des Negers mit dem des Europäers und Orang-Utangs verglichen. Heidelberg, 1837. — B. Stilling, Ueber die Medulla ohlongata. Erlangen, 1853. — Desselben Untersuchungen über Bau und Verrichtungen des Gehirns, I. Jena, 1846. — A. Förg, Beiträge zur Kenntniss vom inneren Baue des menschlichen Gehirns. Stuttgart, 1844. — R. B. Todd, The Descriptive and Physiological Anatomy of the Brain, Spinal Cord, etc. London, 1845. — J. L. Clarke, Philosophieal Transaetions. 1851, 1853. (Mikroskopische Untersuchungen.) — E. Stephani, Beiträge zur Histologie der Hirnrinde. Dorpat, 1860. — Freiherr v. Bihra, Vergleichend^ Untersuchungen über das Gehirn des Menschen. Mann- heim, 1853. — V. LenhosseTc, Neuere Untersuchungen über den feineren Bau des centralen Nervens3'Stems, in den Denkschriften der kais. Akademie, 10. Bd. — F. Gratiolet, Memoire sur les plis cerebraux de l'homme et des primates. Paris, 1854. Avee 13 planches. — 1 |')Q() §. 38ß. Litpratiir dos tfcsammten Kervensystpins:. E. Jfi(.scJikr, 8c'li:ulol, (Jeliini iinil Seele des Menscheu. Jena, 1855. Mit 8 Tafelu. — //. Luschka, Dii» Adergeflechte des meuschlicheu (xelnriis. Ilerliu. 1855. Mit 4 Tafeln. — F. Bithler und C. Ku]>ffcr, l ntersiu'luingen fd^er die Textur des Rückeumarks, etc. Ticipzig-, 1847. — Ji. StiUlnri, Neue üntersuchungeu über deu Bau des Küeken- uiarks, 5 Lieferungen, Cassel, 1858, in welchen die gesannnte übrige Literatur dieses so hoclnviclitigeu und zugleich so schwierigen Gc- bietes zusammengetragen ist. — Fr. Golf, in den Denkschriften der mediciuist'h-chirurgischen Gesellschaft zu Zürich, 18G0. — N. Jacu- liovitsrh, Leber die feinere Structur des Gehirns und Rückenmarks. Breslau, 1857. — C B. Reichevl, Bau des menschlichen Gehirns, etc. Lei}>zig, 1800 — 1801. — C Frommatm, Untersuchungen über das Rückenmark. .lona, 18(»4. — (J. Deiters, Untersuchungen über Gehirn und Rückenmark. BraunschwiMg, 18(35. — IL. Titriwr, The Con- volutions of the Cerebrum. E(iinburi;h, 1800. — T/i. Bisehof, Die Hirnwiiulnui;(Mi di^s Menschen. Mir 7 Tafeln. Münclieu, 1808. — Pansih, Die Furchen und Wülste am Menschenhirn. Mit 3 Tat'eln. Berlin, 1822. — A. Ecker, Die Hirnwindungen des Menscheu. Braun- schweig, 2. Auflage. — //. Fick, Phantom des Menschenhirns. Mar- burg, 4. Auflage. — B. StilVmn, Ueber den I]au des kleinen Gehirns. Mit 25 Tafeln. Cassel, 1878. — A. AtJamlcieiricz, Leber die Blut- gefässe des Rückenmarks, in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie, 1881 und 1882. — Ueber die Entwicklungsgeschichte des Gt'hirns hand«4t (ausser den in der allgemeinen I^iteratur ange- führten Eutwicklungsschriften) das noch immer classische Werk: T. Tiedemann, Anatomie des Gehirns im Fötus des Menschen. 1816. 11 im- und Bück cn ma rk suer \ en. Die Spccialschriften über einzelne Hirn- und Rückeumarks- niM'vou wurden Itereits bei den betrefTcMiden Paratiraphen angeführt. /'. ^Irnolil, Icones nerv(»rum capitis. Heidell)erg, 18;)4. Neue Auf- lage, 1800, Das beste und vollständigste Kupferwerk, da es durch- aus nach eigenen Untersnchuugeu des Verfassers ausgeführt wurde. — BiihJer, Neurologische Beobachtungen. Dorpat, 1830. — G. F. Fiieseheek, Die Nerven des menschlichen Koj)fes. Braunschweig, 1848, 2. Auflage. Mit 0 Tafeln. — BiuJiiier: üeber den sympathischen Grenzstrang des menschlichen Kopfes. München, 1872. Ungeachtet des Umfaiiges der neurologischen Literatur, und der dan- kenswerthen Bereichernngen, welche der Fleiss der Zergliederer diesem Zweige der anatomischen Wissenschaft zuwege brachte, ist die Phj^siologie des Nerven- systems noch lange nicht zu jenem Grade von Bestimmtheit gelangt, dessen sich andere Capitel der Phj'siologic erfreuen, und welchen wir gerade bei diesem System so ungern vermissen. Erst in neuerer Zeit hat sich durch J. Müller eine Physiologie der Nervenwirkungen zu bilden begonnen, und man hat die Kunst erlernt, die Lösung der Eäthsel des Nervenlebens durch das Experiment anzustreben. Leider haben die Experimente am lebenden Thiere nur zu oft zu contradictorischen Eesultaten geführt. Wo auf so ver- schiedenen Wegen dem Einen Ziele nachgestrebt wird, kann es an Verschieden- heiten der Auslegungen und Ansichten nicht fehlen, umsomehr, als man nicht sieht, was die operirten Thiere fühlen. Der schwächste Theil des Ganzen ist die mikroskopische Gehirn- und Eückenmarksanatomie, und so lange die Samm- lungs- und Vereinigungsweise der Nerven in den Centralorganen nicht besser bekannt sein wird, als gegenwärtig, werden die Hypothesen nicht so leicht von ihrem Throne zu stossen sein. SIEBENTES BUCH. Gefässlehre. A. Herz/) §. 387. Allgemeine Beschreibung des Herzens. -Uie Gefässlelii'e, Angiologla {ayyelov^ Gefäss) iimfasst die specielle Beschreibung' der vier Haiiptabtlieilungen des Gefässsystems: Herz, Arterien, Yenen und Lympligef'ässe. Die Bedeutung des Wortes Amjiologia {dyynoloyia) war ursprünglich keine anatomische, sondern eine chirurgische. Galen verstand unter Ajkjio- logia das Aufsuchen und Eröffnen der Blutgefässe an der Stirne und Schläfe, um schweren Gehirn- und Augenleiden durch Blutentziehung Linderung zu verschaffen. Das Zeitwort Uya hat doppelten Sinn: lesen und aufsammeln, wie auch das lateinische legere (man denke an colligerej, und das deutsche lesen (die Lese, das Auflesen). Erst im 17. Jahrhundert wurde von J. lliolan, welcher es auf seinem Gewissen hat, viele griechische "Worte in unrichtige Anwendung gebracht zu haben, Angiologia, als Lehre von den Blutgefässen eingeführt, wie Ilyologla, Splanchnologia und Neurologia. — Die Wurzel dyyüov verlangt es, dass man Ang'iologia, nicht Angiologia zu sprechen hat. Wenn nämlich in einem lateinischen Worte griechischen Ursprungs das vor einem Vocal stehende e oder i aus dem griechischen Diphthong tt entstand, gilt die prosodische Kegel: „vocalis ante vocalem corripitur" , nichts, und niuss das c oder i lang betont werden. So in Bruclüon (ßQovx^iOv, Königspalast in Alexandrien), Heraclia {'HQÜyiXsitt, Stadt in Griechenland), Prytanemn (tiqv- Tccvdov, griechisches Stadthaus), in den bekannten Museum {^ovghov), und Mausoleum (ficivawXeiov), etc. Das Herz, Cor, ist das Centralorgan des Gefässsystems. Es stellt einen hohlen, halbkegelförmigen, nuiskulösen Körper dar, welcher in der Brusthöhle, dicht hinter dem Brnstbein, und zvrischen den con- caven Flächen beider Lungen liegt. Man kann im Allgemeinen sagen, dass die Lage des Herzens der Yereinigungsstelle des oberen Drit- tels der Körperlänge mit dem mittleren entspricht, somit die Organe der oberen Körperhälfte unter einem unmittelbareren Einüuss des Herzens stehen, als jene der unteren. Der Herzkegel kehrt seine Basis nach oben, seine Spitze (Apea; s. Mucro) nach links und unten, und besitzt eine vordere (obere) convexe, und eine hintere (untere) plane Fläche, nebst zAvei Seiten- rändern. An der vorderen Fläche zieht eine Furche herab, welche ') Die §§. 4b — 59 des ersten Buclies (Gewebslehre) mögen früher durchgelesen werden, bevor man an das Studium der speciellen Gefässlehre geht. ]()()(3 S. WT. AUgt'me'iHv Hesdireibuiig des Herzens. uicilt ültiT iili niiihiegt, nud an ilir bis zur Basis zurückhiutt — die Läni^entu n-lie des Herzens, Sk/ckk /oin/ifinlnndis. Sie theilt änsser- lieh das Herz in eine rechte und linke Hälfte, und entspricht der in der Hohle des Herzeus augebrachten luni;itudinalen Scheidewand. Sie winl durch die King- »»der (^^ueriii rclie (Sk/cu.^^ ei reu Iuris s. coroni(lis) rechtwinkelig geschnitten. Diese (i>uertiirclie zeigt sich aber nur an der hinteren HerzHäche besonders ausge})rägt, au der vorderen dagegen wird sie durch die rrsj)rünge der Artcrii( aorta und imbnotMÜs verdeckt. Die absolute Grösse des Herzens stimmt gewöhnlich mit der Grösse der Faust überein. Sein (Jewieht beträgt im Mittel zwanzig Lotli; seine grösste Länge verhält sieli zur grössteu Ih'citc wie 5 : 4. Im weiblichen Gesehleclite nehmen (Jewielit und Grösse beiläufig um ein Seelistthcil ab. — Kein Orgau bietet übrigens so auffallende Schwankungen seiner Grösse und seines Ge- wichtes dar, wie das Herz. Die auf krankhafter Verdickung der Herzwand beruhende Herzhypertrophie vermehrt seine Grösse und sein Gewicht so bedeutend, dass die für diese Abnormität von französischen Anatomen ge- brauchte lieuennung, als cocur dehoeuf, entsehuldigbar wird. Die Deutschen wählten für geringere Grade dieses Leidens, welche bei sitzender Lebensweise sieh ein- zustellen pflegen, den minder bedenkliehen Namen: cor literatoruin. Cor stauniit vom griechischen xf'orp, contrahirt y.rjQ. Auch kommt xctQdtce, bei den Dichtern sogar HQadlt] vor. Das Wort Herz aber verläugnet seine Verwandtschaft mit dem griechischen ^toq nicht, welches häufig bei Homer gefunden wird. Durch Versetzung des q entstand aus tjtoq das angelsächsische hcort, das gothisehe hairto. und das englische Iwarf, von dem das deutsche Herz abzuleiten ist. Das Herz liegt schief, indem sein langer Diircliinesser mit dem verricaK'n Hrustdurchmesser eiueu Wiidvel von circa fünfzig Grad liildet. Ersterer wird von letztereui nicht in seiner Mitte, sondern einen Zoll über derselben geschuitten, wodurch ein grösserer Theil de.s Herzeus der liukeu, ein kleinerer der rechteu Thoraxhälfte au- gehört. Fiei deu Sängethieren, uud im frülieu Embryolebeu des Menschen findet sieh eine zum Zwerchfell vertieale Herzlage. Die Basis des Herzens liegt hinter dem Corpus stenü, in gleiclier Höhe mit dem sechsten Brustwirbel, oder dem Zwischenräume des vierten und fünften rechten Kippenknorpels, die Spitze hinter den vorderen Enden der sechsten und siebenten linken Ripite. Die Kichtung des langen Durchmessers des Her- zen^ geht somit schief von rechts, oben, und hinten, nach links, unten, und vorn. Zwischen der Basis des Herzens und der Wirbelsäule liegen die Contenta des hinteren IMitt.lfrllraiinKs. Die Herzhöhle wird durch eiue, dem Sulcu6 loniiitudinalia eut- sprecheude Scheidewand, in eine rechte uud linke Hälfte abgetheilt. Jede dieser Hälfteu besteht aus einer Kammer, Ventrkulus, uud einer Vorkammer oder Vorhof, Atriani. Jede Vorkammer besitzt ein nach vorn und innen gekrümmtes Anhängsel, das Herzohr, Auncula rordiä, von uusereu Altvordern II erzläppleiu genannt. §. 387. Allgemeine Besckreibung des Herzens. 1007 Die Basis der linken Auriciila wird von der zug'ehörig'en Yorkammer durch eine halsartige Einschnürung sehr scharf abgemarkt, Avährend an der rechten Auricula eine solche Einschnürung fehlt. — Der SulcHS circularis bestimmt äusserlich die Grrenze zwischen Yor- kanimeru und Kammern. Beide Yorkammern werden durch das Septum atriorum, beide Kammern durch das Septum ventriculorum von einander geschieden. Die Kammern haben bedeutend fleischigere Wandungen als die Yorkammern, weshalb man früher die Kammern als muskulöses, die Yorkammern als häutiges Herz unterschied (Cor musculosum, Cor membranaceum). Bei den französischen Autoren wird das Wort ÄuriculaforeiUctteJ niclit für unser Herzolir, sondern für die ganze Vorkammer gebraucht. Ebenso bei den Engländern das Wort aiiride. Der verticale Durchschnitt jeder Kammer zeigt, der Kegel- form des Herzens wegen, eine dreieckige Gestalt, mit oberer Basis und unterer Spitze. — Die rechte Kammer ist dünnwandiger als die linke, die Höhlen beider sind aber einander und jenen der Yorkammern gleich, wenn nicht krankhafte Differenzen obwalten. Die innere Oberfläche der Kammern ist, sowie jene der Vorkammern und Herzohren, nicht glatt und eben. Denn die Muskelbündel, welche die Herzwand construiren, springen gegen die Höhle des Herzens mehr weniger vor, ragen auch frei in sie hinein, so dass sie mit einer Sonde umgangen und aufgehoben werden können, oder laufen quer von einer Wand zur anderen, wie in den Herzohren, und in der Nähe der Spitzen der Kammern. Sie heissen in den Kammern, wo sie die verschiedensten Richtungen zeigen, Fleisch- balken des Herzens, Trabeculae carneae. (Trabecula ist das Dimi- nutiv von trabs, griechisch tq^tit}^, ein Balken oder Stamm.) In den Yorkammern dagegen, wo ihre Richtung eine mehr parallele wird, wie bei den Zähnen eines Kammes, pecten, führen sie den Namen: Kammmuskeln, Musculi pecthiati. In die Yorkammern münden die grossen Yenenstämme ein, und zwar die beiden Hohlvenen und die Herzvene in die rechte, die vier Lungenvenen in die linke. Aus jeder Yorkammer führt eine geräumige Oefl"uung, das Ostium atrio-ventriculare s. Ostium venosum ventriculi, in die entsprechende Kammer, und aus der Kammer eine ähnliche Oeffhung, Ostium arteriosum ventriculi, in die aus ihr entspringende Arterie. Das Ostium arteriosum der rechten Kammer führt in die Lungenschlagader, jenes der linken in die Aorta. Beide Ostia einer Kammer befinden sich an der nach oben gekehrten Basis derselben. Am Ostium venosum und arterioswii jeder Kammer kommt ein Klappenapparat vor, welcher zum Mechanismus der Herzthätigkeit 1008 S- ''ST. Allgemeiiiu Desiliioibuiii,' de- lU'izeus. in tlcr iimiL;>t*Mi IJc/.it'liuiii;- .stflit, und (l(^s.s^•n .sinnrcit-lu' Einriclituna,- :in jene ilcr Pnin|»i'n\ cntik' t'i-innert. Der I»;in der Kl;ij)|)en ;in den Venoben Osticn lasst sich .so auffas.sen. Die innere Aii.sklei(hini;sliaut der llerzlndden Iieisst EiuJordriHutn. Da.s Endocardinni i;elit am Wände de> (K^l'nnn fi'iiomuii nielit eint'aeli au.s der \ orkaninier in die Kammer iiher, .simdern ^itüll)t .sicli im «ganzen Umtani^e die.se.s O.^tium.s in die llrdde der Kammer ein, und erzeugt dadurch eine Falte, welcdie die (le.stalt eine.^ Intlilen, in die Kammer lierabliäugeuden i'vlinder.s haUen wird. Zwi.selien den Ijeideu Hlätteru der Falte heh'ndet sich eine l)latt türm ige Verlängeruni;' jenes fibrösen Ringes, widelier das Ustiimi foiod-ian der Kammer umgieht, und im nächsten Parai;ra|dieu aIs AhiikIuö- ßhrv-rdrtiliUfiueus erwähnt wird. Aus dieser in die Kammer hinahhängenden, cylindrisehen Einstül])uni;' dt^s Eudo- cardium (h-nke man sich, durch die ganze Länge derselben, von unten her, in der rechten Kammer drei, in der linken Kammer aber nur zwei Dreiecke mit oberer Spitze lierausgeschnitten. Es werden dann von der cvlindrisch gedachten P^ndocardiumfalte, in der rechten Kammer drei, in der linken zwei dreieckige Lappen mir unterer S])itze zurückbleiben. Diese dreieckigen Zipte l)ilden die A trio- Ventricularklappen (Vtilru/üt' ati-fu-reatricularca). Die in drei Zipt'e gespaltene Atrio- Ventricularkla])pe des rechten Ven- trikels Iieisst Valvula tricuspidalis -s. trhjlochiä (von yXcoyig, Pfeil- spitze), die zweizi})telige Klappe des linken Ventrikels dagegen Vatviild huüfii>iilalis s. mitraUs. An den freien Rand nnd an die der inneren Oberlläche der Kammern zusehende P^läche der Klappen setzen sich einfache, oder mehrfach gespaltene sehnige Fladen (f'horilae teudincac) fest, welche grössteutheils von zapfeuförmigen, derl)en, aus der Kammerwaud hervorragenden Muskelbüudeln aus- gehen. Diese Muskelbttndel heissen Musculi papilläres, Warzen- ujuskel. Diu weisse Färbt; der Ckoniae tendincae verleitete Aristoteles, sie für Nerven zu halten, inul die von Galen widerlegte Ansicht zu hegen, dass alle Nerven aus dem Herzen entsiningen. In den O.slta arlcriosa der Kammern faltet sich das Endo- cardium ebenfall.s, um in jedem derselben drei halbmondförmige Klappen (Valvulae seiitUunarcs s. si;jiuathulogische Anat., 14. Bd. — Zwischen den IMuskelhtindeln des Herzfleisches findet sieh nur sjtärliehes Bindegewebe. Es erklärt sich daraus die auffallende Härte des gesunden Herzfleisches. — Die sich kreuzenden, relativ siiarlitheren ^[uskclliiindel der Vorhüi'e bilden Masehen, in welchen das P.'ri- und Enddcardiuni mit einander in Berührung kommen. Alein .hemaliger Schüler, Prüf. Hau seh ka, fand, dass im olursten Be- zirke der Kanimerscheidewaud, au einer genau umschriebenen Stelle, dicht unter dem Winkel, welchen die rechte und linke Vnlvufa senülunaris der Aortenwurzel bilden, die Muskelfasern fehlen, und die Endocardien beider Ventrikel zu einer dünnen, durchscheinenden, häutigen Platte verschmelzen, welche den sehwäclisten Tlieil der Kammerscheidewand bildet. Unter patho- logischen Bedingungen kann es selbst zum üurelibrueh dieser dünnen Stelle kommen. Die durchscheinende muskelfreie Stelle wurde als ein constantes Vorkommen erklärt, da sie sich an dreihundert untersuchten Herzen, mit geringen Variationen ihrer Grösse, vorfand. (Wiener medicinische Wochen- schrift. iSo.'i, Nr. i).) Historisches und Pathologisches hierüber giebt Reinhart, im Archiv für path. Anat., 1857, und Virdion', ebenda, 1858. Die zwischen Peri- und Endocardium eingeschaltete Muskelschicht — das sogenannte Herzfleiscli — besteht aus kurzen, spindelförmigen und einkernigen Primitivfasern, wie sie allen unwillkürlichen Muskeln zukom- men. Diese Fasern besitzen jedoch in ihrem quergestreiften Ansehen auch ein Attribut der animalen oder willkürlichen Muskelfasern. Die Primitiv- fasern des Herzfleisches verbinden sich untereinander netzartig, und ihr ein- facher Kern liegt nicht unmittelbar unter dem Sareolemm, sondern im Innern der contractilen Fasersubstanz. §. :^89. Specielle Beschreibung der einzelnen Abtlieilungen des Herzens. A. Rechte Vor kam in er, Atr'mta de.vtrum. Da man .sicli die reclite Vorkammer al.s dureli den Znsanimen- flii.s.s beider llohlveuen gebildet duckte, "wurde sie auch Sinus vena- ruin cavarum genannt. Sie liegt, wegen der linkseitigen Axen- drehung de.s Herzen.s, melir nach vorn, als die linke, und hat — das rechte Herzohr abgerechnet — im ausgedehnten Zustande die Gestalt eines irregulären Würfels mit abgerundeten Rändern. Die rechte oder äussere Wand des Würfels ist die kleinste. Die linke oder innere Wand gehört dem ^^ejitiun utriorum an. Sie zeigt an ihrer hinteren Hälfte eine eiförmige Grube, Fossa oralis, in Avelcher die Endocardien beider Vorhöfe, Avegen Fehleus der Muskelschicht, in Berührung kommen. Der Boden der Fossa ovalls kann somit blos membrauös sein. Ein fleischiger Wulst, L'imhus foraminis ovalis s. Isthmus Vieiissenii, unigiebt die vordere Peripherie der Foss<( omilis. In der linken Vorkammer ist nichts von ihm zu sehen. Sehr oft bemerkt man an der rechten Seite des Septum, unter dem freien, nach hinten sehenden concavcn Rande des Limbus, eine Art von Tasche §. 389. Specielie Beschreibung der einzelnen Abtheilungen des Herzens. 1013 oder Grube, aus welcher eine Sonde in den linken Vorhof hinübergeführt werden kann. In diesem Falle findet man auch an der linken Seite des Septum einen mit seiner ConcaYität nach vorn sehenden Halbring, als vorderen Eand des membranösen Bodens der Fossa ovalis. Wir haben also dann in der Fossa ovalis zwei einander mit ihren Concavitäten entgegenstehende Bogen, deren vorderer, fleischiger, der Limhus Vieussenii ist, deren hinterer, membranöser, dem Boden der Fossa angehört. Beide Bogenconcavitäten sind so über einander geschoben, dass sich ihre Eänder decken, welche nun ganz oder nur theilweise mit einander verwachsen. Verwachsen sie nur theilweise, so wird die oben erwähnte Coramunication zwischen rechter und linker Vorkammer gegeben sein. Das Embryoherz giebt uns hierüber näheren Aufschluss. Denn beim Embryo ist die Fossa ovalis in ihrer ganzen Grösse ein offenes Loch, und heisst Foramen ovale (Trou de Botal der Franzosen). Der Verschluss dieses Loches wird durch das Hervorwachsen einer halbmondförmigen Falte am hin- teren Rande des Loches erzielt, welche Falte sich immer mehr und mehr vor- schiebt, bis sie den vorderen Umfang des Loches erreicht, und sich daselbst an die linke Seite des Limhus Vieussenii schieberartig anlegt, um mit ihm vollständig, oder mit Zurückbleiben einer Spalte zu verwachsen. Perennirt eine solche Spalte auch im geborenen Menschen, so unterhält sie eine offene, wenn auch sehr enge Verbindung zwischen beiden Vorkammern. Sie wird aber den- noch das Blut nicht aus einer Vorkammer in die andere strömen lassen, weil die über einander geschobenen Eänder der Spalte durch den in beiden Vor- höfen gleichen Blutdruck an einander gedrückt erhalten werden. An der hinteren Wand der rechten Yorkammer pflanzt sich die Vena cava inferior ein. Ton der vorderen erhebt sich die Auricula dextra, welche sich als pyramidale, vielfach eingekerbte Yerläug-erung der Yorkammer, vor der Wurzel der Aorta nach links herüberlegt. In der oberen Wand mündet die Vena cava superior. Die untere enthält das in die rechte Kammer führende Ostiimi venosum. An der inneren Oberfläche der rechten Yorkammer, be- sonders an ihrer vorderen Wand, sind die Musculi pectinati sehr markirt. Man findet in der rechten Yorkammer noch: a) Die Valvnla Thehesii. Da die rechte Yorkammer alles Yenenblut des Leibes zu sammeln hat, so mnss die Kranzvene des Herzens, welche weder in die obere, noch in die untere Hohlvene einmündet, sich isolirt in diese Yorkammer entleeren. Die Einmündungssteile der Kranz- vene in die rechte Yorkammer liegt an der Zusammenkunft der inneren und hinteren Wand. Sie wird durch eine halbmondförmige, sehr oft gefensterte Klappe, Valvula Thehesii, deren concaver Rand gegen die Scheidewand beider Yorkammern gerichtet ist, gewöhn- lich nur theilweise bedeckt. Diese Klappe zeigt die zahlreichsten Yerschiedenheiten. Ich sah sie öfters nur durch einen fleischigen Wulst vertreten, welcher nichts weniger als einer Klappe ähn- lich sieht. "1014 ^- 38^ Spt'cipllo r.esdirellninp clor Hin7t'lin'n Abdu-ihingen ilt"i Hoiven?. I>i.' V.ih'ula Thehesii t'ülirl iliv.'i) Xaiii.'U vnii ,leni schlesischen Arzto All. <"lir. Tlif l>t'sius. wolilicr sie in scimv liiau«nialstlivift. De circulo /lav- yuini.- in orde. Liuid., 1108, sehr gut beschrieb, nliiie zu wissen, .lass ilie Klappe schon von Eustaeliius, De venu sine pari, in (ypusc. anal. r«}if^. 150.": erwälint nn-lachii. Sio findet sieh nur im Embryo in voller Entwicklung- vor, wo ihre Wirksamkeit wülirend des Offeuseins des Fovameu ovale besonders in Anspruch genommen wird. Reste der.selbeu bei Er- wachsenen sind (dine functionelle Wichtigkeit. Ihre Ge.stalt i.st sichelförmig, ihr freier Rand nach innen und oben gerichtet; ihr Befestigungsraud erstreckt sich vom rechten Umfange der unteren ITohlveuenmündung /nm vorderen Schenkel des Lsthwiif; Vieussenü empor. Ilire Verwendnntf im Embryo scheint darin zu bestehen, dass sie, nach Art .ines Wehres, den Blutstrom der unteren (!ava gegen das Foramen ovale hinlenkt. Sie enthält IMuskelfasern. Im Erwachsenen erübrigt nur ein Rest dieser Klappe, welcher überdies noch durchlöchert sein kann. — Die Valvula Eiistachii und die Valvvla Thehesii sind, wie alle anderen Herzklappen, Dupli- caturen des Eudocardium, und enthalten Muskelfasern, welche von den Musculi pectinati der rechten Vorkammer abstammen. r) Da.s Tt(he)'('ulinn Loveri. Dasselbe wird als ein, hinter der Fovea ovalis, zwischen den Oeffnnngen beider lb)hlveueu, mehr weniger vorspringender Wulst angegeben, welcher dazu dienen soll, die Blutströme beider Cavae zu verhindern, sich scheitelrecht zu treffen, zugleich aber auch den Strom der i'iini .^Kperior zum Ostiinn atrio-ventrictdare de.rtnun zu dirigiren. wie die Valvula Kui^iai-hii den Strom der Cava htferior zum Forami'ii nva/e leitet. Lower's Worte lauten: „Tuhevculmn, a {iiihjeetti piiuiuetlhie eJalum, orcurrit, quo f>an(/uitt, per Cavam deseenden- teiii di'/ap.siis, In iiuv'irulam (Vorkammer) divevtitur, ne fiauguhiein, per Cavatii iisirnili'uti')ii assur^ientem, reprimeret valde et retardaret." Da der Strom der Cava superior im Embrjo blos venöses Blut führt, jener der Cava inferinr aber durch den Ductus venosv^ Arantii auch arterielles Blut ans der Nabelvene erhält, so wird im ungeborenen Menschen vorwaltend venöses Blut durch das Ostium atrio-ventriculare de.rtrum in die rechte Kammer, von dieser in die Arferia pulmoimlls. und sofort durch den Ductus Botalli in die Aorta thoracica descendenx gelangen, welche die untere Körperhälfte versieht, während das gemischte Blut der unteren Hohlader, direct durch das Foramen ovale in die linke Vorkammer, aus dieser in die linke Kammer, und somit in den Aortenbogen gelangt, dessen drei Cardinaläste es in die obere Kör]ierliälfte vertheilen. Aus dieseni Verhältnisse soll es sich erklären, warum die obere Körperhälfte des Embryo rascher wächst, als die untere. Das Tuberculum wurde von Richard Lower zuerst an Thierherzen entdeckt, und im Traclatus de corde. Lond., 1669, Cup. 1, beschrieben. Nach Henle verdankt das Tuberculum seine Existenz einer Ablagerung von Fett §. 389. Specielle Besolireibnng der einzelnen Abtheilnngen des Hei'zens. lOlo zwischen den beiden Schichten der Muskulatur des rechten Atrium, deren innere durch dieses Fett gegen das Atrium vorgewölbt wird. Haller verwirft es gänzlich, und viele Neuere mit ihm. Schon der ehrliche Heister sagte: „in bestiis, sed non in homine inveni' (Compendium anat., §. 261J- Im Herzen des entwickelten Menschen scheint es mir so unerheblich, dass ihm eine phy- siologische Bedeutsamkeit nicht zugesprochen werden kann. d) Die Foramina Thehesü. Es fiuden sicli nicht blos in der rechten Yorkammer, sondern auch in der linken, ja selbst in den beiden Kammern, einige kleinere, an Zahl, Standort, Gruppirung- und Grösse yariirende Oeffnungen Tor, deren grösste kanm 0,2'" Durchmesser zeigen. In der rechten Yorkammer, wo sie zahlreicher zu sein pflegen, als in der linken, trifft man sie in der Nähe der Valviila Thebesii und des Isthmus Vieussenli. — In der linken Yorkammer findet sieh eine grössere Oeffnung dieser Art im unteren Bezirk der Yorhofsscheidewand. In den Kammern trifft man dieselben meist an den glatten Stellen ihrer Wand, in der Nähe der Ostia arteriosa, und auf der Ober- fläche der Papillarmuskeln. Was sind diese Oeffnungen? Yieussens, Thebesius, Winslow, Abernethy, u. A. hielten sie für Ein- mündungen kleiner, selbstständiger, d. h. nicht in das Stromgebiet der Vena coronaria cordis magna einbezogener Herzvenen. Haller und Zinn sprachen ihnen die Bedeutung von Yenenmündungen ab, wie auch Cruveilhier und Luschka in neuerer Zeit. Sie sollen blos Eingänge zu blinden Divertikeln des Endocardium sein. Boch- dalek jun. (Archiv für Anat., 1868) und Ludwig Langer (Wiener akad. Sitzungsberichte, 1880) erklärten sie, auf Injectionsergebnisse gestützt, neuerdings wieder für Ostiola venarum. Letzterer giebt jedoch zu, dass einige derselben nur in blinde Ausbuch- tungen des Endocardium führen. In vielen Herzen sollen auch in der Gegend der rechten Auricula Venenöffnungen vorkommen, welche direct in die Kranz- vene des Herzens führen (?). Sind wirklich von den Foramina Thebesii aus kurze Venenstämmchen injicirt worden, denen ein ihnen zugehöriger Bezirk von Capillargefässen entspricht, dann werden wohl alle theoretischen Bedenken gegen die Bedeutung dieser Oeffnungen als Ostiola venarum die Flagge streichen müssen. B. Linke A^orkammer, Atrium sinistrum. Die linke Yorkammer wird auch Sinus venarum pulmonalium genannt, und hat im Ganzen dieselbe cubische Gestalt, wie die rechte. Die obere Wand nimmt die yier Lungenvenen auf; an der linken Wand erhebt sich die Auricula sinistra, welche an ihrer Basis tief eingeschnürt ist, und sich an die Wurzel der Lungen- arterie anlegt. Musculi pectinati springen an der inneren Wand dieses Yorhofes, welche in ihrer ganzen Ausdehnung glatt erscheint, nicht vor. ^OKJ 8, 3S$>. Spi>oiill«> r.("ä(liri'iVunc ■li-r rin/i-liion AMlu-ilunp.n dos lIiT/ons. C Ixcclitc K;iinm('r. Viiiti'i('iiJii.'< (le,ih'r. Si«' zeii;t. wir »lif linke, im vcrticiilcii Durclisclmitt eine drei- eckisjo Gost.ilt, mit nnteror 8j)itze und olierer Basis. Schnoidot man (las Ileiz ipier diircli. so ersclieint der Dnrolischnitt der rechten Kammer als Halbmond. Die concavo Seite des Ilalhmouds gehört dem Scptinn rcnfrinifunon an. welches nicht ])lan, sondern i^ogen die rechte Kammer zu convex ausgehoben ist. Das Osthmi venosinn und (irteriosutn Heuen an der Masis der Kammer. Sie berühren sieh nicht, wie im linken Ventrikel, sondern sind durch ein circa fünf Linien breites Interstitiuni von einander getrennt. Die am Umfange des Ostimn /■cnoftiiui haftende Vulnila tricvsphlalis ragt mit ihren drei Zipfen, von welchen der vordere der grösste ist, weit in die Kanimerhohle licrai). Nicht alle Chorihie tcntUneae der Vahnda trictt- spitlalis gehen aus Papillarmuskeln hervor. Einige derselben tauchen aus der Fläche des Sei>tum rentriculormn auf. — Das 0.itIalts herab. Man nennt jenen Winkel der Kammer, welcher mittelst des Osthtm artenosum in die Lungenschlagader führt, Conus arteriosus oder Infundilndum. Es muss als durchaus unrichtig erklärt werden, von drei Valvulae tricuspidales zu reden, denn es giebt nur Eine. Der Klappenring am O.ofiiim venofitim der rechten Kamraer hat, wie in §. 387 erwähnt wurde, drei Zipfe. deren jeder nur Eine Spitze besitzt. Würde man, wie es leider Brauch ge- worden, jeden Zipf als Valvida tricu.'^pidalis, d. h. dreispitzig, gelten lassen. und von drei Valvulae trictufpidales reden, so gäbe dieses neun Spitzen, wäh- rend nur drei vorhanden sind. Der Stand der Papillarmuskeln entspricht nicht den Spitzen der Klappen, sondern der Spitze des zwischen zwei Klappen befindlichen Winkeleinschnittes. Dadurch wird es möglich, dass ein Papillannuskel seine Chordae tendiveae zu den einander zugekehrten Rändern zweier Klappenzijtfe schickt, somit, nebst der Spannung der Klappen, auch auf ihren festeren Zusammenschluss einwirkt. Jene Chordne tendineae, welche nicht an den Rand der Klappen, sondern an die der Wand des Ventrikels zusehende Fläche derselben treten, spalten sich an ihrer Insertionsstelle dichntomisch oder mehrfach, und die Spaltungsästchen mehrerer Chordae verbinden sich zu einem Netzwerk, welches die Stärke und Widerstandskraft der Klap]ien bedeutend vermehrt, und ihre Ausbauchung gegen die Vorkammer während der Zusammenziehung der Kammer verhindert. Die drei Valvulae semilunares im Ursprungsstück (Wurzel) der Arteria pulnionalis werden in eine vordere, rechte und linke eingetheilt. Sie sind breiter als der Halbmesser des Ostium arten'osum, und müssen deshalb, wenn sie während der Diastole der Kammer zuklajipen, durch Flächencontact ihrer Ränder, die OeflFnung um so verlässlicher schliessen. Jede Valvula semilunaris stellt eine gewöhnliche Wandtasche (wie sie an Kutschenschlägen angebracht werden) von massiger Tiefe vor. Die Ränder dieser Taschen pressen sich im gefüllten Zustande gegenseitig an einander, so dass durch das Einstellen der drei Klappen, die Gestalt eines 0 entsteht. §. 389. Speciello Beschreibung der einzelnen Abtlieilungen des Herzens. 1017 Sehr selten werden die Valvulae seniUunares der Arteria pulmonalis auf zwei vermindert, oder auf vier vermehrt (Wiener Museum), von welchen aber die überzählige sehr rudimentär erscheint, iind nur ly, Linien Eand- länge zeigt. Die Noduli Arantii der Klappen in der Wurzel der Arteria pulmonalis sind oft sehr klein, fehlen aber nie gänzlich. D. Linke Kammer, Ventricidus sinister. Die Dicke der Wand der linken Kammer übertrifft beim Er- wachsenen jene der reckten nm das Doppelte. Ihr Lumen am Quer- schnitte des Herzens bildet jedoch keinen Halbmond, wie jenes der rechten Kammer, sondern einen Kreis. Das Ostium venosum und arteriosum liegen, wie in der rechten Kammer, an der Basis der- selben, und sind so nahe an einander gerückt, dass sie sich berühren. Die Valvula müralis am Osthon venosum („quam mitrae episcopali non inepte contuleris", Vesal.) ist stärker g-ebant, als die Valvula tricuspi- dalis im rechten Ventrikel, denn die grössere Propulsionskraft des linken Ventrikels erfordert auch einen stärker gebauten, also wider- standsfähigeren Klappenapparat. Ihre zwei Zipfe sind stumpfer als jene der Valvula tricuspidalis, und werden in einen vorderen und hinteren eingetheilt. Der vordere, welcher zwischen dem Ostium arteriosum und venosum der Kammer herabhängt, wird als Aorten- zipf der Klappe benannt. Die freien Ränder, und die der Kammer zugekehrten Flächen der Klappenzipfe, sind immer mit den Chordae tendineae zweier Papillarmuskeln in Verbindung, welche an der vor- deren und hinteren Kammerwand, nicht aber auf dem Septum aufsitzen. Die Valvula mitralis enthält, so wie die tricuspidalis, quergestreifte Muskelfasern, mit longitudinalem und transversalem Verlauf. Sie sind Fort- setzungen des in der Wand des linken und rechten Ventrikels enthaltenen Herzfleisches. In der Valvula tricuspidalis nehmen sie nur das obere Drittel derselben ein (selbst weniger), — in der mitralis dagegen (besonders in ihrem Aortenzipf) mehr als die Hälfte der Klappenlänge, jedoch nur an ihrer Basis, nicht an ihrer Spitze. — Die drei Valvulae semilunares in der Wurzel der Aorta stehen so, dass man eine rechte, linke und hintere unterscheidet. Bei ihrem Schluss bilden sie also die Gestalt eines @. Sie sind merklich stärker als die Klappen in der Wurzel der Arteria pulmonalis. Muskelfasern fehlen in beiden. Von den ansehnlichen Noduli Arantii, welche die Mitte jedes freien Klappenrandes einnehmen, sieht man zuweilen bogenförmig geschwungene Fasern zu den zwei Endpunkten des freien Klappenrandes hinlaufen. Diese bilden dann die sogenannten Lunulae valvularum, deren natürlich nur zwei an einer Klappe vorkommen können. Obwohl die freien Ränder der Valvulae semilunares gar nicht selten durchlöchert erscheinen, beirrt dieses Vorkommen den Verschluss des Ostium arteriosum gar nicht, da ja die Semilunarklappen sich, während ihres Zusammenschlusses, wie früher erwähnt, mit einer brei- teren Randzone an einander legen. — Aeusserst selten kommt Verminderung auf zwei, oder Vermehrung auf vier, bei den Halbmondklappen der Aorta vor. if^lQ I, 390. Mfrhani=imu5 iler Tlcrzpurape. Lusrilka hat ilureli Inj.'rtion.'n in allen Klappen dos Herzens das Vbrlscnniivn tVinster Ulutgefiisse nacligtwies. ii. l)ass solihe Gefässe de reauln existirt'U. niuss icli verueinen. Hütten die Menschen Sehweinsherzen, dann würde dieser Ausspruch anders lauten. Im Sehweinsherzen sind alle Klappen gefässhältig. Warum aber die Injection, mit welcher ich mich in meinem Leben sehr viel abgegeben habe, in den Klappen des einen Herzens Gefässe nachweist (sehr selten), in dem andern niehl (Regel), vermag ich nicht zu erklären. Werden in den Atrio-Ventricularklappen tiefiisse durch Injection dargestellt, so erstrecken sich diese nur so weit, als diese Klappen Muskel- fasern enthalten. Ueber diese Muskelzone hinaus, kommen niemals Gefässe in den Klappen vor. Neueste Arbeit über die Blutgefässe der Herzklappen, von Ludwig Langer, Sitzungsberichte der kais. Akad., 1881. — Wie sich die Valvuloe semiluiKires in der Aortenwurzel zu den Ursprungsöffnungen der Kranzschlagadern verhalten, wird in §. 393 gesagt. Es giebt nicht zwei Valvulae mitrales, wie die Handbücher sagen, son- dern nur Kine. Würden zwei Valvulae mitrales, d. h. zwei Bischofsmützen ähnlithe Klappen vorhanden sein, so müssten diese zusammen vier Zipfe haben, wähnnd doch nur zwei Zipfe da sind, welche mit den zwei breiten Spitzen einer umgestürzten Bischofsmütze verglichen worden sind. Der Schüler thut am besten, wenn er, um die genannten Gegenstände in der Leiche zu besichtigen, das Herz in seinen Verbindungen mit den grossen Gefässen lässt. und die Anatomie des Herzens zugleich mit der Topo- graphie der Brusteingewt^ide studirt. üie häufig augewendeten Richtungs- und Lagerungsbestimmungen (rechts, links, vorn, hinten) sind, wenn das exstirpirte Herz zum Studium benützt wird, nicht so anschaulieb, als wenn Alles in na- türlicher Lage verbleibt. Man üflFnet den Herzbeutel, trägt ihn an seiner Um- stülpungsstelle zu den grossen Gefässen ab, um Raum zu gewinnen, und folgt in der Zergliederung des Herzens dem Wege, welchen das Blut durch das Herz nimmt, d. h. man beginnt mit der rechten Vorkammer, und endet mit der linken Kammer. Die Schnitte werden an den Vorkammern an ihrer vor- deren Wand gemacht, und gegen die Spitze der Kammern am rechten und linken Rande des Herzens hinabgeführt. Eine richtige Ansicht der bei der Topographie der Brusteingeweide erörterten Verhältnisse der grossen Gefässe, giebt den besten Führer bei der Zergliederung des Herzens ab. Besondere praktische Regeln giebt das dritte Capitel meines Handbuches der praktischen Zergliederungskunst. Wien, 1860. Den Klappenmechanismus und das Tuberculum Loveri behandelt A. Retzius, in Müller' s Arcliiv, 1843 und 1855. — Ueber das Foramen ovale schrieb Bruch im 14. Bande der Schriften der Senkenberg'schen Gesellschaft. — Die Structur des Endocardiura und der Klappen des Herzens schildert Luschka, im Archiv für pathol. Anat.. 1852, sowie im Archiv für physiol. Heilkunde, 1856, und die Blutgefässe der Klappen, in den Sitzungsberichten der kais. Akad., 1859. Andere hieher gehörige Schriften wurden schon im Texte namhaft gemacht. — Ueber den angeborenen Defect der Herzscheidewand handelt Rokitansky in einer Specialschrift. Wien, 1875. §. 390. Mecliaiiismus der Herzpumpe. J)ie Vorkammern und Kammern des Herzens nehmen während ihrer Erweiterung- (Diastole, vun diaartlXa, auseinanderziehen) Blut auf, und treiben es während ihrer Zusammenziehung (Systole, von §. 390. Meclianismns der Herzpumpe. 1019 avGTsXXfo, zusammenziehen) wieder ans. Die Erweiternng ist ein passiver, die Zusammeuzielinng' ein aetiver Znstand des Herzens. Dass die Erweiternug des Herzens kein aetiver Znstand sei, lässt sich schon darans entnehmen, dass am Herzen kein einziges Muskel- bündel existirt, welches durch seine Znsammenziehung die Herz- höhlen vergrössern könnte. Man kann aber nicht in Abrede stellen, dass das nach vollendeter Systole in die Diastole zurwkkehrende Herz, wie jeder andere ersehlaiFende Muskel, einö Yerlängerung aller seiner Mnskelbnndel erleidet, welche Verlängerung auf die Yer- grösserung der Herzräume nicht ohne Einflnss sein kann, weshalb die Saugwirkuug des Herzens nicht gänzlich aufgegeben zu werden braucht. Während der Diastole der Kammeru, Avelche mit der Systole der Yorkammern auf dasselbe Zeitmoment fällt, füllen sich die Kammerräume mit Blut, welches durch die nächstfolgende Systole der Kammern in die Lungenarterie und in die Aorta getrieben ward, und die elastischen Wände dieser Gefässe ausdehnt. Das rechte Herz nimmt nur Yenenblut auf, welches ihm die beiden Hohladern und die Kranzvene des Herzens zuführen, und treibt es durch die Lungenarterie zur Lunge, wo es oxydirt wird, und, arteriell geworden, durch die A^er Lungenvenen zur linken Yorkammer und Kammer gelangt, um sofort in die Aorta, und durch sie in alle Theile des Körpers getrieben zu werden. Das rechte Herz kann insofern aiich Cor venosum oder pulmonale (Lungen herz), das linke Cor arteriosiim s. aorticum (Aorten- oder Körperherz) genannt werden. Das rechte Herz (Langenherz) hat begreiflicher Weise eine leichtere Arbeit als das linke oder Körperherz. Die Klappen des rechten Herzens werden also weit weniger mechanisch in Anspruch genommen, als jene des linken, welche deshalb auch stärker gebaut sein müssen,, In dieser stärkeren Inanspruchnahme der Klappen des linken Herzens liegt ofl'enbar auch der Grund, warum die häufigste Klappenki-ank- heit — die Endocarditis valvularis — zuerst, und oft auch ausschliess- lich, die Klappen des linken Herzens befällt, während die Klappen des rechten Herzens, von ihr entweder gänzlich verschont bleiben, oder nur secuudär erkranken. Dem Gesagten zufolge hat der Mensch also eigentlich zwei Herzen, welche aber nur Ein Eingeweide bilden, weil sie sich aus Einem embryonalen Blutschlauche entwickeln. Da nun das Blut, auf dem Wege vom rechten Herzen zum linken, die Lunge passiren muss, so könnte man sagen, dass die Lungenfunction ZAvischen die Function des rechten und linken Herzens eingeschaltet ist. Der Umstand, dass wenigstens die Kreismuskelfasern beider Kammern nicht in einander übergehen, sondern jeder einzelnen Kammer eigens Ifl^O 9- ^^f'- Merlinnismii'; cler Hci/inimpe. imil Ix'soikIits :m<;i'lirirtMi, IxMirkimdct zum Tlicil riiiu'ti(»nollo Vn- ;il)liiin<>-ii;kpit hoidor llcrzhäirtcu, (leren an.itoinisclie Trenmiiii; ;uisser- lioli (lurcli (Ion sclnviiclieii Eiiisclinift ;m der Spitze (l(>s 1 ler/ens ;in- j;eil«Mitet winl. lii'i iifliinzonfressfiKlfn Walfisrlu-n dringt diosor Einsclinitt ;in der Herz- spitze tief in das Septum venfriculorum ein, wodurch am Herzen ein Sjtalt entsteht, welcher die rechte und linke Kammer von einander trennt. An einem männlichen Aenceidialus der Prasjer Sammlung ist ebenfalls das Herz bis zur llasis der Kammern altcn. Von vcdlknmmener Sj^altung oder Halhirung des Herzens kennt die Anatumio nur Einen Fall von Meckel (De duplicitate monstrosa. |»ag. 53). Die S\st(ile l)(M(ler V(trk;iiiimerii ist synchronisch, wie jene der heideii Kainmeni. Auf die Systole der Yorkammern folgt jene der Kanunern nach einem kaum messbareu Intervall nacli. Die Vorkanimer- .systole verhält sich zur Kammersystole, wie in der Musik die Vor- schlagnote zur llaltnote. Auf die Kammersystole folgt nach einem längeren Intervalle die nächste A'orkammersystole, und der Wechsel der Bewegung- geht überhaupt so vor sich, dass jede Elöhle sich beim erwachsenen, gesunden Menschen in einer Minute sechzig- bis achtzigmal zusammenzieht und erweitert. — Die Vorkammern werden, da die Einmündungsstellen der Ilohlvenen durch keine Klappen geschützt sind, wälireiul ihrer Systole einen kleinen Theil des aufgenommenen Blutes in die Venen zurückwerfen; die Kammern dagegen alles Blut, M-as sie enthalten, bis auf den letzten Tropfen, in die Schlagadern treiben, da die Ostia atrio-ventricularia während der Systole durch den Klappenschluss, den Rücktritt des Blutes in die A orkaHimer verweigern. Nur wenn dieser Klappenschluss durch krankhafte Momente unvollständig wird (Insufficienz der Klaj)pe), muss Kammerblut in die Vorkammer, und von der Vorkammer in die Ilohlvenen zurückgeAvorfen werden, so dass auch diese Venen synchronisch mit der Kammersystole pulsiren, und der Puls, bei hohen Graden der Klappenerkrankung, sich selbst über das ganze Ilohlvenensystem, bis auf die Venen des Hand- und Fussrüekens, erstrecken kann. Damit die Klappen am Ostium venosum der Kammer, während der Kammersystole nicht in die Vorkammer umschlagen, sind sie durch die Clwrclae tcndinrac an die Musculi papilläres befestigt. Da sich aber das Herz während der Systole verkürzt, und die Chordae temUncae dadurch soweit erschlafft würden, dass trotz ihrer Gegen- wart die Klappen in die Vorkammer zurückgeworfen werden könnten, so sind die Chordae an die Papillarmuskeln geheftet, welche, wäh- rend das Herz sich von unten nach oben verkürzt, sich von oben nach unten zusammenziehen, und dadurch jenen Spannungsgrad der §. 390. Mechanismus der HerzpTimpe. 1021 Chordae bedingen, welclier erforderlicli ist, um die Klappen nicht überschlagen zu lassen. Während der Ventricularsystole sind die Chordae, wie die Leinen vom Wind geschwellter Segel, straff angezogen; ihre Insertionspunkte an den E-lappen werden somit festgestellt sein, und nur jene Stücke der Klappe, welche zwischen den netzförmig verstrickten Anheftungen der Chordae sich befinden, werden sich durch den Druck der Blutmasse der Kammern, etwas in die Vorkammern ausbauchen. Wie nothwendig der genaue Verschluss der Ostia der Kammern für die Erhaltung der Gesundheit und des Lebens ist, beweist die sogenannte Insufficienz der Klappen, welche lange, qualvolle, und unheil- bare Leiden mit sich bringt. Ist das Blut der Kammern durch die Systole in die Arteria pulmonalis und in die Aorta getrieben, und folgt die Diastole, so fängt sich die, durch die elastische Contraction der Arterien gegen die Kammern zurückgestaute Blutsäule, in den Taschenventilen der Valvulae semilunares dieser beiden Grefässe, schliesst sie, und wird durch sie so lange aufgehalten, bis die nächste Systole eine neue Welle in die Arterien treibt, durch deren Impuls die ganze Blut- säule in den Arterien weiter geschoben wird. Der Stoss der neu ankommenden Blutwelle, welcher sich durch den ganzen Inhalt des Arteriensystems fortpflanzt, bedingt eine Erweiterung der elastischen Arterie, welche als Pulsschlag gefühlt wird. Der Puls giebt somit einen Ausdruck für die Propulsivkraft des Herzens ab. Er wird deshalb in Organen, deren Distanzunterschied vom Herzen ein be- deutender ist, nicht vollkommen isochroniseh sein. Man fühle mit der einen Hand den Puls der Ärteria tibialis postica am inneren Knöchel, und mit der anderen jenen der Arteria maxillaris externa am Unterkiefer, um sich von der Retardation des Pulses an weit entlegenen Körpertheilen zu überzeugen. Jede Kammersystole erzeugt eine Erschütterung des Thorax, welche man als sogenannten Herzschlag sieht und fühlt. Die exacte Physiologie hat mehrere Erklärungen dieses Phänomens, aber keine einzige genügende, gegeben. Man nahm bisher an, dass die Herzspitze sich während der Systole hebt, und zwischen der fünften und sechsten linken Eippe an die Brustwand anschlägt. Die Ursachen dieses Hebens suchte man theils im Muskelbau des Herzens selbst, theils in einem mouvement de bascule, welches die sich abwechselnd erwei- ternden und verengernden Herzräume, durch Verrückung ihres Schwerpunktes bedingen. Beide Erklärungsarten genügen nicht. Gutbrot und Skoda haben den physikalischen Grundsatz des hydrostatischen Druckes auf die Erklärung des Herzschlages angewendet fJos. Heine, Ueber die Mechanik der Herzbe- wegung, in HenWs und Pfeuffers Zeitschrift, 1. Bd.). — Eine andere Erklä- rung des Herzschlages wurde von Kiwis ch versucht (Prager Vierteljahres- schrift, 1845), indem er auf den von allen früheren Theorien übersehenen Umstand aufmerksam machte, dass das Herz an die Thoraxwand nie anschlagen könne, weil es nie von ihr sich entfernt, sondern während der Systole und Diastole immer mit seiner vorderen Fläche an der inneren Oberfläche der Thoraxwand genau anliegt, etwa wie der volle und leere Magen immer in ■1(")22 ^ ^^' Herzbeutel. Contact mit tlcr 13.uuliw.ind ist. Wnnlo das H< rz .•-iili von der Tlioraxwand entfernen, so müsslc ein leerer Raum entstehen, weleher in geschlossenen Körperhöhleu niemals vorkommen kann. Der Impuls, welclien die Thoraxwand von dem sich contrahircnden Herzen erliält. ist nach Kiwisch nur durch das momentane ScliweUen der Muskelsuhstaiiz des Herzens, während seiner Systole, bedingt. AUein liieraui' liisst sicli entgegnen, dass dieses Schwellen der Muskel- substanz kein Diekcrwerden des Herzens bedingt, da es bekannt ist, dass das Herz wälirend der Systole nach allen Durchmessern kleiner wird. Vielleicht liat das während der Systole stattfindende Strecken des Aortenbogens, und das dadurch bedingte Angedrängtwerden des Herzens an die Thoraxwand, einiges <}ewicht bei der Erklärung dieser noch immer niclit genügend enträtliselten Erscheinung. — Kornitzer löste das verwickelte Problem des Herzschlages auf folgende einlache Weise. Der aufsteigende Theil der Aorta und die Lungen- fechlagader sind so um einander gewunden, dass sie einen halben Schrauben- cang einer links gedrehten Spirale bilden. Am unteren Ende dieser Spirale hangt das frei beweglidie Herz. Die Verlängerung der Spirale, welche während des Eindringens der ßlutwelle in die Aorta und rnlmonalarterie, nach unten zu erfolgt, bedingt eine entsprechende Rotations- und Hebelbewegung des Herzens, durch welche dasselbe an die Brustwand angedrängt wird, und die ihr jene Erschütterung mittheilt, welche als Herzschlag walirgcnommen wird. F. Kornitzer, in den Dcnkschrilten der kais. Akad., lo. Bd. §. 391. Herzbeutel. Das Ilerz wird von einem liäutigeu Beutel luuhclilu.sseii, welelier Pericariliuin lieisist (nfQl rr/v KCiQÖlav, um dtis Ilerz). Er liegt zvvi.sclien den beiden Pleurasäcken, nnd i.st mit ihnen, .so weit er .sie berührt, innig- verwachsen. Der Herzbeutel hat wohl im Allgemeinen die (lestalt des Herzens, ist somit kegelförmig, kehrt aber seine Basis nach unten, wo sie mit dem Centrion tcndincuin des Zwerchfells fest verwächst, und seine stumpfe Spitze nach oben. Er besteht au> einem äusseren, fibrösen, und einem inneren, serösen Blatte. Beide Blätter sind untrennbar mit einander verschmolzen. Das fibröse Blatt wird vorzug.sweise von der Fascia endothoraclca {%. lt)0) gebildet, und hängt besonders am vorderen Rande des Centruin teii- dineum illai>]ii'aiun<ü'is fest an. Dasselbe ist durch zwei von Luschka entdeckte Bänder (Liijanwutuia sterno-cardiacnin svperius und Infcrlus) an die Ilinterfläche des Sternum geheftet, wodurch der Druck des Herzens auf das Zwerchfell vermindert wird. Es geht oben in die äussere Haut der grossen Arterien über, welche aus dem Herzen entspringen (Arteria pulmonalis aus der rechten, Aorta aus der linken Herzkammer). Der Ort, wo dieses geschieht, ist für die vordere Wand des Herzbeutels die vordere Fläche des Aortenbogens, und für die hintere Wand die Theilungsstelle der Arteria pulmonalis. Die vordere Herzbeutelwand reicht also höher hinauf als die hintere. Das seröse Blatt geht nicht in die äussere Haut der grossen Arte- rien über, sondern stülpt sich an ihnen nach ein- und abwärts, §. 392. Aoita, Arteria pulmcnalis und Ductus Botalli. 102o gleitet an ihnen zum Herzen herab, und überzieht dessen äussere Oberfläche. Das seröse Blatt des Herzbeutels verhält sich somit zum Herzen, wie die Pleura zu der Lunge. Dasselbe besteht sonach aus einem parietalen, und aus einem visceralen (umgeschlagenen) Blatte, welches letztere nicht blos das Herz, sondern auch die grossen Blut- gefässe, welche zum Herzen oder vom Herzen kommen, eine Strecke weit überzieht. Aorta und Pulmonalschlagader, welche Blut vom Herzen wegführen , erhalten zusammen einen gemeinschaftlichen scheidenartigen Ueberzug vom umgeschlagenen Blatte des Pericar- dium, so dass man beide Gefässe mit dem Finger umgreifen kann. Jedes der übrigen grossen Gefässe, welche Blut zum Herzen führen (Hohlvenen und Lungenvenen), erhält nur einen unvollständigen Ueberzug, und kann somit nicht mit dem Finger umgriff'en werden. Beide Blätter des serösen Herzbeutels sind an ihren einander zu- gekehrten freien Flächen, mit einem einschichtigen Pflasterepithel überkleidet. Da das Herz seinen Beutel nicht vollkommen ausfüllt, so wird der disponible Eaum von einem serösen Fhiidum, Liquor perlcardii, eingenommen, dessen Menge von einer halben Drachme bis eine halbe Unze beträgt. Aeltere Benennungen des Herzbeutels sind: tÖ kovIsöv, i, e. vagina cordis im Hippocrates, im Mittelalter: Arcida, Bursa, Scrotum, Capsa, und Cap- sida cordis, der Wichtigkeit des Herzens wegen auch Thalamus regalis (Königs - gemach), und Aida visceris regentis (im Bauhin), bei den Latino-Barbari selbst Praeputium cordis. B. Arterie n. §. 392. Aorta, Arferia pidmonalis und Ductus Botalli. Die Aorta repräsentirt den Hauptstamm des gesammten i^r- teriensystems, durch welches alle Organe des Leibes das Blut, als die Bedingung ihres Lebens und ihrer Thätigkeit, zugeführt erhalten, wie das alte Testament sagt: „anima carnis in smiguine est" (Levit., JCVII, 14). Aus dem linken Ventrikel des Herzens entsprungen, zeigt sie, dicht über dem Ostium arteriosnm, eine Anschwellung (Bulbus aortae), welche aus drei, den Valvulae semilunares entspre- chenden, flachten Ausbuchtungen (Sinus Vcdsalvae) gebildet wird. A. M. Valsalva, Professor in Bologna, gedenkt zuerst dieser Sinus in seinen Dissertationes posthumae. Venet., 1740. Der Bulbus aortae wird von der Wurzel der Arteria pulmo- nalis, welche eine ähnliche, aber viel unansehnlichere Anschwellung bildet, bedeckt. Die Aorta steigt anfangs hinter der Wurzel der Lungenschlagader nach rechts und oben auf, als Aorta ascendens, und krümmt sich dann bogenförmig über den linken Bronchus nach 1(|24 B- !W2 Aorta, .Irtrri'i yiiilnimfilh iiiul Iliictii.' Ih.tulli. links iiikI liiiitcn. /.um liiiiti'iHMi Cornin nudittätliii, als Ar(-us aortae, Ulli «laiiii al> Aorlii il,:-«yiiili'iis, an der linken Seite der llnistwirl)»'!- .säulo gesell das Zwerclitell lu'ral)/.ii/-ielien, (liircli dessen llidtus aortini.s sie in die IJaiic-lilndile als Aorlit a/irusta(jrta, qi(i tiiukü wir zuerst im llippucriitcs, aber nicht als uiiäcre Aorta, soiuK'rn als Lultrölireiiast. Das Wort stainiut von dd^w, etwas in die Höhe lieben, um es zu trafen. Die Lungen hängen an den Luftrührenästen, und werden von ihnen getragen. Wie Homer den Ivienien, an weleliem die Waffe hängt (Wehrgelienk). dofiTr'jQ nannte, konnte auch der Vater der IMedicin den Luttrölirciiast do^T// neiiiieii. Aristoteles übertrug das Wort auf die grosse Sehlagader (Aorta), an welcher das Herz hängt. Galen gebraucht den Aus- druck duQTij nie. sondern substituirt ihm d^rriQici. (itylatrj (Artcria maxbnaj, auch 0^1^;; fArter'xi rectaj, ilires geraden Verlaufes an der Wirbelsäule wegen. 'ÜQ&t/, mit neugriechischer Aussprache, giebt die Ortlii, versdirieben Crithi, der Latino-Barbari. — Die Ivcstauratoren der Anatomie im Mittelalter, welche ihre Terminologie nach arabischen Mustern bildeten, verstanden unter dem Ausdruck Venae, sowohl die Arterien, als die Venen. Sie unterschieden beide Arten von Venae durch einen Zusatz, Die Arterien nannten sie Venae /»u/.sa- files, die Venen aber Venae non pulsatile« oder quietae. Die Aorta aber zeich- neten sie als Vena auda.v aus. Die Arti'rtii pulinomdis eiitsprini^t au der Basis der rechten Herzkammer, und zwar aus jenem Theile derselben, welcher früher als Conus (ti'tcriosu.'i bezeichnet wurde. Ilir Verlauf und ihre Ver- zweii;-un^- ist bereits in §. 291 geschildert, auf Avelchen hier ver- wiesen wird. Der Dudua (irU-riosiiä BotalU, durch welchen im Embryo der linke Ast der Pulmonalarterie mit dem coucaven Rande des Aorten- l)()gens(richtiii;er mit dem Beginn der absteigenden Aorta) communicivt, geht im geborenen Menschen zu einem Baude ein, welches als Liga- mentum norfiie m(ihle meistens paarige, und. mit Ausnahme der Zwischenrippenarterien, nur schwaclie Aeste ab, während sie in der Banchli('dde amdi sehr an>ehnlirlie unpaarige Aeste erzeugt, widche in den späteren Para- graphen nach der Beschreibung der K()[)f- und Armpulsadern abge- liandelt werden. §. ."»94. Varietäten der aus dem Aortenbogen entspringenden Schlagadern. Nicht immer stellt sich das Verhältniss der aus dem Aorten- bogen entspringenden Arterien so dar, wie es oben geschildert wurde. Es kommen zahlreiche Anomalien vor, welche theils ihrer praktischen Beilentsamkeit, theils ihrer Uebereiustimmung mit thie- rischen Bildnngen wegen, von Interesse sind. Diese Abweichungen lassen sich auf di'ei Typen rediiciren: Verminderung, Vermeli- rnng. und normale Zahl mit abnormer \erzweigung der Aortenäste. a) Verminderung. Sie erscheint in drei F'ormen: «) Zwei Arteriae aiujnijmae, deren jede in eine Carotis communis und Snbclavia zerfällt, wie bei den Fledermäusen und einigen Insectivoren. Dieser Fall ist sehr selten. ß) Die Artt'rii ciirotis i>(iiistrclaiiden,f dnrchlxdirte, und mit derselben Arterie der anderen Seite, welche denselben Vorlauf nahm, zwischen den beiden Genio- Jnwldei, in den Genio-olossns eindrancf. — Zwischen dem Ursprun^fe der Arteria thvreniden superinr und lingualls, entsteht öfter noch aus der Carotis extei-na ein ansehnlicher liamus nutscularis pro sternocleidomastoideo, welcher am vor- deren Rande des «genannten Muskels eine Strecke weit herabsteigt, bevor er sich in ihn einsenkt. Oft ist er nur ein Zweier der oberen Schilddrüsenarterie. Im Wiener Museum befindet sich ein Fall, wo dieser Ramus sternocleido- iiia.itale. Sie giebt Aeste zur Parotis, zum Kau- und Backenmuskel, zum Orbicularis palpehrarum, Ziigomaticus und Levator anguli oris, und anastoniosirt mit der Arteria infraorhitalis, mit den Muskelästen der Arteria mamUaris ex- terna, und mit der von der Arteria maxillaris interna, stammen- den Arteria huceinatoria. Sie ist zuweilen doppelt, zuweilen sehr sclnvach, kann aber so stark w^erden, dass sie die fehlen- den Gesichtsverästelungen der Arteria. maxillaris externa ersetzt. ß) Die viel schwächere Arteria temporalis media durchbohrt die Fascia temporalis, um sich im Fleische des Musculus temporalis aufzulösen. y) Zwei bis drei unwichtige Arteriae auricidares anteriores inferio- res, und die Arteria. auricularis auterior superior zum äusseren Gehörgang und zur Ohrmuschel. S) Die Arteria zygomatico-orhitalis entspringt über dem Jochbogen, und geht schief über die Fascia temporalis nach vorn und oben gegen den Margo supraorhitalis, wo sie mit der Stirn-, Thränen- und vorderen Schläfenarterie anastoniosirt, 2. Die innere Kieferarterie, Arteria. maxillaris interna. Da sie zu allen Höhlen des Kopfes Aeste sendet, werden ihre Yeräst- lungen überhaupt tiefer liegen und schwerer präparirbar sein, als die übrigen Schlagadern des Gesichtes. Um den Stammbaum ihrer Verzweigung leichter zu überblicken, soll der Lauf der Arterie in drei Abschnitte gebracht werden. Der erste liegt an der inneren Seite des Processus condifloideus des Unterkiefers, der zweite auf der äusseren Fläche des Pterygoideus externus (oder zwischen den beiden Ursprungsköpfen dieses Muskels), der dritte in der Fossa pterygo- palatina. A) Aus dem ersten Abschnitte treten folgende Aeste ab: a) Die Arteria auricularis profunda zum äusseren Gehörgang. ß) Die Arteria tympanica durch die Fissura Glaseri zur Schleim- haut der vorderen Abtheilung der Trommelhöhle. IQ36 9- ""• Endaitc iler Caroth fxtfma. y) Dio Artrria afrcohiris inferior t;"oht, Uodockt vom innoriMi Soiteu- l);intU' »l«'> riitorkiofcrgclciikcs. zur inneren Oeffnviug- des Ihitorkictcrkanalcs Iienil), diireliläurt diesen Kanal, i;iel)t den Wurzeln der Zi'iluie liaarfeine Jldtimli ilrnld/cs, tritt dui-cii das Kinnloili JicrNni'. und ana>tiiiii(isirt dui'cli ilii-c End/,\vei>;e mit der Arterid <'or(tuari(f hihü infcr'un'is \\i\{\ .•othnicntalis. Vor ihrem Eintritte in den Interkieterkanal, entsendet sie die im SiiJfos niif/o-ht/oiihus verlautende Artcn'a mi/lo-htfoidea zum <;leiclinamii;eu Muskel. B) Ans dem zweiten Abseliuitte eDtstelieii: ß) Die mittlere Arterie der li arten Hirnhaut, Arteria me- n'nKjea meiJia s. spinosa. Oft genug entspringt sie noch aus dem ersten Abseimitte der Afa.i l//iir/s iuh'rtm, und zwar vor der Ai'terhi nliwohtriK Inferior. Sie steigt an der inneren Fläche des Jliisoiliis pier/idoiileiis e.rfi'rnus zum F'onnnen siiinosum auf, und l)etritt durch dieses Loch die Sohädelh(">hle, wo sie in einen vorderen grösseren, und hinteren kleineren Ast zerfällt, welche in den Gefässfurchen des grossen Keilbeinflügels, der Schuppe des Schläfebeins und des Scheitelbeins, sich baum- förmig verzweigen, und die Dum int/ter, wie auch die Diploe des Schädelgewöllies versorgen. Gleich nach ihrem Eintritte in die Schäilelhülile sendet sie die Arteria petrosa in der Furche der oberen Fläche der Felsenpjramide zur Apertura spuria canalis FaUopiae. Diese kleine und somit bedeutungslose Arterie theilt sich in zwei Zweigchen, deren eines in die Trommelhöhle gelangt, den Teni'or tvmpam und die Schleimhaut der mittleren Partie des C'avum tympani ernährt, wälirend das andere den Nervus facialis im Canalis FaUopiae be- gleitet, und sich mit der Arieria stulo-mastoidea verbindet. — Im Wiener Museum befinden sich zwei Injectionspräparate der Arteria meningea media von Kindesleichen, an welchen starke Aeste dieser Arterie durch die Stirn- fontanelle, und durch die Sutitra saoiftalis in die weichen Schädeldecken über- gelien. Als ein constantes Vorkommen erwähne ich noch der feinen Rami perforantes dieser Arterie, welche die Schädelknochen und ihre Nähte durch- setzen, um sich in den weichen Auflagen der Hirnschale zu verlieren (Hyrtl, Ueber die Rami perforantes der Menivaea media, in der österr. Zeitschrift für prakt. Heilkunde. 1859. Nr. 9). — Ich habe die Arteria lacrymalis mehr- mal aus dem vorderen Aste der Meningea media entstehen gesehen. Zuweilen existirt noch eine kleine accessorische Arteria meningea media, als Ast der eben beschriebenen. Sie betritt hinter dem Ramus tertius paris quinti, durch das Foramen ovale, die Schädelhöhle, wo sie sich im Ganglion Gasseri und in der diesen Knoten umgebenden Partie der harten Hirnhaut auflöst. ß) Muskeläste, welche sich mit den vom dritten Aste des Quintus entsprungenen Muskelnerven vergesellschaften. ^^i^ zählen: 1. einen Ramus massetericus, welcher durch die Incitfura semilunaris des Unterkieferastes zum Masseter gelangt; 2. einen Ramus buc- §. 396. Entlaste der Carotis externa. 1037 cinatorius, zwischen Uiiterkieferast und 3Iusculus buccinator zum Antlitz gehend, wo seine Aeste mit den Zweigen der Ärteria infraorbüalis, transversa faciei, und Ärteria maxillaris externa anastoinosiren ; 3. mehrere kleine ßami ptery- goidei, sowie für den Schläfemuskel die beiden Ärteriae temporales profundae, eine anterior und posterior. Die vordere schickt durch den Canalis zygomaticus temporalis einen Ast in die Augenhöhle, welcher mit der Ärteria lacrymalis anastomosirt. C) Aus dem dritten Abselinitte gelien hervor: «) Die Arteria alueolaris superior, deren Zweige durch die Löcher an, der Tuherosttas tncLvillae superioris zu den hinteren Zähnen nnd zur Sclileimhuut der Highniorshöhle gehmgen. ß) Die Arteria infraorbitalis. Sie verläuft durch den Kanal, der ihr den Namen gegeben, schickt Zweigehen in die Augen- höhle zur Periorbita, zum Rectus und Obliquus inferior, abwärts laufende Aestcheu zur Schleimhaut der Highmorshöhle und zu den vorderen Zähnen, zertheilt sich nach ihrem Austritte in die Muskeln, welche den Raum zwischen Margo infraorbi- talis und Oberlippe einnehmen, und anastomosirt in zweiter und dritter Instanz mit den übrigen Antlitzarterien. y) Die Arteria palatina deneendens s. pterygo-palatina. Sie giebt zuerst die Arteria Vidiana ab, welche mit dem Nerven dieses Namens durch den Canalis Vidianus zur oberen Partie des Pharynx zieht, wo sie mit der Arteria pharyngea ascendens anastomosirt. Dann steigt sie, in drei Aeste gespalten, durch die Canales palatini descendentes herab, versieht den weichen Gaumen und die Mandeln, und schickt ihren längsten und stärksten Ast (Arteria palatina anterior), den harten Gaumen entlang, bis zum Zahnfleisch der Schneidezähne. Ein feiner Ast derselben dringt durch den Ganalis naso-palatinus zum Boden der Nasenhöhle. 8) Die Arteria spheno-palatina s. nasalis posterior. Sie kommt durch das Forainen spheno-palatimvni in die Nasenhöhle zur hinteren Schleimhautpartie. Ein Ast derselben läuft am Septum narium herab, und anastomosirt mit der Arteria palatina an- terior, und der Arteria septi, — einem Aste der Coronaria labii superioris. Der Stammbaum der Ärteria maxillaris interna behauptet insofern eine gewisse Selbstständigkeit, als nicht leicht einer seiner Zweige von einer an- deren Kopfschlagader entspringt, oder er selbst einen Ast abgiebt, der nicht unter den angeführten steht. Die Abweichungen in Zahl und Ursprung der ihm angehörigen Aeste haben, ihrer tiefen Lage und Unzugänglichkeit wegen, kein besonderes chirurgisches Interesse. Mein Museum besitzt den höchst merk- würdigen Fall, wo eine fehlende Maxillaris interna durch eine colossale Ent- wicklung der Ärteria -palatina ascendens ersetzt wird (beschrieben in der österr. Zeitschrift für prakt. Heilkunde, 1859, Nr. 30). 1038 §■ 597. Verftstlung der Carotis interna. F. Schlemm, Do arterianini. praesertim faciei anastomosibus. Berol., 1821. — Ejusdem, arteriarnm capitis superficialiiira icon nova. Berol.. 1830, fol. — Eine Reihe vortrefflicher Präparate über die Verästlungen der Carotis ej-terna und ihrer zahlreichen Varianten, wird im Wiener anatomischen Museum aufbewahrt. §. 397. Verästlung der Carotis interna. Die ('(H'otis interna s. rerehnth'.s lie<;t anfangs an der än.sseren Seite der (^irofis i'.i'terna, inaclit dann, hinter ihr we«^-, eine Krüm- mung nach innen nnd oben, und wird von ihr durch den Musculus stylo-filossiis und stylo-plKiriinijeus getrennt. Bevor .sie in den Cmutlis coi'otiriis eindringt, hihlet sie noidi eine zweite Krümmung, deren Convexität nach innen sieht. Ihr Verhiuf ('.itm nniffteni caroticum ist somit verkehrt S-roniiig ntjkriimmt. Diese Krümmungen sieht man im injicirten Zustande (h's (Jefässes besonders ausgesprochen. Im Ciiitttlis cdi-oticus des P\dseubeins tritt eine dritte, und im iSiuus cavernosus, welchen die Carotis interna durchsetzt, noch eine vierte Krümmung hinzu. Die letzte übertrifft an Schärfe die tlrei vorau.s- gegangenen. — Im <'analis caroticus sendet die Carotis interna ein feines Aestclien zur Schleimliaut der TrommellK'ihle, al.s Manmlus rarvtico-ti/mpaniais, und im Sinus cavernosus erzeugt sie mehrere kU^ne Zweige für das Gan'///.y ikisI (liirclil»olirt, ül>er tltMii L'hiaiiH'ntiuA p^IfU'/mi/,' Intirnidii, »li'ii Miisrii/((s i>rl>i-iil ein Vorspiel dieser merkwürdigen Anomalie angesehen werden. Nach Abgabe der Artcria ophlhdtn'tca treten au> dem con- caven Rande der k'tzteu Carotiskrümmiini^, nocli zwei Arterien hervor, (h'ren eine, als Arbvilt8) schliessen zu helfen, während die andere als At'leria cJioroidea, läng-s des Tractus opticus zum Aderi^ettecht der Seitenkanimer sich l)e^iebt. — Zuletzt zerfällt die Carotis interna in ihre beiden Eudäste, welche sind: a) Die Artcria corporis callosi. Sie converi;irt, in vorwärts streben- der Richtung-, mit jener der anderen Seite, verbindet sieh mit ihr durch einen sehr kurzen Querast (Arteria couiminiicans an- terior), und steigt vor dem Balkeukuie zur oberen Fläche des Corpus callosuin hinauf, liegt aber nicht in der Längenfurche derselben, sondern an der inneren Seite der Hemisphäre, au welcher sie ihre Zweige versendet. h) Die Artcria fossac S^/h'ii folgt dieser Grube, und schickt ihre Zweige ztini vorderen und hinteren Gehirnlap])en, zwisclien welchen eben die Sylvi'sche Fnrche liegt. Alle Verzweigungen der Camtii^ interna in der !>ehädelhöhle haben auffallend schwächere Wandungen, als gleich starke Arterien anderer Kürper- gegendeu. Sie werden nie von Venen begleitet, welche andere Wege einschlagen, als die Arterien. Es liisst sich speciell von der Cirotif interna sagen, dass sie viel Blut zum (iehirn, aber wenig in dasselbe führe. Nur die graue Substanz des Gehirns, welche die Kinde aller Gyri bildet, ist im liohen Grade gefäss- reich, die weisse oder Marksubstanz dagegen sehr gcfässarm. Die Endäste der Carotis interna sind reich an Varietäten. Oft stammt die rechte und linke Artcria corporis callosi aus Einer Carotis, wo dann die Arteria commnnicans anterior fehlt. Die Artcria communicans posterior fehlt zuweilen auf Einer Seite, und variirt an Grösse sehr auffallend. Ich sah selbst die Arteria fossae Sylvii auf der linken Seite, nicht als Ast der Carotis in- terna, sondern der Arteria profunda cerebri. Das Gegenthcil dieser letzteren Abnormität wird dadurch gegeben, wenn sich eine starke Arteria communicans posterior unmittelbar in die Arteria profunda cerebri verlängert, welche mit §. 398. Veräitlung der Schlüsielbeinarterie. 104:1 der Arteria hasilaris (§. 398) gar nicht, oder nur durch einen dünnen Zweig zusammenhängt. Für descriptive und chirurgische Anatomie der inneren und äusseren Carotis wichtig ist: John Wyeth, The Surgical Anatomy of the Carotid Ar- teries. New- York, 1876. §. 398. Yerästlung der ScMüsselbeinarterie. Die Schlüsselbeinarterie, Arteria subclavia, führt in den Handbüchern diesen Namen nur von ihrem ürspriiuge bis zur Aus- trittsstelle aus dem Spalt zwischen dem vorderen und mittleren Scalenus. Diese Grenzbestimmung der Arteria subclavia steht mit dem Namen des Grefässes im Widerspruche, indem das Stück der Arterie, welches vom Ursprung bis zum Austritt ZAvischen den Sca- leni reicht, mit dem Schlüsselbein in gar keine Beziehung tritt. Richtiger ist es, das Getass, von seinem Ursprung bis unter das Schlüsselbein hinab. Subclavia zu nennen. — Die rechte Subclavia ist gewöhnlich etwas stärker, und um die ganze Länge des Truncus anonymus kürzer als die linke. Der Verlauf beider bildet einen nach unten concaven Bogen über die erste Rippe weg. Dieser Bogen Tvird, begreiflicher Weise, für die längere linke Subclavia schärfer gekrümmt sein müssen, als für die kürzere und mehr wagrecht nach aussen gerichtete rechte. Kommt über der ersten Brustrippe noch eine sogenannte Halsrippe (Note zu §. 121) vor, so krümmt sich die Schlüsselbeinarterie über diese, und nicht über die erste Brustrippe weg. Dieses geschieht jedoch nur dann, wenn die Länge der Halsrippe nicht unter zwei Zoll beträgt. Ist sie kürzer, so reicht sie nicht so weit nach vorn, um auf den Verlauf der Schlüsselbeinarterie einen bestimmenden Einfluss nehmen zu können. Die Sclilüsselbeinarterie erzeugt fünf Aeste. Yier davon ent- springen aus ihr, bevor sie in den Zwischenraum des vorderen und mittleren Scalenus eingeht; der fünfte zwischen diesen Muskeln, oder jenseits derselben. Diese fünf Aeste sind: a) Die Wirbelarterie, Arteria vertebralis. Als der stärkste von den fünf Aesten der Arteria subclavia, läuft sie eine kurze Strecke am äusseren Rande des Musculus longus colli herauf, und begiebt sich durch das Loch im Querfortsatze des sechsten Halswirbels (nur sehr selten schon des siebenten) in den Schlag- aderkanal der Halswirbelquerfortsätze, in welchem sie empor- steigt. Wegen stärkerer Entwicklung der Massae laterales des Atlas, kann aber die Richtung der Arteria vertebralis, vom zweiten Halswirbel an, keine senkrecht aufsteigende sein. Sie muss nämlich vom Querfortsatz des Epistropheus, zu jenem des Atlas nach aussen ablenken, um dann, nachdem sie ihn passirte, sich hinter dem oberen Gelenkfortsatz des xitlas nach einwärts Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl. 66 1042 •■ 398. VeHbtluug der SchlOsselbeinarterie. zum gTo>.sen Ilinterliauptlocli zu wendon. Hier durclibohrt sie die Menihrana ohdiratoria posterior und die harte Hirnhaut, und UMJureift die Medidla ohlomjata so, dass sie an der unteren Fläche derselben mit jener der anderen Seite converi;iren, und bchliesslicli >ich mit ihr am hinteren Rande des Pons Varoli zur unpaaren Arteria hasihtris vereinigen kann. Von ihrem Ur- sprünge his zum Eintritte in die Scliädelhöhle, entsprossen der Arteria vertehralis tolij;eude schwächliche Zweige: «) Jiami mnsculares, für (lic ]\Iu.>;kcln an den Wirhelqncrfortsätzen. ß) Rnmi fpinalc^i, welche durch die Foramina intervertebralia in den Kückpratkanal eindringen, die Dura mater spinalis, die Wirbel, sowie den Bandapparat im Innern der Wirbelsäule ernähren, und das Rücken- mark selbst mit vorderen und hinteren Aestchen umgreifen, welche mit der vorderen und hinteren Rückenmarksarteric (i. untenstehend l. sowie mit den nächst oberen und unteren Jiami fjnnales derselben Seite anastomosiren. •/) Die Arteria meninoea 2^0f:terior, welche zwischen Atlas und Foramen orcipitnie entspringt, mit dem Stamme der Arteria vertebrali." in die Schädelhöhle gelangt, und ihr schwaciies Geästc in der liaricii ilirnhant der unteren Gruben des Hinterhauptbeins ausbreitet. , Nach dem Eintritte der Wirheiarterien in die Schädelh(dile, bis zur Vereinigunj:; heider zur Arteria hasilaris, gieht jede ah: 1. Eine vordere und hintere K ückonmarksarteric, Arteria i>pi- nalis anterior und posterior. Die vordere verbindet sich mit jener der anderen Seite zu einem einfachen Stämmchen, welches längs des Sulcus Inngitudinatis anterior der Medulla spinalifi etwas geschlängelt hcrabläult, und mit den Rami spinales, welche die Arteria vertehralis, die Intercostales, die Lumbales und Sacrales, durch die Foramina intervertebralia dem Rückenmark zusenden, einfache oder inselförmige Anastomosen bildet. Die hintere tiiesst mit der anderseitigen nicht zu Einem Stämmchen zusammen, anastoni'isirt aber wohl durch vermittelnde Bogen mit ihr und den Rami spinales. 2. Die Arteria cerebelU inferior posterior, zu dem hinteren Abschnitt der unteren Gegend des kleinen Gehirns. Sic giebt Aeste zum Untcrwunn. und zum Ple.riis rhoroideii^s des Ventricuhis quartus. 3. Die Arteria rerebeUi inferior anterior, zum vorderen Abschnitt der unteren Kleinhirngegend und zur Flocke. Die aus der Verschmelzung beider Arteriae vertehrales hervor- geganjj^ene Arteria hasilaris geht in der seichten Längenfurche des Pon.s Varoli nach vorwärts, bis sie, jenseits des Pons, in die beiden tiefliegenden (lehirnarterien, Arteriae profuiidae cerehri, zer- fällt. Aus der Arteria hasilaris selbst entspringen: a) Die Arteria auditiva interna, welche in den inneren Gehörgang tritt, und ihre Zweigchen durch die grösseren Löcher der Maculae cribrosae, und des Trartus spiralis zu den häutigen Bläschen des Vorhofs, und in den Modiolus entsendet, von welchem sie zur Lamina spiralis ge- langen. Genaue Angaben über ihre Endverästlungen fehlen. ß) Die Arteria cerebelU superior. Diese geht am vorderen Rande des Pons nach aussen zur oberen Fläche des kleinen Gehirns. §. 398. Veräslluug der Schlüsselbeinarterie. 1043 Am vorderen Rande der Varolsbrücke tlieilt sicli tlie Arteria hasilaris, stark g'espreizt, in die beiden Arteriac profundae cerehri. Diese nehmen die Arteriae commnrucantes posteriores von den inneren Carotiden auf, schlagen sich hierauf nm die PedancuU cerehri nach rück- und aufwärts, schicken Aeste durch den Querschlitz zur Tela choroidea superior, und verbreiten ihre Endzweige an den hinteren Lappen des grossen Gehirns. Durch die Verbindung beider Arteriae commuuicantes posteriores mit den als Arteriae profiiudae cerehri bezeichneten Spaltungsästen der unpaaren Arteria hasilaris, wird die Carotis interna mit der Arteria vertebralis in eine für die g'leichmässige Blutvertheilung im Gehirn höchst wichtige Anastomose gebracht, welche als Circulus arteriosus Willisii bezeichnet wird. Der Circulus Willisii ist, genau genommen, kein Kreis, sondern, nach der Zahl seiner geradlinigen Segmente, ein Polygon, und zwar ein Heptagon. Er schliesst das Chiasma, das Tuher cinereum mit dem Trichter, imd die Corpora nianimillaria ein, und entspricht somit, der Lage nach, der Sella turcica. . Eine bisher nicht beobachtete abnorme Ursprungsweise der Wirbel- arterie fand ich an einer Kindesleiche. Die Arteria vertebralis dextra entsprang nämlich hinter der Subclavia sinistra, und lief in schiefer Eichtung hinter der Speiseröhre und vor der Wirbelsäule nach rechts hinüber zum Foramen trans- versarhim des sechsten Halswirbels. Sie hatte somit denselben anomalen Ur- sprung und Verlauf, welchen man bisher nur von der Subclavia dextra kannte. Die Wirbelarterie betritt ausnahmsweise erst am fünften oder vierten Wirbel den Schlagaderkanal. Sie kommt auch doppelt, selbst dreifach vor, in welchem Falle ihre Wurzeln in verschiedene Querfortsatzlöcher eintreten. Immer vereinigen sich die vervielfältigten Wirbelarterien im Querfortsatzkanal zu einem einfachen Stamm. — Die Basilararterie bildet in seltenen Fällen durch Spaltung und Wiedervereinigung ihres Stammes Inseln, wodurch ihre Verwandt- schaft mit den Arteriae spinales sich kundgiebt. — J. Davy (Edinb. Med. and Surg. Journ., 1838) erwähnt in der Basilararterie eine senkrechte Scheide- wand als Trennungsspur zwischen den verschmolzenen Wirbelarterien, und Uebergang zur Juxtaposition. — Weber sah die Basilararterie durch ein Loch in der Sattellehne gehen. — Ueber Abnormitäten der Wirbel- und Basilar- arterie handelt mein Aufsatz in den med. Jahrb. Oesterr., 1842, Juli, und A. F. Walter, De vasis vertebralibus. Lips., 1730. — A. Barbieri, Mono- graphia dell' arteria vertebrale. Milano, 1868. b) Die innere Brustarterie, Arteria manvtnaria interna. Sie entspringt von der unteren Peripherie der Arteria subclavia, gegenüber der Arteria vertebralis, und läuft zur hinteren Fläche der vorderen Brustwand, wo sie hinter den Rippenknorpeln, und neben dem Seitenrande des Brustbeins gegen das Zwercb- fell herabsteigt. Während dieses Laufes erzeugt sie, nebst den unbedeutenden Arteriae mediastinicae, thytnicae, und der einfachen oder doppelten bronchialis anterior, noch folgende Aeste: 66* 1044 *• 898. Yerästlung der PchlOsselbeinarterie. a) Die Arteria pericardiaco-phrenica, welche mit dem Nervus phrenicus an der Seitenwand des Herzbeutels zum Zwerchfelle gelangt. ß) Die Arteriae intercostales anteriores, zwei für jeden der sechs oberen Intercostalräume. eine obere stärkere, und untere viel schwächere, welche auch oft mittelst eines kurzm gcmeinsoliaftlichen Stämmcliens« entstehen. Sie anastomosiren mit den hinteren Zwiscliniripiiensililagadern, wolche ihnen entgegenkoiiiiiien. Gleich nach ihrem Ursprünge geben sie Rami perforante.t zur Haut und zu den ^luskeln der vorderen Thoraxwand. Bei Weibern sind die Rami perforantes des zweiten bis fünften Inter- costalraumes stärkpr als die übrigen, da sie ansehnliche Aeste (Arteriae mammariae externae) zur Brustdrüse abzugeben haben. — Oefters ent- springt von der Mammnria iiitenia, nucli bevor sie den ersten Kippcn- knorpel erreicht, ein stattlicher Ast, welcher als Arieria coslalia inter- media, an der inneren Oberfläche der seitlichen Brustwand, in schief nach aus- und abwärts gehender Richtung, über mehr weniger Rippen hinabstreicht und zuletzt mit einer hinteren Intercostalis anastomosirt. Zwisclien dem sechsten Rippenkiiorpel und i\em l^roccbStts .riphoi- fieus sttTtii löst sicli die J/animaria interna in die Arteria cphjdutrica supo'ior und ninaculo-phrenica auf. Die Arteria musctdo-phrenica zieht sich längs des Ursprunges der Pars costalis diapliraiiDiatifi schief nach aussen und unten an der Seiteinvand des Thorax hin. und giebt die Arteriae intercoftafex anteriores für die fünf unteren Zwiselienri]ipenräunie ab. — Die Arteria epigastrica superior dringt zwischen dem siebenten Rippeukuorpel und dem Schwertfortsatz, selten durch ein Loch des letzteren, in die Scheide des geraden Bauclimuskels, wo .sie auf der hin- teren Fläche dieses Muskels, gegen den Nabel herabzieht, ihre Aeste theils in dem Fleische des Rectus lässt. theils als perforirend zur Haut der Regio epigastrica schickt, und allenthalben mit der Arteria epigastrica inferior (aus der Arteria crwalisj und den übrigen Bauchmuskelarterien anastomosirt. L'h fand die Epigastrica superior mit der entgegengesetzten, durch einen hinter dem Schwertfortsatz vorbeilaufenden Verbindungsast anastomosiren. Cruveilhier sah diesen A'erbindungsast vor dem Schwertknorpel vorbeiziehen. Feine Aestchen der Musrndo-phrenica laufen im Ligamentum suspensnrivm hepatis zur Leber. — Die Arteria mammaria into-na entspringt abnormer Weise aus der Anonyma, dem Aortenbogen, dem Truncus thyreo-cervicalis, und wird auf beiden Seiten oder nur auf einer doppelt. Einen höchst merkwürdigen Kall, und einzig in seiner Art, besitze ich, wo die Arteria mammnria dextra im vierten Zwischenrippenraum aus dem Thorax heraustritt, den fünften Rippenknorpel umgreift, und sich unter diesem Knorpel wieder in den Thorax zurückbegiebt. c) Die Scliilddrüsenarterie, Arteria thi/reoklea inferior, welclie, weil sie Zweige zu gewissen Nackenniuskeln giebt, aucli Truncus thyreo-cervicalis genannt wird. Sie steht der Arteria vertehralis nur wenig an Stärke nach. Am inneren Rande des Scalenus anticus steigt sie bis zum fünften Halswirbel empor, krümmt sich hinter den grossen Halsgefässen nach innen nnd oben, und gelangt mit zwei Endästen an den unteren Rand und an die hintere Fläche der Schilddrüse, wo diese Aeste. in der Regel, weder mit den Z^veigen der Thyreoidea superior, noch 8. 399. Vevästlung der Achselarteria. 1045 mit jeuen der entgegengesetzten Thyreoidea inferior anastomo- siren, obwolil ein allgemeiner Usus dicendi es so haben will. Ein Ramus laryngeus findet unter dem Constrictor pharyngis inferior seinen ^eg zur hinteren Kehlkopf^vand. Er anastomo- sirt mit der Arteria laryngea ans der TJiyreoidea superior. — Mnskeläste dieser Arterie sind: 1. Die aufsteigende Nackenarterie. CervicaUs ascendens. Sie zieht auf den Muskeln vor den Wirbelquerfortsätzen empor, versorgt dieselben, und anastomosirt mit den Muskelästen der Arteria vertebralis, cervicalis descen- dens uud profunda. 2. Die oberflächliche Nackenarterie, Cervicalis superficialis. Sie entspringt fast immer aus der Arteria cervicalis ascendens, läuft parallel mit dem Schlüsselbein nach aus- und rückwärts durch die Fossa supraclavicularis, wird hier nur durch das Platysma und das hochliegende Blatt der Fascia cervicalis bedeckt, und verbirgt sich dann unter dem Musculus cucullaris, in welchem sie sich, sowie in den beiden Splenii und Rhomhoidei auflöst. 3. Die quere Schulterblattarterie, Transversa scapidae. Sie ver- läuft hinter dem Schlüsselbein quer nach aussen, sendet den Ramus acromialis zur Schulterhöhe, geht durch die Incisura scapulae, oder über das Deckband derselben, zur oberen Grätengrube, hierauf hinter dem Collum scapulae zur unteren Grätengrube herab, und verliert sich in den Muskeln dieser Gruben. d) Die Eippen-Nackenschlagader, Tremens costo - cervicalis. Ein kurzer Stamm, welcher hinter dem Scalenus anticus aus der Subclavia entsteht, und sich in folgende zwei Zweige theilt: 1. Die obere Zwischenrippenarterie, Arteria intercostalis suprema. Sie geht vor dem Halse der ersten und zweiten Eippe herab, und sendet die Arteriae intercostales für den ersten und zweiten Zwischenrippenraum ab. 2. Die tiefe Nackenarterie, Arteria cervicalis profunda, welche zwischen dem Querfortsatz des siebenten Halswirbels und der ersten Rippe nach hinten, und in den tiefen Nackenmuskeln nach aufwärts läuft, um in den Nackenmuskeln sich zu ramificiren. e) Die quere Halsarterie, Arteria transversa colli. Sie entspringt als ein stattliches Gefäss, entweder zwischen den Scaleni, oder jenseits derselben. Letzteres kommt häufiger vor. Sie durch- bohrt den Plexus hrachialis von yorn nach hinten, und zieht, tief gelegen, durch die Fossa supraclavicularis nach aussen, um den oberen Rand der Scapiila zu erreichen, an dessen innerem Ende sie einen Ast zum Musculus cucullaris, deltoideus, levator scapidae, und zum Akromion aussendet, und hierauf als Arteria dorsalis scapidae endet, welche den inneren Rand des Schulter- blattes entlang, zwischen dem Rhomboideus und Serratus anticus major verschwindet. §'. 399. Yerästlung der Acliselarterie. Die Arteria subclavia setzt sich in die Arteria axillaris fort. Vom Schlüsselbein bis zum unteren Rande der vorderen Wand der Achselhöhle herab, führt sie diesen Namen. ■J04G • 999. VeraBtlnnp der Acheelarterie. Die AclisclartiM-ie begleitet das Achselnervengefleclit, an Avelclies sie sich Uei ilireni Austritte aus der S('al('missj)alte anscliliesst. und wird von den «Irei Ilauptltündeln dcsselhen umgeben. Sie liat über sicli (Ins Selilüssell)ein und den Mi(iici(his siihcf(ffii(s, vor sieb und etwas nach inniMi die }'e)ut a^rilfaris. Vom Oberarmkoj»!' wird sie durch den Mmcidus .^uhscapuhirls g-etreunt. Die Vena cepludii-a gelit vor ihr weg zur Achselvene. Nach innen -wird sie nur von der Haut und der Fascie der Achselhöhle bedeckt, und kann deshalb leicht gefühlt und gegen den Knochen angedrückt werden. Die beiden Wurzeln des Nervus medianus umgreifen sie gabelförmig'. Nebst kleinen Zweigchen zu den Lymphdrüsen der Achsel erzengt «lie Arii'rii( a.idhirix folgende Aeste: a) Die Arteria tlionirica suprem« dringt zwischen Pectondis nmjor und minor ein. welche si«' mit ihren Zweigen betheilt. //) i)ie Arierid acrouiiaUs entspringt ncltcn d(M- vorigen, oder häuliger mit ihr vereinigt, als Thor((c/co-(t<-roiiil«dfö\ Sie geht vor der Anheftung des J\'doridis minor am Kabenschnabelfortsatz nach aussen und oben, verl)irgt sieh unter dem Clavicular- ui'sj)rjing des Deltamn.skels, scldägt die Richtung gegen das Akromion ein, giebt der Kapsel des Schultergelenks Zweigchen, und sendet mehrere Kami arrotniales zur oberen Fläche der Schiilterhiihe. welche inil den Verästlungen des Hamus acro- iniidis der Arteria transversa scapulae das Rete acromiale bilden. c) Die Arteria thorarica lomfa läuft an der seitliehen Brnstwand auf dem Serratvs antirus major mit dem Neni;'eu lien't die Arten'a hvach'uiUs, Avelclie nun Cuhifalis <;ennnnt wird, auf dem unteren Ende des Musoihis I>rachia/i.erarml)ein ein Processus siipracondyloideus vor (§. 137), so liegt die Arteria hrachialis mit dem Nervus meflian'us liinter ihm, auf welches Vorkommen der Operateur, bei ünterbindunneu der Arfcr'm hrifchiaJis am unteren Ende des Oberarms, Acht zu nehnuni hat. Neun bis zehn Linien über ilnvr Theilung sendet die Arteria hrachialis von ihrem inneren Rande eine kleine, aber constante Schlagader ab, welche unter dem Lacertus fibrosus der Bicepssehne. zu der am Condvlus internus hv/n^eri entspringenden ]\luskelmasse zieht, und den Nervus mediaiws hiebei kreuzt. Gruber beschrieb sie als Arteria plicae cvhiti superficialis. Sic ist darum interessant, weil sie, bei starker Entwicklung, entweder eine Arteria mediana superficialis, oder Arteria ulnaris superficialis darstellt. — Ueber die Varie- täten der angeführten Aeste der Arteria hrachialis handelt A. Haller, Dissert. de arteria bvachiali. (iott.. 1740. §. 401. Yerästlung' der Vorderarmarterien. Die Armspindel- un«! revis znni Condyhis humeri externus znrück, und anastomosirt sofort mit dem vorderen Eudast der Arteria pro- funda brachii. h) Rami musculares. Sie gehören den Muskeln, zwischen welchen der Stamm der Arteria radialis hinzieht. Einer derselben er- zeugt die Arteria mitritia radii. c) Den Ramus volaris superficialis, dessen Kaliber und Ursprung vielen Schwankungen unterliegt. Grewöhnlich entsteht er in der Höhe der Insertion des Supinator longus, und geht, über dem queren Handwurzelband, zu den Muskeln des Daumenballens; in diesen verliert er sich entweder gänzlich, oder hilft mit einer über diese Muskeln weglaufenden Fortsetzung den Arcus volaris suhlimis (§. 402) bilden. In letzterem Falle wird er zu- weilen so stark, dass mau ihn auf dem Daumenballen pulsiren sehen und fühlen kann. Auf dem Handrücken entstehen aus der Arteria radicdis: a) Ein Ranms carpi dorsalis, für die Eückenseite der Handwurzel, wo er mit den Endverzweigungen der Interossea externa das Rete carpi dor- sale bildet. ß) Die Arteria interossea dorsalis prima. Sie löst sich in drei Zweige auf: für beide Seiten des Daumens und die Eadialseite des Zeigefingers. In die Hohlhand eingetreten, giebt die Arteria radialis, bevor sie mit dem tiefliegenden Hohlhandast der Arteria ulnaris zum Arcus volaris profundus (§. 402) bogenförmig zusammenfliesst, die Arteria digitalis communis volaris prhna ab. Diese verläuft unter der Sehne des Flexor pollicis longus, am Os metacarpi polUcis bis zu dessen Capitulum, und theilt sich, nachdem sie die Arteria volaris ■indicis radialis abgegeben, in die Arteria volaris pollicis radialis und tdnaris. Die Varietäten der Armspindelarterie schildert eingehend W. Gruber, Zur Anatomie der Arteria radialis, im Archiv für Anat. und Physiol., 1864. -B) Die Ellbogenarterie, Arteria tdnaris, begiebt sieh unter der ersten und zweiten Schichte der vom Condylus humeri internus entspringenden Muskeln zur Ulna, wo sie zwischen Ulnaris internus und den Fiugerbeugern zur Handwurzel herabsteigt. Auf diesem Wege hat sie den Nervus idnaris an ihrer inneren Seite. Ueber dem quereu Haudwurzelbande zieht sie, am Os j^^si/bnng vorbei, zur Hohl- hand, wo sie sich in den oberflächlichen imd tiefliegenden Endast spaltet. Der oberflächliche Ast bildet mit dem gleichen Ast der Arteria radicdis, den hochliegenden, der tiefliegende Ast aber \ O^^O i. 400. r>ie \>elden Ilolilhsndbogon, mit (l«Mii Endo der Arti'vlii raillaliif, den tiot'l ioi;ond(Mi Ilolilliand- hogpn. Bis zu iliror Spaltung- orzengt sie: et) Zwei llami recurreutes vhiares, einen anteino^^ nnd posterior. Der autfi-ior zieht in der Furche zwischen Pronator teres und Bra- rhialis internus zuiii inneren Condylus humeri hinauf, wo er mit der Collateralls rilnaris inferior annstomosirt. Der posterior, stärker als der anterior, geht hinter dem C'ondvlus internus Inimeri auf die Collaternlis ulnaris superior zu, mit welcher er zusanunenmündet. Durch diese mehrfachen Anastomosen der Rami eollaferales der Armarterie mit den Rami recurrentes der Vorderarm- arterien, kommt um das EUbopfengelenk herum das weitmaschige Rete ctibiti zu Stande. ß) Rami muscnlavcs zu ilironi Muskelgoloite. deren einer die Arter'm nvtvtfia iihute erzeni;t. )') Die Arft'r/ii iiitcro.'iSi'd o«;en, als«» sclion am <)l)erarm, sell)st in der At•ll^elllüllle, ilircii ( rspriinn nfliincn. Am liäiilinsteii lietriflt Ai'v Iwdie Ursprung die Artt'via rtuHnHs, und zwar meist im oliercu |)rittel des ()l)er- urins, — sehr selten scliuu in der Acliselludile. Unter vienimlzwanzig Fällen von hohem Ursprung der Vorderarra- arterien. die ich aufgezeichnet habe, betreffen achtzehn die Arteria radialis. Diese Anordnung wurde sogar, nach einer Bemerkung von Wolff fObs. med. chir., puif. 64), von Biddloo für die regelmässige gehalten. Da man in den anatomischen Museen die Fälle von hohem Ursprung der Vorderarmarterien aufzubewahren pflegt, so kann es wohl kommen, dass man mehr abnorme als normale Spccimina daselbst antrifft. Biddloo's Irrthum wäre sumit erklärlich. I)ie liocli entsprungene Artev'ut raditiHs lieg't an der inneren Seite der Artev'm hrachiaUs, gelit aher Itald iil)er sie weg- zu ihrer äusseren. Sie l)leibt eiue Strecke weit unter der Fascia hrarhii, wird erst im weiteren A erhiufe subcutan, geht über den Lacertus jilii'ii.'ius der Bicepssehne weg. kreuzt sich mit den Hantveuen des Elll)(igenl)uges, und kann deslialb bei Aderlässen verletzt werden, llire ol)erflächlic]ie l^age ist der Grund, warum sie die Arteria rerurreni^ radialis in der Regel nicht abgiebt. Diese entsteht viel- mehr aus der Arteria vlnaris, oder seltener aus der .lW(?r^a m5s^a. Als l' ebergang zum hohen Ursprung der Arteria radialis \\m\i jener Fall augesehen werden, wo aus der Arteria hrachialis ein über- zähliger Ast, von II aller Vas aherrans genannt, entspringt, welcher entweder weiter unten wieder in die Braehialis einmündet, oder mit ihr nur durch «'inen VcrlMuduugszweig auastomosirt, und dann zur Arteria radiali.t wird. Ist die Arteria nlnaris das hoch entspringende Gefäss, so fällt ihr Ursprung meistens noch in (bis Gebiet der Achselhöhle. Ich be- sitze nur einen Fall (rechter Arm eines Kindes), wo sie von der Arteria profunda />raehii abzweigt. Die hoch entstandene Arteria uhiaris geht in der Regel über die vom Condylus Internus humeri entspringende Muskelmasse weg, und lagert sich erst unterhalb dieser in die Furche zwischen Ulnaris internus und Flexor diijitorura sublimis. Sie giebt nie die Arteria interossea ab. — Der hohe Ur- sprung der Arteria interossea ist viel seiteuer als jeuer der Arteria radialis und ulnaris. Auch die zuweilen vorkommende Vervielfältigung der Vorderarmarterien gehört hieher. Sie erscheint entweder als Duplicität einer normalen Schlag- ader, wie ich an der Arteria radialis sah, welche schon auf dem Supinator §. 404. Aeste der absteigenden Brustaorta. 1053 brevis sich in zwei Aeste tlieilte, die sich als Ramus volaris und dorsalis im weiteren Verlaufe herausstellten, oder es kommt zu den regulären drei Vorder- armarterien eine Schlagader hinzu, welche aus der Arteria interossea oder ulnaris entspringt, und an dem Nervus mediamis zum Carpus herabläuft, wo sie über oder unter dem Ligamentum transvevsum carpi in den Arcus volaris subUmis übergeht. Man kann sie immerhin Arteria mediana nennen, obwohl sie nicht immer an den Nervtis medianus gebunden ist. In Fällen, wo die Arteria radialis ungewöhnlich schwach ist, und nicht bis zur Hand gelangt, sah ich die Arteria mediana oberhalb des Carpus rechtwinklig zur Speiche ablenken, und als Arteria radialis weiter verlaufen. Der JVervus medianus wird regelmässig von einer feinen Arterie be- gleitet, welche ein Ast der Ulnaris oder Interossea ist. Die früher als Arteria mediana angeführte Anomalie, lässt sich sonach als ein höherer Entwicklungs- grad eines normal vorkommenden Gefässes auffassen. Grub er nennt dieses Gefäss: Arteria mediana profunda, da seine im §. 400 erwähnte Arteria plicae cubiti, bei abnormer Entwicklung, die Arteria mediana superficialis darstellt. Es muss noch erwähnt werden, dass auch der Ursprung der Arteria mediana höher rücken, und auf die Brachialis, selbst auf die Axillaris fallen kann. Der hohe Ursprung und der oberflächliche Verlauf der Vorderarmarterien scheinen das Bestreben auszudrücken, die Arterien der oberen Extremität den Venen zu verähnlichen, indem die hoch entsprungene Ai-teria radialis der Vena cephalica, und die hoch entsprungene Artei-ia ulnaris der basilica entspricht. Bei gewissen Operationen in der Verlaufssphäre dieser Gefässe, soll der Chirurg von dem möglichen Vorhandensein dieser Anomalien wohl unterrichtet sein. C. G. Ludivig, De variantibus arteriae brachialis ramis. Lips., 1767. — F. Tiedemann, Ueber die hohe Theilung der Armschlagader, im 6. Bande der Münchner Denkschriften, und dessen Supplementa ad tabulas arteriarum. 1846. — J. F. Ileckel, im 2. Bande des deutschen Archivs für Physiologie. — I£. Meyer, Ueber die Arteria mediana antihrachii und die Arteria articularis mediana cubiti, in Henle's und Pfeuffers Zeitschrift, 7. Bd., 2. Heft. — Langer, Varietät der Arteria brachialis, in der Zeitschrift der Wiener Aerzte. 1851, Mai. — A. Baader, Varietäten der Armarterien. Bern, 1866. — Zahlreiche Beobachtungen über Varietäten der Brachialis und ihrer Aeste verdanken wir Gruber. Sie sind theils im Archiv für Anatomie, theils in der österr. Zeit- schrift für praktische Heilkunde enthalten. — Sehr reich an Beobachtungen ist die Abhandlung von C. Giacomini: Della prematura divisione dell' arteria del braccio. Torino, 1874. Con 5 tavole. §. 404. Aeste der absteigenden Bnistaorta. Die Aorta tJioi'cteica descendens g-iebt viele, aber iiiei.st kleine Schlagaflern ab, nud behält deshalb ia ihrem Laufe so ziemlich gleiches Kaliber. Ihre Aeste sind theils für die Organe im hinteren Mittelfellraiime, theils für die Brnstwaud bestimmt. Diese Aeste sind: a) Die zwei Arteriae bronchiales posteriores. Sie treten zur hinteren Wand der Liiftröhrenäste, und begleiten sie durch das Luugen- parenchym. Da die Aorta auf der linken Seite liegt, so wird die Arteria hronchialis dextra häufig nicht aus ihr, sondern aus der dritten und vierten Arteria intercostalis dextra entstehen. IQ^^.J 5. 404. Aole (lor alistoigendcii liiuslaorla. Die M'lir wainlilliiinii Jironrliiale." auteriorcs riil^tilu.ii, \vi. im §. 3'J8, b' anpcl'ülirt wiinlt". aus «Irr ^fammal^ia inta-na. Silutu H aller hatte es ge- kannt, (lass die Art,ne>opliai;u,s duroli das Zwerclifell, uud aiiastomo.sirt mit einem entue.i;enk(tmmendeu Aste der Arteria coronaria vetüri- cidi sbüstra. <:) Eiiii<;'e leine Z\veii;e (Arleriac ined'uistink-ae) zu der Pleura des Innreren Mittelfellraumes. /') und c) gx'ben dünne Reiserelieu zur liinteren Ilerzlieuteiwand, als Arteriae pericardiacae poste- rior eä. d) Die Arteriae iidercostales (posterioren) sind die stärk.sten Zweite der absteigenden Brustaorta. Da die Arteria suhelavia durch den Trnncus eoslo-cerviealis l)ereits die beiden oberen Spalia iulen-iislalia versori;te, so werden der Aorta nur die neun tbl- yetiden Z\visc'lu*nrijH)enräume zulallen können. Weil man aber die am unteren Rande der letzten Kippe verlaufende Arterie, (dj\v(dd ue^en alle Spracliriclitiykeit. noch als intercostal bezeichnet, so wird die Aorta zehn Paare Arteriae intercostales abgeben. Die linken werden, weg'en liukseitiger Lage der Aorta, kürzer als die rechten sein. Die drei bis vier oberen Intercustalos der Aorta sind iiieiir weniger Artrriae recurrente.i; die übrigen treten unter rechten Winkeln ;ib. Da bei sehr kleinen Embryonen alle lutercostales rechtwinkelig entspringen, iiat man das Recurriren der oberen beim Erwachsenen dadurcli erklären widlen, dass das obere Stück der Brustaorta. aus welehem die renirrnitcs entspringen, eine Wachi-thumsverschiebung nacli unten erleidet, wodurch die I'rsprungswinkel der Intercostales grösser als rechte werden juüssen, worin 1 lieii der Begriff einer Arferia renirrens liegt. Dormitat Homerusl Pas obere Stück der Aorta kann sicli nicht nach unten verschieben, wenn sich nicht auch das untere in derselben Richtung verschiebt. Das untere verschiebt sich aber nicht nach unten, wie es die rechtwinkeligen Ursprünge der Intercostates beweisen, ergo kann sich auch das obere nicht nach unten verschieben. Auch müssten im Ver- schiebungsfalle alle anderen Aeste des oberen Aortenstückes recurrirend werden, was nicht der Fall ist. Es wäre nur noch an ein Wandern der Ursprünge zu denken. Warum aber die oberen wandern s.dlen, und die unteren nicht, begreift kein ^lensch. Am Hpoiini do.s Zwischeurippenraumes iheilt sich jede Arteria intereostalis in einen Ramus dorsalis und Raums intereostalis. Der Ramus dorsalis geht zwischen je zwei Querfortsätzen zur Rücken- muskulatur, und schickt durch das Forainen intervertebrale einen Ast g. 405. Unpaare Aeste der Baucliaorta. 1055 zur Medulla spinaUs und zu clereu Häuten. Dieser Ast verhält sicli wie die JRami spinales der Arteria vertehralis. Der Ramus intercostalis läuft gegen den unteren Eand der nächst oberen Kippe, und im Sidcus costae nach vorn gegen das Brustbein. Er sendet zum oberen Rande der nächst unteren Rippe einen schwachen Ramus supra- costalis. Dieser und der eigentliche Ramus intercostalis anastomosiren mit den Arteriae intercostales anteriores von der Mammaria interna. — Die Arteriae intercostales versorgen nicht blos die beiden Zwischen- rippenmuskeln, sondern auch den Pectoralis, Serratus anticus major, und die Costalursprünge der Bauchmuskeln. Beim Weibe gehen aus der dritten bis sechsten Arteria intercostalis stärkere Aeste für die Brustdrüse hervor. Die Ursprünge je zweier Arteriae intercostales rücken an der hinteren Perii)herie der Aorta um so näher zusammen, je tiefer sie stehen. .— Abwei- cluingen greifen insofern Platz, als mehrere Arteriae intercostales (zwei bis drei) aus einem gemeinschaftliehen Stamme entspringen können, welcher, wie die Arteria intercostalis suprema, vor den Eippenköpfchen herabsteigt, und in den betreffenden Intercostalräumen einen Ast zurücklässt. Auch ist es nicht unge- wöhnlich, dass eine starke Arteria intercostalis, nachdem sie schon eine Strecke im Rippensulcus verlief, sich über die nächst untere, oder über zwei folgende Eippen schräg herabsenkt. — Die letzte Arteria intercostalis könnte besser costo-himbalis genannt werden. Es wäre aber richtiger, sie, weil sie unter dem Rippenursprnnge des Zwerchfells verläuft, den Aesten der Baucliaorta als Arteria hmibalis prima zuzuzählen. — So lange eine Zwischenrippenarterie im hinteren Theile des Sulcus costalis eingebettet liegt, ist sie durch dessen längeres Lahium externum vor Verwundung hinlänglich gesichert. Nach vorn zu, wo der Sulcus verstreicht, wird ihr Kaliber so klein, dass ihre Verletzung unmöglich ernste Gefahr bringen kann. Es fehlt noch viel zu sehr an authen- tischen Beobachtungen über wirkliche Verletzungen dieser Gefässe, und die vorgeschlagenen sinnreichen Methoden, ihnen zu begegnen, dürften weniger am Lebenden bewährt, als am Cadaver versucht worden sein. — Die oberen Arteriae intercostales aus der Aorta entspringen, wie früher gesagt, häufig tiefer, als der Intercostalraum liegt, zu welchem sie gehen, und sind dann Arteriae recurrentes. Die mittleren haben einen rechtwinkeligen Ursprung, und die untersten einen etwas spitzwinkeligen. Diese Regel, welche besonders bei Thieren mit vielen Rippen in die Augen fällt, erleidet beim Menschen zahlreiche Aus- nahmen. — Ueber die Verästlung der Rami spinales im Rückgratskanal, handelt Rüdinger, Ueber die Verbreitung des Sympathicus. München, 1863. §. 405. Unpaare Aeste der Bauchaorta. Von der Aorta abdominalis haben wir, auf der kurzen Strecke vom zwölften Brustwirbel bis zum vierten I^endenwirbel, eine reiche Phalanx unpaariger und paariger Aeste zu schildern. Die drei un- paarigen entspringen aus der vorderen Peripherie der Aorta, und sind für die Verdauungsorgane, — die übrigen, seitwärts abtretenden für die paarigen Harn- und Geschlechtswerkzeuge und für die Baucb- wand bestimmt. 1056 §• *'^f' T^npaiire Aestü der I3aucliaorta. Dil' uupaarigeu Ae>tt' der Bauchaorta sind: A. Die kurze Baiicharterie, Arieria coeliaca. Sie führt seit Riolan diesen Nauien, welcher vitu »j xofA/of, Hau c li li öh le, entlehnt wurde, deren wiclitii;ste Eini;«'\vei(U' sie versorj;t. Diese Benennung-, obwohl allgemein angenommen, zählt zu den groben Sjtrachrehlern, deren die Anatnmie sich so (ili. und so ungerügt schuldig' gemacht hat. KotkicKKog hatte bei den griechischen ;\ei-zten die Bedeutung-: .,an der \erdauung' leidend'"! Dieser, einen halben, bis einen Zoll lange, starke, von »Jen Ner\ custämmen des JPltwus coeliacus dicht umstrickte ( Jetässsfamm, entspringt aus der Aorta, während diese noch zwischen den Schenkeln des Zwerchfells liegt, tritt über den oberen Kand de> I'aiiki'eas weg nach vorn und etwas nach links, und giebt gleich nach ^ciiiciii rrsj)niiiu die beiden unteren Zwerch- fellarterien. Arlcriitc phreiücac, ab, welche auch zu einem kurzen Stämiiichen verschmolzen sein können. Die Arteriae phrenicae ver- ästeln sich, nachdem sie Zweige zur >.('benniere abgegeben, in der Pars Imubiilis und loslidis (Hiq)ln'a mit den Arteriae intercostales und tnusculo- phrenicac. Der Stamm i\ev ArUria coeliaca zerfällt, wie IlalleJ' sich aus- drückt: trijtotlis ad inst((r, in drei diverüirende Zweiii'e: 1. Arteria coronaria vcntriculi supcrior siaistra, linke, obere Magenkranzarterie. Sie läuft in der kleinen ( "urNatur des Magens von links nach rechts, und sendet an dessen vordere und hintere Fläche ihre Zweige aus, welche mit der Arteria coronaria superior ilci'tra, den Arteriae coroaariae inferiores, nud den Vasa hrevia der Milzarterie sehr zahlreich anastomosiren. 2. Arteria hepatica, Leberarterie. Sie dringt zwischen die Blätter des T/Kjanientuni hepato-duodenale ein, wo sie an der linken Seite der \'e,ia portac liegt. Sie schickt zum kleinen Mag-enbogen die mit der Arteria coronaria sinistra anastoniosirende Coronaria superior dcj'tra, deren erster Nebenzweig' als Arteria pi/lorica zum Pförtner geht. — Im Lhjamention hepato-duodenale zerfällt die Ar- teria hepatica in einen auf- und absteigenden Ast von gleicher Stärke. Der aufsteigende ist der eigentlich für die Leber bestimmte Gefässast, Arteria hepatica propria. P2r divergirt in der Leberpforte in zwei Zweige. Der stärkere Rainus dcdier giebt der Gallenblase die kleine Arteria cystica. Der absteigende Ast findet im Magen und Zwölffingerdarm seine Antlösnng, nnd heisst deshalb Arteeia ,jastro-daodenalis. Er geht hinter dem oberen Qnerstück des Zwölffingerdarms herab, nnd theilt sich ebenfalls in zwei Zweite: §. 405. Unpaare Aeste der Bauchaoita. 1057 aaj Die Arteria pancreatico-duodenalis, welche am concaven Eande des Duodenum mit einem ihr entgegenkommenden Aste der Mesenterica superior, welcher Arteria duodenalis inferior heisst, im Bogen anasto- mosirt. Dieser Bogen versorgt das Duodenum und den Kopf des Pankreas. bbj Die Arteria gastro-epiploica s. coronaria ventricuU inferior dextra, welche an der grossen Magencurvatur zwischen den Blättern des grossen Netzes von rechts nach links läuft, dem Magen aufsteigende, dem Netze ab- steigende Aeste zuschickt, und mit der Arteria gastro-epiploica sinistra aus der Milzarterie zusammenmündet. 3. Arteria splenica, Milzarterie — der stärkste Zweig der Goeliaca. Er zieht am oberen Rande des Pankreas nach links, giebt ihm Zweige, und betritt, zwischen den Blättern des Ligamentum gastro-lienale eingeschlossen, den Hilus lienis. Er erzeugt, bevor er in die Milz eingeht: aa) Die Arteria gastro-epiploica s. coronaria veyitriculi inferior sinistra, welche der dextra entgegenläuft, um in sie einzumünden. hh) Die Fasa hrevia s. Arteriae gastricae breves, vier bis sechs, welche zum Fundus ventricuU treten, und eigentlich nur auf den Stamm der Milz- arterie übersetzte Magenäste der Arteria gastro-epiploica sinistra dar- stellen. Die Gastro-epiploica dextra und sinistra bilden am grossen Magenbogen durch ihre wechselseitige Zusammenkunft, den Arcus arteriosus ventricuU in- ferior, sowie die beiden, in 1. und 2. (bei AJ erwähnten Coronariae superiores, am kleinen Magenbogen den Arcus arteriosus superior. B. Die obere Darm- oder Gekrösarterie, Arteria mesen- terica s. mesaraica siiperior. Sie ist etwas stärker als die coeliaca, dicht unter welcher sie entspringt. Hinter dem Pankreas und vor dem unteren Querstück des Duodenum geht sie zur Wurzel des Gekröses, in welchem sie einen mit seiner Convexität nach links sehenden Bogen beschreibt. Die Ernährung des unteren Querstücks des Duodenum, das ganze Jejunum, Ileum, Coecum, und das Colon ascendens und transversum, fällt ihr anheim. Ihre Aeste, ungefähr zwanzig an Zahl, lassen sich in zwei Gruppen eintheilen. Die eine entspringt aus der convexen, die andere aus der concaven Seite des Bogens. Aus der convexen Seite des Bogens treten hervor: ß) Die Arteria duodenalis inferior zum unteren Querstück des Zwölffingerdarms und zum Kopf des Pankreas. ß) Die Arteriae jejunales und ileae, vierzehn bis sechzehn an Zahl. Sie verlaufen, fächerförmig aus einander fahrend, zwischen den Blättern des Gekröses zu den Darmstücken, deren Namen sie tragen. Jede derselben theilt sich auf diesem Wege in zwei Zweige, welche mit den Zweigen der nächsten bogenförmig anastomosiren. Aus diesen Bogen entspringen kleinere Aeste, welche abermals zu kleineren Bogen sich verbinden, und aus diesen treten neuerdings bogenförmig anastomosirende Gefässe Hyrtl, Lehrtuch. der Anatomie. 20. Aufl. 67 ]()53 *• *'*''• Unpaiire Aeslo der Itiiuchaorta liorvin-. >n (l;l^^ ilrt'i Ho^enkatci^orion mit" riii;m(l(M' folgen, Avolelie ;m den längeren Artcriae ih'dc nocli un» eine oder /.wei Bogenreilien vermehrt werden können. Es zielit sich also durch das i;aii/-(' I )ünii(l.irmü;ekröse ein aus üher einander aut- ucthürmten Gefässarkaden construirtes Netz hin, aus welchem endlich viele kurze lluimdi intestinales entsprinjj^en, welche das Darnirohr umgreifen, und seine Häute mit ihren Reisern ver- sorgen. Aus der concaven Seite des Bogens der oberen Crekrösarterie entspringen viel weniger Zweige. Diese sind: 1. Die Arteria ileo-colica. Sie zieht nach rechts und unten zur Kinmündunjrsstelle des Dünndarms in den Dickdarm, unrl theilt sich in zwei Zweige. Der untere auastomosirt mit dem Ende des Stammes der Arteria Mesenterien svperior, der obere mit der Ar- teria colica de,rtra. 2. Die Arteria colica Oextra zum Colon ascendens, und ;t. Die Arteria colica media zum Colon iransverswn. 2. und o. gehen aus einem genieinscliaftlichen Wurzelgefäss hervor. 1.. 2. und 3. bilden unter einander ähnliche Bogen wie die Arterien des Dünndarms, aber grösser, und nicht so oft sich wiederholend. Am aufsteigen- den und queren Colon findet man öfter nur eine einfache Bogenreihe. An den Winkeln, durch welche das aufsteigende Colon in das quere, und das quere in das absteigende übergeht, kommt noch eine zweite, selbst eine dritte Bogen- reihe hinzu. — Die nur im frühesten Embryoleben vorfindliche Arteria om- phnlo-nifsaraica zur Vciicula umhilicalis ist ein Ast der Mesenterica Kuperior. Bei allen blindgebornen Säugethieren findet sie sich noch um die Geburtszeit und nach derselben, bis zum Nabel oifen und wegsam. Ich habe sie auch im geborenen Menschen vorhanden und durchgängig gefunden. Sie verlor sich im geraden Bauchinuskel. Das betreff"ende Präparat — ein Unicum — wurde von mir in der österr. Zeitschrift für prakt. Heilkunde, 1839, Nr. 10, beschrieben. C. Die untere Darm- oder Gekrösarterie, Arteria mesen- terica inferior, entspringt ungefähr einen Zoll über der Theilunjrs- stelle der Aorta in ihre beiden Hauptäste, Arteriae iliacae communes. Sie .spaltet sich alsogleich in zwei Zweige, deren einer als Colica .niiistra zum Colon descendens, der andere, als Arteria haemorrhoidalis superior, zur Curvatura sigmoidea und zum Mastdarm geht. Die Zweige dieser Aeste zeigen dieselben bogenförmigen Anastomosen- reihen, wie sie bei der Mesenterica superior angegeben wurden. Den Beinamen haemorrhoidales führten ursprünglich nur die Venen de. Mastdarms, und besonders jene, welche bis zum After herabreichen. Da au> ihnen das Blut kommt, .welches sich beim sogenannten Hämorrhoidalfluss er- giesst {ctJfue, Blut, qico, fliessen), mag diese Benennung hingehen. Die Arterien des Mastdarms, welche sich an dieser Blutung nicht betheiligen, erhielten erst später den Namen haemorrhoidales, nur den Venen zuliebe, welche sie begleiten. §. 406. Paarige Aesle der Baueliaorta. 1059 §. 406. Paarige Aeste der Baueliaorta. a) Die Nebennierenarterien, Arte riae suprarenales, gewöhnlich zwei Paare, nicht erheblich. b) Die Nierenarterien, Arteriae renales (emulgentes der Alten), entspringen einen Zoll unter der Arteria mesenterica superior, die linke unter einem rechten, die rechte, wegen tieferer Lage der rechten Niere, unter einem mehr spitzigen Winkel. Sie geben einen stärkeren Ast zum Nierenfett (Arteria capsu- laris), und kleine Zweige zum Nierenbecken und zum Harn- leiter. Ueber bisher unbeachtet gebliebene Verhältnisse der Nierenarterien, über ihre Rami perforantes und recurrentes, sowie über die Rami nutrientes für das Nierenbecken, giebt Näheres meine Abhandlung: Das Nierenbecken des Menschen und der Säugethiere, im XXXI. Bande der Denkschriften der kais. Akad. c) Die inneren Samenarterien, Arteriae spermaticae interna.e. Nur die linke entspringt unter einem sehr spitzigen Winkel aus der Aorta, nahe an der linken Nierenschlagader, die rechte dagegen gewöhnlich aus der rechten Arteria renalis. Beide laufen in Begleitung der gleichnamigen Venen neben den Harn- leitern gegen das Becken herab, gehen beim Manne vor den Vasa iliaca zum Leistenkanal, werden in den Samenstrang auf- genommen, und erreichen mit vielen rankenförmigen Krüm- mungen den Hoden, in dessen Parenchym sie untergehen. Beim Weibe dringen sie vom Seitenrande des Beckeneingangs in die breiten Mutterbänder ein, und begeben sich zum Eierstock, wo sie aber nicht endigen, sondern sich bis zum Seitenrande der (rebärmutter erstrecken, und mit der Arteria iderina anastomo- siren. In beiden Greschlechtern geben sie feine Eeiser zum Harnleiter, zum subserösen Bindegewebe des Bauchfells, und zu den Lymphdrüsen der Lenden. Sehr oft sind sie auf beiden Seiten doppelt, eine obere stärkere, und, drei bis fünf Linien tiefer, eine untere schwächere. — Die Arteriae spermaticae, und ihre begleitenden Yenen, führen bei den alten Anatomen den Namen Vasa praeparantia. Man war nämlich der Meinung, dass der Same nicht im Hoden, sondern in diesen Gefässen bereitet wird (praeparatur), und im Hoden nur seine Zeugungs- fähigkeit und seine weisse Farbe erhält (in testium suhstantia, materia spermatis acquirit albedinetn et virtutem generativam, Berengarius, Isag., cap. de vasis seminariis). , d) Die Lenden arterien, Arteriae lumbales. Es finden sich nur vier Paare dei'selben. Sie entspringen, wie die unteren Arteriae intercostales, aus der hinteren Peripherie der Aorta, und gehen 67* |()(50 §. 40fi. l'anrigc Aeste der Hauchaorta liinti'i- «li'U JSclienkelii aUs, Hüt't-Lendenarterie. Sie geht wie eine Arteria hnnhalis, hinter dem Psoas major, nach oben und aussen, und tlieilt sich in einen Banius iliactcs für den Mus- cuIks iliacus, und in einen aufsteigenden Ramus luinhalit<, welcher sich im Psoas und den Lendenmuskeln verästelt. Der Rainvs iliacus anastomosirt mit der Arteria circumflexa ilei, und der Raraus lumhalis mit der letzten Arteria lumhalis. Ersterer betheilt das Darmbein mit einem Ramus nutriens. h) Die Arteriae sacrales laterales, seitliche Kreuzbeinarterien. Es finden sicli (leren eine obere grössere, und untere kleinere, welche vor den Nervi sacrales nach innen und unten laufen, mit der Arteria sacralis media anastomosiren, und dem Mus- culus pyriformis, Levator ani, und Coccijffeus Aeste abgeben. Stärkere Zweige derselben dringen durch die Foramina sacralia anteri()r<( zur (Jauda eqviua, und ihre/\ erlängerungen gelangen durch die hinteren Kreuzbeinhicher zu den Kreuzbeinursprüngen der langen Rüekcnnjiiskeln. f) Die Arteria alataeo .'ivperior, obere (xesässarterie. Sie ist der stärkste Ast der Hypogastrica, und geht über dem Mus- culus piriformis, den olleren Rand der Tncisura ischiadica major umgreifend, aus der Beckenliöhle zum Gesäss, wo sie von dem Musculus (jhitacus indijnus und medius bedeckt wird. Sie spaltet sich hier in zwei Zweige, deren einer zwischen Glutaeus inagnus und mi'diu.^ fast in horizontaler Richtung nach vorn verläuft, während der andere, stärkere, zwischen Glutaeus medius und minimus eindringt. Beide theilen sich neuerdings in vier bis sechs Aeste für die Gesäss- niuskeln. Die oberen Aeste werden mit der letzten Lendenarterie, die hinteren mit den hinteren Zweigen der Kreuzbeinarterien, die vorderen und unteren mit der Arteria ischiadica, circmnflexa ilei, und den beiden Circumflexae femori.-< anastomosiren. — a) und h) sind in der Regel Zweige von cj. B. Vordere Aeste: i/riformis aus der Beckenhöhle heraus, und durch das Foramen ischiadicum minus wieder dahin zurück, umgreift somit die hintere Fläche des Ligamentum spinoso-sacrum, oder die Spina ossis ischii seihst. An der inneren Fläche des Sitzheins eine Strecke weit herabziehend, krümmt sie sich bald nach vor- und auf- wärts, und steigt in der Rinne zwischen dem Processus falci- formis des Liifamentum tuheroso-sacrum und dem aufsteigenden Sitzbeinast, gegen den Schambogen empor, wo sie sich, bevor sie das Linanientum triangidare vrefhrae durchbohrt, in ihre beiden Eudäste: Arferia profunda uml dursalis penis (s. clitori- dis) spaltet. §. 407. Vprästlung der Beckenarterie. 1065 Ihre Aeste sind folgende: 1. Die Arteria haemorrhoidalis media, mittlere Mastdarm- arterie. Ihr Ursprung fällt noch vor den Austritt der Arteria pudenda aus der Beckenhöhle. Sie giebt dem Blasengrunde, der Prostata, der Scheide Nehen- äste, und verzweigt sich vorzugsweise in der vorderen Wand des vom Perito- neum nicht mehr umkleideten Mastdarmendes, wo sie mit der Haemorrhoidalis superior und inferior anastomosirt. 2. Zwei bis drei Arteriae haernorrJioidales inferiores, untere Mastdarmarterien. Sie entspringen gleich am Wiedereintritt der Pudenda in die Becken- höhle, und gehen schief nach innen und unten durch das Cavum ischio-rectale zu den Schliessmuskeln und zur Haut des Afters. Die vorderste von ihnen ist beim Seitensteinschnitt der Verletzung ausgesetzt, wenn der erste Haut- schnitt zu weit nach hinten verlängert wird. Man schont dieses Gefäss ganz sicher, wenn man den Hautschnitt in der Mitte des Abstandes des Tuber ischii vom After enden lässt. 3. Die Arteria perinei, Dammarterie. Sie durchbohrt die Fascia perinei propria, wodurch sie oberflächlich wird, geht über dem Musculus transversus perinei superficialis (selten zwischen superficialis und profundus) nach vorn, und verliert sich mit mehreren Zweigen an der hinteren Seite des Hodensacks (Arteriae scrotales posteriores) , bei Weibern am hinteren Theile der grossen Schamlippen (Arteriae labiales poste- riores). Sie giebt zu den Muskeln des Mittelfleisches, namentlich dem Ischio- und Bulbo-cavernosus, Aeste. — Sie erzeugt, während sie den Transversus perinei kreuzt, die Arteria transversa perinei, welche die Gegend zwischen After und Bulbus urethrae mit ihren Zweigen versorgt. Beim Seitensteinschnitt ist diese Arterie der Verletzung ausgesetzt, wenn der Schnitt zu weit vorn am Mittelfleisch beginnt. Sie kann auch ein selbstständiger Ast der Pudenda communis sein. 4. Die Arteria hulbo-urethralis, welche den Bulbus urethrae, und die von ihm umschlossene Urethraportion, sowie die Cowper'- sehen Drüsen mit Zweigen versieht. 5. Die Arteria profunda penis (s. clitoridis) anastomosirt immer mit derselben Arterie der andern Seite, und dringt, von innen her, in die Wurzel des Schwellkörpers ihrer Seite ein. Eine für das Gelingen des Steinschnittes höchst gefährliche Abweichung der Arteria pudenda communis ist jene, wo das Gefäss in seinem ganzen Ver- laufe in der Beckenhöhle bleibt, und längs der Seite des Blasengrundes und der Vorsteherdrüse, oder diese Drüse durchbohrend, zum Gliede aufsteigt (Burns, Tiedemann, Shaw). Letzterem starb ein Operirter unter den Händen durch Verblutung. (Magaz. der ausländ. Lit. der Heilkunde, Bd. XI.) 6. Die Arteria dorsalis penis (s. clitoridis) bettet sich in die Furche am Kücken des Penis ein, und nimmt, mit jener der anderen Seite, die einfache Rückenvene des Gliedes zwischen sich. Sie ver- sorgt die Glans penis, und anastomosirt durch penetrirende Zweige mit den Eamificationen der Arteria profunda penis. "] OGl') 6- 407. Vcrlstlung der Bei-ll)äriii ii ttcrarterio, ein Privatbesitz der Weiber. Sie kann al^; die End Fortsetzung- der Arteria hypotjastrica angesehen werden, entspringt aber zuweilen auch aus der Pudenda communis. Sie begiebt sieh zum Collum uteri, und steigt am Seitenrande desselben und <\es Körpers der Geliärmuttcr nach aufwärts bis zum Fundus. Ihr gewundener A erlauf, welcher auch in der letzton Schwangerschaftsperiode nicht verschwindet, ja selbst noch schärfer hervortritt, als im nichtschwaugercu Zustande, zeichnet sie vor den übrigen Aesten der Arteria hypogastrica aus. Sie giebt dem Fornix vayinae und der Pars vayinali.H uteri Zweigchen, versorgt die Gebärmuttersubstanz, und anastomosirt mit der zum Uterus gelangenden Fortsetzung der Arteria spermatica interna (§. 406, c). Ein Ast derselben geht mit dem Liijamentum uteri rotundum in den Leistenkanal, und verbindet sich daselbst mit einem Zweige der Arteria epi- ijastrica inferior. Da diese letztere mit der Arteria epigastrica superior aus der Mammaria interna anastomosirt, und die Mammaria interna perforirende Zweige in die weibliche Brust absendet, so suchte man in der mittelbaren Verbindung der Arteria uterina mit der mammaria den Grund der Sympathie zwischen Uterus und Mammae. Nach M. J. Weber geht von der Arteria uterina, bevor sie noch den Fundus uteri erreicht, ein Ast zwischen den Blättern des Ligamentum latum nach aussen, welcher Zweige zur Tuba sendet, und mit dem Ligamentum ovarii zum Eierstock gelangt, welchen er allein versorgen soll. Die weibliche Arteria spermatica interna wäre somit bei der Ernährung des Eierstockes nicht be- theiligt. Ich habe an Kindesleichen, deren feine Injectionen, anderer Zwecke wegen, von mir häufig vorgenommen werden, die Sache nachuntersucht, und jedesmal eine starke anastomotische Verbindung der Arteria spermatica interna §. 408. Verlauf der Sohenkelarterie. 1067 mit dem Eierstockaste der Uterina gefunden. Das Ovarium wird somit wohl von beiden Arterien sein Blut erhalten. — Merkwürdig bleibt es immer, dass der Uterus von zwei Seiten her f Arteria uterina und spermatica interna) sein Blut bezieht. Vielleicht erklärt sich hieraus, warum die Volumvergrösserung des Uterus in der ersten Hälfte der Schwangerschaft nur den Körper betrifft, und erst gegen das Ende der Gravidität auch den Gebärmutterhals in An- spruch nimmt. f) Im Embryoleben verlängert sicli die Arteria hypogastrica zur Arteria umbilicalis, welche alle übrigen Aeste der Hypogastrica an Stärke übertrifft, und an der Seite der Harnblase zur vor- deren Baucliwand aufsteigt, an welcher sie zum Nabel, durch diesen in den Nabelstrang, und sofort zur Placenta gelangt. Nach der Geburt obliteriren die Nabelarterien vom Nabel angefangen bis zur Ursprungsstelle der Ärteria vesicalis superior, und werden zu band- ähnlichen Strängen, Chordae umbiUcales s. Ligamenta vesico-umbilicalia late- ralia, welche entweder bis zum Nabel reichen, oder in Folge der mit der Verwachsung zugleich auftretenden Retraction der Nabelarterien, sich nicht bis zum Nabel verfolgen lassen. Schreitet die Obliteration einer Nabelarterie nicht so weit vor, oder gedeiht sie nicht bis zum vollkommenen Verstreichen des Lumen, so wird ein Stück, oder die ganze Arteria umbilicalis bis zum Nabel wegsam bleiben, und sich an der Ernährung eines Bezirkes der vorderen Bauchwand betheiligen können, — gewiss ein sehr seltener Fall. Ich habe den- selben an der Leiche eines anderthalbjährigen Kindes angetroffen. Er betraf nur die rechte Arteria, umbi.licali)<, welche bis einen Zoll vom Nabel für die Injectionsmasse wegsam blieb. Die rechte Arteria epigastrica, inferior war sehr schwach. — Es ist eigentlich unrichtig, die Arteria umbilicalis des Embryo eine Fortsetzung der Arteria. hypogastrica, zu nennen. Sie ist in der That vielmehr eine unmittelbare Verlängerung der Arteria iliaca communis, und steht zu der Arteria cruralis und hypogastrica. in dem Verhältnisse des Stammes zu seinen Aesten. Erst gegen die Zeit der Geburt gewinnt es, wegen stärkeren Anwachsens der Arteria cruralis und der Beckenzweige der Hypogastrica, den Anschein, als sei die Umbilicalis eine Fortsetzung der Hypogastrica. — Sehr selten fehlt der Stamm der Hypogastrica, und die Aeste desselben entspringen einzeln, jeder für sich, aus der Iliaca externa (Zeitschr. für rat. Med., 31. Bd.). Bei sehr jungen Embryonen habe ich es immer so gefunden. §. 408. Yeiiauf der Schenkelarterie. Die Schenkelarterie, Arteria cruralis, ist der äussere, und zugleich längere Theilungsast der Arteria iliaca communis. Sie geht an der inneren Seite des Psoas major, von welchem sie durch die Fascia iliaca getrennt wird, zur Lacuna vasorum cruraliitm herab, hat die Vena cruralis, welche mit ihr in Einer Scheide liegt, nach innen neben sich, und gelangt unter dem Poupart'schen Bande zur vorderen Gregfend des Oberschenkels. Sie zieht anfangs durch die Fossa ileo-pectinea, und später in der Furche zwischen Vastus internus und den Sehnen der Adductoren, bedeckt vom Sartorius, am Schenkel herab, legt sich unter der Mitte des Oberschenkels vor die Vena cruralis, durchbohrt die Sehne des grossen Ziiziehers dicht am 1008 • *09. Ai'slf dos Haui-lislni'kes dor ScluMilielaHorie. Scli(Mikt'lknocli(Mi, 1111(1 nplain;t (huhircli in dio Kuiekohle, in woleher sie jiiit'aiitrs auf der liiiitenMi Fläi-lie des unteren Endes i\es Selienkel- Ueiiis. sjiäter auf der Kuieu^elenkkapsel aufliegt, dann üher den Muficu/us popUfetis wegstreift, unter dem oberen l^ande des Soleus in die tiefe ►Schielite der Muskeln an der liintereu Seite des Unter- schenkels eintritt, und si(di gleich nach diesem Eintritte in die vordere und hintere Sehienbeinarterie theilt. Die Länge des von der Schenkelarterie durchmessenen Laufes erheischt es, drei Stationen desselben zu unterscheiden, deren erste sich vom Ursprung des Gefässes l)is zum Austritte nnter dem Pou- j)art'schen Bande erstreckt, deren zweite vom Ponpart'schen Bande bis zur J)iirchbohrung der Sehne des grossen Zuziehers, und deren dritte vom Eintritt in die Kniekehle bis zur Theilung in die vordere und hintere Schienbeinarterie reicht. Die auf diese Weise fest be- stimmten Verlaufsstücke der Schenkelarterie sind: das Bauchstück, Schenkelstück, und Kniekehlenstück. §. 40'J. Aeste des Bauchstückes der Schenkelarterie. Das Bauchstück der Schenkelarterie wird gewöhnlich ^r^^rirt ilidca externa genannt. Man kennt nur zwei bedeutende Aeste des- selben, welche, einander fast gegenüber, von der inneren und äusseren Peripherie des Gefässes, in gleicher Höhe mit dem LhjamentHm Poupartii entspringen, weshalb sie auch von Einigen den Aesten der eigentlichen Sehenkelarterie zugezählt werden. Sie sind: a) Die Arteria epigastrica inferior, ii n t e r e I> a u c h d e c k e n a r t e r i e. Sie entspringt nicht immer in gleicher Höhe mit dem Li(ja- mentinu Poupartn, sondern auch etwas tiefer, selten höher. Sie geht anfangs nach innen, biegt sich dann nach oben, und er- zeugt somit eine Krümmung mit oberer Coneavität, welche einwärts von der Bauchöfi'nung des Leistenkanals liegt, und sieh mit dem Vas deferctis (bei Weibern mit dem Liga- mentujii uteri rotundum) kreuzt. Da ihre fernere Verlan fsricli- tung nicht vertical nach oben, sondern zugleich schief nach innen geht, so erreicht sie bald den äusseren Rand des JieetKs nhdominis, und steigt von da an auf dessen hinterer Fläche bis über den Nabel empor, wo sie der aus der Arteria mam- maria hervorgegangenen Arteria epigastrica snperior begegnet, und mit ihr anastomosirt. Ihre Zweige sind: a) Der R„mv!f onnstomotici's pubicus. Er ist unbedeutend, entspringt dort, wo der Stamm der Epigastrica die aufsteigende Richtung annimmt, und läuft zur Schamfuge, hinter welcher er mit demselben Aste der an- deren Seite und mit dem Ramus anastomoticus fvhkm der Arteria §. 410. Aeste der eigentlichen Schenkelarterie. 1069 ohturatoria seiner Seite eine Verbindung schliesst. — Es leuchtet ein, dass diese Anastomose zwischen den Rami puhici der Epigastrica und Ohturatoria, die Bedingung und somit auch die Erklärung in sich ent- hält, warum der Ursprung der Ohturatoria so oft auf die Epigastrica übertragen erscheint. ß) Die Arteria spernuxtica externa dringt in den Canalls inguinalls durch dessen hintere Wand ein, und gleitet an der vorderen Fläche des Samen- stranges bis zum Hoden herab. Sie vertheilt sich jedoch nicht im Hoden- parenchym, sondern in den Scheidenhäuten und dem Cremaster, wird deshalb auch Arteria cremasterica genannt. Im weiblichen Geschlechte ist sie ganz unbedeutend, und nur für das Ligamentum uteri rotundum bestimmt. Eine Anastomose derselben mit einem As-te der Arteria uterina, welcher gleichfalls mit dem Ligamentum uteri rotundum in den Leisten- kanal eindringt, wurde früher (§. 407, B, ej erwähnt, y) Viele Rami musculares für den Kectus und die seitlichen breiten Bauch- muskeln. Sie anastomosiren in letzter Instanz mit den Lumbaiarterien und den Zweigen der Arteria circiimflexa ilei. h) Die Arteria circumflexa ilei, iimscliluiigene Darmbein- arterie. Sie läuft unter der Vereinigungsstelle der Fascia iliaca mit dem hinteren Eande des Poupart'scLen Bandes nach aus- und aufwärts gegen die Spina anterior superior des Darmbeins, und zieht längs der inneren Lefze der Crista ossis ilei nach hinten. Sie giebt den yom Darmbeinkamm entspringenden Muskeln Aeste, und anastomosirt durch diese mit den Zweigen der Arteria ileo-lumbalis und epigastrica inferior. — Oefters kommt noch eine Arteria circumflexa ilei superficialis vor, welche dem Poupart'schen Bande folgt, und sich als Hautast ramificirt. §. 410. Aeste der eigentliclien Schenk elarterie. Das Schenkelstück bildet die eigentliche Schenkel- arterie, Arteria cruralis s. femoralis. Diese reicht von der Aus- trittsstelle unter dem Poupar tischen Bande, bis zum Durchgange durch die Sehne des grossen Zuziehers. Während ihres Laufes durch die Fossa ileo-pectinea erzeugt sie folgende Aeste: 1. Ramuli inguinales, für die Lymphdrüsen und die Haut der Leistengegend. 2. Arteria epigastrica superficialis s. abdominalis subcutanea Halleri. Sie durchbohrt das obere Hörn des Processus falciformis der Fossa ovalis, und steigt vor dem Pouparf sehen Bande zur Regio hypogastrica hinauf. Sie gehört der Haut bis zum Nabel hinauf. 3. Arteriae puclendae externae, äussere Schamarterien. Ge- wöhnlich finden sich zwei, welche über die Vena cruralis wq^, quer nach innen den äusseren Genitalien zustreben. Die obere tritt durch die Fovea ovalis der Fascia lata hervor, und steigt schief nach innen und oben zur Schamgegend hinan, wobei sie sich mit dem Samenstrange kreuzt. Die untere geht über den Musculus pectineus quer I(j7l) S. 410. Aoslc Jer ciguiilliclicn Schcukolurli'iic. iiiich iiiiu'n, wird von der Portio pectinea fascine Intae bedeckt, und durch- ludirt diese schliesslich, um zu den äusseren Genitiilien zu kommen, in welchen sich beide Pudendne e.vtfnioplitea vertrat. Da in der Regel die Arteria glutaea inferior dem Nervus ischiadicus einen langen und feinen Beglfitungszweig (Arteria comesj mitgiebt, so sehe ich in diesem Falle nur eine stärkere Entwicklung der Arteria com es. — Im Mus^e Clamar zu Paris wird ein Präparat von Manec aufbewahrt, an welchem die Arteria cruralis nur die Dicke einer Arteria radialis besitzt, und in den Muskeln an der vorderen Seite des Hüftgelenks endigt. Auch in diesem Falle war es die Arteria glutaea inferior, welche sich längs des Nervus ischiadicus in die Po- plitea furtsetzte. — Ein überzähliger Ast der Arteria cruralis begleitet die Vena saphena major bis zum Sprunggelenk herab. Er wurde bisher nur einmal gesehen fZagorsky, Mem. de l'Acad. de St.-Petersbourg, 1809). — Die Arteria profunda, femoris entspringt in seltenen Fällen in gleicher Höhe mit dem Poupart'schen Bande, selbst über demselben (Otto, Ticderaann). Dieser hohe Ursprung kommt nach Tiedemann häufiger bei Weibern von kleiner Statur als bei Männern vor. Portal sah den hohen Abgang der Profunda femoris mit hoher Theilung der Arteria brachialis vergesellschaftet. (Anat. med., t. JJI, pag. 2.'iff.J — Einen schönen Fall von hohem Ursprung der Pro- funda giebt Zaaijer (Nederl. Tijdschrift, 1865). — Friedlowsky beschrieb in der Allg. Wiener med. Zeitung, 1867, Nr. 1.3, einen Fall, wo die Profunda die Schenkel- und die Saphenvene nach innen umschlang, bevor sie in die Tiefe eindrang. — Höchst selten gehen die Zweige der Profunda einzeln und isolirt aus dem Stamme der Cruralis hervor, wo dann natürlich die Profunda fehlt. Zuweilen entspringt eine oder die andere Circumflexa femoris nicht aus der Profunda, sondern aus der Cruralis. §. 413. Verästluug der Arterien des Unterscheukels. 1073 Die Tbeilungsstelle der Poplitea in die vordere und hintere Schienbein- arterie, rückt nie so hoch an den Schenkel hinauf, wie es jene der Arteria brachialis so häufig am Arme zu thun pflegt. Für die vordere Schienbeinarterie lässt sich der Grund leicht einsehen. Sie müsste über die Streckseite des Kniees weglaufen, was gegen die allgemeinen Gesetze des Schlagaderverlaufes wäre. Ich kenne nur einen nicht hinlänglich verbürgten Fall, wo die rechte Arteria cruralis, angeblich dicht unter dem Poupart'schen Bande, in die beiden Schienbeinarterien zerfiel. (Sandifort, Observ. anat. path., Lib. IV, pag. 97.) — Zerfallen der Schenkelarterie, unter dem Ursprünge der Profunda, in zwei Zweige, welche später wieder zu einem einfachen Stamme confluiren, wurde von Ch. Bell (Med. und Phys. Journal, Vol. LVI) beschrieben. §. 413. Yerästlung der Arterien des Untersclieiikels. Die Arteria poplitea theilt sich, naclidem sie den Musculus Ijopliteus übers eil ritten, und sieh unter den oberen Rand des Solens begeben hat, in die vordere und hintere Schienbeinarterie. a) Vordere Schienbeinarterie, Arteria tihialis antica. Sie tritt durch den oberen, vom Ligamentum interosseum nicht ver- schlossenen Winkel des Spatium interosseum an die Yorder- fläche des Zwischenknochenbandes, wo sie mit dem Nervus tihialis anticus zwischen Musculus tihialis anticus und Extensor digitorum communis longus, weiter unten zwischen Tihialis anticus und Extensor hallucis, zum Sprunggelenk herabgleitet. Etwas über dem Sprunggelenk verlässt sie das Zwischen- knochenband, und liegt auf der äusseren Fläche des Schien- beins auf. Am Sprunggelenk zieht sie durch das mittlere Fach des Ringbandes zum Fussrücken, wo sie Arteria clorsalis pedis heisst, oder im barbarischen Style pediaea, da ein lateinisches Wort nicht mit einem griechischen Ausgang verunglimpft werden soll (latino capiti cervicem graecam). Die A7^teria dorsalis pedis lagert zwischen den Sehnen des Extensor hallucis longus und hrevis, schlägt die Richtung gegen das erste Interstitium inter- metatarseum, ein, und biegt sich am Beginn desselben in den Plattfuss hinab, um mit der Arteria p>lantaris externa, einem Endaste der Arteria tihialis postica, im starken Bogen zu anastomosiren. — Aus dem "Verlaufe der Tihialis antica auf dem Fussrücken, und dem Eindringen derselben in den Platt- fuss durch das erste Interstitium intermetatarseum, ergiebt sich die Uebereinstimmung derselben mit der Arteria radialis des Vorderarms. Yon ihrem Ursprünge bis zum Fussrücken sendet sie folgende minder bedeutsame Aeste ab: a) Zwei rücklaufende Schienbeinarterien, Arteriae recurrentes tibiales, zum Rete articulare genu; eine vor, die andere nach geschehenem Durchgang zur vorderen Seite des Zwischenknochenbandes. — ß) Zehn bis zwanzig Hyrtl, Lelirl:ucli der Anatomie. 20. Aufl. ^8 ]()74 S. 41:l. Yi'illsthinfr .I.t Ailcrion des riilcrsrlifiiVi'N. iiuiiienlose AI uskoliiste von goringciii Kaliber l'ür die Maskoln an ilor vor- ilt-nn Seite des Unterschenkels. — y) Zwei vordere Knüchelartericn, Arterine mnUeoliin's eronaea anterior und posterior. Die anterior durchbohrt das Ligauientum interosseum, wird daher auch Peronaea perforans genannt, und hilft mit ihren Aestchen das Rete maUeolare externum bilden. Die posterior geht hinter dem Malleolus externus zur äusseren Seite des Calcaneus herab, wo sie ebenfalls dem Rete maUeolare externum Zweigchen mittheilt, und sich in den Weichtheilen am äusseren Fussrand auflöst. Die übrigen Aeste der Tibialis postica sind: a) Die Arteria nutritia tibiae — die grösste aller Knochenarterien. Das Schienbein wird deshalb mehr von der Markhöhle aus, als vom äusseren Periost ernährt, wodurch es sich erklärt, warum gerade das Schienbein, mehr als andere Eöhrenknochen, von Osteitis centralis befallen wird. ß) Rarni musculares, zehn bis fünfzehn. y) Ein nicht ganz constanter Ramus anastomoticus, zur Arteria peronaea. Der Bamus anastomoticus entspringt drei bis vier Centimeter über dem inneren Knöchel aus der Tibialis postica, und geht niemals über, sondern immer unter den Sehnen der tiefen Wadenmuskeln quer zur Arteria peronaea herüber. Eichtiger sollte man sagen, dass der Ramus anastomoticus von der Peronaea zur Tibialis postica herüberkommt, als umgekehrt; denn die Ueber- sicht einer Reihe von Injectionspräparaten, welche mir hierüber vorliegt, zeigt es augenscheinlich, dass die Tibialis postica unterhalb eines stärkeren Ramus anastomoticus dicker wird, während sie doch dünner werden müsste, wenn' dieser Ramus von ihr abgegeben würde. — Hinter dem Sprunggelenk folgt öfters noch ein zweiter, viel schwächerer Ramus anastomoticus, welcher aber nicht unter, sondern immer über den Sehnen der tiefen Wadenmuskeln wegläuft. 8) Die Arteriae malleolares posteriores, eine externa und interna, welche mit den anteriores die Retia malleolaria bilden. s) Rami calcanei interni, welche die Haut der Ferse, die Tarsal- gelenke, und die Ursprünge der kleinen Muskeln des Platt- 68* ] 1)7(3 S. 414. Arh-ririi (k-s Platlfusscs. fiisscs mit Blut versehen, und mit den Verzwei<::un;;en der Artrriii in'vowictt posterior das liete calcanei netzen lielt'eu. §. 414. Arterien des Plattfusses. NN'ir tirflcn im Plattfu.sse die zwei Endäste der Artcria ti/nnfis pnatint an, \\e\ihe ^\■\T n\s Jrfrria plantcans interna und e/fcni« unter- schieden halxMi. Dil' Arterio pJantoris interna ist hei Weitem schwächer als die externa, und lagert zwischen dem Afxluctor pollicis und Fle.ror ronnnunis (iii)itorinn hrecis. Es gehen aus ihr liami superficiales und profnwli ah, welche die Haut und die Muskuhitur am inneren Rande des IMattfusses versorgen. Sie verlängert sich öfters in die Arteria (lorsalis interna der grossen Zehe. Die Arteria plantaris externa geht über dem Flexor hreuis digi- Ini-nni nach aussen gegen die Basis metatarsi quinti, und lagert sich zwischen Fle.ror brevis digiti minimi und Caro quadrata. Sie erzeugt kleine Zweite für die Haut und Muskeln des äusseren Fussrandes, und sendet zur äusseren Seite der kleinen Zehe die Artevia digitalis plantaris externa. Hierauf krümmt sie sich, von der Basis des fünften ISIittelfussknochens weg, bogenförmig in der Tiefe der Fusssohle nach innen, um mit der Arteria dorsalis pedis, welche im ersten fnterstitium interossenni in den Plattfuss eintritt, zu anastomosiren, wodurch der Arcus plantaris zu Stande kommt. Dieser liegt auf den F^ases der Metatarsusknocheu, und giebt vier Arteriae interosseae plantares ab, welche, wie am Dorswn pedis, von innen nach aussen abgezählt werden. Sie senden perforirende Aeste zwischen den Bases ossinm metatarsi nach aufwärts zum Fussrücken, wo sie mit den Arteriae interosseae dorsales anastomosiren. Jede Arteria interossea 'plantaris entspricht einem Tnterstitium inter- osseiiin. und theilt sich an dessen vorderem Ende gabelförmig in zwei Arteriae diifita/es pedis 2^i'intare.'< , welche für die einander zugewandten Seiten je zweier Zehen bestimmt sind. Die Arteria interossea plantaris prima wird sich in drei Zweige zerspalten müssen, damit auch die innere Seite der grossen Zehe eine Arterin digitalis plantaris interna erhalte. Dass es im Plattfuss vier Interosseae jdantares, in der Hohlhand aber nur drei Interosseae volares giebt, erklärt sich wohl aus der Unbeweglichkeit des Metatarsus der grossen Zehe, im Vergleich zur Beweglichkeit des Metacarpus des Daumens, — Das übrige Verhalten der Zehenarterien weicht von dem Vorbilde der Fingerschlagadern nicht ab. Es ergiebt sich aus der vergleichenden Betrachtung der Arterien des Unterschenkels mit jenen des Vorderarms, dass die Arteria tibialis postica die Arterin ulnari.» der oberen Extremität, und die Peronaea die Interossea reprä- sentirt. — Warum am Plattfuss nur ein einfacher, und zwar nur ein tief- liegender arterieller Gefässbogen vorkommt, während in der Hohlhand noch ein h...chliegeud..r hinzukommt. Hesse sich auf folgende Weise erklären. Die Con- S. 415. Varietäten der Arterien des Unterschenkels. 107 < cavität des Plattfiisses wird weder beim Gehen, noch heim Stehen, durch Druck in Anspruch genommen, während, wie ich in §. 402 gezeigt habe, die Hohl- hand, heim Umfassen runder Körper, in ihrer ganzen Fläche gedrückt wird, und somit auch der Arcus volaris sublimis in seiner ganzen Länge, wobei der unter der Äponeurosis palmarls liegende, und von ihr gegen Druck protegirte Arcus volaris profundus, die Blutzufuhr zur Mittelhand und zu den Fingern leistet. Der Plattfuss hat also an Einem Arcus hinlänglich genug, und wird dieser Arcus, weil er factisch ein tiefliegender ist, gar nie einer Compression ausgesetzt sein können. §. 415. Yarietäten der Arterien des Untersclienkels. Der Ursprung der Arteria tibialis antica rückt zuweilen etwas höher an die Poplitea hinauf, aber nie über die Durchbohrungs- stelle der Sehne des Adductor magnus. Ein tieferes Herabrüeken der Theilungsstelle der Arteria poplitea in die Tibialis antica und postica wurde nie beobachtet. — Die Stärke der Tibialis antica steht mit jener der Tibialis postica im verkehrten Verhältnisse. Sie wird somit den Arcus plantaris entweder allein, oder gar nicht bilden können. Sie fehlt auch mehr weniger vollkommen, und wird durch den vorderen Endast der Arteria peronaea (Peronaea per- forans) vertreten. Von den Varietäten der Arterict tibialis postica bemerke ich blos, dass, wenn sie sehr schwach ist, ihr der Ramus anastomoticus von der Peronaea aushilft, um die zu den Plattfuss verästln ngen nöthige Stärke zu gewinnen. P^ehlt sie, so wird sie durch die Arteria peronaea ersetzt, welche sich in der Gegend des Sprunggelenks gegen den inneren Knöchel wendet, nm in die beiden Arteriae plantares überzugehen. — - Ein im Sinus tarsi enthaltener starker Verbindungszweig zwischen der Arteria tarsea nnd der Tibialis postica wurde von mir beschrieben. Die Varietäten der Arteria peronaea betreffen ihre hohe oder tiefe Theilung, und ihre Stärke. Fehlen der Arteria peronaea ist viel seltener, als jenes der Tibialis postica. Im Breslauer Museum wird ein solcher Fall aufbewahrt. — Wenn man ein injicirtes Arterienpräparat des Unterschenkels aufmerksam betrachtet, fällt es auf, dass nicht die stärkere Arteria tibialis postica, sondern die schwächere Arteria peronaea in der verlängerten Richtung der Ar- teria Poplitea liegt. Die Peronaea muss somit als die eigentliche Fortsetzung der Poplitea angesehen werden, woraus sich denn auch ihr höchst seltenes Fehlen, und ihre Substitution für die fehlende Tibialis postica von selbst ergiebt. — Wir besitzen drei Fälle, in welchen die Peronaea kein Ast der Tibialis postica, sondern der antica ist. Sie entspringt aus letzterer, von ihrem Durchschnitt durch den oberen Winkel des Spatium interosseum. 1 Oy,9 t. 41i'. Ziw.imiiiiMiscI/iinp ili-r i.l>eion llohlvone. r.'litT Varietäten der Uiitersehiiiki-'lselilugailerii handelt ausfülirlieli meine Schrift: Ueber normale und abnorme Verhältnisse der Schlagadern des ünter- sch«'nkels. Wien. 1864, mit iO Tafeln. Was ich in dersflben als „coutinuir- liche Anastomusenreihen" beschrieben habe, enthält den Schlüssel zur Erklärung des Entstehens mehrerer Gefässvarietäten, und des Collateralkreis- laufes nach Unterbindung der grösseren arteriellen Gifässstämme. C. Y e 11 e 11. §. 410. Allgemeine Schilderung der Zusammensetzung der oberen Hohlvene. "Wälirend das Arterieublut durch einen einzigen Hauptstanmi aus den» Herzen ausgetrieben wird, kehrt das Yenenblut durch zwei Ilauptstämnie zum Herzen zurück. Diese sind die obere und un- tere Hohlvene, Vetta cava super ior und inferior. Das Yenenblut aller Organe des menschlichen Körpers strömt der einen oder anderen dieser beiden Venen zu. Alles, was über dem Zwerchfell liegt, gehört der oberen, was unter dem Zwerchfell liegt, der unteren Hohlvene an. Nur das Venenblut der Herzwaud gelangt, mittelst der im Salms circidaris des Herzens liegenden Kranzveue, Vena coronaria conlis, direct in die rechte Vorkammer. I>a doch alle Venen ludil sind, begreift der Schüler nicht, warum man bliis dt-n oberen und unteren llaujjtstamm des V'enensystems, Hohlader, Vena cnvii nennt. Auiklärung hierüber giebt das Alterthum. Nach Rufus Ephesius nannten die Alten jede grusse Vene: KoiXta, d. i. Höhle (für Blut), welche Benennung V(«n Praxagoras, nur für die obere und untere Hohlader beibe- halten wurde, als /; koHt] q>Uip, lateinisch Vena cava. Aristoteles gebraucht auch die Benenining: fitynlr] q>Xi^, Vena magna, und Galen: (leyiazT] cpXiii), Vena inaiima. jedoch nur für die untere Hohlader. KoIIt] gicbt, mit neu- griechischer Ausspraclie, KUi. Das K verwandelten die Restauratoren der Anatomie, — sämmtlich Italiener, welche in ihrer Sprache kein k haben, — in Ch. So entstand Chili. Dieses erhielt den lateinischen Ausgang in is, als Chilij<, und wurde, mit Verdoppelung des ;, welche im Mittelalter sehr beliebt war, zu Chili is. So lernt man verstehen, waruju, von Mundinus bis Vesal, die untere Hohlvene Vena t-hiUis hiess. Würden die Venen mit den Arterien überall gleichen Schritt halten, so brauchte man nur den Stammbaum des arteriellen Tiefäss- systems umzukehren, seine Aeste zu Wurzeln zu machen, und die Beschreibung der Venen wäre hiemir abgethan. Allein die Venen haben stellenweise andere Verlaufs- und Verästlungsnormen, als die Arterien. Die.se Differenzen müssen hervorgehoben werden, während, w(. die Venen mit den Arterien übereinstimmen, alles Detail, unter Berufung auf die l)ereits bekannten Verhältnisse der Arterien, über- gangen werden kann. §. 416. Zusammensetzung der oberen Hohlvene. 10/9 Die obere Holilvene, Vena cava superior, ist der obere Haupt- stamm des venösen Systems, welcher in der Brusthöhle, rechts von der aufsteigenden Aorta liegt, und, vor den Gefässen der rechten Lungenv^^urzel herabsteigend, in die rechte Herzvorkammer ein- mündet. Der obere, hinter dem ersten und zweiten Rippenknorpel liegende Theil des Grefässes, wird von der Thymus, oder deren Bindegewebsresten bedeckt; den unteren umschliesst der Herzbeutel, dessen inneres umgeschlagenes Blatt ihn nur unvollkommen, d. h, nur an seiner vorderen und seitlichen Peripherie überzieht. Die Vena cava superior wird hinter dem ersten Rippenknorpel durch den Zusammenfluss zweier Yenen gebildet. Sie heissen Venae innominatae s. anonymae. Während die Cava superior zum rechten Atrium des Herzens herabsteigt, nimmt sie an ihrer hinteren Wand auch die unpaare Blutader des Brustkastens (Vena azygos, siehe §. 422) auf. Die Venae innominatae führen das Blut vom Kopf, Hals, und von den oberen Extremitäten, — die Vena azygos aus der Wand des Thorax zurück. Jede der beiden Venae innominatae wird durch den Zusammen- fluss zweier Venen gebildet: 1. Vena jugularis communis, 2. Ve^ia subclavia. Diese Yenen vereinigen sich hinter der Articulatio sterno- clavicularis. Die Vena innotninata dextra steigt vor der Arteria ano- nym,a senkrecht herab, und ist kürzer als die sinistra, welche fast horizontal hinter dem Manubrium sterni, und, vor den grossen Aesten des Aortenbogens, nach rechts hinübergeht. Jede Vena innominata nimmt, bald nach ihrer Bildung aus den zwei genannten Yenen, noch 1. die Venae vertehrales (die linke Anonyma auch die Vena thyreoidea ima), 2. einige Yenen des Brustkastens (Venae Tnammariae internae und intercostales superiores, öfter auch eine Vena bronchialis, wenn diese sich nicht in eine Vena intercostalis ergiesst), und 3. die aus dem vorderen Mittelfellraume aufsteigenden kleinen Venae thymicae, pericardiacae, phrenicae superiores, und mediastinicae an- teriores auf. Die Vena jugularis communis ist sehr kurz, und wird durch den Zusammenfluss der schwachen Vena jugularis e.rterna, und der viel stärkeren interna erzeugt. Die Jugularis interna bildet, ent- sprechend dem Zwischenräume der beiden Ursprungsköpfe des Kopfnickers, eine besonders auf der rechten Seite ansehnliche Er- weiterung (Bulbus venae jugularis inferior), liegt an der äusseren Seite der Carotis communis, und nimmt, in gleicher Höhe mit der Theilungsstelle der Carotis communis, die Vena facialis communis, sehr oft auch die Vena thyreoidea superior und Vena laryngea auf. Die in das System der oberen Hohlvene einmündenden Blutadern sind klappenlos, mit Ausnahme der Vena jugularis communis, welche unterhalb des 1 (")|^(^ i 417. lnner<> nror<<>elTenf unfl Rlulleiter der harlen Hirnhaut, Hulbiis, ciiif liiifache oder doppelte Klappe besitzt, deren Varietäten Gruber (Abbandlun,i,'fn aus der nied.-chir. Anatomie. Berlin, 1847, pag. 31) beschrieb. Das Anschwelb-n und Abfallen des Bulhus inferior der Vtmn jnonlnris communis bei angestrengter Respiration, lässt sich bei mageren Individuen sehr deutlich beobachten. — Selten kommen, wegen fehlender Vereinigung der Veuae nno- iivmne, zwei obere Hohlvenen, und deshalb keine eigentlichen A7io)ivmae vor. l)ie linke Hohlvene krümmt sich in diesem Falle um die hintere Wand der linken Herzvorkammer zur unteren Wand der rechten, in welche sie, zugleich mit der Vena coronorin cordis, einmündet. Die hieher gehörigen Beobachtungen wurden von Otto (Patholog, Anat., pag. 347), E. H. Weber. fHildehrandt's Anat., 3. Bd., pag. 2G1) und 11'. Krause (in HenWs Anatomie) gesammelt. Es folgt in den nächsten Paragraphen die Beschreibung der wichtigeren Zweige der Venae anonymae von den entlegeneren angefangen, also dtin Hlut- laufe entsprechend. §. 417. Innere Drosselvene und Blutleiter der harten Hirnliaut. Die iüuere Drosselvene, Venu jaiiidarls interna, führt das Blut aus dem Geliirn, aus den liäutigen Hüllen desselben, sowie aus der Diploi* der Scliädelknoclien zum Herzen zurück. Sie tritt aus dem Forainen jatjulare hervor, in welchem sie in der Regel eine «ler Fossa /i(t/ulai'f.s entsprechende, schwächer oder stärker ausge- prägte Anscliweliimi;- (Bidhiis venae jwjnlcu'is superior) bildet. In diesen Bulbus, odrr gleich unter demselben, in den Stamm der Vena jiiijularis interna, ergiesst sich die durch den Aquaeductus Cochleae hervor- tretende kleine Vene iler Gthörschneckc, von deren lÜMungszweigen besonders jener auffällt, welcher im Anhcftungsrand der Lamina spiralis an den Modiolus eingeschlossen liegt, und den Modiolus in Spiraltouren umgreift (§. 237). Während die ^%'ua /Kf/alari^ häenia an der Seitenwand des Pharynx bis zu ihrer A ereinigting mit der V^cntt, facialis communis herabsteigt, sammelt sie die aus dem Plans uenosus pharyngeus stammenden Veiuie plutryngeae, uiul öfters eine unansehnliche Vena linijualis. Kurz bevor sie sicli mit der Vena subclavia zur Anonyma vereinigt, nimmt sie die Veno jugularis cHevna auf, und wird da- durch zur Vena jutudaris communis. Ergiesst sich aber die Vena jugularis externa nicht in die interna, sondern in die Vena subclavia, so giebt es wirklich keine Vena jugularis communis. Im Foramen jugulare hängt die V^ena jugularis interna mit dem queren Blut- leiter der harten Hirnhaut, und durch diesen mit allen übrigen Blutleitern zusammen. Ueber den oberen Bulbus der .lugularvene und seine knöcherne Um- gebung gab C. Langer eine berichtigende Darstellung iu dem Wiener akad. Sitzungsberichte, 1884. Blutleiter (Sinus durae matris) sind Hohlräume zwischen den beiden Blättern der harten Hirnhaut. Sie führen Yenenblut, und werden an ihrer inneren Oberfläche mit einer Fortsetzung der §. 417. Innere Drosselvene und Blutleiter der harten Hirnhaut. 1-081 inneren Haut der Drosselvene ausgekleidet, in welcli' letztere sie alle übergehen. Die Blutleiter haben, Avie die Venen der harten Hirnhaut, keine Klappen. Die Sache lässt sich auch so ausdrücken, dass die Drosselvene, nachdem sie in die Schädelhöhle eingetreten, ihre äussere und mittlere Haut verliert. nur die innere behält, und der Abgang der ersteren durch die Lamellen der harten Hirnhaut ersetzt wird. Da nun diese Lamellen starr sind, und selbst von den Schädelknochen gestützt werden, können die Sinus weder eine nam- hafte Erweiterung durch Blutüberfüllung erleiden, noch beim Querschnitt colla- biren. Streng genommen, besitzen alle Venen der harten Hirnhaut, nicht blos die Sinus derselben, diesen anatomischen Charakter. Alle Venen der harten Hirnhaut sind demnach ebenfalls Sinus. Man unterscheidet jedoch beide da- durch von einander, dass die eigentlichen Sinus der harten Hirnhaut beim Durchschnitt nicht zusammenfallen, die Venen dagegen collabiren. Beachtet man diesen Unterschied nicht, so ist die Verwechslung von Sinus und Venen der harten Hirnhaut sehr leicht, und viele Autoren führen als Sinus an, was von anderen als Vene genommen wird, wie z. B. der Sinus falciformis minor. Sinus drückt sehr viele Dinge aus, vom Schlupfwinkel bis zum Meer- busen; am allerletzten aber, und nur im medicinischen Neulatein, welches nicht vom besten ist, einen Blutleiter. Bei den Eömern war Sinus der von der Brust zur linken Schulter gehende Faltenwurf der Toga: Siniim ex toga facere, Livius. Mit dem Begriff „Höhlung" wurde Simos von Vesal auf die Blutleiter der harten Hirnhaut angewendet, im Sinne des Galen, welcher sie Ti]g naxtiag [iTjvCyyog Tiotliag nannte (d. i. cavitatcs diirae niatrisj. Die Blutleiter sind theils paarig, theils unpaar. 1. Ein ansehnlicher unpaarer Sinus liegt vor der I^rotaberantUi ocdpltalis interna, zwischen den Blättern des Tentorwm cerehelU. Da er mit den anderen Blutleitern direct oder indirect zusammenhängt, wird er Gonfluens sinuum, oder auch Torcidar Herophill genannt. Aus Galen (Deumprirtivm, Lih. IX, Cap. 6) erfahren wir, dass Hero- philus diese Sinus Irjvög nannte. Ärjvrjg bedeutet aber eine Höhle flocus vacuus im Galen), einen Keller, und erst secundär auch Kelter oder Weinpresse. Die Uebersetzer des Galen gaben l-r]v6g in seinem zweiten Sinn, als torcular (Presse), an welche Herophilus ganz sicher nicht gedacht hatte; er konnte unter Irjvög nur einen Hohlraum verstanden haben, wie es jeder Sinus der harten Hirnhaut ist. Bei den französischen Anatomen heisst dieser Sinus allgemein le pressoir, und bei den deutschen die Aderpresse, sogar Ader seh raube, womit man gar keinen Begriff verbinden kann. Diese absurden Benennungen verdanken ihren Ursprung nur dem Umstände, dass torcular von torqueo, drehen, abstammt, und die Weinpressen der Eömer gedreht oder geschraubt wurden, wie die unseren. — Confluens, Confluentcs, und Confluges sind, bei Livius und Tacitus, die Zusammenmündungen zweier Flüsse, an welchen die römischen Heere ihre Lager aufzuschlagen pflegten. Noch heisst die Stadt an der Einmündung der Mosel in den Ehein: C ob lenz, d. i. doch Confluens. Nicht weniger als drei Ortschaften in Frankreich, und eine Stadt im Herzogthume Savoyen, führen heute noch aus demselben Grunde den Namen: Conflans. 2. Der quere Blutleiter, Sinus transversus. Er ist paarig, geht also beiderseits vom Torcular hervor, läuft am hinteren Rande . des Tentorium quer nach aussen, und krümmt sich über den Warzen- 1082 S. 417. liint'rt» r>rossi'lvi>ni" und Rlutli'iti'r dor havleii Hirnhaut. winkel des Scheitelbeins, die Pars masto'nlea des 8cliläfel)eins, und . rii-mciiiscliaftliclie (iesiditsveiu'. entloert, znwcilfii auch die W'nae pharinuieae und die Zunj^^eiiveue. In die Veioi thyreoldcd su/n-rlor entleert sieli gewöhnlich die Vena Itin/ni/i'u. — Unter dem AnifulKS ma.iilhic wird die Vena faeialid contnutnis durch den Zusammenfluss der vorderen und hinteren Gesichtsvene gebildet. Es l<) Die vordere Drosselvene, Vena jugularis anterior. Sie Avird durcli den Zusammenfluss mehrerer oberflächlichen Venen der ünterkinngegend constrnirt, geht mit dem Stromgebiet der Vena jugidaris interna und facialis anterior Verbindungen ein, und steigt, am vorderen Rande des Kopfniekers, zur Fossa jugularis herab. Hier anastomosirt sie gewöhnlieh mit der gegenseitigen durch ein Bogengefäss (Arcus venosus juguli), worauf sie horizontal unter dem Ursprung des Kopfnickers nach aussen ablenkt, und entweder in die Jugularis interna, oder in das Ende der Jugidaris externa mündet. Sie variirt so häufig, dass ihre Beschreibung eigentlich in einer Auf- zählung von vielen Spielarten besteht, deren iintergeordnete Wichtigkeit sie hier übergehen lässt. c) Die mittlere Drossel vene, Vena mediana colli, entspringt Avie die Jugularis anterior, und steigt in der Medianlinie des Halses zur Fossa jugularis herab, wo sie entweder in den die beiden Venae jugidares externae anteriores verbindenden Arcus venosus juguli, oder, und zwar häufiger, in eine Jugidaris anterior, selbst in die interna, einmündet. Sie fehlt oft, und erscheint, wenn sie vorkommt, um so stärker, je schwächer die Vena jugularis anterior gefunden wird. Fehlt letztere, so leistet eine stärkere Mediana colli für diesen Ab<»an"- g-enügen- den Ersatz. Ueber die oberfiächlichen Halsvenen handelt Luschka in der Zeitschrift lür rat. Med., 1859, sowie in der Abhandlung: Die Venen des menschlichen Halses, in den Denkschriften der kais. Akad.. 20. Band. §. 421. Veiieu clor olioreu Extremität. ' lUöJ B. Als tiefe Halsveuen bezeichnet man alle unter der -Fasc-^a colli gelegenen Blutadern. Da die Vena jugularis Interna, phari/nr/ea, Ibujualis, und thyreoldea swp. bereits erwähnt wurden, so erübrigen nur nocli die Vena vertehralis nnd Veyia thyreoidea inferior. 1. Die Wirbelvene, Vena vertehralis, liegt mit der Arteria vertehralis im Kanal der Querfortsätze der Halswirbel, und sammelt das Blut ans dem Wirbelkanal imd den tiefen Nackenvenen. Sie ergiesst sieb in die Vena anonyma, oder in die Vena suhclavia. Die Wirbelvene verhält sich zu den Venen der Wirbelsäiüe auf gleiche Art, wie die Venae intercostales, lumbales, und sacraUs laterales. Es finden sich nämlich in der ganzen Länge der Wirbelsäule reiche Venennetze, als Plexus .spinales oft erwähnt, welche als äussere auf den Wirbelbogen aufliegen, und als innere im Wirbelkanal, zwischen den Knochen und der harten Hirnhaut, eingeschaltet sind. Die inneren zerfallen wieder in vordere und hintere, welche durch Verbindungsgeflechte zusammenhängen, so dass um den Sack der harten Hirnhaiit herum, ebenso viele ringförmige Venenanastomosen (Circelli vcnosij, als Wirbel vorkommen. Der in §. 417 erwähnte Sinus occipitalis ist, dieser Darstellung zufolge, die erste, oberste, ringförmige Anastomose der vor- deren und hinteren Plexus spinales interni. Die Plexus spinales interni nehmen die starken, aber dünnhäutigen Venen der Wirbelkörper des Eückenmarkes und seiner Häute auf, hängen durch die Foramina intervertebralia mit den äusseren Wirbelvenen zusammen, und entleeren sich am Halse in die Vena vertehralis, an der Brust in die hinteren Aeste der Intercostalvenen,- an den Lenden in die Venae lumbales, in der kleinen Beckenhöhlc in die Venae sa- crales laterales. G. Breschet, Essai sur les vcines du rachis. Paris, 1819, 4. 2. Die untere Scbilddrüsenvene, Vena thyreoldea inferior. Sie entspringt aus dem Isthmus und den Seitenlappen der Schild- drüse, und nimmt auch aus dem Pharynx nnd Larynx Zweige auf. Während sie auf der Luftröhre zur oberen Brustapertur herabsteigt, bildet sie mit demselben Grefäss der anderen Seite den Plexus tJiyreoldeus imus, welcher sich durch einen knrzen einfachen Stamm (Vena thyreoldea impar) in die Vena anonyma sbüstra entleert. Der Verlauf der Vena thyreoidea inferior entspricht, dem eben Gesagten zufolge, nicht dem Verlaufe der Arteria thyreoidea inferior, wohl aber jenem der Arteria thyreoidea ima Neubaueri, §. 394, b. §. 421. Yenen der oberen Extremität. Die Schlüsselbeinvene, Vena suhclavia, stellt den Haupt- stamm für die Venen des Arms und der Schulter dar. Sie liegt vor dem Scalenus äntlcus, und hinter dem Ursprung des Kopfnickers. Sie kreuzt die erste Kippe. Als unmittelbare Fortsetzung der Vena axillaris, hat sie keinen festgestellten Anfang, weshalb das obere Stück der Achselvene häufig noch als Vena suhclavia benannt wird. Sie nimmt folgende klappenreiche Zweige auf: Hyrtl. Lehrbuch der Anatomie. 20. Aufl. 69 lOPO §• *-!• Venen der oberen Extremität. .1. Die tiofliej^endon Venen des Arms, Venae profundae /irachii. Sie li.-ilten sich genau an den Verlauf der Arteria h^achialis und ihrer Zweige. 8ie beginnen in der Ilolilhnnd als Venae digi- tales volares, welche in einen hoch- und tieiliegenden Arcus venosus übergehen. Aus diesen entwickeln sich die doppelten Venae radiales und ulnares. Die Venae ulnares nehmen die doppelten Venae inter- osseae auf. In der Eilbogenbeuge fliessen die Venae radiales und 2(lnares zu den beiden Wniae hrachiales (einer e.vterna und interna) zusammen, welche die Arteria hrachialis zwischen sich fassen. Die Vena lirarhialis interna ist stärker als die externa, und nimmt ober- halb der Mitte des Oberarms die Vena hasiUca auf. Die Aeste, welche sich in beide Venae brachiales entleeren, folgen in derselben Ordnung, wie die Zweige, Avelche die Arteria hrachialis abgiebt. (iegen die Achs(dhöhle zu vereinigen sich die beiden Venae firachiales, welche in ilirom ganzen Laufe durch Queranastomosen in Verbindung stehen, zur einfachen Vena a.riUaris, welche am inneren und vorderen Umfange der Arteria aanllaris aufsteigt, und unter dem Schlüsselbein, nachdem sie die Vena cephalica aufgenommen hat, in die Vena sid>clavia übergeht. Seiton wird auch diu Vena axillaris und fubclavia doppelt gefunden. Ich sah in einem solchen Falle, von den beiden Venae subclaviae eine vor, die andere hinter dem Scalemi-f anticua zur oberen Brustapertur gelangen. B. Die iiocliliei^cnden oder llautvenen des Arms, Venae sulicufaneae hrachii, sind chirurgisch wichtiger als die tiefen, unter- liegen aber weit mehr Spielarten in ihrem Verlaufe, als letztere. Sie liegen ZAvischen Haut und Fascia, im Panniculus adiposus, welcher sie bei fettleibigen Personen (wo die Hautvenen überdies sehr dünn zu sein pflegen) einhüllt, und nur dort, wo er schwach ist, wie am Handrücken, durch die Haut durchscheinen lässt. Sie anastomosiren schon in ilirpn gröberen Ramifieationen häufig mit einander, und höchst constant auch mit den tiefliegenden Armvenen. Sie be2:innen aus einem A enennetze des Handrückens, liefe venosurn manus dorsale, in welches sich die geflechtartigen Venae digitorum dorsales entleeren. Man unterscheidet folgende Hautvenen des Arms: a) Vena cephalica. Sie sammelt ihre Wurzeln vorzugsweise aus der Gegend des Daumenrückens, krümmt sich um den Radial- rand des Vorderarms zu dessen innerer Seite, und steigt über den Ellbogen in den Sulcus Ucipitalis externus hinauf, um zwischen Pectoralis major und Deltoides in die Fossa infraclaviddaris zu gelangen, wo sie sich in die Tiefe senkt, um in die Vena a.riUaris einzumünden. Nicht selten steigt sie über das Schlüssel- bein zur Fossa snpraelavicidaris auf, um in die Vena subclavia sich zu entleeren. §. 421. Venen der oberen Extremität. 1091 Die Grieclien hatten keine Cephalica, sondern immer nur eine (pVe^) ü^idi'Yi (humeralis). Das Wort Cepludica wurde erst von den Uebersetzern des Aricenna, dem arabischen Al-kifäl (d. i. zum Kopf gehörig, — ■ in vulgärer Aussprache Al-kefal) nachgebildet. Da die alten Aerzte aus dieser Yene bei Kopfleiden Blut zu lassen pflegten, kam ihnen das "Wort Cephalica sehr gelegen. b) Vena hasilica. Sie folgt nicht genau dem Ulnarrand des Yorder- arms. Grewöhnlich finden wir sie in zwei Zweige getheilt, — einen an der Aussenseite, den andern an der Innenseite des Yorderarms. Ersterer führt in specie den Namen Vena salva- tella, oder salvadella, nach dem verdorbenen arabischen Worte Alaseilem des Andreas Alpagus (richtig im Avicenna: Alusailim, Vena salutis). Mehr weniger tief unter dem Ellbogen- bug verbinden sich beide Zweige der Basilica zu einem ein- fachen Stamm, welcher im Sulcus hidpitaUs internus aufsteigt, und beiläufig in der Mitte des Oberarms die Fascia brachii durchbohrt, um sich in die Vena hracMaUs interna zu ergiessen. Der Name Vena hasilica wurde von den lateinischen Uebersetzern des Avicenna in die anatomische Sprache eingeführt. Der arabische Ausdruck für diese Vene ist AL-hasilik. Damals herrschenden Ansichten zufolge, Hess man aus der Basilica des rechten Arms bei Leberleiden, ans der Basilica des linken Arms bei Milzleiden zur Ader. Erstere wurde deshalb auch Vena jecoraria, letztere Vena lienaria genannt. Aus der Vena salvatella des linken Arms wurde nur bei Melancholischen Blut gelassen. — Da die Araber sicher nicht Latein verstanden, kann das Wort Salvatella ganz gewiss nicht von salvare abgeleitet worden sein, wie das Dictionnaire de med. angiebt. — Die Griechen bezeichneten die Vene, welche wir Basilica nennen, immer nur mit dem Namen {i] d'ßco (fXsip, oder -r] cp?J'ip r] tvSov) „innere Armvene". c) Vena mediana. Sie erscheint unter doppelter Form: 1. als Yer- bindungsast der Cephalica und Basilica im Ellbogenbug, welcher schräge über den Lacertus fibrosus der Bicepssehne hinübergeht, oder 2. als lange mediane Hantvene der inneren Yorderarmseite, welche sich etwas nnter der Plica cubiti in zwei Zweige theilt, deren einer als Vena mediana cephalica in die Vena cephalica, deren anderer als Vena mediana basilica in die Vena basilica mündet. Die erste Form tritt in jenen Fällen auf, wo die Vena cephalica nahe an der Medianlinie der inneren Yorderarmseite verläuft. Die Vena mediana hasilica übertrifft an Kaliber die Vena mediana cepha- lica, und wird deshalb vorzugsweise für die Aderlässe gewählt, obwohl ihre Kreuzung mit den beiden Zweigen des Nervus cutaneus hrachii mediut. ihre Eröffnung mit der Lanzette oder dem Schnäpper gefährlicher macht, als jene der Vena mediana cephalica. Da jedoch diese Nerven häufiger unter als über der Vena mediana hasilica weglaufen, so lässt sich ihre Verletzung bei einer kunstgerecht gemachten Venaesection, wo nur die obere Wand der Vene eröffnet wird, wohl vermeiden. 69* ]((f)2 >•• *22. VoiKMi des Biustkiislens. Wna tiKiliiina stammt glciclii'alls aus ikiii Arabisclii-ii. Diese Vcuc lieisst im Avieenna: Al-mxdjanl, (1. h. die Vene des Madjan, woraus die Ucbcr- setzcr das iiliiilicli klingende Wort Mediana bildeten. Dieser Madjan Ibn Abdorrabman war ein gelehrter arabisebcr Arzt, weleher das Canticum Avi- rennae commcntirte. Zufällig ist Mediana zugleich ein gutes, von den Classi- kern öfters gebrauchtes Wort. Die Vi'iia nii-iJiitiKi, wwvj; >i(' in din* ersten oder zweiten Form auftreten, steht re^;eliiiässii^ in der riiai cabili mit einer tiefen Vom nnJinlis (»der hnrch/itliä dnrcdi einen starken Jitnnus nnastomo- tii-iis in ('oiiiiininicatioii. Kr ist es. diircli welchen, wenn die tief- liegenden Venen l)ei Muskell)ewe,:;iin^' gedrückt werden, ihr F)lut in die hoeh Heuenden Venen des Arms al),i;eleitet wird. Deshalb lässt sieh der >t'hwaeh Gewordene Strom des IJlutes bei einem Aderlasse, dur(di P^inuerbewei^uni;- wieder anfachen. S|ieeiill über die Venen der oberen Extremität, liandelt das l'racbtwerk JJarkrurn, mit 'l'afilii und Hid/.-clinilten. üreslau, 1868. §. 422. Venen des Brustkastens. Nebst den sich in die W'iiac aitom/mae entleerenden \''c'nac iiKiintnuriue iiiterntfe, ihyndaie, perlcardiacae, nnd i ntercostales saprenKic, existirt iiir die Venen der Thoraxwände ein eigenes Sammelsystem, die unpaare Hlutader, Venu t/:i/i/os, Avelche keine Klap[)en besitzt. Sie wird in der Bauchhöhle, auf der rechten Seite der Wirbelsäule, aus Wurzeln construirt, welche aus den Venae lumbales, zuweilen auch aus der Vc/irt rrnalia und siiprarenaUs stammen. Zwischen dem inneren und mittleren Zwerclitellschenkel gelangt sie in die Rrust- hölile, liegt im hinteren Mediastinum an der rechten Seite des /hfi-liis thoi'ie Anomalien der unteren Hohlveiie betretten mehr ihre Aeste als ihren Stamm. Die von Stark, Otto. Gurlt, und mir beschriebenen Fälle consta- tiren das mögliche Fehlen der Cava inferior, wo nur der Stamm der Leber- venen durch das Zwerchfell zum TTerzen ging, alle übrigen sonst zur Cava inferior tretenden Venen aber, von dem ungemein entwickelten System der Azygos aufgenommen wurden. — Versetzung der Cava inferior auf die linke Seite der Wirbelsäule (nline gleiclizeitigc Versetzung der Eingeweide) beob- achtete Harrison fSnro;/(i.^trica analog-en, grösstentheils klappenlosen Venen gebildet Avird. Die doppelten Venae ylutaeae super io res wnd inferiore.^!, ileo-lmnhales und ohturatoriae bei^leiten die li'leiehnamiffen Arterien. Die Venae saerale.-erem Verlauf in einen dieser Stämme einsenken, wie Fried lowsky gezeigt hat. Wir haben eine dieser Venen so stark an."-etrofFen, dass man eine doppelte Sclienkelvene vor sich zu haben "•laubte. In der Fossa ileo-pectinea liegt die Vena cruralis an der inneren Seite der Arteria cruralis. — Oberhalb des Durchganges durch di»» Sehne des Adductor rtuKjnus, lagert sich die Schenkel- vene hinter die Arteria cruralis, und bleibt auch Avährend ihres Verlaufes durch die Kniekehle hinter ihr (bei der Ansicht von hinten her). Die Aeste, welche die Schenkelvene aufnimmt, sind mit den Aesten der Arteria cruralis gleichläufig und synonym. Wichtige Beiträge zur Anatomie der Venen der unteren Extremität, besonders was deren Klappen und Anastomosen anbelangt, enthält Brauns Werk: Die Oberschenkclvcncn des Menschen. 2. Auflage. Leipzig, 1873, mit 6 Tafeln. Uebereinstimmend mit der oberen Extremität, zerfallen die Venen der unteren in hoch- und tiefliegende. Die tiefliegen- den begleiten die Arterien, und sind für den Unterschenkel doppelt: zwei Veiuie tilnales posticae, zwei anticae, zwei peronaeae. Die hoch- liegenden oder Hautvenen der unteren P^xtremität beginnen aus einem auf dem Fussrückeu sul)cutau gelegenen Venennetz, Rete pedis dorsale, welches die Zehenvenen aufnimmt, und zwei starke Hautvenen — die grosse und kleine Rosenvene — aus sich hervorgehen lässt. a) Die grosse Rosenvene, Vena saphena magna s. interna, geht vom inneren Rande des Rete dorsale ab, sammelt vorzugsweise die Blutadern des inneren P^ussrandes und der Sohlenhaut, und geht vor dem inneren Kn(")chel zum Unterschenkel, und auf dem Condijlus fenioris internus zum Überschenkel, wo sie durch die Fovea ovalis zur Schenkelvene tritt. Sie nimmt in ihrem ganzen Laufe Hautvenen von der inneren und zum Theil hinteren Fläche der unteren Extremität auf, und erhält, vor ihrem Eintritte in die Fovea ovalis, noch (}äQ Venae pudendae extermie, epigastricae superfichdes und inguinales. — Indem die Aerzte die Aderlässe aus der Sapheu vene bei Störungen der monatlichen Reinigung (Rose im Volke genannt) vorzunehmen pflegten, kam diese Vene dadurch zu ihrem deutschen Namen: Rosenvene. Zuweilen nimmt sie die Vena saphena minor auf, — oder sie theilt sich, um wieder einen einfachen Stamm zu bilden, — oder sie wird in ihrem ganzen §. 426. Pfortader. 1099 Verlaufe doppelt, oder senkt sich schon tiefer, als in der Fovea ovalis, in die Vena cruralis ein. Ihre bei Frauen, welche mehrmals geboren haben, häufig vorkommenden Erweiterungen fVaricesJ, sind der Grund ihres trivialen Namens: Frauenader oder Kindsader. Derlei Varices finden sich jedoch auch im männlichen Geschlechte, besonders hei Handwerkern, welche ihre Arbeit stehend verrichten. — Der Name Saphena ist nicht, wie man glaubt, griechischen, sondern arabischen Ursprungs. Kein griechischer Autor kennt dieses Wort. Avicenna war es, welcher diese Yene zuerst Al-säfin, mit vulgärer Aus- sprache Äl-säfen (die Verborgene) nannte, weil, wenn sie gesund ist, sie erst in der Gegend des inneren Knöchels durch die Haut hindurch gesehen werden kann. Man soll also correct Safina schreiben und sprechen. Da die Saphen- vene von der Gegend des inneren Knöchels {acpvQov) heraufkommt, Hess sie bei den griechischen Aerzten immer nur Sphyrites, und im Celsus: Vena ad malleolum. b) Die kleine Eosenvene, Vena saphena minor s. posterior, geht vom äusseren Fussrande, hinter dem äusseren Knöchel, anfangs neben der Achillessehne, und, wo diese aufhört, zwischen den beiden Köpfen des Gastrocnemius, zur Kniekehle hinauf, durchbohrt die Fascia poplitea, und entleert sich in die Vena Poplitea. Die Vena saphena major und minor anastomosiren mehrfach mit den innerhalb der Fascie der unteren Extremität gelegenen Venae frofundae. — Die Varietäten der Saphena minor sind nicht selten, aber unerheblich. Merk- würdig ist ihr in der Kniekehle stattfindendes Zerfallen in zwei Zweige, deren einer zur Vena poplitea geht, deren anderer am Nervus ischiadicus nach auf- wärts läuft, um in die Vena glutaea inferior einzumünden. — Die Vena Poplitea besitzt bei älteren Individuen eine so mächtige Adventitia, dass sie, wie eine Arterie, quer durchschnitten, nicht zusammenfällt. — lieber die Venen der unteren Extremität findet sich reiches Detail in C. Giacomini, Osserva.7.ioni anal, Torino, 1873. §. 426. Pfortader. Die Pfortader, Vena portae, wurzelt in den Yerdauungs- organen, aus welchen sie das durch die drei unpaaren Aeste der Bauchaorta zugeführte Blut aufsammelt, um es in die Leber zu leiten. Die den Truncus venae portae bildenden Venen des Yer- dauungsorgans mögen dessen Wurzeln, seine Aeste im Leber- parenchym dessen Verzweigung heissen. Beide sind klappenlos. Nur in der Pfortader der Nagethiere habe ich eine sehr schöne, drei bis acht Umgänge bildende Spiralklappe vorgefunden. — Die Wurzeln der Pfortader, welclie auf andere Weise zu grösseren Venen zusammentreten, als die Arterien sich verästeln, sind: a) Die Vena gastrica superior. Sie läuft in der Curvatura ventriculi minor von links nach rechts zum Pfortaderstamm, und nimmt das Blut aus dem oberen Bezirk der Magenwände, vom Pylorus, und vom oberen Qiierstück des Duodenum auf. 1100 t! 42«. rf.utftder. In der Kepel lindft sicli iiiii kirim n Magonbogen noch oine zweite, von rechts nach links ziehende Veua yastrica superior vor, welche mit der ersten anastoniosirt. und ihr Blut vorzugsweise aus der Reair) cardiaca des Magens, und aus dem Oesophagus erhält. /') Die Vena mesentericK mmna s. superior liegt iu der Wurzel des (xekröses, an der rechten Seite der Arteria mesenterica ftiiperior. Sie correspondirt mit den Aesten der oberen Gekrös- arterie, und des Raums panrreaflco - lUiodenalls der Arteria hijMitii-a. In den ersten embryonischen Lebensniünaten erhält die Vena mesenterica itiayna auch die Vena omphalo-mesaraica aus ,en Arterie zn- geliörend, entleert sicli nur selten in die superior, g-ewöhnlich aller in die Vena spfcnica. Ihr grösster Zweig, die vom Mast- darm heraiit'koinmende Vena haeniorrhoidalis interna, leitet viel mehr Uliit .ins dem Mastdarm ah, als die dem System der Hecken vene, also (h'r i'inui inferio)- angeh<")rii;en V-nae liaemor- rlioiilah'-i i'.iternae. Blutungen aus den Häniorrlioidalvt'nen bringen häufig gewissen Unter- leibskrankheiten einige F]rleichterung, und führten dadurch zu dem Namen: Goldadern. ,A^enae hnemorrhoidales, quae in ano et recto intestino adsunt, .iicti(S tlioracicvs, zeii^en <;ewühnlieh eine, besonders im injicirten Zustande sehr ansehnliche, ol)l()n<;e Anschwellung — Cisterna chi/li, s. liecepttirnhtm chi/Ii, s. Saccus lacteus. Die Benennung Cisterna chyli sollte füglich anfgegehen werden. Die Cisternon der Römer sammelten das Wasser von den Dächern der Häuser auf, während Wasserbehälter, welche durch natürlidien Quellcnzufluss gespeist wurden, putei hicssen, welcher Name also für das fragliche Reservoir passender gewesen wäre. Ebenso unpassend erscheint dem Sprachkenner der Name Ductus thnrfictm.0. Thoracirns (fa)p«x(xos) bedeutete bei den griechischen Aerzten nie etwas Anderes, als brustkrank, wie das französische 'pnitrinaire. Der Milchbrustgaui»' gelano-t durch den Hiatus aortiens in den hinteren ^litteltellraum des Thorax. Hier liegt er, in reichliches Fett eingehüllt, zwischen Aorta nud Vena azjinos, steigt bis zum vierten Brustwirbel empor, wendet sich nun hinter der Speiseröhre nach links, und geht auf dem linken langen Halsmuskel bis zum sechsten Halswirbel hinauf, biegt sich hier l)ogenförmig nach aussen nnd vorn, nnd mündet in den Bildungswinkel der Vena anonyma sinistra. Er nimmt auf diesem Wege die Saugadern der ganzen linken, und des unteren Tlieiles der rechten Brustliälfte, desgleichen der linken Hals- und Kopfhälfte, und überdies noch jene der linken oberen Extremität auf. Die Saugadern der rechten und linken Brusthälfte, und ihrer Eingeweide, entleeren sich in ihn an verschiedenen Stellen, ohne einen gemeinschaftlichen Stamm zu bilden; — jene des Halses und Kopfes senken sich mittelst des Trun(nis jwjularis sinister, inid jene der oberen Extremität mittelst des Trunctts suhclavius siv ister in ihn ein. Die Saugadern des oberen Theiles der rechten Brusthälfte, der rechten Hals- und Kopfhälfte, sowie der rechten oberen Extre- mität, verbinden sich zu einem, nur zMeidrittel Zoll langen Haupt- stamm (Ductus tJwraciciis dexter s. mimr), welcher seine Lymphe in den Bildungswinkel der rechten Vena anonyma ergiesst. Warum der Ductus thoracicus, von seinem Ursprung bis zu seiner Ein- mündung, einen so grossen Umweg macht, erklärt sich folgendermassen. Das Bauchstück des Ductus thoracicus steht unter dem Drucke der Bauchpresse, welcher grösser als der Respirationsdruck ist, unter welchem dieser Gang in der Brusthöhle steht. Beide Arten von Druck fehlen am Halse. Der Inhalt des Ductus thoracicus wird also gegen jene Stelle strömen, welche am wenigsten gedrückt wird, und die Ueberfülirung des Chylus in das Blut wird somit erst am Halse den zweckmässigsten Ort dazu finden. - Beide Ductus thoracici sind mit zahlreichen Klappenpaaren versehen, welche im oberen Theile des Ductus thoracicus major niedriger werden, und weiter auseinanderstehen, als im unteren. Nicht selten bildet der Ductus thoracicus major Inseln, oder selbst in seinen Stamm eingeschobene Geflechte. Sandifort, Sömmerring und Otto sahen ihn, seiner ganzen Länge nach, in zwei Aeste getheilt, welche sich §. 428. Saugadern des Kopfes und Halses. 1103 erst vor der Einsenkung in die Anonyma vereinigten. Crnikshank fand ihn sogar dreifach. Er kann auch in die Vena azygos münden (Alhin, Wut z er), oder in die rechte Anonyma (Fleischmann). Alle diese Abnormitäten haben für den Arzt wenig praktischen Werth, da der Ductus thoracicus nur an seiner Insertionsstelle in den Bildungswinkel der linken Vena anonyma, in das Bereich chirurgischer Operationen fallen könnte. §. 428. Saugadern des Kopfes und Halses. Die Saugadern des Kopfes und Halses lassen sicli in ver- scliiedene Bezirke eintlieilen, deren jeder seine bestimmten Sammel- drüsen hat. Diese Drüsen liegen in Gruppen zu zwei bis seelis, und darüber, entweder oberflächlich oder tief. Die aus ihnen her- vorkommenden Vasa efferentia gehen als Vasa inferentia zu den nächst unteren Drüsen, und zuletzt in den, in der Fossa supradavicularis eingetragenen Plexus jugidaris über, dessen meist einfaches Vas efferens, als Trunais jugidaris, zum Ductus thoracicus der betreffen- den Seite tritt. Die leicht aufzufindenden Dnlsengruppen sind: a) Die Glandulae auricidares anteriores und posteriores. Erstere (zwei bis drei) liegen auf der Parotis, vor dem Meatus audi- torius externus, letztere (drei bis vier) hinter dem Ohre auf der Insertion des Kopfnickers. Sie nehmen die Saugadern von den äusseren Weichtheilen des Schädels auf. h) Die sechs bis acht Glandidae faciales profundae in der Fossa spheno-maxillaris, und an der Seitenwand des Schlundkopfes. Sie sammeln die Lyraphgefässe aus der Augenhöhle, Nasenhöhle, dem Schlundkopfe, der Keil-Oberkiefergrube, und erhalten nach Arnold noch einen Antheil der Saugadern des Gehirns, welche durch das Foramen spinosum und ovale aus der Schädelhöhle kommen. c) Die Glandulae submaxillares. Man sieht und fühlt sie ziemlich zahlreich, bei scrophulösen Individuen längs des unteren Bandes des Unterkiefers lagern, avo sie vom hochliegenden Blatte der Fascia colli bedeckt werden. Die Saugadern, welche ihnen zuströmen, kommen zum Theil im Gefolge der Vena facialis anterior, zum Theil vor dieser Vene über den Unterkiefer herab, und entwickeln sich aus allen Weichtheilen des Antlitzes. Die Saug- ädern des Bodens der Mundhöhle und der Zunge treten von innen her in diese Drüsen ein. d) Die Glandulae cervicales superficiales, welche am oberen Seiten- theile des Halses vor und auf dem Kopfnicker vorkommen. Sie sampieln oberflächliche vordere und hintere Halssaugadern, welche schon andere Lymphdrüsen durchsetzten. Es finden sich nämlich in der Hals- mitte, vor den Musculi sterno-hyoidei, auch auf dem Musculus cucuUaris im Nacken, kleine Sammeldrüsen für die oberflächlichen Saugadern des Halses. Die austretenden Gefässe der genannten Drüsengruppen ent- leeren sich in: I 1()| 8. i'-l'.' S.iiiif.tdoiii iler ulioron Kxtrciniliil uml tlcr i in^twiitul. i') Die Olaiulitlai' jiiinditri'Ji öu^xriorcd im Trigmaia eci'viade aupc- r'ins. Sie sind dit* ersten Yereini^nn^-.srlrü en für die diircli d;is Foritiiiiii JiK/nfiin' austretenden Lyii'pl'S'C isse des Geliirus, nud sauMueln aucli von Scliliindkoj)}". Ziini;^ , Kehlkopf und Scliilddrüse Zweifle auf. l>ic Existenz der Lyinpligefiissc im (.irliini wurde von Arnold diin-Ii Injcitiiiu nachj2;t'W'icsen. In der Pia mntcr unterscheidet er drei auf einander gelagerte Lvinphgef'ässnctze. Sic folgen dem Zuge der Venen zwischen den Gyri. Die Saugadern der Kanuiiern des Gehirns vereinigen si<'i zu einem der Vena mnjna Galcni folgenden Ilauptstainm. F. Arnold, Von den Saugadern des Hirns, in dessen Bemerkungen tiher den Bau des Hirns und Rückenmarks. Zürich, 1838. — Die Lymphgefässe in den Subaraclinoidealiilumen wurden von mir zuerst injieirt und liesehiielien. Oesterr. Zeitschrift für praktische Hcil- kund.'. 1S()(». I)ie Yasd eß'crciä'ui von d) und c^ zielien läni;s der V^)iv< tu- und effereidia sich netzartig verstricken, so entsteht dadurcli der früher ge- nannte Ple.riis jufjidaris, welcher, wenn man die Glandidae jwjidAires superiorcs noch zu ihm zählt, sieh längs der sprossen Blutgefässe des Halses ])is unter das Drosseladerloch ausdehnt. i^. 429. Saugaclern der oberen Extremität und der Brustwand. Die Lymphgefässe der oberen Extremität, der zugehörigen r>rustwand und Schulter, haben ihren Sammelplatz in dem Piedras hpiiphatifus 'i.rilhiri.s, welcher acht bis zwölf Glandulae axillares s. alares einschliesst. Er hängt mit dem Plcnis jugtdaris durch Ana- stomosen zusammen, und vereinigt seine starken kurzen Vasa efferentia, zum einfachen Tranrus b/mphaticus suhclavius, welcher in den Milch- brustgang seiner Seite inosculirt. Die Glandulae axillares liegen in dem lockeren Umliüllungsgewebe der Achselgefässe, einzelne auch am unteren Rande des grossen Brustmuskels, und in dem Spalt zwischen Pectoralis major und Deltoides. a) Lymphgefässe des Arms. Sie verlaufen theils ertra, theils intra faseiam, und werden deshalb, wie die Venen, in hoch- liegende und tiefliegende abgetheilt. §. 430. Saugaderu der Brustkölile. 1105 a) Die hoch liegenden stammen theils von der Volar-, theils von der Dorsalseite der Finger. Erstere steigen an der Innenseite des Vorderarms, letztere anfangs an der Aussen- seite, dann aber, über den Ulnarrand des Vorderarms um- biegend, ebenfalls an dessen innerer Fläche znm Ellbogenbng empor. Hier treten einige durch eine bis zwei Glandulae cuhitales, welche vor dem Condylus internus an der Vena basilica liegen; alle aber streben den Glandulae axillares zu, wohin auch einige längs der Vena, cephalica gerathen. ß) Die tiefliegenden anastomosiren nur am Carpus und in der Plica cuhiti mit den hochliegenden, und folgen genau der KichtuDg der tiefliegenden Armvenen. Sie sind, wie Injectionspräparate lehren, weit weniger zahlreich als die oberfläcldichen, passiren aber zwei bis fünf Glandulae cuhitales profundae und eine bis zwei Glandulae brachiales profundae. h) Lymphge fasse der Brustwand, Ihr Bezirk erstreckt sich vom Schlüsselbein bis zum Nabel herab. Sie bilden zwei Grruppen: «) Die oberflächlichen treten theils durch den Spalt zwischen Deltoides und Pectoralis major, in welchem das erste vor- geschobene Drüsenbündel des Plexus axillaris liegt, in die Tiefe, theils laufen sie den unteren Rand des Pectoralis major entlang, wo ebenfialls vereinzelte Drüsen vorkommen, zur Achselhöhle. Die von der Regio epigastrica heraufkom- menden Lymphgefässe passiren gewöhnlich eine kleine, zwischen Nabel und Herzgrube gelegene Glandula epi- gastrica. ß) Die tiefliegenden folgen den Arteriae und Venae thoracicae, und nehmen die Saugadern der Mamma, und, durch Ana- stomose mit den VasalymphaticaintercostalicOfN&vhmdiwn^s,- zweige mit den inneren Brustsaugadern auf. c) Lymphgefässe der Schulter. Sie gehören der Nacken-, Rücken- und Lendengegend an. Die hochliegenden schwingen sich um den Rand des breiten Rückenmuskels herum; die tiefen halten sich an den Verlauf der Schulteräste der Arteria axillaris. §. 430. Saugadern der Brusthölile. Die Lymphgefässe der Brusthöhle lassen sich übersichtlich in vier Rubriken ordnen: die Zwischenrippensaugadern, die Mittel- fell-, die inneren Brust-, und die Lüngensaugadern. Hyrtl, Lehrtueli der Anatomie. 20. Aufl. "0 l](|('i S l:'.l. .-.i\igaik'rn der uiileieii Exlrcmilaluii und du:. Keikens. ii i Die Zwi^clu'iiri piK'n.siiii«;:!^^!-!! vi'rl;mlcn mit den Vam intcrco.^Uiim. Sie entwickeln sich ;ui> der seitlichen Hrnst- nnd nauchwand, dem Zwerchfelle, der IMeura, den Rückenmn.skeln, und der Wirheisäule, durchsetzen die Giiiidtiluc intercosUdes, deren sechzehn his zwanzii; in der Nähe der Rippenköpfchen a»if jeder Seite vorkommen, iiud stehen mit den folf^enden in Zusammeuhani;'. h) Die Mittel fellsaui^adern entspriui^en aus der hinteren Herz- beutel wand, dem (3esophagn.s, und den Wänden des hinteren Mediastinum, passiren acht his zwölf Glandidnc maJiasthü po- steriorem, und entleeren sich rechts in den Ductus tlioracicus, links daffcffen in die Glandulae hronchhdes. c) Die inneren Rrustsang- ädern entsprechen den V((sa, mam- iiuirtK interu<(. Sie entstehen in der Regio epir/astrica aus der Hauchwand, nehmen die im Ligamentum Suspensorium liepatis aufsteigenden oberflächlichen Lebersaui^adern auf, und hängen mit den hinter dem Sternum gelegenen Lymphdrüsen des vorderen Mittelfellraumes zusammen. Diese, zehn bis vierzehn an Zahl, liegen theils auf dem Herzbeutel, theils auf den grossen Gefässen extra pericardium, und nehmen die Saug- adern des Pericardium, der Thymus, und die an der Aorta und Arteria puhnonalis aufsteigenden Saugadern des Herzens auf. Die inneren Brustsaugadern bilden durch ihre Verket- tungen den paari<;en Plexus mammarius internus, welcher, mittelst des Truncus mammarius, in der oberen Brustapertur in den rechten und linken Ductus thoracicus einmündet. d) Die Lungensaugadern zerfallen in oberflächliche und tiefe, welche an der Lungenwurzel sich vereinigen, die Glandulae bronchiales durchsetzen, und links in den Ductus thoracicus gehen, rechts aber mit den Saugadern des hinteren Mittelfell- raumes den Truncus hroncho-mediastinicus bilden, welcher in den kurzen rechten Ductus thoracicus einmündet. Die Glandulae bronchiales, deren einige schon im Lungenparencliym vor- küinmen, haben im kindlichen Alter das Aussehen gewöhnlicher Lymphdrüsen, werden aber bei Erwachsenen, unabhängig von Alter, Krankheit oder Lebensart, grau, selbst schwarz pigmentirt. Ihre Zahl beläuft sich beiderseits auf 20-30. Sie sind s..hr häufig Sitz von tuberculöser Infiltration, und werden bei alten Leuten oft im Zustande vollkonniiener Verkalkung angetroffen. §. 431. Saugadern der unteren Extremitäten und des Beckens. Das Stelldichein aller Lymphgefässe der unteren Extremität sind die Leistendrüsen. Ghindulae inguinales, in der Fossa ileo- pedinea. Diese Drüsen zerfallen in hochliegende und tiefliegende, §. 431. Saugadern dev unteren Extremitäten und des Beckens. 1107 zwischen welchen der Processus falciformis der Fascia lata liegt. Durch zahlreiche Yerbindnngsgänge werden beide zum Plexus ingui- nalis vereinigt. Die oberflächlichen Leistendrüsen erstrecken sich, in variabler Anzahl, vom Ligamentum Poupartii bis znr Fovea ovalis herab, wo sie die Yena saphena magna umgeben. Die tiefen liegen auf den Schenkelgefässen, bis zum Septum crurale hinauf. Die letzte und grösste derselben führt RosenmüUer's Namen. Die Lymphgefässe, welche die Leistendrüsen aufsuchen, sind: a) Die Lymphgefässe des Schenkels. Sie verlaufen theils ausser- halb, theils innerhalb der Fascia lata, — also hoch- oder tief- liegend. 1. Die hoch liegenden kommen theils vom Fussrücken, theils von der Fusssohle herauf. Erstere folgen dem Laufe der Vena saphena major, sind sehr zahlreich, und vergesellschaften sich mit einer Partie der aus der Sohle kommenden, und über den Condylus internus femoris zur inneren Seite des Oberschenkels aufsteigenden Saugadern, um endlich in die hochliegenden Leisten- drüsen überzugehen. Letztere ziehen unter der Haut der Wade dahin, und theilen sich in zwei Züge, deren einer sich in die tiefen Glandulae popUteae entleert, während der andere den eben angegebenen Verlauf zu den Leisten- drüsen einschlägt. 2. Die tiefliegenden verlassen die Bahnen der Blutgefässe nicht, und werden, wie diese, eingetheilt und benannt. In der Kniekehle dringen sie durch eine bis vier Glandulae popliteae profundae. h) Die Lymphgefässe der Regio hi/pogastrica des Unterleibes steigen schief über das Ligamenttim Poupartii zu den obersten Leistendrüsen herab. c) Die Lymphgefässe der äusseren Grenitalien. Sie sind es, welche den Ansteckungsstoff von den Geschlechtstheilen auf die Leistendrüsen verschleppen, und dadurch die primären Bubonen (Leisten- beulen) veranlassen. Die Lymphgefässe des Penis (oder der Clitoris) treten zuerst in das Pettlager des Mons Veneris, und beugen von hier zu den ober- flächlichen Leistendrüsen um. Jene des Hodensackes und der grossen Scham- lippen gehen mit den Vasa pudenda externa, quer nach aussen zu denselben Drüsen. Die ausführenden Saugaderstämme der Leistendrüsen, deren einige schon die Dicke einer Rabenfeder erreichen, begeben sich mit den Vasa cruralia durch die Lacuna vasorum cruralium in die Beckenhöhle. Einige derselben durchbohren auch das Septum crurale, und krümmen sich über den horizontalen Schambeinast in die kleine Beckenhöhle hinab. Die an den grossen Blutgefässen hin- ziehenden SaiTgadern nehmen die benachbarten Saugadern von der vorderen und den Seitenwänden der Bauchhöhle auf, durchwandern mehrere Lymphdrüsen, und bilden durch ihre Verkettung den Plexus iliacus externus, welcher gegen die Lendengegend hinzieht, und sich in die Glandulae lumbales inferiores entleert. Der Plexus iliacus 70* e.vterniis nimmt währoiid dicsos T.nufos don Ple.rvf^ hipopustnms und sacnilift med ins auf. Per PleAtis hxi}mja..otricuf> erstreckt sich an flcn Verästlungen iler Arteria hupngofitrica hin. und bezieht seine contribuirenden Saugadern aus allen jenen Thcilen, zu welchen die Arteria hypogastrica ihre Zweige versendet. — Der riijus .«ncralii^ mediw dehnt sich vom Pronrnntorium zum Mastdarjncnde herab, und nimmt seine Saugadern aus der hinteren Beckenwand, dem Canalis sacralis, und dem Mastdarm auf. §. 432. Saugadern der Bauchhölile. E.-< wurdo ()l)(Mi liemerkt. dass der Ductus thomcicus durch den Zusammcnfluss von drei kurzen und weiten Lymphgetassstämmeu (der beiden Trunci li/mphatici lumhales, und des einfachen Truncus li/mphoticus intexthudis) gebildet werde. Diese I^ymphstämme sind nun die Vitsa rferentix von ebenso vielen drüsenreichen Lymph- gefäs.sgeflechten, welche als paariger Ple.ius lumlxilis, und einfacher Ple.niK i-oeliacus .s-, mesentericu.s beschrieben werden. (i) Der paari,u,'e Ple.nts himhtilis nimmt die Lvmphg'efässe jener <)reck, Tiedetnann, Quain, Wilson, und Bierhovshi (Abl)il- dnni;(Mi der Pnls-, Blut- nnd Sang-adern. Berlin, 1825, fol.). Die Leichtigkeit, mit welcher Präparate injicirter Gefässe an jeder gnt einsjerichteten anatomischen Anstalt zu haben sind, macht das Stu- dium der Getasslehre an Tafeln ül)erflüssig-. H e r z. R. Luicer, Tractatus de corde. Edit. sept. Lug'd. Bat., 1740. (Tuherndinn Loveri) — A. C Thehesius, Diss. de circulo sanguinis in corde. Lugd. Bat., 1708. (Valvula Thehesn.) — R. Vieussens, Traite de la structure du coeur. Toulouse, 1715. (Isthmus Vieussenii.) — J. li. Mortjayni, Adversaria anat. Patav., 1700 — 1719. Adv. 1. 2. (Xudidi Morgayni.) — J. Reid und H. Searle, „Heart" in Todd's Cyclopädia, Vol. II. — J. Müller, in der Medicinischen Vereins- zeitung 1834. (Dimensionen und Capacität des Herzens.) — R.Wag- }ier's Handwörterbuch der Physiologie (Herz). — C. Ludung, Ueber Bau und Bewegungen der Herzventrikel, in Henle's und Pfeuffer's Zeitschrift, A'II. Bd. — Luschka, Das Endocardium, etc., in Virchow's Archiv, IV. — Reinhard, Zur Kenntniss der dünnen Stelle in der Herzsciieidewand in Vircltou's Archiv, XII. — Luschka, Der Herz- beutel und die Fascia endothoracica, in den Denkschriften der kais. Akad., 16. Bd. — C. Bruch, Schriften der Senkenberg'schen (xesell- schaft, 1857. — C Langer, Zeitschrift der Gesellschaft der Wiener Aerzte, 1857. (Foramen ovale.) — W. His, Beiträge zur Anatomie des Herzens, Leipzig, 1886. Arterien. Halters Icones anatomicae, Gottingae, 1743, können noch immer als Mnster graphischer Genauigkeit dienen. — F. Tiedemanns Ta- bnlae arteriarum, Carlsruhe, 1822, und der Nachtrag von 1846, sind der Varietäten wegen wichtig. — R. Harrison, Surgical Anatomy of the Arteries. Dublin, 1839, 4. edit. Enthält viele gute praktische Bemerkungen. — R. Froriep, Chirurgische Anatomie der Ligatur- stellen. Weimar, 1830. — R. Quain, The Anatomy and Operative Surgery of the Arteries. London, 1838, Plates in fol. — N. Pirogoff, §. 433. Literatur des geaammten Gefässsystems. 1111 Chirurgische Anatomie der Arterienstämme und der Fascien, mit 40 lithographirten Tafeln in fol. Dorpat, 1838. — Durch Correct- heit ausgezeichnet, ist R. Frorieps Icon arteriarum, Weimar, 1850; auf Einer Tafel das gesammte Arteriensystem in das Skelet ein- getragen, in Lebensgrösse dargestellt. — Barkow, Die Blutgefässe, insbesondere die Arterien des Menschen, in ihren minder bekannten Verzweigungen. Fol. mit 43 Tafeln. Breslau, 1866. Derselbe: Die angiologische Sammlung des anat. Museums zu Breslau. Breslau, 1869, mit zahlreichen Abbildungen. Varietäten der Arterien. " Nebst den pathologischen Anatomien von Meckel, Otto, Gruveil- hier, gehört vorzugsweise hieher: R. Quain, On the Arteries of the Human Body, etc., London, 1844. — F. Tiedemann, Supplementa ad tabulas arteriarum. Heidel- berg, 1846. — Herherg, Lieber die Ein- und Austrittspunkte der Blut- gefässe an der Schädeloberfläche, in Walthers und Ammons Journal, IV. Bd. — R. Siehold, Ueber den anomalen Ursprung und Verlauf der in chirurgischer Beziehung wichtigen Schlagaderstämme. Würz- burg, 1837. — Schiobig, Observationes de varia arteriae obturatoriae origine et decursu. Lipsiae, 1844. — Patruban, Grefässanomalien. Prager Vierteljahressehrift, 17. Bd. (Aortenbogen über den rechten Bronchus gehend. Vas aberrans, aus der Arteria hrachialis. Hoher Ursprung der Ulnaris.) — Demarquay, Sur les anomalies de l'artere sousclaviere. Comptes rendus, t. 27, Nr. 5. — Struther's, On a Pecu- liarity of the Humerus and Humeral Artery. Monthly Journal. New Series. XXVIII. — W. Gruber, Abhandlungen aus der menschlichen und vergleichenden Anatomie. Petersburg, 1852. (Schätzbare An- gaben über numerische Verhältnisse der Varietäten.) — ■ H. Mayer, Ueber die Transposition der aus dem Herzen hervortretenden grossen Arterienstämme, in Virchoiv's Archiv, XII. — Schwegel, Prager Viertel- Jahresschrift, 1859. — J. Hyrtl, Oesterreichische Zeitschrift für prak- tische Heilkunde. 1859, Nr. 29, seqq. (Arteria palatina ascendens, vertebralis, occipitalis, lingualis und thyreoidea.) — Hyrtl, Ueber nor- male und abnormale Verhältnisse der Schlagadern des Unterschen- kels. Wien, 1864, mit 10 Tafeln. — Eine reiche Zusammenstellung aller bisher bekannt gewordenen Varietäten der Arterien lieferte Krause, im 3. Bande von Henle's anatomischem Handbuch. — Viel Interessantes über diesen Gregenstand findet sich in dem Werke von Griov. Zoja: II gabinetto di anatomia normale della Universitä di Pavia. Angiologia. Pavia, 1876, und in W. Grubers Abhandlungen im 66., 67. und 68. Bande des Archivs für pathologische Anatomie, welche auch Venenanomalien betreffen. 1 112 ^ ♦SS. LiU-iatui du^ gt•^amIllteIl GL■fä;^ssJ■^tems. V e u f n. II;iii|it\vi'rk(' >'\iu\: G. Breschet, Reclierches anat., pliy.siol. et [tatliMl. siir Ic .svstt"'ine veineiix. Pari.s, 1820, tul.. iiiid W. Braune, Das Veneiisystem des meuseliliclicii Körpers, fol. Leipzij;-, mit Tafeln, erscheint liet'eriui^'sAveise. Uebei* (He Sinus durae mutris liandelt Morgwjni, iu dessen Ad- versaria anatoiiiica. VI, und Vicq-d'^izyr, Reeherclies sur la structure du cerveau, in den Mi'nioires de racadeniie des seieuces, 1781 iind 178;i. Ueher die Eniissaria siehe: D. Santort'ni, Observ. anat., Cap. III., lind ./. Theoph. Walter, De eniissariis Santoriui. Fraucof. ad Viadr., 17")7. Hielier gehört auch: Englisch, lieber eine constante Verbin- (Uini^ des Sinus cavernosus mit dem petrosus inferior ausserhalb des Schädels (Sitzungsberichte der kais. Akademie, 1863). Ueber Venen- anduialien handelt Krause a. a. O. und O. H. Hallett, General Remarks ou Anomal ies of Venous System. Med. Times, Nov., Nr. 423. — Braune und Trähinger, Die Venen der menschl. Hand. Leipzig, 1873. — Chahhert, Les veines de la face et du cou. Paris, 1876. — Für die Entwicklungsgeschichte interessant ist J. Marshall's Abhandlung: Ou the Develo])mont of the great anterior Veins in Man and Mam- malia, in den Phil. Transactions, 1850, p. I. P f o r t a d e r. A. F. Walther, De vena portae exercitaticmes auatomicae. Lip- siae, 1739 — 1740. — A. Murrag, Deliueatio sciagraphica venae portae. Upsal., 1796. — K. Jlöhnlein, Descriptio anatomica systematis venae portae in homine et quibuschim animalibus. Mogunt., 1808, fol. — Retziiis, in TietJi'nuiini's uiid Trrflraiia.v' Zeitschr., 1833. Lyniphg-e fasse. (,'. J. A.iellii(i<, De lactibus s. lacteis venis, diss. IV. Mediol., 1627. Die Abbildungen in dieser höchst selten gewordenen Ausgabe sind die ersten Farbendrucke in Büchern. — .7. P(?ayttg^ Experi- menta nova anatomica, (piibus incognitum hactenus chyli recepta- culum et vasa lactea deteguutur. Paris, 16.") 1. — A. Monro imd J. F. Merkel, Opuscula anatomica de vasis lymphaticis. Lipsiae, 1760. — Will. Heu'son, Experijuental inquiries. etc., p. II. London, 1774. — W. Cruikshank, The Auatomy of the absorbing Vessels, deutsch von 0. F. Lwhi'ig. Leipzig, 1793. — P. Mascagni, Prodromo sul systema dei va.si limfatici. Siena, 1784. Ausgabe von Fr. Antommarchi, Fi- renze, 1819, fol., mit 2(1 Tafeln. — E. A. Lautli, Sur Ies vaisseaux lymphati(|ues. Strasbourg-, 1824. — V. Fohmann, Memoires sur les vais.seaux lymphatiques de la peau, etc.. Liege, 1833. — G. Breschet, §. 433. Literatur des gesammten Gefässsystems. 1113 Le Systeme lympliatique, considere sous le rapport anat., pliysiol. et patliol. Paris, 1836. Ueber einzelne Abtheilungen des LympLgefässsystems handelt: A. HaUer, resp. Bussmami, Observationes de diietu thoracieo. Gottingae, 1741. — B. S. Alhin, Tabula yasis chyliferi cnm yena azyga. Lngd. Bat., 1757, — F. J. Hunauld, Obseryations snr les yaisseaux lympbatiqnes dans le poumon de rhomme, in Memoires de l'acad. de Paris, 1734. — J. G. Haase, De yasis cutis et inte- stinorum absorbentibus, etc., Lipsiae, 1786. — S. Th. Sömmerring, De trunco yertebrali yasorum absorbentium, in Comment, soc. reg. Gottingae, yol. XIII, — Patruhan, Einmündung eines Lympbader- stammes in die Vena anonyma sinistra, Müllers Arcbiy, 1845. — Svitzer, Beobachtung einer Theilung des Ductus thoracims, ibid., pag. 21, — Nuhn, Verbindung yon Saugadern mit Yenen, Müllers Archiy, 1848, — Jarjavay, Sur les yaisseaux lymphatiques du pou- mon. Archiyes gener, de medecine, t, XIII, — Duhois, Des gan- glions Ij^mphatiques des membres superieurs. Paris, 1853. — Die schon früher citirten Schriften yon Teichmann, His, Frey, Recklings- hausen, Ludwig, Tomsa, und Schwalbe, sowie mein Aufsatz über die Injection der Lymphcapillaren in der österreichischen Zeitschrift für praktische Heilkunde, 1860. 'gXE- C. Ueberreuter'sche Buchdruckerei (M. Salzer) in Wien. — 157688 COLUMBIA UNIVERSITY LIBRARIES This boük is due on the date indicated below, or at the expiration of a definite period after the date of borrowinp:. as provided by the library rules or by special arrangement with the Librarian in charge. OATE BORROWEO OATE OUE DATE BORROWEO DATE DUE C28 966-50M COLUMBIA UNIVERSITY QM23H99 1889c!r''''^''^'^^ *lllll¥iJiüiiTiiHiri,V,?.f, "menschen menschen. H99 1889 ^^'^ B/NDERY Q/1 ^3