-\f- ,r H ■^ ;v^- ,^ .^'f ■, s r ^Y>Hr.' 2 >' VSC ^ \ >. ■ M M ) 1?. CD» Sj f> □ D a □ m □ \ • !)rS.FH!KS») n. ♦ MECHANISMUS UND VITALISMUS VON O. BUTSCHLI PROFESSOR DER ZOOLOGIE ZU HEIDELBERG LEIPZIG VERLAG VON WILHELM ENGELMANN 1901. Alle Rechte, besonders das der Uebersetzung, vorbehalten. Druck der Kgl. Universitäts-Druckerei von H. Stürtz, Würzburg. Vorbemerkung. Die kritische Studie über ein in neuerer Zeit vielfach behandeltes Thema, welche ich hiermit der Oeffentlichkeit übergebe, entsprang der ehrenden Aufforderung, welche der geschäftsleitende Ausschuss des internationalen Zoologen- Congresses an mich richtete. Das Thema habe ich selbst ge- wählt; es lag mir insofern nahe, als mich meine Arbeiten viel- fach anregten, über das Problem nachzudenken. Die Kürze der gegebenen Zeit machte es nöthig, bei dem mündlichen Vor- trag vieles wegzulassen, was in den Druck aufgenommen wurde. Manches, was bei einer anderen Darstellung füglich im Text besprochen worden wäre, musste in Anmerkungen verwiesen werden. Ich fühle selbst, dass dem vorliegenden Versuch zahl- reiche Mängel anhaften. Da jedoch die fortschreitende Einsicht an die Zusammenarbeit Vieler gebunden ist, so wird man viel- leicht auch aus dieser Studie einiges zu entnehmen vermögen, was zur Förderung und Klärung des Problems beitragen kann. Heidelberg, 3. Juni 1901. JYlan wird darüber streiten können, ob das für meinen Vortrag gewählte Thema sich zur Besprechung auf unserem Kongress eignet, ganz abgesehen davon, ob es mir gelingen mag, seine gewiss nicht geringen Schwierigkeiten einigermassen zu bewältigen. Auch ge- statten es diese Schwierigkeiten nicht, den Vortrag rhetorisch zu beleben oder zu verschönen ; trockene Klarheit kann allein das wünschenswerte Ziel sein1). Keiner Frage dagegen unterliegt es, dass die alten Gegensätze Mechanismu s und Vitalismus neuerdings wieder schärfer hervortreten, nachdem sie insofern ausgeglichen schienen, als die Möglichkeit des ausreichenden Begreifens der Lebenserscheinungen auf mechanistischer Grundlage recht allgemein zugegeben wurde. Wenn die Denker und Forscher, die in neuerer Zeit für den Vitalismus eintraten, auch häufig als Neo-Vitalisten bezeichnet werden, so scheint mir doch der Gegensatz zwischen dem älteren Vitalismus und dem sog. Neo-Vitalismus kein eigentlich prinzipieller zu sein. Im alten w7ie im neuen Vitalismus spricht sich gleicher- weise die fundamentale Ueberzeuguns-f aus, dass Lebewesen und Lebensvorgänge nicht, oder doch nicht vollständig, begriffen werden könnten, ohne das Zugeständniss einer nur in der Organismenwelt bestehenden, dem Nichtlebenden mangelnden Geschehensgesetzlich- keit, eines besonderen Prinzips oder einer besonderen Kraft, wie man dies eigenthümliche Etwas, je nach der bevorzugten Ausdrucks- weise, bezeichnen mag. Mehr als der ältere Vitalismus gesteht der Neo- Vitalismus zu, dass die rein kausal-mechanistische Betrachtung der Lebenserscheinungen ebenso berechtigt ist als die teleologische, dass beide nebeneinander herzugehen hätten. Doch bildet auch dies eigentlich keinen Gegensatz zum älteren Vitalismus ; derselbe ßütschli, Mechanismus und Vitaiismus. 1 2 konstruirte ebenfalls kausal. Die von ihm postulirte Lebenskraft wurde als Ursache der Lebenserscheinungen in das kausale Schema eingefügt. Fraglich blieb nur, ob die Voraussetzung solch' einer hypothetischen Ursache berechtigt war, und ob das Leben damit wirklich begriffen werden konnte. Eine Untersuchung über die Natur und Berechtigung der beiden gegensätzlichen Beurtheilungsweisen des Lebens führt naturgemäss bald auf sehr allgemeine philosophische Probleme, deren Erörterung man bei derartigen Betrachtungen nicht wohl völlig umgehen kann. Andererseits erscheint es aber auch unmöglich, dieser Besprechung eine ausführliche kritische Begründung des erkenntniss-theoretischen Standpunktes vorauszuschicken , auf welchen mich zu stellen ich bei dieser Besprechung für richtig erachte. Umgehen kann ich es aber nicht, wenigstens zu skizzieren, auf welchem Boden ich mich zu bewegen gedenke ; obgleich ich nicht versuchen kann, die Be- rechtigung hiezu ausreichend zu erweisen. Am Beginn jeder wissenschaftlichen Wahrnehmung, jeder Er- kenntniss, finden wir den Gegensatz zwischen dem Ich, dem Subjekt, welches wahrnimmt und erkennt, und dem Objekt, das von dem Ich erkannt wird. Diesen Gegensatz erfahrungsgemäss zu über- winden, oder auf etwas Gemeinsames, Höheres oder Allgemeineres zurückführen und damit begreifen zu wollen, ist unmöglich. Gehen wir von dem Ich und seinen Bewusstseinselementen, als dem uns allein direkt Gegebenen aus, so gelingt es auf keine Art, nach- zuweisen, dass eine Objektenwelt gesondert von diesem Ich wirklich besteht, und dass nicht alles, was das einzelne naive Ich als Objekte wahrnimmt, nur und ausschliesslich sein Bewusstseinselement ist. Wie gesagt, scheint eine Widerlegung dieses zwar eigentlich nie praktisch gewordenen Standpunktes, des sog. theoretischen Egoismus oder Solipsismus, unmöglich. Wenn er praktisch stets verworfen wurde, so geschah dies nur wegen der geradezu ungeheuerlichen und höchst beunruhigenden Konsequenzen, zu denen er nothwendig führt. Der umgekehrte Standpunkt, die Objektenwelt als das anzu- sehen, von dem ausgehend das Ich zu begreifen sei, scheitert ebenso an der Unmöglichkeit, das Subjekt und seine Bewusstseins- elemente auf diesem Wege zu begreifen. Unter diesen Umständen gewährt es die meiste Befriedigung, die von dem naiven Menschen- verstand stets gemachte, obgleich, wie die genauere Untersuchung ergibt, hypothetische Annahme: dass der Gegensatz zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Empfindendem und Empfundenem, wirklich besteht, zum Ausgangspunkt der weiteren Betrachtung zu machen. Hiernach stehen sich also Ich und Objekt gegen- über , doch nicht ohne Zusammenhang ; denn die Objektenwelt bedingt Vorgänge in dem Ich (Empfindungen und Empfindungs- komplexe), welche eben die Wahrnehmungen sind, die das Ich von der Objektenwelt hat. Da nun nur das eigene Ich Bewusstsein und Bewusstseinselemente direkt erlebt, so vermag es auch nur, auf einen mehr oder weniger gesicherten Analogieschluss gestützt, anzunehmen, dass auch gewisse Bestandtheile der Objektenwelt analoge bewusste und empfindende Ich sind. Auf dem Boden der hypothetischen Annahme des Gegensatzes zwischen dem empfindenden Ich und der empfundenen Objekten- welt wird das Ich, ausgerüstet mit den verschiedenen Bedingungs- beziehungen seiner Sinnesorgane zu der Objektenwelt, auch dazu gelangen müssen, zu erfahren, dass zwischen den Objekten Ab- hängigkeiten bestehen, dass diese' sich bedingen; es wird empirisch zu der Erkenntniss einer kausalen Abhängigkeit gelangen, die wir daher nicht für aprioristisch gegeben erachten. Ferner wird das Ich dazu gelangen, die Objektenwelt in eine Aussenwelt und seinen Körper oder das Ich-Objekt zu scheiden ; auf einem Wege, dessen Möglichkeit schon häufig zu zeigen versucht wurde. Mit dieser Scheidung vollzieht sich auch eine weitere wichtige Sonderung in dem Empfundenen, indem das Ich bemerkt, dass es nicht nur die Objekte der Aussenwelt und seinen Körper empfindet, sondern noch eine besondere Reihe von Empfindungen erlebt, deren Beziehungen zur Aussenwelt keine unmittelbaren, sondern entferntere sind. Da das Ich nun für die Aussenwelt überzeugt ist, dass es nicht nur empfindet, sondern Etwas empfindet, so konstruirt es auch für diese Reihe von Empfindungen das Empfundene, die Seele. — 4 — Mit Hilfe der durch die verschiedenen Sinnesorgane vermittelten gleichzeitigen, jedoch verschiedenen Empfindungen, die durch ein Objekt bedingt werden, wird das Ich ferner erfahren, dass Empfind- ungen durch ein Objekt dann bedingt werden , wenn dieses eine Veränderung erfährt. Das heisst also : gewisse von dem Objekt abhängige Empfindungen werden bedingt von Aenderungen anderer, von diesem Objekt abhängiger Empfindungen. Dass aber Ver- änderungen der von dem Objekt abhängenden Empfindungen von Veränderungen des Objektes begleitet sein müssen, ist für unseren Standpunkt selbstverständlich, da ja dem Ich die Objekte ver- schieden sind, die es verschieden empfindet. Auf diese Weise tritt allmählich hervor, dass von Zustandsänderungen der Objekte zu- nächst Zustandsänderungen in dem Ich-Objekt (dem Körper des Ichs) abhängen, und dass diesen gleichzeitig Bewusstseinselemente oder Empfindungen parallel gehen oder koordinirt sind, welche das Ich erlebt. Wir gelangen also schliesslich zur Ueberzeugung, dass den Zu- standsänderungen in der Objektenwelt Empfindungen des Ich parallel gehen. Da nun das Ich von dem Objekt nur durch solche parallel gehende Empfindungen etwas erfährt, ein Objekt eben als nichts weiter erkannt werden kann als ein Komplex von Empfindungen, so erscheinen alle Spekulationen darüber, was das Objekt unab- hängig von diesem Empfindungskomplex sein könnte, nichtig. Das Objekt oder Ding an sich wäre eigenschaftslos, das reine Objekt als Abstraktum im Gegensatz zum Subjekt gedacht, ein Nichts. Nun finden wir jedoch die Körper, mit denen ein Ich, ein bewusstes Empfinden verbunden ist, zeitlich beschränkt ; sie ent- stehen und vergehen. Unmöglich aber scheint es uns zu begreifen, wie ein solcher Parallelverlauf zwischen Zustandsänderungen der Objektenwelt und dem entstehenden und wieder vergehenden Körper und seinem Ich entsteht und wieder vergeht. Den Zu- sammenhang zweier derartig gegensätzlicher und doch koordinirter Verläufe können wir nicht weiter begreifen, sondern nur als solchen, als eine Unbegreiflichkeit hinnehmen. Zu denken nun, dass der Eintritt dieser Unbegreiflichkeit sich bei dem Entstehen jedes Ichs 5 wiederhole und ebenso wieder aufhöre, wäre eine Häufung solcher Unbegreiflichkeiten, welche wir nur durch die Erweiterungshypothese zu umgehen vermögen, dass wir diese Unbegreiflichkeit nur einmal, an den Beginn unseres Denkens setzen ; indem wir annehmen, dass alle Zustandsänderungen, wie wir sie in der Objektenwelt erfahren, stets von parallel gehenden psychischen Vorgängen, Empfindungen mit Gefühlsbetonung, begleitet sind ; dass daher dieser Parallelismus, welchen wir zwischen den Empfindungen des Ichs und den Zustands- änderungen des Ich-Objekts, des Körpers, erfahren, etwas Allge- meines sei und nicht etwas, was mit dem Ich-Objekt entsteht und vergeht 2). Wenn wir diesen Standpunkt einnehmen, so nähern wir uns in mancher Hinsicht den Anschauungen Mach 's, der als die Elemente der Welt Empfindungskomplexe ansieht, die mit dem Ich bald in Beziehung (ins Bewusstsein) treten, bald nicht. Denn da wir Zustandsänderungen der Objekte wahrnehmen oder empfinden, und nach unserer Annahme diesen stets Empfindungen koordinirt sind, so Hesse sich ja auch ebensowohl sagen, dass wir diese Empfindungen der Objekte wahrnehmen. Immerhin unterscheidet sich unsere Auffassung doch wesentlich von der Mach 's darin, dass dieser die Objekte selbst für Empfindungskomplexe erklärt, demnach als dauernd empfindend. Unsere Auffassung dagegen würde dazu führen, zu sagen : Objekt ist nicht ein Empfindungs- komplex, sondern etwas, was empfinden kann, aber nicht stets empfindet. Damit wäre jedoch eigentlich auch der scharfe Gegen- satz zwischen Subjekt und Objekt aufgehoben, insofern, als beide etwas sind, was empfinden kanna). Der Gegensatz bleibt aber doch bestehen, indem das Ich be- wusst, das Objekt dagegen unbewusst empfindet. Ob mit diesen Worten zwar der Gegensatz richtig bezeichnet ist, scheint zweifel- haft. Empfindung als primäres Bewusstseinselement erscheint uns, wie gesagt, am rationellsten als eine den Zustandsänderungen in der Objektenwelt koordinirte Erscheinung. Bewusste Empfindung dagegen ist nach aller Erfahrung etwas, was von dem Vorhan- densein eines besonderen körperlichen Systems des Ich-Objekts — 6 — bedingt ist, dem Nervensystem. Wir vermögen auch eine besondere Leistung des Ichs zu nennen, welche an dieses System gebunden ist, und ohne welche Bewusstsein nicht denkbar erscheint, das Gedächtniss. So sind wir denn der Meinung, dass zwar Empfindungen die Vorgänge der ganzen Welt begleiten, dass dagegen das Bewusst- sein oder die bewusste Empfindung geworden sei durch die Kon- struktion des Nervensystems und damit des Gedächtnisses, welches die Grundlage und der Eckpfeiler des bewussten Objekts oder des Ichs ist4). Nachdem wir so über die philosophisch-erkenntniss-theoretische Stellung, von der aus wir unser Thema zu betrachten gedenken, Rechenschaft gaben, ist noch eine zweite Vorfrage kurz zu er- ledigen, nämlich die Frage nach dem Verhältniss der sogenannten exakten Naturwissenschaften zu den beschreibenden. Die ersteren suchen die kausalen Abhängigkeiten der Stoffe und der Erscheinungen an den Stoffen festzustellen. Sie unter- suchen dabei nicht die gegebenen Naturobjekte in ihrer natürlichen Umgebung, sondern bringen die Dinge oder Stoffe unter bekannte, genau kontrollirbare Bedingungen, in eine genau bekannte Um- gebung. Indem sie so von festdefinirten und möglichst vereinfachten Bedingungen ausgehen, vermögen sie scharf bestimmte, exakte Ab- hängigkeiten festzustellen, welche jedoch nur so lange gelten, als die künstlich hergestellten und genau bestimmten Ausgangsbeding- ungen bestehen. Da aber in der gegebenen Natur einfache und genau feststellbare Bedingungen nicht angetroffen werden, so führen auch die von den exakten Naturwissenschaften ermittelten gesetz- mässigen Abhängigkeiten nur zu mehr oder weniger weitgehenden Annäherungen an das natürliche Geschehen. Der Versuch, die Ergebnisse der exakten Naturwissenschaften für die Erklärung der Bildung und Entstehung natürlicher Objekte in der Astrophysik, Geologie und Meteorologie zu verwenden, führt fast nie zu scharf bestimmten, eindeutigen Ergebnissen, sondern in der Regel nur zur Ueberzeugung, dass unter gewissen physiko- chemischen Be- dingungen das Entstehen dieser Bildungen begreiflich, nicht aber zur exakten Feststellung, dass der Vorgang dabei genau dieser oder jener gewesen sei 5). Die Objekte der sogenannten beschreibenden Naturwissen- schaften sind nun stets natürlich gegebene, von zweifellos hoch- gradiger innerer Bedingungskomplikation. Erklärungsversuche der- selben werden sich daher schwerlich höher zu erheben vermögen, als jene der anorganischen Naturdinge, d. h. zu der Ueberzeugung ihrer Begreiflichkeit oder der Möglichkeit ihres Entstehens, auf Grund gewisser Komplexe bedingender und wirksamer Ursachen. Dies gilt für die lebenden Naturdinge noch in viel höherem Grade als für die nichtlebenden, da der Bedingungskomplex der Organismen wesentlich ein innerer ist, der sich experimentell wenig, und wegen seiner Komplizirtheit, hinsichtlich des „Wie", kaum scharf be- stimmbar abändern lässt. Am Beginn unserer Erörterungen steht natürlich die Frage : was unter Mechanismus und V i t a 1 i s m u s zu verstehen ist ; worin der Gegensatz zwischen diesen beiden Beurtheilungsweisen der Organismen besteht. Der Begriff des Mechanismus hängt nur in entfernterem Sinne mit Mechanik, der Lehre von den Bewegungs- und Gleichgewichtserscheinungen körperlicher Gebilde zusammen. Nicht um das Begreifen der Lebenserscheinungen auf mechanische Weise handelt es sich für den Mechanismus, sondern um die Be- greiflichkeit oder Erklärbarkeit des Organismus auf Grund der gesetzmässigen Geschehensweisen, welche wir auf anorganischem Gebiet erfahren. Rein mechanische Auffassung ist ja selbst in der anorganischen Welt undurchführbar. Selbst wenn sie hier als eine zukünftig mögliche erschiene, was ja von erfahrener Seite geleugnet wird, so berührt dies die mechanistische Auffassung der Lebens- erscheinungen erst in zweiter Linie. Für sie genügt die Rück- führung auf die Geschehensweisen der anorganischen Natur ; wo- gegen sie es den physiko-chemischen Wissenschaften überlassen kann, — 8 — sich darüber zu entscheiden, in wie weit und in wie fern an die Ableitung dieser gesetzmässigen Geschehensweisen -von mechanischen Grundvorstellungen gedacht werden kann. Eine Laplace'sche Weltformel gehört ins Gebiet der Mythe und kann auch überhaupt nichts anderes ausdrücken wollen, als die Möglichkeit der Erklärung und Begreiflichkeit aller physischen Vorgänge auf Grund kausaler Abhängigkeitsverhältnisse von einem gegebenen Anfangszustand aus. Dagegen muss sich die mechanistische Beurtheilungswei.se ver- wahren gegen die Verwechslung mit einer materialistischen, insofern letztere die Ansicht vertritt, auch die psychischen Erscheinungen als kausale Folgen physischer Vorgänge begreifen oder erklären zu können. Die mechanistische Auffassung ist nicht der Meinung, dass Psychisches aus Physischem begriffen werden könne; ihr er- scheinen diese beiden Gebiete gesondert, obgleich nicht ohne Zusammenhang. Jedem physischen Zustand entspricht ein psy- chischer, es besteht ein Koordinationsverhältniss beider, dagegen keine Kausalbeziehung des Psychischen zu einem zeitlich vorher- gehenden Physischen im Sinne von Wirkung und Ursache '"'). Der Mechanismus erachtet es also für möglich, wenn auch zur Zeit nur in beschränktestem Maasse durchführbar, die Lebensformen und Lebenserscheinungen auf Grund komplizirter physiko-chemischer Bedingungen zu begreifen. Im Gegensatz hierzu leugnet der Vita- lismus diese Möglichkeit. Er ist überzeugt, dass das physiko- chemische Geschehen der anorganischen Natur für die Be- greiflichkeit der Organismen nicht ausreiche; dass vielmehr ein ganz besonderes Geschehen, wie wir es in der anorganischen Natur nicht erfahren, in der Organismenwelt bestehen müsse. In früheren Zeiten dachte man sich dies besondere Geschehen im Organismus unter dem Bilde einer psychischen Kraft, einer Art das Physische gestaltenden und funktionirenlassenden Anima, von der schliesslich die spätere Lebenskraft nicht wesentlich verschieden war, obgleich sie gewöhnlich unter dem Bilde einer einfachen Ursache gedacht wurde, ähnlich den als einfache Ursachen gesetzlichen Geschehens auf anorganischem Gebiet angenommenen Kräften. Denn wenn die, als einfache Ursache zwar gedachte Lebenskraft so Komplizirtes - 9 und Zweckmässiges hervorbringen, dirigiren und leiten sollte, so konnte sie nur unter dem Bilde eines zwar unbewussten, aber nichts destoweniger nach Art eines intelligenten Bewusstseins wirken- den Prinzips vorgestellt werden. Anderenfalls wäre sie ganz nichts- bedeutend gewesen, d. h. hätte eben nicht mehr besagt, als dass die Lebensformen und -Erscheinungen eine besondere, ihnen eigen- thümliche Ursache haben müssten. Im Grunde genommen, erwies sich diese Lebenskraft eben nur als eine Umschreibungshypothese, welche das zu erklärende komplizirte Sein und Geschehen als be- sondere Wirkungsweise auf eine hypothetische Kraft oder Ursache übertrug, und welche desshalb ebenso wenig zum Begreifen des Lebens und seiner Erscheinungen führen konnte, als entsprechende Umschreibungshypothesen auf anorganischem Gebiet7). In beiden Fällen verleiten solche Hypothesen leicht, zu übersehen, dass jedes Geschehen die Folge des Zusammentreffens mehrerer oder zahl- reicher Bedingungen ist, dass daher von einer einfachen Ursache zu reden, wirklichem Geschehen nie entspricht. Ganz dieselben Betrachtungen gelten für die Annahme mehrerer verschiedener hypothetischer Unterkräfte, wie sie der ältere Vitalis- mus ebenfalls machte, so der Sensibilität, Irritabilität, Motilität, welche auch nur Umschreibungshypothesen einzelner allgemeiner Lebenserscheinungen sind 8). Eine wesentliche Wandlung hat der Vitalismus erfahren seit das Prinzip der Erhaltung der Kraft oder der Energie zur Aner- kennung gelangte ; was ja ursprünglich gerade mit Rücksicht auf die Vorgänge im Organismus geschah. Auch der Vitalist kann sich heute nicht der Einsicht verschliessen, dass die energetischen Leistungen des Organismus in letzter Instanz und allein, auch quantitativ, von den energetischen Leistungen der nichtlebenden Welt abhängen. Dieser Anerkenntniss hat sich denn auch der sogenannte Neo-Vitalismus nicht entzogen ; daher bleibt ihm nur die Eventualität offen, anzunehmen oder zu erweisen, dass im Organismus ein besonderes eigengeartetes gesetzliches Geschehen eintrete, welches zwar energetisch derselben Abhängigkeit unter- worfen sei, wie das der anorganischen Welt, dagegen in letzterer — 10 sich in solcher Weise nicht finde. In letzter Instanz müsste der Neo- Vitalismus auch anerkennen, dass dies eigenartige Geschehen bedingt werde durch besondere physiko-chemische Kombinationen, wie sie den Organismen eigenthümlich sind. Dass dies vitale Ge- schehen eine besondere Energieform sei, eine vitale Energie, wird wenigstens von mancher Seite geleugnet ; doch vermag ich nicht wohl einzusehen, in welch' anderer Weise man sich davon eine Vorstellung machen soll 9). Im Allgemeinen ist auch der Neo-Vitalismus geneigt, zuzu- geben, dass eine kausal-mechanistische Beurtheilung der Organismen berechtigt ist ; jedoch nur insofern, als die kausale Betrachtung eine dem menschlichen Intellekt a priori eigenthümliche Anschauungs- form sei, welcher eine zweite, ebenso berechtigte und gleichfalls aprioristische Anschauungsform gegenüberstehe, die teleologische. Oder er argumentirt auch so : die Kausalität ist zwar allgemein- giltig, jedoch nicht alleingiltig; im Organismus besteht noch eine andere Abhängigkeitsform, eine teleologische Kausalität, welche der nichtlebenden Welt fehlt. Indem der Neo-Vitalismus die kausal-mechanistische Betrachtung des Lebens als eine berechtigte, ja in ihrer Durchführung not- wendige Forderung anerkennt, so können wir auch nicht die kausale Betrachtung als solche, als den Charakter des Mechanismus im Gegensatz zu dem Vitalismus ansehen, wie es gelegentlich geschah. Vielmehr wäre als der wesentliche Unterschied festzuhalten, dass die Geschehensweisen der nichtlebenden Natur für das Begreifen des Lebens nicht ausreichen ; sowie die, wenigstens von einem Theil der Neo-Vitalisten betonte Ueberzeugung, dass volles Begreifen des Lebens in kausal-mechanistischer Denkweise überhaupt unmöglich sei und seine Ergänzung durch die teleologische Betrachtung, die Berücksichtigung der Endursachen, der Causae finales, finden müsse. Da der Mechanismus die Möglichkeit festhält, dass das kausale Geschehen der anorganischen Welt für die Begreifbarkeit der — 11 — Organismen ausreiche, so scheint es nöthig, näher zu erörtern, was man unter kausaler Abhängigkeit versteht. Wenn wir in der anorganischen Welt ein Ding A sich ver- ändern sehen, z. B. aus dem Ruhezustand in Bewegung kommen, so finden wir, dass eine Anzahl Bedingungen bestehen müssen, wonach diese Veränderung folgt. Das Ding A muss an einem be- stimmten Ort und seine Umgebung derart sein, dass es in Be- wegung gerathen kann ; das stossende Ding B muss in einer bestimmt gerichteten Bewegung sein, damit A getroffen wird. Es müssen also eine ganze Anzahl Bedingungen zusammentreffen, damit A sich verändert. Diese Bedingungen sind alle gleichwerthig; mangelt eine, so verändert sich A nicht. Zunächst scheinen daher alle diese Bedingungen von derselben Bedeutung und keine das Anrecht zu besitzen, vor den anderen etwa als Ursache besonders betont zu werden. Dennoch zeichnet sich eine dieser Bedingungen vor den anderen aus, indem sie selbst eine Veränderung, eine Be- wegung ist, nämlich die des stossenden Dings B, während die übrigen Bedingungen nicht in Veränderung sind. Gleichzeitig ergibt sich, unter der Voraussetzung vollkommener Elastizität der beiden Dinge, dass das Maass der Veränderung, welche A erfährt, gleich dem Maass der Veränderung ist, welche B verliert; dass also die Quantität der Veränderung A's direkt diejenige ist, welche B ver- liert. B als Ding verändert sich dabei nicht, ebenso wenig A ; dagegen der Zustand beider Dinge. B geht aus dem Bewegungs- zustand in den der Ruhe über, umgekehrt A. Demgemäss zeichnet sich das Ding B vor den übrigen Bedingungen dadurch aus, dass es in einem Veränderungszustand befindlich ist (dass es freie Energie hat, wie man auch sagt), welcher seinerseits den Veränderungs- zustand von A bedingt. Man hat nun häufig diesen bedingenden Veränderungszustand von B als die wirkende Ursache bezeichnet, im Gegensatz zu den übrigen Bedingungen, welche keine solche Ver- änderung zeigen, und man kann diese letzteren auch die bedingenden Ursachen oder kürzer, die Bedingungen des kausalen Vorgangs nennen. In dem besprochenen Fall finden wir, dass die wirkende Ur- sache von B ihrer Quantität nach in dem bewirkten Zustand von — 12 — A sich wiederfindet. Es gibt jedoch eine zweite Form kausaler Abhängigkeit, bei welcher kein solches Verhältniss zwischen wirken- der Ursache und Wirkung besteht ; eine kausale Abhängigkeit, die man in der Regel als Auslösung bezeichnet und welche gerade in der Organismenwelt allgemein vorkommt. Um diese kausale Abhängigkeit mit der ersterwähnten zu vergleichen, stellen wir uns Folgendes vor. Ein Gewicht werde gehoben und dadurch in einen veränderten Zustand versetzt, der als wirkende Ursache unter ge- eigneten Bedingungen seine Bewegung oder den Fall zur Unterlage bedingt. Das Gewicht werde auf das eine Ende eines Waage- balkens gesetzt und bedinge durch seinen Veränderungszustand das Herabsinken desselben. Nun werde aber gleichzeitig auf jedes Ende des Waagebalkens ein gleiches solches Gewicht gesetzt, dann bedingen die Zustände beider Gewichte keine Bewegung des Balkens, sondern die Veränderungszustände beider Gewichte paralysiren sich, halten sich gegenseitig das Gleichgewicht. Eine der Quantität nach äusserst geringfügige wirkende Ursache, welche das eine Gewicht von dem einen Waagebalken herabwirft, bedingt nun, dass das andere Ende des Balkens mit dem darauf befindlichen Gewicht sinkt und dabei eine Quantität Veränderung bewirkt, welche die- jenige vielmals übertreffen kann, welche das erste Gewicht ent- fernte. In der Regel bezeichnet man nun die das eine Gewicht entfernende wirkende Ursache als die Auslösungsursache, deren Wirkung die damit in auffallendem quantitativem Missverhältniss stehende Senkung des entgegenstehenden Waagebalkens sei. Bei näherer Überlegung des geschilderten Falles ergibt sich jedoch leicht, dass es sich dabei nicht um eine einfache Kausalabhängigkeit handelt, wie in dem erstdargelegten Fall, sondern um eine wieder- holte, oder eine sogenannte Kausalkette. Zunächst haben wir die wirkenden Ursachen, welche in der Hebung der beiden Gewichte gegeben waren und deren Wirkung ein veränderter Zustand der beiden Gewichte ist , der nun seinerseits wieder als wirkende Ursache eine Wirkung bedingen kann. Diese Wirkung erfolgte jedoch nicht , da unter den gegebenen Bedingungen die beiden Gewichte sich gegenseitig hemmen. Wird nun durch eine sogenannte 13 Auslösungsursache die hemmende Bedingung beseitigt, so folgt unter den geänderten Bedingungen die Senkung des verbliebenen Ge- wichts, d. h. die, wegen der vorhandenen Hemmung nicht realisirte Wirkung der früheren wirkenden Ursache, der ehemaligen Hebung des Gewichts, tritt nun, nach Beseitigung der Hemmung durch die Auslösungsursache, verspätet auf. Die erwähnte Kausalkette wäre demnach: 1. Hebung der Gewichte (Gleichgewichtszustand, Hemmung oder Nichteintritt der Wirkung) ; 2. Entfernung des einen Gewichts (neuer Bedingungs- zustand); 3. die Wirkung der Hebung des verbliebenen Gewichts tritt nun als Senkung hervor. Eine solche, durch die gegebenen Bedingungen in ihrer Wirkung gehemmte, d. h. durch einen ein- getretenen Gleichgewichtszustand nicht zur Wirkung gelangte, wirk- ende Ursache wird bekanntlich auch als potentielle Energie bezeichnet. Betrachten wir noch einen zwreiten Fall. Nehmen wir einen Glasfaden, den wir ringförmig zusammenbiegen, so ist die Folge dieser Biegung eine Zustandsänderung des Fadens, die unter geeig- neten Bedingungen die Rückbewegung des Fadens in die ursprüng- liche Form, und den ursprünglichen Zustand bewirkt. Wenn ich nun die beiden sich berührenden Enden des ringförmig gebogenen Fadens zusammenschmelze, so kehrt der Faden nicht mehr zur ursprünglichen Form zurück, er verharrt in der Ringform. Durch die Herstellung der Kontinuität der beiden vereinigten Enden wurde eine Hemmung herbeigeführt, die einen Gleichgewichtszustand be- dingt, aber einen Gleichgewichtszustand, der sich von dem ursprüng- lichen Zustand durch erhöhten Gehalt an potentieller Energie unterscheidet. Durch eine Auslösungsursache, welche die Kon- tinuität der verlötheten Fadenenden aufhebt, werden die Beding- ungen so verändert, dass nun die Wirkung der früheren Biegungs- ursache eintritt. Die Kausalkette ist hier wieder: 1. Wirksame Ursache der Fadenbiegung - - Eintritt der Hemmung (Gleichgewichts- zustand). 2. Aufhebung der Hemmung (Auslösungsursache). 3. Die Wirkung der ehemaligen Biegung tritt nun als Streckung hervor. Als Ergebniss unserer Betrachtung dürfen wir also hervor- heben : dass das kausale Abhängigkeitsverhältniss, wie es bei der 14 sog. Auslösung vorliegt, als eine Kausalkette sich darstellt, bei welcher die Wirkung einer früheren wirkenden Ursache, welche wegen besonderer Bedingungen nicht erscheinen konnte, infolge der Aenderung dieser Bedingungen durch eine Auslösungsursache, nun in Erscheinung tritt oder ausgelöst wirdlu). Mechanismus und Vitalismus bemühen sich, die Lebewesen zu begreifen oder zu erklären, Bezeichnungen, welche ich ihrem Wesen nach für identische halte. Beide Richtungen differiren nur hin- sichtlich der Grundlage, auf der ihnen ein solches Begreifen oder Erklären möglich erscheint. Gerade bei manchen Neo -Vitalisten ist jedoch die Meinung verbreitet, dass man, nach Kirch ho ff 's Vorgang, von „Erklären" der Naturerscheinungen gar nicht reden, sondern sich auf das von ihm geforderte „einfachste und vollstän- dige Beschreiben" beschränken solle. Einige Kritiker haben schon richtig erkannt, dass Kirchhoff zu seiner Forderung gelangte, auf Grund einer von der üblichen abweichenden Definition des Begriffes „Beschreiben". Es kann doch wohl nicht zweifelhaft sein, dass Beschreiben im gewöhnlichen Sinne bedeutet : einmal das Aufzählen der im Räume gleichzeitig nebeneinander bestehenden Mannig- faltigkeiten und zweitens der in der Zeit aufeinanderfolgenden succe- direnden Mannigfaltigkeiten. Dass dieses die ursprüngliche und eigentliche Bedeutung des Beschreibens ist, erweist ja gerade die Benennung der „beschreibenden Naturwissenschaften", im Gegen- satz zu den sogenannten exakten. Nebeneinandersein im Raum oder Folge in der Zeit ist jedoch kein Beweis kausaler Abhängigkeit, des gesetzmässig be- dingten Nebeneinanderseins oder Aufeinanderfolgens. Einer solchen Aufzählung des Nebeneinander oder Nacheinander nicht genauer analysirter Komplexe, selbst wenn sie sich noch so oft und so regel- mässig wiederholen, fehlt daher diejenige Einsicht der nothwendigen Bedingtheit, welche wir mit der kausalen Succession verbinden. Eine Aufzählung von Aufeinanderfolgen, die sich kausal bedingen, 15 von welchen jede spätere kausal-nothwendig auf die vorhergehende folgt, ist natürlich auch eine aufzählende Beschreibung, aber eine solche, in der jedes folgende Glied logisch und empirisch durch die vorhergehenden nothwendig bedingt erscheint ; nothwendig in dem Sinne, dass jede andere Folge logisch wie erfahrungsgemäss ein Wider- spruch sein würde. Eine derartige kausal-noth wendige Beschreibung ist jedoch das, was man eine Erklärung genannt hat. Nur dann aber wird eine solche kausale Beschreibung eine wirkliche Nöthig- ung in sich schliessen, wenn das Ausgangsglied nicht mit Bedingungen oder Eigenschaften ausgestattet wurde, aus denen zwar die folgen- den Glieder logisch nothwendig folgen, welche Eigenschaften aber dem Ausgangsglied nicht erfahrungsgemäss und nothwendig zu- kommen, sondern ihm willkürlich beigelegt sind. Denn wie ich und Andere schon bemerkten, ist das Kennzeichen einer befriedigen- den Erklärung die Rückführung oder Unterordnung einer unbe- griffenen Erscheinung unter eine allgemeinere , erfahrungsmässig bekannte Erscheinung. Beispielsweise mag darauf hingewiesen werden, dass Kepler eine genaue Beschreibung der Planetenbewegung gegeben hat, da- gegen keine, von gewissen erfahrungsgemässen Voraussetzungen in kausaler Folge succedirende Beschreibung oder Erklärung. Diese entwickelte später Newton, ausgehend von der Voraussetzung der Gültigkeit des Gravitationsgesetzes durch den Himmelsraum und der Translationsbewegung. Natürlich ist solch' eine widerspruchs- lose kausale Beschreibung auch die einfachste, vollständigste oder ökonomischste, wie man ihren Charakter in neuerer Zeit nicht unbezeichnend auch nannte.11) Es wird unsere Aufgabe sein, die Einwände zu erörtern, welche der sogenannte Neo- Vitalismus gegen die Möglichkeit eines physiko- chemischen Begreifens oder Erklärens der Lebenserscheinungen erhob. Dabei mag unbeachtet bleiben, in wie fern diese Ein- wände von allen Vertretern gleichmässig anerkannt, oder stets festgehalten wurden. Es handelt sich hier um die Einwände an sich. 16 — Am häufigsten und allgemeinsten wird der mechanistischen Richtung vorgeworfen, dass sie bis jetzt keine, oder doch nur sehr wenige der Lebenserscheinungen wirklich auf ihre Weise erklärt habe; dass im Gegentheil die meisten physiko- chemischen Er- klärungsversuche gewisser Theilerscheinungen der Lebensvorgänge sich nachträglich als unzutreffend erwiesen. So hart dies Urtheil klingt, so ist es doch nicht ganz unrichtig. Gleichwohl scheint es mir sehr ungerecht, wenn wir bedenken, wie sich unsere Kenntnisse von den physiko-chemischen Vorgängen in den Lebewesen zu dem verhalten, was man etwa vor 100 Jahren davon w7usste. Denn diese Vertiefung unseres Wissens ist erzielt worden auf dem Boden der Voraussetzung, dass, wenn auch nicht der Organismus in seiner Gesammtheit physiko-chemisch begreiflich sei, doch die in ihm sich abspielenden Vorgänge physiko-chemisch begreiflich sein müssten. Zurückweisen muss ich aber die zuweilen von neo-vitalistischer Seite aufgestellte Behauptung, dass alle jene Theilerscheinungen der Lebensvorgänge, welche sich physiko-chemisch begreifen Hessen, aus der Reihe der eigentlichen Lebenserscheinungen zu eliminiren wären ; dass sie ebensowenig wirkliche Lebenserscheinungen seien, als die vom Wind bewirkten Bewegungen der Blätter zum Leben des Baumes gehörten (Bunge). Wer sich auf diesen Standpunkt stellt, für den gibt es natürlich keine mechanistische Erklärung der eigentlichen Lebensvorgänge. Aber dieser Standpunkt basirt auf einer Petitio principii, nämlich der: es sei eben der Charakter der wahren Lebenserscheinungen, dass sie physiko-chemisch nicht erklärbar sind. Dagegen lautet das zu lösende Problem doch: sind die Lebenserscheinungen physiko-chemisch erklärbar oder nicht?1-) Ihren eigenthümlichsten Ausdruck scheint mir diese Denkart bei einem der modernen Neo-Vitalisten (Cossmann) er- langt zu haben, wTelcher meint, dass ein künstlich erzeugter Körper, aus denselben Stoffen wie eine Pflanze und von denselben Struk- turen, eben doch kein Organismus sei*). Ein Körper aber, der *) Cossmann 1S99, p. 41. 17 stofflich und strukturell ebenso gebildet ist wie eine bestimmte Pflanze, kann sich unter geeigneten äusseren Bedingungen nicht anders verhalten als jene Pflanze, d. h. er wird leben wie sie. Es wäre eine Willkür, dieses Kunstprodukt wegen seiner abweichenden Entstehung von dem Begriff des Organismus auszuschliessen. Mit demselben Recht könnte man den im Laboratorium dargestellten Sauerstoff als begrifflich von dem der Luft verschieden erachten wollen. Niemand wird bestreiten, dass auch dem einfachsten Organismus ein äusserst verwickelter Bedingungskomplex zu Grunde liegen muss, und dass desshalb der physiko-chemischen Erklärung der Lebens- vorgänge - - ihre Möglichkeit zugegeben - einstweilen nur Weniges, einzelne Theilerscheinungen zugänglich sein können ; und auch das nur im Sinne der allgemeinen Wahrscheinlichkeit ihrer Ab- leitung aus gewissen physiko-chemischen Bedingungen. Beachten wir ferner die bekannte Thatsache, dass für Physik und Chemie gerade diejenigen Stoffe, welche die Lebensformen aufbauen, noch ungelöste Räthsel sind; dass wir chemisch von dem Protoplasma nur die Zerfallsprodukte kennen und auch diese nur wenig genau, so ist nicht sehr erstaunlich, dass physiko-chemisch einstweilen nur wenig erklärbar sein kann. Ich halte es sogar für wahrscheinlich, dass selbst die experimentelle Erforschung der Lebensvorgänge einfachster Organismen nicht sehr erheblich zur Lösung dieser Probleme beizutragen vermag. Wenn man die wahrscheinliche Komplikation der Bedingungen, auch der einfachsten Lebensvorgänge, berücksichtigt, und ferner, dass es sich in der Hauptsache um innere Bedingungen handelt, deren Modificirung in sicher feststell- barer, eindeutiger Weise kaum möglich erscheint, so wird man sich schwerlich der Ueberzeugung verschliessen können, dass die Er- mittelung der ursächlichen Abhängigkeiten der fundamentalen ein- fachsten Lebenserscheinungen, wie Assimilation und Dissimilation, Wachsthum, Selbstbewegung und Selbsttheilung, auf dem experi- mentellen Wege , der bei den exakten Naturwissenschaften so Glänzendes ergeben hat, kaum zu erreichen sein dürfte. Mir scheint sogar ein anderer Weg gangbarer, nämlich der- jenige, den ich in einigen meiner Arbeiten einzuschlagen versuchte. Bütschli, Mechanismus und Vitalismus. 2 — 18 — Das heisst, die physiko- chemische Natur derjenigen Stoffe, von denen wir wissen oder annehmen dürfen, dass sie die stoffliche Grundlage der einfachsten Lebewesen bilden, möglichst genau zu erforschen, und dabei auch die in vieler Hinsicht recht wenig be- kannten feineren Struktur- und Formerscheinungen auf rein an- organischem Gebiet sorgfältig zu berücksichtigen. In zweiter Linie aber Vorgänge aufzusuchen, welche sich unter bekannten Beding- ungen an unbelebtem, seiner Natur nach bekanntem Material ab- spielen, und die mit jenen an den einfachsten Organismen beobach- teten mehr oder weniger übereinstimmen. Natürlich folgt aus der allgemeinen Aehnlichkeit solcher Vorgänge und Formbildungen an nichtlebendem Material mit solchen am lebenden Organismus nicht direkt reale Identität der ursächlichen Bedingungen in den verglichenen Fällen. Eine solche Uebereinstimmung kann unter den gegebenen LTmständen nur auf dem Wege der Ausschliessung ergründet werden ; indem nämlich einmal gezeigt wird, dass thatsächlich bei der zu er- klärenden Lebenserscheinung dieselben allgemeinen Bedingungen bestehen oder doch bestehen können, wie bei der damit ver- glichenen, unter bekannten Bedingungen verlaufenden ; und ferner durch den Nachweis, dass unter anderen möglichen und wahr- scheinlichen Bedingungen die Erscheinung im Organismus nicht eintreten kann. Es ist begreiflich, dass es meist sehr schwierig sein wird, diese Nachweise mit aller Schärfe zu erbringen. Selbst wenn sie erbracht sind, wird das Ergebniss nur sein, dass festgestellt ist, zu welcher Kategorie von Kräfte- oder Energie- äusserungen die betreffende Lebenserscheinung zu rechnen ist. Die speziellen Bedingungen in den Einzelfällen entziehen sich da- gegen der Feststellung; ebenso wie dies auch bei anorganischen gegebenen Naturobjekten und -Erscheinungen in der Regel der Fall ist13). Man erkennt, dass dieser Forschungsweg ein wesentlich deduk- tiver ist, wie er bei sehr verwickelten Naturerscheinungen meist allein gegeben scheint. Es ist nöthig, zunächst eine Ansicht über die physiko-chemischen Geschehensweisen zu gewinnen, unter die 19 — eine Lebenserscheinung möglicherweise untergeordnet werden könne; und dann sowohl durch Beobachtung als Experiment nachzuweisen, dass diese Voraussetzung weder mit den im Organismus thatsäch- lich gegebenen Bedingungen, noch den aus der Voraussetzung folgenden Konsequenzen in Widerspruch geräth. Eine besonders schwerwiegende Bedeutung schreibt die neo- vitalistische Betrachtung der Formbildung der Organismen zu ; nicht etwa nur der äusseren Form, sondern im weiteren Sinne dem äusseren und inneren organisatorischen Aufbau u). Selbst sehr überzeugte Anhänger der Ansicht, dass alles Geschehen im Orga- nismus physiko- chemisch verlaufe, waren dennoch ebenso über- zeugt, dass die gegebene Form, an und in welcher sich dieses Geschehen abspielt, nicht selbst physiko-chemisch begriffen werden könne. Die Unbegreiflichkeit der Form auf mechanistischer Grund- lage wurde denn auch von neueren Vitalisten vielfach hervor- gehoben, mit der weiteren Betonung, dass nur eine teleologische Beurtheilung zu dem Verständniss der Form führen könne. Nun ist nicht zu leugnen, dass die Formen, welche in der Organismenwelt eine so ausserordentlich komplizirte und das Ganze be- dingende Ausgestaltung erlangen, etwas Eigenartiges haben. Formen, in dem Sinne, wie es die organisirten Individuen sind, d. h. deren Beschaffenheit durch den inneren Bedingungskomplex bestimmt wird, finden sich in der unorganischen Natur in geringer Aus- bildung. Es lassen sich hierher nur rechnen die Gieichgewichts- figuren flüssiger Körper und die Krystalle. Derartige Formen sind Ruhezustände. Ruhe- oder Gleichgewichtszustände sind eigentlich kausal nur dadurch charakterisirt, dass keine wirkenden Ursachen ihrer Veränderung vorhanden sind und dass dieses Nichtbestehen von Veränderungsursachen von gewissen formalen Bedingungen abhängt. Bei den Flüssigkeiten davon, dass die Summe der beiden auf einander senkrechten Krümmungsradien jedes Punktes der Oberfläche überall dieselbe ist. Auch bei den Krystallen müssen es zweifellos derartige formale Gleichgewichtsbedingungen sein, welche wenigstens im Moment der Entstehung die Form bestimmen. Wird ein solcher Gleichgewichtszustand gestört, so bedingt dies 2* - 20 — das Auftreten von Kräften oder Energien, in diesem Fall der Ober- flächenenergie, welche, wenn die übrigen Bedingungen zureichen, den ursprünglichen Zustand wieder herstellen. Hieraus folgt, dass man bei derartigen Formzuständen nicht eigentlich von formbildenden Kräften oder Energien, sondern nur von formalbedingenden reden kann. Als eine zweite Art von Formzuständen auf anorganischem Gebiet erkennen wir diejenigen, welche nicht ruhende, sondern Be- wegungszustände sind, deren beharrende Form von einem gleich- massig beharrenden Bewegungszustand wechselnden Stoffes bedingt wird. Beispiele solch' „dynamischer Gleichgewichtszustände" sind der Wasserfall, der Fluss, der Springbrunnen, die Flamme ; lauter Formzustände, welche man denen der Organismen häufig verglich. Bei derartigen Zuständen handelt es sich um stetig wechselnden, in Bewegung begriffenen Stoff, welcher unter gleichmässig bleiben- den Bedingungen dauernde gleichmässige Bahnen durchläuft, und so eine dauernde dynamische Gleichgewichtsform besitzt. In diesen Fällen ist es also eine unter gleichbleibenden Bedingungen fortdauernde freie Energie , welche der Formerscheinung zu Grunde liegt. Man hat die Formzustände der Organismen wegen des Stoff- wechsels häufig mit dynamischen Gleichgewichtszuständen ver- glichen. Mir scheint dies nicht zutreffend, denn ein solch' rascher und andauernder Stoffwechsel, wie er derartige Zustände bedingt, liegt doch im Organismus sicherlich nicht vor. Dies trifft um so weniger zu, als wir den Stoffwechsel des Organismus unter gewissen Bedingungen häufig auf ein Minimum reduzirt finden, ja wohl auf Null, ohne dass dies seine Form alterirt. Unter solchen Umständen können wir die organisirte Form auch nicht den dynamischen Gleichgewichtszuständen unterordnen, sondern müssen sie im Prinzip den ruhenden zugesellen. Dies schliesst keineswegs den Wechsel des Stoffes aus. Ein Flüssigkeitstropfen kann eine Wandlung oder einen Stoffwechsel wohl erfahren, ohne seine Gleichgewichtsform zu ändern ; ja selbst ein Krystall ist in dieser Lage, wie jede Pseudo- morphose erweist. 21 - Mir erscheint es daher als das Richtigste, die organisirten Formen den ruhenden Gleichgewichtsformen der anorganischen Natur anzureihen; mit der Einschränkung, dass die aufbauenden Stoffe einem allmählichen Wechsel, d.h. unter geeigneten Bedingungen einer allmählichen Zersetzung und Neubildung fähig sind. Doch nicht in der Weise, dass etwa der gesammte Stoff fortdauernd in einem solchen Wechsel begriffen ist. Die komplizirte organisirte Form entsteht in einer Weise, die auf anorganischem Gebiet ohne Analogie ist, d. h. sie entwickelt sich. Sie durchläuft, von einer einfachsten Gleichgewichtsform aus- gehend, eine Reihe successiver, sich komplizirender Formzustände, welche jedoch bei fortdauernden hinreichenden Bedingungen labiler Natur sind, in andere übergehen, bis schliesslich eine unter normalen äusseren Bedingungen dauernde Gleichgewichtsform erreicht wird. Wie gesagt, vermögen wir bei der Entstehung anorganischer Formen nichts aufzufinden, was einer Entwickelung vergleichbar wäre. Ueberraschen kann dies eigentlich nicht ; denn auch bei den organisirten Formen hat sich die Entwickelung erst mit der höheren Komplikation allmählich eingestellt. Ich vermag wenigstens nicht einzusehen, dass man von der Entwickelung eines Micrococcus reden kann. Seine Vermehrung durch Theilung scheint mir nicht mehr von Entwickelung einzuschliessen, als etwa die unter geeigneten Bedingungen eintretende Selbsttheilung eines Flüssigkeitstropfens15). Betrachten wir die Formen einfachster Lebewesen, so muss ich gestehen, dass sie mir dem Verständniss weniger Schwierigkeit darzubieten scheinen als die unorganisirten Krystalle, für welche ja ein eigentliches Verständniss bis jetzt nur insofern erreicht ist, als gezeigt wurde, dass, unter gewissen Voraussetzungen über die Anordnung ihrer Theilchen, einzusehen ist, dass gerade die sich findenden Krystallsysteme möglich sind16). Die einfachsten leben- den Formen dagegen sind kugelige Gebilde. Auch isolirte Zellen, so zahlreiche Eizellen, wiederholen häufig genug diese einfachste Gleichgewichtsform flüssiger Körper. Eine solche Form bietet dem Verständniss weniger Schwierigkeit als die einfachste Krystallform, wenn wir voraussetzen, dass sie als Gleichgewichtsform eines flüssigen 22 — Zustands der lebenden Substanz entstanden sei. Die von der Kugelgestalt abweichenden einfachsten Formen, wie ellipsoidische, cylindrische etc., lassen sich begreifen unter der meist direkt nach- weisbaren Voraussetzung, dass eine äussere, festgewordene Membran, oder doch Schicht, vorhanden ist, deren auf ungleichmässiger Struktur oder sonstiger Beschaffenheit beruhenden besonderen Dehnungs- verhältnisse beim Wachsthum zu Gleichgewichtsformen führen, die von der Kugelgestalt -abweichen. Ich erachte es daher nicht für unmöglich, wenn auch nur in den allereinfachsten Fällen wirklich erreichbar, die organisirten Formen als Gleichgewichtsformen zu begreifen 17). Wenn man dem Mechanismus nun auch zugeben wollte, dass das Entstehen eines allereinfachsten Organismus nach Form und Inhalt, auf Grund besonderer physiko-chemischer Bedingungen, nicht unbegreiflich und unmöglich sei, so erhebt sich doch die Frage : lässt sich eine solche Annahme auch für den hochkomplizirten Organismus rechtfertigen, führt sie für diesen nicht zu unlösbaren Schwierigkeiten ? Vor dieser Entscheidung angelangt, begegnen wir selbst bei Denjenigen, welche wie Lotze das Geschehen im gegebenen fertigen Organismus nicht anders als ein physiko-chemisches, auf der Grundlage äusserst verwickelter formaler und stofflicher Be- dingungen, begreiflich erachten, doch der Ueberzeugung, dass der wunderbare Bau dieser organisirten und so fein harmonisirten Maschine unmöglich das Ergebniss eines zufälligen örtlichen Zusammen- treffens physiko - chemischer Bedingungen sein könnte. Zwar schränkte Lotze diese Anschauung insofern etwas ein, als er zuzugeben geneigt war, dass ein solch' zufälliges Entstehen ein- fachster Organismen wohl denkbar und möglich sei; dagegen könne der komplizirte harmonische Bau eines höheren Organismus unmöglich als Zufallsprodukt gedacht werden 18). Es wird sich ja auch kaum Jemand finden, der geneigt wäre, sich das Entstehen eines komplizirten Organismus unter dem Bilde — 23 — eines plötzlichen zufälligen Zusammentreffens verwickelter physiko- chemischer Bedingungen zu denken. Wie ersichtlich hat für solche Betrachtungen der Begriff" des „Zufälligen", des „Zufalls", eine wichtige, ja entscheidende Bedeutung. Dieser Begriff wurde jedoch häufig nicht genauer präcisirt, andererseits auch recht verschieden definirt. Die Ueber- legung ergibt ja einmal, dass zufälliges Geschehen oder zufälliges zeitliches oder örtliches Zusammentreffen (denn für diese beiden Modalitäten wird der Zufallsbegriff gleichmässig verwendet) nicht ein bedingungsloses oder kausal unabhängiges Geschehen oder Zu- sammentreffen bedeutet. Ein solches Geschehen oder Zusammen- treffen wäre ein „Wunder". „Zufällig" nennen wir dagegen ein Geschehen oder ein Zusammentreffen, das trotz kausaler Bedingt- heit, von der wir bestimmt überzeugt sind, wegen der komplexen und unbekannten, sowie in den sich wiederholenden ähnlichen Fällen wechselnden Bedingungen ganz unberechenbar und deshalb un- möglich vorauszusagen ist ; wie z. B. der Ort, an dem eine auf die Erde geworfene Kugel zur Ruhe gelangt, oder das Vorkommniss, dass die für das grosse Loos gezogene Nummer mit der von einer gewissen Person gekauften Loosnummer zusammentrifft. Eine Einschränkung machen wir bei dem Zufallsbegriff insofern, als wir nicht alles unberechenbare Zusammentreffen als Zufall be- zeichnen ; nämlich dann nicht, wenn es sich regel- oder gesetz- mässig wiederholt. So nennt man das sich regelmässig wieder- holende Zusammentreffen eines bestimmten Eigenschaftskomplexes der chemischen Elemente und ihrer Verbindungen nicht zufällig; obgleich gerade diese Kombinationen von Eigenschaften im All- gemeinen unberechenbar und daher wenigstens heutzutage noch von einem zufälligen Charakter erscheinen. Ueberschauen wir jedoch die wirkliche, nichtlebende Welt, so ist darin mehr Zufall als Nichtzufall. Abgesehen von periodischen, auf Grund einfacher Gesetzmässigkeiten sich wiederholender astro- nomischer und meteorologischer Erscheinungen, deren Eintreffen wir voraussagen können, besitzt alles natürliche Geschehen und Zu- sammentreffen mehr oder minder zufälligen Charakter, wiewohl — 24 - es nach unserer Ueberzeugung kausal bedingt ist; doch ver- laufen die verschiedenen , zeitlich oder örtlich zusammentreffen- den Kausalketten unabhängig neben einander, oder ihre Abhängig- keit liegt doch zeitlich soweit zurück, dass sie sich der Er- kenntniss entzieht. Schon die Konfiguration unserer Erdoberfläche, die Vertheilung von Land und Wasser, die Gestaltung und Oert- lichkeit der Gebirge und Flüsse, Wolkenbildungen u. s. f. erscheinen uns als Zufallsprodukte. Das Gleiche gilt auch für die mensch- liche Geschichte, deren erschütternde Ereignisse, deren weltbe- wegende Personen ebenso als Zufallsprodukte uns entgegentreten, wenn auch wohl in etwas eingeschränktem Sinne. Das heisst beispiels- weise etwa so, dass zwar Bewölkung und heiterer Himmel in ihrem Wechsel nicht mehr unter dem Bilde des Zufalls erscheinen, da- gegen die örtliche Wolkenbildung und ihre besondere Konfiguration; oder so, dass der Tod als Abschluss des Lebens nicht als Zufall erscheint, dagegen wohl Zeit, Ort und Art dieses Todes. Gerade im Hinblick auf den Organismus wurde gelegentlich be- tont, dass wir darin den wesentlichen Unterschied eines zufälligen und eines zweckmässigen Geschehens fänden, dass das erstere sich nur einmal oder nur gelegentlich, das letztere dagegen sich häufig oder immer mit demselben typischen Effekt wiederhole. Nun ist ja richtig, dass wir ein sich regelmässig wiederholendes Geschehen oder Zusammentreffen, auch wenn es unberechenbar oder unbegreif- lich, nicht unter den Zufall rechnen. Wenn jedoch in der an- gegebenen Weise ein Gegensatz zwischen zufälligem und zweck- mässigem Geschehen begründet werden soll, so scheint dies nicht gerechtfertigt ; denn ein zufälliges Geschehen wird auch durch häufige Wiederholung nicht zweckmässig, wenn es den Charakter des Zweckmässigen nicht schon im Einzelfalle besass. Der Gegen- satz von zweckmässig ist unzweckmässig, aber nicht „zufällig"; eine Handlung, die nur einmal geschieht, kann dennoch höchst zweckmässig sein.10) Da es aber eine der wesentlichsten Eigenschaften der lebenden Naturkörper ist , sich fortzupflanzen oder zu vermehren , so er- scheinen die Organismen in dieser Betrachtungsweise überhaupt in - 25 besonderem Lichte. Denn es wird kaum Jemand meinen, dass eine dauernde Bevölkerung unserer Erde mit Organismen wahrschein- lich gewesen sei, wenn sie nicht Fortpflanzungsfähigkeit erlangt hätten. Zweifellos hätten aber die vermehrungsfähigen diejenigen bald verdrängt, denen dieses Vermögen mangelte. Wenn nun Fortpflanzung, Vermehrung des Individuums, zu den bezeichnen- den Eigenthümlichkeiten des Organismus gehört , so folgt , dass eben der Organismus, welcher mit dieser Fähigkeit, auch durch zufälliges Zusammentreffen physiko-chemischer Bedingungen, ent- stand, sich wesentlich anders verhalten musste, als die Zufalls- produkte auf unorganischem Gebiet. Denn der so entstandene Organismus war befähigt , sich selbst zu wiederholen ; nicht in dem Sinne , dass er dies zufällige Zusammentreffen der Beding- ungen wiederholt hätte obgleich in dem fundamentalen Vor- gang der assimilatorischen Vermehrung der lebendigen Substanz etwas derartiges versteckt sein muss — sondern im Sinne der Wiederholung des Produktes jenes zufälligen Ereignisses, der Zer- legung des Individuums in mehrere neue. Die zufällige Entstehung eines fortpflanzungsfähigen Organis- mus erhebt demnach das zufällige Produkt zu etwas Dauerndem, sich regelmässig Wiederholendem, wodurch ihm in seiner dauernden regelmässigen Succession der Charakter des Zufälligen entzogen wird; nicht aber nothwendig auch im Hinblick auf sein erstes Ent- stehen, das recht wohl die Bezeichnung zufällig verdienen kann. Wie aber, wenn die Organismen eine andere Entstehung als die hier zunächst erörterte genommen hätten ? Dann könnten sie einmal ewig, d. h. so lange als wir irgend zurückzudenken ver- mögen, gewesen sein. Nimmt man an, dass es Organismen von ähnlicher stofflicher Natur wie die heutigen gewesen seien, die seit Ewigkeit bestanden, so konnten sie auf unserer Erde nur von einem gewissen Zeitpunkt an existiren, und ihre Uebertragung auf die Erde kann uns nur als zufällig erscheinen. Nimmt man dagegen an, dass Organismen ganz anderer stofflicher Natur ursprünglich existirten, so behauptet man eigentlich nicht die Ewigkeit der Organismen, sondern die ewige Möglichkeit von 26 Bedingungskombinationen verschiedenster Art, deren Verhalten in der umgebenden Welt dem entspricht, was wir Lebenserscheinungen nennen. Die Organismen von der stofflichen Natur, die wir allein kennen, müssen aber dann ebenfalls einer besonderen Be- dingungskombination von zufälligem Charakter entsprungen sein. - Erscheinen uns die Lebewesen irgendwie mit einem besonderen gesetzlichen Geschehen verknüpft, wie es in gleicher Weise in der nichtlebenden Welt fehlt, so muss dieses vitale Geschehen doch unter gewissen physiko-chemischen Bedingungen eintreten und diese Bedingungen können wir uns nur durch Zufall realisirt denken. - Lassen wir endlich die Organismen durch einen Schöpfungsakt, also ausserhalb des Kreises kausalbedingten natürlichen Geschehens entstehen, nach Art eines Wunders, so nimmt ihre Entstehung erst recht den Charakter des Zufalls an ; denn ein solcher Schöpfungsakt ist unberechenbar, die Gedanken eines Schöpfers nachzudenken unmöglich. Es scheint demnach, dass wir auf den verschiedenen mög- lichen Wegen über die zufällige Entstehung der Lebewesen auf unserer Erde nicht hinaus kommen. Man hat nun aber nicht mit Unrecht betont, dass das zufällige Entstehen eines komplizirten, erstaunlich zweckmässig gebauten und arbeitenden Organismus undenkbar, ja absurd sei. Ebenso- wenig als geologische Ereignisse in zufälligem Zusammenspiel das Parthenon hätten hervorbringen können, ebensowenig sei auch das zufällige Entstehen eines höheren Organismus denkbar. So wenig die Erfindung der Dampfmaschine als ein kindliches Zufalls- spiel zu denken sei, so wenig gelte dies auch für einen solchen Organismus. Gerade das letzte Beispiel kann zuerst etwas stutzig machen. Es fragt sich eben: wie viel oder wie wenig Zufall steckt in einem menschlichen Kunstwerk oder in der Konstruktion einer Maschine. Wohl mehr als man gemeinhin denkt. Im Allgemeinen lässt sich eine Maschine wohl nur als ein menschliches Werkzeug einfacherer oder komplizirterer Art be- zeichnen, dazu bestimmt, Bewegungen des Menschen selbst oder anderer Naturkörper auf wieder andere zu übertragen, die Bewegung 27 in gewisser Weise zu ändern und damit gewisse beabsichtigte Wirkungen hervorzurufen. Es ist behauptet worden, dass wir die Maschine ebensowenig kausal oder logisch zu begreifen vermöchten als die Form des Organismus. Beide bieten denn auch viel Ana- logien hinsichtlich ihrer Begreiflichkeit, wenn wir ihr wahrschein- liches Entstehen beachten. Die einfachsten Maschinen, Werkzeuge und Geräthe, wie z. B. den Hebel, die Walze, den Keil, das Beil, den Topf, Tisch und Stuhl, lernte der Mensch in zufälligen Natur- produkten kennen, deren Wirkungen vonv ihm ebenso zufällig beobachtet oder erfahren , dann auch vorausgesagt und daher zweckmässig angewendet werden konnten. Komplizirtere Maschinen entstanden durch zufällige associative Kombination verschiedener einfacher ; so die Verbindung der einfachen Schleife, die zur Beförder- ung von Gegenständen diente, mit der Walze ; darauf folgte Probiren dieser Kombination, was ihre Zweckmässigkeit ergab. In gleicher Weise kann man durch ähnliche Vorgänge die Erfindung der Räder wohl ableiten. Auch die Dampfmaschine entsprang nicht einer fertigen Idee, sondern aus zufälligen Beobachtungen über die hebende Wirkung des Dampfdrucks und aus fortgesetztem langdauern- dem Probiren neuer, zufälliger, verbessernder und vervollkommnender kleiner Kombinationen, deren Zweckmässigkeit erst< die Probe oder das Experiment ergab. Alle unzweckmässigen Kombinationen wurden baldigst ausgemerzt und gingen unter ; die zweckmässigen dagegen erhielten sich. Jede Maschine hat sich demnach allmählich ent- wickelt, ausgehend von zufälligen Erfahrungen, durch associative, intuitive, d. h. unberechenbare zufällige Kombinationen, von denen bei der Verwirklichung die zweckmässigen sich erhielten, die un- zweckmässigen nicht. Wir finden daher, dass zweifelsohne bei der Erfindung der Maschinen der Zufall ein sehr wesentlicher Faktor ist, und dass der Gang der Maschinenentwickelung grosse Aehn- lichkeit mit der allmählichen Umbildung der Organismen hat, wie sie Darwin 's Lehre für wahrscheinlich hält. Natürlich werden auch auf dem Gebiete der Maschinenerfindung die möglichen Kombinationen und Konstruktionen um so ausgedehnter, je umfang- reicher die überlieferten Erfahrungen sind und je ausgiebiger der — 28 — zufällige Erfinder sie verwerthet. Dieses Wissen aber ist das Produkt langer zufälliger Erfahrungen, Kombinationen und der Er- haltung des Zweckmässigen. Nun noch ein Wort über den oder die Erbauer des Parthenon! Dieser Erbauer selbst ist eine zufällige, in keiner Weise berechen- bare oder sich wiederholende Erscheinung gewesen. Sein Werk aber war bedingt durch die vorhergegangene lange Entwickelungs- epoche griechischer Baukunst, die ihrerseits wieder auf älteren Vorläufern ruhte. Alles, was der Zufall durch geniale Baumeister, mit ihren ebenso zufälligen Ideen, als Zweckdienliches und Zweck- schönes hervorgebracht und überliefert hatte, war es, worauf der Er- bauer des Parthenon fusste, und auf Grund dessen er, als eine, wie gesagt, zufällige Erscheinung (auch in dem Sinne gesteigerten Gefühls für das Zweckdienliche und Zweckschöne) seine Weiter- führung bethätigte. Von einem Ausschluss des Zufalls kann demnach auch hier keine Rede sein. Weder auf dem Gebiet der Technik, noch auf dem der Kunst und der Wissenschaft vermag daher ein Zufall etwas Komplizirtes hervorzubringen ; dagegen spielt die im Laufe einer langen Ent- wicklungsepoche fortdauernde Häufung zufälliger Kombinationen, die sich als zweckdienlich oder zweckschön erhielten, eine wich- tige Rolle.20) Dass nun ein zufällig auftretender, erhaltungs- und fortpflanz- ungsfähiger einfachster Organismus durch Häufung zufälliger neuer Kombinationen, welche sich erhielten, insofern sie unter den ge- gebenen allgemeinen Bedingungen zweckmässig waren, zu höherer Komplikation von zweck- oder erhaltungsmässiger Funktionirung fortschreiten konnte, halte ich, trotz der vielen erhobenen Ein- wände, für wahrscheinlich. Nicht ein Zufall wäre in diesem Sinne das Entstehen eines höheren Organismus, sondern eine Häufung zahlreicher Einzelzufälle unter Fortdauer des Zweck- oder Erhaltungs- mässigen. Dem alten wie dem neuen Vitalismus gilt vor Allem die weit- gehende, häufig geradezu als unbeschränkt bezeichnete wunderbare Zweckmässigkeit des Organismus als die schärfste Angriffswaffe — 29 — gegen den Mechanismus. Selbst so überzeugte Vertheidiger des rein physiko-chemischen Geschehens im Organismus, wie Lotze und Claude -Bernard, sahen sich doch zur Annahme gezwungen, dass der gesammte Bedingungskomplex, welcher dem harmonisch funktionirenden Organismus zu Grunde liegt, durch ein höheres, ein metaphysisches oder teleologisches Prinzip hervorgebracht und geregelt werde. Wie schon bemerkt, konnte nach Lotze der höhere Organismus nicht dem Zufall, sondern nur einem Schöpfer sein Entstehen verdanken; und Claude-Bernard meint: Ein meta- physisches Prinzip, eine ,,force vitale", die zwar nichts ausführt, da alles im Organismus physiko-chemisch bedingt ist, muss diese Bedingungen so geregelt und harmonisirt haben ; denn von einem Zufall konnte dies unmöglich abhängen. ,,La force vitale . . . ne serait qu'une force legislative mais nullement executive." Aehnliche Anschauungen, welche im Grunde auf die Voraus- setzung eines entsprechenden Prinzips hinauslaufen, möge es nun als ,, Zielstrebigkeit ", „Lebenskraft", ,,Organisatrix", „Bildungstrieb", oder sonst wie bezeichnet werden, haben auch Neo-Vitalisten vielfach geäussert. Zur Beurtheilung solcher Meinungen wird es zunächst nöthig sein, den allgemeinen Begriff der „Zweck- mässigkeit" genau zu präzisiren und weiterhin zu untersuchen, in welchem Maasse Zweckmässiges in der Organismenwelt an- getroffen wird. Niemand wird leugnen, dass der Begriff der Zweckmässigkeit ursprünglich von menschlichem Thun abgeleitet wurde und zwar von bewusst psychischem Thun. Zweck ist die Vorstellung eines Gewollten, oder, wie man auch gesagt hat, das Motiv, der psychische Grund einer menschlichen Handlung, welche die Wahl geeigneter oder ungeeigneter Mittel zur Ausführung der Handlung bedingt. Die Handlung erscheint uns insofern zweckmässig, als der vor- gestellte Zweck durch sie wirklich realisirt wird. Wie bemerkt, erscheint daher der Zweck als das Motiv, der psychische Grund der zweckmässigen Handlung. Hieraus folgt jedoch, dass zweckmässiges Geschehen oder Handeln im strengeren Sinne ein Bewusstsein voraussetzt, welches 30 — Erfahrungen enthält; denn nur auf dieser Grundlage kann von dem Eintreten einer Zweckvorstellung und der Wahl geeigneter Mittel zur Ausführung die Rede sein. Ins Physische übersetzt würde diese Betrachtung lauten: Eine zweckmässige Handlung Jcann nur da geschehen, wo die physische Grundlage in Form eines hoch- entwickelten Nervensystems vorliegt, dem die Möglichkeit eines Erfahrungsschatzes koordinirt ist. Für die Beurtheilung eines Geschehens als zweckmässig oder nicht, erscheint daher zuerst erforderlich das Erkennen eines Zwecks desselben und weiterhin, ob dieser Zweck durch jenes Geschehen, d. h., die dabei in Thätigkeit gesetzten Mittel, wirk- lich erreicht wird. — In der anorganischen Natur ist nun die An- gabe von Zwecken etwas ganz unbestimmtes, willkürliches ; man könnte schliesslich nur sagen, dass hier der Zweck des Geschehens ist, dass es geschieht. In der Organismenwelt scheint mir, wenn wir den Gesämmtorganismus und sein Lebensgeschehen betrachten, auch keine sehr präcise Zweckangabe möglich. Denn der Gesammt- zweck dieses Geschehens kann doch auch nur sein, dass der frag- liche Organismus besteht, existirt, sich erhält. Dies ist aber etwa dasselbe, als wenn ich sage, der Zweck der Planetenbewegungen ist der, dass sie bestehen, sich erhalten, und dass so das gesammte Planetensystem sich erhält, wie es ist. Dazu kommt, dass man auch das Paradoxon wagen könnte : es sei das Sterben der Zweck, des Lebenden, indem ja jeder Organismus sein Endziel im Tode findet. Deutlicher wird der Zweck erst, wenn wir die einzelnen Organe und ihre Leistungen für den Gesämmtorganismus ins Auge fassen. Obgleich wir zwar über den eigentlichen Zweck jedes Organs nichts anderes angeben können, als die Leistung, welche es in der That ausführt, so vermögen wir doch das Verhalten dieser Leistung zu dem Gesammtzweck des Organismus als zweckmässig oder unzweck- mässig zu beurtheilen. Vergessen sollten wir dabei jedoch nicht, dass ein solches Urtheil über die Zweckmässigkeit einer Einrichtung oder einer Leistung des Organismus ein Schluss aus der Analogie mit zweckmässigen menschlichen Erzeugnissen oder Handlungen ist ; d. h. - 31 — in dem Sinne, dass diese Einrichtungen und Leistungen des Organis- mus solche seien, welche den Anschein hervorrufen, als liege ihnen ein ähnliches Geschehen zu Grunde wie dem bewussten zweck- mässigen Handeln des Menschen-1). Kann jedoch eine solche Beurtheilung des Organismus dazu berechtigen, auch die Abhängigkeitsverhältnisse im Organismus in ähnlicher Weise zu denken, wie wir menschliche Zwecke und Hand- lungen, sowie ihr Ergebniss, in Abhängigkeit denken? D. h., dürfen wir annehmen, dass der Zweck eines Organs das Motiv seines Entstehens und seiner zweckmässigen Thätigkeit ist? Solch' eine teleologische Beurtheilung des Organismus nach Zweckursachen oder Causae finales ist ja eine uralte und auch im Neo- Vitalismus in etwas veränderter Form wieder hervorgetreten. Eine solche Be- urtheilung verstösst jedoch gegen den eigentlichen Begriff des Zwecks, der eben die Vorstellung einer bewussten und erfahrenen Intelligenz ist, deren Koordination mit den hochkomplizirten Ein- richtungen eines Nervensystems wir erfahrungsgemäss kennen, und die wir daher auch nur da zuzugeben berechtigt sind, wo wir solche organisatorischen Einrichtungen antreffen. Die Annahme einer unbewussten Intelligenz, die zweckmässiges Geschehen bedinge, oder einer entsprechenden, den Organismen eisenthümlichen Geschehensform ist daher meiner Ansicht nach eine nichtberechtigte Umschreibungshypothese ; weil Zweckhandlung oder Zweckgeschehen und Bewusstsein nicht willkürlich von einander trennbare Erscheinungen sind. Wenn ich ein hypothetisches, zweck- handelndes, jedoch unbewusstes Geschehen voraussetze, so nehme ich nicht eine empirisch bekannte Geschehensform als Erklärungs- grund an, sondern eine willkürlich konstruirte, welche das schon enthält, was erklärt werden soll, nämlich die zweckmässige Ein- richtung und Funktion des Organismus. Nur dann wäre ein solches Geschehen zuzugeben, wenn die Erfahrung zeigte, dass die zweck- mässige Reaktion thatsächlich die stete Geschehensform des Orga- nismus ist. 22) Wir warfen vorhin die Frage auf, ob denn die Zweckmässig- keit der Organismen so unbeschränkt sei , wie vielfach behauptet - 32 wird; weshalb sogar schon die zweckmässige Reaktion auf äussere Einwirkungen als das eigentliche Charakteristikum des Organis- mus bezeichnet wurde. 23) Mir erscheint diese Zweckmässigkeit keineswegs so umfassend, als die Vertreter der teleologischen Anschauungen gewöhnlich behaupten. Es ist hier nicht möglich, das Dysteleologische, Unzweckmässige, und das Zwecklose in der Organismen weit eingehender zu erörtern. Nur auf Weniges sei hingewiesen. Die zweckmässigen Reaktionen auf äussere Einwirk- ungen erfolgen in der Regel nur innerhalb gewisser Grenzen der Reizintensitäten, d. h. innerhalb der Grenzen, in welchen diese Einwirkungen in der natürlichen Umgebung gewöhnlich auftreten. Dagegen geschieht häufig, ja meist, Unzweckmässiges, wenn die Einwirkungen die üblichen Grenzen überschreiten. Ein solches Verhalten steht mit einem immanenten zweckmässigen Reagiren in Widerspruch, ist dagegen wohl vereinbar mit der Ansicht, dass die zweckmässige Reaktion ein Produkt allmählicher Entwick- lung unter dem regulirenden Einfluss der äusseren Einwirkungen ist. Denn dies liesse verstehen, dass abnorme Reize, wie sie in der natürlichen Umgebung nur selten und vereinzelt auftreten, keine bleibenden regulatorischen und zweckmässigen Reaktionen zu bedingen im Stande waren. Hinweisen möchte ich ferner auf die unleugbare Thatsache, dass im Laufe der Erdgeschichte eine Menge Lebensformen aus- gestorben sind; ausgestorben eben doch nur deshalb, weil sie ausser Stande waren, sich für die gegebenen Bedingungen zweck- und erhaltungsmässig zu modificiren und in solcher Weise auf ver- änderte Verhältnisse zu reagiren. Diese Thatsache scheint mir unvereinbar mit der Annahme, dass dem Organismus an und für sich ein zweck- und erhaltungsgemässes Reagiren zukomme. Will- kürliche Beschränkungen der zweckmässigen Reaktion anzunehmen, scheint mir aber ein Widerspruch gegen das Prinzip. Endlich möge hier ein dritter Punkt kurz erörtert werden. Die Vertheidiger eines unbewusst zweckmässig wirkenden Prinzips im Organismus sind Gegner der Darwin' sehen Lehre, der sie vorwerfen, dass sie die weitgehende Zweckmässigkeit in der — 33 — Organismenwelt nicht hinreichend zu erkären vermöge. Dennoch wurde gerade von dieser Seite häufig gegen den Darwinismus ein- gewendet, dass die Lebewesen zahlreiche Einrichtungen besitzen, für welche zweckmässige Leistungen gar nicht nachzuweisen sind. Schon Schopenhauer*), einem konsequenten Vertreter teleologischer Erklärung, fiel dies wohl auf und bestimmte ihn, gewissermassen eine Grenze anzunehmen , über die hinaus das teleologische Prinzip unwirksam sei. Man wirft also dem Dar- winismus vor, er sei unfähig, das Entstehen vieler organisatorischer Einrichtungen zu begreifen , weil ein Zweck derselben nicht auf- zufinden ist ; und dies geschieht meist gerade von Denjenigen, welche andererseits betonen, dass die zweckmässige Reaktion eine allgemeine Eigenschaft des Lebenden bilde. Ich meine jedoch, der Darwinismus vermag sich sehr wohl mit der Thatsache abzu- finden, dass viel Zweckloses im Organismus vorkommt; voraus- gesetzt nur, dass es nicht schädlich ist. Dagegen sehe ich nicht ein, wie die Ansicht, dass eine immanente zweckmässige Reaktion das Wesen des Organismus sei, sich mit der offenbaren Zweck- losigkeit zahlreicher Einrichtungen vereinbaren lässt. Den Angelpunkt der Frage nach der Bedeutung des Zweck- mässigen im Organismus für die mechanistische und vitalistische Auffassung bildet die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, das Entstehen des Zweckmässigen auf mechanistischer Grundlage zu begreifen. Der einzige Versuch hierzu ist der Darwinsche, sammt den Modifikationen, welche im Laufe der Zeit berechtigter oder unbe- rechtigter Weise dazu gefügt wurden. Für unsere Stellung gegen- über dem Mechanismus muss daher die Anerkennung oder Ablehn- ung der Darwinschen oder einer anderen, Aehnliches anstreben- den Lehre fundamentale Bedeutung haben. Unmöglich erscheint es jedoch, hier eine kritische Untersuchung des Darwinismus anzu- stellen. Ich vermag nur meiner eigenen Ueberzeugung Ausdruck zu geben, welche, trotz der in den letzten Jahren erhobenen, an- geblich vernichtenden Einwände gegen Darwin's Lehre, dahin *) Vergl. hauptsächlich: Zur Teleologie Bd. 3 p. 377 ff, jedoch auch: Kritik d. Kant. Philosophie Bd. 2, p. 630 ff. Bütschli, Mechanismus und Vitaiipmus. — 34 — geht, dass ich diese Lehre, in Verbindung mit der Voraussetzung von Keimesvariationen, welche allein vererblich sind (wie ich selbst dies schon 1876 angedeutet habe), für eine sehr mögliche, und unter den sonstigen Erklärungsversuchen für den wahrschein- lichsten halte24). Jede teleologische Beurtheilung des Organismus und seines Werdens muss zu dem Ergebniss führen, dass das zu erreichende Endziel, oder der Zweck der werdenden Bildung, eine ähnliche Rolle spielt wie der Zweck oder das Zweckmotiv bei der zweck- mässigen Handlung. So bemerkte denn auch der überzeugte Vi- talist Schopenhauer: „Wir müssen es kühn heraussagen: Die Endursache ist das Motiv, welches auf ein Wesen wirkt , von welchem es nicht erkannt wird. Die Termitennester sind das Motiv, das die lange Zunge des Ameisenbären hervorgebracht hat." „Die Endursache und die causa efficiens, die wirkende Ursache, fallen eben bei dem Zweckmotiv in eine zusammen25)". Betrachten wir diesen Fall auch von mechanistischem Stand- punkt , unter den Voraussetzungen , welche die Darwin 'sehe Lehre für seine Begreiflichkeit macht. Nach ihr wären es Va- riationen , die von nicht genauer bekannten veränderten Be- dingungen abhängen , welche die Zunge bei den Vorfahren des Ameisenbären verlängert hätten. Hiervon allein hing es jedoch nicht ab, dass die heutigen Ameisenbären so stark verlängerte Zungen besitzen ; es musste die weitere Bedingung hinzu treten, dass Termitennester vorhanden waren, welche diese Zunge erst nützlich machten. Letztere Bedingung erscheint daher für das Bestehen der verlängerten Zunge der heutigen Ameisenbären ebenso wesentlich als die der Variationen. Also auch nach Darwin 's Auffassung sind die Termitennester eine wesentliche bedingende Ursache für die Existenz der verlängerten Zunge ; zwar haben sie nicht die Be- deutung einer wirkenden Ursache, die Termitennester liefern nicht etwa die Energie für das Auswachsen der Zunge ; sie spielen auch nicht die Rolle einer auslösenden Ursache oder eines Reizes. Sie sind aber eine unerlässliche Bedingung für die Erhaltung der langen Zunge. In diesem Sinne geht also das Schopenhauer'sche 35 - Motiv als wesentlicher Bestandtheil in den Bedingungskomplex ein. Nur können wir dieses Geschehen, ebensowenig wie irgend welches, von einer einzigen Bedingung abhängig finden, sondern von einem Komplex zusammentreffender, von gleicher Unerlässlichkeit. Schon im Vorhergehenden wurde mehrfach angedeutet , dass einige Biologen nachzuweisen suchten : im Organismus bestehe eine besondere Art kausalen Geschehens oder der kausalen Abhängigkeit, worin sich ein fundamentaler Unterschied des Lebenden und Nichtlebenden offenbare.- So versuchte Pflüger (1877) zu zeigen, dass im Organismus ein eigenartiges „teleologisches Kausal- gesetz" herrsche, dessen Abhängigkeitsbeziehungen sich in folgen- dem Schema aussprächen : „Die Ursache jeden Bedürfnisses eines lebendigenWesens ist zugleich die Ursache der Befriedigung des Bedür f nisses" (p. 76). Erläutert wird dies teleologische Kausalgesetz hauptsächlich an der bekannten Er- scheinung, dass ein intensiver, das Auge treffender Lichtreiz, welcher einerseits ein gestörtes Funktioniren des Auges zur Folge hat, andererseits eine Verengerung der Pupille bedingt, die das Funktioniren des Organs verbessert oder korrigirt. Wenn Pflüger hierbei von einem „Bedürfniss" und dessen „Befriedigung" spricht, so führt er in den Vorgang etwas ein , was er nicht enthält. Thatsächlich ist die Folge des intensiven Lichtreizes nur eine un- angenehme Empfindung im Auge und unkorrektes Sehen; dass die Folge dagegen ein Bedürfniss nach Korrektur oder Regulation dieser Erscheinungen sei, ist ein Urtheil über das, was wir für ein so funktionirendes Auge als wünschenswerth erachten. Dass die Pupillenverengerung eine Befriedigung sei, ist ebenfalls ein Urtheil auf Grund des vorherigen über ein bestehendes Bedürfniss. Dieselbe Argumentation lässt sich für jede Regulationseinrichtung an einer Maschine anstellen. Zu hoher Dampfdruck in der Dampf- maschine bewirkt zu raschen Gang der Maschine, was wir als ein Bedürfniss nach Korrektur, nach Verminderung der Schnelligkeit beurtheilen. Gleichzeitig wird jedoch auch der Regulator geöffnet und der Dampfdruck vermindert, was wir als Befriedigung beur- theilen. In diesen Fällen handelt es sich um eine Ursache (die - 36 — Veränderung einer der Gesammtbedingungen) , welcher zwei ver- schiedene Wirkungen folgen, von denen eine die Bedingungen so ändert, dass die andere Wirkung regulirt wird. Ein solcher Doppelerfolg ist nur auf Grund eines, in besonderer Weise ein- gerichteten Bedingungssystemes möglich, wie es uns ja die Dampf- maschine mit ihrem Regulator vorführt. Pflüger denkt sich denn auch dies teleologische Kausalgesetz als etwas ,, mechanisch" Ent- standenes. Er sagt: „Wie diese teleologische Mechanik entstanden, bleibt eines der höchsten und dunkelsten Probleme." Andererseits scheint er jedoch anzunehmen , dass sie von Anfang an als eine besondere Fähigkeit oder Gesetzlichkeit mit der ersten lebenden Materie entstand, so dass also zweckmässige Reaktion das stete und regelmässige Geschehen der lebenden Materie bilde. Da ich ein solch' gesetzliches zweckmässiges Reagiren des Organismus nicht für begründet und nachweisbar erachte, wie schon erörtert wurde, so halte ich auch Pflüger 's teleologische Kausalität für nicht begründet. Von meinem, und dem mechanistischen Stand- punkt überhaupt, würde die Beurtheilung folgendermassen lauten : Unter den Reaktionsmöglichkeiten der lebenden Materie auf äussere Einwirkungen fanden sich auch solche , die zweckmässig wraren, und diese wurden, als die auf die Dauer allein existenzfähigen, erhalten. An Pflüg er 's Gesetz erinnert in mancher Hinsicht Coss- mann's Ansicht über ein besonders „biologisches Geschehen" in den Organismen, im Gegensatz zu kausalem Geschehen. Coss- mann, dem die Kausalität als eine aprioristische Anschauungsform gilt, findet in der Lebewelt ein besonderes teleologisches Naturgesetz von folgender Formel: „Auf eine Erscheinung (c), die ver- änderlich, folgt eine Erscheinung (d), die gleichfalls veränderlich ist, und auf diese eine Erscheinung (e), die zu verschiedenen Zeiten, an verschiedenen Indi- viduen die gleiche ist." Dies dreigliedrige Geschehen sei charakteristisch für die Organismen ; und das eigentlich teleologische desselben äussere sich darin , dass das Mittelglied (d) oder das Medium gleicherweise abhängig, oder eine Funktion sei von — 37 — dem vorangehenden. Glied (c), dem An t ecedens, und dem nach- folgenden Glied (e), dem Su ecedens. Hiermit wäre natürlich das Gegentheil kausalen Geschehens gegeben. Denn dass das Succedens, als das Nachfolgende, das Medium oder das Vorher- gehende beeinflusst, also die Ursache von der Wirkung abhängt, dies ist das gerade Gegentheil kausaler Abhängigkeit, und steht eigentlich auch mit der wahren teleologischen Abhängigkeit im Widerspruch. Betrachten wir jedoch zunächst dies dreigliedrige teleologische Geschehen an einem der gegebenen Beispiele näher, da erst dann ganz klar werden wird, wie sich Cossmann diesen Vorgang denkt. Wir wählen dazu das auch schon von Pflüger erörterte Beispiel der Pupillenverengerung auf intensiven Lichtreiz. Nach Cossmann würde sich das dreigliedrige Schema folgendermassen darstellen : c (Antecedens) d (Medium) e (Succedens) Lichtreiz Reflex Schutz und 1 (variabel) (variabel) (konstant). Organismus Was hier eigentlich unter dem Medium oder dem Reflex verstanden wird, scheint mir unklar; ob der innere Nervenprozess , der zur Verengerung der Pupille führt, oder letzterer Vorgang selbst, oder die Gesammtheit dieser Vorgänge. Eines dagegen ist klar, dass nämlich dasjenige, was thatsächlich von dem Lichtreiz bedingt wird oder auf ihn folgt, nur die Pupillenverengerung ist ; dass hin- gegen dasjenige, was Cossmann als Succedens oder drittes Glied einführt, nämlich der „Schutz", ein abstrakter Begriff ist, der in dem wirklichen Vorgang sich natürlich nicht findet. Denn dieser Schutz ist ja nur unser Urtheil über den Werth oder den Zweck, welchen die Pupillenverengerung für den Organismus besitzt. Indem Coss- mann so einen abstrakten Begriff als Succedens in das drei- gliedrige Schema einführt, kommt er zu dem Ergebniss, dass das Succedens konstant sei; denn ein Begriff ist natürlich konstant; wogegen das, was der Lichtreiz eigentlich bedingt , die Pupillen- verengerung , direkt mit dem Lichtreiz zu- und abnimmt. Wie — 38 — soll aber das Medium abhängen von einem Begriff, dem Succedens ? Wenn wir ähnlich argumentiren, so finden wir in jedem Auslös- ungsgeschehen und in jedem Regulationsgeschehen an einer Maschine das charakteristische dreigliedrige Schema wieder, wie folgende Beispiele zeigen. Betrachten wir ein aufruhendes Gewicht, das auf Anstoss aus einer gewissen Höhe herabfällt, so haben wir: Antecedens. Medium Succedens Schwerezustand des Gewichts, Auslösungsursache (Anstoss) Gewicht (variabel) v Mangel der / • , i, Fall (variabel) (konstant). Hemmung oder bei der Dampfmaschine : Antecedens. Medium Succedens. Dampfdruck I Hebung des j Schutz, Sicherung Ventil j (variabel) Ventils j <™iabel> (konstant) Schon E. Albrecht erkannte richtig, dass jedes Auslösungs- geschehen sich in Form einer dreigliedrigen Kette vollziehe, und wir erörterten dies ja oben gleichfalls 26). Die Pupillenverengerung bei intensivem Lichtreiz beurtheilen wir als nützlich für den Organismus. Wohl bemerkt ist dies ein Urtheil über den Werth dieses Vorgangs für den Organismus. Thatsächlich hat ja die Pupillenverengerung oder -Erweiterung in ihrer Abhängigkeit von der Intensität des Lichtreizes zur Folge, dass der Organismus auch bei Lichtintensitäten, die in gewissen Grenzen schwanken, annähernd gleich gut sehen kann. Insofern nun die äusseren Bedingungen so waren, dass eine solche Einrichtung die Erhaltung der mit ihr ausgestatteten Individuen, im Gegensatz zu den übrigen , bedingte also eine Einrichtung erhalten wurde, die wir als eine schützende beurtheilen insofern könnte man davon reden, dass die gegebenen Bedingungen einen solchen Schutz erforderten und dieser daher nach unserer Beurtheilung als eine Bedingungsursache beim Entstehen der Pupillenreflexe auf- getreten sei; naturgemäss aber nicht rückwirkend, sondern nach Art jeder bedingenden Ursache vor der Wirkung. Ebenso wie — 39 wir für die Konstruktion des Ventils der Dampfmaschine das Urtheil über die Notwendigkeit eines Schutzes als bedingendes Motiv für die Handlungen des Erfinders erachten; wobei jedoch dies Urtheil gleichfalls nicht rückwirkte, sondern nach Art jedes kausalen Vorgangs das Folgende bedingte. Cossmann ist sich bewusst, dass sein teleologisches Natur- gesetz gar nicht eigentliches teleologisches Geschehen ist ; denn bei diesem tritt der Zweck oder das Ziel des Gewollten oder Ge- wünschten als Motiv der Handlung, als zeitlich vorhergehen- der Grund, auf. Aber gerade von diesem wesentlichen Charakter, der ein anthropomorphistischer sei, sucht Cossmann die Teleo- logie zu reinigen. Aus dem Begriffe der Teleologie sei das ,, Wollen" zu entfernen, wie aus dem der Kausalität das „Müssen". Dieser Vergleich zwischen Kausalität und Teleologie trifft jedoch nicht zu. Der Begriff der Kausalität enthält gar nichts von dem aus dem psychi- schen Gebiete entnommenen Müssen. Die Kausalität braucht daher auch gar nicht von dem Müssen gereinigt zu werden. Der Begriff der Kausalität enthält nicht mehr als unsere Erfahrung über die gesetz- mässige Abhängigkeit der Erscheinungen ; von einem Müssen, in dem Sinne einer psychischen Unfreiheit, ist darin nichts enthalten. Mit dem teleologischen Geschehen verhält es sich anders. Dass die teleologische Denkweise keine aprioristische Anschauungs- form ist, welche gleich nothwendig und berechtigt neben der kausalen steht, geht für mich, abgesehen von anderem, schon daraus hervor, dass auch die Vorkämpfer der Teleologie sie für die Vorgänge in der nichtlebenden Welt einfach ignoriren ; während doch, wenn es sich um zwei, unserem Intellekt a priori gegebene, gleichberechtigte Anschauungsformen handelte, nicht einzusehen wäre, warum die teleologische Betrachtungsweise in der anorganischen Welt plötzlich aufhört. Auch Cossmann ist ja der Meinung, dass sein teleologisches Naturgesetz nur für die lebende Welt gelte. Indem er jedoch den Zweck als Motiv des Geschehens ent- fernt, hebt er, wie bemerkt, den teleologischen Charakter seines besonderen biologischen Geschehens auf und macht daraus ein für die Erklärung der Lebenserscheinungen besonders konstruirtes — 40 — Geschehen, das nicht psychisch-teleologisch bedingt ist und mit der Kausalität im Widerspruch steht. Dies teleologische Natur- gesetz hat daher den Charakter einer Umschreibungshypothese, welche die zweckmässige Reaktion des Organismus voraussetzt, also nicht begreiflich macht. Nun könnte man ja sagen, die kausale Abhängigkeit sei ebenso unbegreiflich, als die sogenannte teleologische; und mit vollem Recht. Wir begreifen ja die kausale Abhängigkeit nicht, wir wissen nur, dass sie besteht. Verhält es sich nun mit dieser teleologischen Abhängigkeit etwa ebenso? Das wäre der Fall, wenn wir im Organismus ein zweckmässiges Reagiren als aus- nahmsloses Geschehen anträfen, wie es nimmer der Fall ist. Neben zweckmässiger Reaktion findet sich auch die unzweck- mässige. Oder spricht es etwa für ein solch' allgemeines Gesetz zweck- mässiger Reaktion, dass bei dem Triton für die herausgenommene Linse eine funktionsfähige neue gebildet wird, während bei dem nahe verwandten Frosch ein ganz funktionsunfähiges Gebilde regenerirt ; oder dass der zerschnittene Regenwurm mit Leichtig- keit regenerirt, der zerschnittene Nematode dagegen hierzu ganz unfähig ist? Regeneration verloren gegangener Theile wäre für jeden Organismus sicherlich sehr zweckmässig; und da sie in vielen Fällen in weitgehender Weise realisirt werden konnte, so ist nicht einzusehen, weshalb, wenn zweckmässige Reaktion das gesetzliche Geschehen des Organismus ist, sie ebenso oft unterbleibt. Will man aber etwa sagen, der Organismus sei zwar stets bestrebt, zweckmässig zu reagiren, soweit als es die entgegenstehenden Hindernisse gestatten, so gelangt man im Wesentlichen zu der Anschauung, die auch wir festhalten, wenn wir meinen, dass der Organismus eben unter den gegebenen Bedingungen das leistet, was er leisten kann ; und dass es von dieser seiner Leistungsfähigkeit ab- hängt, ob er unter den veränderten Bedingungen zu existiren ver- mag. Denn eine gewisse Summe zweckmässiger Reaktionen ist eben unerlässliche Bedingung für die dauernde Erhaltung einer Art. — 41 — Betrachtungen über ontogenetische und reparative Vorgänge führten auch Driesch (1899) zur Anerkennung einer besonderen ,,eigenthümlichen Geschehensgesetzlichkeit, eines vitalistischen Ge- schehens, einer vitalistischen Kausalität", welche an Cossmann's teleologisches Naturgesetz etwas erinnert. Es muss jedoch hervor- gehoben werden, dass Driesch's Erörterungen sich von den Mängeln der Cossmann'schen, die auch Driesch erkannte, frei halten. In dem Nachweis eines solch' charakteristischen vitalisti- schen Geschehens, „welches den kausalen Verknüpfungsformen des Anorganischen nicht subordinirt, sondern koordinirt sei", erblickt Driesch ein von ihm längst erstrebtes Ziel, und beurtheilt dem- gemäss seine frühere Anerkennung der sog. „Maschinentheorie" des Organismus als eine dogmatische Verirrung. Den Ausgangspunkt seiner Betrachtung bildet das sogenannte „Lokalisationsproblem" harmonisch-aequipotentieller Systeme, d. h. solcher entwicklungsfähiger Systeme, welche bei experimen- teller Prüfung, durch operative Entfernung von Theilen, zeigen, dass die Leistungsfähigkeit oder die Entwicklungsmöglichkeit jedes unter- geordneten Theils die gleiche ist, wie die des Ganzen; oder, wie sich Driesch auch ausdrückt, bei denen jeder Theil die gleiche „prospektive Potenz" besitzt. Zu derartigen Systemen gehören z.B. die Darmanlage der Echinidenlarve und der Stamm der Tu bular ia. Bei der Weiterentwicklung gliedert sich jene Darm- anlage durch zwei ringförmige, an bestimmten Stellen auftretende Einschnürungen in drei Abschnitte. Der Tubulariastamm da- gegen kann an jedem, frei in das umgebende Medium ragenden künstlichen Querschnitt einen neuen Polypen repariren. Dabei er- gibt sich ferner, dass die beiden Einschnürungen des Echiniden- darmes stets in ordnungsgemässer richtiger Lage (Lokalisation) an der Darmanlage auftreten, mögen deren Grössenverhältnisse auch sehr verschiedene sein. Besonders trifft dies auch dann zu, wenn durch operative Eingriffe eine künstliche Verkleinerung der Darm- anlage herbeigeführt wurde. Das Gleiche gilt im Allgemeinen auch bei der Reparation des Stammendes der Tubularien für die ord- nungsgemässe Vertheilung der Organanlagen, namentlich in solchen — 42 — Fällen, wo die regenerirenden Stammstücke sehr kurz, ja kürzer als die in normaler Weise reparirten Polypen sind. Dieses ordnungsgemässe Anpassen der entstehenden Theile, oder diese ordnungsgemässe Lokalisation der Neubildungen, in richtigen Lagebeziehungen zu den normalen Verhältnissen des ent- stehenden späteren Ganzen, bildet nun Driesch's Lokalisations- problem. Seine Ansicht ist, dass ein derartiges Geschehen in keiner Art von Wirkungsweisen abhängen könne, wie sie die anorganische Natur aufzeigt, welche zur Ableitung solcher Vor- gänge nicht ausreichten. Ein Geschehen, wie es im Lokalisations- problem auftrete, finde sich in der anorganischen Natur überhaupt nicht und sei deshalb ein den Lebewesen eigentümliches vitalisti- sches. Die besondere Art dieses Geschehens dokumentire sich darin, dass dasselbe nicht allein von der zeitlich vorgehenden Ursache, als welche im Fall der Tubularia die Operation gesetzt wird (in ihrer Spezifität nach Art und Quantum), abhänge, sondern auch von dem zeitlich nachfolgenden Endergebniss, dem Endzustand, welchem die von der Ursache (der Operation) eingeleitete Entwicklung zu- strebt. Eine derartige Verkettungsart von Abhängigkeiten wird „An- passungsgeschehen" oder „Antwortsgeschehen" genannt und auch folgendermassen erläutert: „Jeder (der Quantität nach) spezifischen Ursache (Operation) korrespondirt eine (der Lokalisat ion nach) typische Wirkung, die endliche Erreichung eines gegebenen Zieles ermöglichend" (p. 85). Wäre eine solche Geschehensart nun wirklich ohne jede Ana- logie in der anorganischen Natur, so liesse sich nicht wohl be- streiten, dass sie einen strikten Gegensatz der Organismenwelt zu den Anorganismen erweise. Mir scheint aber dieser Gegensatz geringer, als Driesch meint. Betrachten wir zunächst die ein- fache Auslösungsursache, welche Driesch bei seiner vergleichenden Erörterung kausaler Abhängigkeiten der Anorganismen eigenthüm- licher Weise nicht spezieller erörtert, so zeigt sich auch schon, dass es sich bei der Auslösung ebenfalls „nicht um ein ganzes oder theilweises Wiederauftreten der Ursache handelt", wie Driesch — 43 — für anorganische kausale Abhängigkeiten annimmt, sondern um eine „typische Wirkung, die endliche Erreichung eines gegebenen Zieles ermöglichend". Dies gegebene Ziel ist der unter den ver- änderten Bedingungen, welche die Wirkung der Auslösungsursache sind, mögliche neue Gleichgewichtszustand. Ist unter diesen neuen Bedingungen nur ein bestimmter Gleichgewichtszustand möglich, so kann eben auch nur dieser regelmässig eintreten. Dagegen vermissen wir bei der Auslösungsursache im allgemeinen Sinne die der „Lokalisation nach typische Wirkung", als abhängig von der Auslösungsursache. Doch dürften sich auch hiefür auf anorga- nischem Gebiet Analogien bieten. Organisirte Formen sind formale Gleichgewichtszustände ; Ana- logien mit ihnen müssen wir daher auch bei anorganischen for- malen Gleichgewichtszuständen suchen. Die kugelige Tropfenform als Gleichgewichtsgestalt flüssiger Körper können wir durch Weg- nahme eines Theils der Kugel operiren, worauf der Rest sich wieder reparirt zu einer neuen Kugel. Wenn wir die Wegnahme eines Theils auch hier nach Driesch's Vorgang als Ursache be- zeichnen, so können wir meiner Ansicht nach auch für diesen Vorgang sagen: „jeder (der Quantität nach) spezifischen Ursache korrespondirt eine (der Lokalisation nach) typische Wirkung, die endliche Erreichung eines gegebenen Ziels ermöglichend." Das ge- gebene Ziel ist hier die normale Gleichgewichtsform der Flüssig- keiten , die Kugel ; die der Lokalisation nach typische Wirkung korrespondirt mit der der Quantität nach spezifischen Ursache ; denn der Grösse des entfernten Kugelabschnitts muss der restirende Theil seine unformenden Bewegungen anpassen, um das gegebene Endziel zu erreichen. Der Charakter des dabei stattfindende)! Geschehens ist Auslösungsgeschehen. Der weggenommene Theil des kugeligen Tropfens vertrat gegenüber dem verbleibenden Rest die Hemmung an der gespannten Feder ; nehme ich diesen Theil des Tropfens weg, so geht der nicht mehr im Gleichgewicht befindliche Theil in einen neuen Gleichgewichtszustand über , indem Energie frei wird, d. h., indem eine frühere, im System potentielle wirkende Ursache nun zur Wirkung gelangt. 44 — Noch deutlicher tritt in dem folgenden Fall die Analogie mit dem sogen. Anpassungsgeschehen hervor. Wird ein Flüssigkeits- tropfen unter geeigneten Bedingungen zu einem Faden ausgezogen, so nimmt er zunächst cylindrische Form an, um dann, wenn seine Länge, dividirt durch den Durchmesser, gleich oder grösser als n wird, in eine neue Gleichgewichtsform überzugehen. Er zerfällt nämlich in eine gewisse Zahl gleichgrosser, in gleichen Entfern- ungen hintereinander gereihter Kugeln ; indem je ein Cylinderstück, dessen Länge gleich dem Durchmesser des Cylinders ist, sich zu einer Kugel umformt*). Die Zahl der Kugeln hängt daher von dem Verhältniss des Durchmessers zur Länge des zerfallenden Cylinders ab. Wenn wir nun zwei verschieden grosse, jedoch in Bezug auf Länge und Durchmesser ähnliche Cylinder derselben Flüssigkeit haben, und sie in gleichem Verhältniss dehnen, so werden sie auch in dieselbe Zahl gleich geordneter oder lokalisirter Kugeln zerfallen, wobei die Quantität der dehnenden Ursache in beiden Fällen spezifisch verschieden ist. Dieser Fall verläuft daher analog der Dreigliederung des Echinidendarms oder der ordnungs- gemäss lokalisirten Anlage der Organe der reparirenden Tubu- laria bei verschiedener Grösse des Ausgangsobjektes. Auch hier finden wir „eine der Quantität nach spezifisch verschiedene Ursache, wrelcher eine, der Lokalisation nach, typische Wirkung korrespon- dirt, die endliche Erreichung eines gegebenen Zieles ermöglichend". Formale Gleichgewichtszustände der Anorganismen sind auch die Krystalle. Bekanntlich können diese unter geeigneten äusseren Bedingungen (und solche sind ja unter allen Umständen auch für den reparirenden Organismus erforderlich) Reparations- erscheinungen zeigen. Ein wesentlicher Unterschied gegen den Organismus besteht insofern , als der letztere, auch ohne Zufuhr neuer Substanz, aus der schon vorhandenen zu repariren vermag, ähnlich wie der Flüssigkeitstropfen, während bei dem Krystall stets die Zufuhr neuer Substanz Bedingung ist. Der Krystall kann sich *) Es kann hier ausser Betracht bleiben , dass zwischen je zwei der grossen kugeligen Tropfen sich regelmässig einige sehr kleine bilden. (Vergl. z. B. Violle, Lehrb. d. Physik. Bd. I, pag. 592). 45 nur wachsend repariren. Dies hängt jedenfalls damit zusammen, dass die Gleichgewichtsform des Krystalls bedingt ist von dem flüssigen Zustand der Substanz vor dem Festwerden. Ist letzteres eingetreten, so besteht, wie bei jedem festen Körper, Gleichgewicht unabhängig von der Form. Aus jedem beliebigen Partikel eines Krystalls kann sich unter geeigneten Bedingungen ein neuer Krystall mit typisch geordneten Flächen, Winkeln, Kanten und Ecken bilden. In dieser Hinsicht können wir daher auch den Krystall ein harmonisch-aequipotentielles System nennen. Nehmen wir ein kleines Partikelchen , so bildet sich ein kleines Kryställchen mit ordnungsgemäss gelagerten Flächen, Kanten und Ecken ; nehmen wir einen grossen Partikel, so bildet sich ein entsprechend grosser Krystall mit derselben ordnungsgemässen Lagerung der Flächen in vergrössertem Massstab. Brechen wir an, einem Krystall ein Stück ab, so wird unter geeigneten Be- dingungen das entfernte Stück reparirt, und zwar in grösserem oder kleinerem Umfang, je nach der Grösse des Defektes, so dass die Normalgestalt wieder hergestellt wird. Auch in dem Krystall haben wir daher einen formalen Gleichgewichtszustand , der sich, nach Störung durch eingetretene Defekte, unter geeigneten Be- dingungen wieder herstellt ; und bei dem ,,die typische Wirkung", welche zur Herbeiführung der neuen Gleichgewichtsform geleistet wird, von der Grösse des Defektes abhängt, während die Form selbst von dem inneren Bedingungskomplex des Ausgangssystems bestimmt wird, der eben diesen und nur diesen Gleichgewichts- zustand unter den gegebenen Umständen gestattet. Das Lokalisationsproblem des sich entwickelnden Organismus kann meiner Meinung nach entsprechend beurtheilt werden 27). Doch ist hier die Komplikation viel grösser, da es sich um ent- wicklungsfähige Systeme handelt, wie sie in ähnlicher Art in der anorganischen Natur fehlen. Bei solcher Beurtheilung erscheint uns der Vorgang der Tubulär i a -Reparation z. B. in etwas anderem Licht. Die Operation, durch welche ein Theil der T u b u 1 a r i a entfernt wird , kann ich nur als Auslösungsursache ansehen, durch welche das Gleichgewicht des entwicklungsfähigen — 46 Systems gestört wird. Das, was nun geschieht, kann daher mit dieser Auslösungsursache in keiner direkten Beziehung stehen, wie dies ja bei jeder Auslösungsursache der Fall ist; d. h. die Operation setzt neue Bedingungen, ist dagegen nicht eine wirkende Ursache. Die Operation ist die Entfernung einer Hemmung, welche nun den in dem System potentiell enthaltenen wirkenden Ursachen ge- stattet, in Wirkung zu treten und den dem System gemässen neuen Gleichgewichtszustand zu entwickeln. Was bei dem Ueber- gang des gestörten Systems in den neuen Gleichgewichtszustand geschieht , wird abhängen : von den in dem System gegebenen Bedingungen, welche diesen Gleichgewichtszustand als möglichen ergeben, und von dem Umfang und der Art des Defektes , d. h. also von der Gesammtheit der Bedingungen, die nach der Operation vorliegen. Vor allem vermag ich jedoch in diesen Vorgängen nichts ,zu erkennen, was zur Anerkennung eines an Endursachen (causae finales) erinnernden Zweckmässigkeitsgeschehens nöthigte, eines Geschehens, welches, im Gegensatz zu kausaler Abhängigkeit, von einem zu- künftig zu erreichenden Ziel abhinge. Denn meiner Meinung nach sind es die besonderen gegebenen Bedingungen des entwicklungs- fähigen Systems, von welchen einerseits sowohl dieses und gerade dieses Ziel abhängt, als andererseits die typische Wirkung, in welcher dieses Ziel nach Störungen erreicht werden kann , aber nicht stets erreicht werden muss. Von dem Geschehen auf an- organischem Gebiet scheint mir aber, wie erörtert wurde, das in dem Lokalisationsproblem gegebene Geschehen nicht prinzipiell und fundamental verschieden 28). Wir sind am Ende unserer Erörterungen angelangt und müssen uns fragen, was dürfen wir als deren Ergebniss bezeichnen? Die Möglichkeit , die Lebenserscheinungen physiko-chemisch , mecha- nistisch, begreifen zu können, wird so lange bestritten werden, so lange nicht für alle Einzelheiten ein solcher Weg als gangbar auf- gezeigt ist. Selbst die Herstellung eines lebendigen Organismus — 47 — unter gewissen physiko-chemischen Bedingungen dürfte wohl von manchen Neo- Vitalisten nicht als genügender Beweis der Berechtigung des Mechanismus erachtet werden. Wie wir von vornherein be- tonten, konnte es sich unter den gegebenen Verhältnissen für uns nur darum handeln, zu zeigen , dass die von vitalistischer Seite gegen den Mechanismus und seine Befähigung, das Leben aus- reichend zu begreifen, erhobenen Einwände, eine solche Unmöglich- keit nicht erweisen. Den thatsächlichen Beweis, dass der Mechanismus das zu leisten vermag, was er beansprucht, könnte nur der Erfolg selbst führen. Dieser wird es allein sein, welcher schliesslich die Entscheidung nach der einen oder der anderen Seite zu lenken vermag. Alter wie neuer Vitalismus betonen schliesslich immer wieder die vorhandenen ungelösten Räthsel und bezweifeln ihre Lösung auf mechanistischem Boden. Begreifen lehren sie uns den Organismus nicht. Denn die Voraussetzung vitalistischen Geschehens schliesst eben die Anerkenntniss ein , dass es sich hier um ein letztes , gesetzliches , an und für sich unbegreifliches Geschehen handle, das wir nicht unter allgemeinere Gesetzlichkeiten einzu- ordnen vermögen. Daher dürfen wir wohl sagen : Begreifen können wir von den Lebenserscheinungen nur das, was sich physiko-chemisch erklären lässt. Schliesslich wird es aber von dem Vitalismus und Mecha- nismus auch heissen : An ihren Früchten sollt ihr sie er- kennen! ANMERKUNGEN. 1) (zu pag. 1.) Es bedarf vielleicht kaum besonderen Hinweises, dass ich weder mit diesem Vortrag, noch mit den ihm beigegebenen Anmerkungen beabsichtige, das behandelte Problem in voller Ausdehnung, historisch und kritisch zu besprechen. Ich betone dies namentlich deshalb, weil ich weiss, dass ich nur eine beschränkte Auswahl der Aeusserungen über das Problem und seine Unterfragen näher erörterte und erörtern konnte, viele andere dagegen ganz unberührt liess; und namentlich auch in keiner Weise an eine vollständige Aufzählung der Autoren und ihrer Stellung zu den besprochenen Fragen denken konnte. Ich habe nur da angeknüpft, wo es mir schien, dass ich etwas zur Klärung beizutragen vermochte. Ob mir dies wirklich gelungen ist, nicht nur so geschienen hat, wird die Zukunft ergeben. 2) (zu pag. 5.) Der von mir vertretene Standpunkt, welcher die Zustands- änderungen, also das Auftreten und Schwinden von Energie, von Empfindungen begleitet sein lässt (wobei man eventuell noch an die Erweiterung denken könnte, dass beim Freiwerden von Energie die Empfindung lustbetont, bei dem Schwinden freier Energie dagegen unlustbetont sei), schliesst sich in gewissem Grade den von Häckel und Nägeli aufgestellten Hypothesen an. Im Gegensatz zu beiden letzteren Hypothesen steht jedoch, dass meine Anschauung in keiner Weise mit Atom- oder Molekülhypothesen zusammen- hängt, wie jene. Häckel's und Nägeli's Meinung hat Albrecht (1899 p. 40 ff.) scharf kritisirt. Dass er die Anschauungen Crato's verwirft, gegen die auch ich schon gesprochen habe (s. Zoolog. Centralbl. IV p. 46), finde ich ganz gerechtfertigt. Alb recht geht bei seiner Kritik Nägeli's von der richtigen Ansicht aus, dass es nicht gerechtfertigt sei, zur Erklärung komplexer Erscheinungen diese Erscheinungen auf die Theilchen zu über- tragen. Es ist dies ja dasselbe, was ich gegen die Umschreibungshypothesen gesagt habe. Nun vermag ich jedoch nicht zuzugeben, dass die Empfindung eine komplexe Erscheinung sei; vielmehr ist sie die einfache Elementar- erscheinung des psychischen Gebietes und steht hier ebenso da, wie jene letzten allgemeinen Eigenschaften auf physischem Gebiete, welche wir ebensowenig weiter zu begreifen im Stande sind, wie Masse, Raumerfüllung, Rutsch li, Mechanismus und Vitalismus. i Anmerkung No. 1 — 2. — 50 — Form, Bewegung. Da nun das erstmalige Entstehen einer Empfindung für uns absolut unbegreiflich ist, ebenso wie das jener letzten Eigenschaften auf physischem Gebiet, indem auf psychischem die Empfindung ganz ebenso den Charakter des elementar Gegebenen besitzt, so bietet sich als einzige Möglichkeit begrifflicher Vereinigung nur die Erweiterungshypothese : die elementare Empfindung als einen allgemeinen Vorgang aufzufassen, welcher den Zustandsänderungen in der physischen Welt koordinirt ist, so wie Zu- standsänderungen unseres physischen Ichs mit Empfindungen koordinirt sind. 3) (zu pag. 5.) Mach's erkenntniss-kritischer Standpunkt hat zwar einiges gemein mit dem von mir in dieser Schrift vertretenen, dennoch vermag ich den- selben nicht zu theilen. Mir scheint, dass Mach's Anschauung derjenigen Berkeley 's sehr nahe kommt, welche alle sinnlichen Wahrnehmungen für Ideen (notions) des göttlichen Geistes erklärt, die dem menschlichen Geist von Gott „eingeprägt" werden. Während daher für Berkeley die Dinge Ideen des göttlichen Geistes sind, sind sie nach Mach „Empfindungs- komplexe", die als solche die Bestandtheile der Welt bilden, und die mit dem Ich in Beziehung treten können; d. h. dann wahrgenommen werden. Der gemeinsame Charakter beider Anschauungen ist, dass die Welt nur aus Empfindendem bestehe, dass dagegen nichts Empfundenes vorhanden sei. Da nun nur das eigene Ich Kenntniss von Empfindungen hat, und Mach selbst zugibt, dass das Erkennen anderer Ichs ein „Analogieschluss" sei, d.h. eine Annahme, so ergibt sich auch weiter, dass die Existenz von Empfindungs- komplexen ausserhalb des eigenen Ichs nur eine Annahme ist, eine Erweiter- ungshypothese , um unbefriedigenden Konsequenzen, der „Monstrosität des Solipsismus", zu entgehen. Berkeley entging dieser eigentlich natürlichen Konsequenz durch die stillschweigende Voraussetzung anderer Geister neben dem eigenen Geist. Geben wir nun Mach's Hypothese zu, d. h., dass ausserhalb des Ichs Empfindungskomplexe existiren, die, mit ihm in Beziehung tretend, seine Empfindungen sind. Ist dann, wie Mach meint, der Gegensatz zwischen Physischem und Psychischem, der Dualismus zwischen dem wahrgenomme- nen Objekt und dem wahrnehmenden Subjekt, zu Gunsten einer monistischen Auffassung wirklich beseitigt? Ich bin dieser Meinung nicht. Das Ich ist nach Mach ein Empfindungskomplex, der von den übrigen Empfindungs- komplexen nicht scharf getrennt ist, ein Komplex von festerem beständi- gerem Zusammenhang, mit Kontinuität und langsamerer Aenderung begabt. Dies aber weist doch daraufhin, dass das Ich, sei es auch nicht ganz scharf begrenzt, nicht nur „eine praktische Einheit für eine vorläufige orientirende Betrachtung" (p. 20) ist. Die besonderen Qualitäten, die ihm Mach selbst zuertheilt, bezeichnen doch deutlich seinen Gegensatz gegen die von dem Ich wahrgenommenen Empfindungskomplexe. Nun belehren mich die Aussagen meiner Neben-Ich, welche ich ja auf Grund des „Analogieschlusses" als ebenfalls empfindend anerkenne oder vor- stelle, darüber, dass sie, gleichzeitig mit mir, mit gewissen Empfindungs- komplexen in Beziehung treten können, das sind eben jene der Aussenwelt Anmerkung No. 3. 51 - angehörigen Empfindungskomplexe; während diese Neben-Ichs dagegen mit einer gewissen Kategorie von Empfindungskomplexen niemals in direkte Beziehung treten, d. h. mit allen jenen, welche als Erinnerungsbilder, Vor- stellungen etc. mein eigenstes Ich ausmachen. Ebensowenig, wie ich mit jenen, welche ich in ihren Ichs voraussetze. Hieraus ergibt sich, dass die Empfindungskomplexe in zwei ganz verschiedene Kategorien zerfallen, in diejenigen, welche gleichzeitig mit vielen Ichs in Beziehung treten, und die- jenigen, die nur mit einem Ich dies thun. Ein Begreifen dieser Verschieden- heit auf der Mach'schen Grundlage scheint unmöglich; wogegen die sog. naive Ansicht, welche nicht einfach die Empfindung mit dem Empfundenen identifizirt, keine besondere Schwierigkeit in dieser Hinsicht findet. Die Schwierigkeit, welche darin liegt, dass ein Empfindungskomplex gleichzeitig mit zahlreichen Ichs in Beziehung tritt, scheint mir nicht uner- heblich zu sein. Denn sie erforderte gewisseftnassen die Vorstellung, dass alle Empfindungskomplexe eine einheitliche Masse bilden, eine Einheit. Die Erfahrung lehrt ferner, dass meine Neben-Ichs auch Zustände (Tod , Ohnmacht) zeigen können , in welchen ich ihnen auf Grund des gleichen „Analogieschlusses" keine Beziehung zu den Empfindungskom- plexen der Aussenwelt mehr zuschreibe ; und dass ich mittels des um- gekehrten Analogieschlusses denken muss, dass auch mein Ich einstmals diesen Zustand zeigen wird, wo sein Körperkomplex zwar noch besteht, dagegen seine Beziehungen zu den beiden Kategorien der Empfindungs- komplexe aufgehört haben. Auch diese Schwierigkeit scheint mir auf Grund der Mach' sehen Identifizirung der Empfindung mit dem Empfundenen nicht begreiflich, während sie für die gegentheilige Auffassung keine unüber- windliche ist. 4) (zu pag. 6) Gedächtnis s. Ein solcher Parallelismus, ein solches Zugeordnetsein, wie ich es hier für die physischen und psychischen Vor- gänge annehme, hat auch schon E. Hering (1870) vorausgesetzt; wenn auch, soweit ich sehe, nicht über das Gebiet des Lebenden ausgedehnt. Im Gegen- satz zu meiner Auffassung folgert Hering aber daraus, dass das Ge- dächtniss oder die Erinnerung eine ganz allgemeine Eigenschaft der lebenden oder „organisirten Materie" sei, indem ja, wie natürlich, auch die Gedächtnissempfindungen von einem physischen Vorgang begleitet sein müssen. Es scheint mir jedoch zweifelhaft, ob wir annehmen dürfen, dass in einem einfachen Elementarorganismus, einer einfachen Zelle, die Beding- ungen gegeben sein können zu einer Art dauernder Aufspeicherung und gelegentlicher Wiederholung der durch äussere Reize häufiger bedingten inneren Zustandsänderungen in einer modifizirten und abgeschwächten Form, wie wir sie eben, als die Gedächtnissempfindungen begleitend, voraussetzen müssen. Mir will es nicht recht gelingen, einzusehen, dass dergleichen in einem einfachen Elementarorganismus, in der lebendigen Substanz, ohne weitere besondere Einrichtungen, möglich sein sollte. Die Schwierigkeit dieses Problems liegt ja darin, dass wir uns einstweilen keinerlei genügende, wenn auch nur bildliche Vorstellung davon machen können, wie eine Anmerkung No. 3—4. 4* 52 physische Zustandsänderung sich gewissermassen aufspeichern können soll, um dann in gewissem Sinne spontan, oder als Folge von damit häufig verknüpft gewesenen Zustandsänderungen, in modifizirter Form von Neuem einzutreten. Alle etwa möglichen physischen Bilder, wie das Mitschwingen von Saiten und Aehnliches, das Hinterbleiben dauernder Aenderungen wie bei photo- graphischen Vorgängen, die andauernde schwache Lichtentwicklung gewisser Körper nach Belichtung, scheinen mir keine Möglichkeit eines einigermassen adäquaten Verstehens eines solchen Vorgangs zu eröffnen. Wie gesagt, halte ich es daher für zweifelhaft, ob wir berechtigt sind, der lebendigen Substanz an sich eine solche Fähigkeit zuzuschreiben, und nicht vielmehr dieselbe erst von einem komplizirter entwickelten Nervenapparat bedingt erachten müssen. Das Gedächtniss oder Erinnerungsvermögen, welches Hering der organisirten Substanz als allgemeine Eigenschaft zuschreibt, wird natürlich als ein „unbewusstes" betrachtet'; worin ja ein Widerspruch liegt, da eigentliche Gedächtnisserscheinungen nur im Bewusstsein sind und das Gedächtniss als die Bedingung des Bewusstseins oder des Ichs erscheint. Die Begründung der Annahme eines solch' unbewussten Gedächtnisses, die Hering ent- wickelt, scheint mir auch eine andere Auffassung zuzulassen. Er geht dabei von der Erfahrung aus, dass Fertigkeiten, die ursprünglich mit Hilfe bewusster Gedächtnissoperationen erlangt wurden, durch anhaltende Uebung allmählich so vollzogen werden, dass die einzelnen Gedächtnissakte dabei nicht mehr ins Bewusstsein treten; und dass in gleicher Weise Urtheile, welche ur- sprünglich eine Anzahl getrennter psychischer Operationen erfordern, sich schliesslich unbewusst vollziehen. Hieraus folge, dass Gedächtnisserschein- ungen auch unbewusst verlaufen können, dass ein unbewusstes Gedächtniss bestehe. Ich halte dagegen eine andere Auffassung dieser Erscheinung für wahrscheinlicher. Eine Empfindung erfordert, um als besondere, isolirte Erscheinung ins Bewusstsein zu treten, eine gewisse Zeit; zu rasch auf einander folgende Empfindungen werden nicht mehr gesondert wahrge- nommen. Ein komplizirter, ursprünglich aus einer ganzen Anzahl einzelner Gedächtnissakte zusammengesetzter Vorgang wird um so schneller ver- laufen, je besser er eingeübt wurde. Wenn nun der Ablauf der einzelnen, ihn ursprünglich zusammensetzenden Gedächtnissakte so rasch ist, dass sie nicht mehr gesondert empfunden werden können, so wird der Verlauf des Aktes den Charakter des Unbewussten annehmen, indem seine einzelnen Glieder nicht mehr getrennt bewusst werden. Wie gesagt, scheinen mir daher diese Vorgänge nicht nothwenig zur Annahme eines unbewussten Gedächtnisses zu führen; wenigstens nicht in dem Sinne, dass sie uns berechtigen, solch' unbewusste Gedächtnissvorgänge auch da voraussetzen zu dürfen, wo wir ein Bewusstsein als solches nicht annehmen können. Die Erfahrung, dass Organe durch Uebung und Ge- brauch kräftiger werden (dass sie bei Uebung ihre Leistung auch direkt leichter oder schneller vollziehen, wie Hering annimmt, ohne dass hierbei Innervationsverhältnisse eingreifen, scheint mir zweifelhaft), kann ich nicht als einen weiteren Beleg für eine unbewusste Gedächtnissbefähigung der Anmerkung No. 4. 53 organisirten Substanz erachten, da es mir unwahrscheinlich ist, dass diese Erscheinung überhaupt mit einem dem Gedächtniss analogen Vorgang in Verbindung gebracht werden könne. 5) (zu pag. 7). Eine Erörterung A. v. Humboldt's, auf die ich durch ein Citat von C. Hauptmann aufmerksam wurde, möchte ich an dieser Stelle wiederholen (siehe Cosmos, Ausg. in 5 Bd., Bd. I, pag. 32): „Einzelheiten der Wirklichkeit, sei es in der Gestaltung oder der Aneinander- reihung der Naturgebilde, sei es in dem Kampfe des Menschen gegen die Naturmächte oder der Völker gegen die Völker, alles, was dem Felde der Veränderlichkeit und realer Zufälligkeit angehört, kann nicht aus Begriffen abgeleitet (konstruirt) werden. Weltgeschichte und Weltbeschreibung stehen daher auf derselben Stufe der Empirie" .... Diese Betrachtung scheint mir dasjenige, was ich gleichfalls zum Ausdruck bringen wollte, schon recht treffend darzulegen. Es mag vielleicht nicht ungerechtfertigt erscheinen, an diesen Gegen- satz zwischen beschreibenden und exakten Wissenschaften noch einige Be- merkungen zu knüpfen. Richtiger bezeichnet würde dieser Gegensatz eigentlich wohl als der jener Wissenschaften, welche die gesetzmässigen Ab- hängigkeitsverhältnisse der Veränderungen der Dinge auf experimentellem Wege festzustellen suchen, und derjenigen Wissenschaften, welche die ge- gebenen Regelmässigkeiten in der gegenwärtigen Natur und ihren historischen Wandel im Laufe der Zeit zu ermitteln suchen. Im weiteren Sinne Hessen sich die letzteren auch als die Wissenschaften des historischen Werdens und Seins der Natur bezeichnen. In einseitiger Weise wurde nun gelegentlich über die geringe Bedeutung dieser historischen Wissenschaften geurtheilt. „Es kann uns durchaus gleichgültig sein" sagt Driesch (1893 p. 27) „dass nun gerade die und die Formen" (von Organismen) „auf unserer Erde realisirt sind und so aufeinander folgten, durchaus gleichgültig im Sinne der theoretischen allgemeinen Naturforschung, welcher der sich an bestimmte Orte und Zeiten knüpfende Begriff der Geschichte fremd ist." Es wird dies speziell bemerkt im Hinblick auf den Darwinismus und die Bestrebungen, die historische Aufeinanderfolge, die phyletische Entwick- lung der Organismengruppen zu ermitteln. Ganz abgesehen davon, dass wir die Natur nicht nur desshalb studiren, um das gesetzliche Geschehen in ihr kennen zu lernen, sondern auch, um überhaupt zu wissen, worin wir denn leben und von was wir umgeben sind, auch in der gewiss nicht zu verachtenden praktischen Rücksicht, unser Verhalten demgemäss einzurichten , so lässt sich doch auch fragen , was interessiren uns denn eigentlich jene gesetzlichen Geschehensweisen , welche meist als an sich wenig interessante mathematische Gleichungen erscheinen? Warum sind uns diese nicht gleichgültig? An und für sich bietet es doch keinen er- heblichen geistigen Genuss zu wissen, dass die Gravitationsbeschleunigung proportional der Masse und umgekehrt proportional dem Quadrate der Ent- fernung ist. Was uns diese Gesetzlichkeiten nicht gleichgültig erscheinen lässt, ist doch eben gerade das, was wir aus ihnen zu folgern vermögen, Anmerkung No. 5. — 54 — sei es für unsere praktischen Zwecke oder für das Verständniss der gegen- wärtig in der Natur verlaufenden und der ehemals verlaufenen historischen Vorgänge. Ganz dasselbe würde auch für die experimentell eventuell fest- zustellenden Gesetzlichkeiten in der Entwicklungsphysiologie gelten; sie wären uns nur soweit nicht gleichgültig, sondern von höchstem Interesse, als sie uns das Begreifen der historisch gewordenen Organismenformen ermöglichten. Hierzu ist aber doch vor allen Dingen die genaue Kenntniss dieser Formen sowohl, als ihrer, wenn auch nur wahrscheinlichen historischen Aufeinanderfolge nothwendig. Vermag denn die Geologie etwas mit den physikalischen und chemischen Gesetzlichkeiten zu erklären, bevor sie die jetzige Beschaffenheit und den wahrscheinlichen historischen Verlauf einer geologischen Erscheinung genau festgestellt hat. Wenn uns die existirenden Formen der Organismen gleichgültig sein sollten, warum dann nicht auch die existirenden chemischen Elemente? Eine gute Kritik des ablehnenden Verhaltens mancher Entwickelungs- mechaniker gegen jegliche, auch die vorsichtigste phylogenetische Folgerung siehe bei Eisig (1898 pag. 255 ff.). Da ich mich schon 1876 (s. Einleitung pag. 1) dahin aussprach, dass „auch jede einzelne organische Gestalt aus den gegebenen Grundlagen und Bedingungen ihres Hervorgehens sich erklären lassen müsste", d. h. also, ganz abgesehen von phylogenetischen Erwägungen, auf entwickelungs- mechanischem Wege aus dem gegebenen Bedingungskomplex des befruch- teten Eies, in solcher Weise, wie es später die Entwickelungsmechanik als ihr Forschungsziel aufstellte , so möchte ich hier noch Folgendes zufügen. Zugegeben, dass solch eine entwickelungsmechanische Erklärung irgend einer thierischen Form möglich sei, so geschieht dies, ohne jede phylogenetische Rücksichtnahme, von einem gegebenen Anfangssubstrat aus, dem befruchteten Ei und seinem besonderen Bedingungskomplex. Wie aber erklärt sich gerade dieser Bedingungskomplex des Ausgangssubstrates der Entwicklung, des befruchteten Eies? Hier hört die rein entwickelungs- mechanische Erklärung definitiv auf. Denn dieses Ei und sein besonderer Bedingungskomplex ist etwas historisch gewordenes und daher in seiner Besonderheit auch nur mit Berücksichtigung des historischen Werdegangs der Organismen zu verstehen , welche im Laufe der Erdgeschichte an seiner Hervorbringung mitgearbeitet haben. In diesem Sinne also ist die phylogenetische Forschung für das Verständniss des Organismus unent- behrlich. 6) (zu pag. 8). Einem solchen Zusammenwerfen von Mechanismus mit Materialismus begegnen wir bei Bunge, der bemerkt (pag. 13): „Den umgekehrten und verkehrten Weg schlägt der Mechanismus ein, der nichts anderes ist als der Materialismus - - er geht von dem Unbekannten aus, von der Aussen weit, um das Bekannte zu erklären, die Innenwelt". 7) (zu pag. 9.) Ich habe 1896 in einer kleinen Abhandlung zwischen „Umschreibungs- und Erweiterungshypothesen" unterschieden, im besonderen Hinblick auf die in neuerer Zeit in der Biologie aufgestellten Hypothesen. Anmerkung No. 5 — 7. 5o Die erste Art der Hypothesen suchte ich als eine blosse Umschreibung der Probleme, als nichts erklärend, zurückzuweisen; die zweite Art erkannte ich dagegen als eine Erweiterung unseres Verständnisses, unseres Begreifen s der Erscheinungen, als erklärend an. Erst später fand ich, dass Driesch schon 1894 (pag. 151 — 157) die Umschreibungshypothesen kritisirte, in ganz ähnlicher Weise als eine „Photographie der Probleme" zutreffend bezeichnete, auch das Wort „umschreiben" gebrauchte und, ebenso wie ich, auf das charakteristische alte Beispiel M o 1 i e r e 's über die „schlafmachende Kraft" des Opiums hingewiesen hat. 1893 dagegen schien ihm Wiesner 's Plasomtheorie noch als ebenso berechtigt wie die optische Theorie des Lichts oder die kinetische Gastheorie, und auch die Weis man n'sche Theorie berechtigt, „indem sie sich damit befasse, zu erläutern, wie, d. h. durch welche Art der Energie diese (d. h. die spezifische Formgestaltung) in die Erscheinung treten könnte" (p. 46). Hinsichtlich der sog. Umschreibungshypothesen besteht daher eine erfreuliche Uebereinstimmung zwischen Driesch 's und meiner Auffassung. Nicht so völlig gilt dies für die Hypothesen, welche ich „Erweiterungs- hypothesen" genannt habe. Driesch 's Meinung, dass Theorien, wie die kinetische Gastheorie, die Undulationstheorie des Lichts, die Atomtheorie der Chemie, das betreffende Gebiet oder die betreffenden Probleme nur „veranschaulichten und leichter fassbar machten", theile ich nicht. Ich bin der Meinung, dass durch diese Theorien und die ihnen zu Grunde liegenden Hypothesen thatsächlich Einsicht gewonnen wird, d. h., dass Vorgänge, welche vorher unbegreiflich waren, unter der gemachten, und aus dem empirischen Bestand der sonst bekannten Naturvorgänge übertragenen Voraussetzung, nun als von dieser bedingt und nothwendig erscheinen. Driesch erblickt in Erkenntniss nur Analyse; dies scheint mir aber für die korrekte und zulässige Erweiterungshypothese nicht zutreffend. Diese geht wie jede Hypothese über Analyse hinaus, indem sie eben als Aus- gangspunkt unserer Erkenntniss des Problemes eine Erfahrung setzt, welche nicht durch die Analyse dieser Erscheinung gewonnen ist, von welcher letztere sich jedoch hypothetisch, unter gerechtfertigten Bedingungen, wider- spruchslos ableiten lässt. 8) (zu pag. 9.) Für das Verständniss des älteren Vitalismus scheint es angezeigt, hier wenigstens die Anschauungen eines seiner hervorragend- sten Vertreter wiederzugeben. Ich citire daher einige der bezeichnendsten Ausführungen über Lebenserscheinungen und die Lebenskraft aus Joh. Müll er 's „Handbuch der Physiologie der Menschen" (1833). (pag. 23): „Allein diese Harmonie der zum Ganzen nothwendigen Glieder" (des Organismus) „besteht doch nicht ohne den Einfluss einer Kraft, die auch durch das Ganze hindurch wirkt, und nicht von einzelnen Theilen abhängt, und diese Kraft besteht früher als die harmonischen Glieder des Ganzen vorhanden sind, sie werden bei der Entwicklung des Embryo von der Kraft des Keimes erst geschaffen". „Diese vernünftige Schöpfungs- kraft äussert sich in jedem Thiere nach strengem Gesetz". Anmerkung No. 7 — 8. - 56 — (pag. 24): „Stahl's Seele ist die nach vernünftigem Gesetz sich äussernde Kraft der Organisation selbst". Die Organisationskraft äussere sich „zweckmässig aber nach blinder Nothwendigkeit". „Die bewusstlos wirkende zweckmässige Thätigkeit". (p. 25): „Man darf ihre blinde nothwendige Thätigkeit mit keinem Be- griffbilden vergleichen." „Die organische Kraft dagegen, die Endursache des organischen Wesens, ist eine die Materie zweckmässig verändernde Schöpfungskraft". Bei der Besprechung von Reil 's Ansichten scheint es Joh. Müller doch auch möglich, dass diese Kraft eine imponderable Materie sei (p. 26 — 27), jedoch nicht identisch mit einem der Imponderabilien der unorganischen Welt: „Das Leben . . . beginnt sich zu äussern mit einer in der Materie des Keimes wirkenden Kraft oder imponderablen Materie" (p. 28). (pag. 29.): „Die organische Kraft, welche in dem organischen Körper den zum Leben nothwendigen Mechanismus erschafft, ist doch keiner Acte ohne diesen äusseren Impuls und ohne beständige materielle Umwandlungen mit Hilfe der äusseren sogenannten Lebensreize fähig". (pag. 36.): „Es lässt sich viel angemessener annehmen, dass das von einem organisirten Körper organisirte in dem Mass zugleich theilhaftig wird der organisirenden Kraft, als es organisirt wird". (pag. 38.) : „Nun wird die organische Kraft bei dem Wachsthum und der Fortpflanzung der organischen Körper multiplizirt .... während auf der anderen Seite die organische Kraft des sterbenden Körpers zu Grunde zu gehen scheint". (pag. 39.): „So viel scheint aber gewiss, dass bei dem Sterben der organischen Körper die organische Kraft wieder in ihre allgemeinen natürlichen Ursachen aufgelöst wird". Müller ist daher der Ansicht, dass die organische Kraft aus „unbekannten Quellen der Aussenwelt in den einmal vorhandenen organischen Körpern" vermehrt wird, da man sonst nicht begreifen könne, dass sie bei der Fortpflanzung in ihrer Intensität nicht geschwächt werde. Diese Aussprüche, welche leicht durch zahlreiche ähnliche vermehrt werden könnten, scheinen doch recht deutlich zu zeigen, dass Müller's Anschauungen, abgesehen von der Unsicherheit, welche das mangelnde Verständniss des Prinzips der Energieerhaltung bedingen musste, im Grunde ganz dieselben sind, wie sie von dem Neo- Vitalismus geäussert werden. Ob das Prinzip Lebenskraft oder organische Kraft oder besonderes gesetz- liches Geschehen, biologisch-vitalistisches Geschehen u. s. f. genannt wird, darauf kommt wenig an. Man könnte aus Müller's Darstellung mit Recht ableiten, dass er sich die Lebenskraft als eine besondere vitale Energieform gedacht habe. Gleichzeitig dürfte jedoch aus obigen Nachweisen auch hervorgehen, dass die Darstellung, welche E. D ubois-Rey mon d (1894) von J. Müller's Anschauungen über die Lebenskraft gab, sehr wenig korrekt ist. Anmerkung No. 8. - 57 - 9) (zu pag. 10.) Driesch (1899 pag. 99) bezeichnet den Vitalismus als „diejenige Auflassung, welche in Lebensgeschehnissen Vorgänge mit ihnen eigenthümlicher Elementargesetzlichkeit erblickt.". Er verwahrt sich aber dagegen, dass jene „eigenthümliche Elementargesetzlichkeit" als eine besondere Energieart anzusehen sei; das, was der Vitalismus „einführt, als Agens, ist etwas ganz wesentlich Anderes" (1899 pag. 109). Die gelegentlich geäusserte Ansicht, dass die Besonderheit der Lebewesen von einer eigenthümlichen Energieform abhängen könnte, welche nur unter den besonderen, im Organismus bestehenden Beding- ungen erscheine — deren erstes Auftreten also mit den Bedingungen gegeben war, unter denen ein erster Organismus sich bildete — scheint mir unhaltbar. Einmal desshalb, weil in der Organismen weit von einer solchen Energieform bis jetzt nichts beobachtet wurde. Zur Annahme, dass die besonderen stofflichen Verhältnisse des Organismus von einer besonderen Energieform abhingen, welche von der chemischen Energie verschieden wäre, scheint kein Grund vorzuliegen. Die äusseren und inneren Form- verhältnisse des Organismus von einer besonderen Energieform abhängen zu lassen, scheint ebenfalls nicht gerechtfertigt. Mit keiner der bekannten Energieformen stehen komplizirte Bau- und Strukturverhältnisse, wie sie der Organismus zeigt, in einfacher Abhängigkeit. Komplizirte Formver- hältnisse, welche Gleichgewichtszustände sind, können nur von komplizirten gehäuften Bedingungen abhängen, überhaupt nicht einfach bedingte Gleich- gewichtszustände sein, möge die Energieform, von der sie abhängen, auch eine andere sein, als die bekannten. Gegen die Annahme einer besonderen vitalen Energieform hat sich auch Albrecht (1899 pag. 19) ausgesprochen. Ebenso ist Driesch, wie vorhin bemerkt, kein Anhänger dieser Meinung. Auf etwas eigenthümliche Weise versuchte H. Buchner (1898) nachzu- weisen, dass eine besondere vitale Energieform im Bereich der Lebewelt bestehe. Nachdem er, in nicht sehr klarer Weise sich auf Schopenh au er stützend, die sog. Naturkräfte (jetzt Energieformen) als Ursachen verworfen hat, kommt er doch zur Anerkennung sog. „energetischer causae" oder „causae physicales", die nichts anderes sind als jene zuerst verworfenen Natur- kräfte oder Energieformen. Neben diesen causae physicales und den causae occasionales (Auslösungsursachen), welche nach Buchner den Vorgang kausal-energetisch feststellen, erhebt sich jedoch nach ihm noch die Frage nach dem Grund, d. h. warum nun gerade ein solcher Vorgang, wie z. B. die Verbindung von Wasserstoff und Sauerstoff zu Wasser, geschieht. Dieser Grund ist nach Buchner die „chemische Affinität" ; sie bildet nach ihm den „logischen Erkenntnissgrund" oder die „ratio" dieser Erscheinung; und diese ratio muss von der causa streng gesondert werden; „der Erkenntniss- grund bleibt ganz ausserhalb der analytisch-kausalen Betrachtung." Die Erscheinung, dass sich H und O zu H20 zu verbinden vermögen, ist, wie man sagt, eine Eigenschaft dieser beiden Naturkörper und, da sie keiner weiteren Erklärung zugänglich ist, eine sog. qualitas occulta. Quali- tates occultae derselben Art, d. h. von grosser Aehnlichkeit, zeigen uns Anmerkung No. 9. — 58 — jedoch sämmtliche elementare Naturkörper, weshalb wir für diese überein- stimmenden Eigenschaften aller Elemente und auch ihrer Verbindungen den Sammelnamen oder den Begriff der chemischen Affinität gebildet haben. Wenn ich daher sage, der Grund, warum sich Wasserstoff und Sauerstoff verbinden, ist die chemische Affinität dieser Körper, so sagt dies nur, die Erscheinung der Verbindung von Sauerstoff und Wasserstoff gehört zu den- jenigen Erscheinungen, welche wir unter dem Begriffe der chemischen Affinitätserscheinungen zusammenfassen. Dagegen ist die Annahme einer chemischen Affinität als wirkende Ursache oder Kraft ungerechtfertigt und nichts erklärend, wie dies für diesen und andere Fälle schon häufig hervor- gehoben wurde. Buchner nennt denn auch ganz richtig die chemische Affinität den „logischen Erkenntnissgrund", d.h., der Vorgang gehört zu dem empirischen Begriff der chemischen Affinität, etwa so, wie ein Mensch zu dem Begriff Organismus gehört; und ich muss, wenn ich über den Einzel- vorgang gar nichts Näheres weiss, durch diese Zurechnung schon die all- gemeine Art des Vorgangs kennen lernen, wenn mir der Begriff bekannt ist. Diese Eigenschaft der Körper H und O, die wir als chemische Affinität bezeichnen, kann jedoch bei der Beurtheilung des Vorgangs ihrer Vereinigung zu Wasser nicht unberücksichtigt gelassen werden, denn sie muss eben doch vorhanden sein, wenn die Verbindung eintreten soll. Bei dem kau- salen Vorgang, welcher zur Bildung von H2O aus H und O führt, tritt diese Eigenschaft als Bedingung oder als bedingende Ursache auf, ebenso wie ja bei dem einfachen Stossproblem der Ort des gestossenen Körpers und die Bewegungsrichtung des stossenden nothwendige Bedingungen sind, wenn ein Effekt eintreten soll, obwohl davon in die Energiegleichung nichts eingeht. — Die Eigenschaft der chemischen Affinität von H und O geht, wie gesagt, als Bedingung in das Kausalproblem ein; und dies zeigt wiederum, dass es nicht richtig ist, diese Eigenschaft als wirkende Ursache einführen zu wollen. Dagegen dürfen wir uns diese Eigenschaft von einem be- sonderen Gleichgewichtszustand wirkender Ursachen in den Stoffen H und O bedingt vorstellen; und da Gleichgewichtszustände überhaupt nicht kausal abhängig erscheinen, sondern irgendwie formal oder quantitativ formal be- dingt sind, so kommen wir schliesslich auf strukturelle Bedingungen, von welchen diese Eigenschaft abhängen kann. Buchner ist nun der Meinung, dass, ebenso wie die chemische Affinität, die Gravitation etc., Erkenntnissgrund oder ratio der betreffenden Vorgänge seien, auch für die Organismenbildung ein solcher Erkenntnissgrund, eine solche ratio vorhanden sein müsse. Dies wird in einer meiner Meinung nach un- zulässigen Weise aus der Entstehung der Stärkekörner abzuleiten gesucht, welche B. nach Nägel i als organisirte Substanzen auffasst. Ihre Natur lässt sich jedoch meiner Ansicht nach auf die der gewöhnlichen Sphäro- krystalle zurückführen, und ihre Eigenschaften daher als zur Kategorie dieser gehörig betrachten. Danach wäre daher auch kein besonderer Erkennt- nissgrund für sie nothwendig, ein „Wachsthums- oder Bildungs- trieb", wie ihn Buchner für sie und die Organismen überhaupt annehmen Anmerkung No. 9. — 59 will; es genügte die „Krystallanziehung", die B. als Erkenntnissgrund der Krystallbildung bezeichnet. Demnach gelangt Buchner also zu der Ansicht, dass die besondere Konstellation der Bedingungen in den Organismen eine besondere, den Anorganismen fehlende Gesetzlichkeitsform oder Energie- form bedinge, die er den „Bildungstrieb" nennt; ähnlich, wie er sich die Krystallbildung von einer besonderen Krystallanziehung bedingt denkt. Nun ist es schon nicht üblich, sich die Krystallbildung in dieser Weise von einer besonderen Energieform bedingt zu denken, aus dem Grunde, weil die Er- fahrung nicht ergeben hat, dass mit der Krystallbildung in gesetzmässiger Weise freie Energie besonderer oder bekannter Art verknüpft ist. Das- selbe gilt jedoch auch von den organisirten Individuen; auch sie sind for- male Gleichgewichtszustände wie die Krystalle, doch auch mit ihnen lässt sich in keiner Weise eine besondere Energieform in Verbindung bringen. Die mögliche Bildung komplizirter Gleichgewichtsformen erfordert jedoch auch keineswegs neue besondere Energien, wie ja die Maschinen ver- schiedenster Art erweisen; sie erfordert nur das Zusammentreffen günstiger Bedingungen unter den aus der Anorganismenwelt bekannten energetischen Gesetzmässigkeiten und einer successiven Steigerung der Komplikation im Zusammenhang mit den äusseren wechselnden Verhältnissen. Dieser Versuch, einen besonderen sog. Erkenntnissgrund (Naturkraft, Energieform) als „Erklärungsgrund" der Organismen einzuführen, gibt Veranlassung, der Frage nach den sog. Energien selbst etwas näher zu treten. Zunächst finden wir das, was wir freie (aktuelle) Energie nennen: 1) mechanische Energie oder Bewegung von Dingen und Formveränderungen, 2) freie Wärme und 3) freie strahlende Energien (Licht, Elektrizität, Mag- netismus). Freie Energien treten stets auf bei gewissen Zustandsänderungen von Dingen, wenn das Ding aus einem ruhenden Gleichgewichtszustand in einen anderen übergeht. Potentielle oder latente Energien nennt man dagegen die Eigenschaft, das Vermögen der Dinge, bei solchen Zustandsänderungen freie Energien obengenannter Art zu geben. Andererseits finden wir, dass bei Zustandsänder- ungen der Dinge freie Energien verschwinden können, d. h. dass sich andere Ruhe- oder Gleichgewichtszustände bilden, welche jene freie Energie potien- tiell, d. h. gewissermassen im Gleichgewicht sich paralysirend, enthalten. Aus diesem geht hervor, dass Energie identisch ist mit dem, was wir auch als wirkende Ursachen bezeichneten. Der Uebergang potentieller Energie in freie und ebenso umgekehrt geschieht nach gewissen Gesetzmässigkeiten, welche mit den sonstigen Bedingungen der kausalen Prozesse zusammen- hängen. Hiernach unterscheidet man gewisse potientielle Energieformen, welche bei dem Uebergang in freie Energie in der Form von mechanischer Energie auftreten, so Distanzenergie (Lageenergie, Gravitation), Formenergie und Volumenergie (Elasticität), Oberflächenenergie; hier handelt es sich demnach um Energieformen, welche nur in dem potentiellen Zustand und der Art ihrer gesetzlichen Bedingungen Besonderheit zeigen, dagegen sich Anmerkung No. 9. — 60 — frei nur als mechanische Bewegung äussern, und welche daher auch in ihrem potentiellen Zustand nicht wohl anders als mechanisch bedingte Gleich- gewichtszustände beurtheilt werden können. Das, was man chemische Energie nennt, äussert sich frei in verschiedener Form als Wärme, Licht, Elektrizität, mechanische Energie, aber doch nur in Form anderer Energien; eine chemische Energie existirt daher auch nur in potentieller Form als in besonderer Weise gesetzlich bedingter Gleichgewichtszustand; als wirkende Ursache dagegen, wie mechanische Bewegung, Wärme und sonstige freie Energien, begegnen wir ihr nicht. Die übrigen Energien scheinen dagegen eine Art Mittelstufe einzunehmen, da sie latent oder potentiell und frei auftreten können. Auf diesen Erwägungen und der allgemeinen Betrachtung, dass die Zustände potentieller Energie sich nicht wohl mit etwas anderem, als mit Gleichgewichtszuständen vergleichen lassen, wie sie in Bezug auf mechanische Energie die Mechanik in formaler Weise kennen lehrt, scheint mir wesentlich das Streben zu beruhen, die Gesammtheit der Energien auf mechanische zurückzuführen, was natürlich nur auf der Grundlage eines formal strukturellen atomistischen Aufbaues der Stoße möglich erscheint. 10) (zu pag. 14.). Wenn ich den kausalen Vorgang bei dem einfachen Stoss zweier elastischer Körper aufeinander, im Gegensatz zu den eigent- lichen Auslösungsprozessen, als eine einfache Kausalkette betrachtet habe, bei welcher auf die wirkende Ursache des Körpers B die Aenderung des Körpers A, d. h. dessen Bewegungszustand, einfach folge, so ist dies eine Vereinfachung der Betrachtung, welche nach unseren Erfahrungen dem wirk- lichen Geschehen nicht genau entspricht. Der eigentliche Vorgang bei dem Stoss elastischer Körper kann vielmehr nur so aufgefasst werden, dass bei dem Zusammentreffen des sich bewegenden Körpers B und des ruhenden A zunächst eine innere Zustandsänderung (elastische Aenderung) der beiden Körper eintritt, deren Folge erst die Bewegung des Körpers A ist. Man erkennt jedoch leicht, dass wenn schon der einfache Stoss sich als eine Kausalkette ergibt, ein kausaler Auslösungsvorgang stets eine noch kom- plizirtere Kausalkette ist; denn wenn die Auslösungsursache ein Stoss ist, der eine Hemmung beseitigt, so erscheint ja schon sie in der Form einer solchen einfachen Kausalkette wie der elastische Stoss. Die Kausalverket- tung bei einem Auslösungsvorgang wird daher stets komplizirter sein als die, welche wir bei einem einfachen Kausalvorgang antreffen. Bei Erörterung des Kausalitätsbegriffes ging man in neuerer Zeit viel- fach auf Schopenhauer zurück, der ja auch in mancher Hinsicht recht klar ist. Im Allgemeinen besagt seine Definition : Ursache ist eine Verän- derung, auf welche eine andere , Regelmässig, d. h. allemal, so oft die erstere da ist, folgt". (Siehe besonders in „Vierfache Wurzel des Satzes vom zu- reichenden Grund". Ges. Werke : Bd. I p. 34 ff.) Statt Veränderung gebraucht er auch den Begriff „Zustand"; doch würde ich den ersteren, oder noch besser „Zustandsänderung" vorziehen, weil er eben dasjenige klar hervorhebt, was die wirkende Ursache, oder die Ursache im engeren Sinne, von den Anmerkung No. 9 — 10. — 61 — Bedingungsursachen unterscheidet. Bei genauerern Zusehen ergibt sich jedoch, dass Schopenhauer eigentlich nur Auslösungsursachen kennt, dagegen die einfachen Ursachen gar nicht aufführt. Dies erweisen die von ihm an- geführten Beispiele. Hierauf beruht es denn auch, dass er sich auf das ent- schiedenste dagegen verwahrt, dass die Naturkräfte, also Schwere, Elasti- zität, Wärme etc., d. h. das, was wir heute Energieformen nennen, Ursachen seien; sie sind es, nach ihm, „was den Ursachen die Kausalität, d. i. die Fähigkeit zu wirken, allererst ertheilt, von welchen sie also diese zu Lehn haben" (pag. 45). Die Naturkräfte sind ihm eben die Erscheinungsformen des Willens, welcher durch die Ursachen zur Aeusserung veranlasst wird. Mit der Unkenntniss des Gesetzes von der Erhaltung der Energie fehlt in der Erörterung der Kausalität bei Schopenhauer ganz die Kenntniss, dass die in Folge der Auslösungsursache auftretenden sogenannten Naturkräfte oder Energien Folgen früher aufgetretener, jedoch nicht zur Wirkung ge- kommener, sondern in einem Gleichgewichtszustand verharrender Ursachen sind, dass jedes Auftreten einer solchen Naturkraft der Uebergang aus einem Gleichgewichtszustand in einen anderen ist, in welchem die im Gleichgewicht befindlichen (potentiellen) Ursachen quantitativ geringer sind. Sehr richtig hat dagegen Schopenhauer schon hervorgehoben, dass regelmässige Succession allein keine Kausalität ist (Bd. I pag. 87 — 88.) Er lässt jedoch die Frage ganz offen, worin wirkliche Kausalität von regel- mässiger Succession sich unterscheide. Diese Untersuchung würde zur Ueber- zeugung geführt haben, dass jene Erkenntniss nur durch das Experiment, die willkürliche Veränderung der Bedingungen, herbeizuführen ist. Lotze (1842) betonte sehr richtig die stete Vielheit der Ursachen (Bedingungen) bei jedem Kausalvorgang; dagegen tritt bei ihm das kenn- zeichnende Moment der wirkenden Ursache, die Zustandsänderung, nicht genügend hervor, so dass er nicht diese, sondern die Dinge selbst, als die Ursachen bezeichnet. Neben diesen steht daher bei ihm die Kraft, das hypo- thetisch in den Dingen wirkend Gedachte, als der „Grund" des Wirkens der beiden Ursachen, die Naturkraft Sc hop enh auer's. Eine scharfe Unterscheidung zwischen wirkender Ursache und bedingen- den Ursachen (Bedingungen, Umstände) vermisst man in den Erörterungen über kausale Vorgänge vielfach; ebenso fehlen häufig klare Anschauungen der Beziehungen zwischen einfachen Ursachen und Auslösungsursachen (Ver- anlassungen Bunge 's). Beispielsweise finde ich eine Erörterung über den Kausalvorgang bei der Bildung von Wasser durch die Vereinigung von Wasserstoff und Sauerstoff, in welcher die Zufuhr von Wasserstoff zum Sauerstoff (bei genügender Temperatur) als Ursache, das gebildete Wasser dagegen als Wirkung bezeichnet wird. Nun ist dieser Vorgang überhaupt kein einfacher Kausalvorgang im Sinne des Stosses etwa , sondern ein Auslösungsvorgang. Sauerstoff und Wasserstoff sind zwei chemisch-energe- tische Gleichgewichtszustände, die bei Steigerung der Temperatur auf eine gewisse Höhe in einen neuen Gleichgewichtszustand übergehen, den des Wassers. Bedingungsursachen sind einmal die beiden Systeme H u. O, Anmerkung No. 10. — 62 - in welchen frühere wirkende Ursachen im Gleichgewicht sich finden, wie in dem gehobenen und auf einer Unterlage im Gleichgewicht ruhenden Gewicht. Die Steigerung der Temperatur oder der Zusammentritt (Be- wegung) ist Auslösungsursache, wie der seitliche Stoss auf das Gewicht. Folge ist Aufhebung des Gleichgewichtszustandes, so dass die im Gleich- gewicht gewesenen wirkenden Ursachen der beiden Systeme ihre Wirkung äussern (Fall des Gewichts) und Folge davon neuer Gleichgewichtszustand (neue Ruhelage des gefallenen Gewichts), das Sj-stem Wasser. O. Hertwig's (1897) Stellung zu dem Kausalitätsproblem scheint mir einiger Erörterungen zu bedürfen, angesichts der hervorragenden Bedeutung dieses Biologen und des Umstandes, dass er mehrfach das vitalistisch- mechanistische Problem behandelte. Hertwig vertritt die Meinung, dass eine genaue deskriptive Beschreibung der Entwickelungsstadien und der formalen Entwickelungsvorgänge eines Organismus eine kausale Darstellung sei. Ich und andere versuchten demgegenüber schon darzulegen, dass regel- mässige Aufeinanderfolge als solche nicht nothwendig kausale Abhängigkeit ist, sondern wie Tag und Nacht, der Wechsel der Jahreszeiten u. s. f. von einem dritten kausal bedingt sein kann. Der alte Grundsatz, dass post hoc nicht propter hoc bedeutet, ist eben bei kausalen Betrachtungen vor allem zu beherzigen. Dieselbe Ansicht vertritt auch H. Buchner (1898 pag. 4 ff.) Nach ihm (pag. 11) „enthält eine genaue Beschreibung der Succession ja ohnehin den Kausalzusammenhang." Die von ihm angeführten Beispiele, welche diese Anschauung erweisen sollen, halte ich nicht für massgebend, sondern gerade für solche, z. B. das Zusammentreffen der Häufigkeit der Typhusvorkommnisse mit gewissen Bewegungen der Grundwasserkurve, welche kausal von einem dritten bedingt sein können, ohne jedoch selbst in kausaler Abhängigkeit zu stehen. Hertwig wirft Roux Unklarheit vor, weil er Ursache gleich Kraft setze. Nun ist ja richtig, dass sich Roux häufig des Kraftbegriffes bedient, den man besser ganz eliminirt. Dagegen geht doch aus R o u x's Darlegungen klar hervor, dass ihm Kraft als eine Bezeichnung für ein gewisses gesetz- liches Geschehen, eine Wirkungsweise, gilt, und dass daher die Bezeichnung Kraft bei ihm nichts Unklares und Mystisches hat. Wenn Hertwig sich auf Schopenhauer und Lotze beruft, indem er die Gleichsetzung von Ursache und Kraft bei Roux tadelt, so übersieht er, dass eben für Schoppen hauer gerade die Naturkräfte das sind, was den Ursachen erst ihre Wirksamkeit verleihe (s. oben), und dass auch bei Lotze die Kraft als der „Grund" der be- sonderen Wirkungsweise der Ursachen figurirt. Wie gesagt, vertrete ich ja die Meinung, dass der überflüssige Begriff der Kraft am besten ganz ver- mieden würde. Wenn aber etwas geschieht, so muss es in einer gewissen gesetzlichen Weise geschehen, und da jedes Geschehen durch vorhergehen- des Geschehen bedingt wird, so ist für die vollständige kausale Erkenntniss eines Geschehens dasjenige Geschehen, von welchem es abhängt, von be- sonderer Bedeutung; die bedingenden Ursachen, d. h. die sonstigen Be- dingungen allein geben keine vollständige Darstellung der Abhängigkeit. Anmerkung No. 10. — 63 Auf die Ermittelung dieses Geschehens (Wirkungsweise), von welchem das einzelne Entwickelungsgeschehen, resp. auch die einzelnen Entwickelungs- stadien als formale Gleichgewichtszustände abhängen, ist jedoch Roux's Bestreben gerichtet. Wenn er von „gestaltenden Kräften" im Entwicklungs- leben spricht, gegen die sich H e r t w i g besonders lebhaft wendet, so ist nicht zu verkennen, dass Roux's Darstellung leicht zu Missdeutungen Ver- anlassung gibt ; da mit dieser Bezeichnung die Vorstellung verbunden wer- den kann, als beabsichtige R. nach Analogie der alten Lebenskraft einfache hypothetische Ursachen einzuführen für die Erklärung der Gestaltbildung im Entwickelungsleben Da er jedoch bestimmt erklärt, dass diese „ge- staltenden Kräfte" als komplexe Komponenten zu betrachten seien, d.h. als die Gesammtheit der Bedingungen und Ursachen, von welchen die Bildung einer gewissen Form oder des Theils einer gewissen Form abhängt, so lässt sich gegen eine solche Auffassung nichts Entscheidendes einwenden; wenn ich auch zweifle, ob damit etwas Wesentliches gewonnen wird. O. HertwTig's Anschauungen über kausale Abhängigkeit scheinen noch in anderer Hinsicht angreifbar. So bemerkt er pag. 36: „Ist nicht kausal die Erkenntniss, dass die Eier und Samenfäden einfache Elementar- organismen oder Zellen sind?" Nein, diese Erkenntniss ist nicht kausal, sondern besagt, dass jene Körper denjenigen, welche man unter dem Begriffe der Elementarorganismen oder Zellen zusammenfasst, so ähnlich sind, dass sie diesem Begriff untergeordnet zu werden verdienen. Man kann hier von einem logischen Grund oder einer logischen Nothwendigkeit reden, welche zu dieser Erkenntniss führen ; kausale Abhängigkeit dagegen liegt ebensowenig vor, als wenn ich urtheile: diese geometrische Figur ist ein Dreieck ! Nicht wesentlich anders liegt Hertwig's zweite Frage: ob es nicht kausal sei, dass der Entwickelungsprozess auf fortgesetzter Zelltheilung be- ruhe? Auch hier zielt schon die Fragestellung nicht auf kausale Abhängig- keit hin. Die Eizelle zerfällt successiv in mehrere Zellen; diese von anderen Zellen bekannte Erscheinung fasse ich unter dem Begriff der Zelltheilung zusammen, und in derselben Weise wie vorhin urtheile ich daher, dass auch der Zerfall der Eizelle unter den Begriff der Zelltheilung gehöre. Diese Erkenntniss ist eine wichtige und vereinfachende Umgestaltung meines Wissens, aber nur insofern etwa auf Kausalität hinweisend, d. h. auf Ab- hängigkeit von vorhergehenden Veränderungen, als ich nun auch behaupten darf, dass die kausalen Bedingungen der Zelltheilung auch für die Theilungen der Eizelle gelten werden. Kenntniss der kausalen Abhängigkeit erlange ich jedoch erst dann, wenn ich nachweise, von welchen wirkenden Ur- sachen und von welchen Bedingungen die Zelltheilung überhaupt abhängt. Ein wesentliches Moment kausaler Abhängigkeiten ist stets die Succession in der Zeit, ein Moment, das den beiden von H e r t w i g angeführten Beispielen mangelt; schon aus diesem Grund sind sie keine Beispiele von Kausalität. Man kann nun aber sagen, die Theilungen der Eizellen folgen ja in der Zeit aufeinander und jedes Stadium ist Ursache des folgenden. Das Anmerkung No. 10. 64 erste ist richtig, das zweite dagegen nicht. — Richtig ist nur, dass jedes vorhergehende Stadium sammt den umgebenden Bedingungen die sämmt- lichen Bedingungen und Ursachen für das folgende Stadium enthalten muss. Habe ich einen Stab, der durch irgend welche äussere Einwirkung successive in 2, 4 u. s. f. Stücke zerbrochen wird, so kann ich nicht sagen: der ungetheilte Stab ist die Ursache der beiden Stücke u. s. f. Der Stab bildet einen Theil der Bedingungen und wirkenden Ursachen, seine Um- gebung den übrigen Theil, und das Ergebniss ist der neue Zustand, in dem der Stab nun zweigetheilt ist. Die vornehmste wirkende Ursache, welche in diesen Bedingungungskomplex eintritt, gehört hier örtlich nicht dem Stab, sondern der Umgebung an (z. B. Stoss eines Körpers der Umgebung auf den Stab). Bei der Theilung der Eizelle ist dies insofern anders, als hier diese vornehmste wirkende Ursache dem Bedingungskomplex der Zelle örtlich zugehört. Im Uebrigen lassen sich die beiden Fälle wohl vergleichen und dabei erkennen, dass ich nicht kausales Verständniss erziele, wenn ich den Stab als die Ursache der beiden Theilstücke bezeichne oder die Eizelle als die Ursache ihrer beiden Theilzellen, sondern erst dann, wenn ich den ge- sammten Komplex der bedingenden und wirkenden Ursachen nachweise; oder, da dies schwerlich jemals vollständig zu erreichen ist, wenigstens die vornehmste wirkende Ursache (analog dem Stoss, der den Stab zerbricht) aufzuweisen im Stande bin. Denn die Gesammtheit der Bedingungen zu er- mitteln ist bei natürlichen Vorgängen wohl niemals zu erreichen. Auch Roux (1897 pag. 33) bemerkt bei Besprechung der Hert w ig' sehen Einwände einmal, dass die Aufeinanderfolge der Stadien „bereits kausale Erkenntniss darstellt, da jedes frühere Stadium die Ursache der folgenden ist. Das be- streitet wohl Niemand." Dieser Ausspruch kann nach den sonstigen Dar- legungen Roux's nicht als korrekt bezeichnet, sondern nur in dem Sinne aufgefasst werden, dass die eigentlich wirkenden Ursachen, welche die Veränderung zum nächsten Stadium bedingen, in dem Bedingungskomplex des vorgehenden gegeben sind. Kurze Erwähnung verdienen hier noch die Form und Differenzirung, welche ja biologisch eine so grosse Rolle spielen, da z. B. Hertwig Form und Differenzirung des Eies unter die Ursachen rechnet (pag. 178). Form und Differenzirung als Gleichgewichtszustände können naturgemäss nie wirkende Ursachen sein; sie treten als bedingende Ursachen in die kausale Abhängigkeit ein. In dem formal ungemein komplizirten Organis- mus sind daher auch die Bedingungsursachen, gegenüber dem Einzel- geschehen in der anorganischen Welt, ungemein komplizirt, während die wirkenden Ursachen verhältnissmässig einfacher Natur sein können. 11) (zu pag. 15). Meine Auffassung des „Erklären" habe ich schon 1896 auf Grund dessen, was man von jeher als befriedigende naturwissen- schaftliche Erklärungen betrachtete, dargelegt. Eine Erscheinung erklären, ist ihre Ableitung, Rückführung oder ihre Unterordnung unter eine empirisch bekannte allgemeinere Erscheinung oder Gesetzlichkeit. In dieser Auf- fassung begegne ich mich, wie ich nachträglich sehe, mit verwandten Anmerkung No. 10 — 11. 65 — Anschauungen. So sagt z.B. schon S ig wart: Erklärung ist „die Ableitung eines thatsächlich feststehenden, durch unmittelbare Wahrnehmung ge- wonnenen Satzes aus einem allgemein gültigen Obersatz"; hieraus folge denn auch, dass alle Erklärung ihrem Wesen nach Deduktion sei. Auch Cornelius verwirft den Begriff des Erklärens nicht, der nach ihm die Einordnung einer Wahrnehmung unter einen Begriff nach dem sogenannten Oekonomieprinzip von Avenarius und Mach bedeutet. Im Grunde ist das ganz dasselbe, was ich als Erklärung bezeichnete, nämlich die Einord- nung einer Wahrnehmung (Erfahrung), ebenso jedoch auch eines empirischen Begriffs unter einen anderen umfassenderen. Dieser Begriff, unter welchen das zu Erklärende eingeordnet wird, darf jedoch, wenn damit wirklich eine ökonomische Vereinfachung unseres Wissens, ein Erklären oder Begreifen, erreicht werden soll, kein willkürlich definirter oder erfundener sein, nicht ein Begriff, welchem das zu Erklärende oder Begreifende willkürlich als Definition zugeschrieben wird , sondern ein erfahrungsgemässer oder em- pirisch gegebener Begriff. Denn zu begreifen vermag ich nur, wenn die Ableitung des zu Begreifenden aus dem Oberbegriff nicht nur eine willkürlich herbeigeführte logische Nothwendigkeit ist , sondern eine empirisch ge- gebene, insofern eben dieser Oberbegriff ein empirisch gegebener und als solcher sich zwingend aufdrängender, nicht zu umgehender und nicht willkürlich konstruirter ist. Aus dem Dargelegten folgt auch, dass ich Denjenigen nicht zuzustimmen vermag, welche den Begriff „Erklären" wegen „seiner Dunkelheit" möglichst vermeiden wollen, wie z. B. P. Du- bois-Reymond (1890), der jedoch schon richtig erkannte, dass Kirchhoff den Begriff „Beschreiben" in einer von der üblichen wesentlich verschiedenen Weise definirte und so zu seiner bekannten Forderung ge- langte. Dagegen kann ich nicht einsehen, dass das, was Dubois an Stelle des Kir chh of f'schen „Beschreibens" setzen will, nämlich: „die Synthese oder die Konstruktion des Erscheinungsgebietes aus einfachsten Mechanismen", sich empfehle. Hierin liegt doch schon die keineswegs gerechtfertigte Voraussetzung, dass eine solche Konstruktion aus einfachsten Mechanismen allgemein möglich sei, oder selbst, wenn möglich, zum Begreifen des Er- scheinungsgebietes wesentlich beitrage, was keineswegs der Fall ist. De- duktion aus allgemeinsten oder allgemeineren Erfahrungen besagt ganz das Gleiche und ist eben das, was man als Begreifen oder Erklären bezeichnete; abgesehen natürlich von sog. Scheinerklärungen mit Hilfe von Umschreibungs- hypothesen oder Umschreibungsbegriffen, die nichts erklären. Auch Driesch (1894) will den Begriff „Erklären" vermeiden, obgleich er mit Dubois die besondere Natur des Kirchhoff'schen Beschreibens richtig bemerkte. Ebenso erörterte Roux (1897 p. 46) das Kirchhoff'sche Beschreiben in seiner Abweichung von dem gewöhnlichen Begriff des Beschreibens richtig und fügt treffend zu: „Herr K. hat wohl nicht geahnt, was sein Ausspruch über die ,vollständige und möglichst einfache Beschreibung' .... für Ver- wirrung anrichten würde". Er bemerkte dies namentlich im Hinblick auf O. Hertwig, welcher aus der Kirchhoff'schen Forderung abzuleiten suchte, Bütschli, Mechanismus und Vitalismus. 5 Anmerkung No. 11. — 66 — dass eine vollständige und einfachste Beschreibung der thatsächlich zu be- obachtenden, successiven Entwickelungsstadien eine kausale Beschreibung sei im Sinne Kirchhoff 's. Dass eine solche Ansicht nicht zutrifft, führten auch Roux und Driesch aus. Schon in der Anmerkung No. 8 p. 61 wurde zu zeigen versucht, dass diese Ansicht Hertwig's unhaltbar ist. Wenn H e r t w i g meint, dass bei der Planetenbewegung jeder vorhergehende Zustand des Planetensystems die Ursache des folgen- den sei, dass daher für die vollständige und einfachste Beschreibung der Planetenbewegung die Kenntniss der Kepler 'sehen Gesetze genüge, so übersieht er, dass dies zwar richtig, insofern ich eben die von Newton aufgestellten beiden wirkenden Ursachen der Planetenbewegung, die trans- latorische und die Gravitations - Bewegung, als die in jedem Moment wirkenden ausser den übrigen Bedingungen kenne; dass dies jedoch nicht zutrifft, wenn ich nur die formalen Veränderungen kenne, die von Moment zu Moment statthaben, wie sie die Kepler'schen Gesetze angeben. Die beschreibende Entwickelungsgeschichte liefert eben eine Darstellung der formalen Aenderungen, gibt dagegen keinen Aufschluss über die wirken- den Ursachen oder Bedingungen, von welchen diese Aenderungen ab- hängen; sie vermag desshalb auch eine eigentlich kausale Beschreibung, wie sie Kirchhof im Sinne hatte, nicht zu geben. Wenn ich bei dieser Gelegenheit mir erlauben darf, über die Kirch- hoff'sehe Forderung, welche sich zunächst auf mechanische Bewegungen bezog, etwas zu bemerken, so wäre es Folgendes. Kirchhoff hatte sehr wohl gefühlt, dass der Begriff der ,, Kraft" als Ursache der Bewegung un- klar oder eigentlich nichts erklärend ist; unrichtig ist es jedoch, wenn er meint: „dass der Begriff der Ursache und des Strebens sich von solchen Unklarheiten nicht befreien Hesse". Für die realen oder empirischen Ur- sachen gilt dies nicht. Desshalb fordert K., dass die Mechanik, „die in der Natur vor sich gehenden Bewegungen beschreiben und zwar vollständig und auf die einfachste Weise beschreiben solle". In dieser Forderung scheinen mir jedoch selbst zwei Dunkelheiten enthalten zu sein, nämlich dass die Beschreibung „vollständig und auf die einfachste Weise" geschehen soll. Beides scheint mir nicht klar definirbar zu sein, und besonders unter dem vollständig verbirgt sich meiner Meinung nach die Forderung der kausalen Beschreibung, d. h. die Forderung, dass die einzelnen successiven Glieder der Beschreibung nothwendig auseinander folgen. Die Forderung der Einfachheit dagegen wäre die alte Newton'sche, dass nicht mehr An- nahmen gemacht werden sollen, als durchaus nothwendig. Kirch ho ff fordert einfache Beschreibung und geht dann sofort zur Betrachtung der Bewegung des „unendlich kleinen Körpers", des „materiellen Punktes", über. Ob man jedoch eine solche Betrachtung überhaupt das Recht hat, eine Be- schreibung zu nennen, scheint mir doch sehr zweifelhaft. Ich finde nachträglich, dass auch schon der Physiker O. Wiener (1900, pag. 42—43) sich in ganz ähnlicher Weise, wie ich und Andere, gegen Kirchhoff's Anwendung des Begriffes „Beschreiben" aussprach. Ich Anmerkung No. 11. 67 — entnehme seiner Bemerkung ferner, dass auch O. Holder („Anschauung und Denken in der Geometrie", Leipzig 1899 pag. 71) Entsprechendes äusserte. Auch Mac h's (1900) Standpunkt in der Beschreibungsangelegenheit scheint mir nicht zutreffend. Er sagt pag. 210: „Unbefangene Ueberlegung lehrt aber, dass jedes praktische und intellektuelle Bedürfniss befriedigt ist, sobald unsere Gedanken die sinnlichen Thatsachen vollständig nachzubilden vermögen." Er führt dies an dem Beispiel des Erdbebens näher aus, über das wir vollständig unterrichtet wären, wenn wir die dabei auftretenden sinnlichen Erscheinungen in Gedanken uns vorführen könnten. Diese Argumentation halte ich, wie gesagt, nicht für zutreffend, indem dabei das Warum oder die kausale Beschreibung ganz mangelt. Wir sind über das Erdbeben erst dann vollständig unterrichtet, wenn wir wissen, mit welchen Erscheinungen der Erde es in gesetzlicher Abhängigkeit steht; wenn wir uns nicht nur die sinn- lichen Erscheinungen des Erdbeben in Gedanken vorführen können, sondern auch diejenigen sinnlichen Erscheinungen, von denen das Erdbeben als Folge- erscheinung abhängt, und wenn wir überhaupt alle bei dem Erdbeben auf- tretenden sinnlichen Erscheinungen als Glieder mit vorausgehenden Gliedern in Abhängigkeit bringen können. In seiner Wärmelehre (1896) spricht sich Mach schon ähnlich aus. Da er sich hauptsächlich gegen solche Erklärungen Avendet, die Umschreibungs- hypothesen zur Grundlage haben, wie Wärmestoff, Elektrizitäts- stoff etc., so fällt es ihm leicht zu zeigen, dass derartige Erklärungen nicht mehr enthalten wie die Thatsachen. Der Unterschied zwischen Be- schreibung im gewöhnlichen Sinne und kausaler Beschreibung (Erklärung) tritt auch an diesem Ort nicht hervor. Die einfache Beschreibung gilt Mach als „klar", während ich meine, dass Widerspruchslosigkeit das Kri- terrium von „klar" ist. Auch wendet er sich gegen die Meinung, dass bei der gewöhnlichen Beschreibung die Glieder nicht nothwendig auseinander folgten, während dies bei der Erklärung oder kausalen Beschreibung der Fall sei. Er sucht zu zeigen, dass es keine physikalische Notwendigkeit gebe, sondern nur eine logische. Mir scheint dies nicht zutreffend. Jeder Schluss aus gewissen Praemissen ist natürlich ein logisch notwendiger, wenn er den logischen Regeln nicht widerspricht. Was zwingt mich jedoch die Praemissen so zu nehmen, dass mit logischer Nothwendigkeit daraus ein richtiger, d. h.ein der Erfahrung nicht widersprechender Schluss folgt (vor- ausgesetzt natürlich, dass ich diese Praemissen nicht einfach logisch und willkürlich so annehme, dass der gewünschte Schluss resultiren muss)? Die Wahl der richtigen Praemissen ist keine logische Nothwendigkeit, sondern Erfahrung oder physikalische Nothwendigkeit. Die kausale Beschreibung deducirt mit logischer Nothwendigkeit aus physikalischer. Mit dem vorstehend über den Begriff der Erklärung Bemerkten ist jedoch der Gegenstand noch nicht erschöpft. Häufig kann nämlich der Fall auch so liegen, dass es sich bei dem zu Erklärenden nicht um die Erkenn- ung der wirkenden Ursachen eines Vorganges handelt, sondern um die der Bedingungen, deren genaue Präzision fehlt. Es kann ja der Fall so liegen Anmerkung No. 11. -5* 68 — und liegt häufig genug so, dass mir die wirkende Ursache eines Vorganges bekannt ist, die Bedingungen dagegen nicht. Betrachten wir einen einfachen Fall; ich stosse gegen einen Gegenstand und sehe, dass derselbe in zwei Theile auseinanderfällt. Die genauere Untersuchung zeigt mir dann, dass der Gegenstand einen Sprung besass oder dass er überhaupt aus zwei ge- trennten Theilen zusammengefügt war. Hier handelt es sich also um die Aufklärung einer Bedingung für die kausale Beschreibung oder Erklärung des Vorganges, eines Bedingenden, nicht dagegen einer wirkenden Ursache. Wie in dem vorausgesetzten Falle wird die Bedingung meist formaler Natur sein, im weiteren Sinne sich als eine Form- oder Struktureigenthümlichkeit ergeben. Gerade derartige Erklärungen müssen jedoch in der Organismenwelt, wo Form und Struktur so hochgradig gesteigert sind, eine besondere Rolle spielen. Aber auch auf dem anorganischen Gebiet haben solche Erklärungen weiteste Bedeutung. Fragen wir z. B., warum ein Krystall in bestimmten Richtungen spaltet, so kann es sich bei der Erklärung auch nur um die Fest- stellung einer solchen, im weiteren Sinne strukturellen Bedingung handeln. Fragen wir, warum ein gedehnter Kautschukstreif sich bei Erhöhung der Temperatur zusammenzieht, so gilt auch hier wieder dasselbe. Fragen wir, warum eine emulsive Flüssigkeit trübe und undurchsichtig erscheint, so finden wir strukturelle Verhältnisse als bedingende Ursache. Eine sehr grosse Zahl von Eigenschaften finden, oder werden ihre Erklärung in solchen struk- turellen formalen Bedingungen finden, wie bei der Erwähnung der Struk- turen (s. pag. 73) noch genauer auszuführen sein wird. Eine mit der meinigen übereinstimmende Auffassung des Begriffes „Erklären" auf naturwissenschaftlichem Gebiet gab vor Kurzem auch J. Classen mit folgenden Worten (1901 pag. 6): „Nun kann aber, einen Vorgang erklären, niemals etwas anderes heissen , als ihn zurückführen auf einen anderen, einfacheren, den wir schon kennen, oder als bekannt voraussetzen (? B.) oder den wir schon erklärt haben, oder dessen weitere Er- klärung wir in einen anderen Zweig der Wissenschaft verweisen." 12) (zu pag. 16). Vergleiche über diese Frage auch die treffende, besonders gegen Baur (1898), der ähnliche Anschauungen vertrat, gerichtete Kritik Albrech t's (1899 pag. 73-76). 13) (zu pag. 18). Ueber die Bedeutung des Experiments für die kausal- biologische Forschung wurde in letzterer Zeit viel gestritten. So schrieb O. Hertwig im Gegensatz zu Roux dem Experiment auf dem Gebiete der Entwickelungsgeschichte eine sehr geringe Bedeutung, wenn überhaupt eine, zu. Er würdigte dabei jedoch das Experiment nur von der Seite des zufälligen Probirens, der Bewirkung zufälliger neuer Bedingungskombinationen, dagegen nicht von der Seite des planvollen Ermitteins der noth wendigen Bedingungen und Abhängigkeiten einer Erscheinung. Die Experimente lassen sich in zwei Kategorien sondern, von welchen die erste diejenigen umfasst, welche man als Zufallsexperim ente bezeichnen kann, nämlich die Herbeiführung, resp. Entdeckung irgend welcher, seither unbekannter That- sachen durch probirendes (d. h. ohne bewusste Voraussicht des Ergebnisses Anmerkung No. 11 — 13. — 69 — geschehendes) Kombiniren von Bedingungen. Hierher gehörte z. B. die Ent- deckung des Phosphors u. s. f. Die zweite Kategorie liesse sich als die der Eliminationsexperimente bezeichnen. Bei diesen handelt es sich darum, durch planvolles Experimentiren zu ermitteln, von welchen der mehrfachen Bedingungen eine Erscheinung wirklich abhängt, und welche dieser Beding- ungen weiterhin die wirkende Ursache ist. Diese Ermittelung geschieht ent- weder durch Ausschaltung der einzelnen manigfaltigen Bedingungen aus dem Komplex, oder durch Intensitätsvariirung einzelner derselben und der Beobachtung ihres Einflusses auf die zu erforschende Erscheinung. Beispiel wäre also etwa die Feststellung, dass das Nichtherabfallen des Quecksilbers in der Barometerröhre direkt abhängt von dem Druck der Atmosphäre. Nur als eine Unterabtheilung des Eliminationsexperiments wäre der Versuch anzusehen, den man als das Verifikationsexperiment bezeichnen kann, d. h. ein Experiment, bei welchem der Experimentator von einer be- stimmten hypothetischen Vorstellung über die direkte Abhängigkeit einer Erscheinung von einer anderen ausgeht, und hieraus auf Ergebnisse schliesst, welche unter bestimmten Bedingungen eintreten müssen, wenn die gemachte Voraussetzung richtig ist. Der Ausfall des Experiments, resp. der Experi- mente, entscheidet daher für oder gegen die Voraussetzung. Beispiel hiefür wäre das Experiment, auf Grund gewisser hypothetischer Vorstellungen eine chemische Verbindung synthetisch darzustellen u. s. f. Obgleich ich schon früher (1896, 1897) die von Roux, Driesch und Anderen so hoch gewerthete Bedeutung des biologischen, insbesondere des ontogenetischen Experiments, anerkannte, blieb ich doch immer etwas im Zweifel, ob es möglich ist, damit die wirkenden Ursachen oder Energien fest- zustellen, welche die Entwickelung bedingen; was doch nach Roux die Aufgabe der Entwickelungsmechanik ist. Roux unterscheidet (1897 pag. 278) zwischen dem „kausal-analytischen morphologischen" Experiment und dem „formal-analytischen". „Das Wesen des kausal-analytischen morphologischen Versuchs besteht darin", sagt er, „dass eine einfache oder komplexe ursäch- liche Komponente (oder auch eine eng verknüpfte ganze Gruppe solcher Komponenten) des organischen Gestaltungsgeschehens verändert wird, und dass wir einerseits sowohl die dadurch bewirkte Abänderung des normalen Gestaltungsgeschehens vollständig beobachten, wie andererseits auch die von uns abgeänderten ursächlichen Komponenten wenigstens soweit ermitteln, um die Aenderung der Gestaltung auf diese Ursachen beziehen zu können." Zu diesen „kausal-analytischen morphologischen" Experimenten rechnet Roux vor allem die Versuche über die Wegnahme oder Tödtung einzelner Blastomeren des sich entwickelnden Eies. Das formal-analytische Experiment dagegen ist nach Roux der Versuch, welcher nur die finale Reaktion auf gewisse experimentelle Einwirkungen festzustellen sucht, ohne Frage nach den Ursachen. Hierher werden z. B. die Regenerationsversuche an erwachsenen Organismen gestellt. Nun scheint mir, dass der Gegensatz dieser beiden Arten von Experi- menten kein prinzipieller ist. Wenn ich eine oder einige Blastomeren des Anmerkung No. 13. — 70 — sich entwickelnden Eies wegnehme, so führe ich prinzipiell dasselbe aus, als wenn ich von dem entwickelten Organismus einen Theil wegnehme. Im ersteren Fall studire ich die mögliche ontogenetische Regeneration, im zweiten die des entwickelten Organismus. Wenn ich im Zweizellenstadium die eine Blastomere entferne und es tritt hierauf, unter sonst gleichen Be- dingungen, einmal Entwickelung zu einem ganzen Embryo, bei einer anderen Form solche zu einem halben, und bei einer dritten Form gar keine Ent- wickelung ein, so lehrt dies, dass bei der ersten Form die Gegenwart der weggenommenen Blastomere eine Bedingung für die Entwickelung der anderen zu einem halben Embryo war, und dass ferner die isolirte zweite Furchungskugel das Vermögen besitzt, sich so umzugestalten, dass in ihr (abgesehen von dem Volum) wieder die Bedingungen des ungefurchten Eies eintreten (beziehungsweise kann diese Umgestaltung zu einer normalen Entwicklungsstufe auch erst später eintreten). Bei der zweiten Form finden wir, dass die zweite Blastomere keine Bedingung für die Entwickelung der anderen zu einem halben Embryo bildet, und dass sie das Vermögen der sog. Reparation (Driesch) nicht besitzt. Bei der dritten Form endlich würde die zweite Blastomere überhaupt nothwendige Bedingung für die Weiterentwickelung sein. Schneide ich einem Triton ein Bein ab, so erscheint mir im Prinzip die Betrachtung ganz dieselbe, wie in dem eben erörterten Fall. Wir er- fahren aus dem Ergebniss, dass das Bein Bedingung dafür war, dass keine weiteren Entwickelungsprozesse an dem übrigen Körper stattfanden und ferner, dass dieser nach Wegnahme des Beins das Vermögen besitzt, sich so umzugestalten, dass wieder ähnliche Bedingungen eintreten, wie sie vor Entwickelung des Beins bestanden, und demgemäss ein neuer Entwickelungs- prozess anhebt. Noch klarer werden uns diese Verhältnisse, wenn wir uns erinnern, dass jede Form, die ausgebildete sowohl als jedes Entwickelungsstadium, ein Gleichgewichtszustand ist und dass die Wegnahme eines Theils einer solchen Form stets unter dem Gesichtspunkt einer Störung dieses Gleich- gewichts aufzufassen ist. Daraus folgt auch, dass die Wegnahme nie als eine wirkende Ursache aufgefasst werden kann, sondern nur als eine veränderte Bedingung. Von den nun gegebenen Gesammtbedingungen des restirenden Systems wird es abhängen, ob es im Gleichgewicht ver- harren kann, etwa wie ein fester Körper, von dem ein Theil entfernt wurde, oder ob das Gleichgewicht gestört ist und ein Entwickelungsprozess beginnt, der zur Wiederherstellung des Gleichgewichts, unter Ergänzung der verloren gegangenen Theile, führt; etwa wie ein Wassertropfen sich bei Wegnahme eines Theils immer wieder zur früheren Gestalt ergänzt, den Gleichgewichtszustand wieder annimmt. Aus obigen Darlegungen scheint mir hervorzugehen, dass derartige Experimente nur Bedingungsursachen, dagegen nicht wirkende Ursachen oder Kräfte des Entwickelungsgeschehens feststellen können. Das Ent- wickelungsgeschehen führt in letzter Instanz auf die Leistungen oder das Anmerkung No. 13. — 71 — Leben der Zellen zurück; daher werden die wirkenden Ursachen auf dem Gebiete des Zellgeschehens zu ermitteln sein. Nun sind aber, wie Roux sehr richtig betont, alle Leistungen der Zellen sog. Selbstleistungen, d. h. solche, zu welchen sich die äusseren Einwirkungen nur wie Reize oder Auslösungsursachen verhalten. In einem solchen Falle leistet nun aber auch das Eliminationsexperiment sehr wenig für die Feststellung der wirk- samen Kräfte. Nehmen wir z. B. den Fall, es handle sich darum, festzu- stellen, welche wirksamen Kräfte es bedingen, dass eine Rhizopoden- zelle, oder eine nichtumhüllte Zelle überhaupt, in der Ruhe die Kugel- gestalt annimmt, unter Einziehung von Pseudopodien; ob die elastischen oder sonstigen Kräfte kontraktiler Fasern des Protoplasmas, oder ob die Oberflächenenergie flüssiger Körper dies bedinge? In letzterem Falle handelt es sich um eine allgemeine Eigenschaft der Flüssigkeiten, deren Bestehen im Allgemeinen ein Beweis der flüssigen Natur ist. Alles, was sich nun in diesem Fall experimentell prüfen lässt, ist, ob sich das Proto- plasma wie eine Flüssigkeit verhält ; denn ist dies der Fall, so sind wir an- zunehmen berechtigt, dass auch für es die gesetzmässigen Eigenschaften der Flüssigkeiten gelten. Dazu müsste ferner der Nachweis kommen, dass sich kontraktile Fasern der Art, wie sie die andere Ansicht voraussetzt, nicht finden, und dass der Vorgang der Abrundung etc. anders geschieht, als er bei der Annahme solcher Fasern verlaufen müsste. Nehmen wir weiterhin den Fall : es solle entschieden werden, ob die Strahlungen im Plasma um die Centrosomen etc. von Zugwirkungen be- dingt werden, die auf einer Art Schrumpfung im Centrum der Strahlung beruhten. Das einzige Experiment, welches in diesem Falle helfen könnte, wäre der Versuch, etwas in das Protoplasma einzuführen, was schrumpft, und zu sehen, ob die vorausgesetzte Strahlung um dasselbe wirklich eintritt. Immerhin gäbe dieser Versuch auch noch keine Gewissheit, indem die Strahlung um die Centrosomen doch noch etwas anderes sein könnte. Ich müsste daher ergänzend nachweisen, dass die Strahlungen in jeder Be- ziehung mit den durch Zugwirkungen hervorgerufenen übereinstimmen, und dass keine anderen Einrichtungen oder Bedingungen vorhanden sein können, welche sie hervorzubringen vermögen. — Die Anwendung des Eli- minationsexperiments, nach Art der einfacheren Sachlage der anorgan- ischen Experimente, findet in der Komplizirtheit der Bedingungen und in der Unmöglichkeit dieselben wirklich selbstthätig zu schaffen, was ja bei dem anorg. Experiment der Fall ist, ihre ziemlich engen Grenzen. Denn das eigentlich massgebende, die lebende Zelle, ist ja das grosse X, dessen inneren Bedingungen zum geringsten Theile bekannt sind; wobei ferner zu beachten ist, dass es eben in der Regel unmöglich ist, die inneren Bedingungen der lebenden Zelle in scharf bestimmter eindeutiger Weise zu ändern. — Unter diesen Umständen scheint mir der gangbarere Weg, um die bei den Lebenserscheinungen der Zelle wirkenden Ursachen zu er- mitteln, der zu sein, dass wir Erscheinungen aufsuchen, welche mit den Lebenserscheinungen möglichst übereinstimmen, und welche wir ihrer Anmerkung No. 13. — 72 — ursächlichen Bedingtheit nach kennen ; und dass wir ferner zeigen, dass die Bedingungen für das Entstehen analoger Erscheinungen in der lebenden Zelle gegeben sind, andere Bedingungen dagegen, welche Aehnliches hervor- bringen könnten, fehlen. Roux selbst hat ja schon ganz richtig hervorge- hoben (1897 p. 251—254), dass dieser Weg ein sehr mühsamer ist, da ihm, wie bemerkt, schiesslich die Last zufällt, zu erweisen, dass eben nur diese und keine andere Erklärung der betreffenden Lebenserscheinung unter den gegebenen Bedingungen möglich ist, d. h. nicht zu Widersprüchen führt. Schliesslich wird aber dies die Aufgabe jeder Erklärung sein, auch derjenigen, welche sich auf das kausal- analytische morphologische Experiment stützt. Vergl. über diese Fragen auch Albrecht 1899, p. 49 — 50 und sonstige dort citirte Autoren. 14) (zu pag. 19). Organisation ist, wie ich schon mehrfach betonte, ursprünglich ein Begriff, der von dem komplizirten höheren Organismus abstrahirt ist und dessen Zusammensetzung aus untergeordneten Theilen oder Organen bedeutet; wozu sich jedoch noch gesellt, dass diese Theile so beschaffen sind und arbeiten, dass aus ihnen die Gesammtleistung des Organismus resultirt, welche wir als korrekt beurtheilen. Eine richtig gebaute und arbeitende Maschine könnten wir daher in gewissem Sinne, d. h. abgesehen von ihrer Leistung, die von der des Organismus ganz ver- schieden ist, ebenfalls organisirt nennen. Einen Sandhaufen dagegen oder einen Granitblock, die ja auch aus untergeordneten Theilen bestehen, würde Nie- mand als organisirt bezeichnen. So klar nun auch ist, was man im höheren Organismus unter Organisation versteht, so verschwommen wird dagegen die Anwendung dieses Begriffes auf die einfachsten Lebewesen. Was bleibt bei einem Micrococcus von Organisation übrig? Wenn ich zwar schon die natürliche Anordnung spezifisch verschieden schwerer Substanzen in der Eizelle, oder eine typische polar oder bipolar gerichtete Anordnung der Theilchen des Plasmas eine Organisation nenne, so schwindet jede Grenze dieses Begriffes gegen das anorganische Gebiet, denn derartige Organi- sationen sind auch im Anorganischen anzutreffen. Wir gelangen dann zu Vorstellungen, wie sie Nägeli (1884) äusserte, wonach schliesslich alles in der Welt organisirt ist, in verschiedengradiger Abstufung. Dann hat aber auch der Begriff der Organisation für die Lebewesen jede besondere Bedeutung eingebüsst. Es ist nun eine sehr verbreitete Ansicht: das Geheimniss der letzten Bestandteile lebender Organismen, des Plasmas, des Kernes etc. wieder in einer versteckten Organisation zu suchen. Dies kann nur bedeuten in einer Zusammensetzung aus verschiedenartig beschaffenen und harmonisch zu- sammenarbeitenden untergeordneten Theilen, wie sie der komplizirte Orga- nismus aufweist. Der Schwerpunkt dieser Vorstellung liegt aber in diesem maschinellen Zusammenarbeiten verschiedener Theile, was natürlich auch eine besondere Formzusammenfügung bedingt; wesshalb diese Ansicht auch die Forderung nach einer sehr komplizirten, wenn auch bis jetzt noch nicht aufgefundenen Struktur jener letzten Bestandtheile erhebt. Im Allgemeinen Anmerkung No. 13 — 14. — 73 — ist diese Anschauung also eine Erweiterungshypothese, welche die Erfahr- ungen über die gröbere Organisation des komplizirten Organismus auch auf dessen letzte Bestandtheile überträgt. Dieser Hypothese von der maschinellen Organisation der letzten be- kannten Bestandtheile der Organismen steht eine andere gegenüber, welche man die der chemischen Organisation jener Bestandtheile nennen kann; d. h. die Ansicht, welche meint, dass die letzten Bestandtheile bezüglich ihrer Struktur keine Besonderheiten zeigen, welche nicht auch ausserhalb der Organismenwelt angetroffen werden, dass daher ihre strukturelle Orga- nisation nicht das für die Lebenserscheinungen Ausschlaggebende sein kann, wenn sie auch mitbedingend sein muss. Nach dieser Ansicht ist dagegen die chemische Organisation dieser Bestandtheile — sowohl im Hinblick auf die besondere Art und Komplikation der vorhandenen chemischen Ver- bindungen, als auch auf ihre Mischungsverhältnisse mit einander — der funda- mentale und unterscheidende Charakter des Lebenden von dem Nicht- lebenden. Diese zweite Hypothese stützt sich vor Allem darauf, dass die Leistungen des Organismus in letzter Instanz auf chemischer Energie be- ruhen ; dass der Organismus im Gegensatz zu den physikalischen Maschinen der Technik eine chemische Maschine ist, eine Maschine, welcher die Trieb- kraft, die durch chemische Energie gewonnen wird, nicht zugeleitet wird, sondern in welcher die Substanz der Maschine selbst die chemische Energie hervorbringt, welche bei dem Betrieb verbraucht wird. Wenn soeben betont wurde, dass ich die Besonderheit der Lebewesen nicht in einer ganz eigenthümlich gearteten maschinellen Struktur ihrer letzten Bestandtheile suchen kann, so brauche doch gerade ich kaum zu versichern, dass ich den formalen Strukturverhältnissen trotzdem eine hervor- ragende Bedeutung für die eigenthümlichen Leistungen des Organismus zu- schreibe. Ich meine nur, dass diese bedingenden Strukturverhältnisse keinen trennenden und unbedingten Gegensatz zwischen Organismus und Anorganismus bilden, dass vielmehr solche Strukturen auch bei Anorganis- men schon in prinzipiell übereinstimmender Weise sich finden und im Orga- nismus nur einerseits weitergebildet und komplizirter, andererseits durch die besondere chemische Natur der konstituirenden Substanzen zu besonderen Leistungen befähigt werden. Vielleicht wird es nicht nutzlos sein, von solchen Strukturen und den Eigenschaften, welche, soweit wir zu urtheilen vermögen, von ihnen bedingt sein können, eine allgemeine Uebersicht zu geben. Struktur im weitesten Sinne können wir jede innere Inhomogenität eines Körpers nennen. Demnach Hessen sich wieder unterscheiden: 1. Rein physikalische Strukturen, d. h. solche, bei welchen diese Inhomogenität nur auf physikalischen Differenzen der konstituirenden Theilpartieen beruht, also z. B. auf verschiedener Dichte und Lichtbrechung, verschiedenen optischen Spannungszuständen in verschiedener Richtung, (z. B. mikrokrystallinische Struktur) u. s. f. 2. Chemisch-physikalische Strukturen, bei welchen die konstituirenden Theilpartieen nicht nur physikalisch, sondern auch chemisch Anmerkung No. 14. — 74 — verschieden sind. Hierher gehören z. B. die Strukturen der aus ver- schiedenen Mineralien zusammengesetzten Gesteine, die Schaumstrukturen, bei welchen der Inhalt der Schaumwaben chemisch von dem Schaumgerüst unterschieden ist (natürlich ebenso auch Emulsionen; und wo ist deren Grenze gegen die wahre Lösung?). Dagegen nehmen die schaumartigen Mikro- strukturen, bei welchen die freien Hohlräumchen leer, d. h. nur vom Dampf der Gerüstsubstanz erfüllt sind, eine eigenthümliche Stellung ein, indem sie eigentlich zu den physikalischen Strukturen gerechnet werden müssen, inso- fern man nicht in den Vordergrund stellt, dass etwa der Dampfzustand eine besondere Modifikation der Substanz ist, und damit eine Annäherung an chemisch-physikalische Strukturen versucht. Eine grosse Zahl besonderer Eigenschaften können von solchen Struk- turen bedingt sein, oder doch sehr wahrscheinlich bedingt werden. Im Einzelnen haben darüber vielfach erst noch eingehendere Untersuchungen zu entscheiden. Von physikalischen oder auch physikalisch-chemischen derartigen Struk- turen können bedingt sein: Hinsichtlich der Oberflächenbeschaffenheit : Glätte, Rauhigkeit, Glanz, Spiegelung oder Trübe. Farbenerscheinungen : Interferenzfarben, Strukturfarben. In Bezug auf das Innere: Durchsichtigkeit oder Undurchsichtigkeit und weisse Farbe in auffallendem Licht ; oder unter besonderen sonstigen Bedingungen auch anderweitige Farben in durchfallendem und auflallendem Licht. Farben trüber Medien. Polarisirung des Lichts durch derartige Strukturen. Möglicher- oder wahrscheinlicher Weise durch solche Mikrostrukturen bedingt scheint mir ferner die Spaltbarkeit der Krystalle, eventuell auch Verschiedenheiten der Elastizität in verschiedenen Richtungen und ver- schiedene Ausdehnung durch Wärme. Nicht ganz ausgeschlossen erscheint mir, wie ich schon 1898 (pag. 147) andeutete, die Möglichkeit, dass die Doppel- brechung fester Körper überhaupt von solchen Mikrostrukturen bedingt ist, während ich die Doppelbrechung gedehnter und gepresster wabig struk- turirter Körper wohl für sicher von besonderen Strukturverhältnissen bedingt erachte. Bedingt durch Mikrostrukturverhältnisse sind ferner die Imbibition und ebenso die sie begleitenden sonstigen physikalischen Erscheinungen, Wärmeentwickelung u. dgl. Bedingt sind durch derartige Strukturen, in Verbindung mit sonstigen Eigenschaften, die Quellungserscheinungen und die besonderen weiteren Eigenthümlichkeiten, die mit diesem im Orga- nismus ungemein bedeutsamen Vorgang zusammenhängen. Verschieden- gradige Quellung in verschiedenen Richtungen; eventuell auch Kontraktion in gewisser Richtung u. s. f. Besondere Dehnungsfähigkeit gewisser Körper. Die besonderen Eigenschaften der Sphärokrystalle. Die rela- tive Festigkeit schäum artig strukturirter flüssiger Körper. Anmerkung No. 14. — 75 — Von chemisch-physikalischen Strukturen bedingt erscheinen die von mir ge- schilderten Bewegungserscheinungen der Oelseifenschäume und vermuthlich die analogen Bewegungserscheinungen des Protoplasmas. Endlich besteht auch die Möglichkeit, dass die Kontraktions- erscheinungen der Muskel fib rillen und Muskelfasern von ähn- lichen strukturellen Verhältnissen abhängen, wie sie bei quellbaren Körpern unter bestimmten Strukturbedingungen zu Verkürzungen oder Kontraktionen führen. Obgleich eine genauere Durchsicht des Bekannten gewiss noch viele Eigenschaften aufzeigen wird, welche von Mikrostrukturen direkt abhängen (um so mehr, als sich bei eingehender mikroskopischer Analyse das Ver- breitungsgebiet solcher Strukturen fortgesetzt erweitert), so wird doch diese unvollständige Uebersicht schon einigermaassen darüber orientiren. Die Ansicht, dass das eigentlich Bedingende der besonderen Eigen- schaften lebender Körper eine eigenartige, den Anorganismen mangelnde maschinelle Struktur sei, ist eigentlich die verbreitetste, von den hervor- ragendsten Biologen der neueren Zeit vertretene. Sie wird gewöhnlich in der Weise gedacht, dass eine Zusammensetzung der letzten sichtbaren Be- standtheile der Zelle aus unsichtbaren elementaren Organen (Elelementar- organismen, Plasome [Wiesner], Biophoren [Weismann], Pangene [Darwin, de Vries]) als eine unerlässliche Hypothese für das Verständniss des Lebenden gefordert wird. Ich führte schon 1892 (pag. 11 d. S. A.) in meinen Bemerkungen gegen Wiesner's Lehre und eingehender 1896 aus, dass ich in solchen Um- schreibungshypothesen eine Vertiefung unseres Verständnisses der Lebens- erscheinungen nicht finden kann. Wie schon oben bemerkt, erachte ich die einfache Annahme einer maschinellen Struktur für eine Erweiterungshypo- these und daher an sich nicht verwerflich ; dagegen wird sie dies, wenn eine willkürlich erfundene Struktur, welche das zu Erklärende schon ent- hält, zu Grunde gelegt wird. Wie angegeben, wird die Ansicht von der maschinellen Struktur als letztes Bedingendes der Lebenserscheinungen von den hervorragendsten Bio- logen vertreten, unter denen ich hier nur W. Pfeffer, O. Hertwig und W. Roux anführen will. Pfeffer (1897) erklärt sich in seiner „Pflanzenphysiologie" sehr bestimmt für die maschinelle Struktur und für einen komplizirten Aufbau des Protoplasmas aus „Organen und Strukturelementen", die nur zum Theil optisch wahrnehmbar seien, aus „kleinen und kleinsten Lebenseinheiten", so- genannten P ang enen (p. 3, p.41). In jedem Protoplasten sei wahrscheinlich „eine grosse, ja vielleicht eine gewaltige Zahl verschiedener einfachster, d. h. nicht weiter in physiologische Einheiten zergliederbarer Pangene vereinigt". Das Pangen sei „kein einfaches Micell, sondern ein Verband von Micellen oder Molekülen mit spezifischer Organisation". Also das Pangen selbst ist wieder maschinell strukturirt. Der Begriff der Organisation wird dabei nicht näher erörtert. „Aber selbst, wenn dem bewaffneten Auge," sagt Pfeffer (p. 3), „eine direkte Wahrnehmung von Organen versagt bliebe, so müsste man Anmerkung No. 14. — 76 — doch einen Aufbau der Protoplasten aus distinkten Elementen (Bioplasten) fordern, die, wenn sie auch im kleinen Räume unter die Grenzen des Sicht- baren sinken, doch desshalb nicht minder bedeutungsvoll sind. Denn anders als durch das Zusammenwirken verschiedenartiger Organe und Organele- mente ist ein regulatorisches Lebensgetriebe ebensowenig zu verstehen, wie der gesetzmässige Gang einer Uhr oder einer Spieldose, die, so lange die Betriebskräfte nicht verlöschen, in bestimmter Reihenfolge und Wieder- holung eine Harmonie von Tönen erklingen lässt." „Die beste chemische Kenntniss der im Protoplasma vorkommenden Körper kann für sich allein ebensowenig zur Erklärung und zum Verständniss der vitalen Vorgänge aus- reichen, wie die vollendetste chemische Kenntniss von Kohle und Eisen zum Verständniss einer Dampfmaschine und der mit derselben verbundenen Buchdruckerpresse." Die im Ganzen ähnlichen Anschauungen O. Hertwig's über die Organisation des Protoplasmas habe ich schon vor einiger Zeit (1901, pag. 539—546) von meinem Standpunkt aus einer kritischen Besprechung unterzogen. Aus dem dort Gesagten geht auch meine eigene Stellungnahme hervor. Um eventuellen Missverständnissen vorzubeugen, bemerke ich nur noch, dass ich eine maschinelle Struktur der Zelle, insofern diese sich aus verschiedenen Organen (Kern, Centrosom, Plasma und dessen eventuellen Differenzirungsprodukten) zusammensetzt, nicht leugne; für den höheren Organismus dagegen erst recht nicht. Meine Ansicht geht nur dahin, dass die Substanz dieser Zellorgane, insofern sie nicht als zusammengesetzt er- kennbar ist, eine solche Hypothese über ihre maschinelle Struktur nicht erfordert. Sehr entschiedener Anhänger einer ganz eigenartigen maschinellen Struktur der letzten Bestandteile der Zelle ist auch W. Roux, der sich hierüber an verschiedenen Stellen seiner zahlreichen Schriften (s. Ges.-Ab- handl.) ausspricht: „Ich halte daher alle rein chemischen Definitionen des Lebens für vollkommen unzureichend (Bd. I, pag. 406, Anm. ; ebenso Bd. II, pag. 142) : „Das Leben ist seinem Wesen nach Prozess und kann daher nicht statisch definirt werden" (aber die Chemie handelt auch von Prozessen). „Es muss aus den komplizirten Verrichtungen des schein- bar homogenen organischen Substrats mit Sicherheit eine komplizirte Struktur gefolgert werden." (II. p. 142.) Im Allgemeinen kommt seine Ansicht der Pfeffer 's und Hertwig's sehr nahe, und er bezeichnet jene unsichtbaren Strukturen, welche die Lebenserscheinungen bedingen, als „Metastrukturen." Roux versucht sogar (II. pag. 83 ff.), die „kleinsten lebensthätigen Bestand- theile" (Bionten), welche jene Metastrukturen aufbauen, nach ihren muth- masslichen Leistungen zu klassifiziren : 1. „Automerizonten" können assimiliren, ausscheiden, sich bewegen und sichtheilen. 2. Idioplassonten sind Automerizonten, die „gestaltende Wirkungen in sich selber und auf die anderen Bionten auszuüben vermögen". 3. Au tokin e ont en sind Nr. 1, denen die Theilungsfähigkeit fehlt. 4. Isoplassonten zeigen Assi- milation, Ausscheidung und Wachsthum. 5. Fragliche Auxonten, durch Anmerkung No. 14. - 77 Mangel des Wachsthumsvermögens von Nr. 4 verschieden. Die niederen Kategorien dieser Bionten (3 — 5) sollen „in oder neben" den höheren vor- kommen, sie also zusammensetzen können. Isoplasson (also aus Iso- plassonten, die der Selbstausscheidung und Selbstassimilation fähig sind, zusammengesetzt), „komme als Flamme, wie auch mannigfach als bei ge- wöhnlicher Temperatur verlaufender chemisch-physikalischer Assimilations- prozess im Anorganischen in einfachster Weise vor". Demnach wären also die Moleküle einer brennenden Wasserstoffflamme Isoplassonten und ihre Verbrennung ein Assimilationsprozess, die Bildung von Wasser dagegen eine Ausscheidung. Mir scheint dies eine ungewöhnliche Ver- wendung des Begriffes der Assimilation. Ein einfacher chemischer Prozess, wie ihn die Verbrennung von H in O darstellt, entbehrt doch des eigent- lichen Charakters der Assimilation. Die Aufstellung Roux's scheint mir durch den von ihm viel gebrauchten, meiner Ansicht nach nicht zutreffenden Vergleich des „dynamischen Gleichgewichtszustandes" der Flamme und des Organismus bedingt. Der Flamme liegt kein besonderer, von ihr assimilirter Flammenstoff zu Grunde; die Grundlage des Organismus da- gegen bilden besondere, eigenthümliche Stoffe, die er chemisch aus anderen Stoffen aufzubauen, zu assimiliren vermag. Das Eigenthümliche der Assi- milation scheint nun darin zu bestehen, dass ihr Stattfinden von der Gegen- wart solcher Stoffe, wie sie durch die Assimilation entstehen, bedingt wird, dass sie ohne diese nicht geschieht. Schon Kassowitz (Bd. I, pag. 193 — 194) hat dies richtig erkannt und auch nachzuweisen gesucht, dass ein solcher Vorgang nicht ganz ohne Analogie auf rein chemischem Gebiet ist; indem sich wenigstens einige chemische Prozesse nachweisen lassen, wo die Gegen- wart der zu bildenden Verbindung deren Entstehungsprozess einleitet oder befördert. Obgleich ich mir hier kein Urtheil darüber erlaube, ob diese Prozesse thatsächlich richtig interpretirt sind, betone ich nur, dass auch ich selbständig zu der Ueberzeugung gelangte, dass bei der Assimilation im Organismus ein solcher Vorgang stattfinden muss. Man wird vielleicht gegen eine solche Auffassung der Assimilation einwenden, dass gerade der einfachste sog. Assimilationsprozess auf pflanz- lichem Gebiet, die Bildung des Amylum, nicht an schon vorhandenes Amylum gebunden sei. Dies ist richtig; fraglich dagegen, ob es zutreffend ist, wie es zuweilen geschieht, den Bildungsprozess der Stärke als einen einfachen Assimilationsvorgang anzusehen, und ob es nicht wahrschein- licher ist, die Bildung der Stärke auf die Zerlegung komplicirterer, bei der Assimilation entstehender Verbindungen zurückzuführen. Für die dem Amylum nahe verwandte Cellulose sind die Botaniker fast einstimmig der Ansicht, dass sie aus dem hochkomplizirten Protoplasma hervorgehe; dies spricht doch auch gegen die Meinung, dass die Stärke direkt aus CO-2 und H2O gebildet werden könne. Als beweisend für die Existenz besonderer sogen. Metastruk- turen führt Roux (I. pag. 187—188 Anm.) das Verhalten der Sehnen bei Ouellung, Schrumpfung und Lösung an. Es handelt sich dabei um sehr Anmerkung No. 14. — 78 — verschiedengradiges Quellen und Schrumpfen in der Längs- und Querdimen- sion. Da ich ausführlicher zeigte, dass solche Erscheinungen an nicht organi- sirten, quellbaren Körpern unter gewissen Bedingungen ebenfalls auftreten und durch besondere Strukturverhältnisse bedingt sind (1896 und 1898), so geht daraus wenigstens soviel hervor, dass solche Erscheinungen auch auf Grund struktureller Verhältnisse, wie sie beim Nichtlebenden vorkommen, zu ver- stehen sind. Womit ich natürlich nicht sagen will, dass die Vorgänge an den Sehnen sich schon jetzt mit Hilfe dieser Erfahrungen ausreichend erklären Hessen. Ein sehr überzeugter Anhänger der „Maschinenstruktur" der lebenden Substanz ist auch J. Reinke (1899 pag. 85). Da er die Gründe seiner Annahme etwas genauer darlegt, so mögen sie hier besprochen werden. Sein Beweis ist insofern ein indirekter, als er zu zeigen sucht, dass eine chemische Organisation das Wesen der lebenden Substanz nicht sein könne ; demnach könne es nur in einer Maschinenstruktur gesucht werden. Der Beweis ist in folgendem Passus enthalten : „Ich habe durch Versuche die Ueberzeugung gewonnen, dass ein im lebenden Zustand im Mörser zerriebenes Plasmodium ebensowenig Protoplasma ist, wie eine zu feinem Pulver zer- stossene Taschenuhr noch eine Taschenuhr sein würde"*). Ich bestreite die Richtigkeit der angeführten Thatsachen keineswegs; dagegen sehr, dass hieraus die Berechtigung folge, das Protoplasma mit einer Taschenuhr zu vergleichen. Denn die Behauptung, worauf Reinke diesen Vergleich stützt, dass nämlich „im zerriebenen Plasmodium doch die chemischen B estand theile des Protoplasmas noch sämmtlich vorhanden sind" (pag. 85), erachte ich nicht nur für unbewiesen, sondern sogar für sehr unwahrscheinlich. Reinke scheint zu meinen, dass das lebende Protoplasma des Plasmodiums thatsächlich aus denjenigen Proteinen bestehe, die er und Rodewald daraus gewonnen haben. Dies ist jedoch sehr unwahrscheinlich, da es von vornherein nicht wohl denkbar ist, dass diese Proteinstoffe, selbst bei der Voraussetzung irgendwelcher maschinellen Struktur, diejenigen chemischen Stoffwechselvor- gänge leisten könnten, welche im Plasma thatsächlich stattfinden; um so weniger, als eine maschinelle Struktur überhaupt nicht die Bedingung chemischer Vorgänge sein kann. Zudem wissen wir, dass Druckwirkungen Vorgänge im Plasma hervorrufen, Vakuolisation, schliesslich Auflösung, Zer- fall, ja häufig auch Gerinnung, welche es wahrscheinlich machen, dass schon mechanischer Druck genügt, um chemische Zersetzungsprozesse im lebenden Protoplasma zu veranlassen. Dies ist ja eine nicht sehr geläufige Vorstellung, welche ich dennoch für recht wahrscheinlich halte. Wir wissen , dass es genug chemische Stoffe gibt, welche durch mechanische Einwirkungen sich zersetzen, und wissen andererseits, dass es sich im lebenden Protoplasma um eine oder mehrere sehr leicht zerfallende Verbindungen handeln muss, da ja sonst ein solcher Stoffwechsel, wie er thatsächlich besteht, gar nicht *) J. Reinke u. H. Rodewald, Studien über Protoplasma. Berlin 1881. Vorwort p. VII. Anmerkung No. 14. — 79 — möglich wäre. Schon Pflüger (1875) stellte sich vor, dass in der lebenden Substanz fortgesetzt explosive Prozesse stattfänden. Wie gesagt, erscheint mir daher Reinke's angeblicher Beweis für die „Maschinenstruktur" des Protoplasmas in keiner Weise zwingend; um so weniger, als alle Energie, welche diese Maschinenstruktur in Thätigkeit setzt, ja doch von chemischen Prozessen geliefert würde, und schliesslich mit der Maschinen- struktur nichts weiter erklärt oder verstanden wird. 15) (zu pag. 21). Die Entwickelungserscheinungen sind in ihrer Eigenart den Organismen durchaus eigentümlich ; speziell die Entwickelungserscheinungen der vielzelligen Organismen, wo die Zell- theilung die Grundlage der Entwickelungsprozesse bildet. Bei den Ein- zelligen dagegen haben die Entwickelungserscheinungen den Charakter von Differenzirungen, die ja auch bei der Entwickelung der Vielzelligen, sowohl für die Einzelzelle als für Zellkomplexe, eine wichtige Rolle spielen. Nur für Differenzirungsvorgänge kann man in der nichtlebenden Natur ent- fernte Analogien finden; für Vorgänge also, deren Wesen darin besteht, dass ein einheitlich gebauter Körper unter Bedingungen, die wesentlich in seiner eigenen Natur (System) gegeben sind, von den Bedingungen der Umgebung nur mittelbar abhängen (d. h. nur hinsichtlich des Eintritts oder Nichteintritts der Prozesse), zu einem System mannigfaltig gestalteter, ver- schiedenartiger Theile wird. Wie gesagt, kann man für solche Vorgänge in der anorganischen Natur entfernte Analogien finden; z. B. dann, wenn ein homogenes heissflüssiges Magma unter langsamer Abkühlung zu einem aus verschiedenen Mineralien bestehenden krystallinischen Gestein erstarrt, oder wenn ein Oeltropfen, in dem Seife aufgelöst ist, unter Aufnahme von Wasser allmählich zu einem Schaumtropfen wird , der sogar in formaler Hinsicht gewisse gesetzmässige Bildungen zeigt, wie den Alveolarsaum der Oberfläche. Langsam verlaufende chemische Prozesse lassen sich dagegen nicht mit formaler Differenzirung und Entwickelung vergleichen. Einfaches Wachsthum hat weder etwas mit Differenzirung noch Entwickelung gemein, wenn auch Entwickelung aufs innigste mit Wachsthumsvorgängen zusammen- hängt. Man redet zwar von der Entwickelung der Krystalle, doch hat dies höchstens insofern einen Sinn , als man die Lösung sammt den sich darin bildenden Krystallen gleichzeitig ins Auge fasst. Die Zelltheilung, welche ja das eigentliche Fundament der Entwickelung vielzelliger Wesen bildet, muss in letzter Instanz von der Wirkung zweier besonders gearteter Centren in der Zelle bedingt sein; denn ohne die besondere Natur und Wirkung zweier Centren (oder auch Pole eines Centralkörpers) , deren Aktion man sich nun so oder anders denken mag , wird die Selbsttheilung einer Masse in zwei nicht begreiflich sein. Etwas in der Zelle , sei es Centrosom oder Kern, muss daher polar gebildet sein, etwa vergleichbar einem quadratischen oder hexagonalen Krystall mit seinen beiden Polen. 16) (zu pag. 21) Krystalle. Der nicht selten ausgeführte Vergleich zwischen dem lebenden Individuum und dem Krystall wird zwar häufig an- gezweifelt; ob mit Recht scheint mir sehr fraglich. Jedenfalls gibt es auf Anmerkung No. 15 — 16. 80 — anorganischem Gebiet, abgesehen von dem Flüssigkeitstropfen, überhaupt nichts anderes als das Krystallindividuum, was wenigstens in einzelnen Be- ziehungen mit dem lebenden Individuum vergleichbar wäre. Beide haben eben die charakteristische Eigenthümlichkeit gemein, dass sowohl ihre äussere Gestalt als ihre innere Struktur wesentlich durch innere Beding- ungen bestimmt werden; die äusseren Bedingungen beeinflussen wenigstens nicht direkt und unmittelbar, sondern nur indirekt Form und Struktur. Einwände wie der O. Lehmann's (1900), welcher den Begriff des Individuums dess- halb für Krystalle nicht anwendbar hält, weil letztere „keine untheilbaren Wesen — Individuen" - - seien, sind natürlich ohne Bedeutung, da sie von der irrigen Meinung ausgehen, dass zum Charakter des lebenden Individuums die Untheilbarkeit gehöre. Warum eigentlich Albrecht (1899 pag. 65 Anm.) neuerdings wieder scharf gegen jeden Vergleich von Krystall und Organis- mus auftritt, da „der Begriff des Individuums für den Krystall unzulässig erscheint, wie er denn noch weniger als anorganisches Individuum dem organischen entgegengesetzt werden darf, vermag ich nicht einzu- sehen. — Die von den Krystallographen in neuerer Zeit gegebenen Defini- tionen von Krystall beziehen sich eigentlich nur auf die innere sog. Struktur, d. h. die krystallinische Beschaffenheit der Substanz, lassen dagegen die für den Krystall als Individuum (im Gegensatz zu der Umgebung) doch charakteristische äussere Begrenzung, die Form, ganz ausser acht, und kommen so zu dem Schluss, dass die äussere Form in der Definition der Krystalle ganz zu vernachlässigen sei. So z. B. Groth (1895 pag. 245 cit. nach Lehmann): „Ein Krystall ist ein homogener anisotroper fester Körper"; wogegen Lehmann einerseits die Homogenität als nicht charakte- ristisch streicht, andererseits das geordnete Wachsthum für charakteristisch erklärt,, indem sich die neu angefügten Theilchen parallel den schon vor- handenen anordneten, und dies Wachsthum auf eine molekulare Richtkraft zurückzuführen sucht. Auf diese Weise gelangt er zu der Definition, dass ein Krystall „ein anisotroper, mit molekularer Richtkraft begabter Körper" sei (p. 696). Beide Definitionen beziehen sich, wie gesagt, auf krystallinische Sub- stanz, jedoch nicht auf ein Krystallindividuum, da sich aus ihnen ja auch in keiner Weise ergibt, dass ein Krystallindividuum von ebenen, unter ge- wissen gesetzmässigen Winkeln sich schneidenden Flächen begrenzt wird ; was auch nicht als nothwendige Folge der Definitionen einzusehen ist. Die Groth'sche Definition gilt ferner auch für gedehnte und gepresste sog. amorphe Körper. Die Leh man n' sehe, welche diese Unsicherheit ver- meidet, da sie das geordnete Wachsthum als etwas charakteristisches zufügt, muss doch gerade desshalb den eigentlichen Charakter der krystallinischen Substanz in die Natur jener Theilchen verlegen, die sich in paralleler Rich- tung anordnen sollen und daher irgendwie schon ungleichmässig gebaut sein müssen; was ja auch in ihrer „molekularen Richtkraft" sich ausspricht. Für die eventuellen Beziehungen zwischen Krystall und organisirtem Individuum dürften die sog. flüssigen Krystalle Lehmann's von besonderer Anmerkung No. 16. — 81 Bedeutung sein, da sie die äussere Form des flüssigen Gleichgewichts- zustandes, der ja auch bei den einfachsten Organismen die Grundform zu sein scheint, mit krystallinischen Eigenschaften der Substanz vereinigen. Obgleich ich die Natur dieser flüssigen Krystalle nicht für genügend auf- geklärt erachte, halte ich sie, wie gesagt, doch für sehr bedeutungsvoll für die Beurtheilung organisirter Gebilde. Sehr beachtenswerth für die Erscheinungen des Organismus sind auch die Uebersättigungs- und Ueberschmelzungsphänomene und deren Uebergang in stabile Zustände (Phasen) durch Zufügung kleinster Mengen (Keime, Ostwald) des stabilen Zustandes. Obgleich ja ein solcher Uebergang zuweilen ganz zufällig, unter unaufgeklärten Bedingungen, wie eine Art Urzeugung, eintreten kann, worauf Errera (1899) für das Glycerin hin- gewiesen hat, so ist er doch in keiner Weise vergleichbar mit dem Ent- stehen eines Organismus. Trotzdem aber haben diese Vorgänge ihre grosse Bedeutung für die Lebenserscheinungen. Haeckel hat gewisse im Plasma entstehende Produkte Biokrystalle genannt, so die Kiesel- und Kalknadeln der Spongien und dergleichen. Wenn damit ausgedrückt werden soll, dass solche Bildungen eine Art Mittelding zwischen wirklichen Krystallen und lebenden Bildungen seien, so scheint mir dies unzutreffend. Das Verhalten jener Gebilde spricht keineswegs für eine solche Auffassung. Sie sind theils amorphe, theils krystallinische Substanz von anorganischer Natur und haben nichts an sich, was die Annahme einer solchen Mittelstufe rechtfertigte. 17) (zu pag. 22). Form. Neuerdings erörterte auch J. C lassen die Möglichkeit der „mechanischen" Erklärung des Lebens und der Organismen. Er gelangt zu dem Ergebniss, dass das Geheimniss des Lebens in der besonderen Form des Organischen enthalten sein müsse. Was das Allgemeine der Frage angeht, so muss ich betonen, dass C lassen in seiner Schrift stets von einer Rückführung auf „Mechanik" und auf die „Prinzipien der mathematischen Mechanik" spricht, obgleich er selbst meint, dass diese nicht einmal für das Begreifen der Vorgänge in der anorganischen Welt ausreichten. Ich hob in dieser Schrift mehrfach hervor, dass ich nicht von einer mechanischen Erklärbarkeit der Lebenserscheinungen rede, sondern von einer mechanistischen, und dass diese die Frage nach der Mechanik ruhig den betreffenden Disciplinen der anorganischen Welt überlassen kann; soviel oder so wenig mechanisch Erklärbares diese enthalten, so viel oder so wenig wird davon auch auf die mechanistische Deutung der Lebens- prozesse übergehen. C lassen erörtert an dem Beispiel des in einem Loch einer Membran aufgehängten Wassertropfens recht treffend, dass ein solcher Tropfen, unter geeigneten Bedingungen und unter Bewahrung seiner Form, wachsen oder sich verkleinern kann; dass er ferner einem Wechsel seiner Substanz unter- liegen kann, sowie unter Beibehaltung seiner Gestalt sich bei hinreichendem Anwachsen durch Abschnürung eines Tropfens sogar zu theilen vermag; also unter Stoffwechsel und Wachsen seine Form erhält und sich sogar theilt. Hieraus Bütschli, Mechanismus und Vitalismus. 6 Anmerkung No. 16 — 17. — 82 — schliesst er, dass diese Erscheinungen „noch nicht den Begriff des Lebens bilden, denn Niemand wird diesen Tropfen lebendig nennen wollen" (pag. 13). Anschliessend hieran bemerkt er: „Ich glaube nicht zuviel zusagen, wenn ich behaupte, dass wir den Tropfen eben desshalb nicht lebendig nennen, weil wir bei all' den genannten Vorgängen gerade noch übersehen können, dass sie einfach mechanischer Natur sind. So scheint es also direkt im Begriffe des Lebens, wie wir denselben zu verwenden gewöhnt sind, zu liegen, dass dasselbe eben über jedes mechanische Verstehen hinausgeht." Hier liegt nun ein offenbarer Trugschluss vor. Nicht desshalb scheint mir der Tropfen nicht lebendig, weil ich sein Wachsen, seinen Stoffwechsel, sein Theilen mechanisch verstehe; sondern weil ich bestimmt weiss, dass zwar dieser Stoffwechsel, dieses Wachsen und Theilen des Tropfens eine allgemeine Analogie in seinem Endergebniss mit Erscheinungen am ein- fachsten Organismus hat , dass aber diese Erscheinungen in dem Organis- mus ganz andere sein müssen, einen anderen eigenartigen Verlauf nehmen müssen, welcher auf viel verwickeiteren Bedingungen beruhen muss, als dies bei dem Wassertropfen der Fall ist. Wenn jedoch der Wassertropfen auf mechanistisch verständliche Weise Erscheinungen zeigt, die in ihrem Endergebniss Aehnlichkeit mit gewissen des lebenden Organismus haben, so vermag gerade dies die Ueberzeugung zu befestigen, dass auch jene Erscheinungen der wirklich lebendigen Körper dem mechanistischen Ver- ständniss zugänglich sein dürften. Wer solche Schlussfolgerung zieht, wie Classen, gehört zu jenen Eliminationsvitalisten, die alles, was sich mecha- nistisch erklären lässt, als nicht zu der eigentlichen Lebensthätigkeit gehörig erachten. Wie gesagt, gelangt Classen schliesslich zu dem Ergebniss, dass in der „Form etwas Besonderes stecken müsse" (pag. 14), und dass sie gerade das Besondere des Lebenden, das Unterscheidende von dem Nichtlebenden sei. An einem etwas eigentümlichen Beispiel wird darauf zu zeigen versucht, „dass für das Zustandekommen einer Form ausser dem Gesetz (das hier soviel heissen soll, wie Energie, Kräfte) noch eine besondere Prädisposition bestehen muss"; und ferner angedeutet, dass diese Prädisposition in einer Art besonderer Struktur der lebenden Substanz („Verhältnisse der elementarsten Theile im Körper") zu suchen sei. Im Allgemeinen dürfen wir sagen, diese Prädisposition, welche Classen verlangt, ist nichts anderes, als derjenige innere Beding- ungskomplex, der ja auch unserer Meinung nach vorhanden sein muss, wenn eine Form bestehen oder sich bilden soll. Wie ein solcher Beding- ungskomplex entstehen konnte, das ist ja das grosse Geheimniss; und die Frage, ob er sich auf natürlichem Wege bilden konnte, oder ob etwas, der nichtlebenden Natur Mangelndes hinzukommen musste, ist der eigentliche Angelpunkt des Streits zwischen Mechanismus und Vitalismus. Auf Grund dieser Ansichten über die besondere „Prädisposition" der Form kommt dann Classen zu folgender Definition des Lebendigen (p. 16): „Ein Körper ist leb endig, wenn er unter beständigem Wechsel des Anmerkung No. 17. — 83 — Stoffes immer wieder dieselbe Form erzeugt. Welches die typische Form ist, ist in jedem Fall zu bezeichnen, dass sie immer neu entsteht, ist zu beobachten, der Stoffwechsel ist nachzuweisen." Ich frage: ist denn die Form etwas, was in der an- organischen Welt so ganz fehlt; muss denn bei dem von Classen an- geführten Wassertropfen, der 'stets seine Form beibehält, nicht auch eine Prädisposition für diese Form vorhanden sein, und nicht ebenso bei jeder bestimmten chemischen Substanz, die stets wieder in derselben Krystallform krystallisirt? Ich frage ferner, ist denn etwa der Stoffwechsel des Organis- mus so zu verstehen, dass Stoff und Form von einander unabhängig wären, oder wechselt nicht der Stoff im Organismus so, dass trotzdem auch das Stoffliche sich immer wesentlich gleich bleibt ? Hat denn die Form für das Erkennen des Lebendigen die Bedeutung, welche ihr Classen in obiger Definition zuschreibt? Ist es wirklich nothig, dass ich beobachte, „dass dieForm immer neu entsteht", um zu wissen, ob ein Körper lebendig ist oder nicht? Um letzteres zu entscheiden, bedarf es doch in den meisten Fällen keiner Beobachtung des Entstehens neuer Formen; und wie viel sterile lebende Wesen existiren, welche nie eine neue Form zu erzeugen vermögen, obgleich Niemand in Verlegenheit sein wird, zu entscheiden, ob sie leben oder nicht. In diesem Sinne lässt sich daher die Form nicht in die Defi- nition des Lebenden einführen. Und wenn heute ein Wesen existirte, das nie im Stande wäre, seine typische Form neu zu erzeugen, sondern fort- gesetzt atypische, abweichende hervorbrächte, es würde ihm Niemand den Charakter des Lebendigen absprechen, wenn es nur im übrigen lebte. Nein darin liegt das Geheimniss des Lebens nicht. Man könnte viel- mehr mit Bunge in gewissem Sinne sagen: „Das Geheimniss des Lebens liegt in der Aktivität"; zwar nicht, in dem Bunge 'sehen Sinne, in einer metaphysischen Aktivität, sondern in einer auf inneren Bedingungen beruhenden, von gewissen äusseren abhängenden Aktivität des lebenden Körpers, die sich im Wachsen, Bewegen, Vermehren und anderen Thätig- keiten äussert oder doch äussern kann, und wozu die Substanzen und Ener- gien durch im Innern des Lebenden stattfindende Prozesse, auf Grund eines ganz besonders gearteten Chemismus, geliefert werden. Hieraus folgt dann als letztes, dass eigentlich der eigenartige, von ganz besonderen chemischen Einrichtungen bedingte Stoffwechsel des Organis- mus dasjenige ist, was ihn in letzter Instanz charakterisirt; weil er es ist, von dem jene Aktivitätserscheinungen abhängen. So sagt denn auch z. B. Hering (1889 pag. 35) sehr treffend: „Das wesentliche Merkmal, durch welches sich für die physiologische Betrachtung die lebendige Substanz von der todten unterscheidet, ist ihr Stoffwechsel." Die Form dagegen hängt als Gleichgewichtszustand von der Erfüllung formaler physikalischer Bedingungen ab; sie hat für den einfachsten Organismus, der ja eigentlich formlos sein kann, nur eine sehr geringfügige Bedeutung. Im komplizirten Lebewesen da- gegen erlangt sie allmälig eine immer mehr steigende Bedeutung, da sie es ist, welche das Maschinelle im höheren Organismus darstellt. Dieses bewirkt, Anmerkung No. 17. 6* — 84 — dass die Aktivität der lebendigen Substanz Erhaltungs- oder Zweckgemässes leistet, wie es die allmählich sich steigernden Anforderungen bedingen. Das Verhältniss der Form zu der Energie bedarf noch einiger Be- merkungen. Die moderne Energetik nimmt scheinbar keine Rücksicht auf die Form. Da jedoch in das Mass der mechanischen Energie, '/'2 rnv2, welches grundlegendes Vergleichsmaass für Energie überhaupt ist, die Masse ein- geht, und Massenvergleichung verschiedener Substanzen nur auf Grundlage gleichen Volums, also einer gewissen Form möglich ist, so erscheint auch der Energiebegriff nicht unabhängig von der Form, sondern setzt sie vor- aus. Ein Begreifen der Formen kann daher auch wohl nicht durch energe- tische Betrachtungen ermöglicht werden; eher kann man ja umgekehrt argu- mentiren, insofern die Oberflächenenergie und Volumenergie von der Form abhängen und die Schwere von Lagebeziehungen, also formaler Anordnung der Dinge. Indem die energetischen Betrachtungen von den formalen Ver- hältnissen der Dinge möglichst abstrahiren, beschränken sie sich auf das Begreifen des allgemeinen Verlaufs der Prozesse, der Zustandsänderungen, sind dagegen ausser Stand die wirkliche Welt, in welcher Form und Anordnung die Grundlage bilden, zu begreifen. Eine Andeutung dieses Gedankens finde ich bei O. Wiener, wenn er betont (pag. 38), dass der Energiebegriff zur Darstellung vieler und gerade der einfachsten physikalischen Erscheinungen, z. B. der Bewegungserscheinungen, nicht umfassend genug sei; denn „es kommt ihr" (der Energie) „keine Richtung zu". Hiermit ist eben das Formale betont, welches neben der Energie als bedingender Faktor in alle Vorgänge eingeht. 18) (zu pag. 22) Generatio aequivoca. Lotze's Stellung zur Frage nach der Generatio aequivoca ergibt sich aus seinem Aus- spruch 1842 pag. 45. „Sie (die Physiologie) kann als ersten Grund dieser durch den Prozess der Gattung kontinuirlich fortlaufenden Reihe von Ent- wickelungen nur eine über das Gebiet der Naturwissenschaft hinausliegende Schöpfung, nicht aber eine selbst nach mechanischen Prinzipien folgende zufällige Entstehung annehmen". Im Nachfolgenden wird dieser Ausspruch jedoch modifizirt, da er ihn nur für das Entstehen der höheren Organismen festhalten will, deren komplizirter Bau die direkte Entstehung unmöglich mache; wogegen die Generatio aequivoca für die einfachsten denkbar sei; für letztere könne hierüber nur die Erfahrung entscheiden. (Vergl. auch 1856 pag. 92). Es verdient vielleicht daran erinnert zu werden, dass ein so enragirter Vitalist wie Schopenhauer doch keinerlei Bedenken gegen die Urzeug- ung hatte; wie ja die älteren Vitalisten diese Meinung fast allgemein ver- traten, (s. Parerga, Philosophie der Natur, pag. 162). Roux (s. Ges.-Abh. I. pag. 409 ff.) hat meiner Ansicht nach das Problem der Urzeugung insofern nicht unwesentlich vertieft, als er erläuterte, dass auch die einfachsten jetzt lebenden Organismen (er spricht von Moneren) schon als Produkte phylogenetischerFortbildung und Entwickelung anzusehen seien, denen eine Epoche allmählicher Entwickelung lebendiger Substanz Anmerkung No. 17—18. — 85 — vorausgegangen sein müsse. Auch ich erachte es für wahrscheinlich, dass einfachste Organismen von der Form und den Leistungen, wie wir sie heute kennen, nicht durch einen zufällig zusammengetretenen Bedingungskomplex entstanden ; sondern dass zunächst assimilationsfähige organische Substanz sich bildete, von der ausgehend weitere Entwickelung statthatte. Immer- hin sind die Leistungen der einfachsten Organismen, der primitivsten Bak- terien, doch so einfacher Art, dass die Möglichkeit ihres direkten Entstehens, — die Existenz hochkomplizirter organischer Stoffe vorausgesetzt — unter gewissen Bedingungen nicht ganz undenkbar scheint. 19) (zu pag. 24). Ueber Zufall und Zweck vergl. auch die, sich mit meinen Anschauungen vielfach berührenden Erörterungen von Albrecht (1399 pag. 52—56, sowie die gute Kritik 1900). 20) (zu pag. 28) Zufall. Schon Mach (1896 pag. 438 ff.) würdigte die Bedeutung des Zufalls für die Entwickelung der Technik und Wissenschaft richtig. Als Beispiele für die zufälligen Fortschritte der Wissenschalt führt er an: die Galvani'sche Entdeckung, die Beobachtung der Lichtpolarisation durch Malus, des Sehpurpurs durch Boll und der sog. X-strahlen durch Röntgen. „Analoge Prozesse laufen im technischen Leben ab, und können durch die Erfindung des Fernrohres, der Dampfmaschine, der Lithographie, der Daguerrotypie u. s. w. erläutert werden". Auch für die Entwickelung der ersten Kultur scheint ihm der Zufall massgebend. Charakteristisch für Mach ist, dass er auch den gesammten Ent- wickelungsgang menschlichen Wissens für einen mit der Darwinschen Ansicht über die Entwickelung der Organismen vergleichbaren hält. Er spricht daher von „Umbildung und Anpassung im naturwissen- schaftlichen Denken". Aehnliche Anschauungen wurden nach seiner Angabe auch schon von Spencer entwickelt. Ich bin der Meinung, dass Mach auch in diesem Punkt wesentlich recht hat; indem er annimmt, dass sich das Denken durch Associationen den beobachteten Vorgängen „an- passt", und dass bei auftretenden neuen Erscheinungen, welche mit dem seitherigen Denken kontrastiren (Problemen), eine entsprechende Umwand- lung der Denkgewohnheit, eine neue Anpassung statthaben müsse. Zufügen möchte ich noch, dass diese Umbildung des Denkens bei Eintritt einer neuen Erscheinung (Thatsache) zu sehr verschiedenen Ergebnissen (Variationen) führen kann, von denen jedoch nur dasjenige sich erhalten wird , welches zweckmässig (ökonomisch nach Mach) ist, d. h. nicht zu Erfahrungswider- sprüchen führt; und welches von Erfahrungen ausgeht, nicht von willkür- lichen Erfindungen, da letztere eine Komplikation, nicht eine Vereinfachung oder Oekonomie des Wissens herbeiführen würden. Dass auch die entgegengesetzte Meinung über das Verhältniss von Zu- fall und physikalischen Entdeckungen vertreten wird, beweist folgendes Citat aus O. Lehmann's Schrift „Physik und Politik (Karlsruhe, G. Braun, 1901 pag. 54). ,,Nie ist eine physikalische Entdeckung durch Zufall gemacht worden". Diese fast paradox klingende Be- hauptung, welche ja, so zu sagen, a priori unmöglich erscheint, da für die Anmerkung No. 19 — 20. — 86 — Mehrzahl der grundlegenden Entdeckungen gar kein anderer Weg als der zufällige denkbar ist — denn wie anders sollte z. B. entdeckt wor- den sein, dass der Magnetstein Eisen anzieht? klärt sich jedoch bei genauerem Zusehen auf. Lehmann fährt nämlich fort: „Stets ist sie (die physikalische Entdeckung) herangereift durch die rastlosen Be- mühungen und das unablässige Forschen sehr Vieler und nicht eines Ein- zelnen . . . ." Hieraus folgt, dass Lehmann hier unter Entdeckung eigent- lich den weiteren Ausbau einer ursprünglichen Entdeckung zu ihrer späteren vollendeten Gestalt versteht, welcher natürlich nicht das Ergebniss eines Zufalls ist, wohl aber unter dem Einfluss zahlreicher zufälliger Gedanken- kombinationen vieler Forscher zu Stande kam, wie ich dies schon darzulegen suchte. Ich kann daher nur wiederholen, dass der Zufall auch für die Entwickelung der Physik, wie die jeder Wissenschaft, eine wesentliche Bedeutung hat. 21) (zu pag. 31). Wenn es erlaubt ist, sich über die Dunkelheit eines Begriffes zu beklagen, so gilt dies gewiss für den des Zwecks. Zwar was der Zweckbegriff besagt, das ist klar; dagegen welcher Zweck bei irgend einem besonderen Geschehen vorliegt, das weiss ich doch zunächst nur für meine eigenen Handlungen sicher, für die der Mitmenschen in der Regel nur durch ihre Aussagen; sehr häutig bleibt mir aber schon hier der Zweck höchst dunkel. Stets aber wird die Feststellung des Zweckes der Handlung eines Anderen (insofern er ihn nicht selbst angibt) ein mehr oder minder sicheres Urtheil sein, zu dem ich auf Grund derjenigen Erfahrungen gelange, welche ich über mein eigenes zweckmässiges Handeln besitze; d. h. ich werde analysiren müssen, welche Wunschvorstellung suchte der Betreffende durch seine Handlung zu erreichen. — Eine andere Art der Be- urtheilung der Zweckmässigkeit einer Handlung wäre dagegen die, dass ich jene Handlung im Hinblick auf ein Urtheil, welches ich mir über das wünschenswerthe Verhalten des Betreffenden gebildet habe, als dessen Zweck beurtheile. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass ich die Handlung dann nicht hinsichtlich ihres immanenten Zwecks beurtheile, sondern mittelst eines von mir angelegten Zweckmässigkeits- Massstabes. Wenn sich ein Mensch todtschiessen will und dies richtig erreicht, so war diese Handlung durchaus zweckmässig, insofern er den Wunsch hatte, sich zu ermorden und hierzu die richtigen Mittel wählte ; dagegen kann mir diese Handlung im höchsten Masse unzweckmässig erscheinen, im Hinblick auf die Familie des Selbstmörders, welche dadurch in Noth und Elend ge- räth. — Im Hinblick auf das Geschehen in der Natur, für welches ich Motive oder Zwecke nie wirklich kenne, wird daher die Beurtheilung stets von der zweiten Art sein; ich muss mich stets zuerst schlüssig machen, zu ur- theilen, was ich denn eigentlich erwarte, dass geschehen sollte. Für die unorganische Natur wird nun allgemein zugegeben, dass unter bestimmten Bedingungen nur eines geschehen kann; daher entzieht sie sich einer Zweckbetrachtung in ihrem Einzelgeschehen durchaus. In der lebenden Welt dagegen variirt das Geschehen im Organismus unter wechselnden und Anmerkung No. 20 — 21. — 87 — nicht scharf präcisirbaren Bedingungen so sehr, dass sich ein Urtheil über das, was die einzelnen Theile eigentlich sollten, was ihr Zweck oder Ziel sei, aufdrängt. Dabei ist jedoch nie zu vergessen, dass dies eben ein Urtheil ist, welches nur die bekannte Normalleistung der Theile mit dem Charakter des Sollen ausstattet. Sobald wir den Gesammtorganismus in seiner Umgebung betrachten, wird dies Zweckurtheil meist höchst unbe- stimmt und willkürlich. Was soll er hier? Er tritt wie ein anorganisches, regelmässiges Geschehen in das Gesammtgetriebe ein. Bei dergleichen all- gemeinen Erscheinungen in der Natur tritt eben die Willkürlichkeit und Bedeutungslosigkeit der ganzen Zweckbeurtheilung hervor. — Nehmen wir die häufig erörterte Angelegenheit der massenhaften Ueberproduktion wieder zu Grunde gehender Keime in der Lebewelt, die vielfach als unzweck- mässig, als Verschwendung bezeichnet und gegen die Ansicht von der Zweck- mässigkeit aller biologischen Vorgänge eingewendet wurde. C. E. v. Bär setzte diesem Vorwurf die schönen Worte entgegen: „Die Sparsamkeit aber, die eine Nothwendigkeit für den Armen, ein Vortheil für den Wohl- habenden, eine Zierde für den Reichen, wird wenigstens ganz überflüssig und zwecklos bei dem unendlich Reichen." — Will ich dieses Problem vom Stand- punkte der Zweckmässigkeit wirklich behandeln, so muss ich doch zunächst ein Urtheil darüber gewinnen, welchen Zweck denn die Natur bei dieser Erscheinung verfolge. Gerade dies aber geschieht in dem, was Bär sagt, nicht; vielmehr wird darin nur ausgesprochen, dass Sparsamkeit dieser Zweck nicht sein könne, indem diese für die Natur „zwecklos" wäre. Demnach bliebe eben auch hier wieder als Zweck nur das übrig, was eben gescnieht, und was, natürlich ebenso unberechtigt, da gleichfalls von anthro- pomorph-teleologischer Beurtheilung diktirt, als Verschwendung bezeichnet wurde. Die teleologische Beurtheilung fördert eben hier nicht im geringsten. Dagegen können wir auf Grund der Entwicklungslehre diese Erscheinung zwar nicht als eine zweckmässige verstehen, aber doch als einen Faktor, ohne dessen Bestehen die Organismenwelt sich nicht in der Weise hätte entwickeln können, wie wir sie heute vorfinden. 22) (zu pag. 31). C. E. v. Bär, welcher die sog. „Zielstrebigkeit" als teleologisches und eingestandenermassen metaphysisches Prinzip für das Begreifen des Lebenden nothwendig erachtete, war doch, im Gegensatz zu neueren Vitalisten, darüber klar, dass zweckmässiges Geschehen als Er- klärungsprinzip, ohne Voraussetzung eines vernünftigen, zwecksetzenden Bewusstseins, eine willkürliche Hypothese sei. Er sagt hierüber ganz treffend : ,, Einen Zweck können wir uns nicht anders denken als von einem Wollen und Bewusstsein ausgehend In einem solchen wird denn auch das Ziel- strebige seine tiefste Wurzel haben, wenn es uns als ebenso vernünftig wie nothwendig erscheint" (74/75 Reden II pag. 473 citirt nach S t ö 1 z 1 e). „Es sind Gedanken oder Aufgaben, welche die Naturgesetze bei der Erzeugung der Thiere verfolgt haben, darum findet man die einzelnen Theile immer in Harmonie". Dies vernünftige metaphysische Prinzip erscheint bei Bär schliesslich als „geistiger Weltgrund", als „Schöpfer". Anmerkung No. 21 — 22. — 88 — Wenn wir uns hier gegen ein teleologisch-vitalistisches Erklärungs- prinzip der Organismen verwahren, so haben wir dabei nur das Eingreifen eines solchen Prinzips in die kausale Abhängigkeit des Geschehens inner- halb der bestehenden Welt im Auge. Sobald wir dagegen in das Meta- physische fortschreiten, d. h. nach dem fragen, was hinter oder vor dem liegt, von dem, als gegeben ausgehend, wir zu begreifen vermögen ; wenn wir nach letzten Gründen fragen, oder auch nur bedenken, dass in der nicht künstlich von uns geregelten Welt das meiste Geschehen für uns ein zu- fälliges ist, obgleich alles Einzelne kausal bedingt erscheint, so können wir mit Niemanden rechten, der an den Anfang ein teleologisch-metaphysisches Prinzip stellt, welches den Gang des Ganzen so vorausgesehen und ge- ordnet habe, dass er in der gewünschten und als zweckmässig erachteten Weise verlief. 23) (zu pag. 32). So sagt z. B. G. Wolff (1894, 3. Abh.) : „Die zweck- mässige Anpassung ist das, was den Organismus zum Organismus macht, was sich uns als das eigentliche Wesen des Lebendigen darstellt. Wir können uns keinen Organismus denken (!) ohne dieses Charakteristikum". Hierauf könnte man fragen: Ist eine nur wenige Stunden oder Tage lebensfähige, also gewiss sehr unzweckmässige Missgeburt kein Organismus? 24) (zu pag. 34) Darwinismus. Wie aus dem Gesagten hervorgeht, erscheint mir die Stellungnahme zur Darwinschen Lehre oder irgend einer möglichen Lehre, welche, unter Voraussetzung der prinzipiellen Iden- tität des Geschehens in der Welt der Anorganismen und der Organismen, die Entstehungsmöglichkeit erhaltungs- oder zweckmässig organisirter, sowie innerhalb gewisser Grenzen entsprechend reagirender Lebewesen begreiflich macht, als der eigentlich springende Punkt in dem Problem des Mecha- nismus und Vitalismus. Ich muss mich jedoch hier damit begnügen, diese Meinung hervorzuheben, indem es unmöglich ist, diese Darstell- ung durch eine eingehende kritische Untersuchung über die Grundlagen des Darwinismus und der sonstigen Versuche zur Erklärung der Zweck- mässigkeit ins Ungemessene zu erweitern. — Betonen muss ich jedoch, dass mich das Studium der neueren Kritiker der Darwinschen Lehre nicht davon überzeugte, dass sie „ein Kuriosum unseres Jahr- hunderts wie die Hegel 'sehe Philosophie sei"; obgleich ich dies Urtheil hinsichtlich der letzteren theile. Im Gegentheil scheint mir die Meinung Nägeli's, eines Kritikers des speziellen Darwinismus, sehr zutreffend (1884 pag. 507): „Der geniale Gedanke Darwin's, dass in der orga- nischen Natur nur solche Einrichtungen zur Ausbildung gekommen sind, welche dem individuellen Träger Nutzen gewähren, ist so einfach, so naturgemäss und so sehr in Uebereinstimmung mit aller Erfahrung, dass die hier allein kompetente Physiologie unbedingt zustimmt und sich höchstens verwundert, dass nicht schon langst ein Columbus dieses physio- logische Ei festgestellt hat". Inwiefern der Darwinismus, der historisch Gewordenes zu erklären versucht, dies erreichen kann, wurde schon im Text pag. 6—7, im Hinblick auf die Natur alles historisch Entstandenen, zu Anmerkung No. 22 — 24. — 89 — erläutern versucht. Ich bin auch nicht der Meinung, das die ursprüngliche Darwinsche Lehre schon die mögliche allgemeine Lösung des Problems enthielt; wenn ich auch den Kritikern nicht zustimme, welche der Lehre einen Hauptvorwurf daraus machen, dass sie ja die Bildung und Ent- stehung der Form, d. h. die Variation, nicht erkläre, sondern als gegebene Thatsache zu Grunde lege. Es war gar nicht Darwin 's Bestreben, die Form und ihr Hervorgehen aus physiko-chemischen oder sonstigen Beding- ungen erklären zu wollen , obgleich seine Nachfolger häufig genug ver- kannten, dass dies Problem als ein besonderes neben dem Darwinismus stehe, es vielmehr durch ihn gelöst wähnten. Darwin war nicht ohne Schuld an der Verbreitung solch' irriger Meinungen. Indem er in seiner Lehre der Uebertragung erworbener Charaktere eine wichtige Stelle anwies und andererseits das Entstehen solch' erworbener Charaktere auf äussere Einwirkungen zurückzuführen suchte, erweckte er selbst die Vorstellung, dass auf diesem Wege eine mechanistische Lösung des Problems der Formbildung möglich sei. Auf solche Weise wurde er denn auch zu jener willkürlichen Um- schreibungshypothese, der Pangenesis, geführt, welche zuerst dazu beitrug, durch ihre Konsequenzen seinen unhaltbaren Standpunkt in der Variations- frage zu durchschauen. Mit der Ansicht, dass die vererblichen Variationen Keimvariationen sind, welche ich schon 1876 vertrat, wurde die Lehre von diesen mechanistischen ungerechtfertigten Ansprüchen befreit und auf ihren naturgemässen Boden zurückgeführt, d. h. den historischen Sie sucht die Möglichkeit zu erweisen, dass unter den erfahrungsgemäss vorhandenen Bedingungen das gegebene oder entstehende Zweckmässige sich erhalte, das Unzweckmässige dagegen ausgemerzt werde, und dass auf solche Weise, mit Rücksicht auf die un- zweifelhafte Veränderung der äusseren Bedingungen im Laufe der erd- geschichtlichen Zeiträume, eine Umgestaltung der Organismenwelt, unter steter Wahrung zeitlicher und örtlicher Zweck- und Erhaltungsmässigkeit, eine logisch nothwendige Folge aus den gegebenen Prämissen sei. Dass diese Lehre die Nöthigung enthalte, es müsse die Umbildung oder Variation in Inkrementen oder Differentialen fortschreiten, kann ich nicht zugeben, indem dies sogar für viele Keimvariationen, wie Vermehrung der Segmente und Radienzahl, Vermehrung von Organen überhaupt, ausgeschlossen er- scheint. Dagegen ist auch bei Differentialvariation die Auslese eines ge- wissen Durchschnittes durchaus nichts Unmögliches. Ebensowenig erblicke ich darin, dass zweckmässige Variationen angeb- lich nur in geringer Zahl auftreten sollen, eine besondere Schwierigkeit. Denn wenn es sich um Keimvariationen handelt, so müssen diese irgendwie bedingt sein. Unter diesen Umständen liegt es doch am nächsten, die Aenderung der äusseren Verhältnisse, welche auch allein die Bedingungen für die Ver- änderung der Organismen enthalten müssen, als diejenigen zu betrachten, welche den Bedingungskomplex der Propagationszellen so änderten, dass ein abweichendes Entwicklungsprodukt hervorging. Wenn es sich aber um Anmerkung No. 24. — 90 — allgemeine Aenderung der äusseren Bedingungungen handelt, welche auf die Mehrzahl der vorhandenen Individuen in gleicher Weise wirkten, so ist auch die Wahrscheinlichkeit sehr gross, dass die Variation in derselben Weise bei zahlreichen Individuen auftritt. Es wird sich dann darum handeln, ob unter den gegebenen Bedingungungen ein mehr oder weniger zweckmässiges Variiren möglich ist oder nicht. Im letzteren Falle wird die Art aussterben. 25) (zu pag. 34). Die Schopenhauer'sche Argumentation halte ich jedoch auch vom teleologischen Standpunkt aus nicht für ganz richtig. Die „Termitennester" als solche bilden nicht das Zweckmotiv, wenn der Vorgang nach Analogie einer bewussten zweckmässigen Handlung gedacht wird; denn die Zweckvorstellung wäre doch nicht das Termitennest, sondern das Aus fressen des Termitennestes mit einer dazu geeigneten langen Zunge. Die Termitennester bedingten daher nur das Eintreten des eigentlichen Zweckmotivs, ebenso wie sie nach der Darwinschen oder einer ähnlichen, nicht teleologischen Lehre als eine der Bedingungen für die jetzige Existenz der langen Zunge des Ameisenbären erscheinen. 26) (zu pag. 38). Vergl. Alb recht 1900. 27) (zu pag. 45). Gegen Driesch's Folgerung eines spezifisch vita- listischen Geschehens aus dem sog. „Lokalisationsproble m" sprachen sich vor einiger Zeit schon Morgan (1900 pag. 108) und Doflein (1900 pag. 141 ff.) aus; beide versuchten jedoch keine speziellere Begründung ihrer Ansicht, sondern bezweifelten nur, dass ein solch' vitalistischer Schluss aus den beobachteten Thatsachen zwingend folge. Ich habe das sog. Gesetz vitalistischen Geschehens, wie es Driesch besonders auf Grund der Beobachtungen über die Reparationsvorgänge der Tubularia entwickelt, bei den obigen Erörterungen als zu Recht bestehend vorausgesetzt. Dass dies jedoch streng zutrifft, scheint mir aus den vorliegen- den Ergebnissen nicht zu folgen. Sicher steht doch, dass die Reparation eines vollständigen Hydranthen nur von Stammstücken geschieht, welche eine gewisse Länge haben. Stücke, die unter dieser Länge bleiben, bilden in der Regel unvollständige Polypen ohne Stiel, oder nur ein der Rüssel- region entsprechendes Gebilde, oder eine Doppelbildung dieser Art, häufig nur den oralen Tentakelkranz ; auch sind ihre Tentakel an Zahl häufig ver- ringert. Ganz kurze Stücke endlich (von V< mm und kürzer) vermögen nie mehr zu regeneriren*). Hieraus geht doch hervor, dass es für solch' kleine Stücke überhaupt kein typisches „Endziel gibt, welches erreicht werden soll", sondern dass dies Endziel in den verschiedenen Fällen selbst sehr verschieden ist und jedenfalls abhängig von der Quantität der Operation, der sog. Ursache. Es unterliegt daher keiner Frage, dass die Gesammtheit der durch die Operation geschaffenen neuen Bedingungen das Endziel hervorgehen lässt und dass nur unter nicht zu stark alterirten gewissen *) Siehe hierüber ausser bei Driesch auch Morgan: „Reparation in Tu- bularia". Arch. f. Entwickl. Median. XI. (1901) pag. 346—381. Anmerkung No. 25—27. — 91 — Bedingungen dieses Endziel das gewöhnliche typische ist, während bei zu starker Abweichung der neugeschaffenen Bedingungen die normale Gleich- gewichtsform nicht mehr erreicht werden kann. Bei typischen sog. He tero- morphosen tritt diese Abweichung des Endziels von dem normalen Zu- stand noch deutlicher hervor. Das ganze System steuert hier unter Umständen einem Endziel zu, wie es normaler Weise in der Natur nirgend vertreten ist. Ebenso ist es bei der sog. Lithiumlarve der Seeigel, die Herbst ent- deckte. Wie sollen wir uns unter diesen Umständen die Abhängigkeit des Entwicklungsganges von dem zu erreichenden Endziel denken ? Wir wissen experimentell, dass der Zusatz von Lithiumsalzen zum Meerwasser Bedingung der Entwickelung dieser abweichenden Larven ist; soll man sich etwa vor- stellen, dass das Lithium auf das zu erreichende Endziel verändernd wirkt und dass dieses nun rückwirkend den Gang der Entwickelung modifizirt? Mir scheint in diesen Fällen die kausale Betrachtung die einzig zulässige. 28) (zu pag. 46). Bunge's (1899) Vitalismus ist nicht ganz leicht zu erfassen. Er gründet sich hauptsächlich auf die Behauptung, dass der Mechanismus oder der Materialismus, welch' beide er für identisch erachtet, nichts zu erklären vermöge , und dass alles mechanistisch Erklärbare nicht zu den Lebenserscheinungen gehöre. „Das Wesen des Vitalismus besteht darin, dass wrir den allein richtigen Weg der Erkenntniss ein- schlagen, dass wir ausgehen von dem Bekannten, von der Innenwelt, um das Unbekannte zu erklären, die Aussenwelt." „In der Aktivität, da steckt das Geheimniss des Organismus", d. h. in der Aktivität, wrelche wir durch den „inneren Sinn" erfahren. Unter dieser Aktivität lässt sich jedoch schwerlich etwas anderes denken, als das, was Wille genannt wird; so gelangten wir ungefähr zu der Scho penh a uer' sehen Metaphysik, welche den Willen für den letzten Grund der Erscheinungen erachtet. Dass diese Auffassung eine metaphysische ist, ist klar, da ja die Koordination zwischen Physischem und Psychischem uns zweifellos, dagegen eine kausale Ab- hängigkeit des Physischen vom Psychischen und umgekehrt unbegreiflich ist. Wir können das Physische kausal nur aus physischen, das Psychische nur aus psychischen Ursachen begreifen. Dazu gesellt sich ferner, was in neuerer Zeit deutlicher erkannt wurde (mir persönlich schon in der Mitte der siebziger Jahre, als ich Schopenhauer zuerst studirte, auffiel), dass der sog. Wille gar nicht in dem Sinne von etwas Aktivem bei der Willenshandlung sich geltend macht, sondern nur als eine Vorstellung der Willenshandlung. Ich persönlich wenigstens vermag in mir bei Ausführung einer Handlung nichts wahrzunehmen, was ich als einen aktiven Willen bezeichnen könnte. Seltsam wird jedoch diese an Schopenhauer sich lehnende Auffassung Bunge's dadurch, dass er diese Aktivität nicht wie ersterer sämmtliehen Erscheinungen zu Grunde legt, sondern sie ausschliess- lich auf die Organismenwelt beschränken will. Aus dem dritten Kapitel geht dies klar hervor, wo Bunge sich für die anorganische Welt als über- zeugten Mechanisten, ja Mechaniker erklärt, der alle Verursachungen in Bewegungsvorgängen, theils sichtbaren, theils unsichtbaren (molekularen) Anmerkung No. 27 — 28. — 92 — erblickt. Demnach geschieht nach ihm auch im Organismus alles mechanisch; nur vor dem Psychischen stockt er und sagt: „Ob der letzte Bewegungsvorgang, der als unmittelbare Folge des Reizes im Centrum anlangt, in die Empfindung sich umsetzt (!), oder ob er nur den Anstoss gibt zur Entstehung der Empfindungen - etwa aus chemischen Spannkräften (!!) oder ob hier eine ganz besondere Art des Kausalzusammenhangs statthat — das können wir nicht entscheiden". Ja Bunge wirft sogar die Frage auf : „ob die Seelenerscheinungen umgesetztes Sonnenlicht sind?" Wie ein Vitalismus, welcher das Geheimniss des Lebens in der „Aktivität" sucht, gleichzeitig die Möglichkeit vertreten kann, die Seelenerscheinungen aus materiellen Bewegungserscheinungen zu begreifen, vermag ich nicht einzusehen. Der Gesichtspunkt, dass die vitalistische Auffassung neben der mecha- nistischen als gleichberechtigt anzuerkennen sei, weil „die mechanisti- sche Betrachtung zur Zeit so wenig erklärt habe", ist auch der Borodin's (1898). Es ist dies ein Standpunkt, der zwischen zwei Gegen- sätzen zu vermitteln sucht, die sich gegenseitig ausschliessen, die man nicht etwa zu einem mittleren Durchschnitt verschmelzen kann. Es ist ein Standpunkt, wie er bezeichnender Weise gelegentlich von Manchen in dem Determinationsproblem, der Frage nach der Freiheit oder der Determination des Willens, eingenommen wurde, mit der Behauptung: Der Wille sei eigentlich weder frei noch unfrei, sondern etwas mittleres; während doch frei und unfrei Gegensätze sind, von denen einer den andern aus- schliesst. So ist es auch mit Mechanismus und Vitalismus; eine Vereinigung beider zu etwas mittlerem ist nicht denkbar; und erst recht nicht, wenn ich die sog. Lebenskraft, „deren Vorhandensein in lebenden Körpern zwar un- bewiesen sei", mit Borodin ganz in der Weise der alten Vitalisten auf- fasse, als eine „schöpferische Kraft", „die bewusst oder unbewusst, aber sicher in vernünftiger Weise (!) den Stoff und die Kräfte der todten Natur gebraucht, indem sie dieselben einem bestimmten Ziele, der Erbauung und Erhaltung des Organismus, zulenkt." Im Grunde genommen ist dies der alte Animismus, die alte Anschauung von der bewussten oder unbewussten Lebensseele. Die Verachtung, mit der Borodin auf die seitherigen Ergebnisse biologischer Forschung blickt, erleichtert ihm diese Stellungnahme. Nach ihm ist: „das Protoplasma gegenwärtig nichts anderes, als ein Lagerhof für unser Unwissen;" etwas, das „auch heute noch ein völliges X darstellt." Gar keine Bedeutung haben nach ihm die Versuche an „künstlichen Amöben"; sie stehen auf einer Stufe mit den Uhrwerksautomaten vonVaucanson und den beiden Droz; „das Wesentliche bleibt in beiden Fällen die künstliche Hervorbringung der äusseren Erscheinung des Lebens aus einem Mate- rial, das sicher tod ist." Es dürfte Borodin schwer fallen, zu sagen, was denn ein Material ist, das sicher nicht tod ist, oder lebendes Material zu definiren. Die Grenze zwischen tod und lebendig zu ziehen, und damit das Anmerkung No. 28. — 93 — Leben zu definiren, ist ein Unternehmen, das bis jetzt stets scheiterte. Ist ein von einer Zelle abgelöster Plasmatropfen, der sich einige Zeit amöboid bewegt, lebend oder tod ? Ist ein Samenkorn, das jahrelang ohne jede Lebensäusserung ruht, jedoch unter geeigneten Bedingungen seine Ent- wickelung und seine Lebensthätigkeiten beginnen kann, tod oder lebendig? Sollen wir einen Körper, der zwar eine oder einige Lebenserscheinungen zeigt, andere nicht, tod oder lebendig nennen? Wer behauptet, dass alle Erscheinungen an sog. todtem Material ohne jegliche Analogie und ohne jeden Erklärungswerth für die Lebenserscheinungen seien, der begeht eben von vornherein eine petitio principii, welche ja auch in der Betonung des „lebenden Materials" enthalten ist; er dekretirt nämlich, dass von vorn- herein nichts vergleichbar oder analog mit Lebenserscheinungen ist, als die Lebenserscheinungen selbst. Dieser Standpunkt deckt sich mit demjenigen, der allem physiko-chemisch Begreifbaren die Natur der Lebenserscheinung abspricht. Der von Borodin angestellte Vergleich der sog. künstlichen Amöbe mit den Automaten des Vaucanson und der Droz ist ganz ungerecht- fertigt und unüberlegt. Bei jenen Automaten handelte es sich um die äusser- liche Nachahmung der Form von Bewegungserscheinungen eines Organis- mus auf Grund mechanischer Vorrichtungen, deren Existenz im Organismus von vornherein als unmöglich einzusehen war. Bei der sogen, „künstlichen Amöbe" ') dagegen handelt es sich ganz und gar nicht um eine beabsichtigte äusserliche Nachahmung von Bewegungserscheinungen einfachster Orga- nismen, sondern um die Beobachtung von Bewegungsvorgängen (an Material von bekannter Beschaffenheit), welche in vieler Hinsicht weitgehende Ueber- einstimmung mit jenen einfachster Organismen zeigen, und die gleichzeitig auch auf Grund der Struktur und Natur des Materials den wahrscheinlichen Schluss gestatteten, dass diese beiderlei Bewegungserscheinungen ihrer Natur nach identisch seien, d. h. von denselben energetischen Prozessen bedingt werden. Wie steht es denn aber mit den zahlreichen Errungenschaften der Physiologie über die Verdauungs- und Stoff Wechselvorgänge im Organismus? Sind diese etwa an lebendem oder todtem Material gewonnen; oder ge- hören sie nicht zu den Lebenserscheinungen im Organismus? Wenn es nun aber wirklich gelänge, eine lebende Amöbe aus leben- dem Material künstlich darzustellen,' wären dann etwa deren Bewegungs- *) Gemeint sind jedenfalls die von mir eingehend geschilderten künstlichen Amöben (obgleich ich selbst n i e diese Bezeichnung gebrauchte), wenn ihre Dar- stellung aus „Oel und Potasche" von dem Uebersetzer auch Professor Quincke zugeschrieben wird. Die Art, wie Borodin über diese Untersuchungen spricht, lässt mich vermuthen, dass er nur eine sehr flüchtige, aus zweiter Hand geschöpfte Kenntniss derselben hat. Das Gleiche dürfte wohl für viele ähnliche absprechende Urcheile gelten. Anmerkung No. 28. — 94 — erscheinungen erklärt? Zunächst hätten wir eine Amöbe mehr, deren Be- wegungserscheinungen ebenso problematisch blieben, wie die der natür- lichen. Von gewissen Neo-Vitalisten, so Ri ndfleisch, wird die Begründung des Neo -Vitalismus auf R. Virchow (1856) zurückgeführt; mit welchem Recht, wollen wir ein wenig untersuchen. In der citirten Abhandlung (v. 1856) tritt V. mit voller Bestimmtheit, und als ausgesprochener Anhänger des Mechanismus, gegen den Vitalismus auf. Er verwirft die alte Auf- fassung der Lebenskraft ,,als einheitlichen Erklärungsgrund der Lebens- äusserungen und des Lebendigen" und bezeichnet sie sogar als „Aber- glaube". Sehr richtig bemerkt er (pag. 9): ,,Eine Kraft mit solcher Mannigfaltigkeit der Strebungen, Triebe und Zwecke, die sich nicht bloss die Wege, sondern auch die Mittel zur Erreichung ihrer Ziele aufsucht, die nicht bloss nach einem prästabjlirten Plan, sondern, je nach Umständen, auch nach freier, aber stets zweckmässiger Wahl die Stoffe gestaltet, das ist nicht mehr eine Kraft, sondern es ist ein Wesen, ein lebendiger Organismus''. Der Charakter der Lebenskraft als „Umschreibungshypothese" wird hier von V. recht gut gekennzeichnet. Im Weiteren gelangt er jedoch zu folgen- dem Schluss: „Aber trotzdem können wir nicht erkennen (!), dass die Erscheinungen des Lebens sich einfach als eine Manifesta- tion der den Stoffen inhärirenden Molekularkräfte be greifen lassen" (p. 20). Dies ist das bekannte Argument des Vitalismus, dass der Mechanismus einstweilen nichts oder doch nichts genügend erkläre. Ist Virchow mit diesem Ausspruch aber auf die vitalistische Seite getreten? Gewiss nicht ! Denn er ist gleichzeitig überzeugter Anhänger der Möglich- keit des Entstehens der Organismen durch Urzeugung. So sagt er (pag. '22): „Wir können uns nur vorstellen, dass zu gewissen Zeiten der Entwickelung der Erde ungewöhnliche Bedingungen eintraten, unter denen die zu neuen Ver- bindungen zurückkehrenden (!) Elemente im Statu nascente die vitale Be- wegung (!) erlangten, wo demnach die gewöhnlichen mechanischen Be- wegungen in vitale umschlugen". So wenig klar dieser Ausspruch auch ist, so geht daraus doch hervor, dass V. meint : Unter gewissen ungewöhn- lichen Bedingungen, welche doch nur die Manifestation einer besonderen Kombination der „Stoffe und der ihnen inhärirenden Molekularkräfte" sein könnten, sei das Lebendige entstanden. Damit ist aber der zuerst citirte Satz über die Nichtbegreifbarkeit des Lebens aus den den Stoffen inhäriren- den Molekularkräften wieder aufgehoben. Denn selbst zugegeben, dass das, was sich unter diesen Bedingungen ereigne, etwas sei, was an und für sich ebenso unbegreiflich erscheine, als das Auftreten von Wärme oder Elek- trizität unter gewissen Bedingungen, so wäre dies eben doch ein Vorgang gesetzlichen Naturgeschehens derselben Art wie in der anorganischen Natur, und daher ebenso viel oder wenig begreiflich als die Vorgänge der nichtbelebten Welt. Etwas derartiges ist es ja, was sich Virchow eigent- lich beim Entstehen eines ersten Organismus als das Wesentliche denkt, Anmerkung No. 28. - 95 — und was er ungefähr folgendennassen ausspricht : ,,Wenn der Naturforscher von Lebenskraft redet, so kann er darunter also nur dasjenige Bewegungs- gesetz (!) verstehen, dessen sinnlich wahrnehmbares Resultat Zellenbildung ist" (pag. 11). „Dieses Gesetz ist ein ewiges" (das soll heissen wie jedes Naturgesetz, es gilt immer, wenn die betreffenden Bedingungen eintreten). Was sich Virchow unter einem solchen „Bewegungsgesetz" vorstellt, dem eigentlich Charakteristischen des Organismus, ist natürlich wenig klar. Er bemerkt hierüber auch : „Vielmehr glaube ich immer noch , als den wesentlichen Grund des Lebens eine mitge th eilte, abgeleitete Kraft neben den Molekularkräften unterscheiden zu müssen" (p. 20). „Abgeleitete oder mitgetheilte" Kräfte sind nach V. jedoch „die Kräfte wie Stoss etc.", im Gegensatz zu den „immanenten Kräften der Materie" (Gravitation etc.). Demnach wäre die Lebenskraft nach V. eine nach einem besonderen Be- wegungsgesetz übertragene mechanische Bewegung oder „vitale Be- wegung", wie er selbst sagt; was man, streng genommen (da er ja selbst die sog. immanenten Kräfte ausschliesst), nicht einmal eine besondere Energieform in modernem Sinne nennen könnte; vielmehr wäre diese Virchow'sche Ansicht etwa ein Vorläufer der späteren Elsb er g'schen und Haeckel'schen Hypothesen von einer besonderen vitalen Bewegungs- form der kleinsten Theilchen oder Plastidule der lebendigen Substanz. Daneben jedoch erachtet V. noch die besondere „Stoffkombination", welche in dem einzelnen Organismus (Elementarorganismus) vorliegt, für den „Grund der besonderen Richtung, in welcher die Bewegung (die vitale Be- wegung) stattfindet". Ein sehr seltsamer Gedanke — eine „mechanische Kraft", deren Richtung durch die Natur des Stoffes bestimmt oder modifi- zirt wird. Jedenfalls geht aus diesen Erörterungen hervor, dass Virchow (1856), wie gesagt, überzeugter Mechanist, ja eigentlich „Mechaniker" ist, der eine eigenthümliche „mechanische" Bewegungsart (vitale Bewegung) für den Grund der Lebenserscheinungen hält; also, wenn man will, eine besondere Energieform, obgleich dies nicht recht zutrifft. Bedeutung hätte eine solche Anschauung, ebenso wie spätere ähnliche, erst erlangen können, wenn V. in der Lage gewesen wäre, über das grundlegende „Bewegungsgesetz" etwas Positives mitzutheilen und damit eine oder die andere Lebens- erscheinung zu erklären oder zu begreifen. So, wie dieses Gesetz aufgestellt wird, ist es nichts anderes als die Anerkennung, dass eine unbekannte Gesetzlichkeit den Lebenserscheinungen zu Grunde liegt; mit der jedenfalls ungerechtfertigten Annahme, dass diese Gesetzlichkeit das Wesen einer sog. „abgeleiteten mechanischen Kraft" habe. Rindfleisch (1888) glaubt eigentümlicher Weise auf demselben neo- vitalistischen Standpunkt z-u stehen, wie Virchow. Seine Meinung bewegt sich jedoch in unlöslichen Widersprüchen. Einerseits soll nach ihm (pag. 20) jedes Geschehen „Mechanismus" sein; andererseits dagegen ist er überzeugt, dass in der Zelle ein „Ze llen will e" bestehe, „allerdings geregelt und eingeschränkt durch das Bedürfniss des Gesammtorganismus; immerhin Anmerkung No. 28. — 96 — schliesst er (dieser Wille) als letzte Konsequenz die persönliche Frei- heit ein, welche der starre Materialismus nie zugeben kann". Hier wird demnach Physisches und Psychisches in unzulässiger Weise durcheinander gemengt. Obgleich alles Geschehen, auch das der Zelle, Mechanismus ist, greift der ausserhalb des Mechanismus stehende Zellwille in diesen Me- chanismus beliebig ein, und dazu noch ganz unnöthiger Weise; denn wenn alles Mechanismus ist, so ist doch gar kein Platz mehr für ihn ; er läuft neben dem Mechanismus hin, wie es ja auch unsere Meinung ist. Noch eigenthümlichere Anschauungen trug Rindfleisch 1895 vor. Das Problem der „Freiheit", d.h. der Selbstbewegung, der „ursachlosen Bewegung", beschäftigt ihn auch hier. Im Organismus findet er eine An- näherung an diese Selbstbewegung und Selbstbestimmung, ja glaubt sogar, in der Häufung potentieller Energie im Organismus und in dessen Aufbau aus Kolloiden einen Fingerzeig für das Verständniss dieser Eigenthümlich- keit des Organismus zu finden. ,, Freiheit und Nächstenliebe! Das sind die Merkmale des Lebens; Freiheit das Ziel und Nächstenliebe das Mittel dazu! Das ist das Wort des Lebens" (pag. 129). Nächstenliebe soll hier das zweckmässige harmonische Zusammen- wirken der Theile und der Zellen im Organismus bedeuten. Nächstenliebe als wirksames Prinzip im Organismus und der Organismenwelt erscheint gewiss sehr seltsam in einer Welt lebender Wesen, wo der Grundsatz gilt : „öte toi, que je m'y mette". Ueber die Freiheit dagegen wurde vorhin schon einiges bemerkt. Die Stellung, welche Oscar Hertwig zu den in dieser Schrift er- örterten Problemen einnimmt, bedarf etwas genauerer Darlegung. In seiner Streitschrift (1897) gegen Roux bekennt er pag. 19/20, dass er das „Glaubensbekenntniss theile, dass in der Biologie alles in natürlicher, d. h. philosophisch-mechanischer Weise hergeht" (womit etwa gesagt sein soll, dass in der Biologie alles Geschehen ebenso ein kausalabhängiges ist wie in der nichtlebenden WTelt; „natürlich" steht hier im Gegensatz zu „Wunder"). Bei der Besprechung des Einflusses, den Lotze's Kampf gegen die Lebenskraft ausgeübt hat, bemerkt Hertwig ferner gesperrt (pag. 29—30): „Die mechanistische Auffassung von Lotze hat sich rasch den Sieg in der biologischen Forschung errungen. Ohne auf Widerspruch zu stossen, kann ich wohl behaupten, dass die gesammte Biologie seit vielen Decennien auf dem Standpunkt von Lotze steht, dass das Orga- nische nur eine höhere Form des Mechanischen ist." Der ganze Passus und weiterhin auch das Folgende: „Es hiesse daher offene Thüren ein- rennen, wollte man jetzt noch, wie es Lotze gethan hat, für eine mecha- nistische Auffassung der Lebewelt zu Felde ziehen", scheint doch klar zu zeigen, dass Hertwig ein Anhänger Lotze's ist. Wenden wir uns dagegen zu demjenigen Theil seiner Schrift, in dem er die sog. „gestaltenden Kräfte" Roux's bekämpft, von welchen die besondere Form der sich in der Ontogenese bildenden Theile (Organe) Anmerkung No. 28. — 97 — abhängen sollen, so verändert sich Hertwig's Stellung bedeutend. Unter Roux's ja nicht übermässig klarem Begriff „gestaltender Kräfte" muss man sich die Summe der bedingenden und wirkenden Ursachen (Kräfte) vor- stellen, von welchen ein sich bildender Theil abhängt. In diesem bildlichen Sinne verwendet Roux den Begriff. Bei der Kritik dieser Anschauungen Roux's kommt Hertwig endlich zu folgender letzter Erwägung hinsicht- lich jener „gestaltenden Kraft" (pag. 59—60): „Noch ein dritter Weg bleibt zu versuchen, die gestaltende Kraft direkt in die Grundkräfte der Physik zu zerlegen und die organischen Gestalten direkt aus komplexen Komponenten von Schwerkraft, Cohäsionskraft, chemischen, elektrischen, magnetischen Kräften zu erklären. Dass dieser Weg ebenfalls nicht der rechte ist, braucht kaum einer näheren Darlegung. Zwar sind die Grund- kräfte der Natur wie in den unorganischen Körpern auch in den Organismen wirksam und können, wo sie sich in den Erscheinungen zeigen, untersucht werden, aber wir können keine „gestaltende Kraft" durch Combination von Schwerkraft, Cohäsionskraft, chemischer, elektrischer Kraft konstruiren oder durch Vereinigung von ein bischen Schwerkraft, chemischer Kraft, Cohä- sionskraft ä la Dreyer organische Gestalt produzieren". Diese Auslassung steht jedoch in direktem Widerspruch mit Lotze's Meinung; denn dieser ist gerade der Ansicht, dass nicht nur das Geschehen im fertigen Organis- mus von den den Stoffen eigenthümlichen Kräften, unter besonderen kom- plizirten Bedingungen, abhänge, sondern dass ebenso das Entwickelungs- geschehen auf Grund derselben Geschehensweisen, welche auch in der anorganischen Natur sich finden, unter besonderen Bedingungen sich ab- spiele. Das eine, was Lotze, wenigstens für die höheren Organismen, auf die gesetzlichen Geschehensweisen der anorganischen Natur nicht zurückführen zu können glaubt, ist das Ausgangssubstrat der Entwickelung, d. h. das Ausgangssubstrat, dessen Bedingungskomplex den ganzen Verlauf der Entwickelung mechanistisch hervorruft; dessen Entstehen durch zufälliges Zusammentreffen der Bedingungen scheint ihm unmöglich. In dem vorhin citirten Ausspruch über die gestaltenden Kräfte befindet sich Hertwig also in Widerspruch mit den mechanistischen Anschauungen Lotze's. — In Hertwig's Erörterung vermisse ich aber auch den Nachweis für die auf- gestellte Behauptung: dass die sog. Kräfte der anorganischen Natur auch unter besonderen, komplexen Bedingungen nicht ausreichten, die Entwickel- ung der lebenden Gestalten zu begreifen oder zu erklären (was ja nach dem früher von ihm Bemerkten das Glaubensbekenntniss des überzeugten Vitalisten ist). In dem citirten Ausspruch wird nur angegeben, dass diese Annahme des Mechanismus „nicht die rechte ist, und dass dies kaum einer näheren Darlegung bedürfe". Darauf folgt die Behauptung : es sei eben unmöglich, die „gestaltende Kraft" aus den Kräften der anorganischen Natur abzuleiten. Gründe dafür werden nicht mitgetheilt. Auch fehlt völlig eine Andeutung darüber, welcher Art denn nun eigentlich das Geschehen im Organismus ist, das durch „gestaltende Kraft", wenn auch nur bildlich aufgefasst, bedingt wird. Von was wird denn dieses Geschehen bedingt, Bütschli, Mechanismus und Vitalisnms. 7 Anmerkung No. 28. — 98 — wenn nicht von den sog. Kräften der anorganischen Natur; denn alles, was im Organismus vorgeht, geschieht doch nach Hertwig „philosophisch- mechanisch", muss daher von wirkenden und bedingenden Ursachen ab- hängen. Da nun die anorganischen Kräfte keine organischen Gestalten be- dingen können, so bliebe nur die Möglichkeit einer besonderen vitalen wirkenden Ursache, einer vitalen Kraft oder Energie, und O. Hertwig träte damit auch schon 1897 als erklärter Vitalist auf. Entschiedener ist dies 1900 in seinem Vortrag über die Entwickel- ung der Biologie im 19. Jahrhundert der Fall, wo der schon 1897 ange- deutete Standpunkt genauer erläutert wird. Hier erhalten wir zunächst von dem Leben im Allgemeinen die Definition (pag. 4) : Dass dasselbe „auf einer besonderen eigenthümlichen Organisation des Stoffes beruhe", mit der Verrichtungen (Funktionen) verknüpft seien, die sich in der leblosen Natur nicht finden. In dieser Definition ist, wie dies häufig der Fall, das Hypothetische an die Spitze gestellt (die Organisation des Stoffes), dagegen das Thatsächliche, die besonderen Verrichtungen (Leistungen, Thätigkeiten lebender Körper), hinten angefügt. Diese Definition ist so dunkel wie jede, in welche der unsichere Begriff der „Organisation" eingeführt ist (s. Anmerk. No. 14). Der Schwerpunkt liegt aber nicht in der Organisation als solcher, sondern in der „besonderen" Organisation, und bevor nicht angegeben werden kann, worin diese Besonderheit besteht, ist die ganze Definition bedeutungslos; denn was lebend ist, können wir dann nur aus den besonderen Verrichtungen des Lebenden erfahren. Hertwig glaubt in diesem Vortrag eine Art Vermittelung zwischen Vitalismus und Mechanismus anbahnen zu können. Er meint (pag. 24) : ,,dass ebenso wie der vitalistische auch der mechanistische Standpunkt in der Biologie ein einseitiger sei". Wie ich schon hervorhob, kann ich mich einer solchen Meinung nicht anschliessen, da Vitalismus und Mechanismus Gegensätze sind, die sich nicht zu etwas Mittlerem vereinigen lassen. Natürlich setze ich dabei voraus, dass man unter Vitalismus nicht etwas ganz anderes verstehen will, als was gewöhnlich und richtiger Weise darunter begriffen wird. Denn es ist ja klar, dass Lebewesen, als besondere Klassen natürlicher Objekte, ihre eigenthümlichen sekundären Gesetzmässigkeiten be- sitzen, wie sie etwa bestimmte Kategorien von Objekten auch auf physikali- schem oder chemischem Gebiet darbieten (z. B. die quellbaren Körper u.s. f.); womit jedoch natürlich nicht ausgesprochen ist, dass diese sekundären Gesetzmässigkeiten nicht von den allgemeinen physiko-chemischen abhängen. Ein Vitalismus in diesem Sinne steht nicht im Gegensatz zum Mechanismus, hat aber auch nichts mit der Beurtheilungsweise zu thun, welche von jeher als Vitalismus bezeichnet wurde. Hertwig hat nun nirgends genauer erörtert, was er eigentlich unter Vitalismus versteht; er verwirft den älteren Vitalismus als Irrthum, dagegen fehlt eine Aufklärung darüber, was ihm an dem Vitalismus oder Neo -Vitalismus berechtigt scheint. — Suchen wir daher selbst nach präciserer Aufklärung über seine Ansicht, so erfahren wir (pag. 23), dass der „öde Anmerkung No. 28. — 99 — Mechanismus glaubte, in der Erklärung des Lebens nur ein chemisch-phy- sikalisches Problem erblicken zu dürfen". Hieraus geht also, wie aus der Aeusserung von 1897, hervor, dass Hertwig Vitalist ist in dem Sinne, dass die Lebenserscheinungen sich mit dem Geschehen der anorganischen Natur, d. h. physiko-chemisch, nicht begreifen und auch niemals werden begreifen lassen; der Mechanismus ist „öde", d. h. also wohl, er führt in die Oede, in die Wüste, zu keinen Ergebnissen. In dieser Hinsicht schliesst sich H. den Anschauungen anderer Neo -Vitalisten an. Zwar fehlt auch hier wieder die Begründung; denn dass E. Dubois- Reymond verschiedene Welträthsel anerkennt, hat doch mit der Frage nichts zu thun. Es handelt sich um die Möglichkeit, ob auf Grund des gesetzlichen Geschehens der anorganischen Natur das Geschehen im Or- ganismus begreiflich sein kann; wobei es natürlich gleichgültig ist, inwiefern die verschiedenen Geschehensweisen in der anorganischen Natur begreiflich oder etwas Letztes, nicht weiter Rückführbares, d. h. Unbegreifliches sind. Ebensowenig hat das Problem des Vitalismus und Mechanismus etwas mit atomistischen Hypothesen, sowie den damit zusammenhängenden Vor- stellungen über Materie und Kraft zu thun und wird davon in keiner Weise berührt. In weiterer Begründung seiner Ansicht macht nun Hertwig wieder eine Einschränkung bezüglich der physiko-chemischen Begreiflichkeit der Lebenserscheinungen, indem er sagt (p. 24) : „Ebenso unberechtigt, wie der Vitalismus ist das mechanistische Dogma, dass das Leben mit allen seinen komplizirten Erscheinungen nichts anderes sei als ein chemisch-physikalisches Problem, unberechtigt, wenigstens so lange, als man unter Physik und Chemie nicht ganz anders geartete Wissenschaften versteht, als sie uns jetzt nach Inhalt und Umfang, auf Grund ihrer historischen Entwickelung entgegentreten" *). *) Hinsichtlich des Verhaltens der heutigen Physik (und ähnlich auch der Chemie) zur Lösung biologischer Fragen theile ich etwa die Anschauung Mach 's, der darüber sagt (1900 pag. 68j : „Beide (d. h. das physikalische und das bio- logische Gebiet) enthalten wohl dieselben Grundthatsachen , manche Seiten äussern sich aber nur in dem einen, manche nur in dem anderen merklich, so dass nicht nur die Physik der Biologie , sondern auch die letztere der ersteren hilfreich und auf- klärend zur Seite stehen kann. Den unbezweifelten Leistungen der Physik in der Biologie stehen ebenso andere Fälle gegenüber, in welchen erst die Biologie neue physikalische Thatsachen ans Licht gefördert hat (Galvanismus, PfefFer'sche Zelle u. s. w.). Die Physik wird in der Biologie noch mehr leisten, wenn sie erst durch die letztere gewachsen sein wird", pag. 72: „Die Physik wird also aus dem Studium des Organischem an sich noch sehr viel neue Einsicht schöpfen müssen, bevor sie auch das Organische bewältigen kann". Gerade für die Physik gilt dies noch viel mehr als für die Chemie, welche der Mannigfaltigkeit der chemischen Erzeugnisse des Organismus von jeher ihre Aufmerk- samkeit zuwandte. In der Physik dagegen haben diejenigen Erscheinungen, welche Anmerkung No. 28. ?* — 100 — Genau diese Worte hätte zu Anfang des 19. Jahrhunderts ein Vitalist Demjenigen zurufen können, welcher die kühne Behauptung gewagt hätte: die Bildung des Harnstoffs im thierisehen Organismus sei ein chemisch- physikalisches Problem und bedürfe zu seiner Begreiflichkeit keiner be- sonderen vitalistischen Kraft. Hertwig hält die frühere vitalistische An- sicht über den Harnstoff für eine „vitalistische Irrlehre" obgleich die ehe- maligen Vertheidiger dieser Irrlehre sich darauf berufen konnten, dass die damalige Physik und Chemie nicht vermögend seien, eine im Organismus gebildete chemische Verbindung ausserhalb desselben darzustellen, dass also die Physik und Chemie „ganz anders geartete Wissenschaften" sein müssten, bevor man an das physiko-chemische Begreifen der Harnstoffentstehung denken könne. Auch die weitere Argumentation Hertwig 's: „dass das Lebensproblem überhaupt erst beginne, wo die Untersuchung des Chemikers aufhört" (pag. 25), konnte der Harnstoffvitalist mit derselben Berechtigung anführen; denn sobald er die Harnstoff bildung zu den charakteristischen Lebenserscheinungen zählte, die chemischem Begreifen unzugänglich seien, so ergab sich dies von selbst. Der Chemiker kann nach Hertwig „streng genommen überhaupt nicht dem eigentlichen Lebensproblem näher treten", „da sich über dem Bau des chemischen Moleküls der Bau der leben- den Substanz als eine weitere, höhere Art von Organisation erhebt". Nun denkt sich Hertwig, wie ich schon vor einiger Zeit näher darlegte (1901 pag. 539 ff.), diese höhere Organisation der lebenden Substanz als eine maschinelle Organisation, welche natürlich der Chemiker nicht begreifen kann. Wie gesagt, ist dies jedoch eine Hypothese, welche sich ebenso wohl durch die der chemischen Organisation ersetzen lässt. Das Charak- teristische in Hertwig's Anschauung ist, dass er die Entstehung dieser höheren, über die physiko-chemische sich erhebenden Organisation für physiko-chemisch unbegreiflich hält, ebenso wie die vielen Lebenserschein- ungen („Wirkungsweisen"), die auf Grund dieser und immer höher ent- wickelter Organisationen auftreten („Erhaltung der Art durch Wachsthum und Zeugung, Stoffwechsel, die verschiedene Arten der Irritabilität" etc.). Nun haben jedoch schon alle Mechanisten, voraus in besonders klarer Weise Lotze, darauf hingewiesen, dass in allen diesen besonderen Wirkungs- weisen des Organismus sich nichts äussere, was einer der gesetzlichen Wirkungsweisen (Kräfte, Energieformen) der anorganischen Natur als eine besondere— entgegengestellt werden könne, dass vielmehr diese „Wirkungsweisen" des Organismus in letzter Instanz Kombinationen solcher seien, die sich in der anorganischen Natur linden; ebenso wie in einer Maschine nur die gesetzlichen Wirkungsweisen der leblosen Natur, jedoch in der eigenthümlichen Kombination eines bestimmten Bedingungskomplexes für das Verständniss des Organismus von besonderer Bedeutung sind, wenig Beacht- ung gefunden. Sehr wenig berücksichtigt aber wurde in beiden anorganischen Dis- ciplinen bis jetzt das Formproblem, welches für die lebende Welt eine so hervor- ragende Bedeutung hat. Anmerkung No. 28. — 101 auftreten. Wenn es nun keine besonderen vitalistischen, den avitalisti- schen gleichberechtigte gesetzliche Wirkungsweisen gibt, so muss eben die sog. „höhere Organisation" der lebenden Substanz der besondere Komplex der bedingenden und wirkenden Ursachen (nicht vitalistischer Natur) sein , von welchen die besonderen Leistungen abhängen. Das Ent- stehen dieses Bedingungskomplexes nun ist nicht eigentlich chemisch-physi- kalisch zu begreifen, ebensowenig wie ich physiko-chemisch begreifen kann, warum der amerikanische Kontinent seine eigenthümliche Form hat, oder warum sich der Vesuv gerade an der Stelle bildete , wo er sich findet. Denn dieses hängt von dem zeitlichen und örtlichen Zusammentreffen jener physiko-chemischen Bedingungen ab, welches ich aber nicht selbst wieder von einer letzten Bedingung abhängig finde, sondern das den Charakter des Zufälligen hat. In letzter Instanz führt demnach auch der Hertwig'sche vitalistische Standpunkt auf das Problem zurück : Ist es zulässig , das Entstehen des eigenthümlichen Bedingungskomplexes , von welchen die Lebenserscheinungen abhängen, sowie dessen Fortschreiten zu höherer Aus- bildung, als ein im Laufe der Erdentwickelung (resp. auch Weltentwickelung) zufällig eingetretenes zu beurtheilen oder nicht. Ich vertrete die Meinung, dass dies zulässig; wer die entgegengesetzte hegt, muss natürlich ein be- sonderes vitalistisches Prinzip annehmen, von welchem das Entstehen dieses Bedingungskomplexes abhängt. Hertwig selbst geht auf dieses Problem nicht ein ; er ist Anbänger der Descendenzlehre, dagegen nicht des Darwinis- mus ; wie er sich zur Frage nach der möglichen Entstehung des Lebenden aus Nichtlebendem verhält, bleibt unsicher. Der erwähnte Vortrag Hertwig's wurde schon von E. Albrecht (1901) einer Besprechung unterzogen, in welcher zwar mancherlei von den Uebereinstimmungen zwischen den Anschauungen Hertwig's und Al- brecht's die Rede ist, die aber im Allgemeinen, wie auch schon aus Albrecht's früheren Schriften hervorgeht, eigentlich für die physiko- chemische, mechanistische Beurtheilung der Lebenserscheinungen, im Gegen- satz zu Hertwig, eintritt. Bezeichnet sich Albrecht doch selbst als „hoffnungslustigen Mechanisten" (pag. 108). Albrecht erkennt die mecha- nistische Betrachtungsweise als durchaus berechtigt an und hat in seinen Schriften vielfach die vitalistischen und teleologischen Anschauungen sehr treffend kritisirt. Dennoch gelangt er auf Grund seiner erkenntniss-theoretischen Ueberzeugung zu dem Ergebniss: „Es besteht zwischen den Lebenser- scheinungen und irgend welcher Aufstellung physikalischer oder chemischer Mechanismen, welche sie produziren und ihr „Wesen" ausmachen sollen, erkenntniss-theoretisch eine unüberbrückbare Kluft" (1899 pag. 33). Seiner Meinung nach ist dies aber keine Besonderheit der Lebenserscheinungen, sondern die gleiche Schwierigkeit „liege auch vor" oder gelte „von be- obachteten Vorgängen der anorganischen Natur", „bezüglich ihrer Zurück- führung auf deren physikalisches oder chemisches Wesen". Ich weiss nicht, ob ich die Gedankengänge richtig verstehe, welche Albrecht zu diesen Ergebnissen führen. Sein erkenntniss-theoretischer Standpunkt scheint der Anmerkung No. 28. — 102 — von Mach und Avenarius zu sein, dass nämlich unsere Erkenntniss nur Bewusstseinselemente enthält und deren Verknüpfung, dass diese Bewusst- seinselemente das alleinexistirende sind, dass nichts besteht, was empfunden wird, sondern nur das Empfinden. Auf dieser Grundlage, welche, wie wir schon bei Mach sahen, in keiner Weise etwa hypothesenfrei ist, wird dann geschlossen, dass die Verknüpfung jener unabhängigen Bewusstseins- elemente eine sehr verschiedene sei, je nach dem Standpunkt der Betracht- ung, welchen der Betrachter einnimmt. Es ergäben sich auf diese Weise verschiedene „Betrachtungsweisen" bei verschiedenartiger Einstellung, für welche die Identität nur behauptet werde. So also beispielsweise, wenn ich einen Körper einmal makroskopisch betrachte und dann mikroskopisch. (Wie steht es denn aber mit den verschiedenen Objektiven? Jedem der- selben entspricht doch wohl eine besondere Betrachtungsweise bei beson- derer Einstellung). Mir scheint diese Folgerung nicht einmal für den Stand- punkt des „reinen Idealisten", welcher nur unabhängige Bewusstseinselemente anerkennt, wirklich zutreffend; für den des Realisten, welcher etwas Em- pfundenes voraussetzt, wenn er auch dessen „Wesen" nicht zu ermitteln ver- mag, sondern nur die Koordination des Empfindens mit ihm, besteht diese Schwierigkeit um so weniger. Zwei Punkte, welche ich auf dem Empfindungs- komplex Papier mache, sind doch zwei unabhängige Bewusstseinselemente bei bestimmter Verknüpfung der sonstigen Bewusstseinselemente. Entferne ich mich bis zu gewisser Weite, so vereinigen sich die beiden Punkte zu einem Bewusstseinselement , d. h., bei einer gewissen Aenderung der sonstigen Bewusstseinselemente werden sie eines. Hieraus muss ich doch schliessen, dass es die übrigen Bewusstseinselemente bedingen, ob die bei- den Bewusstseinselemente, welche ich selbst gegeben habe, als solche er- scheinen oder nicht; und der meiner Meinung nach hieraus folgende natür- liche Schluss wäre der : die uns einfach erscheinenden Bewusstseinselemente können auch gleichzeitig auftretende mehrfache sein, es hängt von den übrigen Bewusstseinselementen ab, ob ich sie gesondert empfinde oder nicht. Wie gesagt, auf dem erkenntniss-kritischen Boden, welchen ich in diesen Betrachtungen einzunehmen für richtig erachtete, scheint mir die Schwierigkeit der verschiedenen unabhängigen Betrachtungsweisen bei ver- schiedenartiger Einstellung nicht zu existiren, und selbst auf dem des reinen Idealisten bezweifle ich sie. So bin ich denn auch nicht der Meinung, dass die chemische und physikalische Untersuchung der Stoffe zwei derartige ganz unabhängige Betrachtungsweisen darstellen; um so weniger als ja Chemie doch nur die gesetzmässigen und sprungweise eintretenden Aenderungen der physikalischen Konstanten der Stoffe in ihren verschiedenen chemischen Gleichgewichtszuständen untersucht. Ich kann mich daher auch nicht der Meinung anschliessen, dass die Untersuchung der Lebens- erscheinungen eine solche besondere Betrachtungsweise sei, welche ihrem „Wesen" nach durch eine unüberbrückbare Kluft von chemisch-physikalischen Vorgängen getrennt werde. Anmerkung No. 28. — 103 — Eine eigenthümliche vitalistische Theorie entwickelte 1899 J. Reinke, welche ich hier nach seiner kurzen Darlegung im biologischen Central- blatt besprechen will. Reinke geht von der Ueberzeugung aus, dass das „Wesen der Organisation" in einer „Maschinenstruktur" zu suchen sei. (Vergl. Anm. No. 14). Er untersucht zunächst die von Menschen künstlich hergestellten Maschinen und gelangt darüber zu eigenthüm- lichen Anschauungen. „Die dynamischen Vorgänge, welche uns in der Maschinenleistung entgegentreten", sagt er, „beruhen nicht bloss auf Energien, sondern auch auf Kräften (!), welche die Energien lenken und sie zwingen, bestimmte Richtungen und Bahnen einzuschlagen. Diese Kräfte nenne ich Dominanten". Nun beruht in der Welt kein Vorgang nur auf Energien (oder wirkenden Ursachen), sondern immer auch auf einer Summe von Bedingungen ; genau so ist es auch bei jeder Maschine. Wir finden hier ein System bestimmter Bedingungen und Energien, welche ein gewisses Resultat ergeben. Was Reinke Dominanten nennt, sind also weiter nichts als die besonderen Bedingungen des maschinellen Systems. Wenn er diese nun „Kräfte" nennt, so findet er sich im Widerspruch mit dem, was man von jeher unter Kraft verstanden hat. Zu dieser seltsamen Auf- fassung der sog. Dominanten als Kräfte gelangt er durch folgende Argu- mentation. Die Kräfte zerfallen nach ihm „in zwei Gruppen: in geistige oder intelligente Kräfte und in materielle Kräfte oder Energien". Nun ge- hörten die Dominanten nicht zu den Energien; „es bleibt daher nur übrig, sie zu den intelligenten Kräften zu rechnen". In der That vollbringe auch die Maschine eine „intelligente Arbeitsleistung" (pag. 87); die Dominanten seien der Ausdruck einer, den Maschinen eingepflanzten Intelligenz" (pag. 90). „Die Thatsachen weisen auf die Wirksamkeit intelligenter Kräfte neben Energien in Maschinen und Organismen hin" (pag. 90). „Natürlich ist die Intelligenz der Dominanten eine unbewusste" (pag. 91). So kommt denn Reinke, von dem seltsamen Trugschluss ausgehend, dass die Beding- ungen eines maschinellen Systems Kräfte seien und zwar, weil nicht Ener- gien, nothwendig intelligente Kräfte, zu dem Resultat, dass in der Maschine unbewusste intelligente Kräfte „auf die Energie einwirkten" (pag. 87). Der eigentliche ursprüngliche Gedankengang war jedoch jedenfalls der : Da eine Intelligenz die Bedingungen (Dominanten) der Maschine so geordnet und geregelt hat, dass dieselbe ein bestimmtes und gewünschtes Ergebniss liefert, so sind die Kräfte dieser Intelligenz auf die Maschine übergegangen und befinden sich nun in ihr als unbewusste Intelligenz. Dies ergibt sich klar aus dem folgenden Satz: „Bei der Herstellung einer Maschine ver- wandelt sich bewusste Intelligenz in unbewusste" (pag. 113). Ein einfacherer derartiger Fall würde daher etwa lauten: Wenn ich, um mich gegen den Angriff eines Feindes zu wehren, demselben einen Stein an den Kopf werfe, so besitzt dieser Stein nicht nur mechanische Energie (Bewegung), sondern auch eine intelligente unbewusste Kraft, welche ihn so lenkt, dass er den Kopf meines Gegners trifft. Diese Ueber- tragung intelligenter Kraft auf den energetischen Vorgang erscheint fast wie * Anmerkung No. 28. — 104 — ein Gesetz der Erhaltung der Intelligenz („bei der Herstellung einer Ma- schine verwandelt sich bewusste Intelligenz in unbewusste" pag. 113). Den- noch ist Reinke gerade der entgegengesetzten Meinung: „Die intelli- genten Kräfte sind zerstörbar, die Energie ist es nicht" (pag. 113), was ja natürlich : die Bedingungen sind veränderlich, die Energien ihrer Quantität nach dauernd. Auf diesem trügerischen Boden ist es nun Reinke leicht, den Organismus und seine Leistungen zu erklären. Ueberall, wo derselbe etwas leistet, thut er dies eben unter Leitung der vorhandenen unbewussten in- telligenten Dominanten; und für jede Art dieser Leistungen gibt es be- sondere derartige Dominanten ; die ursprünglichen Dominanten entwickeln neue u. s. f. Die Dominanten „arbeiten intelligent" „als unsichtbare Bau- meister" (pag. 115) u. s. f. Auf diese Weise gelangen wir denn zu einer neuen Dominanten-Umschreibungshypothese von bekanntestem Charakter. Und das eigentliche Fundament der ganze Lehre ist „in nuce" die alte vita- listische Argumentation: da die lebenden Wesen sich wie Maschinen ver- halten, Maschinen jedoch nur von einer Intelligenz konstruirt sein können, so müssen auch die Organismen von einer Intelligenz hervorgebracht worden sein. Dabei berührt nur eigentümlich, dass R. sich als Anhänger der Urzeugung erweist, ohne die Frage zu erörtern, von welcher intelli- genten Kraft denn die zahlreichen Dominanten, die er schon in diesen ersten Organismen voraussetzt, abstammen. Hier bleibt doch kein anderer Aus- weg als die intelligente Schöpfungskraft. LITTERATUR 1899. Albrecht, E., Vorfragen der Biologie. Wiesbaden. 1900. — — Gegen die Teleologie. Bei- lage zur Allgem. Zeitung. Nr. 293. Auch separat. 1901. — ■ — Die Ueberwindung des Mechanismus in der Biologie. Biolog. Centralbl. 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